Burchards Bericht über den Orient: Reiseerfahrungen eines staufischen Gesandten im Reich Saladins 1175/1176 9783110554397, 9783110553550

Shortly after the founding of the Ayyubid dynasty, Friedrich Barbarossa established diplomatic relations with Sultan Sal

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German Pages 663 [664] Year 2018

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. Einleitung
II. Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen
III. Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts
IV. Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert. Mittelalterliche Wissensbestände Lateineuropas in Bezug auf Ägypten
V. Die Gesandtschaft und ihr Gesandter
VI. Rezeption und Textgeschichte
VII. Ergebnis
VIII. Edition
Abkürzungsverzeichnis
Quellenverzeichnis
Sekundärliteratur
Register
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Burchards Bericht über den Orient: Reiseerfahrungen eines staufischen Gesandten im Reich Saladins 1175/1176
 9783110554397, 9783110553550

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Christiane M. Thomsen Burchards Bericht über den Orient

Europa im Mittelalter

Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik Herausgegeben von Michael Borgolte und Wolfgang Huschner

Band 29

Christiane M. Thomsen

Burchards Bericht über den Orient

Reiseerfahrungen eines staufischen Gesandten im Reich Saladins 1175/1176

ISBN 978-3-11-055355-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055439-7 e-ISBN (ePub) 978-3-11-055368-0 ISSN 1615-7885 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Vorwort 

 IX

 1 I Einleitung  I.1 Gegenstand und Anliegen   1 I.2 Forschungsstand   6 I.3 Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit 

 11

II Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen   20 II.1 Prima Materia. Definition des historischen Materials   20 II.2 Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung   30 II.3 Textgestalt und Rhetorik   43 II.3.1 Makrostruktur und Textorganisation   43 II.3.2 Sprachliche Gestaltung   54 II.3.3 Die spezifische kommunikative Funktion der Textgestalt   62  67 III Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts  III.1 Reiseroute und Reisestationen   68 III.1.1 Die Seereise von Genua nach Alexandria   68 III.1.2 Alexandria   96 III.1.3 Im Nildelta   136 III.1.4 Neu-Babylon und Kairo   150 III.1.5 Matariya: Balsamgarten, heilige Quelle und Palmwunder  III.1.6 Von Fustat nach Damaskus   193 III.1.7 Damaskus   224 III.1.8 Saidnaya   241 III.1.9 Die Rückreise von Damaskus bis Fustat   258 III.2 Bewohner des Landes   267 III.2.1 Die Assassinen   267 III.2.2 Die Muslime   290 III.3 Zusammenfassung   307 IV Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert. Mittelalterliche Wissensbestände Lateineuropas in Bezug auf Ägypten   311 IV.1 Wissen aus der Antike   312 IV.2 Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten   324 IV.3 Neues Wissen in mittelalterlicher Literatur?   336

 168

VI 

 Inhaltsverzeichnis

V Die Gesandtschaft und ihr Gesandter   342 V.1 Die staufisch-ayyubidischen Beziehungen 1172–1189 im Spiegel ihrer Quellen   346 V.2 Bestimmungsfaktoren der staufisch-ayyubidischen Beziehung 1172–1174   361 V.3 Rahmenbedingungen und vermutliche Ziele der Gesandtschaft von 1175   376 V.4 Der Gesandte   383  403 VI Rezeption und Textgeschichte  VI.1 Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen   406 VI.2 Rezeptionsformen   417 VI.2.1 Burchards Orientbericht in der mittelalterlichen Hermeneutik bei Arnold von Lübeck   417 VI.2.2 Verwendung als Heiliglandbeschreibung oder Pilgerbericht: Die Kompilation mit der Descriptio des Rorgo Fretellus   432 VI.2.3 Burchards Orientbericht als Sachtext zur Vermittlung aktuellen Wissens   443 VI.2.3.1 In der Nebenüberlieferung bei Thietmar   443 VI.2.3.2 Übernahmen bei Jacques de Vitry   460 VI.3 Überlegungen zur Textgeschichte   467 VII Ergebnis 

 473

 478 VIII Edition  VIII.1 Textträger und Überlieferung   478 VIII.1.1 Primäre Überlieferung   479 VIII.1.1.1 Arnold von Lübeck, Chronica   479 VIII.1.1.2 Rom, Bibl. Vaticana, Codex Vat. Lat. 1058   490 VIII.1.1.3 Münchener Fragment   495 VIII.1.1.4 Wien, cod. 362   496 Gekürzte Fassung im Anschluss an Thietmars Peregrinatio  VIII.1.2  499 VIII.1.2.1 Baseler Handschrift: B X 35   501 VIII.1.2.2 Berliner Handschrift Staatsbibliothek Berlin, Theol. Lat. Quart. 141   504 VIII.1.2.3 Münchener Handschrift 2° Cod. ms. 102   505 VIII.1.2.4 Genter Handschrift BHSL. HS. 0486   506 VIII.1.3 Sekundäre Überlieferung, Thietmar, Peregrinatio   507 VIII.2 Editorische Vorarbeiten   508 VIII.2.1 Ergebnisse des Textvergleichs   508 VIII.2.2 Recensio   509

Inhaltsverzeichnis 

VIII.2.3 Stemma   510 VIII.3 Textkonstitution   511 VIII.4 Editorisches Verfahren  VIII.5 Editionstext   514  531 Abkürzungsverzeichnis  Quellenverzeichnis   534 Sekundärliteratur   550 Register   649

 511

 VII

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2015/2016 von der Philosophischen Fakultät I an der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation ange­ nommen. Das Ergebnis der Untersuchung geht inhaltlich und quantitativ weit über die Erwartungen hinaus, die ich zu Beginn meiner Arbeit im Sommer 2011 an Burchards Orientbericht hatte. Es war nicht abzusehen, welche Fülle von Vergleichsquellen zur umfänglichen Erschließung und Bewertung des Textes zu berücksichtigen sein würden und wie arbeitsintensiv, spannend und abwechslungsreich sich die Recherche und Ausarbeitung gestalten würde. Ohne die Anregung, Unterstützung und Betreuung meines Doktorvaters Prof. Dr.  Michael Borgolte wäre die Fertigstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Er gewährte mir als seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin die Freiheit, mein Forschungsprojekt umfassend umzusetzen und begleitete meine Arbeit mit kritischer Aufmerksamkeit. Schließlich ermöglichte er die Veröffentlichung in der von ihm herausgegebenen Reihe ‚Europa im Mittelalter‘ und vermittelte den dafür notwendigen Druckkostenzuschuss durch den European Research Council. Prof. Dr. Michael Borgolte gebührt daher an erster Stelle mein Dank. Besonders wertvoll für meine Dissertation war der interdisziplinäre Austausch mit meinem Kollegen Dr. Ignacio Sanchez, der mir den Zugang zu vielen arabischen Quellen ermöglichte. Für seine Übersetzung arabischer Quellenauszüge danke ich ihm sehr. Herzlichen Dank schulde ich desgleichen meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Michael Menzel für seine bereitwillige Unterstützung und sein Interesse an meiner Arbeit. Große Hilfe leistete auch Dr.  Thomas Woelki, der mich in allen Fragen den Classical Text Editor betreffend kompetent beriet. Auch ihm sei hier gedankt. Wichtige und weiterführende Impulse gingen von den Mitgliedern des Forschungskolloquiums am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte I von Prof. Dr. Michael Borgolte aus. Für die Anregungen danke ich den Teilnehmern dieses Kreises ebenso wie denen der jeweiligen Forschungskolloquien von Prof. Dr. Johannes Helmrath (Humboldt-Universität zu Berlin), von Prof. Dr.  Knut Görich (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Prof. Dr. Jürgen Dendorfer (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg). Allen anderen, die mich durch ihr Interesse, Hinweise, Anregungen, k ­ ritisches Fragen, Korrekturlesen oder auch Einladungen zum Vortrag unterstützt und ermutigt haben, möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank bekunden. Zu nennen sind hier besonders Eva-Maria Thomsen, Ruth-Maria Thomsen, Ines Garlisch, Dr. Zachary Chitwood, Prof. Dr.  Benjamin Scheller, Prof. Dr.  Eef Overgaauw, PD. Dr.  Markus Schürer, Dr. Joseph Lemberg, Dr. Colin Arnaud, Philipp Meller, Philipp Winterhager und Dr. Sünne Juterczenka. Das Ergebnis all dieser Bemühungen widme ich meinen lieben Eltern Eva-Maria und Dr. Sönke Thomsen. Berlin, im Juli 2017

Christiane M. Thomsen

I Einleitung I.1 Gegenstand und Anliegen Im Zentrum der Untersuchung steht ein Bericht über eine Reise nach Ägypten und Syrien. Den Angaben im Bericht zufolge soll die Reise 1175 im Auftrag Friedrich Barbarossas zu Sultan Saladin unternommen worden sein, womit sich der Bericht als Produkt einer Gesandtschaftsreise oder als Gesandtschaftsbericht selbst ausweist. Als Verfasser des Textes wird ein gewisser Burchard angegeben, dessen Stellung und Funktion abgesehen von der nicht in allen Textzeugen enthaltenen Angabe „Viztum von Straßburg“ im Umkreis Barbarossas bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte.1 Allein der Bericht konstituiert Burchard als Gesandten. Bekannt ist Burchards Orientbericht in der historischen Forschung dank Arnold von Lübeck, der den Bericht 1209 – also mehr als 30 Jahre nach seiner mutmaßlichen Fixierung – unter der Namensform Gerard2 in seiner Chronik inserierte und damit den historisch ältesten Textzeugen überliefert.3 Daneben ist der Bericht in drei Sonderüberlieferungen aus dem 13. und 14. Jahrhundert sowie in einer stark bearbeiteten Fassung in Kombination mit dem Palästinabericht Thietmars erhalten.4 Bei einer Reihe von Autoren des 13.–15. Jahrhunderts sind direkte oder indirekte Textübernahmen bezeugt. Augenscheinlich diente der Text im Vorfeld und während des Fünften Kreuzzuges als Informationsgrundlage für Ägyptenreisende: Dem Kölner Domscholaster und Kreuzzugsprediger Oliver von Paderborn, Magister Thietmar, Jacques de Vitry und vielleicht auch Wilbrand von Oldenburg, der 1211–1212 ins Heilige Land reiste, war er vertraut.5 Im Gegensatz zum Heiligen Land stellte das Reiseziel Ägypten bis Anfang des 13. Jahrhunderts eine Ausnahme dar.6 Nach der muslimischen Eroberung galt es als terra incognita.7 Noch rund zweihundert Jahre – bis ins 15. Jahrhundert 1 Zu Burchard siehe Görich, Friedrich (2011), 544; Borgolte, Experten (2011), 983–992; Ders., Augenlust (2010), 600–613; Worstbrock, Burchard (2004); Haverkamp, Juden (2002), 466  f.; Georgi, Friedrich (1990), 241–243; Möhring, Kreuzzug (1980), 93; 127; 134  f.; Scheffer-Boichorst, Notar (1889). 2 Diese Namensform weicht jedoch von allen anderen Textzeugen ab; zudem ist Gerard im Gegensatz zu Burchard nicht als Viztum von Straßburg nachweisbar, dazu Kapitel V.4. 3 Ausgaben: Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869, Nachdruck 1925), 100–250 und Arnold, Chronica. Ed. Pertz (1868). Angekündigt ist eine moderne Kommentierung und Übersetzung in der FSGA von Christian Lübke, Oliver Auge und Matthias Hardt auf Grundlage der bestehenden MGH-Ausgaben sowie eine kritische Edition von Helmut G. Walther, vgl. Auge, Probleme (2008), 25  f. 4 Beschreibung der Überlieferung im Kapitel VIII. 5 Dazu Kapitel VI.2.3. 6 Eine Zusammenstellung auffindbarer Palästinaberichte, die auch den weiteren geographischen Raum umfassen, liefert grundlegend immer noch Röhricht, Bibliotheca (1890/1963). Ägyptenreisen für diesen Zeitraum, v.  a. für das spätere Mittelalter, verzeichnen in der neueren Forschung Amin, Ägyptomanie (2013), 346–352; Scharff, Rückkehr (2001); Khattab, Ägyptenbild (1982). 7 Vgl. Graboïs, Description (2003), 529.

2 

 Einleitung

– wurde Burchards Orientbericht tradiert und kann über einen gewissen Zeitraum als bedeutendes Element im Diskurs über Ägypten und Syrien angesehen werden. Hernach geriet der Bericht jedoch in Vergessenheit. Von der Forschung wurde Burchards Orientbericht selten beachtet und als ungeordnete assoziative Aneinanderreihung kaum nachvollziehbarer Anekdoten, die wenig Glaubwürdigkeit vermittelt, abgetan.8 Dabei enthält er durchaus Ungewöhnliches, bietet er doch u.  a. eine frühe lateinische Darstellung der Wallfahrtsorte Matariya und Saidnaya.9 Auch in Bezug auf die Assassinen konnte kein vor Burchards Bericht entstandenes lateinisches Schriftzeugnis ausfindig gemacht werden.10 Über den Entstehungskontext des Berichtes ist indes so gut wie nichts gesichert. Zwar sind zwischen 1172 und 1188 staufisch-ayyubidische Beziehungen belegt.11 Für eine diplomatische Unternehmung von 1175 zu Sultan Saladin liegt jedoch kein weiteres Kontrollzeugnis lateinischer oder arabischer Provenienz vor. Der Text selbst gewährt weder Einblicke in Art, Form und Praxis der behaupteten gesandtschaftlichen Tätigkeit, noch informiert er über eine Instruktion seitens Barbarossas. Jegliche Hinweise auf politische Inhalte und das Interesse der Beziehung sind ausgeblendet, die auswärtigen Partner treten gar nicht erst in Erscheinung. Zwar überschreitet die Darstellung kaum einen pragmatisch nachvollziehbaren Handlungs- und Erfahrungsrahmen, als Ergebnisbericht für den kaiserlichen Auftraggeber über die aktuelle Lage im Orient scheint das Schriftstück aber nicht ergiebig.12 Darüber hinaus bleiben 8 Stellvertretend für diese Einschätzung steht ein Zitat von Paul Devos, der sich in Bezug auf Saidnaya wohl bislang am eingehendsten unter quellenkritischer Fragestellung mit dem Bericht befasst hat: „(…) ce document est de nature à n’inspirer qu’une médiocre confiance. Il est difficile d’y voir autre chose qu’un assemblage des anecdotes fantaisistes ou incontrôlables qui circulaient au sujet des partes transmarinae et que se transmettaient inlassablement les ‚auteurs‘ de relations de voyage, depuis les débuts insaisissables, remontant au moins au Pèlerinage d’Arculphe, de ce qu’on a appelé le ‚Compendium‘, jusqu’à Burchard, Thietmat et leurs émules ou leurs épigones, en passant par l’Anonyme de M. de Vogüé, Rorgo Fretellus et des générations de plagiares“, Devos, Saïdnaia (1947), 262. Weiter bemerkt er: „L’apparante expérience personelle dont se prévaut l’auteur du texte ne réussit pas à dissimuler ce que la composition a de lâche et d’artificiel“, ebd., 268. John Tolan beurteilt den Text selbst als „un texte mal ficelé, désorganisé, incomplet, peut-être une sorte de carnet de voyage dont le contenu aurait été destiné à être retravaillé pour en faire un récit plus structuré, récit qui n’a peut-être jamais été rédigé, qui, en tous cas, ne nous est pas parvenu“, Tolan, Europe (2009), 108, stellt aber die Gesandtschaft und den Gesandten Burchard nicht in Frage. 9 Kedar, Convergences (2001), 89; Devos, Saïdnaia (1947), 259–272. 10 Angeführt wird Burchards Bericht als frühe Beschreibung der Assassinen bei Smarandache, Franks (2012), 223  f.; Daftary, Légendes (2007), 106–111; Lewis, Assassinen (1989), 16  f.; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 118–120; Halm, Assassinen (1996), 61–63. 11 Tolan, Europe (2009), 100; Möhring, Kreuzzug (1980), 129–135; Georgi, Friedrich (1990), 231  f.; 241–244. Zweifel hinsichtlich des Zeitraumes der Gesandtschaft formuliert Anne-Marie Eddé, allerdings beruhen ihre Einwände auf einer unzureichenden Kenntnis der Forschungslage, Eddé, Saladin (2008), 635. 12 Burchard „war zweifellos kein versierter Diplomat und schrieb einen Reisebericht, der nichts Poli­ tisches enthält und subjektiv wechselnden Interessen des Autors folgte“, Borgolte, Experten (2011),

Gegenstand und Anliegen 

 3

die Motive und konkreten Interessen der Kontaktaufnahme zwischen Barbarossa und Saladin unklar.13 Ob und inwiefern Burchards Bericht als Beweis diplomatischer Beziehungen gelten kann, bedarf daher unbedingt der sorgfältigen Prüfung vor jeder These – zumal sich die Darstellungsabsicht, all das festzuhalten, was dem Verfasser aus geographischem und ethnologischem Interesse her ungewöhnlich oder selten (rarus) und fremd (extraneus) erscheint, nicht grundsätzlich von anderen Reiseberichten unterscheidet.14 Funktion und Motivation des Textes wie auch der Reise selbst bleiben völlig offen. Berechtigte Zweifel bestehen, ob es sich hier um ein authentisches Produkt handelt, dem empirische Beobachtungen zugrunde liegen. Grundsätzliches Misstrauen an der Authentizität des Berichtes weckt schon die quellenkundliche und überlieferungsgeschichtliche Ausgangslage, handelt es sich doch um ein Erinnerungszeugnis, das selbst nicht in einer autorisierten Fassung vorliegt und dessen Gegenstand von keiner zweiten Seite bestätigt wird.15 Bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang, dass auch die wenigen anderen Quellen, welche

985; Ders., Augenlust (2010), 604; Tolan, Europe (2009), 101. Aufgrund der im Text enthaltenen Beobachtungen zu Landwirtschaft, Wirtschaft und Einnahmequellen Ägyptens vermutet allein SamsonHilmmelstjerna, dass es sich „offenbar um die Zusammenfassung der Ergebnisse einer Reise, die im Dienst der ‚Wirtschaftsspionage‘ unternommen wurde“, handelt, Samson-Hilmmelstjerna, Pilger (2004), 95. 13 Ausgegangen wird von einem antibyzantinischen Bündnis beider Herrscher, der Inhalt ihrer Absprachen ist aber weder aus dem Bericht selbst, noch aus der außenpolitischen Lage der Zeit näher zu ermitteln, Georgi, Friedrich (1990), 231  f.; 241–244; Möhring, Kreuzzug (1980), 129–135, dazu Kapitel V.1. 14 Zum Begriff extra/extranei siehe Georges/Georges, Handwörterbuch (1913/1998), I, 2636  f.; Georgi, Überlegungen (2002); 54  f. Vgl. auch die deutsche Etymologie von fremd bei Knefelkamp, Reiz (1992). Eine zentrale Kategorie der Fremdbeschreibung in Reiseberichten sind mirabilia (in deutschen Berichten das ‚Merkwürdige‘). Im Unterschied zu miracula handelt es sich bei mirabilia um außergewöhnliche, aber wahre Phänomene, deren Ursprung in der Natur liegen und die daher mit der Vernunft selbst zu erklären sind, auch wenn dies mit konventionellen Methoden zunächst nicht möglich ist, Rothmann, Mirabilia (2002), 249  f.; Ders., Zeichen (2001); Münkler, Erfahrung (2000), 151  f. Zur Fremdbeschreibung in Reiseberichten siehe u.  a. Borgolte, Experten (2011); Ders., Augenlust (2010); Schiel, Mongolensturm, (2011); Dies., Ricoldus (2007); Höfert, Alteritätsdiskurse (2010); Schröder, Christentum (2009); Gill, Wahrnehmung (2008); Borgolte/Schiel/Schneidmüller/Seitz, Labor (2008); Rohrschneider/Strohmeyer, Wahrnehmungen (2007); Jaspert, Fremdheit (2004); Scior, Eigenes (2002); Münkler, Erfahrung (2000); Faes/Ziegler, Eigenes (2000); Münkler, Furcht (1997); Brincken, Terrae (1997); Erfen, Fremdheit (1997); Loewenstein, Wir (1995); Schmieder, Europa (1994), Greenblatt, Besitztümer (1994); Wierlacher, Fremdheit (1993); Berger/Kohl, Fremderfahrung (1993); Engels/Schreiner, Begegnung (1993); Osterhammel, Distanzerfahrung (1989); Loiskandl, Wilde (1966). 15 „Alle Erinnerungszeugnisse unterliegen grundsätzlich einem Anfangsverdacht, die Wirklichkeit nämlich, von der sie handeln, nur verschwommen und verformt wiederzugeben. (…) Wer Erinnerungszeugnisse heranzieht, dem obliegt die Beweislast, zu klären, was in positivistischem Sinne jeweils zutrifft, nicht umgekehrt: Nicht der Skeptiker muss nachweisen, was nicht zutrifft. Wenn eine derartige Beweisführung nicht gelingt, bleibt jede Sachaussage, die sich auf das fragliche Erinnerungszeugnis stützt, in hohem Maße hypothetisch und anfechtbar“, Fried, Schleier (2004), 368  f.

4 

 Einleitung

über staufische Beziehungen mit dem Nahen Osten dieser Zeit Auskunft geben, wenig Konkretes enthalten, sich als unglaubwürdig oder als Fälschungen erwiesen haben.16 Erschwerend kommt hinzu, dass einem mittelalterlichen ‚Augenzeugenbericht‘ keine im modernen Sinne eigene Erfahrung zugrunde liegen muss, weil der mittelalterliche Erfahrungsbegriff die Erfahrung Dritter mit einschließt.17 Im aristotelischmittelalterlichen Verständnis basiert Erfahrung zwar auf Wahrnehmung, doch kann sinnliche Wahrnehmung „nicht unmittelbar in Erfahrung übergehen“, sondern bedarf als Bindeglied der Erinnerung, welche damit ihre direkte Grundlage bildet.18 Zur Erinnerung wiederum zählt neben der eigenen ebenso die verfügbare, auch bereits verschriftlichte Erinnerung weiterer Zeugen;19 erkenntnistheoretisch und narrativ sind beide Wissensformen nicht unterscheidbar.20 Das Ziel der Untersuchung besteht folgerichtig darin, die im Prologus21 aufgestellten Behauptungen, dass es sich bei dem Text 1. um ein Produkt einer Gesandtschaftsreise handelt und 2. eigene Erfahrungen dargestellt sind, auf ihre Glaubwürdigkeit

16 Fried, Jerusalemfahrt (1998); Möhring, Kreuzzug (1980), 93–125; 136; Ders., Sultan (2005), 154; Mayer, Brief (1958). 17 Dies hat Marina Münkler auf Grundlage des aristotelischen Erfahrungsbegriffs und den prin­zi­piel­ len Geltungsbedingungen der Geschichtsschreibung für Augenzeugenberichte über Ostasien im 13. und 14. Jahrhundert nachgewiesen, Münkler, Erfahrung (2000), bes. 266–287. Im aristotelischen Sinne ist der Gegenstand von Erfahrung (empeiria) die „Kenntnis des Besonderen“. Sie beruht auf sinnlicher Wahrnehmung, ist aber nicht mit ihr gleichzusetzen, wie es in der neuzeitlichen Auffassung der Fall ist, ebd., 279  f. „Die sinnliche Wahrnehmung ist zwar der Anfang aller Erfahrung, aber um einen Gegenstand als einen bestimmten begreifen zu können, bedarf es des Urteils, um ‚was‘ es sich bei dem wahrgenommenen Gegenstand handelt. Erfahrung setzt bei Aristoteles also erst mit der Begriffsbildung ein und bezieht sich nicht auf die der Begriffsbildung vorgängige Wahrnehmung. Auch kann Wahrnehmung nicht unmittelbar in Erfahrung übergehen, vielmehr bedarf es zu ihrer Vermittlung eines dritten Elements, der Erinnerung (mneme). Erst durch die Erinnerung kann Wahrnehmung, die für sich genommen keinerlei Erkenntnisgewinn ermöglicht, zur Erkenntnis des Besonderen in der Erfahrung führen“, ebd., 267. 18 „Erfahrung wird (…) erst dann gewonnen, wenn durch Erinnerung die Vielzahl der einzelnen Wahrnehmungen miteinander verknüpft wird und auf diese Weise eine Urteilsfähigkeit entsteht, die es ermöglicht, über Phänomene Aussagen zu machen“, ebd., 267; 271; Aristoteles, Metaphysik, I, 1–6. Ed. Seidl (1982), 2–43. „Aus der Erinnerung entsteht nämlich für die Menschen Erfahrung; denn viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen einer Erfahrung (…)“, ebd. I, 1, 5; Kambartel, Erfahrung (1972), 609–611. 19 Münkler, Erfahrung (2000), 268. 20 Das Unterscheidungskriterium real/imaginär für Reiseberichte wird damit hinfällig. Als Möglichkeit innerhalb dieser Regeln der Textkonstitution ist daher auch ein nichtreisender Autor wie Jean de Mandeville angelegt, dessen Bericht gleichwohl nicht als Fälschung gelesen wurde, ebd., 284–286; Schnell, Autor (1998), 19; Bruns, Originality (1980), 124  f. 21 Anno incarnationis dominice MCLXXV dominus Fridericus Romanorum imperator et augustus misit me Burchardum Argentinensem vicedominum in Egyptum ad Salahadinum regem Babylonie. Quecumque igitur in mihi commissa legatione vidi vel veraciter percepi que habitabili nostre terre rara vel extranea videbantur per mare et per terram scripto commendavi.

Gegenstand und Anliegen 

 5

zu prüfen.22 Beide Behauptungen bedingen sich zwar nach modernem Dafürhalten gegenseitig, doch müssen sie vor dem Hintergrund mittelalterlicher Literaturproduktion und den denkbaren Entstehungsbedingungen des Berichtes nicht in jedem Falle aneinander gekoppelt sein. Abgesehen von den quellenkritischen Problemen, die sich mit Erinnerungs- und Erfahrungswissen23 verbinden, kann ein nachweisbarer Anteil an Erfahrungswissen zwar als notwendiger Bestandteil eines Gesandtschaftsberichtes geltend gemacht werden. Doch gilt dies auch für ein lediglich im Rahmen dieser Gesandtschaft entstandenes Schriftstück? Ein solches Produkt muss nicht prinzipiell tatsächliches Erfahrungswissen aufweisen, wenn die Darstellungsabsicht anders ausgerichtet war. Umgekehrt ist der bloße Nachweis von Erfahrungswissen, so schwierig er sich auch gestaltet, kein hinreichender Beweis für den Kontext einer Gesandtschaftsreise. Der Text könnte auch unter anderen Umständen entstanden sein. Gleichwohl kann ein signifikanter Anteil an nachweisbarem tatsächlichen Erfahrungswissen als Prämisse für eine faktische Reise dienen und weist überdies auf eine bestimmte Funktion des autoptischen Erfahrungswissens im Zusammenhang mit den spezifischen Kommunikationsbedingungen des Textes hin. Als Grundvoraussetzung für die Untersuchung muss zuerst eine gesicherte Quellenbasis hergestellt werden. Einzelne Textzeugen des Berichtes hat zwar schon Reinhold Röhricht aufgeführt,24 auch wurde die Notwendigkeit einer Kollationierung der Textzeugen mehrfach angemahnt,25 eine kritische Edition des Berichtes liegt aber bislang nicht vor und stellt ein Desiderat dar, das auch weiteren Untersuchungen zugutekommt. Greifbar sind acht Abschriften des Berichtes, die weit nach dem vermuteten Abfassungszeitraum entstanden sind und eine relativ hohe Überlieferungsvarianz aufweisen. Hinzugezogen werden daneben die bei Magister Thietmar direkt von Burchard übernommenen Passagen, weil sie auf einer frühen, aber verlorenen Vorlage basieren. Aufgrund der Überlieferungssituation sind dem übergeordneten Untersuchungsziel freilich von vornherein Beschränkungen auferlegt, da sich das Ergebnis nur auf den in der Edition bereitgestellten Textstatus des Berichts beziehen kann. Über den Zustand eines Originals können nur Vermutungen angestellt werden. Aussagen über „die Stimme des Autors“ müssen entsprechend unter Vorbehalt formuliert werden. Eine Identität des namentlich genannten Reisenden Burchard mit dem Autor des Textes kann letztlich nicht bewiesen – wenn auch genauso wenig überzeugend bestritten werden. 22 Die Fragestellung impliziert die möglichen Optionen, wie der Bericht entstanden sein könnte: a) Als Produkt einer Reise generell, b) oder als bloße Kompilation am heimischen Schreibtisch; c)  in Verbindung mit einer Gesandtschaftsreise, was die Möglichkeiten eines offiziellen oder privaten Schreibanlasses beinhaltet. Gefragt wird gleichzeitig nach dem Mischungsverhältnis von Eigen- und Fremderfahrung und intertextuellen Bezügen. 23 Siehe Anm. 15 und 17. 24 Röhricht, Bibliotheca (1890/1963), 39  f. 25 Borgolte, Experten (2011), 985 Anm.  159; Scior, Eigenes (2002), 321; Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 61–73.

6 

 Einleitung

Das erkenntnisleitende Interesse der Arbeit richtet sich auf die Untersuchung der Produktions- und Entstehungsbedingungen des Textes. Gemäß der Fragestellung bestimmen Authentizität und Historizität des Berichtes im Sinne einer Erfahrungs- und Erinnerungsleistung, die auf den im Prolog angegebenen Reisezeitraum des Jahres 1175/1176 bezogen werden kann, den Aussagewert der Quelle. Hypostasiert wird damit die Existenz eines individuellen Autors, der im besten Falle zugleich Augenzeuge des Dargestellten ist. Dabei versteht sich von selbst, dass der Aussagewert stets abhängig vom Erkenntnisinteresse definiert ist, welches an die Quelle herangetragen wird. Erst wenn der Aussagewert festgestellt ist und der Bericht als historisches Dokument für eine tatsächliche Reise in Dienst genommen werden kann, besteht die Voraussetzung, die Fragen nach dem Zweck der Reise, dem gesandtschaftlichen Auftrag, der Funktion des Textes und der Identität des Autors zu erörtern. Einen wissenschaftlichen Ertrag verspricht die Beschäftigung mit dieser vernachlässigten Quelle nicht nur für die Staufer- und Gesandtschaftsforschung. Besonders die inhaltliche quellenkritische Untersuchung birgt eine Reihe neuer Erkenntnisse über die besuchten Orte und deren Perzeption. Ausgehend von diesem Spezialfall soll die kritische Untersuchung zudem Aufschluss über diskurstraditionelle Kennzeichen26 eines Texttypus geben, welcher generell als Reisebericht bezeichnet wird, dessen thematische, strukturale und funktionale Eigengesetzlichkeiten aber spezifiziert werden müssen. Denn in der Wissenschaft ist weithin unklar, „wie mittelalterliche Gesandtschaften in die Geschichte des Reisens und der interkulturellen Beziehungen eingeordnet werden müssen.“27 Nicht zuletzt erhellt die Rezeptionsgeschichte bislang nicht erforschte Verbindungen und Zusammenhänge, welche die Relevanz des Textes zusätzlich aufzeigen.

I.2 Forschungsstand Bisher ist der Burchardbericht nur in der von Johann Martin Lappenberg 1869 besorgten Edition der Chronik Arnolds von Lübeck zugänglich, welche aber keine Hinweise auf Arnolds Vorlagen liefert und hinsichtlich der Kommentierung modernen Ansprüchen nicht genügen kann.28 Ein quellenkritisches Problem stellt die Bearbeitung der Berichtsvorlage durch Arnold dar, da das Insert zu Beginn und am Ende erhebliche Differenzen zu anderen Textzeugen aufweist. Die drei Sonderüberlieferungen des Berichtes, Handschrift V (Vat. Lat. 1058, f. 108r–112v); Handschrift W (Wien Cod. 362, f. 36r–38v) und ein im zweiten Weltkrieg verbranntes Handschriftenfragment der

26 Zum Begriff und Verständnis von Diskurstraditionen siehe Oesterreicher, Diskurstraditionen (1997). 27 Borgolte, Experten (2011), 946. 28 Siehe Kapitel VIII.1.1.1.

Forschungsstand 

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Universität München, sind bisher nicht näher untersucht worden.29 Der erste und bislang letzte Versuch einer Rekonstruktion der Überlieferungslage geht auf Paul Lehmann zurück, welcher glücklicherweise die Fragmente der Münchener Sonderüberlieferung noch vor ihrer Zerstörung 1944 transkribierte.30 Lehmanns Ermittlung der Textzeugen und seine Überlegungen zu ihrem Beziehungssystem können jedoch nur eingeschränkt als Anknüpfungspunkte dienen, da er die Handschriften nicht kollationierte und seine Annahmen sich durch den Vergleich der Textzeugen nicht bestätigen lassen. So wertete er die stark korrumpierte Wiener Handschrift als einzige Abschrift des Originals und beste Handschrift, während er die tatsächlich recht zuverlässige Arnoldversion entsprechend unterschätzte.31 Erste Forschungsansätze zu Bericht und Autor stammen von Johann Carl Moritz Laurent. Im Zuge seiner Übersetzung der Chronik Arnolds von Lübeck32 (1853) sowie seiner Edition der Peregrinatio des Magister Thietmar33 (1857) fielen ihm textliche Übereinstimmungen des Burchardberichtes mit Thietmar selbst sowie dem in einigen Thietmarhandschriften enthaltenen Anhang auf, bei dem es sich um eine Bearbeitung des Burchardberichtes handelt. Auf dieser Grundlage gelang Laurent die zeitliche Einordnung des Berichts, denn nicht in allen Textzeugen ist das Jahr 1175 angegeben. Auch die Festlegung des Autornamens Burchard, der bei Arnold mit Gerhard angegeben ist, ist ihm zu verdanken.34 Paul Scheffer-Boichhorst (1889) unternahm den Versuch einer historischen Identifizierung Burchards. Sein Nachweis, dass der Viztum nicht mit dem gleichnamigen kaiserlichen Notar und Kapellan identisch sei, wie zuvor angenommen, bestimmt noch immer maßgeblich den Forschungsstand.35 Nach diesem Auftakt unterblieb bislang jede eingehendere Untersuchung zur Person Burchards. Zwar stellte Alfred Haverkamp die Hypothese von Scheffer-Boichhorst erneut zur Diskussion, indem er Viztum, Kapellan und Notar aufgrund der Namensübereinstimmung wieder als eine Person identifiziert, gleichwohl steht eine Überprüfung noch aus.36 In seiner jüngst erschienenen Biographie über Friedrich I. schließt sich Knut Görich dieser Annahme vorbehaltlos an,37 geht in seinen Studien zur staufischen Diplomatie allerdings nicht auf Burchard ein.38

29 Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 61–73; Teilabdrucke der Wiener Handschrift bei Devos, Saïdnaia (1947), 263–268 und Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 119  f. 30 Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 61–73. 31 Ebd., 70. 32 Laurent, Arnold von Lübeck (1853); in zweiter Auflage nach Abgleich mit der Lappenbergschen Kapiteleinteilung von Wattenbach bearbeitet, Chronik, bearb. von Wattenbach (1896/31940). 33 Laurent, Peregrinatio (1857). 34 Laurent, Ueber Burchard (1856); Ders., Burchard (1858); Ders., Nachträgliches (1859). 35 Scheffer-Boichhorst, Notar (1889), 456–477. Scheffer-Boichhorst widerlegte damit die Fehldeutungen von Laurent, Burchard (1858). 36 Haverkamp, Juden (2002), 466  f. 37 Görich, Friedrich (2011), 544. 38 Görich, Sprache (2008); Ders., Ehre (2001).

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In der Stauferforschung wurde der Bericht meist übergangen, einschlägige Monographien über Friedrich I. erwähnen seinen Gesandten nicht einmal.39 Ähnlich sieht es in Untersuchungen zu Saladin aus, wo die Gesandtschaft selten und ohne genaue Kenntnis der Forschungslage Aufnahme findet.40 Beachtung erfährt die Gesandtschaft im Rahmen der Behandlung der Vorgeschichte des Dritten Kreuzzuges bei Hannes Möhring, der in seiner Dissertation „Saladin und der Dritte Kreuzzug“ auf die staufisch-ayyubidischen Beziehungen und damit auch auf die mögliche Gesandtschaft von 1175 eingeht.41 Wolfgang Georgi erwähnt Burchard und die Gesandtschaft in seiner Studie „Friedrich Barbarossa und die auswärtigen Mächte“ ebenfalls, stuft den Bericht aber als Reisebericht ein.42 Von diesen Ausnahmen abgesehen blieb der Text in der Diplomatiegeschichte weitgehend unberücksichtigt, was vermutlich auf die schwierige Einordnung des Schriftstückes zurückzuführen ist.43 Zwar rückt die Erforschung auswärtiger Politik im Zuge der Reflexion über interkulturelle Beziehungen und Vernetzungen, Grenzen und Grenzräume zunehmend in den Fokus der Mediävistik, doch ist der Bereich mittelalterlicher Diplomatie definitorisch nur unscharf bestimmt.44 Insbesondere für eine funktionsgeschichtliche Bestimmung und Zuordnung eines Textes zu einer Gattung ‚Gesandtschaftsbericht‘ sind die methodischen und empirischen Voraussetzungen bislang unzureichend.45 Gesandtschaften in andere Kulturkreise werden Fernreisen subsumiert, welche wiederum ein breites Spektrum

39 Dies ist auch die Einschätzung von Borgolte, Augenlust (2010), 600, Anm. 48. Nicht berücksichtigt wurde Burchard zuletzt bei: Burkhardt, Kaisertum (2010); Laudage, Friedrich (2009); Ders., Alexander (1997); Weinfurter, Stauferreich (2009); Glaube/Schneidmüller/Weinfurter, Konfrontation (2005); Haverkamp, Barbarossa (1992); Opll, Barbarossa (1990). 40 Eddé, Saladin (2008), 289; 456; 463; am meisten Beachtung schenkt ihm Möhring, Sultan (2005); Ders., Kaiser (2005); Ders., Kreuzzug (1980); keine Erwähnung bei Atrache, Politik (1996); Jackson/ Lyons, Saladin (1984); Ehrenkreutz, Saladin (1972); Gibb, Saladin (1969); vergeblich ist auch die Suche in der Kreuzzugsliteratur, zuletzt Barber, States (2012); Phillips, Krieg (2012); Asbridge, Kreuzzüge (2010). 41 Möhring, Kreuzzug (1980), 134  f.; daran anschließend Ders., Sultan (2005); Ders., Kaiser (2005). 42 Georgi, Friedrich (1990), 242  f. Georgi geht es hauptsächlich um Vermutungen über den Inhalt der Verhandlungen. 43 Keine Erwähnung findet Burchard in Veröffentlichungen, welche das hohe Mittelalter in die Diplomatiegeschichte miteinbeziehen: Aigle/Péquignot, Correspondance (2013); Relations (2011); Kintzinger, Beziehungen (2009); Aigle, Relations (2008); Görich, Sprache (2008); Zey/Märtl, Frühzeit (2008); Schwinges/Wriedt, Gesandtschaftswesen (2003); Berg/Kintzinger/Monnet, Politik (2002); Berg, Deutschland (1997). 44 Einen Forschungsüberblick mit reichlichen Literaturangaben bieten Péquignot, Diplomatie (2012); Kintzinger, Diplomatie (2010). 45 Péquignot, Diplomatie (2012); Ders., Instructions (2008), 23. Nach einem Eintrag „Gesandtschaftsbericht“ in den einschlägigen literaturwissenschaftlichen und mediävistischen Nachschlagewerken sucht man leider vergeblich. Eine gattungstypologische Bestimmung fehlt auch für die Neuzeit, siehe Wettlaufer, Gesandtschaftsberichte (2007); Edelmayer, Gesandtschaftsberichte (2004); Lanzer, Gesandtschaftswesen (1989); Lunitz, Diplomatie (1988).

Forschungsstand 

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unterschiedlichster Reisen beinhalten.46 Abgesehen von der thematischen Dominante ‚Reise‘ lässt sich das heterogene Material dieses Objektbereiches nur schwer einem Gattungsbegriff zuordnen, da Reisen in den unterschiedlichsten Textgruppen Thema sind und die Abgrenzung gegenüber anderen Formen von Reisen nicht eindeutig geklärt ist.47 Gleichermaßen ist eine gattungstheoretische Bestimmung des Reiseberichtes weder für die Neuzeit und noch weniger für das Mittelalter gegeben.48 Die vielfachen Berührungspunkte und Überlagerungen beider Forschungsfelder – der Reise- und der Gesandtschaftsgeschichte – sind im Detail unerforscht. Auf diesen Missstand machte Michael Borgolte jüngst in zwei Aufsätzen aufmerksam, in denen er die Verwertbarkeit des Burchardberichts für die Gesandtschaftsforschung sowie für den interkulturellen Vergleich deutlich machte.49 Gleichzeitig plädiert er für eine „ars apodemica medii aevi universalis“, eine Apodemik, die den Gesandtschaften innerhalb der Geschichte des Reisens einen klaren Platz zuweist und die Differenzen zwischen Gesandtschafts- und Reisebericht zu bestimmen sucht.50 Die Einordnung und Charakterisierung von Burchards Bericht erfolgt in der Forschung gemäß einem vorherrschenden allgemeinen Konzept des Reiseberichts, scheinen seine Beobachtungen doch eher von „zweckfreier“ Neugierde als von einer Instruktion geleitet.51 Aufgeführt wird Burchards Bericht schon bei den Pionieren der

46 Dorninger, Travelogues (2010), 2102  f.; Reichert, Fernreisen (1998), 5  f.; Brenner, Reisebericht (1990), 52. 47 Vgl. Hassauer, Reiseliteratur (1989), 261–265. 48 Hassauer, Reiseliteratur (1987), 261. Zur Gattung Reisebericht: Brauer, Quellen (2013), 111–127; Dorninger, Travelogues (2010); Zimmermann, Überlegungen (2002); Bremer, Reiseliteratur (1992); Brenner, Erfahrung (1989); Neuber, Gattungspoetik (1989). 49 Borgolte, Experten (2011); Ders., Augenlust (2010). 50 Borgolte, Experten (2011), 946 und 992. Der Begriff Apodemik für theoretische Reiseinstruktionen geht auf das späte 16. Jahrhundert zurück, Stagl, Geschichte (2002); Ders., Ars (1992); Ders., Apodemiken (1983); Kutter, Reisender (1999); Ders., Reisen (1996). Anweisungen für bestimmte Reisen können aber für alle Epochen angenommen werden. 51 Borgolte, Experten (2011), 946; Scior, Eigenes (2002), 320  f. Die Reiseforschung hat eine Vielzahl von Studien zu unterschiedlichen Aspekten hervorgebracht, die meist im späteren Mittelalter angesiedelt sind. Aus der Fülle der Publikationen hier eine Auswahl für das Mittelalter: Reichert, Asien (2014); Baumgärtner, Reiseberichte (2012); Achnitz, Mittelalter (2011); Dorninger, Travelogues (2010); Schröder, Christentum (2009); Hofstetter, Reisen (2007); Tischler/Krämer, Mobilität (2005); Allen, Bound (2004); Ertzdorff/Giesemann, Erkundung (2003); Herbers, Weg (2003); Reichert, Erfahrung (2001); Ders., Reisen (2000); Paravacini, Reiseberichte Bd. 1–3 (1993–2000); Friedmann/Figg, Trade (2000); Ertzdorff, Beschreibung (2000); Reichert, Fernreisen (1998); Grabois, Pèlerin (1998); Erfen/ Spieß, Fremdheit (1997); Ohler, Reisen (1996); Fuchs/Harden, Reisen (1995); Schmieder, Europa (1994); Wunderli, Reisen (1993); Wolf, Reiseberichte (1993); Ertzdorff/Neukirch, Reisen (1993); Huschenbett/ Magretts, Welterfahrung (1991); Esch, Anschauung (1991); Hundsbichler, Selbstzeugnisse (1988); Moraw, Unterwegssein (1985); Esch, Erlebnis (1984); Maczak, Reiseberichte (1982); Richard, Récits (1981); Hennig, Terra (1944–1956). Im Früh- und Hochmittelalter gilt das Augenmerk insbesondere den Pilgerfahrten an ferne Orte, vornehmlich ins Heilige Land. Pilgerberichte stellen eine eigene Gattung der Reiseberichte dar, Dorninger, Travelogues (2010), 2109. Thematisch werden ihnen unterschied-

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Palästinakunde, Titus Tobler und Reinhold Röhricht, die mit den Quellenverzeichnissen der Bibliographia geographica Palaestinae52 und der Bibliotheca geographica Palaestinae53 den Grundstein für weitere Forschungen legten.54 Einzelne ungewöhnliche Aspekte des Berichtes wurden schon früh bemerkt, da Erfahrungsberichte über Ägypten bis zum Spätmittelalter kaum vorliegen. Studien zu religiösen Wallfahrtstätten Ägyptens im Mittelalter sowie generell zum Ägyptenbild sind jedoch selten und zeitlich im Spätmittelalter angesiedelt.55 Paul Devos zieht Burchard als frühen Beleg für die Wallfahrtstätte von Saidnaya heran, beurteilt den Bericht ansonsten negativ.56 Aufgeführt wird Burchards Beschreibung der Assassinen, ohne aber dem Gesamtbericht Beachtung zu schenken.57 Intentionen und Leitvorstellungen, die hinter der Abfassung des Textes liegen und die Auswahl des Erzählten insgesamt lenken, werden nicht erörtert. Mehr Aufmerksamkeit wurde dem Burchardbericht in den seit den späten 1990er Jahren dominierenden Untersuchungen zu kulturhistorischen Fragen zuteil, welche die verschiedenen Arten der Kulturbegegnungen und kulturellen Austauschprozesse in den Blick nehmen.58 In der Forschung zur Fremdwahrnehmung und den interkulturellen, besonders christlich-muslimischen Begegnungen, widmet Volker Scior ihm ein Kapitel in seiner Monographie „Das Eigene und das Fremde“, da Burchards Darstellung auffallend wenige Vorurteile über Juden und Muslime transportiert.59 John Tolan führt den Bericht als seltenes Beispiel eines respektvollen Umgangs mit dem liche Texte zugeordnet, wenn sie nur einen Bezug zum Heiligen Land aufweisen und fallen damit allgemeiner unter die Rubrik der Heilig-Land-Beschreibungen. Zum Forschungsüberblick siehe: Hartmann, Wilhelm (2004), 11–20; Betschart, Welten (1996), 9–21; Ganz-Blättler, Andacht (1990), 24–35; Überblicksdarstellungen, Sammelbände und Aufsätze zum Pilgerwesen: Herbers/Lehner, Religion (2014); Schwarzmaier, Kreuzzug (2012); Graboïs, Pèlerinage (2006); Ders., Pèlerin (1998); Ders., ­Découverte (1992); Knefelkamp, Pilgerberichte (2009); Haupt/Busse, Pilgerreisen (2006); Hiestand, Zimmer (2003); Krüger, Gesehenes (2002); Schwab, Toleranz (2002); Chareyron, Pilgrims (2000); Georgi, Lebensstationen (1999); Herbers/Plötz, Santiago (1996); Ohler, Pilgerleben (1994); Huschenbett, Orient (1991); Schmugge, Motivstrukturen (1988); Hippler, Reise (1987); Schmugge, Pilger (1985); Ders., Anfänge (1984); Zrenner, Berichte (1982); Chélini/Branthomme, Chemins (1982); Favreau-Lilie, Pilgerfahrt (1975); Sommerfeld, Reisebeschreibungen (1924). 52 Tobler, Bibliographia (1867), 19. 53 Röhricht, Bibliotheca (1890/1963), 39  f. 54 So der Wunsch bei Röhricht, Pilgerreisen (1900), 43, Anm.  85; ergänzende Bibliographien zum Spätmittelalter u.  a. bei Schröder, Christentum (2009); 49, Anm.  1; Hartmann, Wilhelm (2004), 12, Anm. 7. 55 Amin, Ägyptomanie (2013) reproduziert einen veralteten Forschungsstand; Schröder, Christentum (2009); Graboïs, Description (2003); Herkenhoff, Kontinent (1990); Khattab, Ägyptenbild (1982). 56 Devos, Saïdnaia (1947), 259–272; siehe I.1 Anm. 8. 57 Siehe I.1 Anm. 10. 58 Siehe die unter I.1 Anm. 14 verzeichnete Literatur sowie v.  a. Borgolte/Dücker/Müllerburg/Schneidmüller, Integration (2011); Borgolte/Schneidmüller, Kulturen (2010); Herbers/Jaspert, Grenzräume (2007). 59 Scior, Eigenes (2002), 320–327.

Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit 

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Islam an.60 Es sei Burchard ein Anliegen, die gemeinsame interkonfessionelle Verehrung heiliger Stätten zu schildern, während politische Spannungen und konfessionelle Gegensätze übergangen werden. „Burchard dépeint un Orient plutôt statique, où règne la bonne entente entre Sarrasins, Chrétiens et Juifs. (…) Avec ses descriptions de voyages, de la mer et du désert, ses énumérations d’églises et surtout des longs passages consacrés aux sanctuaires mariaux de Matariyya et de Saydnâyâ, ce texte semble bien plus un récit de pèlerinage qu’une dépêche diplomatique.“61 Gerade das positive Islambild dieses scheinbar unfertigen Berichtes weist nach Tolan aber ebenso auf eine diplomatische Logik hin, da der geschilderte religiöse Respekt ein eventuelles Friedensbündnis legitimiert.62 In die gleiche Richtung weist Benjamin Kedar, der Burchards Darstellung des Wallfahrtsortes Saidnaya als Beispiel religiöser Konvergenz anführt.63 Michael Borgolte würdigt in seinen Aufsätzen Burchards Beobachtungen und bescheinigt ihm im Vergleich mit denen muslimischer Reisender „Augenlust“, wenn auch keine Urteilskraft über den Orient.64 Dass Burchard in der transkulturell und globalgeschichtlich orientierten Forschung Beachtung zuteil wird, macht seine Relevanz für aktuelle Fragestellungen und die Dringlichkeit einer eingehenden Untersuchung deutlich, die hier geleistet werden soll.

I.3 Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit Die Leitfragen der Arbeit ergeben sich in erster Linie aus dem Gegenstand selbst und sind zunächst einfach. Geprüft werden Prämissen für die Glaubwürdigkeit des Textes: Wie verlässlich ist die Textgrundlage, um als Quelle für die hier relevante Fragestellung in Dienst genommen werden zu können? Welche Faktoren bestimmen Form und Inhalt des Berichts? Worin besteht seine Funktion und Textleistung? Gefragt wird anschließend nach den äußeren Bedingungen der Reise und dem hinter dem Berichtssubjekt stehenden Autor. Mit den einzelnen Arbeitsschritten des Vorhabens sind theoretische und methodische Schwierigkeiten verbunden, welche in Bezug zum konkreten Material benannt werden müssen, um das Vorgehen der Beweisführung möglichst transparent und nachvollziehbar zu machen. Die erste Schwierigkeit besteht in der Herstellung des Editionstextes und der Beurteilung seiner Aussagekraft bezogen auf die Fragestellung. Ziel und Form der

60 Tolan, Europe (2009), 97–108. 61 Ebd., 101. 62 Ebd., 108. 63 Kedar, Convergences (2001). 64 Borgolte, Experten (2011), 991. Auch Tolan hebt die Neugierde Burchards hervor, Tolan, Europe (2009), 101.

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Edition werden von der Frage nach der Historizität des Berichtes bestimmt.65 Daraus ergibt sich die Entscheidung für den historisch-kritischen Editionstyp,66 denn Aufschluss über den Entstehungsprozess des Textes kann nur die konsequente Historisierung der einzelnen Textzeugen und ihrer Lesarten vermitteln. Die genaue Definition der historisch-kritischen Methode ist jedoch unscharf,67 für die Lösung konkreter editorischer Probleme stehen eine Vielzahl von Ansätzen zur Verfügung, deren Übersetzung in eine adäquate Praxis ganz von der Überlieferung abhängt.68 Herangezogen für editorische Entscheidungen wurden besonders die Arbeiten und Bände von Thomas Bein69, Rüdiger Nutt-Kofoth70, Martin Schubert71, Horst Fuhrmann72, Joachim Bumke73, Rüdiger Schnell74, Franz Josef Worstbrock75 und Klaus Grubmüller76. Sichergestellt werden soll ein historisches Dokument, in dem die möglichst ursprüngliche Gestalt und der Wortlaut konserviert sind. Alle Formen der Varianz werden als historisch betrachtet und unter Verwendung eines festgelegten kritischen 65 Ausschlaggebend für die Wahl der Methode sind „editorische Bestimmungsebenen“ und das Editionsziel. Peter Shillingsburg unterscheidet analytisch fünf Typologien, die sich in der praktischen Umsetzung überlappen und mischen können: 1. Dokumentarisch: Bewahrung der textuellen Integrität; 2. Ästhetisch: eklektisch emendierter Text; 3. Auktoriell: Suche nach Fassungen mit höchster Kontrolle des Autors; 4. Soziologisch: Text als soziales Ereignis ist wichtiger als die Textgenese; 5. Bibliographisch: Klärung der editorischen Grundbedingungen, Shillingsburg, Editing (1996), 133 zitiert nach Sahle, Editionsformen B. 1 (2013), 241. 66 Die historisch-kritische Methode ist eng mit Karl Lachmann (1793–1851) verknüpft, der die entscheidenden Grundlagen dieses Verfahrens weiterentwickelte und als „wissenschaftliches System“ etablierte. Kern des genealogischen Verfahrens ist die auf einen Archetyp ausgerichtete Stemmatik. Das Verfahren bezieht sich 1. auf eine Überlieferungssituation, die sich bis zu einer bestimmten Stufe auf den verlorenen Urtext zurückverfolgen lässt; 2. auf ein Textverständnis, das von einem ursprünglichen autoritativen Text ausgeht, Sahle, Editionsformen B. 1 (2013), 23–37; 54–106; Carey, Lachmann (2010); Berschin, Lachmann (2005); Roloff, Lachmann (2003); Weigel, Gesehn (1989); Stackmann, Anfänge (1979); Timpanaro, Entstehung (1971). 67 Sahle, Editionsformen B. 1 (2013), 24; 230  f.; Senger, Edition (1987), 4; Scheibe, Grundprinzipien (1971), 3. Die Attribute ‚historisch‘ und ‚kritisch‘ sind nicht verbindlich definiert, Plachta, Editionswissenschaft (2006), 13. Zu alternativen Editionsmodellen siehe Sahle, Editionsformen B. 1 (2013), 143–224; Bein, Textkritik (2011), 111–116. 68 Vgl. Sahle, Editionsformen B. 1 (2013), 9. Sahle bietet auch eine Zusammenfassung der Editions­ geschichte in Geschichtswissenschaft und Philologien. 69 U.  a. Bein, Textkritik (2011); Ders., Varianztypen (2011); Ders., Walther (2010); Ders., Edieren (2005); Ders., Autor (2004); Ders., Edition (2000); Ders., Fassungen (1999); Ders., Editionsprinzipien (1998). 70 Nutt-Kofoth, Text (2004); Ders., Edition (2000). 71 Schubert, Texte (2005); Ders., Ideal (2005); Ders., Schreiber (2002). 72 Fuhrmann, Sorge (2009); Ders., Überlegungen (1978). 73 Bumke, Autor (1997); Ders., Text (1996); Ders., Fassungen (1996); Ders., Geschichte (1991). 74 Schnell, Autor (1998); Ders., Philology (1997). 75 Worstbrock, Überlieferungsrang (2004); Ders., Schichten (2004). 76 Grubmüller, Überlieferung (2002); Ders., Verändern (2001); Ders., Gattungskonstitutionen (1999); Ders., Schriftlichkeit (1992).

Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit 

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Regelwerkes ein ältester Textzustand identifiziert.77 Da kein Archetyp und keine Leithandschrift ausfindig gemacht werden konnten, wurde aufgrund dieser spezifischen Überlieferungssituation nach Kollationierung aller bekannten Überlieferungsträger eine zugrundeliegende, primäre Textstufe konstruiert. Inwiefern aber kann dieses Konstrukt als Arbeitsgrundlage für eine Untersuchung dienen, die sich letztlich auf einen dahinterliegenden Textzustand bezieht, wenn doch alle Aussagen von der Faktizität der später entstandenen Texte abhängen? Neuzeitliche Bestimmungen von Authentizität sind auf die mittelalterlichen Verhältnisse kaum anwendbar, da sie einen unmittelbaren Bezug zum Autor voraussetzen.78 Viel bescheidener und abhängig vom konkreten Fall muss eine mediävistische Bestimmung der Zuverlässigkeit des Textes und der Verbindung zum Autornamen vorgenommen werden:79 Kann überhaupt eine Autorintention nachgewiesen werden? Einen Ausgangspunkt bietet im vorliegenden Fall der Nachweis einer inhaltlichen und strukturellen Festigkeit des Textes über die Eingriffe der Überlieferung hinweg, welche auf eine gewisse Stabilität des Textes schon vor dieser Erschließungsstufe schließen lässt. Methodisch wird dieser Nachweis erreicht, indem alle Varianten grundsätzlich als „historische Differenz“ betrachtet, typologisiert und in Hinblick auf die verschiedenen Ebenen des Textes als bedeutungsrelevant oder bedeutungsverändernd eingestuft werden. Das genealogische Prinzip verlagert sich in diesem Fall vom Textträger auf die einzelne Variante, die examinatio ist in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung. Ermöglicht wird die Anwendbarkeit dieses Verfahrens einzig durch die spezielle Überlieferungssituation.80 Das zweite Problemfeld betrifft die untersuchungsleitenden Fragen nach der Glaubwürdigkeit der im Prologus aufgestellten Behauptungen des Textes, erstens ein Produkt einer Gesandtschaftsreise zu sein und zweitens eigene Beobachtungen zu vermitteln. Als Kommunikationsform ist der Bericht in bestimmte Diskurs­ tra­di­tionen eingebettet, welche als „konventionalisierte Muster der sprachlichen Sinnvermittlung“81 die mediale Konkretisation bestimmter inhaltlich-thematischer Wissensbestände (oder Spezialdiskurse) determinieren. Ansätze zur näheren Eingrenzung textkonstitutiver Merkmale von Reise- und Gesandtschaftsberichten 77 Bein, Textkritik (2011), 107. 78 Grubmüller/Weimar, Authentizität (1997), 168; siehe besonders den Sammelband Bein, AutorAutorisation (2004). 79 Vgl. Bein, Autor (2004), 23. „Besteht einigermaßen Sicherheit darüber, dass die überlieferten Texte tatsächlich mit dem Namen in Verbindung zu bringen sind, unter dem die Handschriften sie führen?“ 80 Abgesehen von editionsspezifischen Problemfeldern waren die Überlegungen von Bein, Schnell und Worstbrock zur Problematik des Verhältnisses von Autor und Werk, verlorenem Original und Überlieferung unter den spezifischen mittelalterlichen Bedingungen der Textproduktion und Überlieferung weiterführend, Bein, Pegasuse (1998); Schnell, Autor (1998); Worstbrock, Überlieferungsrang (2004); für das spätere Mittelalter dazu auch Rankovic, Modes (2012); Patridge/Kwakke, Author (2012); Minnis, Theory (2009). 81 Oesterreicher, Diskurstraditionen (1997), 20.

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liefern Arbeiten zur Geschichte unterschiedlicher Reiseberichte wie auch Versuche einer Gattungsbestimmung von Peter Brenner82, Friederike Hassauer83, Wolfgang Neuber84, Ernst Bremer85, Justin Stagl86, Dietrich Huschenbett87 und Christian von Zimmermann.88 Auf die mittelalterliche Literaturproduktion und konkret den vorliegenden Orientbericht sind ihre am spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Material entwickelten Ansätze aber nur bedingt übertragbar und müssen mit dem funktionsgeschichtlichen Zugriff in Einklang gebracht werden. Hinweise auf den Reisekontext liefern vor einer inhaltlichen Analyse Form und Funktion des Textes, beide sind signifikant für das Medium. Wie nun sind Form und Funktion des Gesandtschaftsberichtes im Unterschied zum Reisebericht abzugrenzen, wenn eine Bestimmung des Gesandtschaftsberichts nach konstitutiven Merkmalen aufgrund fehlender Vergleichsquellen für das Hochmittelalter nicht möglich ist? Da eine Gattungsbestimmung nicht vorliegt, werden im Sinne einer funktionsgeschichtlichen Annäherung konstitutive Eigenschaften des Gesandtschaftsberichtes als Ausganshypothesen formuliert. Für die nähere Bestimmung des Textes nach textkonstitutiven Eigenschaften stützt sich die Untersuchung auf das Modell der ‚kommunikativen Gattungen‘ von Thomas Luckmann89 und das funktionsgeschichtlich orientierte Gattungsmodell von Wilhelm Voßkamp.90 Nach Voßkamp nehmen Gattungen bestimmte Funktionen innerhalb einer literarischen und sozialen Umgebung wahr, bewahren gegenüber dieser aber eine gewisse Autonomie91 und dienen als „soziokulturelle Verständigungsbegriffe“. Ähnlich betrachtet Luckmann in kommunikationswissenschaftlich-soziologischer Perspektive Gattungen als „Lösungen“ spezifischer kommunikativer Probleme,92 welche durch bestimmte formale Unterschiede gekennzeichnet sind und folglich in Hinblick auf eben diese Kennzeichen und das zugrunde82 Brenner, Erfahrung (1989); Ders., Reisebericht (1990). 83 Hassauer, Reiseliteratur (1987); Dies., Stabilitas (1991). 84 Neuber, Gattungspoetik (1989). 85 Bremer, Reiseliteratur (1992); Ders., Mandeville (2007). 86 Stagl, Ars (1992); Ders., Geschichte (2002). 87 Huschenbett, Jersalem-Fahrten (1998); Ders., Berichte (1991); Ders., Orient (1991); Ders., Reisen (1991); Ders., Landen (1987). 88 Zimmermann, Überlegungen (2002). 89 Luckmann, Überlegungen (1997); Ders., Konstruktion (2006); Ders., Aufbau (2002); Ders., Gattungen (1988); Ders., Grundformen (1986). 90 Voßkamp, Gattungen (1992); Ders., Institutionen (1977). 91 „Zu den Aufgaben einer sozial- und funktionsgeschichtlich orientierten Gattungstheorie gehört die Beschreibung der Selektionsstruktur literarischer Gattungen wie auch die genaue Bestimmung des Verhältnisses der relativen literarischen Autonomie einer einzelnen Gattung zu ihrer jeweiligen Sozialabhängigkeit und Zweckbedingtheit. (…) Selektiv verhalten sich literarische Gattungen einerseits zum literarischen, andererseits zum sozialen Kontext, so dass die literarhistorische und realgeschichtliche Konstellation jeweils präzise angegeben werden muss“, Voßkamp, Gattungen (1992), 258  f. 92 Luckmann, Überlegungen (1997), 12; Ders., Gattungen (1988), 202.

Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit 

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liegende „Problem“ untersucht werden können. Für eine Untersuchung rhetorischer Faktoren auf den verschiedenen Ebenen des Textes war die handlungsorientierte Textrhetorik Joachim Knapes weiterführend. Die Textrhetorik rückt als produktionstheoretisch orientierte Rhetorik den Autor oder Orator als Urheber des Textes in den Mittelpunkt, der Text wird dabei „als äußerlich Zeichen gewordener Aggregatzustand vorangegangener innerer kognitiver Prozesse beim Autor“ verstanden.93 Aus der speziellen Kommunikationsform des Gesandtschaftsberichtes ergeben sich Konsequenzen für alle Ebenen des Berichtes. Am Schluss der Untersuchung sind diese Hypothesen gegebenenfalls zu modifizieren, können aber, sofern sie sich als tragfähig erweisen, über den Text hinaus als Modell einer Merkmals- und Funktionsbestimmung für mittelalterliche Gesandtschaftsberichte angeboten werden. Methodisch schwierig gestaltet sich der Nachweis autoptischer Erfahrung, da sich Vorwissen und Erfahrungswissen auf der Ebene der Narrativierung kaum unterscheiden.94 Der mittelalterliche Wahrheitsanspruch des Textes verband sich weniger mit den ohnehin nicht nachprüfbaren Schilderungen, sondern mit der Glaubwürdigkeit des Autors.95 Verpflichtet ist die Untersuchung gleich in mehreren Hinsichten der Dissertation von Marina Münkler. In ihrer Studie widmet sie sich den Konstitutionsbedingungen (den Formations- und Geltungsbedingungen) von Augenzeugenberichten Ostasienreisender im 13. und 14.  Jahrhundert und der „Funktion, die ihnen als Augenzeugenberichten in der Diskursivierung der Fremde zukam“.96 Deutlich macht Münkler die Implikationen des mittelalterlichen Erfahrungsbegriffs97 im Diskursfeld der historia: „Unter historia können (…) alle Berichte verstanden werden, die auf eigene unmittelbare Erfahrung zurückgehen oder durch fremde Beobachtungen gesichert sind.“98 Sie bildet das „Bindeglied zwischen Wahrnehmung und Erfahrung“99, wissenschaftstheoretisch und -geschichtlich beziehen sich Erfahrung und historia im Mittelalter auf einen gemeinsamen Ort, für den der Historiograph bzw. der Autor eines Erfahrungsberichtes verantwortlich war: Er bezeugt „als Gesehenes, was im Text sich beschrieben findet und das kann auch das sein, was ein anderer geschrieben hat, wie die in der handschriftlichen Filiation häufige Anbindung an den Autor bei gleich-

93 Knape, Rhetorik (2000), 108; Ders., Allgemeine Rhetorik (2000); vgl. auch Fried, Nutzen (1997). Die Wahrnehmungen geübter Bildungsträger wurden in allen Bereichen des Lebens nach den Regeln der Rhetorik und Dialektik qualifiziert und kategorisiert, sie „wählten aus den unzähligen Einzelheiten das Passende aus, verschafften dieser bunten Fülle Zusammenhalt und machten sie auf diese Weise lesbar.“ Dies verlangt eine Quellen- und Faktenanalyse gleichsam „sub specie dialecticae et rhetoricae artis“, ebd., XVI; XVIII. 94 Münkler, Erfahrung (2000), 284. 95 Ebd., 273. 96 Münkler, Erfahrung (2000), 8. 97 Siehe I.1 Anm. 17. 98 Münkler, Erfahrung (2000), 269; Melville, Geschichte (1982), 100. 99 Münkler, Erfahrung (2000), 271.

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zeitigen Veränderungen des Textes belegt.“100 „Systemprägende Dominante“ eines solchen Erfahrungsberichtes ist demnach nicht die Reise, sondern die „behauptete aktuelle Augenzeugenschaft“.101 Da es sich bei Burchards Bericht ebenfalls um einen Augenzeugenbericht handelt, der Erfahrung vermitteln möchte, können die von Münkler benannten Diskurstraditionen und Formationsbedingungen grosso modo auch für seinen Fall Geltung beanspruchen. Für den konkreten Fall eines Gesandtschaftsberichtes steht allerdings die Frage nach der tatsächlichen Reise und den nachweisbar eigenen Erfahrungen im Vordergrund, welche nicht nur im modernen Verständnis Konstituens der Gattung sind.102 Eine Möglichkeit zur Erkennung und Systematisierung dargebotenen Wissens sowie der Trennung von Eigen- und Fremderfahrung bietet das Modell des Kulturkontaktsystems,103 das Münkler in Hinblick auf spezifische Beschreibungsund Wissensformen erweitert.104 Die Zugehörigkeit zu einem Kontaktsystem determi100 Ebd., 284. 101 Ebd., 285. 102 Dieses Merkmal kann aufgrund der Funktion eines solchen Berichtes postuliert werden. Seit dem 13. Jahrhundert sind (schriftliche) Instruktionen für Gesandte erhalten, die sich auf die diplomatische Praxis beziehen, aber keine Hinweise für die Abfassung eines Berichtes enthalten, Péquignot, Diplomatie (2012), 81; Ders., Instructions (2008), 21  f. Ein Fragenkatalog zur Beschreibung der Mongolen wurde 1245 auf dem Konzil von Lyon verfaßt, Münkler, Erfahrung (2000), 33. Zu Aufgabenbereichen, Status und schriftlicher Überlieferung der Gesandten: Aigle, Rédaction (2013); Dies., Relations (2008); Kintzinger, Diplomatie (2010); Ders., Beziehungen (2009); Chaplais, Practice (2003); Ders., Documents (1982); Ders., Essays (1981); Ganshof, Histoire (1968); Queller, Office (1967). 103 Je nach Reiseanlass und Form der Kulturbeziehung können Kontaktsysteme in Hinblick auf ihre „Handlungsimperative“ unterschieden werden. Urs Bitterli und daran anknüpfend Münkler machen als hauptsächliche Träger von Kulturkontakten auf europäischer Seite Händler, Missionare und Gesandte aus. Das Schema ist je nach den spezifischen Bedingungen der Kulturbeziehungen erweiterbar: So traf Burchard höchstwahrscheinlich keine Missionare, sondern Wallfahrer und Pilger bei seinem Aufenthalt an, Bitterli, Welt (1992), 42; Hassauer, Stabilitas (1991); Münkler, Erfahrung (2000), 14–18. Der Erforschung von Kulturkontakten widmet sich das interdisziplinäre Rostocker Graduiertenkolleg „Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs“ in Dissertationen und Sammelbänden, u.  a. Jobs/ Mackenthun, Agents (2013); Hock/Mackenthun, Knowlegde (2012); Jobs/Mackenthun, Embodiments (2011); Juterczenka/Mackenthun, Logic (2009); auch Schäffter, Modi (1991). 104 Münkler, Erfahrung (2000), 18–20. Wissensformen der unterschiedlichen Kontaktsysteme richten sich nach deren Absichten und institutioneller Praxis. Dem Kontaktsystem des Fernhandels ordnet Münkler instrumentelles Wissen zu, „das unmittelbar praxisorientiert war und deshalb zum Diskursfeld ‚Fremde‘ als einem Aussagefeld seriöser Sprechakte nahezu nichts beigetragen hat“. Es ist gekennzeichnet durch einen permanenten Aktualisierungsdruck und musste „hochflexibel auf Veränderungen seiner Grundlagen reagieren“. Das Kontaktsystem der Mission benötigt und bringt operatives Wissen hervor, welches sich ebenfalls durch Erfolgsorientierung und der Notwendigkeit der Aktualisierung auszeichnet. Es bedurfte vor allem aber Anknüpfungspunkte in der fremden vorgefundenen Religion, um das eigene Sinnsystem überzeugend zu vermitteln. Das Kontaktsystem der Diplomatie war auf „kategoriales Wissen“ angewiesen, das es „mit seiner sehr spezifischen Praxis der gezielten Beobachtung anhand vorgegebener Fragestellungen im größeren Umfang (…) hervor(brachte)“, ebd., 19.

Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit 

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niert dabei nicht nur die Genese des Textes nach Form, Struktur und Inhalt. Auch einzelne Informationen und Inhalte, die Eingang in die Darstellung fanden, können gegebenenfalls Vertretern bestimmter Kulturkontaktsysteme zugeordnet werden, da die Wissensvermittlung erst durch bestehende Kulturkontakte und deren Träger ermöglicht wurde. Wie alle Modelle handelt es sich bei der Differenzierung von Kulturkontaktsystemen um Idealtypen, die in der Praxis kaum in Reinform vorkommen. So musste ein Vertreter eines Kontaktsystems nicht unbedingt das für dieses System als spezifisch angesehene Wissen vermitteln, ausschlaggebend war seine Funktion als Berichtssubjekt innerhalb eines Textes.105 Differenziert werden muss in der Frage nach der Herkunft des vermittelten Wissens zwischen direkten oder indirekten Übernahmen aus schriftlichen Vorlagen, einem allgemeinen Vorwissen106 über Ägypten, das in die Darstellung einfließt, und der „eigentlichen“, neuen Erfahrung, welche auf der Reise durch eigene Beobachtungen oder Vermittlung gewonnen wurde. Die Feststellung der Übernahmen aus anderen Schriften ergibt sich durch den Abgleich und die Identifikation der Vorlagen, wobei niemals sicher ist, was dem Verfasser noch zur Verfügung stand und heute verloren oder der Historikerin unbekannt ist. Problematisch ist die Feststellung und Unterscheidung von Versatzstücken, die aus fluktuierendem Wissen über Ägypten stammen, und autoptischer Erfahrung. Für den Nachweis des Realitätsgehaltes des Textes und die Bestimmung der Herkunft des aktuellen Wissens ist die dichte Lesung (close reading) erforderlich. Der Vergleich mit vorhandenem Wissen über die jeweils geschilderten Gegenstände anhand von Parallelquellen ermöglicht, die Eigenart von Burchards Darstellung zu umreißen. Die Art der Selektion der Informationen kann an bestimmte Wissensformen (Spezialdiskurse) zurückgebunden werden, die wiederum Rückschlüsse auf die Vermittlung durch Vertreter bestimmter Kulturkontaktsysteme erlauben. Die Kategorisierung nach Wissensformen ist sinnvoll, doch bleibt die Zuordnung in jedem Fall schematisch und verdeckt leicht die Interrelationen der vielfältigen Wissensdiskurse. Eine genauere Bestimmung der Herkunft des Erfahrungswissens bleibt stets mehr oder minder Hypothese. Erst mit der Frage nach sedimentierten Wissensbeständen kann die Eigenart des im Bericht vermittelten Wissens schärfer konturiert und der Erkenntniszuwachs durch die ‚Differenzqualität‘ des Berichtes herausgestellt werden. Da auf eine Beschreibung des Ägyptenbildes des 12. Jahrhunderts nicht zurückgegriffen werden kann, wird mit

105 Vgl. ebd., 108  f. 106 Hassauer bezeichnet diese Art des Wissens als Alltagswissen, Hassauer, Reiseliteratur (1987), 278. Zu dieser Fragestellung siehe Huschenbett, Orient (1991); Rüth, Jerusalem (1989); Haubrichs, Grund (1977). Huschenbett hebt das Problem hervor, dass verschiedene Formen von Wissen in unterschiedlich konnotierten Medien Aufnahme fanden, die innerhalb eines „Standes“ – er nennt Ritter und Kaufleute – in verschiedenen Generationen kursierten, Huschenbett, Orient (1991), 305. Bestimmte Selektionen eines Wissensbestandes hängen damit nicht nur vom jeweiligen Kontaktsystem, sondern genauso vom Medium und der historischen Phase ab.

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der Zusammenstellung und Problematisierung der vorhandenen Zeugnisse zugleich der Ausprägung eines mittelalterlichen Ägyptenbildes nachgespürt. Angenommen wird ein synchrones Spektrum von Wissensbeständen, das sich nicht ausschließlich aus fassbaren Quellen, sondern aus zur Verfügung stehendem Vorwissen und Tra­di­ tions­gut im Sinne von Toposwissen107 zusammensetzt. Für die Indienstnahme des Textes als historische Quelle ist insbesondere das Verständnis der Text-Kontext-Relation ausschlaggebend, wobei Kontext die Bedingungen mittelalterlicher Literaturproduktion wie auch den Bezug zur außertext­ lichen Realität einschließt. Historische Sinnkonstitution korreliert mit der Definition dieses Verhältnisses, wenn historische Wirklichkeit – wie im vorliegenden Fall – nur über Text zugänglich ist. Nach Gabrielle Spiegel kann Text als „situativer Gebrauch von Sprache“ verstanden werden.108 Texte spiegeln und generieren soziale Realitäten, sie sind zugleich Produkte sozialer und diskursiver Bedingungen, konstituieren diese aber auch mit.109 Text und Kontext gehören unterschiedlichen Kategorien an und sind nicht gleichzusetzen: „Während der literarische Text ein objektiv Gegebenes ist, ein real existierendes Artefakt (zumindest in seiner Form als materieller Gegenstand, wenn nicht in seiner Eigenschaft als spezifisch ‚literarisches‘ Werk), müssen Historiker ihren Gegenstand selbst konstituieren, lange bevor sie sich daran machen können, seine Bedeutung zu erforschen. Paradoxerweise ist der Text qua Existenz als Text von höherer materieller ‚Wirklichkeit‘ als die ‚Geschichte‘, so dass alle Versuche, den Text vor dem Hintergrund einer einfach gegebenen, materiellen historischen ‚Wirklichkeit‘ zu erklären, schon von diesem Gesichtspunkt aus ziemlich fruchtlos bleiben müssen.“110 Für das Problem der Referentialität literarischer Texte auf eine außertextliche Realität fordert Spiegel den Einbezug einer kontextuellen Perspektive, welche die spezifische „soziale Logik“ des Textes berücksichtigt: die Einbettung in

107 Toposwissen ist kein Synonym für allgemein tradiertes Wissen. Es bezeichnet keinen „quasiontologischen“ Wissensbestand, sondern vermittelt zwischen unterschiedlichen Wissensformen. Unbestimmt bleibt die genaue Herkunft des Toposwissens, sein Platz innerhalb der Darstellung kann aber als argumentativ bestimmt werden, Münkler, Erfahrung (2000), 230  f. in Abgrenzung zu Hassauer, Reiseliteratur (1987), 269; Bornscheuer, Topik (1976), 91–108; Schirren/Ueding, Topik (2000). 108 Spiegel, Geschichte (1994), 180; Dies., History (1990), 77; LaCapra, Geistesgeschichte (1988), 47  f. Das Erkenntnisinteresse der von der Intellectual History geprägten Ansätze richtet sich auf den Text als „Ereignis“ und die Bestimmung seines Kontextes. Nach diesem Konzept werden Texte in bestimmte Diskursräume eingeordnet und im Gegensatz zu dekonstruktivistischen Positionen (wie der New Philology) die Bedeutung des Autors bzw. der erkennbaren Autorintention herausgestellt, vgl. Jannidis/Lauer/Martinez, Rückkehr (1999); Stackmann, Philologie (1999). Zum ‚lingustic turn‘ siehe Iggers, Wende (2007); Schöttler, Angst (1997); Daniel, Clio (1997); Hanisch, Wende (1996). 109 Indem sich der Ansatz auf eine soziale Logik des Textes stützt und nicht nur auf den „bloßen Ausdruck eines bereits bestehenden Zeichensystems (…) reduzierbar ist“, kann Sprache (und damit der Text) „mit dem sozialgeschichtlichen Instrumentarium“ bearbeitet werden, Spiegel, Geschichte (1994), 180  f.; Dies., History (1990), 77. 110 Spiegel, Geschichte (1994), 177; Dies., History (1990), 75.

Ansatzpunkte, Vorgehen und Aufbau der Arbeit 

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„soziale Räume“ und „politische und soziale Netzwerke“.111 Aufschluss über die Herkunft des im Bericht vermittelten Wissens wie auch über die Situierung des Textes innerhalb des Entstehungskontextes kann nur eine gewissenhafte und kleinteilige Untersuchung von Form und Inhalt geben. Letztlich hängt die Aussagekraft des gesamten Untersuchungsergebnisses betreffs einer zugrundeliegenden „sozialen Logik“ des Textes von der gesicherten Textgrundlage ab, die sich auf die Entstehungszeit des Berichtes bezieht. Textinterpretation und die zuvor notwendige kritische Edition des Textes erfordern dabei eine unterschiedliche Herangehensweise. „Die eine Tätigkeit ist im weitesten Sinne konstruierend, die andere dekonstruierend, und es ist gar nicht so schwer zu verstehen, warum nicht eben viele Literaturwissenschaftler oder Historiker sich beiden Aufgaben gleichzeitig oder mit gleicher Aufmerksamkeit gewidmet haben.“112 Die Arbeit folgt im Aufbau den Prämissen der einzelnen Schritte der Beweisführung. Zuerst werden die Voraussetzungen der Arbeitsgrundlage beschrieben und Arbeitshypothesen festgelegt (II.1 und 2), dann das Medium nach Form und Aufbau untersucht (II.3), um daraus erste Hinweise einer Funktionsbestimmung abzuleiten. Es folgt die Analyse der beschriebenen Reiseroute in Hinblick auf ihren Realitätsgehalt verbunden mit der Prüfung direkter Anleihen im Text (III). In einem Exkurs (IV) wird anschließend das bekannte Wissen über Ägypten näher bestimmt, um die Differenzqualität des Orientberichtes im Vergleich mit dem bis Ende des 12. Jahrhunderts verfügbaren Wissen zu herauszuarbeiten. Im Anschluss können die historischen Bedingungen der Gesandtschaft untersucht und vorsichtig Hypothesen zur staufisch-ayyubidischen Kontaktaufnahme wie auch zur Identität des Autors formuliert werden, der durch die Untersuchung an Profil gewonnen hat (V). Im letzten Kapitel wird auf die Gebrauchssituation der Textzeugen in der Rezeption eingegangen (VI). Die Rezeptionsgeschichte liefert in der Verwendung des Textes als Informationsbericht teils weitere Indizien für eine ursprüngliche Zweckbestimmung, teils wird der Bericht in andere Funktionszusammenhänge eingeordnet. Nach der Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse im Schluss (VII) folgt als letzter Teil die Edition, die Grundlage der Untersuchung ist (VIII).

111 Spiegel, Geschichte (1994), 191; Dies., History (1990), 83. „Texte als materielle Verkörperungen situativen Sprachgebrauchs reflektieren in ihrer Dinglichkeit die Untrennbarkeit von materiellen und diskursiven Praktiken; Texte erinnern uns daran, dass wir diese gegenseitige Bedingung und Interdependenz bei der Produktion von Sinn immer im Auge behalten müssen“, ebd., 192; 84; dazu auch Kuchenbuch, Quellen (2012), 203–206. 112 Spiegel, Geschichte (1994), 178; Dies., History (1990), 75.

II Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen II.1 Prima Materia. Definition des historischen Materials Kann jedes Schriftdokument als ein „Tatort“ gelten, „dessen verborgenes Geschehen und Gewicht zu eruieren ist“1, muss dieser vor seiner Vermessung erst lokalisiert oder zumindest versucht werden, ihn so genau wie möglich zu bestimmen. Vor jeder formalen und inhaltlichen Untersuchung ist der Untersuchungsgegenstand zu definieren, welcher der Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen werden soll. Die Frage nach der Glaubwürdigkeit betrifft die Authentizität und Historizität des Textinhaltes, sie bezieht sich aber in erster Linie auf das Schriftstück als Dokument selbst. Der Terminus ‚Dokument‘ definiert dabei zugleich das hermeneutische Verhältnis der Historikerin und Editorin zum Schriftmaterial als Zeugnis der Vergangenheit: Es ist Informationsträger, dem der jeweilige Beobachter spezifische Informationen in Hinblick auf die Entstehungszeit des Textes entnehmen kann. Da Burchards Orientbericht wie so viele andere mittelalterliche Texte nicht in einer autorisierten Fassung vorliegt und lediglich korrumpierte und interpolierte Bearbeitungen2 zur Verfügung stehen, kann der Zugriff nur auf einen bestimmten Textzustand, eine „Momentaufnahme“ des Textes innerhalb des zeitlichen K ­ ontinuums der Überlieferungsgeschichte erfolgen. Das Ergebnis bezieht sich entsprechend nur auf eine der jeweiligen Realisationen des historischen Materials.3 Als Überlieferung 1 Kuchenbuch, Schriftkultur (2003), 50. 2 Nach Joachim Bumke ist unter Bearbeitung im Unterschied zur Fassung eine Textfassung zu verstehen, „die eine andere Version desselben Textes voraussetzt und sich diesem gegenüber deutlich als sekundär zu erkennen gibt“, Bumke, Text (1996), 45. Fassungen definiert Bumke als „gleichwertige Parallelversionen“, ebd., 32. Die Differenz zwischen Fassung und Bearbeitung besteht in der Möglichkeit für letztere, „eine vorausgehende Version stemmatologisch nicht nur anzusetzen, sondern auch rekonstruieren zu können“, Schiewer, Fassung (2005), 39. Beide Definitionen beruhen aber auf der Annahme eines punktuellen Ausgangspunktes der Überlieferung und somit auf einem vertikalen Prinzip; zur Kritik gegenüber diesem Ansatz aus überlieferungsgeschichtlicher Perspektive ebd., bes. 49  f. Einem dynamischen Werkbegriff ist die Definition von Fassung von Bodo Plachta verpflichtet: „(Text-) Fassungen sind unterschiedliche Ausführungen eines insgesamt als identisch wahrgenommenen Werks. Sie können auf den Autor, aber auch auf fremde Personen zurückgehen.“ Eine Differenzierung von Bearbeitung und Fassung wird nicht unternommen, vielmehr herrscht die Einsicht vor, „jede überlieferte Fassung eines Werks als prinzipiell eigenständiges und gleichrangiges Dokument einer autorisierten Werkausführung oder als Zeugen des historischen Gebrauchs eines Werkes (textus receptus) zu betrachten“, Plachta, Fassung (1997), 568. 3 Münkler sieht im Fehlen einer verbindlichen Textfassung eines der Hauptprobleme der Interpretation, was nicht nur für die „am Begriff der Erfahrung (…) orientierte Forschung“ gilt, Münkler, Erfahrung (2000), 11; 238.

Prima Materia. Definition des historischen Materials 

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greifbar und zur geschichtlichen Wirkung gekommen sind ‚textuelle Lebensformen‘, welche von der ‚aneignenden Benutzung‘ nachfolgender Generationen zeugen. Die vielfach beteiligten Instanzen im Prozess der Überlieferung haben den Text auf verschiedenen Ebenen willentlich oder unbewusst verändert.4 Das primäre Ziel besteht nun in der Sicherstellung des Schriftstückes als historisches Dokument. Die möglichst ursprüngliche Gestalt und der Wortlaut sollen konserviert „und für Interpretationen möglichst vielfältiger Art aufbereitet werden ohne selbst schon allzu stark Interpretation zu sein.“5 Wie eindeutig aber ist ein ursprünglicher Wortlaut des Schriftstückes ermittelbar? In welchem Verhältnis stehen die Textzeugen zum verlorenen Original? Welcher Text wird durch die Edition zur Verfügung gestellt und worin besteht der Mehrwert des Editionstextes im Gegensatz zum Abdruck eines oder mehrerer Textzeugen?6 Welche Aussagen und Arbeitshypothesen lassen sich schließlich auf Grundlage des textkritischen Befundes für die Bestimmung der Authentizität und Historizität des Textes als Dokument formulieren? Die Abfassungszeit der Textzeugen ist schwer zu bestimmen, doch sind sie deutlich später einzuordnen als die 1176 postulierte Entstehungszeit des ‚Originals‘. Welche Überlieferungs- und Textgeschichte der Text bis zum Zeitpunkt der positiv greifbaren Handschriften hatte, ist nicht ermessbar.7 Einzig der überlieferungsgeschichtliche Zufall entscheidet über die Kenntnis der Bearbeitungsformen und deren Reichweite, ein neuer Fund kann zu ganz anderen Ergebnissen führen. Damit sind den Möglichkeiten, den möglichst frühen Textzustand zu ermitteln, enge und spezifische Grenzen gesetzt. Im vorliegenden Fall stellt die Überlieferungslage dafür aber einen Glücksfall dar. In den meisten Fällen kann durch den Schriftvergleich eine ursprüngliche Lesart angenommen werden, so dass die spezifische Überlieferungslage die Konstruktion eines früheren Textzustandes ermöglicht, der hinter die dokumentierte Evidenz der Handschriften zurückgeht.8 Die vorhandenen acht Textzeugen sind auf drei zeitlich nahestehende Hyparchetypen zurückzuführen, welche wiederum auf einem gemein4 Dazu Bein, Varianztypen (2011); Kiening, SchriftRäume (2008); Jansohn/Plachta, Varianten (2005); Schubert, Typologie (2002); Ders., Schreiber (2000); Stackmann, Varianz (1997). 5 Bein, Fassungen (1999), 75; vgl. Heinzle, Logik (2003), 15. Probleme ergeben sich aus der Normalisierung, die für eine wissenschaftliche Benutzung der Edition aber mitunter unumgänglich ist, dazu Sahle, Editionsformen Bd. 1 (2013), 63–89. 6 Vgl. Helmrath, Edieren (2014), 211. 7 Vgl. Worstbrock, Überlieferungsrang (1998), 130. 8 Eine Alternative bietet eine überlieferungsgeschichtlich orientierte Darstellung in Konsequenz eines dynamischen Werkbegriffs, welche die literarische Praxis und den Textgebrauch in den Mittelpunkt rückt und die Überlieferung als grundsätzlich gleichwertig bewertet. Parameter zur „Bewertung der editorischen und literaturgeschichtlichen (…) Bedeutung“ der Versionen, welche stärker an die Ebene der Textkohärenz gebunden sind, um sie „von den Parametern ‚Original/Archetypus‘ und ‚Autor/Autorisierung‘ abzukoppeln“ hat Schiewer aufgestellt, Schiewer, Fassung (2005), 40  f. Da die Textzeugen inhaltlich nicht stark voneinander abweichen, wäre das Untersuchungsergebnis einer überlieferungsgeschichtlichen Edition aber weit weniger aussagekräftig und könnte kaum als Arbeitsgrundlage für die Glaubwürdigkeit des Berichtes herhalten, Sahle, Editionsformen Bd. 1 (2013), 178–

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

samen Archetyp beruhen. Diesem Archetyp, d.  h. „in der textkritischen Begrifflichkeit den ältesten noch zu erschließenden Überlieferungszustand“ soll der konstruierte Editionstext nahekommen.9 Er markiert zugleich eine „unüberschreitbare Grenze“, da seine Differenz zum verlorenen Original nicht mehr festgestellt werden kann.10 Das editorische Vorgehen rechtfertigt sich dabei weniger aus theoretischen Vorannahmen als aus dem Beziehungsverhältnis der Textzeugen zueinander und dem Überlieferungsbefund selbst.11 Weder eine modifizierte Leithandschriftenedition noch eine Fassungsedition12 erscheinen im vorliegenden Fall sinnvoll, weil der textkritische Befund keine „beste“ Handschrift erkennen lässt.13 Als Verfahren der Textherstellung bleibt die Konstruktion einer neuen Textfassung nach der historisch-kritischen Methode grundsätzlich angreifbar: Ist doch das Original unwiederbringlich verloren und jede nachträgliche Textkonstitution gleich Interpretation.14 Der kritische Text bleibt ein Konstrukt, seine Authentizität ein Postulat.15 Da der Autortext fehlt, liegt die Bestimmung des Textes, was seine Form, die Festlegung der Textgrenze und des Wortlautes betrifft, ganz in der Verantwortung der Herausgeberin. Sie muss retrospektiv entscheiden, was als authentisch gelten darf, und dabei explizit textkritisch vorgehen.16 Diskutabel ist das historisch-kritische Ver-

190; Bein, Edition (2000), 85  f.; Williams-Krapp, Methode (2000); Fuhrmann, Überlegungen (1978), 30; Steer, Edition (1995), 293. 9 Bein, Textkritik (2011), 107. 10 Vgl. Kleinlogel, Archetypus (1979). 11 Generell ist die Anwendbarkeit der zur Verfügung stehenden editorischen Ansätze und Methoden vor dem Hintergrund der konkreten Überlieferungssituation und der Produktionsbedingungen mittelalterlicher Texte festzustellen, da jeder Text und Überlieferungsbefund seine eigene Deutung und Problemlösung verlangt. Eine Edition ist ein Arbeitsinstrument, das notwendigerweise immer nur spezifische Aufgaben erfüllen kann. Unmöglich kann sie mehreren Zwecken gleichzeitig dienen, Plachta, Editionswissenschaft (2009), 11; Bein, Edition (2000); Stackmann, Aufgabe (1964); siehe schon Witkowski, Grundsätze (1921), 221; Ders., Textkritik (1924). 12 Bein, Textkritik (2011), 113–115. 13 Dazu Kapitel VIII.3. 14 Das Verfahren weist damit Ähnlichkeiten mit dem Copy-Text-Verfahren auf, da hier nicht die Autorität eines Textträgers nach stemmatologischer Bedeutung ausschlaggebend ist, sondern differenziert nach der Nähe einzelner Textteile zu einer ursprünglichen Form gefragt wird. Die Schwierigkeit besteht auch hier darin, den Status der betreffenden Passagen zu bewerten, dazu Sahle, Editionsformen Bd. 1 (2013), 167–178. 15 Zur Kritik am Modell der historisch-kritischen Edition siehe ebd., 133–143; Plachta, Editionswissenschaft (2009), 11–16; Kraft, Editionsphilologie (2001); Bein, Edition (2000), 84; Scheibe, Grundprinzipien (1971); Stackmann, Abhängigkeit (1983). 16 Schubert, Ideal (2005), 207; Martens, Rolle (1991) 22; Burkard/Huck, Edition (2003). Was in der Textrepräsentation erscheint, könnte mitunter durch den Variantenapparat geleistet werden, der die vorhandenen Abweichungen verfügbar macht, im vorliegenden Fall zudem die Textgenese dokumentiert und nachvollziehbar machen soll. „Wie also auch immer: Das Prestige des Editors ist ambivalent, zwischen Schöpfer und Knecht, aber auch zwischen Konstrukteur und Fälscher“, Helmrath, Edieren (2014), 214.

Prima Materia. Definition des historischen Materials 

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fahren, welches einem historisch determinierten Text- und Autorbegriff verhaftet ist, auch in Hinblick auf die Eigenheit mittelalterlicher Textproduktion, als deren Hauptmerkmal neben der oftmals anonymen Überlieferung die Varianz bzw. Unfestigkeit gilt.17 Mouvance-Konzepten18 verschiedener postmoderner Theorien ist der Ansatz gemeinsam, dass die „Vorstellung einer integralen Unantastbarkeit der Texte“ für das Mittelalter nicht gegeben und schon daher weder die Ursprünglichkeit einer Lesart tatsächlich zu beweisen, noch die Frage nach Autorisation zu entscheiden sei.19 Die Annahme einer grundsätzlichen Offenheit mittelalterlicher Texte geht mit dem Verschwinden des Autors als bedeutungsstiftender Instanz einher.20 Auch bei dem Burchard zugeschriebenen Text kann anhand des Materials eine ursprüngliche Autorintention nicht bewiesen werden, da schon aufgrund des Überlieferungszufalls niemals ganz ausgeschlossen werden kann, dass es sich um eine sekundäre Quelle handelt, deren Vorlage(n) nicht mehr aufzuspüren sind.21 Doch stellen textuelle Unfestigkeit und Dynamik keine konstitutiven Eigenschaften mittelalterlicher Schriftlichkeit dar, sondern unterliegen ihrerseits spezifischen historischen und performativen Bedingungen.22 Ebenso wenig muss die Funktion des 17 „Lebendige Überlieferung“ ist nicht nur für die volkssprachige Überlieferung des Mittelalters kennzeichnend. Im Gegensatz zur Schriftkultur der Neuzeit zeichnet sich der mittelalterliche Textbegriff nach dieser Auffassung durch eine „strukturelle Offenheit“ der Texte aus. „Unfeste Texte sind nicht zuerst fixiert und nachträglich variiert worden, sondern die Veränderbarkeit war ihnen von Anfang an mitgegeben“, Bumke, Nibelungenklage (1996), 53–60, 54; Ders., Text (1996); Bein, Überlegungen (1997). Für einen „offenen“ Textbegriff plädierte schon Kühnel, Text (1976). Zum mittelalterlichen Literaturbegriff und Ansätzen zum Verständnis mittelalterlicher Textualität siehe u. a Wenzel, Meisterschaft (2012); Schiewer, Fassung (2005); Strohschneider, Textualität (1999); Bein, Text (1997); Bumke, Text (1996). Zum Textbegriff allgemein: Kammer/Lüdeke, Texte (2004); Horstmann, Text (2003); Grubmüller, Verändern (2001); Scherner, Text (1996); Martens, Text (1989). 18 Mouvance-Konzepte gehen von prinzipiell beweglichen Textkonzepten aus, Varianz der Überlieferung gilt als Manifestation textueller Instabilität, Zumthor, Stimme (1994); Ders., Intertextualité (1981); Reames, Mouvance (1991); Cerquiglini, Eloge (1989). Aus dieser Grundannahme ergibt sich, dass unfeste Texte eine andere kritische Behandlung verlangen als feste, Bumke, Nibelungenklage (1996), 54. Eine radikale Position vertreten die Verfechter der ‚New Philology‘ in ihrer Programmschrift von 1990, Speculum 65 (1990), die aber auch Texte enthält, welche die Ansätze kritisch infrage stellen. Verfechter dieser Strömung verstehen „mittelalterliche Literatur als einen unablässigen Prozess der autorunabhängigen Wieder- und Neuverschriftlichung“, Schiewer, Fassung (2005), 35. Zur Diskussion und Kritik der Ansätze aus Postmoderne, Dekonstruktion, Diskurstheorie, Poststrukturalismus, Intertextualtität, New Historicism und New Philology besonders Schnell, Autor (1998); Ders., New Philologie (1997); Strohschneider, Situation (1997); Stackmann, Edition (1993); Löser, Mittelalter (2004), Spiegel, Geschichte (1994). 19 Tarot, Editionsprinzipien (1984), 709. 20 Kritisch Stellung bezieht dazu Schnell, Autor (1998), bes. 45–47; 69–73. 21 Vgl. Bein, Pegasuse (1998), 24. 22 Zu differenzieren ist zwischen der Eigenschaft eines Originaltextes und den Eigenschaften der Überlieferung, dazu Honemann/Roth, Autographen (2005), 221; Schnell, Autor (1998), 44–47; 70  f. Die Unfestigkeit der Texte war den meisten Lesern im Mittelalter vermutlich nicht gegenwärtig, doch waren ihnen die unterschiedlichen Möglichkeiten und Grade von Texteingriffen wohl bewusst.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

Autors außer Kraft gesetzt werden, auch wenn er als Subjekt der Textproduktion unerreichbar bleibt. Weder Intertextualität noch die Existenz übergeordneter Redeweisen schalten ein redendes Subjekt und ein Autorbewusstsein aus, bleibt er doch ursprünglicher Textproduzent und wird als Ordnungs- und Zuweisungskategorie in der Überlieferung benötigt.23 Zudem ist Autorisation im mittelalterlichen Werkverständnis nicht unbedingt mit der Einheit von Form und Inhalt gleichzusetzen. Auf Wunsch mittelalterlicher Verfasser sollte der Inhalt zwar unangetastet bleiben, sprachliche Mängel durften aber durchaus mit deren Einverständnis verbessert werden.24 Im Falle der Überlieferung des Burchardberichtes wird von einer ursprünglich festen Textgestalt mit originalem Wortlaut ausgegangen, die methodisch bis zu einer bestimmten Stufe erschließbar ist. Prämisse für diesen Ansatz ist ein historisches Verständnis der Überlieferungsvarianz: Grundsätzlich können Varianten weder als gleichzeitig noch als gleichwertig betrachtet werden, da sie sich diachron oder performativ entfaltet haben.25 Die Differenz besteht im Verhältnis zu einer Konstanz, deren Profil sich durch eben diese Mutationen bestimmen lässt.26 Zwar ist mitunter nicht erkennbar, welche Rezeptionsakte unterschiedlichen Lesarten zugrunde liegen. Nebeneinanderstehen können auch Varianten verschiedener Überlieferungsstränge, Am bekanntesten ist die Unterscheidung Bonaventuras nach scriptor (er schreibt nur Fremdes ab), compilator (er schreibe Fremdes, füge aber noch etwas hinzu, jedoch nichts Eigenes), commentator (er schreibe Fremdes und Eigenes, aber das Fremde sei das Wichtige) und auctor. Auctor sei, wer ein Buch aus Fremdem (aliena) wie auch Eigenem (sua) schreibe; aber das Eigene sei das Grundlegende (principalia), das Fremde werde gleichsam zur Bestätigung beigefügt: Ad intelligentiam dictorum notandum, quod quadruplex est modus faciendi librum. Aliquis enim scribit aliena, nihil addendo vel mutando; et iste mere dicitur scriptor. Aliquis scribit aliena, addendo, sed non de suo; et iste compilator dicitur. Aliquis scribit et aliena et sua, sed aliena tamquam principalia, et sua tamquam annexa ad evidentiam; et iste dicitur commentator, non auctor. Aliquis scribit et sua et aliena, sed sua tanquam principalia, aliena annexa ad confirmationem; et talis debet dici auctor, Bonaventura, Commentaria Bd. 1. Ed. Bernarini (1882), 14  f. 23 Schnell, Autor (1998), 32–39; Martens, Autor (2004), 49; Quast, Text (2001); Grubmüller, Verändern (2001), 31–33. 24 Beispiele anhand mittelalterlichen Materials bei Schnell, Autor (1998), 58–62; Schnell führt u.  a. den Prolog der Rechtssumme Bruder Bertholds an, den Epilog der ‚Kindheit Jesu‘ von Konrad von Fußesbrunnen, die Apokalypse des Heinrich von Hesler, deren Autoren sich in unterschiedlicher Weise gegen formale und inhaltliche Eingriffe aussprechen. Die Bitte mittelalterlicher Autoren, nicht in den Text einzugreifen, es sei denn, er enthalte offensichtliche Fehler, kann unterschiedlich ausgelegt werden und auch als Bestätigung der Offenheit dienen. Schnell fordert angesichts dieser ambivalenten Äußerungen, „Urteile über mittelalterliche Autor- und Werkvorstellungen zu differenzieren. Fast untrennbar vermischen sich die Vorstellungen vom fixierten, autorisierten und die vom offenen, nie abgeschlossenen Text. Hier öffnet sich der Blick auf das, was bereits mit der Behauptung angedeutet wurde: das Mittelalter sei weder das Moderne noch das Andere, sondern ein Drittes“, ebd., 58; Grubmüller, Verändern (2001). 25 Davon ausgeschlossen sind itinerierende Varianten und Verschreibungen. Die Relevanz bestimmter Textzustände aus literaturwissenschaftlicher und philologischer Perspektive wird damit nicht bestritten. 26 Dazu Hausmann, Reinmar (1996), 37–41.

Prima Materia. Definition des historischen Materials 

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welche möglicherweise zeitgleich entstanden sind, wobei die Erkennbarkeit der „historischen Differenz“ verwehrt wäre. Eine verzweigte Überlieferung muss aber nicht bedeuten, sich von dem Ziel einer möglichst authentischen Textkonstitution zu verabschieden.27 Insgesamt weisen die Textzeugen des Burchardberichtes einen hohen Anteil von Varianten auf, von 180 Sätzen sind nur sieben in den drei Sonderüberlieferungen und bei Arnold identisch. Den größten Anteil haben grammatikalische Varianz, Wortauslassungen bzw.  –zufügungen und lexikalische Varianz, welche kaum sinnrelevant sind. Zweckdienlich für die Frage, inwiefern Variabilität die Gesamtinterpretation tangiert, ist die von Rüdiger Schnell in seinem Aufsatz „Autor und Werk im deutschen Mittelalter“ (1998) vorgeschlagene Unterscheidung nach „textschichtenspezifischer Differenz“28, da Syntax, Wortschatz, Sinn, Struktur u.  a. unterschiedlich stark von Texteingriffen betroffen sind, wenn auch alle Varianten textkritische Relevanz für die Textkonstitution besitzen. Eine Sichtung aller vorhandenen Varianten der Burchardüberlieferung nach den groben Kriterien „ohne semantische Relevanz“29 und „mit semantischer Relevanz“30 hat einen Anteil von ca. 20–25 % an Sinnvariationen ergeben. Zwar ist dieser Anteil nicht sehr gering, doch nur bedingt aussagekräftig, da hier die Verteilung auf die einzelnen Handschriften nicht berücksichtigt ist. Tatsächlich entfallen eine Vielzahl dieser semantisch relevanten Lesarten auf die Wiener Handschrift (W) und die Kurzfassungen (ba, ge, mü und be),31 welche in höherem Maße als die anderen Textzeugen sekundäre Bearbeitungsspuren aufweisen. Nicht immer eindeutig ist zudem, ob eine Variante eher als Schreibfehler oder tatsächlich lexikalische Variante einzuordnen ist. Festzuhalten bleibt, dass die quantitativ größte Variantenmenge sprachhistorischen Prozessen verpflichtet ist und nur selten spezifische Sinnvariationen betrifft. Die inhaltliche und die strukturelle Ebene sind von der Varianz jedoch kaum berührt.32 Wie lassen sich auf Grundlage dieses Befundes nun Historizität und Authentizität des Dokumentes bestimmen? Welche Bedeutung kann diesen Konzepten in Hinblick auf das editorische Arbeiten zugewiesen werden? Die Historizität des Textes

27 Zweifellos gibt es aber Texte, die durch ihren Variantenreichtum die Frage nach dem originalen Text sinnlos machen, vgl. Haustein, Autornähe (1999), 66. 28 Schnell, Autor (1998), 65. 29 Dazu zählen in Anlehnung an Bein: 1. Schreiberfehler, augenscheinliche Sinnentstellung, mechanischer Textverlust; 2. grammatikalische Varianz auf der Wortebene; 3. Satzkonstruktionsvarianz ohne größere semantische Konsequenzen; 4. Wortauslassungen bzw.  –zufügungen; 5. lexikalische Varianz, Bein, Fassung (1999), 78  f. 30 Dazu zählen 1. Wortauslassungen bzw. –zufügungen mit semantischer Relevanz; 2. lexikalische Varianz mit semantischer Relevanz, ebd., 79. 31 Siehe Kapitel VIII.2. 32 Die Varianz weist darüber hinaus auf eine größere Anzahl von verlorenen Zwischenabschriften hin, da kaum vorstellbar ist, dass wie im Falle der Handschrift W nur ein Schreiber für derart viele Eingriffe verantwortlich ist.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

bezieht sich auf seinen in der Geschichte fixierten Zustand und beinhaltet zwei Gesichtspunkte: Sie kann erstens als „die in der Zeit sich vollziehende Genese eines Textes definiert werden.“33 Zu einem bestimmten Zeitpunkt und beeinflusst von einer Vielzahl von Faktoren „schreibt“ sich der Text in die „geschichtliche Welt“ ein.34 Er enthält immer sowohl sprachliche als auch gesellschaftliche Strukturen und stellt das Produkt einer (Schrift-)kultur da, deren Dimensionen untersucht werden müssen.35 Zweitens ist die Historizität eines Textes durch seine Beziehung auf eine geschichtliche Situation bestimmt, „als Ausdruck und Spiegel einer bestimmten Zeit“36, über die der Text Nachrichten vermittelt. In beiden Hinsichten wird er rezipiert. Die Feststellung der Historizität des Textes schließt jedoch nicht dessen Authentizität ein, bewusste Fälschungen zeitgenössischer und historischer Werke können ebenso als Zeugnisse historischer Herstellungs- und Verarbeitungsprozesses dienen.37 Laut Definition des Reallexikons der Deutschen Literaturwissenschaft wird „das Prädikat Authentizität (Echtheit, Originalität, Unverfälschtheit)“ nur dann einem Text zugesprochen, „wenn er in allen seinen Einzelheiten von seinem Autor stammt“.38 Authentizität als entscheidende Kategorie der historisch-kritischen Textkonstitution39

33 Martens in Anlehnung an Scheibe, Martens, Rolle (1991), 14; Scheibe, Grundprinzipien (1971), 4. 34 Dabei geht es um die Frage der Kausalität: Weshalb und wie ein Text in dieser Form an einem Ort und zu einer Zeit auftrat, ist Kennzeichen seiner Historizität, d.  h. seiner Eingebundenheit und Abhängigkeit von bestimmten historischen Bedingungen, vgl. Spiegel, Geschichte (1994), 175  f.; Dies., History (1990), 74  f. 35 Kuchenbuch unterscheidet verschiedene Dimensionen, „mit deren Hilfe die Historizität von Schriftstücken und der Umgang mit ihnen herausgestellt und beurteilt werden kann“: 1. Herstellung; 2. Wahrnehmung von Schriftstücken; 3. die Sinn tragenden Formen in Schriftstücken; 4. Inhalt von Schriftstücken und ihre Beziehung untereinander; 5. die Art und Weise, wie diese vier Dimensionen in jeweils anderer Weise konkret funktionieren (Schriftpraxis), Kuchenbuch, Schriftkultur (2012), 41. 36 Martens, Rolle (1991), 14; Scheibe, Grundprinzipien (1971), 4. 37 Bein, Pegasuse (1998), 20–26. Im mittelalterlichen Verständnis bedeutet authenticus nicht originär, sondern wahr oder verbürgt. „Per definitionem kann es also authentische Texte geben, die gefälscht sind“, Fuhrmann, Wahrheit (1988), 92; Bein, Pegasuse (1998), 36; Georges, Handwörterbuch (1913/1998), Sp.749; siehe auch: Fuhrmann, Fälschungen (2009); Eco, Grenzen (1992); Ders., Tipolo­ gica (1988); Schwarzmaier, Fälschungen (1990). 38 Und weiter heißt es: „Notwendige, aber nicht immer hinreichende Bedingung von Authentizität ist Autorisation: (1) im engeren editionsphilologischen Sinn autorisierte Texte (z.  B. Autographen, Dik­tate u.  ä.) gelten immer als authentisch; (2) Texte dagegen, die nur im weiteren (juristischen) Sinne autorisiert sind (z.  B. ein pauschal durch Imprimatur gebilligter Druck), können nicht von vorherein als authentisch gelten; (3) nicht autorisierte Texte, zumal ohne Nennung des Autors (z.  B. aus münd­licher Überlieferung), sind generell nicht als authentisch zu betrachten“, Grubmüller/Weimar, Authentizität (1997), 168. Allerdings differieren die Definitionen von Authentizität erheblich: gemeint sein kann 1. der vom Autor intendierte Text; 2. die Autorisation durch einen Autor; 3. der historisch wirksam gewordenen Text, auch wenn dieser partiell nicht autorisiert ist, Bogner, Textkritik (1998), 526. 39 Scheibe, Grundprinzipien (1971), 6; 28  f.

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wird damit als Texteigenschaft festgeschrieben, die nur durch Autorisation40 gewährleistet ist, womit sich die Begriffe eng angleichen.41 Die neuzeitliche Definition der Authentizität eines Textes in enger Verzahnung mit Autor und Autorisation ist für das Mittelalter aber problematisch, denn Autor, Autorname und Werk als Kategorien mittelalterlicher Literatur stehen in disparaten Bezügen zueinander.42 Anonyme Texte, Autorfiktionen und Pseudepigraphen sind häufig, sowohl Festschreibungen wie auch Anonymität können indes in vielen Fällen begründet werden. Vor allem aber ist ein anzunehmender authentischer (im Sinne von autorisierter) Text der primären Entstehungsstufe meist nicht mehr zugänglich, die Relation von Autor und Werk innerhalb der „Polyphonie vormoderner Textualität“43 brüchig. Die Autorbindung besteht nur mehr als formale Zuweisung, was jedoch keine Authentizität bedeutet.44 Für die unautorisierte Überlieferung des Mittelalters erweist sich ein autorbezogenes Authentizitätskonzept als nicht funktional und von vornherein nicht anwendbar. Alternativ begreift eine überlieferungsgeschichtlich orientierte weiter gefasste Definition von Authentizität vor diesem Hintergrund alle Realisationen der Überlieferung in ihrer jeweiligen Geschichtlichkeit als authentisch.45 Dieses Begriffsverständnis löst jedoch nicht das Problem, das sich in Hinblick auf die ursprüngliche Form und Intention des Textes stellt, nach der hier gefragt wird.46 Schon aufgrund der unterschiedlichen Auf-

40 Ähnlich wie beim Begriff der Authentizität ist die fachwissenschaftliche neuphilologische Definition von Autorisation nicht einheitlich. Autorisation kann (1) als „aktive Einverständniserklärung“ des Autors verstanden werden, (2) als autoreigene bzw. autorgesteuerte Textproduktion, Nutt-Kofoth, Text (2004), 53  f.; Scheibe, Probleme (1990), 58; Zeller, Befund (1971), 57  f. Der autorisierte Text kann aber auch Anteile weiterer „Sprachbenutzer“ neben denen des Autors enthalten, Hurlebusch, Aufgabe (1971), 135  f. 41 Nutt-Kofoth, Text (2004), 53. 42 Bein, Pegasuse (1998), 30–45; Andersen/Haustein, Autor (1998); Haug/Wachinger, Autorentypen (1991). Die terminologische Diskussion um die Begriffe ist hauptsächlich ein Problem neuerer Texte. Eindeutig ausgenommen aus der Relation von Authentizität und Autorisierung ist nach Nutt-Kofoth „die mediävistische und altphilologische Frage nach der Autorschaftszuschreibung oder einer möglichen Athetese im Sinne einer Echtheitsfalsifikation im Hinblick aus bestehende Autorschaftszuschreibungen“, Nutt-Kofoth, Text (2004), 52; Bein, Literaturbetrieb (1999). Bein fasst die einzelnen Typen mittelalterlicher Literatur in Bezug auf Autorschaft und Authentizität in einer Systematik zusammen und unterscheidet den „Dichter ohne Werk“, „disparate Autorzuweisungen durch mittel­alterliche Schreiber, Redaktoren, Sammler“, „große Namen – anonyme Werke“, Bein, Pegasuse (1998), 26–45. Als eine Grundmotivation der Autorzuweisung betont er, dass „Textwahrheit und verbürgender Name (…) oft in einem engen Konnex [stehen]. Texte werden Autoritäten zugewiesen, um sie aus der Masse des Unbedeutenden (weil Anonymen?) herauszuholen“, ebd., 36. 43 Schiewer, Fassung (2005), 50. 44 Bein, Anmerkungen (2004), 23. 45 Martens, Autor (2004). 46 Nutt-Kofoth schließt für die neuphilologische Edition „die historische Gestalt des Werkes innerhalb der Rezeption“ in den Begriff der Authentizität ein. „Das so gewonnene Verständnis von ‚Authen-

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fassungen, was unter einem ‚authentischen‘ Text zu verstehen ist, scheint es daher ratsam, auf dieses Prädikat zu verzichten. Die inhaltliche und strukturelle Konstanz der Überlieferung des Burchardberichtes erlaubt dennoch, eine Stabilität des Textes in Hinblick auf seinen Gehalt zu behaupten, die folglich auch für den konstruierten Archetypen gilt und in dieser Form vor allen überlieferten Textzeugen anzusetzen ist. Inwieweit der Wortlaut des Editionstextes und der Textzeugen original ist, bleibt dahingestellt. Nicht von wem der Text stammt, ist von Belang für die Bewertung der historischen Zuverlässigkeit des Textes, sondern ein innerhalb des Textes nachweisbarer Gestaltungswille, der sich in einer Textidentität und -integrität manifestiert und zumindest partiell auf einen Autor als Vermittler einer materia rückbezogen werden kann, der in den einzelnen Textschichten unterschiedlich präsent ist.47 Konstitutiv für die Bestimmung der historischen Aussagekraft und Glaubwürdigkeit des Textes48 ist dann weniger die Frage nach dem Verhältnis von Konstanz und Varianz generell als die nach den sinnrelevanten Veränderungen, d.  h. nach der Geschlossenheit der Überlieferung in Hinblick auf die vermittelte Botschaft.49 In der notwendigen Trennung von Textgestalt und Textgehalt bietet das Kriterium der Autorintention anstelle der primären Instanz des Autors einen Ausweg, eine eng an die Überlieferung gebundene partielle Textidentität vom Begriff des Autors und der Autorisation zu entkoppeln. Das Abstraktum schließt die Beteiligung Dritter in der Realisierung ein und differenziert deutlich zwischen dem Autor als Person und dem Berichtssubjekt.50 Muss auch von einer ursprünglichen Historizität des Schriftstückes und vom Konnex zwischen Autor und Text abstrahiert werden, sind sowohl das bereitgestellte Dokument wie auch die existenten Textzeugen doch Zeugnis eines Herstellungs- und Verarbeitungsprozesses, das den Autor als Urheber und organisierende Kohärenz­ tizität‘ als ‚Echtheit‘ begreift die Bedingungen der Produktion und der Rezeption als die historischen Gegebenheiten zur Realisierung des Werkes. (…) Entscheidend ist nur, dass sich die Autorschaft als eine direkte Beteiligung des Autors an jeder der in Frage kommenden Fassungen nachweisen lässt“, Nutt-Kofoth, Text (2004), 61  f.; Martens, Autor (2004), 41. 47 „Allzu oft wird übersehen, dass nicht alle überlieferungsgeschichtlich bedingten textuellen Veränderungen in gleicher Weise den Gestaltungswillen des Autors bis zur Unkenntlichkeit entstellen, d.  h. manche Textschichten verhalten sich im Überlieferungsprozess resistenter als andere“, Schnell, Autor (1998), 65; Quast, Text (2001), 35. 48 Vgl. im neuphilologischen Zusammenhang Martens, Autor (2004), 45. „Die konstitutive Historizität (und gegebenenfalls auch Authentizität) eines Textes für die spätere Rezeption zu bewahren, ist die eigentliche Funktion des Herausgebers, der sich dem Editionsprinzip der Authentizität verpflichtet. Sie ist nicht an ein ephemeres Autorbild gekoppelt, sondern allein an die Zeugen der Geschichtlichkeit (…).“ Die anschließende Definition eines authentischen Editionstextes verlangt die „Übereinstimmung mit einem überlieferten Textzeugen“. 49 Erst die Feststellung der Sinnvarianz gibt Aufschluss auf den Status der Überlieferung und lässt vorsichtige Aussagen über das Verhältnis von Überlieferung und verlorenem Original – dann auch über das Verhältnis von Text und Autor – zu, vgl. Bein, Fassung (1999), 76. 50 Vgl. Nutt-Kofoth, Text (2004), 62.

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figur in den Blickpunkt rückt. Im Laufe der Texttradition ist der Konnex von Autor und Text erhalten geblieben.51 Er wird in allen Abschriften genannt, übernimmt zu Beginn des Textes die Verantwortung für den Bericht und schiebt sich auch im Berichtsverlauf immer wieder zwischen Rezipienten und referierten Inhalt. Angenommen werden kann mit Bruno Quast eine „proportionale Relation“ zwischen Textfestigkeit und Verbindlichkeit des Wahrheitsanspruchs der materia.52 Die relativ geschlossene Überlieferung entspricht damit einem bestimmten Überlieferungstypus und ist im Zusammenhang mit der Funktion und Logik des Textes zu sehen.53 Allem Anschein nach wurde die Rezeption des Textes durch eine wissensvermittelnde Funktion beeinflusst, für die ursprünglich der Autor zu verantworten war. Nachdem der Tatort (das Schriftdokument) lokalisiert, also eine inhaltlich stabile Textgrundlage zugänglich gemacht wurde, geht es nun darum, diesen Ort als Schauplatz „vielfältiger, widersprüchlicher, teils anwesender, teils abwesender historischer Realitäten“ näher zu bestimmen. Ausgehend von der „Untrennbarkeit von materiellen und diskursiven Praktiken“54, ist als nächster Schritt eine Bestimmung der prägenden Textmerkmale und Faktoren erforderlich, die seine Eigenart wie auch seine Historizität bestimmen und mit denen sich der Text innerhalb der Schriftkultur des letzten Viertels des 12. Jahrhunderts situieren lässt. „Jedes Werk verfügt über einen bestimmten Möglichkeitshorizont und wird in einer bestimmten Situation geschaffen (…) Wenn man erklären kann, wie ein Buch entsteht, dann kann man auch erklären, woraus es entsteht.“55

51 Bein, Autor (2004), 23; Schnell, Autor (1998), 63. 52 Das Differenzkriterium der Textfestigkeit als „idealtypische Unterscheidung“ von poetischen, normativen und heiligen Texten, liegt demnach „im Grad der implizit wie explizit geforderten Textfestigkeit, die mit dem Normativitätsanspruch der vermittelten materia korreliert“, Quast, Text (2001), 45  f.; vgl. Bumke, Nibelungenklage (1996), 60–68. 53 Schnell, Autor (1998), 44; 63. Der Burchardbericht wurde von nachfolgenden Generationen in dieser Form akzeptiert und als gewisserweise „normkonform“ und nicht verbesserungsbedürftig tradiert. Innerhalb einer Zeitspanne stellte er eine spezifische „Lösungsmöglichkeit“ eines Problems dar und blieb solange unangetastet, wie der Bericht dieser Funktion genügte. Die genauen Gründe für diese Stabilität in der Überlieferung können aber erst aus der Untersuchung der Rezeptionsbedingungen abgeleitet werden. Die „Schwankungsbreite in der Überlieferung (…) hängt weitgehend von der institutionellen Bindung der Texte und ihrer Berichterstatter sowie den Funktionsmechanismen der jeweiligen Kontakt- und Verschriftlichungssysteme ab; mit einem Autor und seiner Wahrnehmungsfähigkeit hat es so gut wie nichts zu tun“, Münkler, Erfahrung (2000), 239. 54 Spiegel, Geschichte (1994), 192; Dies., History (1990), 84. 55 Spiegel, Geschichte (1994), 193; Dies., History (1990), 84.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

II.2 Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung Allgemein kann ein Text als Resultat historisch-kulturell bedingter Selektions- und Deutungsprozesse in Bezug auf Wirklichkeitsbereiche, Verstehensebenen und intertextuelle Bezüge begriffen werden.56 Verantwortlich für die Erscheinungsform eines Textes sind eine Reihe Faktoren, die ihn in unterschiedlicher Weise prägen. Im vorliegenden Fall ist der Autor als Textproduzent über die formale Zuweisung im Prolog hinaus als konstitutiver Bestandteil des Berichts erkennbar. Seine genaue Rolle im Spannungsfeld zwischen bloßer Referenzfigur und Textverantwortlichem kann allerdings erst durch die inhaltliche Analyse näher bestimmt werden. Erkennbar ist das „Berichtssubjekt“ zunächst als „Diskurselement“, als Funktion innerhalb einer Textkonstitution, deren Regeln näher beschrieben werden müssen.57 Diskurstraditionelle und gattungsspezifische Vorgaben bestimmen – wenn auch in unterschiedlicher Weise – maßgeblich die Produktion von Texten.58 Diese Vorgaben fungieren auf unterschiedlichen Ebenen als Handlungsmuster diskursiver Praxis: Sprache, semantische Struktur, Wissensformen und Medialität des Textes werden durch sie determiniert oder zumindest erheblich beeinflusst.59 Als Bedingungen der Literaturproduktion bestimmen sie auch das Verhältnis von Autor und Text. Bezüge und Anschlüsse herstellen muss der Text in Richtung der Leserschaft, die vor der Zeit des Buchdrucks in der Regel überwiegend gemeinschaftsgebunden und weniger anonym war.60 Als „spezifisch kommunikative Handlung“ fügt sich der nach bestimmten Handlungsaspekten und Konventionen hergestellte Text in einen Ge­samt­rahmen kommunikativer Vorgänge ein.61 Die jeweilige Sprachhandlung wird

56 Vgl. Spiegel, Geschichte (1994), 192  f.; Dies., History (1990), 84; Scherner, Text (1996); Martens, Text (1989). 57 Vgl. Münkler, Erfahrung (2000), 240. 58 Wulf Oesterreicher bestimmt Diskurstraditionen als „normative, die Diskursproduktion und Diskursrezeption steuernde, konventionalisierte Muster der sprachlichen Sinnvermittlung“. Sie unterliegen bestimmten Kommunikationsbedingungen und sind nicht einfach mit Gattungen zu identifizieren, Oesterreicher, Diskurstraditionen (1997), 20. Im Unterschied zu Diskurstraditionen unterliegen literarische Gattungen spezifischen Kommunikationsbedingungen und stellen insofern „aparte Formen diskursiver Darstellung und Funktionalisierung dar“, ebd., 33; Schlieben-Lange, Gattungssystem (1997); Koch, Diskurstraditionen (1997). 59 Vgl. das Forschungsprogramm „Textualität in der Vormoderne“ der Ludwigs-Maximilians-Universität München (Thomas Borgstedt), siehe auch Anm. 65. 60 Medien sind generell an eine funktionale Spezifizierung gekoppelt, hängen in oralen oder semioralen Gesellschaften aber stärker von historischen Voraussetzungen und den jeweiligen Publikumsstrukturen ab, Bumke, Nibelungenklage (1996), 70. Zur Medialität siehe Parr, Medialität (2011); Kiening/Stercken, SchriftRäume (2008); Kiening, Medialität (2007); Curschmann, Wort (2007); Moos/ Melville, Rhetorik (2006); Krämer, Performativität (2004). 61 Robert-Alain de Beaugrande und Wolfgang Ulrich Dressler definieren Text als „kommunikative Okkurenz“ mit sieben Standardmerkmalen, die seine kommunikative Funktion bestimmen: 1. Kohäsion (Textzusammenhang auf der formalen Oberflächenstruktur des Textes, realisiert durch formale

Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung 

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durch situations- und funktionsbezogene Verwendung von Sprache und „Bausteinen“ aus dem verfügbaren Inventar an „Zeichensystemen“62 realisiert, wobei der Handelnde eigenständig verfahren kann oder – und das wird für den Burchardbericht angenommen – sich „schon im Entwurf an einem ‚Gesamtmuster‘“ orientiert, das die „Auswahl der verschiedenen Elemente aus dem kommunikativen ‚Code“ bestimmt.63 Der Einsatz eines speziellen Musters (eines Texttypus‘ wie auch eines Mediums) bezieht sich auf bestimmte Dimensionen (Geltungsbereiche, Merkmale) und gibt eine Intentionalität vor, die jeglichem kommunikativen Handeln zugrundeliegt, auch wenn automatisierte oder unbewusste Intentionen vorliegen.64 Die Verwendung eines Musters beinhaltet in jedem Falle aber auch einen gewissen Freiheitsspielraum, bestehende Konventionen modifizieren oder durchbrechen zu können. Die konkrete materielle Grundlage bildet damit einen Aushandlungsprozess zwischen vorgegebenen Strukturen und einem akteursspezifischen Zugriff auf dieselben ab. Die Textualität von Texten selbst wird dabei „in unterschiedlichen historisch-kulturellen Zusammenhängen – und in dieser Abhängigkeit von ihnen – (als) hochgradig variabel“65 aufgefasst. Nach Gabrielle Spiegel reflektieren Texte als „materielle Verkörperungen situativen Sprachgebrauchs (…) in ihrer Dinglichkeit die Untrennbarkeit von materiellen und diskursiven Praktiken“;66 sie stehen in einem bestimmten Verhältnis zu einem umfassenderen kulturellen Umfeld, innerhalb dessen sie eine soziale Funkgrammatische Mittel); 2. Kohärenz (der dem Text zugrundeliegende Sinnzusammenhang; erfüllt wird die kognitive Sinnkontinuität durch Isotopien); 3. Intentionalität (Produktions- und Wirkungsabsicht); 4. Akzeptabilität (Erwartungshaltung des Textrezipienten in Bezug auf Kohärenz, Kohäsion sowie Nützlichkeit oder Relevanz des Textes), 5. Informativität (zielt auf den relativen Neuigkeitswert des Textes und damit auf Effizienz für den Leser); 6. Situationalität (Bezug der Sprachhandlung auf eine bestimmte Kommunikationssituation und einen bestimmten Informationsbedarf); 7. Inter­tex­tua­ li­tät (Schnittstelle und Abhängigkeit von anderen Texten). Daneben existieren regulative Prinzipien, die die Textkommunikation kontrollieren: Effizienz, Effektivität und Angemessenheit, Beaugrande/ Dressler, Textlinguistik (1981), 3–14; dazu kritisch Scherner, Sprache (1984), 234–240; Brinker, Textanalyse (2005); Vater, Textlinguistik (2001). 62 Luckmann, Überlegungen (1997), 12. 63 Ebd., 11  f. Luckmann bezeichnet „solche Gesamtmuster als Bestandteile des gesellschaftlichen Wissensvorrats“ als „kommunikative Gattungen“, ebd., 12. Die funktionellen und strukturellen Anforderungen von Textmustern schließen sowohl diskursbezogene Vorgaben als auch Bezüge zwischen unterschiedlichen Symbolisierungssystemen ein, vgl. Spiegel, Geschichte (1994), 191; Dies., History (1990), 83  f. Neben Texten gibt es weitere kulturelle Formen im Bereich der Schriftlichkeit, die ähn­ lichen Bedingungen unterliegen, vgl. Tophinke, Gattungsgrenze (1997), 164 Anm. 8. 64 Sandig, Handlung (2009), 1337. 65 So formuliert von Thomas Borgstedt im Forschungsprogramm „Textualität in der Vormoderne“ der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Der Ausdruck Textualität „benennt (…) spezifische Aspekte von Texten“ (er schließt auch Mündlichkeit mit ein) und „gestattet die Bezeichnung solcher Problemperspektiven, in welchen sich am differenziertesten die historisch fremden kulturellen Voraussetzungen und Bedingungen vormoderner Texte rekonstruieren sowie ihre Implikationen und Folgen für deren Status und Geltung, für deren Funktionieren und Leistungen beschreiben lassen.“ 66 Spiegel, Geschichte (1994), 192; Dies., History (1990), 84.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

tion wahrnehmen. Da der „ästhetische Charakter“ von Texten eng verwandt mit dem „sozialen Charakter der Umwelt“ ist, sind Form und Inhalt in der Analyse gleichberechtigt zu berücksichtigen.67 Für die historische Operationalisierung, d.  h. die Erkennbarmachung von Pro­ blem­lagen bezüglich der Fragestellung nach der Eigenschaft des Burchardberichtes als empirisches Dokument und Produkt einer Gesandtschaftsreise, ist die Bestimmung seiner textkonstitutiven Eigenschaften unerlässlich und stellt mehr als einen heuristischen Wert dar.68 Die festzustellenden Eigenschaften69 erlauben erst einen systematischen Zugriff auf den Forschungsgegenstand und geben die Möglichkeiten und Grenzen seiner Befragung vor. Vergleichbar ist die Notwendigkeit dieser Bestimmung mit der Feststellung befragbarer Zeugen im Vorfeld einer Untersuchung zu einem Tathergang. In beiden Fällen ist niemals ganz sicher, ob alle Zeugen berücksichtigt und adäquat befragt wurden. Unbegründete Einschätzungen und fixe Ideen haben in beiden Fällen bedeutsame Konsequenzen für das Ergebnis, womit notwendig wird, das Verfahren der Zuordnung selbst zu hinterfragen. Texttheoretische Annahmen müssen in Hinblick auf ihre Anwendbarkeit und Aussagefähigkeit für den Bericht geprüft und präzisiert werden. Wie unterschiedlich der Text aufgrund seiner Eigenschaften im Laufe seiner Überlieferung gedeutet wurde, zeigen schon die Überlieferungssymbiosen an.70 Für die Merkmalsbestimmung im Rahmen der existierenden Schriftkultur ist eine differenzierte und umsichtige Systematik erforderlich, welche ganz unterschiedliche textinterne und textexterne Kategorien miteinander verklammert, dabei aber ihre Trennschärfe nicht verlieren darf. Textinterne Faktoren bestimmen in ihrer Selektion aus verschiedenen Elementen des sprachlichen Codes die „Binnenstruktur“ des Textes, dazu zählen Worte, Phrasen, Formeln, Stilmittel, Sprachregister wie auch Festlegungen in Bezug auf Themenbereiche.71 Textexterne Kategorien betreffen die „Außenstruktur“: die Beziehung von Autor, Leser und Bot67 Spiegel, Geschichte (1994), 191; Dies., History (1990), 83. Es wird davon ausgegangen, „dass die textuelle Form eine zentrale Rolle spielt und formale Qualitäten mithin zentral für alltagsweltliche Typisierungskriterien sind“, Tophinke, Gattungsgrenze (1997), 166. 68 „Historische Operationalisierung bedeutet, die Kategorien auf die Ebene des historischen Mate­ rials zu transponieren, sie auf ihre historische Aussagefähigkeit zu prüfen und geschichtlich aufzuladen“, Löblich, Kommunikationsgeschichte (2008), 440; Schulze, Soziologie (1974), 243–249. 69 Eigenschaften werden hier im Sinne von Kategorien verstanden, d.  h. als Merkmalstyp, der den Forschungsgegenstand untergliedert, begrenzt und strukturiert und die Forschungsoperation systematisiert. Sie ergeben sich aus „Analysedimensionen“, welche „die globalen inhaltlichen Klassifizierungsvorstellungen des Forschers“ repräsentieren, Löblich, Kommunikationsgeschichte (2008), 437  f.; vgl. Kocka, Sozialwissenschaft (2003), 166; Ders., Sozialwissenschaften (2000), 10  f.; Früh, Inhaltsanalyse (2001), 39  f. Aus dem Gegenstand können sich noch weitere relevante Strukturen ergeben. Da der mit dem Begriff Kategorien verknüpfte theoretische Hintergrund nur unzureichend formuliert ist, wird der Begriff hier nicht verwendet. 70 Zu den verschiedenen Typen der Überlieferungssymbiosen siehe Bremer, Reiseliteratur (1992); zur Überlieferung und Rezeption siehe Kapitel VI. 71 Luckmann, Überlegungen (1997), 13.

Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung 

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schaft nach den jeweiligen Handlungsumständen und der kommunikativen Situa­ tion.72 Als Untersuchungsbegriffe zur Bestimmung eines Musters bieten sich Gattung oder Textsorte an. Die mit diesen theoretischen Basisbegriffen verbundenen Ansätze verfolgen in unterschiedlicher Denk- und Untersuchungsrichtung eine Merkmalsbestimmung und Klassifizierung vorfindbarer Texte nach bestimmten Kriterien. Beide sind gleichermaßen mit dem Grundproblem einer übergreifenden Typologisierung und systematischen Merkmalsbeschreibung konfrontiert,73 wobei in beiden Fällen kein Konsens darüber herrscht, welche Merkmale als textsorten- bzw. gattungsspezifisch gelten können. Ablesbar ist am konkreten Text ja immer nur „Historisch-Akzidentielles“, nicht „Ahistorisch-Substantielles“, was postulierte Verwandtschaftsverhältnisse und Typologien leicht anfechtbar macht.74 Gattungen sind im Wesentlichen historisch determiniert und eng an kulturelle, sozialgeschichtliche und literarische Rahmenbedingungen geknüpft.75 Ihre Realisation bezieht sich auf (inner)literarische Traditionen, Gattungsnamen entstammen einer historischen Entwicklung. Für eine literarische Kommunikation muss die Kenntnis ihrer Regeln und Konventionen vorausgesetzt werden, doch sind sie in der Einzelform „intentional gestaltbare, sehr flexible Gebilde“76. Insbesondere wegen der häufig willkürlichen präskriptiven Unterscheidungskategorien ist die Relevanz und Berechtigung von Gattungen umstritten.77 Im Unterschied zum Terminus Gattung bezieht sich der aus der Linguistik entlehnte Begriff der Textsorte auf einen „verallgemeinerten Objektbereich ‚Text‘“ und ist nicht historisch ausgerichtet.78 Auch ist die Konzeption der Textsorte weniger

72 Ebd. 73 Wenzel, Gattungstheorie (1998), 176  f. 74 Kuon, Möglichkeiten (1988), 238; Wenzel, Gattungstheorie (1998), 177. 75 Wenzel, Gattung (1998); Ders., Gattungstheorie (1998); Raible, Gattungen (1980); Brenner, Reisebericht (1990), 5. 76 Wenzel, Gattung (1998), 173. „Die Frage, ob ein konkreter Text einer Gattung angehört oder nicht, kann freilich jeweils nur im Rekurs aus das Gattungsbewusstsein seiner Leser entschieden werden, das ein labiles, mit zunehmender Komplexität der Texte nur schwer zu fassendes Wissen ist“, ebd.; Kuon, Möglichkeiten (1988), 250. Konsens besteht weitgehend darüber, dass Gattungen offene Systeme von Form- und Funktionsmerkmalen sind, Wenzel, Gattungsgeschichte (1998), 174; Todorov, Origin (1976/77), 162. 77 „Da alle traditionellen Verfahren der Gattungsklassifikation auf dem Prinzip beruhen, Texte zu einer Gattung zusammenzufassen, denen ein bestimmtes formales, strukturelles oder inhaltliches Merkmal gemeinsam ist, sind sie der Gefahr der Bildung von oberflächlichen logischen Klassen ausgesetzt, die wenig über die wirkliche Beschaffenheit der in ihnen zusammengefassten Objekte aussagen“, Wenzel, Gattungstheorie (1998), 177. 78 Der Terminus dient „als Oberbegriff für nichtliterarische und literarische Diskurstraditionen mit längerer Genese, immanentem Wandel und meist ‚übereinzelsprachlicher‘ Verbreitung.“ Textsorten entsprechen Idealtypen, zur Klassifikation dienen „(a) die makrostrukturellen Vertextungsmuster (sog. ‚Textmuster‘; z.  B. deskriptiv, argumentativ, narrativ), (b) die globalen Tätigkeits- und Dis-

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

auf grundlegende Strukturen bezogen, sondern auf erkenn- und dokumentierbare Textmerkmale, die auf die Funktionalität von Texten und deren Einbindung in eine soziale Realität abheben. Das konkrete Vorkommen stellt das Material zum Auffinden von Regeln zur Verfügung, Voraussetzung ist also, dass dasselbe zumindest partiell in diesem Sinne spezifisch ist.79 Auf historische Epochen angewendet ergibt sich dabei das Problem, dass der Textsortenbegriff nicht einfach übernommen werden und dieser nicht auf die historische Verortung der Gattungen eingehen kann. Doch bietet das Konzept gerade in Hinblick auf die mittelalterliche Textproduktion aufgrund seiner Offenheit für nichtliterarische und literarische Textformen und der Sensibilisierung für eine Textvielfalt eine Reihe produktiver Anregungen. In der fachwissenschaftlichen Diskussion haben sich die Fragestellungen und Ansätze der Textsorten- und der Gattungstheorie teilweise bis zur Ununterscheidbarkeit angenähert, so dass der Begriff Gattung auch jenseits literarisch etablierter Konzepte benutzt werden kann und textsortenspezifische Ansätze einschließt.80 Impulse der linguistischen Diskussion um die Bestimmung der Textsorte hat u.  a. Wilhelm Voßkamp für eine sozial- und funktionsgeschichtlich orientierte Gattungstheorie fruchtbar gemacht, die historisch (und nicht systematisch) bestimmt ist.81 Voßkamp definiert Gattungen als soziokulturelle Verständigungsbegriffe, deren historischer Charakter auf die jeweiligen Entstehungsbedingungen und damit auf den „wissenschaftsgeschichtlichen Ort, in dem sie entstanden und gebraucht werden“, verweist.82 Gattungen sind „Bedürfnissynthesen“, d.  h. „institutionalisierte Organisakursbereiche (z.  B. wissenschaftliche, politische, juristische Texte), (c) die Trägermedien (z.  B. Brief, Zeitung), (d) die dominanten Textfunktionen (z.  B. [sach]informierend), d.  h. senderintentional bestimmte Instruktionen (stets auf mehreren Ebenen, beginnend mit dem Titel als Präsignal), an den Textempfänger über den vom Sender erwünschten Verstehensmodus“, Große, Textsorten (1998), 530; mit anderem Gewicht Kallmeyer/Meyer-Hermann, Textlinguistik (1980), 255–258. Nach Gülich und ­Raible sind Textsorten selbst als systematische Einheiten zu verstehen, die mit textinternen Merkmalen zu beschreiben sind. Textsorten manifestieren sich im Textvorkommen, zur Beschreibung müssen textexterne Merkmale hinzukommen, Gülich/Raible, Textsorten-Probleme (1975). 79 Es ist ein Systembegriff, dem konkrete Textvorkommen als Manifestationen von Textsorten gegenübergestellt werden. Er kann sowohl auf ein Sprach- wie auch ein Handlungssystem bezogen werden, ebd., 144; Sandig, Stilistik (1978), 69  f.; Ermert, Briefsorten (1979), 88. Eine mitunter „substantialistische Auffassung vom ontischen Status der Textsorten“ ist aber nicht mehr diskutabel, Zimmermann, Überlegungen (2002), 4. 80 Sie werden nicht als sich ausschließende schematische Gegensätze verstanden, vielmehr haben sich die Fragestellungen einander angenähert. Nach Zimmermann sind es „gleichwertige, alternativ anwendbare Begriffe“, ebd., 6; Lockemann, Textsorten (1974); Textsorten (1983). 81 Voßkamp, Institutionen (1977), 27. 82 Voßkamp, Gattungen (1992), 253. „Hebt man den reduktiven Charakter bzw. die Selektionsstruktur von Gattungen besonders hervor, muss das Verhältnis der Gattungen jeweils zum literarischen und sozialen Kontext, in dem sie eingebettet sind, genauer bestimmt werden. (…) Prinzipiell dürfte die Beziehung von einzelner Gattung zum literarischen ebenso wie zum sozialen Kontext als bestimmte Reaktion (‚Antwort‘) aufzufassen sein, was abbildende oder oppositive (negationsästhetische) Momente durchaus mit einschließen kann“, Voßkamp, Institutionen (1977), 29.

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tionsformen literarischer Kommunikation, in denen spezifische Welterfahrung sedimentiert ist“ und „in denen bestimmte historische Problemstellungen bzw. Pro­blem­ lösungen oder gesellschaftliche Widersprüche artikuliert und aufbewahrt sind.“83 Über die deskriptive und analytische Erfassung eines Einzeltextes hinaus bietet die so definierte Gattung damit die Chance, deren übergeordnete Prinzipien als „soziokulturelle, literarisch-soziale Konsensbildungen und nicht als normative, transgeschichtliche Formkonstanten“84 zu betrachten. Das Augenmerk richtet sich dabei gleichermaßen auf die inhaltliche wie auf die formale Gestaltung des Textes, denn über ihre „formalen Qualitäten“ erst gewinnt eine Gattung in der Praxis Gestalt; sie spielen eine zentrale Rolle in der „alltagsweltlichen Typisierung“, zumal sich strukturelle Merkmale unmittelbar feststellen lassen.85 Ähnlichkeiten weist dieser Ansatz mit dem wissenssoziologischen Konzept der „kommunikativen Gattung“ von Thomas Luckmann auf. Unter Gattungen versteht Luckmann „spezifische kommunikative Handlungen“, die einem verfügbaren Gesamtmuster folgen und damit „im konkreten kommunikativen Handeln typisch erkennbar sind.“86 Im Vordergrund steht die grundlegende kommunikative Funktion der Gattung zur Entlastung und Lösung spezifischer kommunikativer Probleme.87 Die „gattungsmäßigen Verfestigungen kommunikativer Vorgänge [sind] ein Indiz ihrer Bedeutsamkeit in der kommunikativen Konstruktion und Rekonstruktion von Wirklichkeit in einer gegebenen Gesellschaft“ und damit ein „besonders wichtiges gesellschaftliches Medium der Objektivierung von Sinn.“88 Welche textspezifischen Merkmale können nun aber als konstitutiv für den vorliegenden Text präsupponiert werden? Welche Analysekategorien und Arbeitshypothesen stellen die theoretischen Vorannahmen zur Spezifizierung seiner ‚kommunikativen Handlung‘ zur Verfügung? Aufgrund des Beschreibungsgegenstandes wird Burchards Bericht thematisch der Gattung Reisebericht zugeordnet. Der Prolog weist den Text zudem als Produkt einer Gesandtschaftsreise aus und spezifiziert den Kontext der Reise in dieser Hinsicht. Ohne diesen Hinweis würde das Schriftstück zum übergeordneten Texttyp des Reiseberichtes zählen, zumal sich der angegebene Zweck recht allgemein auf die Darstellung des Fremdartigen bezieht.89 83 Ebd., 32; Brenner, Reisebericht (1990), 5. 84 Voßkamp, Gattungen (1992), 256. 85 Luckmann, Überlegungen (1997), 13; Voßkamp, Gattungen (1992), 258  f.; Tophinke, Gattungsgrenze (1997), 167. 86 Luckmann, Überlegungen (1997), 12. 87 „Kommunikative Gattungen sind (…) historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte Lösungsmuster für kommunikative Probleme. Darin liegt die gemeinsame Grundfunktion kommunikativer Gattungen. Diese Probleme sind aber vielfältig; sie variieren zudem innerhalb bestimmter – durch die Conditio humana gezogener Grenzen – von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Epoche zu Epoche“, ebd., 14. 88 Ebd., 16. 89 Siehe Kapitel II.3.1.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

Die Bestimmung textspezifischer Merkmale eines Texttypus Gesandtschaftsbericht in Abgrenzung zum Reisebericht gestaltet sich allerdings schwierig. Neben der Unsicherheit hinsichtlich einer genauen Begriffsbestimmung mittelalterlicher Außenpolitik90 und der Funktionsweisen internationaler politischer Kommunikation fehlt vor allem ein Konsens über relevante Texte, anhand derer Kriterien einer systematischen Typologie abgeleitet werden können.91 Als Produkt einer Reisetätigkeit bildet der Gesandtschaftsbericht im Mittelalter keine eigene Quellengattung, sondern wird der Reiseliteratur subsumiert.92 Der Gesandtschaftsbericht konstituiert sich anscheinend nicht nach gattungsspezifischen Eigenschaften und weist keine klaren Konturen auf, vielmehr muss er sich selbst als solcher ausweisen, sei es in der Zweckform eines amtlichen Berichtes oder einer persönlichen Darstellung.93 Auch wenn sich der vorliegende Text als Produkt einer Gesandtschaftsreise ausgibt, bleibt somit unklar, welche Funktion dem Text selbst zukam, sofern man dieser Auskunft überhaupt Glauben schenken darf. Keineswegs muss es sich um einen offiziellen 90 Eine auch für die Vormoderne anwendbare Definition von Außenpolitik liefert Dieter Berg: „Verzichtet man auf die Annahme, dass von ‚Außenpolitik‘ erst im Zusammenhang mit dem Entstehen souveräner, gleichberechtigter Staaten zu sprechen sei, so wird man jede politische Aktion eines Herrschers, die über die Grenzen des eigenen Machtbereichs hinausweist und höchst unterschiedliche Ziele – wie Sicherung der Expansion des eigenen Herrschaftsraumes, die Förderung sozio-ökonomischer Ziele, die Realisierung herrschaftsideologischer Konzeptionen oder ähnliches – unter Verwendung eines geeigneten Instrumentariums politischer Kommunikation verfolgte, als Akt außenpolitischen Handelns bezeichnen können“, Berg, Deutschland (1997), 4; Wefers, Versuch (1995); Kintzinger, Diplomatie (2010); Dünnebeil/Ottner, Handeln (2007). 91 Es fehlt für diesen Zeitraum eine Explikation von formalen und inhaltlichen Kriterien, welche die Anerkennung eines Textes als relatio oder relacio bestimmen, vgl. Chaplais, Practice (2003), 82–94. Als Grund kann die fehlende Schriftlichkeit in diesem Bereich angenommen werden, in dem Geheimhaltung von Herrschaftswissen die Praxis bestimmte. Boten und Gesandte hatten selbst die Funk­ tion eines „lebendigen Briefes“. Bei eher seltenen diplomatischen Kontakten und Erkundungsreisen, deren Praxis noch wenig institutionalisiert war, hatte die formale Gestalt möglicherweise wenig Signi­ fi­kanz für die Praxis. Zu fragen wäre generell, wer überhaupt ein Normierungsinteresse besaß und auf die Einhaltung einer bestimmten Form Wert legte. Die Berichte des 15. Jahrhunderts zeichnen sich dann durch eine thematische Zweiteilung aus: Im ersten Teil werden Erlebnisse und Belange der Gesandtschaftsreise, Begegnungen mit Würdenträgern, Zeremonielle und Verhandlungen geschildert, beim zweiten Teil handelt es sich eher um einen intelligence-report, der wichtige Informationen des besuchten Landes zusammenfasst, ebd., 244. 92 Reichert, Fernreisen (1998), 5  f.; Ders., Reisen (2008). 93 In der Regel dienten Modellbriefe als Vorlagen für die formale Gestaltung der Korrespondenz, bezeugt sind sie ab dem 13.  Jahrhundert, dazu besonders die Arbeiten von Benoît Grévin: Grévin, Documents (2013); Ders., Dictamen (2010); Ders., Rhétorique (2008); Ders., Regroupements (2008); Ders., Mystères (2008) sowie Aigle, Rédaction (2013), 10; Autrand, Enfance (1998). Zu diplomatischen Dokumenten wie Geleitbriefen, Empfehlungsschreiben, Kredenzen, Vollmachten, Briefen, Instruktionen etc. siehe insbesondere Chaplais, Practice (2003), bezogen auf England im 12.  Jahrhundert; Queller, Office (1967), 110–148. Die im 13. Jahrhundert entstandene ‚Summa prosarum dictaminis‘ listet die diplomatische Korrespondenz unter dem Terminus littere missiles auf, Rockinger, Briefsteller (1863/64), 260.

Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung 

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Gesandtschaftsbericht (relatio) handeln, er kann aus ganz anderen Beweggründen entstanden sein, womit die unterstellte Darstellungsabsicht und der Geltungs­ anspruch des Textes wiederum in einem allgemeineren Kontext einer Reise zu fassen wären. Selbstredend stellt die Funktion eines Textes keine ihm „innewohnende Qualität“ dar, sondern ergibt sich erst aus dem Verhältnis des Textes zu einer gesetzten Bezugsgröße.94 Ausgangspunkte für eine nähere Bestimmung des Gesandtschaftsberichtes als Sonderfall oder Subgattung des Reiseberichtes bieten Merkmale des übergeordneten Reiseberichts. Reiseberichte zählen zu den „ältesten Gattungen der abendländischen Literatur“95 und beinhalten ganz unterschiedliche Texttypen, die nach Anlässen, Zielen, Form, Publikum etc. unterteilt werden können, deren Abgrenzung jedoch schwierig und nicht eindeutig ist.96 Nach verbreiteter Auffassung kann mit dem Terminus Reisebericht im weiteren Sinn „alle Literatur, die sich mit Reisen befasst“ bezeichnet werden, im engeren Sinn setzen Reiseberichte ein reales Reiseerlebnis voraus.97 Die Funktion bestimmt Peter Brenner in der „Vermittlung authentischer, durch Autopsie gewonnener Informationen“.98 Mit der Authentizitätsverpflichtung verbinde sich zugleich eine Entpflichtung „gegenüber ästhetischen Erwartungen.“ Eine zufriedenstellende Gattungspoetik des Reiseberichtes ist jedoch weder für die Neuzeit und noch weniger für das Mittelalter gegeben.99 Als problematisch erweist sich die Übertragung neuzeitlicher gattungstheoretischer Merkmale auf mittelalter­ liche Texte, solange die aus der neuzeitlichen Definition stammenden Merkmale nicht konsequent historisiert und der jeweilige soziale Kontext bedacht wird. Funktionsgeschichtlich ist eine Typologie von Reiseliteratur nach textextern (Rezept, Protokoll, Gebrauchsanweisung) und textintern (Brief, Tagebuch, Reise­ bericht, Essay) gebundenen Textsorten, wie sie Wolfgang Neuber für neuzeitliche Reiseberichte vorschlägt, sinnvoll – auch wenn Neuber den mittelalterlichen Reisebericht ausdrücklich davon ausschließt.100 Auch bei mittelalterlichen Texten korreliert eine „texttypologische Trennungslinie“ mit der zugrundeliegenden Darstellungsab94 Zimmermann, Überlegungen (2002), 11. 95 Brenner, Reisebericht (1990), 1. 96 Alle Reisen weisen das gemeinsame Merkmal der Rückkehr in die Heimat auf. Aufbruch, Aufenthalt und Rückkehr sind aber von unterschiedlichen Absichten bedingt, Dorninger, Travelogues (2010), 2102  f.; Brenner, Reisebericht (1990), 1; 47  f.; Borgolte, Experten (2011); Reichert, Fernreisen (1998), 5  f.; Hassauer, Reiseliteratur (1987); Neuber, Gattungspoetik (1989). 97 Dorninger, Travelogues (2010), 2102  f. 98 Brenner, Reisebericht (1990), 1. 99 „Die heute gängigen Gattungsbegriffe erweisen sich als untauglich, um die Heterogenität des Textcorpus unter einen Gattungsbegriff ‚Reiseliteratur‘ zu subsumieren.“ Einzig die „Konvergenz der thematischen Dominante ‚Reise‘“ hält die Vielzahl der Gattungen zusammen, Hassauer, Reiseliteratur (1987), 261; vgl. auch Brenner, Reisebericht (1990); Neuber, Gattungspoetik (1989); Zimmermann, Überlegungen (2002); zum Gattungsbewusstsein im Mittelalter siehe Frank, Innensicht (1997); Grubmüller, Gattungskonstitution (1999); Kindermann, Gattungssysteme (1989); Jauß, Theorie (1972). 100 Neuber, Gattungspoetik (1989), 53.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

sicht, welche wiederum mit Anlass und Zweck der Reise in Verbindung steht.101 In diesem Horizont erscheint ein Sachbericht, dem es hauptsächlich um das Material geht, als Sachprosa, die zum Bereich historiographischer Geschichtsschreibung gerechnet wird.102 Nach neuzeitlichem Verständnis fungiert er als Dokument einer authentischen Historizität, bleibt er doch an einen bestimmten Zeitpunkt der Vermittlung gebunden.103 Bei der Bestimmung konstitutiver Merkmale mittelalterlicher Reiseberichte erweist sich jedoch schon das zentrale gattungsspezifische Merkmal: der unbedingte Bezug zu einer tatsächlichen Reise und die Vermittlung eigener Beobachtungen, aufgrund des mittelalterlichen Erfahrungsbegriffs als untauglich bzw. wenig aussagekräftig. Wie Marina Münkler aufgezeigt hat, ist eine Vermischung von Vor- bzw. Toposwissen und Erfahrung allen Berichten inhärent, beide Wissensarten wurden gleichermaßen mit dem Begriff der Erfahrung bezeichnet. Der aristotelischen Trias von Wahrnehmung, Erinnerung und Erfahrung zufolge bildete sowohl direktes als auch vermitteltes Erinnerungswissen Ausgangspunkt jeder Erfahrung und Beschreibung:104„Aus der Erinnerung entsteht nämlich für die Menschen Erfahrung; denn viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen einer Erfahrung (…).“105 Der Erfahrungsbegriff beschränkte sich eben nicht nur auf das Selbstgesehene, sondern schloss auch das auf anderen Wegen vermittelte Wissen ein. Da Erfahrung sich in erster Linie auf die res bezog, war eine schematische Trennung von Eigen- und Fremderfahrung, also der Bereiche Empirie und Vorwissen (Traditionswissen) dem Mittelalter fremd.106 Unter dieser Voraussetzung war auch die Augenzeugenschaft nicht an die eigene Anschauung gebunden, vielmehr wurde in Augenzeugenberichten die „Realität der Erfahrung in der personal zuschreibbaren Rede des Augenzeugen“ vergegenwärtigt.107 „Nicht die Außerkraftsetzung des Autopsieprin101 Vgl. Dorninger, Travelogues (2010), 2102. 102 Neuber, Gattungspoetik (1989), 53. Neuber beschränkt die Zuordnung des Reiseberichts zur Historiographie auf die Epoche der Neuzeit. Der mittelalterliche Reisebericht sei hingegen einem „allegoretischen Realitätsbegriff“ unterworfen „ohne jedoch dem Fach der Geschichte zuzugehören. (…) Nicht der Gewinn neuer Kenntnisse ist das Ziel des Reiseberichts, da alles zu Wissende durch die Antike, vornehmlich die Bibel, bereits festgestellt ist“, ebd., 56. 103 Ebd., 54. Verbunden damit ist eine „niedere bis mittlere Stilebene“, die die Wahrhaftigkeit verbürgt, „nur Augenzeugenschaft garantiert vollständige Information, nur moralisches Desinteresse des Augenzeugen am Bericht macht ihn unverdächtig, denn: Das Ereignis selbst ist lehrhaft, nicht seine Erzählung.“ Nach Neuber konstituieren Rhetorik und Topik das theoretische Vorfeld der Gattung. Beide Bereiche hängen von einem geschichtlich begründeten Empiriebegriff ab, der sich auch in den dispositionellen Mustern zeigt. Diese Bestimmung qualifiziert Neuber als genuin neuzeitlich und setzt die mittelalterliche Wissensorganisation von Reiseberichten davon ab, ebd., 56. 104 Vgl. die kognitionswissenschaftliche Erörterung der Wahrnehmung bei Fried, schon die Wahrnehmung des Geschehens selbst wird durch Erinnerung gelenkt, Fried, Schleier (2004). 105 Aristoteles, Metaphysik, I, 1. Ed. Seidl (1982), 5. 106 Aristoteles, Metaphysik, I, 1–6. Ed. Seidl (1982), 2–43; Münkler, Erfahrung (2000), 276; Newmann, Clash (2005); Kambartel, Erfahrung (1972), 609–611. 107 Münkler, Erfahrung (2000), 282.

Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung 

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zips führte in dieser Konsequenz zur Tradition des Abschreibens, sondern seine prinzipielle Gültigkeit“.108 Der Augenzeuge bezeugte „als Gesehenes, was im Text sich beschrieben“ fand, doch das musste nicht von ihm stammen.109 Gattungsprägende Dominante der Augenzeugenberichte über die Fremde, wie auch Burchards Bericht einer ist, ist nach Münkler die Dominanz des Autors als Augenzeuge im mittelalterlichen Verständnis von Erfahrung. Da in diesen Berichten nicht die Reise, sondern die Schilderung von Erfahrung durch ein Subjekt im Mittelpunkt steht, plädiert sie für die Verwendung der Bezeichnung ‚Augenzeugenbericht‘ anstelle von ‚Reisebericht‘.110 „Die Reise ist sowohl im Hinblick auf die Wissensorganisation der Kontaktsysteme, die sie gezielt einsetzen, als auch auf die argumentative Struktur der Berichte nur das Vehikel der Augenzeugenschaft, die unerlässliche Voraussetzung des Sehens, ohne dass sie selbst ein zentrales Element der Darstellung bildet oder als regulatives Element der Verschriftlichung von Erfahrung dient, wie dies durch die ars apodemica seit dem späten 15. Jahrhundert entwickelt wird.“111 Denkbar ist im Extremfall eine als Reisebericht akzeptierte Darstellung, die ausschließlich auf Fremderfahrung beruht, dessen Verfasser sich aber dennoch als Augenzeuge ausgibt.112 Verbunden mit den mittelalterlichen Konstitutionsbedingungen von Erfahrung ist auch eine vom modernen Verständnis abweichende Auffassung von Fiktionalität. Fiktionalität bedeutet „nicht das intentionale Abweichen vom Faktischen einer vorgegebenen Realität, sondern vielmehr von dem, was einer Gesellschaft an einem bestimmten geschichtlichen Ort als das Glaubhafte erscheint. Die Kriterien ‚fiktiv‘ versus ‚realitätskonform‘ werden dadurch als literaturwissenschaftliche analytische Kategorien der Poetik des Reiseberichts obsolet.“113 Unterscheidungskriterien der Reiseberichte, die sich am Verhältnis von Empirie und Tradition als Indikatoren einer erkennbaren zugrundeliegenden Wirklichkeitsauffassung orientieren, besitzen hier keine Aussagekraft.114 108 Ebd., 273. 109 „Die spätmittelalterlichen Orientberichte entfalten somit nicht eine Topik des von einer bestimmten Person an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit Gesehenen, sondern eine Topik des Sichtbaren, desjenigen, das von einem Augenzeugen als Gesehenes bezeugt werden kann. Der Fernostasienbericht ist daher nicht unbedingt der Bericht einer Reise, sondern die Reise ist Element der Repräsentation des Augenzeugen, die ihrerseits Repräsentation der vom Bericht selbst geleisteten Weltschau ist“, ebd., 284; zur Augenzeugenschaft zuletzt Rösinger/Signori, Figur (2014). 110 Münkler, Erfahrung (2000), 285. 111 Ebd. 112 So im Falle des Jean de Mandeville, ebd., 285. 113 Neuber, Gattungspoetik (1989), 51  f. Daraus ergibt sich die Ablehnung einer Unterscheidung nach „zunehmender epischer Integration“, d.  h. nach „einer zunehmenden Fiktionalisierung bei abnehmender außersprachlicher Realität“, wie sie Manfred Link für die Neuzeit vorgeschlagen hat. Dessen Entwurf setzt „die Darstellung äußerer Realität mit Zweckbindung, die Darstellung innerer Realität mit Fiktionalität“ gleich, was sich an konkreten Beispielen nur schwer verifizieren lässt, ebd., 51; Link, Reisebericht (1963), 7–11. 114 So Brenner, Reisebericht (1990), 52  f.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

Die nach modernem Verständnis aufscheinende Vermischung von Fakten und Fiktionen betrifft als Merkmal alle Subgattungen des Reiseberichtes, und müsste somit auch für den Gesandtschaftsbericht gelten. Jedoch muss dem Gesandtschaftsbericht eine vom allgemeinen Reisebericht abweichende, spezifische Zweckbedingtheit unterstellt werden. Denn die Absicht von Gesandtschaftsberichten kann grundsätzlich in der Vermittlung von Erfahrung und damit verbunden in der Behebung von „Wissensasymmetrien“115 gesehen werden, während bei anderen Subgattungen des Reiseberichtes durchaus andere Funktionen dominieren.116 Einer politisch motivierten Reise liegt ein anderes „Problem“ zugrunde, was entsprechend andere Lösungsmöglichkeiten in der Darstellung fordert. Auch wenn der mittelalterliche Erfahrungsbegriff seine Gültigkeit behält, stellt doch die tatsächliche Reise und die Notwendigkeit der direkten Informationsbeschaffung einen Ausgangspunkt dar, von dem aus das Festhalten empirischer Erfahrung im Sinne eines aktualitätszentrierten Zugriffs auf Wissen notwendig wird. Die soziale Rolle des Berichts liegt damit in der Vermittlungsfunktion neuer Informationen, und an diesem Punkt muss die Frage nach der Differenzierung von Reise- und Gesandtschaftsbericht ansetzen. Aus einer Funktionsbestimmung von Gesandtschaftsberichten können texttypologische Konsequenzen im Sinne einer ‚Bedürfnissynthese‘ abgeleitet werden, welche als Charakteristika zugleich die Gattungsgrenze zu anderen Reiseberichten markieren, ohne dabei eine Gattung Gesandtschaftsbericht als Ganzheit fassen zu wollen.117 Mangels Vergleichsquellen ergeben sich diese Eigenschaften nicht aus Analogieschlüssen und mengentheoretischen Verfahren,118 sondern aus Annahmen zu Funktion und sozialer Praxis der Gesandtschaft im 12. Jahrhundert. 1. Auch wenn Gesandtschaftsreisen mit unterschiedlichen Zielsetzungen stattfanden, dienten sie grundsätzlich der Vermittlung oder/und Beschaffung politisch relevanter und aktualitätsbezogener Informationen. Von absoluter Wichtigkeit für den Auftraggeber war die anschließende Berichterstattung in mündlicher und/ oder schriftlicher Form. Einem Gesandtschaftsbericht lag schon vor Reiseantritt ein Berichtsauftrag zugrunde, der seine spezifische kommunikative Funktion bestimmt. Insofern war das Erstellen eines Ergebnisberichts Ausgangspunkt der Reise, nicht umgekehrt. Konsequenzen müsste die grundlegend wissensvermittelnde Funktion des Textes in Hinblick auf die Darstellungsprinzipien haben: Sie müsste sich im 115 Luckmann, Überlegungen (1997), 14. 116 In Anlehnung an Zimmermann wäre z.  B. für Pilgerberichte in der über Generationen hinweg wiederholten und bestätigten Norm eine memoriale, stabilisierende oder zertifizierende Funktion zu erkennen. Nicht nur für neuzeitliche Reiseberichte sind die Unterhaltungsfunktion wie auch biographisch-memoriale Funktionen anzuführen, Zimmermann, Überlegungen (2002), 12–14. 117 Vgl. Tophinke, Gattungsgrenze (1997), 166. 118 Vgl. ebd., 164; Chaplais, Practice (2003), 19; 47. Das Fehlen von Vergleichsquellen in dieser Zeit bedeutet nicht, dass Gesandschaftsbriefe nicht in der Kanzlei archiviert wurden. Die indirekte Überlieferung in Chroniken, wie im vorliegenden Fall in der Chronik Arnolds von Lübeck, der auch weitere Briefe inseriert, bezeugt die Aufbewahrung und Sicherung zumindest für einen bestimmten Zeitraum.

Bestimmungsmöglichkeiten der Textgattung 

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Organisationsprinzip des Berichtes, in der Systematik der Beschreibung und einer strengeren Selektionsstruktur widerspiegeln. Hinweise auf einen praxisorientierten Zusammenhang des Textes könnten demnach aus der Form und Struktur gewonnen werden. Ähnlichkeiten sind mit Texten zu erwarten, die durch ähnliche Funktionen der Informationsbeschaffung bestimmt sind.119 2. Gesandtschaftsberichte sind prinzipiell exklusiv für den Auftraggeber selbst oder für einen spezifischen Adressatenkreis in dessen Umfeld bestimmt. Das „kommunikative Milieu“ und die „kommunikative Situation“ sind bekannt, die wechselseitigen Beziehungen von Adressat und Adressant definiert. Eine funk­tio­nale Spezifizierung müsste demzufolge aus der Verwendung bzw. dem Verzicht bestimmter rhetorischer und stilistischer Elemente erkennbar sein, da sich das vorbestimmte Verhältnis auf Formen der Präsentation und der rhetorischen Ausgestaltung (Argumentation und Persuasion) auswirkt und bestimmte Textstrategien ein- bzw. ausschließt oder überflüssig macht. 3. Aufgrund des angenommenen mehr oder weniger spezifizierten Berichtsauftrages ist die Selektion der Berichtsgegenstände inhaltlich vorbestimmt. Da aus den möglichen und vorhandenen Aussagen über eine res nur ganz bestimmte ak­tuelle Informationen relevant sind, kann zumindest ein Schwergewicht auf der Darstellung aktueller Verhältnisse vorausgesetzt werden, welche nicht oder nur bedingt aus älteren Quellen übernommen werden können. Auch wenn sich in der Darstellung verschiedene Wissensarten mischen, müsste sich der Gesandtschaftsbericht inhaltlich von anderen Reiseberichten unterscheiden, bei denen historische, biblische und legendenhafte Elemente eine größere Rolle spielen. Das kognitive Schema, über das der Autor verfügt und das ihn zur Erfassung und Selektion von Ereignissen und Situationen befähigt, macht damit zugleich einen internen und einen externen Bestimmungsfaktor der Gattung aus. 4. Das für diplomatische Unternehmungen relevante Wissen kann einer bestimmten Wissensform zugeordnet werden, die sich aus den für die diplomatische Beziehung kennzeichnenden Bedürfnissen, genauer: aus der „sehr spezifischen Praxis der gezielten Beobachtungen anhand vorgegebener Fragestellungen“ ergibt.120 Die innerhalb bestimmter Kulturbeziehungen agierenden Personen können nach berufsbezogenen „Trägergruppen von Kulturbeziehungen“ oder abstrakter als Kulturkontaktsysteme bestimmt werden, wobei der Terminus System die funk­tio­na­len Beziehungen betont. Nach Münkler unterschieden sich die unterschied­lichen Kontaktsysteme v.  a. darin, „welche Bezugnahme auf die fremde Kultur ihre institutionelle Praxis begründete, d.  h. welchen Funktionskriterien sie unterlagen, welche Absichten mit ihnen verknüpft wurden und welche Handlungs­imperative zu ihrer Unterhaltung befolgt 119 Luckmann, Überlegungen (1997), 15  f. Luckmann bestimmt „Gattungsfamilien“ nach funktionaler, weniger nach thematischer Übereinstimmung. Hinzu kommen „Gattungsnachbarschaften“, die sich empirisch auf die Abfolge von Handlungsmustern beziehen. 120 Münkler, Erfahrung (2000), 19.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

werden mussten.“121 Das für die diplomatischen Akteure relevante Wissen wird als kategorial bestimmt, denn es richtete sich „auf jene Elemente der fremden Kultur, die es als bezeichnend für diese Kultur bestimmte und überführte sie in ein geordnetes Aussagefeld, das diese bezeichnenden Elemente organisierte.“122 Dieses Wissen wurde von den Vertretern diplomatischer Beziehungen produziert und kursierte innerhalb des ‚Kontaktsystems‘ der Diplomatie. Eine Fokussierung auf diese Wissensform müsste in der Darstellung erkennbar sein, doch auch andere Wissensformen (z.  B. instrumentelles und operatives Wissen) sind zu erwarten, da sich das Augenmerk je nach Wissensstand und Absicht der Delegation auch auf andere Bereiche richtete und generell Interaktionen mit Vertretern anderer Kontaktsysteme angenommen werden können. Generell ist die „kategorisierende Aneignung der Wirklichkeit immer schon vorgegeben durch die soziale Praxis, an der der Einzelne partizipiert und aus deren spezifischer Perspektive ihre Aneignung geschieht.“123 Die hier vorgeschlagenen Eigenschaften eines Gesandtschaftsberichtes leiten als Arbeitshypothesen die folgende Untersuchung der Wissens- und Darstellungsform des Burchardberichtes. Im Zusammenspiel dieser Komponenten müsste die Zugehörigkeit zu einer Textsorte oder Gattung ‚Gesandtschaftsbericht‘ typologisch anhand informationeller, textlinguistischer und stilistischer Merkmale erkennbar sein, welche in Hinblick auf die für den Adressaten bestimmte Botschaft funktionalisiert sind.124 Makrostruktur, die dominante wissens- oder informationsvermittelnde Funktion, eine erkennbare Einbettung in die diskursive Praxis der Diplomatie sowie die mediale Form125 sind dementsprechend auf ihren „situativen Gebrauch“ und ein zugrundeliegendes produktionstheoretisches Anliegen hin zu prüfen. Die Trennung von strukturellen und inhaltlichen Merkmalen ermöglicht das Erkennen auch in Grenzfällen, wo ein Aspekt weniger ausgeprägt ist, doch sind beide als relevante Bestandteile anzusehen. Ein positiver Befund hinsichtlich eines oder mehrerer der aufgestellten Kriterien kann als zumindest notwendige, wenn auch nicht als hinreichende Bedingung angesehen werden, dass es sich um eine relatio handelt. Finden sich die angenommenen Merkmale allerdings nicht, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht unbedingt das Gegenteil, es sind dann aber mehrere Entstehungsmöglichkeiten für den Text denkbar, eine spezifische kommunikative Funktion ist dann nicht genauer festzulegen.

121 Ebd., 17. 122 Ebd., 19. 123 Tophinke, Gattungsgrenze (1997), 170. 124 Vgl. Knape, Rhetorik (2000), 108. 125 Vgl. Zimmermann, Überlegungen (2002), 8.

Textgestalt und Rhetorik 

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Zur Bestimmung der spezifischen kommunikativen Funktion sollen im nächsten Abschnitt die Makro- und Mikrostruktur126 des Textes zur Überprüfung der unter Punkt (1) und (2) aufgeführten Vorannahmen untersucht werden. Die Fragen richten sich auf Materialauswahl und Anordnung, dispositionelle Muster, Stil, Rhetorik und Topik, d.  h. auf ein geordnetes Aussagefeld nach vorgegebener Fragestellung und erkennbarer Systematik, die dem Gewinn neuer empirischer Kenntnisse entspricht.

II.3 Textgestalt und Rhetorik II.3.1 Makrostruktur und Textorganisation Formal untergliedert sich Burchards Bericht in die zwei Bestandteile Exordium127 und Narratio128. Ein Schluss bzw. Schlusssatz im Sinne einer Conclusio129 ist nicht in allen Textträgern gleichlautend überliefert und kann daher nicht als ursprünglich betrachtet werden. Auch ein festgeschriebener Titel oder Incipit existiert nicht, die Darstel-

126 Die Makrostruktur beinhaltet hier die hierarchische Textgliederung nach Textbestandteilen und Organisationsprinzipien, berührt aber auch die (literaturwissenschaftliche) Frage nach dem Charakter des Berichts und seiner Teile, vgl. ebd., 10. 127 In der klassischen Rhetorik ist das Exordium der erste Teil der Rede, definiert als „eine Äußerung, die den Geist des Hörers in geeigneter Weise auf den restlichen Vortrag vorbereitet“: exordium est oratio animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem, Cicero, Inventione, I, 15, 20. Ed. Nüßlein (1998), 44. Allgemeinste Norm des Exordiums ist die „Angemessenheit an die jeweilige Redesituation gemäß den Gesichtspunkten ‚quid, apud quem, pro quo, contra quem, quo tempore, quo loco quo rerum statu, qua vulgi fama dicendum sit‘ (was, vor wem, für wen, gegen wen, zu welcher Zeit, an welchem Ort, bei welchem Stand der Dinge und unter welcher öffentlichen Meinung er reden muss)“, Schöpsdau, Exordium (1996), Sp. 137  f. Unterschieden wird das sachlich-argumentative Prooemium (oder Principium bei Cicero und in der Rhetorica ad Herennium) von der auf irrationale Mittel zurückgreifenden Insinuatio, Zinsmaier, Insinuatio (1998); Männlein-Robert, Prooemium (2005); Marqués López, Prolog (2005), 203. Zum Exordium siehe auch: Ottmers, Rhetorik (1996), 54–64; Lausberg, Rhetorik (2008) §§ 263–288, 150–160; Christes, Realitätsnähe (1978); Donnelly, Function (1911/1912). 128 Zweiter Teil der Rede ist die Narratio, die in der antiken und mittelalterlichen Rhetorik als „Element komplexerer Textzusammenhänge“ und nicht als eigenständige Textsorte behandelt wird. Im Anschluss an die Darlegung des Sachverhalts (propositio) folgt dessen Erörterung (argumentatio). Ursprünglicher Ort der Narratio war die Gerichtsrede als spezifische Darstellung des Tathergangs (Diegese). Nach Aristoteles kann sie als Zusammenfassung des Sachverhalts auftreten, auf den der anschließende Beweisgang folgt, Aristoteles, Rhetorik, III, 13. Ed. Rapp (2002), 152. Siehe dazu Knape, Narratio (2003); Lausberg, Rhetorik (2008) §§ 289–347, 163–189; Quadlbauer, Theorie (1962); Barwick, Gliederung (1928). 129 Die Conclusio (Peroratio) bleibt als Redeschluss im Mittelalter „stereotyper Bestandteil“ der ars dictaminis und ars praedicandi, Peters/Hambsch, Conclusio (1994), Sp. 335; Lausberg, Rhetorik (2008) §§ 431–442, 236–240.

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lung beginnt mit zwei Einleitungssätzen, welche in der Funktion eines Prologes130 dem eigentlichen Bericht vorangestellt sind. Anno incarnationis dominice MCLXXV dominus Fridericus Romanorum imperator et augustus misit me Burchardum Argentinensem vicedominum in Egyptum ad Salahadinum regem Babylonie. Quecumque igitur in mihi commissa legatione vidi vel veraciter percepi que habitabili nostre terre rara vel extranea videbantur per mare et per terram scripto commendavi.

Die Nennung des Auftraggebers Kaiser Friedrich, Burchards eigene Funktion als Gesandter, sowie die Angabe des Ziels, Saladin in Ägypten aufzusuchen, weisen den Bericht als Produkt einer Gesandtschaftsreise aus, welcher die unmittelbaren Beobachtungen (vidi) und Erfahrungen (percepi) des missus während dieses Aufenthaltes wiedergeben soll. Mit den Angaben von Zeit, Ort und Absicht verankert der Verfasser Geschehen und Überlieferungssituation in einem feststehenden und nachvollziehbaren Tatbestand. Gemäß der für das Mittelalter maßgeblichen klassischen Rhetorik131 besteht die grundlegende Funktion des Exordiums oder Prologes darin, den Hörer oder Leser in 130 Im Mittelalter wird der Terminus des literarischen Proömiums durch Praefatio oder Prologus ersetzt. Schon Aristoteles unterscheidet zwischen rhetorischem Proömium und dichterischem Prolog, Schöpsdau, Exordium (1996), Sp. 139. In historischen und philosophischen Schriften dient der Prolog mangels Überschrift als Themenangabe oder Information; festzustellen sind im Unterschied zur An­tike weitere Differenzierungen von den sonst synonym gebrauchten Termini Exordium und Proömium, Männlein-Robert, Prooemium (2005), 250; 255. In der Antike galt der Prolog besonders in Rhetorik, Literatur und Theater als Vorrede. Seine Funktionen bestanden in 1. der „Selbstdarstellung des Dichters (…); 2. [der] Präsentation von Titeln, Rollen, Szenen und Schreibanlässen; 3. [der] Einführung in den Hintergrund und die Vorgeschichte der Handlung; 4. [der] Begrüßung des Publikums  (…); 5. [der] Gewinnung der Publikumsgunst durch das Versprechen, eine Neuigkeit oder eine Überraschung zu präsentieren; 6. [der] Ankündigung des Spielbeginns“, Marqués López, Prolog (2005), 202. Im Mittelalter liegt das Gewicht auf der captatio benevolentiae, ebd., 205. Ähnliche rezeptionssteuernde Maßnahmen des Autors bezeichnet der von Gérard Genette geprägte, strukturalistisch orientierte Begriff des Paratextes, Genette, Seuils (1987); Antor, Genette (1998). 131 Die Rhetorik als systematisch beschriebene und gelehrte Disziplin (techné) geht auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurück und entstand als „Kunst der Meinungsbeeinflussung durch eine triftig argumentierende, sinnvoll gegliederte und wirkungsvoll vorgetragene Rede“ innerhalb der gerichtlichen Praxis der griechischen Polisstaaten, wo die wichtigsten Entscheidungen in der Volksversammlung getroffen wurden und die überzeugende Rede zur politischen Schlüsselqualifikation wurde, Müller, Rhetorik (1998), 463; Engels, Genera (1996), Sp. 705. Die Etablierung der Rhetorik als Disziplin soll auf Empedokles zurückgehen, erste Lehrschriften stammen von Korax und Teisias (nach 467 v. Chr.), sind aber nicht erhalten, ebd., Sp. 705. Unter den Sophisten treten im 5. und 4. Jahrhundert Gorgias, Protagoras, Prodikos und Hippias als Autoren hervor. Einflussreich für das rhetorische Lehrgebäude war die Einteilung der Redegattungen von Aristoteles, die er aus der rednerischen Praxis Athens entwickelte. Er fügte der gerichtlichen und politisch-beratenden Rede die epideiktische Rede hinzu, ebd., Sp., 707. In Rom wurde die Rhetorik zum Bestandteil der artes liberales und ist „substantielle Voraussetzung für das Engagement im politischen Leben und Wirken und damit für den gesellschaftlichen Status“, Zinsmaier, Rhetorik (1998), Sp. 3. Einflussreich waren besonders Ciceros und Quintilians Schriften zur

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geeigneter Weise auf den daran anschließenden Vortrag vorzubereiten. Zu diesem Zweck liegt dem Prolog eine dreifache Exordialtopik zugrunde: Er soll den Zuhörer wohlwollend (benevolus), aufmerksam (attentus) und für die zu vermittelnde Information aufnahmefähig (docilis) machen.132 Für die einzelnen Aufgaben stehen spezielle Suchformeln (Topoi) zur Verfügung: Die Gewinnung der benevolentia geht entweder von der Person oder von der Sache aus (loci a persona oder loci a re). Aufmerksamkeit erreicht der Redner oder Autor, indem er „auf die Wichtigkeit oder Neuartigkeit des Falls“ hinweist oder auch einfach um Aufmerksamkeit bittet, wobei er sich auch affektivischer Mittel bedienen darf; aufnahmefähig macht er den Hörer durch kurzes Aufzählen der Handlungsgegenstände.133 Abhängig ist die Gestaltung des Prologs von Adressat, Adressant und der causa; bei vorheriger Kenntnis des Themas und des Redners konnte er entfallen bzw. kürzer ausfallen.134 Burchards Prolog erfüllt die von der klassischen Rhetorik gebotenen drei Funktionen eines ersten Teils der Rede: die Information über den folgenden Gegenstand, die argumentative oder emotionale psychologische Vorbereitung (captatio benevolentiae), und den Aufbau einer Erwartungshaltung.135 Seine Topik dient in erster Linie der Gewinnung der Aufmerksamkeit und weniger des Wohlwollens der Leser; beides

Ausbildung der Redner. Augustinus verband die antike Tradition mit der christlichen Lehre, da der ideale christliche Redner kein anderes Ziel kennt, „als die Seele für Christus zu gewinnen.“ In augustinischer Tradition stehen rhetorische Lehren des Mittelalters, so von Alkuin und Hrabanus Maurus, ebd., 4. Die antiken Schriften wurden unterschiedlich intensiv rezipiert, am häufigsten überliefert sind Ciceros ‚De Inventione‘ mit 180 Abschriften bis zum Jahr 1200 und die Rhetorica ad Herennium (150 Exemplare); Quintilian blieb hingegen „ein Werk für Spezialisten“, Knape, Stilistik (2008), 56. Im Unterschied zur Antike dominierte im Mittelalter die schriftliche Rede und die Vermittlung durch imitatio, die Ausbildung diente der Tätigkeit als Notar oder Sekretär. Zur Rezeption und Verbreitung antiker Rhetoriken siehe Knape, Stilistik (2008), 56; Murphy, Education (2005); Ders., Rhetoric (2001); Ders., Eloquence (1978); Troyan, Rhetoric (2004); Fried, Nutzen (1997). 132 Marqués López, Prolog (2005), 202; Schöpsdau, Exordium (1996), Sp. 137  f.; Wessel, Captatio (1994); Christes, Realitätsnähe (1978); Quintilian, Institutionis, IV, 1, 5. Ed. Rahn (2011), 406; Cicero, Inventione, I, 15, 20. Ed. Nüßlein (1998), 44; Rhetorica ad Herennium, I, 4, 6. Ed. Nüßlein (1994), 12  f. 133 Schöpsdau, Exordium (1996), Sp. 137. Im Unterschied zu rhetorischen zeichnen sich literarische Proömien durch eine Reihe von Topoi aus, die im Bereich der Rhetorik weniger etabliert sind. Zu nennen sind nach Männlein-Robert, Prooemium (2005), Sp. 250  f.: a) die captatio benevolentiae, realisiert durch z.  B. die b) invocatio; c) die eigene Vorstellung des Autors (Sphragis); sie markiert das geistige Eigentum und ist oft verbunden mit d) der excusatio als Äußerung der Bescheidenheit und e) der Legitimierung des eigenen Tuns. „Das Proömium versteht sich als Reaktion auf die Bitte eines anderen, als Erfüllung eines von den Musen gegebenen Auftrags oder aber als f) Empfehlung oder Ermahnung einer anderen Person.“ Fakultativ ist g) die dedicatio; verbreitet v.  a. im Mittelalter sind h) Metaphern mit topischer Wirkung und i) topische Schlussverse. 134 Calboli Montefusco, Exordium (2007); Männlein-Robert, Prooemium (2005), 252; Lausberg, Rhetorik (2008) § 284, 162; vgl. auch Chaplais, Practice (2003), 125. 135 Er enthält alle notwendigen topischen Elemente der Vorrede, wie sie nach dem ordo naturalis der partes orationis für den ersten Teil einer Rede bestimmt sind, Ernst, Ordo (2003); Calboli Montefusco/ Sieber, Dispositio (1994), 841.

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wird durch die Angabe der exklusiven Reiseumstände und des ungewöhnlichen Reise­ziels Ägypten erreicht. Aus dem Prolog lassen sich darüberhinaus Implikationen in Bezug auf die Intention, Botschaft und Funktion der Darstellung ablesen, welche zugleich als strategische Textverfahren die Rezeption steuern.136 Im Unterschied zu den meist anonym überlieferten Texten des Mittelalters wird mit der Nennung des Verfassers und dessen gesellschaftlich-beruflicher Position als Straßburger Vizedominus vor allem der Autor als Urheber, Textverantwortlicher und Augenzeuge des Dargestellten präsentiert. Zwar besteht keine Gewissheit über die Richtigkeit dieser Angabe, doch besagt diese Identitätsbehauptung des Autors noch „anderes und mehr“137 als die bloße Zuordnung des Berichtssubjekts zu einem Autornamen, da sie mit den Geltungsbedingungen des Berichts verknüpft ist. Im Unterschied zum oft bereisten und beschriebenen Heiligen Land stellte Ägypten ein ungewöhnliches und nahezu unbekanntes Reiseziel dar. Während Pilgerberichte in „häufig stereotypen Beschreibungen und ähnlichen Formulierungen“138 den Nachvollzug eines weitgehend vorgegebenen Pilgerweges dokumentieren139 und meist anonym im Sinne einer Lebensallegorie verfasst wurden,140 benötigte die Beschreibung unvertrauten Raumes ein Berichtssubjekt. Was Marina Münkler in Bezug auf die Ostasienreiseberichte feststellte, kann auch für Ägypten angenommen werden: „Da es weder verbindliche Annahmen über die in der fremden Welt des Ostens anzutreffenden Lebens- und Gesellschaftsformen noch eine Wissenschaft von Fremden gab, die mittels einer verbindlichen Methodik die Möglichkeiten der Beschreibung begrenzte, konnte die Wahrheit der Aussagen nur durch die Wahrhaftigkeit der

136 Knape, Rhetorik (2000), 109–111. 137 Worstbrock, Überlieferungsrang (1998), 131. 138 Zimmermann, Überlegungen (2002), 14. 139 Seit den Anfängen des Pilgerwesens kam der Wallfahrt ins Heilige Land im Vergleich mit anderen religiösen Zentren und Gnadenorten eine herausragende Rolle zu. Das Heilige Land war religiöser, spiritueller, historischer und geographischer Mittelpunkt der Christenheit, von dem alles seinen Anfang genommen hatte und an dem auch das Ende erwartet wurde. „Cette centralité spirituelle de la Terre sainte favorisa l’émergence et le développement de particularités, qui se traduisaient par des expressions de piété propres à la patrie de Christ et des Apôtres, ainsi qu’à l’élaboration d’une liturgie liée aux lieux saints et au culte des personnalités et des événements bibliques. Ceci explique que peu à peu, les pèlerins ont façonné une image irréaliste de la Terre Sainte, qu’ils ne voulaient connaître que sous forme d’une actualisation de son passé sacré, et non pour ses réalités contemporaines, appréhendées comme une émanation du profane“, Graboïs, Pèlerin (1998), 14. Zu Pilgerberichten siehe auch Ders., Pèlerinages (2006); Ders., Découverte (1992); Reichert, Erfahrung (2001), 137–157; Huschenbett, Vart (2000); Ders., Jerusalem-Fahrten (1998); Ders., Pilgerreiseberichte (1989); Schmugge, Motivstrukturen (1988); Ders., Pilger (1985); Ders., Anfänge (1984); Ganz-Blättler, Andacht (1990); Hippler, Reise (1987). 140 Pilgerberichte sind oftmals anonym überliefert, da „der Schwerpunkt der Pilgerfahrten auf dem wiederholenden Nachvollzug der entscheidenden Stationen der Heilsgeschichte lag und das Dargestellte noch zum habituell Vertrauten gehörte“, Münkler, Erfahrung (2000), 244; Quast, Text (2001), 45  f.; Schnell, Autor (1998), 44; 63; Wachinger, Autorschaft (1991).

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Augenzeugen gesichert werden.“141 Berichte über unbekannte Gegenden und Gegenstände „konnte nicht eine anonyme Stimme, sondern nur ein namentlich genannter Autor abfassen.“142 Ungewöhnlich im Vergleich mit anderen Reiseberichten ist auch die genaue Angabe des Reisedatums, welches im Unterschied zur Darstellung der „real vollzogenen Traditionsaneignung“143 theologisch-religiös orientierter Berichte auf die situative Zeitgebundenheit des Beobachteten verweist.144 Die Reise und deren Darstellung werden durch den angegebenen offiziellen kaiserlichen Auftrag legitimiert. Aufgrund der Unschärfe der Termini mittere, legatio, missus145 und da im folgenden Text Hinweise auf weitere Gesandtschaftsmitglieder oder nachgeordnete Ämter fehlen, kann nicht entschieden werden, ob Burchard die diplomatische Leitung einer mehrköpfigen Gesandtschaft (legatio) übertragen war, auch wenn er dem Wortlaut nach persönlich vom Kaiser mit der Mission betraut worden ist, oder ob er eher in der Funktion eines Boten unterwegs war. Ohne Kenntnis des Verhandlungsgegenstandes sind keine Vermutungen über Vollmachten (procuratio) möglich.146 Inhalte und Ergebnisse konkreter diplomatischer Zusammen141 Münkler, Erfahrung (2000), 261. 142 Ebd., 243. 143 Ebd., 244. 144 Eine Ausweitung der in den Pilgerberichten beschriebenen „heiligen Geographie“ stellt Graboïs mit dem Einbezug Ägyptens ab dem 14. Jahrhundert fest. Auch hier sei schon bald eine über die „rea­ listische Beschreibung“ hinausgehende allegorische, heilsgeschichtliche Darstellungsweise Usus geworden, Graboïs, Pèlerin (1998), 131–133; Ders., Description (2003). 145 Die Termini mittere und legatio geben keinen genaueren Aufschluss über die rechtliche Stellung und Funktionen des Gesandten. (Legatio ist bei Du Cange: 1. munus & officium legati; 2. Provincia ubi missi dominici legatio obitur; 3. Epistola formata, Du Cange, Glossarium Bd.  5 [1938], Legatio Sp. 59.) Eine begriffliche Ausdifferenzierung für den Gesandten ist im 12. und 13. Jahrhundert mit den Bezeichnungen procurator, defensor und actor zu konstatieren, legatus und missus benennen jedoch synonym nuncii im weitesten Sinne. Unterschieden werden Boten (cursores, nuntii), welche meistens niederem Stand angehörten, allein reisten und nur über geringe Vollmachten verfügten, und besondere Gesandte (missus, nuncius, ambaxiator, legatus, procurator), die zumeist eine höhere Bildung aufwiesen und aus dem Klerus stammten. Bei Bedarf wurden Angehörige des Hofes und weltliche Adlige als Gesandte eingesetzt, Berg, Gesandte (1998), 463; Chaplais, Practice (2003), 153  f.; Görich, Reichslegaten (2008); Trautz, Gesandte (2002). Zu Boten und Botenwesen siehe Scior, Veritas (2006); Ders., Stimme (2005); Schwinges/Wriedt, Gesandtschaftswesen (2003); Freund, Boten (2001); Heimann, Kommunikationspraxis (1998); Wenzel, Boten (1997); Queller, Office (1967), 4–59; Ders., Envoys (1960); Menzel, Gesandtschaftswesen (1892); Du Cange, Glossarium Bd. 5 (1938), Legatus, Sp. 59.; Missus, Sp. 421–424; Mittere, Sp. 428  f.; Mediae Latinitatis Lexicon Minus (22002): Legatus, Bd. 1, 777  f.; missus, Bd. 2, 906–908; mittere, 909  f. 146 Chaplais, Practice (2003), 56–69. Für die Abfassung eines Berichtes, der direkte Begegnungen und politische Inhalte ausklammert, dürften Funktion und Vollmacht des Gesandten oder Boten aber zweitrangig gewesen sein. „Since the birth of diplomacy it has probably always been true that an important result of a mission was the news, much of it unrelated to the mission in question, which the envoy brought or sent back to his government. Although the gathering of information by diplomatic envoys was a very imperfectly developed process, its relative importance was great in an age when other means of obtaining news – tourism, the press, scientific and technological devices, etc.

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künfte oder gar Verhandlungen wurden von missi schon aus Gründen der Diskretion und Sicherheit in der Regel mündlich übermittelt.147 Den Angaben zufolge handelte es sich aber offenbar um eine offiziell ausgeschickte Gesandtschaft oder eine Beauftragung einer ohnehin nach Ägypten reisenden Person. Eine geheime oder inoffizielle Erkundung des Landes scheint aufgrund des angezeigten Reiseziels, Sultan Saladin aufzusuchen, weniger plausibel.148 Im zweiten Satz des Prologs werden in der Funktion eines Exordialtopos die Geltungs- und Konstitutionsbedingungen des Textes bestimmt. Darstellungskriterium ist das Seltene (rarus) und Fremde (extraneus). Als Grundeinheiten der Beschreibungen sind qualitativ heterogene Einzelphänomene zu erwarten, die aus der Bandbreite der Möglichkeiten ausgewählt und als empirisch gewonnene Fakten präsentiert werden. Behandelt werden im weiteren Sinne mirabilia149, d.  h. außergewöhnliche, aber wahre Phänomene, deren Ursprung in der Natur liegt und daher mit der Vernunft selbst zu erklären ist. Auch wenn dies mit konventionellen Methoden zunächst nicht möglich – were either more imperfectly developed or entirely lacking“, Queller, Office (1967), 88. Lageberichte wurden von venezianischen Gesandten im 13. Jahrhundert (frühester Beleg 1268) gefordert, sind in Europa erst in späterer Zeit belegt, waren aber in Byzanz gängig, ebd., 141–143. Üblich wurden seit dem späten 13. Jahrhundert in Venedig relazioni, Beschreibungen der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Situation des besuchten Landes, doch nur wenige sind aus der Zeit vor 1500 überliefert. Als früheste relazio gilt der Report des Marsilio Zorzi aus Syrien von 1240–1243, ebd., 142; Thomas, Verordnungen (1872), 144. 147 Chaplais, Practice (2003), 6–20; 45–50; Queller, Office (1967), 7; Ganshof, Histoire (1953), 43. 148 Zu Spionage und intelligence gathering siehe Jucker, Geheimnis (2010); Jacoby, Diplomacy (2009); Groebner, Gifts (2002); Hahn, Geheim (2002); Singh, Botschaften (2000); Heinz, Spionage (1978); Dvornik, Origins (1974). 149 Mirabilia (in deutschen Berichten das ‚Merkwürdige‘) sind eine zentrale Kategorie der Fremdbeschreibung in Reiseberichten. „Wie ihre antiken Vorbilder betrachten die hoch- und spätmittelaltlerlichen Autoren die unbekannten und unbelebten Räume oder die Randzonen der Welt als einen privilegierten Ort für Neues, Außergewöhnliches und Monströses“, Rothmann, Mirabilia (2002), 402. Mirabilia bezeichnen das Wunderbare und rufen aufgrund ihrer Seltenheit oder Neuartigkeit (novitas und raritas) Bewunderung (admiratio) hervor: Mirabilia vero dicimus quae nostrae cognitioni non subjacent etiam cum sint naturalia, Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), 558. Nach Gervasius wird das Wunderbare durch Gewohnheit, Desinteresse und Unkenntnis der Ursachen verdeckt, Rothmann, Mirabilia (2002), 429. Analoge Phänomene bezeichnet der etymologisch verwandte Begriff der miracula (Wunder), doch unterscheiden sie sich im Verhältnis zur Ursache. Mirakel sind von Gott initiierte sichtbare Ereignisse, die außerhalb der natürlichen Ordnung, aber nach Augustinus nicht contra, sondern praeter oder supra naturam stehen, Wagner, Miracula (1999), Sp. 656, während mirabilia infra naturam angesiedelt sind, Rothmann, Mirabilia (2002), 429  f. Mit dieser Unterscheidung ist eine unterschiedliche Haltung hinsichtlich der Aufklärung des dahinterliegenden Sinns verbunden. Beide sind Ausdruck göttlicher Allmacht, doch Wunder nur durch den Glauben erfaßbar, die Mechanismen und Ursachen des Wunderbaren hingegen waren genauer überprüfbar. Die Einordnung in eine Typologie wundersamer Erscheinung wie auch die Formulierung allgemeiner Deutungsmuster diente nicht zuletzt der Bekämpfung von Irrtümern, ebd., 405  f.; Rothmann, Zeichen (2001), 249  f.; Münkler, Erfahrung (2000), 151  f.; Schmitt, Revenants (1994), 99–101. Zur Literatur zur Fremdbeschreibung in Reiseberichten siehe I.1 Anm. 14.

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ist, lassen sie sich systematisch überprüfen, typologisieren und in einen Beziehungsmodus zur eigenen Umwelt setzen.150 Die Voraussetzung für die Beobachtungen beruht auf der räumlichen und kulturellen Trennung von intra und extra151, welche für jegliche auswärtige Beziehungen gegeben sein muss,152 doch charakterisiert die gezielte Verwendung des Gegensatzpaares nostra terra – extraneus in Verbindung mit per mare et per terram in dieser Leitunterscheidung zunächst weder eine auswärtige Beziehungen zu den Fremden noch bezeichnet sie nach Wolfgang Georgi eine politische Kategorie.153 Es handelt sich um eine Abgrenzung nach allgemeinen geographischen, sozialen, sprachlichen und anthropologischen Erscheinungen, die gerade nicht genuin diplomatische Interessen spiegelt. Als Ausgangspunkt des präsentierten Wissens gibt Burchard eigene Wahrnehmung durch Sehen sowie durch persönliche Erfahrungen, also auch durch Vermittlung von glaubwürdigen Dritten, an.154 Die Angaben fungieren als Authentizitätsbeweis155 und dokumentieren gleichzeitig das Bemühen einer aktuellen Bestandsaufnahme von Informationen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit der Beschreibung besteht damit nicht. Mit dieser Festlegung der Inhalte wird die Narratio156 dem Bereich der Historia zugeordnet. In der Rhetorik bezeichnet Historia „die Erzählung wahrer Ereignis-

150 Einen Aufschwung erfuhr die Gattung der Mirabilia im 12. Jahrhundert mit der Hinwendung zur ars naturalis, Rothmann, Mirabilia (2002), 426. 151 Zum Begriff extra/extranei: Georges/Georges, Handwörterbuch (1913/1998), I, 2636  f.; Georgi, Überlegungen (2002); 54  f. Vgl. auch die deutsche Etymologie von fremd bei Knefelkamp, Reiz (1992), 293–321. 152 Berg, Deutschland (1997), 1; Ders., England (1987), 4; 501; vgl. Czerwinka, Völkercharakteristiken (1977): siehe auch II.2 Anm. 90. 153 Dazu Georgi, intra (2002), 54  f.; auch Storti, Stranieri (2011). 154 Percipere kann mit 1. erfassen, empfangen, bekommen; 2. wahrnehmen, vernehmen; 3. lernen, erlernen, kennen; 4. auffassen, begreifen, übersetzt werden, Stowasser (1980), 331; es kann aber auch 5. beziehen (von Einkünften) bedeuten; bei Du Cange findet sich kein Eintrag. Zur erkenntnistheoretischen Begriffsgeschichte der Perzeption siehe Janke, Perzeption (1989). 155 Vgl. Münkler, Erfahrung (2000), 150; Pankau, Augenzeugenbericht (1992). Zum Grundproblem der Authentizität und Beglaubigung der nicht nachprüfbaren Berichte siehe Neuber, Gattungspoetik (1989), 57  f.; für die frühe Neuzeit Stagl, Ars (1992), 146  f. 156 Die auf Anaximander zurückgehende ‚Rhetorik an Alexander‘ (4. Jh.  v. Chr.) erörtert die Funktionsweise der Narratio im Botenbericht, Aristoteles, Alexander, c. 31. Ed. Gohlke (1959), 73  f., und definiert die Haupteigenschaften der Kürze, Klarheit und Glaubwürdigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit, Knape, Narratio (2003), Sp. 98; 102, die sich bei römischen Rhetorikern wiederfinden. In römischer Definition bezieht sie sich nicht nur auf tatsächlich geschehene Ereignisse, sondern schließt auch gleichwie geschehene Dinge ein, Cicero, Inventione, I, 19, 27. Ed. Nüßlein (1998), 56–60; Quintilian, Institutionis, IV, 2, 21. Ed. Rahn (2011), 444. Die drei Hauptverfahrensweisen Kürze, Deutlichkeit und Wahrscheinlichkeit (narratio brevis, dilucida, veri similis) behalten ihre Gültigkeit. „Kurz erzählen heißt, Fakten nur nach Relevanz- und Ökonomieprinzipien zu erzählen. Deutlich erzählen heißt, in der Geschichte die Logik von Zeit und Ablauf einhalten. Wahrscheinlich erzählen heißt, auf Kon­ ven­tio­nen abgestimmt und der Rezipientenerwartung entsprechend erzählen, um jeglicher Skepsis

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se“.157 Entsprechend der spezifischen Funktion der Historiographie richten sich die sozialkommunikativen Erwartungen in der anschließenden Narratio auf „außersemiotische, materielle Gegebenheiten, empirische Daten und Handlungen im Sinne einer strikten adaequatio verbi et rei.“158 Der Prolog kann als eine Art von Vertrag zwischen Autor und Leser aufgefasst werden, der zugleich einen Verzicht auf Fiktionalität beinhaltet.159 Die Darstellung ist damit auf eine ganz bestimmte „Informationssorte“ festgelegt, die einem „strikten Widerspiegelungspostulat“ und dem Dokumentarismus unterworfen ist.160 Die Narratio setzt mit der Seereise von Genua nach Alexandria ein; erwähnt werden außerdem Korsika, Sardinien, Sizilien, Malta, Pantelleria und ein als terra barbarica bezeichnetes Land. In Ägypten angekommen, schildert Burchard zunächst Alexandria, dann seine Fahrt am Nil entlang und anschließend Neu-Babylon und Kairo, wo er auch den Balsamgarten besucht. Von dort geht es weiter durch den Sinai über Bosra nach Damaskus und zum Kloster Saidnaya. Die Rückreise führt ihn eine andere Strecke entlang über Tiberias, Akkon, Jerusalem und Askalon zurück nach Neu-Babylon. Jerusalem selbst beschreibt er nicht. Die beschriebenen Orte umfassen Städte und deren Umgebung, Wallfahrtsstätten und auffällige landschaftliche Formationen wie die Nilebene und die Wüste. Beachtung schenkt Burchard naturräumlichen Phänomenen und der Landwirtschaft, notiert exotische Tiere und Pflanzenarten. Interesse zeigt er besonders an der Land- und Geldwirtschaft.161 Er verweist auf die Herstellung von Alaun, einem zu dieser Zeit wichtigen Exportprodukt, berücksichtigt aber genauso Fragen der Lebensbedingungen der Christen und des Zusammenlebens von Christen, Juden und Muslimen und betont in diesem Zusammenhang

vorzubeugen“, Knape, Allgemeine Rhetorik (2000), 69; Ders., Narratio (2003), Sp. 102  f. Die näheren Eigenschaften der Narratio ergeben sich aus ihrem jeweiligen Zweck; Thema ist im Mittelalter besonders die Frage nach der rechten Ordnung von Handlungsabläufen. Unterschieden werden verschiedene Unterarten, als besondere Gattung wird die historia herausgestellt, ebd., Sp. 101. 157 Knape, Historia (1996), Sp. 1406. Kennzeichen der rhetorischen Historia sind Stil- und Formmerkmale, die „später als Stützen möglichst unverfälschter Darstellung von Wahrheit gesehen und regelmäßig bei den Erörterungen zum historiographischen Stil herangezogen werden“, ebd., Sp. 1407; Ders., Episteme (2000); Ders., Historie (1984); Hübner, Evidentia (2010), 122; Goetz, Geschichtsschreibung (2008); Lausberg, Rhetorik (2008) §§ 289–347, 163–189; Melville, Geschichte (1982); Quadlbauer, Theorie (1962); Barwick, Gliederung (1928). 158 Knape, Textleistung (2013), 145  f. 159 Ebd., 144. Ein Status von ‚Sonderkommunikation‘ hingegen würde im Falle der Dichtung vorliegen, wobei dem Kommunikationspartner aufgrund bestimmter Hinweise klar ist, „dass hier alle oder bestimmte Konversationsmaximen suspendiert sind. (…) In einem entwickelten Literatur- und Kulturzusammenhang reichen oft schon konventionelle Gattungsnamen wie ‚Roman‘ oder ‚Chronik‘, um die Implikaturfrage rasch zu beantworten und den kommunikativen Status der Texte umstandslos zu klären“, ebd. 160 Ebd., 145. 161 Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 475; Borgolte, Experten (2011), 987.

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die gemeinsame Verehrung heiliger Orte durch Muslime und Christen.162 Der längste Abschnitt des Berichtes ist den syrischen Assassinen gewidmet. Am Schluss seiner Darstellung konzentriert sich Burchard ganz auf die religiösen Bräuche, Rituale und die Lebensweise der Muslime. Auffällig ist die dürftige Schilderung der Rückreise. Das Ordnungsprinzip des Burchardberichts bildet ein chronologisch und geographisch nachvollziehbares Itinerar.163 Distanzangaben oder Angaben der Reisezeit zwischen den erwähnten und näher beschriebenen Stätten dienen dem Nachvollzug innerhalb eines Koordinatensystems, in das die jeweiligen Beschreibungen inte­griert werden.164 Die Darstellung der Orte und der Topographie bei Burchard ist einem Muster der Informationswiedergabe verpflichtet, das sich an antiken Raum­kon­zep­ tio­nen und den laudes urbium orientiert. Die laus urbium165 war topisch vorstrukturiert, doch hat das spätantike Städtelob kein starres Schema ausgebildet, da es in der klassischen Rhetorik eine unselbständige und nachgeordnete Position innehatte.166 Die Anleitungen zur Stadtbeschreibung bei Priscian167 und Quintilian168 enthalten: 1. den Gründer; 2. die Leistungen der Bürger; 3. Lage und Befestigung; 4. öffentliche Bauten; 5. die Beschaffenheit der Umgegend.169 In fast allen antiken laudes urbium 162 Vgl. ebd., 989; Scior, Eigenes (2002), 320–327; Kedar, Convergences (2001), 89. 163 Kennzeichen von Reiseberichten ist nach Huschenbett das Wegstreckenschema, Huschenbett, Landen (1987), 190  f. Die Schilderung einer nachvollziehbaren Reiseroute ist nicht selbstverständlich, Pilgerführer weisen oft ein Gliederungsschema nach Stationen des Heilsgeschehens auf, das nicht mit dem tatsächlichen Reiseverlauf identisch ist, so z.  B. Johannes von Würzburg, Descriptio. Ed. Huygens (1994); siehe dazu auch VI.2.2. 164 Vgl. Baumgärtner, Reiseberichte (2006). 165 Das Städtelob ist Bestandteil des genus demonstrativum und steht in enger Beziehung zur Descriptio, Kugler, Städtelob (2007), Sp. 1320; Ders., Vorstellung (1986), 32. „Das Lob wird nicht als eine ‚Idealisierung’ im modernen Sinne aufgefasst. Es erscheint eher als die Darstellung eines bestimmten Teilbereichs, bestimmter Akzidentien des jeweiligen Menschen oder Gegenstandes“, ebd., 33; Knoll, Natur (2013); Ders., Städtelob (2003); Arnold, Städtelob (2000); Schmidt, Societas (1993); Classen, Stadt (1986); Giegler, Genos (1953). Aus dem Jahre 1143 sind die Mirabilia Urbis Romae im Liber Politicus des Kanonikers Benedikt von St. Peter überliefert, an denen sich spätere Stadtbeschreibungen orientierten, Mirabilia. Ed. Accame/Dell’Oro (2004). Die Mirabilia gehen auf ältere Quellen zurück, Kinney, Fact (2008); Ders., Mirabilia (1990); Romano, Ceremonies (2010); Hyde, Descriptions (1965). 166 Eine Systematik geht auf Menander zurück, dessen Schriften aber im Mittelalter unbekannt waren. „Die Gesichtspunkte, die Menander berücksichtigt sehen wollte, waren: 1. Die Lage der Stadt in der Landschaft (und zwar die ϑέσίς, die Lage der Stadt am Meer oder in der Ebene oder im Gebirge, in der Oikumene, wie auch die ϕύσίϛ, die natürliche Beschaffenheit der Landschaft); 2. der Ursprung der Stadt (Gründer, Anlaß und Zeitpunkt der Gründung); 3. die Einrichtungen (Verfassung, Künste und Wissenschaften); 4. die Taten (πραξείζ) Einzelner und der Bürgerschaft insgesamt“, Kugler, Vorstellung (1986), 27; Menander, Peri epideiktikon. Ed. Russell/Wilson (1981), 33–75. Maßgeblich war für das Mittelalter Quintilians Institutionis oratoria, Knoll, Natur (2013), 43; Schirren, Topik (2009); Wagner, Topik (2009); Schmidt-Biggemann/Hallacker, Topik (2007). 167 Priscian, Praeexercitamina, Bd. 1, 551–560. Ed. Passalacqua (1987), 33–49. 168 Quintilian, Institutionis, III, 7. Ed. Rahn (2011), 348–359; Kugler, Vorstellung (1986), 26  f. 169 Kugler, Vorstellung (1986), 28. Bei Cicero stehen Lage, Schutz und Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt im Vordergrund. In Hinblick auf Rom bemerkt Classen jedoch: „Die Stadt als solche interes-

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sind opera und loca wichtige Kategorien, im Mittelalter lässt sich eine Akzentverschiebung zur Befestigung feststellen, „die Stadtmauer wird zum begriffsbildenden Merkmal“170. Autonome Stadtbeschreibungen waren indes selten und standen meist in Bezug zu dort lebenden oder agierenden Personen.171 Burchards Beschreibung der Städte Alexandria, Kairo und Damaskus folgt grob diesen systematischen Beschreibungskriterien, sein Hauptaugenmerk liegt auf 1. Bauten und Befestigung; 2. Alter und Lage der Stadt; 3. Wirtschaftskraft und Reichtum; 4. ethnische und religiöse Bevölkerungszusammensetzung; 5. Umgebung und Versorgung. Auch die Beschreibung der Stationen der Seereise und der Assassinen172 erfolgt nach bestimmten Fragerastern. Zwar werden die Phänomene recht unvermittelt und additiv nebeneinanderstellt, doch die heterogenen Erscheinungsformen der Fremde mit diesen Schemata zielgerichtet nach einer bestimmten Methode erfasst. Die Frageschemata standardisieren die Beobachtungen, systematisieren sie in Ansätzen und machen sie vergleichbar.173

siert nicht und wird weder als eindrucksvolle Sammlung zahlreicher Tempel und Profanbauten noch als Ergebnis langjähriger Planung oder gar als Zentrum vielfältiger kommerzieller oder kultureller Aktivitäten der Bürger geschildert“, Classen, Stadt (1986), 11. 170 „Der dominierende Aspekt der Befestigung betont die Grenze zwischen Stadt und Land und hebt – anders als im antiken Polis-Konzept – den eng ummauerten Bereich des vom Menschen Gebauten gegenüber der unbebauten, wilden Natur hervor“, Kugler, Städtelob (2007), Sp. 1321; im Bereich der Schriftauslegung des 12. Jahrhunderts ist die Architekturmetaphorik beherrschend hervorgetreten, Ders., Vorstellung (1986), 88. 171 Als erste breitere Schilderung einer Stadt nennt Kugler die Beschreibung Londons des William Fitzstephen in der Vita des Thomas von Canterbury um 1173 (1180 bei Kugler), ebd.; Jaeger, Urbs (2011); Scattergood, City (1995); Classen, Stadt (1986), 1–3. Fitzstephen beginnt mit einem Lob, verweist auf das gute Klima, zählt die Kirchen und die kirchenpolitische Bedeutung auf, beschreibt die Befestigung der Stadt, den Schutz durch die Themse, Gärten in den Vororten, Felder und Quellen. Es folgen Angaben zu Tugenden und Wehrhaftigkeit der Bürger, über Schulen und Lehrbetrieb, Wirtschaft, Märkte und Gaststätten, Fitzstephen, Descriptio. Ed. Robertson (1875), 2–13; Jaeger, Urbs (2011); Classen, Stadt (1986), 3. Abgesehen von diesem Beispiel herrsche eine „Reduktion des antiken Stadtkonzepts auf burgartige Dimensionen“ vor, Kugler, Städtelob (2007), Sp. 1321. So in der Beschreibung Bambergs im Pantheon Gottfrieds von Viterbo, niedergeschrieben nach 1187, möglicherweise schon zu seiner Studienzeit verfasst, Schreibmüller, Geschichtsschreiber (1943/44); Gottfried von Viterbo, Pantheon. Ed. Pertz (1972), 240  f. 172 Das Städtelob ist den Vorschriften zum Herrscherlob nachgebildet. Städte und Menschen werden nach Quintilian ähnlich gelobt, Kugler, Städtelob (2007), Sp. 1320; Quintilian, Institutionis, III, 7, 26. Ed. Rahn (2011), 358. 173 Das Vorgehen entspricht der technischen Rhetorikdefinition Joachim Knapes. Nach Knape ist Rhetorik „kommunikatives Kontingenz-Management. Im abstrakten Sinn läuft die rhetorische, d.  h. persuasionsorientierte Kommunikation (einschließlich ihrer erfolgsorientierten Textgestaltungsstrategien) auf eine vom Orator durch kommunikative Akte zu erzeugende Kontingenz-Reduktion hinaus, die die Vielfalt der Verstehens- oder Reaktionsmöglichkeiten auf eine bestimmte Selektion begrenzen will, was zugleich auf die Etablierung oratorinduzierter Ordnung im Denken und Fühlen des Adressaten hinausläuft“, Knape, Poetik (2006), 12.

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In der Darstellung wechseln deskriptive Passagen und narrative Einschübe ab. Passagen, in denen der Verfasser selbst als Reisender oder Beobachtender in Erscheinung tritt, sind in der ersten Person Singular Perfekt gehalten, mit den Verbformen vidi, audivi, veni, transivi markiert er den eigenen Vollzug und schaltet sich als Zeuge ein.174 Alle beschreibenden Passagen sind dagegen im Präsenz und in der dritten Person (Passiv) gehalten. Das Individuum tritt hier zurück, geleistet wird aus der Distanz eine sachliche Bestandsaufnahme, womit das Dargestellte eine gewisse Allgemeingültigkeit gegenüber kontingenten Erlebnissen beansprucht.175 Die Aufmerksamkeit und zugleich die kommunikative Beziehung zum Leser werden durch Hervorhebungen wie sciendum est und nota gelenkt,176 die Einbettung in die Narration fungiert als Authentizitätsbeweis für die Deskription. Der in allen Überlieferungen identische Schlusssatz des Berichtes lautet non ultra ascendere…ut dictum est. Im Vergleich mit anderen Reiseberichten erweist sich das unvermittelte Abbrechen aber nicht als ungewöhnlich, eine Conclusio scheint kein notwendiger Bestandteil der sonst nach rhetorischem Modell strukturierten Darstellungen gewesen zu sein.177 Auch der thematische zweigeteilte Aufbau der Beschreibung nach loci und personae begegnet in einigen anderen Berichten.178 Beide Strukturmerkmale (der fehlende Schluss und die Trennung nach Orts- und Personenbeschreibung) sind, wie schon die Orientierung an der laus urbium, mit der Nähe zur Descriptio zu erklären. Seit der Spätantike hat sich die Descriptio vom rhetorischen Darstellungsverfahren zur eigenen Gattung entwickelt, ihren Höhepunkt erlebte sie im 12.  und 13.  Jahrhundert.179 In der Rhetorik zählten Beschreibungen zum genus 174 Z. B. Audivi etiam quod asini ibi ab equis conciperent. Vgl. Münkler, Erfahrung (2000), 154. 175 Christian von Zimmermann bestimmt die „hybride narrativ-deskriptive Prosa“, d.  h. den „konstitutiven Wechsel von dynamisch-narrativen und statisch-deskriptiven Phasen, die jeweils durch passages de transition ineinander übergeleitet werden“ in Anlehnung an Nikolas S. Troubetzkoy als das „grundlegende Strukturprinzip der Reiseberichte“, bezieht sich dabei aber auf frühneuzeitliche Berichte, Zimmermann, Überlegungen (2002), 9. 176 Mit diesen Hinweisen lenkt der Verfasser die Aufmerksamkeit auf das Neue innerhalb einer Mitteilung über einen Gegenstand. Bezogen auf den Wissensstatus wird der Gegensatz zwischen Thema und Rhema markiert, wobei Thema „die aus Kontext, Situation, Langzeitwissen bekannte, alte Information, das Rhema die neue, in das Rezipientenwissen einzuführende beinhaltet“, Hoffmann, Thema (2000), 345  f. Aus linguistischer Perspektive besteht das Problem in der fehlenden Unterscheidung zwischen dem, „was jemand langfristig oder lebenslang kennt, dem, was zu bestimmten Zeitpunkten gewusst wird, und dem, was jeweils als aktuelles text- oder diskursbedingtes Wissen zu unterstellen ist“, ebd., 346; auch 350–354. 177 Vgl. die abrupt wirkenden Enden bei Thietmar, Wilbrand von Oldenburg, Benjamin von Tudela und Johannes von Würzburg. Der Grund für den fehlenden Schluss wäre sonst mit Blattverlust oder einer durch einen ersten Kopisten vorgenommenen Verkürzung der ursprünglichen Vorlage zu er­ klären. 178 Beispielsweise bei Thietmar, dem Innominatus V (Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane) und Johannes von Würzburg, dazu mehr im Kapitel VI.2.3. 179 Schweikle, Descriptio (1990). Beschreibende Passagen von Reiseberichten waren im Spätmittelalter an den Regeln der Descriptio orientiert, wurden aber von narrativen Teilen unterbrochen, vgl.

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demonstrativum, Merkmale waren das einzelne Aufzählen der besonderen Umstände und der Gebrauch des Präsens.180 Während sich die Narratio allgemein mit einem Thema befasst, hat die Descriptio das Besondere zum Inhalt. Sie orientierte sich auf die Darstellung der Gegenstände und erforderte einen anderen Aufbau als dialektische Redeformen. Im Unterschied zum genus iudiciale und zum genus deliberativum wurde dem Publikum hier auch keine „sachliche Entscheidungsfindung“ abverlangt.181 Das übliche viergliedrige Aufbauschema einer Rede war nicht notwendig; im engeren Sinne argumentative Verfahren wurden nicht verwandt, vielmehr stützte sich die Descriptio auf ein dem jeweiligen Gegenstand entsprechendes spezifisches topisches Gerüst.182

II.3.2 Sprachliche Gestaltung Für die rhetorische Systematik spielt der Begriff des genus eine grundlegende Rolle. Seit Aristoteles werden Gattungen nach ihren unterschiedlichen semiotischen und kommunikativen Beziehungen zwischen Redner, Hörern und Gegenstand unterschieden und nach verschiedenen Kriterien differenziert.183 In aristotelischer Tradition nimmt die für das Mittelalter maßgebliche lateinische Rhetorik drei genera causarum (Redefallgenera) an, derer sich der Redner annehmen muss:184 die darlegende Rede Zimmermann, Überlegungen (2002), 9  f. Eingesetzt werden deskriptive Passagen auch im Höfischen Roman, Koch, Bilder (2014), 20–23. 180 Halsall, Beschreibung (1992), Sp. 1495. Der Descriptio wurde eine visualisierende Funktion zugeschrieben, sie diente aber auch als rhetorisches Beweismittel, ebd., 1496. 181 „Das Lob der Schönheit ist die Hauptfunktion der epideiktischen Rhetorik“, Lausberg, Rhetorik (2008) § 239, 130. Vgl. für spätmittelalterliche Konzilsreden Woelki, Pontano (2011), 198. 182 Ottmers, Rhetorik (1996), 64; Henkel, Descriptio (1997); Halsall, Descriptio (1994); Ders., Beschreibung (1992); Lausberg, Rhetorik (2008) §§  239–254, 129–138, klassische Lobgegenstände und Ausführungen ebd., §§  243–249, 132–136. Auch in der modernen Textlinguistik werden drei grundlegende Vertextungsmuster von Narration, Deskription und Argumentation unterschieden, Heinemann, Deskription (2000), 358. 183 Engels, Genera (1996), Sp. 703; Aristoteles, Rhetorik, III, 3. Ed. Rapp (2002), 28; Spang, Dreistillehre (1994); Schirren, Niveau (2009). 184 Aufgeführt werden die drei Gattungen u.  a. in der Rhetorica ad Herennium, welcher im Mittelalter eine führende Rolle zukam: Tria sunt genera causarum, quae recipere debet orator: demonstrativum, deliberativum, iudiciale, Rhetorica ad Herennium, I, 2. Ed. Nüßlein (1994), 8–11; und bei Quintilian, Institutionis, III, 4. Ed. Rahn (2011), 294–301; Engels, Genera (1996), Sp. 709; Ottmers, Rhetorik (1996), 54–64; Lausberg, Rhetorik (2008) §§ 139–254, 85–138. Die antike Lehre der tria genera führt u.  a. Mar­ tia­nus Capella weiter aus: „Es gibt drei Arten des Zuhörers: eine dessen, der gemäß der Gerechtigkeit zu einem Schluss kommt, und dieser ist genau genommen der Richter; eine andere dessen, der noch im Zweifel, weil die Ehrenhaftigkeit oder Nützlichkeit unklar sind, als Überlegender erwartet, von einer fremden, noch nicht hinreichend erklärten Meinung überzeugt zu werden; die dritte Art ist diejenige dessen, der die Ehrenhaftigkeit oder Schändlichkeit einer Tat in freier Einschätzung erwägt: diesen kann man treffend einen kritischen Beurteiler nennen. Dementsprechend gibt es daher drei

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(genus demonstrativum), die beratende (genus deliberativum) und die gerichtliche Rede (genus iudiciale).185 Unterscheidungskriterien der Einteilung dieser drei Redegattungen bilden neben Redner, Zweck der Rede und Zuhörer auch der jeweilige Zeitraum, auf den sich die Rede bezieht. Die beratende Rede wird vorwiegend der Zukunft zugeordnet, ihr Zweck liegt im „Nützlichen und Schädlichen“; die gerichtliche hat es mit der Vergangenheit zu tun, Zweck ist die Scheidung von Gerechtem und Ungerechtem; die epideiktische Rede ist der Gegenwart zugordnet, ihr Zweck ist im Bereich des „Schönen und Hässlichen oder Ehrenhaften und Unehrenhaften“ zu suchen.186 In untrennbarem Zusammenhang steht die Einteilung nach rhetorischen Gattungen mit der Stiltheorie, schließlich werden Texte erst unter Rückgriff auf bestimmte stilistische Handlungsmuster „durchgeführt“, i.  e. gestaltet und formuliert.187 Der Begriff Stil ist nach der pragmatischen Stildefinition als „die bedeutsame, situations- und funktionsbezogene Variation der Verwendung von Sprache (…) zum Zweck möglichst erfolgreichen kommunikativen Handelns in sozialen Situationen“ aufzufassen.188 Theoretisch werden in der antiken und mittelalterlichen Rhetorik drei Stilarten (genera dicendi) in Hinblick auf den Grad ihrer Verwendung von Stilmitteln Gattungen der Rede, die unter den Begriff der Hypothesis fallen, nämlich die gerichtliche, beratende und darlegende.“ Auditores autem sunt genera tria: unum eius, qui secundum aequitatem aliquid statuit, et is est perpense iudex; aliud eius, qui honestate vel utilitate incerta dubius alienae sententiae persuasionem inexplicabilis deliberator exspectat; tertium genus eius est, qui facti honestatem vel turpitudinem libera aestimatione perpendit: hunc aestimatorem convenit nominari. Haec igitur sunt tria causarum genera, quae hypothesi continentur, id est iudicialis, deliberativa et demonstrativa, Martianus Capella, De Nuptiis. Ed. Willis (1983), § 447, 154  f.; Übersetzung aus Engels, Genera (1996), Sp. 713. 185 Die Gerichtsrede wurde weiter nach quaestiones differenziert, die wiederum zwei Grade der Konkretheit enthalten (causa infinita und causa finita) und nach drei Graden der Komplexität unterschieden werden (causa simplex, coniuncta ex pluribus quaestionibus oder ex aliqua comparatione). Unterscheidungskriterium ist darüber hinaus der status des Falles bzw. der Rechtsfrage (certum oder dubium). Cicero und Quintilian unterscheiden fünf genera causarum: genus honestum, genus humile, genus anceps oder dubium, genus admirabile, genus obscurum. Die Augustinus zugeschriebene Rhetorik kennt vier Genera: honestum, turpe, dubium oder humile, Engels, Genera (1996), Sp. 703  f. 186 Ebd., Sp. 709. 187 Vgl. Sandig, Handlung (2009), 1339. Handlungsstilistik ist nach Sandig aber „weit mehr als die rhetorische Elocutio. Sie basiert auf der Auffassung der linguistischen Pragmatik, dass mit der Verwendung von Sprache in unterschiedlichen Situationen Handlungen vollzogen werden. Da in derselben Situation dieselbe Handlung jeweils verschieden durchgeführt werden kann und die Verschiedenheit stilistisch bedeutsam ist, hat jede Äußerung und mithin jede kommunikative Handlung Stil: erwartbar in der Situation, bezogen auf unsere Kenntnisse von Situationstypen und damit unauffällig oder auffällig bzw. auffallend gradueller Abweichungen vom Erwartbaren“, ebd., 1336. „Dass die Rhetorik immer mit Handlung zu tun hat und dass die Rhetoriktheorie daher alles Sprachliche immer unter pragmatischem Gesichtspunkt betrachtet, war schon für antike Rhetoriker wie Aristoteles oder Quintilian selbstverständlich“, Knape, Rhetorik (2000), 116; Stierle, Rationalität (1995), 191. 188 Sandig, Handlung (2009), 1337. Mit der Reduktion der elokutären Ausarbeitung auf eine geringe Anzahl von „elocutio-Registern“ werden in dieser Absicht Standardsituationen festgelegt, die rhetorisches Handeln vereinfachen, indem deren Wahl eine Handlungsabsicht mit ihren Botschaften unterstützt, Schirren, Niveau (2009), 1425.

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unterschieden und den drei potentiellen Absichten der Rede zugeordnet:189 Das genus humile (facile oder subtile) dient der sachlichen Belehrung (docere), das genus mediocre der Unterhaltung (delectare), das genus grande oder sublime der emotionellen Rührung (movere).190 Im Gegensatz zum modernen Stilbegriff des Genrestils werden die genera dicendi nicht einer bestimmten Gattung zugeordnet,191 sondern „je nach Maßgabe des rhetorisch Erforderlichen“ eingesetzt.192 Als Garanten der Verständigung dienen Leitprinzipien (virtutes) der Versprachlichung: puritas/latinitas (Sprachrichtigkeit), perspicuitas (Klarheit oder Verständlichkeit), aptum (Angemessenheit), ornatus (Schmuck) und brevitas (Kürze).193 Unterschieden werden die Stilarten hinsichtlich ihres Grades der grammatischen, 189 Zahl und Definition der Stilarten variiert nach historisch wechselnden Kriterien, üblich bleibt aber die Dreizahl, Spang, Dreistillehre (1994), 921. Älteste Quelle für die unterscheidbaren Stilgattungen ist die Rhetorica ad Herennium: Sunt igitur tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumitur: unam gravem, alteram mediocrem, tertiam extenuatam vocamus, Rhetorica ad Herennium, IV, VIII, 11. Ed. Nüßlein (1994), 198. 190 Entsprechend dem Zusammenwirken der drei Absichten in der Rede wird in der antiken Rede die Mischung der Stile gefordert, Spang, Dreistillehre (1994), 927; Kühnel, Genera (1990); Fuhrmann, Rhetorik (1987), 143–145; Martin, Rhetorik (1974), 329–345. 191 Vgl. Spang, Dreistillehre (1994), 922. 192 Ausschlaggebend für die Systematisierung nach genera causarum und genera dicendi war der „praktische Bedarf der Rhetorik“, Schirren, Niveau (2009), 1425  f. Diskutiert wurde die Frage, ob Stil und Inhalt eine untrennbare Einheit bilden oder ob ersterer nur „hinzugefügtes Schmuckelement“ sei. Für Sach- und Informationstexte war die Trennung nachzuvollziehen, Spang, Dreistillehre (1994), 923. Im Laufe des Mittelalters verschob sich die Zuordnung der Stile auf die ständische Interpretation, die Stilarten orientierten sich am Rang von Personen und den behandelten Gegenständen. Ständekriterien als Mittel zur Abgrenzung der Stilarten werden schon in der Rhetorica ad Herennium angeführt, Spang, Dreistillehre (1994), 922; Kühnel, Genera (1990); Quadlbauer, Theorie (1962). Sie standen besonders in den Abfassungsanleitungen der ars dictandi des 12. Jahrhunderts im Vordergrund und bestimmten die „Frage der Reihenfolge von Absender- und Empfängernamen, die Ausstattung des Empfängernamens mit den ihm zukommenden Attributen,“ aber auch das Aufbaumodell eines Briefes, Worstbrock, Anfänge (1989), 286. So bei Alberich, dessen schon um 1080 verfasste Schriften u.  a. von den Autoren der Bologneser Ars dictandi rezipiert wurden. Regulierendes Prinzip des Briefstils und -aufbaus war die Personenhierarchie maior – equalis – minor, ebd., 286  f. Alberich legt im Anschluss an die Salutatio vier Teile für den Brief fest: captatio benevolentie (Werbung um das Wohlwollen des Adressaten), rediccio captate benevolentie (Begründung der brieflichen Annäherung), rerum insinuacio (Mitteilung der Sache), peticio (Anliegen). „Ist der Adressat eine persona maior, höher gestellt als der Absender, empfiehlt sich die Verwendung aller vier Teile des Briefs oder wenigstens dreier – rerum insinuacio oder peticio können fehlen; sind Adressat und Absender gleichen Rangs, persone equales, genügen dem Brief drei Teile, es bedarf, da keine soziale Schwelle zu überwinden ist, nicht der rediccio; dem Brief an eine persona minor endlich genügen umstandslos zwei Teile, die captatio und Mitteilung oder Anweisung, oder auch ein einziger, die peticio“, ebd., 286. 193 Sie unterstützen als textinterne Kriterien (Codes) die „theoriekonforme“ Textproduktion, wobei puritas und perspicuitas als funktionale Sprachkodes die grundsätzliche Kommunizierbarkeit gewährleisten, aptum, brevitas und ornatus sich auf die angemessene rhetorische Anwendung der Sprachkodes in sozial-kommunikativer Absicht beziehen, Schirren, Kriterien (2009), 1422; Lausberg, Rhetorik (2008), §§ 463–1077, 254–518; Knape, Stilistik (2008).

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syntaktischen und lexikalischen Variation, d.  h. des „durch Ausdruckswandel erzielten sprachlichen Ornatus,“194 der durch die Verwendung von rhetorischen Figuren,195 Wortfügungsarten (structura)196 und Tropen197 angezeigt wird. Stilkriterien führt die für das Mittelalter richtungsweisende älteste lateinische Rhetorik Rhetorica ad Herennium an: „Die erhabene [Stilgattung] ist diejenige, die aus fließenden und geschmückten Fügungen erhabener Wörter besteht. Die mittlere ist weniger elegant, jedoch nicht mit den niedrigsten und sehr gewöhnlichen Wörtern gestaltet. Die schwache ist diejenige, die bis hin zu den gebräuchlichsten, rein umgangssprachlichen Wendungen herabsinkt.“198 Burchards Stil entspricht weitgehend dem niederen Stil, der gemäß römischer und mittelalterlicher Vorgaben durch „schlichten, schmucklosen, nüchternen Ausdruck“ und überwiegend umgangssprachliche Wortwahl gekennzeichnet ist.199 Entsprechend sollte der Satzbau einfach sein, Figuren sparsam eingesetzt werden, „humoristische, aus der Situation entstandene Einschübe“ aber waren nach Cicero erlaubt.200 Aufgrund des denotativen Charakters wurde dieser Stil „besonders zur objektiven Darstellung und Beweisführung“ angewandt, da er sich an den Verstand richtet und im Unterschied zum hohen Stil keine Affekte ansprechen soll.201 Auch Burchards Sätze sind überwiegend kurz und parataktisch aneinandergereiht, um Übersichtlichkeit zu erreichen.202 Stilmittel seiner Deskriptionen sind Parallelismen und Enumerationen.203 Wortfiguren und Tropen, um den eigentlichen Ausdruck zu ersetzen, benutzt er kaum; 194 Ebd., 274; Beispiele ebd., 274–277. 195 Darunter fallen Wortfiguren, Sinnfiguren, grammatische Figuren, Klangfiguren, Schweikle, Figuren (1990); Lausberg, Rhetorik (2008), § 602, 309  f. Eine Auflistung der in antiken Rhetoriken aufgeführten Figuren bei Schirren, Figuren (2009). 196 Die Wortfügungsarten werden in structura polita, structura media und structura aspera unterschieden (glatte, mittlere und rauhe Fügung), Lausberg, Rhetorik (1990) §§  911–1054 (compositio), 455–507, besonders § 968, 475  f.; Pohl, Wortfügungsarten (1968). 197 Lausberg, Rhetorik (2008) § 552–598, 282–307; Schirren, Tropen (2009). 198 Gravis est, quae constat ex verborum gravium levi et ornata constructione. Mediocris est, quae constat ex humiliore neque tamen ex infirma et pervulgatissima verborum dignitate. Attenuata est, quae demissa est usque ad usitatissima puri consuetudinem sermonis, Rhetorica ad Herennium, IV, VIII, 11. Ed. Nüßlein (1994), 198–200; Spang, Dreistillehre (1994), Sp. 927. 199 Nach Cicero soll sie sich der Umgangssprache annähern, mit dieser aber nicht identisch sein, Spang, Dreistillehre (1994), 928; Schirren, Niveau (2009), 1435  f. 200 Spang, Dreistillehre (1994), 928. 201 Ebd., 923; 927. 202 Nach Aristoteles entspricht die „gereihte Ausdrucksweise“ dem „Forstschreiten des Gedankens“, Staab, Satzlehre (2009), 1501. 203 Z. B. bei der Beschreibung der Sarden und Korsen: In Corsica vero homines sunt utriusque sexus compositi, curiales, habiles, hospitales, viri militares et bellicosi. In Sardinia vero econtrario sunt homines incompositi, rusticani, silvani, tenaces, viri effeminati et deformes (Z. 10–13) bei der Beschreibung Siziliens: Hec insula est terra sanissima, omni terrena fecunditate opulenta, plana montanis, vineis, pratis, pascuis, fontibus vivis, fluminibus iocundissimis, diversis generibus fructuum et herbarum perornata (Z. 19–21).

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er verzichtet auf Verfremdungseffekte und vermeidet somit Ambiguitäten, welche das Kriterium der perspicuitas beinträchtigen könnten. Für die Epideiktik typische Stilmittel wie die amplificatio werden vermieden.204 Verwendung finden aber rhetorische Figuren, v.  a. Sinnfiguren, die der inneren Organisation einer Aussage dienen. Als Darstellungsmodus des Fremden fungiert besonders der Vergleich: So setzt Burchard den Nil mit dem Rhein gleich, um eine Vorstellung von der Größe dieses Stroms anhand bekannter Vorgaben zu erreichen.205 Das in Europa unbekannte Krokodil beschreibt er als dem Schwein ähnlich.206 Nachvollziehbar wird die Darstellung mittels Instrumenten der Bestandsaufnahme: Distanzangaben gibt Burchard in Tagen (dies), Tagesreisen (dietas) und Meilen an;207 Golddinare rechnet er in Silbermark um,208 wobei diese Angaben zugleich eine Inspektion am Ort selbst bezeugen.209 Das Vokabular des Berichtes erstreckt sich auf sinnlich fassbare Dinge und auf zeitliche und rechtliche Verhältnisse. Der Medienbruch zwischen Oralität und Literalität, welcher durch die Verschriftlichung vollzogen wurde, ist in der lautmalerischen Niederschrift arabischer Termini nachzuvollziehen: Salahadin, Heyssessini und Städtenamen wie Cahyr und Saydaneia. In den verschiedenen Textzeugen unterliegen gerade diese nicht fixierten Termini einer Variationsbreite: So ist der Terminus Assassinen in keinem der Textzeugen identisch. Mit geographischen Bezeichnungen, Tier- und Pflanzennamen waren generell graphische Probleme verbunden, da diese den Schreibern wenig geläufig waren. Aufgrund der starken lexikalischen Variation der Textzeugen und den unterschiedlichen Graphien ist auch ein Herkunftsgebiet des Textes und damit des Verfassers anhand von Regionalismen schwer zu bestimmen. Einen Hinweis auf eine Vertrautheit des Verfassers mit dem romanischen Sprachgebiet bietet der Text selbst, indem auf die romanische (altfranzösische oder frankoprovenzalische) Bezeichnung des „Alten vom Berge“ verweist.210 204 Lausberg, Rhetorik (2008) §§ 400–409, 220–227; Matuschek, Beredsamkeit (1994). 205 Nilus vel Eufrates est aqua maior Rheno. 206 Nutrit etiam crocodillos infinitos, quod genus animalis ad modum lacerte formatum est. IIII habens pedes, crura curta et grossa. Caput eius quasi caput scrofe. 207 Z.  B. Harum insularum una distat ab alia per quatuor miliaria. Meilenangaben werden in der Regel für kürzere Distanzen, die meist mit bloßem Auge erkennbar sind, angegeben. So gibt Burchard die Entfernung Maltas von Sizilien mit 20 Meilen an. Tagesreisen beziehen sich auf längere Distanzen und sind je nach geographischer Beschaffenheit, Reisezeit und Transportmittel zwischen mit 15–60 km anzusetzen. Zur Entfernungsangabe dienen auch Angaben wie non longe ab… 208 Sciendum etiam quod predictus portus solvit annuatim de pedagio L milia aureorum, qui faciunt plus quam VIII milia marcas puri argenti. 209 Burchard verwendet als Längenmaße arcus (Bogenlänge), balista (Wurfgeschoß), ulna (Elle); z.  B. bei der Beschreibung der Pyramiden: Opus admirabile distantes ab invicem per tractum unius arcus quadrati eiusdem quantitatis scilicet latitudinis et altitudinis. Extenditur enim uterque in latitudinem ad tractum fortissimi arcus et in altum ad duos tractus. Mengenangaben werden mit Adverbien und Adjektiven angegeben. 210 Allerdings schlagen sich Veränderungen der gesprochenen romanischen „Nahsprache“ nicht generell in der Schreibung der „Distanzsprache“ Latein nieder, diese bleibt „trotz eines weiten Fä-

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Leitkriterium der sprachlichen Gestaltung sind das aptum und die Wirkungsabsicht des docere, wie sie u.  a. bei Isidor formuliert ist: „Die Stilart soll schlicht sein, wenn man belehren will.“211 Sprache und Syntax sind auf das Informations- und Kommunikationspotential reduziert, sprachliche Ästhetisierung tritt zurück. Das schriftsprachliche Profil des Textes entspricht damit der im Prolog verabredeten Zuordnung zur Historia, schon die lateinische Abfassung weist ihn als zum Bereich der gelehrten Wissensvermittlung gehörig aus. Deutlich sind Struktur und Sprache von Burchards Bericht von rhetorischen Faktoren gesteuert. Die formale Gestaltung lässt auf einen gut geschulten Bildungsträger hinter dem Text schließen. Muster und Modelle zur Abfassung von Texten lieferte die schulische Ausbildung der Rhetorik, wobei weniger die Orientierung an einer Gattung im Vordergrund stand.212 Eingeübt wurde die Verwendung der rhetorischen Methode durch unzählige Übungen am konkreten Modell, „Schlüsselbegriff“ für die Praxis ist die „Nachahmung“, wie überhaupt die lateinische Sprache über Muster gelehrt und gelernt wurde.213 Mit der Zunahme der ‚pragmatischen Schriftlichkeit‘214 seit dem 11. Jahrhundert und der Entwicklung der ars dictandi215, der ars arengandi216, ars praedicandi und der ars poetriae hatte sich eine „neue Rhetorik der Schriftlichkeit“ ausgebildet.217 Praktische Wirkung auf die Erkenntnisform übte die Zirkumstanzen-

chers verschiedener graphischer Gepflogenheiten vergleichsweise stabil“, Meisenburg, Schriftsysteme (1996), 47–55; 51. Mehrsprachigkeit ist zumindest im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit das „wichtigste Merkmal des Gesandten“, Haye, Oralität (2005), 57. Zur Sprachenfrage siehe auch Baldzuhn/Putzo, Mehrsprachigkeit (2011), darin besonders Haubrichs, Pêle-mêle und Meineke, Formen; Koch, Latin (2008). 211 Isidor, Enzyklopädie, II, XVII, 3. Ed. Möller (2008), 96. Sed et quamvis de magnis rebus quisque dicat, non tamen semper granditer, docere debet, sed sumisse, cum docet; temperate, cum aliquid laudat vel vituperat; granditer, cum ad conversionem aversos animos provocat, Isidor, Etymologiae, II, XVII, 3. Ed. Lindsay (1911). 212 Gattungen wurden Dieter Schaller zufolge im Mittelalter nicht „im Sinne eines Begriffsrealismus“ hypostasiert, sondern konstituierten sich aus Musterfällen, für die ein bekannter Autorname stand, dessen Text „gattungsstiftend“ wurde, Schaller, Gattungssystem (1989), 357; Rädle, Literatur (1997), 223  f.; Brunner/Wole, Wissensliteratur (1993). 213 Rädle, Literatur (1997), 225; Fried, Nutzen (1997); Stotz, Dichten (1981), 9. Didaktische Leitprinzipien waren Lektüre (lectio) und Nachahmung (imitatio), Kirchner, Rhetorik (2007), 4. 214 Der Begriff der pragmatischen Schriftlichkeit bezieht sich auf unmittelbar zweckhafte Schriftstücke, vornehmlich aus dem rechtlichen, administrativ-geschäftlichen und sozialtechnischen Bereich. Diese Trennung von anderen, literarischen Texten ist jedoch keine mittelalterliche Unterscheidung, denn die Definition des Pragmatischen bezog sich nach Augustin auf den Schöpfer, auf den sich alles Handeln, ausgenommen die contemplatio, richtete. „Nicht nur in religiöser, sondern auch in kultureller und sozialer Hinsicht gibt es im Mittelalter keine andere als pragmatische Schriftlichkeit“, Von Moos, Mündlichkeit (1997), 315. 215 Worstbrock, Anfänge (1989); Ders., Frühzeit (1992); Schaller, Ars (2002). 216 Von Moos, Ars (1993). 217 Grévin, Documents (2013); Ders., Dictamen (2010); Ders., Rhétorique (2008); Ders., Regroupements (2008); Ders., Mystères (2008); Worstbrock, Anfänge (1989), 259; Engels, Genera (1996), Sp. 705.

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lehre nach den Kategorien des Aristoteles mit sieben Fragen nach der Beschaffenheit eines Gegenstandes (quis, quid, ubi, quando, quo, cuius causa, in quo, qualiter) in allen kommunikativen Prozessen aus.218 Vom Wirken der Rhetorik (Topik und Dialektik) waren „alle Wahrnehmung, gedankliche Ordnung und Explikation des Wahrgenommenen, also der gesamte Perzeptions- und Kommunikationsprozess, dem das Wissen von der Welt, seine ‚Speicherung‘ und seine Weitergabe an andere unterlagen, (…) in entscheidender Weise betroffen.“219 „Mit einiger Übung gestattete diese Lehre, auch komplexe gesellschaftliche, herrschaftliche, organisatorische Zusammenhänge angemessen, in seinen Teilen und als Ganzes zu erfassen. Ein analytischer Sinn für Satzaussagen wurde geformt (…). Diese Rhetorik entpuppte sich damit als eine Aufklärungswissenschaft, die unmittelbar der Dialektik in die Hand arbeitete.“220 Burchards Berichtslogik ist einem Frageraster verpflichtet, das in ähnlicher Form in vielen berufspraktischen pragmatischen Tätigkeiten notwendig war. Auf der Ebene der Textgestalt fallen strukturelle Parallelen zum Verwaltungsschriftgut ins Auge, dessen Funktion ebenfalls in der systematischen Erfassung und Konservierung von Datenmaterial liegt. Übereinstimmungen weist Burchards Bericht mit Urbaren auf. Den zu ökonomischen, administrativen oder rechtlichen Zwecken erstellten Aufzeichnungen und Verzeichnissen über Besitzrechte und zu erbringende Leistungen einer Grundherrschaft lagen ebenfalls Fragelisten zugrunde.221 In der mittelalterlichen Verwaltung für Bestandsaufaufnahmen stellten sie eine geläufige Praxis dar und boten als ständig aktualisierbare Gebrauchstexte temporär gültige Informationen über Land, Leute, Rechte und Einkünfte innerhalb der grundherrschaftlichen Verwaltung.222 Zur Wissenserhebung und Erstellung der Inventare suchten herrscherliche Beauftragte (missi) die betreffenden Güter nacheinander auf, besichtigen sie und erfragten nach vorher festgelegten Kriterien das Wissenswerte von kundigen, vertrauenswürdigen Leuten.223 Die mündlichen, volkssprachlichen Auskünfte wurden lateinisch doku218 Gründel, Lehre (1963), 25  ff.; 51  f. Unter Karl dem Großen verfasste Alkuin die „ersten eigenen dia­ lek­tischen Werke des Mittelalters“, die Rhetorik und die Dialektik, welche weite Verbreitung fanden. Mit der Dialektik wurde die Kategorienlehre des Aristoteles eingeführt; die Rhetorik schulte „systematisches Fragen, Gedächtnisschulung, brauchbare Definitionen und Unterscheidungen [und] eine logische Argumentationstechnik“, Fried, Karl (2013), 331. Die circumstantiae wurden im einzelnen erfragt und die Antworten expliziert: Die pars subjectiva (bei Alkuin: persona), das ‚wer?‘ (…); die Pars declarativa (bei Alkuin: factum), das ‚was?‘ (…); der locus, das ‚wo?‘; das tempus, das ‚wann?‘; der modus, das ‚wie?‘; die causa, das ‚warum?‘; die facultas, das ‚womit?‘, übernommen aus Fried, Nutzen (1997), XIII; auch Ders., Karl (2013), 332–342; Ders., Wissenskulturen (2009); Ders., Aufstieg (2001), bes. 47–58. 219 Fried, Nutzen (1997), XIIIf. 220 Fried, Karl (2013), 335. 221 Ebd., 219–230; Hägermann, Urbar (2002); Sablonier, Verschriftlichung (2002); Kuchenbuch, Gesellschaft (1978). 222 Kuchenbuch, Ordnungsverhalten (1997), 176; 237; Ders., Numerus (2012), 127; Stagl, Dialog (1978). 223 Der Inhalt der Befragung zielte nicht nur auf die Feststellung von Habe und Soll, gefragt wurde ebenso nach „geltenden Arbeitsgewohnheiten, sozialen Positionen, Gruppierungen und Beziehun-

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mentiert, die Aussagen „zur schriftförmigen Serie gekürzt“.224 Gekennzeichnet ist die Fixierung durch eine Aneinanderreihung von Kernaussagen in standardisiert formelhafter Sprache, wie sie auch für Burchard charakteristisch ist. Der schlichte und sehr knapp gehaltene Aufbau des Schriftstückes deutet auch bei dem Burchardbericht auf eine Gebrauchsfunktion hin. Im Vergleich mit anderen Reiseberichten sticht bei Burchard besonders die Systematik der Beschreibung hervor. Lange Beschreibungen und sachlicher Stil sind zwar keine Seltenheit in Reiseberichten, einzelne Elemente des an der laus urbium oder allgemeiner an den circumstantiae orientierten Fragen sind auch Bestandteil der Orts- und Personenbeschreibungen anderer Darstellungen wie Chroniken, Annalen, Briefe, Berichte, Hagiographien und Lobreden, jedoch nicht in dieser Konsequenz, Kürze und Fokussierung auf gegenwärtige und nicht historisch-religiöse Aspekte anzutreffen.225 Bei den von Aryeh Graboïs zusammengestellten 152 Pilgerberichten des Mittelalters, angefangen mit dem Itinerarium des sogenannten Anonymus von Bordeaux (333) und der Egeria (383) bis zum Bericht über die Jerusalemfahrt Heinrichs des Frommen (1498) und der Pilgerfahrt des Arnold von Harff (1499), handelt es sich in der Mehrzahl um Aufzählungen heiliger Orte, zumeist um Beschreibungen, die aus älteren Quellen ergänzt wurden.226 Erst ab dem 13. Jahrhundert finden Bemerkungen über Land und Leute sowie persönliche Äußerungen und Bewertungen Eingang in die Heiliglandbeschreibungen. Nicht mehr nur die Imitatio, sondern auch ein Abgleich mit der tatsächlich vorgefundenen Stätte ist Bestandteil der Darstellung, die damit nicht nur den Aufenthalt bestätigt, sondern einen kritischen Blick (sens critique) vermittelt.227 Im 16. Jahrhundert werden Beschreibungsschemata in apodemischen Reiseberichten Usus,228 ein spätmittelalterliches Beispiel einer am Städtelob orientierten Beschreibung bieten die Reisebeschreibungen des Felix Fabri.229 gen, die Besitz-, Zins- und Dienstformen oder die Konfliktregelungsusancen.“ Alles Weitere hing vom jeweiligen Ermittlungsauftrag und dem Wissensinteresse des Beauftragten ab, Kuchenbuch, Numerus (2012), 127  f. 224 Kuchenbuch, Numerus (2012), 128. Die dunkelste Stelle bleibt wie in den meisten Texten der „Medienwechsel“ von der Erfahrung zur Verschriftung. 225 Vgl. die von Huschenbett zusammengestellten Merkmale spätmittelalterlicher Palästina-Pilgerberichte, Huschenbett, Vart (2000), 122  f. 226 Graboïs, Pèlerin (1998), 211–214. Während aus dem frühen Mittelalter noch vereinzelt Texte überliefert sind, liegen für das 10. und 11. Jahrhundert kaum Berichte vor, ebd., 16; vgl. Röhricht, Bibliotheca (1890/1963). Einen Aufschwung erfuhr das Pilgerwesen im 12. Jahrhundert: 21 Titel sind überliefert, von denen nach Graboïs allerdings nur sechs als Reiseberichte gelten können. Der größte Anteil (rund zwei Drittel) ist für das 14. Und 15. Jahrhundert zu verzeichnen. In dieser Zeit ist auch ein Wandel in der Darstellung zu konstatieren, Graboïs, Pèlerin (1998), 15  f.; 125; vgl. Reichert, Erfahrung (2001), 146  f.; Hippler, Reise (1987); Schmugge, Pilger (1985). 227 Graboïs führt in diesem Zusammenhang Burchard als „cas isolé“ an, Graboïs, Pèlerin (1998), 106. 228 Stagl, Geschichte (2002); Ders., Ars (1992); Neuber, Gattungspoetik (1991). Kategorien zur Informationsgewinnung über die Mongolen wurden 1245 auf dem Konzil von Lyon festgelegt. 229 Schröder, Christentum (2009), 187  f.

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II.3.3 Die spezifische kommunikative Funktion der Textgestalt Welche Aussagen können aus dem schriftspezifischen Befund des Burchardberichtes auf der Ebene der Textgestalt230 in Hinblick auf die spezifische kommunikative Funktion des Berichtes getroffen werden? Wer ist verantwortlich für die Systematik? Ist die Form allein der Formierung Burchards zu verdanken? Schreibt hier ein langjähriger Verwalter einen Bericht nach seiner ihm geläufigen Methode? Oder sind dafür gattungsspezifische Vorgaben und Instruktionen zur Abfassung einer relatio verantwortlich?231 Eine gute rhetorische Vorbildung stellte sowohl für den Verwalter als auch für den Gesandten das Inventar sprachlicher Techniken wie auch die heuristische Methode zur Beschreibung zur Verfügung.232 Beide mussten Aufgaben eines missus erfüllen,233 so dass beide Möglichkeiten wie auch ihre Kombination in Betracht zu ziehen ist, was wiederum die Frage der Eignung des Gesandten berührt. Nach Joachim Knape sind Texte „Exponenten von ganz bestimmten Kommunikationshandlungen. Wir sagen also: Ein Kommunikator bildet mit Texten nicht nur etwas ab (Feld des Wissens), sondern immer handelt er zugleich mit ihnen (Feld der Pragmatik). (…) Der Kommunikator verhandelt im Text immer mindestens zwei Dinge: eine Sache (Information) und ein Anliegen (Botschaft); hinzu kommen sein spezifischer Umgang mit den semiotischen Bedingungen (Art und Struktur der

230 Gérard Genette unterscheidet drei narratologische Textebenen: 1. histoire (story oder plot); 2. récit bzw. discours narratif (Textgestaltung) und 3. narration (Kommunikation), welche in Hinblick auf ihre jeweilige Intentionalität und Funktion getrennt untersucht werden können, Genette, Erzählung (32010), 12; Knape, Textleistung (2013), 152. 231 Bekannt ist, dass für die erste vatikanische Kontaktaufnahme mit dem mongolischen Reich gegen Ende des 13. Jahrhunderts zwei Kontaktpersonen ein halbes Jahr vor ihrer Abreise für die Fahrt ausgewählt und eigens im Berichten und Beobachten für die Berichterstattung trainiert wurden, Münkler, Erfahrung (2000), 87. 232 Chaplais, Practice (2003), 112  f. Instruktionen für Boten und Gesandte verlangten eine absolute Hintanstellung der eigenen Person bei diplomatischen Aufträgen, war doch der Bote oder Beobachter nur Medium zur Erfassung relevanter Daten. 233 Das Institut der Herrenboten oder Missi dominici bestand bis ins 10.  Jahrhundert und wurde unter Karl dem Großen seit ca. 780 weiter ausgestaltet. Aufgabe der Missi war, nachgeordnete Funktionsträger und deren Amtsbezirke (Pfalzen, Grundherrschaften, Klosterbesitz) zu kontrollieren. Mittels der Boten wurde der König über die Lage in seinem Reich, besonders an der Peripherie seines Herrschaftsgebietes, informiert. Die Autorität der Missi wiederum beruhte auf dem königlichen Auftrag, den sie als „Herrschaftsinstrumente“ auszuführen hatten, Fried, Karl (2013), 239–241. „Die Missi bekamen (wohl schriftlich) Instruktionen mit auf den Weg, oft nur kurze Gedächtnisstützen, gleichsam Merkzettel: ‚Über Diebe und Räuber. Über falsche Zeugen. Über Meineidige. Über Flüchtige. Über Leute, die wegen kleinerer Vergehen eingesperrt wurden. Über die Münze‘“, ebd., 239. Das Institut der Königsboten verlor als Kontrollinstrument im Hochmittelalter seine Wirksamkeit. Kontrolle übte die Reichsverwaltung in der Barbarossazeit über Legaten und königliche Herrschaftsträger aus, deren Aufgabenbereiche sich aber mit denen der karolingischen missi deckten, vgl. Du Cange, Glossarium Bd. 5 (1938), Missus, Sp. 421–424.

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Kodierung).“234 Grundsätzlich kann rhetorisches Handeln als „persuasionsorientierte Kommunikation“ begriffen werden, gemeint ist damit die „Lenkung des Denkens der anderen nach dem auf Veränderung gerichteten Metabolieprinzip (Standpunktwechsel in Hinsicht auf Meinung, Einstellung oder Verhalten)“,235 welche mittels bestimmter strategischer Kommunikationsverfahren – „erkenntnissteuernder und erkenntnisgenerierender Phänomene im Text“ – erreicht wird.236 Bei der Frage nach der spezifischen kommunikativen Funktion des Textes gerät wieder der Autor in den Blick, „der in seinem Bewusstsein Intentionalität (kommunikative Zielvorstellungen, gerichtete Dynamik) ausprägt, sie im sozialen Handlungsraum per kommunikativer Intervention über Texte ausagiert, um sie letztendlich im Bewusstsein seiner Kommunikationspartner zu implementieren“ und um bei diesen eine bestimmte Wirkung zu erzielen.237 Die Verwendung dieser Kommunikationsverfahren gibt Aufschluss über die Rolle des Autors als „strategischem Kommunikator“.238 Mittels einer näheren Bestimmung der Kategorien Intention und Funktion kann versucht werden, die kommunikative Funktion des Berichts für die Textebene des récit (Textgestaltung) im Kontext eines gesetzten historischen Rahmens, oder innerhalb einer „situativen kommunikativen Welt“, zu spezifizieren,239 wobei die theoretischen Bereiche Text und Kommunikation auseinandergehalten werden müssen.240 „Intention bezieht sich aus rhetoriktheoretischer Sicht auf den Sender im Kommunikations234 Knape, Rhetorik (2000), 118. „Der Orator hat bei der Textproduktion darauf zu achten, dass er die zahlreichen im Text zusammenspielenden Komponenten für die Erzeugung seiner Botschaft funk­tio­ na­lisiert. Das betrifft alle informationellen, textlinguistischen und ästhetischen Phänomene, insbesondere auch die stilistischen (z.  B. rhetorischen Figuren). Insofern akzentuiert der Botschaftsbegriff die Differenz zwischen der propositionalen und der funktionalen Textbedeutung“, ebd., 107. 235 Ebd., 79. Schon die älteste Rhetorikdefinition von Platon bezeichnet Rhetorik als Psychagogie, „als Seelenleitung des Menschen durch den Menschen“, ebd., 9. Aristoteles definiert Rhetorik als „eine Fähigkeit, bei jeder Sache das möglicherweise Glaubenerweckende oder Überzeugende (pithanón) zu betrachten“, Aristoteles, Rhetorik, I, 2, 1. Ed. Rapp (2002), 22; Knape, Textleistung (2013), 136. 236 Ebd., 139. 237 Knape, Rhetorik (2000), 46. Der Autor ist in der Textrhetorik „nicht auf den emphatischen Autorbegriff der Neuzeit bezogen, sondern wird rein kommunikationstechnisch verstanden. Das auf den Kommunikator bezogene Autorkonzept ist grundsätzlicher ausgelegt als Michel Foucaults ‚Autorfunktion‘, die nur in bestimmten Diskursen einer Gesellschaft aktiviert wird“, ebd., 109. 238 Ebd., 33. 239 Ebd., 119. Joachim Knape unterscheidet die Begriffe Intention, Wirkung und Funktion zur Bestimmung der ‚Textleistung‘. Die mit dem Begriff Textleistung beschriebene Kategorie entspricht hierbei weitgehend der „spezifischen kommunikativen Funktion“ bei Luckmann. Die Leistung eines Textes „resultiert aus der funktionalen Zuordnung zu bestimmten Interaktions-frames.“ Als Leistung des Textes ist „das dabei ermittelbare, auf Effekte irgendwelcher Arte gerichtete Kommunikationspotential unter den gegebenen Funktionalbedingungen anzusehen, das sich bei der Produktion durch bewusste Akte der Konstruktion textuell erzeugen und durch methodische Analysen ermitteln lässt.  (…) Damit einher geht natürlich auch die Beobachtung dessen, was der konkrete Text nicht leistet, obwohl es der Gattungsrahmen zuließe“, Knape, Textleistung (2013), 141. 240 Knape, Rhetorik (2000), 119.

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modell und bezeichnet subjektive Absichten des Verfassers eines Texte, die Eingang in den Text finden.“241 Die Funktion hingegen bezeichnet eine „objektivistische Bestimmung“ im Zuordnungsverhältnis zweier Größen.242 In der Rhetorik wird dieses Verhältnis instrumentalistisch betrachtet, bezieht also den Interaktionszusammenhang mit ein.243 Im Prolog des Orientberichts formuliert der Verfasser seine Intention, empirische Daten festzuhalten und damit eine bestimmte Informationssorte zu präsentieren. Inwiefern der Verfasser das Vorhaben inhaltlich erfüllt, ergibt sich erst aus der Untersuchung des Realitätsgehaltes und -bezuges des Dargestellten. Aus den Propositionen des Textes kann aber schon auf der formalen Ebene festgestellt werden, dass dem Text ein sachlicher Informationsschwerpunkt zugrunde liegt. Zu klären ist das Verhältnis der intentional-propositionalen Bedeutung des Berichtes zur funktionalen Bedeutung, welche sich auf die Texthandlung bezieht.244 Für eine nähere Funktionsbestimmung ist das Kommunikationspotential des Textes in Beziehung zu dem oder den vermutlichen Adressaten zu setzen, wobei besonders das einzubeziehen ist, was hier nach erstem Augenschein fehlt, um als Gesandtschaftsbericht gelten zu können: Die Angabe eines genauen Adressaten als Auftraggeber der Relatio und die Wiedergabe diplomatischen Geschehens. Ein Adressat wird nicht genannt, eine salutatio fehlt, die captatio benevolentiae wird argumentativ mit der Nennung des Berichtsinhaltes realisiert. Es handelt sich damit in dieser überlieferten Textgestalt nicht um einen Brief.245 Nicht auszuschließen ist, dass dem Bericht ursprünglich eine Dedikation oder Salutatio vorangestellt war und ihm doch noch eine andere Funktion zukam.246 Zu fragen wäre dann aber, weshalb diese in den Abschriften weggelassen wurde, schließlich würde die Legitimation des Schriftstückes damit zusätzlich unterstrichen. Denkbar ist, dass es sich um die Verschrift­ lichung einer mündlichen Botschaft handelt.247 Möglich ist auch, dass es sich bei dem 241 „Ihm gegenüber steht der Begriff Wirkung, der vom Adressaten her gedacht ist und alles bezeichnet, was beim Adressaten informationell und pragmatisch auf der kognitiven wie emotionalen Ebene ankommt und als Folge der Textapperzeption faktisch eintritt; dies kann, gemessen an der Intention des Senders, unter Umständen sehr wenig sein, weil die Wirkung immer den internen Selektions- und Verarbeitungsmechanismen des Adressaten unterliegt“, Knape, Textleistung (2013), 139. 242 Ebd., 139. 243 In Anlehnung an Karl Bühler unterscheidet Joachim Knape in dieser Hinsicht drei Zuordnungsaspekte: 1. intramental (kognitive und emotionale Befindlichkeiten des Sprechers betreffend); 2. den Wunsch nach Aufmerksamkeit betreffend; 3. in Bezug auf andere, sprechexterne Sachverhalte, ebd., 140. 244 Vgl. Hoffmann, Thema (2000), 350. 245 Nach den Vorgaben der ars dictandi sind für einen Brief die vier Komponenten exordium, narratio, argumentatio, conclusio bestimmend, Worstbrock, Anfänge (1989), 281. 246 Die Nennung des Kaisers mit dem ihm zukommenden Attributen vor dem Verfasser entspricht dem üblichen Prinzip der Personenhierarchie, Worstbrock, Anfänge (1989), 287. 247 Auf Grundlage allerdings nur eines Zeugnisses vermutet Chaplais, dass Gesandte die Worte ihres Auftraggebers in der dritten Person Singular wiedergaben: Dominus meus H. [Heinrich II. von Eng-

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überlieferten Bericht um eine zu rhetorischen Übungszwecken angehender Notare stark reduzierte Fassung eines ursprünglich längeren und ausführlicheren Briefes oder Berichtes handelt, wie sie in Sammlungen der ars dictamini vorkommen.248 Bekannt sind solcherart didaktisch reduzierte Formen vornehmlich für Schriftstücke, die zur offiziellen Korrespondenz mit den fremden Herrschern im diplomatischen Geschehen zählen.249 Diese Texte „sont en partie décontextualisés par suppression ou abréviation des salutationes, des noms propres, des clauses finales, et bien sûr, des marqueurs d’autorité externe. Cette modification induit en effet de brouillage entre création formulaire et adaptation d’un document réellement expédié et retraité sur un mode formulaire qui peut conduire à paralyser les procédures d’authentification.“250 Die Unterscheidung von fiktiven, rein zu Übungszwecken erstellten Texten ist allerdings schwierig und lässt sich oftmals nicht eindeutig entscheiden.251 Zwar legt das Profil der Textgestalt aufgrund der informationellen, textlinguistischen und textrhetorischen Merkmale eine Zugehörigkeit zu einer Textsorte ‚Gesandtschaftsbericht‘ nahe. Gerade aufgrund der rhetorischen Ausbildung, in der die imitatio von Modelltexten im Mittelpunkt stand, kann allerdings nicht in jedem Fall eine land] rex supplex me misit ad vos …, Chaplais, Practice (2003), 49; zitiert aus dem Brief an Gregor VII. zum Jahr 1079, MGH Leg. Sect. IV, Const. I, Nr. 388, 552. Die mündliche Botschaft kann dabei auch auf Latein überbracht worden sein, denn die Verwendung einer Volksprache setzte diese gemeinsame sprachliche Alternative zum Latein bei allen Beteiligten voraus, die zudem allseits akzeptiert sein musste. „Selbst wenn Franzosen mit Italienern Kontakt aufnehmen, kann das Lateinische im intraromanischen Dialog zum Einsatz kommen. Denn selbst dort, wo die Verwendung der Volks- oder Nationalsprachen nahe liegen könnte, ist zu bedenken, dass diese auch im späten Mittelalter vielfach noch keine überall gültigen sprachlichen Standards hervorgebracht haben, sondern in zahlreiche Dialekte und Varianten zerfallen“, Haye, Oralität (2005), 60. Die Wahl der Sprache ist an das „Ausbildungsprofil“ des Gesandten gebunden, daneben lieferte das Latein die terminologisch präzisen Begriffe und ist die Schriftsprache überhaupt, ebd., 61; Ders., Sprache (2003), 22  f.; Lehmann, Leben (1959). Zu Kommunikation und der actio siehe auch Woelki, Pontano (2011), 179–204. Woelki weist für das Spätmittelalter auf die „weitgehende Äquivalenz mündlicher und schriftlicher Argumentationstechniken“ hin, ebd., 183; Feuchter/Helmrath, Redekultur (2008); Knape, Persuasion (2000); Gerteis, Reisen (1989). Zu Mündlichkeit und Schriftlichkeit siehe Luckmann, Gattungen (2008); Schnell, Nichtverstehen (2008); Koch, Latin (2008); Haye, Oralität (2005); Ders., Sprache (2003); Koch/Oesterreicher, Schriftlichkeit (1994); Ong, Oralität (1987); Helmrath, Kommunikation (1987), 140. 248 Grévin, Documents (2013), 62  f. 249 Ebd., 51. 250 Ebd., 62  f. 251 „Ces fictions reflétant des échanges diplomatiques imaginaires parasitent en quelque sorte la transmission des messages diplomatiques authentiques échangés entre les souverains de l’Europe latine et les souverains orientaux, qu’ils soient byzantins, musulmans ou païens“, ebd., 62  f. Zu diesen Schriftstücken zählt auch die Korrespondenz mit dem legendären Priesterkönig Johannes. Prominentes Beispiel einer solchen „Fälschung“ ist der angebliche Brief des Assassinenoberhauptes an König Manfred von 1204, den Hans Martin Schaller nicht als solche erkannt und für authentisch gehalten hat, Schaller, König (1965). Grévin zufolge geben abgesehen vom Inhalt v.  a. Form und Sprache Anlass, an der Glaubwürdigkeit zu zweifeln, Grévin, Documents (2013), 61; 66. Grévin führt weiter Schriftstücke auf, deren Authentizität ähnlich zweifelhaft ist, ebd., 70–72.

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 Form und Funktion. Bestimmung der Textgrundlage nach äußeren Merkmalen

tatsächliche Reise und ein Berichtsauftrag vorausgesetzt werden. Das rhetorische Instrumentarium und die Kenntnis tatsächlicher Gesandtschaftsberichte gab entsprechend geschulten Personen die Möglichkeit an die Hand, mit unterschiedlicher Zielsetzung fiktive Berichte zu verfassen, die sich mitunter kaum nachweisen lassen,252 wie Benoît Grévin für die diplomatische Korrespondenz des 13.–15.  Jahrhunderts aufgezeigt hat.253 Die von Burchard gewählte Form der Descriptio lässt sich häufig in Pilgerberichten beobachten, muss also kein Spezifikum dieser Textsorte sein. Gleichermaßen kann die Textgestalt mit der ihr zugrundeliegenden Systematik zu einem nicht bestimmbaren Teil auf die mögliche Vorbildung des Gesandten, der sich selbst als Viztum bezeichnet, zurückgeführt werden. Wenn diese Angabe stimmt, wäre die für den Burchardbericht charakteristische „kategorisierende Aneignung der Wirklichkeit“ u.  U. mit einer verwaltungsspezifischen Praxis in Verbindung zu bringen und durch die soziale Praxis des Autors vorgegeben.254 Doch unterscheiden sich die Beschreibungskategorien im Verwaltungsschriftgut von den hier verwandten, so dass es sich in keinem Fall um eine direkte Umsetzung des Gewohnten handelt, sondern der Befragung eine bewusste Entscheidung zugrunde lag. Auch war ein Autor seinen berufsbedingten Gewohnheiten nicht in allen Bereichen stereotyp verhaftet. Je nach Kontext, Diskurs und causa boten sich andere Gestaltungsmöglichkeiten an, wie Huschenbett im Vergleich lateinischer und volkssprachlicher Pilgerberichte gezeigt hat.255 Inwieweit die mit dem Prolog und der Textfunktion verbundenen inhaltlichen Implikationen eines Gesandtschaftsberichtes, nämlich aktuelle Wirklichkeit darzustellen, erfüllt werden, ergibt sich aus der nun folgenden Untersuchung des Realitätsgehaltes und der Authentizität der Aussagen. Die Authentizität des Inhalts bezieht sich dabei auf die tatsächlichen Erfahrungen des Reisenden. Anders als in der Authentizitätsdefinition des überlieferten Schriftstückes ist sie nicht an den Autor, sondern an das reisende, erfahrende Subjekt gebunden, dessen Beobachtungen hier niedergelegt sind.

252 Grévin, Documents (2013), 52. 253 Ebd.; Ders., Lettre (2009). 254 Vgl. Tophinke, Gattungsgrenze (1997), 170. 255 Dietrich Huschenbett stellt die „unterschiedliche Aufnahme von neuem Wissen“ in unterschiedlich konnotierten Medien heraus. Die Rezeption und Darstellung von Inhalten war demnach nicht nur von den „verschiedenen Ständen“ (Ritter, Kaufmann etc.) und deren Vorwissen und Fokussierung, sondern ebenso von der Gattung und der Sprache des verfassten Schriftstückes abhängig, Huschenbett, Orient (1991), 305.

III Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts Ob Burchards Bericht als glaubwürdiges, auf Autopsie beruhendes Dokument einer tatsächlichen Reise angesehen werden kann, ergibt sich aus der Prüfung des Realitäts- und Aktualitätsgehaltes seiner Darstellung und dem Vergleich mit bis dahin bekannten Schriftzeugnissen ähnlicher Thematik. Der Realitätsgehalt bezieht sich auf den verifizierbaren Bezug zur außersprachlichen Referenzebene, i.  e. auf die Abbildung von Wirklichkeit im Unterschied zu Wahrheit. Während Wirklichkeit nur „diejenigen Fakten bezeichnet, die sich einem wissenschaftlichen Urteil unterziehen lassen“, beinhaltet der Begriff Wahrheit auch davon ausgenommene Sachverhalte. „Auch aus mittelalterlicher Sicht sind auf semiotisch-textueller Ebene Wahrheit und Wirklichkeitskonstruktion nicht unbedingt dasselbe“1, doch besteht ein größerer Spielraum, zumal Verfahren der Faktizitätsprüfung nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung standen. Der Aktualitätsgehalt ergibt sich aus dem nachweisbaren Bezug zum angegebenen Reisezeitraum, wobei die Darstellung aber nicht nach modernem Verständnis realitätskonform sein muss. Die Schwierigkeit dieser Prüfung liegt darin, dass die Quellenlage zu den einzelnen Orten und Reisestationen Burchards lückenhaft ist und meist keine eindeutigen Aussagen zum genauen Reisezeitraum zulässt. Ein ungefähres Bild ergibt sich erst aus der Zusammenschau verschiedener Quellengattungen, die in ganz unterschiedlichen Absichten verfasst wurden. Berücksichtigt werden müssen gleichermaßen Befunde aus archäologischen und topographischen Untersuchungen. Problematisch ist insbesondere die Frage nach dem Realitätsgehalt der überlieferten Schriftzeugnisse. Bezugspunkte der Darstellungen sind faktische Gegenstände und Ereignisse, deren Erkenntnis und Vermittlung bekanntlich von verschiedenen Faktoren abhängen, die weniger mit den res, sondern dem beschreibenden Subjekt zu tun haben.2 In jedem Fall müssen die jeweiligen Konstitutions- und Geltungsbedingungen der Vergleichsquellen für Burchards Bericht berücksichtigt werden, da jeder Darstellung eine spezifische Auffassung der Wirklichkeit zugrunde liegt. Verfügbar sind lediglich Repräsentationen und sprachliche Artefakte einer behaupteten eigenen Wahrnehmung. Zu differenzieren ist neben tradiertem und erfahrenem Wissen zwischen Wahrnehmung und Diskursivierung.3 Ihren Niederschlag finden nach Marina Münkler weniger die mentalitätsgeschichtlich bedingten ‚Erfahrungsmöglichkeiten‘ historischer Subjekte. Vielmehr determinieren die diskursiv begründeten Möglichkeiten und Bedingungen innerhalb bestimmter ‚Spezialdiskurse‘ Inhalte und Wissensform der Darstellung. Ausschlaggebend ist die jeweils wirksam werdende Aneignung von Wirklichkeit, die sich nach den spezifischen

1 Knape, Textleistung (2013), 146. 2 Münkler, Erfahrung (2000), 222–240; dazu auch Kapitel II.2. 3 Münkler, Erfahrung (2000), 237.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Bedürfnissen, der Praxis und der Perspektive bestimmter Trägergruppen oder Kulturkontaktsysteme richtet.4 Die untersuchungsleitende Frage nach dem Anteil empirischer Erfahrungen in der Darstellung bezieht sich zugleich auf die Herkunft des aktuellen Wissens und schließt Beobachtungen von Vertretern anderer Kontaktsysteme ein, mit denen Burchard möglicherweise in Berührung kam. Aus dem close reading ergeben sich auch nähere Anhaltspunkte bezüglich des Reiseverlaufs und des Zwecks der Reise. Zwar stellen ein nachweisbar signifikanter Eigenanteil und Aktualitätsbezug des Berichtes keinen endgültigen Beweis für die Reise und die Autorschaft Burchards dar, machen aber die gegenteilige Annahme unwahrscheinlicher. Aktualitäts- und Realitätsbezug bestimmen die Historizität des Textes. Im Folgenden werden die einzelnen Abschnitte der Reiseroute samt ihrer naturund landeskundlicher Beobachtungen, die Reisestationen und Städte (1) wie auch die Beschreibungen der Bewohner der bereisten Gebiete (2) untersucht.

III.1 Reiseroute und Reisestationen III.1.1 Die Seereise von Genua nach Alexandria Im ersten Abschnitt des Reiseberichts schildert Burchard die Seereise von Genua nach Alexandria. Gemäß seinen Angaben lief das Schiff am 6. September 1175 aus5 und erreichte 47 Tage später den Hafen von Alexandria, der Ankunftstag fiel damit auf den 23.  Oktober.6 Folgt man Burchards Hinweisen bezüglich der Route, fuhr das Schiff zunächst westlich an Korsika vorbei, dann zwischen Korsika und Sardinien durch die Straße von Bonifacio7 (inter duas insulas) in Richtung Sizilien. Die Entfernungsangabe beider Inseln voneinander gibt Burchard mit vier Meilen an, was bei einer Meilenlänge von ca. 3 km tatsächlich der kürzesten Distanz von 12 km 4 Ebd., 237. 5 VIII idus septembris: Das Datum fiel 1175 auf einen Samstag, was für jüdische Händler problematisch war, weil dringende Erledigungen am Abreisetag nicht mit dem Sabbat vereinbar waren, Abulafia, Mittelmeer (2013), 348; 353; Patai, Children (1998), 93–96. Während in Ägypten und muslimischen Ländern besonders Juden im Fernhandel aktiv waren, galt dies anscheinend nicht für Genua. „By 1160, when the Spanish traveler Benjamin of Tudela passed through Genoa on his way to the Holy Land, he found in Genoa only two Moroccan Jews. Whether a larger community had once existed in Genoa is doubtful, but the future was not; the city was hostile to Jews and they never established a medieval community there“, Epstein, Genoa (1996), 46; Urbani/Zazzu, Jews (1999), xii. Eine ähnlich judenfeindliche Haltung ist aus Marseille zu dieser Zeit bekannt. 6 In mari vero XLVII diebus navigando (…). 7 Aufgrund von Riffen und Strömungen ist diese Meerenge gefährlich, zudem war sie wegen Pira­tenüberfällen berüchtigt. Zur Reisezeit Burchards befand sich Bonifacio in pisanischer Hand, 1187–1195 konnten die Genuesen Stadt und Festung von Bonifacio einnehmen, Quellenedition dazu: Cancellieri, Bonifacio (1997).

Reiseroute und Reisestationen 

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entspricht und sich eindeutig auf die Meerenge bezieht. Alternativ ist auf Grundlage seiner Beschreibung auch die Fahrt an der Ostküste Korsikas entlang und anschließend in ost-westlicher Richtung durch die Straße von Bonifacio vorstellbar. Der Weg hätte daraufhin südwestlich um Sardinien herumgeführt, Sizilien wäre von Südwesten her erreicht worden. Allerdings ist die sardische Westküste starken Westwinden ausgesetzt und felsig, solange kein zwingender Grund bestand, wurde das Mare Sardinie (Mare di Sardegna) vermieden.8 Auch Burchard beschreibt das Mare Sardinie als das gefährlichste und wildeste Meer überhaupt.9 Eine Fahrt durch die Meerenge zwischen Korsika und Sardinien scheint nur sinnvoll, wenn an der Nord- bzw. Westseite Korsikas oder Sardiniens ein Hafen angelaufen wurde, jedoch macht Burchard diesbezüglich keine Angaben. Da er auch für Sizilien keinen Zielhafen nennt, bleibt unklar, ob das Schiff anschließend Sizilien süd-westlich umrundete und hier vor Anker ging oder von Norden kommend den Weg durch die Straße von Messina nahm. Zwar entspricht die Reihenfolge der darauffolgenden Beschreibungen von zuerst Malta und dann Pantelleria nicht dem Kurs von Westen her, stellt aber keinen Gegenbeweis für diese Route dar. Von Pantelleria aus gelangte Burchard binnen sechs oder sieben Tagen in ein „barbarisches (terra Barbarica), von Arabiten bewohntes Land“10, wobei es sich vermutlich um einen Ort an der tunesischen oder libyschen Küste handelt. Schließlich ging es von dort aus ohne nennenswerte Unterbrechung nach Alexandria (siehe Karte S. 95). Wo das Schiff anlegte, ist aus dem Bericht nicht klar ersichtlich. Burchard erwähnt weder Ortsnamen noch konkret einen Landgang. Sichere Rückschlüsse auf einen tatsächlichen Aufenthalt lassen seine unpersönlichen und allgemein gehaltenen Angaben über die Mittelmeerinseln nicht zu. Gleichwohl hängt die Glaubwürdigkeit des Berichteten von der Plausibilität etwaiger Zwischenstopps ab. Einen verlässlichen Anhaltspunkt für die Anzahl und Dauer der Fahrtunterbrechungen kann auch die Reisedauer nicht bieten, da die Überfahrt von Genua nach Alexandria je nach Wetterlage zwischen 16 bis 60 Tage in Anspruch nehmen konnte.11 Darüber hinaus war die Geschwindigkeit vom Schiffstyp abhängig: Eine Galeere war schneller als

8 Als mare Sardoum oder mare Sardinie wird seit der Antike nur das Meer westlich von Sardi­nien bezeichnet, an der Ostseite grenzt das Tyrrhenische Meer an Sardinien. Möglicherweise bezieht sich Burchards Schilderung des Mare Sardinie aber auch auf die Meerenge zwischen Korsika und Sardinien, der Weg zwischen den Inseln hindurch könnte aufgrund unruhiger See gewählt worden sein. Einige Jahre später berichtet Ibn Ǧubair von einem schlimmen Unwetter im Mare Sardinie, als er von Ceuta kommend über die Balearen nach Sardinien fuhr und dann auf der „Inselroute“ südlich von Sardinien nach Sizilien und Alexandria weiterreiste, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 21; Abulafia, Mittelmeer (2013), 404  f. Nordwestliche Winde begünstigten auf dieser Route die Fahrt, Pryor, Geographie (1988), 16–19; 37. 9 Mare Sardinie inter cetera maria ferocissimum est et magis periculosum. 10 Inde procedens per VII dies, veni ad terram Barbaricam ab Arabitis inhabitatam (…). 11 Abulafia, Mittelmeer (2013), 353; Balard, Romanie I (1978), 473.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

eine Navis oder ein kleineres Gefährt.12 Notariatsakten und Handelsverträge, welche Auskunft über den Fernhandel geben, stehen für den hier relevanten Zeitraum nicht zur Verfügung.13 Überliefert sind die ältesten Verträge Genuas von Giovanni Scriba für 1155–1164,14 dann vereinzelt erst wieder ab 1179 (1176),15 wobei eine Verlagerung des Schwerpunktes von der Levante in das westliche Mittelmeer zu konstatieren ist.16 Da insgesamt nur ein kleiner und fragmentarischer Prozentsatz der Akten tradiert ist, können statistische Auswertungen nur unter großem Vorbehalt vorgenommen werden;17 Burchards beschriebene Route entspricht keinem der in der Literatur genannten Fahrtwege.18 Die im 13. Jahrhundert übliche Reiseroute von Genua nach Alexandria führte an der italienischen Küste entlang nach Sizilien, dann durch die Straße von Messina in südöstlicher Richtung nach Alexandria (und weiter nach Akkon), wobei auf dem

12 Genua stützte sich auf eine Galeerenflotte. Die für den Schiffbau benötigten Materialien wie Holz, Eisen, Pech, Teer, Hanf und Leinen mussten zwar allesamt importiert werden, dennoch wurde in den Werften Genuas „eine breite Palette von Schiffstypen entsprechend den unterschiedlichen Anforderungen“ gebaut. Zu unterscheiden sind eine „militärische“ und eine „kommerzielle“ Version der Galeere, letztere wurde „zum Transport von Luxusgütern auf langen Strecken oder als Passagierschiff (…) eingesetzt.“ Die „frühe Standardversion“ war ca. 40 Meter lang, vier bis fünf Meter breit und konnte neben der Besatzung von 350 Mann noch 1000 Pferde oder 1000 Passagiere aufnehmen, Menzel, Imperium (2007), 14. Hauptsächlich zum Transport von Massenfrachtgütern als Handelsschiff diente der Schiffstyp der Navis (oder Bucius), welche neben dem Laderaum mit Kabinen für mitreisende Kaufleute ausgestattet war. „Such vessels, widely employed in military operations, in the Syrian and North African trades and in the transport of crusaders and pilgrims, had in the twelfth century two, and by the thirteenth century, with the increased business, three decks. The lower (or lowest) was used for either horses or the less opulent passengers, whilst the bow and stern castles, in addition to their military functions, could house well-born travellers in appropriate style. By the early 1200s some of these ships were (…) portely vessels of a considerable size – roughly 37m long, with a beam of 10m and capable of carrying 200 horses and 600 men or an equivalent number of pilgrims“, Scammel, World (1981), 193  f.; Balard, Romanie II (1978), 533–585. Zu weiteren Personen-, Kriegs- und Transportschiffstypen siehe Kretschmayr, Venedig (1905), 183–185. 13 Abulafia, Italies (1977), 11–16; Krueger, Merchant (1993), 252; 271 (Liste der Verträge mit einer Lücke zwischen 1164 und 1179); Epstein, Genoa (1996), 54–60. 14 Giovanni Scriba. Ed. Chiaudano/Moresco (1935); Abulafia, Italies (1977), 12–18. 15 Oberto Scriba, 1186. Ed. Chiaudano (1940); Oberto Scriba, 1190. Ed. Chiaudano/Morozzo della Rocca (1938); Guglielmo Cassinese, 1190–1192. Ed. Hall/Krueger/Reynolds (1938); Bonvillano, 1198. Ed. Eiermann/Krueger/Reynolds (1939); Giovanni di Guiberto, 1200–1211. Ed. Hall-Cole/Krueger/Reynolds/Reinert (1939/1940); Lanfranco, 1202–1226. Ed. Krueger/Reynolds (1951–1953); Liste unedierter Verträge: Cartolari. Ed. Costamagna (1956 und 1961). Wertvolle Informationen über Handel und Schiffsverkehr im Mittelmeerraum für den Zeitraum von 950–1150 liefert die Handelskorrespondenz der Kairoer Geniza, Goldberg, Trade (2012); Abulafia, Mittelmeer (2013), 344–355; Ders., Asia (1987), 423–433; Goitein, Society Bd. 1 (1967); Reif, Archive (2000). 16 Krueger, Trade (1933), 390. 17 Siehe Haverkamp, Genua (1974), 5  f. 18 Vgl. Krueger, Routine (1933), 428–430.

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direktesten Weg eine Distanz von ca. 2810 km zurückgelegt wurde.19 Die Reise nahm rund zwei Monate in Anspruch, womit Burchards Angabe der Reisedauer gut vereinbar ist. Abfahrt war Mitte/Ende September, um noch vor Weihnachten am Zielhafen einzutreffen.20 In den Wintermonaten war die Schifffahrt auf dem Mittelmeer wegen heftiger Stürme und Unwetter eingestellt, erst im April liefen die Schiffe dann wieder gen Heimat aus.21 Die Schiffsroute war aber nicht starr vorgegeben, sondern hing von den Wünschen der mitreisenden Fernhändler ab, die ihre Waren an geeigneten Umschlagplätzen gewinnbringend veräußern und neue Erwerbungen tätigen wollten.22 Verträge der Fernhändler mit den in Genua gebliebenen Kommanditären enthielten selten Instruktionen, in bestimmten Häfen spezielle Waren für den heimischen Markt zu erwerben, überhaupt werden nur vereinzelt Ortsnamen genannt.23 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Investoren und Fernhändler. Gerade im Handel mit dem westlichen Mittelmeer und Alexandria waren neben den etablierten genuesischen Familien eine Reihe kleinerer Händler engagiert, so dass die Fahrtwege auch aufgrund unterschiedlicher Interessen stärker variieren 19 Ende des 13. Jahrhunderts verkehrte ein regelrechter „Liniendienst“ von Genua bis zur Levante mit Zwischenhalt in Alexandria, auch Orte an der nordafrikanischen Küste wurden angelaufen, um hier Waren ein- und auszuladen, Menzel, Imperium (2007), 27. Gesegelt wurde in Sichtweite der Küste, Abulafia, Mittelmeer (2013), 355; Krueger, Merchant (1993), 263. Im Zeitraum von 1165–1178 sind aufgrund der Faktionskämpfe in Genua allerdings keine Handelsfahrten in die Levante belegt, erst ab 1177 begann der Schiffsverkehr wieder, Byrne, Trade (1920), 204 Anm. 51. „Between the collapse of 1164 and the Third Crusade in 1187, the Syrian trade must have suffered severly. The debts incurred in 1164, the resultant taxation, the war with Pisa, the disturbances created by the strife between the Emperor and the Lombard League – all were made more difficult to meet by the terrible struggle between factions for the control of the government and by the gathering wrath of the wider ranks of the landed and trading classes“, ebd., 209. 20 Ebd., 212. Koordiniert werden mussten die Abfahrtszeiten zudem mit den Ankunftszeiten der Karawanen und anderen (Fern-) Handelsrouten, Menzel, Imperium (2007), 27. Im Laufe des 12. Jahrhunderts verschoben sich die Abfahrtszeiten nach hinten, Abfahrt war dann erst im Oktober, Krueger, Routine (1933), 421. 21 Krueger, Merchant (1993), 259. 22 „The Genoese were mainly in the business of moving commodities from places of relative abundance to scarity in order to sell them as a profit“, Epstein, Genoa (1996), 61. Die Aufgabe der aktiven Fernhändler (socius tractans oder accomendatorius) bestand darin, Waren ein- und zu verkaufen: causa negociandi, causa vendendi et implicandi et faciendi sicut de suis et negociandi bona fide (aus einem Vertrag von 1191, in: Guglielmo Cassinese. Ed. Hall/Krueger/Reynolds [1938], Bd. 1, 298 No. 750; ähnlicher Wortlaut in zahlreichen weiteren Verträgen). Im Gegensatz zu dem in Genua residierenden Kommanditär (socius stans oder commendator) oblag dem socius tractans bei geringerer finanzieller Beteiligung die Verantwortung für die Ware, verbunden mit den Risiken der Überfahrt (Verlust, Unfälle, Piraterie). Unterschieden werden zwei Vertragsformen: In der societas trug der commendator zwei Drittel des Kapitals, der Gewinn wurde aber zu gleichen Hälften aufgeteilt. In der accomendatio finanzierte er die gesamte Fahrt, erhielt dafür aber drei Viertel des Gewinnes, während der socius tractans ein Viertel bekam, Krueger, Merchant (1993), 253  f.; Ders., Routine (1933), 435  f.; Menzel, Imperium (2007), 25  f. 23 Krueger, Merchant (1993), 258; Ders., Routine (1933), 424.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

konnten.24 „In both contracts the travelling merchant agreed to visit one or several Mediterranean ports and usually was permitted to go wherever the prospects for a good market seemed reasonable. Of course, he had no choice if the majority of the merchants on board voted to change the itinerary. (…) A great amount of flexibility existed.“25 Neben der Wetterlage wirkten sich insbesondere Auseinandersetzungen mit den anderen Seemächten Pisa, Venedig, Sizilien und Byzanz sowie Veränderungen der politischen Landkarte auf die Fahrtwege aus, immer wieder wurde der Handel mit bestimmten Häfen und Reichen untersagt oder erschwert. Obgleich Burchards Angaben bezüglich des Fahrtverlaufs nicht anhand weiterer Quellen verifizierbar sind, lassen sich seine reisetechnischen Angaben und Ortsbeschreibungen ausgehend vom Auslaufhafen Genua und der Situation im Mittelmeer um 1175 kontextualisieren und auf ihre Plausibilität prüfen. Genua26 war Ausgangspunkt eines mediterranen Handelsnetzes. Große Fracht- und Transportschiffe fuhren in das westliche und östliche Mittelmeer, wo die Seefahrerrepublik Privilegien, Handelsmonopole, Faktoreien (Funduks) und Territorien besaß.27 In der zweiten Hälfte 24 Krueger, Trade (1933), 387  f.; weiterführend: Chiaudano, Mercanti (1970); Krueger, Shipowners (1987); Ders., Associations (1962). 25 Krueger, Merchant (1993), 254  f. 26 Die Ursprünge Genuas gehen spätestens auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurück. In römischer Zeit war der Hafen eher unbedeutend, vgl. Krueger, Routine (1933), 428–430. In der Spätantike und im frühen Mittelalter kam Genua unter byzantinische (554), langobardische (635) und fränkische (774) Oberhoheit, im 9. Jahrhundert gehörte es zur Mark Tuszien. Konflikte zwischen Vizegrafen und Bischof konnten im 11. Jahrhundert beigelegt werden, 1133 wurde Genua zum Erzbistum erhoben. Nach außen hin oblag dem Bischof die Vertretung der Kommune (compagna), innerhalb der Stadt und dem Contado herrschten aristokratische Familien. Im 9. und 10. Jahrhundert stand die Küstenverteidigung gegen muslimische und normannische Einfälle im Vordergrund. Gemeinsam mit Pisa vertrieben die Genuesen die Muslime aus Korsika und Sardinien (1015–1016), kontrollierten zu Beginn des 11. Jahrhunderts das Tyrrhenische Meer und weiteten ihre Präsenz in kurzer Zeit in den gesamten Mittelmeerraum, v.  a. nach Westen, Afrika und den Mittleren Osten aus, während Byzanz in venezianischer Einflusssphäre blieb. Ebenso war Genua Knotenpunkt europäischer Handelswege in die Champagne, Flandern, nach Burgund und in die Provence, Scammel, World (1981), 158. Um den Einfluss auf Korsika und Sardinien kam es zu Konflikten mit Pisa; Spannungen bestanden gegenüber dem Reich unter Kaiser Friedrich I., 1155–1161 wurde zum Schutz gegen diesen eine Mauer um castrum, burgus und civitas von Genua errichtet, hingegen mit Byzanz ein Vertrag geschlossen. Nach 1162 näherte sich Genua wieder dem Reich an, als Gegenleistung für Flottenunterstützung gegen Sizilien garantierte Barbarossa 1162 die städtische Autonomie Genuas. Zwischen lombardischen Städten und Friedrich  I. betrieben sie eine geschickte Schaukelpolitik, Bernwieser, Konflikt (2010), 210; Balard, Romanie I (1978), 22. Genua blieb eher eine „kommerzielle, aber kaum eine industrielle oder gar kulturelle Metropole, (…) besaß nur ein winziges Territorium entlang der Ligurischen Küste von Monaco bis Porto Venere“ und stützte sich auf den Zwischenhandel, Menzel, Imperium (2007), 6. Zu Genua siehe: Pittioni, Genua (2011); Menzel, Imperium (2007); Petti Balbi, Genua (2002); Epstein, Genoa (1996); Abulafia, Italy (1993); Ders., Italies (1977); Balard, Romanie I (1978); Scammel, World (1981), 155–220; Heers, Gênes (1961). 27 Besitzungen besaß Genua seit Mitte des 11. Jahrhunderts im Nordwesten Sardiniens; Privilegien seit 1088 in Mahdiyya (bei Tunis), dann in Algier und Ceuta und schon 1162 an der Atlantikküste. Mit Gründung der Kreuzfahrerherrschaften verlagerten sich die handelspolitischen Interessen in die Le-

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des 12. Jahrhunderts waren Genuesen die dominierenden Akteure im Mittelmeerhandel, was sie besonders den Kreuzzügen zu verdanken hatten. Von Handelsquartieren in den Kreuzfahrerherrschaften konnten sie ihre Position im Orienthandel ausbauen und stellten neben Pisa und Venedig den Transport von Gütern, Ausrüstung, Soldaten und Pilgern ins Heilige Land sicher.28 Meist schloss die Fahrt in die Levante mehrere Stationen in weiteren Emporien ein, importiert wurden v.  a. Gewürze, Farbstoffe, Sklaven und Luxusgüter.29 Wichtigster und größter Hafen im östlichen Mittelmeer blieb dabei Alexandria, wo sich die Handelsrouten aus dem Osten (Syrien, Arabien, Irak) und dem Südosten (Indischer Ozean) kreuzten. Deutlich mehr Handelskontakte bestanden nach Ägypten als nach Jerusalem.30 Mit notwendigen Produkten aus Europa wie Holz, Zinn, Eisen und Pferden belieferten genuesische Händler die Fatimiden und dann die Ayyubiden.31 Ägypten wiederum lieferte Alaun, Flachs, Gold, Smaragde, Textilien, Getreide, Hühner und Mumienpulver, das seit dem 12. Jahrhundert als Heilmittel nach Europa exportiert wurde.32 Sowohl von päpstlicher wie auch muslimischer Seite wurde der Handel zeitweilig mit einem Embargo belegt. Zuletzt war der Handelsverkehr zwischen 1168 und 1173 merklich zurückgegangen, unter Saladin aber wieder aufgenommen und aktiv gefördert worden. 1173 hatte sich Pisa verpflichtet, für den Schiffbau notwendiges Material zu liefern, 1177 schloss Genua einen Handelsvertag mit Saladin.33 Alle bei Burchard erwähnten Mittelmeerinseln und Regionen standen in enger Verbindung mit Genua, jedoch hatten sich die Handelsbedingungen und das Beziehungsgefüge im südlichen Mittelmeerraum just in der Dekade vor Burchards Reise entscheidend verändert. Stützpunkte und Besitzungen besaßen die Genuesen auf den beiden strategisch günstig gelegenen Inseln Korsika und Sardinien.34 Als „rohvante, Hauptquartier war Akkon; im 12. Jahrhundert waren Genuesen in Antiochia, Jerusalem, Tyrus, Akkon, Latakia, Tripolis und Jaffa etabliert, Scammel, World (1981), 157–159; 184. Zu Kolonien, Handel und Schiffahrt siehe ebd., 183–201; Menzel, Imperium (2007), 22–24; Constable, Housing (2003); ­Epstein, Wills (1984); Byrne, Shipping (1930); Heyck, Genua (1886). 28 Die Eroberung und Konsolidierung der Kreuzfahrerherrschaften war von der Flottenunterstützung italienischer Seestädte abhängig, die sich ihre Hilfe mit Privilegien und Territorien bezahlen ließen, Epstein, Genoa (1996), 28–33; Favreau-Lilie, Italiener (1989), 39–150; 185–187; 213  f.; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 141; Barber, States (2012), 62; 67–69; 85–87. 29 Jacoby, Mercanti (2001), 217. Zu den gehandelten Gütern siehe Heyd, Histoire (1886), 563–676; Abulafia, Mittelmeer (2013), 352; Petti Balbi, Genua (2002), Sp. 1259; Scammel, World (1981), 157; Byrne, Trade (1920), 199. 30 Abulafia, Mittelmeer (2013), 392; Kedar, Mercanti (1993); Cahen, Orient (1983), 131. 31 Abulafia, Asia (1987), 421; Ders., Mittelmeer (2013), 350  f.; 392; Ders., Trade (1994), 6  f. 32 Abulafia, Mittelmeer (2013), 392; Cahen, Makhzūmiyyat (1977); Dannenfeldt, Egypt (1959), 17–22; Pettigrew, History (1834), 9. Ibn Sina benennt die zahlreichen Anwendungsbereiche dieser Droge, auch Matthaeus Platearius widmet ihr großes Interesse, Dannenfeldt, Egypt (1959), 17  f. 33 Annali Genovesi II. (Ottobono Scriba). Ed. Belgrano/Imperiale di Sant’Angelo (1901), 11; Epstein, Genoa (1996), 85; Halm, Ayyubiden (1991), 213  f. 34 Schena, Presenza (2000), 19; Kedar, Mercanti (1993).

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stoffreiche Außenbesitzungen“35 versorgten die Inseln das ressourcenarme Genua mit lebenswichtigen Erzeugnissen wie Getreide, Salz, Holz und Fleisch, selbst Silber wurde in Sardinien abgebaut, v.  a. aber garantierte der Handel mit den in Abhängigkeit stehenden und teilweise kolonialisierten Gebieten hohe Gewinne.36 Auf Korsika37 waren die nördlichen Diözesen Nebbio, Mariana und Accia seit 1138 dem Erzbistum Genua unterstellt.38 Als möglicher Anlegehafen kommt Nebbio39 an der Nordküste in Betracht. Nebbio war Bischofssitz und lag im stark genuesisch geprägten und fruchtbaren Schwemmland des Aliso unterhalb des Cap Corse. Burchards Notiz von einem todbringenden, giftigen Strom, der die Insel teilt,40 könnte sich auf die in der Nähe Nebbios liegenden malariaverseuchten Sümpfe in der Alisomündung beziehen, welche immer wieder Malariaepidemien verursachten und die Bevölkerung dezimierten.41 Weitere wichtige Hafenstädte wie Calvi und Bonifacio befanden sich in pisanischer Hand, was eine Landung zwar nicht ausschließt, aber eher unwahrschein35 Mitterauer, Europa (2004), 225. 36 „The islands – Sicily, Corsica, and Sardinia – formed the core of Genoa’s interests at sea, and the key early commodities were grain and salt. Liguria was not rich in resources. Even those goods produced locally, like wine and olive oil, were bulky and more easily moved by sea. The archbishop’s records are filled with concern about transporting agricultural products from his distant estates to Genoa“, Epstein, Genoa (1996), 27; 24; Abulafia, Mittelmeer (2013), 392; Ders., Italy (1991), 23–29; ­Schena, Presenza (2000), 19. 37 Korsika war seit alters her von strategischer Bedeutung. Nach dem Ende der römischen Herrschaft gelangte die Insel in die Hände der Westgoten, Vandalen, Ostgoten; blieb dann byzantinisch, an der Küste aber von Langobarden besetzt. Ab dem 7. Jahrhundert begannen blutige Kämpfe mit den Muslimen, die 1016 von Pisa und Genua vertrieben wurden. Herrschaftsansprüche über die Insel bestanden von verschiedenen Seiten, im 11. Jahrhundert übte der Papst die Oberherrschaft aus, 1077 übertrug Gregor  VII. die Schutzherrschaft den Pisanern. Starke Rivalität bestand mit den Genuesen um die Vorherrschaft auf der Insel; Innozenz II. teilte sie zwischen den beiden Seemächten auf. 1297 wurde Korsika Aragon übertragen. Zu Korsika siehe Arrighi/Jehasse, Histoire (2008); Andrei, Korsika (2002); Scalfati, Corse (1994); Cancellieri, Corses (1989); Petti Balbi, Genova (1976); Cesari Rocca, Origine (1901). 38 Papst Innozenz  II. übertrug die Bistümer im Sinne eines Ausgleichs an Genua, da er 1133 alle sardischen Bistümer Pisa unterstellt hatte. In der Folgezeit konnten die Genuesen ihre Präsenz weiter ausbauen und 1187–1195 Bonifacio erobern, Bernwieser, Konflikt (2010), 208; Maleczek, Papsttum (1998), 261–263. 39 Nebbio, gelegen zwischen dem Cap Corse im Norden und dem Désert des Agriates, war schon römischer Handelsplatz, wirtschaftlich und politisch dann stark genuesisch geprägt, Cancellieri, Formes (1981). Ausgeführt wurden Wein, Getreide, Öl, Rinder. Im 13. Jahrhundert zerstörten Muslime die Stadt, als Nachfolgesiedlung gründeten die Genuesen 1440 St. Florent. 40 Nisi quod per eam defluit amnis infirmissimus, quem si anima viva gustaverit, morietur, et aves si prope transvolant eam morientur. 41 Rikli, Reisestudien (1903), 71  f.; Maunder/Reincke, Korsika (2014), 250. Vgl. Burchards Schilderung des verseuchten Wassers mit den angeführten Ursachen der Katastrophe vor Rom 1167. Hier handelte es sich aufgrund der kurzen Inkubationszeit vermutlich um eine hochansteckende Ruhr­erkrankung, die in zeitgenössischen Quellen gemäß der Miasmentheorie auf giftige Dämpfe und Nebel aus dem Boden zurückgeführt wurde, Görich, Friedrich (2011), 417. Berichtet wird bei Gervasius in Anlehnung

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lich macht, da die Seemächte Genua und Pisa seit der Vertreibung der Muslime aus Sardinien und Korsika 1016 erbitterte Auseinandersetzung um die Vorherrschaft im Tyrrhenischen Meer führten.42 1162 war der Konflikt erneut ausgebrochen, nachdem Friedrich  I. die Kommune Pisa mit der Herrschaft über Sardinien43 belehnt hatte, obwohl er noch wenige Monate zuvor den von Genua unterstützten Iudex Bareso von Arborea gegen ein hohe Geldzahlung zum König von Sardinien bestimmt hatte.44 Von 1172 bis Mitte 1175 wurde der Krieg „mit großer Heftigkeit geführt“,45 erst im

an Orosius, Isidor und Honorius von heißen Quellen auf Sardinien, die Kranken Heilung bringen, Diebe aber erblinden lassen, Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), 344. 42 Zu folgenschweren Auseinandersetzungen zwischen Pisa und Genua kam es bereits ein Jahr nach der gemeinsamen Vertreibung der Muslime aus Sardinien 1016, da beide die Herrschaft über die Insel alleine beanspruchten. 1133 erhielten die Pisaner nach ihrer Erhebung zum Erzbistum alle sardischen Bistümer und konnten ihre Herrschaft ausbauen. Am 14. April 1149 schlossen beide Seemächte den Friedensvertrag von Portovenere, der Hauptstreitpunkt Sardinien war aus der pax allerdings ausgenommen, da keine Einigung erzielt werden konnte, Bernwieser, Honor (2012), 43–47; Ders., Konflikt (2010), 205; Langer, Geschichte (1882), 4–38. 43 Sardinien bildete unter römischer Herrschaft eine Verwaltungseinheit mit Sizilien, wurde 456 von den Vandalen eingenommen, gehörte unter den Byzantinern dann zur Präfektur Africa. Vom 8.  Jahrhundert an war es Ziel arabischer Invasionen. Im 9./10.  Jahrhundert bildeten sich in einem Dezentralisierungsprozeß aus den Trägern der Militär- und Zivilverwaltung vier sardische Judikate (Kleinkönigreiche) aus: Cagliari, Torres, Logudoro und Arborea, denen jeweils ein iudex vorstand. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Genua und Pisa führte zum „Verfall der judikalen Gesellschaft“, Auseinandersetzungen der Seemächte wirkten sich direkt auf Sardinien aus, Simbula, Sardinien (2002). Zu Sardinien siehe Meloni/Schena, Sardegna (2009); Deidda, Genova (2000); Casula, Sardiniae (2002); Ders., Sardegna (1992); Artizzu, Società (1995); Ders., Sardegna (1985); Abulafia, Italy (1991); Day, Sardegna (1984); Pistarino, Genova (1981); Carta Raspi, Sardegna (1935). 44 Das „Wiederaufflammen des Streits“ steht in Zusammenhang mit dem zweiten Italienzug Friedrichs I., Bernwieser, Honor (2012), 52. Friedrich war für den 1156 beschlossenen Kriegszug gegen Sizilien auf die Flotten beider Städte angewiesen. Anders als Pisa stand Genua aber zu Alexander III. und war zudem mit Sizilien, Mailand und Tortona verbündet. Noch im Frühjahr 1162 hatte sich Barbarossa mit Pisa auf ein gewaltsames Vorgehen gegen Genua festgelegt, worauf die Genuesen begannen, ihre „im Wesentlichen von Distanz geprägte Politik gegenüber dem Herrscher zu ändern und um seine Gunst zu werben“, ebd. 71; 64–66. Aus der Sicht Genuas stand zu befürchten, dass die Pisaner mit kaiserlicher Unterstützung ihre Interessen auf Sardinien durchsetzen würden. Auf dem Hoftag von Pavia (9. Juni 1162) versprach Barbarossa dann beiden Städten für ihre Unterstützung umfassende Privilegien, ebd., 59  f.; 67–77; Epstein, Genoa (1996), 76  f. Die Annäherung Genuas an das Reich hing eng mit Sardinien zusammen, eröffnet wurde damit zugleich ein „Wettstreit um die Gunst des Herrschers“ und die Konflikte mit Pisa entbrannten erneut, Bernwieser, Honor (2012), 76  f. 1164 setzte Barbarossa Barisone zum König ein, der sich diesen Titel mit 4000 Mark bei einflussreichen Fürsprechern bei Hofe erkaufen musste, das Geld dafür in Genua lieh, wofür er der Stadt wiederum hohe Summen versprach, Epstein, Genoa (1996), 82  f. Für eine noch höhere Summe (13 000 Lire) ließ sich Pisa mit Sardinien belehnen, dem Kaiser selbst blieb in der Angelegenheit wenig Spielraum. Von 1165–1175 herrschte in Sardinien ein blutiger Krieg. Genua versuchte eine Annäherung an Byzanz, erlitt im Kampf mit Pisa und Venedig 1171 aber schwere Verluste, und bemühte sich um sicherere Handelsverbindungen an der Levante und Ägypten, ebd., 83–85. 45 Bernwieser, Honor (2012), 228.

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November 1175 vermochte Friedrich I. nach 13 Jahre währenden Auseinandersetzungen – und zwei Monate nach Burchards Landung auf den Inseln – einen Ausgleich zu vermitteln, indem Sardinien geteilt wurde und Genua Logudoro und Campidano erhielt.46 Bei der Konfliktlösung handelte es sich freilich um einen längerfristigen Prozess, über den zuletzt im Juli 1175 in Pavia diskutiert worden war.47 Auf Sardinien war der Nordwesten schon lange vor Erhalt der Gebiete genuesisch dominiert, Handelskonzessionen hatten die Genuesen 1172 in Oristano erhalten, 1174 kam der Porto de Grotte im Judikat Cagliari hinzu. Als näherliegende Häfen konnten auf Burchards Reise im Norden Sardiniens Castelsardo, Torres (Sassari) oder Alghero angesteuert worden sein.48 Städte, Bistümer und die Rivalitäten zwischen Pisa und Genua erwähnt Burchard in seiner knappen Beschreibung beider Inseln jedoch nicht,49 sondern informiert über Ausdehnung, Klima, Landschaft und wirtschaftliche Bedeutung derselben. Seine Größenangaben hinsichtlich der Ost-West-Ausdehnung sind in beiden Fällen zwar nicht stimmig, die Nord-Süd-Ausdehnung hingegen ist weitgehend korrekt.50 Besonders scheinen ihm die Berge und Felsregionen der Inseln gefallen zu haben. Als erstes hebt er die Schönheit der Inseln hervor, welche zugleich als Chiffre für Fruchtbarkeit dient. Konkrete Exportartikel nennt er nicht, der von Burchard angeführte Überfluss an landwirtschaftlichen Erzeugnissen bezieht sich aber wohl auf die hier gehandelten Ausfuhrprodukte Getreide, Wein, Holz, Früchte, Oliven und Kork. Bemerkenswert scheint ihm, dass es auf Sardinien keine Wölfe gibt, was bis ins 19. Jahrhundert noch zutraf.51 Einen starken Gegensatz betont er in Bezug auf die Einwohner und den nicht näher definierten Gesamtzustand der Inseln: Während Korsika ein „sehr gesundes Land“ (terra satis sana) und die Bewohner beiderlei Geschlechts wohlgesittet, höflich, 46 Gallura fiel an Pisa, Regest RI IV, 2,3 Nr. 2155 (6. November 1175); Annali Genovesi II. (Ottobono Scriba). Ed. Belgrano/Imperiale di Sant’Angelo (1901), 9; Bernwieser, Honor (2012), 228–234; Abulafia, Mittelmeer (2013), 362–364. 47 Für nähere Aussagen zu den Beratungen fehlen die Quellen, Bernwieser, Honor (2012), 228  f. 48 Oristano war Hauptstadt des Judikats Arborea, zu dem enge Beziehungen bestanden, während Pisa Torres und Cagliari nahestand. 1189 wurde Oristano den Genuesen übertragen, Schena, Presenza (2000), 22. Zum Verhältnis Genuas zu den Judikaten, Bernwieser, Honor (2012), 87–97. 49 Das Weglassen der tatsächlichen Namen könnte mit der Absicht erklärt werden, „den Eindruck des Gesehenen gegenüber dem Gelesenen“ zu verstärken und den „Modus des Augenzeugenberichtes“ zu unterstreichen, Münkler, Erfahrung (2000), 220  f. Wahrscheinlicher ist hier, dass derlei Ausführungen aus Sicht des Verfassers kontingente Beobachtungen, nicht aber repräsentative Charakteristika widerspiegelten und daher nicht berücksichtigt wurden. 50 Für Korsika gibt Burchard die Ausdehnung in beide Richtungen mit drei Tagesreisen an, was ca. 100–150  km entspricht. Tatsächlich erstreckt sich die Insel in Nord-Süd-Richtung über 185  km, in Ost-West-Richtung über 85 km. Sardiniens Ausdehnung beträgt bei ihm in beiden Richtungen sechs Tagesreisen; die reale Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 270  km, die Ost-West-Ausdehnung lediglich 145 km. 51 Straß, Piemont (1800), 202.

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gastfreundlich seien,52 bezeichnet er Sardinien als terra infirmissima, die Sarden entsprechend als ungesittet, bäurisch, wild, die Männer gar als weibisch (effeminati) und missgestaltet (deformes).53 Der Hinweis auf die körperliche Defizienz der Sarden verstärkt in ethnographischer Hinsicht die konstatierte Ungleichheit zwischen Korsen, Sarden und der eigenen Gruppe.54 Seine Beschreibungskategorien beziehen sich aber weniger auf ethnische, sondern auf kulturelle, zivilisatorische und politische Aspekte und sind mit dem unterschiedlichen Grad der Konsolidierung genuesischer Herrschaft in bestimmten Teilen beider Inseln zu erklären. Durch die Nähe zum Festland stand Korsika seit langem unter fränkischem und italienischem Einfluss. Vor allem der Norden gehörte quasi zum erweiterten contado Genuas. Genue­sische Familien waren im Cap Corse verwurzelt und hatten grundherrschaftliche Strukturen etabliert,55 während die indigene Bevölkerung in anderen Teilen Korsikas bis Ende des 13. Jahrhunderts relativ autonom blieb.56 Burchard beschreibt also, was er im Kontakt mit den mitreisenden genuesischen Händlern vorfindet: hauptsächlich aus Genua stammende Grundbesitzer, die v.  a. im Fernhandel aktiv waren und deren Verhalten, Lebensstandard und Interessen sich an den in Genua üblichen Normen

52 Curiales, habiles, hospitales, viri militares et bellicosi. 53 Incompositi, rusticani, silvani, tenaces, viri effeminati et deformes. Vgl. die Beschreibung der Serben bei Wilhelm von Tyrus, Wilhelm von Tyrus, Chronicon. 20, 4. Ed. Huygens II (1986), 916: Habent vetuste traditiones hunc omnem populum ex deportatis et deputatis exilio, qui in partibus illis ad secanda marmora et effodienda metalla dampnati fuerant, originem habuisse et inde etiam nomen traxisse servitutis. Est autem populus incultus, absque disciplina, montium et silvarum habitator, agriculturae ignarus (…). 54 Die Deformation des Körpers ist ein Merkmal der „am Rand der Ökumene“ angesiedelten, meist monströsen Völker. Körperliche Abweichungen signalisieren dabei „den Verlust der Maßstäblichkeit gegenüber der im Zentrum angesiedelten Ordnung“, Münkler, Erfahrung (2000), 214. 55 Ab 1100 bildeten die Familien der Avogari, Pevere, Turca und Camilla im Süden des Cap Corse, die De Mari im Norden die führende genuesische Schicht, Cancellieri, Corses (1989), 36. Ein Unterschied der Kolonisation bestand in den genuesisch dominierten Regionen des Nordens und des Westens: „Cette diversité d’échelle entre l’ouest et l’extrême nord de l’île est bien le reflet de types différents de colonisation rurale: d’un côté un essaimage, d’initiative individuelle ou communale, d’entreprises limitées, de l’autre un véritable enracinement territorial de clans familiaux génois. Il est assuré que la domination génoise a renforcé, aux XIIe et XIIIe siècles, la vocation exportatrice de l’agriculture du Cap Corse et les activités commerciales de certains membres des communautés villageoises. La familiarité des choses de la mer, la pratique d’un cabotage fréquent ou régulier, commencent à caractériser une population locale originale par rapport à l’ensemble de l’île par le nombre de ses marins-paysans et de ses petits négociants. De ce point de vue, sous l’aspect des paysages agricoles et des genres de vie, le Cap apparaît comme une sorte de prolongement géographique et humain des Rivières ligures“, Cancellieri, Formes (1981), 126; 89–100; Heers, Origines (1989), 19  f. 56 „Se quindi anche si instaurò tra la Corsica e le due città una serie di rapporti umani ed una corrente di traffici commerciali, l’isola fece sempre vita a sé e l’elemento indigeno rimase in effetti autonome, anche né Pisa né Genova cercarono di imporre la loro autorità con un ripoplamento o con la fondazione di nuovi insediamenti formati da propri colononi (…)“, Petti Balbi, Genova (1976), 13.

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orientierten.57 Die auffällige Betonung, dass die Eigenschaften der Korsen beide Geschlechter betreffen, deutet ebenfalls auf den genuesisch dominierten Norden der Insel hin. Aus Genua ist bekannt, dass Frauen eigene Geschäfte und Investitionen tätigen konnten, also recht eigenständig agieren konnten.58 Im Gegensatz zum Norden Korsikas blieb das Verhältnis von Genuesen und Einheimischen in Sardinien stärker von Ausbeutung geprägt. Der Lebensstandard der Einheimischen, einer Hirtengesellschaft, die im Landesinneren hauptsächlich von Viehzucht lebte, war niedrig, die landwirtschaftlichen Erträge mittelmäßig. Sardinien diente hauptsächlich als Absatzmarkt für von Genua vertriebene Waren, Sarden wurden als Sklaven verkauft.59 Die Einschätzung der Sarden entspricht in Burchards Darstellung der generellen Einstellung der Genuesen gegenüber den Einheimischen. Die homines effeminati Sardiniens stehen dabei im Gegensatz zu den waffentragenden und kriegstüchtigen Männern (militares et bellicosi) Korsikas, die zum Kriegsdienst fähig waren bzw. zu ebensolchem herangezogen werden konnten.60 Deformis bezieht sich zunächst auf eine ungewohnte Physiognomie, muss also nicht unbedingt im Sinne von deformiert, sondern kann als anders, abweichend und fremdartig verstanden werden, beinhaltet aber eine deutliche und abwertende Abgrenzung.61

57 „Ce passage ne signifie rien d’autre que ceci: le vicomte de Strasbourg, seigneur féodal, reçu en Corse par les seigneurs féodaux, a reconnu ses pairs, avec les mêmes usages et le même système de valeurs; toutechose qu’il ne retrouve pas — ou du moins pas au même degré — dans une Sardaigne moins touchée par le féodalisme de Terre ferme“, Ettori, Peuples (1987), 8. Im Gegensatz dazu werden die Korsen noch in späteren Quellen negativ beschrieben, Anselm Adorno, Itinéraire. Ed. Heers/de Groer, 57; Cancellieri, Corses (1989), 35; 49. „Du côté des Génois, au contraire, la typologie des griefs et, donc, les nuances du portrait collectif sont plus variées dans le détail, mais à l’intérieur d’un registre presque uniformément négatif. Par là on peut juger qu’à la différence des Corses qui, du moins dans leurs dires, dénoncent surtout des abus administratifs et des individus corrompues ou cruels, les Génois du XVe siècle tendent à porter une condamnation très large, dans une perspective axiologique, sur le peuple corse lui-même, conformément, du reste, à cette ‘représentation manichéenne du monde qu’entretiennent les milieux dirigeants et que révèlent à l’évidence les correspondances diplomatiques du temps’“, ebd., 49; Petti Balbi, Genova (1976), 12. In antiken Quellen werden die Korsen hauptsächlich als ein von Viehzucht lebendes Bergvolk dargestellt, Mannert, Geographie (1823), 506–522; Eigenschaften der von den Römern versklavten Korsen bei Diodorus, Weltgeschichte, V, 14. Ed. Wirth (1993), 444  f.; zu den Sarden ebd., V, 15, 445  f. 58 Abulafia, Mittelmeer (2013), 397. 59 Ebd., 362; Haverkamp, Genua (1974), 7; Schena, Presenza (2000), 23. Während der muslimischen Invasionen zogen sich die Sarden ins Landesinnere zurück, die antiken Städte verloren an Bedeutung. Erst unter pisanischer und genuesischer Initiative entwickelten sich urbane Zentren, die als Ausfuhrhäfen und Befestigungsanlagen gegründet wurden, Tangheroni, Habitat (1989), 323–326. 60 Vgl. Rolker, Laws (2014); Ders., Hermaphrodit (2013); Resnick, Marks (2012), 71. Effeminatus kann auch im Kontext der Sodomie/Homosexualität verwendet werden, das ist hier aber nicht gemeint. Vgl. Verwendungsbeispiele bei Du Cange, Glossarium III (1938), 231, vgl. die Verwendung bei Wilhelm von Tyrus, z.  B. Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 20, 15. Ed. Huygens (1986), 930. 61 Siehe Anm.  54. Das Adjektiv wird auch zur Beschreibung von Juden verwendet Resnick, Marks (2012), 301.

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Worauf Burchards Kontrastierung Korsikas als terra sana gegenüber der terra infirmissima Sardinien zielt, ist nicht eindeutig. Da er beiden Inseln den gleichen Ertrag an landwirtschaftlichen Erzeugnissen bescheinigt und die terrae damit im naturräumlichen Sinne und auch im Klima keine gravierenden Differenzen aufweisen, bezieht er sich wohl auf die Lebensqualität. Vielleicht wollte er auch in ungeschickter Wortwahl die gesellschaftspolitischen, sozialen und historischen Unterschiede auf den Punkt bringen. Schon die Wortwahl legt nahe, dass diesem ersten „portrait collectif du peuple corse médieval“62 sowie der Sarden eigene Erfahrung und mündlich vermitteltes Wissen zugrundeliegen. Der knappe Bericht ist eindeutig aktualitätsbezogen. Er basiert auf einem in Genua vorherrschenden Bild, was auf die Herkunft des Wissens aus dem Kontaktsystem genuesischer Fernhändler schließen lässt.63 Eine gewisse Vorkenntnis und ein Interesse an den Inseln kann aber in hofnahen Kreisen angenommen werden, da die Großen des Reiches, insbesondere Christian von Buch und Rainald von Dassel, schon seit 1162 in die lange Jahre währenden Auseinandersetzungen um den Einfluss auf Sardinien involviert waren.64 Im Vorfeld und besonders während des fünften Italienzuges war die Frage aufgrund des Einflusses beider Städte dringlich und Gegenstand mindestens zweier Hoftage.65 Wie Johannes Bernwieser aufgezeigt hat, war die kaiserliche Entscheidungsfindung im Konflikt um Sardinien eng mit den Parteiungen bei Hofe verknüpft und beließ Barbarossa kaum Spielraum. Versuche, den Streit gewaltfrei zu lösen, waren noch 1172 gescheitert.66 Eine Lösung konnte erst gefunden werden, als der Feldzug gegen Sizilien aufgrund der Annäherung an Wilhelm II. nicht mehr auf der Agenda stand und Friedrich I. nicht mehr auf beide Flotten (Genua und Pisa), wohl aber auf die Neutralität Genuas in Oberitalien angewiesen war.67

62 Cancellieri, Corse (1989), 49. 63 Das Wissen des ‚Kulturkontaktsystem‘ des Fernhandels besteht nach Münkler aus unmittelbar praxisorientiertem ‚instrumentellem‘ Wissen. „Es war an unmittelbaren Nützlichkeitserwägungen und pragmatischen Handlungsimperativen orientiert und musste hochflexibel auf Veränderungen seiner Grundlagen reagieren.“ Damit unterscheidet es sich vom ‚kategorialen‘ Wissen der Diplomatie und dem ‚operativen‘ Wissen der Mission, Münkler, Erfahrung (2000), 19. 64 Bernwieser, Honor (2012), 128–150. Der nominelle Herrschaftsanspruch des Reiches über Italien umfasste auch Korsika und Sardinien. 65 Ebd., 228  f.; Opll, Stadt (1990), 395; Langer, Geschichte (1882), 112–116; Epstein, Genoa (1996), 85. 66 Bernwieser, Honor (2012), 173; 228. 67 Der Friedensvertrag wurde vom Kaiser durch Urteil des kaiserlichen Hofgerichtes durchgesetzt. Diese „Art der Konfliktbeilegung“ hatte Barbarossa Bernwieser zufolge bis dato vermieden, da sie „mit der Gefahr verbunden (war), die Ehre der unterlegenen Partei zu schädigen und damit die Tragfähigkeit der Lösung von vorne herein schwer zu belasten“, ebd., 231. Das Urteil richtete sich aber nicht eindeutig gegen die Interessen Pisas, sondern zielt vielmehr auf einen Kompromiss ab, was sich in der darauffolgenden langen Friedensperiode zwischen Genua und Pisa zeigt, ebd., 232–234. Zum Verhältnis des Reiches zu den Seemächten Pisa und Venedig siehe Kapitel V.

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In enger Verbindung standen Genua und Sizilien.68 Sizilien war Handelspartner und Hauptgetreidelieferant,69 erworben wurden überwiegend landwirtschaftliche und tierische Produkte, Felle, Leder, Baumwolle, Zucker und Indigo, seltener auch kostbare Seide und Eisen.70 1156 hatte Genua mit König Wilhelm I. von Sizilien einen Vertrag geschlossen, der neben Handelsprivilegien auch militärische Bündnisklauseln gegen eine genuesisch-byzantinische Allianz enthielt.71 In der Folge intensivierten sich die Wirtschaftsbeziehungen Siziliens nach Norditalien und ersetzten die „traditionell engen Verbindungen nach Afrika“, denen die Almohaden ein Ende gesetzt hatten.72 Aufgrund der Invasionspläne Barbarossas in Sizilien mit Unterstützung der genuesischen Flotte hatte sich das genuesisch-normannische Verhältnis seit 1162 verschlechtert, kam aber nicht zum Erliegen.73 Unter veränderten politischen und wirtschaftlichen Grundvoraussetzungen gelang 1174 nach längeren Verhandlungen der Abschluss eines erneuten Vertrages zwischen Wilhelm  II. und Genua, beide Seiten waren nun weniger aufeinander angewiesen.74 Neben den wirtschaftlichen Beziehungen bestanden bedingt durch anhaltende Immigration besonders enge personelle 68 Sizilien war erste römische Provinz und primärer Getreidelieferant Roms. Seit dem 5.  Jahrhundert stand es unter byzantinischer Oberhoheit, war aber zunehmend Ziel muslimischer Überfälle, die 827–1071/1091 in weiten Teilen eine dauerhafte Herrschaft etablieren konnten. Formal unterstand die Insel bis 910 den Aglabiden, dann den Fatimiden. Dadurch ergaben sich enge Verbindungen zu den nordafrikanischen Territorien. Im späten 11. Jahrhundert eroberten die Normannen Sizilien, 1130 erlangte Roger II. die Königswürde von Papst Anaklet II., der Königstitel wurde aber weder von kaiserlicher Seite noch von Hadrian IV. anerkannt. Das Reich sowie Byzanz erhoben Ansprüche auf Unteritalien, erst unter Wilhelm II. gelang die außenpolitische Konsolidierung. Zu Sizilien siehe Gruber/ Köhler, Sizilien (2013); Reinhardt/Sommer, Sizilien (2011); Bresc, Stagione (2010); Engels, Ideal (2010); Finley/Mack/Duggan, Geschichte (2010); Houben, Roger (2010); Kislinger, Sizilien (2002); Abulafia, Italy (1991); Ders., Crown (1983); Ders., Italies (1977); Epstein, Island (1992); Bresc, Monde (1986). 69 In Norditalien konnte Weizen aufgrund der Boden- und Klimaverhältnisse nicht gut gedeihen. Neben Genua versorgte Sizilien auch das krisengeschüttelte Nordafrika mit Weizen, Abulafia, Crown (1983), 4. 70 Epstein, Genoa (1996), 74; Abulafia, Mittelmeer (2013), 422  f.; Ders., Crown (1983), 5–8; Powell, Trade (2007). 71 Abulafia, Mittelmeer (2013), 422; Ders., Italies (1977), 96  f. 72 Abulafia, Mittelmeer (2013), 423; Ders., Kingdom (1987); Jehel, Italie (2001); Johns, Malik (1987). 73 Abulafia, Italies (1977), 131–135. 74 (…) de discordia quam diu habuerat civitas Ianuensis cum regno suo, pacem et concordiam fecit (…), Annali Genovesi  II. (Ottobono Scriba). Ed. Belgrano/Imperiale di Sant’Angelo (1901), 5; Codice diplomatico II. Ed. Imperiale di Sant’Angelo (1938), 202–204. Für die langen Verhandlungen bis zum Abschluss des Handelsabkommens 1174 führt Abulafia von Seiten Genuas mögliche erweiterte Forderungen an. Einerseits musste Genua angesichts der gespannten Situation in der Lombardei bei einer Annäherung an Sizilien behutsam vorgehen, um das neutrale Verhältnis zu Barbarossa nicht zu gefährden. Andererseits war der Abschluss eines Handelsvertrages mit Sizilien nicht von außerordentlicher Dringlichkeit, da sich die genuesischen Interessen in den westlichen Mittelmeerraum verlagert hatten und Genuas Mittelmeerhandel durch Sizilien nicht sonderlich beeinträchtigt wurde. Sizilien hingegen war weniger auf genuesische Flottenhilfe angewiesen, da ein Angriff Barbarossas nicht mehr zu befürchten stand, Abulafia, Italies (1977), 137  f.

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Bindungen zwischen beiden Mittelmeermächten. Seit Beginn der normannischen Herrschaft hatte ein Großteil der muslimischen Bevölkerung das Land verlassen, ganze Landstriche lagen brach, was die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Sizi­ liens gefährdete.75 Ausgeglichen wurde der Bevölkerungsverlust besonders im Osten Siziliens durch den Zuzug lombardischer Siedler, oft mit Heimat an der ligurischen Küste.76 Während die Händlerschicht in Palermo noch einen hohen muslimischen Anteil aufwies, dominierten in Messina immigrierte Christen.77 Durch die anhaltende Immigration wandelte sich die griechisch-arabische Kultur in eine griechisch-italienische, auch sprachlich wirkte sich der Einfluss aus Norditalien aus.78 Je nach Streckenverlauf kann Burchards Schiff an der Nord- oder Ostküste Sizi­ liens in Messina79 oder Syrakus oder/und in einem Hafen an der Westküste (Trapani, Palermo, Mazara) angelegt haben.80 Von allen Häfen ist eine Weiterfahrt nach Nordafrika möglich, seine anschließende Inselbeschreibungen legen dennoch die Durchfahrt durch die Straße von Messina nahe. Burchards Beschreibungskategorien für Sizilien – Lage, Ausdehnung,81 natürliche Beschaffenheit und Erzeugnisse der Insel, die er genauer aufführt: Wein, Früchte, Kräuter82 – gehören zum praxisorientierten instrumentellen Wissen der Fernhändler. Aus dem Kontakt mit Fernhändlern sind auch die auf den ersten Blick recht unspezifischen Feststellungen zurückzuführen, dass Sizilien ideale Voraussetzungen für den Handel biete und es hier mehrere Städte gibt.83 Den erst einige Jahre zuvor ausgebrochenen Ätna nennt er nicht.84 Die Insel erscheint ihm ansonsten wenig besiedelt, was sich auf den tatsächlichen Bevölkerungsverlust und die hohe Immigration, eventuell aber auf das Verhältnis von Einhei-

75 Abulafia, Italy (1991), 2; Ders., Crown (1983), 11. Allerdings wanderten in den Jahren nach 1140 auch wieder Muslime aus Nordafrika ein, Scheller, Migrationen (2012), 169  f. 76 Die Anwerbung der Lombarden ging von Rogers Onkel, Heinrich del Vasto († 1141), aus, welcher selbst der Familie der Aleramici (Aleramiden) aus Savona entstammte, Abulafia, Crown (1983), 12  f.; Scheller, Migrationen (2012), 172; Bresc, Aleramici (1992); Houben, Adelaide (1992). Die Aleramiden hatten im Süden und Osten Siziliens (Paterno und Butera) fruchtbares Land erhalten, zahlreiche Emigranten ließen sich hier nieder. 1162 versprach auch Barbarossa genuesischen Rittern Landbesitz auf Sizilien. 77 Abulafia, Crown (1983), 10  f. Weiterführend: Burkhart/Foerster, Tradition (2013); Scheller, Mi­ gra­tio­nen (2012); Houben, Integration (2005); Ders., Tolerierung (1993); Metcalfe, Muslims (2003); ­Martin, Settlement (2002). 78 Abulafia, Crown (1983), 11  f. 79 Penet, Clavis (2005); Abulafia, Messina (1986). 80 Vgl. Goldberg, Trade (2012), 259. 81 Sechs Tagesreisen in jede Richtung misst die Insel bei Burchard. Von Messina nach Trapani sind es ca. 300 km, die Nord-Süd-Ausdehnung im Westen beträgt 90 km, im Osten 200 km. 82 Vineis, pratis, pascuis. 83 Vgl. die ausführliche Beschreibung Messinas bei Ibn Ǧubair, Ibn Dschubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 242–246. 84 Abulafia, Crown (1983), 14.

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mischen zu Händlern bezieht.85 Im Gegensatz zu allen anderen Inselbeschreibungen verliert Burchard kein Wort über die Einwohner, was mit der starken norditalienischen Präsenz und der damit verbundenen fehlenden Differenzerfahrung begründet sein kann. Unterbringung und auch der Warenverkehr erfolgten vermutlich in genue­ si­schen Einrichtungen.86 Die südlich Siziliens gelegenen Inseln Malta87 und Pantelleria88 dienten Genua in erster Linie als Stützpunkte auf dem Weg nach Nordafrika. Beide Inseln waren von strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Aus Malta wurde neben anderen land85 Bei dem längeren Aufenthalt konnten die Händler auch im Inneren der Insel Handel treiben. Im Hinterland besaßen Genuesen selbst Ländereien, Abulafia, Italies (1977), 230. 86 Schon 1116 erhielten zwei Genuesen Land in Messina, um ein Gasthaus zu errichten, ähnliche Einrichtungen bestanden in weiteren Hafenstädten, doch konzentrierten sich die norditalienischen Interessen auf den Osten und Süden „particulary along routes through the Straits of Messina, and they do not appear to have either requested or received fondacos in Palermo“, Constable, Housing (2003), 207  f. 1189 ist ein genuesischer Konsul in Messina belegt, ebd., 208. 87 Malta (100  km von Sizilien und 300  km von Tunesien entfernt) war schon sehr früh besiedelt. Den Phöniziern diente es als militärische Basis, im 7. Jh.  v. Chr. kam es unter die Herrschaft Karthagos, gehörte ab 218 v.  Chr. zu Rom, bedeutend war daneben der griechische Einfluss. Schon im ersten Jahrhundert erfolgte die Christianisierung Maltas durch Paulus. Nach byzantinischer Herrschaft eroberten die Muslime spätestens Ende des 9. Jahrhunderts (870, früherer Zeitpunkt auch möglich) die Insel, zerstörten Kirchen und setzten die arabische Sprache durch. 1090–1249 gehörte Malta zu Sizilien; mit der normannischen Eroberung Siziliens verschob sich die christliche Grenze im Mittelmeer weiter nach Süden, Dalli, Bridging (2008), 79. Zu Malta siehe Wettinger, Malta (2008) (mit Auflistung mittelalterlicher Quellen, auch Burchard); Freller, Geschichte (2008); Borg, Diocese (2008); Gambin, Malta (2004); Luttrell, Making (2002); Fodale, Malta (2002); Bresc, Malta (2000); Rossi, Malta (1991); Luttrell, Malta (1975). 88 Pantelleria (100 km von Sizilien und 76 km von Kelibia entfernt) hatte wenig wirtschaftliche und strategische Bedeutung, diente aber schon den Byzantinern als Basis für Operationen gegen die Aglabiden. Überliefert ist aus byzantinischer Zeit ein Typikon, also eine Stiftungsurkunde eines Klosters aus dem späten 8. Jahrhundert, über dessen weiteres Schicksal nichts bekannt ist, Byzantine Monastic Foundation Documents. Ed. Thomas/Hero (2000), 59–66 (für den Hinweis danke ich dem Byzantinisten Zachary Chitwood). 864 wurde die Insel von den Aglabiden eingenommen und vollständig arabisiert. Bis zur Zeit der Almohaden blieb Pantelleria Teil Ifriqias, von hier aus wurden im Kampf zwischen Normannen und Ziriden um Sizilien die muslimischen Schiffe ausgesandt. 1087/88 war Pantelleria in der Hand Pisas und Genuas, Erwähnung findet die Eroberung im ‚Carmen in victoria Pisanorum‘, Cowdrey, Campaign (1977), 24–29 sowie bei An-Nuwari und Ibn al-Athir, Dalli, Bridging (2008), 81–83. 1123 verwüsteten die Normannen auf dem Weg nach Mahdiyya die Insel und massakrierten die Bewohner, nachdem die Almoraviden Kalabrien (Nicotera) angegriffen hatten, ebd., 84  f. Ab 1134 konnten die Normannen ihren Einfluss in Nordafrika dank des Hilfgesuches des Emirs von Mahdiyya zu einem regelrechten Protektorat ausbauen, 1135 eroberten sie die Insel Djerba. 1148/48 wurde auch Pantelleria von den Normannen unter Georg von Antiochien besetzt, gelangte dann aber „apparently“ unter muslimische Herrschaft der Almohaden, wann genau, ist nicht klar. Die Einwohner blieben auch nach der Übergabe 1221 an Friedrich II. muslimisch und scheinen, ebenso wie die Muslime der Insel Djerba, zur Gruppe der Kharijiten gehört zu haben. „The people of Kawsara long remained Muslim. Yāḳūt († 1228) states that in the 13th century they comprised Wahbī Ibāḍīs, whose austere way of life was perfectly adapted to the isolation and meagre resources of the island“, Talbi,

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wirtschaftlichen Erzeugnissen hochwertige Baumwolle und Getreide exportiert,89 Pantelleria diente vornehmlich als Absatzmarkt, lieferte aber desgleichen Agrarprodukte.90 Seit der Vertreibung der Muslime aus Malta 1090 vergaben die Normannen die Insel als Grafschaft Siziliens an kriegstüchtige Lehnsmänner, die ihre Kontrolle auch auf die Nachbarinseln ausdehnten.91 Die genauso hart umkämpfte Insel Pantelleria war 1127 ebenfalls von den Normannen eingenommen worden,92 gehörte zum Zeitpunkt von Burchards Reise möglicherweise aber zum Machtbereich der Almohaden. Im Kampf gegen die Almoraviden hatte die Berberdynastie93 der Almohaden bis Anfang der 1160er Jahre nahezu die gesamte nordafrikanische Küste vom heutigen Marokko bis Libyen unterworfen und erstmals zu einem einzigen Herrschaftsbereich vereint, 1172 eroberten sie auch den muslimischen Teil Spaniens.94 Legitimiert als religiöse Erneuerungsbewegung unter dem Mahdi Ibn Tumart galt ihnen der Heilige Kampf als Pflicht,95 eine rigorose Religionspolitik zwang Juden und Christen zur Konversion oder Emigration.96 Politisch stellten sie einen neuen und aggressiven Macht-

Kawsara (1978), 805; Dalli, Bridging (2008), 85; Houben, Möglichkeiten (1994), 190–194; Bresc, Pantelleria medievale (o. J.); für die Zeit ab dem 13. Jahrhundert: Bresc, Pantelleria (1971). 89 „Documents on a Genoese presence at Malta are lacking, perhaps because it was too small to be cited explicitly in notarial contracts; however, there was a quantity of Maltese cotton at Genoa in 1164“, Luttrell, Approaches (1975), 31; Abulafia, Mittelmeer (2013), 423; Epstein, Genoa (1996), 60. 90 Genannt werden Wein, Holz und Kohle, Talbi, Kawsara (1978), 805; sowie Baumwolle, Dalli, ­Islands (1998), 79. 91 Mehrfach erhielt der Admiral des Königreiches Sizilien das Lehen, gegen Ende des 12. Jahrhunderts waren es Grafen genuesischer Abkunft, Bresc, Malta (2002); Abulafia, Henry (1975). 92 Bresc, Pantelleria medievale (o. J.), 1; Dalli, Bridging (2008), 85. 93 Pellat/Yver/Basset, Berbers (1960). 94 Die Almohaden konstituierten sich aus acht Maṣmūda-Stämmen, die von Ibn Tumart dogmatisch auf den gihad vorbereitet wurden. Nach dessen strenger Auffassung vom „wahren“ Islam galten alle Abweichungen von der proklamierten Einheit Gottes (daher die Bezeichnung „Einheitsbekenner“) als häretisch, durchgesetzt wurde die Lehre mit äußerster Strenge und Massenexekutionen. Der Siegeszug gegen die herrschenden Almoraviden und weitere nordafrikanische Dynastien begann ab ca. 1130 mit der Eroberung Marokkos, 1147 fiel Marrakesch, 1160 Ifriquia (al-Mahdiyya) und Tripolitanien. Ihren Höhepunkt erreichten die Almohaden unter Abd al-Mumin (†1163), Abu Yakub Yusuf (1163–1184), Abu Yusuf Yakub al-Mansur (1184–1199) und Muhammad al-Nasir (1199–1213). Das Imperium der Almohaden war straff und hierarchisch organisiert, sie reformierten das Münzwesen und förderten die Wirtschaft. Vor allem verfügten sie über schlagkräftige Truppen und eine Flotte. Siehe dazu Shatzmiller, Al-Muwaḥḥidūn (1993); Singer, Maghreb (1991); Ders., Almohaden (2002); Hopkins, Government (1958); Ders., Hierarchy (1954); Tourneau, Movement (1969). 95 Bennison, Difference (2010); Sánchez, Dissafection (2010); Singer, Maghreb (1991), 300. 96 „Once they took power, the Almohads imposed the abolition of the dhimma with a geographical and chronological extension still difficult to establish with the available sources. Those Jews and Christians who did not choose the possibility of exile were forced to convert to Islam“, Fierro, Conversion (2010), 157. „(…) dhimmis had now to choose between conversion, leaving the land or being killed“, ebd., 159. Belegt ist jüdische Emigration aus dem Maghreb nach Ägypten schon in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, Valérian, Relations (2011), 231. Im Kontext der von den Almohaden pro-

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faktor im Mittelmeerraum dar. Gleichwohl konnten die Genuesen auch hier Handel treiben. Nach der Konsolidierung der nordafrikanischen Verhältnisse kam 1161 ein Vertrag zwischen Genua und dem Kalifen Abd al-Mumin zustande, der den Genuesen ungehinderten Handel in seinem Herrschaftsgebiet zusicherte und ihnen nach gescheiterten Versuchen, selbst Besitzungen in Nordafrika zu erobern, weitreichende Handelsmöglichkeiten erschloss.97 Bei der Schilderung Maltas und Pantellerias fällt die Nennung der herrschaftlichen Zugehörigkeit auf, welche Burchard weder bei Sizilien noch bei den zum Reich gehörenden Inseln Korsika und Sardinien als erforderlich erachtete. Notwendig war die politische Lokalisierung dieser Reisestationen abgesehen von der räumlichen Ferne auch aufgrund der instabilen und häufig wechselnden Oberhoheiten im südlichen Mittelmeerraum. Genauere Angaben über Ausdehnung, Aussehen und landwirtschaftliche Erzeugnisse der Inseln macht er nicht, sondern begnügt sich mit Notizen über die dort lebenden Menschen. Während er über die Malteser nichts weiter berichtet, als dass sie Sarazenen seien und dem König von Sizilien unterstehen,98 beschreibt er die Sarazenen Pantellerias als autonom: (…) Panteleon, quam Sarraceni inhabitant nulli dominio subiciuntur. Politisch autonom war Pantelleria sicher nicht, sondern tributpflichtig. Wem genau Panterellia unterstellt war, ist allerdings nicht nur Burchard ein Rätsel, denn aus der Quellenlage ist eine almoravidische, normannische oder genuesische Schutzherrschaft nicht eindeutig ersichtlich.99 Die Angabe kann sich auch auf das religiöse Bekenntnis der Einheimischen beziehen, welche, wie auch die Muslime der Insel Djerba, zumindest zu einem Teil der muslimischen Sondergemeinschaft der Kharijiten (Ibaditen) angehörten und damit weder Schiiten noch Sunniten

klamierten universellen Religion steht auch die von einem genuesischen Kaufmann verfasste Disputation von Ceuta von 1179, Fierro, Conversion (2010), 167. 97 Ab 1150 sind zahlreiche Verträge mit europäischen Städten bekannt, in denen Händlern Sicherheit garantiert wurde. Zwischen 1155 und 1164 sind Abkommen der Genuesen für die Städte Tripolis, Ceuta, Tunis, Saleh und Bougie bekannt, Shatzmiller, Al-Muwaḥḥidūn (1993); Abulafia, Mittelmeer (2013), 393; Ders., Merchants (2010); Jehel, Italie (2001); Johns, Malik (1987); Krueger, Routine (1933), 417. 98 Abgesehen von der arabischen Sprache und Prägung der Insel war ein großer Teil der Bewohner noch muslimisch, was in Hinblick auf die Akzeptanz der Normannen einen großen Unsicherheitsfaktor darstellt, zumal Malta in enger Nachbarschaft zu muslimisch dominierten Territorien lag, Bresc, Malta (2002); Buhagiar, Christianisation (2007), 79–104; Jaspert, Minderheiten (2011), 36  f. 99 Eine muslimische Oberhoheit erwähnen Bresc und Jaspert im Gegensatz zu Talbi nicht, Jaspert, Minderheiten (2011), 36  f.; Bresc, Pantelleria medievale (o. J.), siehe auch Anm. 91; auch bei Dalli ist sie nicht eindeutig, Dalli, Bridging (2008). Mit dem Einmarsch der Almoraviden in Mahdiyya endete aber der normannische Einfluss in Nordafrika. „The accounts of the uprisings in 1158–59 leave no room for doubt; in the minds of Sicily’s African subjects, the benefits of living under a restored Muslim rule vastly outweighed any consideration of mild Christian government“, ebd., 89. Dem muslimischen Bevölkerungsteil wurde von sizilischer Seite noch 1221 die Selbstverwaltung zugestanden, Bresc, Pantelleria medievale (o. J.), 2.

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zuzuordnen waren.100 „Die aus dem nomadischen Milieu Arabiens stammenden Kharijiten verkörperten den tribalen Widerstand gegen staatliche Kontrolle und religiöse Routine; sie standen für eine ‚nonkonformistische‘ Haltung mit beachtlichem Einfluss auf die Herausbildung islamischer Theologie und Ordnungsvorstellungen.“101 Sollte sich die von Burchard geschilderte Unabhängigkeit der Sarazenen Pantellerias auf die religiös begründete Weigerung beziehen, einen sunnitischen oder schiitischen Oberherrn anzuerkennen, dürfte dieses Detail von muslimischen Informanten stammen, denen diese Unterschiede wichtig waren, zumal Religion und politische Herrschaft im Islam nicht getrennt waren. Indirekt werden Burchards Angaben durch Al-Idrisis (1100–1166) und Al-Bakris (1014–1094)102 Beschreibung der Einwohner Djerbas bestätigt, da es sich bei den Bewohnern beider Inseln um Kharijiten handelt. Bei dem zeitnah schreibenden Idrisi heißt es: „[Djerba] is an island inhabited by Berber tribes. Dark skin is predominant among its people, and evilness and hypocrisy are part of their natural disposition. Both the plebs and those of high rank 100 Die Kharijiten, Charidjiten oder Harigiten waren schon im frühen Islam nach der Ermordung des dritten Kalifen Uthman ibn Affan nahe Kufa entstanden. Im Streit um die rechte Nachfolge im Kalifat spalteten sie sich von den Anhängern Alis (den späteren Schiiten) ab, welche sich mit den Gefolgsleuten Muawiyas auf ein Schiedsgericht geeinigt hatten, um die Schuld am Tode Uthmanns wie auch die Kalifenfrage zu entscheiden. Mit Kämpfen, Grausamkeiten und Ermordungen stellten sich die Kharijiten in Opposition zu den Anhängern Alis. Ihren Auszug (chāridschī: Auszügler, das Verb charadscha bedeutet hinausgehen, sich absondern, ausziehen zum Kampf, rebellieren) begründeten sie mit der im Koran enthaltenen Vorgabe (Sure 12: 40), dass der Treueeid allein Gott gegenüber geleistet werden dürfe, nicht aber einem Menschen (Ali) und auch ein Schiedsgericht kein Gottesurteil sei. In der Folgezeit kam es zu Kampfhandlungen und Massakern, 661 wurde Ali von einem Kharijitenführer ermordet. Verfolgt wurden die Kharijiten auch von den omayyadischen Kalifen. Ausschlaggebend für die Wahl des Kalifen war für die Kharijiten einzig die „religiös-moralische Qualifikation“, nicht aber ein genealogisches Auswahlprinzip; ihre Lebensweise war eher asketisch, ihren Führern sprachen sie keine spirituelle Autorität zu, das Ideal der Gleichheit hatte einen hohen Stellenwert, Krämer, Geschichte (2005), 51. Ende des 7.  Jahrhunderts spalteten sie sich in zahlreiche Untergruppen auf, deren radikalste die Azraqiten waren. Die Strömung der Ibaditen geht auf den Gelehrten Abdallah b. Ibad al-Murri at-Tamimi zurück und hat ihren Ursprung in Basra. Schon 746/747 konnten sie ihr erstes Imamat in Hadramaut etablieren und schickten Missionare in den Maghreb, wo sie besonders aktiv waren. 757 wählten auch die Berber bei Tripoli einen ibaditischen Imam, unter den Rustamiden umfasste ihr Gebiet Algerien; wichtigste Einnahmequelle war der Transsaharahandel. Während der Herrschaft der schiitischen Fatimiden zogen sich die strenggläubigen Ibaditen zurück, namentlich nach Djerba und auch Pantelleria, einige Gemeinden blieben aber auch in Nordafrika bestehen. Zu Kharijiten und Ibaditen siehe Wilkinson, Ibadism (2010); Berger, Waffen (2008); Kenney, Rebels (2006); Madelung, Origins (2006); Krämer, Geschichte (2005), 48–54; Rebstock, Ibaditen (1983); Brünnow, Charidschiten (1884). 101 Krämer, Geschichte (2005), 51. 102 „The Island of Djerba is inhabited by a Berber group who is Kharijite. The island is abundant in gold, there is a passage between it and the mainland, and it becomes narrower towards the Eastern extreme. Its people are treacherous and evil, and the side they take is never secure [that is: one cannot trust in them]“, Al-Bakrī, al-Masālik, Bd. 2 (1992), 760. Für den Hinweis und die Übersetzung auch auch der folgenden Zitate danke ich dem Islamwissenschaftler Ignacio Sánchez.

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speak in Berber language. They are rebellious people who reject any obedience. The great king Roger conquered them with a float he sent by the end of the year 529/1134; then they remained quiet until 548/1154, when they acted like hypocrites and rejected obedience to the king Roger. He attacked them on this year with his float and conquered them for a second time, and sent many of the captives to the city [i.  e. Palermo].“103 Aus der Beschreibung der Bewohner Djerbas geht zudem die enge Verbindung der religiösen Zugehörigkeit mit der berberischen Abstammung hervor. Al-Idrisi erwähnt auch Pantelleria, bemerkt aber nichts Genaueres zur Bevölkerung.104 Burchard erstaunt hingegen die Lebensweise der Einheimischen: Sie bauen keine Häuser, sondern leben in Erdhöhlen, betreiben wenig Ackerbau, sondern eher Viehzucht.105 Bei Invasionen suchen sie Schutz in ihren Höhlen, anstatt sich zu verteidigen. Tatsächlich gibt es auf der Vulkaninsel unzählige Höhlen und Grotten.106 Dass Burchard diese selbst gesehen hat, ist fraglich. Doch klingt in seiner Darstellung das Schicksal der zwischen christlichen und muslimischen Mächten umkämpften Insel an, die in kurzen Abständen Überfälle, Verwüstungen und Herrscherwechsel hinnehmen musste. Von großer ökonomischer Relevanz war die von Burchard genannte terra Barbarica. In genuesischen Akten wird mit dem Terminus Barbaria die algerische Küste zwischen Oran und Bougie bezeichnet.107 Der Name kann sich aber auch auf die gesamte

103 Al-Idrīsī, Nuzhat, Bd. 1 (2002), 305. 104 „The Island of Pantelleria (ǧazīrat qūṣra) is located to the East of Marettimo (malīṭama), and also to the Southeast of the Island of Favignana (ǧazīrat al-rāhib). [Pantelleria] faces the arch of land of Ifrīqiya, and its rear faces Mazara (māzaru); between them there is a route (majrā), and there is also a route from Pantelleria to the land of Ifrīqiya. The Island of Pantelleria is small and of difficult access. It has vegetation, cultivated lands and olive-trees, many wild goats that have not been domesticated. In its southern part there is a harbour protected from the many winds. At the East [of the island] there is the island of Gozo (ǧazīrat ġaudaš), which also has a protected harbour, between these two islands there are 100 miles, and next to Gozo there is a small island called Comino (kammūna)“, Al-Idrīsī, Nuzhat, Bd. 2 (2002), 587. Zu Muhammad Al-Idrisi siehe Gatani, Opera (2012); Obenaus, Erkenntnisse (2010); Nef, Al-Idrîsî (2010); Frenkel, Al-Idrisi (2003); Miquel, Géographe (1994). 105 Inculti, silvani (…) Habitantes in cavernis terre. Vgl. dagegen die Schilderung des beeindruckenden Kastells im Carmen in victoria Pisanorum (kurz nach 1087 entstanden): (15) Pervenerunt navigando quandam maris insulam, quam Pantalaream dicunt cum arce fortissimam; huius incole palumbos emittunt cum litteris, qui renuntient Timino de viris fortissimis. (16) Hic est castrum ex natura et arce mirabile, nulli umquam in hoc mundo castrum comparabile; duo milia virorum hoc tenebant oppidum, qui nee Deum verebantur nec virtutem hominum, Cowdrey, Campaign (1977), 5; Bresc, Pantelleria medievale (o. J.), 2. 106 Ob diese als Wohnstätten genutzt wurden, konnte nicht ermittelt werden. Typisch waren kleine quadratische Hütten (Dammuso) der arabischen Bevölkerung, die aus Lavagestein errichtet wurden. 107 Z. B. Guglielmo Cassinese. Ed. Hall/Krueger/Reynolds (1938), Bd. 1, No. 482, 191. Bei Gervasius ist Barbaria lediglich ein Synonym für Tripoli in Libyen, Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), 318.

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Mittelmeerküste mit Ausnahme Tunis‘ beziehen,108 während Africa das Gebiet Syrtis minor und maior bezeichnet.109 Terra Barbarica bezeichnet demnach keine unbestimmte fremde Region, sondern die nordafrikanische Region der heutigen Länder Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen – nicht aber Ägypten – unter der Herrschaft des almohadischen Berberkalifen.110 Seit den 1160er Jahren hatten sich die Handelsbeziehungen Genuas mit Nordafrika aus diversen Gründen intensiviert, nicht zuletzt garantierten stabile administrative Verhältnisse unter den Almohaden einen sicheren Warenverkehr.111 Die Küste Nordafrikas war als Absatzmarkt für Getreidelieferungen und weitere aus Sizilien, Sardinien und Korsika exportierte Waren wichtig. Von Häfen an der nordafrikanischen Küste führten genuesische Händler Sklaven, Gold, Elfenbein, Leder, Wolle, Keramik, Zucker, Früchte und Gewürze nach Europa und in den Nahen Osten ein – Produkte, die über den Transsaharahandel nach Tunis, Tripolis, Oran, Algier, Bejaia (Bougie) und weitere Orte gelangt waren.112 Zwischen dem almohadischen und dem ayyubidischen Herrschaftsbereich wurden die Handelsgeschäfte nicht direkt, sondern größtenteils über christliche Fernhändler abgewickelt, welche die muslimischen Seefahrer seit dem 11. Jahrhundert nahezu vollständig aus dem Mittelmeerhandel verdrängt hatten. Überfälle und Unsicherheiten brachten den Handel über Landverbindungen zum Erliegen. Konsequenz dieser Entwicklung war eine partielle Teilung des islamischen Wirtschaftsraumes verbunden mit ökonomischer Abhängigkeit von christlichen (italienischen) Zwischenhändlern.113 Der Austausch blieb nicht auf Waren beschränkt, Einwohner dieser Regionen, zuletzt Juden und Christen, die unter den Almohaden nicht geduldet wurden, flohen über das Mittelmeer, besonders nach Sizilien, andererseits war die Küste auch für christliche Siedler attraktiv.114

108 Krueger, Routine (1933), 426. In der Frühen Neuzeit wurde diese Region als Barbarei, Berberei oder Barbareskenstaaten bezeichnet; ein früher Beleg begegnet bei Oswald von Wolkenstein, Lieder. Ed. Klein (1987), digitalisiert, Lied 44 „Durch Barbarei, Arabia“. 109 Krueger, Trade (1933), 383; Ders., Routine (1933), 426  f. 110 Unterschieden wurden zwei Zielregionen: „A group of ports to the west, Bougia, Oran, Ceuta, Saleh, and the district of Garbo and Barbaria, were in one area; while Tunis, Gabes, and Tripoli – centered in the Syrtis Minor – were in the other“, Krueger, Routine (1933), 419. Garbo bezeichnete das heutige Marokko; zur Unterscheidung von Tripolis an der Levante hieß die libysche Stadt „Tripolis de Barbaria“, ebd., 426; Bresc, Sicile (2012); Idris, Berbérie (1962); Ders., Réalité (1968). 111 Krueger, Routine (1933); Ders., Trade (1933). 112 Menzel, Imperium (2007), 5; Feldbauer, Welt (1995), 129–142; Brett, Ifrīqiya (1969); Krueger, Trade (1933); de Mas Latrie, Traités (1866). 113 Valérian, Relations (2011), 233  f. Valérian nimmt für das 12. Jahrhundert jedoch recht wenige Seereisen an, die von Italien zuerst in den Maghreb oder Ifriquia und dann nach Alexandria fuhren, ebd., 234. 114 Abulafia, Crown (1983), 13. Mit der Eroberung Siziliens gelang den Normannen ein Ausgreifen nach Afrika: Aus seinem Grabstein in Palermo von 1148 wird Roger II. als rex Africae und malik Ifri­ quiya betitelt, Dalli, Bridging (2008), 79; Britt, Roger (2007).

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Für einen eventuellen Halt (oder mehrere) kommen Tunis115, Mahdiyya116, Gabes117 und Tripolis118 in Frage, die von Pantelleria besonders günstig zu erreichen sind und ungefähr sechs Tagesreisen entfernt von dieser Insel liegen, wie Burchard vermerkt. Nicht auszuschließen sind aber auch weiter westlich oder östlich (z.  B. Barka)119 liegende Küstenorte.

115 Tunis war im 7. Jahrhundert n. Chr. von arabischen Eroberern im Hinterland der Küste an der Stelle einer schon bestehenden Stadt Tunes, ca. 10 km entfernt von Karthago, gegründet worden, hatte zunächst militärische Funktion, war Hauptstadt und Sitz des umayyadischen, dann aglabidischen Emirs war Kairouan. Auch die Fatimiden regierten von hier, bis sie 921 al-Mahdiyya gründeten. Aufgrund der Kämpfe zwischen Ziriden und Fatimiden siedelten sich im 11. Jahrhundert mehr Menschen in Tunis an, es gab eine jüdische Gemeinde, mit auswärtigen Mächten, v.  a. mit italienischen Städten, wurde Handel getrieben. Nach gescheiterten normannischen Eroberungsversuchen fiel Tunis 1159 an Abd al-Mumin, der sich mit den Almohaden verbündet hatte. Damit wurde Tunis zur Hauptstadt Ifri­ quias, regiert von al-Mumins Sohn. Mit der Erhebung zur Hauptstadt wuchs auch die wirtschaftliche Bedeutung, Handelsverbindungen bestanden gleichermaßen zu christlichen Ländern Europas, der Levante wie nach Schwarzafrika. Die Händler besaßen Funduks und hatte eigene Quartiere. 1203 eroberte der Stamm der Banu Ghaniya den östlichen Maghreb inklusive Tunis, doch konnten die Almohaden sie wieder vertreiben, Sebag, Tunis (2007); Ders. Tunis (2000); Ders., Tunis (1998); ChapoutotRemadi, Tunis (2000); Baccar Bournaz, Tunis (1999); Sayous, Commerce (1929). 116 Al-Mahdiyya wurde als fatimidische Hauptstadt (benannt nach dem Gründer ʻUbayd Allāh alMahdī) 912 gegründet. Ca. 200 km südlich von Tunis gelegen bot sie ideale Bedingungen für einen Flottenhafen, war stark befestigt und Endpunkt des transsaharischen Goldhandels. 1087 eroberten Pisaner und Genuesen die Stadt und brannten sie nieder, 1123 versuchten die Normannen die Ein­ nahme, die ihnen dann 1140/1141 gelang. 1160 mussten sie Mahdiyya den Almohaden überlassen, Talbi, al-Mahdiyya (1986); Dalli, Bridging (2008), 78; Cowdrey, Mahdia (1977). 117 Gabes ist eine berberische Gründung. Phönizier, Karthager, Römer und Byzantiner herrschten über die 400 km von Tunis entfernt liegende Oase und Handelsstadt, die in der Antike Tacape hieß. Unter den Aglabiden war Gabes Distrikthauptstadt, blieb aber stets von Kairouan abhängig. Das 11. und 12.  Jahrhundert war von Usurpationen und Machtwechseln rivalisierender muslimischer Eroberer geprägt. Mehrfach versuchten die Normannen hier Fuß zu fassen, 1148 investierten sie einen Machthaber; 1160 nahmen die Almohaden die Stadt ein. Die Bevölkerung setzte sich nach Ibn Hauqal hauptsächlich aus Arabern, Afārikanern (Nachfahren der römischen Bevölkerung und christiani­sierte Berber) und Berbern, welche al-Bakri zufolge im Hinterland in Hütten lebten, zusammen. Bezeugt ist daneben eine jüdische Gemeinde. Die Berichte über den Hafen bieten kein einheitliches Bild, doch scheint er seine Bedeutung im Laufe des 13. Jahrhundert eingebüßt zu haben, Talbi, Kābis (1965). 118 Die phönizische Siedlung Tripolis wurde von Griechen und Römern erweitert, 643 von den Arabern erobert, doch noch lange umkämpft. 800–909 etablierten sich hier die Aglabiden, die Stadt gelangte dann unter das Emirat der Ziriden, die sich gegen die Fatimiden stellten. 1146–1158 war Tripolis unter normannischer Hoheit bis die Almohaden kamen, die auch Sfax und Mahdiyya eroberten. Von Sizilien aus war Tripolis am besten über Pantelleria zu erreichen, schon in der Antike war Tripolis eine Zwischenstation auf der Route von Alexandria nach Karthago, Christides/Oman/Mantran/Bosworth, Tripoli (2007); Christides/Oman, Tarabulus al-Gharb (2000). Allerdings hatte 1172 der Armenier ­Qaraqus (Karakush) Tripolis besetzt, Singer, Maghreb (1991), 302. 119 Barka, im Land nomadischer Libyer gelegen, war Zwischenhandelsplatz, aber recht isoliert und von Ägypten abhängig, Despois, Barka (1960).

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Befremdlich ist die Schilderung der von Burchard als Arabiten bezeichneten Einwohner in der terra Barbarica: Sie sind schwarz und halbnackt, befinden es nicht für nötig, Hütten zu errichten, sondern leben unter freiem Himmel, besitzen weder Waffen noch Kleidung, betreiben kaum Ackerbau und leben von Viehhaltung.120 Der Terminus Arabiten ist aus der Antike und der Bibel überliefert. Er bezieht sich auf ein in Indien, zumindest aber östlich des Roten Meeres lebendes Volk, dem Alexander der Große begegnete,121 auf das Burchard hier aber wohl kaum Bezug nimmt.122 Gemeint sein könnten hier Araber (Arabs, arabis), verstanden eher im ethnischen Sinne und zur Unterscheidung von den religiös konnotierten Sarazenen.123 Ähnlichkeiten weist der Terminus zudem mit der arabischen Selbstbezeichnung der Almoraviden124 (al-murābiṭūn) auf, welche vor der Machtübernahme der Almohaden (al-muwaḥḥidūn) über das westliche Nordafrika und al-Andalus herrschten.125 Gegebenenfalls bezieht sich der Begriff damit nicht auf eine primär religiös und ethnisch definierte Volksgruppe, sondern auf die Inhaber der staatlichen Gewalt, auch wenn diese inzwischen abgelöst worden waren.126 Burchards Beschreibung der Einwohner dieses Landes kann sich allerdings nicht auf die in den Hafenstädten Nordafrikas anzutreffende meist muslimische Bevölkerung beziehen.127 Die Schilderung der seminomadischen, dunkelhäutigen und spärlich bekleideten Einwohner trifft eher auf südlichere Gebiete Afrikas zu, deren Kenntnis wiederum nur von Sklavenhändlern bzw. im Sklavenhandel tätigen Fernhändlern stammen kann. Seit dem Frühmittelalter wurden in Tripolis schwarzafrikanische Sklaven gehandelt, die aus dem Niger auf der Bornustraße ankamen und weiter nach 120 Vgl. die Schilderung der Beduinen im ‚Tractatus de locis sanctis‘: Semper in campestribus habitantes, nullam habentes patriam neque domum. Pecudibus et cunctis animalibus abundant (…) Quando nos prevalemus adversus Saracenos, tunc fratres et amici nostri sunt. Si vero Saraceni prevaluerint, tunc ipsos adiuvant (…), Kedar, Tractatus (1998), 131. Kedar datiert den Tractatus in die Zeit vor 1187, ebd. 119. Zum Traktatus siehe in dieser Arbeit Kapitel III.2.1 und VI.2.3.1. 121 Im 2 Sam 23, 35 wird ein Land Arab genannt. Zur Begegnung Alexanders mit den Arabiten im Industal, Arrian. Alexanderzug. Ed. Wirth/Hinüber (1985), VI, 21, 3  f. – 22, 1  f., 503; Diodorus, Welt­ geschichte, XVII, 104, 4. Ed. Wirth (1993), 122; Demandt, Alexander (2009), 324. 122 Vgl. die Verwendung bei Lampert von Hersfeld, der Arabiten in der Nähe von Jaffa lokalisiert, Lampert von Hersfeld, Annalen. Ed. Schmidt (2000), 94 (zum Jahr 1065). 123 Thorau, Sarazenen (2002). 124 Norris/Chalmeta, al-Murābitūn (1993); Singer, Almoraviden (2002); Lagardère, Almoravides (1998); Ders., Yusuf (1989); Guichard, Almohades (1995). 125 In genuesischen Verträgen wurde das Herrschaftsgebiet der Almohaden Krueger folgend als terra mersumuti bezeichnet, Krueger, Routine (1933), 427. Der angegebene Beleg bei Guglielmo Cassinese konnte leider nicht gefunden werden; die Namensform lässt aber hinter Mersumuti den Kalifen al-Mansur vermuten. 126 Dieses Deutungsmuster ähnelt dem politisch konnotierten Barbarenbegriff nach Borst, Borst, Barbaren (1988), 20; Münkler, Erfahrung (2000), 208. 127 Dagegen spricht in jedem Fall die spärliche Bekleidung, die nur die Schamteile bedeckt und das Leben unter freiem Himmel, da gerade unter den Berberdynastien strenge Kleidervorschriften herrschten, Singer, Maghreb (1991), 296.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Ägypten und den Nahen Osten verkauft wurden.128 Erblickte Burchard nur gehandelte Sklaven, ohne sie von der tatsächlichen Einwohnerschaft zu unterschieden? Ob Burchard bei einem Aufenthalt mit Einheimischen in Kontakt kam, ist hingegen gar nicht sicher, da sich europäische Händler in Nordafrika in Funduks aufhielten und dort auch ihre Geschäfte tätigten. Die Funduks unterlagen einer strikten Kontrolle und wurden bei Einbruch der Dämmerung verschlossen.129 Evident waren nur kommerzielle Kontakte zu anderen Händlern und Repräsentanten der lokalen Machthaber und Eliten, eine tiefere Kenntnis von Land und Leuten war weder möglich noch überhaupt beabsichtigt. Nicht ganz auszuschließen ist ferner, dass Burchard mit terra Barbarica generell den Kontinent Afrika bzw. die bekannten Regionen dieses Erdteils bezeichnet, von dem Ägypten in antiker und mittelalterlicher Vorstellung durch den Nil getrennt war.130 Burchards Reiseroute samt der anzunehmenden Stationen auf Korsika, Sardinien, Sizilien, Malta, Pantelleria und in der Barbaria ist durchaus als Handelsfahrt plausibel.131 Dem kommerziellen Ziel gemäß belief sich der Aufenthalt in den angelaufenen Häfen sicherlich auf mehrere Tage, um die Geschäfte optimal abzuwickeln.132 Die Reiseroute lässt eher ein Transportschiff als eine Galeere als Gefährt ver128 Auf der Bornustraße zwischen Tschadsee (Niger) und Tripolis waren seit der Antike Sklaven das wichtigste Handelsgut im Transsaharahandel, diese Route des Sklavenhandels lag weitgehend in den Händen orientalischer Kaufleute. Großer Bedarf an Sklaven bestand in Ägypten für das Heer, später entstand im Mittelmeer ein Dreieckshandel. Haussklaven der Mittelmeerländer stammten oft aus dem Maghreb, daneben auch aus dem Schwarzmeergebiet und dem Balkan, Grabner-Haider/Maier/Prenner, Kulturgeschichte (2012), 228; Heers, Esclaves (2006); Devisse, Trade (1988); Ders., Routes (1972); Verlinden, Esclavage B. 2 (1977). 129 Olivia Constable differenziert begrifflich den Funduk innerhalb der islamischen Welt, in dem Gäste und Händler unterschiedlicher Herkunft und religiöser Zugehörigkeit untergebracht waren vom Fondaco, der für Händler und Reisende einer bestimmten Herkunftsregion („Nation“) reserviert war, Constable, Housing (2003), 2; 110. Im Unterschied zum ursprünglichen Gasthaus (Pandocheion) hatten Funduks wirtschaftliche und soziale Bedeutung. Sie dienten neben der Unterbringung und Versorgung von Händlern und ihren Tieren als Warenlager und Handelsort. Hier wurden die Waren und der Handel aber auch überprüft, besteuert und kontrolliert. Funduks waren somit einerseits Knotenpunkte interkultureller Kontakte, unterstanden andererseits teilweise strenger staatlicher Aufsicht und blieben abseits der einheimischen Märkte. Nachts und zu bestimmten Zeiten wurden Menschen und Waren eingeschlossen, ebd., 72  f.; 89  f. „Security was a continual concern in both the funduq and the fondaco, since it was necessary to guard both the people and goods within their walls. (…) Foreign merchants wished for protection and seclusion from local people, while Muslim city officials equally wished to prevent western Christians from wandering freely through the town. For this reason, control of fondaco gates, and their schedule for opening and closure, became an issue of negotiation between Christian and Muslim power“, ebd., 123; Abulafia, Trade (1994), 18. 130 Vgl. die Darstellung der bekannten Teile der Welt auf der Tabula Rogeriana des arabischen Geographen al-Idrisi von 1154, al-Idrisi, Géographie. Ed. Jaubert (1836–1840). 131 Benjamin von Tudela legte auf seiner Schiffsreise elf Zwischenstopps ein, Krueger, Routine (1933), 429. 132 Ebd., 434; deutlich längere Aufenthalte sind aber nicht ungewöhnlich, Schena, Presenza (2000), 21.

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muten.133 Hier hatten Burchard und seine Begleiter sicherlich eine Kabine gemietet, weitere Personen an Bord dürften vornehmlich Händler gewesen sein,134 daneben aber auch Vertreter anderer Berufsgruppen, deren Ziel eventuell nicht Alexandria, sondern bei Weiterfahrt des Schiffes auch Syrien oder Akkon sein konnte. Über das Leben an Bord, persönliche Eindrücke und Bekanntschaften teilt Burchard nichts mit.135 Auf dem Meer konnte er Fische beobachten,136 hat vielleicht auch ein Unwetter erlebt. Genaueres ist ihm in dieser Hinsicht nicht mitteilenswert. Burchards Darstellungsabsicht bestand offensichtlich nicht darin, konkret erlebte Situationen wiederzugeben, sondern einen Überblick über die momentane politische Landkarte des Mittelmeers zu liefern, die sich innerhalb des Zeitraums von ca. 1160 bis 1175 – und ganz besonders unmittelbar vor seinem Reiseantritt – grundlegend verändert hatte.137 Seine Darstellung weist einen deutlichen Aktualitätsbezug auf und besteht aus gezielt und systematisch zusammengetragenem Wissen aus den Bereichen Herrschaft, Politik, Wirtschaft und Ethnologie. Bei den meisten Informationen handelt es sich um Insiderwissen, das er kaum vor der Reise besessen haben kann und auch kaum ohne eigene Reiseerfahrungen niederlegen konnte. Als Authentizitätsbeweis eigener Erfahrung dürften besonders seine Bemerkungen über die Einwohnerschaft Korsikas und Sardiniens sowie die Angaben über Pantelleria dienen. Die Inseln werden zwar in unterschiedlichen Quellengattungen namentlich genannt, Beschreibungen Sardiniens und Korsika liefern u.  a. Isidor, Honorius Augustodunensis, Otto von Freising und Ende des 12.  Jahrhunderts dann Gervasius von Tilbury, doch beziehen sich deren Darstellungen hauptsächlich auf geographische, geschichtliche und mythologische Aspekte und stehen in keinem Bezug zu den Informationen

133 „Leichte Galeeren setzte man für den Krieg oder für die Fahrt von Gesandten an fremde Höfe ein, doch wie schon in der Antike eigneten sie sich nur schlecht für raue See und mussten generell in Sichtweite des Landes segeln, wobei man die Ruder gewöhnlich nur bei Flaute und bei der Einfahrt in die Häfen benutzte“, Abulafia, Mittelmeer (2013), 414. 134 Im Handel nach Alexandria waren meist verschiedene Händler beteiligt, die gemeinsam ein Schiff charterten, Byrne, Trade (1920), 201; Krueger, Routine (1933), 430. 135 Vgl. dagegen die Schilderung der Schiffahrt bei Ibn Ǧubair, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 232–236; Abulafia, Mittelmeer (2013), 404–416. Informationen über die Schiffahrt (Unterbringung, Verpflegung etc.) der Kairoer Juden ebd., 353  f. 136 Vidi enim piscem magnum ut conicere potui, habentem in longitudinem CCCXL ulnas. Vidi etiam pisces super mare volare, ad tractum unius arcus vel baliste. Nach Burchards Angabe eines Fisches von 340 Ellen Länge würde dieser ca. 170 m messen, was natürlich unmöglich ist. Größter Meeressäuger ist der Blauwal mit einer Länge von 33,5 m; im Mittelmeer anzutreffen ist eher der Pottwal oder der Finnwal, die eine Länge bis ca. 20 m erreichen. Doch ist diese Zahl in allen Handschriften identisch, glaubwürdig wäre aber höchstens eine Angabe von XL ulnas (die 300 zusätzlichen Ellen könnten ursprünglich circa bedeutet haben). Hingewiesen wird in jedem Fall auf ein unvorstellbar großes Tier, das im Mittelmeer heimisch ist. Burchards zweite Angabe bezieht sich wohl auf fliegende Fische oder Delphine, welche er auf einer so langen Reise tatsächlich gesehen haben kann. 137 Dazu Kapitel V.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

bei Burchard.138 Für heutige Leser unglaubwürdige, legendenhafte Passagen, wie die Erwähnung des giftigen Flusses auf Korsika, zählen ebenfalls zum Expertenwissen und können einen wahren Kern haben. Lateinische Quellen berichten diese Sachverhalte nicht. Übergangen wird in den lateinischen Geschichtswerken generell die kleine Insel Pantelleria, selbst der gelehrte und weitgereiste Gervasius von Tilbury kennt sie nicht,139 so dass diese Details vermutlich auch nicht außerhalb des Kontaktsystems der Fernhändler mündlich kursierten. Inhaltlich ist die Perspektive der Darstellung stark von den Beobachtungsmöglichkeiten des Kontaktsystems des Fernhandles geprägt. Das dynamische Fernhandelsgeschäft erforderte die Kenntnisse von Absatzmärkten, i.  e. Angebot, Nachfrage und Kaufkraft der potentiellen Abnehmer in den Umschlaghäfen sowie am heimischen Markt. Ausschlaggebend für den Erfolg war ebenso aktuelles Wissen um Handelsbedingungen, Auflagen, Embargos und aktuelle Herrschaftsverhältnisse, zumal hohe Investitionen eingesetzt wurden und es um die Teilhabe an hart umkämpften Märkten ging.140 Vor Abwicklung der Geschäfte mussten Händler in verschiedenen Kontexten nicht nur mit privaten Investoren, Abnehmern, lokalen Eliten und Händlern, sondern mit übergeordneten Instanzen der fremden Territorien interagieren:141 „ (…) business success depended in large part on relationships with complicated and shifting sources of power, which required them to negotiate constantly with both

138 Isidor, Etymologiae, XIV, VI, 39–43. Ed. Lindsay (1911); Honorius, Imago. Ed. Flint (1982), 65; Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers (2011) passim; Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), 260; 342–347. 139 „Gervase was extremely widely-read, and drew on a vast array of literary sources“, Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), xlii. Die Otia Imperalia sind in erster Linie eine literarische Kompilation mit dem Ziel, alles verfügbare Wissen über die bekannte Welt darzubieten, wobei sich Gervasius auf nahezu alle in seiner Zeit bekannten historiographischen Werke stützte und zudem aus eigener Reisetätigkeit über einen weiten Erfahrungsschatz verfügte. „There ist also much that is new and unusual in the geographical sections of the Otia. The work occupies an important place in the history of medieval geography, containing as it does the most profound of all Latin chorographies up to that time. (…) Gervase himself had travelled widely, and at times supplements his sources with additional information drawn from his personal knowledge“, ebd., xliv f. 140 Derartige Informationen konnten Händler in den Funduks und Handelsquartieren der Umschlaghäfen erhalten, wo sich Händler allerdings nicht dauerhaft aufhielten, Krueger, Trade (1933), 259. Sie mussten über recht breit gefächerte Fähigkeiten, Sprachkenntnisse (einheimischer Dialekt, Lateinkenntnisse, lingua franca), Wissen und Erfahrung verfügen, ebd., 266. 141 Vgl. Goldberg, Trade (2012), 164–177. „The nature, organization, and extent of state power affected longdistance trade in several ways: supporting trade, placing burdens on merchants, and creating hazards. First, these states supported and protected trading activity both directly and as a consequence of their specific interests. These states were deeply concerned with ensuring security in urban spaces, including the markets. (…) Acts in the market – arrival of goods in the public warehouse, sales, payment agreements, and conveyances of property – were both recorded by government clerks and publicy witnessed by members of the local business community”, ebd., 167  f. „Such information supplies both merchants and the state“, ebd., 169.

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offices (or office-holders) and patronage networks.“142 Das von Händlern erworbene Wissen war zugleich von hoher politischer Relevanz, stellt die Kenntnis aktueller Grenzen, Absichten und Interessen fremder Herrschaften im Mittelmeerraum doch die Grundlage politischer Entscheidungen dar. Verschriftlicht bzw. bewahrt wurde es kaum, zumal Preise, Handelsbedingungen und Konkurrenzsituationen sich in kürzester Zeit änderten und somit innerhalb des Systems der Händler weder Nutzen noch Notwendigkeit der Verschriftlichung bestand143 – eher war Wirtschaftsspionage gefürchtet.144 Aus diesem Korpus mündlich erworbenen und bereits deutlich selektierten Wissens nahm Burchard eine weitere Auswahl spezifischer Informationen vor, die er lateinisch verschriftlichte. Burchards Aufgabe bestand zuvörderst darin, „die Relation zwischen eigen und fremd sprachlich zu vermitteln“, wozu er auf Formulierungen der Fremdbeschreibung zurückgriff, die ihm aus anderen Zusammenhängen geläufig waren.145 Auffällig in diesem ersten Abschnitt des Berichtes ist die rein sachlich-feststellende Beschreibung der Religionszugehörigkeit, stellte das religiöse Bekenntnis doch einen wichtigen Faktor in der gegenseitigen Wahrnehmung und Einschätzung dar, auch beeinflusste es das politische und wirtschaftliche Handeln. Offenbar zollte Burchard religiösen Gegensätzen nicht mehr Aufmerksamkeit, als ihnen in profit- und zielorientierten Entscheidungen innerhalb des Kontaktsystems der Fernhändler geschuldet wurde, aus dem Burchard hier sein Wissen bezog.146 142 Goldberg, Trade (2012), 170. Kommerzielle Verbindungen versprachen den meisten Erfolg und beinhalteten das geringste Risiko, wenn die Partner am gleichen Rechtssystem verankert waren, was besonders bei Kontakten mit Landsmännern der Fall war, ebd., 178. 143 Münkler, Erfahrung (2000), 149  f. 144 Händler fungierten auch als Gesandte, unter ihnen fanden sich mitunter Wirtschaftsspione, wie der von Ibn Ǧubair beschriebenen Ibn al-Hadjar l’Hammûdite, der im Auftrag Rogers II. von Sizilien in Genua spionierte, dann aber aufgrund eines Bündnisses mit den Almohaden des Verrats angeklagt wurde, Bresc, Etat (1989), 340. Dieser Fall eines christianisierten alidischen Prinzen aus dem Stamm der Kuraisch zeigt auch den Argwohn und die bestehenden religiös-kulturellen schwelenden Gegensätze innerhalb des normannisch dominierten Sizilien auf, für die die almohadische Expansion gefährlich werden konnte, während Ibn al-Hadjar als Vertreter der Muslime Siziliens um die religiöse Einheit der muslimischen Community fürchtete. Als starker Verbündeter der Muslime kam neben den Almohaden Saladin in Betracht, ebd., 340. Die Episode spiegelt die Furcht vor einer erneuten muslimischen Invasion bzw. Machtübernahme oder zumindest Desintegration durch erstarkte muslimische Herrscher, die sich nicht mehr in einem so starken religiösen Gegensatz befanden wie zur Zeit der schiitischen Fatimiden. 145 „Gerade das stellte besondere Anforderungen, denn die Beschreibung musste einerseits gerade das evozieren, was das Fremde als Fremdes auszeichnete, andererseits aber musste sie es nachvollziehbar und damit einordenbar machen. Hierzu bedurfte es in erster Linie des Rekurses auf das, was den potentiellen Lesern der Berichte vertraut war“, Münkler, Erfahrung (2000), 154. 146 Dem normannischen Ausgreifen nach Nordafrika in der Mitte des 12. Jahrhunderts werden in der Chronik des Robert von Torigni religiöse Motive unterstellt, Robert von Torigni, Chronique, Bd. 1. Ed. Delisle (1872); 180 (1129); 303 (1157).

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Sein Ordnungsschema bezieht sich auf ein breites Spektrum zivilisatorischer, entwicklungshistorischer Leistungen, auch wenn dies nur knapp anklingt. Die Entwicklung vom Nomaden ohne Wohnstatt, über Seminomaden bis hin zur sesshaften Bevölkerung, die Ausbeutung der Erzeugnisse des Bodens im Gegensatz zur bloßen Viehhaltung, zu der es weniger Wissen und Anstrengung bedarf, sind Burchard wichtige Leitdifferenzen, die er immer wieder anführt. Das kulturelle Gefälle hängt nicht von räumlicher Entfernung und Religion ab. Bei seinen Zuschreibungen handelt es sich nicht um isolierte, prinzipielle Eigenschaften, sondern um Konsequenzen gesellschaftlicher Entwicklung, die wiederum eng mit der Frage nach der rechten Herrschaft verknüpft ist.147 So weist Burchards Darstellung der Einwohnerschaft von Malta und Pantelleria Parallelen im Vergleich mit derjenigen Korsikas und Sardiniens auf. In beiden Fällen handelt es sich jeweils um eine ethnisch und religiös ähnliche Bevölkerung, die sich hinsichtlich ihrer Lebensweise und gesellschaftlichen Entwicklung unterscheidet. Da es über die Sarazenen Maltas nichts weiter zu vermelden gibt, scheint ihre Lebensweise sich nicht groß von europäischen Normen zu unterscheiden, während Pantellerias Einwohner dagegen unterentwickelt und in dieser Hinsicht mit den Sarden vergleichbar sind. Implizit reflektiert er Unterschiede von Gesellschaften als sozialpolitisch gebundene Phänomene innerhalb desselben Kulturraumes, wobei der Bezugspunkt stets die eigene Position bleibt. Die Selektion und Darbietung der Informationen schon in diesem ersten Berichtsabschnitt lassen unter Vorbehalt Aussagen über die Entstehung des Schriftstücks zu. Vermutlich lag schon für die Überfahrt ein Beobachtungsauftrag vor, der für das Festhalten der auf der Fahrt gewonnenen spezifischen Informationen und möglicherweise ebenso für das Nichtverschriftlichen bereits bekannten oder allgemein zugänglichen Wissens verantwortlich war. Genaue Informationen über die Herrschaftsverhältnisse im Mittelmeer 1175 waren dringend erforderlich. Direkt in Herrschaftsfragen war das Reich in Sardinien und indirekt auch in Korsika involviert, wo Barbarossa sich als 147 Die Zuordnungen sind auf den ersten Blick konträr und schematisch, sie bilden aber zugleich eine Dynamik und Veränderlichkeit ab und zeigen die „Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem“ auf. Mit Schäffter kann der Modus des Fremderlebens in Bezug auf Sarden und Korsen eher als „Fremdheit als Ergänzung“ definiert werden denn als „Fremdheit als Gegenbild“, Schäffter, Modi (1991), 19–24. Das Deutungsmuster und die Ordnungsleistung beziehen sich „weniger auf eine statisch seinsverankerte Identität (…), sondern strukturier(en) einen prozesshaften Wandel von eigener Entwicklungs­ logik.“ Dabei geht es „nicht mehr um einen prinzipiellen Gegensatz, sondern um temporale Probleme einer gegenseitigen Anschlussfähigkeit von Entwicklungen“, ebd., 23. Die Gegenüberstellung weist Parallelen zur politischen Bedeutung des Barbarenbegriffs auf, den auch Otto von Freising verwendet, Otto von Freising, Chronik I, 27. Ed. Lammers (2011), 98. Die Differenz zur eigenen Position liegt in der unterlegenen Kultiviertheit und kann dabei weitere Aspekte beinhalten, Münkler, Erfahrung (2000), 206–221. Die Beschreibungstechnik entspricht der durch Boethius vermittelten aristotelischen Kategorien- und Aussagenlehre. Es galt, das Proprium einer Sache vom zufälligen Beiwerk (accidens) zu unterscheiden und das Unterscheidungsmerkmal zu bestimmen. „Ein Mensch bleibt ein Mensch, gleichgültig ob er groß oder klein, dick oder dünn ist, ob vielwissend oder arm im Geiste“, Fried, Karl (2013), 337.

Abb. 1: „Main Mediterranean and Black Sea Routes in Medieval Times“ auf der folgenden Seite ist entnommen aus http://www.fofweb.com/ Electronic_Images/Maps/HMOF2-34-c.pdf, letzter Zugriff am 31. 07. 2017. Burchards Reiseroute ist schwarz hinzugefügt.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

„oberster Lehnsherr inszenieren konnte.“148 Den Transitraum Mittelmeer musste Friedrich I. unbedingt in seinen Radius einbeziehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Es bestand ein grundsätzliches Interesse, potentielle Einflussbereiche innerhalb des politischen und wirtschaftlichen Handelsraumes realistisch bewerten zu können, wenn nicht zu kontrollieren.149

III.1.2 Alexandria Anlaufhafen und erste Station in Ägypten war Alexandria.150 Als erste Sehenswürdigkeit schildert Burchard den schon von weitem sichtbare Pharos an der Hafeneinfahrt: 148 Bernwieser, Konflikt (2010), 217. 149 Im Unterschied zur genuesischen und pisanischen Präsenz im südlichen Mittelmeer waren die zuvorigen normannischen Eroberungen als Usurpationen betrachtet worden, so berichtet es zumindest Gervasius von Tilbury, Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), 464  f. Der Erfolg Rogers II. ging zulasten der italienischen Seestädte, 1135 beklagten sich venetianische Gesandte bei Kaiser Lothar: Venerunt quoque ad imperatorem eodem tempore dux unus et episcopus a rege missi Gretiae cum legatis ducis Venetiae conquerentes atque iudicium postulantes adversus Ruggerum quendam comitem Sicilie, qui et regi Gretiae Affricam, quae tercia pars mundi esse dinoscitur, armis expugnando cum paganis abstulit suoque dominio subdidit, ibique diadema regni sibi imponens, regium nomen usurpavit, Veneticos vero depolians, diversarum mercium quadraginta milium talentorum abstulit precium. Sed et de imperio Romano totam Apuliam atque Calabriam subtraxit, aliaque perplura contra ius fasque perpetravit, Annales Erphesfurdenses Lothariani. Ed. Holger-Egger (1899), 42; Abulafia, Kingdom (1987). 150 Alexander der Große gründete Alexandria 331 v. Chr. nach der Eroberung Ägyptens als Hauptstadt des Ptolemäerreiches. Die Vorgängersiedlung Rhakotis auf dem exponierten Landstreifen zwischen dem Binnenmeer Mareotis und dem Mittelmeer wurde in den schachbrettartigen, rechtwinkligen Stadtplan integriert (6 km lang, 1,5 km breit). Nach der Einnahme durch Octavian wurde Alexandria 30 v. Chr. Hauptstadt der römischen Provinz Ägypten, lag aber rechtlich gesehen außerhalb Ägyptens, Clauss, Alexandria (2003), 124. Bis weit in die christliche Zeit wurde die Stadt als „Größe sui generis“ betrachtet: „Man reiste von Ägypten nach Alexandrien und umgekehrt“, Müller, Alexandrien (1978), 248. Neben Rom, Konstantinopel und Antiochia zählte Alexandria zu den vier größten Städten des spätantiken römischen Reiches, Müller postuliert eine Einwohnerzahl von einer Million in der Antike, ebd., 249. Hinzu kamen die nahe bei Alexandria in Nikopolis stationierten römischen Einheiten (bis zu 20 000 Mann), Clauss, Alexandria (2003), 131–137. Herausragende Bedeutung hatte Alexandria als Handels- und Wirtschaftsmetropole und als Zentrum der Wissenschaft und Kunst. Von Anfang an war hier das Christentum präsent, denn an diesem Ort lebte die größte jüdische Gemeinde außerhalb Palästinas. Eine systematische Mission gab es jedoch nicht, Müller, Alexandrien (1978), 251. Unter Diokletian wurden Christen heftig verfolgt. 311 wurde das Christentum religio licita; 325 erfolgte die Erhebung Alexandrias zum Sitz des Patriarchen, der eine dominierende Rolle („neuer Pharao“) und dann auch das Präfektenamt innehatte. Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen wie auch innerkirchliche Kämpfe um den rechten christlichen Glauben wurden bis ins 5. Jahrhundert blutig ausgetragen. 619 eroberten die Sassaniden die Stadt, 629 gewann Byzanz Alexandria für kurze Zeit zurück, 645 fiel es an die Araber, womit völlig neue Bevölkerungsgruppen nach Alexandria kamen. Nach den Umayyaden und Abbasiden herrschten von 868–905 die Tuluniden als unabhängige Dynastie über Ägypten, gefolgt von den Ischchididen. Seit 969 regierten die schiitischen Fatimiden über

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Ein hoher steinerner Turm, der den Seefahrern die Hafeneinfahrt anzeigt und dessen Feuer die ganze Nacht über brennt: Tandem portum Alexandrie intravi in quo portu turris altissima de lapidibus erecta est, ut navigantibus portum indicet. Quia Egyptus terra plana est, et tota nocte ignis in ea ardet, ut appropinquantibus ne pereant portum signifet. Der Leuchtturm war als eines der sieben Weltwunder bekannt und Symbol der Stadt; er fehlte in kaum einer Darstellung Alexandrias.151 Seit ptolemäischer Zeit stand er an der Ostspitze der Insel Pharos, die mit einem sieben Stadien (1209  m) langen Damm, dem Heptastadion, mit dem Festland verbunden war und die zwei Hafenbecken Alexandrias voneinander trennte.152 Der östliche Hafen, mit dem ehemals abgetrennten königlichen Hafen, war christlichen Schiffen reserviert, seine schmale Einfahrt galt als besonders gefährlich, was auch Burchard andeutet.153

Ägypten, welche einen eigenen Kalifen einsetzten. Politisch verlor Alexandria durch die Errichtung Fustats als Hauptstadt an Bedeutung, blieb aber bedeutende Handelsmetropole und Ort mehrerer nun islamischer theologischer Schulen. Bis zum Hochmittelalter blieb die Bevölkerung überwiegend christlich, doch veränderten die allmähliche Islamisierung und Arabisierung die Topographie der Stadt und ihre Bewohner. Zu Alexandria in der Antike und Spätantike siehe auch: Kiss, Alexandria (2007); McKenzie, Architecture (2007); Grimm, Alexandria (1998); El-Abbadi, Alexandria (1996); Martin, Rôle (1996); Huzar, Alexandria (1988); Puchstein/Kubitschek, Alexandria (1983); zum mittelalterlichen Alexandria: Empereur/Décobert, Alexandrie Bd. 1–4 (1998–2008); Frenkel, Alexandria (2014); Christie, Centre (2014); Müller, Alexandria (2002); Udovitch, Alexandria (1996); Ders., Tale (1977); Müller-Wiener, Stadtgeschichte (1992); Labib, Al-Iskenderia (1978). 151 Die älteste Zusammenstellung der Weltwunder begegnet auf einem Papyrusfragment aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Strabon bezeichnet den Pharos als „bewundernswert“, doch erscheint der Pharos erst in der Wunderliste von Plinius dem Älteren (um 23–79 n. Chr.) als „Weltwunder“, Plinius, Naturalis Historia 36, 83. Ed. König, 62  f. Paradoxerweise wächst sein Bekanntheitsgrad, während das Bauwerk selbst zerfällt und baulich verändert wird. Gregor von Tours nahm ihn in seine Liste der Miracula auf, hier findet sich zum ersten Mal, dass der Leuchtturm auf vier Krebsen errichtet sei, Gregor von Tours, De cursu stellarum 8. Ed. Krusch (1885), 409  f.; so auch in einer Beda Venerabilis zugeschriebenen Abhandlung, Pseudo-Beda, De septem miraculis. Ed. Migne (1904), Sp. 961 und bei Cosmas von Jerusalem, Cosmas, Commentarii. Ed. Migne (1862), 547. Von gläsernen Krebsen berichten auch griechische und arabische Autoren, Brodersen, Weltwunder (1993). Kai Brodersen erklärt die Aufnahme des Pharos in die Weltwunderliste mit der Eigenschaft des Wunders: „Solange er intakt war, blieb seine Weltwundereigenschaft fragil: In den Weltwunderlisten erscheint er nur selten und dann auch nur im Verein mit anderen ‚unüblichen‘ Weltwundern. Mit dem Verfall aber setzte sein Ruhm ein (…)“ und: „Je weniger wundervoll das verfallende antike Bauwerk tatsächlich aussah, desto wundersamer stellte man es sich vor“, ebd., 209  f. 152 Der erste Leuchtturm wurde von Sosastros unter Ptolemäus I. und Ptolemäus II. im 3. Jahrhundert v. Chr. erbaut. Er soll 160 m hoch, sein Licht 50–60 km (300 Stadien) weit sichtbar gewesen sein, Kunze, Weltwunder (2003), 174–178; Adler, Pharos (1901). Zum Pharos im Mittelalter siehe: BehrensAbouseif, Lighthouse (2006); Taher, Séismes (1998); Ekschmitt, Weltwunder (1996), 183–197; Asín Palacios, Descripción (1933); Thiersch, Pharos (1909). 153 Ne appropinquantibus ne pereant. „Die Küste Ägyptens war für die antike Schiffahrt äußerst gefährlich“, da die „Küstenlinie außergewöhnlich flach ist. Man erkennt sie erst, wenn man dem Land so nahe ist, dass man jenen Riffen nicht mehr ausweichen kann. (…) Auf die nordafrikanische Küste

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Der westliche Hafen war mit Eisenketten gesichert und nur muslimischen Schiffen erlaubt.154 In der Zeit der Fatimiden scheint allerdings nur das östliche Hafenbecken benutzt worden zu sein.155 Der Damm selbst war zu einer Halbinsel angewachsen, auf der sich ein Teil der mittelalterlichen Stadt befand. Durch Beben war der Pharos mehrfach zerstört und umgebaut worden. Zuletzt stürzte er 796 nach einem Erdbeben ein, laut Al-Masudi wurde er 955/956 ebenfalls durch ein Beben in Mitleidenschaft gezogen. Von weiteren Erdstößen danach wird berichtet, doch sehen ihn muslimische Autoren in der zweiten Hälfte der 12. Jahrhunderts in Betrieb.156 Zur Reisezeit Burchards dürfte das Aussehen des Pharos der Beschreibung alBalawis aus dem Jahr 1165 entsprochen haben, der selbst genau Maß nahm, Stockwerke, Räume und Treppenstufen zählte und die detaillierteste Beschreibung lie-

fuhr man praktisch blind zu“, Clauss, Alexandria (2003), 81  f. In den Hafen Alexandrias gelangt man nur durch drei Fahrrinnen, bei Verlassen dieser Rinnen steuert man auf ein Riff zu, vgl. Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XIX, 31. Ed. Huygens (1986), 908. Ausführlich schildert Arculf um 680 Hafen und Leuchtturm: Quae quasi claustrum inter Aegyptum et mare magnum interiacet, civitas inportuosa et ab externo difficilis accessu. Cuius portus ceteris difficilior quasi ad formam humani corporis in capite ipso et statione capacior, in faucibus angustior, qua meatus maris ac navium suscipit, quibus quaedam spirandi subsidia portui subministrantur. Ubi quis angustias atque ora portus evaserit, tamquam reliqua corporis forma ita diffusio maris longe lateque extenditur. In eiusdem dextera portus parva insula habetur, in qua maxima turris est, quam in commune Graeci ac Latini ex ipsius rei usu Farum vocitaverunt, eo quod longe a navigantibus videatur, ut, priusquam in portum adpropinquent, nocturno maxime tempore terram finitimam sibi esse flammarum incendio cognoscant, ne tenebris decepti in scopulos incidant, aut ne vestibuli limitem non queant conprehendere. Sunt itaque illic ministratrores, per quos subiectis facibus ceterisque lignorum struibus adoletur ignis quasi terrae praenuntius et index portensium faucium, demonstrans ingrediendi angustias, undarum sinus et vestibuli anfractus, ne tenuis carina praestringat cautes et in ipso ingressu offendat inter opertos fluctibus scopulos. Itaque directum cursum paulisper inflecti oportet, ne caecis inlisa saxis ibi incurrat navis periculum, ubi speratur effugium periculorum, Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 278 (= Ed. Bieler [1965], 222); Zusammenfassung bei Beda Venerabilis, Beda, Liber, XVIII. Ed. Geyer (1898), 321; zu den Quellen dieser Darstellung siehe Hoyland/Waidler, Adomnán (2014); Aist, Adomnan (2010); Woods, Luggage (2002). 154 Frenkel, Alexandria (2014), 16; Kedar, Prolegomena (2012). 155 Bramoullé, Alexandrie (2011), 84; zum Hafen siehe auch Clauss, Claustra (2005). 156 Maçoudi, Livre. Ed. Carra de Vaux (1896), 73 (Übersetzung des Buches al-Tanbīh wa ‘l-ishrāf); Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006), 3. Mustapha Taher führt noch eine Reihe weiterer Beben an, doch betrafen diese nicht so sehr Alexandria und den Pharos, Taher, Séismes (1998), 52–55. Wilhelm von Tyrus berichtet von einem äußerst starken Beben im Orient 1170, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, Buch 20, 18. Ed. Huygens (1986), 934–936. Erst nach einer weitgehenden Zerstörung durch zwei Beben im 14. Jahrhundert scheint er nicht wieder aufgebaut worden zu sein. Ibn Battuta besuchte Alexandria vor und nach den Beben und bezeugt den endgültigen Verfall des Pharos in dieser Zeit. Bei seinem zweiten Besuch in Alexandria 1349 war der Turm stark beschädigt, Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006), 8. Alexandria liegt an der Plattengrenze (Subduktionszone) der eurasischen und der afrikanischen Kontinentalplatte. Entlang des Hellenischen Bogens schiebt sich die afrikanische Platte unter die eurasische und verursacht starke Beben; daneben existieren noch die Ägäische und die Anatolische Mikroplatte. Die größte seismische Aktivität fand in der Periode zwischen 350 und 550 statt, was in dieser Zeit einen Bedeutungsverlust der Stadt bedingte, Taher, Séismes (1998), 51.

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Abb. 2: Der Pharos nach der Beschreibung al-Balawis. Graphik entnommen aus Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006), 5.

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fert.157 Auf dieser Grundlage hat Doris Behrens-Abouseif für das Jahr 1165 die Höhe des Pharos mit 132,5  m, die Breite der Basis mit 30,6  m berechnet.158 Im gleichen Zeitraum schildert Benjamin von Tudela seine Eindrücke vom Pharos. Er weiß von einem „Glasspiegel“, der in der Antike als Fernrohr zum Erspähen feindlicher Schiffe gedient haben soll, jetzt aber zerstört ist;159 auch der arabische Geograph al-Masudi und der persische Reisende Nāṣir-i Ḫusrau erzählen davon.160 Einige Jahre nach Burchard berichtet Ibn Ǧubair (1183) von einer Moschee auf der Spitze des weitläufigen Turmes.161 Lateinische Autoren bieten hingegen keine genauen Schilderungen.162 Burchards anschließende Deskription Alexandrias (es ist die längste und ausführlichste Stadtbeschreibung des gesamten Berichtes) folgt maßgeblich den Kategorien Wirtschaft (Handel und Einnahmen), Topographie und Infrastruktur sowie Einwohner und kirchliches Profil. Die diesen Kategorien zuzuordnenden einzelnen Informationen seines Berichtes werden im folgenden thematisch behandelt und mit den notwendigen historischen Hintergründen versehen.

157 Asín Palacios, Descripción (1933); zitiert auch bei Clayton, Pharos (2013), 153  f. Genauer schildern ihn arabische Reisende, u.  a. Al-Masudi († 956), Al-Masudi, Grenzen. Ed. Rotter (1988) und Maçoudi, Livre. Ed. Carra de Vaux (1896); Al-Muqaddasi (985), Al-Muqaddasī, Divisions. Ed. Collins (1897); Naser-e-Khosrau (1040), Nāṣir-i Ḫusrau, Safarname. Ed. Najmabadi/Weber (1993); al-Bakri († 1094), El-Bekri, Description. Ed. Guckin de Slane (1858/1859); al-Gharnati († 1170), al-Gharnātī, Tuhfat. Ed. Ferrand (1925); Al-Idrisi (1154), Al-Idrisi, Géographie. Ed. Jaubert (1836–1849); Yusuf ibn Muhammad al-Balawi (1165), Asin Palacios, Descripción (1933); Ibn Ǧubair (1184), Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985); ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (1195), ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810) und Ibn Battuta (1326; 1349), Ibn Battuta, Wunder. Ed. Elger (2010); dazu Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006); Frenkel, Alexandria (2014), 17 Anm. 64. Mittelalterliche ägyptische Chroniken liefern dagegen kaum Informationen über den jeweils aktuellen Zustand des Leuchtturmes, sondern reproduzieren ältere Texte, Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006), 1. Einen sehr ähnlichen Leuchtturm zeigt ein Mosaik in der venezianischen Markuskathedrale aus dem 13. Jahrhundert, das den Evangelisten auf seiner Fahrt nach Alexandria abbildet, Ekschmitt, Weltwunder (1996), 193 Tafel 46a. 158 Ebd., 6  f. Al-Masudi gibt die Maße mit ca. 55 m Breite und ca. 115 m Höhe an, ebd., 2. Ibn Ǧubair berichtet einige Jahre nach Burchards Aufenthalt: Mehr als 50 Klafter (bâʿ) messe jede seiner vier Seiten, „und es heißt, der Turm sei mehr als 150 Klafter (qâma) hoch“, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 24. Die Länge eines qâma beträgt ca. 2 m; ein bâʿ ist 68 cm lang. 159 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 46; Benjamin von Tudela, Itinerary. Ed. Adler (1907), 75. Datiert wird Benjamins Bericht auf den Zeitraum zwischen 1160–1172, nach Olivia Constable fällt der Aufenthalt in Alexandria ins Jahr 1165, Constable, Housing (2003), 107. 160 Maçoudi, Livre. Ed. Carra de Vaux (1896), 72; Nāṣir-i Ḫusrau, Safarname. Ed. Najmabadi/Weber (1993), 83. 161 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 25. Dafür gibt es in früheren Berichten zwar keine Anhaltspunkte, doch berichtet Al-Suyuti im 15. Jahrhundert von der Wiederherstellung der Moschee unter Sultan al-Malik al-Kamil (1218–1238), nachdem sie durch starken Wind zerstört worden sei, Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006), 8; Dies., Topographie (2002), 123. Die Gebetskuppel soll auf Ibn Tulun zurückgehen, Dies., Architecture (1998), 102. 162 Brodersen, Weltwunder (1993); Thiersch, Pharos (1909), 35.

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Handel und Einnahmen Im Verlauf der Stadtbeschreibung macht Burchard einige kurze Angaben zur politischen und ökonomischen Situation, die eng mit der herausragenden Bedeutung Alexandrias als Handelsmetropole verknüpft sind und sich konkret auf den Reisezeitraum in der Übergangsphase von der fatimidischen zur ayyubidischen Herrschaft beziehen lassen. Seit der Antike war Alexandria der größte und wichtigste Hafen im östlichen Mittelmeer, Knotenpunkt und Drehscheibe zwischen den Routen vom Roten Meer, aus der Levante, dem Maghreb und den Städten des nördlichen Mittelmeeres.163 In ökonomischer Hinsicht besaß Alexandria einen festen Platz im Gedächtnis der Reisenden aus allen Gegenden und wurde vielfach als Chiffre für (Luxus-)Güter aus dem Orient verstanden.164 Güter des gesamten Mittelmeerraumes sowie aus Arabien, dem Irak, aus Syrien, Indien, Persien und sogar aus China wurden hier gehandelt und weiterverschifft.165 Nach den Dokumenten der Geniza war Alexandria der einzige Hafen, in dem Waren aus Indien umgeschlagen wurden,166 was auch Burchard erwähnt.167 Händler und Kaufleute aus verschiedensten Ländern brachten ihre Waren nach Ale163 Die Bedeutung ist nicht zuletzt auf die natürliche Größe des Hafens zurückzuführen, Bramoullé, Alexandrie (2011), 84; Kniestedt, Marchands (2011), 135. Dies betont auch Wilhelm von Tyrus: Sita est autem, quantum ad celebranda commercia, commodissime: portus habet duos lingua quadam ­interiacente valde angusta disiunctos, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 27. Ed. Huygens (1986), 902. Zur wirtschaftlichen Bedeutung Alexandrias siehe u.  a. Frenkel, Alexandria (2014); Udovitch, Enigme (1987), Ders., Tale (1977); Cahen, Douanes (1964). 164 Französische Autoren höfischer Romane und der Chansons de geste versahen sämtliche ägyptische Exportprodukte mit dem Zusatz „alexandrinisch“ (alexandrin): Gewürze, Weihrauch, Purpur, Gold, Stoffe, Glas und sogar ein Pferd, Bresc, Cendres (1984), 450; Angaben bei Langlois, Table (1904) und Flutre, Table (1962). Ein Verzeichnis lateinischer Quellen, in denen Alexandria vorkommt, findet sich bei Bresc, Cendres (1984), 441–443. Eindrücklich schildert Wilhelm von Tyrus den Handelsverkehr: De superioribus autem Egypti partibus per fluenta Nili omnimodorum alimentorum copiam et rerum pene omnium suscipit ubertatem, verum et de regionibus transmarinis, siqua sunt que Egyptus non habet, navigio omnis opulentia ministratur, unde amplius qualibet urbe maritima omnibus commoditatibus dicitur habundare. Ad hec ex utraque India, Saba, Arabia, ex utraque etiam nichilominus ­Ethiopia, sed et de Perside et aliis adiacentibus provinciis quicquid aromatum, margaritarum, gemmarum, Orientalum gazarum et peregrinarum mercium, quibus noster indiget orbis, per Mare Rubrum, unde gentibus illis ad nos iter est, in superiores partes Egypti, ad eam urbem que Aideb dicitur, supra ripam eiusdem maris sitam, infertur, id totum ad flumen et inde Alexandriam descendit. Sic ergo Orientalium et Occidentalium illic fit concursus populorum estque eadem civitas forum publicum utrique orbi (…), Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 27. Ed. Huygens (1986), 903. 165 Materielle Überreste dieses Handels sind dennoch spärlich, in erster Linie können Handelsströme anhand von Keramikfunden nachvollzogen werden, die seit der Zeit der Ayyubiden auf zwei Müllbergen (Kôm el-Dikka und Kôm el-Nadoura, welche zuvor als Steinbrüche und dann als Friedhöfe dienten) innerhalb der Stadt angehäuft wurden, François, Céramiques (1998), 58; neben Al-Maqrīzī, Nicolas de Martoni und Leo Africanus beschreibt diese Felix Fabri: (…) nam in ipsa urbe sunt duo montes alti, non natura ex terra tumescenti elevati, sed arte humana et industria et labore comportati, Felix Fabri, Evagatorium. Ed. Haßler (1843), 178. 166 Bramoullé, Alexandrie (2011), 85. 167 Siehe Kap. III.1.4.

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xandria, um Handel zu treiben: Hanc civitatem diversum genus hominem frequentat cum suis mercatoribus.168 Unter der fatimidischen Herrschaft hatten sich enge Kontakte mit den italienischen Seestädten etabliert,169 denen bei Einfuhr kriegswichtiger Materialien wie Holz und Metall Zollvergünstigungen gewährt wurde.170 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sind ein Privileg und ein Funduk Pisas in Alexandria belegt,171 Abkommen 168 Näheren Aufschluss über die Herkunft der Händler gibt Benjamin von Tudela, doch gleicht seine Aufzählung eher einer Liste aller überhaupt bekannten Länder und Regionen: „Die Stadt ist ein Handelszentrum für alle Völker. Aus allen christlichen Ländern kommt man dorthin von der einen Seite: aus Venetien, der Lombardei, der Toskana, Apulien, Amalfi, Sizilien, Kalabrien, der Ro­magna, Kazaria, Patzinakia, Ungarn, Bulgarien, Rakuvia (Ragusa?), Kroatien, Slavonien, Russland, Alemannien, Sachsen, Dänemark, Kurland, Irland, Norwegen, Friesland, Schottland, England, Wales, Flandern, Hainault, Normandie, Frankreich, Poitiers, Anjou, Burgund, Maurienne, Provence, Genua, Pisa, Gascogne, Aragon und Navarra wie auch dem Westen, der von den Mohammedanern beherrscht wird, aus Andalusien, der Algarve, Afrika und den arabischen Ländern sowie auch von der anderen Seite: aus Indien, Zawila, Al-Chabash (Abessinien/Äthiopien), Libyen, Al-Yamin, Shinar, Esh-Sham ­(Syrien), aus Javan, dessen Bewohner Griechen und Türken heißen. (…) Jede Nation hat ihre eigene Herberge“, Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 47. 169 Bramoullé, Alexandrie (2011), 90. Handelskontakte und auch ein regelmäßiger Schiffsverkehr insbesondere mit italienischen Seestädten sind freilich weit früher bezeugt, auch wenn die Ursprünge im Dunkeln liegen, Balard, Commerce (2011), 125. In der früheren Forschung wurde die Entstehung der Handelskontakte erst mit den Kreuzzügen angenommen, Schaube, Handelsgeschichte (1906); Heyd, Histoire (1185/1886). Nachweislich bestanden Handelsverbindungen zwischen Alexandria mit Amalfi und Genua schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Ab 1070 sind Schutzbriefe für italienische Händler überliefert. Die Belege für den Handel verdichten sich ab ca.  1130, nach den Angaben in den genuesischen Notariatsakten kann in friedlichen Jahren von mindestens einem bis vier Schiffen pro Jahr ausgegangen werden, die beladen nach Alexandria fuhren. Schiffstyp war meistens die einmastige Nef (Naves), Balard, Commerce (2011), 126  f.; Hagedorn, Schiffstypen (1914), 24–36. Daneben bestand seit dem 9. Jahrhundert ein Pilgerverkehr nach Alexandria, auch Gottfried von Bouillon begab sich vor dem ersten Kreuzzug auf einem genuesischen Schiff auf Pilgerfahrt nach Palästina, Christie, Centre (2014), 50. Dazu siehe auch: Balard, Notes (1999); Ders., Romanie (1978); Jacoby, Ita­liens (1995); Krueger, Merchant (1993); Udovitch, Merchants (1988); Ashtor/Kedar, Trade (1986); Kedar, Mercanti (1983); Runciman, Pilgrimages (1969), 72  f.; Goitein, Society. Bd. 1 (1967). 170 Die Fatimiden förderten den maritimen Handel, der ihnen beträchtliche Einnahmen garantierte und zudem die notwendigen Rohstoffe zum Bau einer eigenen Flotte lieferte, Bramoullé, Alexandrie (2011), 84. Die fatimidische Kriegsflotte und der Sitz des Admiralsstabs befanden sich in Fustat bzw. Kairo, im Verteidigungsfall liefen die Schiffe von dort nach Tinnis oder Damiette aus, ebd., 101–106. Eine alexandrinische Flotte wird selten erwähnt, scheint aber spätestens ab Mitte des 12. Jahrhunderts in Alexandria präsent gewesen zu sein. Al-Maqrīzī berichtete von der Verteidigung Alexandrias gegen die Franken im Jahr 1158. Hauptsitz der Flotte blieb jedoch Kairo, da die Stationierung in Alexandria aufgrund der Entfernung zum fatimidischen Regierungssitz mit Risiken verbunden war. Die Konzentration der Flotte im Landesinneren bewahrte diese zudem vor Angriffen, ebd., 105–107. Unterschieden werden können See- und Flottenmächte (puissance maritime oder puissance navale), wobei erstere in der Lage ist, Küstenzonen und Seegebiete zu kontrollieren, während letztere eher auf den Einsatz im Kampf ausgerichtet ist, ebd., Anm. 1; Picard, Echec (2004). 171 Privilegien aus den Jahren 1154 und 1173 sind bekannt, die Pisaner erhielten zwischen 1165 und 1168 auch das Recht, in ihrer eigenen Kirche, St. Nicolas, zu beten, Eddé, Saladin (2008), 522  f. Zwi-

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mit Genua sind aus den Jahren 1156 und dann 1177 bekannt.172 Eine eigene Unterkunft für Genua ist erst um 1200 bezeugt, nach 1177 gab es vermutlich einen Konsul in Alexandria.173 In anderen Städten – zu nennen wäre in erster Linie Fustat – erhielten sie hingegen keine Privilegien; lateinischen Händlern war unter Saladin generell der Zugang nach Kairo verboten.174 Miriam Frenkel bezeichnet Alexandria als gateway city. Im Gegensatz zu Zen­tral­ orten zeichnen sich gateway cities durch ihre Drehkreuzfunktion zwischen wirtschaftlich unterschiedlich orientierten und entwickelten Gebieten aus, doch sind sie selbst auf Import angewiesen und produzieren wenig.175 Dies erkannte schon Wilhelm von Tyrus: „Alexandrien ist die äußerste Stadt in dem Teil Ägyptens, der gegen Abend liegt und gegen Libyen hinsieht, und liegt an der Grenze der brennenden Wüste und des bebauten Landes, so dass gegen Abend hin, gleich vor den Mauern der Stadt, die große Einöde beginnt, wo alle Bebauung des Bodens aufhört.“176 Seit Mitte des 12.  Jahrhunderts war Alexandria allerdings wiederholt Angriffen und Eroberungsversuchen von Seiten der Normannen, von Byzanz und besonders von Amalrich von Jerusalem ausgesetzt. In der äußerst instabilen Phase ab den 1160er Jahren konnten Angriffe kaum noch abgewehrt werden.177 Der Konflikt zwischen dem Königreich Jerusalem und den Zengiden unter Nūr ad-Dīn kon­zen­

schen 1176 und 1180 sind mehrere pisanische Gesandtschaften nach Ägypten belegt, deren Ziel wahrscheinlich darin bestand, die Freilassung von Kriegsgefangenen und die Bestätigung von Privilegien zu erbeten, ebd., 523. 172 Bramoullé, Alexandrie (2011), 89; Balard, Commerce (2001), 128; Eddé, Saladin (2008), 524; ­Jacoby, Italiens (1995), 79. Die Existenz von Niederlassungen kann zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht definitiv bewiesen werden, da Nachweise aus späterer Zeit stammen. Genauere Angaben über dauerhaft oder zumindest einige Jahre in Alexandria lebende Genuesen stammen aus viel späterer Zeit. Im ähnlich handelsintensiven 14. Jahrhundert umfasste die Mitgliederzahl der genuesischen Community in Alexandria ca. 24 Personen: Händler, Angestellte genuesischer Geschäftsleute, den Konsul und seine Berater, den Kaplan, den Schatzmeister und Hausangestellte. Zum genuesischen Funduk gehörten in dieser Zeit ein Badehaus und die Kirche St. Maria von Alexandrien. Die eigenen Einrichtungen verhinderten den Kontakt mit Einheimischen: „Il est une frontière entre deux mondes qui s’ignorent“, Balard, Commerce (2001), 134; Petti Balbi, Massaria (1997). 173 Halm, Ayyubiden (1991), 213. 174 Valérian, Relations (2011), 237  f.; Eddé, Saladin (2008), 523; Labib, Policy (1970), 65. 175 Frenkel, Alexandria (2014), 34. 176 Alexandria totius Egyptie diocesis, in ea parte que Libiam respicit et in occidentem protenditur, omnium civitatum novissima, in confinio culti soli et arentis solitudinis sita, ita ut extra civitatis menia versus solis occasum vasta protinus heremus adiaceat, culture et cure omnino non sentiens beneficium, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 27. Ed. Huygens (1986), 902; Übersetzung aus Wilhelm von Tyrus, Geschichte. Ed. Kausler (1840), 524; dazu auch ebd., Kap. 19, 25. 177 Nur gegen die horrende Tributzahlung von 160 000 Golddinaren verzichtete Balduin III. 1160 auf eine Invasion. In Verhandlungen Amalrichs mit dem Wesir Shawar wurden ebenfalls hohe Summen zugesichert; Amalrich begnügte sich aber nicht mit der Abhängigkeit Ägyptens, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 290–310; Möhring, Saladin (2005), 47–51; Christie, Centre (2014), 52; Chamberlain, Era (1996), 212  f.; Jacoby, Italiens (1995), 78  f.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

trierte sich auf Ägypten, beide Seiten wollten Kontrolle über die fruchtbare und strategisch bedeutsame Nilregion erringen.178 Nūr ad-Dīn bekundete direktes Interesse an Ägypten, als der abgesetzte fatimidische Wesir Šāwar 1163/1164 in Damaskus um Unterstützung gegen seinen Rivalen Dirgham bat. Die Vorherrschaft über Ägypten gehörte desgleichen zu den primären Zielen Amalrichs von Jerusalem.179 1164 und 1167 verbündete sich Amalrich mit dem fatimidischen Wesir Šāwar gegen Nūr ad-Dīn bzw. dessen Heerführer Shirkuh und konnte nach der Belagerung Alexandrias180 und der ergebnislosen Schlacht von al-Babayn181 1167 den fränkischen Einfluss in Ägypten deutlich erhöhen. Im selben Jahr ehelichte Amalrich die Großnichte Kaiser Manuels I. und plante gemeinsam mit Byzanz eine Invasion Ägyptens.182 Im Zusammengehen mit Jerusalem sah auch Byzanz die Möglichkeit, seinen politischen wie auch religiösen Einfluss in der Region zu erhöhen, die Initiative dieses Unternehmens ging nach Wilhelm von Tyrus aber von Amalrich aus.183 178 Lev, Saladin (1999), 57  f.; Chamberlain, Era (1996), 213. Schon nach der Einnahme von Damaskus 1154 hatte der abbasidische Kalif Nūr ad-Dīn nominell zum Herrscher Ägyptens ernannt und zu entsprechenden Aktivitäten aufgefordert, Lev, Saladin (1999), 53. Nūr ad-Dīn koopererierte mit den Fatimiden gegen die Kreuzfahrer, 1159/1160 plante er mit dem fatimidischen Wesir einen gemeinsamen Angriff, der Wesir fühlte sich jedoch an Zusagen gegenüber Jerusalem gebunden und verhielt sich zurückhaltend, ebd., 55. Strategisch hätte die Herrschaft über Ägypten für Nūr ad-Dīn die Umzingelung der Kreuzfahrerherrschaften bedeutet und eine Einigung des Islam gegen die Franken herbeigeführt, zumal die Vorherrschaft der Franken in Ägypten eine Gefahr für die Machtbalance im Nahen Osten darstellte. 1164 rückte Nūr ad-Dīns Heerführer Shirkuh in Ägypten ein und brachte Shawar in sein Amt zurück, dieser aber verbündete sich anschließend mit Amalrich, um Shirkuhs Abzug zu erreichen, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 293–295. Das Szenario wiederholte sich in ähnlicher Weise 1167: Shirkuh fiel in Ägypten ein, diesmal um Shawar zu stürzen, worauf sich dieser abermals mit dem Versprechen immenser Tributzahlungen die Unterstützung Amalrichs erkaufte, ebd., 295  f. 179 Lev, Saladin (1999), 56; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 293. 180 Lev, Saladin (1999), 108  f. 181 Zur Rolle Alexandrias im Vorfeld der Schlacht siehe ebd., 79. 182 1168 brach Amalrich mit Shawar und marschierte nach Bilbais, wo während der Invasion ein Massaker unter der Stadtbevölkerung angerichtet wurde und zahlreiche Gefangene genommen wurden. „Whatever the circumstances were that led to the atrocities perpetrated against the population of Bilbays. The message sent to the population of Egypt was a chilly one, and the advance of the Crusaders was watched with horror“, ebd., 60. Dass Shawar kurz darauf Fustat in Brand setzte, könnte mit der Furcht vor einem weiteren Angriff der Kreuzfahrer in Verbindung stehen, ebd.; Chamberlain, Era (1996), 213. 1169 griff Amalrich zusammen mit Byzanz Damiette an, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 296. Zu diesem missglückten Manöver siehe zuletzt Barber, States (2012), 231–261; Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 20, 14, 15 und 16. Ed. Huygens (1986), 927–933. 183 „William of Tyre evidently believed that the initiative had come from Amalric and, indeed, the marriage and the arrival of the ambassadors were obviously connected“, Barber, States (2012), 246. Das kurz nach der Hochzeit Amalrichs mit Maria Comnena ausgeführte Bildprogramm in der Jerusalemer Geburtskirche illustriert diese Kooperation und zeigt insbesondere Manuels Anspruch auf, oberster Kirchenvorsteher im ehemals byzantinischen Gebiet zu sein, ebd., 246  f. „This ambitious programme is a striking demonstration of the way Manuel viewed the world in the late 1160s, and it is significant that Amalric and his lay and ecclesiastical advisers were willing to accept this in return

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Bis zur zengidischen Gegenoffensive Shirkuhs 1168/1169 war Ägypten „Vasallenstaat des Königreichs Jerusalem“ und hatte hohe Summen an Tribut zu zahlen.184 1169 ernannte der fatimidische Kalif al-Adid nach der Ermordung Šāwars Shirkuh zum Wesir. Shirkuh folgte schon im März 1169 sein Neffe Yusuf ibn Ajjub (Saladin) in diesem Amt,185 der dem „Kampf um die Herrschaft über Ägypten, den die Franken in den 1160er Jahren geführt hatten, ein definitives Ende“ setzte.186 Nach dem Tod al-Adids187 wurde Saladin Herrscher über Ägypten und damit „gleichrangiger Verbündeter“ Nūr ad-Dīns,188 stand in den ersten Jahren jedoch einer größeren Opposition gegenüber, mehrere Anschläge auf ihn wurden verübt. Noch 1174 wurde eine Verschwörung Amalrichs mit ägyptischen Kräften bekannt, die auf die Wiederherstellung des fatimidischen Kalifats zielte.189 Im gleichen Jahr erfolgte ein Angriff Wilhelms II. von Sizilien auf Alexandria. Stadt, Bevölkerung und das Umland Alexandrias waren durch Belagerungen und Kampfhandlungen stark in Mitleidenschaft gezogen.190 Die for the military and political support that could be obtained from a co-operative Byzantine emperor. (…) For Amalric, theological differences (such as the exclusion of the filioque clause in the Creed of inscriptions) were of much less consequence than practical help. Thus Manuel was able to present himself as the successor of Constantine and Justinian, presiding over an ecumenical Church that encompassed not only Greeks and Latins, but also Armenians and Jacobites, whose reconciliation was part of a long-term programme projected through councils held under imperial auspices between 1157 and 1179“, ebd., 247  f. 184 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 290–297, 296. Vereinbart wurde 1167 die Summe von 400 000 Gold­ dinaren, ebd., 295; Lev, Saladin (1999), 58. 185 Jackson/Lyons, Saladin (1979), 25–29; Lev, Saladin (1999), 68  f.; Chamberlain, Era (1996), 214; Ibn al-Athir, Chronicle, Bd. 2. Ed. Richards (2007), 175; 177; Al-Maqrīzī, History. Ed. Broadhurst (1980), 37. 186 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 304. Zu den Gründen des Scheiterns Amalrichs in Ägypten siehe Lev, Saladin (1999), 58–61. 1170 überfiel Saladin die fränkische Festung Darum, sein Ziel bestand augenscheinlich darin, eine sichere Landverbindung vom Nil nach Damaskus herzustellen, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, Buch 20, 19. Ed. Huygens (1986), 936. 187 Zu den unterschiedlichen Darstellungen der Todesursache siehe Lev, Saladin (1999), 83  f. 188 Offiziell blieb Saladin Nūr ad-Dīn als Heerführer unterstellt. In der ersten Phase seiner Herrschaft kooperierte Saladin mit Nūr ad-Dīn, insgesamt ist die „Beweislage“ in Bezug auf einen Konflikt mit Nūr ad-Dīn zwischen 1171 und 1173 „uneindeutig“, die Feindseligkeiten beruhten hauptsächlich auf finanziellen Fragen, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 308; Lev, Saladin (1999), 94–97. 189 Möhring, Saladin (2005), 47–51; Lev, Saladin (1999), 86–94; Baha al-Din Ibn Shadda, History. Ed. Richards (2001), 49  f.; siehe auch Kapitel III.1.6. 190 „The regions that suffered most were those around Bilbays and Alexandria, but Upper Egypt was ravaged by Shirkuh’s forces as well“, Lev, Saladin (1999), 109. Doch wurde Alexandria wohl wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und der strategisch eher peripheren Lage am westlichsten Nilarm nicht ernsthaft zerstört. Zu diesem Urteil kommt Niall Christie, bezieht sich dabei aber auf das gesamte Spätmittelalter: „(…) considering how far-reaching and cataclysmic the events of the crusades were, Alexandria seemes to have remained relatively untouched, which we might at least partially ascribe to two major factors: the city’s not being located in a position of strategic importance during the time of the existence of the Frankish states, and its importance as a trade centre, a point of contact and (literally) profitable interaction between Europe and the Levant that few were willing to endanger“, Christie, Centre (2014), 56.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

militärischen Konflikte von 1168 bis 1174 unterbrachen oder erschwerten den Handel. Erst unmittelbar vor Burchards Reise stabilisierte sich Saladins Lage in Ägypten, erheblich begünstigt durch den plötzlichen Tod seiner Kontrahenten Amalrich und Nūr ad-Dīn im Jahr 1174. Energisch förderte Saladin den Fernhandel und rechtfertigte dieses Engagement vor dem Kalifen al-Mustadi in Bagdad, der ihn zur Offensive gegen die Franken aufgefordert hatte.191 Nach den kriegsbedingten Unterbrechungen konzentrierten sich die Interaktionen zwischen Muslimen und Christen zur Reisezeit Burchards wieder in Alexandria.192 Dass Burchard vor dem Hintergrund der Kriegswirren und der zahlreichen Versuche christlicher und muslimischer Herrscher, die Oberhoheit über Alexandria zu erlangen, die Zugehörigkeit Alexandrias zum Herrschaftsgebiet des Königs von Babylonien betont,193 ist keine überflüssige Notiz – zumal die Stadt historisch relativ

191 „Saladin ne fit que poursuivre, dans ce domaine comme en d’autres, la politique de des prédécesseurs fatimides et s’efforça de maintenir de bonnes relations avec les villes de Venise, Pise et Gênes. C’est, entre autres, ce qui resort de sa lettre au calife de Bagdad, dès 1175: Parmi les armées (ennemies), il y avait aussi de Vénetiens, des Pisans et des Génois. Ceux-ci se comportaient tantôt comme des envahisseurs dont la nuisance et la malfaisance étaient insupportables, tantôt comme des voyageurs qui imposaient leur loi à l’Islam avec leurs biens importés et échappaient à la rigueur des règlements. Or il n’est pas un seul entre eux qui ne vienne aujourd’hui nous apporter les armes avec lesquelles il combattait et menait la guerre sainte (jihâd), pas un qui ne recherche notre faveur en nous offrant les produits rares de son labeur et de son patrimoine. J’ai établi avec eux tous des alliances et des accords de paix au conditions que nous avons choisies, conformément à nos intérêts et contrairement aux leurs“, Eddé, Saladin (2008), 521  f. (Übersetzung aus RHC Or. IV [1898], 178 nach Abû Shâma, Rawdatayn I [1875], 243); Christie, Centre (2014), 52; Chamberlain, Era (1996), 214; Köhler, Allianzen (1991), 317. Saladins Engagement zielte neben finanziellen Aspekten auch auf die Stärkung der eigenen Position gegenüber Nūr ad-Dīn, indem er versuchte, den Levantehandel nach Ägypten umzuleiten und von Syrien unabhängig zu werden, Christie, Centre (2014), 52; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 300; 307; Gibb, Rise (1969), 584. Besonders unterstützte er den Ausbau einer verteidigungsfähigen Flotte. In der Übergangsphase von fatimidischer zu ayyubidischer Herrschaft, möglicherweise auch erst unter Saladin, wurden selbst in Alexandria Kriegsschiffe gebaut, während dort zuvor hauptsächlich Reparaturarbeiten vorgenommen wurden. Das Werftgelände befand sich außerhalb der Stadt, allerdings wird seine Lage nirgendwo beschrieben. Bei den arabischen Autoren dieser Zeit (Al-Makhzûmî, 1118–1189; Ibn Mammâtî, 1209 und Ibn al-Tuwayr, 1130–1220), welche über die Konstruktion von Schiffen in Alexandria berichten, ist nicht klar, inwiefern sie sich noch auf die Fatimidenzeit oder schon auf die Herrschaft Saladins beziehen. „Les informations posent neánmoins quelques questions, car des documents s’inscrivent dans un contexte de transition entre deux dynasties qui avaient que peu à voir l’une avec l’autre. (…) Il semble ainsi que la situation décrite corresponde aux derniers temps de la dynastie fatimide, voire peut-être ne la concerne pas et se rapporte à la seule période ayyoubide“, Bramoullé, Alexandrie (2011), 102; jüdische oder christliche Quellen berichten gar nicht über den Flottenbau und das Arsenal (sinâ’a), ebd., 104; Ehrenkreutz, Place (1956). 192 Bramoullé, Alexandrie (2011), 89; Jacoby, Supply (2001); Chamberlain, Era (1996), 214; Jacoby, Italiens (1995); Cahen, Marchands (1974). Quellen über den Handel und die Akteure sind neben Reiseberichten die Dokumente der Kairoer Geniza, die waqfiyya Saladins, der Minhâj von Al-Makhzûmî und der Kitâb al-ilmâm von al-Nuwayri (1372), Kniestedt, Marchands (2011), 136. 193 (…) sub dominio regis Babylonie constituta.

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unabhängig von Ägypten als „Größe sui generis“ betrachtet wurde194 – und bezieht sich gegebenenfalls nicht nur auf die formale Zugehörigkeit, sondern auf die spürbare Präsenz ayyubidischer Herrschaft in Alexandria. Aufgrund der essentiellen Rolle Alexandrias für die Einfuhr von Rohstoffen und die Zolleinnahmen stand die Stadt unter besonderer staatlicher Kontrolle.195 Bei der Einfahrt in den Hafen wurde jedes Schiff samt Waren und Mitreisenden von offiziellen Zollbeamten registriert, Händler der italienischen Stadtstaaten mussten als solche vom jeweiligen Konsul identifiziert werden.196 Vor Einreise nach Alexandria waren eine Reihe von Formalitäten zu erledigen, die auch einfache Reisende betraf. Ibn Ǧubair berichtet in diesem Zusammenhang von peniblen Überprüfungen der Fremden bei der Einreise nach Alexandria.197 Befragt wurden die Ankommenden vom Gouverneur, dem Quadi und den Zollbeamten auch nach „neuen Entwicklungen im Westen sowie nach der Ladung des Schiffes“, anschließend wurden alle Gepäckstücke und die Reisenden selbst in der Zollstation durchsucht: „bei der Vernehmung schob man die Hände sogar unter die Gürtel der Reisenden.“198 Von diesen Dingen berichtet Burchard jedoch nichts. Wie er empfangen wurde und wo er in der Stadt logierte, darüber schweigt er. Über das sonst viel bestaunte Treiben der Händler und die Vielfalt der Waren verliert er vergleichsweise wenige Worte;199 wie schon zuvor geht es ihm weniger um die Wiedergabe persönlicher Reise­ 194 Siehe Anm. 150. 195 Bramoullé, Alexandrie (2011), 93  f. Herrschaft und Kontrolle über Alexandria waren nicht nur eine ökonomische Notwendigkeit für die herrschenden Dynastien Ägyptens, wegen der autonomen Bestrebungen und der Rolle als Rückzugsort für Dissidenten stellte Alexandria eine Gefahr für die zentralistische Politik der Fatimiden dar. Um Autonomiebestrebungen einzudämmen, banden die Fatimiden Alexandria eng in Verwaltungs- und Regionalstrukturen ein, Christie, Centre (2014), 51; Ehrenkreutz, Saladin (1972), 16. Seit der Antike besaß die Stadt einen recht autonomen Status und war auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Während der gesamten Fatimidenzeit war Alexandria Zufluchtsort für Opponenten der Herrschaft, die im extremsten Fall einen Umsturz planten. Vor allem in der Zeit von 1068–1095 war den Fatimiden die Kontrolle entglitten. Bis 1075 regierte der General Nasir al-Dawla ibn Hamdan eigenmächtig in Alexandria, bis der Vizir Badr Alexandria wiedereroberte. Kurz darauf errichtete der von al-Mustansir übergangene Sohn Nizar in Alexandria mit Hilfe des Gouverneurs ein „Anti-Kalifat“, auch er wurde von der Bevölkerung unterstützt und konnte erst nach einer Belagerung der Stadt vertrieben werden, Bramoullé, Alexandrie (2011), 98  f. 1084 rebellierte der Emir al-Awhad erfolgreich gegen die fatimidische Oberhoheit, Den Heijer, Rébellion (2008). 196 Frenkel, Alexandria (2014), 16  f. 197 „Das erste, was wir am Tag unserer Landung in Alexandria erlebten, war, dass Beamte des Gouverneurs unser Boot bestiegen, um die gesamte Fracht zu registrieren. Auch alle Muslime wurden einer nach dem anderen geholt, und ihre Namen, Kennzeichen und die Namen ihrer Herkunftsländer wurden zu Papier gebracht. Jeder einzelne wurde gefragt, was er an Waren und Geld mit sich führe, damit der die Almosensteuer (zakât) entrichte“, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 22  f. 198 Ebd., 23. 199 Vgl. Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 280  f. (= Ed. Bieler [1965], 223); Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 47; Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 27. Ed. Huygens (1986), 903; Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito. (1960), 48  f.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

eindrücke. Die ungeheuren Einnahmen Alexandrias durch den Fernhandel hingegen beziffert er in harter Währung: Sehr hoch einzuschätzen sind die Zolleinnahmen des Hafens, sie sollen jährlich 50 000 Goldstücke betragen, die Burchard in 8000 Silbermark umrechnet – die Einnahmen übersteigen diesen Wert sogar (faciunt plus quam VIII milia marcas puri argenti).200 Bei der marca argenti handelt es sich nicht um eine Summe Münzgeld, sondern um eine ungemünzte Rechnungseinheit (Silberbarren) mit dem Gewicht einer Mark, welche zur Zeit Friedrichs I. ungefähr ein halbes Pfund betrug.201 Bei den Goldstücken ist nicht eindeutig, ob sich die Angabe auf eine Zähl- oder Gewichtseinheit bezieht. Goldmünzen waren in (Nord-)Europa so gut wie unbekannt, während sie im Vorderen Orient und im Mittelmeerraum überregionales Tauschmittel waren.202 Noch unter den Ayyubiden wurde der fatimidische Dinar (dīnār maġribī) in Ägypten, in Nordsyrien, im Irak und auf der arabischen Halbinsel

200 Die Importwaren wurden unabhängig von der Konfession der Händler mit ca. 20 % des Warenwertes ad valorem besteuert. Die vom Zoll (al-maks) erhobene Zollgebühr (khums) setzte sich aus zwei Bestandteilen zusammen, der qûf (15,125 %) und die arda (4 %), Bramoullé, Alexandrie (2011), 85; Rabie, System (1972), 92  f. Quelle für das Besteuerungssystem am Ende der Fatimidenzeit (1170–1185) ist ein Bericht von Al-Makhzûmî, dem Direktor der Zollbehörde (Dīwān al-Madjlis), Makhzûmî, Kitâb. Ed. Cahen (1986); Cahen, Makhzūmiyyāt (1979). Zu den sonstigen Staatseinnahmen siehe Rabie, System (1972); Ders., Size (1970). 201 Die Mark konnte sowohl eine Zähleinheit, Gewichtseinheit oder Barreneinheit bezeichnen, Suhle, Mark (1970); Thieme, Burggrafschaft (2001), 441. Karl der Große legte sie mit ca. 430 g Silber fest („Karlspfund“), doch nahm der Wert seitdem ab und kann zur Zeit Barbarossas mit ungefähr einem halben Pfund angesetzt werden. Aus der Umrechnung ergibt sich der von Burchard angesetzte Wechselkurs von Goldstücken zu Silbermark: Eine Silbermark entspricht bei Burchard 6, 25 Goldstücken. Der Silbergehalt der Mark wie auch der Goldgehalt der Dinare (Goldstücke) und der Umrechnungskurs unterlagen Schwankungen. Der Umrechnungskurs lag bei ca. 1 : 12 bis 1 : 13 1/3 in Ägypten unter den Fatimiden, Ehrenkreutz/Emington, Contributions (1988), 303; Goitein, Exchange (1965); Ehrenkreutz, Crisis (1956); Ders., Contributions (1954). 500 g Silber entsprachen damit 37,6 g bis 41 g Gold. Eine Silbermark von ca. einem halben Pfund Silber (kölnische Mark um 1200 = 233,856 g) entspricht dann ca. 17,51 g Gold (oder auch mehr) und lässt nach Burchards Umrechnungskurs ca. 3 g oder mehr Goldanteil pro Goldstück bzw. Dinar annehmen. Mit dieser sehr vagen Rechnung mit zwei Unbekannten liegt der angenommen Goldgehalt zwar unter dem Standard von 4,23 g des Dinars, der auf ehemals byzantinischem Boden als Nachahmung des Solidus mit diesem Wert geprägt wurde, Hinz, Währungen (1991), 1, doch waren das Gewicht und der Goldgehalt der Dinare sehr unregelmäßig, letzterer schwankte zwischen 3,48 g – 6,75 g unter den Ayyubiden, Suhle, Dinar (1970), 141. Geht man vom Goldgehalt des üblichen Dinars (4,2 g) aus, dann läge nach Burchards Kurs gemäß dem o.  g. Wechselkurs die Silbermark bei über 300 g und käme dem livre tournois von 365 g Silber nahe, Mahlig, Münze (2003). Zum Geldwesen siehe: Le Goff, Geld (2011); Rothmann, Geld (2008); North, Geld (2004); Kluge, Münze (2004); Balog, Studies (2004); Ders., Coinage (1980); Heidemann, Renaissance (2002), 355–435; Spufford, Power (2002); Ders., Practice (2000); Ehrenkreutz, Aspects (1992), Ehrenkreutz/ Emington, Contributions (1988); Goitein, Exchange (1965). 202 Heidemann, Growth (2009), 277. Erst 1252 wurde in Genua und Florenz die Goldprägung mit dem Goldgulden (3,54 g) wieder aufgenommen, Wilcke, Goldgulden (1970), 228.

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einige Jahrzehnte weiter benutzt und in „gleicher Gestalt“ geprägt.203 Die „dominierende Goldmünze im Umlauf“ war Stefan Heinemann zufolge der in den Kreuzfahrerstaaten geprägte dīnār sūri204, der Dinar aus Tyrus (arab. Sur), dessen Goldgehalt geringer war und vornehmlich im Handelsgeschäft zwischen Christen und Muslimen eingesetzt wurde.205 Aus den bekannten Informationen zur Masse der Silbermark und einem anzunehmenden Wechselkurs von ca. 13 : 1 für den Tausch von Silber und Gold in dieser Zeit scheint sich Burchards Umrechnung auf den dīnār sūri zu beziehen. Genaueres lässt sich nicht sagen, zumal Burchards Angabe nur ungefähr bleibt. Seine Angaben sind nicht verifizierbar; in der Forschung wird Burchard als einzige Quelle für die Zolleinnahmen dieser Zeit angeführt.206 Al-Maqrīzī gibt für das Jahr 1191 die Summe von 28 000 Dinaren an, allerdings waren die Einnahmen in der Zeit des Kreuzzuges zurückgegangen.207 Subhi Labib schätzt die Einnahmen für das 13. Jahrhundert auf 100 000 Dinare, aufgeführt sind im Diwan von 1321 aber Einnahmen von 50 000 Dinaren, was der Angabe Burchards verblüffend ähnelt, wenn von einem ähnlichen Goldgehalt des Dinars bzw. des Solidus oder Goldstücks ausgegangen wird. Offen bleibt, woher Burchard diese Information hatte. Möglicherweise handelte es sich um eine Schätzung oder Hochrechnung, die von italienischen Händlern oder Kreuzfahrern angestellt wurde und unter diesen kursierte, denn abgesehen von der 203 Er bestand aus reinem Gold und wog 4,2 g, Heidemann, Geld (2006), 64. Auch in den Kreuzfahrerherrschaften wurde der dīnār maġribī neben dem byzantinischen bezant verwendet. Bei letzterem „handelte es sich insbesondere um das stark legierte Goldnomisma von Michael VII., der auch Michaelaton genannt wurde. Ab etwa den vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts begann man im Königreich Jerusalem und in der Grafschaft Tripolis stark legierte imitative Dinare im fatimidischen Typ zu prägen. Die Prägung neuer Goldmünzen in den Kreuzfahrerstaaten ist vermutlich eine Reaktion auf die Verknappung des schon lange nicht mehr produzierten und exportierten Michaelatons. Diese neuen Goldmünzen sollten für mehr als ein Jahrhundert eine dominierende Rolle im Geldverkehr des Vorderen Orients einnehmen. Sie werden in den arabischen literarischen Quellen nach ihrem Vorbild mit dem Namen dīnār sūri, tyrenische Dinare, und in einer genuesischen des Jahres 1156 sogar mit bisancios (…) saracenicos de sur bezeichnet“, ebd., 65; Ders., Growth (2009), 278  f; Ders., Renaissance (2002), 424; Balog, Studies (2004); Ders., Coinage (1980); Meltcalf, Crusades (1995); Ders., Bezants (2000); Ders., Influences (1999); Ders., Issues (1989). 204 Dieser Dinar wich in seinem Goldgehalt vom fatimidischen Dinar ab, es existierten mehre Varian­ ten (Goldgehalt zwischen 3,3–3,8 g), Heidemann, Growth (2009), 279; Ders., Renaissance (2002), 421– 426; Meltcalf, Crusades (1995), 43–51; Ehrenkreutz, Imitation (1994). 205 Heidemann, Growth (2009), 280. Für eine über den lokalen Umlauf hinausgehende Akzeptanz und Verbreitung dieser Münze spricht nach Heidemann im Gegensatz zu Meltcalf v.  a., dass der dīnār sūri „für eine bestimmte Epoche häufig genug in den Quellen im Zusammenhang mit Zahlungsakten oder Preisen innerhalb Syriens und Nordmesopotamiens genannt“ wird, Ders., Renaissance (2002), 424  f. Anm. 266. 206 Bramoullé, Alexandrie (2011), 87. Auch für die Antike und Spätantike gilt: „Das Handelsvolumen, das insgesamt über Alexandria abgewickelt wurde, ist zu keiner Zeit auch nur annähernd zu schätzen“, Clauss, Alexandria (2003), 236. 207 Bramoullé, Alexandrie (2011), 87.

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Ausgangssumme in Gold konnte eine solche Umrechnung nur bei genauer Kenntnis des Wechselverhältnisses angestellt werden. Denkbar ist auch, dass die Information von einem Kontaktmann stammte, der Einsichten in die Arbeit der Zollbehörde hatte.208 Aus dem sonst völligen Fehlen solcher Zahlen kann zumindest angenommen werden, dass es sich hier um eine ungewöhnlich seltene, vermutlich vertrauliche Information handelte; Burchard selbst macht den Leser mit den Worten sciendum etiam darauf aufmerksam. Dass Burchard diese Summe von offizieller ayyubidischer Seite mitgeteilt wurde, ist weniger wahrscheinlich. Topographie und Infrastruktur Richtig beschreibt Burchard die Lage Alexandrias auf einem Landstreifen zwischen Mittelmeerküste und dem Mareotischen Meer: Nunc eadem civitas ad mare contracta exstat, per magnum campum a brachio predicti Nili. Mit dem fruchtbaren Nildelta ist die Stadt durch den westlichen Nilarm (Rashīd) verbunden.209 Den Nil setzt Burchard mit dem Euphrat gleich, was weder den tatsächlichen geographischen Gegebenheiten noch der üblichen Identifizierung dieser Flüsse mit den Paradiesflüssen entspricht, welche zwar auf einen Strom zurückgeführt, doch nicht als identisch aufgefasst wurden.210 Da die Quellen des Nils unbekannt waren, wie auch Burchard später

208 „In general the Crusaders were well informed about Egypt’s economical potential. They gathered economic intelligence and possessed a list of Egyptian villages and the incomes derived from them“, Lev, Saladin (1999), 58. Einsichten über die Einkünfte forderte auch Nūr ad-Dīn, er schickte Ende 1173 einen Finanzprüfer nach Ägypten aus, um Informationen über die Einnahmen zu erhalten, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 309; Chamberlain, Era (1996), 218; Baha al-Din Ibn Shadda, History. Ed. Richards (2001), 49. Interesse an solchen Informationen dürften auch Byzanz und Sizilien gehabt haben. Bei Hilfsgesuchen und Tributzahlungen wurden Anteile der Zolleinnahmen versprochen, Lev, Saladin (1999), 57. 209 Frenkel, Alexandria (2014), 9. Vgl. die Beschreibung Arculfs: Ab australi namque parte hostiis Nili fluminis cingitur, ab aquilonali vero plaga lacu Mareoticu. Sic itaque discriptus aperte situs monstratur eius, quod super Nilum et mare posita hinc et inde aquis ambiatur, Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 278 (= Ed. Bieler [1965], 222). Infolge eines Tsunamis am 21. Juli 365 und einer Pestepidemie waren Teile Alexandrias schon im 4. Jahrhundert verwaist, Martin, Alexandrie (1998), 11  f. 210 „Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. Der eine heißt Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. Das Gold jenes Landes ist gut; dort gibt es auch Bdelliumharze und Karneolsteine. Der zweite Strom heißt Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. Der dritte Strom heißt Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Euphrat“, Gen 2, 10–14. Die Flüsse Nil, Euphrat, Tigris und Ganges wurden oftmals mit diesen vier Paradiesflüssen identifiziert, der Nil wird dann auch Gihon/Geon, der Ganges Pischon/Physon genannt. Begründet wurde die Herkunft auch des Nils und des Ganges aus dem Paradies mit einem unterirdischen Flussverlauf, der sich nicht verfolgen lässt. Die Gleichsetzung von Nil und Gihon findet sich schon in der Septuaginta (Jer 2, 18); u.  a. bei Beda Venerabilis, Natura. Ed. Jones (1975), 227; Honorius Augustodunensis, Imago. Ed. Flint, 52; im deutschen Lucidarius, Lucidarius, I. 49. Ed. Gottschall/Steer (1994), 19. Augustinus bezog die Vierzahl auf die Kardinaltugenden und die Evangelien, Augustinus, De civitate Dei, XIII, 21. Ed. Dombart/Kalb

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bemerkt,211 wurde zumeist ein unterirdischer Flussverlauf aus dem südlich von Mesopotamien lokalisierten Paradies angenommen, um das Herausfließen an einem geographisch weit entfernten Ort zu erklären.212 Burchards geographischer Irrtum, dem bekannte mittelalterliche Historiographen wie Honorius Augustodunensis, Otto von Freising und Gervasius von Tilbury nicht erlegen sind, beruht dennoch wohl nicht auf einer Bildungslücke – zumal das Ordnungsschema der vier Paradiesflüsse zum allgemeinen Bildungsgut zählte und auch Burchard geläufig gewesen sein dürfte. Dass Euphrat und Tigris in den Nil mündeten und für die Nilschwelle verantwortlich seien, wird in einer der lateinischen Versionen des Alexanderromans, der ‚Historia de preliis Alexandri Magni‘ erzählt: Fluvius itaque Tigris et Eufrates pergunt per mediam Mesopotomiam et Babiloniam et intrant fluvium Nilum. Referunt enim, quia, quando fluvius Nilus pergit in Egiptum, ista flumina evacuantur et, quando iterum egreditur ab Egipto, superabundant ista flu­ mina.213 Im Vergleich zur Vorstellung getrennter Flussläufe besitzt die Gleichsetzung (1954), 404. Darstellungen der Flüsse als Personifikationen waren beliebt, sie finden sich u.  a. in der Kathedrale von Chartres, als Stützen des Hildesheimer Taufbeckens, auf der von Wibald von S ­ tablo gestifteten Remaclusretabel in Stablo, Wittekind, Altar (2004), 229; 274; Poeschke, Paradiesflüsse (1974); Schlee, Ikonographie (1937). Mit dem Gihon werden aber auch andere Flüsse identifiziert. Zum Nil in der antiken und mittelalterlichen Literatur siehe auch: Herkenhoff, Kontinent (1990), 122–130; Englisch, Umsetzung (2003), 208  f. 211 Nilus vel Eufrates est aqua maior Rheno, de paradiso exiens, cuius ortus ab hominibus ignoratur, nisi quantum scriptis didicimus (…), dazu Kapitel III.1.3. 212 So bei Honorius Augustodunensis: Geon, qui et Nilus iuxta montem Athlantem surgens, mox a terra absorbetur, per quam occulto meatu currens, in litore Rubri Maris denuo funditur, Ethiopiam circuiens per Egyptum labitur, in septem ostia divisus, magnum mare iuxta Alexandriam ingreditur, Honorius Augustodunensis, Imago. Ed. Flint, 52; Horst, Paradies (2012); Dinzelbacher, Welt (2007); Wannenmacher, Geographie (2005). Auch im Islam ist diese Vorstellung verbreitet, Conermann, Lebensspender (2013), 299  f. Ibn Battuta bezeichnet Nil und Euphrat als die „äußeren“ Paradiesflüsse, welche nicht direkt durch das Paradies fließen und bemerkt darüber hinaus Parallelen zwischen Nil und Indus, was das Steigen und Fallen des Wasserstandes betrifft, Ibn Battuta, Rhila, ebd., 300. Ein Kanal des Euphrat namens Schatt en-Nil wird in der Bibel erwähnt, Ezechiel 1,1; der mit dem Nil identifizierte Gihon könnte sich auch auf diesen beziehen, ähnlich wie die Nilarme verlegten die Arme des Euphrat im Laufe der Zeit ihre Flussbetten. 213 Historia. Ed. Bergmeister (1975), 132  f. „Die Flüsse Tigris und Euphrat fließen durch Medien, Mesopotamien und Babylonien und ergießen sich in den Nil. Manche sagen, wenn der Nil Ägypten überschwemmt, liegen beide Flüsse trocken, und wenn er in sein Bett zurückkehrt, schwellen sie wieder an“, Alexander. Ed. Kirsch (1991), 78  f; Historie. Ed. Kirsch (1981), 48; Demandt, Alexander (2009); 248. Die ‚Historia de preliis Alexandri Magni‘ stellt eine bearbeitete und interpolierte Version des im 10. Jahrhundert vom Erzpriester Leo von Neapel aus dem Griechischen übersetzten Alexanderromans mit dem Titel ‚Nativitatis et victoria Alexandri Magni regis‘ dar, Alexanderroman. Ed. Pfister (1913); Historie. Ed. Kirsch (1981), 192. Die Historia liegt abgesehen von der Übersetzung Leos in drei Rezensionen vor: J1 (11.  Jahrhundert), J2 (11./12.  Jahrhundert), J3 (Ende des 12.  Jahrhunderts), von denen besonders die letzten beiden weit verbreitet waren, Historia. Ed. Bergmeister (1975). Bei dem antiken Alexanderroman handelt es sich um eine Kompilation unterschiedlicher Quellen, die im 3. Jahrhundert in Ägypten entstand. Er enthält eine Biographie Alexanders des Großen, in der (fiktive) Motive

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von Euphrat und Nil einen zweifachen „realhistorischen“ Mehrwert, da sich damit die Frage nach den unbekannten Nilquellen erübrigt – wenn auch der Ursprung des Euphrat unbekannt bleibt, wie Burchard später konstatiert214 – und zugleich das Phänomen der Nilschwelle erklärt wird. Zudem besteht kein grundsätzlicher Widerspruch zur Vorstellung der vier Paradiesflüsse, da diese in der Genesis nicht explizit lokalisiert werden und grundsätzlich Alternativen zur Identifikation des Gihon mit dem Nil bestanden.215 Den unterschiedlichen Vorstellungen war das Konzept der Verbindung der wichtigsten Wasserläufe gemeinsam. Doch wurde die Euphrat-NilTheorie in der gelehrten lateinischen Weltkunde und auch in der deutschsprachigen Alexanderdichtung nicht übernommen, sie ist auch nicht in anderen Versionen des Alexanderstoffes zu finden,216 während andere Details der Alexandermaterie in aus der Tradition des griechischen Romans und Konstruktionen, die auf Alexander selbst und auf seine Umgebung zurückgehen, verarbeitet wurden, eine Sammlung vorgeblich authentischer Quellen (Briefwechsel des Königs mit Dareios, Poros, den Amazonen, Berichte über Gespräche Alexanders mit den Brahmanen, Bericht über Alexanders letzte Tage, sein Testament) und bereits zu Lebzeiten Alexanders entstandene volkstümliche Überlieferungen, Gruber, Alexander (2002), Sp. 355. Ein Archetyp ist nicht konstruierbar, die frühbyzantinischen Rezensionen stammen aus dem 4.–7. Jahrhundert. Die älteste lateinische Übersetzung des Iulius Valerius Polemius geht auf das frühe 4. Jahrhundert zurück, die zweite lateinische Übersetzung war dann die ‚Nativitatis et victoria Alexandri Magni regis‘. Um 1120 entstand eine erste volkssprachige französische Fassung (Roman d’Alexandre des Albéric de Besançon), um 1150 auf dieser Grundlage das deutschsprachige Alexanderlied des Pfaffen ­Lamprecht, um 1170 dann der ‚Straßburger Alexander‘ eines unbekannten Autors, Lambrecht. Ed. Lienert (2007); Mackert, Alexandergeschichte (1999). Die zahlreichen Versionen und volkssprachigen Übersetzungen aus dem 12. und 13.  Jahrhundert sind teilweise stark bearbeitet und kontaminiert, berühmt sind besonders die Alexandreis des Walther von Châtillon (1178–1182) und der Alexander des Rudolf von Ems, welche beide auf der ‚Historiae Alexandri Magni Macedonis‘ des Quintus Curtius Rufus basieren. Der Alexanderroman war neben der Bibel das meistgelesene Buch und wurde auch im islamischen Kulturkreis rezipiert. Alexander genießt im Islam hohes Ansehen und ist auch im Koran aufgenommen, siehe Anm. 221. Nach Wolfgang Kirsch ist der Alexanderroman im Mittelalter die wichtigste Quelle des Wissens über Alexander, Alexander. Ed. Kirsch (1991); Historie. Ed. Kirsch (1981), 193; Kugler, Alexanderroman (2000); Ehlert, Alexanderdichtung (1989); Aerts/Hermans, Alexander (1978); Buntz, Alexanderdichtung (1973). 214 Dazu Kapitel III.1.3. 215 Hippolytus von Rom und Epiphanius von Salamis setzen ihn mit dem Indus gleich. 216 Die Notiz ist abgesehen von der ‚Historia de preliis Alexandri Magni‘ soweit ersichtlich nicht in den anderen Versionen des Stoffes enthalten, sie fehlt auch in den ‚Historiae Alexandri Magni Macedonis‘ des Quintus Curtius Rufus. Es handelt sich wohl ursprünglich um eine Randglosse, die bei einer Abschrift aus dem griechischen Text integriert wurde und in der Rezension β der PseudoKallisthenes fehlt, Ausfeld, Alexanderroman (1907), 67. Wilhelm von Boldensele gibt sie aber wieder, doch ist am Rande non dicunt isti verum zu lesen, Boldensele, Itinerarium. Ed. Grotefend (1852), 247. Die Vorstellung, dass Nil und Euphrat ein Fluss seien, scheint sonst wenig verbreitet, findet sich aber bei Pausanias und Philostratus, denn die Nilschwelle hat die Griechen immer wieder beschäftigt, ­Gesenius, Geographie (1822), 87; Pausanias. Corinth, II, 5. Ed. Taylor (2006), 94; Philostratus, Leben, l. I. 20. 2. Ed. Mumprecht (1983), 62  f.; 1035; Ausfeld, Alexanderroman (1907), 156. Da auch die arabischen und anderssprachigen Übersetzungen auf dem griechischen Roman basieren, ist gut möglich, dass die Gleichsetzung von Nil und Euphrat in anderen Kulturkreisen stärker präsent war.

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der Universalgeographie Aufnahme fanden. Wie Hartmut Kugler am Vergleich von Mappae mundi (am Beispiel der Ebstorfer Weltkarte) und Alexanderroman aufgezeigt hat, war das in der Alexandertradition vermittelte Wissen als „geographische Autorität präsent“ und wurde in eine kognitive universaltopographische Landkarte (mental map) integriert.217 Schon für die Antike nimmt Kugler „die Aufspaltung einer romanhaften und realenzyklopädischen Rezeption“ des Stoffes an, wobei die Positionen variieren können und „nicht widerspruchsfrei“ sind.218 Auch wenn die Gleichsetzung beider Flüsse zur Erklärung der Nilschwelle kaum nachweisbaren Widerhall in den (lateinischen) Quellen fand, referiert Burchard geographisches Wissen, das möglicherweise isoliert vom romanhaften Zusammenhang kursierte und keine Romanlektüre voraussetzte.219 Burchard könnte auch erst im Kontakt mit Kopten oder Muslimen davon erfahren haben. Der griechische Alexanderroman wurde in der gesamten christlichen Ökumene, bei den Kopten, Armeniern und Juden sowie im islamischen Raum rezipiert,220 eine mit Alexander dem Großen identifizierte Figur fand Aufnahme in den Koran.221 Möglicherweise hatte das auf antiker griechischer Tradition basierende Erklärungsmodell der Herkunft des Nils aus dem Euphrat in Alexandria mehr Anhänger als in Nordeuropa. Daneben war im Judentum und im Islam auch die Vorstellung der Paradiesflüsse präsent. Im Koran werden sie als Ströme von Wasser, Milch, Wein und Honig beschrieben,222 aber nicht mit Namen bedacht oder als real existierende Flüssen identifiziert. Mit dem besonderen Hinweis – sciendum enim est – macht Burchard auf die naturkundlich begründete Alternative zur vorherrschenden heilsgeschichtlichen Deutung von Nil und Euphrat aufmerksam.223 Die ehemalige Größe Alexandrias zur Zeit ihrer Gründung gibt Burchard korrekt mit vier Meilen in der Länge, einer in der Breite an.224 Deutlich hebt er die Verkleine217 Kugler, Alexanderroman (2000), 108–113. Eine Aufnahme von „Alexanderpositionen“ weist auch eine Isidorabschrift aus dem 12. Jahrhundert aus Nordfrankreich auf, ebd., 106. Mit der Frage nach der Universalgeographie im Alexanderroman verlagert sich die Perspektive von der heilsgeschichtlichen Deutung und den zeitlichen Parametern hin zur räumlichen Dimension des Stoffes. Die Ausdehnung von Herrschaft, eines der Grundthemen der Alexander-Materie, „wird nun nicht mehr von der Frage ‚Bis wann?‘ regiert, sondern auch von der Frage ‚Bis wohin?‘“, ebd., 103. 218 Ebd., 108. 219 Vgl. ebd., 115. 220 Zuwiyya, Companion (2011). 221 Sure 18, Vers 83–98, Koran. Ed. Henning (1999), 246  f. Die zweihörnige Figur Dhu-l-Qarnain wurde allerdings fälschlich auf Alexander bezogen, Watt, Al-Iskandar (1997); Doufikar-Aerts, Alexander (2010); Stonemann/Erickson/Netton, Romance (2012). 222 Sure 47, Vers 15. 223 Ob Thietmar diese Theorie von Burchard übernimmt, ist fraglich, da die Passage im Hamburger Manuskript fehlt, in den Kompilationen mit Burchard aber übernommen ist, Voyages. Ed. Genois (1851), 52; Thietmar, Peregrinatio. Ed. Laurent (1857), 48. 224 Das entspricht den Ausmaßen der antiken Stadt von 6  km Länge und 1,5  km Breite, siehe Anm. 150. Während im Stadtbegriff (urbs) der Antike in erster Linie die Bewohner, dann erst auch

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rung der Stadt seit der Antike hervor: Nunc eadam civitas ad mare contracta exstat. Tatsächlich war das Stadtgebiet des mittelalterlichen Alexandria nach Untersuchungen von Mahmoud al-Falaky deutlich kleiner als in der Antike225 und von einer Mauer umgeben, die auf das 11. Jahrhundert datiert wird.226 Während der arabischen Invasion wurde Alexandria nicht zerstört, verlor aber an Bedeutung. Vor allem schrumpfte der griechische Bevölkerungsanteil. Das mittelalterliche Alexandria erstreckte sich nördlich der antiken Siedlung und war auf einer Landzunge gelegen, die erst nach dem Bau des Dammes zur Insel Pharos entstanden war. Nach Norden hin war Alexandria durch das Meer geschützt, im Süden stand eine Festungsmauer. Alexandria hatte den ursprünglichen antiken schachbrettartigen Grundriss bewahrt.227 Da Alexandria nicht Hauptstadt wurde, wurden keine einschneidenden architektonischen Veränderungen seitens der Herrscher vorgenommen, „son développement fut caractérisé plutôt par une continuité à tendance déclinante“.228

deren Lebensraum umfasst waren, bezeichnet Civitas ein Gebiet mit einer bestimmten Ausdehnung, „das eine Stadt als administratives und politisches Zentrum hat“, Vercauteren, Civitas (1977), 122. „Der Terminus urbs meint die dichte Ansammlung von Menschen und Wohnsitzen, civitas begriff die Menschen und Wohnsitze eines territoriums mit ein“, Kugler, Vorstellung (1986), 92. Beschreibung der Topographie und Lob der Stadt als Inbegriff zivilisatorischer Leistung waren kaum voneinander zu trennen, personale und gegenständliche Momente treten nebeneinander auf, was nach Kugler als Kennzeichen der Stadtvorstellungen gilt. 225 Die mittelalterliche Stadt umfasste nicht mehr den nordöstlichen Teil des Brucheions (wo sich auch die Bibliothek befand), das bereits im 4./5.  Jahrhundert komplett verlassen gewesen zu sein scheint. Möglichkeiten einer archäologischen Untersuchung sind aber kaum gegeben, Erkenntnisse stammen aus der Zeit vor der Stadterweiterung im 19. Jahrhundert. Napoleon III. bat Ismael Pascha, den Statthalter (Vizekönig) Ägyptens, um einen Plan des antiken Alexandria für seine zweibändige Geschichte über Julius Caesar (Histoire de Jules César). Im Auftrag des Statthalters wurden unter der Leitung des Astronomen Mahmoud al-Falaky (Mahmoud Bey) zwischen 1863 und 1865 sporadische Ausgrabungen unternommen, sein Plan von 1866 verzeichnet die Reste der antiken Stadtmauer, doch drang Mahmoud al-Falaky nur in die spätantiken Schichten vor und förderte insgesamt wenig zutage, Clauss, Alexandria (2003), 18; siehe auch Rodziewicz, Alexandria (2011). Sieben Hauptstraßen verliefen von West nach Ost, elf von Nord nach Süd. Die über 5 km lange ‚Breite Straße‘ in west-östlicher Richtung bildete eine „Art Demarkationslinie“ zwischen den griechischen Bezirken im Nordosten und den ägyptischen im Südwesten, Clauss, Alexandria (2003), 17; 25. 226 „Cette muraille isole ou enserre un espace beaucoup plus restreint que celui que strie la voirie antique connue. Excluant Pharos et l’atterrissement recouvrant l’Heptastade, il se limitait aux abords des ports est et ouest, laissant donc hors les murs, au sud-ouest, l’ancien Sérapéum avec la ‚colonne de Pompée‘ et tout le sud jusqu’à l’actuel canal Mahmoudiya. L’enceinte se surimpose par endroits à la voirie orthogonale, ce qui suggère qu’à l’époque de sa construction, les alignements antiques n’étaient plus toujours visibles ni fonctionnels“, Gascou, Eglises (1998), 28. Eine erste Mauer wurde im 9. Jahrhundert unter den Tuluniden errichtet, Hairy, Alexandrie (2009), 265; siehe Anm. 255. 227 Frenkel, Alexandria (2014), 19; Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 113; Meinecke, Topographie (1977). 228 Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 113.

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Abb. 3: Karte des antiken Alexandria ca. 30. v. Chr. nach Otto Puchstein, mit Mauer der arabischen Stadt, entnommen aus Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, 304.

Genauere Aussagen über das mittelalterliche Alexandria in Bezug auf die Topographie und Infrastruktur der Stadt liefern weitere Reiseberichte, Chroniken,229 lateinische Akten, Urkunden und Rechtsquellen aus der Geniza und den mit Alexandria handeltreibenden Städten sowie die waqfiyya Saladins, in der die wichtigsten Orte des Handels aufgeführt sind.230 Dennoch ist es insgesamt schwer, auf Grundlage der verfügbaren lateinischen und arabischen Quellen ein genaueres Bild der Stadt zu erhalten, da in den Darstellungen kaum Details genannt werden und viele Lücken bestehen.231 Große Bewunderung riefen bei vielen Besuchern Alexandrias die breiten Straßen und die kolossalen weißen Bauten hervor, welche in gleißendem Sonnenlicht die Besucher blendeten und Alexandria als leuchtende Stadt erschienen ließen.232 Der

229 Die Weltgeschichte des syrischen Patriarchen von Antiochia, Michael bar Elias von 1166–1199 enthält eine Liste mit Örtlichkeiten, die allerdings auf das 4. Jahrhundert zu datieren ist, Clauss, Alexandria (2003), 221; Fraser, Notitia (1951). 230 Das Dokument (Stiftungsurkunde) entstand zwischen 1169 und 1174 und listet Warenhäuser, Geschäfte, Märkte, Funduks und eine Reihe weiterer Einrichtungen auf, Kniestedt, Marchands (2011), 139; Chamberlain, Era (1996), 231. Zum waqf siehe Anm. 244. 231 Zur Quellen- und Forschungslage siehe Frenkel, Alexandria (2014); Décobert/Empereur, Alexandrie (2011), 10  f.; Picard, Commerce (2011); Labib, Al-Iskenderia (1978), 132. 232 So Benjamin von Tudela, Ibn Ǧubair und Al-Abdari, Frenkel, Alexandria (2014), 19. Vgl. den Bericht des anonymen Pilgers aus Piacenza: Alexandria civitas splendida, populus levissimus, sed amatores peregrinorum; haereses multae, Antonini Placentini, Itinerarium. Ed. Geyer (1965), 152 (45).

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elegante Stil der privaten Stadtresidenzen war über die Grenzen bekannt und diente als Vorbild.233 Auch Burchard bezeichnet Alexandria als prächtige Stadt, mit schönen Gebäuden und Obstgärten, führt diesen Aspekt der Stadtbeschreibung aber nicht weiter aus: Alexandria est civitas egregia, edificiis, pomeriis et immensa multitudine perornata. Deutlicher als im lakonischen Bericht Burchards ist die Begeisterung über die Stadt bei Ibn Ǧubair zu spüren: „An allererster Stelle ist hier die wunderschöne Lage der Stadt zu nennen und die eindrucksvollen Ausmaße der Gebäude. Nie zuvor haben wir eine Stadt mit breiteren Straßen gesehen, mit höheren, hübscheren und gleichzeitig belebteren Bauten. Auch die Basare sind überwältigend. Doch das Wunderbare an der Bauweise der Stadt ist, dass die Bauten unter der Erde genauso großartig sind wie die überirdischen, wenn nicht gar edler und solider (…). In Alexandria sahen wir auch Säulen und Verblendungen aus Marmor von geradezu unvorstellbarer Höhe, Weite und Schönheit: so unbeschreiblich, dass man sich in einigen Straßen dieser Stadt vor Säulen wiederfindet, die bis in den Himmel reichen, Säulen, deren Sinn man nicht errät, noch den Grund ihrer Errichtung. Uns wurde erzählt, dass in alter Zeit darauf Gebäude errichtet waren für die Philosophen und die geistigen Führer jener Zeit. Gott ist allwissend, doch es scheint, als hätten sie als Sternwarte gedient.“234

Die immensen Marmorsäulen sieht Burchard auch und weist diese – es handelt sich wohl um Obelisken – genauer als Ibn Ǧubair einer früheren Palastanlage des „Pharaos“ zu. Ein pharaonischer Palast stand in Alexandria zwar nicht,235 doch waren im Zentrum der Stadt noch die Reste des Caesareums zu sehen, auf die sich Burchard beziehen könnte.236 Auf dem Gelände stand (und steht) die al-Attarin Moschee,237 in deren Umkreis das fatimidische Herrschaftszentrum lag. Der Dar-al-Sultan ging ebenfalls auf die Antike zurück, das gegenüberliegende Arsenal wurde als Zollamt genutzt.238 Über öffentliche Gebäude und Institutionen aus der Ära der Fatimiden

233 Frenkel, Alexandria (2014), 31. 234 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 24. 235 Die Ptolemäer erhoben den Anspruch, als Nachfahren der Pharaonen zu gelten, Clauss, Alexandria (2003), 68. 236 Das Caesareum war ein von Kleopatra errichteter Tempel für Caesar, Octavian ließ es dann für sich umweihen. Besonderes Kennzeichen der Anlage waren nach Plinius dem Älteren zwei Obelisken, die auf Thutmosis III. zurückgingen. Die „Nadeln der Kleopatra“ stehen heute in London (seit 1877) und New York (seit 1879), Clauss, Alexandria (2003), 139; 143. Auf diesem Gelände wurde die von Constantius II. gestiftete Kaiserkirche errichtet, ebd., 267, später dann eine Moschee gebaut. Die meisten anderen heidnischen Kultstätten wie das Sarapeion wurden in der Spätantike zerstört. Das Caesa­ reum war das „einzige Gebäude Alexandrias aus der frühen Kaiserzeit, dessen genaue Lage bekannt ist, weil zumindest Überreste bis ins ausgehende 19. Jahrhundert standen“, ebd., 138  f. 237 Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 115; 121  f. Die Moschee scheint auf al-Hakim zurückzugehen, zuvor befand sich an der Stelle nach der ‚Description de l’Egypte‘ die Athanasiuskirche (Kaiserkirche), ebd., 122. 238 Labib, Al-Iskenderia (1978), 132.

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ist jedoch wenig überliefert.239 Säulenbestanden war auch die große Einkaufsmeile, al-maḥajja al-ʽuẓmā, die die Stadt von Ost nach West durchlief.240 An dieser alten Hauptstraße befand sich neben dem politisch-religiösen Mittelpunkt der Fatimiden auch das kommerzielle Zentrum.241 Mit der Herrschaft der Ayyubiden veränderten sich die politischen, ökonomischen und religiösen Existenzbedingungen in Alexandria jedoch grundlegend, so dass in kurzer Zeitspanne nacheinander entstandene Reiseberichte in den Jahren vor und nach Burchards Reise nicht nur verschiedene Perspektiven, sondern ganz unterschiedliche Zustände widerspiegeln. Unter den Fatimiden war Alexandria Provinzhauptstadt von Buhayra, einem fatimidischen Gouverneur unterstellt und Sitz einer Garnison. Unter Saladin wurde dieser Status aufgehoben, die politische Kontrolle über die Stadt wurde intensiviert.242 Saladin vergab Alexandria als Lehen zunächst an seinen Vater, unterstellte die Stadt nach dessen Tod seinem Bruder Turansha.243 Mit einem waqf244 versuchte Saladin die Institutionen in seine Abhängigkeit zu bringen 239 Frenkel, Alexandria (2014), 26–28. 240 Die alte Kanopische Straße war schon in der Antike säulenbestanden, Clauss, Alexandria (2003), 25. 241 Frenkel, Alexandria (2014), 23–26; Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 122  f. 242 In der Krise des fatimidischen Kalifats hatte sich Alexandria 1167 mit Shirkuh gegen den fatimidischen Wesir Shawar und die Franken verbündet und Saladin unterstützt, geleitet wurde die Allianzpolitik von kommerziellen Interessen, daneben förderte das sunnitische Bekenntnis der städtischen Elite die Akzeptanz der Ayyubiden. „This is not an unfounded characterization of the religious atmosphere in the town which had already been bastion of Sunni Islam during the Fatimid period“, Lev, Saladin (1999), 79; Décobert/Empereur, Alexandrie (2011), 13; Décobert, Alexandrie (1998). 243 Ehrenkreutz, Coup (1972). 244 Die muslimischen frommen Stiftungen (waqf, Pl. awqāf) bildeten einerseits „die tragenden Säulen der sozialen Versorgung und des Gemeinwohls während der gesamten Vormoderne, andererseits dienten sie auch als ein Instrument zur Steigerung des wirtschaftlichen Nutzens und zur Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit. (…) Den herrschenden Dynastien dienten sie als ein Mittel zur Umwandlung von Nutzungsrechten an öffentlichem Grund und Boden in Privateigentum und zur Appropria­ tion von öffentlichen Einnahmen“, Sánchez, Stiftung (2014), 37. Saladin nutzte den waqf, um die städtische Elite an sich zu binden. „The Ayyūbids, together with other such regimes, had relatively few state agencys by which they could penetrate their cities and towns. To link themselves to the learned elite whom they needed to rule, they relied instead on the political use of patronage practices. Through the support of waqf of scholars of the eastern pattern, Salāh al-Dīn and his successors could simultaneously bring in new men (…) and win over established Egyptian learned families. The assignment of waqf revenue to the learned thus resembled the assignment of iqtāʻāt to warriors“, Chamberlain, Era (1996), 232. Durch diese Stiftungen wurden auch qadis, Inspektoren und Verwaltungsbeamte im öffentlichen Dienst bezahlt, ebd., 233. Generell ist es schwierig in Bezug auf die Stiftung „die Grenzen dessen zu bestimmen, was als religiös zu betrachten war“, Sánchez, Typologisierungen (2014), 188. „Der multifunktionale Charakter vieler Institutionen und die informellen Netzwerke, durch die in den islamischen Städten des Mittelalters für Bildung, Religion und Gesundheit gesorgt wurde, verhindern oft eine klare Typologisierung von awqāf nach ihren Zwecken“, ebd., 185. Bei den Stiftungen handelte es sich um komplexe Netzwerke, in denen auf unterschiedlichen Ebenen Stiftungen interagierten. „Zu dieser Komplexität kommt noch hinzu, dass die persönlichen Interessen der Stifter oft

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und sich damit vor allem die Einnahmen der Karawanen, Märkte und Geschäfte zu sichern. Mit der Errichtung eines staatlichen Monopols wurden Privatinitiativen zurückgedrängt.245 Saladin ließ Medresen, religiöse Einrichtungen und Unterkünfte für Immigranten aus dem Maghreb bauen, um aus Alexandria ein Zentrum des sunnitischen Islam zu machen und zugleich den Triumph über die schiitischen Fatimiden zu besiegeln. Der Schwerpunkt des administrativen Zentrums der Stadt verlagerte sich schon kurz nach der Herrschaftsübernahme Saladins in den Umkreis der WestMoschee (al-ġarbī), die er restaurieren und vergrößern ließ.246 In dieser Moschee ließ Saladin die Freitagspredigt (ḫuṭba) abhalten, welche zuvor in der al-Attarin-Moschee stattfand.247 Der äußerste Westen der Stadt war das traditionelle Quartier der Muslime, die 641/645 von Südwesten in die Stadt eingedrungen waren und sich hier niedergelassen hatten.248 Hier befand sich die alte Zitadelle (qaṣr), in der Saladin nach den Kämpfen mit Amalrich 1168/1169 fränkische Gefangene festhielt. Von der Zitadelle aus regierte Saladins Bruder Turansha die Stadt, 1180 fand er dort seine Ruhestätte.249 In Burchards Bericht finden sich keine Spuren herrschaftlicher Institutionen. Sein Augenmerk richtete sich nicht auf Repräsentationsbauten, sondern auf die Infra­ struktur. Soweit erkennbar beziehen sich seine Äußerungen nur auf den Ostteil der Stadt, das traditionelle Wohnviertel der Griechen und Juden.250 Hieraus ergibt sich ein möglicher Hinweis auf seine Unterkunft und Bewegungsfreiheit. Seine Unter-

nicht mit den erklärten altruistischen Zielen der awqāf im Einklang waren; dies gilt insbesondere bei den Fami­lienstiftungen (awqāf ahlīya) oder den öffentlichen Stiftungen, die von den Behörden benutzt wurden, um Gewinne aus der öffentlichen Hand zu erzielen“, ebd.; zur Rolle der awqāf für den Handel siehe Sánchez, Periodisierungen (2014), 290  f. 245 Durch die ayyubidischen Maßnahmen veränderte sich die Situation in dreifacher Hinsicht einschneidend und führte auf lange Sicht zu Verarmung und Bevölkerungsverlust, gravierend waren: 1. Der Verlust der Funktion der Provinzhauptstadt (Alexandria war vom Hinterland und den Regionalmärkten abgeschnitten); 2. Die „Verstaatlichung“ des Handels, besonders des Fernhandels; 3. Der Verlust einer eigenen Stadtverwaltung und damit verbunden ein Macht- und Einkommensverlust der lokalen Eliten, Décobert/Empereur, Alexandrie (2011), 14. 246 Die West-Moschee steht in der Nähe der ersten, von Amr ibn al-As errichteten, unter al-Hakim aber zerstörten Moschee Alexandrias, deren genauer historischer Ort nicht mehr lokalisierbar ist. Diese erste Moschee scheint den Berichten späterer Reisender zufolge wieder (an anderem Standort?) aufgebaut worden zu sein. Die West-Moschee soll sich an dem Ort des ehemaligen Bischofssitzes, der Theonaskirche, befinden, die noch im 8. Jahrhundert bestand, Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 114–118; Frenkel, Alexandria (2014), 29. 247 Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 116; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 305. 248 Die Eroberung erfolgte in zwei Etappen: 641/642 unter dem Kalifen Umar, 646 unter dem Kalifen Utman. Ziel war die Erstürmung der Zitadelle, Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 114. 249 Ebd., 116. Wie weit das neue Herrschaftszentrum als solches erkennbar war, ist nicht klar, da der Ausbau wohl erst 1181 begann, ebd., 116. Berichte Ibn Ǧubairs und Al-Maqrīzīs zeugen von einer regen Bautätigkeit unter den Ayyubiden, die das Erscheinungsbild der Stadt veränderte. Ibn Ǧubair zählte zwölftausend Moscheen, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 27. 250 Siehe Anm. 268.

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bringung erfolgte wahrscheinlich auch hier, vielleicht gemeinsam mit italienischen Händlern in einem Funduk oder in einem Gästehaus des Statthalters.251 Was die Befestigung und Versorgung betrifft, scheint Alexandria im Vergleich zur Antike nach Burchards Eindruck nichts hinzugewonnen zu haben. Die Stadtbefestigung sei in schlechtem Zustand, es fehle der Mauer überhaupt ein Graben.252 Wie es um die Befestigung der strategisch und ökonomisch so wichtigen Stadt zur Reisezeit Burchards bestellt war, ist aus dem vorhandenen Material leider nicht genau ersichtlich. Die Stadtbefestigung wurde unter den Fatimiden aber kontinuierlich erneuert. Sie wird als doppelte Mauer mit einem Graben zwischen beiden Mauern beschrieben.253 Restaurationsarbeiten in den Jahren 1129, 1155/1156 und dann 1187 sind durch Inschriften belegt.254 Möglicherweise waren 1175 an der Befestigungsanlage noch Spuren der Belagerung und Einnahme Alexandrias aus der Zeit von 1167–1174 zu erkennen.255 Dass Burchard keinen Graben erkennt, könnte mit der unterschiedliche Konstruktionsweise von Befestigungsanlagen in Mitteleuropa und Ägypten erklärt werden. Der zwischen den Mauern liegende Zwinger war nicht ohne weiteres einsehbar und in Europa zu dieser Zeit nicht verbreitet.256

251 Eddé, Saladin (2008), 524. Die Existenz eines genuesischen Funduks ist zur Reisezeit Burchards zweifelhaft, Genuesen wurden in anderen Funduks untergebracht, siehe Anm. 172. 252 Ähnlich wird auch die mangelhafte Befestigung von Bilbais während der Belagerung durch Amalrich 1164 beschrieben, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 295. 253 Jomard, Description, Bd.  2,1,2 (1818), 79–83; Behrens-Abouseif führt die doppelte Mauer nach dem Vorbild Bagdads auf die Zeit der Abbasiden zurück, Behrens-Abouseif, Architecture (1998), 104. 254 Berichte von Erneuerungen und Baumaßnahmen an der Stadtmauer sind überliefert von Ibn Tulun (868–884). Al-Mutawakill († 861) ließ eine Stadtmauer errichten, die allerding nur ungefähr die Hälfte des Gebietes der hellenistischen Siedlung umfasste. Erneuert wurden Mauer und Zitadelle 1123, Berichte über die Erneuerung finden sich dann erst wieder unter Saladin, Behrens-Abouseif, Topographie (2002), 119; Dies., Architecture (1998), 103; Labib, Al-Iskenderia (1978), 132. Da Alexandria 1168/1169 den Belagerungen standhielt, muss zu dieser Zeit eine intakte Befestigung vorhanden gewesen sein, die durch anhaltende Kämpfe in Mitleidenschaft gezogen wurde. 255 Wilhelm von Tyrus berichtet nur von Verwüstungen im unmittelbaren Umkreis Alexandrias. Von diesen Schäden ist in früheren Reiseberichten nicht und in späteren nicht in diesem Ausmaß zu lesen, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XIX, 28. Ed. Huygens (1986), 903–905. 256 Einfache Stadtbefestigungen in Form von Mauer und Stadtgraben bestanden zwar, vor allem in den Städten innerhalb des Limes, Falck, Mainz (1972), 73–75. Mit dem Bau größerer, umfassender Wehranlagen, wie z.  B. der Kölner Stadtmauer, wurde erst Ende des 12. Jahrhunderts begonnen, Gerlach, Entstehungszeit (1913); Porsche, Stadtmauer (2000). Baubeginn der Freiburger Stadtmauer war nach dendrochronologischen Untersuchungen der Balken des Martinstores vermutlich erst um 1201, obwohl die Absicht einer Stadtmauer schon 1120 festgeschrieben wurde, Schadek, Burg (1988), 20; Porsche, Stadtbefestigung (1994), 47. In Straßburg wurde die antike Stadtmauer weitergenutzt, Klein/Schwien, Strasbourg (1990). Ein doppelter Mauerring in Carcassone wurde unter Philipp August (1180–1223) errichtet; Zwinger wurden zur Verstärkung der Kreuzritterburgen gebaut, so 1170 im Krak de chevaliers. Noch Simon Semeonis betont, dass Alexandria von einem doppelten Mauerring umgeben ist, Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito. (1960), 56.

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Weiter bemerkt Burchard, der Stadt mangele es an Trinkwasser, das nur mittels eines Aquäduktes in die Stadt geleitet werden kann und dann in Zisternen gesammelt wird.257 Alexandria verfügte nicht über direkt zugängliches Süßwasser, ein Kanal zum westlichsten (kanopischen) Nilarm wurde zur Trinkwasserversorgung und Binnenschiffahrt bereits von den Ptolemäern angelegt.258 In römischer Zeit wurde dieses System ausgebaut und modifiziert, frisches Wasser zirkulierte in unterirdischen Kanälen. Ab dem 5. Jahrhundert war dann der Bau großer Wasserspeicher (Zisternen) nötig, in denen das trübe Wasser aufgefangen und von Schwebstoffen gereinigt wurde. Im gleichen Zeitraum nahm die Bevölkerungszahl ab.259 Isabelle Hairy vermutet, dass infolge des Tsunamis von 365 die geologischen und hydrologischen Voraussetzungen eine permanente Süßwasserversorgung nicht mehr zuließen, da die Stadt absank, ein Teil im Meer verschwand und v.  a. der Salzgehalt des Grundwassers anstieg.260 Im selben Zeitraum, vom 5.-12. Jahrhundert versandete auch der kanopische Nilarm, ab 1153 führte der Kanal zum Nilarm von Rosette (Rashid).261 Fortan wurde Alexandria nur noch zur Zeit des Nilhochwassers von Juni bis September mit Wasser versorgt, das Wasser musste in einem System von öffentlichen und privaten Zisternen gespeichert werden, welches in byzantinischer und hauptsächlich arabischer Zeit entstand und seit dem 12. Jahrhundert zu den häufig erwähnten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählte.262 „Dès le XII siècle, les citernes d’Alexandrie, tant par leur nombre que par leur morphologie à étages, ont fait la réputation de cette ville. Dans les relations de voyage, elles sont devenues une des composantes principales de sa représentation, souvent identifiées à sa splendeur passée, confusion engendrée par la réutilisation,

257 Aquam dulcem hec civitas non habet, nisi quam per aqueductum supradicti Nili uno tempore anni in cisternis suis colligit. 258 Von Reden, Land (2012); Clauss, Alexandria (2003), 139  f.; Hairy, Alexandrie (2009), 263  f.; Kahle, Alexandria (1921). Bestaunt wird das unterirdische System im Alexanderroman des Pseudo-Kallisthenes, Hairy, Alexandrie (2009), 264. 259 Labib, Al-Iskenderia (1978), 133. 260 Hairy, Alexandrie (2009), 265. „Singulièrement, on peut se demander si le déclin de la ville n’a pas également trouvé racine dans cette lente mutation du context hydrologique. Car, si l’on en croit l’histoire, les Toulounides, mettant en œuvre un vaste programme urbain, ont été à l’origine de la renaissance d’Alexandrie. (…) ils entreprirent un vaste programme de construction de citernes publiques, programme certainement continue par leurs successeurs“, ebd., 265. Die Forschungen zur Geomorphologie und Geschichte der Wasserversorgung Alexandrias sind der Forschergruppe um Jean-Yves Empereur und Isabelle Hairy zu verdanken, die seit den 1990er Jahren das Zisternen- und Kanalsystem untersuchen. 261 Ebd., 267; Haas, Alexandria (1997), 348. Siehe auch Kapitel III.1.3. 262 Hairy, Alexandrie (2009), 266. Aufgrund des für den Bau verwandten antiken Materials wurden die Zisternen in der Forschung in die Antike datiert, zur Typologie siehe Guyard, Citernes (2008). Das einzige präzise Inventar der Zisternen wurde unter Napoleon erstellt: „Pour Gratien Le Père, motivé par des préoccupations militaires, cela voulait dire que 20 000 hommes pouvaient survivre en cas de siege, pendant 18 mois, à raison de 3 pintes, par jours et par personne“, Hairy, Alexandrie (2009), 267.

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dans leurs structure, de pièces architecturales d’époque gréco-romaine.“263 Während die gigantischen unterirdischen Wasserspeicher anderen Besuchern große Bewunderung abnötigen, bemerkt Burchard ganz nüchtern nur die prekäre Situation der Wasserversorgung.264 Insgesamt bescheinigt Burchard der Stadt eine gute Lebensqualität, was sich an der großen Anzahl alter Menschen zeigt: Hec civitas valde sana est et plurimos centenarios et senes in ea repperi. Einwohner und kirchliches Profil Schwer beindruckt hat ihn die hohe Einwohnerzahl der Stadt. Alexandria erscheint ihm immens, die Stadtbewohner sind religiös und kulturell heterogen: immensa multitudine perornata. A Sarracenis, Iudeis et Christianis inhabitata. Das Bild entspricht der aus der Antike stammenden Vorstellung einer echten Metropole. Wie viele Einwohner tatsächlich in Alexandria lebten, ist schwer zu schätzen. Überliefert sind Angaben zur Zeit der arabischen Invasion von 40 000 (oder 70 000) Juden, 200 000–600 000 Griechen (ohne Frauen und Kinder). Subhi Labib veranschlagt für das 13. Jahrhundert eine Gesamteinwohnerzahl von 65 000.265 Burchards Angaben zufolge lebten Muslime, Christen und Juden nach jeweiligem eigenen Recht.266 Neben der Gewährleistung, die eigene Religion auszuüben und innerhalb der Gemeinschaft Recht zu sprechen, bezieht er sich möglicherweise auch auf die segregierten Bezirke der unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen.267 Traditionell bewohnten Juden den östlichsten Teil Alexandrias. Unter den Fatimiden genossen sie aufgrund ihrer Handelskontakte zum Roten Meer eine besondere Wertschätzung und waren in das Netzwerk der staatlichen Autoritäten

263 Ebd., 266. 264 Vgl. Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 24; Piloti, Egypte. Ed. Dopp (1950), 20  f.; Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XIX, 27. Ed. Huygens (1986), 902; Felix Fabri, Evagatorium, Bd. 3. Ed. Haßler (1849), 175. 265 Labib, Al-Iskenderia (1978), 134. 266 In Alexandria omne genus hominum legem suam libere colit. 267 Schon kurz nach ihrer Gründung war die Stadt mit ca. 200 000 Einwohnern die größte Stadt der bekannten Welt, Haas, Alexandria (1997), 46  f. Der Palastbezirk (Brucheion) befand sich im Osten der Stadt und umfasste neben königlichen Bauten prächtige Gärten, das Museion samt Bibliothek und die Grablege Alexanders, Rebenich, Alexandria (2010), 172; Clauss, Alexandria (2003), 17–32. Im Nordosten lag der griechische Bezirk, im Westen (Rhakotis) wohnten die Ägypter (Kopten), ganz im Osten siedelten die Juden (im Stadtteil Δ). „Alexandria war keineswegs eine homogene Stadt, sondern ein Konglomerat von nicht selten getrennt lebenden Gemeinschaften, die sich durch Abkunft, Bürgerrecht und Lebensweise voneinander unterschieden“, Clauss, Alexandria (2003), 56; Müller, Alexandrien (1978), 248  f. Zahlreich war v.  a. die griechische Einwohnerschaft, hinzu kamen seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert römische Siedler (Italiker). Abgesehen von den Juden fand früh eine Vermischung der Bevölkerungsteile statt.

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eingebunden.268 Griechen wohnten eher im Norden, Kopten im südlichen Teil der Stadt. Die ethnische und religiöse Vielfalt der Stadt wird häufig betont.269 Benjamin von Tudela berichtet von 3000 Juden in Alexandria;270 Ibn Ǧubair rühmt dann die Gastfreundschaft Saladins gegenüber muslimischen Einwanderern aus dem Maghreb.271 Auch preist er Alexandria als die Stadt, „in der es die meisten Moscheen gibt“.272 Im Unterschied zu anderen (muslimischen, christlichen und jüdischen) Berichten erwähnt Burchard die religiöse Zugehörigkeit der Einwohner in erster Linie unter dem Aspekt der Existenz- und Koexistenzbedingungen, differenziert die Bevölkerung aber nicht weiter nach ethnischen Zuordnungen. Seine Aufmerksamkeit richtet sich dann auf den christlichen Bevölkerungsanteil, genauer: auf die kirchliche Organisation und Infrastruktur. Dabei bezieht er sich ausschließlich auf die griechische (melkitische) Gemeinde und ihren Patriarchen: Habet enim illa Christianitas patriarcham, obedientem Grecorum ecclesie. Den koptischen Patriarchen wie überhaupt die Existenz der Kopten erwähnt er mit keiner Silbe, obwohl sie die überwiegende Mehrzahl der Christen stellten.273 Spätestens seit dem 6. Jahrhundert bestand in Alexandria infolge des Konzils von Chalkedon kein einheitliches Reichspatriarchat mehr, zwei getrennte Kirchenorganisationen bildeten sich aus.274 Während die nicht-chalkedonensischen Kopten unter byzantinischer Herr268 Bramoullé, Alexandrie (2011), 94–96. „Les Fatimides avaient tout intérêt à favoriser la communauté dont faisaient partie ceux qui étaient, à ce moment-là au moins, peut-être les commerçants les plus actifs dans l’océan Indien. Cette pratique ne constituait en définitive qu’une autre facette du pragmatisme des Fatimides quant il s’agissait de contrôler ici Alexandrie (…)“, ebd., 96. 269 In allen Texten wird Alexandria als kosmopolitische Stadt und Handelszentrum beschrieben, Kniestedt, Marchands (2011), 137. Vgl. Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 280  f. (= Ed. Bieler [1965], 223); Symon Simeonis 1323, Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito. (1960), 49–57; Felix Fabri, Felix Fabri, Evagatorium, Bd. 3. Ed. Haßler (1849), 144. 270 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 47; Ashtor, Jews (1983). Zu den Juden Alexandrias in der Antike und Spätantike: Clauss, Alexandria (2003), 150–164; Pearson, Christians (1986). 271 „Die Sorge des Sultans um die Fremden, die von weither kommen, geht so weit, dass er Bäder für sie errichten ließ, in denen sie sich pflegen können, wenn es ihr Wunsch ist. Darüber ließ er Hospitäler bauen und ernannte Ärzte, die sich im Krankheitsfalle um sie kümmern sollen. (…) Zu den Ruhmestaten des Sultans zählt ferner die Zuteilung von zwei Laiben Brot täglich an jeden Fremden, der sich auf den Straßen des Landes bewegt, gleich wie groß die Zahl dieser Leute sein mag“, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 25. 272 Ebd., 26. 273 Das arabische Wort ḳibṭī/ḳubṭī leitet sich von der griech. Bezeichnung αίγύπτιοι (Ägypter) ab, in römischer, byzantinischer und frühislamischer Zeit nannte man so die ägyptischsprachige Einwohnerschaft Ägyptens ohne Rücksicht auf ihre Religionszugehörigkeit, Brakmann, Kopten (2006), Sp. 358. Koptischer Patriarch war zu Burchards Reisezeit Mark III., melkitischer Patriarch Eleutherius. 274 Das christliche Leben Alexandrias vom 2.–4.  Jahrhundert war vielfältig, es gab „verschiedene Gemeinden und Konventikel mit unterschiedlicher Geschichte, Lehre, Tradition und Struktur. (…) Man wird annehmen können, dass alle griechischen Schriften, die in Ägypten so oder später in koptischer Übersetzung zur Wirkung gelangten, auch in Alexandrien bekannt waren und zum größten Teil

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schaft als Schismatiker galten, änderte sich die Situation für die Kopten mit der arabischen Herrschaftsübernahme 645 völlig. „Dass hier das gänzlich christliche Land weit überwiegend koptisch-orthodox war, respektierte der Eroberer, ῾Amr ibn al-῾As, der nun – in völliger Umkehrung bisheriger Verhältnisse – den koptischen Patriarchen Benjamin  I. als Repräsentanten der unterworfenen Bevölkerung achtete, ihm einen Schutzbrief ausstellte und ihn seine patriarchalen Rechte wahrnehmen ließ.“275 Für die griechischen Christen bedeutete der verlorene Schutz des byzantinischen Kaiser einen deutlichen Verlust, das Kirchenvolk verringerte sich durch den Abzug, Gemeinden verwaisten.276 Unter den Fatimiden kooperierten die Kopten mit den arabischen Oberherren, der koptische Patriarch musste vom Kalifen bestätigt werden.277 Auch unter Saladin blieb der Status der Christen geschützt.278 Burchard registriert mehrere Kirchen in Alexandria, genauer berichtet er nur von der Markuskirche in der neuen Stadt „außerhalb der Stadtmauer am Meer“.279 über Alexandrien den Weg in das ägyptische Land fanden“, Müller, Alexandrien I (1978), 251  f., so das Ägypterevangelium, das Hebräerevangelium, das Evangelium nach Maria, das Thomasevangelium, das Philipposevangelium und weitere. Vertreter der verschiedenen Strömungen bildeten in der Tradition der heidnischen Philosophen eigene Schulen, die gemeindlich organisiert waren. Berühmt ist die Katechetenschule, aus der Clemens von Alexandrien hervorging, auch Origenes wirkte hier. Auf dem Konzil von Chalkedon (451) wurde der miaphysitische Bischof Dioskoros (444–451) exkommuniziert und ein chalzedonensischer Bischof in Alexandria eingesetzt, durchsetzen konnte er sich erst im 6. Jahrhundert. Die Mehrheit des Kirchenvolkes blieb anti-chalkedonensich und bildete eine eigene Kirche, Hage, Christentum (2007), 73  f.; Maraval, Chalkedon (2005), 92–98; 137–146. Im christologischen Streit verbanden sich die konfessionellen mit ethnischen Gegensätzen zwischen Ägyptern und Griechen, Hage, Christentum (2007), 169. Allerdings wurden von Konstantinopel mitunter auch mia­ phy­sitische Bischöfe eingesetzt, um einen Kompromiss der widerstreitenden Parteien zu erreichen, Clauss, Alexandria (2003), 322  f.; Isele, Kampf (2010); Troupeau, Christenheit (2007), 435–446; Flusin, Reichskirche (2005), 564–568. Ab 537 blieb die Kirche dauerhaft gespalten, Anawati, Communities (1990). 275 Hage, Christentum (2007), 172. Im 9. Jahrhundert kam es zu Aufständen gegenüber den muslimischen Oberherren. Unter den Fatimiden, welche als Schiiten selbst im Gegensatz zur sunnitischen Mehrheit standen, besserte sich die Lage der Christen wieder, ebd., 174. „Christen in staatlichen Positionen hatten die Fatimiden schon vorgefunden, als sie Ägypten eroberten; und erst recht fanden sie sich nun unter ihrer Herrschaft mit hohen und höchsten Ämtern (auch mit dem des Wesirs) betraut. Damit wurden freilich nicht die traditionellen, besonderen Pflichten aus den alten Verträgen mit den ‚Leuten des Buches‘ aufgehoben, und das Verbot, neue Kirchen zu errichten, wurde allenfalls gelockert; aber die Kalifen respektierten dabei doch das kirchliche Leben ihrer koptischen Untertanen mit freundlicher Sympathie. (…) So wurde die Fatimidenzeit [allerdings mit der Ausnahme des Kalifen al-Hakim, C. T.], in der Christen und Muslime ihre Feste gemeinsam begingen, zu einer Periode, in der die Koptisch-Orthodoxe Kirche aufblühen konnte (…)“, ebd., 174. 276 Troupeau, Christenheit (2007), 418–422; Hage, Christentum (2007), 74; Dick, Melkites (1994), 21  f. 277 Troupeau, Christenheit (2007), 439; Neal, History (1847), 98. 278 Allerdings hatten Christen einige Einschränkungen hinzunehmen, Eddé, Saladin (2008), 463– 471; Lev, Saladin (1999), 190–193; Neal, History (1847), 267. 279 Als Neapolis wird in der Antike der von Augustus aufgebaute Teil Alexandrias bezeichnet, der auch unter dem Namen Brucheion (Weizenspeicher) firmierte, Clauss, Alexandria (2003), 137; 142.

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In dieser Kirche befinde sich eine Kapelle, in der Markus das Evangelium verfasste – hier soll er auch sein Martyrium erlitten haben und bestattet worden sein.280 Die Markus­reliquie wurde später von den Venezianern entwendet, was Burchard als ein bekanntes Fakt ohne weitere Details anführt. In der Markuskirche seien noch siebzehn weitere Gräber und Reliquien von Märtyrern aufbewahrt, deren Namen allerdings unbekannt seien. Die Markuskirche sei zudem der Ort, an dem der Patriarch gewählt, geweiht und bestattet wird: in illa ecclesia patriarcha eligitur, consecratur, et mortuus sepelitur. Über die von Burchard besuchte Markuskirche ist leider, wie generell zu den Kirchenbauten im 12. Jahrhundert, wenig bekannt.281 Patriarch Theophilus ließ sie im 4.  Jahrhundert an der Stelle des angeblichen Martyriums am östlichen Stadtrand, am Ufer nahe des Sonnentores, errichten.282 Die Markuskapelle selbst geht frühes-

280 In eadem urbe sunt plures ecclesie Christianorum. Inter quas est ecclesia beati Marci ewangeliste extra muros nove urbis supra mare sita. In qua vidi XVII monumenta ossibus et sanguine sanctorum martirum plena, sed nomina eorum sunt ignota. Vidi etiam capellam in qua idem ewangelista ewange­ lium conscripsit, et ubi martyrium accepit, et locum sepulture sue, unde a Venetis furatus fuit. 281 McKenzie, Architecture (2007), 240; Martin, Christianisme (1984), 216; Faivre, Eglise (1937), 68– 74; Forster, Alexandria (1961), 49  f.; 52; 178. Der Hauptanteil aller Kirchen in Alexandria wurde im 4. und 5. Jahrhundert, besonders unter dem Patriarchen Theophilus (385–412) errichtet, Martin, Alexandrie (1998), 14  f.; Gascou, Eglises (1998), 26. Seit dem 4. Jahrhundert entstanden daneben meist extra muros auch Grabkapellen (martyria), in denen nur bestimmte Festtage begangen wurden, zu den ältesten zählen die Grabkapelle Johannes des Täufers und des Evangelisten Markus, ebd., 23; Palladius, Historia, 45,7. Ed. Wellhausen (2003), 642  f. Für die Zeit der Spätantike bis zum 7. Jahrhundert wird von über 50 kultischen Gebäuden ausgegangen, die Zahl ergibt sich hauptsächlich aus historiographischen und hagiographischen Quellen, archäologische Funde liegen wenig vor, insgesamt ist vom antiken Alexandria wenig bekannt, Gascou, Eglises (1998), 23  f.; 28. Seit der Mitte des 7. Jahrhunderts kamen aufgrund der muslimischen Oberherrschaft und der schrumpfenden Einwohnerzahl keine Kirchen mehr hinzu, vielmehr wurden viele ohne Ersatz zerstört, ebd., 27. 282 Martin, Alexandrie (1998), 17; Dies., Athanase (1996), 118 Nr. 7; 177; Palladius, Historia, 45,7. Ed. Wellhausen (2003), 642  f. In der Tradition gilt Markus als Gründer der Kirche in Ägypten, doch ist diese erst in der Spätantike entstanden, dasselbe gilt für die Verehrung seiner Reliquien. Theophilus betonte die Rolle des Evangelisten Markus als Gründer und Schutzherr des christlichen Alexandrias. In dieser Zeit entstanden auch die Acta Petri, in denen der Ort als Ort des Martyriums des Bischofs Peter I. und des Markus festgeschrieben wurde. noch in den im 4. oder 5. Jahrhundert entstandenen Acta Marci wird von der Verbrennung seines Leichnams erzählt, Gascou, Eglises (1998), 27; Pearson, Christianity (1986), 137–145. In der Tat besaß Markus mehrere Gräber in Alexandria, das bekannteste und dann einzig autorisierte war dennoch das des Martyriums (ta Boukoulou). Der Legende nach wurde Markus im Jahr 68 von christenfeindlichen Einwohnern mit einem Strick um den Hals zu Tode geschleift. Ein Unwetter verhinderte die Verbrennung seines Leichnams, so dass die Reliquien erhalten blieben. Die Tradition beruht auf einem Brief des Clemens von Alexandria und des Eusebius von Cäsarea. Manfred Clauss lokalisiert die Markuskirche nahe der Garnisonsstadt Nikopolis und identifiziert sie mit der Baucaliskirche, welche auch Heimatkirche des Arius war, Clauss, Alexandria (2003), 202, doch beruht diese Annahme Annick Martin zufolge auf einer irrigen Tradition, Martin, Alexan­ drie (1998), 17 Anm. 34. Eine weitere Markuskirche befand sich im Südwesten der Stadt, welche auch ‚Kirche der Evangelisten‘ genannt wurde, Martin, Alexandrie (1998), 17.

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tens auf das 5. Jahrhundert zurück und erlebte ihre größte Bedeutung im späten 5. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts.283 Schon Adamnanus berichtet von der unter Theophilus erbauten Kirche, die bald zum Pilgerort wurde, da sich hier das Grab des Markus befand.284 Während der arabischen Invasion litt die Markuskirche schweren Schaden, wurde aber schon im 7. Jahrhundert vom koptischen Patriarchen Johannes III. wieder aufgebaut, der sich dort auch bestatten ließ.285 Als traditionelle Grablege der Patriarchen ist die Markuskirche aber nicht bekannt. Im 9. Jahrhundert besucht sie der Mönch Bernhard, kurze Zeit nachdem die Markusreliquie gestohlen worden war, beschreibt die Kirche aber nicht näher.286 In weiteren Quellen wird sie kaum nur erwähnt, so dass Burchards kurze Beschreibung eine seltene Quelle für die Markuskirche darstellt,287 welche 1218 niederbrannte.288 Das Markusevangelium entstand hier jedoch sicher nicht. Altchristliche Quellen, Eusebius und Hieronymus berichten von der Entstehung des Evangeliums in Rom,289 ihnen folgen mittelalterliche Chronisten wie Otto von Freising;290 auch andere lateinische Reiseberichte enthalten dieses Detail nicht.291 Die von Burchard vorgebrachte Behauptung, das Markusevangelium sei in Alexandria und nicht in Rom und entsprechend auch nicht in Abhängigkeit des Schülers Markus von seinem Lehrer Petrus entstanden, impliziert eine Eigenständigkeit gegenüber der Kathedra Petri und könnte daher alexandrinischer Provenienz, koptisch oder melkitisch, sein. Aus einer Behauptung al-Masudis lässt sich entnehmen, dass Markus als rechtmäßiger Autor des Markusevangeliums von muslimischer Seite angezweifelt wurde. Das Markusevangelium ginge eigentlich auf Petrus zurück, Markus habe es unter seinem Namen ungerechtfertigterweise verbreitet.292 Vor diesem Hintergrund untermauert die behauptete Entstehung des Markusevangeliums in Alexandria die Autorschaft des Markus. Eine 283 Gascou, Eglises (1998), 27 Anm. 27. 284 Item de parte Aegypti adventantibus et urbem intrantibus Alexandrinam ab aquilonali latere occurit grandis ecclesia structurae, in qua Marcus evangelista in terra humatus iacet, cuius sepulchrum ante altare in orientali eiusdem quadrangulae loco ecclesiae memoria superposita marmoreis lapidibus constructa monstratur, Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 282 (= Ed. Bieler [1965], 224); McKenzie, Architecture (2007), 242. 285 Ebd., 256. 286 Bernardus, Itinerarium. Ed. Ackermann (2010), 117. 287 Nicht erwähnt z.  B. beim Pilger aus Piacenza und Wilhelm von Tyrus. 288 Martin, Alexandrie (1998), 17 Anm. 34; Faivre, Eglise (1937), 72. Faivre zufolge wurde die Kirche auf Geheiß des Sultans Melik al-Kamel zerstört, damit dieses stabile Bauwerk den Franken nicht als Festung diente. 289 Eusebius, Kirchengeschichte, II, 15–16. Ed. Schwartz/Mommsen. Bd. 2, 1 (1999), 138–14; Pearson, Christianity (1986), 138. 290 His diebus Marcus, qui primus Alexandriam rexit ecclesiam, ex ore Petri Evangelium in Italia Latino scripsit eloquio, Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers. (2011), 240. 291 Hec Alexandria mari adiacet, in qua predicans sanctus Marcus evangelium gessit pontificale offi­ cium, Bernardus, Itinerarium. Ed. Ackermann (2010), 117. 292 Maçoudi, Livre. Ed. Carra de Vaux (1896), 219  f.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

antirömische oder antibyzantinische Komponente kann der Behauptung in diesem Kontext weniger unterstellt werden, eher schien sie im Kontext christlich-muslimischer Polemik opportun zu sein. In Europa war kirchliches und religiöses Wissen über Alexandria aus verschiedenen Zusammenhängen bekannt. Als Sitz des Patriarchen, Ort der Bibelübersetzung ebenso wie der Christenverfolgung und Häresien hatte Alexandria einen festen Platz im kulturellen Gedächtnis.293 Seit den Kreuzzügen ist die verstärkte Verehrung der Katharina von Alexandrien in Europa belegt,294 Otto von Freising nennt Alexandria auch als Grablege des Heiligen Antonius;295 neben dem Evangelisten Markus soll auch Johannes der Täufer hier seine letzte Ruhe gefunden haben.296 Markus galt als Kirchengründer297 und erster Bischof Alexandrias,298 er hatte nach der Markuslegende aber auch den Venetiern den Glauben verkündet. Die Translatio der Markusreliquie von Alexandria nach Venedig im Jahr 829, auf die Burchard anspielt, war durch Schriften und Darstellungen im Reich bekannt. Überliefert ist die Translatio der Gebeine in einer Schrift aus dem 9. Jahrhundert, welche bald nach der Überführung möglicher293 Die Stadt stellte weit mehr als einen „Gemeinplatz des Geschichtsbewusstseins“ dar, sie war Erinnerungsort der Antike und des Christentums. Der Terminus ‚Erinnerungsort‘ muss nicht nur metaphorisch verstanden werden, bezieht sich aber auf das „symbolische Kapital“, das der Ort transportiert. „Ein Erinnerungsort ist zunächst eine Art von Kristallisationspunkt, an dem das Gedächtnis seine Erinnerungen festmacht und beginnt, sich zu erinnern. Ein Erinnerungsort regt zur Erinnerung an und beschwört die Gegenwart des Vergangenen“, Markschies/Wolf, Gedächtnis (2010), 13; ­Demandt, Erbe (2012); Rebenich, Alexandria (2010). 294 Schill, Ikonographie (2002). Siehe dazu auch Kapitel VI.2.3.1. 295 Belegstellen stellvertretend bei Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers. (2011), 192; 259; 266; 386; 504. 296 Bresc, Cendres (1984), 446. 297 Markus gilt als der Missionar Ägyptens, die Tradition ist alexandrinischen Ursprungs und betrifft nicht die anderen Gemeinden Ägyptens. Grundlage der Verehrung ist das enge Verhältnis zwischen Petrus und Markus: Petrus bezeichnet Markus als „meinen Sohn“, 1 Petr 5,13; zusammen mit Paulus, dann mit Barnabas unternimmt er mehrere Missionsreisen. Ältester Zeuge dafür ist Eusebius, Kirchengeschichte, II, 16. Ed. Schwartz/Mommsen. 2.  Bd., 1 (1999), 140  f. Genau nachzuweisen ist der Aufenthalt des Markus in Ägypten aber nicht, zumal die Echtheit des 1958 aufgefundenen Briefes des Clemens von Alexandrien, der die Verbindung des Markus mit Alexandria noch vor Eusebius belegt, umstritten ist. Neben apokryphen Schriften enthalten die ‚Passio Marci‘ und die ‚Acta et Miraculi Marci‘ Leben und Martyrium des Evangelisten, Kertelege/Woelk/Dückers, Markus (2009); Körtner, Markus (1980). In der Gesamtkirche ist die auf den Petrusschüler gründende Tradition Rom „in gewisser Weise“ nachgeordnet, kann aber den ersten Platz im Osten beanspruchen, Müller, Alexandrien I (1978), 251; Banard, Mark (1964); siehe auch Anm. 282. Markus ist Schutzpatron nicht nur der ägyptischen Christen, sondern ebenso der Bauarbeiter, Maurer, Glaser, Korbmacher, Notare und Schreiber. 298 Das Bischofsamt setzte sich in Alexandria im 2. Jahrhundert durch, die bis auf Markus zurückgeführte Sukzessionsliste ist allerdings fiktiv, greifbar ist erst Demetrios I. (189–231), Hage, Christentum (2007), 71; Clauss, Alexandria (2003), 202–211; Müller, Alexandrien I (1978), 255. Der alexandrinische Bischof weihte die Bischöfe Ägyptens und griff aktiv in dogmatische Kämpfe ein. Im Konzil von Nicäa (325) wird Alexandria im 6. Kanon an erster Stelle genannt und die Autorität über Ägypten, Libyen und die Cyrenaika bestätigt.

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weise von einem Augenzeugen verfasst wurde.299 Bereits im 8. Jahrhundert bestanden demnach regelmäßige Handelsverbindungen zwischen Venedig und Alexandria, die Venetier verfügten hier offenbar schon in dieser Zeit über eine Art Handelsniederlassung „und waren seit alters her gewohnt, dem Evangelisten dort in einer ‚beatissimi Marci aecclesia‘ ihr tägliches Gebet darzubringen und das Grab des Heiligen in dieser Kirche zum Gebet und Opfer aufzusuchen (…).“300 Mit der Begründung, den Leichnam des Markus vor christenfeindlichen Übergriffen des Kalifen retten zu wollen, entwendeten der Tribunus von Malamocco und Rusticus von Torcello seine Überreste.301 Die gestohlene Reliquie wurde durch die Gebeine der hl. Claudia ersetzt, damit die Alexandriner den Raub nicht bemerkten. Den Heiligenleib des Markus selbst, bei dem es sich um ein corpus integrum, eine nach koptischer Tradition einbalsamierte Leiche handelte, versteckten die beiden Venetier unter Kohlblättern und Schweinefleisch, um den muslimischen Zollkontrollen zu entgehen.302 In Venedig wurde die Reliquie zunächst in der Palastkapelle des Dogen verehrt, 1094 erfolgte nach Fertigstellung des Markusdomes die Collocatio derselben im Dom, was einem „Staatsakt“ 299 Edition von Regina Dennig-Zettler, Dennig-Zettler, Translatio (1991); Dennig/Zettler, Evangelist (1996), 32. Als Beleg der Überführung wird der Pilgerbericht des Mönches Bernard angesehen, Beck, Pilgerreise (2012), 154. Zum Reliquienraub siehe auch Geary, Thefts (1990), 88–94; Forster, Alexandria (1961), 86  f. 300 Dennig/Zettler, Evangelist (1996), 24. 301 Den Ablauf fasst Regina Dennig, die Editorin der Translatio Sancti Marci, zusammen: „Eines Tages – so der Translationsbericht – trafen sie bei diesem Beginnen die Kustoden der alexandrinischen Markuskirche traurig an, denn der arabische Herrscher in Ägypten hatte angeordnet, die marmorne Wandverkleidung der alexandrinischen Kirchen und ihre Säulen wegzutragen, um sie für den Bau und zum Schmuck seines Palastes zu verwenden. Die Venetier unter Führung des Bonus Tribunus von Malamocco und des Rusticus von Torcello schlugen den Kustoden wegen der drohenden Beeinträchtigungen auch der Markuskirche vor, den Leib des Heiligen an sich zu bringen heimlich an Bord der venetischen Schiffe zu gehen und mit ihm in die adriatischen Lagunen zu segeln. Zwar sträubten sich die Kustoden, zwei Griechen namens Theodorus und Stauratius, zunächst gegen ein solches Ansinnen, aber nach einer langwierigen theologischen Diskussion, in der die Venetier die aquileiensische Markuslegende als hauptsächliches Argument dafür anführten, dass das Corpus des hl. Markus eigentlich nach Venezien gehört, gaben die Geistlichen schließlich nach und fanden sich durch die Gnade göttlicher Eingebung zur Mithilfe bei der Ausführung des Reliquienraubes bereit“, ebd., 24  f. 302 Ebd., 25–27. Wortlaut in der Edition des ältesten Zeugen der Translatio aus dem 10. Jahrhundert: Cumque dies statuta advenisset, euntes predicti custodes aperuerunt occulte sepulcrum, quod erat ex marmore, habens veluti incastraturas per latera in modum capselle, per quas tabula desuper erat inducta. Iacebat autem beatum corpus undique circumdatum clamide serica et positum resupinum, habens a capite usque ad pedes sigilla inposita per ea loca, quibus ora eiusdem clamidis desuper iungebantur. Cunque, quid agerent, ignorarent tandem precipuum invenerunt consilium. Vertens igitur corpus sciderunt a dorso clamidem, ut salva signa, que fuerant, remanerent. Ed adducentes beate Claudie corpus, quod erat in proximo tumulatum, in loco beati Marci reposuerunt simili modo supinum et clamide circumdantes sigillorum quoque inpressiones in pectore statuerunt, ut si fortuito diceret aliquis, quod corpus beati Marci furatum esset, clamidis et signa que ibi remanserant verum non esse ostenderunt, Dennig-Zettler, Translatio (1991), 100–102.

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gleichkam.303 Markus, der Patron der Respublica Venedig, trat „ideell an die Spitze des Gemeinwesens“ und festigte die Dogenmonarchie. Ein auf das 12. (oder 13.?) Jahrhundert zurückgehendes Mosaik im Markusdom zeigt die Translation der Reliquie.304 Neben den Venezianern erhoben auch die Reichenauer Mönche Anspruch auf die Markusreliquie.305 Den Miracula s. Marci zufolge erwarb Bischof Ratold von Verona 829/830 die Markusreliquie vom Dogen von Venedig, um damit seine Kirchenstiftung (Radolfzell) auszustatten.306 Die Markusreliquie übergab er der Abtei Reichenau, hielt die wahre Identität aber geheim.307 In einer Vision gab sich Markus Ende des 9. Jahrhunderts (873–875) dem Konstanzer Bischof Gebhard zu erkennen, der Markuskult wurde aber erst im frühen 10.  Jahrhundert von Bischof Noting anerkannt. Aus der 303 Markusverehrung als „Staatskult“ und Ort, der dem „dogalen Zeremoniell“ gewidmet war, standen nun in augenfälliger Verbindung, Dennig/Zettler, Evangelist (1996), 40. Zum Zeitpunkt der Translation war Markus „ein extrem politisierter Heiliger“, da die Markuslegende nicht nur von der „noch sehr instabilen dogalen Monarchie am Rialto“ bzw. den politischen Kräften vereinnahmt werden konnte, sondern die Dogen damit auch „die Herrschaft über die seevenetianische Kirche präjudizieren konnten“, ebd., 33; Zettler, Dimensionen (1994). Der Grund für die Überführung der Reliquie wird in der Abspaltung des Bistums Neu-Aquileia vom Patriarchat Aquileia vermutet. Im 6. Jahrhundert entstand in Grado die Legende der Bistumsgründung durch Markus, um die Bistumsgründung apostolisch zu legitimieren. 630 schenkte Kaiser Heraklius Grado die aus Syrien stammende Kathedra Petri. Die aquileiensische Markuslegende bildet die Basis der venenzianischen, „die jeweiligen Traditionen [sind] jedoch wenig untersucht“, Dennig/Zettler, Evangelist (1996), 29 Anm. 36. 304 Im Markusdom sind die Mosaike, welche die Translatio schildern, in der Chorkapelle San Clemente angebracht, unweit der großen Kanzel (Pergolo), „auf der sich der neugewählte Doge dem Volk zeigte, die Investitur empfing und die ‚collaudatio‘ vollzog“, Dennig/Zettler, Evangelist (1996), 20; Demus, Mosaics, Bd. 1 (1984), Tafel 63–75. 305 Davon berichtet auch Felix Fabri, Evagatorium, Bd. 3. Ed. Haßler (1849), 418. 306 So nach einer Randnotiz der Miracula s. Marci (Hs. aus dem 15. Jahrhundert), Miracula. Ed. Klüppel (1994), 41, und bei Hermann dem Lahmen, Chronicon. Ed. Pertz (1844), 103 (zu 830); Dennig/ Zettler, Evangelist (1996), 29 Anm. 39; 34–36. Die Behauptung der Reichenauer Mönche, sie hätten 830 eine Markusreliquie erhalten, wurde von venezianischer Seite und von den Monumentisten des 19. Jahrhunderts als „übles Machwerk oder bestenfalls als freie Erfindung betrachtet“, ebd., 23. Bei den auf der Reichenau aufbewahrten Reliquien könnte es sich nach Dennig-Zettler aber tatsächlich um die Markusgebeine handeln, da der venezianische Doge Johannes infolge eines Aufstandes des Usurpators Obelierus von Malamocco an den Hof Karls des Kahlen floh, wo er Ratold von Verona begegnete. „Bei der genaueren Analyse der Reichenauer Markusüberlieferung, die der venezianischen an Qualität nicht nachsteht, ergaben sich kaum von der Hand zu weisende Momente, die auf einen engen Zusammenhang weisen: einmal waren es genau namhaft zu machende diplomatisch-politische Kanäle, auf denen ein als Markusreliquie aus Venetien geltendes Heiltum ins Frankenreich gelangte, und zum anderen die Art der Reliquie (wobei hier nicht entscheidend ist, ob die Reichenauer Reliquie nun tatsächlich Teil des venetischen Corpus war, sondern der Sachverhalt, dass aus beiden Berichten dieselbe ungewöhnliche Qualität der Reliquien hervorgeht)“, ebd., 36. In der Abtei Reichenau liefen „gewissermaßen (…) die Fäden der fränkischen Italienpolitik“ zur Zeit Karls des Großen zusammen, ebd., 26. Aufgrund der politischen Bedeutung der Markusreliquie waren „zweifellos auch fränkische Herrschaftsträger“ an ihr interessiert, ebd., 33. 307 Ratold wurde vom venetianischen Beschaffer der Reliquie lebenslanges Schweigen auferlegt und die Reliquie einem gewissen Valens zugeschrieben, ebd., 31; 41.

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gleichen Zeit sind die Miracula s. Marci überliefert, welche auch von den zahlreichen Reliquien in der Markuskirche von Alexandria berichten.308 Nach Regina Dennig und Alfons Zettler hat die späte Anerkennung des mehrfach transferierten Heiligen „mit den merkwürdigen Umständen, unter denen die Translationen erfolgten“, zu tun.309 Die „Wegführung des Markus-Corpus aus Alexandria [war] unter zweifelhaften Vorzeichen geschehen“ und galt als Diebstahl, in Venedig selbst wurde von furtum gesprochen,310 was auch bei Burchard der Fall ist, der abgesehen von der Tatsache des Reliquienraubes keine Andeutungen über den Verbleib derselben macht.311 Herauszulesen ist daraus aber eine grundsätzliche Kritik an der Translation der Reliquie vom ursprünglichen Wirkungsort des Evangelisten wie auch eine Spitze gegen Venedig. Schwierig ist die Einordung der Bemerkung Burchards, der (melkitische) ­Patriarch würde in der Markuskirche gewählt, geweiht und später begraben. Die Markuskirche gehörte den Kopten. Der koptische Patriarchensitz war 1047 von Alexandria nach Kairo verlegt worden, auch wenn die Patriarchen weiterhin auf Alexandria bezogen wurden. Ob der koptische Patriarch überhaupt bis zum Umzug nach Kairo in der Markuskirche gewählt wurde, ist nicht gesichert, zumindest aber war der Klerus dieser Kirche an der Wahl beteiligt.312 Danach fand die Wahl in Kairo in der Hängenden Kirche über dem Südtor der Festung statt. Die melkitischen Christen unterstanden dem griechischen Patriarchen, der vom Patriarchen in Byzanz abhängig war und von diesem auch ausgewählt und geweiht wurde. Das genaue Verhältnis zum Patriarchen ist allerdings unklar, auch die Kalifen bestätigten die melkitischen Patriarchen.313 Wo der griechische Patriarch gewählt wurde, ist aus der Literatur nicht eindeutig zu bestimmen und scheint sich im Laufe der Zeit geändert zu haben.314 Auch der griechische Patriarch verlegte den Verwaltungssitz nach Kairo, residierte aber

308 Ebd., 28–42. Zeugnis der Markusverehrung ist das Westwerk des Reichenauer Münsters, das am Vorabend des Markusfestes am 24. 04. 1048 im Beisein Heinrichs III. dem Hl. Markus geweiht wurde. Das Markusfest am 25. 04. wurde auch von späteren Herrschern begangen, ebd., 28; Klüppel, Hagiographie (1980), 103  f.; Berschin/Klüppel, Evangelist (1994). 309 Dennig/Zettler, Evangelist (1996), 41. 310 Ebd.; Zettler, Dimensionen (1994), 561  f.; 565. 311 Unde a Venetus furatus fuit. 312 So in der ‚Historia Patriarcharum Alexandrinorum Jacobitarum‘ beschrieben, History. Ed. Evetts (1915); Historia. Ed. Renaudot (1713), 488; Müller, Alexandrien (1978), 258; zum Wahlverfahren siehe auch Neal, History (1847), 98–107. „Among the laity and Clergy, the most important influence was possessed by the Priests of S. Mark. In former times, the election had been (…) entirely vested in their hands. But after the Mahometan invasion, this privilege was abolished“, ebd., 100. Die Wahl fand bis ins 11. Jahrhundert in der Angeliumkirche statt, inthronisiert wurde der Patriarch u.  a. aber auch in St. Markus, ebd. 104  f.; McKenzie, Architecture (2007), 257. 313 Troupeau, Christenheit (2007), 421. 314 Mitunter residierten die griechischen Patriarchen auch in Konstantinopel und überließen Alexan­dria nachgeordneten Klerikern, so Hage, Christentum (2007), 75; anders Dick, Melkites (1994),

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gelegentlich in Konstantinopel.315 Kirche des griechischen Patriarchen in Alexandria war das Sabaskloster.316 Da sich beide Patriarchate auf Markus als den Gründer und ersten Bischof der ägyptischen Kirche beriefen, ist eine, wenn auch nur förmliche Wahl in der Markuskirche nicht auszuschließen, aufgrund des Spannungsverhältnisses beider Kirchen aber unwahrscheinlich. In Alexandria war diese Kirche zwar bedeutend, aber nicht Hauptkirche; es existierten darüber hinaus mehrere Markuskirchen in Alexandria. Burchards Angabe lässt sich damit weder für den melkitischen noch für den koptischen Patriarchen bestätigen. Ob es sich bei seiner Angabe um eine Verwechslung der Patriarchen handelt, er antiken Kenntnisstand aus byzantinischer Zeit vor der Kirchenspaltung referiert,317 oder er tatsächlich von einer Wahl, Weihe und Bestattung in dieser Kirche erfahren hat, ist nicht zu entscheiden.318 In jedem Fall betont er die Wichtigkeit der Markuskirche für das Patriarchat von Alexandria. Inwiefern sich Burchard der Existenz zweier Kirchen bewusst war, ist schwer zu bestimmen und hängt mit der offenen Frage zusammen, ob Burchard diese Informationen schon vor seiner Reise besaß oder tatsächlich erst in Alexandria erhielt.319 Im Kontakt mit einheimischen Melkiten wäre die Abgrenzung von den Kopten möglicherweise zur Sprache gekommen, da die Markuskirche koptisch war. Kopten hingegen hätten sicherlich auf ihren eigenen Patriarchen hingewiesen, zumal sich beide Gemeinden ihrer dogmatischen Unterschiede bewusst waren.320 Nur unter römischen 23: „Les patriarches étaient choisis parmi le clergé autochtone et très souvent, on élisait des laïcs probes et savants, fonctionnaires de l’Etat.“; vgl. auch Grotz, Hauptkirchen (1964), 164–169. Über die Wahl berichtet der melkitische Patriarch Eutychius (Sa’id b. al-Batriq). 315 Pahlitzsch, Graeci (2001), 149  f.; Mosconas, Partriarchat (1960/61), 132  f. 316 Auch das Sabaskloster war Markus geweiht, Grossmann, Architektur (2001), 378; Faivre, Eglise (1937), 60–67. 317 Gewählt wurde der Patriarch in der Spätantike in der Baukaliskirche, welche oft mit der Markuskirche verwechselt wird. 318 Die Kirche stand ja an dem Ort, an dem auch der Patriarch Peter I. sein Martyrium erlitten haben soll, siehe Anm. 282. 319 Nicht gänzlich auszuschließen ist ferner, dass er Kopten als heterodox und ihr Patriarchat als unrechtmäßig ansah und daher überging. 320 Theologisches Unterscheidungskriterium der Orientchristen untereinander und im Verhältnis zu Griechen und Lateinern war die Anerkennung der Lehrsätze des Konzils von Chalkedon, zu denen sich neben Lateinern und Griechen (Georgier, Melkiten und Suriani, d.  h. die arabischsprachigen Angehörigen der byzantinischen Reichskirche) die Maroniten bekannten. Zu den nicht-chalkedonensischen Kirchen zählten die Christen der syrisch-orthodoxen, armenischen und koptischen Kirchen sowie die apostolische Kirche des Ostens (Nestorianer), Pahlitzsch/Weltecke, Konflikte (2001), 121  f.; Hamilton, World (2013); Ders., Perceptions (1999); Ders./Hamilton, Heresies (1998); Ders., Church (1980); MacEvitt, Crusades (2008); Ders., Identities (2002); Pahlitzsch/Baraz, Communities (2006); von den Brincken, Nationes (1973). Zu den dogmatischen und rituellen Streitigkeiten zwischen Chalkedonensern und Nicht-Chalkedonensern, welche auch im 12.  Jahrhundert noch virulent waren, Pahlitzsch/Weltecke, Konflikte (2001), 131–137; zum Verhältnis einzelner Konfessionen zueinander: Hamilton, Latins (2011); Pahlitzsch, Graeci (2001); Ders., Azymenfrage (1996); Dick, Melkites (1994); Hamilton/Arbel/Jacoby, Greeks (1989); Hamilton, Armenian (1978).

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Christen, die die griechischen Kirchen lediglich periodisch als Gäste nutzten, war diese Unterscheidung nachrangig, sie war den Lateinern zu dieser Zeit vermutlich auch nicht klar. In seiner ‚Geschichte der Kirchen und Klöster Ägyptens‘ beschreibt Abū l-Makārim das kirchliche Profil Alexandrias in der Zeit zwischen 1160 und 1190 und führt vier melkitische Kirchen auf, die auch von römischen Christen genutzt wurden.321 Die italienischen Händler gehörten je nach Herkunft anderen Parochien an: St.  Nikolaus wurde von Pisanern genutzt, die Kuppelkirche von Genuesen, St.  Maria von Venezianern. Lateinische Christen waren im Gebiet des griechischorthodoxen Patriarchen diesem unterstellt und stellten seine Autorität nicht in Frage, schließlich bekannten sich beide zur Zweinaturenlehre.322 Die griechischen Christen machten aber nur eine Minderheit aus, dagegen zählt Abū l-Makārim über 40 koptische Kirchen in Alexandria. Am Beispiel der Kreuzfahrerherrschaften Jerusalem und Antiochia hat Bernard Hamilton festgestellt, dass lateinische Christen Kenntnis über die diversen Gemeinschaften der Orientchristen erst im direkten Kontakt erlangten. „The first generation of Frankish settlers, both clergy and laity, came to understand eastern Christianity in its diversity of confessions through contact with people rather than through theological explanations. This lead to a realisation of the very large areas of belief which they

321 Dies sind die Patriarchenkirche Sankt Sabas, St. Johannes der Täufer, St. Nikolaus, die auch von Pisanern genutzt wird und die Kuppelkirche, die von Genuesen benutzt wird, hinzu kommt St. Maria für die Venezianer. Von den 40 koptischen Kirchen beschreibt er sechs näher: St.  Georg, die Märtyrerkirche St. Markus, St. Sergius, St. Sauveur und St. Shnuda, Abū l-Makārim. Ed. Samuel (1992) (non vidi); Abū Ṣāliḥ. Ed. Evetts/Butler (1895/2001); Martin, Alexandrie (1998) 47  f. Zu den Editionen und der Identität Abū l-Makārims (*um 1150?, † nach 1209) siehe den Heijer, Churches (2012); Ders., Historiographie (1996), 77–81; Ders., Composition, (1993); Ders., Historiographie (1996), 77–81; Martin, Delta (1997); Zanetti, Abū l-Makārim (1995); Atiya, Abū l-Makārim (1991). 322 Concilium, Bd.  1.3. Ed. Wohlgemuth (1998), 86. Für das Königreich Jerusalem hat Bernard Hamilton diesen Sachverhalt untersucht. Vor der dauerhaften Präsenz der Kreuzfahrer akzeptierten die in Jerusalem ansässigen lateinischen Christen, „that they were part of a single communion with the Orthodox and therefore did not question, or pose any challenge to the canonical authority of the Orthodox Patriarch of Jerusalem. They had no need to formulate any independent policy in their relations with the non-Chalcedonian Churches, which, in any case, had few direct dealings with Rome in the eleventh century, except for the Armenian Church which had entered into friendly correspondence with Gregory VII“, Hamilton, Church (2003), 1. Die Etablierung eines lateinischen Patriarchats von Jerusalem war keine kanonische Notwendigkeit, sondern folgte politischem Kalkül, ebd., 4. Die neuen lateinischen Patriarchen beanspruchten nicht nur Autorität über die römischen Christen innerhalb ihres Gebietes, sondern auch über die orthodoxen Gläubigen und die Übernahme der Grabeskirche, ebd., 8, was zu einer ablehnenden Haltung der Orientchristen gegenüber den Lateinern führte, Pahlitzsch, Graeci (2001), 255. Ende des 12. Jahrhunderts forderte Theodoros Balsamos, Patriarch von Antiochia, in einem Brief an den Patriarchen von Alexandria, es solle „keinem Lateiner die Kommunion ausgeteilt werden, wenn er nicht zuvor erklärt habe, sich von den Lehren und Bräuchen der lateinischen Kirche zu distanzieren, die die Lateiner von den Orthodoxen trennten“, ebd., 255.

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had in common, rather than to an emphasis on the small, but acrimonious areas of doctrinal and disciplinary divergence.“323 Ausschlaggebend für die Wahrnehmung der religiösen Diversität war zum einen die Art und Intensität des Kontaktes mit den Orientchristen, zum anderen die Kenntnis theologischer Unterschiede324 und eine entsprechende Sensibilität für dieselben.325 Vom bloßen Augenschein unterschieden sich Kopten und Melkiten weder voneinander noch von den Muslimen, auch sprachen alle arabisch.326 In Handelskontakten kamen konfliktträchtige religiöse Themen wohl eher selten zur Sprache, sie waren nebensächlich und von den viel grundlegenderen Differenzen zu den anderen monotheistischen Religionen überdeckt. Im letzten Viertel des 12.  Jahrhunderts, als sich die Verbindungen der Lateiner zu den Orientchristen im Heiligen Land intensivierten, wurden v.  a. die Gemeinsamkeiten in Hinblick auf eine Kirchenunion betont. Besonders Aimery von Limoges, der Patriarch von Antiochia, forcierte die Annäherung.327 Eine Union der Christen des Orients strebte Byzanz schon längere Zeit an. Begünstigt durch das alexandrinische Schisma und durch die Schutzbedürftigkeit Jerusalems näherte sich die griechische Kirche unter der Herrschaft Manuels ab 1170 nicht nur den Orientkirchen, sondern auch der römischen an.328 Burchards Erwähnung der 323 Hamilton, Church (2003), 11. In den folgenden Generationen kam es zu vertiefter Kenntnis der abweichenden Lehrmeinungen in Religionsgesprächen, deren Ziel in der Überzeugung der römischen Lehre bestand. 324 Vgl. Pahlitzsch/Weltecke, Konflikte (2001), 131–137. 325 In seiner Aufzählung der lateinischen, griechischen und nicht-chalkedonischen Christen im Heiligen Land vermengte Johannes von Würzburg konfessionelle und ethnische bzw. „nationale“ und sprachliche Unterscheidungskriterien. Die Angehörigen der römischen Kirche vermochte er richtig zu benennen. Georgier, Armenier und Suriani scheint er ebenso einer gemeinsamen Gruppe, wenn auch nicht den zuerst genannten Greci zuzuordnen, da er sie hintereinander aufzählt; die ebenfalls zu den Chalkedonensern zählenden Maroniten nennt er allerdings später. Unter den Jakobiten führt Johannes die Egypti auf, ob er damit tatsächlich nur die Kopten meint, ist unklar: Sunt namque ibi Greci, Latini, Alemanni, Ungari, Scoti, Navarri, Britanni, Anglici, Rutheni, Boemi, Gorgiani, Armeni, Suriani, Iacobitae, Syri, Nestoriani, Indi, Egiptii, Cephti, Capheturici, Maroni et alii quamplures, quos longum esset enumerare (…), Johannes von Würzburg, Descriptio. Ed. Huygens (1994), 137  f. 326 Vgl. ebd., 130. Die von den Ägyptern gleich welcher Konfession getragenen Tuniken nach römischem Vorbild waren in der Ausstellung „Ein Gott“ vom 02. 04. bis 13. 09. 2015 im Berliner Bodemuseum ausgestellt. 327 Hamilton, Church (2003), 12  f.; Ders., Aimery (1999); Ders., Aimery (1995). 1180 unterstellten sich die Maroniten dem Papst, ähnliche Tendenzen waren auch bei den Armeniern, die das Chalcedonense nicht anerkannten, festzustellen: Dem armenischen Katholikus übersandte Papst Lucius III. 1184 das Pallium. Zu den Maroniten: Breydy, Maroniten (1992); Salibi, Experiment (1990); Ders., Church (1958); El-Hayek, Struggle (1990); Hiestand, Integration (1988); zur armenischen Kirche: Mutafian, Eglise (2004); Ders., Recherches (2002); Schmidt/Halfter, Brief (1999); Halfter, Papsttum (1996); Hamilton, Armenien (1978); zum Verhältnis zu den Jacobiten, Ders., Church (1980), 190–199. In engem, ja freundschaftlichem Verhältnis stand Aimery zu Michael von Syrien, dem Oberhaupt der Syrischorthodoxen Kirche (Jacobiten). Zu Aimery siehe auch Kapitel VI.2.2. 328 Hamilton, Church (2003), 14; 16. Der Hauptgrund für das Schisma zwischen Ost- und Westkirche wird in der Ekklesiologie seit der gregorianischen Reform gesehen, weniger in den Kontroversen um

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Zugehörigkeit der ägyptischen Christen zur griechischen Kirche enthält in diesem Kontext zugleich eine politische Komponente, handelt es sich doch bei dem Patriarchen um einen Funktionsträger Konstantinopels. Diese Abhängigkeit aber war, wie in der Ersetzung orthodoxer Bischöfe durch lateinische in den Kreuzfahrerherrschaften demonstriert,329 nicht unantastbar und hing von der Gewährleistung christlicher Schutzherrschaft ab, die traditionellerweise den Griechen zukam.330 Resümee Burchards Beschreibung Alexandrias orientiert sich an den Topoi bekannter Berichte und basiert partiell auf historischem Vorwissen. Henri Bresc verweist auf die traditionellen Bezüge in Burchards Beschreibung, in der das christliche Alexandria, speziell die Gebeine antiker Märtyrer, einen großen Raum einnimmt.331 In lateinischen Chroniken und historiographischen Schriften erscheint Alexandria in erster Linie als historische Größe.332 Hervorgehoben wird besonders Alexandrias Bedeutung als ungemein wohlhabende Wirtschafts- und Wissenschaftsmetropole der hellenistischen und römischen Welt. Erwähnung finden die Gründung durch Alexander den Großen, die römische Eroberung durch Cäsar im Kampf gegen Antonius sowie die Herrschaft

das filioque und den Gebrauch der Azymen. „Ein wesentlicher Unterschied zwischen Ost- und Westkirche bestand (…) darin, dass nach orthodoxer Auffassung in Streitfragen die Entscheidung bei den fünf Patriarchaten gemeinsam liegen sollte, während für das Reformpapsttum die sedes apostolica allein ausschlaggebend war, Pahlitzsch, Graeci (2001), 25. Dabei handelte es sich um einen langwierigen Prozess, der lange vor 1154 begann und auch danach nicht zum Abbruch der Beziehungen führte, ebd., 24–40; Becker, Urban (1988), 27–34; Laudage, Priesterbild (1984), 164–168; Runicman, Schism (1955), 55–57. 329 „The popes claimed that the Latin incumbents were the lawful successors to the Orthodox patriarchs, yet treated them as though their authority was on a par with that of metropolitans of western provinces“, Hamilton, Church (2003), 6. In Jerusalem blieb das Kirchenvolk orthodox, „but their clergy were made subjects to the Latin hierarchy“, ebd., 8; Ders., Church (1980), 161–166. 330 Hamilton, Church (2003), 16; Pahlitzsch/Weltecke, Konflikte (2001), 139; Runciman, Visit (1982). In den Konflikten und Beziehungen ging es immer auch um die Partizipation an Herrschaft und kulturelle Identität. Für das Zusammenleben der unterschiedlichen christlichen Konfessionen in den Kreuzfahrerherrschaften konstatieren Johannes Pahlitzsch und Dorothea Weltecke: „Insgesamt könnten sich alle Konfessionen als weitaus brüchiger erweisen als dies in der Forschung bisher erfasst worden ist“, Pahlitzsch/Weltecke, Konflikte (2001), 142. 331 Bresc, Cendres (1984), 447. 332 Das in lateinischen Quellen überlieferte Bild zeichnet hauptsächlich die einstige antike Größe nach: „Dans l’ensemble, pourtant, c’est une ville morte que l’érudition offre à l’Occident latin. (…) Pauvreté, fixité, Alexandrie n’offre qu’un panorama symbolique d’une histoire mystérieuse, purement littéraire, privée du souffle religieux qui a porté son destin, dépouillée de sa vie réelle sous un regard étranger et incompréhensif (…)“, ebd., 448  f. Das Negativurteil Henri Bresc‘ bezieht sich auf das meist völlige Ausblenden der muslimischen Geschichte der Stadt, das nur bedingt mit fehlenden direkten Kontakten zu Alexandria zu begründen ist.

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Kleopatras.333 Bezüge zu Alexandria sind in zahlreichen höfischen Romanen und den Chanson de geste festzustellen.334 Das Interesse an Alexander dem Großen zeigt sich in der Verbreitung volksprachlicher Alexanderromane, die zu den am weitesten verbreiteten Büchern zählten.335 Das aktuelle politische und konkret profitorientierte Interesse an Alexandria fand hingegen wenig Eingang in das lateinische Schriftgut.336 So erwähnt Otto von Freising Alexandria im Zusammenhang mit den Kreuzzügen, bietet jedoch keine aktuellen Informationen über die Stadt und bezeichnet den Wesir als König von Memphis und Alexandria.337 Im Gegensatz zu überlieferten Berichten verharrt Burchard keineswegs im erstarrten Alexandriabild. Profan- und religionsgeschichtliche Vorkenntnisse haben in seiner knappen Beschreibung ihren festen Platz, doch unterzieht er überliefertes Wissen einem Vergleich mit aktuellen Informationen und bildet damit den Wandel der Stadt in Stadtbild, Topographie und Zusammensetzung der Bevölkerung ab. Sein Zugang zur Stadt ist nur zum Teil gedächtnisorientiert, seine Darstellung lässt etliche Leerstellen in Bezug auf die Vergangenheit Alexandrias. So nennt er nicht einmal den Pharos beim Namen, geschweige denn Alexander oder andere Personen. Ohne Kontextwissen ist sein Bericht zeitgenössischen Lesern nur bedingt nützlich und verständlich, da er erwartbare Informationen höchstens anreißt. Die Stadt beschreibt er als civitas egregia, doch bleibt dieses Lob recht unvermittelt stehen. Im Unterschied zum Bericht des Ibn Ǧubair deutet Burchard den Gegensatz eines florierenden Handels und einer teilweise ruinösen und verlassenen Stadt an, der erst in später entstandenen Berichten zu konstatieren ist.338 Burchards Fokus liegt auf Zugang, Befestigung und Versorgung der Stadt, also strategisch wichtigen Faktoren, die Zitadelle und den Aufbau der Flotte erwähnt er 333 Vgl. die Schilderung Arculfs: Grandis illa civitas, quae quondam metropolis Aegypti fuerat, ebraice olim No vocitabatur, urbs valde populosa, quae ab Alexandro rege Macedone, eiusdem conditore famoso Alexandria noto per universas gentes nominatur vocabulo, et magnitudinem urbis et nomen accipiens ab eodem reaedificatore, Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 278; Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XIX, 27. Ed. Huygens (1986), 902  f.; Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers. (2011), 148; 200; 218; siehe dazu Kapitel IV.2. 334 Bresc, Cendres (1984), 450–452. Um nur zwei zu nennen: In der Chanson de Roland (ca. 1075, 1170 ins Mittelhochdeutsche übertragen) trifft Karl der Große auf das Heer des Admiral Baligants von Babylon, das aus Alexandria kam, Paquette, Chanson (2014); Mandach, Chanson (1993). Im Fierabras (ca. 1170), dem Epos um den Riesen und König von Alexandria, der zum Christentum bekehrt wird, spielt auch der Balsam eine besondere Rolle, mit dem Burchard in Matariya in Berührung kommt, Fierabras. Ed. Le Person (2003); Jauss, Epos (1961). 335 Kern, Alexander (2003); Börst/Finckh/Kuschke, Herrschaft (1998); Aerts, Alexander (1994);­ Ehlert, Alexanderdichtung (1989); Cary, Alexander (1956); siehe Kapitel IV.3. 336 Dasselbe trifft auf Schriften muslimischer bzw. arabischer Schriftsteller zu, Behrens-Abouseif, Notes (1998), 101. 337 Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers (2011), 504; siehe auch Kapitel III.1.4. 338 Décobert/Empereur, Alexandrie (2011), 11; Christ, Stadt (2011); Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito. (1960), 62  f.

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nicht. Sein Bericht weist Ähnlichkeiten mit dem von Wilhelm von Tyrus auf, der Alexandria im Zusammenhang mit der Belagerung durch Amalrich beschreibt und dementsprechend militärisch-strategische Gesichtspunkte in den Mittelpunkt stellt, dabei aber noch mehr historisches und tradiertes Wissen einfließen lässt.339 Burchards auf den ersten Blick triviale, allgemeine Informationen differieren im Vergleich mit anderen Berichten in Hinblick auf den Informationsgehalt und die Botschaft, z.  B. wenn er topographisch präzise die äußere Lage beschreibt, genau die Zolleinnahmen beziffert und die Markuskirche als christlichen Identifikationsort darstellt. Es sind vergleichsweise spezifische Informationen, die auf eigene Erfahrung als Quelle des Wissens verweisen und damit ein Indiz für die Authentizität des Berichtes darstellen. Zugleich bietet er eine sehr frühe Deskription, die sich ganz auf die Stadt konzentriert und nicht im Rahmen einer anderen Handlung ergänzend eingefügt wird.340 Auffällig ist Burchards Abweichen von dominierenden Lehrmeinungen was die Paradiesflüsse und den Ursprungsort des Markusevangeliums betrifft. Neben genuesischen Händlern lassen diese Details einheimische Christen oder Muslime, vielleicht auch Juden, als Informanten vermuten. Eine bestimmte Trägergruppe als Vermittler dieser Nachrichten lässt sich aber weniger klar als im Abschnitt über die Seereise bestimmen, da Burchard spezifisches Wissen bestimmter Kontaktsysteme nur sehr selektiert übermittelt. So geht er auf Handelsbedingungen und Märkte in Alexandria nicht weiter ein, ob er gemeinsam mit italienischen Händlern die Stadt und deren Kirchen besucht hat, ist nicht klar. Die Kopten benennt er nicht, beschreibt deren Kirche hingegen ausführlich und betont die Rolle des Evangelisten Markus für die Stadt. Aufgrund der Widersprüche im Bericht, was die Christen in Alexandria betrifft, kommen als Begleitpersonen Vertreter aller Religionen in Frage, am ehesten vielleicht Melkiten und Lateiner, doch fließen Informationen verschiedener Provenienz in die Darstellung ein. Anscheinend konnte sich Burchard in der Stadt umsehen, wurde vielleicht gezielt zu den Sehenswürdigkeiten wie den antiken Ruinen und der Markuskirche geführt. Da er den muslimischen Westteil nicht erwähnt, war ihm hier möglicherweise der Zutritt verwehrt bzw. steht zu vermuten, dass er dort nicht vorstellig werden musste. Angenommen werden kann, dass Burchard in Alexandria sogleich nach seiner Ankunft von offizieller Seite empfangen wurde, da dies den Gepflogenheiten entsprach. Wie lange er hier verweilte, bevor er sich auf den Weg in die Hauptstadt Ägyptens begab, schreibt er nicht.

339 Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XIX, 22–28. Ed. Huygens (1986), 901–905. 340 Vgl. Classen, Stadt (1986), 59.

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III.1.3 Im Nildelta Auf seinem Weg von Alexandria nach Fustat (Neu-Babylon) und Kairo durchquerte Burchard das fruchtbare Nildelta bis zu der Stelle, an dem sich der Nil in mehrere Arme teilt und seit jeher die Hauptstädte Ägyptens lagen.341 Die Reisezeit differenziert er nach Art der Fortbewegungsmittel: Zu Lande dauere die Reise von Alexandria nach Nova Babylonia nur drei Tage, die Schiffahrt stromaufwärts nähme hingegen sieben in Anspruch.342 Welchen Weg er selbst einschlug, verrät er nicht. Zwar wäre die Distanz von rund 200 km per equum nur unter großer Anstrengung in drei Tagen zu bewältigen, doch ist es keine völlig unrealistische Angabe, zumal Burchard an anderer Stelle betont, wie gut die ägyptischen Pferde seien343 und die Differenz der Reisezeiten ihn offensichtlich selbst erstaunt.344 Otto von Freising gibt für die Strecke eine Reisedauer von sechs Tagen an, macht aber keine Angaben, auf welchen Weg er sich dabei bezieht.345 Ob überhaupt Eile geboten war, kann nur gemutmaßt werden. Nicht der Reiseverlauf samt Ortschaften steht im Vordergrund dieses Abschnitts, vielmehr widmet sich Burchard recht ausführlich der Nilschwelle und der landwirtschaftlichen Nutzung dieses Phänomens, das bekanntlich die Grundlage der ökonomischen Existenz Ägyptens bildete. Mit eigenen Augen will er gesehen haben, wie der Nil unweit Alexandria zur Salzgewinnung auf eine Ebene geleitet wurde.346 Da Salz im Mitteleuropa des 12. Jahrhunderts hauptsächlich in Salinen durch Sieden der 341 Ca. 25 km nördlich von Kairo fächert sich der Nil in zwei Hauptarme und zahlreiche Nebenarme auf. Vom Mündungsdelta bis zum Mittelmeer erstreckt sich Unterägypten, das in byzantinischer Zeit die Provinz Arkadien bildete und von Alexandria aus regiert wurde. Der westliche Hauptarm mündet in Rosetta, der östliche in Damiette. In der Antike wurden sieben Nilarme gezählt, worüber Wilhelm von Tyrus sein Erstaunen ausdrückt, da es zu seiner Zeit nur noch drei waren, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 23. Ed. Huygens (1986), 894  f. Zum Nil und zum Nildelta seit der Antike siehe Cooper, Nil (2014); Hairy, Nil (2011); Stauth, Orte (2008), 171–191; Tvedt, Nile (2004) = Bibliographie; Hiß, Nil (2002); Seidlmayer, Nilstände (2001); Ders., Nil (2000); Kramers, Al-Nil (1995); Allan/Howell, Nile (1994); Bonneau, Régime (1993); Dies., Loi (1983); Dies., Crue (1964); Helck, Nil (1972); Honigmann, Nil (1936). 342 Nota ab Alexandria usque ad Novam Babyloniam tres esse dietas per terram per aquam VII dietas in ascendo. 343 Item Egyptus satis bonos nutrit equos. 344 Neuzeitliche Reiseberichte bestätigen die schnelle Reisezeit außerhalb der Nilflut, Cooper, Nil (2014), 162–164. „Of course, during the flood, the favoured route between Alexandria and Cairo war through one of the manifestations of the Alexandria canal (…)“, ebd., 163. 345 Porro ea, quae nunc vulgo, ut dixi, Babylonia vocatur, non super Eufratem, ut illi putant, sed super Nilum circiter VI dietas ab Alexandria posita est (…), Otto von Freising, Chronik, VII, 3. Ed. Lammers (2011), 504. Von Alexandria nach Babylon reiste auch Bernard der Mönch in sechs Tagen: In quod intrantes navigamimus ad meridiem diebus sex, et venimus ad civitatem Babylonie Egypti, ubi regnavit quondam Pharao rex (…), Bernard, Itinerarium. Ed. Ackermann (2010), 118. 346 Vidi iuxta Alexandriam ubi Nilus per parvum spatium terre a proprio alveo educebatur in campum et ibi sine omni labore vel ingenio humano stans per aliquod tempore in sal purissimum et optimum converbatur.

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Abb. 4: Das Nildelta, Karte aus entnommen Lange-Diercke, Sächsischer Schulatlas. Herausgegeben unter Mitwirkung des Dresdner Lehrervereins. Ausgabe für Dresden. Dresden 1930. https://de.wikipedia.org/wiki/Nildelta#/media/ File:Lange_diercke_sachsen_afrika_nildelta.jpg, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

Sole oder durch Abbau in Bergwerken hergestellt wurde, erregte die Nutzung natürlicher Salzquellen sine omni labore vel ingenio humano zur Gewinnung des kostbaren Rohstoffes seine Aufmerksamkeit.347 Seine Beschreibung entspricht der Methode der solaren Evaporation, bei der salzhaltiges Wasser (Meerwasser, Solequellen) in flache Becken geleitet wird, wo es bei entsprechenden klimatischen Bedingungen und in Abhängigkeit von wetterbedingten Parametern verdunstet. Nach einigen Monaten kristallisiert Natriumchlorid aus, welches mit der Hand abgeschöpft werden kann.348 347 Solequellen befanden sich u.  a. in Bad Reichenhall, Werl, Halle, Bad Nauheim, Lüneburg, Schwäbisch Hall, siehe auch Udolph, Ortsnamen (2014). Zu den ältesten Salzbergwerken Europas gehört Wieliczka, wo schon 3500 v. Chr. eine Salzsiederei bestand und ab dem 13. Jahrhundert Salz unterirdisch gefördert wurde. Seit der Bronzezeit fand bergmännischer Salzabbau im Hallstätter Salzberg statt. Zur Salzgewinnung im Reich liegen eine Reihe von Regionalstudien und Ausstellungskataloge vor, z.  B. Witthöft, Saline (2010); Dopsch, Salz (1994). Einen weiteren geographischen Radius beziehen ein u.  a. Beck, Bildung (2010); Weller, Archéologie (2002); Litchfield/Palme/Piasecki, Monde (2001); Treml/Jahn/Brockhoff, Salz (1995); Hocquet, Gold (1993); Bergier, Geschichte (1989); Lamschus, Salz (1989); Emons/Walter, Salinen (1988). In der Nähe Straßburgs wurde Siedesalz in Château-Salins, Wissembourg und im Vallée de la Seille gewonnen; Karte bei Bergier, Geschichte (1989), 68. Auch im Nordelsass in Soultz bestanden Solequellen, Parisse, Pays (1981). 348 Salzgärten wurden und werden an den flachen Küsten des Mittelmeeres wie auch an Salzseen angelegt, Bergier, Geschichte (1989), 101–107. Sie bestehen aus mehreren hintereinanderliegenden

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Burchards Angabe lässt sich nicht genau verifizieren, da erst spätere Reisende von Salzgärten bei Alexandria erzählen.349 1672 schrieb der Orientalist Johann Michael Wansleb: „Ich habe hier zwey sonderbare Dinge bemerkt; erstens, dass der Nil, der das süßeste Wasser von der Welt führt, ein Salz giebt, das nicht nur das weißeste sondern auch das vollkommenste von der Welt ist, und das dieses Salz den Geschmack und Geruch von Violen hat. Die, welche es bereiten, lassen eine gewisse Quantität Nilwasser aus dem Canal in die Salinen laufen; nach vier oder fünf Tagen ist es in das schönste Salz umgeändert. Sie tragen es nun in Körben an die Sonne, trocknen und verkaufen es. Auch aus dem See Sebaca (bey den alten lateinischen Schriftstellern Palus Mareotis genannt) kann man Salz ziehen. Er liegt südwärts von Alexandrien, aber das Wasser desselben ist salzicht und das daraus entstehende Salz bitter, weswegen man ihn auch gar nicht dazu benutzt.“350

Nach dem hier geschilderten Verfahren der Auslaugungsgradierung nimmt das Wasser Salz aus dem Boden auf und wird bei Erreichen eines bestimmten Sättigungsgrades zum Verdunsten in einen weiteren Teich geleitet.351 Das Wasser stammte nicht direkt aus dem Nil, sondern aus einem Kanal, der als Ersatz für den kanopischen Nilarm angelegt worden war, da jener zwischen dem 12. und Anfang des 14. Jahrhunderts versandete und nur noch zur Zeit der Nilschwelle Wasser führte.352 Dieser Kanal Verdunstungsbecken, welche durch Schleusen miteinander verbunden sind. Im ersten Becken wird das Meerwasser auf eine Dichte von 1,035 g/cm³ vorkonzentriert und v.  a. karbonatische Verunreinigungen ausgefällt. Im zweiten Becken erfolgt die Eindampfung bis zu einer Dichte von 1,133 g/cm³, wobei die Hauptmenge des Gipses ausfällt. In einem dritten Becken wird bis zur NaCl–Sättigung auf eine Dichte von 1,215 g/cm³ aufkonzentriert. Anschließend wird die gesättigte Sole bis zu einer Dichte von 1,260  g/cm³ in einem Kristallisationsbecken eingedampft; die Auskristallisation von Natriumchlorid beginnt aber bereits bei einer Dichte von 1,1218 g/cm³. Die reinsten Salzkristalle erhält man im Dichtebereich zwischen 1,225 bis 1,235 g/cm³. Nach ca. sechs Monaten beginnt die Salzernte, die Magnesium- und Kaliumsalze verbleiben in der sogenannten Mutterlauge und werden ins Meer zurückgeleitet. Die Salzschicht weist dabei eine Dicke von 15 bis 20 cm auf. 349 Cahen, Douanes (1977), 72. In der Forschungsliteratur zum Alexandriakanal und zur Mareotis wird ausschließlich auf neuzeitliche Berichte verwiesen, in denen von der Salzgewinnung die Rede ist, vgl. Flaux/Morhange/Torab/El-Assal, Alexandrie (2011), 124. 350 Wansleb, Reise. Ed. Paulus/Maundrell/Belon (1794), 229. So auch zu lesen in der „Erdbeschreibung und Geschichte von Afrika; das Paschalik Egypten“ von Johann Melchior Hartmann aus dem Jahre 1799, Hartmann, Erdbeschreibung (1799), 610  f. 351 Bergier, Geschichte (1989), 64. 352 „While Greco-Roman texts of antiquity allude to the existence of the Canopic, Bolbitic and perhaps Saitic branches flowing in the western Delta, texts of the Islamic era present a quite different discourse on the waterways of the region. Whatever the possibility of correlation of its route with the nomenclatures of antiquity, Islamic-era texts for the first time confirm the existence, at least by the tenth century, of the Rosetta branch (Ar. far’rashid) flowing along much the same route as it does today. However, these same texts seem to take much keener interest in an altogether more novel concept: that of a branch flowing from the Delta apex – or from points farther down the Rosetta branch in later centuries – all the way to the sea at the city of Alexandria, on the western fringe of the Nile Delta. This branch – called the khalij al-iskandariya, or Alexandria canal, after its destination city – appears

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(khalij al-iskandariya) wurde von weiteren Kanälen gespeist, die vom Rosetta-Nilarm bei Shabur gen Westen abzweigten und sich bei Damanhur vereinten.353 Der genaue Verlauf des khalij al-iskandariya ergibt sich aus den Angaben Ibn Ḥauqals und alIdrisis, Salzgärten erwähnen diese Autoren jedoch nicht.354 Zu ihren Lebzeiten wurde (minderwertiges) Salz vielleicht noch aus dem Mareotis-See355 gewonnen, dessen Salzgehalt seit der Spätantike anstieg.356 „As the Canopic Nile and the channels which fed the lake gradually silted, the waters of the lake receded, and inland water communication, water supply, and irrigation all suffered. Alexandria and the district of Mareotis slowly declined in consequence. Finally, about the twelfth century,

at first to be quite different from anything that we might recognize from the situation in antiquity, or indeed the present day, when Alexandria’s isolation from the Delta’s natural waterways required the excavation of an artificial canal – the Schedia canal leading from the Canopic branch in ancient times, and the Mahmudiya canal from the Rosetta branch since the nineteenth century – in order to keep it supplied with water and maintain its navigational connection to the wider Nile network“, Cooper, Nil (2014), 43. Der Ausbau und die Instandhaltung dieses Kanals war mit hohen Kosten und Aufwand verbunden, ebd., 43  f. 353 Hairy/Sennoune, Canal (2011); Cooper, Nil (2014), 53; Abbildungen des Deltas, Cooper, Nil (2014), A.2. 4–16, 298–310. 354 Ebd., 46  f. Von einem Wasserweg, der in Alexandria mündet, berichten schon frühere Autoren. Ein erster Kanal wurde unter Ptolemäus angelegt, Hairy, Eau (2011), 131, doch ist der Verlauf und die Verbindung mit dem Nil nicht ersichtlich, Cooper, Nil (2014), 48. Mehrere arabische Autoren unterrichten seit dem 9. Jahrhundert über diese Kanäle, Hairy/Sennoune, Canal (2011), 152; Kramers, Al-Nil (1995), 39; Kahle, Geschichte (1921), 70–83; Guest, Delta (1912), 941–944. Über den Rosetta-Arm berichtet zuerst Ibn Ḥauqal; die genaue Identifizierung von Haupt- und Nebenarmen ist in den Quellen aber nicht immer gewährleistet, Cooper, Nil (2014), 44  f.; 52  f. Zur Rekonstruktion der Wasserwege zieht Cooper auch al-Makhzumi und Al-Maqrīzī heran, weitere Angaben auch bei Hairy/Sennoune, Canal (2011), 152–154. Ab Mitte des 15.  Jahrhunderts war der Kanal für die Schiffahrt völlig unbrauchbar geworden, ebd., 141; Kahle, Geschichte (1921), 79. 355 Neben der antiken Bezeichnung Mareotis ist der See auch unter den Namen Palus mareotis, Mariut, Sebaca oder Buchaira bekannt, je nach Perspektive auf das Gewässer, d.  h., ob er eher als Sumpf oder See betrachtet wurde, Flaux/Morhange/Torab/El-Assal, Alexandrie (2011), 124  f. 356 Ebd., 129; Cosson, Mareotis (1935), 75; Butzer, Mareotis (1980); Fuchs, Salz (1984); Meyers Reise­ bücher (1909), 227. Für den Anstieg war der sinkende Wasserstand des kanopischen Nilarms verantwortlich, der den See über einen Kanal mit Wasser versorgte. „It is admitted on aIl sides that no branch of the Nile terminated in Lake Mareotis, but there were certainly navigable channels leading into the lake“, Cooper, Nil (2014), 87. Al-Idrisi zufolge mündete ein Kanal in den See: „Und von dem Hauptarm, der nach Rašid geht, zweigt unterhalb von Sindijūn und Samdisi und unterhalb von Fūwa, aber oberhalb von Rašid, ein Arm vom Nil ab, der ergießt sich in einen See, der bis in die Nähe des Meeresufers reicht, und sich dann nach Westen erstreckt, bis zwischen ihm und Alexandria etwa 6 Mil sind. Von dort aus werden die Waren von den Schiffen abgeladen und zu Lande bis Alexandria transportiert“, Kahle, Geschichte (1921), 68; Al-Idrisi, Géographie. Ed. Jaubert (1836–1849), 326; Pichot, Maréotide (2011). Zuvor wurde Salz aus dem Mittelmeer gewonnen, vgl. Bergier, Geschichte (1989), 101. Dicuil und Hugo von St. Victor erwähnen in Anlehnung an Orosius einen lacus salinarum, der aber nicht identifiziert ist, Hugo, Descriptio. Ed. Dalché (1988), 173. Hugo verortet ihn nicht am Nil, sondern am Letheus, ebd., XVI, 149.

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the Canopic branch had disappeared and the former lake became a salty swamp or sabbaka.“357 Salzmarschen umgaben dieses Gewässer wie auch den weiter östlich gelegenen See Idku.358 Auf welche Methode der Salzgewinnung sich Burchards knappe Schilderung bezieht und woher das Wasser dafür genau stammte, muss vorerst offenbleiben. Doch spricht aufgrund der bereits zur Reisezeit Burchards zunehmenden Versalzung des Bodens nichts dagegen, dass schon im 12. Jahrhundert Salzgärten am Kanalufer bestanden, welche er zur Zeit der Nilschwelle gegebenenfalls tatsächlich beobachten konnte.359 Über das Phänomen der Nilschwelle unterrichtet Burchard dann genauer. Da es in Ägypten selten regnet, ist das Land abhängig von der jährlichen Nilflut von Mitte Juni bis zum Fest des heiligen Kreuzes Mitte September360: solet etiam Nilus annuatim excrescere et totam Egyptum irrigare et fecundare, quia rara est ibi pluvia. Bis zum Fest der Erscheinung des Herrn am 6. Januar geht das Wasser dann wieder zurück. Nach Rückgang des Wassers wird sofort mit der Saat begonnen. Genau unterscheidet Burchard die Arbeitsvorgänge: Zunächst wird gepflügt, anschließend gesät, im März dann das Getreide gemäht und die Ernte eingebracht.361 Neben Weizen und Gerste von bester Qualität ist von St.  Martin bis März zudem Haupterntezeit von Gemüse, Obst und Kräutern.362 Der jahreszeitliche Rhythmus ist folglich demjenigen in Europa entgegengesetzt, wo an St. Martin die Erntezeit beendet ist.

357 Cosson, Mareotis (1935), 75. 358 Cooper, Nil (2014), 69; Flaux/Morhange/Torab/El-Assal, Alexandrie (2011), 110; 128; Cavendish, World (2007), 1015. Berichtet wird in späterer Zeit auch von Salzquellen und salzigem Sand in der Gegend um Alexandria, aus denen Salz gelöst bzw. ausgedampft wurde, Ägyptische Merkwürdigkeiten (1786), 37; (dazu Staehelin, Alma [1997], 132); Krünitz, Encyclopaedie Bd. 132 (1822), 690; Russegger, Reisen (1843), 32. Weitere Salzseen lagen südwestlich der Mareotis, weitab von Burchards Route und kommen daher als Objekte eigener Anschauung nicht in Frage. Seit dem Altertum wurde im Wadi ­Natrun Natronsalz (Natriumcarbonat) abgebaut, dass unter anderem fürs Mumifizieren, Stoffbleichen, zum Räuchern und als Rohstoff für Glas wichtig war. Da das Gebiet 24 m unter dem Meeresspiegel liegt, treiben im Winter vielerorts Quellen hoch, welche im Sommer verdunsten und eine Salzkruste hinterlassen, Cosson, Mareotis (1935), 153  f.; Harnisch, Reise (1827), 222  f. 359 Bergier, Geschichte (1989), 110. Burchards Angabe, es dauere einige Zeit, bis das Salz geerntet würde, deutet auf Salzgärten hin, die mit Salzwasser geflutet werden und in denen die Auskristallisierung erst nach einigen Monaten einsetzt. Da die Salzkonzentration im Boden noch nicht so hoch war wie in der Neuzeit, nahm die Prozedur nicht Tage (wie in Wanslebs Schilderung), sondern Monate in Anspruch. 360 Das Fest wird am 14. September auch von Kopten begangen. 361 Nota quam cito aqua in decrescendo transit ubicunque terra apparet, ibi statim rusticus aratrum figit et semen mittit. In martio frumentum metunt. 362 Omne genus leguminum a festo sancti Martini usque ad martium recens colligitur. Die Jahreszeiten Unterägyptens waren nach den jahreszeitlichen Abschnitten der Überschwemmung, Aussaat und Ernte unterteilt, welche jeweils vier Monate umfassen, Stauth, Orte (2008), 171.

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Abb. 5: „Evolution du tracé du canal d’Alexandrie“, entnommen aus Hairy/Sennoune, Canal (2011), 155.

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Auch für die Viehwirtschaft zeigt sich das Klima günstig: Zweimal im Jahr würden Lämmer und Zicklein geboren – was biologisch durchaus möglich ist.363 Zum ersten Mal scheint Burchard hier von Mauleseln zu hören, deren lateinische Bezeichnung (hinnus) er nicht kennt. Im Unterschied zu Maultieren (mulus), die in Europa als Reittiere (Zelter) verbreitet waren, wurden diese kleineren Hybriden nur im Mittelmeerraum gezüchtet. Der Unterschied muss ihm aber aufgefallen sein, denn er erklärt Maulesel richtig als Kreuzung einer Eselstute und eines Pferdehengstes.364 Noch an späterer Stelle stellt er seine Kenntnis bezüglich Saumtieren und Eseln unter Beweis, wenn er den Onager als wilden Esel definiert.365 Dass der Reichtum Ägyptens vom Nil abhängig war, war seit der Antike eine bekannte Tatsache.366 Nach Isidor367 berichtete Ende des 7.  Jahrhunderts Adamna-

363 Oves et capre terre illius bis pariunt in anno, et ad minus geminum fetum proferunt. Üblicherweise werden Hausschafe und Ziegen einmal im Jahr trächtig, Paarungszeit ist im Herbst. Bei einer Tragzeit von ca. 150 Tagen und einem asaisonalen Zyklus ist es aber auch möglich, dass sie zweimal im Jahr Junge bekommen (ein bis zwei Jungtiere); vgl. Aristoteles, Tierkunde, VI, 19. Ed. Gohlke (1957), 281. 364 Maulesel entstehen durch die Kreuzung einer Eselstute mit einem Pferdehengst. Sie sind von Maultieren (mulus) zu unterscheiden, welche durch die Kreuzung einer Pferdestute und eines Eselhengstes gezeugt werden und einfacher zu züchten sind als Maulesel, Kronacher, Tierzucht (1916), 118–120; Wilckens, Grundzüge (21905), 109–114. Die Unterscheidung wird aber nicht immer gemacht. In der deutschen Übersetzung des zur Belustigung Heinrichs  II. veränderten Missales, in dem ein Kaplan famulis et famulabus durch mulis et mulabus ersetzte, handelt es sich um Maultiere und nicht um Maulesel, vgl. aber Fuhrmann, Einladung (2009), 242. 365 Onagros, scilicet asinos silvestres. Der Onager gehört zu den asiatischen Eseln (equus hemionus) und ist eine Pferdeart, Nagel/Bollweg/Strommenger, Onager (1999); Clutton-Brock, Horse (1992), 87  f. Der Onager wird im lateinischen Physiologus und der darauf basierenden Überlieferung aufgeführt, Henkel, Studien (1976), 176; auch bei Isidor, Etymologiae, XII, I (39) Ed. Lindsay (1911) und Hugo von St. Victor, De bestiis, II, 8. Ed. Migne (1854), Sp. 62. Onager und Maultier werden bei Thomas von Cantimpré und anderen Enzyklopädien definiert, nicht aber der Maulesel, Thomas von Cantimpré, Natura V, LXVIII und LXXX. Ed. Boese (1973), 148  f.; 153; vgl. auch Nischik, Naturbuch (1986), 409. Als burdo erscheint der Maulesel bei Isidor, Etymologiae, XII, I (60) Ed. Lindsay (1911). Von Eseln, Maultieren und Mauleseln berichtet auch ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 140. Zu ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (1162–1231) siehe: Stern, Abd Al-Latif Al-Baghdadi (1960); Houtsma, Abd Al-Latif (1908). 366 Cooper, Nil (2014), 15–41; Honigmann, Nil (1936); Kees, Nilschwelle (1936); Lasserre, Nilschwelle (1972). Theorien zur Nilschwelle wurden in der Antike formuliert. „Es dürfte keinen zweiten Fall geben, dass ein Einzelproblem immer wieder mit allem Für und Wider von Herodot bis Ammianus Marcellinus in mehr oder minder geschlossenen Abhandlungen erörtert wurde“, Kees, Nilschwelle (1936), Sp. 572. Aristoteles widmete der Nilschwelle eine eigene Schrift, welche im Mittelalter in Übersetzungen vorlag, Aristoteles, Liber. Ed. Bonneau (1971); Gärtner, Übersetzung (2000). An mehreren Stellen ist im Alten Testament vom Überfluss agrarischer Produkte, besonders des Getreides, in Ägypten zu lesen, dazu Kapitel IV. 367 Nilus solus eam circumfluens inrigat, et inundatione sua fecundat; unde ferax frugibus multam partem terrarum frumento alit; ceterorum queque negotiorum adeo copiosa ut inpleat necessariis mercibus etiam orbem terrarum, Isidor, Etymologiae, XIV, III (28) Ed. Lindsay (1911).

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nus368 über die Nilschwelle. Ähnlich, aber meist deutlich knapper, lesen sich die entsprechenden Einträge in enzyklopädischen Werken.369 Auch Wilhelm von Tyrus weist auf die Fruchtbarkeit Unterägyptens hin, ohne dabei näher auf die Landwirtschaft einzugehen.370 Der genaue Zeitpunkt des Hochwassers und der Erntezeiten scheinen in Europa auch nicht allgemein bekannt gewesen zu sein, zumindest wird der Zeitpunkt nicht genau bestimmt.371 Selbst Wilhelm von Tyrus, der schon über vergleichsweise genaue Informationen verfügte, schreibt nur von certis temporibus als Zeitraum der Nilschwelle.372 Diesbezügliche Unkenntnis geht auch aus der Schilderung des Zusammentreffens zwischen Balduin  IV., byzantinischen Gesandten und Philipp, dem Grafen von Flandern, bei Wilhelm von Tyrus hervor. Als Reaktion auf den Plan, in Ägypten einzufallen, antwortete der Graf von Flandern (im Jahr 1177), „er sei ein Fremder, der die Gegenden nicht kenne, und namentlich soll ja Ägypten von einer ganz besonderen Beschaffenheit sein und zu bestimmten Zeiten völlig überschwemmt werden.“373 Im Vergleich korrespondierender Passagen bezüglich der Nilschwelle in lateinischen Quellen zeigt sich die Genauigkeit von Burchards Darstellung. 368 Cui scilicet tali regioni, quae proculdubio pluviarium indiga est, Nili inrigua spontaneos imbres ministrant: utrumque est, caeli ubertas et terrae fecunditas; arua temperat et solum opimat, nautis et agricolis usui. Hi navigant, illi serunt; isti circumuechuntur navigis, illi excolunt, sine aratro serentes, viantes sine carpento. Distinctam fluentis cernas regionem et quasi quibusdam excelsa moenibus navigiorum totis domicilia terris, quae Nili fluminibus riparum marginibus ex utraque parte coherent. (…) Ob cuius itaque Niloei fluminis inundationem Aegyptii excelsos aggeres circa ripas eius construunt, qui, si custodum neglentia vel nimia aquarum eruptione rupti fuerint, subiacentes campos nequaquam rigant sed obprimunt et populantur, Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 280  f. (= Ed. Bieler [1965], 223–225.) 369 Novissime Nilus ad septentrionem inflexus, tempestiuis auctus incrementis rigat plana Egipti, Gervasius von Tilbury, Otia, II, 4. Ed. Binns/Banks (2002), 212  f.; Dicuil, Liber, VI, 4–5. Ed. Bieler/Tierney (1967), 58; Honorius, Imago, 17. Ed. Flint (1982), 57. 370 Omnis enim Egyptiacus tractus a prioribus auspiciis suis, quibus Ethiopum regioni continuari dicitur, inter duas solitudines iacet arenosas, perpetua sterilitate dampnatas, nec aliquando sentit aut prestat fructuarios proventus cuiuscumque generis, nisi quantum de beneficio exuberantis Nili certis temporibus fecundatur. Fluvius autem nonnisi quantum locorum adiacentum oportunitas permittit sua reddit irrigatione frugibus aptam regionem, nam ubi circa se planiorem reperit superficiem, liberius effusus latius etiam terram cultui prebet habiliorem et factus diffusior diffusiorem glebe porrigit ubertatem. A Cahere ergo inferius versus mare, planiora penitus inveniens loca, excursus habet liberos, unde et fecunditatem liberius latiusque procurat et regno maximum dans incrementum, fines eius dilatat, nam ab eo opido quod dicitur Facus, quod Syriam respicit, usque Alexandriam, que novissima regni illius civitas arentem contingit Libiam, centum et amplius miliaribus culti fecundique soli commoditas diffunditur, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 24. Ed. Huygens (1986), 896. 371 Beda nennt nur den Monat Mai als Beginn der Nilflut, Beda, Natura, XLIII. Ed. Jones (1975), 227. 372 Siehe Anm. 371. Nach Bernard Hamilton konnten die Lateineuropäer erst zur Zeit Amalrichs ihr Wissen über Ägypten erweitern. Die in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen und Berichte integrierte Wilhelm von Tyrus in seine Chronik. „William had not accompied the expedition, but relied on eyewitness reports“, Hamilton, Crusades (2014), 170. 373 Übersetzung aus Wilhelm von Tyrus, Geschichte. Ed. Kausler (1840), 577. Qui respondit se hominem peregrinum esse, locorum ignarum et maxime regionis Egypti, que longe ab aliis omnibus regionibus alterius dicitur esse conditionis, que certis temporibus aquis irrigetur et occupetur universa. Nos

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Ein detaillierteres Bild liefern arabische Autoren. So schreibt Al-Masudi: „Der Nil beginnt Ende Juni anzuschwellen und steigt im Juli und August weiter an. In jenen Jahren, in denen der Fluss besonders viel Wasser führt, steigt er auch noch den ganzen Monat September über. Erreicht das Wasser am Nilometer einen Pegelstand von 16 Ellen, bedeutet dies, dass das Steueraufkommen des Staates und die Versorgung der Bevölkerung gesichert sind (…).“374 Genau informiert er über die Auswirkungen der unterschiedlichen Pegelstände auf Land, Leute und Wirtschaft. Ausführlich berichten auch al-Khwarazmi, al-Yaqubi, Ibn al-Faqhi, Nāṣir-i Ḫusrau, Ibn Ḥauqal, al-Idrisi und ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī über den Nil.375 Weitere Notizen über den Nil fügt Burchard im Anschluss an die Beschreibung Matariyas an. Um seiner Leserschaft einen Eindruck von der Größe des Nils zu verschaffen, vergleicht er ihn mit der größten heimischen Bezugsgröße, dem Rhein. Doch schildert er den Nil als noch größeren Strom. Er stamme aus dem Paradies, und sei mit dem Euphrat identisch: Nilus vel Eufrates est aqua maior Rheno.376 Seine Quellen aber kenne niemand, bekannt sei nur, dass er durch eine Ebene fließt. Hier verweist Burchard ein einziges Mal selbst auf sein Vorwissen aus schriftlicher Überlieferung (nisi quantum scriptis didicimus). Allerdings bot die schriftliche Überlieferung diverse Theorien für die Herkunft des Nils an, während die realen Quellen unbekannt waren und schon in der Antike „eines der größten Rätsel“ darstellten.377 Zwar vermutete Ptolemaios ganz richtig die Herkunft dieses Stromes aus der Vereinigung zweier Flüsse im Süden Afrikas, doch fand seine Theorie erst im 15. Jahrhundert Aufnahme in die Geographie.378 Die Entdeckung der tatsächlichen Nilquellen gelang erst ab dem

autem melius nosse et locorum faciem et adeundi oportunitatem; tamen se audisse ab his qui frequenter in Egyptum descenderant, tempus ad eius impugnationem non convenire, adiecitque quod hiems in proximo erat, Egyptus vero aquis Nili restagnantis operiebatur, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 21, 15. Ed. Huygens (1986), 982  f. Wilhelm bewertete die Bemerkung des Grafen allerdings als Ausflucht: Ad hec nos, videntes quod calvas quereret occasiones (…), ebd., 983; dazu Asbridge, Kreuzzüge (2011), 332  f.; Köhler, Allianzen (1987), 295. 374 Al-Masudi, Grenzen. Ed. Rotter (1988), 171  f. 375 Al-Khwarazmi, Kitāb Ṣūrat. Ed. von Mžik (1926) (arabisch); Al-Yaʿqūbī, Kitāb al-Buldān. Ed. de Goeje (1892) (arabisch); frz. Übersetzung, Wiet, Pays (1937); Ibn al-Faqhi, Mukhtaṣar. Ed. de Goeje (1885) (arabisch); Nāṣir-i Ḫusrau, Safarname. Ed. Najmabadi/Weber (1993), 80  f.; Ebn Haukal, Geographie. Ed. Ouseley (1800), 14; 31; 154; Al-Idrisi, Géographie. Ed. Jaubert (1836–1849), 37; 304; ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 1  f. Zu weiteren Autoren siehe Cooper, Nil (2014), 107–123. Die älteste Karte des Nils und zugleich älteste arabische Karte überhaupt ist in einer Straßburger Handschrift aus dem Jahre 1037 des Kitāb Ṣūrat al-arḍ von al-Khwarazmi enthalten, Kramers, Al-Nil (1995), 39; zu Kartendarstellungen im Westen: Vagnon, Fleuves (2002). 376 Dazu Kapitel III.1.2, 111  f. 377 Cooper, Nil (2014), 22–28; Herkenhoff, Kontinent (1990), 121; Postl, Bedeutung (1970); Knütgen, Ansichten (1876); Gerhardt, Geschichte (1931). 378 Ptolemaius, Geographie IV, 8,3. Ed. Stückelberger/Graßhoff (2006), 469; Herkenhoff, Kontinent (1990), 121  f.; Postl, Bedeutung (1970), 33; Whright, Lore (21965), 304–306.

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17. Jahrhundert durch europäische Reisende.379 Im Mittelalter dominierten Vorstellungen, welche die Nilquellen im Osten oder Westen lokalisierten. Die Theorie von der Herkunft aus dem Westen geht auf das 6. Jahrhundert v. Chr. zurück. Es ist die Vorstellung eines Flusses, der aus einem „Nilisee“ entströmt und eine zeitlang unterirdisch in Mauretanien verläuft, wieder auftaucht, dann wieder verschwindet, anschließend durch Äthiopien fließt und verschiedene Inseln umrundet. Diese Theorie wurde v.  a. durch Plinius weitergegeben,380 dem sich u.  a. Solinus381, Martianus Capella382, Dicuil383 und der Anonymus de situ orbis384 anschlossen. Einen unterirdischen Flussverlauf vermutete auch Orosius, der um die Lokalisierung der Quellen im Westen weiß, den Nil, wie später auch Isidor und Beda, aber am Roten Meer entspringen lässt und damit zwei Möglichkeiten zur Disposition stellt.385 Kartographische Darstellungen orientierten sich häufig an Orosius, gaben aber meist nur die westliche Variante des Flussverlaufs wieder.386 Die westliche Nilquellentheorie „musste auch glaubwürdiger erscheinen als die südliche Ansetzung der Nilquellen, da man sich ja Afrika noch nördlich des Äquators durch den Ozean begrenzt dachte, so dass für eine südliche Entwicklung des Nils kein Raum blieb.“387 Parallel dazu war aus der

379 Als erster Europäer entdeckte der Jesuitenmissionar Pedro Paéz die Quellen des Blauen Nils 1613; Jéronimo Lobo beschrieb 1622 die Quellen, James Bruce machte sich ebenfalls dorthin auf. Zu den Quellen des Weißen Nils wurden im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von Expeditionen unternommen, bekannt sind u.  a. Frédéric Cailliaud, John Hanning Speke und Richard Francis Burton, James August Grant, David Livingstone, Oskar Baumann, Oskar Lenz und Richard Kandt. Berichte über diverse Expeditionen finden sich in der Bibliothek der Gesellschaft für Erkunde zu Berlin. Nach Gründung des Kaiserreiches erhielt die deutsche Afrikaforschung finanzielle Unterstützung, erste Institute für Afrikanistik wurden ins Leben gerufen und Unternehmungen im kolonialen Kontext ab 1884 gefördert, Günther, Afrikaforschung (2008); Fiedler, Abenteuer (2005). 380 Plinius, Naturkunde, V, 10. Ed. Winkler/König (1993), 43–47; Postl, Bedeutung (1970), 18–26. Plinius geht von zwei verschiedenen Quellen aus, zur Identifizierung der bei Plinius genannten Flüsse siehe ebd., 23; Knütgen, Ansichten (1876), 7; Simar, Géographie (1912), 88. 381 Solinus, Collectanea, 32, 1–8. Ed. Brodersen (2014), 228–230. 382 Martianus Capella, De nuptiis, VI 676. Ed. Willis (1983), 240. Nilus autem ipse incertis ortus fontibus creditur, cum Iuba rex eum a monte inferioris Mauretaniae de lacu Nilide oriri significet, quod animalibus isdem et argumentis feturae parilis approbatur. 383 Dicuil, Liber, VI, 6–12. Ed. Bieler/Tierney (1967), 60–63. 384 Anonymus, II, 5, 2–6. Ed. Quadri (1974), 46. 385 Paulus Orosius, Historiae, I, 2, 28–33. Ed. Zangemeister (1889), 7  f.; Isidor, Etymologiae, XLIII 1. Ed. Lindsay (1911); Beda, Natura, XLIII. Ed. Jones (1975), 227; Janvier, Géographie (1982), 206–212. Isidor und Beda geben die Herkunft der Nilquellen im jeweiligen Genesiskommentar allerdings abweichend wieder. 386 Häufig ist der Nil in der Nähe des Atlasgebirges eingezeichnet. Die von Orosius nur „angedeutete Möglichkeit einer unterirdischen Verbindung beider Flüsse“, den Orosius Dara oder Nuchul nennt, wird damit auf Karten des 8. Jahrhunderts (so auf der vatikanischen Isidorkarte und den Beatuskarten) zur Realität, Herkenhoff, Kontinent (1990), 125  f. Die Beatuskarte der vierten Rezension zeigt zwei Flüsse, die getrennt ins Mittelmeer strömen, dazu ebd. 127 Anm. 23. 387 Ebd., 130; Postl, Bedeutung (1970), 26; Knütgen, Ansichten (1876), 10.

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Genesis die Vorstellung der vier Paradiesströme überliefert.388 Ausschlaggebend für die Identifizierung des Nils mit dem Geon war die Übersetzung des Landes Kusch in der Septuaginta mit Äthiopien.389 Die Lokalisierung des Paradieses im Osten warf das Problem auf, diesen Ort mit antiken geographischen Kenntnissen in Einklang zu bringen, war aber weithin akzeptiert.390 Genaueres Wissen bezüglich der Nilquellen besaßen auch arabische Autoren mangels Erfahrung nicht, denn der südlichste Punkt arabischer Herrschaft war Dongola. Bei der Angabe der Nilquellen orientierten sie sich ebenfalls an antiken Theo­rien, korrespondierten jedoch nicht in allen Punkten mit diesen.391 Daneben bestand die Vorstellung einer Verbindung mit einem Fluss, der in den Indischen Ozean fließt. Al-Dschahiz soll Nil und Indus auf die gleiche Quelle zurückgeführt haben.392 Bei al-Masudi findet sich auch die jüdische und christliche Tradition des Paradiesflusses, ebenso war die Vermutung eines westlich gelegenen Ursprungs im Umlauf.393 Insgesamt ergibt sich für die Vorstellungen vom Nilverlauf ein variantenreiches Bild. Die Widersprüche in Burchards Angaben hinsichtlich der Herkunft des Nils und seine Anspielung auf die Bandbreite der älteren Erklärungsversuche legen nahe, dass er diese als unbefriedigend einschätzte und er entgegen der vorherrschenden Meinung die Identifikation des Nils mit dem Euphrat favorisierte.394 Auf Vorkenntnissen beruhen allem Anschein nach auch seine weiteren Aussagen über den Nil. Dessen Wasser sei trüb und reich an Fischen, die aber kaum etwas taugten.395 Zudem lebten hier Nilpferde und eine Unmenge von Krokodilen. Burchard benennt das Nilpferd als „ungezähmtes Pferd“ (equus indomitus). Die Assoziation mit

388 Kapitel III.1.2. Anm. 210. 389 Grimm, Paradisus (1984); Schlee, Ikonographie (1937); Herrmann, Nil (1959), 38–43; Hölscher, Erdkarten (1949), 40; 43  f. 390 Vgl. Isidor, Etymologiae, XIV, 3, 2–4. Ed. Lindsay (1911). Zu den Übernahmen bei mittelalterlichen Autoren siehe Kapitel III.1.2. Anm. 212. 391 „It is a curious fact, however, that the information on this subject which we find uniformly repeated in the Islamic sources from the treatise of al-Khwarazmi (ca. 215/830) onwards gives an idea of the origin of the Nile which does not correspond entirely to the data furnished by the classical sources. This conception makes the Nile emerge from the Mountains of the Moon (Djabal al-Kamar) to the south of the equator; from this mountain come ten rivers, of which the first five and the second five reach respectively two lakes lying on the same latitude; from each lake one or more rivers flow to the north where they fall into a third lake and it is from this lake the the Nile of Egypt begins. This conception is largely schematised and corresponds only partly to Ptolemy’s description of the Nile sources (…)“, Kramers, Al-Nil (1995), 39. 392 Ebd., 40. 393 Al-Masudi, der sowohl auf Ptolemäus, wie auch al-Dschahiz und die Paradiestheorie verweist, diskutiert die unterschiedlichen Theorien, Al-Masudi, Grenzen. Ed. Rotter (1988), 34  f. Bezüglich alDschahiz geht es um den Mihrân-Fluß, der jedoch kein Zufluss des Nil ist. 394 Dazu III.1.2, 111. 395 Planum habens decursum aqua turbulenta, piscibus suberabundans, sed non multum valent.

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einem Pferd steht in Anlehnung an Aristoteles schon bei Plinius396 und findet sich bei mehreren weiteren Autoren, die das mit den Schweinen verwandte Tier als equus fluviales, equus maris, equus fluminis oder Ypotamus bezeichnen.397 Die von Burchard gewählte Formulierung wird sonst nicht gewählt und scheint von ihm zu stammen. Wenn er es mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte er es wohl anders beschrieben. Nilpferde waren in Unterägypten allerdings seit der Antike nahezu ausgerottet.398 Seit der Antike wurde der Nil besonders mit Krokodilen in Verbindung gebracht.399 Diese Reptilien schildern durchgehend auch mittelalterliche Autoren, wobei das Aussehen mit unterschiedlichen heimischen Tieren verglichen wurde und ihm negative Eigenschaften zugeschrieben wurden.400 Nach Burchard ähneln sie Eidechsen, der

396 Plinius, Naturkunde, VIII, 39. Ed. König/Winkler (1976), 76  f.; Aristoteles, Tierkunde, II, 7, 9. Ed. Gohlke (1957), 90. Die früheste erhaltene Beschreibung liefert Herodot, Herodot, Historien, II, Kap. 71. Ed. Feix (2001), 260  f.; Toynbee, Tierwelt (1983), 113–115. 397 Solinus, Collectanea, 32, 30. Ed. Brodersen (2014), 234  f.; Isidor, Etymologiae, XII, VI, 3. Ed. Lindsay (1911); Hugo, Descriptio, XV. Ed. Dalché (1988), 147; Thomas von Cantimpré nahm es unter drei verschiedenen Namen auf, Thomas von Cantimpré, Natura VI, 18–20; 28. Ed. Boese (1973), 239  f.; 241  f. Zahlreiche Quellen nennt: Obermaier, Irrtümer (2011); Dies., Flusspferd (2011). Zum Nilpferd in der Antike und im Mittelalter siehe auch: Hünemörder, Nilpferd (2002); Ders., Nilpferd (2006); Steier, Nilpferd (1936); Peter, Equus (21996); Keller, Tierwelt I (1909), 406  f. Auch Al-Masudi beschreibt das Tier als Pferd: „Das Nilpferd ähnelt dem Pferd, doch hat es andere Hufe und einen anderen Schwanz, und seine Stirn ist größer“, Al-Masudi, Grenzen. Ed. Rotter (1988), 180. Auf die Ähnlichkeit mit Schweinen weist hingegen ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī hin, der damit die älteren Ansichten korrigiert, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 143  f. „L’hippopotame (…) se trouve dans la partie basse du pays, et particulièrement dans la rivière de Damiette. C’est un animal très-gros, d’un aspect effrayant, d’une force surprenante (…). Sa figure a plus de rapport avec celle du buffle qu’avec celle du cheval (…) Des personnes qui avaient souvent chassé et pris des hippopotames, les avoient ouverts et avoient examiné la forme de leurs parties externes et internes, m’ont assuré que c’est une espèce de porc gigantesque, et que toutes ses parties, tant extérieures qu’intérieures, ont une parfaite conformité aves celles du cochon et n’en diffèrent que par les dimensions.“ Im Unterschied zum Krokodil wurde das Flusspferd nicht in die lateinischen Bestiarien aufgenommen und gehört nicht zum Repertoire des Physiologus, Obermaier, Irrtümer (2011), 138–144. In den deutschsprachigen Versionen des Alexanderromans werden Nilpferde durch Krokodile oder nicht bestimmbare Wassertiere ersetzt, fungieren aber grundsätzlich als „Gefahren des Wassers“, ebd., 148–163; Pastoureau, Bestiarium (2013). Burchard stellt den Aspekt der Gefahr und der Lebensbedrohung hingegen nicht in den Vordergrund. 398 Die letzten lebenden Flusspferde des Nildeltas wurden im 19. Jahrhundert getötet. 399 Toynbee, Tierwelt (1983), 211–213; Gossen-Steier, Krokodile (1922); Hünemörder, Krokodil (2002); Ders., Krokodil (1999); Krenkel, Krokodil (1969). Schon Pausanias verbindet Krokodile mit dem Nil, Plinius, Naturkunde, VIII, 37. Ed. Winkler/König (1976), 72  f.; Aristoteles, Tierkunde, II, 9, 10. Ed. Gohlke (1957), 92. Die früheste erhaltene Beschreibung liefert Herodot, Historien, II, Kap. 70. Ed. Feix (2001), 260  f.; Keller, Tierwelt II (1909), 260–270; dazu auch Kapitel IV. 400 Cujus figuram portant hypocritae sive luxuriosi atque avari, quia, quamvis vente superbiae inflentur, tabe luxuriae maculentur, avaritiae morbo offuscentur tamen rigidi ac velut sanctissimi in sanctificationibus legis coram omnibus incedere hominibus sese ostendunt, Hugo von St. Victor, De bestiis, II, 8. Ed. Migne (1854), Sp. 60.

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Kopf jedoch gleicht dem einer Sau mit sehr großen Zähnen: Quod genus animalium ad modum lacerte formatum est, quatuor habens pedes, curta crura et grossa. Caput eius quasi caput scrofe. Et animal illud crescit in longum et in latum, maximos habet dentes. Bei Sonnenschein kommt es hervor und tötet sowohl Tiere als auch Kinder. Seine Darstellung weist Übereinstimmung mit Beschreibungen anderer Autoren auf, gleicht diesen jedoch nicht.401 Von Fischen und trübem Wasser berichten ebenfalls antike und arabische Autoren,402 die Qualität des Wassers kann Burchard aber auch selbst begutachtet haben. Kategorien der Beschreibung des Nils bei Burchard sind primär das Naturphänomen der Nilschwelle und dessen agrarökonomische Nutzungsmöglichkeiten, Anbaumethoden, Erntezeiten und Erträge. Auf seit der Antike bekannte Topoi verzichtet er nicht: So haben die „Rivalität von Regen und Nil“,403 unbekannte Nilquellen und menschenfressende Krokodile ihren Platz in seiner Darstellung. Seine Informationen über die „verkehrte Welt“ Unterägyptens, wo der Sommer Feuchtigkeit und der Winter Ernte bringt,404 offenbaren ein landwirtschaftliches Interesse, sind aber auch von militärischem und strategischem Nutzen. Vom Zeitpunkt der Nilschwemme hing die Trinkwasserversorgung in Alexandria ab, zudem waren die Verkehrswege zu Land und zu Wasser davon betroffen. Genaue Informationen über den Zeitpunkt und die Auswirkungen der Nilflut waren für die Versorgungslage und den Erfolg militärischer Unternehmungen erheblich. Auf eine schriftliche Vorlage griff Burchard vermutlich nicht zurück. Vielmehr memorierte er Wissen und Vorstellungen über den Nil, um das neu erworbene mit dem bereits bekannten Wissen zu verbinden. Seiner Ansicht nach überflüssige oder anderweitig nachzulesende Informationen sparte er aus und war bemüht, Wissen zu hierarchisieren und abhängig von der Plausibilität in seinen

401 Vgl. die Darstellungen bei Solinus: Crocodilus malum quadrupes et in terra et in flumine pariter valet: linguam non habet: maxillam movet superiorem. morsus eius horribili tenacitate conveniunt, stipante se pectinatim serie dentium. plerumque ad viginti ulnas magnitudinis evalescit. (…); Solinus, Collectanea, 32, 21–28. Ed. Brodersen (2014), 234  f. Ähnlich auch Isidor, Isidor, Etymologiae, XII, VI, 19. Ed. Lindsay (1911), und Adamnanus: Corcodrilli, ut Arculfus refert, in Nilo fluvio aquaticae commorantur quadrupedes bestiae non grandes, valde edaces et in tantum validae ut una etiam ex eis, si forte equum aut asinum vel bovem iuxta ripam fluminis herbas carpentem invenire potuerit, subita inruptione emergens invadat vel etiam animantis unum pedem mordens et sub aquas trahens penitus totum devoret animal, Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 283 (= Ed. Bieler [1965], 225.) Eine Unmenge Krokodile will auch der Pilger aus Piacenza gesehen haben, Antonini Placentini, Itinerarium. Ed. Geyer (1965), 152. Ähnlich stellen es auch dar Hugo von St. Victor, De bestiis, II, 8. Ed. Migne (1854), Sp. 60; Thomas von Cantimpré, Natura VI, 7. Ed. Boese (1973), 235  f. Vgl. auch die Schilderungen bei Ebn Haukal, Geographie. Ed. Ouseley (1800), 31  f.; ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 141. 402 Kramers, Al-Nil (1995), 42  f.; Honigmann, Nil (1936), Sp. 565; ausführlich bei ʿAbd al-Laṭīf alBaġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 146  f. 403 Herrmann, Nil (1959), 54. 404 Vgl. ebd., 55.

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Bericht zu integrieren.405 Der Abschnitt enthält darüber hinaus Hinweise auf die Prädisposition des Autors, dessen Blick von einem agrarökonomischen Interesse gelenkt wurde.406 Wenn nicht durch schriftliches Wissen vermittelt, waren die von Burchard festgehaltenen Auskünfte nur von Personen zu erhalten, welche hier ansässig waren oder sich zumindest eine Zeitlang in Unterägypten aufgehalten hatten. Ebenso konnten europäische Händler und Kaufleute über dieses Wissen verfügen, wenn ihnen auch der Aufenthalt außerhalb Alexandrias untersagt war. Erst im 13. Jahrhundert wurde das Wissen über Ägypten und den Nil durch die Kreuzzugsunternehmen erweitert. Den Wissenszuwachs dokumentiert La devise des Chemins de Babiloine, eine militärstrategische Beschreibung Unterägyptens, welche in Aussicht auf einen weiteren Kreuzzug im Kreis der Johanniter unter Fulko von Villaret vermutlich 1306/1307 entstand.407 Dieses Schriftstück liefert eine nach Land- und Wasserweg differenzierte Angabe der Routen nach Kairo von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus, indem es die einzelnen Etappen der Landroute präzise auflistet.408 Ein vager Hinweis auf Begleitpersonen und Trägergruppen des niedergelegten Wissens ist aus Burchards Bemerkungen bezüglich der Ortschaften abzuleiten, die er auf dem Weg passierte.409 Nähere Angaben zu den Dörfern und Städten auf der

405 Festgehalten wird nur das selbst Erfahrene und geprüftes Wissen, vgl. dagegen die Schilderung von Monstern und Äthiopiern am Nil bei Hugo von St. Victor: Hic igitur fluvius magna et mira monstra in Ethiopia gignit. Sunt enim illic homines, si tamen homines dicendi sunt, qui nunquam igne utuntur. Alii carent auribus, alii naribus, alii ore, et ideo calamo pascuntur. Alii linguis carentes signis loquuntur. Alii sunt bicipites, duo capita in uno corpore habentes, alii quatuor oculos in uno capite, quidam etiam sine capite in pectores oculos habentes, Hugo, Descriptio XV und XVI. Ed. Dalché (1988), 147; vgl. auch Gervasius von Tilbury, Otia, II, 4. Ed. Binns/Banks (2002), 212–215. 406 Vgl. Borgolte, Experten (2011), 987; Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 475. 407 Ediert in: Projets. Ed. Paviot (2008), 199–220; (siehe dazu Zouache, Croisades [2010], 519) und Devise. Ed. Michelant/Raynaud (1882); Rey, Colonies (1883), 141–149. Robert Irwin argumentiert für die Datierung in das Jahr 1306 entgegen der früheren Datierung 1289–1291, Irwin, Miles (2010). Das Schriftstück entstand in der Absicht, Papst Clemens  V. und die europäischen Herrscher zu einem weiteren Kreuzzugsunternehmen kleineren Ausmaßes (passagium particulare im Unterschied zum passagium generale) zu bewegen, welches 1309–1310 in die Tat umgesetzt wurde, Projets. Ed. Paviot (2008), 26–29. Es gibt verschiedene Wege an, um Kairo zu erreichen und liefert Informationen über die Stärke der mamlukischen Streitkräfte. „This source shows a very detailed knowledge of the topography of the delta, the fruit of 150 years of campaining and trading there“, Hamilton, Crusades (2014), 171. Siehe auch Riley-Smith, Knights (2012), 85; Kedar/Schein, Projet (1979); Schefer, Etudes (1884). 408 Dabei wurden besonders die veränderten Bedingungen im Nildelta während der Nilschwelle berücksichtigt, war doch der Kreuzzug von 1221 an deren falscher Einschätzung gescheitert, Projets. Ed. Paviot (2008), 29  f; Richard, Histoire (1996), 355. Zwei Routen gibt auch Ibn Fadl allah al-Umari an, Projets. Ed. Paviot (2008), 30. 409 Jacques Paviot stellt ebenso die Frage der Herkunft des Wissens in Bezug auf die Johanniter und die in der Devise enthaltenen Informationen: „Je ne peux que revenir à ce qu’a écrit Fidence de Padoue: si on le suit, il doit s’agir de Chrétiens égyptiens, travaillant dans l’administration mamelouke

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Strecke macht er dabei nicht, einziger Bezugspunkt sind die hier ansässigen Christen, welche dem Sultan tributpflichtig sind und in Armut leben: Per totam Egyptum Christiani habitant in civitatibus et in villis, regi Babylonie solventes certum tributum. Et fere quelibet villa habet ecclesiam Christianorum. Ipsum autem genus hominum miserrimum est et miserere vivit. Möglicherweise befand sich Burchard auf seinem Weg durch das Niltal in Begleitung von Christen (Kopten oder Melkiten), die ihm diese In­for­ma­tionen vermittelten und vielleicht auch ansässige Christen bei einem Halt aufsuchten. Welchen Weg Burchard letztlich von Alexandria nach Fustat nahm, zu Wasser oder zu Lande, erschließt sich aus seiner Darstellung nicht. Üblich war der Wasserweg, der Landweg wurde nur in Ausnahmefällen genommen. Da er sich so auf den Nil und die Nilschwelle konzentrierte und die Angabe von nur drei Tagen für den Landweg nach Fustat reichlich knapp erscheint, ist unter Vorbehalt anzunehmen, dass er zumindest einen Teil des Weges auf dem Wasserweg zurücklegte.410 Die in der Devise des Chemins de Babiloine mitgeteilte Route dürfte dann mit der von Burchard weitgehend identisch sein.411

III.1.4 Neu-Babylon und Kairo Ziel der Reise durch das Nildelta waren die Städte Nova Babylonia und Kairo. Mit dem Toponym Babylonia wurde in der Antike eine römische Festung am Ostufer des Nils gegenüber der Nilinsel Roda bezeichnet, deren Ursprünge auf eine von den Persern

et qui avaient des sympathies pour les Latins, qui ont transmis ces informations. (…) Certains Egyptiens pratiquaient aussi le commerce, licite ou non, avec les Latins“, Projets. Ed. Paviot (2008), 31. 410 Vgl. die Beschreibung bei al-Idrisi, Al-Idrisi, Géographie. Ed. Jaubert (1836–1849), 313; 326; siehe Anm. 356; Cooper, Nil (2014), 162  f. 411 D’Alixandre jusques en Babiloine sy a ij chemines: L’un est communaulment moult usé de marchans et d’autre gent qui vont d’Alixandre en Babiloine. Premierement, d’Alixandre jusques a Camloquin [Qûmbâniyyat Lûqîn], liues.iij.; Item, de Camloquin jusques a Tharhet Therange, liues.iij.; Item de Tharhet Therange a Demenhour [Damanhûr], liues.iiij.; Item, de Damenhour jusques a la Cane [Al-Khan?], liues. ij.; Item, de la Cane jusques a le Frestac [Al-Farastaq], liues iij.; et la covient passer l’une des branches dou flum qui vait au Ressid et descendre en la Garbye en une ville qui s’appelle Frestac.Item, de le Frestac jusques a la Aahrerie [Heerie], liues.ij. Et la se joignent les.ij. chemins, celui d’Alixandre et d’El Foe au propre chemin qui vait en Babiloine, lequel est desus escrit. Some d’Alixandre jusques a la Aaherie: liues.xxvij. Item, l’autre chemin qui part d’Alixandre jusques a Babiloine, costeant au desert sanz peril d’aigues ne passage de flum. Qui voudra monter au Caire et en Babiloine, et la l’ost de Babiloine peut legierement passer le flum, si veut avoir la bataille pour ce qu’il ont grant multitude de vaissaus. Tout premierement, a partir d’Alixandre jusques a Blouc, liues.iij.; Item, de Blouc jusques a Tharange, laquelle est bone ville et de grant fait, liues.ij.; Item, de Tharange jusques al Zahfarami [Al-Za’farânî], liues. viij.; Item, d’El Zahpfarani jusques a Hauvramsis, liues.vij.; Item, d’El Hauvramsis jusques a al Terrana [Al-Tarrâna], liues.viiij.; Item, d’El Tarrane jusques au Caire, liues.ix. Some d’Alixandre jusques au flum devant Babiloine: liues.xxxvij, Projets. Ed. Paviot (2008), 218  f.

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im 6.  Jahrhundert v. Chr. errichtete Anlage zurückgehen.412 Der Name beruhte auf einer griechischen Fehllesung der altägyptischen Ortsbezeichnung „Haus des Nils von Heliopolis“.413 Um Verwechslungen vorzubeugen hieß der Ort meist Babylonia in Egypto.414 Als Standort einer der drei Legionen war Babylon unter römischer Herrschaft wichtigste militärische Bastion im Land und erlangte bald großen wirtschaftlichen Einfluss. In der Spätantike wuchs die Stadt über die Grenzen der eigentlichen Festung hinaus; entsprechend bezeichnete der Ortsname Babylon das gesamte besiedelte Gebiet zwischen Kastell und Heliopolis im Norden, auch der Bischofssitz befand sich außerhalb der Festungsanlage.415 Die Bevölkerung Babylons setzte sich hauptsächlich aus Kopten, Melkiten und Juden zusammen und zeichnete sich durch ethnische und religiöse Heterogenität aus. Nach der arabischen Eroberung des Kastells im Jahre 641 zogen die muslimischen Besatzer nicht in die Festung, sondern überließen diese der unterworfenen christlichen Bevölkerung.416 Während ein Teil des Heeres weiter nach Alexandria zog, erhielten die verbliebenen Kontingente der verschiedenen arabischen Clans einzelne Parzellen um das Hauptlager des Feldherren ʿAmr ibn al-ʿĀṣ herum und bauten ihr Heerlager ringförmig um das Kastell zur ersten islamischen Ansiedlung aus,417 deren 412 Erwähnung findet Babylon schon bei Strabon, Geographika, XVII, 1, 30. Bd. 4. Ed. Radt (2005), 460–463, und Diodorus, Weltgeschichte, I, 56.3. Ed. Wirth (1992), 87. Die Identifikation des römischen mit dem persischen Standort ist umstritten, da Strabon das persische Kastell auf einer Anhöhe beschreibt, das römische hingegen am Ufer des Nils lag, Abu-Lughod, Cairo (1971), 5 Anm. 6. Die Höhenunterschiede können aber mit den schwankenden Wasserständen des Nils erklärt werden. Zu Babylon siehe Sheehan, Babylon (2010); Corteggiani, Site (2000), 50–55; Raue, Heliopolis (1999), 28; Grossmann, Babylon (1991). 413 Casanova, Noms (1901), 197–199; Gardiner, Onomastica Bd. 2. (1947), 143. 414 In griechischer Zeit verlor die Festung an Bedeutung, wurde aber nach der Inbesitznahme Ägyptens durch Augustus im Jahr 30 v. Chr. als römisches Kastell wieder aufgebaut. Trajan ließ den schon in pharaonischer Zeit gebauten Kanal, der die Gräben des Kastells mit Wasser versorgte, erneuern, Halm, Kalifen (2003), 26  f.; Grossmann, Babylon (1991), 317. 415 Ebd., 317. 416 Kaegi, Egypt (1998), 54  f.; Kennedy, Egypt (1998), 62. In frühen arabischen Quellen hieß Babylon Alyūna, Abu-Lughod, Cairo (1971), 6. Das Kastell wurde arabisch Qasr aš-Šamʿ (Kastell der Kerzen) genannt. Die Kirchen innerhalb der Festung stammen allesamt aus arabischer Zeit, Coquin, Edifices (1974); Denoix, Siècles (2000), 58–63. 417 Da Babylon westlich vom Nil und südöstlich von der Gebirgskette des Muqattamgebirges umgeben war, hatten die Araber 300  Meter nördlich ihr Lager errichtet. Der Nil verlief damals einen Kilometer weiter östlich vom heutigen Flusslauf, die Nilebene war deutlich schmaler. „Most of contemporary Cairo is built on land which lay either permanently or periodically submerged under the river in the seventh century. (…) As early as the tenth century, natural silting began to build up the land below water level“, Abu-Lughod, Cairo (1971), 9 (mit Karte). Janet Abu-Lughod lokalisiert das Lager in Heliopolis (ʿAin Šams), ebd., 6. In der Mitte der neuen Siedlung stand die nach dem Heerführer und Gefährten Mohammeds benannte ʿAmr-Moschee. ʿAmr errichtete damit die erste Moschee Afrikas, Wensinck, ʿAmr ibn al-ʿĀṣ (1960). 1171 ordnete Saladin in dieser Moschee die Freitagspredigt im Namen des sunnitischen Kalifen von Bagdad an, Barrucand, Kairo (2005), 265. In Babylon gab es erst in der Fatimidenzeit eine Moschee, Halm, Kalifen (2003), 27.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Name Fustat auf den militärischen Charakter verwies.418 Mit fortschreitender Urbanisierung füllten sich die zwischen den Parzellen absichtlich gelassenen Freiflächen, die neue Siedlung schmolz mit Babylon zu einer Stadt mit administrativen und kommerziellen Funktionen zusammen. Wichtige politische Funktionen verlagerten sich zunehmend von Alexandria nach Fustat. In ökonomischer und politischer Hinsicht war Alexandria nurmehr vorgelagerter Hafen der neuen Hauptstadt.419 Durch den Zuzug nichtarabischer Handwerker und Händler differenzierte sich die Stadtbevölkerung Fustats, die ethnische Segregation in Stadtviertel ging mit der Zeit verloren.420 Bis ins 7.  Jahrhundert wurden Babylon und Fustat in der arabischen Literatur noch unterschieden,421 dann setzte sich der Name Fustat durch, oft begegnet auch die Bezeichnung Miṣr.422 Benjamin von Tudela, der die große jüdische Gemeinde Fustats zur Zeit der Fatimiden besuchte, benennt die Stadt mit dem hebräischen Namen Mizraim.423 Im lateinischen Kulturraum blieb Babylon als Bezeichnung erhalten und schloss die arabische Gründung mit ein.424 Besonders in der Geschichtsschreibung der Kreuzzüge wurde der Name Nova Babylonia für den Regierungssitz des „Königs von Babylon“, i.  e. den fatimidischen Kalifen und dann den ayyubidischen Sultan gebräuchlich.425 Meist wurden dabei in Unkenntnis der genaueren Topographie ver-

418 Das arabische Wort Fusṭāṭ bedeutet Zelt, daneben wird der Name mit der arabisierten Form von fossatum erklärt, Denoix, Siècles (2000), 68. Araber errichteten ihre Lager meist am Rand der Wüste nach ähnlichem Muster, die Siedlung hatte Ähnlichkeiten mit Baṣra und Kūfa. Enge Bebauung widersprach der nomadischen Gewohnheit. Die unterschiedlichen Clans blieben getrennt; die Aufteilung trug tribalen Oppositionen Rechnung, Abu-Lughod, Cairo (1971), 13; Denoix, Siècles (2000), 68  f. Zu Fustat siehe AlSayyad, Cairo (2011), 39–54; Denoix, Cities (2008); Scanlon, Riddle (1994); Kubiak, ­Fustat (1987); Rogers, Al-Fusṭāṭ (1965). 419 Décobert/Empereur, Alexandrie (2011), 9. Unter den Fatimiden und Ayyubiden nahm Alexandria in wirtschaftlicher Hinsicht den zweiten Rang nach Kairo ein, Bramoullé, Alexandrie (2011); François, Céramiques (1998), 57. Enge personelle Bindungen bestanden zwischen Kairo, Fustat und Alexandria: „L’on sait, par des documents de la Geniza que l’on cite souvent, que les réseaux marchands s’activant à Alexandrie étaient en bonne partie hors de la ville, qu’ils étaient précisément à Fustât, et au Caire dans l’entourage immédiat de la famille régnante“, Décobert/Empereur, Alexandrie (2011), 11. 420 Halm, Kalifen (2003), 29. Den Angaben Ibn Hauqals folgend, der angibt, die Größe von Miṣr (Fustat) betrage ein Drittel derjenigen von Bagdad, geht Heinz Halm von 300 000 Einwohnern im 10. Jahrhundert aus, ebd., 32. 421 Arabische Quellen sind aufgeführt bei MacKenzie, Cairo (1992), 6. Zu den Vororten und Stadtteilen siehe Kubiak, Al Fustat (1982). 422 Miṣr bedeutet Ägypten; Wortdeutungen bei Al-Maqrīzī, Description, 1. Teil. Ed. Bouriant (1895), 48–60. 423 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 44  f. Kairo nennt er Zoan, ebd.; vgl. die Orts­ bezeichnung in Psalm  78, 12; Jes  19, 11 und 30, 4. Zu jüdischen Händlern siehe Toch, Netzwerke (2010). 424 Dopp, Caire (1950), 119. 425 Casanova, Noms (1901), 150; Scharff, Rückkehr (2007), 172  f. Vgl. Fulcher von Chartres, Historia, I. c. 31, 1. Ed. Hagenmeyer (1913), 311; Ekkehard von Aura, Frutolfs und Ekkehards Chroniken. Ed. ­Schmale (1972), 154  f. (zum Jahr 1099); Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers (2011), 506  f.

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schiedene Stadtgründungen unterschiedlicher Epochen mit der Vorgängersiedlung Babylon identifiziert.426 So setzte Otto von Freising Babylon sowohl mit der altägyptischen Pharaonenstadt Memphis427, die ca. 18 km von Babylon entfernt am westlichen Nilufer lag, wie auch mit der Residenzstadt Kairo nördlich von Babylon gleich, wenn Babylon als Regierungssitz des ‚Königs‘ angegeben wird.428 Anlass zur Identifikation mit Babylon gab die Nachbarschaft der Städte, welche allesamt an der Grenze zwischen Unter- und Oberägypten in dem strategisch äußerst günstigen Gebiet am südlichen Rande des Nildeltas, der Kornkammer Ägyptens, lagen.429 Eine genauere 426 Gleichsetzungen der Städte Memphis, Babylon und Miṣr kommen auch in koptischen Scalae (Wortlisten) vor, Casanova, Noms (1901), 150–154. 427 Memphis war seit etwa 3000 v. Chr. Residenz, seit der 1. Dynastie wurde hier der Gott Ptah verehrt, große Nekropolen dienten als Begräbnisort der Verwaltungsspitze, Jeffreys/Tavares, Landscape (1994). Nach ägyptischer Überlieferung wurde Memphis von König Menes erbaut, Franke, Metropolen (2002), 2, Otto nennt dagegen Kambyses als Stadtgründer, Otto von Freising, Chronik, II, 15. Ed. Lammers (2011), 132. Ab ca. 2000 v. Chr. löste Theben (mit Beginn der 11. Dynastie) Memphis als Machtund Kultzentrum ab, Memphis blieb aber noch lange politisches Zentrum, Franke, Metropolen (2002), 4. Mit Beginn der 18. Dynastie begann der Aufstieg von Heliopolis als religionspolitisches Zentrum – als „Gottesstadt“ mit der größten Tempelanlage –, besaß aber keine „realweltliche“ Bedeutung und ist als Siedlung archäologisch schwer greifbar, ebd., 5; Jeffreys, Topography (1998). Zeitgleich begann der Wiederaufstieg und eine neue Blütezeit Memphis‘ als Königsresidenz, es setzte sich aber die Idee einer Trias der Landeshauptstädte Memphis, Theben und Heliopolis mit unterschiedlichen Funktionen durch, der die „Trias der großen Götter Ägyptens entspricht“: Amum, Re und Ptah, Franke, Metropolen (2002), 7. Im Verlauf der altägyptischen Geschichte blieb Memphis mit seiner günstigen geographischen Lage die „Konstante“ zwischen wechselnden Residenzen, erst unter Alexander dem Großen verlagerte sich das Gewicht nach Alexandria, Corteggiani, Site (2000), 32–50. Eine Verbindung Babylons bestand jedoch eher zu Gizeh am gegenüberliegenden Nilufer als zu Memphis, AbuLughod, Cairo (1971), 6. 428 Porro ea, quae nunc vulgo, ut dixi, Babylonia vocatur, non super Eufraten, ut illi putant, sed super Nilum circiter VI dietas ab Alexandria posita est, ipsaque est Memphis a Cambise filio Cyri olim Babylonia vocata. Et ibi rex Egyptiorum, quamvis caput regni sui Alexandria sit, propter ortum balsami morari dicitur. Quod etiam ex hoc perpendi potest, quia, cum in utraque Christiani, sed sub tributo, maneant urbe, Mempheorum episcopus Alexandrinorum patriachae iure ecclesiastico subditus est, quem non Assiriis seu Babyloniis, sed Egyptiis et Affricanis ex prima institutione et Nicei concilii auctoritate prelatum fuisse invenimus, Otto von Freising, Chronik, VII, 3. Ed. Lammers (2011), 504  f. (Bei den von Otto unterschiedenen Patriarchen handelt es sich um dieselben Amtsträger, siehe Kapitel III.1.2.) Vgl. auch Gervasius: Menfin, hoc est Babiloniam minorem, cuius munitio Caire dicitur, et Alexandriam, Gervasius von Tilbury, Otia, II, 4. Ed. Binns/Banks (2002), 12  f. 429 Am Mündungsdelta trafen die Handelswege vom Roten Meer in Richtung Norden und die Karawanenroute über den Sinai nach Mesopotamien zusammen. Nil und Rotes Meer waren durch einen Kanal verbunden; kontrolliert werden konnten die Wege nach Damietta, Rosetta und Alexandria. Sämtliche über Ägypten herrschenden Mächte hatten mit nur kurzen Unterbrechungen von hier aus geherrscht, Abu-Lughod, Cairo (1971), 3. Erste menschliche Spuren im Niltal stammen aus dem Paleolithikum und sind 300 000 Jahre alt, Corteggiani, Site (2000), 22. Seit der Zeit der Pyramiden bis zur arabischen Invasion hatte sich das Nildelta gute 20 km nach Norden verschoben, auch der Flusslauf des Nils verlagerte sich nach Osten, so dass die Stadtgründungen jeweils ein Stück weiter nördlich erfolgten. „L’avancement de la pointe du Delta vers le nord a été suivi parallèlement d’un lent déplace-

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Kenntnis der Geschichte und der Lage dieser Orte ist im 12. Jahrhundert aus lateinischen Zeugnissen nicht zu entnehmen.430 Gleich zu Beginn seiner Beschreibung der Stadt Fustat korrigiert Burchard kursierende Fehlannahmen, was Lage, Namen und Funktion derselben betrifft. Um künftigen Konfusionen vorzubeugen, weist er ausdrücklich auf die Namensgleichheit der aktuellen Hauptstadt Nova Babylonia mit den zwei bislang unter diesem Namen bekannten Städten hin und versieht diese Auskunft mit recht genauen Entfernungsangaben.431 Neben der Verwechslung mit Babylon am Euphrat, vor der schon andere Autoren warnten,432 macht er insbesondere auf die notwendige Unterscheidung von Memphis aufmerksam: Fuit et alia Babylonia in Egypto supra Nilum sita in pede montis iuxta desertum, in qua regnabat Pharao, distans ab ista Nova Babylonia per VI miliaria et hec quoque destructa est. Die einstige Residenz der Pharaonen sei nicht mehr als eine Ruinenstadt,433 die aktuelle Hauptstadt liege sechs Meilen davon entfernt. Fustat selbst beschreibt er als pulsierende und prosperierende Handels­metro­ pole: fuit aliquando maxima civitas et adhuc satis egregia et populosa, omni bono terre fecunda. A solis mercatoribus inhabitata (…). Besonders den Gewürzhandel mit Indien und die Rolle im Transithandel vom Roten Meer nach Alexandria hebt

ment de celui-ci dans la même direction. De l’antique Memphis des premières dynasties à la moderne Héliopolis où siège le gouvernement égyptien actuel, en passant par Babylone, Fustât et al-Qâhira, il semble que l’on ait toujours inconsciemment cherché à maintenir la ‚Balance-des-Deux-Terres‘“, ebd., 21. 430 Vgl. Dopp, Caire (1950); Schröder, Christentum (2009), 159  f.; Graboïs, Description (2003), 529; Burnett, Images (2003), 66; Scharff, Rückkehr (2001), 451. Pierre-Herman Dopp führt als Quellen abgesehen von Benjamin von Tudela allesamt nach Burchard entstandene Texte auf: Wilhelm von Tyrus, Jacob von Vitry, Haiton (1300), Jacob von Verona, Frescobaldi, Sigoli, Gucci di Dino und ist enttäuscht von dem Befund: „(…) les premiers visiteurs du Caire n’ont pas su nous en parler, ils n’ont su ni voir ni décrire. D’une plume maladroite et souvent naïve ils se sont contentés de consigner quelques impressions sur l’étendue de la ville, sur le nombre incalculable de ses habitants, sur la richesse de son commerce et sur la beauté des jardins qui l’entourent. De la disposition des lieux, de l’aspect des monuments, rien, ou à peu près. Tout au plus est-il fait mention du Nil‚ qui vient du ‚paradis terrestre‘, de la muraille, qui entoure la ville, et de la citadelle, ou ‚palais du sultan‘. (…) Pendant tout le XIIIe siècle on n’a presque rien ajouté à ces maigres notations, qui se trouvent répétées d’une relation à l’autre. Il faut attendre la seconde moitié du XIVe siècle pour rencontrer des détails vraiment vus et des descriptions d’un intérêt réel“, Dopp, Caire (1950), 117  f. 431 Die Entfernung Fustats von Kairo gibt Burchard mit 1/3 Meile, die Entfernung bis Memphis/Babylon mit sechs Meilen an, was ungefähr den Distanzen entspricht (1 Meile = ca. 3–4 km), vgl. die identischen Entfernungsangaben bei Nāṣir-i Ḫusrau, Anm. 446. Auch die Entfernung von 30 Tagesreisen nach Babylon am Euphrat ist nachvollziehbar. 432 Z. B. Otto von Freising, siehe Anm. 428. 433 Dem Reisebericht des ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (1163–1231) ist zu entnehmen, dass die antiken Bauten im Mittelalter noch gut erhalten waren, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 184–188.

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er hervor.434 Genauere Angaben macht Burchard nicht, bei den Spezereien dürfte es sich aber um Pfeffer, Ingwer, Muskatnüsse etc. gehandelt haben.435 Eigens nennt er Getreide und Gemüse, das in zahlreichen Märkten anboten wird.436 Das reichhaltige Warenangebot, die Luxusgüter und die besondere Qualität der Produkte, die in den verschiedenen Suks und Warenhallen feilgeboten wurden, machten auch die muslimischen Besucher der Stadt staunen. Der persische Arzt und Reisende Nāṣir-i Ḫusrau (1004–1088) gelangte auf seiner siebenjährigen Reise zweimal nach Kairo und zählt im ‚Safarnāme‘ die Vielfältigkeit der Waren aus aller Herren Länder auf: „Kein Land hat einen solchen Markt. Hier werden alle Kostbarkeiten der Welt gefunden. Ich sah Gegenstände aus Schildplatt wie Büchsen und Kämme und Messergriffe, und schöne Bergkristalle aus dem Maghrib, von trefflichen Meistern bearbeitet. (…) Ich sah Elfenbein aus Sansibar, (…) ferner Rinderhäute aus Abessinien, die wie Leopardenfelle aussahen. Aus demselben Lande hat man schöne Haushühner gebracht mit weißen Punkten, auf dem Kopfe eine Krone, wie sie der Pfau trägt. (…) Am 3. des alten Day-Monats des persischen Jahres 416 (4. 12. 1048) sah ich folgende Blumen und Früchte zugleich: rote Rosen, Wasserlilien, Narzissen, bittere und süße Orangen, Zitronen, Mandarinen, Äpfel, Jasmin, [Basilikum], Quitten, Granatäpfel, Birnen, Melonen, Dastambōya, Bananen, Oliven, frische Myrobananen, frische Datteln, Weintrauben, Zuckerrohr, Eierfrüchte, frische Kürbisse [Zucchini], Rettiche, [Butter-] Rüben, Kohl, frische Bohnen, Gurken, Bādrang, frische Zwiebeln, frischen Knoblauch, Mohrrüben und Raps [Rüben]. (…) Man erzeugt in Miṣr Schalen, Becher, Tassen und dergleichen Steingut aller Art.“437

Beherrschende Themen der in mamlukischer Zeit entstandenen lateinischen Berichte sind ebenfalls die zahlreichen Basare, v.  a. aber „die Größe der Stadt und die Vielzahl

434 (…) ad quam naves honerate spetiebus de India spissim veniunt per Nilum et inde in Alexandria ducuntur. In der Fatimidenzeit war Fustat ein wichtiger Hafen, Warenumschlagplatz und Finanz­ zentrum, Denoix, Siècles (2000), 137. 435 Bramoullé, Alexandrie (2011), 85; Denoix, Siècles (2000), 66–76; MacKenzie, Cairo (1992), 7. 436 Granum et legumen per vicos et plateas ubique servatur. 437 Nāṣir-i Ḫusrau, Safarnāme. Ed. Mayrhofer (1993), 62  f. Zu Nāṣir-i Ḫusrau siehe Hunsberger, Account (2010); Dies., Nasir (2003); Nāṣir-i Ḫusrau, Safarname. Ed. Najmabadi/Weber (1993), 13–19. Ähnlich formulierte auch Muqaddasī (945–1000), der Ägypten kurz nach der Gründung Kairos, zwischen 969 und 985 besuchte, in seiner Geographie der islamischen Welt. „Fustat is a metropolis in every sense of the word; for in addition to having within it all the departments of the State, it is the seat of residence of the Commander of the Faithful himself. (…) Its fame has spread and its glory has increased, for verily it is the capital of Egypt, it has effaced Baghdad and is the glory of Islam and the centre of the world’s commerce. (…) It is the treasure-house of the West and the emporium of the East, and its seasons are beautiful. Among the capitals none is more populous than this city (…). Its commercial products and specialities are wonderful, and its markets, and means of livelihood, excellent“, Al-Muqaddasī, Divisions. Ed. Collins (1897), 322–327; 322  f. Daneben berichten Ibn Ḥauqal, Ibn Riḍwān (998–1067/68) und al-Muqaddasī auch von schlechten hygienischen Verhältnissen: Durch die enge und hohe Bebauung drang kein Licht in die Gassen, die Wasserversorgung war schwierig, das Trinkwasser und die Luft verschmutzt, Ibn Ridwan, Prevention. Ed. Gamal/Dols (1984), 104–111; Al-Muqaddasī, Divisions. Ed. Collins (1897), 327; Ibn Ḥauqal, Geographie. Ed. Ouseley (1800); Halm, Kalifen (2003), 30–34.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

an Bewohnern“.438 Zu dieser Zeit waren Fustat und Kairo freilich längst zu einer Stadt zusammengewachsen. Zur Reisezeit Burchards konzentrierten sich Wirtschaft und Handel noch in Fustat, das politische, religiöse und administrative Zentrum Ägyptens hingegen lag in Kairo. Schon kurz nach der Gründung Fustats hatten die jeweiligen Machthaber ihre Residenzen und Verwaltungssitze in Neugründungen verlagert, um die Herrschaftsausübung sicherzustellen und um vor Angriffen aus Fustat sicher zu sein.439 Die Gründung Kairos geht auf den Heermeister und Regenten Ǧauhar as-Siqillī zurück, der mit seiner fatimidischen Armee 969 Ägypten unterwarf und 970 ein rechteckiges Gebiet für eine Palastanlage des Kalifen abgesteckte. Schon 973 zog der Kalif al-Muʿizz von Kairuan (Qayrawā) in die neue Palaststadt, welche in Anlehnung an die Anlage in Ifriquia zunächst al-Manṣūriyya hieß, dann aber in al-Qāhira al-Muʿizzīya (die Siegreiche des Muʿizz)440 umbenannt wurde.441 Unter den Fatimiden blieb Kairo ein Palastort in isolierter Lage, zu dem Fremden der Zutritt nicht gestattet war, auch den Bewohnern Fustats blieb der Eintritt ohne Erlaubnis verwehrt.442 Außer dem Kalifen, 438 Schröder, Christentum (2009), 159. Pilgern wie Felix Fabri war es im 15. Jahrhundert allerdings nicht erlaubt, sich eigenständig in der Stadt zu bewegen. „Beinahe alle Pilger, die im 15. Jahrhundert Kairo besuchten, wohnten im Haus des obersten mamlukischen Dolmetschers, der für die Sicherheit und das Wohlergehen verantwortlich war. (…) Ohne seine Erlaubnis durften sie das Anwesen nicht verlassen und nur in Begleitung Rundgänge zu den Märkten und Sehenswürdigkeiten der Stadt unternehmen. Dies lag durchaus im Interesse der Mamluken, die nicht nur eine mögliche Spionage der Pilger verhindern, sondern alleinigen Nutzen aus dem finanziellen Gewinn ziehen wollten“, ebd. 439 Nach der Flucht des letzten Umayyadenkalifen und der Niederbrennung Fustats wurde im Jahr 750 nur wenig weiter nördlich al-ʿAskar als neue Garnisons- und Residenzstadt von den Abbasiden errichtet, Denoix, Siècles (2000), 77; Abu-Lughod, Cairo (1971), 14. 868 gründete der Tulunide Aḥmad ibn Ṭūlūn seine eigene Stadt al-Qaṭar, ebd., 16; Denoix, Siècles (2000), 77  f. Die Moschee wurde nach dem Vorbild Samarra errichtet, al-Qaṭar aber 905 von abbasidischen Truppen zerstört. 440 Die von Ǧauhar as-Siqillī errichtete Moschee (seit 1010 Azhar-Moschee) ist bis in die Gegenwart die Hauptmoschee von Kairo und Sitz der bekannten Al-Azhar-Universität. 441 Halm, Kalifen (2003), 19; Denoix, Siècles (2000), 87  f. „The new towns of Islam have been classified into two main types: army camps which eventually developed into permanent cities; and princely towns founded to ‚mark the birth of dynasties and to affirm their authority.‘ The city of Fustat, which evolved from a coalescence of the army camp of ‘Amr with the preexisting nucleus of Babylon, is an excellent example of the first type. Al-ʿAskar, founded by the triumphant ‘Abbāsids in 750, al-Qaṭā’iʿ, founded by the overambitious Aḥmad ibn Ṭūlūn in 870, and finally, al-Qāhira (Cairo) herself, founded by the Fāṭimid dynasty in 969, are all examples of the second type. While the former tend to be relatively unplanned, meager in public amenities and unembellished aesthetically, the latter, intended as symbol of status and display, are both well planned and handsomely constructed. By definition, however, a princely city remains somewhat outside the mainstream of economic vitality of a region, being a center of conspicuous consumption rather than one of trade and production. It was this very characteristic that permitted Fusṭāṭ to remain the commercial capital of Egypt, despite the series of princely cities developed on her northern border“, Abu-Lughod, Cairo (1971), 14. 442 MacKenzie, Cairo (1992), 4. Die prachtvolle Hofhaltung und den Palast des Kalifen schildert Nāṣir-i Ḫusrau, der im Umfeld des Kalifen al-Mustanṣir ein Jahr verbrachte, Nāṣir-i Ḫusrau, Safarnāme. Ed. Mayrhofer (1993), 57–60; 65  f.

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seinen Höflingen und Soldaten durfte niemand in Kairo wohnen.443 Der Große Palast im Zentrum machte ein Fünftel der Stadt aus,444 weitere Paläste dienten dem Aufenthalt oder Vergnügen des Kalifen, seiner Familie, Beamten und Privilegierten.445 Einen seltenen Einblick in den Kalifenpalast am Ende der Fatimidenzeit gewährt Wilhelm von Tyrus, der den Empfang einer fränkischen Gesandtschaft 1170 bei dem Kalifen al-ʿAdīd schildert.446 Prachtbauten, Moscheen, Heiligtümer, Funktionsgebäude und

443 Halm, Kalifen (2003), 22. 444 Aus Sicherheitsgründen durfte kein Gebäude an ihn grenzen, ebd., 21. 445 Denoix, Siècles (2000), 93–98. 446 Mittuntur ad calipham qui foedus innovent, et describitur regie domus magnificentia. Et quoniam singularem et seculis nostris incognitam habet illa principis domus consuetudinem, libet diligenter adnotare que fida relatione eorum, qui ad illum tantum principem sunt ingressi, de statu et magnificentia et inmensitate divitiarum et glorie multiplicate comperimus: non enim erit minimum profecisse, hec intellexisse diligentius. Predictus igitur Hugo Cesariensis et cum eo Gaufredus Fulcherii, frater militie Templi, in principio obeunde legationis, ducente soldano, Cahere ingressi et ad palatium, quod lingua eorum cascere, accedentes, cum apparitorum numerositate maxima, qui cum gladiis et strepitu precedebant, per angiportus et loca luminibus indigentia ducti, ad singulos introitus armatorum Ethiopum cohortes, crebre salutationis officium certatim soldano exhibentes, reperiunt. Transeuntes autem primam et secundam custodiam, ad quedam diffusa et magis spaciosa loca, sola pervia et divo exposita, intromissi deambulatoria inveniunt, columpnis subnixa marmoreis, auratis laqueraribus et prominentibus celata operibus, pavimento strata vario, ita ut omni suo ambitu regiam pretenderent dignitatem. Quibus tanta inerat materie et operis elegantia, ut transeuntium etiam invitos detinerent oculos et quadam videndi aviditate, invitante operum eximia novitate, intuentium aspectus non sinerent saciari. Erant pisicine marmoree aquis redundantes limpidioribus, erant avium multimodarum, quas noster non novit orbis, varii garritus, forme incognite et peregrini coloris, figuram quantum ad nos prodigiosarum, cuique gustus iuxta speciem suam et edulium cuique varietati eorum consanguineum, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19 Kap. 18. Ed. Huygens (1986), 887. Eine detaillierte Beschreibung liefert auch Naser, der 1047 bis 1050 Kairo besuchte: „Der Palast des Sultans steht frei mitten in der Stadt Kairo. (…) Jede Nacht wird er von tausend Mann bewacht. 500 sind Reiter und 500 Fußsoldaten. Vom Abendgebet an lassen sie Trompeten und Trommeln und Zymbeln erschallen und machen die Runde bis zum Tagesanbruch. Wenn man sich außerhalb der Stadt befindet, erscheint einem der Palast des Sultans wegen der großen Anzahl von Gebäuden und deren Höfen wie ein Berg. (…) Im Palast sollen 12 000 Diener sein, die Lohn empfangen, und wer kennt die Zahl der Frauen und Mägde? Doch heißt es, dass 30 000 Menschen im Palaste leben. (…) In der Stadt gibt es inmitten der Häuser Gärtchen und Bäume, die aus den Brunnen bewässert werden. Im Palastbezirk sind Gärten, die nicht ihresgleichen haben. (…) Auf den flachen Dächern hat man Bäume gepflanzt und Lusthäuschen errichtet. (…) Die Gebäude sind so rein und schön, dass man sagen möchte, sie seien aus Edelsteinen, nicht aus Gips, Ziegeln und Steinen gemacht. Alle Häuser in Kairo stehen für sich allein wie Bäume, keines ist an die Mauer eines anderen angebaut. Wer will, kann daher sein Haus jederzeit wieder neu einreißen und neu aufbauen, da niemandem dadurch Schaden zugefügt wird. (…) Von Misr nach Kairo beträgt die Entfernung weniger als eine Meile. (…) Die Gärten und Gebäude beider Städte sind aber nicht deutlich voneinander geschieden. Im Sommer gleicht die ganze Ebene einem See, weil nur der Garten des Sultans, der sich auf einer Anhöhe befindet, nicht überschwemmt wird. Alles andere liegt unter Wasser“, Nāṣir-i Ḫusrau, Safarnāme. Ed. Mayrhofer (1993), 55–57.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Kasernen bestimmten das Stadtbild, ein Suk existierte nicht.447 Am Kanal lag eine Hafenanlage; Gärten und Pavillons säumten das Kanalufer im Westen wie auch die nordwestliche Grenze Kairos.448 Die privilegierten Stadtbewohner waren nach Herkunft in verschiedenen Stadtvierteln (ḥārāt) untergebracht, in denen ursprünglich Armeeinheiten wohnten. Auch die Griechen besaßen zwei Viertel. Erst nach der Zerstörung durch die Türken und der damit einhergehenden Krise in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts musste Kairo sich öffnen und zur Aufrechterhaltung des städtischen Lebens Niederlassungswillige einlassen.449 Einen deutlichen Einschnitt in die Entwicklung Kairos markiert das Jahr 1168. Infolge eines Aufstands sudanesischer Soldaten wurden Teile Kairos zerstört.450 Im gleichen Jahr wurde Fustat als Präventionsmaßnahme vor einem Angriff Amalrichs auf Kairo niedergebrannt, die Einwohner flohen in das nahe Kairo und ließen sich hier mit ihrem Gewerbe nieder.451 Der Bevölkerungsaustausch und der Wandel Kairos wurden durch Saladins Ernennung zum Vizir des Kalifen besiegelt.452 Nach dem Sturz des Kalifen vertrieb Saladin die Angehörigen der Fatimiden aus Kairo453 und quartierte seine Truppen in den gegenüberliegenden Palästen ein,454 was in Burchards Formulierung der civitas militaris deutlich wird. Da Saladin die prächtigen Bauten nicht zerstören ließ, prägte die spätfatimidische Architektur weiterhin das Erscheinungsbild. Der Charakter der prächtigen Residenzstadt aber hatte sich durch die

447 Halm, Kalifen (2003), 25. In der Stadt standen hauptsächlich Gebäude, die mit dem Hof in Verbindung standen: Paläste der Prinzen und ihres Gefolges, der Armee und ihrer Ausstattung, für das entsprechende soziale Leben Bäder, Ställe, Gärten, Ministerien und auch eine Tuchfabrik, Denoix, Siècles (2000), 87–127, 102  f. Beschreibung der Gebäude und Stadtviertel bei MacKenzie, Cairo (1992), 2–12; Rogers, Al-Fusṭāṭ (1965), 428  f.; Ravaisse, Essai (1889–1890). 448 MacKenzie, Cairo (1992), 5  f. 449 Verantwortlich für diese Maßnahmen war der Wesir Badr al-Jamālī, der auch Gebäude, Tore und Stadtmauer ausbauen ließ, ebd., 12–17. 450 Lev, Saladin (1999), 108  f. 451 MacKenzie, Cairo (1992), 17  f. „(…) archaeological evidence suggests that the devastation from the 564/1168 fire did not extend much further east than the mosque of ‚ʿAmr and Qaṣr al-Shāmʿ‘. The narratives of both indigenous historians and contemporary travelers, while corroborating this fire, suggest spot incursions into the then populated areas of Fustat, rather than the holocaust described by Maqrizi“, ebd., 45. 452 Ebd., 28. 453 Barrucand, Kairo (2005), 267. 18 000 Personen könnten vertrieben worden sein, ebd., 266; Mac­ Kenzie, Cairo (1992), 51–84. 454 „Der größere war am Ende des 10. Jahrhunderts als Regierungszentrum und Residenz des Kalifen östlich der Hauptstraße und der westliche etwas später als Wohnung des Prinzregenten und des Harems genau gegenüber in den Gärten des Kanalufers erbaut worden. Saladin selbst richtete sich in dem bescheideneren Wesirpalast im Nordwesten des Kalifenschlosses ein“, Barrucand, Kairo (2005), 267. „(…) his brother, Turansha, settled in Cairo in a quarter formerly occupied by Fatimid emirs. Sections of the Eastern Palace were given to Saladin’s emirs and administrators for their use“, Lev, Saladin (1999), 111.

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Präsenz des türkischen und kurdischen Militärs seit der Ankunft Saladins grundlegend gewandelt. Deutlich hebt Burchard Kairos Funktion als Regierungssitz und Garnisonsstadt hervor und führt damit nachdrücklich den völlig unterschiedlichen Charakter zu Fustat vor Augen: Item iuxta Novam Babyloniam ad tertiam partem miliaris est alia civitas egregia Chayr nuncupata, in qua nunc est sedes regalis, palatia regis et principum et militium cohabitatio. Burchards Angabe, dass hier jetzt der Regierungssitz sei, kann sich auch auf die Fatimidenzeit beziehen, doch betont er besonders die Präsenz der Soldaten und die Besetzung der Stadt durch Krieger. Beeindruckt haben Burchard in Kairo die kostbaren Gebäude, Gärten und die Mauer: Hec civitas militaris est prope Nilum sita, cuius edificia non minus admiranda quam sumptuosa, muro clausa, pulcherrimis pomeriis circumsepta. Umgeben war die Stadt von einer dicken Mauer aus Lehmziegeln, durchbrochen von acht Toren.455 Zwar liegt Kairo nicht am Nil,456 sondern an der Ostseite des Kanals, doch war dies für Burchard wohl nicht ersichtlich. Neben der Residenz und den Kasernen verweist Burchard auf den Anteil der zivilen Stadtbevölkerung, die sich auch hier aus unterschiedlichen religiösen Gruppen zusammensetzt: In ihr wohnen Sarazenen, Juden und Christen, und zwar so, dass jedes Volk seine Gottesverehrung ausübt, was als Hinweis auf die einzelnen Stadtviertel gelesen werden kann.457 Erst seit der Zerstörung Fustats hatten sich vermutlich auch Christen und Juden in Kairo niedergelassen,458 zwischen den Hauptschlössern war ein Markt entstanden. Burchard berichtet auch von plures ecclesie Christianorum. Von christlichen Kirchen in Kairo ist soweit nichts überliefert,459 so dass die Bemerkung über die auch religiösen Minderheiten gestattete Gottesverehrung eher nach Fustat denn nach Kairo passt.460 Zumindest kann Burchard in Kairo selbst keine Kirchen erblickt haben. Aufgrund der ungewohnten Größe der Städte für einen Mitteleuropäer hatte er womöglich einen Stadtteil von Fustat vor Augen. Bei

455 Denoix, Siècles (2000), 93–98 mit schönen Abbildungen; Halm, Kalifen (2003), 21. 456 So aber auch zu lesen bei Nāṣir-i Ḫusrau, Safarnāme. Ed. Mayrhofer (1993), 57. 457 In qua habitant Sarraceni, Iudei et Christiani. Quelibet natio suam legem colit. Die bis ins 12. Jahrhundert noch im Fernhandel aktiven Juden beschränkten sich aufgrund einschneidender politischer Veränderungen mehr und mehr auf den Regionalhandel, siehe Kapitel III.1.1. Diverse Faktoren waren verantwortlich für den Rückzug der Juden und die Zerstörung etablierter Netzwerke v.  a. zwischen dem Maghreb und Ägypten. Eine wirtschaftliche Krise führte schon vor Etablierung der Beduinenstämme zum Rückgang der Handelsverbindungen. Durch die zentralisierende Politik der Fatimiden verlagerte sich der Handelsschwerpunkt nach Ägypten. Der politische Bruch zwischen Fatimiden und dem Banū Hilāl schließlich besiegelte diesen Zustand; die Landverbindungen nach Ägypten waren aufgrund der Gefahren nicht mehr passierbar, Valérian, Relations (2011), 231  f.; Ders., Merchants (1999). 458 Denoix, Siècles (2000), 128–131. Unter den Fatimiden war eine große Zahl Juden nach Fustat gezogen, ebd., 130. Hauptsächlich lebten Christen und Juden, aber auch Sunniten in Fustat, die schon vor den Fatimiden ansässig waren, ebd. 131. 459 Siehe Abū Ṣāliḥ, Churches. Ed. Evetts/Butler (1895), 86–141; Grossmann, Architektur (2001). 460 Denoix, Siècles (2000), 128–133.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Abb. 6: „Map of Cairo area during the Ayyubid period“, entnommen aus Al Sayyad, Cairo (2011), 78.

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den Christen handelte es sich um Kopten und Melkiten, deren Patriarchen in Fustat ihren Sitz hatten. Lateinische Christen dürfte er hier nicht angetroffen haben.461 Burchards Darstellung beider Städte spiegelt die historischen Gegebenheiten der kurzen Umbruchsphase zwischen fatimidischer und ayyubidischer Periode unmittelbar vor Zusammenwachsen der Städte wider. Die sonst bebaute Zone zwischen den Stadtzentren Fustats und Kairos war gerade zur Besuchszeit Burchards „weitgehend unbebaut oder zerstreutes und beschädigtes Siedlungsgebiet“,462 die einstigen Residenzen al-ʿAskar und al-Qaṭāʾiʿ waren verwahrlost. „Lorsque en 1174, al-Adil Abû Bakr se vit confier la ville, la tâche à accomplir était vaste. Il s’agissait d’abord de réparer à Fustat les ruines de l’incendie allumé lors de l’attaque des croisés. (…) Le nouveau pouvoir campait dans l’ancienne capitale fatimide al-Qâhira, à côté des palais déserts des califes et de la mosquée al-Azhar, désaffectée.“463 Schon im gleichen Jahr ließ Saladin die Stadt nach eigenen Vorstellungen wieder auf- und ausbauen. Saladins Bauprogramm sah vor allem vor, Fustat und Kairo zu ummauern und so zu einer „einzigen gigantisch befestigten Metropole“464 zu machen. In deren Mitte sollte sich auf den Ausläufern des Muqattamgebirges eine weitläufige Befestigungsanlage, die Zitadelle, erheben. 1176 begann Saladin mit den Bauarbeiten der Zitadelle und der Umfassungsmauer.465 Mit der Vereinigung von Kairo und Fustat prägte er die Zukunft der Stadt, die in der Folgezeit zunehmend religiöse Bedeutung als Zentrum des sunnitischen Islams erhielt.466 Durch Saladins Abwesenheit (er residierte ab 1182 dauerhaft in Damaskus)467 und den Bau der Zitadelle verlor Kairo den Charakter und die Funktion als Herrschaftszentrum. In Burchards Deskription der Städte Fustat und Kairo ist ein klarer Realitäts- und Aktualitätsbezug festzustellen, der aufgrund des kurzen Zeitraumes, auf den sich die Darstellung bezieht, kaum aus weiteren schriftlichen Quellen übernommen werden konnte. Indizien für die Authentizität der Darstellung sind insbesondere die genauen Entfernungsangaben und die Betonung der militärischen Präsenz in Kairo. Im Unter461 Während die italienischen Seestädte seit Entstehung der Kreuzfahrerherrschaften den Mittelmeerhandel quasi monopolisiert hatten, blieb christlichen Händlern der Zugang zu den traditionellen muslimischen Handelsrouten und dem Roten Meer verwehrt, Eddé, Saladin (2008), 527. Der Handel und damit die strenge Kontrolle desselben wie auch aller Einreisenden konzentrierten sich in Alexandria, vgl. Bramoullé, Alexandrie (2011), 87. Auch unter den Mamluken änderte sich daran nichts, wie bei Simon Semeonis nachzulesen ist, Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito. (1960), 46–49. 462 Barrucand, Kairo (2005), 266. 463 Garcin, Caire (2000), 155. 464 Barrucand, Kairo (2005), 267. 465 Al-Maqrīzī datiert die Mauer fälschlicherweise schon in das Jahr 1171, MacKenzie, Cairo (1992), 52  f. Die Zitadelle diente der Abwehr eines fatimidischen Gegenangriffs oder zur Sicherheit der Bürger Kairos, Rogers, Al-Fusṭāṭ (1965), 430. 466 Aus der Ayyubidenzeit sind keine Moscheen erhalten, es wurden wohl keine gebaut oder erneuert. Hingegen aber madrasas, um eventuell fatimidisch-schiitischen Ideen zu begegnen und die daʿwa zu bekämpfen, Rogers, Al-Fusṭāṭ (1965), 430; Korn, Bauten (1995), 212–217. 467 Lev, Saladin (1999), 101–104.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

schied zur Deskription Alexandrias griff Burchard hier kaum auf vorhandenes Wissen zurück. Frühere lateinische Stadtbeschreibungen sind nicht überliefert, die nächste Darstellung stammt dann von Wilhelm von Tyrus.468 Zwischen Jerusalem und Kairo bestanden aber Kontakte. 1168 drangen die Franken bis nach Kairo vor,469 1170 sind fränkische Gesandte beim Kalifen bezeugt.470 Mündliche Informationen über den Zustand beider Städte waren damit grundsätzlich auch in Europa verfügbar, sind aber nicht nachzuweisen. Direkter Zeuge dieser historischen Phase ist neben Burchard Ibn Ǧubair, der die Spuren der Zerstörung von 1169 und das allmähliche Zusammenwachsen von Fustat und Kairo in seinem Bericht expliziert.471 Bei seinem Besuch vom 6. April bis 1. Mai 1183 beobachtete er noch die Bauarbeiten, die größtenteils von christlichen Gefangenen ausgeführt wurden: „Wir sahen außerdem die Zitadelle, eine unüberwindliche Festung. Der Sultan plant, hier seine Residenz zu schaffen und die Stadtmauer so zu verlängern, dass die Altstadt und der neuere Teil umschlossen werden.“472 Die für den Vergleich mit Burchards Darstellung herangezogenen arabischen Berichte wurden sonst entweder in fatimidischer Zeit oder in späteren Jahren, als sich das Erscheinungsbild der ehemals getrennten Städte vollständig verändert hatte, verfasst.473 Die Distanz der Städte voneinander unterstreicht Burchard zusätzlich, indem er den Stadtbeschreibungen Ausführungen über die Pyramiden von Gizeh zwischenschaltet: A Nova Babylonia usque ad miliare unum in deserto sunt duo montes lapidibus marmoreis maximis et aliis quadris artificio erectis. Opus admirabile distantes ab invicem per tractum unius arcus quadrati eiusdem quantitatis scilicet latitudinis et altitudinis. Extenditur enim uterque in latitudinem ad tractum fortissimi arcus et in altum ad duos tractus.

468 Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19 Kap. 15 und 18. Ed. Huygens (1986), 884  f.; 887  f. Wilhelm schildert die Städte Babylon und Kahere, für Babylon gibt er den arabischen Namen Macer an. 469 Denoix, Siècles (2000), 138  f. 470 Köhler, Allianzen (1991), 272. 1167 gestattete Šāwar die Stationierung einer fränkischen Garnison, ebd., 248  f.; 255; 267; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 296. 471 „In Alt-Kairo finden sich auch Spuren der Zerstörung, die während der Unruhen am Ende der Fatimiden-Dynastie durch eine Feuersbrunst verursacht wurden. Das war im Jahre 1169. Der größte Teil der Stadt ist inzwischen restauriert, und die Gebäude stehen heute ohne Lücke eines neben dem anderen“, Ibn Dschubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 32; 34. 472 „Für die Arbeiten werden byzantinische Gefangene eingesetzt. Sie sind mit der Konstruktion betraut und mit der Ausführung aller dabei anfallenden Aufgaben, auch mit den mühevollsten und schwierigsten davon wie dem Zurechtschneiden des Marmors, dem Meißeln der kolossalen Steinblöcke, dem Ausheben von Gräben um die erwähnte Mauer herum (…). Die Zahl der Gefangenen aus Rum, die ihren Frondienst hier leisten, ist nicht zu beziffern. Der Sultan läßt auch noch weitere Gebäude unter Einsatz von Christen errichten. Die Muslime, die man bei solchen gemeinnützigen Bauten hätte beschäftigen können, werden so davon freigestellt, und niemand von ihnen braucht solche schweren Arbeiten auszuführen“, ebd., 31. 473 Siehe Anm. 437; MacKenzie, Cairo (1992), 10.

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Mit der angegebenen Entfernung Gizehs zu Fustat von einer Meile unterschätzt er die Entfernung von ca. 11 km, was auf eine eigenständige Schätzung aus der Entfernung hinweist.474 Die Pyramiden waren ebenso wie der Pharos seit der Antike als eines der sieben Weltwunder bekannt.475 Bestaunt wurde ihre Größe; Rätsel gaben Funktion und die unbekannten Erbauer der Pyramiden auf.476 Eine häufige Erklärung deutete sie als Kornspeicher, die der Pharao auf Josefs Anraten hin für die sieben mageren Jahre anlegen ließ.477 Tradiert wurde daneben auch die bei Isidor festgehaltene korrekte Erklärung, es handele sich um Grabmäler.478 Burchard benennt die Pyramiden nicht mit Namen und stellt sie auch nicht in einen der populären Kontexte.479 Er beschreibt lediglich, was er erblickt: zwei gewaltige, künstlich geschaffene Berge aus Marmor.480 Er registrierte also die Cheops-Pyramide481 und die Chephren-Pyramide482, welche in den oberen Partien mit weißem polierten Turakalksteinblöcken vermantelt waren,483 der im Mittelalter aber abgetragen wurde. Burchard hat ihn allem Anschein nach noch zu Gesicht bekommen, auch wenn er sich in der Bezeichnung des Mate474 Vgl. Cannuyer, Pyramides (1984), 676. 475 Jánosi, Pyramiden (2010); Brodersen, Weltwunder (2006), 21–34; Seipel, Pyramiden (2004); ­Tietze, Pyramiden (2003); Scharff, Rückkehr (2001), 448–450; Bonnet, Pyramide (2000); Cannuyer, Pyramides (1984); Helck, Pyramiden (1959); Khattab, Ägyptenbild (1982), 99–101. 476 Herodot, Historien, II, 124–134. Ed. Feix (2001) 308–317; Strabon, Geographika, 17, 1, 32. Ed. Radt (2005), 464  f.; Diodor, Weltgeschichte, I, 63–65. Ed. Wirth (1992), 93–97; Plinius, Naturalis Historia 36, 83. Ed. König (1992), 62  f.; Hartmann, Relikt (2010), 203. 477 Vgl. Gen 41; Scharff, Rückkehr (2001), 448  f.; Burnett, Images (2003), 70. Die Kornspeichertheorie findet sich u.  a. bei Julius Honorius, Cosmographia. Ed. Riese (1964), 51; Gregor von Tours, Libri I c. 10. Ed. Krusch/Levison (1951), 11; Bernardus, Itinerarium. Ed. Ackermann (2010), 118; Dicuil, Liber, VI, 13. Ed. Bieler/Tierney (1967), 62; Petrus Diaconus, Liber. Ed. Geyer (1965), 100 und noch bei Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito. (1960), 84: Ad eandem partem ultra memoratam insulam, ad 3 miliaria ad radicem deserti, sunt illa granaria que fecit Joseph, de quibus scribitur in Genesis. 478 Mausolea sunt sepulchra seu monumenta regum, a Mausoleo rege Aegyptiorum dicta. (…) Pyramides genus sepulchrorum quadratum et fastigiatum ultra omnem excelsitatem quae fieri manu possit, unde et mensuram umbrarum egressae nullam habere umbram dicuntur. Tali autem aedificio surgunt ut a lato incipiant et in angusto finiantur sicut ignis (…), Isidor, Etymologiae, XV, 11. Ed. Lindsay (1911). Als Gräber beschreibt sie auch Magister Gregorius, Narracio. Ed. Huygens (1970), 27  f. 479 Scharff, Rückkehr (2001), 449. 480 Die Beschreibung als Berge wie auch die Annahme, dass es sich bei dem Baumaterial um Marmor handelt, begegnet u.  a. auch bei Philon von Byzanz, Brodersen, Weltwunder (2006), 29  f. Ammianus Marcellinus vergleicht sie mit Türmen, ebd., 31. 481 Die Cheopspyramide wurde um 2551–2528 v. Chr. als Grabmal für Pharao Cheops errichtet (4. Dynastie), und stellt die größte und älteste Pyramide dar. Ihre Seiten im Basisquadrat messen 230, 28 m, die Höhe beträgt heute 137 m (früher 146,60 m), der Neigungswinkel beträgt 51°52‘. Für weiter Informationen siehe Stadelmann, Ziegelbau (1991); Ders., Pyramiden (1990); Haase, Stätte (2004). 482 Die Chephrenpyramide wurde von König Chephren von 2520–2494 v. Chr. errichtet. Das Grundflächenquadrat misst 215 m; die Höhe betrug ursprünglich 143,50 m (heute 136, 50 m), der Neigungswinkel 52° 20‘. Die Diagonale liegt auf einer Linie mit der Cheopspyramide. 483 Corteggiani, Site (2000), 43.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Abb. 7: Das Gizeh-Plateau mit der Cheops-, der Chephrenund der Mykerinos-Pyramide, entnommen aus https://www.cheops-pyramide.ch/grosse-pyramide.html, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

rials täuscht.484 Eine Bestätigung der zu Burchards Reisezeit noch existenten weißen Verkleidung liefert ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, der die Pyramiden ausführlich beschreibt.485 Er setzt die beiden weißen großen Pyramiden in einen Gegensatz zur kleinen roten Pyramide und berichtet, dass die Verkleidungssteine der MykerinosPyramide abgetragen und die Verkleidungssteine einiger Nebenpyramiden zum Brückenbau in der Stadt Gizeh verwendet wurden.486 Die kleineren Pyramiden seien unter Saladin zerstört worden.487 484 Vgl. Cannuyer, Pyramides (1984), 676. 485 ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 173–179. Am interessantesten sind aber seine Beschreibungen vom Kammersystem der Cheops-Pyramide. Hier findet man offenbar auch die erste Bemerkung zu den Schächten der Königskammer. 486 ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 177  f. Damit begannen die in den nächsten Jahrhunderten folgenden Abrissarbeiten an der Verkleidung der beiden großen Pyramiden von Gizeh. 487 Corteggiani, Site (2000), 44  f. Als mögliches Motiv sieht Patrick Franke neben der Beschaffung des Baumaterials für die neue Stadtmauer und die Hoffnung auf Schätze auch die Furcht vor körperlosen Geistern an, Franke, Orte (2008), 108.

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Abb. 8: Fustat und Kairo im Mittelalter („Sites de Fustât et Qâhira“), entnommen aus Denoix, Siècles (2000), 140.

Da die kleinere Chephren-Pyramide auf einem 10,11 m höher gelegenen Plateau erbaut ist, wirkt sie optisch höher, so dass Burchard beide Pyramiden gleich groß erschienen. Recht gut schätzt er die Entfernung der Pyramiden untereinander ein, die einen Bogenschuss (ca. 200–250 m) betrage.488 Das Seiten-Höhenverhältnis gibt er falsch an, denn sie sind nicht doppelt so hoch wie breit, sondern genau umgekehrt; allerdings unterläuft ihm nicht als einzigem dieser Fehler.489 Den Sphinx und 488 Die Entfernung beträgt ca. 160 m, Cannuyer, Pyramides (1984), 677. 489 Ebd., 677; vgl. die ebenfalls zu große Angabe der Seitenlänge bei Philon von Byzanz, Brodersen, Weltwunder (2006), 30.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

die kleinere Mykerinos-Pyramide erwähnt er nicht.490 Möglicherweise besuchte er Gizeh nicht eigens, sondern gewahrte die „wundersamen Bauwerke“ aus einigem Abstand. In der Perspektive von Nordosten her war die Mykerinos-Pyramide491 von der Chephren-Pyramide verdeckt. Aus weiterer Entfernung waren auch nur die größeren Pyramiden gut sichtbar. Nach Christian Cannuyer behandelt Burchard als einziger mittelalterlicher europäischer Reisender bis ins 13. Jahrhundert die Pyramiden.492 Genauere Beschreibungen stammen auch hier wieder von islamischen Reisenden und Geographen.493 Ibn Ǧubair hebt gleichfalls nur die zwei großen Pyramiden hervor: „In der Nähe (…) befinden sich die alten Pyramiden, die sich durch ihre wunderbare Architektur, ihr eigenartiges Aussehen und ihre viereckige Form auszeichnen, als seien sie große Kuppeln, die sich bis in den Himmel erheben. Besonders zwei von ihnen drängen dem Firmament ent­ gegen. Die Länge einer der beiden Pyramiden beträgt – von der einen Ecke bis zur anderen – 366 Schritte (chutwa). Die Pyramiden sind aus riesigen behauenen Steinblöcken errichtet, jeder einzelne ist in merkwürdiger Weise angeordnet und perfekt mit den anderen Steinen zusammengefügt, ohne dass irgendwelcher Mörtel verwendet worden wäre.“494

Die mittelalterlichen arabischen Lehrmeinungen und Vorstellungen über die Pyramiden trugen Al-Maqrīzī495 und der Gelehrte Abū Ğaʿfar al-Idrīsī496 zusammen. Während bei früheren arabischen Schriftstellern die richtige Deutung als Grabmäler zu finden ist, wurden als Erbauer daneben auch Aristoteles oder Alexander der Große angesehen. Bei späteren arabischen Schriftstellern findet sich meist die Annahme, die Pyramiden stammten aus vorsintflutlicher Epoche und seien zum Schutz vor der drohenden Flut

490 Er wird ebensowenig bei anderen Reisenden erwähnt, Burnett, Images (2003), 70. Möglicherweise war der Sphinx durch den angewehten Sand verschüttet; bekannt ist eine erste Ausgrabung zu Beginn des 14. Jahrhunderts, Hartmann, Relikt (2010), 188. 491 Die Mykerinos-Pyramide wurde um 2490–2471 v. Chr. errichtet. Mit einer Höhe von 62 m (früher 66, 50 m) und einem Basisquadrat von 108, 50 m ist sie deutlich kleiner als die anderen. 492 Cannuyer, Pyramides (1984), 675. 493 Franke, Orte (2008); Haarmann, Ägypten (1990); Ders., Perception (1996); Ders., Quest (1991); Seipel, Pyramiden (2004), 15  f. Phantasievoll berichtet u.  a. al-Masʿūdī über die Pyramiden im Zusammenhang mit dem Kalifen al-Maʾmūn, der 820 einen Zugang über einen Tunnel bauen ließ. AlMaʾmūn wollte die Pyramiden zunächst zerstören, um ihr Inneres zu bergen, Franke, Orte (2008), 100  f. Al-Masʿūdī kannte auch die Sarkophage in den Grabkammern und erkannte die Funktion der Pyramiden. Anfang des 12. Jahrhunderts ist der Bericht des Muhammad al-Qaisī († 1169) erhalten, der von einem Leichenfund in der Grabkammer des Cheops schreibt, ebd., 102. 494 Ibn Dschubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 33. Nur auf zwei Pyramiden bezieht sich auch alMasʿūdī, Franke, Orte (2008), 95. 495 Graefe, Pyramidenkapitel (1968), 49–89. Al-Maqrīzī griff zu großen Teilen auf ʿAbd al-Laṭīf alBaġdādī und al-Bīrūnī zurück, Haarmann, Ägypten (1990), 46  f.; Cook, History (1983); Franke, Orte (2008), 94  f. 496 Zu al-Idrīsī siehe Haarmann, Ägypten (1990) und die von ihm vorgelegte Edition des Textes, Pyramidenbuch. Ed. Haarmann (1991).

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als Bunker für Menschen oder Schätze errichtet worden.497 In „islamisch-retrospektiver Betrachtung der pharaonischen Geschichte“ wird die „Sintflut zur entscheidenden Zäsur der koptischen Vergangenheit Ägyptens. (…) Erst nach Noah und Ḥām, aus deren Stamm die nachsintflutlichen Pharaonen stammen, wird die Geschichte Ägyptens historisch faßbar.“498 Wie al-Masudi und weitere arabische Autoren konstatieren, sei „von dem Volk, das seinerzeit die Pyramiden geschaffen habe, (…) jede Spur getilgt; keine von einem zum nächsten tradierte Kunde vermöge uns mit ihnen noch zu verbinden.“499 Besonderen Respekt zollten muslimische Autoren, Geographen wie Chronisten, der baumeisterlichen Leistung der alten Ägypter, die nie wieder erreicht und schier übermenschlich schien.500 Nur verhalten werden Hinweise auf frühere, da heidnische Funktionen geäußert.501 Burchards fehlendes Vorwissen bezüglich der Pyramiden erscheint Cannuyer zwar erstaunlich, doch war das antike Wissen zu seiner Zeit weder im arabischen noch im lateinischen Kulturraum mehr präsent und die pharaonische und antike Tradition durch andere Erklärungsmodelle und Vorstellungen überlagert:502 „Bien plus, il semble que le mot lui-même de ‚pyramide‘ ait été oublié ou, au mieux, connu seule-

497 Haarmann, Ägypten (1990), 33  f.; Franke, Orte (2008), 103; Seipel, Pyramiden (2004), 15. So konstatiert Al-Maqrīzī: „Die größten Pyramiden sind die drei, die bis auf den heutigen Tag gegenüber von Misr stehen. Die Leute sind sich über die Zeit der Erbauung, über den Namen des Erbauers und die Ursache ihrer Erbauung nicht einig und haben die verschiedensten Meinungen geäußert, die aber meist verkehrt sind“, Graefe, Pyramidenkapitel (1968), 49. 498 Haarmann, Ägypten (1990), 33  f. 499 Ebd., 34. Eine Erforschung der Pyramiden veranlasste im 9. Jahrhundert der abbassidische Kalif Al-Ma’mun, Cooperson, Al-Ma’mun (2010). 500 Ebd., 45. „Dort stehen die beiden Pyramiden, denen auf der ganzen Welt nichts gleichkommt, weder im dem Reiche eines Gläubigen, noch in dem Reiche eines Ungläubigen, etwas ähnliches ist nie sonst geschaffen worden und wird nie wieder geschaffen“, formulierte Al-Maqrīzī, zitiert aus Franke, Orte (2008), 96. Ibn al-Hāğib und Abū ṣ-Ṣalt al-Andalusī vergleichen sie mit zwei Brüsten, ebd., 97. 501 Haarmann, Ägypten (1990), 51. „Wie weit das Interesse der mittelalterlichen Muslime an Alt­ ägypten wirklich reichte und reichen konnte, ist nur in sehr groben Umrissen zu erschließen. Die islamischen kulturellen und dogmatischen Vorgaben waren widersprüchlich. Dem zutiefst negativ eingefärbten koranischen Bild der dominant bösen Herrscherfigur, der Aversion gegen die bildliche Darstellung von Lebewesen und der rigorosen Ablehnung aller auf Wiedergeburt, Seelenwanderung bzw. irdisches Weiterleben der Verstorbenen zielenden Totenbräuche, die man mit Altägypten in Verbindung brachte, stand der Respekt vor den Zeugnissen der Vergangenheit als warnenden Exempla menschlicher Überheblichkeit und göttlicher Strafe gegenüber“, ebd., 54. Franke stellt die Theorie, nach der die Pyramiden mit Hermes sowie dem synkretistischen Schutzgott Agathodaimon in Beziehung gesetzt werden (mit der neuplatonischen Sekte der Sabier), stärker heraus, Franke, Orte (2008), 104  f. 502 Cannuyer, Pyramides (1984), 678. „Mais, c’est qui est à mes yeux le plus étonnant, c’est que Burchard de Strasbourg ignore à la fois le nom de ces monuments, leur destination et jusqu’à leur appartenance à la vielle culture pharaonique. Indirectement, il témoigne aussi par là de sa méconnaissance des auteurs classiques.“ Vgl. auch Graboïs, Description (2003), 529.

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ment de quelque érudits très marginaux, sans revêtir du reste l’acception de ‚tombeau pharaonique‘.“503 Punktuell in lateinischen Quellen greifbares Wissen darf nicht als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden. Im vorliegenden Fall unterstreicht gerade das Fehlen der bekannten Kontexte die Authentizität der Beobachtungen, die sich kaum durch schriftliche Quellen, aber durch die Übereinstimmung zur außersprachlichen Referenzebene bestätigen lassen. Auch aus der Zeit des dritten und vierten Kreuzzuges, als Expeditionen nach Ägypten stattfanden, sind keine Berichte erhalten.504 Genauer informiert dann Thomas I. von Aquino, Graf von Acerra, über die altägyptischen Bauwerke.505 Zeitlich fiel Burchards Aufenthalt in der ägyptischen Hauptstadt in die Jahreswende 1175/1176. Vermutlich wohnte Burchard in Fustat, denn von hier aus unternahm er einen Ausflug nach Matariya und begab sich anschließend von Fustat aus auf die Weiterreise nach Syrien. Saladin dürfte Burchard hier allerdings nicht angetroffen haben. Über den genauen Aufenthalt Saladins liegen für diesen Zeitraum zwar keine Quellen vor, doch hatte dieser Kairo Ende 1174 verlassen und war nach Syrien gezogen. In Erwägung zu ziehen ist aber eine Zusammenkunft mit Saladins Bruder Al-ʿĀdil.

III.1.5 Matariya: Balsamgarten, heilige Quelle und Palmwunder Im Anschluss an die Darstellung Neu-Babylons und Kairos beschreibt Burchard den „eine Meile von Kairo“ entfernt gelegenen Balsamgarten wie auch eine von ­Christen und Muslimen gleichermaßen verehrte Quelle, welche den Garten speist. Er beschreibt die Balsambäume, schildert die Gewinnung des kostbaren Harzes und hebt die „weltweite“ Einzigartigkeit dieser Plantage hervor sowie ihre Abhän503 Cannuyer, Pyramides (1984), 674. 504 „Typical perhaps is William, Archbishop of Tyre, who, when describing in detail the Egyptian campaigns of Amaury I, king of Jerusalem (1163–1174), in his Chronicon, although he devotes a whole chapter to the description of Egypt (XIX.24) and another to Alexandria (XIX.27), mentions no ancient monument, but concentrates on the natural features and the economic state of the country, especially the effects of the flooding of the Nile and the cosmopolitan nature of Alexandria“, Burnett, Images (2003), 97 Anm. 5. 505 Thomas besuchte im Jahr 1226/1227 als Gesandter Friedrichs II. zu al-Kāmil Gizeh und Memphis, Haarmann, Ägypten (1990), 29  f. Der „als besonders klug und philosophisch geschult porträtierte Franke“ entdeckte auf den Pyramiden lateinische Inschriften und übertrug diese gemeinsam mit seinem Begleiter, dem Emir Șalāḥ ad-Dīn Aḥmad b. ῾Abd as-Sayyid b. Ša῾bān al-Irbilī ins Arabische. Von dieser Begebenheit ist allerdings nichts aus lateinischen Quellen zu erfahren, sondern aus dem Kitāb Anwār ῾ulwiyy al-agrām fī l-kašf ῾an asrār al-ahrām (Buch von den Lichtern der oberen Himmelskörper: Über die Enthüllung der Geheimnisse der Pyramiden) von Ğamāl ad-Dīn Abū Ğa῾far Muḥamad b. ῾Abd al-῾Azīz al-Idrīsī (1173–1251), ebd., 30. Zu Thomas von Aquino siehe auch Cuozzo, Tommaso (2005); Ders., Antroponimia (1994); Schneider, Studien (1908), 268–273.

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gigkeit von der besagten Wasserquelle. Deren Besonderheit liege darin, dass nur sie allein den nahe gelegenen Balsamgarten bewässern könne, weil dessen Bäume kein anderes Wasser vertragen.506 Auch weiß er den Grund für die Verehrung der Quelle zu benennen: Ad hunc fontem beata Virgo cum Salvatore nostro Herodis persecutionem fugerat et ibi per aliquod tempus latitabat, lavans ad fontem illum pannos pueri, ut natura hominis requirebat.507 Den Namen dieser interreligiösen Wallfahrtsstätte nennt er nicht, doch handelt es sich unzweifelhaft um den Ort Matariya508, einst zur antiken Stadt Heliopolis509 gehörig und etwa sieben Kilometer östlich vom Nil und zwölf Kilometer nordöstlich vom heutigen Stadtzentrum Kairos510 gelegen. Vermutlich schon seit dem frühen Mittelalter zählte Matariya nach koptischer Tradition zu einer der Stationen, an denen die heilige Familie auf ihrer Flucht aus Ägypten Rast gemacht haben soll.511

506 Hic hortus habet fontem unde irrigatur, quia ab alia aqua non potest irrigari. 507 Die Windel dient in der Tradition dem christologischen Echtheitsbeweis der Menschheit Christi. 508 Über den Ursprung des Namens herrscht keine Einigkeit. Eine Ableitung vom koptischen Mátá-ré mit der Bedeutung „Stadt der Sonne“ (Heliopolis) ist umstritten, möglich scheint auch eine Verbindung mit einer an diesem Ort verehrten Sykomore, Halikowski-Smith, Myths (2008), 102, oder der Jungfrau Maria (Mater), Casanova, Noms (1901), 192  f. Überzeugender ist die Bedeutung „süßes Wasser“, Halikowski-Smith, Myths (2008), 103, da die Silbe ‚Ma‘ in semitischen Sprachen die Bedeutung ‚Wasser‘ besitzt und auch der arabische Name des Ortes (Ayn Shams/Aïn-Schems) „Quelle“ oder „Auge“ der Sonne bedeutet, Radscheit, Springs (2006), 121; Becker, Ayn Shams (1960). 509 Der Ort war früh besiedelt und besaß bereits im frühen Alten Reich große religiöse Bedeutung als Kultort. In pharaonischer Zeit hieß die Stadt Iunu (Pfeilerstadt) und war Hauptstadt der 13. unter­ ägyptischen Provinz (Gau). Verehrt wurden die Sonnengötter Atum und Re-Harachte in eigenständigen Tempeln, woher auch der griechische Name Heliopolis rührt. „Heliopolis ist Gottesstadt: als Ort des Urhügels, auf dem der Schöpfergott Atum aus sich selbst heraus die Schöpfung zu differenzieren begann, und Ort des mythischen Gerichtsentscheids; im Streit zwischen den Göttern Horus und Seth wird es irdische Replik der himmlischen Residenz des Weltherrschers und Sonnengottes – wie Abydos Residenz des Totengottes Osiris ist. In Heliopolis war auch Pharao nur Gast in der Rolle des Sohnes: als Inhaber des Königsamtes, das von Atum stammte“, Franke, Metropolen (2002), 5. Erwähnung findet Heliopolis schon bei Herodot, Historien. Ed. Feix (2001), Bd. 1. B II. passim; Strabon, Geographika, XVII, 1, 27–29. Ed. Radt (2007), Bd. 8, 805  f.; Diodorus, Weltgeschichte, I, 84. Ed. Wirth (1993), 117  f. und in der Bibel (Jer  43, 13; Ez  30, 17); der hebräische und koptische Name der Stadt ist On. Die Perser zerstörten die Stadt im 6. Jahrhundert v. Chr.; unter römischer Herrschaft wurden mehrere Obelisken des Tempels nach Alexandria und nach Rom gebracht, Raue, Haus (1999); Ders., Heliopolis (1999); Corteggiani, Site (2000), 26–32; Pieper, Heliopolis (1912). Von den antiken Überresten der Tempelanlage in der Stadt berichtet ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (1163–1231), der 1190 Matariya (Aïn-Schems) besuchte, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 180  f.; Becker, Ayn Shams (1960); Timm, Ägypten Bd. 4 (1988), 1613–1620. 510 Heute gehört Matariya zu Kairo, Raue, Haus (1999), 32–35. Das Stadtzentrum Kairos entspricht ungefähr dem bei Burchard genannten Neu-Babylon (=Alt-Kairo). Seine Entfernungsangaben, Kairo liege eine Drittelmeile von Neu-Babylon und der Balsamgarten eine Meile von Kairo entfernt, stimmen mit den realen Distanzen überein. 511 Die Tradition der Fluchterzählung und ihre einzelnen Stationen sind nicht in das kanonische Schriftgut aufgenommen worden. Von der Flucht nach Ägypten aufgrund der Verfolgung durch He-

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Wie der Ort zur Zeit Burchards ausgestattet war, kann nur vermutet werden.512 Auf Anordnung und Aussehen von Balsamgarten und Quelle geht Burchard nicht näher ein, seine wenigen Hinweise werden aber durch die arabischsprachige Überlieferung bestätigt. Mehrfach bezeugt ist die Existenz des Balsamgartens in der Umgebung Matariyas durch ungefähr zeitgleich entstandene Reiseberichte und geographisches Schriftgut.513 Burchards Angaben zur Lage und Anbaufläche stimmen mit denen des arabischen Gelehrten ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī514 und des koptischen Priesters Abū l-Makārim515 annähernd überein.516 Hervorgehoben werden Besonderheit und Bedeutung der Plantage wie auch ihre Abhängigkeit von einer bestimmten Quelle.517 Die speziellen Balsambäume liefern das hochgeschätzte Salböl Myron, rodes den Großen berichtet einzig das Matthäusevangelium (Mt 2, 13–23), ohne dortige Aufenthaltsorte zu nennen; die Historizität der Flucht ist prekär, aber nicht auszuschließen, vgl. Luz, Matthäus (1985), 126; 183; Bultmann, Tradition (1961), 317–319. Abū l-Makārim beschreibt in seiner ‚Geschichte der Kirchen und Klöster Ägyptens‘ dreizehn Stationen der Heiligen Familie, Abū l-Makārim. Ed. Samuel (1992) (non vidi); Abū Ṣāliḥ. Ed. Evetts/Butler (1895/2001). Zu den Editionen und der Identität Abū l-Makārims siehe Zanetti, Abū l-Makārim (1995); den Heijer, Historiographie (1996), 77–81. Im mittelalterlichen koptischen und äthiopischen Synaxarion sind Otto Meinardus zufolge acht Pilgerstätten angegeben, die alexandrinische Patriarchengeschichte (11. Jahrhundert) nennt zehn Orte, Meinardus, Saints (2002), 70–84.; Ders., Familie (1990), 29–34. Aufgeführt sind Route und einzelne Stationen bei Viaud, Pilgrimages (1991); Gregorius, Flight (1991). 512 Darstellungen sind erst aus dem Spätmittelalter erhalten, diese bilden den Balsamhain als einen von einer Mauer umschlossenen Paradiesgarten ab, Halikowski-Smith, Myths (2008), 108–110. 513 Timm, Ägypten Bd. 4 (1988), 1614. Ibn Ḥauqal kennt den Balsamhain, Ebn Haukal, Geographie. Ed. Ouseley (1800), 36; al-Maqrizi auch den Brunnen, Maqrz, Description, 2. Teil. Ed. Bouriant (1895), 680. 514 ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 20; 87; zu ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (1162– 1231) siehe zuletzt Bonadeo, Journey (2013). 515 Zanetti, Matarieh (1983), 32–39. Der Berichtszeitraum Abū l-Makārims erstreckt sich Zanetti zufolge zwischen 1153 und 1208, die Abfassungszeit ist daher nach 1209 anzusetzen, Zanetti, Abū l-Makārim (1995), 124; 133. Father Samuel (ebd., Anm. 4) und ihm folgend Aziz Atiya geben als terminus post quem 1204 an, Atiya, Abu Al-Makarim (1991), 23; zu Abū l-Makārim siehe auch III.1.2., 131 Anm. 321. 516 Burchard gibt die Anbaufläche mit einer halben Hufe an, was ungefähr drei Hektar (7–10 Fußballfelder) entspricht. Bei ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī beträgt die Größe sieben Feddāns, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 20; bei Abū l-Makārim 12 Feddāns. Doch in beiden Fällen handelt es sich um variierende Flächenmaße, vgl. ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 90, Anm. 45. Der aktuelle Feddan entspricht nach Zanetti 4200,833 m2, was bei Abū l-Makārim 50 410 m2 = 5 Hektar wären, Zanetti, Matarieh (1983), 37, bei ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī 29405,81 m2 = 2,940 Hektar und mit Burchards Angabe übereinstimmt. 517 Abū l-Makārim berichtet, dass der Versuch, die Balsambäume an einem anderen Ort zu kultivieren nicht von Erfolg gekrönt war, Zanetti, Matarieh (1983), 36. Darüber informiert auch Yāqūt alḤamawī (†1229) in seiner geographischen Enzyklopädie: „There is not a single place in the wold except Egypt where the balsam tree grows and the balm is made from it; but I have been told from someone who has seen the balsam tree that grows in Egypt and then went to the Hiğāz that: ‚This is the same balsam tree called šaǧa al-bašām, with the exception that we do not know of anyone who extracts balsam from it‘“, Yāqūt al-Ḥamawī, Muʿğam al-buldān. Bd. 2 (1995), 149 (übersetzt dankenswerterweise

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welches Abū l-Makārim zufolge nicht weit von der Plantage destilliert wurde.518 Im Einklang mit der von Burchard beschriebenen Quelle519, in der sich die Gläubigen an bestimmten Feiertagen waschen,520 berichtet Abū l-Makārim von einem Brunnen, welcher der Bewässerung der Balsambäume diente und dem ein Wasserbecken angeschlossen war.521 Darüber hinaus erwähnt er noch einen zweiten Brunnen und eine kleine Kirche oder Kapelle.522 Bekannt war der Balsamgarten zudem in Europa: Otto von Freising erwähnt ihn in seiner Chronik als einen Grund für die Verlagerung der Hauptstadt von Alexandria nach Memphis/Babylon und scheint das Wissen von dessen Existenz vorauszusetzen. Von einer heilbringenden Quelle oder Verbindung zu einer Station der Heiligen Familie schreibt er aber nicht.523 Mit Matariya wird überdies ein wundertätiger Baum in Verbindung gebracht, der bei Burchard ebenfalls Erwähnung findet. „Bei Kairo“, so erzählt er, „steht

von Ignacio Sanchez). ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī erwähnt die Quelle nicht, wohl aber die Einzigartigkeit der Balsambäume an diesem Ort, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 20. 518 Zanetti, Matarieh (1983), 34  f. Betont wird die Kostbarkeit des Balsams auch im koranischen Kommentar des Al-Qurṭubī (†1273), Al-Ğāmiʿ (1941), Bd.  11, 106  f.; Näheres zum Myron bei Arranz, Consécration (1989). 519 Die Quelle ist heute nicht mehr existent, wohl aber ein Brunnen, rund 40 m von einem ebenfalls an diesem Ort verehrten Maulbeerfeigenbaum (Sykomore) entfernt, welcher 1672 gepflanzt wurde, Meinardus, Familie (1978), 34. Die schon in frühmittelalterlichen Quellen erwähnte Balsamplantage verlor ab dem späten 15. Jahrhundert an Bedeutung; Arnold von Harff fand den Garten 1497 verwüstet und die Bäume ausgerissen, Pilgertagebuch. Ed. Brall-Tuchel/Reichert (2008), 132. 1610 machte der englische Reisende George Sandys nur noch einen Baum ausfindig, der ein Jahr darauf einem Nilhochwasser zum Opfer fiel, George Sandys, Relation (1973), 127. Konkurrenz entstand mit der Einführung des Perubalsams 1524, Halikowski-Smith, Myths (2008), 114. Zum heutigen Zustand siehe Zanetti, Matarieh (1983), 22; Hesemann, Ägypten (2012), 197  f. 520 Identisch bei Abū l-Makārim und Burchard ist die Nennung des 6. Januar als Wallfahrtstag, Abū l-Makārim führt noch den 24 Pachon (1. Juni, der Tag der Ankunft der Heiligen Familie in Ägypten) als Feiertag für Matariya an, Zanetti, Matarieh (1983), 21; 36; 38 Anm. 92. 521 Ebd., 36  f. 522 Abū l-Makārim zufolge wurde die verwahrloste Kirche unter dem Kalifat Aẓ-Ẓāfirs (1149–1154) wieder instandgesetzt und der Jungfrau geweiht, nach dem Tod des Kalifen aber von Muslimen konfisziert, die hier eine Gebetsnische einbauten, Zanetti, Matarieh (1983), 33; Martin, Delta (1997), 185  f. Schon vorher ist in der ‚Histoire des Patriarches d’Alexandrie‘ eine Kirche wie auch eine Moschee erwähnt, Zanetti, Matarieh (1983), 40. Im koptischen Synaxarion wird die Weihe der Kirche hingegen im Jahr 1185 angegeben, Viaud, Pilgrimages (1991), 1970. Meinardus berichtet von eine Kapelle der Franziskaner aus dem 15.  Jahrhundert, Meinardus, Saints (2002), 92; nach Viaud wurde diese erst 1597 Eigentum der Franziskaner und 1660 in eine Moschee umgewandelt, Viaud, Pilgrimages (1991), 1973. Samuel Kiechel beschreibt auf seiner Pilgerreise (1585–1589) indes nur das aus weißem Marmor erbaute Brunnenhäuschen, Samuel Kiechel, Reisen. Ed. Prottung (1987), 394. 523 Et ibi rex Egyptiorum, quamvis caput regni sui Alexandria sit, propter ortum balsami morari dicitur, Otto von Freising, Chronik, VII, 3. Ed. Lammers. (2011), 504. Den Balsamgarten lokalisiert Otto von Freising in Memphis/Babylon, d.  h. südlich von Kairo und damit 32 km von Matariya entfernt. Eine Erklärung, woher das Prestige dieser Plantage rührt, liefert er nicht; vgl. auch Kapitel III.1.4, 153 Anm. 428.

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daneben ein sehr alter und hoher Palmbaum, welcher sich einst der seligen Jungfrau zuneigte, als diese mit unserem Erlöser vorbeiging, um ihr seine Datteln anzubieten.“524 Ob Burchard die Dattelpalme ebenfalls in Matariya lokalisiert, wird aus der Darstellung nicht klar. Ähnliche Wunder werden noch von weiteren Stationen der Heiligen Familie berichtet.525 Als Schutz- und Schattenspender sowie Nahrungsquelle kam Bäumen generell die Bedeutung einer „Manifestation des Heiligen“ zu.526 Genauso häufig wird von Quellwundern Jesu berichtet, war Wasser doch gleichfalls von existenzieller und religiöser Bedeutung.527 Nicht mehr festzustellen ist, um welchen Baum es sich konkret in Matariya handelte, da die Angaben in den Quellen vor und nach dem 12.  Jahrhundert differieren. Auch spätere Pilgerberichte bezeichnen den Baum wahlweise als Sykomore528, Feigenbaum529 oder Dattel524 Item apud Chayr est arbor palme antiquissima et altissima que se beate Virgini inclinavit quando cum Salvatore nostro transivit illo et ab ea dactila collegit et iterum erigebatur. 525 Viaud, Pilgrimages (1991); Gregorius, Flight (1991); Meinardus, Saints (2002), 70–82. 526 Eliade, Wesen (1998), 14. Wunder im Zusammenhang mit Bäumen und Quellen erschließen sich als Ausdruck einer populären Frömmigkeit, deren Wurzeln weit zurückreichen. In pharaonischer Zeit fand auch „die Benennung eines aktuellen Königtums am jšd-Baum in Heliopolis statt“, da hier Merenptah vom Himmel herabgestiegen und geboren worden sein soll, Raue, Haus (1999), 10; 104. Nicht endgültig geklärt ist die Bestimmung dieses jšd-Baumes, möglich ist eine Gleichsetzung mit dem Perseabaum (Mimusops schimperi/laurifolia; aus dem Saft der Früchte wird auch Kautschuk gewonnen) wie auch mit der Balanites aegyptiaca (Wüstendattel), Germer, Handbuch (2008), 37; 207  f.; 300  f.; Dies., Persea (1982). 527 Vgl. Joh 4, 13–15. Zu den Quellwundern Meinardus, Saints (2002), 85; Viaud, Pilgrimages (1991). 528 Die Sykomore wurde schon im alten Ägypten verehrt: Im Alten Reich ca. 2600 v. Chr. als Liebesgöttin Hathor, im Frühen Neuen Reich als Himmelsbaum und Erscheinungsform der Göttin Nut, die den Toten Schatten, Wasser und Nahrung spendet. Isis soll auf der Flucht vor Seth den Horusknaben unter einer Sykomore gestillt haben. Erwähnung findet der Baum im Alten Testament (Ps  78,47; 1 Kön 10,27; 1 Chr 27,28; Am 1,1 und 7,14) und im Lukasevangelium 19, 1–10. Im 4. Jahrhundert behauptet Etheria von Aquitanien, die Sykomore sei von Moses und Aaron gepflanzt worden, Egeria, Itinerarium. Ed. Prinz (51960), 11. Eine Sykomore wird auch in Hermopolis Magna (al-Ašmunain) verehrt, Martin, Pilgrims (1991), 1977. Dort verortete auch die Legenda aurea mit Verweis auf Cassiodorus einen sich neigenden Baum (Persidis), Iacopo da Varzze, Legenda aurea, Bd. 1. Ed. Maggioni (1998), 99 (De Innocentibus). 529 So bei Felix Fabri, Evagatorium. Ed. Haßler (1849), 4; Pero Tafur, Andanças. Ed. Ramos (1934), 66; Jean Thenaud, Voyage. Ed. Schefer (1884), 54. Bei den Bezeichnungen als Feigenbaum und Sykomore handelt es sich ursprünglich wohl um den gleichen Baum: „It is not simply a mistake: it is a historical confusion on the basis that sycos and moros, the Greek words for mulberry an fig, are very close, as indeed are the two plants generally“, Halikowski-Smith, Myths (2008), 115. Dass sich in späteren Berichten der Feigenbaum genau wie die Dattelpalme niederbeugt, hält Halikowski-Smith für eine Fall von „Superimposition“, in dem die ebenfalls aus früheren Quellen belegte und mit bestimmten Eigenschaften assoziierte Feige die Palme ersetzt, ebd. Eine Verbindung kann auch von Eva zu Maria gezogen werden: Während Eva die Frucht ißt und eine Sünde begeht, wird diese durch Maria quasi neutralisiert. Gelesen wird er auch als Hinweis auf das Leiden Jesu, da er im Mittelalter auch als Todesbaum gedeutet wurde, vgl. Schiller, Ikonographie, 4.2 (1980), 209. Dattelpalme und Sykomore galten in pharaonischer Zeit als Lebensbäume, deren Früchte ein Weiterleben nach dem Tod versprachen.

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palme530; die arabischen geographischen Berichte machen indessen keine Angabe über einen Baum. Die Legende einer wundertätigen Palme war auch im Westen bekannt. Sie findet sich in der spätestens seit dem 9.  Jahrhundert unter dem Namen Pseudo-Matthäusevangelium (oder Historia de nativitate Sanctae Mariae et de infantia Salvatoris531) kursierenden Sammlung von Marienerzählungen,532 die zahlreiche weitere Werke beeinflusste.533 Der Erzählstoff und dessen Derivate waren weit verbreitet, ab dem

530 Von einer Dattelpalme berichten auch Marinus Sanuto Torselli, Gesta Dei. Ed. Bongars (1611), 260, und Johann Poloner, Johannes Poloner, Iherusalem. Ed. Tobler (1874), 280, die für diesen Teil allerdings aus Burchard schöpfen. 531 Unter diesem Titel veröffentlichte Johannes C. Thilo 1832 auf der Grundlage zweier Handschriften die Kapitel 1–24 des Pseudo-Matthäusevangeliums (angesehen als Editio princeps), Thilo, Codex (1832), 337–400. Konstantin von Tischendorf bezog in seiner Edition weitere Handschriften mit ein und erweiterte sie um die Kapitel 25–42, hielt aber irrtümlicherweise die Erzählung über die Jugend Jesu in Nazareth für einen ursprünglichen Bestandteil, Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 984. 532 Letzte Ausgabe: Libri. Ed. Gijsel (1997); weitere Ausgaben und Übersetzungen: siehe Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 983. Beim Pseudo-Matthäusevanglelium handelt es sich „um eine Neuschöpfung des Protoevangeliums [des Jakobus] in lateinischer Sprache, die auf eine lateinische Übersetzung dieses Textes zurückgeht“, ebd., 985. Kontaminiert ist diese Sammlung mit dem Thomasevangelium; die Fluchtgeschichte ist allerdings nur im Pseudo-Matthäusevangelium und nicht in den apokryphen Vorlagen enthalten. Die genauen Quellen dieser Erzählung sind nicht bekannt, ­Beyers, in: Gijsel, Libri Bd. 1 (1997), 11; 458; Rädle, Apokryphen (1999), 760; Frankemölle, Jesus (2003), 97; Öhler, Jesus (2008). Tradiert sind ca. 132 Handschriften, Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012); Gijsels Edition beruht auf 190 Textzeugen, er unterscheidet vier Textfamilien. Aus gleichen Vorlagen entstand im 9. Jahrhundert der Liber de nativitate sanctae Mariae, Beyers, in: Gijsel, Libri (1997), 21  f.; Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 984  f.; Gijsel, Evangiles (1976); Ders., Textüberlieferung (1981); Ders., Témoins (2002). Entstanden ist die Sammlung schon im 5. Jahrhundert, Gijsel, Témoins (2002), 274; Beyers, in: Gijsel, Libri, Bd. 1 (1997), 10–15; Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 984; Berthold, Datierung (1989) dazu Gijsel, Libri (1997), 64–66. Der Name PseudoMatthäusevangelium geht auf die Edition Tischendorfs von 1851 zurück. Tischendorf nahm einen vorgeschalteten Prolog für ursprünglich an, in dem Hieronymus gebeten wird, einen hebräischen Text des Evangelisten Matthäus ins Lateinische zu übersetzen, Tischendorf, Evangelia (1852), XXVII; Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 983  f. 533 Beyers, in: Gijsel, Libri, Bd. 1 (1997), 4–6. Eingang fand der Stoff u.  a. im Marienepos der Roswitha von Gandersheim, Roswitha von Gandersheim, Historia. Ed. Winterfeld (1902), 25  f.; in der 1172 vermutlich in Augsburg entstandenen und weit verbreiteten volkssprachlichen Dichtung ‚Driu liet von der maget‘ des Priesters Wernher (‚vom Tegernsee‘), Priester Werhner, Maria. Ed. Wesle (1969), 223–230; Gijsel, Wernher (1978); Foidl, Wernher (2011). Gottfried von Viterbo, Kaplan und Notar unter Konrad III., Friedrich Barbarossa und Heinrich VI., integrierte den Stoff in sein historiographisches Werk ‚Pantheon‘, verfaßt in verschiedenen Redaktionsstufen zwischen 1185 und 1190 (eine kritische Edition, die diesem Umstand Rechnung trägt, gibt es nicht), Beyers, in: Gijsel, Libri, Bd. 1 (1997), 26; Gottfried von Viterbo, Pantheon. Ed. Pistorius (1584/1726), 230–235 (in der Ed. Pertz nicht enthalten); Boockmann, Studien (1992). Im 13. und 14. Jahrhundert u.  a. im Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais, (Druck 1624), Buch  VI, 94  f.; Tarayre, Vierge (1999), in der Legenda aurea des Jakob von Voragine, Iacopo da Varzze, Legenda aurea, Bd. 1. Ed. Maggioni (1998); Fleith, Studien (1991), im ‚Ma-

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12. Jahrhundert fand das Pseudo-Matthäusevangelium Eingang in die Liturgie für das Fest Mariä Geburt;534 beliebt wurden Motive des Marienlebens auch in der Ikonographie. Zwar sind bildliche Darstellungen für das spezielle Motiv Maria unter der Palme (Ruhe auf der Flucht) vor dem 13. Jahrhundert spärlich,535 doch kann für das 12. Jahrhundert von einer Vertrautheit mit der Fluchtgeschichte in Mitteleuropa ausgegangen werden.536 Burchard liefert eine frühe, wenn nicht die erste bekannte lateinische Darstellung des Balsamgartens und der Pilgerstätte,537 identifiziert diese aber weder mit einem antiken Namen noch bringt er sie mit einer bestehenden Siedlung in Verbin-

rienleben‘ des Bruders Philipp von Seitz (um 1300, verfasst im Auftrag des Deutschen Ordens), Gärtner, Philipp (1981) und im mittelhochdeutschen Alten Passional, Richert, Marienlegenden (1965). Zur Mariologie des 12. und 13. Jahrhunderts siehe Longère, Marie (2004); Stackmann, Magd (2002); Delius, Marienverehrung (1963). 534 Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 986; Beyers, in: Gijsel, Libri, Bd.  1 (1997), 16–34. Frömmigkeitsgeschichtlich hat sich in Deutschland besonders die Überführung der Reliquien der Magier aus Mailand nach Köln ausgewirkt, Luz, Matthäus (1985), 178. Vorbehalte gegenüber dem Marienkult bestanden aber bei Bernhard von Clairvaux, Beyers, in: Gijsel, Libri, Bd. 1 (1997), 9  f. 535 Gertrud Schiller führt eine Bronzetür in Pisa, die eine sich über Maria neigende Palme zeigt, und ein Kapitell aus Autun aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts an, Schiller, Ikonographie Bd. 1 (1969), 131. Andere Szenen sind von Glasgemälden und anderen Medien aus dem 12.  und 13.  Jh. bezeugt, Schultz, Legende (1878), 35–80. „Die abendländische Darstellung der apokryphen Zyklen begann, soweit wir das heute beurteilen können, in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts nur zögernd, Wessel, Marienfrömmigkeit (1980), 44. Zur Wirkungsgeschichte in der Kunst siehe Pellegrini, Kindheitsevangelien (2012), 897–902 mit weiteren Literaturangaben. 536 Im Osten wurden die Kindheitsevangelien ungebrochen überliefert, im Westen besonders von Hieronymus und Papst Damasus zurückgedrängt. „Hier zirkulierten erst seit dem neunten Jahrhundert unter dem Namen des Hieronymus zwei lateinische Spätfassungen, das Pseudo-Matthäusevangelium und seine Überarbeitung ‚Geschichte von der Geburt der Maria‘. 1267 wurden sie durch Rezeption in der Legenda aurea des Jacobus a Voragine zum Allgemeingut der damaligen christlichen Bevölkerung“, Pellegrini, Kindheitsevangelien (2012), 887. „L’insertion des deux apocryphes dans ces œuvres, qui ont joui d’une popularité immense, montre à quel point la matière légendaire était devenue familière (…)“, Beyers, in: Gijsel, Libri, Bd. 1 (1997), 33. 537 Berichte aufgeführt bei Timm, Ägypten Bd. 4 (1988), 1615  f., der einen Brocard mit der Jahreszahl 1283 versieht; Zanetti, Matarieh (1983); De la Roncère, Découverte, Bd. 2 (1925), 105  f.; Jullien, Arbre (1904). Lateinische Reiseberichte über Matariya sind erst später u.  a. von Burchard vom Berg Sion (1285–1295), Burchard von Monte Sion, Descriptio. Ed. Laurent (1873), 61; Pringle, Pilgrimage (2012), 46–51; Symon Semeonis (1323–1325), Itinerarium. Ed. Esposito (1960), 80–82, Wilhelm von Boldensele, Wilhelm von Boldensele, Reise. Ed. Grotefend (1852), 247, Ludolf von Sudheim (1336), Ludolf von Suchem, De itinere. Ed. Deycks (1851), 52–54, und Felix Fabri (Bericht vom 7. Oktober 1483), Felix Fabri, Evagatorium. Ed. Haßler (1849), 4–18, bekannt. Als direkte Vorlage diente Burchard dem Venezianer Martin Sanuto Torselli (1306–1321), Gesta Dei. Ed. Bongars (1611), 260. Weitere (neuzeitliche) Pilgerberichte aus Ägypten in den Schriften der Reihe ‚Collection des voyageurs occidentaux en Egypte‘; Amin, Ägyptomanie (2013); Wade Labarge, Travellers (1983); zum koptischen Pilgerwesen generell Frankfurter, Pilgrimage (1998).

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dung.538 Grundsätzlich konnte er für seine Darstellung auf im Westen übermittelte Wissensbestände zurückgreifen. Da wesentliche Details in Burchards Erzählung nur vereinzelt und in Quellen unterschiedlicher Herkunft und Gattungen überliefert sind, erfordert die Frage nach der Provenienz und Vermittlung seiner Kenntnisse, was den religiös-legendären, den technischen (Harzgewinnung) und den Bereich des interreligiösen Kultes betrifft, jedoch eine genaue Prüfung des vorhandenen Materials. Die bei Burchard vorkommenden Elemente Balsam, Quelle, Windeln und Baum (Dattelpalme) sind in diversen Kombinationen feste Bestandteile der koptischen, aber auch islamischen Tradition der Fluchterzählung in Matariya. Verbreitung fanden die Fluchtgeschichten zunächst und hauptsächlich in Ägypten, Syrien und dem arabischsprachigen Raum, wo sie auch entstanden sein dürften.539 Gemeinsamkeiten der verschiedenen (allesamt nichtkanonischen) Quellen lassen eine verbindende Tradition vermuten. Doch bestehen gravierende Unterschiede; Ursprünge und Traditionswege sind schwer nachzuweisen, zumal die Schlüsseltexte oft erst aus dem 12. und 13. Jahrhundert in schriftlicher Form vorliegen.540 Einen frühen Bericht der Legende dieses Ortes überliefert die aus dem 7.  Jahrhundert stammende Homelie des Bischofs Zacharias (693–700),541 von der gleichwohl keine lateinische Übersetzung bekannt ist.542 Zacharias erzählt, dass bereits eine Weile vor Ankunft in Matariya Jesus einen nicht näher bezeichneten Baum in die Höhe schnellen ließ, unter dem die Heilige Familie in Begleitung der Hebamme Salome Schutz und Schatten fand. Als zweites Wunder entsprang auf Jesu Geheiß eine Quelle frischen Wassers unter dem Baum. Daraufhin setzte die Familie ihren Weg fort und kam nach Matariya. Dort übergab Joseph Jesus seinen Stock,543 Jesus brach

538 Das Fehlen einer Ortsbezeichnung kann mit der Lage dieses Ortes abseits von Siedlung und Ruinenfeld des antiken Heliopolis erklärt werden. ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī erwähnt neben dem Ruinenfeld nur ein Dorf; die Entfernung zur Balsamplantage gibt er nicht an, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 180. Auch Abū l-Makārim lokalisiert Kirche, Brunnen und Balsamhain außerhalb der Siedlung, Zanetti, Matarieh (1983), 33. Möglicherweise ließ die arabische Bezeichnung Aïn-Schems Unsicherheit bei einer Gleichsetzung mit bekannten Ortsnamen entstehen; wie der Ort von den Begleitpersonen Burchards bezeichnet wurde, ist ungewiss. 539 Pellegrini, Kindheitsevangelien (2012), 887. 540 Ebd., 886–897; auch Frey/Schröter, Jesus (2010); Söding, Bethlehem (2013); Klauck, Evangelien (2002). 541 Zanetti, Matarieh (1983), 25–27; Müller, Zacharias (1991); Brockelmann, Geschichte I (1898), 472  f.; Graf, Geschichte (1944), 228  f. 542 Französische Übersetzung in Zanetti, Matarieh (1983), 26  f. (auf Grundlage der ersten Ed. Ğirğis, Kitāb [1902] 39–55). Zur orientalischen Überlieferung der nichtkanonischen Schriften und ihren mittelalterlichen Übersetzungen generell siehe Markschies, Haupteinleitung zu Apokryphen Bd. 1 (2012), 83  f. mit Literaturangaben. 543 Josephs Stab spielte in der koptischen Tradition als Figuration des Gottesstabes Mose eine besondere Rolle, Frankemölle, Jesus (2003), 96. In der koptischen Kirche hatte Joseph einen hohen Stellenwert, da er die Familie nach Ägypten führte, Aranda Perez, Joseph (1991). Die Kopten führten ihre Abstammung auf Abraham zurück und verehrten beide Josephs in besonderer Weise. Der Patriarch

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diesen in Stücke und steckte sie in die Erde, worauf an Ort und Stelle eine Quelle aus dem Boden sprudelte. Aus den Holzstücken trieben sogleich die sogenannten Balsambäume. Baum, beide Quellen und Balsam entstanden in dieser Version erst mit der Ankunft Christi; hervorgehoben wird die Heilkraft des Wassers und des Baumes.544 Mit dem aus Jericho stammenden Stock Josephs wird zudem auf den Transfer der zuvor ausschließlich in Jericho545 heimischen Balsambäume nach Ägypten verwiesen, um auch hier die Produktion des Myron sicherzustellen. Etwas anders überliefert das arabische Kindheitsevangelium546 das Geschehen. Im Unterschied zur Homelie handelt es sich nicht um zwei Wunder an unterschied­ lichen Orten, sondern alles spielt sich in Matariya ab.547 Der als Sykomore (Maulbeerfeigenbaum) bezeichnete Baum existiert hier bereits bei Ankunft der Heiligen Familie. Jesus bewirkte dann das Fließen einer Quelle, in der Maria seine Windeln wusch. Aus

Joseph galt als Erfinder des Nilometers und Erbauer al-Fayyums, Meinardus, Saints (2002), 16  f. Der Joseph des Alten Testaments galt als typologische Präfiguration des neuen Josephs, beide besaßen die Gabe der zukunftsweisenden Träume. Im Matthäusevangelium wird die Flucht nach Ägypten nicht erzählt, doch erhält Joseph den Auftrag im Traum (Mt, 2, 13–15), vgl. Frankemölle, Jesus (2003), 95. Meinardus zufolge wirkte Joseph in drei Orten konkret: in Baysûs (Dair al-Ǧarnūs), in Qusqam/ Cusae (al-Qūṣīya) und in Matariya, Meinardus, Saints (2002), 13. Cusae (mit dem Kloster Dair alMuḥarraq) ist der südlichste Punkt der Fluchtroute, Bonnet, Kusae (2000). 544 „Le Seigneur bénit cette place en disant: ‚Quiconque descendra dans ce puits sacré pour s’y baigner ou pour y boire recevra la guérison de toutes ses maladies.‘ Et il bénit l’arbre en disant: ‚Tu ne seras pas anéanti, et aucune feuille ne tombera de toi, jusqu’à ce que Dieu hérite la terre et ceux qui s’y trouvent‘“, Zanetti, Matarieh (1983), 27. 545 Bekannt waren Balsambäume in der Antike in Engaddi und Jericho, Plinius, Naturkunde, XII, 11. Ed. König/Winkler (1977), 82–91. Salomo soll von der Königin von Saba Balsam erhalten haben. Zur Zeit Herodes‘ waren sie von besonderer Bedeutung, da ihre Kultivierung Einnahmen erbrachten, die an Kleopatra (Antonius) abgeliefert werden mussten, Ritter, Erdkunde (1818), 348–350, 349; Joseph, Antiquitates  XV 4. Ed. Van Henten (2014), 70  f. Historisch früher als die Schaffung des Balsamgartens durch Jesus wird die Anpflanzung der Bäume auf Wunsch Kleopatras genannt. Der ‚Livre du ­Chreme‘ datiert die Ankunft des Balsams ins 4.  Jahrhundert, Zanetti, Matarieh (1983), 41; Patrich/ Arubas, J­ uglet (1989). 546 Deutsche Übersetzung in Josua/Eißler, Kindheitsevangelium (2012); Ausgabe lat. und deutsch: Schneider, Evangelia (1995), 173–195. Das arabische Kindheitsevangelium ist in zwei arabischen und drei redaktionell bearbeiteten syrischen Handschriften überliefert, letztere sind „für die Urform (…) von Bedeutung“, Josua/Eißler, Kindheitsevangelium (2012), 964. Die Episode in Matariya ist nur in der (arabischen) Oxforder Handschrift tradiert, weshalb Zanetti in Anlehnung an Peeters von einer späten Interpolation ausgeht, Zanetti, Matarieh (1983), 23; Evangiles. Ed. Peeters (1914), 2, I–XXIX; Anhaltpunkte für eine Datierung gibt es kaum. Für die von Heinrich Sike 1697 edierte arabische Oxforder Handschrift wird eine Entstehung in vorislamischer Zeit (4./5. Jahrhundert) vermutet, ebd., 964  f.; Schneider, Evangelia (1995), 47–55. Der arabische Codex Lauretanus von 1299 weist enge Parallelen zum Koran auf. 547 In der Vision des Theophilus spielt sich alles in al-Qusiya, dem antiken Cusae, ab. An diesem Ort steht nach Theophilus auch die erste und älteste Kirche, Theophilus, Vision, Ed. Mingana (1931).

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dem süßen Quellwasser gemischt mit dem Schweiß Jesu wuchsen anschließend Balsambäume.548 Im koptischen (und äthiopischen) Synaxarion549 werden im Eintrag zum 24. Pachon (1. Juni) Quelle und Balsambäume ebenfalls in Matariya lokalisiert. Deren Existenz wird aber nicht erst auf den Aufenthalt der Heiligen Familie zurückgeführt, einzig die Heilswirkung resultiert aus der Berührung mit dem Jesusknaben.550 Von einem schattenspendenden Baum ist nicht die Rede, dagegen berichtet das Synaxarion von sich niederbeugenden Pflaumenbäumen in al-Ašmunain (Hermopolis).551 Im Unterschied zu den im Osten kursierenden Versionen finden Balsambäume im Pseudo-Matthäusevangelium keine Erwähnung, Palme und Quelle stehen hingegen in expliziter Verbindung: Es geschah aber danach, am dritten Tag ihrer Reise, dass Maria durch die große Glut der Sonne in der Wüste erschöpft wurde, und als sie eine Palme sah, sich unter deren Schatten ein wenig ausruhen wollte. Und eilends führte Joseph sie zur Palme und ließ sie vom Maultier herabsteigen. Und als sich Maria niedergesetzt hatte, blickte sie zum Blätterwerk der Palme und sah sie voller Früchte und sprach: „O wenn es doch geschehen könnte, dass ich etwas von diesen Früchten der Palme genießen könnte.“ Und Joseph sprach zu ihr: „Ich wundere mich, dass du dies sagst, obwohl du doch die große Höhe dieser Palme siehst. Du denkst an die Früchte der Palme, ich aber denke an Wasser, das uns in den Schläuchen nunmehr ausgegangen ist, und wir haben nichts, womit wir sie wieder füllen noch uns selbst erquicken können.“

548 „Von dort zogen sie zu der Sykomore, die heute Matariya heißt, und der Herr Jesus ließ in Matariya eine Quelle sprudeln, in welcher Maria sein Hemd wusch. Aus dem Schweiß des Herrn Jesus, den sie dort auswrang, kam in jener Gegend Balsam heraus.“ (Kap. 24); Josua/Eißler, Kindheitsevangelium (2012), 972. 549 Synaxarium, Hrsg. Suter (1994). Das koptisch-arabische Synaxar ist ein liturgisches Buch, Heiligenerzählungen sind zum Zweck der Kommemoration nach dem koptischen Kalender geordnet, der am 29. August beginnt. Entstanden ist es zu Beginn des 14. Jahrhunderts aus Sammlungen koptischen Schriftguts, zwei ägyptische Rezensionen sind zu unterscheiden. Dazu Swanson, Synaxarion (2013); Atiya, Synaxarion (1991); Coquin, Synaxarion (1991); Ders., Synaxaire (1978); Ders., Date (1994); Meinardus, Synaxarium (1963); Graf, Autorenschaft (1940); Hanna, Synaxarium (1997). 550 „Dann verließ die heilige Familie Misr und sie gingen nach Mataria, wo sie sich badeten. Da wurde diese Quelle heilig und gesegnet von jener Stunde an. Es kommt daraus Balsamöl hervor, welches bei den Taufen und der Einweihung der Tempelkirchen und Gefäße verwendet wird. Es werden daraus Heil- und Stärkungsmittel für viele Krankheiten bereitet und es wird als Geschenk an die Könige hochgeschätzt“, Synaxarium, Hrsg. Suter (1994). Abgesehen von Differenzen im Handlungsablauf wird aufgrund der unterschiedlichen Reihenfolge der Fluchtstationen deutlich, daß das Synaxarion nicht von der Homelie abhängt. Obwohl erst aus dem 13. Jahrhundert stammend, vermutet Zanetti hier eine ältere Tradition: „d’ordinaire, les récits étiologiques partent des données préexistantes, y raccrochent un fait secondaire, et finissent par faire de ce derniers la cause des premières,“ Zanetti, Matarieh (1983), 29. 551 „Dann kam die heilige Familie nach El-Aschmunin. Sie blieb hier einige Zeit bei einem Mann, namens Apollon. Hier standen Pflaumenbäume, welche sich vor dem Herrn niederbeugten und bis auf den heutigen Tage gebogen blieben“, Synaxarium, Hrsg. Suter (1994) zum 24. Baschan (1. Juni); Timm, Ägypten Bd. 1 (1984), 198–220.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Da rief der kleine Jesus, der auf dem Schoß seiner jungfräulichen Mutter saß, der Palme zu und sprach: „Neige dich, Baum, und erfrische meine Mutter mit deinen Früchten.“ Sofort aber auf sein Wort hin neigte die Palme ihre Spitze bis zu den Füßen Mariens, und alle sammelten von ihr die Früchte, die sie hatte, und wurden dadurch erfrischt. Nachdem aber alle ihre Früchte gesammelt worden waren, blieb sie vornübergeneigt, weil sie darauf wartete, sich durch dessen Befehl zu erheben, durch dessen Befehl sie sich geneigt hatte. Da sprach Jesus zu ihr: „Erhebe dich, Palme, und werde stark und sei eine Gefährtin meiner Bäume, die im Garten meines Vaters stehen. Öffne aber aus deinen Wurzeln die verborgenen Quellen, und aus ihnen möge Wasser bis zum Überfluss strömen.“ Und sofort richtete sich die Palme auf, und durch ihre Wurzeln hindurch begannen Quellen hervorzufließen, Quellen von klarem, kühlem und süßestem Wasser. Als sie aber die Quellen der Wasser strömen sahen, freuten sie sich sehr und tranken zusammen mit den Tieren und Menschen und sagten Gott Dank.552

Jesus besitzt Wirkmacht über das Wasser und gebietet dem Baum, sich auf sein Geheiß niederzubeugen. Dieses Phänomen schildert in auffälliger Parallele auch die im Koran überlieferte Version der Legende.553 Im Koran steht das Palmwunder aller552 Übersetzung aus Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), 1000, aus der Textfamilie A. Lateinischer Text in: Gijsel, Libri, Bd. 1 (1997), 459–465: 20.1. Factum est autem post haec in die tertia profectionis suae ut Maria solis nimio ardore fatigaretur in heremo, et videns arborem palmae sub umbra eius aliquantulum vellet quiescere. Et festinans Ioseph perduxit eam ad palmam et descendere eam fecit de iumento. Cumque resedisset Maria, respiciens ad comam palmae vidit eam repletam pomis, et ait: O si possit fieri ut ex istis fructibus palmae perciperem. Et ait Ioseph ad eam: Miror te haec dicere, cum videas tantam altitudinem palmae huius. Tu quidem de palmae fructibus cogitas. Ego autem de aqua cogito quae nobis iam defecit in utribus, et non habemus unde replere eos aut nos ipsos refocillare. 2. Tunc infantulus Iesus sedens in sinu matris suae virginis exclamavit ad palmam et dixit: Flectere, arbor, et de fructibus tuis refice matrem meam. Statim autem ad vocem eius inclinavit palma cacumen suum usque ad plantas Mariae, et colligentes ex ea fructus quos habebat omnes refecti sunt. Postea vero quam collecta sunt omnia poma eius, inclinata manebat, expectans ut eius imperio surgeret cuius imperio fuerat inclinata. Tunc Iesus dixit ad eam: Erige te, palma, et confortare et esto consors arborum mearum quae sunt in paradiso patris mei. Aperi autem ex radicibus tuis fontes occultantes, et fluant ex eis aquae in satietatem. Et statim erecta est palma, et coeperunt per radices eius fontes aquarum egredi limpidi et frigidi et dulcissimi. Videntes autem fluentes fontes aquarum gavisi sunt gaudio magno et potati una cum iumentis et hominibus gratias agentes deo. 553 „Kaum erforscht ist bis jetzt eine eventuelle Aneignung, Kommentierung oder Zurückweisung apokrypher Traditionen im Koran. (…) Für den Koran kann aber in dieser Hinsicht schon jetzt als Spezifikum festgehalten werden, daß bekannte Traditionen und Vorstellungen in ihm immer eine kritische relecture erfahren, indem sie aus ihren bereits festgelegten Deutungskonzeptionen in einen neuen Verstehenshorizont gestellt werden“, Markschies, Haupteinleitung zu Apokryphen, Bd.  1 (2012), 84  f. „The undoubted parallels between the Kuranic account and material found in the apocryphal gospels do not, however, indicate direct dependence, but are more indicative of the folklore aspect of religion, much fuller than would be implied by the canonical text of the Gospels, itself the product of careful selection. Possibly apocryphal gospels and the Kuranic stories reveal a common folklore tradition”, Wensinck, Maryam (1991), 630  f. Bauschke sieht keinen motivgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Koran und apokryphem Palm- und Quellmirakel, da 1. Das koranische Wunder literarisch 150 bis 200 älter ist als die christliche Variante; 2. „Wundersame Erzählzüge in der Regel (im Laufe der Tradierung) noch gesteigert werden und nicht umgekehrt“; 3. Unterschiede in Kontext und Gestalt der Legende bestehen. Das Motiv der Stärkung Marias ist in vorkoranischer Zeit aus den

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dings nicht im Kontext der Flucht, sondern im Zusammenhang mit der Geburt Jesu, der in islamischer Tradition unter einer Palme554 an einem nicht präzisierten Ort555 zur Welt kommt (Sure 19: 23–25): Und die Wehen trieben sie bis zum Stamm einer Palme. Sie sprach: (23). „O dass ich doch zuvor gestorben und ganz und gar vergessen wäre!“ (24). Da rief unter ihr jemand: „Sorge dich nicht! Dein Herr lässt unter Dir Wasser fließen. (25). Und schüttle nur den Stamm der Palme, dann werden frische, reife Datteln auf dich herunterfallen.556

In entscheidender Differenz zu den christlichen Darstellungen – abgesehen vom Synaxarion – ist der Ursprung der Quelle im Koran nicht eindeutig auf Jesus zurückzuführen, der ja nicht beim Namen genannt wird. In islamischer Deutung wird der „Jemand“ entweder mit dem Erzengel Gabriel, Jesus oder der Palme identifiziert,557 doch ist nicht das ungeborene Jesuskind für das Quellwunder verantwortlich. Auch das Neigen des Baumes geschieht nicht auf Geheiß Jesu, sondern des „Herrn“.558 Apokryphen nicht belegt; Bauschke, Jesus (2001), 26  f.; 185  f.; zur Entstehung des Koran: Neuwirth, Koran (2010), 235–275; Marx, Glimpses (2010); Pohlmann, Koran (2012). 554 Im Koran kommt die Dattelpalme als weitverbreiteter und ökonomisch wichtiger Baum in zwei Kontexten vor: Als Zeichen göttlicher Freigiebigkeit und im metaphorischen Sinn als Sündenstrafe, wenn die Palme unfruchtbar wird, Waines, Date Palm (2003). Hier wird sie als Zeichen Gottes hervorgehoben. 555 Die „Unterkunft“ wird teilweise in Jerusalem, in Bethlehem oder in Ägypten lokalisiert, Bauschke, Jesus (2001), 27. Die Palme lokalisiert El-Maqrizi in dem Dorf Ihnāsiyā l-Madīna (Herakleopolis), das weiter südlich am Nil liegt, Maqrz, Description, 2. Teil. Ed. Bouriant (1895), 703. 556 Zitiert aus der Übersetzung von Max Hennig, Koran (1999), 249; Nagel, Koran (1991), 204; Schedl, Mohammed (1978), 195–197. Ursprünglich war diese Episode Teil der Fluchtgeschichte. Indiz dafür ist das Versprechen von Essen und Trinken (Wasser und Datteln), das nicht mit der eindringlichen Schilderung des Geburtsschmerzes Marias zusammenpasst. Im Koran spiegeln sich zahlreiche Vorstellungen, welche im 7. Jahrhundert in Kleinasien und auf der Arabischen Halbinsel in Umlauf waren. Das Wort Koran ist syrisch-aramäischen Ursprungs und bedeutet Lektionar. 557 Die Auslegungsmöglichkeiten werden im Korankommentar des Aṭ-Ṭabarī († 923) genannt: „The readers disagree with regards to the reading of this verse. The majority of the readers of the Ḥiǧāz and Iraq read ‚from below her‘ (min taḥtihā), meaning that Gabriel called her while being in front of her. There are also discrepancies among them about this interpretation, and although some interpreters also read ‚from below her‘, they claim that this refers to Jesus, who called her from below her after his birth. The reading of some people of Kufa and Baṣra is: ‚someone below her‘, with a fatḥa over the tāʾ of taḥta (man taḥtahā), meaning: ‚the one who was below her called her‘; the one who was below her was Jesus, and he was the one who called her mother“, Aṭ-Ṭabarī, Tafsīr, Bd. 5 (1994), 150  f. (Übersetzung von Ignacio Sanchez). Die Worte „unter ihr“ sind syrisch-aramäischen Ursprungs und bedeuten „sogleich nach ihrer Niederkunft“, doch wird dies „offenbar schon von den ältesten muslimischen Kommentatoren nicht mehr (…) erkannt, Bauschke, Jesus (2001), 24. 558 „Die wundersame Erquickung Marias ist im Koran als ein göttliches Wunder beschrieben, auf das der Jesusknabe lediglich hinweist. Gott ist es, der für sie beide eine Quelle oder ein Bächlein fließen läßt“, Bauschke, Jesus (2001), 25; Wensinck, Maryam (1991), 631. Wie in der Jungfrauengeburt zeigt sich hier die Macht Gottes, der veranlassen kann, was er will. Jesus ist lediglich Gottes Bote bzw. Gottes Wort (Sure 4 : 171), Freyer Stowasser, Mary (2003), 293; Robinson, Jesus (2003), 13.

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Prägend ist im Koran die Theozentrik, große Vorbehalte bestehen gegenüber der Gottessohnschaft Jesu.559 Nach koranischer Tradition hat Jesus auch keinen irdischen Vater: Während Joseph in der christlichen Überlieferung fester Bestandteil der Legende ist, wird er im Koran überhaupt nicht erwähnt.560 Im Zentrum steht Maria, die im Koran besonders hervorgehoben wird. Sie ist die einzige Frau, die im Koran mit Namen genannt wird.561 Der Vergleich der schriftlichen Überlieferung zeigt die nebeneinander existierenden Varianten der Legende von Matariya und deren Transformationen auf. Erst aus der Zusammenschau der kursierenden Berichte gewinnen Genese und Profil von Burchards Bericht Kontur. In seiner Darstellung berühren sich Details unterschiedlicher Traditionen, die sich in dieser Zusammenstellung jedoch in keiner der Überlieferungen finden; eine direkte Vorlage und inhaltliche Abhängigkeit für Burchards Darstellung ist auf Grundlage der fixierten Tradition nicht zu benennen. Übereinstimmend mit dem Gros der Versionen lokalisiert Burchard Balsambäume und wundertätige Palme nicht am gleichen Ort, traditionsgeschichtlich handelt es sich wohl um zwei Wundermotive. Anders als in allen anderen Versionen bringt er (Palm)baum und Quelle in keine Verbindung, wie im Synaxarion ist die Quelle präexistent. Auffällig ist, dass wesentliche Elemente der christlichen (koptischen) Tradition in Burchards Darstellung fehlen: 1. Die Quelle führt er nicht auf ein Wunder Jesu zurück, die heilende Wirkung des Wassers und die Verehrung durch christliche Pilger erwähnt er nur indirekt. 2. Die logische Reihenfolge des Handlungsablaufes – der schon vorhandene Baum, die dann entspringende Quelle und darauf folgend das Wachstum der Bäume – kehrt er um, so dass er seine Sinnhaftigkeit verliert. 3. Die Balsambäume deutet er nicht als Konsequenz des Aufenthalts Jesu, ihre Entstehung aus der Rute Josephs und dem Quellwasser spielen bei Burchard keine Rolle, einzig der Hinweis, dass die Balsambäume kein anderes Wasser dulden, kann als Überrest dieser Vorstellung gelesen werden.562 4. Joseph, eine wichtige Figur in den Fluchterzählungen und speziell in dieser Legende, kommt nicht vor. Mit dem Nennen der Dattelpalme, dem Fehlen Josephs und der nur passiven Rolle der zentralen Figur Jesus und stimmt Burchards Darstellung des mythischen 559 Bauschke, Jesus (2001), 33; Gnilka, Nazarener (2007), 105–122; Eißler, Jesus (2009); Çinar, Maria (2007), 127–153; Räisänen, Jesusbild (1971); Parrinder, Jesus (1965). Eine Zusammenstellung von Jesuslogien aus dem Koran und arabisch-islamischer Literatur bei Eißler, Jesuslogien (2012); auch Schedl, Mohammed (1978). Die Christologie des Korans entspricht der Christologie des Judenchristentums und des Arianismus im 5. Jahrhundert. 560 Wensinck, Maryam (1991), 628. Hinsichtlich der beteiligten Personen bestehen Unterschiede in der Überlieferung, in der Homelie begleitet noch die Hebamme Salome die Heilige Familie, die auch im Pseudo-Matthäusevangelium vorkommt. 561 Eißler, Jesus (2009); Çinar, Maria (2007), 29–65; Iskandar, Maria (1999); Dammen McAuliffe, Women (1981). 562 Die Schilderung der Balsambäume als Nutzpflanzen stimmt mit Otto von Freising überein, der ebenfalls keine Verbindung zu Jesus herstellt.

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Hintergrundes mit der koranischen Version überein,563 weist aber ebenso Parallelen zum Pseudo-Matthäusevangelium und zum später überlieferten Synaxarion auf. In der Verbindung verschiedener Motive der Erzähltraditionen verzichtet er weitgehend auf legendarische Ausschmückung und die Wiedergabe supranaturaler Eingriffe. Sein Erzählinteresse liegt nicht auf der Darstellung der religiös-mythologischen Vergangenheit des Ortes; der Fokus richtet sich auf zwei aktuelle Besonderheiten: die interreligiöse Bedeutung der Quelle als Ort der Interaktion von Christen und Muslimen einerseits, die ökonomische Bedeutung der Balsamplantage andererseits. Die Gelegenheit, beide Orte zu schildern, bestand möglicherweise erst seit kurzem:564 Laut Abū l-Makārim war der Besuch der Quelle unter den Fatimiden aufgrund der Nähe zum streng bewachten Balsamgarten untersagt, erst seit der Herrschaft Saladins war das Bad in der heiligen Quelle erlaubt.565 Eigentümlich ist in Burchards Beschreibung der Pilgerstätte, dass er einzig die Verehrung durch die Muslime wiedergibt, christliche Pilger aber nicht erwähnt.566 Eingehend schildert er die Verehrung der Quelle durch die Sarazenen: Diese entzünden Kerzen, bringen Weihrauch als Opfergabe und waschen sich im Wasser. Traditioneller Tag der Verehrung ist Epiphanie am 6.  Januar567: An diesem Tag strömen die Menschen zusammen und baden gemeinsam im heilbringenden Wasser. Dass zu diesen Menschen vor allem Kopten gehören, erwähnt Burchard nicht.568 Wichtig ist 563 Vgl. Bauschke, der auf die relativ nüchterne Erzählweise und die Unterschiede zwischen koranischer und christlicher Überlieferung hinweist, Bauschke, Jesus (2001), 26. 564 Mit der Öffnung der Pilgerstätte muss nicht eine tolerante Haltung Saladins gegenüber Christen verbunden werden. Unter den Fatimiden gab es auf Grund fränkischen Einflusses Konflikte zwischen Christen und Muslimen, die jetzt abnahmen. Die Situation der ḏimmis besserte sich unter Saladin aber nicht, vgl. Eddé, Saladin (2008), 466–471. Eine Förderung der Pilgerstätte konnte sich in ökonomischer Hinsicht auch preissteigernd für den Balsam auswirken, da Quelle und Balsamgarten in der Legende voneinander abhängig waren, Milwright, Balsam (2003), 205. 565 „Cette histoire commença sous le régime des Uzes et des Kurdes, sous le califat d’Al-Mustadī‘ biAmr Allāh et le règne d’Al-Nāṣir Yūsuf ibn Ayyūb le Kurde, et non sous le régime fāṭimide. En effet, ils empêchaient l’accès à ce ‚domaine‘ pour protéger l’huile et les branches du baumier“, Übersetzung aus Zanetti, Matarieh (1983), 37. Er berichtet auch, dass griechische, fränkische, äthiopische und nubische Gesandte des Sultans Matariya besuchten, ebd., 36. 566 Kedar unterteilt die gemeinsame Verehrung heiliger Stätten von Christen, Muslimen und Juden in drei Typen. Die gemeinsame Verehrung in Matariya zählt nach dieser Unterteilung zum ersten Typ, in dem die Vertreter der verschiedenen Religionen denselben Ort verehrten, nicht aber gemeinsam Andacht oder Gottesdienst hielten. Der zweite Typ ist durch den gemeinsamen Besuch der Gottesdienstes oder einer anderen Form der Andacht gekennzeichnet, wobei diese von Vertretern einer Religion ausgerichtet wird. Als Beispiel nennt Kedar das Osterfeuer in der Grabeskirche, welches dem Glauben nach von einer himmlischen Flamme entzündet wird. Der tatsächlich gleichberechtigte Kult stellt den dritten, höchst seltenen Typ dar, Kedar, Convergences (2001), 89–91. Siehe dazu die Darstellung des Wallfahrtortes Saidnaya, Kapitel III.1.8. 567 Nach koptischer Tradition ist der Geburtstag Jesu der 7. Januar. 568 Von der gemeinsamen Verehrung berichtete dann die in die ins Jahr 1261 datierte altfranzösische Fortsetzung der Chronik Wilhelms von Tyrus, Itinéraires. Ed. Michelant/Raynaud (1882), 174  f. (ist Bur-

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ihm, an diesem Beispiel die religiöse Bedeutung Marias und Jesu für die Muslime zu erörtern: Credunt enim Sarraceni beatam Virginem per angelum concepisse Iesum Christum peperisse et post partum virginem permansisse. Hunc filium Virginis sanctum prophetam fuisse dicunt et a Deo mirabiliter cum anima et corpore in celum assumptum celebrantes et eius nativitatem. Sed negant eum esse filium Dei et baptizatum cruxifixum mortuum et sepultum. Die grundlegenden theologischen Differenzen zwischen christlichem und islamischem Verständnis Jesu stellt er damit korrekt dar. Er geht davon aus, dass schon zu Zeiten Marias der Islam existiert habe.569 Diese Behauptung stimmt mit islamischen Glaubenssätzen überein und muss keineswegs auf einer Fehlinformation oder auf einem Missverständnis beruhen.570 Außerdem gibt er die Behauptung der Muslime wider, aufgrund der Beschneidung das Gesetz Christi und der Apostel zu besitzen, was sie den Christen hingegen absprechen.571 Hat Burchard den Islam demnach als eine Form des Christentums begriffen? Erklärt werden kann sein Staunen über die Marienfrömmigkeit der Muslime zunächst vielleicht damit, dass er die in Matariya anwesenden Kopten nicht klar von Muslimen zu unterscheiden vermochte, da diese ähnlich gekleidet waren, arabisch sprachen und physiognomisch den Muslimen glichen.572 Im Gegensatz zu den Orientchristen im Heiligen Land und im ehemaligen Byzantinischen Reich waren Kopten den lateinischen Christen im 12. Jahrhundert recht unbekannt, da sie bis zum fünften Kreuzzug nicht mit ihnen in Berührung kamen.573 Theologisch gehörten sie zu den chard sehr ähnlich); Ende des 16. Jahrhunderts auch bei Prosper Alpin, Histoire I, 5, Ed. Fenoyl (1979), 49–51; Prosper Alpin, Rerum. Ed. Vesling (1735), 24. 569 Möglicherweise bezieht er sich bei der Schilderung auf einen ethnischen Aspekt der Sarazenen, der religiöse Gegensatz wird dennoch deutlich. 570 Vgl. die Darstellung des Islam bei Otto von Freising, Otto von Freising, Chronik, VII, 7. Ed. Lammers. (2011), 510  f. Otto beschreibt die Muslime als Monotheisten, welche bekanntlich „das Gesetz und die Beschneidung übernommen haben“ und Christus anerkennen und damit nicht so weit „vom Heil entfernt“ sind ([…] librosque legis necnon circumcisionem recipere, Christum etiam et apostolos apostolicosque viros non improbare, in hoc tantum a salute longe esse, quod Iesum Christum humano generi salutem afferentem Deum vel Dei filium esse negant […].) Burchards Darstellung weist in diesen Punkten deutliche Parallelen zu Otto auf, liefert aber einen differenzierteren Bericht mit anderem Fokus. 571 Certant etiam se habere legem Christi et apostolorum, quia circumcisi sunt nos vero minime. Cre­ dunt etiam apostolos prophetas fuisse et plures martyres et confessores in venerationem habent. 572 Im 12. Jahrhundert machten sie noch einen Großteil der Bevölkerung Ägyptens aus. Jakob von Verona beschreibt 1335, dass sie wie Sarazenen gekleidet seien und häufig einen schwarzen Turban trügen, Jakobus von Verona, Liber. Ed. Monneret de Villard (1950), 85; Al-Maqrīzī berichtet später von weißen Turbanen, Macrizi, Geschichte. Ed. Wüstenfeld (1845/1979), 133. Zu den Kopten: Müller, Kopten (1999); Gerhards/Brakmann, Kirche (1994); van den Brincken, Nationes (1973), 230–243; BrunnerTraut, Kopten (1993); Davis, Christology (2008). 573 Im Westen werden sie zuerst von Johannes von Würzburg genannt, der neben den Kopten auch noch Aegypti aufzählt, wobei es sich aber um dieselbe Bezugsgruppe handelt, Johannes von Würzburg, Descriptio. Ed. Huygens (1994), 137  f.; van den Brincken, Nationes (1973), 232. De facto wurden

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Nicht-Chalkedonensern (Miaphysiten) und unterschieden sich in ihrer christologischen Auffassung von Griechen und Lateinern.574 Suspekt waren sie den Lateinern vor allem aufgrund ihrer Beschneidung.575 Die auf die Muslime bezogenen Äußerungen Burchards könnten somit auch gut auf die Kopten zutreffen: Sie sind beschnitten und haben das rechte Gesetz Christi. Die Existenz beschnittener Christen überschritt möglicherweise das Vorstellungsvermögen Burchards, zumal dieses Faktum in der lateinischen Überlieferung erst deutlich später bekannt wird und nicht zum Wissensbestand gehörte. Einige wenige Zeugnisse belegen allerdings ein muslimisches Interesse an diesem Ort.576 Eine tatsächliche Verehrung durch Muslime ist durchaus denkbar. Signi­fikant sind die engen Übereinstimmungen von Burchards Ausführungen über die Legende mit dem Koran und der islamischen Rhetorik in Bezug auf Maria und Jesus. Wie schon die von Burchard geschilderte Version des Palmwunders Parallelen mit der 19. Sure des Koran aufweist, ist auch bei der Schilderung der Bedeutung Marias für den Islam ein Bezug zu dieser Sure (Maria) festzustellen, welche die Empfängnis durch den Erzengel Gabriel,577 die Jungfrauengeburt,578 die Anerkennung Jesu als Prophet,579 aber die Leugnung, dass er Sohn Gottes sei580 enthält. Die religiöse Differenz zwischen Muslimen und Christen wird ebenfalls in der 19. Sure thematisiert. Leitunterscheidung ist die für Muslime unerhörte Behauptung der Gottessohnschaft Jesu, was nicht mit ihrer Gottesvorstellung vereinbar ist und die Christen damit zu

sie meist unter Jakobiten subsumiert, so schon bei Petrus Alphonsi, ebd. (Petrus Alphonsi, Dialogi. Ed. Migne [1899], Sp. 600) Erste genauere Beschreibungen stammen dann von Magister Thietmar, Peregrinatio C. 24 Ed. Laurent (1873), Anhang 48; Jakob von Vitry, Historia C. 75. Ed. Bongars I (1611), 1091, und Oliver von Paderborn, Historia C. 68. Ed. Hoogeweg (1894), 266, van den Brincken, Nationes (1973), 233  f. Zum Verhältnis von Orientchristen und Kreuzfahrern: Pahlitzsch/Weltecke, Konflikte (2001); Hamilton, Church (1996). 574 Dazu Kapitel III.1.2. Anm. 274 und 320. 575 Dies ist den meisten Berichten eine Erwähnung wert und wurde ihnen zum Vorwurf gemacht, van den Brincken, Nationes (1973), 232–234. „(…) ganz offensichtlich hat der ganze Vordere Orient diesen Brauch als judaisierend weitgehend abgelehnt, während er sich bei der afrikanischen Christenheit durchsetzte“, ebd., 232. Sie steht aber nicht im Widerspruch zur Heiligen Schrift, siehe Lukas 2, 21; 22; 27; auch Paulus ließ seinen Musterschüler Thimotheus beschneiden, Apg 16, 1  f.; auch Röm 4,11; Blaschke, Beschneidung (1998). Macrizi, Geschichte. Ed Wüstenfeld (1845/1979), 34. 576 Begünstigt wurde die gemeinsame Verehrung, da seit der Antike eine Kontinuität in der Verehrung dieses Ortes als locus amoenus bestand, der Mythos nicht ausschließlich religiös begründet war und sich die Heilkraft und Heiligkeit in Gegenständen manifestiert, Halikowski-Smith, Myths (2008), 118  f. Die Mamluken ließen sich hier sogar beerdigen, ebd., 104  f. 577 Koran, Sure 19: 16–22. 578 Koran, Sure 19: 20; Sure 21: 91; Sure 3: 45–49 (hier sendet Gott aber gleich mehrere Engel). 579 Koran, Sure 19: 30. 580 Koran, Sure 19: 35: Es ist mit Allah nicht vereinbar, einen Sohn zu zeugen. Gepriesen sei Er! Wenn Er eine Sache beschließt, so spricht Er nur zu ihr: „Sei!“, und sie ist.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Ungläubigen macht.581 Betont wird die Verbindung zu Abraham und damit indirekt auch die Vorschrift der Beschneidung als Zeichen des Bundes.582 Genauso aber wird Jesus im Islam als Prophet verehrt. Im Koran wird er von Allah geschaffen583 und als Messias und Gesandter Gottes bezeichnet wie auch Mohammed.584 Da Gott im Koran nicht mit dem Gottesnamen, sondern mit Umschreibungen und Abraham genau wie Jesus als Prophet bezeichnet wird, kann es sich bei Burchards Angabe, die Muslime würden das Gesetz Christi befolgen, aufgrund der verwandten Titel um eine Verwechslung einer mündlichen Aussage handeln: Die Muslime haben nicht das Gesetz (des Propheten) Jesus, sondern des Propheten Abraham.585 Zeichen des Bundes ist dann die Beschneidung, das Christen nicht vorweisen können. Da die Suren in ihrer heterogenen Thematik586 schwer verständlich sind, kann dieses Missverständnis auf einer Wiedergabe der 19. Sure beruhen; auch die in dieser Sure genannten Propheten finden sich bei Burchard.587 Denkbar ist, dass anlässlich des von koptischen Christen und Muslimen gemeinsam begangenen Festes der Erscheinung des Herrn diese Sure, die ja die islamische Version der Weihnachtsgeschichte588 wiedergibt, rezitiert oder inhaltlich zusammengefasst wurde und Burchard der Zeremonie sogar beiwohnte. Für die Provenienz

581 Koran, Sure 19, 88–92; Paret, Koran (1971), 133; Rudolph, Abhängigkeit (1922), 86  f.; Khoury, Islam (2001), 80. Ein Zusatz gegen die christliche Lehre der Gottessohnschaft als Konsequenz der jungfräulichen Geburt wird in Sure 19, 36 eingefügt, um deutlich zu machen, daß Gott nicht Vater, sondern der Schöpfer Jesu ist. Parallelisiert wird die Geburt daher mit der Geburt Adams, der auf ähnliche Weise erschaffen wurde. (Auch Sure 5: 76) „Die Polemik richtet sich freilich nirgends gegen Jesus selbst, sondern immer gegen die Christen, die nach der Ansicht Mohameds die Lehre Jesu an entscheidenden Stellen verdorben hätten. (…)“, Räisänen, Jesusbild (1971), 77  f.; Neuwirth, Koran (2010), 491–494; siehe auch Anm. 558. 582 1 Moses 17, 10–14. Im Koran wird die Beschneidung nicht explizit erwähnt und läßt sich lediglich aus Hinweisen auf den Bund zwischen Gott und Abraham ableiten, wie er im Buch Mose beschrieben wird, Koran, Sure 3, 95. 583 Koran, Sure 2: 253; 3: 45; diese Herkunft Jesu richtet sich gegen die jüdischen Versionen der Herkunft Jesu aus einer unerlaubten sexuellen Beziehung Marias bzw. der rein menschlichen Empfängnis. Ein menschlicher Vater Jesu wird im Koran nirgends erwähnt, er ist stets Sohn Marias (was im Neuen Testament nur einmal so gesagt wird, Mt 4, 146). Daneben schildert der Koran alternativ die Schaffung Jesu aus Lehm in Parallele zur Erschaffung Adams, Sure 5: 110. Wer Jesus war, vermochte auch Mohammed nicht zu beantworten, Sure 2: 253. Das Verhältnis zu Jesus ist ambivalent und widersprüchlich. 584 Vgl. Sure 2: 136; 2: 253; Sure 61: 6. 585 Certant etiam se habere legem Christi et apostolorum quia circumcisi sunt (…). 586 So wird in Sure 19: 28 Maria einerseits als Schwester Aarons bezeichnet, steht aber auch in Verbindung mit Zacharias, dem Vater Johannes‘ des Täufers, und ist ausdrücklich die Mutter Jesu, den sie unter einer Palme zur Welt bringt. Zur Entstehung des Koran siehe Neuwirth, Koran (2010), 235–331. 587 Credunt etiam apostolos prophetas fuisse et plures martyres et confessores in venerationem ­habent. Genannt werden im Koran, Sure 19: 58: Abraham, Mose, Ismael, Adam und Noah; Neuwirth, Koran (2010), 494–497. 588 Kuschel, Weihnachtsgeschichte (2009); Förster, Anfänge (2007).

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dieser Informationen aus muslimischer Hand spricht weiterhin, dass die weiteren bei Burchard beschriebenen Wunder mit den in der islamischen Tradition bekannten Stätten der Marienverehrung in Verbindung gebracht werden können, die sich im Unterschied zur koptischen Tradition auf wenige Orte beschränken.589 Auch das Wunder der Dattelpalme schildert Burchard, um deren gemeinsame Verehrung von Christen und Muslimen zu dokumentieren. So berichtet er, dass die Muslime den Baum heilig halten und ihn jede Nacht mit Lichtern erleuchten. Allerdings hätten die Sarazenen, als sie des Wunders des sich neigenden Baums gewahr wurden, den Baum aus Neid auf die Jungfrau Maria zunächst in zwei Stücke gehackt. Doch richtete sich der Baum wieder auf, behielt aber seine Wundmale.590 Die Schilderung der Baumspaltung ist in den vorgestellten Quellen über das Baumwunder in Matariya nicht zu finden. Von der Erleuchtung des Baumes berichten spätere Pilger aus eigener Anschauung, heben aber nicht die Verehrung durch die Muslime hervor.591 Die Provenienz dieser Sage ist unklar und nicht unbedingt mit muslimischen Informanten in Einklang zu bringen, da die Wundmale der Palme für die Wundmale Christi stehen, Jesus im Islam aber von der Kreuzigung verschont blieb.592 Abgesehen von der Verehrung Marias und Jesu im Islam verdeutlicht die Erzählung indes, dass die Anerkennung der christlichen Heiligen und Jesu nicht zur Konversion führen muss, sondern in einem eigenen, islamischen Kontext verstanden und interpretiert wird, was den Islam als eine eigenständige monotheistische Religion auszeichnet.593 Woher Burchard diese Information bezog, bleibt offen; möglicherweise handelt es sich um eine lokale, mündlich kommunizierte Erzählung. Die islamische Überlieferung lokalisiert die Palme in Ihnāsiyā l-Madīna,594 das allerdings viel weiter im Süden von Kairo liegt und nicht mit Burchards Ortsangabe übereinstimmt. Es könnte 589 Meinardus nennt überhaupt nur drei Orte: al-Bahnasā (Oxyrhynchos), Ihnāsiyā l-Madīna ­(Herakleopolis) und Giza, wo ebenfalls von einer Palme berichtet wird. Ob diese auch von Muslimen verehrt wurde, ist nicht bekannt, Meinardus, Familie (1978), 4; 35–37. 590 Hoc tunc temporis Sarraceni videntes beate Virgini invidebant et arborem in duobus locis mem­ bratim succidebant. Nocte vero proxima arbor solidata fuit et erecta, et usque in hodiernum diem vulnera succisionis apparent. 591 In einer anderen Version öffnete sich der Baum auf wunderbare Weise, um der Heiligen Familie Zuflucht zu gewähren. Das Öffnen wird mit der Maulbeerfeige in Verbindung gebracht, die tatsächlich einen viel breiteren Stamm als eine Dattelpalme besitzt, Halikowski-Smith, Myths (2008), 115. Felix Fabri berichtet, dass zwei Lampen im Baum hingen in Erinnerung an den Schutz, den der Baum einst Maria auf der Flucht vor zwei Räubern gewährte, indem er sich auf wundersame Weise öffnete, Felix Fabri, Evagatorium. Ed. Haßler (1849), 5. 592 Bauschke, Jesus (2001), 83–114. 593 Vgl. Tolan, Europe (2009), 103  f. 594 Ihnāsiyā l-Madīna, das byzantinische Herakleopolis, liegt 120 km südlich von Kairo, war Königssitz und Provinzhauptstadt, auch unter muslimischer Herrschaft war es Hauptort eines Distrikts. Der griechische Name stammt von der hier verehrten Gottheit Herishef (Dionysus). Aus der Spätantike sind heidnische und christliche Kultstätten entdeckt worden, unter den Umayyaden gab es eine Moschee, Török, Ahnas (1991), 73  f.

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sich aber auch um einen gemeinsam verehrten Baum der Jungfrau Maria in Bilbais handeln, das auf dem Weg von Matariya zur Sinaihalbinsel liegt und damit eine tatsächliche Reisestation gewesen sein könnte.595 Im Anschluss berichtet Burchard noch von einem Brunnen, der nur an drei Tagen im Jahr – am Jahrestag der dazugehörigen Kirche – mit Wasser gespeist wird, den Rest des Jahres aber trocken bleibt.596 Der Beschreibung nach handelt es sich um ein Nilometer, das den Wasserstand des Flusses vorzeitig anzeigt. In der koptischen Tradition werden auch diese mit dem Wirken Jesu in Verbindung gebracht. Die Ortsangabe „in Ägypten“ ist vage, in Betracht für dieses Phänomen kommen mehrere Orte: In Baisūs (Betyāsūs)597 soll Jesus ebenfalls einen Brunnen mit heilbringender Wirkung gegraben haben soll, dessen Feiertag nach Al-Maqrizi ebenfalls der 1. Juni (24 Bashans nach dem koptischen Kalender) war.598 In der islamischen Tradition wird von einem Brunnen in al-Bahnasā599, zehn Kilometer südlich von Baisūs berichtet, „dessen Wasser Heilung von allen Krankheiten und Schmerzen versprach.“600 Der christliche Ursprung wird mit einem Koranvers in Verbindung gebracht;601 auch soll 595 Meinardus, Familie (1978), 30. Zur Legende liegen im Gegensatz zu den anderen Stationen aber recht wenig Informationen vor, auch Timm verweist nur auf Meinardus, Timm, Ägypten Bd. 1 (1984), 404. 596 Item in Egypto est quedam ecclesia Christianorum iuxta quam est puteus toto anno siccus, nisi in annuali festo illius ecclesie. Tunc tribus diebus crescit aqua ad summum, ita quod omnes Christiani ad festum venientes aquam sufficienter inveniant. Finito vero festo, aqua ut ante evanescit. 597 Heute das Dorf Dair al-Ǧanūs, ca. 7 km westlich von Išnīn an-Naṣāra entfernt, Meinardus, Familie (1978), 39; Viaud, Pilgrimages (1991), 1972. 598 Ebd., 1972. Al-Maqrīzī beschreibt hier die Messung des Wasserstandes, Al-Maqrīzī, Geschichte. Ed. Wüstenfeld (1845/1979), 99. 599 In der Antike hieß der Ort Oxyrhynchos und war Provinzhauptstadt. Die Stadt wurde dann Bischofs­sitz und Mönchsstadt, blieb auch unter islamischer Herrschaft lange Zeit Verwaltungs- und Kulturzentrum, Timm, Ägypten Bd. 1 (1984), 283–300. Ihr koptischer Name ist Pemdje, Wiet, Al-Bahnasa (1960). Al-Bahnasā war im Mittelalter eine bedeutende Stadt, Ibn Baṭṭūṭa beschreibt ihre Größe und unzählige Gärten. Ihre Bedeutung nahm in der Neuzeit allerdings ab, was auf die Abholzung der Region unter den Fatimiden und Ayyubiden zurückgeführt wird. Holz für den Schiffbau wurde dringend benötigt und unter staatlichem Monopol verwaltet. „The town’s prosperity was above all assured by its woven products. All kinds of cloths were manufactured there, from the most precious fabrics, such as silk figured with gold, down to the most ordinary wares: curtains, tent coverings, ships’ sails“, Wiet, Al-Bahnasa (1960); Maspero/Wiet, Matériaux (1919), 51; 173–191. Laut der Historia monachorum in aegypto war die Gegend reich an Mönchen, Coquin/Gascou, Monasteries (1991), 1653; Davis, Christologie (2008), 145–148. 600 Meinardus, Familie (1978), 42. 601 Auf den Ort und die Quelle bezieht sich Al-Maqrīzī zufolge Koran, 23. Sure, Vers 52: (Die Gläubigen: Und Wir machten den Sohn der Maria und seine Mutter zu einem Zeichen.) Und Wir gaben beiden Zuflucht auf einer Anhöhe mit Grünfläche und Quellwasser, Maqrz, Description, 2. Teil. Ed. Bouriant (1895), 704; Wiet, Al-Bahnasa (1960). Neben dem Wasserwunder werden in der islamischen Tradition eine Reihe weiterer Legenden der Heiligen Familie berichtet, die an diesem Ort stattfanden. Erzählt wird in einer anderen Version, dass das Jesuskind am trockenen Brunnen um Wasser bat. „Nach einer Weile stieg der Wasserspiegel, so dass Jesus trinken konnte. Von jenem Tage an,

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die Heilige Familie schon bei ihrer Ankunft an diesem Ort eine Kapelle vorgefunden haben. Wie schon beim Quell- und dem Palmwunder findet auch beim Brunnenwunder in Burchards Darstellung Jesus keine Erwähnung, obwohl er in christlicher Tradition das Wunder bewirkte. Da Burchard für keinen der Orte Namen nennt, bleibt die Zuordnung seiner Geschichten (abgesehen von Matariya) zu den Städten Ihnāsiyā l-Madīna (oder Bilbais) und al-Bahnasā hypothetisch. In allen Fällen handelt es sich um bedeutende Städte mit kultischer und ökonomischer Bedeutung über die Zeiten und Religionen hinweg, deren Erwähnung sicher nicht nur im Zusammenhang mit ihrer religiösen Bedeutung stand. Im Zentrum des Besuches in Matariya scheint der Besuch der Balsamplantage gestanden zu haben. Dementsprechend beginnt Burchard seine Schilderung mit der Balsamplantage, was nicht nur mit einem persönlichen Interesse an diesem streng bewachten und sonst unzugänglichen Ort begründet sein kann, denn Balsam spielte gerade in diplomatischen Kontakten als besonderer Gunsterweis eine wichtige Rolle.602 Die unter dem Begriff Balsam subsumierten Sekrete wie auch andere Baumharze waren teure und exklusive Exportprodukte, Anpflanzung und Kultivierung der hochgeschätzten und wertvollen Bäume seit der Antike auf wenige Regionen beschränkt und monopolisiert.603 Neben der Verwendung für Chrisam, Weihrauch, Duftstoffe und Parfüme lagen die Anwendungsweisen des gewonnenen Baumharzes vor allem in der Wundheilung und im medizinischen Bereich, wo es als Allheilmittel galt.604 so behauptet dieser islamische Theologe, haben die Christen dieses Ereignis mit Freuden gefeiert“, Meinardus, Familie (1978), 42. 602 „The sultans made full use of balsam in diplomatic exchanges. Containers of the oleo-resin were included in gifts (…)“, Milwright, Balsam (2003), 207; Halikowski-Smith, Myths (2008), 109. Nach AlMaqrīzī war der Balsam ausschließlich mit königlicher Genehmigung in speziellen Geschäften zu erwerben, fremde Herrscher bemühten sich sehr um den Erwerb beim Sultan, Maqrz, Description, 2. Teil. Ed. Bouriant (1895), 680  f. 603 Milwright, Balsam (2003), 193. Den ältesten Hinweis liefert Theophrast, Historia plantarum 9,6,1. Ed. Sprengel (1822), 320  f.; dann Plinius, Naturkunde. Naturkunde, XII, 11. Ed. König/Winkler (1977), 82–91. In Palästina wurde der Anbau beschränkt, um den Gewinn der königlichen Plantagen zu erhöhen, Strabon, Geographika XVII, 1, 15, Ed. Radt, Bd. 4 (2005), 444  f.; unter römischer Herrschaft gehörten die Domänen zum kaiserlichen Patrimonium, Cotton/Eck, Staatsmonopol (1997), 155; Groom, Frankincense (1981). „Die Benutzung scheint immer nur Monopol gewesen zu seyn und der Ertrag von der Kenntnis der schwierigen Behandlungsweise abgehangen zu haben. Die Balsamgärten waren nur auf enge Räume, auf individualisirte Erdstellen beschränkt. Lange Zeit nur auf Jericho und Engaddi. Der Balsam ward daher immer mit Gold aufgewogen (…)“, Ritter, Erdkunde (1818), 350. Ein Versuch, Balsambäume heimlich außer Landes zu bringen, wird vom Eichstätter Bischof Willibald berichtet, Vita Willibaldi. Ed. Holder-Egger (1887), 101. 604 „(…) es ist kulturgeschichtlich wie religionsgeschichtlich wohl doch nicht ohne Interesse, daß die Beliebtheit von Räuchermitteln (…) nicht nur auf den erwiesenen desinfizierenden, antiseptischen und antiphlogistischen Wirkungen der phenolischen Komponenten und Terpene beruht, sondern daß auch ein den kultischen Handlungen entgegenkommender stimulierender Effekt erklärbar ist“, Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 125–151; 139 (Zitat); Harrison, Herbs (1966), 43; 45  f;

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Von besonderer Bedeutung war der in Matariya gewonnene Balsam; er erzielte den höchsten Preis, was vermutlich nicht ausschließlich der Qualität, sondern der rituellen Verwendung und der Legendenbildung zu verdanken ist.605 Die dem Balsam zugesprochene und tatsächliche heilende Wirkung verbunden mit der künstlichen Verknappung des verfügbaren Angebots bei anhaltend starker Nachfrage machten ihn zu einem begehrten Gut.606 Die Bestellung dieser Pflanzung stand unter herrschaftlicher Verwaltung Saladins, wie sie zuvor den Fatimiden unterstellt war.607 Ihre Kultivierung an anderen Orten war untersagt. So betont auch Burchard, dass der Balsam einzig hier gedeiht.608 Genau beschreibt er das Aussehen der Bäume: Das Holz gleiche einem dreijährigen Weinstock, das Blatt einem Kleeblatt. Zur Gummi – also Weihrauchgewinnung – wird die Rinde Ende Mai angeritzt, das ausfließende Harz in Glasgefäßen gesammelt und anschließend sechs Monate mit Taubenmist bedeckt gelagert, bevor es abgekocht und gereinigt wird. Das Endprodukt besteht einerseits aus Flüssigkeit, andererseits aus „Hefe“.609 Wesentliche Eigenschaften, Verwendungszweck und Vermarktung des Balsams führt er nicht aus, er beschränkt sich ganz auf die Methode der Rohstoffgewinnung. Das Prinzip der Harzgewinnung war seit der Antike bekannt. Die für das lateinische Mittelalter maßgeblichen Beschreibungen stammen von Pedanius Diosco-

Majno, Hand (1975), 208–219. Die medizinische, antiseptische Wirkung erwähnen u.  a. al-Birūnī, Ibn al-Baiṭār, aṭ-Ṭabarī, Maimonides, Ibn Riḍwān, Benvenutus Grassus, Prosper Alpin und Felix Fabri, Quellenangaben dazu bei Milwright, Balsam (2003), 193–195. Als Arznei bekannt war Theriak, hergestellt aus verschiedenen Inhaltsstoffen (Galen nennt 70). Rezepte dafür haben Ibn Sīnā (in lateinischer Übersetzung von Gerhard von Cremona) und Averroes aufgezeichnet; Produktionsorte waren schon Anfang des 12. Jahrhunderts Venedig, dann Montpellier und Orléans, McVaugh, Theriac (1972); Watson, Theriac (1966). 605 Milwright, Balsam (2003), 194; 204–209. Allerdings unterscheiden arabische Autoren des 13.  Jahr­hun­derts zwischen dem hier gewonnenen Produkt im Gegensatz zu anderen Balsamen, so dass Milwright mit Verweis auf ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī eine eigene Züchtung, auch einen sterilen Hybrid, nicht ausschließt, ebd., 197  f. 606 Vgl. Cotton/Eck, Staatsmonopol (1997), 154. „Balsam, being one of the principal ingredients of chrism, thus became an essential component of royal ceremonies across the courts of Europe. This placed the rulers of Europe in the difficult position of having to rely upon a Muslim power for their supplies of the precious balsam“, Milwright, Balsam (2003), 207. 607 Halikowski-Smith, Myths (2008), 105; 111; Becker, Ayn Shams (1960); Behrens-Abouseif, Exten­ sion (1981). Einen Hinweis darauf liefert auch Otto von Freising, der die Verlegung der fatimidischen Residenz in enger Beziehung zur Balsamplantage von Matariya sieht. Abū l-Makārim berichtet aus dem Jahr 1185, dass ein koptischer Priester für die Gewinnung des Balsam verantwortlich sei, Zanetti, Matarieh (1983), 39; von der Protektion unter den Mamluken schreibt Al-Maqrīzī, Maqrz, Description, 2. Teil. Ed. Bouriant (1895), 680. 608 Die Plantage lag innerhalb eines besonders fruchtbaren Gebietes; die Betonung des Süßwassers der Quelle lässt auf eine tatsächliche Besonderheit dieses Ortes schließen. 609 Vinee illius guttatim gummi distillant que in vasis vitreis colligitur, et per VI menses in stercore columbe reconditur et decoquitur et defecator. Postea liquor a fece separatur.

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rides610 und Plinius611, aus denen spätere Autoren botanischer und medizinischer Schriften hauptsächlich ihr Wissen bezogen.612 Für das pharmakologische Handbuch ‚Circa instans‘ (liber de simplici medicina) griff Matthäus Platearius aus Salerno613 auch auf Constantinus Africanus zurück.614 Der Schwerpunkt lag bei den medizinischen und naturwissenschaftlichen Paralleltexten auf den Anwendungsgebieten und Rezepten zur Medikamentherstellung.615 Aussehen und Rohstoffgewinnung wurden dabei nicht selbständig geschildert, Informationen und Vorstellungen von der Pflanze selbst waren kaum verfügbar.616 Eine Vorlage Burchards ist auf Grundlage des vorhandenen Materials nicht ersichtlich. Im Unterschied zu den lateinischen Autoren hatte er nicht nur Zugriff auf das Endprodukt, denn eine Beschreibung des konkreten Gewächses setzt eigene Beobachtungen voraus. Differenzen werden besonders in seiner Beschreibung des konkreten Aussehens der Bäume sowie der Destillation des Harzes mithilfe von Taubenmist deutlich. Bestätigt werden seine Angaben von ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, der ebenfalls die Sammlung in Glasflaschen beschreibt.617

610 Dioscorides, Materia Medica, I. 18. Ed. Berendes (1902), 19; Stannard, Herbals (1974); Ders., Dioscorides (1966). Zu den antiken griechischen und lateinischen Quellen siehe Groom, Frankincense (1981), 55–95. 611 Plinius, Naturkunde, XII, 11. Ed. König/Winkler (1977), 82–91. 612 Stannard nimmt als terminus post quem der Rezeption Dioscorides im Westen das 10. Jahrhundert an, als erstes scheint er im ‚De viribus herbarum‘ des Odo von Meung übernommen und popularisiert worden zu sein, Stannard, Dioscorides (1966), 5. Eingang fand er in Rezeptliteratur, medizinische Fachprosa wie auch in Enzyklopädien, ebd., 6. Zu nennen wären Hildegard von Bingen, Physika, I, 178 und III, 04. Ed. Müller/Schulze (2008), 152; 183; Müller, Heilmittel (1982); Bartholomäus Anglicus, De proprietate rerum XVII, 18. Ed. Meyer (2007), 48–50 (verfaßt 1235 mit Bezug auf Plinius, Isidor und Matthäus Platearius), sowie Alexander Neckam, Rufinus, Simon von Genua, Gilles von Corbeil, Otto von Cremona und Matthäus Silvaticus. Erst Prosper Alpin verfaßte eine genaue Untersuchung der Balsamgewächse, Dialogue sur la plante de baume und les plantes d’Egypte XVI, 48–60. Eine genaue Schilderung bietet ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 20–22, siehe Anm. 110. 613 Stannard, Dioscorides (1966), 6  f. 614 Arabische Schriften wurden in Salerno aufgenommen, die Hauptquelle der aus Salerno stammenden Materia medica, das Antidotarium Nicolai, ist nicht erhalten. Im 14. Jahrhundert entwickelte die Schule von Salerno die griechischen und arabischen Grundlagen weiter, Stannard, Dioscorides (1966), 7  f. 615 Milwright, Balsam (2003), 201–204; Stannard, Document (1969). 616 Vgl. Stannard, Rezeptliteratur (1982), 373. Illustrationen aus dem 11. Jahrhundert stammen aus dem arabischen Raum, erst ab dem 13. Jahrhundert aus Europa, weisen aber kaum Ähnlichkeiten mit realen Gewächsen auf, Halikowski-Smith, Myths (2008), 106–109. 617 Das Harz rinnt nach dem Einschnitt das Holz entlang und wird mit einem Horn aufgefangen: „Quand la corne est pleine, on la vide dans des bouteilles de verre (…) On prend ensuite les bouteilles et on les enfouit dans la terre, jusqu’à ce que l’été soit dans toute sa force et à l’époque des plus grandes chaleurs; alors on les retire de terre et on les expose au soleil. Chaque jour on les visite, et l’on trouve l’huile qui surnage sur une substance aqueuse mêlée des parties terreuses: on prend l’huile, et l’on remet les bouteilles au soleil, ce qui se répète alternativement jusqu’à ce qu’il n`y ait plus d’huile“, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 21.

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Indizien für die Authentizität von Burchards Beobachtungen kann ein Abgleich mit existenten Balsambäumen liefern. Die Suche nach Übereinstimmungen der Beschreibung mit Bäumen, deren Produkt als Balsam bezeichnet wird, ist aufgrund der verschiedenen Pflanzen des geographischen Raumes, aus denen Baumharze gewonnen werden sowie der Unsicherheit, ob Burchards Beschreibung auf Autopsie beruht und tatsächlich zutrifft, von vornherein problematisch. Weihrauchpflanzen sind in Ägypten nicht heimisch, sondern mussten aus südlicheren Gegenden eingeführt werden. Eine genaue Identifizierung der Balsambäume Matariyas für die Reisezeit Burchards wie auch für die folgenden Jahrhunderte ist kaum möglich:618 „just as western botanical interest was seized by the question of the origins of the true balsam, and decided in favour of the Meccan variant, the garden at Matarea was falling into abandon.“619 Da die Quellenbegriffe Balsam und Balsambaum nicht mit der modernen biologischen Systematik übereinstimmen, können letztlich nur die beschriebene Morphologie des Baumes und die Merkmale des Endproduktes Ausgangspunkte der Recherche sein, deren Ergebnis eine Annahme bleibt. Die Gruppe der Balsambaumgewächse (Burseraceae Kunth620) umfasst 18 Gattungen und 550 Unterarten, zu denen auch der Myrrhestrauch und Weihrauchgewächse im engeren Sinne gehören.621 Neben dem aus dieser Familie gewonnenen Olibanum liefern auch Storaxbaumgewächse (Styracaceae)622, Galbanumpflanzen (Ferula erubescens)623 und Zistrosengewächse (Cistaceae)624 aromatische Baumharze, welche auf ähnliche Art extrahiert werden.625 618 Meinardus geht von Olivenbäumen aus, allerdings gleicht der frischgezapfte Saft des Balsambaumes einem Öl, vgl. Artikel Balsam, Biblische Encyclopädie Bd. 1 (1793), 241. Auch die Zuordnung des Dioscorides zu existenten Bäumen birgt Probleme, Milwright, Balsam (2003), 197. 619 Halikowski-Smith, Myths (2008), 112. Eine erste wissenschaftliche Betrachtung der Balsambäume liefert der venezianische Arzt Prospero Alpino, der sich 1581–1584 in Kairo aufhielt. Er berichtet von den nunmehr vergeblichen Versuchen, die Bäume an dem im Mittelalter so fruchtbaren Ort Matariya zu kultivieren, Prosper Alpin, Histoire, Ed. Fenoyl, (1979), 73  f. 620 Die Aufstellung der Familie und ihrer Unterarten geht auf Carl Sigismund Kunth zurück. 621 Innerhalb der Balsambaumgewächse (Burseraceae) gehören Weihrauchpflanzen zum Subtribus Boswellia des Tribus Bursereae. Daneben werden die Triben Protieae und Canarieae unterschieden. Harze (Myrrhe) werden auch aus der Gattung Commiphera des Subtribus Burserinae gewonnen, doch produzieren nicht alle Vertreter dieser Gattung Myrrhe, sondern auch anders bezeichnete Harze (Bdellium), Groom, Frankincense (1981), 100; 123; Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 89–100. Auch der Mekkabalsam wird von einem Gewächs dieser Gattung geliefert, ebd., 89. In Bezug auf die Zuordnung und Bezeichnung herrscht keine Endgültigkeit, da aufgrund wechselnder Bezeichnungen eine Identifizierung teilweise unklar ist, ebd., 39; 78  f. Auch bei ihren Produkten ist eine Unterscheidung in Weihrauch und andere Harze nicht immer möglich. Zur Forschungsgeschichte siehe ebd., 73–100; Groom, Frankincense (1981), 100–108. 622 Styracaceae bestehen aus etwa elf Gattungen mit etwa 150 bis 180 Arten, sie liefern Styrax und Benzoe genannte Harze. 623 Etwa 170 Arten liefern Galbanum. 624 Es gibt ca. 24 Arten, das Harz heißt Labdanum. 625 Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 29–37.

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Meist werden sie durch Einschnitte oder Auskochen der betreffenden Pflanzenteile gewonnen, da die Exsudate (das pathologische Harz) dem Wundverschluss dienen. Im Unterschied zu Harzen626 im allgemeinen Sinne bezeichnet der Begriff Balsam „mehr oder weniger fettlösliche, halb- bis dickflüssige, sirupartige Gemische aus Harzen und ätherischen Ölen“.627 Die Nomenklatur der Gummiharze ist nicht eindeutig; es bestehen gravierende Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung der einzelnen „Weihrauch“- und Myrrhearten, doch enthält Weihrauch Im Unterschied zu anderen Baumharzen eine höhere Konzentration an Säuren.628 Der höhere Säureanteil erklärt auch die bei Burchard beschriebene Kondensation unter Verwendung von Taubenmist, wobei sich die sauer reagierenden Harze mit dem Ammoniak629 als basische Harzammoniakverbindungen (Salze) absetzen.630 Nach Burchards Beschreibung der Balsambäume des von der Quelle bewässerten Balsamgartens handelt es sich vermutlich um Bäume der Gattung Commiphora opobalsamum631 (möglicherweise auch um eine Art der Gattung Boswellia632), deren Harz 626 Weihrauch (Olibanum) bezeichnet den getrockneten Wundsaft von bestimmten Bäumen der Gattung Boswellia. Es ist ein natürliches Vielstoffgemisch, deren Inhaltsstoffe, Zusammensetzung und Konsistenz art- und standortbedingten Schwankungen unterliegen, Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 29–31; Pfeiffer, Weihrauch (1997), 11  f.; Groom, Frankincense (1981), 130; Peacock/Williams, Food (2007); Reinicke, Weihrauch (1999). 627 Hunnius/Ammon, Wörterbuch (2010), 205  f.; 271; Trease/Evans, Pharmacognosy (2002), 183  f.; Falbe/Regitz, Römpp Bd. 1 (1996), 352. „Nach dem Verdampfen des ätherischen Öles erhärten sich die Harze zu meist amorphen Massen, die glasartig durchscheinend sind. Das Ausscheiden der Harze aus einem Balsam kann auch durch Abdestillieren der ätherischen Öle bewirkt werden“, Martinez/Lohs/ Janzen, Weihrauch (1989), 30. 628 Hauptkomponente der Harzsubtanzen ist die β-Boswelliasäure, sie enthalten daneben Incensol. Mehr als 200 verschiedene Substanzen wurden bisher in den Harzen von verschiedenen BoswelliaSpezies identifiziert. Hauptkomponenten sind 50 bis 70 % Harzsubstanzen, 4–8 % flüchtiges Öl sowie etwa 20 % Schleimstoffe, welche Einfachzucker wie Arabinose oder Galactose, sowie Polysaccharide (wie Bassorin) beinhalten. Der Gehalt dieser Stoffe variiert von Spezies zu Spezies und ist abhängig von Erntezeitpunkt und Standort. Der aromatischer Geruch entsteht durch den Anteil an Benzoesäure – und Zimtsäureestern, Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 153–180. 629 Der Name Ammoniak ist ägyptischen Ursprungs und geht auf die „Oase des Ammon/Amun“ zurück. Das Verfahren der Ammoniakgewinnung ist in Ägypten schon seit der Antike bekannt; Ammoniumchlorid wurde durch Erhitzen von Kamelmist gewonnen. Es reagiert mit leicht sauren Verbindungen und bildet Salze aus. 630 Vgl. den Artikel Resinae, in: Bachmann/Buchner, Apothekerkunst (1844), 356–365. 631 Die Gattung Commiphora opobalsamum gehört zur Familie der Balsambaumgewächse (Burseraceae) und ist ein Subtribus (Burserinae) des Tribus Bursereae, der auch die Arten der Myrrhebäume angehören. Heimisch ist der Baum in Saudi-Arabien. Das Harz dieser Pflanze ist unter dem Namen Balsam-Myrrhe, Mekkabalsam oder Balsam von Gilead bekannt, die Identität mit letzterem wird aber angezweifelt. 632 Die Gattung Boswellia gehört innerhalb der Familie der Balsambaumgewächse ebenfalls zum Tribus Bursereae, hier aber zum Subtribus Boswelliinae und ist in 25 Arten unterteilt, von denen vor allem die in Südarabien beheimatete Boswellia sacra (Boswellia carterii), die Boswellia frereana (Somalia), die Boswellia papyrifera (Äthiopien) und Boswellia serrata (Indien) zur Weihrauchgewinnung

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als Mekkabalsam gehandelt wurde.633 Seine Beschreibung unterscheidet sich von der antiken Beschreibung der Balsambäume des Dioscorides, welche mit ihren unpaarig gefiederten Laubblättern eher mit der Gattung Boswellia sacra (Boswellia carteri)634 übereinstimmt. ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī beschreibt einige Jahre später einen Balsambaum mit rautenförmigen Blättern.635 Die Frage nach dem konkreten Referenzbaum muss also offen bleiben. Burchards botanische und technische Angaben sind aber glaubwürdig und plausibel. Spätere Abbildungen zeigen ebenfalls den Mekkabalsam liefernden Strauch.636 Insgesamt liefert Burchard eine Momentaufnahme des Ortes Matariya, bei der eine Vorlage auszuschließen ist. Anzunehmen ist der Besuch für den Balsamgarten und die mit diesem verbundene Quelle; die Schilderung der Dattelpalme wie auch des Nilometers wirken hingegen eher wie eine bloße Widergabe nach Hörensagen.637 Nur in wenigen Partien kann bereits vorhandenes Wissen vermutet werden. Seine Wiedergabe der Legende und besonders die Darstellung der Marienverehrung im Islam sind aufgrund der spezifischen Details, welche genau der koranischen Lehre entsprechen, nur auf muslimische Informanten, eventuell noch Orientchristen zurückzuführen. Die ausführliche Thematisierung der islamischen Position gegenüber Maria und Jesus zeugt von intensiven theologischen Debatten sowie von Vorkenntnissen in Bezug auf die jeweils andere religiöse Position auf muslimischer wie auch auf christlicher Seite. Einiges spricht dafür, dass Burchard seine Informationen von Personen aus dem Umkreis des Hofes bezog, die ihn nicht nur auf der Reise begleiteten, sondern die Reiseziele vorgaben und auch die Berichterstattung beeinflussten. Ein Besuch in Matariya gehörte mit großer Wahrscheinlichkeit zum offiziellen Besuchsprogramm des Sultans. Da der Balsamgarten unter den Fatimiden streng geschützt war, war der Besuch möglicherweise auch jetzt nicht allen erlaubt. Im Rahmen einer Gesandtschaft erscheinen genutzt werden. Das Harz der im Norden Somalias vorkommenden Boswellia frereana wird auch als koptischer Weihrauch bezeichnet. Beschrieben wird dieser Weihrauchbaum als ein immergrüner, 3 bis 10 m hoher Baum mit relativ dünnem Stamm und wenigen Ästen. Die Borke ist papierartig, Hepper, Trees (1969), 67. Die Blätter werden als ziemlich groß, breit-herzförmig, starr, kahl und ganzrandig beschrieben, was sie von den anderen signifikant unterscheidet und am ehesten mit der Kleeblattform übereinstimmt. Nach Burchard entsteht ein Endprodukt, das er als Hefe bezeichnet. Hier dürfte er eine weißgelbliche Substanz mit fester, aber bröckeliger Konsistenz, wie sie auf Frischhefe zutrifft, vor Augen haben. Die pastenartige Konsistenz des Weihrauchs trifft ebenfalls auf den unter dem Namen Elemi bekannten Weihrauch (Gummi) der Boswellia frereana zu. Boswellia frereana lässt sich von den drei anderen Arten durch den extrahierbaren Anteil unterscheiden. Sie besitzt den geringsten Anteil an der Säurefraktion und hat dafür den höchsten Anteil der Neutralbestandteile. 633 Sie sind auch bekannt unter dem Namen Gileadbalsam, aber wohl nicht mit diesem identisch, Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 39. 634 Dieser ist auch unter dem Namen arabischer oder somalischer Weihrauch bekannt; siehe Anm. 612. 635 ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 20. 636 Martinez/Lohs/Janzen, Weihrauch (1989), 40. 637 Die Darstellung ist in der dritten Person gehalten, was allerdings keinen Gegenbeweis darstellt.

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die Umstandsbestimmungen des Besuchs aber im Kern un­pro­blematisch. Lange bevor der Ort auf dem Reiseplan westlicher Pilger stand,638 diente Burchards Dokumentation einer ganzen Reihe von Autoren ab dem 13. Jahrhundert damit als Modell.639

III.1.6 Von Fustat nach Damaskus Nach dem Aufenthalt in Matariya kehrte Burchard offenbar zunächst nach Fustat zurück, von wo aus er sich auf den Weg nach Damaskus begab. Bevor die Schilderung des zweiten Reiseabschnitts mit der Durchquerung des Sinai einsetzt, schließt Burchard die Beschreibung Ägyptens mit einem Abriss über Rohstoffe, Wirtschaftserzeugnisse, Nutztiere- und pflanzen, Klima sowie über die Jenseitsvorstellungen der Muslime ab. Ressourcen, Handelsgüter und Wirtschaft Ägyptens An erster Stelle ägyptischer Erzeugnisse nennt er Alaun. Dieser würde sechs Tagesreisen von Fustat entfernt in der Wüste in „gewissen Bergen abgebaut“ und sei dem Nutzen des Königs vorbehalten: Item a Nova Babylonia ad VI dietas in deserto alumen tinctura fullonem, de quibusdam montanis exciditur et in usum regis colligitur. Mit dem Namen Alaun (oder besser Alaune) wurden seit der Antike „salzhaltige Substanzen mit charakteristischer adstringierender und imprägnierender Wirkung, meist Mischungen mehrerer Sulfate bzw. das Doppelsalz Kalium-Aluminiumsulfat“ bezeichnet.640 Alaune waren vielfältig einsetzbar: Im medizinischen Bereich dienten 638 Behrens-Abouseif, Extension (1981), 158. 639 Timm, Ägypten Bd. 4 (1988), 1615; z.  B. bei Thietmar, Burchard von Monte Sion, Jacques de Vitry, dem Fortsetzer Wilhelms von Tyrus, Franziskus Pippin und Marino Sanuto. 640 Jüttner/Balard, Alaun (2002), Sp. 272. Die Bezeichnung Alaun (lat. alumen oder gr. stypteria) gilt für alle schwefelsauren Doppelverbindungen gleichartiger chemischer Konstitution, typisch sind Verbindungen von Aluminium oder Kalium mit Magnesium, Chrom oder Eisen, Picon, Aluns (2005), 14; Perna, Alun (2005); Falbe/Regitz, Römpp, Bd. 1 (101996), 92. Das im engeren Sinne als Alaun (Kalialaun) bezeichnete Kaliumaluminiumsulfat Dodecahydrat KAl(SO4)2 bildet farblose, durchsichtige Kristalle, die gut in Wasser löslich sind. Die Löslichkeit steigt in hohem Maße beim Erwärmen des Wassers. Von der Antike bis ins 17. Jahrhundert wurden Alaune empirisch nach Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten definiert. Bestimmend wurde die Definition des Dioskorides: „Fast jede Art Stypteria findet sich in Ägypten in denselben Gruben. (…) Es gibt davon sehr viele Arten. (…) Als beste erweist sich die spaltbare und von dieser wieder die, welche frisch, sehr weiß, steinfrei ist, scharf riecht und kräftig adstringirt, die ferner nicht schollenartig oder splitterig zusammengebackt ist, sondern die aus einzelnen vorspringenden Streifen, grauen Haaren vergleichbar, besteht; eine solche ist die sogenannte Trichitits, welche in Ägypten entsteht. (…) Sie haben erwärmende, adstringirende, heilende Kraft, reinigen die Pupille von Verdunkelungen und bringen das auf den Augenlidern gebildete Fleisch und sonstige Wucherungen zum Verschwinden. (…) Sie halten eiterige Geschwüre und Blutungen auf, verdichten schwammiges Zahnfleisch und befestigen mit Essig und Honig wackelige Zähne. (…) Mit Wasser aufgestrichen sind sie ein Mittel gegen Wanzen, Läuse

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sie der Blutstillung, gleichfalls fanden sie als Deodorant, Ätzmittel, Flammschutzmittel sowie zur Farbsynthese, Leimen, Konservieren und in der Papierherstellung Verwendung.641 Aufgrund der steigenden Nachfrage an Textil- und Lederwaren ab dem 11. Jahrhundert erlangte die „Universalchemikalie“642 in Europa ihre größte ökonomische Bedeutung als Beiz- und Bleichmittel, da Farbstoffe auf Textilien und Leder erst nach der Alaunbehandlung fixiert werden konnten.643 Auch Burchard kennt Alaun als Farbe der Walker: tinctura fullonum. Die lateinische Bezeichnung fullo bezieht sich auf die Tuch- und Textilverarbeitung, wobei Tuchwalker die Stoffe in heißer Seifenlauge unter Zusatz von Alaun oder Ammoniumkarbonat mit Händen und Füßen bearbeiteten, um die Festigkeit der Stoffe zu erhöhen.644 Der deutsche Terminus Walken bezeichnet ebenso einen Arbeitsgang der Lederbearbeitung, bei dem nasses Leder in eine bestimmte Form gespannt wird.645 Insbesondere das im 12. Jahrhundert aufkommenden Handwerk der Weißgerberei, bei dem bevorzugt feinere und dünnere Leder von Kalb, Schaf und Ziege hergestellt wurden, wie auch die Kürschner und Pergament­hersteller waren auf den Exportartikel Alaun angewiesen.646 Zwar bleibt offen, auf welches Gewerbe sich Burchard genau bezieht.647 Wie schon beim Balsam

und Brandwunden. (…) Die melische hilft auch zur Verminderung der Empfängnis (…)“, Dioskorides, Materia, V, 122. Ed. Berendes (1902), 290. Dieser Definition folgen dann Plinius und mittelalterliche Autoren, dazu Halleux, Alun (2005), 10. Im arabischen Mittelalter zählte der Alaun zu den Vitriolen, auch Plinius machte keinen Unterschied zum Eisenvitriol, welches zur Stoffärberei benutzt wurde. Zum Alaun siehe die Beiträge des Sammelbandes ‚L’Alun de Méditerranée‘ (2005); Reinicke, Walkerei (2002); Dézsy, Alaun(1999); Cahen, Alun (1963); Delumeau, Alun (1962); Singer, Industry (1948); Nies, Alaun (1893). 641 Zahlreiche Anwendungsgebiete führt Charles Singer auf, Singer, Industry (1948), passim. Siehe auch Halleux, Alun (2005); Picon, Préparation (2000), 520  f.; 528; Germer, Textilfärberei (1992), 15; 19; 69. 642 Struckmeier, Textilfärberei (2011), 70. 643 Zum Beizen konnten ebenso andere Substanzen benutzt werden, Cardon, Monde (2003), 20  f.; 27; 44–46; 50  f.; Moog, Gerber (2005), 42–48; Lombard, Textiles (1978), 147  f.; Lauterbach, Kampf (1905), 11  f. Die ältesten Gerbmethoden basieren auf Rauch, Fett und Pflanzenteilen, besonders die Pergamentherstellung benötigte aber Alaun. Siehe auch Jacoby, Production (2005), 223; Delamare/ Monasse, Rôle (2005); Picon, Aluns (2005), 13; Struckmeier, Textilfärberei (2011), 70  f.; Singer, Industry (1948), 43–47; 66–69; 82–88; Dézsy, Alaun (1999), 16; Cardon, Draperie (1999), passim. 644 Georges, Handwörterbuch (1913), Sp. 2869. 645 Grimm, Wörterbuch 27 (1922), Sp. 1250  f. Zum Gerben wird nasser Alaun in das Leder eingerieben, Moog, Gerber (2005), 75; 84; Lamb/Jablonski, Lederfärberei (1927), 1–4; 125  f.; 131; 320. 646 Die bleichende Wirkung der Mineralstoffe ergibt ein besonders helles – eben weiß gegerbtes – Leder, dazu Chahine, Utilisation (2005); Porter, Use (2005); Reith, Gerber (1990); Wiswe, Kürschner (1990); Singer, Industry (1948), 120  f. In Deutschland läßt sich die Weißgerberei (Ircher) allerdings vor dem 13. Jahrhundert nicht nachweisen, Körner, Geschichte (1944), 45; 60. 647 Straßburg war ein Zentrum der Lederindustrie, Wittmer, Tanneurs (1963); Cramer, Gerberhaus (1981). Daneben bestand auch ein regionales Tuchgewerbe, Ammann, Wirtschaftsgeltung (1955); von Schmoller, Tucherzunft (1881); Ders., Urkunden (1879). Für die Literaturhinweise danke ich Colin ­Arnaud.

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handelte es sich beim Alaun aber um ein exklusives und stark nachgefragtes Gut, welches bis ins 15. Jahrhundert aus dem Orient importiert werden musste.648 Ägypten zählte im 12. Jahrhundert zu den Hauptexporteuren von Alaunen.649 In den Oasen Kharga, Dakhla und Bahariya ca. 370 km südwestlich von Kairo bestanden natürliche Vorkommen, aus denen die auskristallisierten Sulfate einfach gesammelt oder aus tieferliegenden Schichten gebrochen wurden.650 In Konkurrenz zu dem im 13. Jahrhundert entwickelten Verfahren, aus Alunit oder Alaunschiefer künstlich Alaun zu gewinnen, verlor der ägyptische Alaun im späteren Mittelalter wegen seiner minderen und schwankenden Qualität dann an Bedeutung,651 doch noch Ende des 14. Jahrhunderts wurden größere Mengen von Alexandria nach Europa verschifft.652

648 In der Antike und für den regionalen Bedarf im Mittelalter wurde Alaun auch aus europäischen Vorkommen bezogen, Picon, Aluns (2005), 14 (Karte); 27; Borgard/Capelli, Origine (2005). Als Herkunftsorte dieses Mineralsalzes werden in älteren Quellen Lipari, Libyen, Melos, Mazedonien, Phrygien, Armenien und Phocäa genannt, Disokorides, Materia, V, 122. Ed. Berendes (1902), 290. Bis Ende des 12. Jahrhunderts kamen Ischia, afrikanischer Alaun aus Sidjilmâsa und Kastillien hinzu, Jacoby, Production (2005), 219; 227; Cahen, Alun (1963); Singer, Industry (1948), 81–84; 139; Liagre, Commerce (1955); Lopez, Genova (1933). 649 Der erste sichere Beleg des Exports ägyptischen Alauns nach Europa findet sich in einer vene­zia­ ni­schen Notariatsakte von 1072, Documenti I. Ed. della Rocca (1940), 10 Dok. 11; Jacoby, Production (2005), 226; Cahen, Alun (1963), 439. Singer geht bereits für das 8. Jahrhundert von einem Handel aus, da schon in frühmittelalterlichen Rezeptbüchern Alaun aus Alexandria oder Asien empfohlen wird, Singer, Industry (1948), 44. Die Bedeutung Ägyptens als Hauptlieferant von Alaun rührte nicht zuletzt daher, dass hier auch weitere für den europäischen Markt begehrte Waren gehandelt wurden und auf beiden Seiten ein mehrfaches Handelsinteresse bestand, Jacoby, Production (2005), 226. 650 Zu Vorkommen, Qualität und den Abbaumethoden siehe Picon, Aluns (2005). Unterschieden werden natürliche, künstliche und synthetische Alaune. Natürliche Vorkommen finden sich meist in Wüsten, ariden oder vulkanischen Gebieten. Im Mittelmeerraum und in Ägypten sind sie aber recht selten, ebd., 15. In Kharga wurde Magnesiumsulfat gewonnen, das ebenso als Alaun bezeichnet und zum Beizen verwandt wurde, Beadnell, Oasis (1909), 222. Abgebaut wurde Alaun auch in der Nähe von Assuan, 800 km von Kairo entfernt. Natürliche Alaunvorkommen in Europa vermutet Maurice Picon in Niebla am Rio Tinto, in Lipari, Stromboli und Pozzuoli und in Viterbo, Picon, Aluns (2005), 27. Zu den Abbaugebieten im Wahat siehe auch Winklbauer, Bemerkungen (2013); Picon/Vichy/Ballett, Alun (2005), 43  f.; Wagner, Oasis (1987); Décobert, Note (1979). 651 Picon, Aluns (2005), 20; 50; Picon/Vichy/Ballett, Alun (2005), 51; Cahen, Alun (1963), 433  f.; 444  f. In Phokäa und ab 1462 in Tolfa bei Civitavecchia wurde Alaun aus Alunit [KAl3(SO4)2(OH)6] hergestellt, dazu Picon, Aluns (2005), 21–25; Ders., Préparation (2000); Singer, Industry (1948), 89–94; 139–143; zum Alaunmonopol der Zaccari und der Päpste: Dézsy, Alaun (1999). Das künstliche Verfahren wurde vermutlich schon im 5. Jahrhundert in Phokäa angewendet, Picon, Préparation (2000), 527–529; Singer, Industry (1948), 70  f., war aber erheblich aufwendiger und kostspieliger als der Abbau natür­ lichen Alauns, so dass es sich erst unter den Bedingungen des gesteigerten Bedarfs und elaborierterer Verfahren durchsetzen konnte, Picon, Aluns (2005), 26  f. Die Auswaschung aus Alaunschiefer entwickelte sich hingegen erst im späten Mittelalter, z.  B. in der Kölner Region und in Tirol, ebd., 31; 35; Singer, Industry (1948), 223–230. 652 Winklbauer, Bemerkungen (2013), 232. Im 15.  Jahrhundert erscheint Alaun nicht mehr in den Quellen, die Alaungewinnung in den ägyptischen Oasen wurde anscheinend erst im 19. Jahrhundert unter europäischer Federführung wieder aufgenommen, ebd.

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Abb. 9: Ägypten vom 11.–13. Jahrhundert, entnommen aus Jacoby, Production (2005), 261.

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Schon in römischer Zeit ist ein staatliches Alaunmonopol belegt.653 Unter fatimidischer und ayyubidischer Herrschaft, als ägyptischer Alaun marktbeherrschend und in großen Mengen exportiert wurde, existierte wieder ein Monopol, wie Burchard angibt (in usum regis colligitur).654 Zu welchem Zeitpunkt das Alaunmonopol eingeführt wurde, ist nicht gesichert.655 Wohl wegen des hauptsächlich für den Export bestimmten und restringierten Abbaus berichten erzählende arabische Quellen bis zum 10. Jahrhundert nicht vom Alaunabbau in Ägypten.656 In Ägypten selbst wurde Alaun kaum verbraucht.657 Belegbar ist es für die Zeit nach 1161 dank der Steuer­ bücher al-Makhzumis und Ibn Mammâtîs, welche Aufschluss über Mengen, Preise und die Art des staatlichen Alaunmonpols gewähren.658 Wegen der verstreuten Vorkommen wurde der Alaun nicht direkt vom Staat abgebaut. Der Abbau lag in den Händen von Beduinen oder ‚Arabern‘.659 Der Matdjar, das staatliche Handelsamt, besaß jedoch das alleinige Ankaufs- und Wiederverkaufsrecht des begehrten Rohstoffes und damit eine Handhabe gegenüber den italienischen Seestädten, von deren 653 Ebd., 226–228; Kruse, Organisation (2007), 524  f.; Huß, Wirtschaft (2001), 56; Christophe, Alun (1964). 654 Winklbauer, Bemerkungen (2013), 229; Jacoby, Production (2005), 220–226; Halm, Kalifen (2003), 16. 655 Jacoby, Production (2005), 225. 656 Ebd., 220; Cahen, Alun (1963), 440. Al-Idrisi nennt lediglich den Alaunabbau in Kawar (Niger), von einem Monopol schreibt er nicht, Al-Idrisi, Géographie. Ed. Jaubert (1836–1849), 24; 117  f. Aufgeführt wird Alaun in Schriften zur Alchemie, ein frühes Fachbuch ist De aluminibus et salibus, welches im 11. Jahrhunderts in Spanien verfaßt und von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt wurde, Steele, Chemistry (1929); Ruska, Buch (1935); Telle, Buch (2002); Ferrario, Origins (2007). 657 Jacoby, Production (2005), 224; 228. Begründet wird der geringere inländische Verbrauch mit unterschiedlichen textilen Vorlieben. Während Europäer Alaun in erster Linie zum Rotfärben benutzten, waren in Ägypten weiße oder mit Indigo gefärbte Kleidungsstücke bevorzugt. So definiert AlMammâtî den Rohstoff Alaun als „pierre connue qui sert à de multiples usages, et surtout à la teinture rouge. Les Rûm en ont un appétit proportionnel à l’utilité qu’ils lui trouvent, car il est chez eux un produit dont ils ne peuvent se passer. Les gisements s’en trouvent dans le désert de Haute Egypte. L’usage du Fisc est de payer pour chaque qintâr laythî d’alun 30 dirhams, et parfois moins“, Cahen, Alun (1963), 434; dazu auch Winklbauer, Bemerkungen (2013), 231 Anm. 54; Jacoby, Production (2005), 223. 658 Al-Makhzumi war Verwaltungsbeamter (Kadi) unter den Fatimiden und wohl auch in ayyubidischer Zeit. Seinen Traktat Minhādj fī ‘ilm kharādj verfaßte er um 1170, Makhzûmî, Kitâb. Ed. Cahen (1986). Mit dieser Schrift verwandt ist das um 1190 entstandene Qawānīn al-Dawāwīn des Ibn Mammâtî, der ebenfalls ein hoher Verwaltungsbeamter war, Cahen, Traité (1977); Cooper, Rules (1973); Ibn al-Mammâtî, Qawānīn. Ed. Atiya (1943). Im Vergleich der Schriften fällt besonders der immense Preisanstieg für Alaun auf, der innerhalb von 20 Jahren von 15 auf 30 Dirhams pro qintâr (ca. 60 kg) anstieg, Jacoby, Production (2005), 224  f. Siehe dazu auch Winklbauer, Bemerkungen (2013), 229  f.; Rabie, System (1972); Cahen, Alun (1963), 434–436. 659 „Des exploitations médiévales d’alun n’ont pas été identifées jusqu’à présent sur le terrain. Il est toutefois clair qu’elles devaient s’étendre sur des centaines de km2. Pour des raisons pratiques il était donc impossible de les contrôler sur place. C’est d’ailleurs pourquoi la récolte de l’alun était laissée à l’initiative des ‚Arabes‘ ou Bédouins, ainsi qu’il ressort d’Ibn Mammâtî“, Jacoby, Production (2005), 221; Cahen, Douanes (1977), 260.

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Holz- und Eisenlieferungen wiederum Ägypten abhing.660 Aufgrund der Preisbindung fungierte Alaun auch als Zahlungsmittelersatz661 und zur finanziellen Absicherung von Fami­lien­mitgliedern. So billigte Saladin seinem Bruder Turansha 1173 Besitzrechte an einer bestimmten Quantität von Alaun zu, die dieser über einen genuesischen Zwischenhändler verkaufen durfte.662 Kenntnis vom Alaunmonopol besaßen in jedem Fall die an diesem teuren und exquisiten Gut interessierten (italienischen) Händler663 sowie deren einheimische Begleiter, welche oftmals Christen waren.664 Dass Burchard die Förderstätten dieses wertvollen Minerals selbst besuchte, ist recht unwahrscheinlich, denn für einen Abstecher lagen die Oasen zu weit abseits seiner Reiseroute. Eher könnte er die für die ägyptische Baumwoll- und Textilindustrie selbst unentbehrlichen Indigopflanzen (Indigofera tinctoria) erblickt haben, auf welche er im gleichen Atemzug mit dem Alaun hinweist: Item color Indicus in Egypto conficitur. Das Gewächs gedeiht im feuchtheißen Klima des Nildeltas. Aus den Blüten dieser aus Indien stammenden Pflanze wurde blauer Farbstoff extrahiert.665 Im Vergleich 660 Jacoby, Production (2005), 226; Ders., Supply (2001), 102–110; Cahen, Douanes (1977), 258–260. „Der Staat hatte das alleinige Ankaufsrecht; privater Kauf bei den Produzenten wurde streng bestraft. Anders als in der Kaiserzeit waren demnach im Mittelalter Gewinnung und Wüstentransport des Minerals frei von staatlicher Einflußnahme und nur der Alaunhandel reglementiert“, Winklbauer, Bemerkungen (2013), 230. Erst unter den Ayyubiden konzentrierte sich der Alaunhandel in Alexandria, der vorher auch über die Häfen von Damiette und Tinnis lief, Cahen, Alun (1963), 435. Ab 1176 wurde Alaun auch in die Kreuzfahrerherrschaften exportiert. Der Matdjar verzeichnete das Gesamtvolumen des geförderten bzw. aufgekauften Alauns, genaue Zahlen überliefert wiederum Ibn Mammâtî: 1193 belief sich der staatliche Erwerb auf 12000 qintârs (720 Tonnen), Jacoby, Production (2005), 221. Vom Matdjar wurden auch andere Güter zu einem vorher fixierten, offiziellen Preis aufgekauft, was den Zulieferern die Abnahme des jeweiligen Gesamtvolumens garantierte, Cahen, Douanes (1977), 258. 661 „Cela étant, le système imaginé était le suivant: un tiers seulement du prix dû pour les marchandises achetées était acquitté en espèces, le reste l’était en alun. Encore fallait-il défalquer du prix dû l’ensemble des taxes qu’avaient à verser les marchands européens tant au Khums (…) qu’au Matdjar, et qu’ils payaient non pas au détail à mesure des operations, mais, dans une certaine mesure, sur un compte global, une fois toutes affaires, ou chaques catégorie d’affaires, faites. (…) en général (…) le règlement était fait, comme dit, en alun d’après les prix fixés par le gouvernement égyptien“, Cahen, Douanes (1977), 260; Ders., Alun (1963), 435; Dézsy, Alaun (1999), 13. 662 Das genuesische Schiff wurde dann jedoch von den Pisanern gekapert und der Alaun konfisziert. Erst nach heftigen Drohungen seitens Taqî ad-dîn Omars, Saladins Neffen und Gouverneur Alexandrias, sowie Saladin persönlich kam der Genuese wieder frei, Jacoby, Production (2005), 228; Cahen, Alun (1963), 437; Singer, Industry (1948), 84  f.; Heyd, Histoire I (1885), 399. An den Rat der Stadt Pisa sandten Saladin wie auch sein Neffe einen Beschwerdebrief, Diplomi Arabi. Ed. Amari (1863), Nr. 8 und 9, 262. 663 Cahen, Alun (1963), 437  f.; Jacoby, Production (2005), 227. 664 Cahen, Douanes (1977), 267. Im Minhādj des Al-Makhzumi werden Juden und Christen sonst nicht erwähnt. Als Grund dafür vermutet Cahen, dass die religiöse Zugehörigkeit in Bezug auf die Handelsverwaltung keine Rolle spielte, ebd. 665 Die Blütenblätter enthalten Indican, eine gelbe Vorstufe des blauen Farbstoffes. Zur Gewinnung des blauen Farbstoffes wurden die Blätter gewässert, um Glucose und Indoxyl abzuspalten. Durch

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mit dem in Europa angebauten Färberwaid (Isatis tinctoria) ergaben die Blüten die 30-fache Menge.666 Erntezeit war allerdings schon im Juni/August.667 Erste Belege eines Handels mit dem teuren Farbstoff stammen aus dem 12. Jahrhundert, noch im 13. und 14. Jahrhundert aber war Indigo in Europa selten anzutreffen.668 Vielleicht war in Europa gar nicht bekannt, dass der weitgehend fremde Indigo in Ägypten kultiviert wurde, er dürfte auch nur für elitäre Gruppen von Interesse gewesen sein. Dass der „fabelhafte Wohlstand“669 Ägyptens auf den unglaublichen Gewinnen der Landwirtschaft Unterägyptens, der Förderung bestimmter natürlicher Rohstoffe sowie auf den Exportgewinnen basierte, war indes eine weithin geläufige Überzeugung. Dem Reisenden Burchard zeigte sich der Reichtum insbesondere in den Goldmengen, die sich zu seinem großen Erstaunen im ganzen Land fanden, obwohl das Land selbst nicht über Edelmetallvorkommen verfügte.670 Seit der Antike galt Ägypten als Land des Goldes. Während Silbervorkommen nicht vorhanden waren, sind in (Ober-) Ägypten eine Reihe Goldlagerstätten bekannt, aus denen im Mittelalter gegebenenfalls aber nur noch wenig gewonnen wurde.671 V.  a. aber förderte der ägyptische Staat die Einfuhr von Gold,672 was bei Burchard anklingt. Mit aller Vorsicht kann aus dem von Burchard konstatierten vermeintlichen Widerspruch die Einsicht Rühren oxidierte der Farbstoff (blau) und flockte als wasserunlösliche Substanz aus. Nach Zusatz von Lauge konnte es als Pulver getrocknet und verarbeitet werden. Die Farbmoleküle dieses Küpenfarbstoffes gehen keine chemische Verbindung mit der Stofffaser ein. Zur Indigogewinnung siehe: Balfour-Paul, Uses (2000); Cardon, Monde (2003); Cardon/Müllerott, Pastel (1995–1998); Clark/Cooksey, Indigo (1993); Sandberg, Indigo (1989). Indigofera-Arten sind schon 2500 v. Chr. in Ägypten nachweisbar, Falbe/Regitz, Römpp, Bd.  3 (101997), 1904–1906; Lombard, Textiles (1978), 139–143; Singer, Industry (1948), 263. 666 Anbaugebiet des Färberwaid seit dem 9.  Jahrhundert war Thüringen, dazu Müllerott, Quellen (1993); Lauterbach, Geschichte (1905); Ders., Kampf (1905). 667 Cahen, Al-Makhzūmī (1977), 147. 668 Frühe Belege stammen 1140 aus Genua und 1194 aus Bologna, in Frankreich und nördlich der Alpen ist Indigo erst Ende des 13. Jahrhunderts bezeugt und wird hauptsächlich als blaue Künstler­ farbe genutzt. Der Indigohandel entstand unabhängig von Alaun, da die Färbung mit Indigo keine Beize voraussetzte, Jacoby, Production (2005), 223. Erst mit der Erschließung des Seeweges nach Indien und der Entdeckung Amerikas wurde Indigo zum Konkurrenten des Waides, Lauterbach, Kampf (1905), 64  f.; Ders., Geschichte (1905), 56–81; Spufford, Lapis (2010); Engel, Farben (2009), 51; 54; Clark/Cooksey, Indigo (1993), 192; Singer, Industry (1948), 82; 84; 95; Reinicke, Indigo (2002); Scholz, Geschichte (1929), 107–116. 669 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 290. 670 Item per totam Egyptum neque aurum neque argentum neque aliquod genus metalli colligitur, et tamen auro terra superabundat. Die Lesart auro ist allerdings nicht sicher, vgl. Edition Z. 150. 671 „Ägypten war das Land des Goldes. Bisher (1991) sind nicht weniger als 92 Goldlagerstätten bekannt. Allerdings ist die genauere chronologische Einordnung dieser in der Arabischen Wüste und in Nubien liegenden Lagerstätten noch nicht möglich – wenn sie überhaupt je vorgenommen werden kann“, Huß, Wirtschaft (2001), 16. Eisen fand sich nur in begrenztem Umfang, Kupferstätten gab es auf der Sinaihalbinsel, ebd., 16  f.; Ward, Brass (2004); Meyer, Town (1995); Blanchard, Markets (2007), 396; Cuoq, Islamisation (1986), 37. 672 Cahen, Douanes (1977), 255.

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herausgelesen werden, dass wirtschaftliche Stärke und vorhandene Bodenschätze nicht notwendigerweise korrelieren müssen. Ausschlaggebend für die Prosperität des Landes sind vielmehr gezielte staatliche Maßnahmen und fortschrittliche Techniken, um die Ressourcen optimal auszunutzen.673 Im Bereich der Nutztierhaltung erzielte die Pferdezucht gute Ergebnisse, was auch ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī erwähnt.674 Araberpferde waren in Europa besonders wertvolle und gesuchte Zuchttiere.675 Doch geht Burchard nicht näher auf die Reittiere ein, sein Interesse richtete sich vielmehr auf die Vogelwelt. Hochentwickelt und staatlich gefördert – ebenfalls zum Nutzen des Königs (usus iste regis est) – war die Geflügelzucht dank des schon seit der Antike entwickelten Verfahrens der Kunstbrut. Wie Burchard mitteilt, konnten in speziellen Brutkästen bis zu zweitausend Hühnereier zugleich ausgebrütet werden.676 Von diesem Phänomen berichten zwar schon Aristoteles und Plinius,677 genauere Darstellungen des Verfahrens sind indessen rar. Die nur in Ägypten anzutreffenden „Hühnerbrutöfen“ faszinierten im selben Maße den weitgereisten arabischen Gelehrten ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, der die Inkubatoren eingehend beschreibt und damit Burchards Angaben beglaubigt.678 „Dans le nombre des particularités relatif au règne animal qu’offre l’Egypte, il faut compter l’art de faire éclore des poulets par le moyen du fumier, art qui se pratique dans ce pays. Rien n’est plus rare que de trouver en Egypte des poulets éclos naturellement par l’incubation de la poule; on voit même fréquemment parmi les Egyptiens des gens auxquels ce procedé naturel est inconnu. C’est chez eux un art et un métier; cela forme une branche de commerce et d’industrie, dont plusieurs tirent leur subsistence. Il n’y a aucun lieu habité en Egypte où l’on ne rencontre quelques ateliers destines à ce genre d’industrie, et ces ateliers y portent le nom de manufactures des poulets. Une pareille manufacture consiste en un grand emplacement, où l’on construit depuis dix jusqu’à vingt chambres, telles que nous allons les décrire, et qui peuvent contenir chacune deux milliers d’œufs; ces chambres se nomment chambres de stratification.”679

673 Gezielt gesteuert werden Marktformen und Preise mittels staatlicher Monopole, da nach Ausschaltung von Wettbewerbern der Preis überproportional nach oben gesetzt werden kann. 674 „La race des chevaux y est excellente, et ils sont très agiles à la course: il y en parmi eux que l’on paye depuis mille jusqu’à quatre mille pièces d’or“, ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 140. Vgl. die Angabe der equas saracenas des Anonymus Placentius, Antonini Placentii Itinerarium, 40. Ed. Geyer (1965), 150; Rotter, Abendland (1986), 27. 675 Bumke, Kultur (102005), 210–240; Hyland, Warhorse (1994), 40–44; 55–57; 166  f. 676 Item in Egypto nutriuntur pulli mille vel duo milia simul in furno per ignem absque gallina, et usus iste regis est. 677 Aristoteles, Tierkunde, VI, 2. Ed. Gohlke (1957), 244; genauer bei Plinius: Nuper inde fortassis inventum, ut ovo calido in loco inposita paleis igne modico foverentur homine versante, pariterque et stato die illinc erumperet fetus, Plinius, Naturkunde X, LXXVI. Ed. König (1986), 106  f. Die Methode der Kunstbrut wurde in Ägypten nach dem natürlichen Vorbild des Krokodils und des Warans entwickelt, Peters, Hühnerhaltung (1997), 45  f. In Europa wurde die Kunstbrut erst im 16. Jahrhundert aufgenommen, von den Driesch/Peters, Geschichte (2003), 114. 678 ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 135–140. 679 Ebd., 135.

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Die einzelnen Inkubationsräume wurden mit Stoffen und anderen Materialien abgedichtet und dann mit Tonerde verkleidet, damit kein Rauch oder Dampf entfleuchen konnte, wenn die Eier erhitzt wurden. Als Brennmaterial diente Kuhmist, die Eier selbst lagen auf Strohmatten.680 Da Burchard dieses spezielle Verfahren nicht näher beschreibt, ist eher unwahrscheinlich, dass er es selbst beobachtete. Auch jenseits eines agrarökonomisch motivierten Interesses erregte die Vogelwelt Ägyptens Burchards Aufmerksamkeit. Gleich dreimal erwähnt er die fremden Vogelarten (genus avium), schließlich unterscheiden sie sich in ihrer Farbenpracht und ihrem Aussehen stark von den mitteleuropäischen Spezies.681 Besonders faszinierten ihn Papageien, die als Luxustiere weltlicher Herrscher und des Papstes in Europa begehrt, aber höchst selten waren.682 Aufgrund der Fähigkeit der Papageien, menschliche Laute nachzuahmen, galt der psittacus als sprechender und selbst handelnder Vogel, dem in Tierepen eine wichtige Rolle als Sprachrohr adliger oder geistlicher Herren zukam.683 Einen solchen Vogel zu besitzen und sich mit seinem Bild zu schmü680 Ebd., 135  f. Sie wurden also nicht in Mist vergraben, wie Aristoteles schreibt, siehe Anm. 677. 681 Zu oberservieren waren im Nildelta u.  a. Flamingos, Pelikane, Dommeln, Trappen und Halsbandsittiche. Besonders in den Wintermonaten, zu Burchards Reisezeit, überwintern hier europäische Arten oder machen Station auf ihrer Flugroute. 682 Im Mittelalter sind Erwähnungen und Darstellungen von Papageien im Unterschied zur Antike rar, Diener‚ Camera (1967), 77–83. Genannt werden die Vögel u.  a. bei Plinius, Naturkunde, X, LVII. Ed. König (1986), 84  f.; Solinus, Collectanea, 52, 43–45. Ed. Brodersen (2014), 300–302; Isidor, Etymolo­ giae, XII, 7 (24) Ed. Lindsay (1911); Hugo von St. Victor, De bestiis, II, 8. Ed. Migne (1854), Sp. 94  f.; weitere Quellenangaben bei Diener‚ Camera (1967). Einen Papageien besaß schon Ludwig der Deutsche. Auch die Tatsache, dass im Althochdeutschen das Wort ‚Sittich‘ dem griechischen und lateinischen psittacus entlehnt wurde, lässt auf eine längere Tradition des Papageienhaltens bei Hofe schließen, ebd., 91. Der deutsche Begriff Papagei entwickelte sich erst im 14./15. Jahrhundert, Lantermann, Papageienkunde (1999), 17. Papageien und andere bunte Sittiche gehörten zum „Geschenkkatalog“ exotischer Gaben, der u.  a. durch den Alexanderroman vermittelt wurde. Frutolf von Michelsberg nahm ihn in seine Weltchronik auf, Diener‚ Camera (1967), 87  f. Friedrich II. nennt Papageien in seiner Ornithologie, die dem Falkenbuch vorangestellt ist, ebd., 93; Fridericus, Arte. Ed. Willemsen, Bd. 1 (1942), 7—122. Ein früher Beleg für den Besitz eines Papageien in Europa, der gut die Wertschätzung dieses Vogels illustriert, ist im Ausgabenbuch Johannes’ XXII. von 1317 enthalten: „Der Papst hatte (…) 10  Monate nach seiner Thronbesteigung von dem genannten Genueser Arzt einen Papagei für die horrend hohe Summe von 40 Gulden erworben. (…) Durch viele Jahrzehnte, während der Pontifikate der Päpste Johannes XXII., Clemens VI., Innocenz VI., Urban V. und Gregor XI. kann der Unterhalt des Vogels genau verfolgt werden. Auch die Kosten für sein Futter sind oftmals überliefert. Den Registereinträgen ist zu entnehmen, dass unter Johannes XXII. ein Guillelmus Martini, cantor ecclesie saneti Stephani Montis Albanensis, Verwalter der Ausgaben der päpstlichen Küche war. Er erstattete jeweils den päpstlichen Kammerklerikern, denen das Tier anvertraut war, die Kosten für ihre Auslagen. Seit 1361 rechnete meistens der apothecarius pape, Agapitus Meliorini, der außer für den Einkauf von Arzneien auch für den von Spezereien zuständig war, über die Unterhaltskosten des Vogels ab“, Diener‚ Camera (1967), 62; 68–77. Siehe auch Hünemörder, Papageien (2002); Keller, Tierwelt II (1909), 45–49; Toynbee, Tierwelt (1983), 237–240; Strunden, Papageien (1984). 683 So im Tierepos Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam aus dem 11. Jahrhundert, Diener‚ Ca­ mera (1967), 88  f.

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cken, stand nur dem Adel zu – so lehrt es im 13. Jahrhundert die Novelle von Meier Helmbrecht, der einen sozialen Aufstieg in die höfische Welt mithilfe einer mit Sittichen und Tauben bestickten Haube versuchte.684 Friedrich I. bekam auf seinem ersten Italienzug ein solches Tier von genuesischen Gesandten geschenkt, das die Genuesen den Sarazenen in Almeria und Lissabon abgenommen hatten.685 Hermann Diener zufolge wurden die Vögel als Haustiere bzw. Ziervögel gehalten und nicht öffentlich zur Schau gestellt.686 Während nach antiker Tradition Indien als Herkunftsort der psittaci angesehen wurde,687 lokalisiert Burchard sie ursprünglich in Nubien. Halsbandsittiche, welche im Mittelalter als „die Papageien“ galten, gelangten fürwahr aus dem Sudan nach Alexandria und von dort nach Europa.688 Der Nennung Nubiens fügt Burchard einen Exkurs über dieses Reich an. Nubien sei ein christliches Königreich, die Menschen dort jedoch wenig gebildet und das Land waldig (silvestris), was ebenso ländlich, wild oder auch unkultiviert bedeutet.689 Das Land bestimmt er als politisch und religiös unabhängige Einheit. Burchards Angaben wie auch der Name Nubien beziehen sich nicht auf das südliche, sudanesische Herkunftsgebiet der psittaci, sondern auf das seit dem 7. Jahrhundert bestehende Doppelkönigreich Nobadia-Makuria, das südlich des ersten Nilkataraktes bei Assuan an Ägypten grenzte.690 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts regierte

684 Ich sach, deist sicherlîchen wâr, io eins gebûren sun, der truoc ein hâr, daz was reide unde val; ob der ahsel hin ze tal mit lenge ez volleclîchen gie. in eine hûben er ez vie, diu was von bilden wæhe. ich wæne ieman gesæhe sô manegen vogel ûf hûben: siteche unde tûben die wâren al dar ûf gênât. nû hœrt wiez umbe die hûben stât, Wernher, Helmbrecht, Vers 9–20. Ed. Panzer/Ruh (101993), I; Diener‚ Camera (1967), 90  f. Helmbrecht endet freilich kläglich als übler Raubritter. 685 Venerunt etiam ad eandem curiam legati Ianuensium, qui non longe ante hec tempora, captis in Hispani inclitis civitatibus et in sericorum pannorum opificio prenobilissimis Almaria et Ulixibona, Sarracenorum spoliis onusti redierant, leones, strutiones, psitacos cum ceteris pretiosis muneribus principi presentantes, Otto von Freising und Rahewin, Gesta, II, 17. Ed. Schmale (1986), 314  f.; Diener‚ Camera (1967), 90  f. 686 Ebd., 93. 687 Ebd., 74; 77  f.; siehe Plinius, Naturkunde, X, LVII. Ed. König (1986), 84  f. Auch bei Thomas von Cantimpré sind es indische Vögel mit ganz ungewöhnlichen Eigenschaften: Ut dicit Aristotiles, vinum libenter bibit, et est avis luxuriosa nimium. Nec mirum, quia vinum libenter bibit, vinum in quo est luxuria. Habet quandam vocem naturaliter, qua salutare videtur Cesares. Unde factum est, ut erranti Karolo Magno per desert Grecie obvie essent aves psittaci et quasi Greca lingua salutaverunt eum clamantes: Imperator vale, Thomas von Cantimpré, Natura. Buch V (De avibus), CIX. Ed. Boese (1973), 225  f. 688 Kinzelbach, Vögel (1997), 33. Nubien galt als Ziel- und Herkunftsregion von Zugvögeln, Fischen und anderer Tierarten. 689 (…) est terra christiana, habens regem, sed populus eius incultus est et terra silvestris. 690 „Die Begriffe ‚Nubier‘ und ‚nubisch‘ sind (…) in erster Linie sprachlich definiert.“ Ihre Verwendung ist lediglich im geographischen Sinne unproblematisch, Bechhaus-Gerst, Nubier (2012), 32. Das so bezeichnete Reich begann südlich des ersten Nilkatarakts bei Assuan, die Südgrenze wird zwischen dem fünften und sechsten Katarakt bestimmt. Der Name ‚Nubien‘ leitet sich möglicherweise vom koptischen Wort für Gold ab, doch ist diese Deutung umstritten. Nubien bzw. der nördliche Sudan ist aber noch heute reich an Gold, Scholz, Nubien (2006), 77  f. Die Vorgeschichte reicht weit

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König Georg Moses in Dongola.691 Die nördliche Provinz Nobatia mit der Hauptstadt Qasr Ibrim wurde von einem ‚Eparchen‘ verwaltet.692 Eine „umfassende griechische, koptische oder arabische Bezeichnung für das vereinigte Königreich“ Nobadia-Makuria ist nicht bekannt. In arabischen Dokumenten wurde der Herrscher als „König von Makuria“ (al-Muqurra), als „König von Nubien“ (an-Nūba), als „König von Makuria und Nubien“ (al-Muqurra wa-n-Nūba) oder „König von Dongola“ (ad-Dunqulā) bezeichnet.693 In lateinischen Texten ist von Meroe oder Nubien die Rede, oftmals wird es aber mit Äthiopien gleichgesetzt.694 Direkte wirtschaftliche Beziehungen bestanzurück, andere frühe Namen sind Ta-seti oder Kusch. Archäologisch untersucht wird v.  a. seit 1973 die von ca. 3500–1450 v. Chr. existierende Kermakultur und das gleichnamige Königreich, dazu Bonnet/ Valbelle, Pharaons (2005); Bonnet, Pharaonen (2006) sowie weitere Publikationen von Charles Bonnet und Matthieu Hongger; Lacovara, Kerma (1999). Nubien wurde dann von Ägypten erobert und eine Provinz des Neuen Reiches. Mit dem im Alten Testament (u.  a. Num 12,1; 2 Chr 14, 7–14; Jes 11, 11; 37, 9) genannten Königreich Kusch kam es von ca. 750–300 v. Chr. zu einer eigenen Reichsbildung; in der meroitischen Phase seit 280 v. Chr. löste sich die Kultur von ägyptischen Vorbildern, Welsby, Kingdom (1996); Adams, Nubia (1977), 249–429; Leclant, Kushites (1999). Die Gründe und der Zeitpunkt des Zerfalls des meroitischen Reiches um 350 liegen im Dunkeln, vermutet werden Angriffe aus Axum und verstärkte Einwanderung von Nomaden. Mit Nobatia, Makuria und Alwa entstanden drei voneinander unabhängige Nachfolgeherrschaften mit eigenen Königen. Im 6./7. Jahrhundert wurden die Reiche von Byzanz aus christianisiert und unterstanden dem koptischen Patriarchen von Alexandria, die Hauptsprache der christlichen Liturgie in Nubien blieb das Griechische. Das Königtum von Makuria und Alwa war sakral aufgeladen, da die Könige zugleich Priester waren, Werner, Christentum (2013); Scholz, Auftreten (2010); Hage, Christentum (2007), 196–200; Diebner, Nubien (2004); Ceccarelli-Morolli, Origine (1994); Cuoq, Islamisation (1986). Die nördlichen Reiche Nobatia und Makuria vereinten sich im 7. Jahrhundert. Das Verhältnis zu den muslimischen Herrschern Ägyptens wurde durch einen Friedensvertrag bzw. Waffenstillstand (Baqt) geregelt. Zu christlichen Reichen hielten Nubier Kontakt. Die Bevölkerung bestand aus Schwarzafrikanern, Unternubien war griechisch und ägyptisch geprägt; wirtschaftliche Grundlage waren Ackerbau und Viehzucht, gehandelt wurde besonders Gold, Elfenbein und Sklaven. Zu ernsteren Auseinandersetzungen kam es erst mit Saladin, Ruffini, Nubia (2012); Hage, Christentum (2007), 199; Welsby, Nubia (2002). Im 13. Jahrhundert setzte nach der Eroberung durch die Mamluken eine verstärkte Islamisierung ein, 1315 konvertierte das Königshaus zum Islam, Welsby, Nubia (2002), 242–254; Cuoq, Islamisation (1986), 80–83; Adams, Nubia (1977), 508–591. 691 Ruffini, Nubia (2012), 96  f.; 248  f. 692 Ebd., 6; 208  f.; 251. Die Qasr Ibrim und Nubien betreffenden Dokumente wurden erst kurz vor dem Bau des Nasser-Staudamms geborgen. „When the waters began to rise behind Egypt’s High Dam, Qasr Ibrim and all of Lower Nubia received unprecedented international archaeological attention. The UNESCO salvage operations saved much of Nubia’s history from obliteration under Lake Nasser. At Qars Ibrim, the results were striking: The excavations of the Egypt Exploration Society uncovered thousands of texts and fragments from the Roman, late antique, and medieval periods, written in Latin, Greek, Demotic, Coptic, Arabic, and Old Nubian. Much of this evidence remains unpublished“, ebd., 17. Siehe dazu besonders die Arbeiten von William Adams, Adams, Church (2011); Ders., Qasr Ibrim (2010); Ders., Qasr Ibrim (1996); Nubia (1977). 693 Werner, Christentum (2013), 77; Ruffini, Nubia (2012), 6. Giovanni Ruffini nennt auch die Bezeichung Dotawo für Makruria, ebd., 9. 694 Dazu Seignobos, Ethiopie (2012), 49–58.

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den lediglich zu der nördlich liegenden Provinz Nobadia, die auf griechisch Νοβάται, koptisch tnoubatia, arabisch gelegentlich māris genannt wurde.695 Al-Maqrīzī zufolge besaßen muslimische Händler nur hier Reisefreiheit, während ihnen im Süden jede Form des Handels und der Niederlassung bei Strafe verboten war.696 Das Verhältnis zwischen den nubischen Königreichen und Ägypten war seit 652 mit einem Vertrag (Baqt) geregelt, der nach neuester Forschung keine Vormachtstellung Ägyptens beinhaltete, sondern eine Verpflichtung zu gegenseitigem Warenaustausch:697 „(…) its terms did not imply that Nubia was anything but an independent sovereign state. Al-Khordadhbeh, a ninth-century Persian author, explicitely describes the goods exchanged between Egypt and Nubia under this treaty as being ‚of equal value‘.“698 Enge Verbindungen bestanden zu den Fatimiden, deren Macht sich nicht zuletzt auf die schwarzen sudanesischen Sklavensoldaten stützte.699 Die Herrschaftsübernahme Saladins 1169 bedeutete dann einen tiefen Einschnitt in die 500 Jahre währenden friedlichen Beziehungen.700 Schon vor dem Sturz der Fatimiden erhob sich 1170 ein Aufstand in Oberägypten, an dem neben Arabern auch Nubier (bzw. sudanesische Sklaven) beteiligt waren.701 Nach der Absetzung des fatimidischen Kalifen ließ Saladin dessen treue Soldaten niedermetzeln, was zu weiteren Aufständen in Oberägypten führte.702 Seinen Bruder Turanshah beauftragte Saladin mit der Niederschlagung der Unruhen und der Vertreibung der fatimidentreuen nubischen Soldaten, die sich gemeinsam mit weiteren (schiitischen) Gegnern gegen 695 Werner, Christentum (2013), 78  f.; zu den Unterschieden beider Reiche ebd., 80; Ruffini, Nubia (2012), 248  f. 696 So u.  a. Bechhaus-Gerst, Nubier (2012), 26  f. Kritisch gegenüber dem so gezeichneten, auf AlMaqrīzī basierenden Bild äußert sich Ruffini, Nubia (2012), 8  f. 697 „Der sogenannte Baqt – vermutlich von griechisch ‚pakhton‘ – war ein bilaterales Abkommen, das Makuria vor weiteren Angriffen und Islamisierungsversuchen schützen sollte. Dabei versuchte man von nubischer Seite, die Einwanderung aus dem Norden zu regulieren“, Bechhaus-Gerst, Nubier (2012), 26  f.; Ruffini, Nubia (2012), 7 Anm. 22. Im Ausgleich für ägyptische Waren wie Wein, Getreide und Textilen verpflichtete sich Makuria, jährlich 360 Sklaven zu liefern, Ruffini, Nubia (2012), 6  f.; Welsby, Nubia (2002), 70; Spaulding, (1995), 581; Text des Baqt nach Al-Maqrīzī bei Cuoq, Islamisation (1986), 13  f. 698 Ruffini, Nubia (2012), 7; Vantini, Sources (1975), 69. 699 Ilife, Geschichte (22003), 77; Werner, Christentum (2013), 112  f.; Cuoq, Islamisation (1986), 55–61. Vgl. die Darstellung des Nāṣir-i Ḫusrau, der über Nubien recht sachlich und korrekt berichtet: „Nuba ist ein bergiges Land, und dort, wo es in Wüste übergeht, beginnt al-Misr. Der Grenzort, zu dem man an dieser Stelle zuallererst gelangt, heißt Aswan. (…) Weiter oben im Süden schließt sich das Land Nuba an. Dieses Land wird von einem anderen König regiert. Die Menschen dort sind von schwarzer Hautfarbe, und ihre Religion ist das Christentum. Die Kaufleute, die dorthin ziehen, nehmen kleine Muscheln, Kämme und Korallen mit und bringen dafür Sklaven zurück. Die Sklaven in al-Misr stammen entweder aus Nuba oder aus Rum. Ich sah Weizen und Hirse, die aus Nuba geliefert worden waren, und beide waren sie schwarz“, Nāṣir-i Ḫusrau, Safarname. Ed. Najmabadi/Weber (1993), 80. 700 Ruffini, Nubia (2012), 2  f.; 249. 701 Der Aufstand richtete sich gegen Abgaben der Vermögenssteuer, Eddé, Saladin (2008), 73. 702 Ebd., 73; Ilife, Geschichte (22003), 77; Ruffini, Nubia (2012), 2.

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ihn verschworen.703 Auf einem Kriegszug nach Makuria 1172/1173 nahm Turan­shah Qasr Ibrim ein, die Besetzung wurde aber 1175 aufgegeben.704 Für Saladin wurde die nubisch-fatimidische Allianz 1173/1174 äußerst gefährlich, als sich Amalrich und Wilhelm von Sizilien mit Saladins Gegnern und den Herrschern von Makuria verbündeten und zugleich eine weitere Rebellion Oberägypten erschütterte.705 Erst nach dem Tod Amalrichs konnte Saladin 1175 das Bündnis mit Makuria erneuern.706 Auch wenn die Gefahr noch nicht gänzlich gebannt war, wurde von einem weiteren Kriegszug Abstand genommen. Obgleich ein kurzfristiger Sieg über die rebellischen Nubier keiner weiteren Anstrengungen bedurfte, war eine längerfristige Besetzung des Landes aufgrund des geologisch schwierigen, da zerklüfteten Terrains mit Pro­ ble­men verbunden.707 Dass Nubier in der fatimidischen Armee dienten und auch nach der Herrschaftsübernahme Saladins den Fatimiden loyal blieben, könnte in bestimmten Kreisen in Europa als Information zu erhalten gewesen sein. 1172, kurz nach dem Aufstand gegen Saladin, notierte Richard von Poitiers bzw. ein Fortsetzer, dass sich die Könige 703 Abu Shama berichtet, dass der Sturz der Fatimiden in Oberägypten (Haut Sa’īd) die Unruhen provozierte: „(…) des Sūdān, des soldats d’origine nubienne, restés partisans des Fatimides et des Nuba, se livraient au pillage. Assoun avait été mis à sac. Le Kanz al-Dawla, qui administrait la région, s’alarma et fit appell à Sālāh al-Dīn, nouveau maître du Caire. Aussitôt, on envoya al-Shuja‘ al-Bā῾labakkī, qui, malgré l’appoint des troupes du Kanz al-Dawla, fut repoussé. Sālāh al-Dīn dépêcha son propre frère, Shams al-Dawla Tūrān Shāh, le fameux Fakhr al-Dīn, qui mit en déroute Nūba et Sūdān et les poursuivit jusqu’à Maris. Là, il mit le siège devant Ibrīm, qu’il enleva au bout de trois jours, le 2 janvier 1173“, Cuoq, Islamisation (1986), 65. Davon berichtet auch Al-Maqrīzī, Vantini, Sources (1975), 666; Ruffini, Nubia (2012), 249; 263. Bei Abū l-Makārim und Al-Maqrīzī liegt der Fokus auf einer christlichen Allianz zur Unterstützung des Patriarchen, der die Christen Oberägyptens um Hilfe gegen die immensen Geldforderungen des Kalifen bat, Abu Salih. Ed. Evetts/Butler (1895), 267  f. Eine Allianz zwischen Kreuzfahrern und Nubiern wurde von westlicher Seite im 13. Jahrhundert ins Auge gefaßt, Seignobos, Ethiopie (2012), 58–63. 704 „Die Eroberer demontierten das Kreuz auf der Kathedrale und ließen den muslimischen Gebetsruf vom Dach ausrufen. Der Bischof wurde gefoltert, wohl um Auskünfte über die Kirchenschätze zu erlangen“, Werner, Christentum (2013), 113  f.; Abu Salih. Ed. Evetts/Butler (1895), 267; Ruffini, Nubia (2012), 250; Eddé, Saladin (2008), 73; Cuoq, Islamisation (1986), 66. Qasr Idrim wurde als Lehen an den Kurden Ibrahim vergeben, nach dessen Tod verließ die kurdische Garnison das Gebiet, Ruffini, Nubia (2012), 250. 705 Abu Salih. Ed. Evetts/Butler (1895), 267  f.; Hamilton, Crusades (2014), 173; Eddé, Saladin (2008), 74. 706 Hamilton, Crusades (2014), 173; Adams, Nubia (1977), 456; Ehrenkreutz, Saladin (1972), 109; 112–115; 124–126. 707 Hamilton, Crusades (2014), 173; Ruffini, Nubia (2012), 250; Eddé, Saladin (2008), 73  f. Wie schon in der Zeit der Fatimiden dürfte ein geregeltes Auskommen zwischen beiden Reichen angestrebt worden sein, um keine unberechenbaren Konfrontationen zu provozieren, Cuoq, Islamisation (1986), 58. Saladin suchte zu Lebzeiten Nūr ad-Dīns eine Basis außerhalb Ägyptens, wohin er sich gegebenenfalls zurückziehen konnte. Noch 1174 schickte er seinen Bruder in den Jemen, das vorher schon im Blickfeld der Fatimiden gewesen war und gegenüber der Eroberung Nubiens deutliche Vorteile bot, ebd., 76  f.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

von Avesguia (Georgien) und Nubien den Heiden widersetzten.708 Die Nachricht hatte er vom Hörensagen und war eine der wenigen Informationen, welche überhaupt aus Afrika nach Europa vordrangen709 – zu Burchards Reisezeit war sie freilich schon überholt. Bei lateinischen Chronisten war über dieses Reich und seine Bewohner wenig bekannt.710 Hugo von St.  Victor verwandte als einer der ersten Lateiner den Namen Nubien im Kapitel De regionibus Egypti et monstris seiner Descriptio mappae mundi.711 Vereinzelt werden Begegnungen mit Nubiern (Äthiopiern) berichtet, Lateiner bereisten Nubien selbst erst im 14.  Jahrhundert.712 Topographische Kenntnisse über Nubien besaßen auch die Franken in den Kreuzfahrerherrschaften nicht.713 Die von Burchard angegebene Entfernung von 20 Tagesreisen impliziert, dass eine Kontaktaufnahme aufgrund der Distanz schwierig war.714 Ein genaueres Bild liefern arabische Autoren. Während frühere arabische Darstellungen Nubien korrekt und sachlich darstellen,715 fallen die unter Saladins Herrschaft entstandenen Beschreibungen weniger gefällig aus. Einer Karikatur gleicht die Beschreibung des Königs, der beinahe nackt auf dem blanken Pferderücken

708 Ita enim fama ad nos usque pervenit. Illi autem valde vexant gentiles (nationes) regionum illarum. Rex quoque de Avesguia et rex Nubianorum, sicut audivimus, hoc idem faciunt, Richard, Chronica. Ed. Waitz (1882), 84; Hamilton, Crusades (2014), 172; Adams, Nubia (1977), 456; Werner, Christentum (2013), 128. Vgl. Abu Salih. Ed. Evetts/Butler (1895), 268. 709 De rege autem de Marroch (…), de rege Bugie et de rege Numidie et Libie et Cyrene et de rege Ethio­ pum tam rara et tam pauca audivimus, quod fere prorsus ignoremus, quid ibi agatur (…) Unde quia nec mercimonia nec aliquid tale nobiscum habent commune, penitus eos ignoramus et eorum opera, Richard, Chronica. Ed. Waitz (1882), 84. 710 Seignobos, Nubia (2014); Ders., Ethiopie (2012); Hamilton, Crusades (2014), 172; Werner, Christentum (2013), 129–131; Rouxpetel, Indiens (2012). 711 Hugo, Descriptio, XIV. Ed. Gautier Dalché (1988), 146–148; Seignobos, Ethiopie (2012), 50  f. Er erwähnt auch die portas Nubie, welche ab dem 13.  Jahrhundert in mittelalterlichen Karten häufig eingezeichnet wurden, Hugo, Descriptio. Ed. Gautier Dalché (1988), 173. Honorius Augustodunensis und Otto von Freising erwähnen Nubien nicht, bei Dicuil ist von Meroe die Rede, Dicuil, Liber, VI, 10. Ed. Bieler/Tierney (1967), 60  f. Ausführlicher ist die Darstellung dann bei Jacques de Vitry, Historia. Ed. Donnadieu (2008), 304–307. 712 Werner, Christentum (2013), 129  f.; Seignobos, Ethiopie (2012), 55–64; Ceccarelli-Morolli, Fonti (1999). 713 „(…) although the Franks of Jerusalem knew that Christian Nubia was situated to the south of Egypt, they had no clear picture of its location in relation to the Red Sea“, Hamilton, Crusades (2014), 173. Das einzige Treffen zwischen lateinischen Christen und einem nubischen König fand 1203 in Konstantinopel statt, ebd.; Werner, Christentum (2013), 131; anders Ruffini, Nubia (2012), 262. 714 Die Entfernung von Kairo bis Dongola beträgt heute 1618,1 km, die mittelalterliche Hauptstadt Dongola lag aber 80 km flußaufwärts, was eine Distanz von über 2000 km ergibt und nicht in 20 Tagen zu bewältigen ist. Eher mit der Angabe zu vereinen ist die Entfernung bis Qasr Ibrim, die ca. 1050 km beträgt. Eine Strecke, welche ayyubidischen Soldaten, besonders aber den in Nobatia Handeltreibenden vertraut war. 715 Vgl. den Bericht Nasers, Anm. 699; den Bericht Ibn Ḥauqals, Ebn Haukal, Geographie. Ed. Ouseley (1800), 14; und Abū l-Makārims, Abu Salih. Ed. Evetts/Butler (1895), 260–274.

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reite.716 Äußerst verächtlich äußert sich dann Ibn Ǧubair gegenüber den Beja, die den Nordosten Nubiens kontrollierten.717 Die im 13.  Jahrhundert entstandene, aber auf al-Masudi beruhende Darstellung Abu Šāmas des armen Nubien wird als „tendenziöser Falschbericht“ gewertet. „Wahrscheinlich wollte er die Unattraktivität des Landes betonen, um das Desinteresse der Ayyubiden an einer Eroberung Nubiens zu rechtfertigen.“718 Diesen abwertenden Einschätzungen kommt auch Burchards Mitteilung nahe, Nubien sei terra silvestris und die Einwohner incultus. Sie widerspricht den tatsächlichen Gegebenheiten und vielfältigen Handelsbeziehungen beider Länder, die seit jeher eng miteinander verwoben waren. Zwischen den Städten Oberägyptens und Unternubien dürfte kein nennenswerter Unterschied bestanden haben.719 Seine knappen Bemerkungen über die Nubier drücken auf den ersten Blick nicht mehr als ein zivilisatorisches Gefälle aus. Im Vergleich mit den parallel entstandenen arabischen Darstellungen scheint aber ein politischer Hintergrund durch, der auf muslimische, zumindest ägyptische Gewährsmänner der Informationen über Nubien deuten lässt. Zu den von lateinisch-christlicher Seite gehegten Vorstellungen eines südlichen, christlichen Verbündeten will das negative Bild der Nubier jedenfalls nicht recht passen. Ob ägyptische Christen, Melkiten oder Kopten, ihre Glaubensgenossen, von denen sich eine Anzahl in ägyptischen Klöstern aufhielt und die ebenso wie lateinische und griechische Christen ins Heilige Land pilgerten,720 als incultus bezeichneten, mutet ebenso eher unwahrscheinlich an, wenn man den ḏimmis eine christliche Solidarität mit dem christlichen Königreich unterstellt, wie es bei Abū l-Makārim deutlich wird.721 Schließlich waren die nubischen Christen Miaphysiten und unterstanden dem koptischen Patriarchen von Alexandria.722

716 Ein Bote von Shams ad Dawla beschrieb den König „as completely hairless, nearly naked, mounting a horse without saddle and being wrapped only with a robe of satin“, Ruffini, Nubia (2012), 248; Cuoq, Islamisation (1986), 67. 717 „Die Menschen in ‘Aidhâb gehören einem schwarzen Stamm an, die sich Budschât nennen. Sie haben einen Sultan aus ihren Reihen, der bei ihnen in den benachbarten Bergen wohnt. (…) Diese schwarze Rasse ist vom rechten Weg weiter entfernt als die Tiere und hat weniger Verstand als sie. Die Menschen kennen keine Religion außer dem Lippenbekenntnis zur Einheit Gottes, das sie aussprechen, um ihre Zugehörigkeit zum Islam zu zeigen. Doch dahinter verbergen sich verdorbene Glaubensrichtungen und ein Verhalten, das nicht gebilligt werden kann. Männer und Frauen laufen nackt umher, nur unter einem Lumpen verbergen sie ihre Schamteile; ja, die meisten von ihnen tun nicht einmal das. Kurz gesagt: Sie sind ein sittenloses Volk, und es ist keine Sünde, sich in Flüchen über sie zu ergehen“, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 50. Al-Fadil bezeichnete die Nubier abwertend als Ameisen, die Saladin zertreten habe, Eddé, Saladin (2008), 189. Zu den Beja siehe auch Cuoq, Islamisation (1986), 35–53. 718 Werner, Christentum (2013), 114 Anm.  76; Cuoq, Islamisation (1986), 67. Zu Abu Šāma siehe Hirschler, Contexts (2005). 719 Ruffini, Nubia (2012), 2  f.; 250; Cuoq, Islamisation (1986), 67. 720 Werner, Christentum (2013), 128  f.; Ceccarelli-Morolli, Fonti (1999). 721 Abu Salih. Ed. Evetts/Butler (1895), 272. 722 Werner, Christentum (2013), 74.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

In summa vermittelt Burchard in diesem letzten Abschnitt über Ägypten Informationen verschiedener Wissensbereiche, welche in Europa zumindest nicht schriftlich in dieser Aktualität und Überprüfbarkeit zu erhalten war (wobei wie stets nur die bis heute erhaltene Überlieferung den Prüfstein bildet). Seine Nachrichten über seltene und exklusive Güter, die nur in hohen Kreisen ein Begriff waren, sowie über das ferne Nubien, von dem selbst Kreuzfahrer kaum etwas wussten, transportieren im Vergleich mit den überlieferten lateinischen Quellen Spezialwissen, welches wiederum gewisse wirtschaftliche und geographische Kenntnisse bei den Adressaten voraussetzte, um die einzelnen Informationen in einen größeren Kontext einordnen zu können. Im Vergleich mit den anderen Teilen seines Berichts präsentiert er die einzelnen Auskünfte hier weniger systematisch geordnet. Vermutlich notierte er sie erst assoziativ am Ende seiner Ägyptenbeschreibung, da sie keinen der vorher besuchten Orte direkt betreffen. Kohärenter lesen sich die anschließenden Bemerkungen zu den Glaubensvorstellungen der Muslime, welche er am Ende des gesamten Berichtes wieder aufnimmt und ergänzt. Diese werden im folgenden Teilkapitel (III.2.2.) gemeinsam mit weiteren Kommentaren zu den Muslimen untersucht. Den letzten Absatz über Ägypten schließt Burchard mit der Bemerkung, dass Muslime keinen Wein tränken, was sich sowohl auf die Ausführungen zu den muslimischen Glaubensvorstellungen als auch auf die natürliche Beschaffenheit des Landes und in diesem Falle auf die nicht genutzten Potentiale bezieht: (…) natura terre multum vini produceret, si coleretur.723 Auf dem Weg nach Syrien Mit dem Aufbruch gen Syrien beginnt der zweite Teil der Reisebeschreibung. Der Weg von Fustat nach Damaskus führte Burchard durch die Wüste, wo er zwanzig Tage lang kein bebautes Land sah.724 Sand und Gebirge kennzeichnen diesen unwirt­ lichen Landstrich, Büsche und Sträucher sind spärlich, Wasserstellen erreicht man nur alle vier bis fünf Tage.725 Sandstürme und extremen Temperaturen erschweren den Durchzug, der nur unter der Leitung von Beduinen gelingen kann: Transitus terre illius difficilimus et ingnotus est, quia flantibus ventis strata sabulo ita infunditur, ut vix quoquam sciatur, nisi a Bodovinis, qui sepius illuc transeunt, et alios transeuntes ducunt, sicut naucleri navigantes in mari. Die Wüste bietet wilden Tieren wie Löwen,

723 Straßburgs selbst lag im Weinanbaugebiet und gelangte v.  a. durch den Export von Weißwein nach Norddeutschland zu Reichtum. 724 De Babylonia transivi in Damascum per desertum, et feci in deserto viginti dietas, quia non inveni terram cultam. 725 Est autem desertum terra sabulosa, per planum et montana disposita, nil prorsus germinans nisi humilia arbusta in paucis tamen locis. Et terra illa est plurimum distemperata, in hieme nimis frigida, et in estate nimis calida. (…) Aqua rarissima ibi invenitur, nisi de quarto die in quartum vel in quintum diem.

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Straußen, Schweinen, Büffeln, Onagern und Hasen Lebensraum. Spuren mensch­ lichen Lebens finden sich hingegen kaum.726 Klar markiert Burchard die Alterität zur Zivilisation. Auch wenn das Bild der Wüste als weitgehend vegetationsloser und bedrohlicher Ort, in dem die wenigen Menschen schutzlos den Gefahren der Wildnis ausgeliefert sind, ein biblischer Topos ist,727 übertreibt er dabei nicht. Wegen des heißen und trockenen Klimas sind alle genannten Tiere auf der Sinaihalbinsel anzutreffen.728 Verschiedene Nomadenstämme (Beduinen), deren Zusammensetzung und Einflussbereiche sich im Lauf des Mittelalters durch Migrationen wandelten, kontrollierten das Gebiet.729 Für die Bereitstellung der Kamele und die Begleitung der Karawanen durch die Wüste verlangten sie einen hohen Preis, wie spätere Reisende berichten.730 Schließlich besaßen sie das Monopol der Wüstenroute und garantierten den Schutz der Reisenden. Das Verhältnis zu den autonom agierenden Beduinen war grundsätzlich von Misstrauen geprägt. Jegliche Revolte der Beduinen gefährdete den Durchzug der Karawanen, Pilger und Soldaten, verbunden mit der Gefahr einer Allianz mit den Franken der Kreuzfahrerherrschaften.731 Eine Zäsur in der Stammesgeographie der 726 Nota, desertum nutrit leones, strutiones, porcos silvestres, onagros, scilicet asinos silvestres, et ­lepores. 727 Vgl. Jer 2,6; 4, 26; 17, 6; Hiob 38, 26. 728 Auch Giraffen, Leoparden, Hyänen etc. leben hier. 729 Mouton, Sinaï (2000), 125–130. Über die Nomadenstämme und deren Gebiete in römischer und byzantinischer Zeit sind kaum präzise Aussagen möglich, vermutlich waren die Judhâm und Udayyid schon in der Antike auf der Sinaihalbinsel ansässig, ebd., 47  f. Mit den arabischen Eroberern gelangten neue Stämme arabischer oder jemenitischer Herkunft in das Gebiet. Im Norden dominierten die Judhâm neben weiteren Clans wie den Banu A’idh, der Banu Wasil, den Bayyadin, den Lakhm. Die Stämme im Süden sind für diese Epoche unbekannt, erwähnt werden nur die Banu Salih im Zusammenhang mit dem Katharinenkloster, ebd., 127. 730 Ebd., 132; 147. 731 Ebd., 126; 133; 137. Die Beduinen im südlichen Ostjordanland unterstanden dem Königreich Jerusalem. „Sie galten unabhängig von ihrem Aufenthaltsort als Besitz des Königs, dem sie im Gegenzug natürlich abgabenpflichtig gewesen sein und dessen Jurisdiktion sie unterstanden haben müssen“, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990) 198. Abgesehen von einem finanziellen Interesse nimmt Mayer an, dass ein militärisch-politisches Interesse der Kreuzfahrer an den Beduinen bestand, da diese die Grenzen zum muslimischen Nachbarn überschritten und sie das Königreich gegen die Muslime unterstützten, ebd., 199. „Ganz deutlich sind solche Erwägungen neben den fiskalischen der Grund für das zweite Reservatsrecht der Krone in der Herrschaft Oultrejourdain: salvisque mihi omnibus caravanis, quotquot vel quecumque de partibus Alexandrie et tocius Egipti transeunt in Baldach et e converso, que … mihi retineo. Der König behielt sich hier das immens wichtige Recht der Kontrolle muslimischer Pilger- und Handelskarawanen zwischen Syrien und Mesopotamien einerseits und dem Hiğāz und Ägypten andererseits vor. Das warf natürlich sehr viel Geld ab, denn die Kontrolle der Karawanen bedeutete auch deren Schutz, und den gab es nicht umsonst. Auch unter diesem Aspekt war es ratsam, die Beduinen des Ostjordanlandes unter Aufsicht zu halten, denn die Beduinen bedrohten die Karawanen kaum weniger als gierige Kreuzfahrer. Aber viel wichtiger war der politische Aspekt, jedenfalls seit Saladin die Vereinigung von Syrien und Ägypten ab 1169 erst anbahnte und dann durchsetzte. Jetzt erlangte die Landroute durch das Ostjordanland eine vitale Bedeutung für die muslimische Poli­

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Beduinen ist am Ende der Fatimidenzeit festzustellen. Mit dem Ziel, den Durchzug durch das strategisch wichtige Gebiet zu sichern, förderte Saladin die Etablierung ihm gegenüber loyal gesinnter Clans, was einer Neuorganisation der Einflussbereiche der Beduinen gleichkam.732 Versuche, hier ansatzweise eine übergeordnete staatliche Gewalt durchzusetzen, gelangen erst im 13. Jahrhundert.733 Während spätere lateinische Berichte die Beduinen als unzuverlässig darstellen,734 behält sich Burchard nähere Auskünfte zu Lebensweise, Aussehen und Charakter der Beduinen vor.735 Ebenso wenig registrierte er ein von ihnen oder umherziehenden

tik. Es musste jedem klarsichtigen Beobachter deutlich sein, dass Saladin die fränkische Herrschaft in Oultrejourdain nur so lange hinnehmen konnte, wie die Ruhe auf der Karawanenroute garantiert war“, ebd., 199  f. Zum Status der Beduinen siehe auch Prawer, Institutions (1980), 214; Richard, ­Royaume (1955), 125  f. 732 „Le XIIe siècle semble marquer un tournant majeur dans cette géographie des tribus arabes au Sinaï, sans qu’il soit toujours possible d’en expliquer la cause. Le mouvement est certes amorcé dès la fin de l’époque fatimide; cependant, un des acteurs essentiels de cette évolution aurait été Saladin qui avait, semble-t-il, une conaissance profonde des milieux bédouins pour avoir eu à les fréquenter ou à les affronter en Syrie et en Egypte, parfois au péril de sa vie. (…) Saladin prit l’initiative de réorganiser la géographie tribale des régions qu’il contrôlait en fixant, au Nord-Sinaï notamment, de nouveaux clans issus de la tribu des Tha’laba et, dans une moindre mesure, des membres des Jarm. Il avait pu constater la fidélité de ces tribus en Syrie et il décida de s’appuyer sur elles au Sinaï“, ebd., 128  f. Rigoros ging Saladin gegen die Beduinen des Nordens vor, nachdem diese 1177 nach der verlorenen Schlacht von Montgisard das Heerlager in El-Arisch plünderten und einige seiner Armeeführer an die Franken auslieferten, ebd., 140  f.; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 334–337; Eddé, Saladin (2008), 235; Hamilton, King (2000), 136. 733 Mouton, Sinaï (2000), 138–143. 734 Thietmar, der die Darstellung der Wüstendurchquerung von Burchard teilweise übernimmt, geht mehrfach auf die Beduinen ein. Zum Verhältnis zwischen Beduinen und Kreuzfahrern sowie zur Reitkunst der Beduinen schreibt er: Solent eciam Sarraceni Boidewini ad locum illum illo tempore treugis interpositis accedere et alterutrum milicia exercere. Mirabiliter enim et artificiose sciunt equitare Boidewini. Erigunt autem circulum ad modum pugni in hasta quadam, quem impetu cursus sui nituntur hasta transire. Quodsi aliquis fefellerit et circulum hasta non transierit, ludibrio habitus ab omnibus, a magistro militum Boidewinorum pugno feritur in vituperium. Ubi milites Christiani Boidewinos iuxta curialitatem seculi solent honorare, ipsis eciam xenia sua conferentes, Laurent, Thietmar (1857), 22  f.; Thietmar bezeugt das gute Verhältnis zur einheimischen und fränkischen Bevölkerung in Person einer fränkischen Witwe: Conduxit mihi eciam Boidewinos cum camelis usque ad montem Sinay, quia aliis non est via nota per desertum. Quos quidem iuratos et fide et sua lege astrictos convenit hoc modo, ut me reducerent vivum vel mortuum, ebd., 37. Er benennt aber auch die Gefahren: Latrunculi quoque, Arabes agrestes et Boidewini, quorum latrocinia timentur, ebd., 41, und beschreibt die Beduinen als unzuverlässig: Alii sunt Boidewini, deformes et miserrime induti, sed militariter sciunt equitare, optimi predones, ut vocantur silvestres Thurci; nullam habent terram; semper sub divo manent; non habent domos, sed, si pluvia est, in tentoriis cubant. Plurima habent pecora. Isti de terre ad terram cum pecoribus suis alendis pergunt, et Christianos Sarracenis et Sarracenos Christianos vendunt. Pilea rubea in capitibus ad longitudinem cubiti ferunt et peplum circa pilleum circinatum. Talem vitam ducunt rottarii in Gallia solent exercere, ebd., 52; siehe auch Hiestand, Zimmer (2003), 152  f. 735 Mouton, Sinaï (2000), 133  f.

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Abb. 10: Östliches Nildelta und Sinai: Die großen Handelsrouten im 9. Jahrhundert („Delta oriental et Sinaï: les axes du grand commerce au IXe siècle“), Karte entnommen aus Mouton, Sinaï (2000), 201.

Arabern ausgehendes Gefahrenpotential. Die Beduinen umschreibt er poetisch: Wie Kapitäne auf hoher See navigieren sie durch die Wüste.736 Obgleich Ortsnamen und genauerer Angaben zur Route fehlen, lässt sich Burchards Weg anhand seiner Beschreibung und der politischen Situation zu Beginn des Jahres 1176 nachvollziehen. In arabischer Zeit wurde der Sinai geomorphologisch dreigeteilt beschrieben und in der Fatimidenzeit in entsprechende Distrikte eingeteilt:737 Im Norden die sandige Wüstenregion Jifâr,738 in der Mitte der Halbinsel die Steinwüste Tîh739 und im Süden das kristalline Gebirge Tûr Sîna mit Mosesberg

736 Möglicherweise vernahm er die metaphorische Wendung von seinen arabischsprachigen Begleitern. Grimms Wörterbuch gibt den Begriff ‚Wüstenschiff‘ als Lehnübersetzung aus dem „Orientalischen“ an, Grimm, Wörterbuch 30 (1960), Sp. 2463. 737 Mouton, Sinaï (2000), 20. 738 Der Norden ist durch Faltenzüge und Sanddünen gekennzeichnet, einige Gesteinsfaltungen erscheinen als hohe Kalksteinberge. Richtung Mittelmeerküste beginnt eine Ebene mit parallel zur Küste verlaufenden Sanddünen, Rodon, Landschaftsformen (2013), 39. 739 Das Tih-Plateau nimmt 20 % der Halbinsel ein und besteht aus horizontal lagernden Sand- und Kalksteinschichten, ebd., 37.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

und Katharinenberg.740 Tîh und Tûr bildeten den Distrikt Tûr. Burchards Landschaftsbeschreibung kommt der Steinwüste Tîh sehr nahe. Durch dieses Gebiet führte die alte El-Haddsch-Route von Fustat über Qulzum/Sues bis Aylat (Aqaba) am Roten Meer.741 Nach der Einnahme Aylats 1170 zog Saladin diese Route den nördlicher verlaufenden Routen aus Sicherheitsgründen vor, um das Königreich Jerusalem weiträumig zu vermeiden. Ab 1176 verlief die sogenannte Saladinroute etwas südlicher über Sadr,742 wodurch sich die Reisezeit allerdings um eine Woche auf insgesamt drei Wochen verlängerte. Für die Dauer der Karawanenreise von Kairo nach Damaskus gibt Anne-Marie Eddé einen Zeitraum zwischen 19 und 30 Tagen an, die Durchquerung der Wüste von Sues nach Aylat nahm mindestens eine Woche in Anspruch.743 Da Burchards Zeitangabe von mindestens 25 (eher 30) Tagen Reisedauer mit dieser ungefähr übereinstimmt, kann davon ausgegangen werden, dass er dieser Route folgte.744 Als Station nennt Burchard nur einen Ort am Roten Meer, wo er zwei Tage (Nächte) verweilte. Nicht weit davon will er eine Mosesquelle mit 72 Palmen gesehen und gegen Ende der Wüstenetappe noch den Berg Sinai erreicht haben. Von dort (a monte Sinai) ging es noch weitere zwei Tage durch die Wüste, bis er endlich wieder bebautes Land erreichte.745 An welchem Ort am Roten Meer Burchard zwei Tage ausruhte, ist nicht

740 Die Landschaft des Südens besteht aus schroffen, zerklüfteten Bergen und steilen Felsschluchten. Mit 2642  m ist der Katharinenberg die höchste Erhebung, gefolgt vom Mosesberg mit 2285  m, ebd., 36. Thietmar kennt die arabische Bezeichnung: Reliquiens igitur mare rubrum ivi inter montana altissima per viam, ubi solet aqua defluere de montibus, dum pluvia est. Girans montes per varios circuitus tribus diebus veni ad montem Sinay, qui Sarracenice dicitur Thursin, Laurent, Thietmar (1857), 40. 741 Den Reisenden aller Zeiten blieb bei der Wahl der Route aufgrund der geologischen Formatio­ nen und den seltenen Wasserstellen nur wenig Spielraum. Eine Route wurde nicht durch den genauen Weg, sondern den Etappen zwischen den einzelnen Stationen definiert. „Les routes du Sinaï ­médiéval ont ainsi des tracés très voisins de ceux de l’Antiquité sans jamais les recouper tout à fait. Rien d’étonnant en vérité: aussi bien les chameliers que les voyageurs restent prisonniers d’un éventail limité de choix. (…) La vie d’une route dépendait aussi de facteurs qui, bien souvent, étaient d’ordre météorologique. Les voyageurs évitaient par exemple de fréquenter pendant l’hiver l’axe qui suivait le cordon lagunaire séparant la Méditerranée du lac Bardawîl, à cause de la montée des eaux“, Mouton, Sinaï (2000), 145  f. 742 Zur Einnahme Damaskus‘ reiste Saladin über Birkat al-Jubb und Bilbais und erreichte Bosra am 23. Oktober 1174, Lyons/Jackson, Saladin (1984), 81. Von Saladin errichtete Festungen sicherten den Durchzug, Eddé, Saladin (2008), 229  f.; Mouton, Sinaï (2000), 83; 151. 743 Eddé, Saladin (2008), 229. Die Strecke von Sues nach Aylat beträgt auf dieser Route 260  km, unterteilt wurde sie in 28 einzelne Etappen. Mouton gibt eine Reisedauer von 23 Tagen an. Oftmals folgten die Karawanen den Truppen, Mouton, Sinaï (2000), 83. 744 Burchard ritt zwanzig Tage durch die Wüste (Sinai und Negev). Nach zwei Ruhetagen in Aylat zog er weitere zwei Tage nordöstlich durch das heutige Jordanien (vielleicht bis nach Ma’an?). Bis Bosra dürfte er noch mal fünf bis sieben Tage unterwegs gewesen sein, da es von Aylat bis Bosra ingesamt ca. 450 km (auf dem Desert Highway) sind. Von Bosra nach Damaskus benötigte er drei Tage (für 150 km). 745 (…) Mare Rubrum ex altero latere tangit desertum, iuxta quod duabus noctibus fui. Vidi etiam septuaginta duas palmas, ubi Moyses percusso silice aquas eduxit. Item a monte Sinai per duas dietas transivi.

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Abb. 11: Die Hauptverkehrswege des Sinai („Les principaux axes du Sinaï médiéval“), Karte entnommen aus Mouton, Sinaï (2000), 203.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

eindeutig. Die Angabe, dass auf der einen Seite das Rote Meer, auf der anderen Seite aber das Indische Meer die Wüste berühre,746 trifft ja nicht auf die Sinai-, sondern auf die arabische Halbinsel zu. Als Station in Frage kommen Qulzum/Sues747 am Golf von Sues und Aylat748 am Persischen Golf. Die von Burchard in einem Atemzug angegebene Mosesquelle (Ayun 746 Item Mare Indicum ex uno latere tangit desertum (…). 747 Cooper, Nil (2014), 230–237. Qulzum (das römische Clysma) war seit ptolemäischen Zeiten ein bedeutender Hafen, es lag an der kürzesten Verbindung zwischem dem Roten Meer und dem Mittelmeer. Der alte trajanische Verbindungskanal zum Nil wurde in frühislamischer Zeit bis ins 8. Jahrhundert als Exporthafen genutzt, um die Versorgung des Hijaz mit Getreide und Luxusgütern sicherzustellen. Nach Schließung des Kanals wurden die Güter mit Kamelkarawanen nach Qulzum gebracht, ebd., 232. „Although this event appears to have cut the canal off from the sea, the waterways nevertheless continued to function along part of its length. In the twelfth century, Abu Salih says grain was carried by boat on the canal as far as al-Sadir, somewhere in the central Wadi Tumylat, where: ‚The wheat is transferred by land to the jilab (a Red Sea vessel type) that go to Mecca and the Hijaz‘“, ebd. Bis ins 10. Jahrhundert war es eine wohlhabende und wichtige Handelsstadt, die Ägypten, die Levante, den Hijaz und den Jemen miteinander verband. Schiffe aus Indien und China legten hier an. Ab 997 begann der Niedergang, nach dem Einfall der Seldschuken nach Palästina und der Einnahme Aylats 1116 durch die Kreuzfahrer wurde der Handel weiter südlich nach Aydahb verlegt. Auch nach Saladins Erfolgen blieb der Hafen von nachrangiger Bedeutung. Der Weg von Kairo nach Quzlum betrug ca. drei Tage auf dem Landweg, ebd., 248. Der benachbarte Hafen Sues (as-Suways) erlangte erst in osmanischer Zeit Bedeutung, ebd., 236. Die heutige Stadt Sues steht auf der Stätte von Qulzum, Bruyère, Fouilles (1966); siehe auch Mayerson, Port (1996); Ders., Egeria (1996). 748 Eddé, Saladin (2008), 229  f.; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 304; Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 219; Mouton, Sinaï (2000), 83; Köhler, Allianzen (1991), 270. Der Seehafen am Golf von Aqaba war schon in der Antike ein wichtiges Handelszentrum. Einen wesentlichen wirtschaftlichen Faktor machten die nahe gelegenen Kupfer- und Eisenminen in Timna am Rand der Negevwüste aus, doch scheinen die Kupferminen schon um 1000 v. Chr. nicht mehr ertragreich gewesen zu sein. Vorläufersiedlungen waren das im Alten Testament genannte Elat und Ezjom-Geber, Rastplatz der Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung (Num 33,35; Dtn 2, 8; 2 Kön 14, 22; 16,1) und Hafen der Flotte Salomos (1 Kön 9, 26; 2 Chr 8, 17), was archäologisch jedoch nicht bezeugt werden kann. Später gehörte der Hafen zum Reich der Edomiter (1 Kön  2,49), Schipper, Israel (1999), 66  f.; Musil, Aila (1913), 222  f. Unter den Phöniziern hieß der Ort Berenike; bis 105 n. Chr. gehörte die Stadt, die nun den Namen Aila trug, zum Nabatäerreich; die Römer gliederten sie der Provinz Arabia Petraea ein, Bowersock, Arabia (1983), 81; Musil, Aila (1913), 223; Benzinger, Berenike (1897), Sp. 280; von Müller, Ailana (1893), Sp. 1008. Militärstraßen verbanden Aila mit Syrien und Palästina, es war der südlichste Punkt der Via Nova Traiana, die es mit Bosra verband, Glidden, Ayla (1960), 783. Früh faßte das Christentum hier Fuß, ein Bischof von Aila ist schon in den Akten des Konzils von Nicäa bezeugt. 395 wurde Aila byzantinisch, 634 dann von den Arabern eingenommen. Schon kurz nach der arabischen Eroberung war der Hafen eine wichtige Transitstation für Mekkapilger. Aufgrund der Versandung des Hafens rückte die Stadt im Laufe der Zeit gen Süden vor. Ein von Ahmed b. Tulun (868–883) errichteter Übergang (῾akaba) der Karawanenroute wurde Akabat Aila genannt, doch erst im 15./16. Jahrhundert wurde nach Zerstörung der Stadt der alte Name Aila für die Burg weggelassen und diese dann Aqaba genannt, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 56; Musil, Aila (1913), 223. Nach der Eroberung durch die Kreuzfahrer 1116 gehörte der Hafen zur Seigneurie Montreal, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 50–54; darüber berichten Fulcher, Historia. Ed. Hagenmeyer (1913), 594–598 und Albert von Aachen, Historia. Ed. Edgington (2007), 857. Aylat war der einzige Hafen am Roten Meer, den die Franken von

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Musa) spricht zunächst für Qulzum, auch wenn er die dortige Palmenoase mit der weiter südlich gelegenen Mosesquelle Elim verwechselt, wo die Israeliten gemäß der Schrift 12 Quellen und 70 Palmen vorfanden.749 Die nicht ganz bibelfeste Angabe von 72 Palmen findet sich aber auch bei Antoninus Placentius, der den Ort in der Nähe von Clisma (Qulzum) lokalisiert.750 Da Burchard die Station erst im Anschluss an die Beschreibung der Wüste nennt und ein längerer Halt am Ende der kräftezehrenden Wüstendurchquerung die Regel war, ist entgegen der biblischen Referenz doch eher von Aylat auszugehen.751 Burchards Nennung der Mosesquelle korrespondiert mit der Verwechslung Elats mit dem biblischen Elim, die sich bei Fulcher von Chartres und dann auch bei Wilhelm von Tyrus findet.752 Schon bei der Eroberung Aylats 1116 nahmen die Kreuzfahrer an, dass sie in Elim seien, obwohl die biblische Schilderung dieses Ortes nur bedingt auf Aylat zutraf.753 „Palmen gibt es dort zwar genug, aber von zwölf Quellen kann nicht die Rede sein. Der Ort hatte zwar immer Wasser, aber Musil fand dort 1898 nur einen einzigen gemeinschaftlichen Brunnen neben der Festung, dessen Wasser relativ salzig war, weil er nahe am Meer lag.“754 Seine geographisch-biblischen Zuordnungen könnte Burchard von Fulcher übernommen haben. Während Fulcher an seinem

1116 bis 1171 und 1182–1183 besaßen, Rey, Colonies (1883), 155. Sie errichteten auf der Pharaoinsel (Ile de Graye) eine Burg namens Helim (in Anspielung an Elim, Fulcher, Historia. Ed. Hagenmeyer [1913], 594, Anm. 5); Eddé, Saladin (2008), 230, wovon in den Quellen zwar nichts steht, doch sicher ausgegangen werden kann, da Saladin 1170 nur die Insel belagerte, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 53  f. Ab 1170 baute Saladin die Burg zu einer Festung aus. Die Einnahme Aylats bot die Voraussetzung für weitere Aktionen gegen das Königreich Jerusalem und die Festungen der Kreuzfahrer, Mouton, Sinaï (2000), 82  f. Neben Handel betrieben die Bewohner Aylats auch Ackerbau und Palmenkultur, Musil, Aila (1913), 223. In der Literatur werden die Städtenamen Ayla(t), Aqaba und Eilat synonym gebraucht. Der heutige israelische Ort Eilat liegt aber weiter westlich als das jordanische Aqaba. 749 Ex 15, 22–24. Die Zahlen stehen symbolisch für die 12 Stämme und die 70 Ältesten. 750 Antonini Placentii Itinerarium, 40. Ed. Geyer (1965), 150. Antoninus erholte sich an diesem Ort zwei Tage lang von den Anstrengungen. 751 Antoninus Placentius durchquerte die Sinaihalbinsel in umgekehrter Richtung von Ost nach West und machte entsprechend in der Nähe von Qulzum Station, ebd., 151. 752 Fulcher, Historia. Ed. Hagenmeyer (1913), 594; Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XI, 29. Ed. Huygens (1986), 541–543. 753 Dann kamen sie nach Elim. Dort gab es zwölf Quellen und siebzig Palmen; dort am Wasser schlugen sie ihr Lager auf, Ex. 15, 27; Von Mara brachen sie auf und kamen nach Elim. In Elim gab es zwölf Quellen und siebzig Palmen; daher schlugen sie dort ihr Lager auf, Num. 33,9. 754 „Erst durch Bohrung weiterer Brunnen kam man zu Beginn der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts auf 400 cbm Wasser pro Tag, und das Wasser für das benachbarte israelische Eilat muß über etwa 40 Kilometer herangepumpt werden. Elim wird deshalb nach der gewöhnlichen Annahme auch nicht am Golf von ῾Aqaba gesucht, sondern als palmen- und wasserreiche Oase (80 Liter pro Sekunde) im Wādī Ġarandal, einem östlichen Zufluss zum Golf von Suez. Man muß also einen Identifikationsirrtum Fulchers unterstellen, der dann unbemerkt auch in die Chronik Wilhelms von Tyrus übergegangen ist“, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 51.

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Bericht jedoch Änderungen vornahm, „die ihn besser in Einklang mit diesem Irrtum brachten“,755 fallen Burchard diese Widersprüche nicht auf, vielmehr unterläuft ihm zusätzlich der Fehler der falschen Palmenangabe. Nach Burchards geographischem Verständnis lag Aylat wie bei Fulcher am Berg Sinai,756 den er kaum gesehen haben kann, da dieser weitab der Karawanenroute im Süden liegt.757 Die Grenzen und Konturen der Sinaihalbinsel entsprachen im Mittelalter jedoch nicht den heutigen Wahrnehmungen. Die Bedeutung eines Grenzlandes und Isthmus zwischen dem Roten und dem Mittelmeer erlangte der Sinai erst im Verlauf des Mittelalters.758 Auch dass es sich um eine Halbinsel handelt, gelangte erst allmählich ins Bewusstsein. Eine genauere kartographische Erfassung begann mit der arabischen Eroberung.759 Der Name Sinai für die gesamte Peninsula wurde erst im 19./20. Jahrhundert gebräuchlich.760 Zuvor bezog sich der Terminus Sinai in christlicher Tradition speziell auf den Mosesberg und die eng angrenzenden Berge, während die muslimische Bedeutung ein viel größeres Gebiet, das Gebirge des südlichen Teils (Tûr Sîna) oder zuweilen die gesamte Südhalbinsel, einschloss.761 Burchards Irrtum

755 Fulcher, Historia. Ed. Hagenmeyer (1913), 596–599. In seiner zweiten Redaktion strich Fulcher „den Zusatz, dass Elim sieben berittene Tagesmärsche von Jerusalem entfernt lag, denn wenn es von Sobak vom Roten Meer drei und von Jerusalem vier Tagesreisen war, dann konnte man in sieben Tagen von Jerusalem nach Aqaba kommen, aber nicht an den Golf von Suez. Ferner strich Fulcher die für Aqaba durchaus richtige Information, dass die Bewohner Fischer gewesen seien, denn nach den biblischen Berichten lag Elim keineswegs am Meer“, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 51. 756 Im nächsten Abschnitt berichtet Fulcher über das Rote Meer, „von dem er sagt, es erstrecke sich vom (Indischen) Ozean wie eine ausgestreckte Zunge bis Elim im Norden, wo es unweit des Berges Sinai ende, den ein Reiter in einem Tag erreichen könne“, ebd., 52. 757 Die Distanz von Aila (das er Arabia nennt) zum Berg Sinai gibt Antoninus Placentius mit acht Tagesreisen an, Antonini Placentii Itinerarium, 40. Ed. Geyer (1965), 150. 758 Jean-Michel Mouton sieht in dieser Erkenntnis den wichtigen Beitrag des Mittelalters für die Wahrnehmung des Sinai: „(…) celle d’une langue de terre, resserrée entre deux mers, qui joint une terre à une autre“, Mouton, Sinaï (2000), 15. 759 Daher fehlte auch eine Bezeichnung für die gesamte Halbinsel, ebd., 2; 8; 14. In der Antike konzentrierten sich die Darstellungen auf die Verbindungswege, ebd., 13. Der Sinai gehörte zur Provinz Arabia Petraea, die 106 nach der Eroberung des Nabatäerreiches (Hauptstadt Petra) eingerichtet wurde. Hauptstadt der Provinz wurde Bosra, Bowersock, Arabia (1983), 84  f.; 90  f. Der Fortschritt in der Wahrnehmung lässt sich an den Darstellungen von Ibn Ḥauqal bis al-Idrisi nachverfolgen. Letzterer vermittelt als erster den Eindruck einer Halbinsel, auch wenn die Proportionen die südliche Ausdehnung stark verkürzen, Mouton, Sinaï (2000), 14  f.; Abbildungen in Miller, Mappae (1929) sowie mehrfach im Internet. 760 Erst seit dem Bau des Suezkanals setzte sich der Name langsam für die gesamte Halbinsel durch. In der geographischen Studie von Raymond Weill (1908) wird der Norden der Halbinsel nicht behandelt, bei Lina Eckenstein (1921) meint Sinai die gesamte Halbinsel, Mouton, Sinaï (2000), 7–13. 761 Ebd., 9. Der Begriff verengte sich anscheinend seit dem 10. Jahrhundert auch bei den Fatimiden und Ayyubiden auf den Mosesberg, zumindest geht dies aus Dekreten bezüglich des Katharinenklosters hervor, ebd., 10; vgl. Al-Idrisi, Géographie, Bd.  I. Ed. Jaubert (1836), 332.

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kann also ebenso auf einem begrifflichen Missverständnis der muslimischen Verwendung der Ortsbezeichnung Sinai beruhen.762 Die fehlerhaften biblischen Referenzen bei Burchard sind mit unpräzisem oder falsch erinnertem Vorwissen zu erklären. Vermutlich handelt es sich um populäre Assoziationen, die aufgrund der ungenauen Bestimmung des biblischen Elims auch kaum revidiert werden konnten. Dass Burchard den Namen der strategisch so bedeutenden Stadt Aylat nicht nennt, ist allerdings verwunderlich und kaum vorstellbar, dass er ihn nicht kannte oder auf seiner Reise nicht vernahm. Aylat lag am südlichsten Punkt der Via Nova Traiana763, dem alten Königsweg, der nach Bosra und dann nach weiter nach Damaskus führte.764 Obwohl die Stadt am Roten Meer lag, war sie eher Knotenpunkt des Landverkehrs denn des Seehandels. Widrige Winde erschwerten die Schiffahrt im Golf von Aqaba, vor allem das Hinaufsegeln war zeitraubend.765 Neben der wirtschaftlichen Funktion besaß Aylat für Saladin immense geostrategische Bedeutung, da von hier aus nicht nur der Verkehr zwischen Syrien und Ägypten und dem Higaz überwacht werden konnte, sondern überhaupt die Reichsteile zusammengehalten wurden.766 Auch der Pilgerweg von Ägypten nach Mekka führte hier entlang, konnte aber nur genutzt werden, wenn das Gebiet in muslimischer Hand bzw. nicht von Razzien bedroht war.

762 Entsprechend dürfte auch die vorherige Angabe der Entfernung des Berges Sinai von Fustat von sieben Tagesreisen (415 km an der Küste entlang) kaum mit der Route übereinstimmen, sondern als generelle Distanzangabe fungieren. 763 Die Via Traiana nova führte entlang der der alten Königsroute (Via regia) von Aylat über Petra/ Wadi Musa, Sobak, Kerak, Rabba, Madeba, Amman (Philadelphia) nach Bosra, der neuen Provinzhauptstadt, und ist eine der ältesten Straßen im Vorderen Orient. Moses wollte die Israeliten auf dieser Straße nach Israel führen, was ihm vom König von Edom verwehrt wurde, in dessen Reich Buseira/Bosra lag (Num 20,17; Num 21,22). 114 wurde die alte Handelsstraße an der gut befestigten Grenzlinie (Limes Arabicus) ausgebaut, wobei der Limes nicht eine lineare Grenze, sondern als Grenzland und Kontaktzone zwischen ‚Römern‘ und ‚Arabern‘ zu verstehen ist, Parker, Frontier (2006); Ders., History (1979); Mayerson, Saracens (1986); Graf, Saracens (1978); Bowersock, Limes (1976). Zur Via nova Traiana siehe Graf, Arabia (1997); Ders., Via (1995); Ders., Report (1979); Bowersock, Arabia (1983), 91; (Karten 93; 101). In arabischer Zeit nutzten Pilgerkarawanen nach Mekka während dem Hadsch die Via Traiana nova, die nun darb al-malik oder darb a-sultan hieß (im Jahr 1176 fand der große Hadsch im Juni statt). Der Königsweg besaß in erster Linie wirtschaftliche und strategische Bedeutung, da er Syrien mit Ägypten und Arabien verband, Milwright, Fortress (2008), 10. In der Kreuzfahrerzeit wurde das Gebiet von der Burg Montreal aus überwacht, die Luftlinie nur 28 km von Wadi Musa entfernt lag, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 44–47; 183; 203. Über einige Orte berichten Fulcher von ­Chartres, Albert von Aachen und dann Thietmar, doch nur wenige Pilger zogen durch das Ostjordanland „und erst recht kaum welche, die darüber einen Bericht hinterließen“, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 183. Unter den Osmanen wurde weiter östlich die Tariq al-Bint genutzt, der auch die heutige Autobahn folgt, der alte Königsweg blieb aber lange von Bedeutung. 764 Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 180  f.; Bowersock, Arabia (1983), 93; 101. 765 Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 55; Glidden, Vocabulary (1942), 70; Glueck, Explorations (1939), 6. 766 Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 58.

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Burchard dürfte einer der ersten Lateineuropäer gewesen sein, der die neuen, erweiterten Grenzen des entstehenden ayyubidischen Reiches „erfuhr“.767 Nur innerhalb eines kurzen Zeitraums war diese Route sicher passierbar. Nach der Entlassung Rainalds von Châtillon aus muslimischer Gefangenschaft 1176 und seiner Übernahme der Herrschaft in der Seigneurie von Montréal768 (1177–1187) häuften sich Überfälle und Plünderungen und machten jeden modus vivendi mit den Muslimen unmöglich.769 Bei den Razzien drangen die Kreuzfahrer weit ins muslimische Gebiet vor. 1177/1178 wurde die von Saladin genutzte Karawanenroute des Sinai überfallen, deren Kontrolle das Königreich Jerusalem beanspruchte.770 Nach der kurzfristigen Einnahme Aylats durch die Franken 1183 musste auf ganz andere Routen ausge­wichen werden.771 So war Ibn Ǧubair gezwungen, bei Aidab über das Rote Meer nach Dschidda überzusetzen. „Möge Gott die Pilger erlösen, indem er für sie den direkten Weg nach Mekka öffnet. Das wäre nämlich der Weg von Kairo über Aqabat-Aila nach Medina. Das ist der kürzeste Weg mit dem Meer zur Rechten und dem Berg Sinai zur Linken. Doch die Christen unterhalten in der Nähe eine Festung, die die Menschen am Vorbeifahren hindert“ beschwert er sich über den langen Umweg.772 Desgleichen war der anschließende Weg über Ma῾ān nach Damaskus zur Zeit Rainalds „indiskutabel“.773 Eine Alternative zur Saladin- oder Pilgerroute bot die Küstenroute Via maris bzw. die Nordroute von Farama bis el-Arisch, die Burchard auf seinem Rückweg nahm. Seit dem 10. Jahrhundert wurde diese nördliche Route allerdings selten erwähnt, was möglicherweise mit topographischen Veränderungen zusammenhängt, da es hier gerade im Winter

767 Von der Einnahme Aylats durch Saladin berichtet Wilhelm von Tyrus nicht. Als Grund vermutet Mayer, dass es ihm nicht bedeutsam genug erschien, ebd., 53. Zwar handelte es sich um den einzigen Zugang zum Roten Meer, doch „waren die Franken keine Seefahrer. Das Königreich Jerusalem hatte eigentlich nie ein eigene Flotte“, ebd., 55. Auch sind die Zeugnisse für die Schiffahrt im Golf von Aqaba eher dürftig, ebd., 256–261. 768 Zur Verwendung der verschiedenen Bezeichnungen für das südliche Transjordanien siehe ebd., 5–16. 769 Quellenangaben ebd., 59 Anm.  103. Zu Rainald siehe Hamilton, Reynald (2006); Ders., King (2000), 104  f.; Ders. Elephant (1978); Hillenbrand, Imprisonment (2003); Schein, Rainald (2002); La Viere-Leiser, Raid (1977); Schlumberger, Reynald (1898). 770 „Rainald musste darauf gehofft haben, der von ihm geschaffene Zustand dauernder Unsicherheit werde dazu führen, dass der König ihm die Kontrolle und damit die Besteuerung der Karawanen überlassen würde, denn dann hätte Rainald natürlich wegen der langfristig reichlichen Einnahmen die Sicherheit der Karawanenstraße sehr wohl garantiert. Die Rechnung ging nicht auf, weil Saladin aus den andauernden Provokationen aus Oultrejourdain den Schluss zog, das Land müsse auf alle Fälle wieder muslimisch werden. Das führte zum Krieg von 1187, in dem Rainald als Saladins Gefangener den Tod fand“, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 59  f. 771 Ebd., 59; 254–256. 772 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 51. 773 „Erst Baibars scheint die Überlandroute für Pilger wieder aufgenommen zu haben“, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 57. Den Weg von Fustat nach Damaskus beschreibt auch Al-Maqrīzī, Maqrizi, Description, 2. Teil. Ed. Bouriant (1895), 669–671.

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zu Überschwemmungen kommen kann.774 Häufiger frequentiert wurde bis zur Gründung des Königreichs Jerusalem die innere Jifar-Route, die auch Bernhard der Mönch einschlug.775 Nach 1099 war die nördliche Verbindung jedoch mit zusätzlichen Gefahren verbunden, auch wenn gelegentliche Sicherheitsabkommen vereinbart wurden. Ersatz bot die 50  km weiter südlich verlaufende al-Badriya-Route durch die Wüste Tih,776 bis Saladin dann die meridionale Route befestigte. Nach dem kurzen Aufenthalt am Roten Meer reiste Burchard vermutlich östlich der Via Nova Traiana von Aylat über Ma῾ān, Amman und Bosra nach Damaskus weiter, ohne dabei die Kreuzfahrerherrschaften zu durchqueren. Nach dem Bau der Festung von Kerak 1142 wurde die alte Route über Kerak und Montréal von den Muslimen vermieden, um der fränkischen Kontrolle auszuweichen. Genau lässt sich die Verlagerung der Route nicht dokumentieren, doch verlief sie wegen der Wüste nicht weiter östlich als der heutige Desert Highway, Haupthaltepunkt war dann wohl Ma῾ān.777 Über die lange Strecke von Aylat nach Damaskus verliert Burchard nur wenige Worte, obwohl sie immerhin 550  km beträgt. Von Aylat reiste er zwei Tage durch bergiges Land, bis er eine Eben erreichte: inveni terram planam, aliquando a Christianis inhabitatam, sed modo vastatam et raro cultam, quia in marchia Christia­ norum et Sarracenorum sita est. Seine Angabe, das Grenzland zwischen Muslimen und Christen sei verwüstet, bezieht sich allem Anschein nach auf das Grenzgebiet zur Baronie Oultrejourdain. Das Gebiet östlich der Via Nova Traiana am Rand der Wüste war generell dünn besiedelt und durch die jüngsten Kampfhandlungen zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen. Besonders seit 1170 waren die fränkischen Burgen entlang der Via Nova Traiana im Visier der Zengiden.778 1170 griff Nūr ad-Dīn Kerak an, 1171 belagerte Saladin Montréal, 1173 ging er erneut gegen Kerak vor.779 Burchards Bemerkung, dass hier einst Christen wohnten, bezieht sich wahrscheinlich auf die Zeit vor der arabischen Invasion (vgl. die gleiche Formulierung bei der Beschreibung Bosras im Anschluss). Mit dem Hinweis auf die Verwüstungen im Grenzgebiet stellt er aber zugleich eine Verbindung zur zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts her.780 Die Bevölkerung dieses Landstriches setzte sich vermutlich wie überall aus Muslimen und Christen zusammen, zumindest werden Christen in Kerak von Al-Maqrīzī

774 Mouton, Sinaï (2000), 150. Die Devise des Chemins de Babiloine gibt nur den nördlichen Weg durch den Sinai an, Projets. Ed. Paviot (2008), 30. 775 Bernard, Itinerarium. Ed. Ackermann (2010), 119–121. 776 Mouton, Sinaï (2000), 150. Auch Shirkuh nahm diesen Weg, ebd., 151. 777 Ebd., 128; 203. 778 Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 204  f.; 218. 779 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 307  f.; Eddé, Saladin (2008), 60; Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 219  f. 780 Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 203. Zu römischer Zeit verlief in diesem Gebiet der limes arabicus.

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und Thietmar bezeugt.781 Als terra plana ist das Gebiet östlich des Jordangrabens allerdings nicht gerade zu bezeichnen, denn hier verläuft das ostjordanische Bergland, nördlich schließt sich das Gileadgebirge und im Südwesten Syriens der Hauran an. Da Burchard vom Sinai bis zum Beginn dieser terra plana zwei Tage benötigt haben will, er aber die Reisetage bis Bosra nicht angibt, könnte er auch die weiter nördlich gelegene zentrale Hauran-Ebene vor Augen gehabt haben. Dies würde sich mit der anschließenden Lokalisierung Bosras in qua terra decken, gleichwohl lag der Hauran nicht direkt in marchia Christianorum et Sarracenorum.782 Eine eindeutige Zuordnung fällt hier schwer. Genauer beschreibt Burchard nur das ca. 115 km südlich von Damaskus gelegene Bosra.783 Die römische Stadtanlage der einst prächtig ausgestatteten Metropole beeindruckte ihn sehr, auch wenn die Blütezeit offensichtlich vorüber war, wofür er indirekt die Muslime verantwortlich macht:

781 Ebd., 124. 1167 wurde der antike Bischofsitz Petra, der seit dem 7.  Jahrhundert verlassen war, zum Erzbistum erhoben, einziger Suffragan war der orthodoxe Abt-Bischof des Sinaiklosters, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 182; 221  f.; Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 3. Ed. Huygens (1986), 914  f. 782 Die Ebene des Hauran schließt sich nordöstlich an die Golanhöhen an. Hier gibt es großflächige Ackerflächen, die Landschaftsformen wechseln zwischen Steinwüste (Basalt) und kleineren fruchtbaren Feldern. Unter den Nabatäern und dann den Römern entwickelten sich Städte und Infrastruktur, die Anbaugebiete wurden erweitert. Nach der arabischen Invasion allerdings wurden viele Dörfer aufgegeben, Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 11; Wirth, Syrien (1971), 58; 124; 212  f.; 347–349; 408–420. 783 Schon 2000 v. Chr. wird ein Kleinstaat Buşrūna in den Armanabriefen genannt; im 4. Jahrhundert v. Chr. war Bosra Teil des Seleukidenreiches, später Hauptstadt des Nabatäerreiches. Nach der Eroberung durch die Römer wurde Bosra Station der Legion III Cyrenaika, 106 n. Chr. dann Hauptstadt der Provinz Arabia, unter Severus Alexander zur Kolonie und unter Philippus Arabs zur Metropole erhoben, Abel, Bosra (1960), 1275  f. Zwischen der östlichen Wüste und dem Roten Meer auf der Karawanenroute gelegen war Bosra wichtiges Handelszentrum und Marktort der Beduinen, Bischofssitz mit einer der größten Basiliken des Nahen Ostens, kirchlich dem Patriarchen von Antiochia unterstellt. Mit Damaskus war Bosra über zwei Straßen verbunden und „durch alle historischen Epochen hindurch als wichtigste städtische Siedlung der südsyrischen Region des Hauran von großer Bedeutung“, Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 11. Voraussetzung des Gedeihens der Stadt war die Lage inmitten der fruchtbaren Nuqra-Ebene und die Trinkwasserversorgung, ebd., 12. Schon 634 wurde Bosra als erste Stadt von den Arabern erobert. Der Legende nach soll Mohammed Bosra mit seinem Onkel besucht haben und von dem Mönch Bahira als Prophet begrüßt worden sein, Mougdad/ Ory, Bosra (1980), 22–24; Buhl, Bosra (1913), 797. Es blieb auch unter den Arabern Provinzhauptstadt, verlor aber an Bedeutung, Abel, Bosra (1960), 1276. Schon 1105 gab es Kontakte zwischen Balduin I. und dem Gouverneur von Bosra. 1147 bot der Kommandant die Stadt Balduin  III. an, was Nūr adDīn verhinderte, Yovitchtch, Bosra (2008), 207; Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 130  f. Unter den ­Ayyubiden gewann Bosra als Garnisonsstadt gegen die Kreuzfahrer wieder an Bedeutung, neue Bauten wurden errichtet und die Stadt stärker befestigt, Klengel, Syria (1971); Abel, Bosra (1960), 1276. Seit März 2015 ist Bosra in der Hand syrischer Rebellen.

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In qua terra inveni antiquam civitatem, nomine Busserentinum, aliquando a Christianis inhabitatam, maximam, marmore excisam decoratam, et ut in eius vestigiis apparet, aliquando pulcherrima et plurimum deliciosa fuit. Sed nunc a Sarracenis inhabitatur, in angustum redacta, ita quod quasi castrum solum remanserit in ea, quod valde munitum est.

Bis heute präsentiert die Altstadt von Bosra eine der besterhaltendsten römischen Stadtanlagen mit prächtigen und kunstvollen Bauten aus dunklem Basalt: Kolonnadenstraßen, Triumphbögen, Tempel, Bäder, Theater, Kirchen, Paläste und Wasserleitungen.784 Sehr gut erhalten ist bis (hoffentlich) heute, das Theater, das 15 000 Mann fassen konnte. Unter den Abbasiden diente es als Zufluchtsort, wurde unter seldschukischer Herrschaft ab 1076 dann zur Zitadelle ausgebaut und mit Türmen versehen.785 Burchard bezeichnet es treffend als castrum, auf das die Stadt nun quasi reduziert sei, und hebt damit den Festungscharakter Bosras hervor.786 Paul Peeters geht davon aus, dass Bosra bis zum Erbeben 1202 eine blühende Stadt gewesen sei und sieht hierin den Beweis, dass Burchards Bericht frühestens aus dem 13. Jahrhundert stammen könne.787 Arabische und lateinische Stadtbeschreibungen liefern jedoch kaum Hinweise auf die Stadt788 und können zur Prüfung nicht herangezogen werden. Vor dem Hintergrund archäologischer und topographischer Befunde erscheint Burchards Darstellung dennoch glaubhaft. Archäologische Untersuchungen der islamischen Stadt haben ergeben, dass „Grundstrukturen der römischbyzantinischen Stadt auch in den folgenden Jahrhunderten für Bosra bestimmend blieben. Die Bebauung hielt sich an die vom antiken Stadtgebiet vorgegebene Grenze bzw. füllte diese nur zum Teil aus.“789 Durch die Verkleinerung der Siedlung hatte die Stadtmauer ihre abgrenzende Funktion teilweise verloren. Das städtische Leben konzentrierte sich im Bereich islamischer Bauten, im Trapez der Khidr-Moschee, der Mabrak-Moschee und der Zitadelle.790 Der Rückzug der Bewohner in die Zitadelle kann

784 Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 12  f.; Leisten, Bostra (1997); Sartre, Bostra (1985); Mougdad, Aperçu (1976); Ders., Bosra (1975); Benzinger, Bostra (1897). Zu den zumindest bis März 2015 erhaltenen Bauten siehe Mannheim/Winter, Handbook (2001), 292–298. 1980 wurde sie in das Welt­kulturerbe der UNESCO aufgenommen. 785 Meinecke/Aalund, Architektur (2005), 21–54; Yovitchtch, Bosra (2008); 205–217; Ders., Citadelle (2004); Mougdad/Ory, Bosra (1980); Abel, Citadelle (1956). 786 Der semitische Name Bosra bedeutet ebenfalls Festung, Benzinger, Bostra (1897). 787 Peeters, Saïdnaia (1906), 140  f. „A l’époque où l’envoyé de Frédéric ‚découvrit‘ Bosra, s’il y passa jamais, rien n’était vrai encore de ce tableau, sauf le fait de l’occupation musulmane, et encore ­appelait-il à cette date une mention moins insignifiante.“ Weiter heißt es: „Mais si la description qu’en donne Burchard est d’un témoin oculaire, il n’est guère plausible de la rapporter à une époque plus ancienne“, ebd., 141. 788 Lediglich erwähnt wird die Stadt bei den arabischen Autoren Abu ῾l-Fidā und Mukkadasi, Buhl, Bosra (1913). 789 Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 117. 790 Ebd., 117  f.

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Abb. 12: Bosra, Luftbild des Theaters und seiner islamischen Festung, entnommen aus http://www.theatrum.de/bosra.htmlA, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

zudem mit den Erdbeben in der Region erklärt werden. 1157 zerstörte ein Beben einen großen Teil der Stadt, von einem erneuten Beben in Nordsyrien wird 1160 berichtet. Im Unterschied zu allen anderen Stadtbeschreibungen erweckt Bosra bei Burchard den Eindruck einer (rein) muslimischen Stadt. Die große Basilika, den Bischofpalast791 und die christlichen Kirchen, die allesamt im Osten der Stadt lagen, registriert er nicht, sondern geht davon aus, dass die Christen die Stadt längst verlassen haben. Über die religiöse Zusammensetzung der Einwohnerschaft ist in islamischer Zeit allerdings wenig bekannt. Wie in anderen Städten vollzog sich auch hier die Islamisierung schrittweise. Bis Mitte des 10. Jahrhunderts sind noch Bischöfe bezeugt.792 Mit dem Ausbau der Zitadelle unter den Fatimiden wurde Bosra dann eine „islamische Stadt“, die außerdem eine bedeutende Station für Mekkapilger war.793 Einen grundlegenden Wandel bedeuteten die Restaurierungen der Großen Moschee, der

791 Mannheim/Winter, Handbook (2001), 296; Sartre, Bostra (1985), 99–122. 792 Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 14. 793 Vgl. Barber, States (2012), 297. Die Pilger verweilten meist vier Tage in Bosra, Mougdad/Ory, Bosra (1980), 32.

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Abb. 13: Plan der Altstadt mit antiken und islamischen Baudenkmälern, entnommen aus Meinecke/ Aalund, Architektur (2005), 3.

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Khidr-Moschee sowie die Gründung der Madrasa an der Mabrak-Moschee.794 Im Vergleich mit anderen Städten blieben nur wenige Kirchen erhalten.795 Wie groß und sichtbar die in Bosra ansässige christliche Minderheit gegen Ende des 12. Jahrhunderts war, ist nicht nachweisbar, so dass Burchards Einschätzung in diesem Punkt zutreffen könnte.796 Burchards Beschreibung lässt vermuten, dass er hier einige Tage Station in muslimischer Begleitung machte. Die wiedergegebenen Eindrücke beruhen wohl auf eigener Erfahrung, aufgrund der Quellenlage kann Vorwissen kaum vorausgesetzt werden. Punktuelles Wissen über die Stadt war möglicherweise von den Beteiligten am zweiten Kreuzzug zu erhalten, doch sahen die Kreuzfahrer 1147 Bosra nur aus der Ferne.797 Über die vergeblichen Eroberungsversuche berichtet Wilhelm von Tyrus, der zwar keine Beschreibung Bosras liefert, aber die strategisch wichtige Rolle der Stadt für die Kommunikationswege zwischen Ägypten und Syrien erwähnt.798 Burchards Darstellung des Reiseverlaufs von Fustat bis Damaskus lässt insgesamt kaum Rückschlüsse auf seine Begleiter und Informanten zu. Mehr als in den vorherigen Reiseabschnitten scheint die Darstellung in diesem Teil auf persönlichen Eindrücken und Vorwissen zu beruhen. Spezifische Informationen, die auf Spezialdiskurse bestimmter Trägergruppen wie Kaufleute, persönliche Begleiter oder weitere Gesandte zurückgeführt werden können, sind nicht differenzierbar. Burchard könnte auch im Gefolge einer Garnison gereist sein, welche einer Handelskarawane vorauszog.799

III.1.7 Damaskus Drei Tage nahm der Weg von Bosra nach Damaskus in Anspruch: Inde tribus diebus usque Damascum perveni per terram cultam ex magna parte a Christianis inhabitatam, domino Damasci tributum persolventibus. Im Unterschied zur terra vastata im südlichen Transjordanien bzw. in der Gegend südlich von Bosra schildert Burchard das landwirtschaftlich genutzte Land zwischen Bosra und Damaskus, die fruchtbare

794 Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 15; zu diesen Bauten siehe Meinecke/Aalund, Architektur (2005), 55–144. 795 Sartre, Bostra (1985), 122. 796 Die im Hauran ansässigen arabischen Stämme konvertierten nach der arabischen Eroberung zum Islam, eine christliche Minderheit blieb aber bestehen, Meinecke/Aalund/Korn, Geschichte (2005), 13; Mougdad/Ory, Bosra (1980), 25  f.; Sartre, Bostra (1985), 99–122. 797 Als die Franken vor Bosra 1147 anlangten, war es bereits von Unur von Damaskus besetzt, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 131. 1151 war ein gemeinsames Vorgehen der Franken mit Damaskus gegen Bosra geplant, Barber, States (2012), 183  f.; Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 23 Anm. 16. 798 Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XVI, 8. Ed. Huygens (1986), 723–726. 799 Siehe Anm. 743.

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Hauranebene,800 als terra culta.801 Spuren kriegerischer Auseinandersetzungen verzeichnet er hier nicht. Anders als in Bosra bestand die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Landstrich seinen Angaben zufolge aus Christen. Das Verhältnis von muslimischem und christlichem Bevölkerungsanteil wie auch ihre räumliche Verteilung sind nicht eindeutig nachzuweisen.802 Ab dem 8. Jahrhundert wird ein Rückgang der christlichen Gemeinden und Kirchen in Syrien konstatiert, befördert durch die Konversion arabischer Bevölkerungsteile zum Islam.803 „The non-Arab base population held out for another century or so until the new Shi’a-dominated regimes sought actively to proselyte and favour Muslims.“804 Zugleich ersetzte das Arabische die griechische Sprache in öffentlichen Angelegenheiten.805 Im späten 10. Jahrhundert berichtet al-Muqadasi von den zahlreichen Nichtmuslimen in al-Sham.806 Bis ins 12.  Jahrhundert stellten Christen

800 Bianquis, Damas (2000), 51. Der Hauran erstreckt sich von Saudi-Arabien über Jordanien bis zur Guta-Oase und besteht hauptsächlich aus Vulkangestein. In Syrien umfasst er die Regionen Golan im Westen, den eigentlichen Hauran im Zentrum und den Dschebel ad-Duruz im Osten. Im Unterschied zum kargen und steinigen Golan, wo vornehmlich Viehzucht betrieben werden kann, und der Steinwüste des Dschebel ad-Duruz, ist der zentrale Teil besonders fruchtbar und diente zum Ackerbau. Zum Hauran siehe Wirth, Syrien (1971), 212  f.; 347–349; 408–420; Butler, Architecture (1903), 3010–320. 801 Bei terra culta handelt es sich in jedem Falle um Kulturland. Im engeren Sinne wird der Terminus in frühmittelalterlichen Urkunden für Flächenwechselsysteme benutzt. Ein Unterschied wird zwischen Ackerland (terra arabilis) und tatsächlich bestelltem Land gemacht. Zuweilen begegnet die Übersetzung für terra culta von ‚besuchtem‘ (im Gegensatz zu ‚unbesuchtem‘) Land, diese wird in der neueren Forschung aber abgelehnt, Jäger, Bodennutzungssysteme (1978), 121; Eddé, Villages (2005); Rosen-Ayalon, Cairo (1995). 802 Eddé, Chrétiens (2006); Dies., Francs (2001); Dies., Population (1998); Boojamra, Christianity (1997), 167; Gervers/Bikhazi, Conversion (1990). 803 Schick, Communities (1995), 139–158; Jalabert, Damas (2002/2003), 31. Im Umkreis der syrischmesopotamischen Wüste hatten sich schon im 5.  Jahrhundert arabische Stämme niedergelassen, die hier zum Christentum übertraten. Die Ghassaniden (Jakobiten) und die Lakhmiden (Nestorianer) bildeten Fürstentümer aus. Besonders die Ghassaniden beeinflußten aufgrund ihrer Kontakte zu den arabischen Eroberern in besonderer Weise die Geschichte des orientalischen Christentums. Allerdings „war eines der Hauptanliegen der ersten Kalifen, allen arabischen Stämmen im Innern der arabischen Halbinsel den Islam aufzuzwingen“, Troupeau, Christenheit (2007), 397; Trimingham, Christianity (1979). 804 Burns, Damascus (2005), 134. Zu den verschiedenen Formen der Konversion siehe Boojamra, Christianity (1997), 162–178. „There is actually little known about the conversion process in the Muslim religion. It was a movement into the umma (…) The location of actual conversions is complicated by the use of the terms such as islama that could be applied to both ‚conversion‘ and ‚surrender‘“, ebd., 157  f.; Bulliet, Conversion (1979), 123; Hage, Kirche (1966), 76  f. 805 Boojamra, Christianity (1997), 159; 176. Für die griechisch-orthodoxe Kirche hatte die muslimische Eroberung die Trennung von Konstantinopel zur Folge, ab 639 residierte der Patriarch von Antiochia in Konstantinopel. Erschüttert wurde die melkitische Kirche im 8./9. Jahrhundert zudem vom Monotheletismus, vom Ikonoklasmus und dem photianischen Streit, Troupeau, Christenheit (2007), 403; Schwemer, Christen (2011). 806 Boojamra, Christianity (1997), 167.

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hier noch die Majorität, während im Nordosten Syriens und in Mesopotamien schon der Islam dominierte.807 Die Spaltung der Christen in verschiedene Kirchen blieb bestehen. In Bilad al-Sham (Syrien und Palästina) existierten vier Kirchen nebeneinander, welche sich alle als orthodox verstanden und ihrem jeweiligen Patriarchat in Antiochia unterstanden: die melkitische Kirche, die syrische Kirche (Jakobiten), die Maroniten und die ‚Nestorianer‘.808 Im Gebiet zwischen Bosra und Damaskus sowie in

807 Ebd., 149; 168; Bulliet, Conversion (1979), 76 (basiert auf Daten zum Iran). Die Steuern waren in Syrien ein gewichtiger Grund für den Übertritt zum Islam, die Sorge um die berufliche Position ebenso. Die Kreuzzüge verstärkten die Tendenz: „The number of conversions increased as the relationship between Christians and Muslims became ‚hostile‘“, Boojamra, Christianity (1997), 172; Schick, Communities (1995), 139–158. In Ägypten verlief der Konversionsprozeß langsamer als in Syrien. „Arabization diffused from the military settlements that typified the policy of the Umayyads, especially with some 10 000 soldiers at Fustat (Cairo), near ancient Babylon. There were no such large military settlements in other non-Arab areas such as Iran or Pakistan; in those countries the population was more readily converted because of the lack of firmly rooted Christianity associated with an ethnic group or an independent power structure. None possessed populations as tightly bound to their faith as the ethnic Copts, who, following the sociological formula suggested, converted in fewer numbers due to the plausibility structured rooted in their size, concentration, and activity. Although Egypt became integrated into the Islamic world and was cut off from Christian Byzantium more thouroughly than Syria, the Copts stayed closely attached to their religious structure, with monasticism at its center. (…) In Egypt, in spite of the jizya, there were no mass conversions during the Umayyad period“, Boojamra, Christianity (1997), 171. 808 Troupeau, Christenheit (2007), 392  f. In den Provinzen der römischen Diözese Oriens hatte sich das Christentum früh ausgebreitet. In Antiochia wurden die Jünger Jesu zum ersten Mal als Christen bezeichnet. Die kirchliche folgte der politischen Organisation, Damaskus wie auch Bosra gehörten zum Patriarchat von Antiochia, Maraval, Antiochien (2007), 1033; Troupeau, Christenheit (2007), 400–402; Pietri/Markschies, Orient (2005), 64–74. Die Vorrechte des antiochenischen Bischofs waren allerdings von geringerer Bedeutung als diejenigen des Bischofs von Alexandrien, Maraval, An­ tiochien (2007), 1033. Im Laufe des 5. Jahrhunderts wurde der Jurisdiktionsbereich durch die Autonomie der Kirchen Persiens, Zyperns und Jerusalems verkleinert. Bis zum Ende des 4. Jahrhunderts bestanden Streitigkeiten mit den Arianern; die christologische Frage nach dem Stellenwert der göttlichen und der menschlichen Natur Christi führte zu weiteren Schismen innerhalb der Ostkirche und zur Ausdifferenzierung der Christen. Die mit Nestorius verbundene Lehre des Dyophysitismus (göttliche und menschliche Natur seien in der Person Jesus Christus geteilt und unvermischt) wurde 431 in Ephesos und 553 in Konstantinopel als Häresie verurteilt. Auf dem Konzil von Ephesos 431 wurden die ‚Nestorianer‘ aus der Reichskirche ausgeschlossen, doch wurde ihre Lehre von der Ostkirche nicht abgelehnt und gewann in Mesopotamien und im Sassanidenreich Anhänger. Da die Lehre keiner historischen Bewegung zugeordnet werden kann, sollte der Zusatz nestorianisch vermieden werden. Der ursprüngliche Name lautet ‚Kirche des Ostens‘; Sitz war Seleukia-Ktesiphon/Babylon, von 773 bis 1295 residierte der Katholikos in Bagdad; Kirchensprache ist bis heute aramäisch. (Seit dem 19. Jahrhundert wird die autokephale Glaubensgemeinschaft als Assyrische Kirche, die mit Rom unierte Kirche ab dem 15. Jahrhundert als chaldäisch bezeichnet.) Siehe dazu Pinggéra, Osten (2010); Troupeau, Christenheit (2007), 453–469; Fraisse-Coué, Ephesus (2005); Hage, Nestorianische Kirche (1994); Müller, Geschichte (1981). In Reaktion zum Dyophysitismus entstand der Miaphysitismus (oder auch Diplophysitismus), in dessen Auffassung Jesus vollkommen göttlich sei und nur eine göttliche Natur habe. (Die Bezeichnung Theotokos wurde 431 gegen die Anhänger des Nestorius verwen-

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Damaskus selbst lebten vorwiegend syrisch-orthodoxe Christen,809 gefolgt von Melkiten (Suriani).810 Auf dem Land sprachen sie vermutlich noch aramäisch.811 Wie schon zuvor bestimmt Burchard seine Glaubensgenossen nicht genauer und geht auf die unterschiedlichen Bekenntnisse nicht ein. Er betont aber ihre Abhängigkeit vom „Herren von Damaskus“, dem sie tributpflichtig waren, was zugleich dessen Schutz impliziert.812 Dass der dominus Damasci und der rex Babyloniae813 seit 1174 die gleiche Person waren, erwähnt er nicht eigens, obwohl gerade dieser Tatbestand von außerordentlicher Relevanz für die Mächtebalance im Nahen Osten war und Damas-

det, bezog sich dabei auf Jesus und nicht auf Maria. Nestorius lehnte dieses Attribut ab und sprach von Christusgebärerin.) Theologisch wirkte das auf dem Konzil von Chalcedon 451 formulierte Dogma der Zweinaturenlehre der römischen und griechischen Kirche trennend, wonach beide Naturen in Christus unwandelbar, ungetrennt, ungeteilt und unvermischt sind (Homousie) und die eine doppelte (göttliche und menschliche) Natur in Christus anerkannt wird. Im 6. Jahrhundert entstand eine von der Reichskirche unabhängige miaphysitische syrisch-orthodoxe Kirche mit einem eigenen Patriar­ chen in Antiochia. Zugleich bestand ein ethnischer Gegensatz zwischen Aramäern und Griechen. „Before the Islamic conquest of Syria opposition to Byzantine power expressed itself in heterodoxy, particulary Nestorianism, Monophysitism, and Manichaeism. While they existed as more than opposition ‚groups‘, opposition was one of their defining socio-political features, and focused hostility on Chalcedonian Orthodoxy, supported by the imperial Church at Constantinopel“, Boojamra, Christianity (1997), 149; Pinggéra, Kirchen (2010); Troupeau, Christenheit (2007), 425–435; Hage, Christentum (2007), 78–88; Ders., Kirche (1966). Im 7. Jahrhundert spalteten sich Monotheletisten, die Jesus zwar eine göttliche und eine menschliche Natur aber nur einen göttlichen Willen zuschreiben (Maroniten) von der syrischen Kirche ab, Troupeau, Christenheit (2007), 422–425; Mouawad, Maronites (2009); Suermann, Gründungsgeschichte (1998). In Syrien lebten ebenso armenische Christen und Kopten, Boojamra, Christianity (1997), 149. 809 Vgl. Burns, Damascus (2005), 156. Die jakobitische Kirche war in Mesopotamien verwurzelt, jakobitische Bistümer lagen vornehmlich in nördlichen und östlichen Gebieten des Patriarchats, wie die Bischofslisten des Patriarchen Michael bezeugen, Troupeau, Christenheit (2007), 427  f.; Karte 456  f.; Boojamra, Christianity (1997), 150. Die Franken erscheinen in der Chronik Michaels als „Freunde und Beschützer der syrischen Christen“, Pinggéra, Kirchen (2010), 82. Zum Verhältnis von syrischen und römischen Christen siehe auch Hage, Christentum (2007), 138; 143–148. 810 Pahlitzsch, Graeci (2001) 14  f. Zumindest in Palästina bezieht sich die in den lateinischen und griechischen Quellen zu findende Bezeichnung Suriani oder Syrie auf griechisch-orthodoxe Christen, deren Umgangssprache arabisch war und deren Liturgie auf griechisch oder syrisch gefeiert wurde. „Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet sich dagegen die westsyrische, auch jakobitisch genannte Kirche als syrisch-orthodox“, ebd., 15. Zur Lage der Melkiten vgl. ebd., 40–46. 811 Boojamra, Christianity (1997), 157; Dajani-Shakeel, Natives (1990). 812 Cahen, Djizya (1965); Troupeau, Kirchen (2007), 392–395; Hage, Kirche (1966), 69–71. Der Name Syrien als Landesbezeichnung wird nicht genannt, er spricht vom Herrscher von Damaskus, der Gegend um Damaskus, später noch vom Gebiet um Antiochia und Aleppo. Zur Bezeichnung der Regionen siehe Barber, States (2012), 35  f. Mit dem Namen Dimashq wurde in arabischer Zeit das zentrale, südliche Syrien mit dem Libanon bezeichnet, Bianquis, Damas (2000), 37. 813 Zu den in lateinischen Quellen benutzten Bezeichnungen für Saladin siehe Köhler, Allianzen (1991), 271.

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kus eine wichtige Rolle für die Kreuzfahrer zukam.814 Saladins Einzug in Damaskus lag gerade ein Jahr zurück. Der Tod Nūr ad-Dīns (15. Mai 1174) hatte ein Machtvakuum im Vorderen Orient hinterlassen. Der Machtbereich Nūr ad-Dīns zerfiel im Konflikt um die Regentschaft in vier rivalisierende Teile: In Damaskus beanspruchte eine Gruppe von Emiren mit Ibn al-Muqaddam als militärischem Befehlshaber die Herrschaft, in Aleppo setzte sich im Juli 1174 Gümüštegin als Vormund des Thronfolgers und Chef einer zweiten Gruppe durch, in Mossul regierte Saif ad-Din Gazi  II., der Onkel des Thronfolgers, Ägypten stand ohnehin schon unter der Herrschaft Saladins.815 Nūr ad-Dīns Sohn as-Sālih Ismā’īl wurde als Faustpfand widerstreitender Parteien und von Mitgliedern des Hofes benutzt. Gleichzeitig erkannten auch die Kreuzfahrer ihren Handlungsspielraum und fielen in Syrien ein. Jerusalem und Damaskus schlossen kurz darauf einen Waffenstillstand.816 Im Streit um die Regentschaft bat Ibn al-Muqaddam schließlich Saladin um Unterstützung gegen die Zengiden.817 Daraufhin erklärte sich Saladin zum Beschützer von Nūr ad-Dīns noch unmündigem Sohn und zog von Kairo aus über Bosra nach Damaskus.818 Am 28. Oktober 1174 nahm er sine bello und von der Bevölkerung friedlich empfangen Damaskus ein, worüber Wilhelm von Tyrus ausführlich berichtet: „In demselben Jahr eilte Saladin, der Sohn Negemedins, ein Bruderssohn Sirakons, der von diesem seinem Oheim den Thron von Ägypten geerbt hatte, während der rechtmäßige Herr von Damaskus, nämlich Noradins minderjähriger Sohn Mehele-Salah sich bei Haleb aufhielt, nachdem er seinem Bruder Seifedin sein Reich übergeben hatte, durch die Wüste nach Syrien und Damaskus, wohin ihn 814 Friedrich Barbarossa hatte 1148 im Gefolge Konrads III. an der Belagerung von Damaskus teilgenommen, Görich, Friedrich (2011), 76; 547; 550; Laudage, Friedrich (2009), 31–33; Reg. Imp. IV, 2,1 Nr. 32–43; Hoch, Choice (1996); Richard, Siège (1995); Forey, Failure (1984); Fink, Role (1959). 815 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 314  f.; Eddé, Saladin (2008), 85–89; Hamilton, King (2000), 82  f.; Köhler, Allianzen (1991), 283  f. 816 „Die Damaszener gaben der Erhaltung des Status quo Priorität vor dem gihâd, weil nur auf diese Art ihre Eigenständigkeit zu wahren war. Sie mussten mit Recht fürchten, der Kampf gegen die Franken könnte außersyrischen Fürsten als Vorwand zur Machtübernahme im eigenen Herrschaftsbereich dienen. Genau dies warf die zengidische Emirsgruppe in Aleppo übrigens Saladin vor, nachdem er im Oktober 1174 Damaskus besetzt hatte“, Köhler, Allianzen (1991), 287. 817 Ibn al-Athir, Chronicle. Ed. Richards (2007), 221  f. Angesichts der Belagerung Banyas durch die Franken warf Saladin dem Hof in Damaskus unter der Führung al-Muqaddams Schwäche vor. Diesen bewog schließlich die „Angst vor einem Bündnis zwischen Mosul und Aleppo, für Saladin Partei zu ergreifen und ihn zu bitten, Damaskus zu Hilfe zu kommen“, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 317; Köhler, Allianzen (1991), 288. 818 Ibn al-Athir, Chronicle. Ed. Richards (2007), 226; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 315  f. Saladin verfolgte seine Absicht, sich Teile von Nūr ad-Dīns Herrschaftsbereich zu unterstellen mit einer doppelten Taktik: „Saladin versicherte, er sei zum einen als ausgesuchter Beschützer al-Salihs ebenso unermüdlich wie uneigennützig nur am Machterhalt der Zangiden interessiert; zum anderen sei sein Einsatz für die Einheit des Glaubens von überragender Bedeutung, gerade weil die muslimische Welt in einen historischen Kampf gegen einen unerbittlichen Feind verwickelt war, in dessen Händen sich nach wie vor die Heilige Stadt Jerusalem befand“, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 316.

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die Großen dieses Landes insgeheim berufen hatten. Die Bürger übergaben ihm nach wenigen Tagen die Stadt (…).“819 In Damaskus verteilte Saladin Gold, um seine Unterstützung zu erkaufen. Noch Ende 1174 schlossen sich ihm mehrere Potentaten Syriens an, „mit einigen überwiegend unblutigen Militärkampagnen“ konnte Saladin seine Macht nach Homs, Hamāh und Baalbek ausdehnen.820 Saladins weiterführende Ambitionen, seinen Machtbereich auf Aleppo auszudehnen, waren im Dezember 1175/Januar 1176 jedoch an einer Koalition zwischen Mossul und Jerusalem gescheitert.821 Erst kurz zuvor war Raimond von Tripolis im Gegenzug für 1000 Gefangene und 80 000 Tyrenische Dinare aus muslimischer Gefangenschaft freigekommen und hatte in Jerusalem die Regentschaft übernommen, stand vermutlich aber noch in der Schuld der Zengiden, da Teile des Lösegeldes noch ausstanden.822 Eine erneute Belagerung Aleppos brachte im April 1175 einen vorübergehenden Friedensschluss zwischen den Parteien, nachdem Saladin das vereinigte zengidische Heer bei Hamāh geschlagen hatte.823 Im April 1176 819 Übersetzung aus Wilhelm von Tyrus, Geschichte. Ed. Kausler (1840), 567  f. Eodem annus Salahadinus, Negemedini filius, Siracuni ex fratre nepos, qui patruo suo Siracuno in Egyptio regno successerat, vocantibus occulte eum Damascenis optimatibus, legitimo eorum domino Melehe Salah, filio videlicet Noradini adhuc inpubere, apud Halapiam commorante, commissa Egypti cura cuidam fratri suo Sseifdin nomine, ut regnum Damascenorum occuparet per vastitatem solitudinis in Syriam festinans Damascum pervenit. Unde non post multos dies civitate, tradentibus civibus, recepta. [Und weiter heißt es:] versus Celessyriam properat, sperans quod omnes illas urbes in suam sine bello dicionem reciperet. Nec spe frustratus est. Nam infra modicum tempus, tradentibus locorum incolis et ultro reserantibus aditus, contra fidelitatem domini sui, cuius servus fuerat, omnes illius provincie urbes recepit (…), Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 21, 6. Ed. Huygens (1986), 967  f. 820 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 318; Eddé, Saladin (2008), 89; Köhler, Allianzen (1991), 283  f.; Lyons/ Jackson, Saladin (1984), 79  f. 821 Bis zum 26. Januar 1175 belagerte Saladin Aleppo, mußte nach einem Angriff Raimunds III. auf Homs die Belagerung aber abbrechen, Ibn al-Athir, Chronicle. Ed. Richards (2007), 234; Lyons/Jackson, Saladin (1984), 79  f.; 81. 822 Köhler, Allianzen (1991), 289  f.; Ehrenkreutz, Saladin (1972), 143–145; dazu auch Kapitel III.1.9. 823 Eddé, Saladin (2008), 92; Köhler, Allianzen (1991), 290; Ehrenkreutz, Saladin (1972), 141. Nach der Schlacht bei den Hörnern von Hamāh musste sich as-Sālih dazu verpflichten, kein Bündnis mehr mit den Franken einzugehen, Möhring, Saladin (2005), 61; Lyons/Jackson, Saladin (1984), 88. In Briefen an den Kalifen versuchte Saladin, das Ansehen seiner muslimischen Gegner zu untergraben, doch schloß er selbst Verträge mit den Franken. „It is clear from his letters that he [Saladin] saw the Franks as the key to the problem: He wrote to Baghdad to complain to the Caliph about the agreement that the Aleppans and Mosulis had made with them, of which he claimed to have written evidence with which to confute them if they tried to deny it; a number of Frankish prisoners were to be released and the allies were to hand over to the Franks captured Ayyubid supporters so that the Franks could use them to exchange for those of their own men whom Saladin was holding (…) It emerges, however, that Saladin’s real answer to the prospect of a joint attack by his ennemies was to try to come to terms with the Franks himself. This is nowhere recorded by his contemporary biographers and in his indignant letters to Baghdad he took care not to mention it (…)“, Lyons/Jackson, Saladin (1984), 91. Erst nach dem Tode as-Sālihs 1181 konnte Saladin weiter nach Nordsyrien expandieren, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 345–351; Köhler, Allianzen (1991), 284.

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kam es abermalig zur Schlacht zwischen Saladin und den Zengiden aus Mossul und Aleppo, doch konnte Saladin die Herrschaft auch nun nicht erringen.824 Gleich nach seinem Einzug in Damaskus machte Saladin die Stadt zu seinem Herrschaftsmittelpunkt und stellte sich damit nachdrücklich in die Nachfolge Nūr ad-Dīns, der Damaskus zwanzig Jahre zuvor zur Hauptstadt seines Reiches erhoben und in verschiedenen Hinsichten gefördert und ausgebaut hatte.825 „Under the rule of this spiritual heir of Șalāḥ al-Dīn there began a period of good organization and political relaxation. Cairo from that time on became the capital of the empire but Dimashḳ remained an important political, military and economic centre.“826 Im Mai 1175 erkannte der Kalif al-Mustadi’ in Bagdad Saladins Usurpation an und investierte ihn offiziell als neuen Herrscher, verbunden mit der Bitte, er möge die ägyptische Küste gegen europäische Angriffe schützen und Jerusalem zurückgewinnen.827 Auch wenn schriftliche Nachweise dieser Ereignisse in Lateineuropa erst aus der Zeit nach Burchards Reise erhalten sind, dürften die Nachrichten über Saladins Machterweiterung in Europa schnell eingetroffen sein, schließlich war das Königreich Jerusalem direkt in die Kämpfe zwischen Ayyubiden und Zengiden involviert und nun von zwei Seiten in die Zange genommen.828 Zudem hatte es noch im Innern mit Thronstreitigkeiten rivalisierender Parteien zu kämpfen.829 Nach Einschätzung Michael Köhlers waren die fränkischen Gebiete in der Zeit von 1169 bis 1174 „sicherer als zuvor“.830 Bis mindestens 1174 konnte von einer „Einkreisung der Franken durch die muslimischen Herrscher“ aufgrund des beiderseitigen Interesses am Status quo noch nicht die Rede sein.831 Die Einigung Ägyptens und Syriens stellte dann aber eine absolute Bedrohung für die christlichen Königreiche

824 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 319; Eddé, Bilād al-Shām (2010); Dies., Saladin (2008), 93  f.; Köhler, Allianzen (1991), 292; 294. 825 Burns, Damascus (2005), 158–169. „Nūr al-Dīn’s politics imprinted his character on the city which assumed the role of rampart of Muslim orthodoxy as opposed to the Fātimid heretics and the infidel Franks. (…) Great centre of the Sunnīs, its fame was heightened by a large number of new religious buildings, mosques and madrasas. Dimashḳ retrieved at this time both its military importance and its religious prestige“, Elisséeff, Dimashk (1963), 283. Siehe auch Ders., Monuments (1949–51); Humphreys, Politics (1989); Sack, Damaskus (1983), 120  f.; Korn, Bauten (1995). 826 Elisséeff, Dimashk (1963), 283  f. 827 Halm, Kalifen (2014), 301; Eddé, Paradis (2009); Dies., Saladin (2008), 93; Köhler, Allianzen (1991), 286; Lyons/Jackson, Saladin (1984), 92; 98. 828 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 319–321; Eddé, Saladin (2008), 91–93; Köhler, Allianzen (1991), 228  f.; 274. 829 Phillips, Krieg (2012), 199–206; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 325–333; Hamilton, King (2000), Mayer, Kreuzzüge (1995), 152–162. 830 Köhler, Allianzen (1991), 278; 281. Die Lage änderte sich aus retrospektiver Berichterstattung aber mit Herrschaftsantritt Saladins in Ägypten, ebd., 284. 831 Ebd., 274. „1171/1174 war das Ägypten Saladins nicht nur Bestandteil des Bündnissystems Friedrich Barbarossas gegen Byzanz, das übrigens auch das Sultanat Iconium/Qunya einschloß, es stand vermutlich auch in einer gegen die Zengiden gerichteten Allianz mit dem Königreich Jerusalem!“

Reiseroute und Reisestationen 

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dar, wonach sich die fränkische Bündnispolitik ausrichtete.832 Bis zum Sommer 1176 bestand noch ein Friedensvertrag zwischen Saladin und dem König von Jerusalem. Die Folgen von Saladins Vordringen wurden gleichwohl genau analysiert, wie bei Wilhelm von Tyrus nachzulesen ist: „(…) denn jeder Zuwachs seiner Macht war für uns gefährlich, und alles, was er gewann, musste als ein Verlust für uns angesehen werden. Er war nämlich ein einsichtiger, tapferer und äußerst freigebiger Mann und flößte daher den Klügeren unter uns große Besorgnis ein, denn nichts gewinnt heute den Fürsten die Herzen der Untertanen und anderer Leute so sehr als die Freigebigkeit, welche die Fremdesten an sich zu fesseln weiß. Wir mussten darum fürchten, wenn sich seine Macht und sein Reich verdopple, so möchte er sich noch ungestümer gegen uns erheben und nur noch mehr zu schaffen machen. Diese unsere Bemühungen, seine Kraft zu schwächen, sind aber, wie wir jetzt mit tränenden Augen sehen müssen, vereitelt worden, denn er hat sich zu Land und zur See so stark gegen uns erhoben, dass wir, wenn uns nicht der Aufgang aus der Höhe [oriens ex alto: das strahlende Licht aus der Höhe nach Lk 1, 78, ein Ausdruck der Sehnsucht, C. T.] mitleidig besucht, keine Hoffnung zu längerem Widerstand haben. Klug wäre es gewesen, dem minderjährigen Knaben zu Hilfe zu kommen, nicht um ihn zu begünstigen oder ihm einen besonderen Dienst zu erweisen, sondern um unserem mehr zu fürchtenden Gegner einen Nebenbuhler zu erhalten, durch den seine Angriffe auf unser Reich geschwächt worden wären.“833 832 Auf den Zusammenschluss der muslimischen Herrschaftsgebiete reagierte Jerusalem schon ab 1157, indem die diplomatischen Beziehungen und die Anbindung an Byzanz intensiviert wurden, Köhler, Allianzen (1991), 231  f.; Möhring, Byzanz (1982); Mayer, Mélanges (1985), 152–156. Ebenso bemühte sich Jerusalem, die Verbindungen zu den westeuropäischen Monarchien zu verstärken. Besonders ab 1168 häuften sich die Hilfgesuche und Bitten um Unterstützung, begleitet von „zumindest symbolischen Akten der Unterordnung“, Köhler, Allianzen (1991), 233. Von der Bildung eines „christlichen Blockes“ kann Köhler zufolge allerdings nicht gesprochen werden. Balduin III. und Amalrich suchten zwar Rückhalt, wollten aber keine byzantinische Vorherrschaft hinnehmen, Köhler, Allianzen (1991), 240–243; 265–269. Nūr ad-Dīn wiederum zog eine fränkische Präsenz den Byzantinern vor und verhielt sich den Franken gegenüber weitgehend friedlich, ebd., 240; 263  f.; 276  f. Auch Saladin folgte dieser Politik. Anlässlich des Todes Amalrichs sandte Saladin ein Kondolenzschreiben an Balduin  IV., in dem ein „förmliches Einvernehmen“ mit Jerusalem zum Ausdruck kommt, ebd., 273  f.; Möhring, Salahadinus (1983), 434–439. Im Frühjahr 1175 verbündete sich Raimund gegen die Zengiden mit Saladin. „Der entscheidende Unterschied der fränkischen Politik von 1175/1176 zu den ‚Kein Platz (lā maqām)‘Allianzen früherer Jahre bestand, um zusammenzufassen, darin, dass es keinen starken Monarchen gab, der die Bündnispolitik gestaltete, und dass die Franken bei einem eindeutigen Sieg der Zengiden über Saladin genauso unangenehme Folgen zu befürchten hatten wie bei einem Sieg Saladins. Daraus erklärt sich der Umstand, dass die Franken immer erst dann eingriffen, wenn der Verlauf der Kämpfe einseitig zugunsten eines der Kontrahenten auszufallen schien, aber keine festen Allianzen mit den Zengiden abschlossen“, ebd., 293; dazu auch Kapitel III.1.9. 833 Übersetzung aus Wilhelm von Tyrus, Geschichte. Ed. Kausler (1840), 567  f. Suspectum enim nobis erat omne eius incrementum et quicquid ei accedebat, nobis totum decidere videbatur: erat enim vir consilio providus, armis strenuus, supra modum liberalis, in quo prudentioribus nostris maxime erat suspectus. Nam nullo alio hodie visco subiectorum et etiam quorumlibet aliorum hominum corda magis solent principibus conciliari nichilque alienos animos magis obligat quam munificentia, maxime principalis. Suspectus igitur nimirum nobis erat ne, geminatis possessionibus duplicato cum viribus imperio, acrior in nos insurgeret et fatigaret vehementius. Quod tamen, evacuatis nostris moliminibus et frustra

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Inwieweit Burchard diese Entwicklung und deren Tragweite für Jerusalem und das Machtgefüge im Nahen Osten realisierte, geht aus seiner Darstellung nicht hervor. Obgleich Damaskus zum ersten Mal seit der Herrschaft der Umayyaden834 wieder Hauptstadt eines muslimischen Reiches war, betont er die Trennung der Herrschaftsbereiche Ägypten und Syrien. Nichts deutet in seiner Stadtbeschreibung explizit auf die Hauptstadtfunktion hin, die Damaskus seit 1154 innehatte. Burchard versieht Damaskus mit dem Attribut nobilissima,835 was sowohl mit vornehm als auch berühmt übersetzt werden kann. Nobilissima in Verbindung mit Damaskus begegnet schon bei Justin, der die Syriae nobilissima civitas nach den Worten des Pompeius Trogus als Ursprungsort der Juden angibt.836 Nachfolgende antike und mittelalterliche lateinische Autoren verwenden das Attribut ebenfalls im Zusammenhang mit Damaskus.837 Berühmt und vornehm war Damaskus schon in biblischer Zeit, „ganz Syrien und Arabien“ gehörten zum Land der Verheißung.838 cohibere volentibus, lacrimosis hodie inspicimus oculis, quod tantus mari et terra adversum nos insurgit, quod nisi nos misericorditer visitaverit oriens ex alto, nulla sit spes resistendi. Tutius sane videbatur puero adhuc infra annos constituto ministrare subsidium, non ut gratia eius aliquid humanitatis ei videretur prestandum, sed ut suspectiori emulo nutriretur adversarius, quo remorante eius proposita in nos fierent eius impetus infirmiores, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 21, 6. Ed. Huygens (1986), 986; Köhler, Allianzen (1991), 230  f. 834 Muawiya verlegte 656 den Sitz des Kalifen nach Damaskus, das bis 750 Hauptstadt des Reiches blieb, Sack, Damaskus (1983), 120. An der Stelle der byzantinischen Residenz richtete der Kalif den „grünen Palast“ ein, Bianquis, Damas (2000); al-Bahnasi, Damascus (2002); Whitcomb, Structure (2007). 835 Alle anderen Städte bezeichnet er als civitas egregia. 836 Namque Iudeis origo Damascena, Syriae nobilissima civitas, Justin, Epitome 36, 2. Ed. ArnaudLindet (2003); Hengel/Schwemer, Paulus (1998), 87; Hengel, Studien (2008), 204. 837 Benzinger, Damaskus (1901); Strabo, Geographika 16, 2,20. Ed. Radt (2005), Bd. 4, 327; Mat­thäus Parisiensis, Chronica. Ed. Luard (1877/2012), 501; Gervasius von Tilbury, Otia, II, 4 und II, 23. Ed. Binns/Banks (2002), 200  f.; 208  f.; 494  f. 838 Hengel, Studien (2008), 204; Hengel/Schwemer, Paulus (1998), 86–89. Damaskus gilt als die älteste kontinuierlich besiedelte Hauptstadt der Welt und als einer der ältesten kontinuierlich besiedelten Plätze überhaupt, Zoudhi, Urbanisme (2000), 129. Im Schutze des westlich gelegenen Antiliabanon, am Fuße des Berges Djabal Kasiyun in 700 m Höhe gelegen, auf der Süd-Nord-Route der syrischen Verkehrsachsen diente Damaskus als wichtigster Halt der Karawanen zwischen Euphrat und Nil und als Handelsplatz der Nomaden: „(…) the incessant movement of men and goods was not unlike the activity of a great maritime port“, Elisséeff, Dimashk (1963), 278. Überreste sind bis ins 9. Jahrtausend zurückzuführen, das Alter der Siedlung ist jedoch nicht bestimmbar. Ausgrabungen im Tell al-Salihiyya in den 1950er Jahren sind auf das 4. Jahrtausend v. Chr. zu datieren, Burns, Damascus (2005), 2. Der erste schriftliche Beleg stammt von der Tell-al-Armana-Tafel, auf der Damaskus als Eroberung des Pharaos Thutmoses III. 1500 v. Chr. verzeichnet ist, ebd., 4. Wichtiger historischer Abschnitt ist die Aramäerzeit (1100–732 v. Chr.), dazu Watzinger/Wulzinger, Damaskus (1921), 62; 64. Mehrfach genannt wird Damaskus im Alten Testament (Gen X, 22; XIV, 15). König David eroberte die Stadt (II Könige VIII, 5–6), doch kämpften die Damaszener in der Zeit Salomos erfolgreich gegen Israel sowie gegen die Assyrer. 732 v. Chr. setzten die Assyrer unter Tiglatpilezer  III. dem Königreich von Damaskus ein Ende und zerstörten Tempel und Palastanlage. Weitere Besetzer waren im 7. Jahrhun-

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In antiker Vorstellung herrschte Abraham als König über die Stadt, bevor er nach Kanaan zog.839 Noch die von Benjamin von Tudela genannten Reliquien des „Riesen, der König Abramus heißt“ stehen in dieser Vorstellung.840 Mittelalterliche lateinische Stadtbeschreibungen sind so weit ersichtlich nicht vorhanden. Aufgrund der Lage im Landesinneren war Damaskus kein Pilgerziel lateinischer Christen und wurde erst ab dem 13./14. Jahrhundert von italienischen Händlern erreicht. Einen frühen Bericht verfasste Thietmar 1217, der aus nicht näher genannten Gründen die Stadt und den Sultanspalast aufsuchte.841 Detailliertere Darstellungen finden sich bei einer Reihe arabischer Autoren wie al-Muqaddasī, Ibn Ḥauqal und al-Idrisi.842 Insbesondere die ausführlichen Deskriptionen Benjamins von Tudela und Ibn Ǧubairs beglaubigen neben Thietmar als Parallelquellen Burchards Darstellung, da deren Berichte alle bei Burchard genannten Aspekte beinhalten. Zu Beginn seiner Darstellung konzentriert sich Burchard auf die beachtenswerte Befestigung. Damaskus sei von einer doppelten Mauer umgeben und mit mehreren Türmen gesichert: Duplici muro et plurimis turribus optime munita. Die Mauer stammte noch aus römischer Zeit.843 Am rechten Ufer des Baradā wurden rechtwinklige Mauern (1500 m × 750 m) zum Schutz gegen plündernde Nomaden errichtet und mit einem dert v. Chr. Babylon, im 6. Jahrhundert die Achaemeniden und seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. Griechen (Ptolemaier und Seleukiden), bis 64 v. Chr. Pompeius die Stadt einnahm und in das Römische Reich integrierte, Hauptstadt blieb Antiochia. Von 37–54, zur Zeit des Aufenthalts des Paulus, war Damaskus ein weiteres Mal unter nabatäischer Herrschaft mit römischer Duldung. Unter römischer Herrschaft wurde die Stadt besonders von Hadrian, Septimus Severus und Caracalla erweitert und ausgebaut, die hellenistische Schwesternstadt wurde in die Gesamtanlage integriert, Watzinger/Wulzinger, Damaskus (1921); Benzinger, Damaskus (1901); Sack, Damaskus (1983), 117. Nach dem Tod des Theodosius wurde Damaskus byzantinisch, zugleich etablierte sich die Kirche. Der Hauptanteil der Christen waren Jakobiten, die den Melkiten feindlich gesinnt waren. Nach den Sassaniden ging die Herrschaft 627 noch einmal an Heraclius über. 635 fiel die Stadt an die Araber. 661–750 war Damaskus Hauptstadt der Umayyaden, 705 ließ Kalif al-Walid die Umayyadenmoschee errichten. Nachdem die Abbasiden ihre Hauptstadt nach Bagdad verlegten, verlor Damaskus an Bedeutung, wurde aber 1104 Sitz der Buriden und 1154 der Zengiden, dazu Schreiner, Eroberung (2010); Glaube, Damaskus (2008); Bianquis, Damas (2000). 839 So nachzulesen bei Nikolaos von Damaskus, Josephus; Eusebius und Hieronymus, Hengel, Studien (2008), 197; 204 Anm. 46; Hengel/Schwemer, Paulus (1998), 87. 840 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 22; Hengel/Schwemer, Paulus (1998), 87 Anm. 339. 841 Laurent, Thietmar (1857), 9–13. Zu Thietmars möglichem Reiseanlass siehe Kapitel VI. Charles Foster nennt ausgerechnet Mandeville als frühen Besucher und führt Reiseberichte erst ab dem späten 14. Jahrhundert auf, Foster, Damascus (2003), 310. 842 Bianquis, Damas (2000), 38. Thierry Bianquis stützt sich für sein Porträt des mittelalterlichen Damaskus auf arabische Geographen, Historiker und Pilger: al-Balādhuri († 892), Yaqubi († 897), Ibn al-Faqīh († Mitte des 9. Jahrhunderts), Ibn Khurdādhbah († 911), Ibn Rusteh († 912), al-Tabarī († 934), al-Istakhri († 950), Masudi († 956), Ibn Ḥauqal († 980), al-Muqadassi († Mitte des 10. Jahrhunderts), al-Idrisi († 1166), Yaqut († 1229), al-Dimashqī († 1327), Abū al-Fidā († 1331), Ibn Fadl Allāh al-Umarī († 1349), Ibn Ǧubair († 1217) und Ibn Battūta († 1368), ebd., 39; vgl. auch Glaube, Damaskus (2008). 843 Braune, Stadtbefestigung (2008).

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Castrum im Nordosten befestigt.844 Die Stadt war über sieben Tore zugänglich.845 Nūr ad-Dīn ließ die Befestigung, zu der die Stadtmauer mit ihren dicht gesetzten Türmen und ein Graben-Vorwall-System gehörten, als Bollwerk gegen die Kreuzfahrer ausbauen.846 Die Stadtmauer vermerkt auch Benjamin von Tudela, beschreibt sie aber nicht näher.847 Ibn Ǧubair ist sie hingegen keine Zeile wert. Zu Thietmars Reisezeit ist sie wohl nicht mehr instand, denn bei ihm heißt es: non est quidem valde munita.848 Im Unterschied zu Burchard richtet sich das Interesse Benjamins und Ibn Ǧubairs, wie bei den meisten anderen Berichten über Damaskus,849 auf die berühmte Umay­ yadenmoschee im Nordwesten der Stadt mit ihren drei Minaretten, die sie ausführlich darstellen.850 „Im ganzen Lande gibt es kein Bauwerk wie dieses“, schwärmt Benjamin. „Alle Wände wurden mit Goldmosaiken belegt (…) Sie blenden die Augen durch ihre Helligkeit und ihr Leuchten. (…) Am eindrucksvollsten in dieser Moschee ist die Bleikuppel im Zentrum des Gebäudes. Sie erhebt sich hoch in die Luft mit weitem Umfang, wie ein unabhängiges großes Gebäude“, schreibt Ibn Ǧubair.851 Im zwölften Jahrhundert besaß Damaskus 242 Moscheen innerhalb des Stadt­ gebietes und 178 außerhalb der Mauern.852 Zahlreiche Medresen, Villen, Suks, Bäder, Überreste römischer Bauwerke und Tore prägten das Stadtbild.853 Eines der wichtigsten Gebäude war das Krankenhaus Māristān, das Nūr ad-Dīn 1171 errichten ließ, und dessen Eingangsportal mit Stalaktiten verziert ist.854 In Damaskus gab es zudem Bäder 844 Als Vorgänger der Zitadelle lokalisiert, Glaube, Damaskus (2008), 193; Braune, Stadtbefestigung (2008), 207–209. 845 Im Osten das Bab Sharki, im Süden das Kaysan Tor und das Bab al-Saghir, im Westen das alDjabiya-Tor, im Norden das Bab al-Faradis, das Djinik-Tor und das Thomas Tor (Bab Tuma), Braune, Stadtbefestigung (2008), 203–207; Elisséeff, Dimashk (1963), 279. Ibn Ǧubair vermerkt acht Tore, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 208. 846 Leder, Damaskus (2005), 238; Elisséeff, Dimashk (1963), 283. „Works of military defence were care­fully planned and carried out. The surrounding city walls were strengthened, and new towers built, of which one can still be seen to the west of Bāb al-Șaghīr.(…) A sector of the north part of the city wall was carried forward as far as the right bank of the Baradā, and a new gate, Bāb al-Faradj, was opened to the east of the citadel, while Bāb Kaysān to the south was blocked up. Nūr al-Dīn carried out works at the citadel itself, strengthening Bāb al-Hadīd and building a large mosque“, ebd. Ob auch Saladin die Befestigung erneuern ließ, ist nicht belegt, Korn, Bauten (1995), 217. 847 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 22. 848 Laurent, Thietmar (1857), 10. 849 Glaube, Damaskus (2008), 194. 850 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 196–204; 216–218; Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 22  f.; Ruprechtsberger, Moschee (1993); Mannheim/Winter, Handbook (2001), 248–252. 851 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 197  f. 852 Elisséeff, Description (1959), 84–176; Burns, Damascus (2005), 162. 853 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 204; 209; Mannheim/Winter, Handbook (2001), 252–261. 854 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 209  f.; Elisséeff, Dimashk (1963), 283; Ders., Description (1959), 277–285; Mannheim/Winter, Handbook (2001), 256  f. Unter den Zengiden wurden zahlreiche öffentliche Bauwerke errichtet, meist Stiftungsbauten, Leder, Damaskus (2005), 238  f.; Glaube, Damaskus (2008), 196  f.

Reiseroute und Reisestationen 

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Abb. 14: Damaskus im 12. Jahrhundert, entnommen aus Burns, Damascus (2005), 63.

in großer Zahl.855 Westen (Bab al-Djabiya) und Osten (Bab Sharki) verband die alte Via recta. Der große Suk verläuft auf dem alten Dekumanus durch die ganze Stadt.856 Unter Saladin wurde Damaskus dann weiter ausgebaut, wobei die meisten Bauten von Mitgliedern der gesellschaftlichen Elite stammten und südwestlich der Umayyadenmoschee im Nordwesten der Stadt angesiedelt sind.857 Ab 1176 zog Saladin in die nahe gelegene Zitadelle.858 855 Bianquis, Damas (2000), 46. 856 Glaube, Damaskus (2008), 192; 198–201. Beschrieben von Ibn Ǧubair und al-Idrisi. 857 Eddé, Foundations (2009); Dies., Saladin (2008), 443  f.; Burns, Damascus (2005), 162; Korn, Bauten (1995), 217–222. Für die Mamlukenzeit siehe Pouzet, Damas (1988). 858 Burns, Damascus (2005), 164; Hanisch, Toranlagen (1996); Elisséeff, Dimashk (1963), 284. Man kann davon ausgehen, dass auch die Zitadelle zu dieser Zeit mit adäquaten Verteidigungsanlagen

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Auf die Architektur Damaskus‘ geht Burchard jedoch überhaupt nicht ein. Nur allgemein weist er auf prächtige Bauten hin: elegantissime edificiis constructa. Zu spezifischen Gebäuden sowie den Funktionen der Stadt – als politisches, kommerzielles, industrielles, strategisches, intellektuelles oder religiöses Zentrum – macht er keine weiteren Angaben.859 Ob er die Umayyadenmoschee im Westen der Stadt, wo sich auch die weiteren herrschaftlichen Gebäude befanden, überhaupt besuchte, ist nicht ersichtlich.860 Befremdlich ist in seiner Darstellung Damaskus‘, auch im Vergleich mit den vorhergehenden Stadtbeschreibungen, besonders das völlige Fehlen eines Bezuges zu Herrschaftseinrichtungen und der Residenz (Zitadelle) des Herrschers. Nur lapidar bemerkt er zudem die Größe der syrischen Metropole. Die Stadt sei dicht bevölkert (populosa) – während sie von Ibn Ǧubair für die „bevölkerungsreichste Stadt der Welt“ gehalten wurde und auch Thietmar nie zuvor eine größere Stadt erblickte.861 Christen und multi Iudei fänden sich unter den Bewohnern. Die Existenz einer großen jüdischen Gemeinde bezeugt Benjamin von Tudela, der die Zahl der Mitglieder mit 3000 angibt.862 Überdies traf Benjamin noch 200 Karäer an. Das jüdische Viertel lag im Südosten von Damaskus863 und beherbergte vermutlich noch weit mehr als die von Benjamin angegeben Personen, da er nur die Männer zählte. Von den Kirchen, die Burchard hier gesehen haben will, beschreibt er keine näher und weiß auch nichts Genaueres über die christliche Gemeinde zu berichten.864 Seit der arabischen Eroberung war der Anteil der Christen in Damaskus stark zurückgegangen.865 Das Christenviertel Bab Tuma im Osten von Damaskus und eventuelle Pilgerziele wie das Haus des Hananias, die Pauluskapelle oder den Schrein Johannes‘ des Täufers im südlichen Flügel der Umayyadenmoschee866 erwähnt Burchard nicht.867 Nach Ibn-ʿAsākir (1105–1176), dem Verfasser der bekanntesten und wohl ausgestattet wurde. Unter Saladins Bruder wurde 1203–1217 ein Palast in der Zitadelle gebaut, ­Gardiol, Palais (2001/2002). 859 In der islamischen Welt beruhte die Bedeutung auf den zahlreichen Bildungseinrichtungen, Leder, Damaskus (2005), 238; Elisséeff, Dimashk (1963), 284. 860 Vgl. den Abschnitt über Residenzen bei Ibn-ʿAsākir, Elisséeff, Description (1959), 227–246. 861 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 208. Bei Thietmar heißt es: numquam vidi civitatem sic populosam, Laurent, Thietmar (1857), 10. Die Gesamteinwohnerzahl von Damaskus schätzt Burns bis zur Ankunft Nūr ad-Dīns auf 40 000, Burns, Damascus (2005), 62. Für das 12./13. Jahrhundert geht Bianquis von einer Einwohnerzahl von 70 000–90 000 Personen aus, Bianquis, Damas (2000), 41  f. 862 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 23. 863 Bianquis, Damas (2000), 53; Glaube, Damaskus (2008), 196. 864 Kennedy, Church (2006); Nasrallah, Damas (1985); Mannheim/Winter, Handbook (2001), 259  f.; Kościelniak, Churches (2011). 865 Kościelniak, Churches (2011); Bianquis, Damas (2000), 43  f., anders Eddé, Saladin (2008), 464; Dies., Chrétiens (2006). 866 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 204. 867 Sack, Damaskus (1983), 118; Russell, Lady (1934). Thietmar besuchte ein Pauluskloster und benennt die christlichen Erinnerungsorte gleich zu Beginn seiner Darstellung, Laurent, Thietmar (1857), 9  f.

Reiseroute und Reisestationen 

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auch umfangreichsten Darstellung Damaskus‘,868 wurden von den ursprünglich 15  Kirchen im 12.  Jahrhundert auch nur noch drei genutzt.869 Abū l-Makārim zählt vier christliche Kirchen auf: die Marienkirche, eine jakobitische Kirche, die Ananias­ kirche sowie eine kreuzförmige Kirche. Die nestorianischen Kirchen waren hingegen zerstört.870 Als „wahrhaftig wundervoll“ beschreibt Ibn Ǧubair die Marienkirche, die nach seiner Aussage wichtigste Kirche der Melkiten: „Innerhalb der Stadt befindet sich eine Kirche, die von den Rûm sehr geschätzt wird. Sie heißt Marienkirche; nach dem Tempel in Jerusalem achten sie nichts höher als diese. Sie hat eine elegante Architektur mit erwähnenswerten Bildern, die den Verstand verblüffen und den Blick fesseln; ihr Anblick ist wahrhaftig wundervoll. Sie ist in den Händen der byzantinischen Christen, die dort nie belästigt werden.“871 Wahrscheinlich waren die Christen von Damaskus mehrheitlich Jakobiten, gefolgt von Melkiten, Nestorianern und anderen.872 Wenn Burchard mit Christen und Juden zusammentraf, könnte dies als Hinweis auf einen Aufenthalt oder Unterbringung im Süden oder Osten der Stadt gelesen werden.873 Den Wein, auf den er im muslimischen Gebiet wahrscheinlich verzichten musste, schmeckt ihm jetzt zumindest köstlich: Et in confinio Damasci optimum crescit vinum. Anders als in den Beschreibungen Alexandrias und Babylons erwähnt Burchard Muslime nicht eigens. Auch auf den sonst stets zu lesenden Hinweis der guten Koexistenz der drei Religionsgruppen verzichtet er, obgleich hier Stätten gemeinsamer Verehrung vorhanden waren. Neben dem Schrein Johannes‘ des Täufers innerhalb der großen Umayyadenmoschee lagen der Geburtsplatz Abrahams in Berze und

868 Elisséeff, Description (1959); Ders., Description (1959), 220–225 mit Karten im Anhang; Ders., IbnʿAsākir (1971); Lindsay, Ibn ʿAsākir (2001). 869 Er nennt die melkitische Marienkirche, eine jakobitische und eine weitere Kirche, Kościelniak, Churches (2011), 137  f.; Elisséeff, Description (1959), 222. 870 Troupeau, Eglises (2005); Eddé, Regards (2005). 871 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 209. 872 Bianquis, Damas (2000), 43. 873 Vgl. ebd., 53. Im ersten Jahrhundert v. Chr. existierten wohl drei Quartiere in Damaskus: eine aramäische und eine hellenistische Siedlung sowie ab 85 v. Chr. eine nabatäische Garnison und Handelskolonie, Leder, Damaskus (2005), 235; Sack, Struktur (1989), 11–14. Eine „bis heute sichtbare Stadtgestaltung“ begann unter römischer Herrschaft. „Der Ausbau der Stadtbefestigung und des Heiligtums mit Temenos und Peribolos, Kolonnaden auf der Straße zwischen Tempel und Agora, die Errichtung eines Ost-Südtores, die Anlage einer Kolonnadenstraße auf dem alten Verbindungsweg zwischen den Ortsteilen der Oase sind Baumaßnahmen, deren Spuren bis heute sichtbar sind“, Leder, Damaskus (2005), 235. Im Gegensatz zur rechtwinkligen römischen Anlage haben sich in der arabischen Stadt ungeplante Gassen und Sackgassen durchgesetzt, ebd., 236. Im urbanen Leben ist der Übergang von Byzanz zum Islam sonst durch Kontinuität gekennzeichnet. Die arabischen Neusiedler, auch Umay­ yaden und Zengiden, ließen sich außerhalb der Stadt in der Oase nieder, Leder, Damaskus (2005), 236. Ab dem 10. Jahrhundert kamen Flüchtlinge aus Kreta, Zypern, Anatolien, Irak, Iran und Andalusien hinzu, Bianquis, Damas (2000), 43.

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die Stelle, an der Kain seinen Bruder Abel erschlagen haben soll, in der Nähe.874 Ibn Ǧubair weiß davon und berichtet noch von einem „gesegneten Hügel“, „der im Koran als Wohnstätte des Messias und seiner Mutter erwähnt wird.“ Daneben wird auch Elias bzw. al-Kidr verehrt.875 Burchards Interesse gilt nicht der Stadt an sich, sondern hauptsächlich der ausgezeichneten (Trink-)Wasserversorgung, die er gleich mehrfach vermerkt: aquis decurrentibus, fontibus et aqueductibus extra et interius (…) habet enim irriguum intra et extra pro voluntate hominum quasi ad modum paradisi terreni. Die uneingeschränkte Verfügbarkeit des kostbaren Guts erscheint ihm geradezu paradiesisch. Überall seien Blumengärten und Obstplantagen zu finden, in den Außenbezirken wird Wein angebaut. Ausweis des gesunden Klimas ist wie schon in Alexandria das hohe Alter, das die Damaszener erreichen: Et nota, quod Damascus sanissima est civitas, multos senes nutrit homines. Die außerordentliche Fruchtbarkeit verdankt Damaskus seiner Lage inmitten der fruchtbaren Guta-Oase, die durch den abflusslosen Baradā bewässert wird. Am Fuß des Berges Kasyiun auf 690  Meter Höhe, liegt Damaskus in einer „ländlichen, agrarisch genutzten Nahumgebung“, in der „Gemüseanbau, Baumkulturen und, in den Außenanlagen, Feldbau gedeihen“.876 Herangeführt wird das Wasser des Baradā durch ein altes, zum Teil auf die Aramäer-Zeit zurückgehendes Kanalsystem.877 Der Nebenerwerb durch das Bewirtschaften von Gärten spielte auch für die städtische Bevölkerung eine große Rolle. „Der Aufenthalt in Gärten zu verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen war ein gerne wahrgenommener Genuss und fester Bestandteil des Alltags.“878 Vor allem im Frühjahr, zur Zeit der Aprikosenblüte ist diese „ländliche Idylle“ spürbar.879 Nach der entbehrungsreichen Sinaidurchquerung und der persönlichen Erfahrung der Wasserknappheit scheint die Wasserversorgung von besonderem Stellenwert für Burchard gewesen zu sein. Dieser Darstellungsschwerpunkt korrespondiert mit der muslimischen Überlieferung. Aufgrund der Fruchtbarkeit erscheint Damaskus in arabischer Literatur häufig in den Aufzählungen der schönsten Städte.880 Ibn Ḥauqal beschreibt Damaskus als die „prächtigste Stadt Syriens“.881 Ebenso ist sie für 874 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 205; Elisséeff, Dimashk (1963), 278. 875 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 206. Siehe Kapitel auch III.1.8. 876 Leder, Damaskus (2005), 233. Heute hat die Agglomeration Damaskus einen Großteil des früheren Grüns der Oase verschlungen. 877 Burns, Damascus (2005), 13  f. Der Fluss (Abana) wird in der Bibel genannt (2 Kön 5, 12). Sechs Kanäle bewässern die Oase, Elisséeff, Dimashk (1963), 278. 878 Leder, Damaskus (2005), 233; Pouzet, Damas (1988), 165. 879 Burns, Damascus (2005), 13  f. Karte bei Schäffer, Bemerkungen (1919), 188–194. 880 Zahlreiche arabische Lobgedichte preisen die Gärten, so as-Sanawbari, und ibn Asakir (1105– 1176), auch Harun al-Raschid wird ein solches Lob zugeschrieben, Leder, Damaskus (2005), 234; Haddad, Damascus (1951); Glaube, Damaskus (2008), 188. 881 Glaube, Damaskus (2008), 188.

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al-Idrisi die schönste Stadt Syriens: „die beste, was die Lage angeht, die mäßigste im Hinblick auf ihr Klima, die mit der feuchtesten Erde, die mit der größten Vielfalt an Früchten, die mit dem größten Überschuss an Gemüse.“882 Neben Samarkand und al-Ubulla wurde Damaskus in muslimischer Tradition als eines der drei irdischen Paradiese angesehen.883 Die Metapher des Paradieses verwendet ja auch Burchard. „Die Gärten umgeben sie wie der Lichthof den Mond, sie umfassen sie wie der Kelch einer Blüte. Im Osten erstreckt sich ihre grüne Umgebung, soweit das Auge reicht; wo auch immer man auf den vier Seiten hinschaut, trifft der Blick auf ihre reifen Früchte. Diejenigen, die sagen: Wenn das Paradies auf Erden ist, dann ist ohne Zweifel Damaskus ein Teil davon. Wenn es im Himmel ist, dann wetteiferte es mit ihm und teilt den Ruhm, sprachen die Wahrheit“ schreibt Ibn Ǧubair.884 Ebenso schildert Benjamin von Tudela die Gärten im Superlativ: „Man trifft auf der ganzen Erde kein Stadtgebiet an, das reicher an Früchten ist als dieses.“885 Ähnlich schwärmt dann auch Thietmar von Damaskus und der günstigen naturräumlichen Lage der Stadt: „Die Stadt ist über die Maßen reich: Voller edler, wundervoller und vielfältiger Künstler [artificibus, gemeint sind vielleicht eher artificis, Kunstwerke]; errichtet auf bestelltem und fruchtbarem Boden, der sowohl zum Anbau als auch als Weidegrund dient. Gleichermaßen ertragreich und schön, mit natürlichen Quellen wie auch künstlichen Bewässerungsanlagen versehen, die kaum von Menschenhand erschaffen scheinen. Auch verfügen die einzelnen Häuser und Wohnviertel über Wasserbecken und Bäder, rund oder eckig, und was gleichermaßen die Prachtentfaltung wie auch Unvernunft der Reichen betrifft, wunderschön ausgestaltet. Rund um die Stadt befinden sich die schönsten Gärten, durch natürliche wie auch künstliche Bewässerungsanlagen bewässert, überreich an allen Arten von Bäumen und Früchten; sehr angenehm aufgrund des milden Klimas, der Fröhlichkeit der Vögel und der leuchtenden Farbenpracht der Blumen.“886 Die fruchtbare Lage Damaskus‘ war fester Bestandteil der Stadtbeschreibungen. Dennoch bleibt Burchards summarische Darstellung im Vergleich z.  B. mit der detail-

882 Ebd., 190. Unterstellt werden kann, dass auch Burchard das Attribut nobilissima vermutlich weniger im Sinne von altehrwürdig, sondern von prächtig und edel benutzt. 883 „Thus with its situation between the desert and the mountains, its fertile soil and abundant water, it was able to support human habitation on a scale which from the dawn of time has caused it to be regarded as a metropolis“, Elisséeff, Dimashk (1963), 278. 884 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 196. 885 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 22. 886 Etwas freier übersetzt aus Laurent, Thietmar (1857), 10: (…) dives supra modum, nobilibus et mirabilibus et diversis artificibus plena, agro tam consito quam sacionali, tam florido quam pascuo commodo delectabilis et opulenta, fontibus irriguis et aqueductibus artificiosis et admirandis super humanum cogitatum nobilitata. In singulis enim domibus et per singulos vicos natatoria vel lavatoria quadrata rotunda, iuxta luxum vel stulticiam divitum preparata mirifice. In circuitu autem civitatis orti amenissimi, irriguis et aqueductibus artificiosis vel naturalibus irrigati, omni genere vel specie tam lignorum quam fructuum uberrimi, temporis temperie, avium lascivia, omnium colorum florum purpura venustati.

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lierteren Stadtbeschreibung Thietmars, der neben einzelnen Gebäuden auch auf die Einwohner und das Essen eingeht, auffällig. Abgesehen von der Pracht und der hervorragenden Wasserversorgung hat Damaskus bei Burchard kein eigenes Profil. Neben den fehlenden Hinweisen auf die Residenz- und Hauptstadtfunktion sind ihm Handel, Einnahmen, strategische Lage und Verbindungswege von nachgeordneter Bedeutung. Dabei war Damaskus seit alters her Umschlagplatz für den Fernhandel, da es an der strategisch wichtigen Karawanenroute nach Mekka lag.887 Es war nicht nur ein bedeutendes Emporium von Waren aus Persien, Mesopotamien, Arabien und auch Indien.888 Eine Reihe von Exportartikeln wie Stoffe (Seide und Brokate), Waffen (Damaszener Klingen), Früchte, Lebensmittel und Süßigkeiten wurden in Damaskus selbst erzeugt.889 Auf die Lage der Stadt geht Burchard kaum ein, Distanzangaben zu Jerusalem und Akkon schiebt er nach. Eigenartig ist auch das völlige Fehlen christlicher Bezüge zu Damaskus,890 wie das Damaskuserlebnis des Saulus.891 Dass Burchard mit der ‚berühmten‘ Stadt nicht mehr verband, als er hier niederlegte, ist kaum anzunehmen. Mangels christlicher Vergleichsberichte ist jedoch nicht festzustellen, inwieweit christliche Bezüge zu Damaskus zur Reisezeit Burchards vorausgesetzt werden können, denn auch Thietmar erwähnt den Schrein von Johannes dem Täufer nicht. Aufgrund Burchards spärlicher Angaben ergeben sich kaum Hinweise auf seine Aufenthaltsbedingungen, seine Begleitung und das genaue Anliegen seines Besuches. Möglicherweise hielt er sich vornehmlich in den Außenbezirken der Stadt auf, wo sich die herrschaftlichen Landvillen befanden. Eventuell suchte Burchard das Herrschaftszentrum im Westen von Damaskus gar nicht auf, was nicht bedeuten muss, dass ihm der Zutritt grundsätzlich verwehrt blieb. Saladin selbst zog ja erst im Laufe des Jahres 1176 in die Zitadelle der neu eroberten Stadt. Da sich Saladin bis zum Frühjahr 1176 in Damaskus aufhielt, ist von einer geplanten Zusammenkunft auszugehen.892 Ob

887 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 22; Leder, Damaskus (2005), 234; Fink, Role (1959), 45. 888 Byrne, Trade (1920), 218. 889 Bianquis, Damas (2000), 50  f.; Glaube, Damaskus (2008), 190; Karte mit Verzeichnis der Handwerker zur Zeit Nūr ad-Dīns ebd., 192; Byrne, Trade (1920), 218; Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 188. 890 Vgl. dagegen die Beschreibung bei Thietmar, Laurent, Thietmar (1857), 9–12. 891 Apg 9, 3–29; Gal 1, 16; Hengel/Schwemer, Paulus (1998), 60–139; Schwemer, Christen (2011), 170– 173. Der Namenswechsel vom Saulus zum Paulus ist im Neuen Testament nicht belegt, nach Apg 13, 9 trug er einen Doppelnamen, der je nach Adressatenkreis gewählt wurde. Im Haus des Hananias erhielt Paulus sein Augenlicht zurück, wo seit dem ersten Jahrhundert im Bezirk Bab Scharqi (Östlicher Tor) die Ananiaskirche steht. 892 „Après avori confié Hama à son oncle al-Harimi, Homs à son cousin Nasir al-Din et Baalbek à l’émir Ibn al-Muqaddam, Saladin regagna Damas, le 23 mai 1175, et accorda à ses troupes quelques mois de repos. Les émirs égyptiens rentrèrent chez eux pour prélever leur part des récoltes et luimême resta à Damas jusqu’au printemps 1176“, Eddé, Saladin (2008), 93. Saladin soll sich öfter bei Usama ibn Munqidh aufgehalten haben, den er anläßlich der Eroberung von Damaskus an seinen Hof bestellte, Cobb, Usama ibn Munqidh (2005), 56–59. Anfang September 1176 heiratete Saladin in

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Burchard den ‚König von Babylon‘ und ‚Herren von Damaskus‘ auch zu Gesicht bekam, bleibt geheim, doch spricht grundsätzlich nichts dagegen.893 III.1.8 Saidnaya894 Während seines Aufenthalts in Damaskus besuchte Burchard den Ort Saidnaya, ca. 20–30  km nördlich von Damaskus im Qalamumgebirge (1500  m über dem Meeresspiegel) gelegen.895 Die Entfernung von Damaskus nach Saidnaya gibt er mit drei oder vier Meilen an, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass hier ursprünglich eine

Damaskus die Witwe Nūr ad-Dīns, Ismataddīn Khātūn; im selben Monat kehrte Saladin nach Kairo zurück, Möhring, Saladin (2005), 63; Ibn al-Athir, Chronicle. Ed. Richards (2007), 241. 893 Aus dem völligen Übergehen dieser Informationen kann erwogen werden, dass Burchard diese Nachrichten einem anderen (mündlichen) Bericht anvertraute. 894 Die modernen Schreibweisen dieses Ortes sind vielfältig: Sayyidnaya, Saidnaiya, Saydnaya, Seidnaya, Seyd Naya, Said Nâya u.  a. Mittelalterliche und frühneuzeitlichen Quellen geben den Namen mit Sardenai, Sardenal, Sardinella u.  a. wieder, vgl. Immerzeel, Monastery (2007), 13. Der Name bedeutet Stätte unserer Herrin, wird aber nicht unbedingt auf das Kloster zurückgeführt. In der ältesten Tradition lautet der Name Sad Manaia und bezeichnet ein Jagdgebiet (vielleicht dort, wo sich der Legende nach eine Gazelle aufhielt, die Justinian den Ort für den Kirchenbau anzeigte), http:// antiochpatriarchate.org, siehe Anm. 899. 895 In der Umgebung Saidnayas befindet sich gemäß der Tradition das Grab Abels, in der Nähe wurde auch der Geburtsort Abrahams vermutet; nicht weit entfernt liegt der Ort, an dem Elias in den Himmel aufgefahren sei. Mehrfach wird er in der Bibel (I Kön 19,15) erwähnt. Schon zu Paulus‘ Zeiten nahmen die Bewohner den christlichen Glauben an, früh wurde Saidnaya ein religiöses Zentrum mit mehreren Kirchen und Klöstern, darunter das Ephraimkloster und das Cherubimkloster, welche beide aus byzantinischer Zeit stammen. Die Ursprünge des Marienklosters werden ebenfalls in byzantinischer Zeit vermutet. Der Legende nach soll Kaiser Justinian 547 das Marienkloster gegründet haben, wofür aber keine archäologischen oder historischen Belege vorliegen, Hamilton, Lady (2000), 207; Pringle, Churches II (1998), 219–221. Ebenso ist die häufig zu findende Identifizierung des Ortes mit dem seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. besiedelten Danuba, in hellenistischer Zeit Hauptort der Region Abilene, obsolet. Die Einwohner waren im 12. Jahrhundert überwiegend griechisch-orthodox, daneben lebten v.  a. syrisch-orthodoxe und andere Orientchristen an dem Ort, Bacci, Space (2006), 4. Aufgrund der geschützten und abgeschiedenen Lage des Klosters blieben Ort und Kloster während der Kreuzzüge verschont, lag es doch weit von den christlichen Herrschaften entfernt. Bis heute wird hier aramäisch gesprochen. Die Umgebung Saidnayas wird als besonders fruchtbar beschrieben. „Even if it was only ten or twelve miles far from the Syrian capital (…), the landscape was completely different. Instead of a desert and plain place, they (die Pilger) saw abundant vegetation and water (…) Westerners noticed and appreciated the great deal of vineyards encircling the built-up area (…)“, Bacci, Space (2006), 4. Heute ist Saidnaya ein Zufluchtsort verfolgter Christen jeglicher Konfession. In dem Ort mit 25 000 Einwohnern stehen über 40 Kirchen. 2014 wurde das Kloster im syrischen Bürgerkrieg schwer beschädigt, ein Angriff erfolgte auch auf das hoch über der Stadt gelegen Cherubimkloster und die monumentale Christusstatue. Zum Ort und Kloster siehe Burns, Monuments (2009), 276  f.; Pitard, Damascus (1987), 150; Porter, Damascus (1855), 340–348.

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andere Zahl, z.  B. VI oder VII zu lesen war.896 Saidnaya war von Christen bewohnt, die Stadt beschreibt Burchard jedoch nicht näher. Grund für diesen Abstecher war offensichtlich der Besuch des von zwölf Nonnen und acht Mönchen bewohnten Marienklosters und der dazugehörigen Kirche am Berghang oberhalb der Stadt (in rupe).897 Spätmittelalterliche Darstellungen und Abbildungen zeugen von einem festungs­ artigen massiven Bau, der in ähnlicher Form noch heute besteht.898 Wie in Mataryia handelte es sich um einen multireligiösen Wallfahrtsort, der gleichermaßen für Christen, Muslime und Juden von Bedeutung war.899 Welcher Konfession die Mönche und Nonnen angehörten, ist nicht eindeutig. Burchard macht dazu keine Angabe. Meist werden sie als Melkiten bestimmt.900 896 A Damasco ad IIII miliaria est locus quidam in montibus situs. Die Angabe spricht für eine kurze Reisezeit oder für Schwierigkeiten der Einschätzung aufgrund des Geländes, sofern die Angabe von Burchard selbst stammt, vgl. die Meilenangaben in III.1.1 und 1.2. Der Missionar und Orientreisende Josias L. Porter gibt im 19. Jahrhundert die Reisezeit von Damaskus mit vier Stunden und zwölf Minuten an, Porter, Damascus (1855), 341. Aufgrund der Entfernung von Damaskus ist anzunehmen, dass Burchard sich in Saidnaya länger als einen Tag aufhielt. 897 A Damasco ad tria miliaria est locus quidam in montibus situs, qui Saydaneia vocatur et a Christianis inhabitatur, et est ibi ecclesia in rupe sita et in honore beate Virginis Marie dedicata, in qua moniales virgines duodecim et monachi octo assidue Deo et beate Virgini serviunt. 898 Ludolf von Sucheim schildert den Bau um 1350: In hoc monte petroso Seyr seu Sardenay pulchrum monasterium in honorem sanctae Mariae est factum, super petram in loco fortissimo constructum, ut castrum muris fortissimis unique munitum, Ludolf von Suchem, De itinere. Ed. Deycks (1851), 99. Ähnlich schildern ihn auch die italienischen Besucher Giorgio Gucci und Lionardo Frescobaldi, Pellegrini. Ed. Lanza/Troncarelli (1900), 210; 299; Bacci, Space (2006), 5, und 500  Jahre später dann Porter: „The position and aspect of this building more nearly resemble those of a feudal castle of the middle ages than a peaceful retreat of piety and virtue. The lofty massive walls stand on the summit of a scarped rock; and the only mode of access is by a winding staircase hewn out in its side, which leads to a narrow door plated with iron and studded with large nails“, Porter, Damascus (1855), 341. Nur kurze Zeit nach der Niederschrift dieser Beschreibung wurden christliche Bauwerke in der Gegend und auch das Kloster 1860 massiv zerstört, die mittelalterliche Kirche blieb aber erhalten. Zur Baugeschichte und den Zerstörungen des Klosters siehe Immerzeel, Monastery (2007), 18–20 und http:// antiochpatriarchate.org/en/page/our-lady-of-saydnaya-patriarchal-monastery/146/. 899 Noch heute kommen neben den unterschiedlichen Christen auch Muslime an diesen Ort, antiochpatriarchate.org. Einen aktuellen Report bietet William Dalrymple, Dalrymple, Mountain (1994). Gemäß der Erzählung gründete Kaiser Justinian 547 das Kloster, als er auf seinem Feldzug gegen die Perser durch Syrien marschierte. Auf der Suche nach Wasser für seine Truppen verfolgte er eine Gazelle, die ihn zu einer Quelle führte. Als Justinian das Tier erlegen wollte, verwandelte es sich in eine leuchtende Ikone der Mutter Gottes und sprach ihn an, er möge hier eine Kirche errichten. Noch einmal erschien ihm die Gazelle im Traum, um ihm den Plan der zu errichtenden Kirche mitzuteilen. Nach einer weiteren Tradition soll eine Witwe aus Damaskus das Kloster als Einsiedelei gegründet haben. 900 So bei Abū l-Makārim, siehe Anm. 945. Von einer mulier suriana und syrischen Christen im Ort berichtet Guy Chat 1186, Devos, Versions (1947), 272; Bacci, Space (2006), 5. In seiner Wiedergabe der Legende beauftragte eine syrische Äbtissin einen griechischen, moralisch unbeständigen Mönch mit der Beschaffung der Ikone, was nach Michele Bacci auf einen direkten Kontrast beider Glaubensgemeinschaften hindeutet. „What should retain our attention here is that, notwithstanding the presence of Greek calogeri inside the monastery, only the Syrian nuns were entitled to manage the shrine and

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Abb. 15: Saidnaya, Miniatur aus Ms. Egerton 1900, f. 94r (1467), London, British Library. http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ record.asp?MSID=7667, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

Gleich zu Beginn schildert Burchard die Hauptattraktion des Klosters: Eine Ikone mit dem Bild der Gottesmutter, welches auf „wundersame Weise“ (quod dictu mirabile est) zu Fleisch geworden ist und heilbringendes, wie Balsam duftendes Öl absondert.901 Angebracht sei sie hinter dem Altar mit Gitterstäben in einem Fenster in der the cult-practices taking place there“, ebd., leider ohne nähere Quellenangabe. In Burchards Schilderung hingegen ist eine nicht näher definierte männliche Person für das Heiligtum zuständig: Oleum vero illud a christiano religioso conservatur (…). Da der Terminus suriani meist für griechisch-orthodoxe Christen verwandt wurde, scheint eher unwahrscheinlich, dass es sich um Jakobiten handelte, siehe Kapitel III.1.7 Anm. 810. 901 Die Ikone ist in keiner Quelle genau beschrieben. Nach Aussage späterer Reisender ist hier die Maria lactans abgebildet, schon Guy Chat berichtet davon: (…) ex uberibus eius liquor quidam emanat, in similitudinem olei, qui postmodum in carnem vertitur, Devos, Versions (1947), 273. So auch Ludolf von Sucheim, obwohl er kaum noch etwas zu erkennen vermochte: sed est tam nigra prae vetustate et osculis effecta, quod vix imago discerni potest, sed modicum rubei coloris adhuc cernitur in vestimentis depictis (…), Ludolf von Suchem, De itinere. Ed. Deycks (1851), 99. Bekannt ist die Ikone unter dem syrischen Namen Chaghoura oder Chahoura (‚die Berühmte‘; ein arabisches Lehnwort von Chahira oder el-Mashhura). Auch das Kloster ist in der Region unter dem Namen Deïr aš-Šāgūra bekannt, Peeters, Saïdnaia (1906), 137. Neben der Ikone mit der Mutter Gottes befanden sich zahlreiche weitere Ikonen in der Kirche, die zudem reich ausgemalt war, Immerzeel, Monastery (2007), 13; antiochpatriarchate.

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Mauer der Sakristei.902 Die ständig ausfließende Substanz – das heilige Öl – komme Gläubigen aller Religionen zugute, die hier zusammenströmen, um von ihren Leiden befreit zu werden: De quo oleo multi Christiani, Sarraceni et Iudei de diversis languoribus sepe liberantur.903 Doch wage niemand, die Ikone zu berühren.904 Hauptzeit der Verehrung ist an Mariä Himmelfahrt und Mariä Geburt.905 Burchard will die hoch verehrte Ikone mit eigenen Augen gesehen haben (vidi), was er durch genaue Maßangaben und die Schilderung in der ersten Person bekräftigt: Sie sei eine Elle lang und eine halbe breit.906 Seine Größenangabe lässt sich nicht am Objekt verifizieren, da nicht einmal sicher ist, ob die Ikone noch existiert.907 In der zeitnah entstandenen Schilderung Abū l-Makārims sind kleinere Maße angegeben, welche denen von Burchard nahe kommen, wenn man bedenkt, dass es sich in beiden Fällen um Schätzungen mit variablen Maßen handelt.908 Spätere Besucher

org. Das Motiv war in Syrien und dem Libanon beliebt, generell spielten stillende Frauen in der traditionellen Ikonographie von Christen und Muslimen dieser Region eine große Rolle. Zur Bedeutung des Motivs der Maria lactans oder galaktotrophousa: Immerzeel, Monastery (2007), 16; Hunt, Prayer (1991), 117–119; Bacci, Space (2006), 8 mit weiteren Literaturangaben; Vasilakē, Images (2005); Abbildungen stillender Mutterfiguren aus ayyubidischer Zeit in Makariou, Orient (2001), 156. 902 Retro altare in muro sanctuarii in fenestra positam, et ferro laqueariter cancellatim firmatam. 903 Wie dies genau geschah, berichtet erst der flämische Pilger Bertrandon de la Broquière im Jahr 1432/1433. Das Öl wurde in kleinen Mengen auf die Haut aufgetragen, aber nicht getrunken: Là vint une femme qui me voult faire la croix sur le front, aux temples et en la poitrine qui, à tout ung cuillier d’argent, mesla lesdictz drapeaulx et me samble que c’est ung pratique pour avoir argent, non obstant que je ne veulx point dire que Nostre Dame n’ait plus grant puissance que ceste air, Bertrandon, Voyage. Ed. Schefer (1892), 65  f. 904 Nec predicta tabula a quoquam tangi audetur, videri autem omnibus homninibus conceditur. Devos sieht in dieser Bemerkung einen Widerhall der in der Legende beschriebenen Diebstahlversuche, Devos, Versions (1947), 271. 905 Ad illum locum in assumptione gloriose Virginis et in festo nativitatis sue omnes Sarraceni illius provinicie una cum Christianis causa orandi confluunt, et Sarraceni ceremonalia sua illuc offerunt cum maxima devotione. 906 (…) ad mensuram unius ulne longam et latam ad modum dimidie ulne. Eine Elle entspricht ca. 50 cm. Die gleichen Maße gibt der anonyme Fortsetzer der Chronik Wilhelms von Tyrus an, dessen Beschreibung Burchards Bericht sehr ähnelt, Itinéraires. Ed. Michelant/Raynaud (1882), 173. Anders Mat Immerzeel, der in seiner Berechnung von einem späteren und zu großen Ellenmaß ausgeht, vgl. Immerzeel, Monastery (2007), 18 Anm. 29.; zum Aussehen der Ikone auch Bacci, Space (2006), 7 mit weiteren Quellenangaben. 907 „Though the icon is still purported to exist, it is nevertheless impossible to verify the factors, since scholars have no access to the icon. It is said to be kept in a metal box inside the chapel, but some believe the Chaghoura was lost centuries ago, a suspicion nourished by the stipulation that only the bishop and the abbess of the monastery are allowed to see it“, Immerzeel, Monastery (2007), 18; Peeters, Légende (1906), 157. 908 Nach Abū l-Makārim war die Ikone vier Finger breit, zwei Finger tief und einen Sheber (Handbreite) hoch. Bei einer Fingerlänge von ca. 9–10 cm schätzte Abū l-Makārim die Breite damit auf ca. 40 cm, eine Handbreite beträgt ca. 15–18 cm, vgl. Immerzeel, Monastery (2007), 17  f. Die Beobachtungen gehen möglicherweise auf Amba Michael, Bischof von Damiette, 1184 zurück, Nasrallah, Vierge

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geben an, eine weitaus größere Ikone gesehen zu haben. Allerdings präsentierte sich diese nur noch in verhülltem Zustand: „all of the later visitors witnessed that it was almost impossible to see it“.909 Angefertigt wurde die Ikone nach Burchards Informationen einst in Konstantinopel. Von dort überführte sie ein nicht näher benannter Patriarch nach Jerusalem,910 wo sich die Äbtissin des Saidnayaklosters das Bild erbat und es in das Kloster brachte. Das Wunder des austretenden Öls ereignete sich nach Burchards Angabe aber erst nach Erwerb der Ikone: Sed postea per multa tempora cepit oleum sacrum ex ea manare. Wann dies genau geschah, teilt er nicht mit. Hingegen war das Jahr für den Erwerb der Ikone im Autograph des Burchardberichtes präzise angegeben, doch ist die ursprüngliche Jahreszahl aufgrund der differierenden Angaben in den Textzeugen nicht mehr eindeutig zu ermitteln. Arnold und die vatikanische Handschrift datieren das Jahr der Translation der Ikone nach Saidnaya in das Jahr 870, die Wiener Handschrift und die Kurzfassungen in das Jahr 370, die Münchener Fragmente geben das Jahr 178 an. Keine der Zahlen lässt sich durch unabhängige Quellen bestätigen, da die Jahresangaben auch in den wenigen weiteren arabischen und lateinischen Zeugnissen der Legende variieren.911 In den Hyparchetypen des Burchardberichtes hat mit höherer Wahrscheinlichkeit das Jahr 870 gestanden, da in den Textzeugen, welche das Jahr mit 370 anzeigen, der Angabe anno incarnationis das Wort Domini (D) hinzugefügt ist. Die Variante der Kurzfassungen und der Wiener Handschrift sind aber nicht grundsätzlich auszuschließen, da umgekehrt auch das D(omini) zur Jahreszahl werden konnte. (1988), 249; Zayat, Histoire de Saidanaya (1932). Troupeau schreibt die Informationen Ali b Ubayd, dem nestorianischen Bischof von Damaskus zu, Troupeau, Eglises (2005), 577. Das Material sammelte Abū l-Makārim im Zeitraum zwischen 1171 und 1184, zu Abū l-Makārim siehe Kapitel III.1.2 Anm. 321. 909 Bacci, Space (2006), 6; Immerzeel, Monastery (2007), 17  f. Bestätigt wird die Echtheit der Ikone in anderen lateinischen Darstellungen nicht nur durch Augenzeugenschaft, sondern mit dem Hinweis auf einen Bruder Thomas, der die Ikone direkt berührt habe, Peeters, Légende (1906), 155; Pringle, Churches  II (1998), 220; Hamilton, Lady (2000), 214. Die Referenz zum ungläubigen Thomas lässt zweifeln, ob es sich um eine reale Person handelt, wie in der Forschung angenommen. 910 Nota, hec tabula Constantinopoli primo facta et depicta fuit in honore beate Virginis. Inde a quodam patriarcham in Ierusalem perducta fuit. Unklar bleibt, ob der Patriarch von Konstantinopel oder von Jerusalem gemeint ist. 911 In der heute verbreiteten Tradition des Klosters wird der Erwerb der Ikone ins Ende des achten Jahrhunderts datiert. Immerzeel geht von einem hohen Alter der Ikone aus, da Berichte aus dem 14. Jahrhundert vom schlechten Zustand der Ikone zeugen, Immerzeel, Monastery (2013), 16. Das Bild der Gottesmutter sei kaum mehr zu erkennen, die Ikone nurmehr ein dunkles Stück Holz, so Wilhelm von Boldensele und Ludolf von Sucheim, Wilhelm von Boldensele, Reise. Ed. Grotefend (1852), 284  f.; Ludolf von Suchem, De itinere. Ed. Deycks (1851), 99; siehe Anm. 8. Abgesehen vom natürlichen Prozeß des Nachdunkelns des Holzes und des Verblassens der Farben je nach Lichteinfall, kann auch das „Wunder der Fleischwerdung“ und der Absonderung des Öls für den Zerfall verantwortlich sein. Schwitzwasser, feuchte Umgebung und schleimbildende Bakterien (Pseudomonas) bieten eine Erklärung für beide Phänomene. Möglicherweise steht auch die dem Öl zugeschriebene Heilkraft mit bestimmten Organismen in Verbindung, da manche Pilze antibiotisch wirken.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Die Frage nach dem ursprünglich zu lesenden Datum hängt eng mit der Frage nach Burchards Vorlage zusammen, konnte bislang jedoch nicht zufriedenstellend geklärt werden, zumal alle weiteren Darstellungen der Legende späteren Datums sind. Paul Devos davon aus, dass Burchard eine schriftliche Vorlage benutzte und die Angabe eines arabischen „Prototyps“ seiner Zeitrechnung anpasste.912 Seine These stützt er auf eine arabische Version der Legende, in der das Translationsdatum der Ikone in der Zeitrechnung nach Alexander dem Großen mit 1370913 angegeben ist, was in der Übertragung in die christliche Zeitrechnung mit dem Jahr 1059 wiedergegeben werden müsste.914 Aufgrund der Ähnlichkeit der lateinischen Schreibweisen der Zahl MCCCLXX mit CCCLXX oder DCCCLXX können die Zahlenangaben der Burchardtextzeugen gut auf diesem arabischen „Prototyp“ basieren. Bei dieser auf den ersten Blick einleuchtenden Argumentation ist jedoch Vorsicht geboten. Probleme bestehen darin, dass die bislang bekannten arabischen und auch anderssprachigen Quellen nicht nur allesamt späteren Datums sind, sondern auch unterschiedliche Jahreszahlen für den Erwerb der Ikone sowie den Beginn des Wunders angeben. In arabischen Texten sind ebenso 1202915 oder 1373916 nach Alexander dem Großen als Jahreszahl des Erwerbs (= 901 bzw. 1061 n. Chr.) zu lesen; eine lateinische Redaktion von Beginn des 13. Jahrhunderts nennt dagegen nur den ungefähren Zeitraum von CCC aut plus anni impleti quum primum relevata est ista yconia gloriosa917 für den Beginn des Wunders. Ausgehend von Burchards Besuchsjahr lag das Jahr 870 305 oder 306 Jahre zurück. Diese Differenz lässt sich mit den genannten CCC aut plus anni in Verbindung bringen, auch wenn hier einmal der Erwerb und einmal der Beginn der Wundertätigkeit bezeichnet werden. Der Erwerb der Ikone im späten neunten Jahrhundert nach Ende des Bilderverbots (843) ist durchaus denk912 Devos, Versions (1947), 271. In der Einschätzung der Handschriften folgt Devos dem Urteil Paul Lehmanns, der die Wiener Handschrift als besten Textzeugen ansah, ebd., 262. 913 Diese Angabe begegnet in einer Abschrift aus einem Manuskript von 1849, kollationiert mit einer Abschrift von 1501, welches Louis (eigentlich Rizq Allāh) Cheïkho herausgegeben hat, Cheïkho, Histoire (1905), 466 (auf arabisch); übersetzt bei Peeters, Légende (1906), 152  f.: Anno Alexandri MCCCLXX ad sacratum hunc locum advenit ex urbe Constantinopoli episcopus quidam nomine Maximus… erat porro hoc tempore (ecclesiae) praefectus Johannes quidam. Hic episcopum consuluit de transferenda imagine ex hoc loco in alium locum. Quod ei permisit episcopus et delibata benedictione abiit in regionem suam laudans Deum. Laut Paul Devos geht diese Version auf eine Vorlage des 13. Jahrhunderts zurück, Devos, Versions (1947), 245; 271. Daniel Baraz hat große Ähnlichkeiten dieses Typs zu dem bislang frühesten arabischen Zeugnis der Legende aus dem Jahr 1183 festgestellt, welches bislang jedoch nicht ediert ist. „The two are almost identical, in the legend as well as in the introductory and concluding homiletic passages“, Baraz, Icon (1995), 184  f. 914 Devos, Versions (1947), 271. 915 Abou Samra, Pilgrimage (2007), 649; weitere Texte ebd., 653–655; Devos, Versions (1947), 251; 271  f. 916 So in anderen Abschriften, Abou Samra, Pilgrimage (2007), 655; Devos, Versions (1947), 271 Anm. 1; Cheïkho, Histoire (1905), 465 Anm. 2 (auf arabisch); Cerulli, Libro (1943), 236; 240. Es begegnet auch das Jahr 1363, Abou Samra, Pilgrimage (2007), 655. 917 Devos, Versions (1947), 249; 251.

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bar.918 Die Legende kann dahingehend interpretiert werden, dass die Ikone während des Ikonoklasmus fernab von Konstantinopel in Sicherheit gebracht wurde.919 Es ist also gut möglich, dass Burchard das Jahr 870 mitgeteilt wurde bzw. er es so verstand oder selbst umrechnete. Da Burchards Darstellung in anderen Punkten deutlich von den übrigen Versionen der Legende abweicht, spricht insgesamt wenig dafür, dass er die Zahl aus einer schriftlichen Vorlage übernahm. Burchards Bericht über die Ikone ist der älteste erhaltene Nachweis des hier stattfindenden Kultes überhaupt,920 was bislang aber wenig gewürdigt wurde.921 Die zeitlich nächste Darstellung fand Daniel Baraz in einem in das Jahr 1183 datierten arabischen Manuskript aus dem Sinaikloster.922 Auf das Jahr 1184 geht dann eine Beschreibung der Ikone bei Abū l-Makārim zurück.923 Den nach Burchard nächsten

918 Zum Bilderstreit siehe zuletzt Brubaker, Iconoclasm (2012); Dies./Haldon, Byzantium (2011); ­Giakalis, Images (2005). 919 Die These Devos‘, dass die Ikone 1059 erworben wurde, kann beim jetzigen Forschungsstand nicht widerlegt werden, doch ergeben sich neben der Quellenlage auch aus dem historischen Kontext Zweifel an dem Datum. Eher erscheint der Beginn des Heilskultes zu diesem Zeitpunkt plausibel, wie auch Bernard Hamilton vermutet, siehe Anm. 949. 920 Bacci, Space (2006), 3; Hamilton, Lady (2000), 207; Devos, Versions (1947), 246; Raynaud, ­Miracle (1882), 520  f. 921 Die erste quellenkundliche Untersuchung der Schriften zu Saidnaya stammt von Gaston Ray­ naud, der das Miracle de Sainte Marie der Sardenai publizierte und Burchard auch als älteste Quelle nennt, Raynaud, Miracle (1882); Ders., Miracle (1885). 1905 gab Louis Cheïkho eine anonyme arabische Homelie heraus, Cheïkho, Histoire (1905). Die erste Untersuchung des Abschnitts des Burchardberichtes bezüglich Saydnaia geht auf Paul Peeters zurück, der Burchards Bericht v.  a. aufgrund seiner Beschreibung Bosras für eine Fälschung späteren Datums und die Passage über das Kloster für eine Interpolation hält, Peeters, Saïdnaia (1906), 138–147. „Le moins qu’on en puisse conclure, c’est que cette pièce, qui fut certainement falsifiée au cours des siècles suivants, l’avait déjà été une première fois dans son plus ancien exemplaire connu. Cet explication ne manquera pas de devenir embarrassante quand il s’agira de savoir quelle figure avait le texte antérieur à l’interpolation“, ebd., 141. Ähnlich lautet das Urteil von Paul Devos. Auch er geht nicht von einer auf Augenzeugenschaft entstandenen Darstellung aus. „Le passage relatif à Saïdnaia (…) échappe-t-il à la présomption de démarquage qui pèse sur l’ensemble? Présente-t-il le caractère d’un témoignage autorisé? Peu vraisemblable a priori, la supposition se révèle insoutenable à l’épreuve“, Devos, Versions (1947), 262. In den neuesten Untersuchungen von Daniel Baraz und Gaby Abou Samra wird Burchard nicht genannt. Baraz gibt den Bericht des Guy Chat als den ältesten an, Baraz, Icon (1995). Abou Samra hält Thietmar für den ersten lateinischen Besucher, Abou Samra, Pilgrimage (2007), 661; 668. Studien mit anderem Schwerpunkt zitieren Burchard als früheste Quelle, gehen der Frage nach der Authentizät seiner Darstellung aber nicht nach, Immerzeel, Monastery (2007); Bacci, Space (2006); Kedar, Convergences (2001); Hamilton, Lady (2000). 922 Enthalten in Mt. Sinai Ar. 585 (ff. 50r–59v), Baraz, Icon (1995), 183; Atiya, Manuscripts (1955). Der Bericht wurde bis dahin wenig beachtet und nicht in die Quellendiskussion miteinbezogen. Abou Samra vermutet hinter dem arabischen Text eine syrische Vorlage, Abou Samra, Pilgrimage (2007), 655–658. 923 Siehe Anm. 909.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

lateinischen Text über die Legende verfasste Guy Chat,924 der 1186 im Auftrag von Aimery le Brun925 eine Phiole des heiligen Öls nach Europa ins Kloster von Altavaux brachte. Allem Anschein nach besuchte Guy das Kloster nicht selbst, sondern erhielt das Fläschchen in Jerusalem von Aimery.926 Beschafft hatte es der Tempelritter Walter von Marengiers, welcher, 1185 aus der Gefangenschaft entlassen, in Saidnaya Station machte.927 Neben der Darstellung Guy Chats existieren weitere lateinische Schilderungen des Wallfahrtsortes, welche Saidnaya nun oftmals als Pilgerort der Templer (und auch weiterer Ritterorden) hervorheben, da diese den Kult förderten, indem sie die Legende und das Öl publik machten.928 Auf Grundlage der bereits bekannten Erzählungen verarbeitete Gautier de Coincy die Legende in seinem Gedicht Le miracle de Sainte Marie de Sardenai.929 Besonders ab Mitte des 13. Jahrhunderts fand die Legende weite Verbreitung; im Spätmittelalter wurde Saidnaya zu einem häufig besuchten Wallfahrtsort.930 924 Ediert bei Devos, Versions (1947), 272  f. 925 Aimery (Aimeric) le Brun (Graf von Montbrun) hatte 1178/1179 das Kloster Altavaux (HauteVienne) gegründet, 1186 ließ er ein neues Gebäude und auch die Kirche errichten, Documents. Ed. Leroux/Molinier/Antoine (1883), 81. Ob er 1179 im Gefolge des Vizegrafen Adhémars  V. von Limoges zu einer Pilgerfahrt nach Jerusalem aufgebrochen war, ist nicht gesichert, zumal Adhémar schon Weihnachten wieder zurück war, Roblin, Recueil (2009), 210  f., so aber Paul, Footsteps (2012), 132; zur Beteiligung des Adels des Limousin an den Kreuzzügen siehe Mayer, Geschichte (2005), 34  f.; 55. 926 Dem Eintrag in das Reliquienregister von Altavaux zufolge brachte er das Öl aus Jerusalem mit, eingetragen allerdings schon im Jahr 1182: Postea vero, Aimericus Bruni misit de Jherusalem in Altasvalles de oleo quod ex uberibus imaginis sancte Dei genitricis emanat, de oleo tumuli sancte Katerine, virginis et martyris, per manum Guidonis Chati, Documents. Ed. Leroux/Molinier/Antoine (1883), 84; Kedar, Convergences (2001), 93; Hamilton, Lady (2000), 211. Die Legende gibt er mit einigen Abweichungen wieder und schreibt anstelle einer Ikone von einer Skulptur (yconia sculpta), Devos, Versions (1947), 272; 274. 927 Walter von Marengiers kam anläßlich des Waffenstillstands zwischen Raymond von Tripoli und Saladin 1185 frei, von der Wallfahrtsstätte dürfte er während der Kriegszüge erfahren haben, Devos, Versions (1947), 273; 275–278. 928 Bacci, Space (2006), 2  f.; Kedar, Convergences (2001); Hamilton, Lady (2000). Nach Walter von Marengiers beförderte namentlich Roger Wendover den Kult, Hamilton, Lady (2000), 210  f. Im 13. Jahrhundert wurde Saidnaya neben Jerusalem und dem Katharinenkloster oftmals als dritter Pilgerort genannt, auch nach 1291 blieb es beliebtes Pilgerziel europäischer Reisender, ebd., 212. Eine Kopie der Ikone ist später von den Johannitern auf Malta bezeugt, ebd., 214. 929 Raynaud, Miracle (1882); Gautier der Coinci, Miracles. Ed. Benoit (2007); Liste mit Quellen bei Jonas, Moine (1959), 12–14. Das Gedicht entstand nach 1223, ebd., 16. Ein weiteres, früheres anonymes Gedicht ist ediert bei Raynaud, Romania XI (1882), 519. Auch Gautier hebt die Rolle der Templer hervor: „Beaucoup de valeureux et sages templiers qui sont revenus au pays m’ont souvent raconté et expliqué qu’ils avaient réellement vu l’icône et recueilli la liqueur: ils emportaient celle-ci dans leurs logis et la gardaient dans de précieux reliquiaires“, Gautier der Coinci, Miracles. Ed. Benoit (2007), 127. 930 Weitere Darstellungen finden sich u.  a. bei Jacques de Vitry und dem anonymen Fortsetzer Wilhelms von Tyrus auf Grundlage von Burchard, Itinéraires. Ed. Michelant/Raynaud (1882), 173  f.; bei

Reiseroute und Reisestationen 

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Während in Europa ab dem späten 12.  Jahrhundert eine Reihe von Darstellungen der Legende begegnen, stammt das nächste erhaltene arabische Manuskript erst aus dem Jahr 1232.931 Doch weisen die lateinischen Handschriften, darunter das Hamburger Manuskript der Peregrinatio des Thietmar,932 große Ähnlichkeiten mit den arabischen Versionen sowie auch untereinander auf.933 Aufgrund des frühen Entstehungsdatums stellt das von Baraz untersuchte Manuskript von 1183 den chronologischen missing link einer lange vermuteten arabischen Vorlage der lateinischen Berichte dar. Es enthält überdies als einzige arabische Quelle das Motiv der Fleischwerdung der Ikone, welches in allen späteren arabischen Abschriften fehlt, aber durchweg Bestandteil der lateinischen Versionen ist.934 Diese Referenz ist allerdings nicht Bestandteil des eigentlichen Textes und muss hinzugefügt worden sein.935 Dem Text selbst ist eine Homelie „syrischen Typs“ vorangestellt.936 Inhaltlich unterscheidet sich die Wiedergabe der Legende sonst nicht von den späteren Versionen. Nach Baraz kann das Fehlen der Fleischwerdung in den späteren arabischen Quellen mit der schwindenden Bedeutung dieses Aspektes erklärt werden. Den Hauptgrund sieht er aber im sozialen kulturellen Niveau des Kultes, das in den jeweiligen Darstellungen seinen Niederschlag findet: „The presence or absence of reference to the incarnation of the icon may be explained by the hypothesis that the differing versions belong to different strata of culture on the scale that goes from ‚learned‘ to ‚popular‘. The veneration of the incarnation of the icon belongs to the popular realm, and this element was adopted and further developed by the Europeans who witnessed and participated in the cult in the East. The Arabic versions may be more learned and elitist, and that may explain why this element is absent from them.“937

Matthias Paris, Roger von Wendover und Vincent de Beauvais auf Grundlage der auch bei Thietmar interpolierten Version, Vincent von Beauvais, Speculum (1624), XXXII, c. 66. Devos listet noch zehn weitere lateinische Handschriften mit einem Bezug zu Saidnaya auf, Devos, Versions (1947), 251  f., Anm. 2. Berichte über Besuche häufen sich ab ca. 1230, Angaben u.  a. bei Pringle, Churches II (1998), 219 und bei Nasrallah, Vierge (1988), 245. 931 Baraz, Icon (1995), 182; Nasrallah, Vierge (1988), 246 Anm 38. Obgleich alle nichtlateinischen Berichte über die Ikone jünger sind als die im Westen verfaßten Darstellungen, wurde in der Forschung bis dahin nach einer gemeinsamen östlichen – griechischen, arabischen oder syrischen – Vorlage gesucht. 932 Die Version bei Thietmar enthält noch einen Mirakelbericht von 1204, ediert nach Ms. II 1146 der Königlichen Bibliothek Brüssel bei Devos, Versions (1947), 253–256; Laurent, Thietmar (1857), 14–19. Zu Thietmar siehe ebd. und Kapitel VI, 2. 3. Peeters vermutet einen Lateiner als Urheber des Mirakels, da hier ein christlicher Soldat im Mittelpunkt steht, Peeters, Saïdnaia (1906), 153. 933 Abou Samra, Pilgrimage (2007), 653–655; Devos, Versions (1947), 251. 934 Baraz, Icon (1995), 183; Devos, Versions (1947), 257  f.; Cerulli, Libro (1943), 268; 273. 935 Baraz, Icon (1995), 184. 936 Ebd., 183. Cerulli unterschied die arabischen Darstellungen nach ihren Homelien in einen syrischen und einen koptischen Typ, Cerulli, Libro (1943), 288  f. 937 Baraz, Icon (1995), 185.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Neben den arabischen Texten sind aus dem 15./16. Jahrhundert äthiopische und koptische Versionen der Legende erhalten, welche ebenso wie die lateinischen auf dieser Version basieren;938 syrisch (-orthodoxe) Quellen existieren nicht.939 Im Unterschied zu Burchard fokussieren die lateinischen Darstellungen auf die Legende der Translation der Ikone. Anders als bei Burchard wird die Ikone meist nicht von einem Patriarchen940 nach Jerusalem gebracht und dann von der Äbtissin erworben, sondern im Auftrag der Äbtissin von einem aus Konstantinopel stammenden Mönch von Jerusalem nach Saidnaya transportiert. Die Wunderkraft der Ikone offenbart sich dabei schon auf dem Weg nach Saidnaya, da der Transfer mit diversen Komplikationen verbunden ist.941 Fester Bestandteil der Erzählungen sind konkrete Beispiele der von der Ikone bewirkten Mirakel, auf die Burchard in seiner knappen Darstellung komplett verzichtet. Parallelen zu Burchard bestehen im Transfer der Ikone von Jerusalem nach Saidnaya,942 die von ihm geschilderte Version der Legende begegnet aber nur hier.943 Dass Burchard sein Wissen aus einer schriftlichen Vorlage bezog, ist auf Grundlage der bekannten Quellen nicht nachweisbar. Ihn interessierte die Legende insgesamt eher wenig, das Wunder selbst scheint ihm suspekt. Zumindest erstaunt ihn die fortdauernde Produktivität der Ikone, deren Öl niemals abnimmt.944 Ob er selbst mit dem Öl in Berührung kam oder gar eine Phiole erhielt, bleibt unklar. Am meisten Aufmerksamkeit widmet er der Tatsache, dass 938 Diese sind Übersetzungen der arabischen Versionen, ebd., 186–188; Devos, Versions (1947), 248; Cerulli, Libro (1943). 939 Weltecke, Loca (2012), 80; Peeters, Saïdnaia (1906), 137. 940 Siehe aber Peeters, Légende (1906), 152  f. 941 Abgesehen von kleineren Varianten wird die Legende inhaltlich recht konform wiedergegeben: Um sich für die Gastfreundschaft im Kloster zu revanchieren, zieht der Mönch nach Jerusalem, um die Ikone zu erwerben. Doch vergisst er zunächst seinen Auftrag und wird dann von Banditen und wilden Tieren angegriffen. Da ihn die Ikone vor allem Übel bewahrt, beschließt er, sie selbst zu behalten und am Kloster vorbeizuziehen. Von höheren Mächten an der Heimreise gehindert, liefert er sie schließlich doch im Kloster ab. Auch dort wird er noch einmal versucht, nun aber spricht das Bild (oder eine andere Stimme) ihn persönlich an. Der Mönch (oder Kaufmann bei Guy Chat) und die Äbtissin (oder Eremitin) werden schon in der arabischen Version mit den Namen Theodor und Marina versehen. Erst im Kloster ereignet sich dann das Ölwunder, eine zeitliche Differenz zum Erwerb der Ikone wird aber nicht unbedingt deutlich. 942 Nur selten wird von der Herstellung des Bildes in Konstantinopel erzählt, im 15.  Jahrhundert (zuerst bei Bertrandon de la Broquière, Anm. 903) wird sie dem Evangelisten Lukas zugeschrieben, beide Traditionen werden auch kombiniert, dazu Nasrallah, Vierge (1988), 238–240. Schon Bischof Arculf wurde im 6. Jahrhundert eine ölspendende Ikone in Konstantinopel gezeigt, Adamnanus, De locis sanctis. Ed. Geyer (1898), 295, die aber wohl in keiner direkten Verbindung zur Chaghoura steht, Hamilton, Lady (2000), 208  f. 943 Vgl. auch Nasrallah, Vierge (1988), 247–250. Während Devos den Burchardbericht auf eine arabische Vorlage zurückführt, Devos, Versions (1947), 271, hält Peeters die Version Thietmars für die lateinische Version eines ursprünglichen griechischen Originals, an dem sich auch Burchard orientierte, Peeters, Saïdnaia (1906), 152. 944 Et oleum illud nunquam minuitur, quantumcumque inde accipiatur.

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Christen, Muslime und Juden den Ort zum Gebet aufsuchten. Ein ähnliches Darstellungsinteresse ist in der Schilderung bei Abū l-Makārim festzustellen, der zwar nichts von der Legende erzählt, sich aber auf die gleichen Aspekte konzentriert und damit Burchards Beobachtungen bestätigt.945 Abū l-Makārim berichtet ebenso von der religionsübergreifenden Verehrung der Ikone, wobei er die Christen weiter differenziert als Burchard.946 Auch ihm erscheint die Menge des Öls verdächtig groß, zumal der

945 Troupeau, Eglises (2005), 576–578. „A l’est de Damas, à une distance de trois quarts de journée de marche, il y a une localité appelée Saydnāyā; on marche vers le village à partir de la montagne et l’on trouve une église de construction élevée et très belle, possédée par des Melkites dont la langue est le syriaque. (…) L’église sus-mentionnée est sous le vocable de Notre-Dame la Vierge pure; on parvient à cette église du côté nord; quant à son aspect du côté de l’est et du sud, c’est une grande cavité d’au moins 500 brasses et peut-être plus; du côté de l’ouest, il y a seulement un petit passage pour les montures des visiteurs et son accès ne se fait qu’à partir de la localité; derrière l’abside de l’église, il y a une fenêtre de trois empans de long sur deux empans de large, sur laquelle est posée une grande grille de fer; dans cette grille, il y a une porte à deux battants, plaquée de cuivre jaune, entiérement ajourée, avec quatre croix; cette porte est fermée et elle n’est ouverte qu’en présence des prêtres chargés du service de l’église; devant cette fenêtre, se trouve une colonne sur laquelle il y a une lampe qui ne s’éteint ni la nuit, ni le jour; lorsque la porte fut ouverte, je vis, à l’intérieur de la fenêtre, des voiles de lin, blancs et déchirés; derrière la grille, se trouve aussi une urne de marbre blanc comme un bassin carré, peut-être d’un empan de long pas plus, sur quatre doigts, de large ou un peu plus, sur laquelle repose une icône non dressée, le sommet de l’icône étant du côté sud, plus haut que sa base du côté nord, de quatre doigts ou moins; on n’y distingue pas d’image; l’icône est épaisse de plus de deux doigts joints, longue d’un empan et large de quatre doigts; elle est de couleur rouge pâle; elle secrète de l’huile, sans interruption, dans cette urne qui se remplit d’huile et ne diminue pas, même si l’on en prend autant qu’il se peut, et ne déborde pas si l’on n’en prend pas; l’huile que l’on prend est mise dans une petite ampoule de verre, et l’on verse dans chacune trois cuillerées de cette huile, au moyen d’une cuillère plongée dans l’urne; cette huile bénite est utile contre toutes les maladies, pour ceux qui la reçoivent avec foi et, par elle, beaucoup de gens sont guéris de l’épilepsie chronique, du tremblement et de la palpitation, dans la mesure de leur foi en la puissance de Notre-Dame la Vierge pure. Lorsque je me suis arrêté dans la susdite station de pèlerinage, il fut pris de cette huile cinquante ampoules de verre, de chacune trois cuillerées, en une heure, et le bassin n’avait absolument pas diminué de la moindre quantité, mais il était demeuré égal à son niveau, et n’avait ni augmenté, ni diminué, je m’étonnai de cela et glorifiai Dieu; le prêtre chargé du service de ce lieu, d’ouvrir et de fermer la porte, me dit: ‚Mon frère, si tu assistais à la fête de Notre-Dame à l’époque des raisins (le 8 septembre), tu verrais le miracle se produire; car en ce jour, il se rassemble, comme Chrétiens, Musulmans, Nestoriens, Melkites, Syriaques et autres, environ quatre à cinq mille personnes; or aucune d’elles ne repart sans emporter avec elle trois ampoules, et certaines plus de trois, et ce bassin ne diminue en rien; ne t’étonne donc pas de cette petite quantité que tu as vu prendre, car celle-ci, par rapport à celle-là, est très minime. L’église de Notre-Dame la Vierge pure, où se trouve une icône sur laquelle est représentée son image, peinte par le disciple Luc l’Evangeliste et exécutée de sa main, du vivant de la Vierge; cette icône était dépourvue de l’image du Christ, alors qu’elle le portait; quand Notre-Dame la pure la vit, elle la trouva belle, mais dit à Luc: ‚Cette image est sans force: peins sur elle l’image de Notre-Seigneur Jésus-Christ dans mon sein‘; après cela, elle vit l’icône et dit: ‚Maintenant, il me semble qu’il y a une force en elle,‘“ zitiert aus ebd., 576  f. 946 Siehe Anm. 945. Er nennt Christen, Muslime, Nestorianer, Melkiten, Syrer und andere, Baraz, Icon (1995), 189; Immerzeel, Monastery (2007), 15; Abou Samra, Pilgrimage (2007), 668 Anm. 12.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Abt ihm bestätigte, dass schon an normalen Tagen 50 Ampullen pro Stunde an Pilger verkauft würden, ganz zu schweigen von den Feiertagen.947 Erklärt werden kann die Differenz dieser beiden frühen Berichte im Vergleich mit allen anderen Darstellungen in Anlehnung an Baraz mit dem theologisch oder sozial zu verortenden Interesse der Autoren: Als gebildete Berichterstatter schenkten sie dem Volksglauben gegebenenfalls wenig Beachtung.948 Wie verbreitet und ausgeformt die Legende bereits um 1175 war, kann dabei nur gemutmaßt werden. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung Burchards wie auch des Guy Chat, dass es sich bei der ölspendenden Ikone um ein recht neues Phänomen handele.949 Während Burchard vielleicht nur wiedergab, was er über die Herkunft der Ikone in Erfahrung brachte, wäre das Schweigen Abū l-Makārims aufgrund seiner insgesamt umfangreicheren Informa­ tionen dann als eine bewusstere Selektion zu werten. Doch nennt er den Evangelisten Lukas als Urheber der Ikone, was vermutlich auf einer anderen Tradition beruht.950 Eine zweite Erklärung für das nur marginale Interesse an den kursierenden Versionen der Legende bietet der Anlass ihres Besuchs, der zugleich die jeweiligen Informationsmöglichkeiten bedingte und die Aufmerksamkeit lenkte. Abū l-Makārims Absicht war, ein Inventar der existenten christlichen Kirchen zu erstellen, wozu er – neben der eigenen Anschauung – Informationen von (höhergestellten) Geistlichen und Verantwortlichen erwarb. Das Material über Saidnaya erhielt er vielleicht vom Bischof von Damiette, vielleicht auch vom nestorianischen Bischof von Damaskus, wie Gérard Troupeau vermutet.951 In jedem Fall tauschte sich Abū l-Makārims Informant mit den Geistlichen des Ortes aus, wie im Bericht selbst angedeutet. Mit Pilgern kam er womöglich gar nicht in Kontakt, da er selbst nicht als Pilger in der Hoffnung auf Heilung kam und das Geschehen um die wundertätige Ikone eher aus Distanz betrachtete. Genauso wenig scheint bei Burchard ein kultisch-religiöses Anliegen durch. Allem Anschein nach bestand der Anlass von Burchards Besuch in Saidnaya in seiner Bedeutung als multireligiöser locus sanctus. Auffällig ist die besondere

947 Siehe Anm. 945; Baraz, Icon (1995), 189. 948 Vgl. ebd., 189. Bazar identifiziert die europäischen und äthiopischen Quellen mit einem volksgläubigen Interesse, während die koptischen „elitistisch“ seien, ebd., 190. Laienpilger gaben Volks­ erzählungen wider, während östliche Berichterstatter höhere Kleriker waren oder von diesen informiert wurden, vgl. Anm. 939. 949 Bei Guy Chat heißt es: (…) miracula, que Dei virtute in Dei genetricis honore modernis temporibus in transmarinis partibus contigerunt, Devos, Versions (1947), 272; Bacci, Space (2006), 2. Bernard Hamilton vermutet, dass die Verehrung der Ikone nach dem Ende des Ikonoklasmus 843 einsetzte, den Beginn des Heilskultes vermutet er im 11. Jahrhundert. Ebenso wie Devos geht er von einem Missverständnis des in alexandrinischer Zeitrechnung angegebenen Datums aus, Hamilton, Lady (2000), 209. 950 Siehe Anm. 945. 951 Siehe Anm. 908.

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Betonung der gemeinsamen Verehrung von Christen und Muslimen, die hier beteten. Zu den besagten Marienfeiertagen am 15.  August und 8.  September war Burchard zwar nicht anwesend, doch schildert er, dass alle muslimischen Pilger der Provinz an diesen Tagen mit den Christen hier zusammenkamen und „mit großer Andacht“ Opfergaben zu Ehren Mariens darbrachten.952 Unter den Pilgern befanden sich nach seinen Aussage auch Juden, die zwar an der Heilkraft der Ikone profitieren und das Öl erwarben, aber nicht – oder nur eingeschränkt – an den speziellen Marienfeiertagen teilnahmen und sich auch nicht an den Opfergaben beteiligten. Burchards Ausführungen erweisen sich daher besonders für das Phänomen der religiösen Konvergenz als wertvolle Quelle. Nach der von Benjamin Kedar vorgeschlagenen Typologie multireligiöser Kultorte können Burchards Beobachtungen der Kategorie der „ungleichen Konvergenz“ zugeordnet werden, bei der die Mitglieder anderer Religionen über die räumliche Konvergenz hinausgehend an einer gemeinsamen Liturgie teilnehmen, doch der Zugang zum Heil von einer Religion kontrolliert wird.953 Das Verhältnis der monotheistischen Religionen zueinander lässt sich am Kult in Saidnaya aber noch genauer ablesen. Grundsätzlich spiegelt sich bei Burchard eine positive Bewertung der Partizipation anderer Religionen wider, macht diese doch die Heiligkeit des Ortes aus. Doch wird eine Abgrenzung nach Religionszugehörigkeit deutlich. Muslime scheinen hier den Christen näher zu stehen, da sie über die gemeinsame Anbetung die gleichen Rituale begehen, während das Verhältnis der Juden durch größere Distanz gekennzeichnet ist. Als Untersuchungsmethode für die in Burchards Bericht eingenommene Perspektive auf das Geschehen bieten sich die von Dorothea Weltecke im Anschluss an Kedar formulierten Differenzierungskategorien an. Weltecke schlägt eine Differenzierung der religiösen Konvergenz nach 1. dem Objekt der Verehrung; 2. der Zeit und dem Wandel der Traditionen; 3. den Machtverhältnissen; 4. den Beteiligten und 5. der Absicht des Besuchs vor.954 In veränderter Reihenfolge werden diese Aspekte unter besondere Berücksichtigung der Machtverhältnisse im folgenden kurz dargestellt, um den Hintergründen von Burchards Darstellung und der jetzt erst einsetzenden Berichterstattung über die Ikone und den Kult von Saidnaya näherzukommen. 1. Zum Objekt der Verehrung: Während Maria im Koran als Mutter Jesu genannt wird und ihre Verehrung durch Muslime vielerorts belegt ist, stellt ihre Person für

952 Siehe Anm. 905. 953 Kedar, Convergences (2001), 90; Weltecke, Loca (2012), 76; siehe auch Kapitel III.1.5. Literatur zur gemeinsamen Verehrung heiliger Orte: Bashear, Qibla (1991); Tritton, Caliphs (1930); Cuffel, Disasters (2013); Dies., Generations (2003); Dies., Practice (2005); Shoshan, Culture (1993); Shoham-Steiner, Virgin (2013); Ders., Jews (2010); Ders., Prayer (2006); angekündigt für 2015 ist der Titel ‚Intricate Interface network. Quotidian jewish-christian contacts in the middle ages‘; Meri, Cult (2002); TalmonHeller, Piety (2007); weitere Titel bei Weltecke, Loca (2012), 74–76. 954 Weltecke, Loca (2012).

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Juden in christlicher Nachbarschaft einen Fremdkörper und eine „Herausforderung“ dar.955 Die jüdische Haltung gegenüber Maria war ambivalent, da die in der christ­ lichen Theologie mit Maria verbundenen Kennzeichen der Inkarnation und der jungfräulichen Empfängnis inakzeptabel waren und Maria von christlicher Seite (zumindest im westlichen Europa) die Konversion bestärken sollte.956 Das verbindende Element stellte ihre Caritas dar; auch ihre Weiblichkeit, die Mutterrolle und ihre Reinheit boten Identifikationsmöglichkeiten.957 2. Beteiligte und Machtverhältnisse: Eine Differenzierung der am Kult beteiligten Christen nimmt Burchard nicht vor, betont aber, dass die Vergabe des Öls den Christen vorbehalten ist.958 Damit spricht er indirekt die „Machtverhältnisse“ des christlichen Klosters unter muslimischer Oberhoheit an. Eine mögliche Konkurrenz um die Gestaltungshoheit der Feierlichkeiten oder des Zugangs zur Reliquie ist dabei nicht ersichtlich, von einer Moschee o.  ä. im Umfeld wird nicht berichtet.959 Obwohl andere Religionen präsent sind, sind Christen dominant. Allem Anschein nach wurde die Beteiligung von Muslimen von keiner Seite unterbunden. Aus der Nennung eines Soldanus Damascenorum960 im Zusammenhang mit dem Kloster und der Ikone in späteren lateinischen Zeugnissen lässt sich eher schließen, dass die religiöse Konvergenz von den muslimischen Herrschern durch eigene Stiftungen befördert wurde. „If the stories brought back to the West by pilgrims are to believed, Saidnaiya had received an endowment from the Muslim rulers of Damascus. They reported that a blind emir had had his sight restored when he visited the shrine and had given the community an annual endowment of oil to maintain the sanctuary lamps, and that

955 Shoham-Steiner, Virgin (2013), 78  f. Vom späten 12. bis ins 14. Jahrhundert finden sich parallel zur steigenden Popularität der Jungfrau Maria im westlichen Christentum in jüdischen Schriften häufiger Referenzen zu Miriam, der Schwester Moses und Aarons. Zwischen dieser und der Mutter Jesu bestehen über den gemeinsamen Namen hinaus Gemeinsamkeiten. „Yet, apart from the direct outright polemics against the cult of the Virgin Mary already discussed in the scholarship, it seems Jews employed other and more subtle ways to contend with the formidable Marian challenge. Acknowledging the appealing and persuasive aspects of the cult of the virgin, the motherly love and the role of charity and compassion it advocated, Jews came up with a variety of tools in their attempt to deflect the power of the virgin and her cult“, ebd., 77. Im späten 13. Jahrhundert wandelte sich das Bild Mariens von einer Juden und Christen verbindenden Figur: Machte sie zuvor die Konversion möglich, wurde sie nun zur Feindin der Juden stilisiert, ebd., 89  f.; Röckelein, Marienverehrung (1993); Despres, Flesh (1998). 956 Marienwunder sollten auf christlicher Seite insbesondere Konvertiten und Schwankende in ihrem Glauben bestärken, Shoham-Steiner, Virgin (2013), 78. 957 Ebd., 80; Marcus, Rituals (1996), 90; 100; Bötterich/Ego/Eißler, Jesus (2009), 11–59; Baumgarten, Mothers (2005), 113–116; Schäfer, (2007); Ders., Mirror (2004). 958 Oleum vero illud a Christiano religiose conservatur (…). 959 Vgl. Weltecke, Loca (2012), 74. 960 Devos, Versions (1947), 256; Laurent, Thietmar (1857), 16; Raynaud, Miracle (1882), 536  f.

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this payment continued to be made until the death of Nūr ad-Dīn in 1174 but was stopped by Saladin.“961 Wie aus anderen Fällen ersichtlich, wurde Schutz nicht ohne Gegenleistungen gewährt.962 Auch wenn nichts Konkretes darüber berichtet wird, ist anzunehmen, dass der reißende Absatz der Ampullen einen Teil zur Sicherheit des Klosters beitrug und die finanziellen Einnahmen mit dem herrscherlichen Interesse korrelierten. Die Annahme von Bernard Hamilton, dass der Schutz unter Saladin nicht fortbestand, stützt sich auf eine einzige Quellenangabe und ist gar nicht sicher.963 Schließlich wäre Saladin Nutznießer des ‚Wunders‘. Da der Wallfahrtsort offenbar auch einen Programmpunkt des Gesandtschaftsbesuches darstellte, ist so kurz nach der Herrschaftsübernahme in Syrien eher das Gegenteil anzunehmen. Eine derartige Förderung des interreligiösen Kultortes passt sich in die anderweitig dokumentierte Haltung Saladins gegenüber Nichtmuslimen ein.964 Aus einem 1183 in Aleppo ausgestellten Dekret geht Saladins Absicht hervor, Christen und anderen Nichtmuslimen 961 Hamilton, Lady (2000), 210. Denys Pringle interpretiert den latinisierten Namen des muslimischen Herrschers, der bei Thietmar Coradini heißt, nicht mit Nūr ad-Dīn, sondern dem von 1218–1227 herrschenden al-Malik al-Muʿaẓẓam ʿĪsā, verkennt dabei aber, dass es sich um eine Interpolation handelt und Thietmar seine Reise ohnehin ein Jahr vor dessen Regierungsantritt antrat, Pringle, Churches II (1998), 220. 962 Von einem ähnlichen Fall berichtet Dorothea Weltecke im Kloster des Heiligen Mōr Barṣaumō in der Nähe der heutigen Stadt Malatya (Türkei), ehemals Melitene. Dieses Kloster lag ebenso auf einem Berg und wurde im 11./12.  Jahrhundert festungsartig ausgebaut. Wie Saidnaya beherbergte es eine wundertätige Reliquie (des heiligen Mōr Barṣaumō, der zwar schon 458 gestorben war, dessen Fingernägel aber weiterwuchsen) und zog auch die Muslime der Gegend an. Nachdem es 1177 unter die Oberhoheit des seldschukischen Sultans Qiliğ Arslans geraten war, forderte dieser Tributzahlungen, welche von offizieller christlicher Seite aus aber nicht erwähnt werden. „Der Sultan verstand seine Beziehung zum Kloster als hierarchisches Treueverhältnis, das mit einem Tribut bekräftigt wurde. Diese Tatsache konnte den syrisch-orthodoxen Patriarchen etwas beschämen, denn sie passte nicht zu dessen Programm der patriarchalen Unabhängigkeit von den weltlichen Mächten“, Weltecke, Loca (2012), 86. Während Mönche von den Zuwendungen berichten, gibt der Patriarch Michael die Beziehung zum Sultan als Freundschaftsverhältnis wieder. Im Kloster des Heiligen Mōr Barṣaumō waren die Mönche „nur durch die wundersam sich vermehrende Reliquie im Stande“, den Wunsch des Sultans nach Gebeten „ohne einen eigenen Verlust zu erfüllen“, ebd., 87. Eine ähnliche Situation ist in Saidnaya anzunehmen. Auch hier scheint der Schutz an die Bedeutung der Ikone gebunden gewesen zu sein. Neben der religiösen Bedeutung spielten sicher auch die finanziellen Einnahmen des Kloster eine Rolle für den Sultan, so dass auf beiden Seiten ein Interesse daran bestand, den Kult zu fördern. 963 Hamilton, Lady (2000), 210 auf Grundlage der Angabe bei Thietmar, dass die Zahlungen usque ad tempus Coradini fortgesetzt wurden, Laurent, Thietmar (1857), 17. Mit dem einäugigen Soldanus kann neben Nūr ad-Dīn aber auch Saladin gemeint sein, von dem berichtet wurde, er sei auf einem Auge blind gewesen. Einer anderen Erzählung nach wurde Saladins Bruder in Saidnaya gesund gepflegt und habe sich anschließend mit einer Schenkung bedankt. Einäugigkeit begegnet als Tatsache oder Zuschreibung daneben bei einer Reihe weiterer Personen, z.  B. bei Schirkuh. 964 Saladin führte die von Nūr ad-Dīn begonnene Förderung religiöser Einrichtungen weiter, Eddé, Saladin (2008), 438–449. Anfang des 14.  Jahrhundert benötigten Besucher des Klosters laut Ibn Faḍlallāh al-ʿUmarī die Erlaubnis des Sultans, Abou Samra, Pilgrimage (2007), 665.

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Schutz und Sicherheit zu gewährleisten.965 Gleichzeitig forderte er erhöhte Abgaben von den ḏimmis.966 Mit der Partizipation der Muslime am Kult verband sich eine partielle Vereinnahmung, indem die Verehrung der Ikone und die Teilhabe an ihrer Wirkmächtigkeit in die muslimische Frömmigkeit integriert wurden.967 Der hohe soziale Rang muslimischer Förderer zeigt auf, dass „spirituelle Konvergenz durchaus eine Angelegenheit der gesellschaftlichen Spitzen gewesen ist.“968 Auf christlicher Seite ist das Fehlen syrischorthodoxer Zeugnisse auffällig, obwohl Pilger dieser Konfession vielfach belegt sind. Nach Weltecke weist dies auf hierarchische Ungleichheiten hin, die „nicht immer dazu animieren, von einem Besuch dort zu erzählen.“969 Auch wenn Burchard das (Abhängigkeits-) Verhältnis zum neuen muslimischen Oberherren Saladin nicht berührt, darf dies nicht als Desinteresse oder Ignoranz gegenüber diesen Fragen gewertet werden. 3. Zeit und Wandel der Traditionen: Die Machtverhältnisse in Saidnaya lassen sich nur über die Legende und Analogien erschließen, aber nicht sicher belegen. Die Tatsache, dass sich in Klöstern unter muslimischer Herrschaft die Produktivität bereits vorhandener Reliquien plötzlich enorm steigerte,970 erlaubt dennoch eine Annahme in Bezug auf die Zeit und den Wandel des Kultes. Alle genannten Punkte sprechen eher für einen Beginn des Wunders – zumal in dieser Größenordnung – in der zweiten Hälfte des 12.  Jahrhunderts anstatt schon im 11.  Jahrhundert.971 Dies schließt nicht aus, dass die Ikone vorher schon Objekt der Verehrung war. Die von Abū l-Makārim genannten Mengen sind aber in keinem Fall auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Offensichtlich wurde hier nachgeholfen.972

965 „(…) Nous ordonnons ce que conserve ce document et ce jugement à savoir: Garder et protéger ces dhimmîs, s’abstenir de leur nuir et de les harceler, ne pas leur causer de préjudice, ne pas leur intenter de mauvais procès et ne pas s’écarter à leur sujet du droit chemin, ne pas modifier la justice qui leur est garantie, ne pas troubler les bienfaits dont ils sont abreuvés, ne pas les attaquer en actes ou en paroles, qu’il ne leur soit pas donné d’entendre des paroles désagreábles, préjudiciables ou injustes (…), Eddé, Saladin (2008), 469  f. Ebenso bezeugt ein für das Sinaikloster 1175/1176 ausgestelltes Dekret, dass Saladin Christen und ihren Einrichtungen traditionellen Schutz gewährte, ebd., 675. 966 Eddé, Saladin (2008), 471. 967 Mit der Partizipation konnten sich leicht auch andere Absichten verbinden, so stellten lateinische Kreuzritter für syrische Klöster eine Gefahr dar, wie das Beispiel des Klosters des Heiligen Mōr Barṣaumō zeigt, Weltecke, Loca (2012), 87; dazu Anm. 962. 968 Ebd., 82; dies zeigt sich besonders in der Beteiligung der Muslime an den Osterfeierlichkeiten in der Grabeskirche, ebd., 79. 969 Ebd., 80. 970 So auch im Sinaikloster, wo Anfang des 13. Jahrhunderts ein ähnliches Ölwunder belegt ist, dazu Kapitel VI.2.3 971 So Hamilton, Lady (2000), 209, siehe Anm. 949. Denkbar ist daneben, dass der Bekanntheitsgrad der Ikone bis dahin eng lokal begrenzt war. 972 Vgl. Garlaschelli, Chemie (1999); Kugenbuch, Löffel (2008), 106–114. Auffällig ist auch das Interesse an dem Wunder im Sinaikloster, wo die früheste arabische Quelle der „Inkarnation“ und des Wunders herstammt.

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4. Zur Absicht des Besuches: Die Betonung der religiösen Konvergenz in Burchards Bericht gründet kaum in der Absicht, die Heiligkeit und Wundertätigkeit der Ikone zu unterstreichen.973 Wie schon in Matariya sollten die rituellen Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen bezeugt werden, Juden spielten dabei eine untergeordnete Rolle.974 Deutlich spiegelt sich in seiner Beschreibung das spezifische Interesse seiner Begleiter an diesem Ort, die Burchards Aufmerksamkeit lenkten und sein Bild von den Muslimen nachhaltig beeinflussten. Die Nachricht über die aus der Provinz zusammenkommenden Muslime kann Burchard nur von Muslimen erhalten haben, welche damit die überlokale Attraktivität und die Tatsache der Marienverehrung im Islam betonen wollten, dabei aber das Phänomen mit gewissem Abstand registrierten. Einheimische oder begleitende Christen hätten wohl wie Abū l-Makārim auf die unterschiedlichen christlichen Bekenntnisse verwiesen bzw. Christen und nicht Muslime in den Mittelpunkt gerückt. Auch Burchards knappe Wiedergabe der Legende und seine Zweifel an der Ölproduktion können darauf zurückzuführen sein, dass die ihn begleitenden Muslime die mit der Wundertätigkeit verbundenen Erzählungen nur selektiv anerkannten, da ihnen der Heiligenkult eigentlich fremd ist. Spuren einer christlichen Informationsvermittlung sind schwer zu bestimmen, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass Burchard seinen Glaubensgenossen in der Kirche begegnete. Bei christlichen oder muslimischen Pilgern, deren Besuchsgrund religiös bzw. in der Hoffnung auf Heilung motiviert war, standen die bei Burchard wiedergegebenen Aspekte aber sicher nicht im Vordergrund. Da der Ort außerhalb des Königreiches Jerusalem lag und westliche Pilger wenige Möglichkeiten hatten, diesen Ort zu besuchen, ist Vorwissen über Saidnaya weitgehend auszuschließen.975 973 Spätere lateinische Berichte betonen hingegen die Unterschiede zwischen Christen und Muslimen. Gemäß der nach 1204 entstandenen lateinischen Version durften Muslime sich nicht länger als ein Jahr lang in Saidnaya aufhalten, Bacci, Space (2006), 4; Laurent, Thietmar (1857), 18; deutlich werden Gegensätze auch in der Bemerkung, Muslime würden hier Wein konsumieren, ebd. 974 Nicht weit von Saidnaya bestand in der der Eliasgrotte samt Kapelle schon ein Ort, der neben Christen und Muslimen besonders von Juden frequentiert wurde und an dem die gemeinsame Verehrung institutionalisiert war. Elias soll sich in einer Höhle in Maʿarrat Saidnaya, sechs Kilometer vom Ort entfernt vor Königin Jezabel versteckt haben und von hier aus in den Himmel aufgefahren sein. Eine Darstellung aus dem 11. Jahrhundert zeigt die Szene in der Grottenkapelle, Immerzeel, Monastery (2007), 20–25; Immerzeel/Innemée, Chapel (2002); Burns, Monuments (2009), 277. Muslime verehrten hier al-Ḫidr, eine historisch nicht nachweisbare, mysteriöse Gestalt, den sie mit dem Propheten Elias identifizieren. Seine Verehrung beruhte auf Sure 18, 65 (Identifikation mit dem Gottesknecht in Verbindung mit Moses), Immerzeel, Monastery (2007), 24; van Lint, Gift (2005); Meri, Space (1999), 254; Franke, Begegnung (2000). Auch al-Khidr, al-Khadir, Hızır (türkisch), el Khoudher, Hilir sind als Schreibweisen im Umlauf. Bei den Christen überschneidet sich die Verehrung des heiligen Georg mit dieser Figur, Wolper, Khidr (2011). 975 Pringle schreibt zwar, das Kloster sei „an important goal for Western pilgrims travelling from Acre in the later twelfth and thirtheenth centuries“, Pringle, Churches II (1998), 219. Bis Anfang des 13. Jahrhunderts gibt es dafür aber keine Quellenbelege, siehe Anm. 930.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Abb. 16: Miniatur entnommen aus Miracles de Notre Dame von Gautier de Coincy (ca. 1411–1412), Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. Fr. 2810, f. 171v, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b52000858n/f345.image. Letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

Wie schon in Matariya scheint der Besuch in Saidnaya ein offizieller, besonderer Programmpunkt während des Besuches beim Sultan gewesen zu sein. Ausgewählt mit dem Ziel, die Wahrnehmung des Besuchers nachhaltig in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen und etwaige Vorbehalte gegen den Islam auszuräumen. In der Forschung wird Burchards unvoreingenommene Haltung gegenüber den Muslimen lobend hervorgehoben.976 Möglicherweise ist diese Einstellung nicht zuletzt ein Resultat bewusster Wahrnehmungslenkung (Manipulation) seitens der ayyubidischen Begleiter.

III.1.9 Die Rückreise von Damaskus bis Fustat Burchards Angaben bezüglich seiner Rückreise fallen recht knapp aus. Von Damaskus aus zog er über Tiberias nach Akkon, Jerusalem und Askalon nach Fustat (Babylon): Item a Damasco per Tyberiam usque Accaron sunt IV diete, et III usque Ierusalem, et a Ierusalem usque Aschalonam II diete. Hec civitas parva est et supra mare sita. Muris

976 Scior, Eigenes (2002), 323; Möhring, Saladin (2005), 135; Schwinges, Kreuzzugsideologie (1977), 138.

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Abb. 17: Das Kloster von Saidnaya, Foto entnommen aus Immerzeel, Monastery (2007), 14.

et fossatis valde munita est et satis sana. Inde vero per desertum octo dierum in Babyloniam reversus fui. Abgesehen von Askalon beschreibt Burchard keine der angegebenen Städte näher, selbst über seinen mutmaßlichen Besuch in Jerusalem verliert er kein Wort. Als Station in Ägypten nennt er noch El-Arisch. Mit Ankunft in der ägyptischen Hauptstadt bricht der Bericht dann ab.977 Diese Route durch das Königreich Jerusalem wirft Fragen bezüglich der Umstände und Gründe für die Durchquerung der fränkischen Herrschaft und damit der Glaubwürdigkeit dieser Ausführungen auf. Zwar nahm dieser Weg weniger Zeit in Anspruch als die Saladinroute. Das Reisen im fränkischen Territorium war jedoch generell mit Gefahren für Muslime verbunden und der Grenzübertritt vermutlich auch nicht ganz unproblematisch.978 Der Weg von Damaskus nach Akkon über Tiberias stellt nur auf den ersten Blick einen Umweg dar. Ibn Ǧubair zufolge war der Weg über Galiläa einfacher zurückzulegen als die kürzere Verbindung nördlich des Sees Genezareth.979 Von Akkon

977 Zu den in den einzelnen Handschriften variierenden Zufügungen nach Ende der Reisebeschreibung siehe Kapitel VIII. 978 Vgl. Eddé, Saladin (2008), 530. 979 „Die Karawanen von Damaskus reisten durch die Territorien von Tiberias, denn dieser Weg ist einfach. Maultierkarawanen ziehen jedoch durch Tibnin über einen schwierigeren, gleichzeitig aber direkteren Weg“, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 231. Der Weg entspricht auch der Route, den die Kreuzfahrer während des Zweiten Kreuzzuges von Akkon nach Damaskus einschlugen. 1148 sammelte sich das Kreuzfahrerheer in Tiberias und rückte dann über Banyas nach Damaskus vor. Nach dem gescheiterten Unternehmen erwog Konrad III. einen Feldzug nach Askalon, ließ von diesem Plan aber ab, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 256; Baldwin/Setton, History (1969), 507–510.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

entlang der Mittelmeerküste verlief die Via maris980 bis nach Ägypten. Burchard scheint jedoch im Landesinneren zunächst nach Jerusalem weitergereist981 und erst ab Askalon der Küstenstraße gen Westen gefolgt zu sein. Da die Stationen Akkon und Jerusalem nicht auf dem direkten Weg nach Ägypten lagen, scheinen sie Hauptziele dieser Reise gewesen zu sein. Plausibel ist die beschriebene Route als Weg einer Handelskarawane, der sich Burchard und seine Begleiter angeschlossen haben könnten. Schon in der Antike, besonders seit der griechischen Herrschaft, wurden von Damaskus, einem der wichtigsten Emporien und Handelsknotenpunkte Syriens, Waren aus Mesopotamien, Asien, Indien und Damaskus selbst an die Levanteküste exportiert.982 Mit Etablierung der Kreuzfahrerherrschaften entstand ein neuer Absatzmarkt orientalischer Erzeugnisse, welche in die Grafschaft Tripolis und in weitere Teile des Königreiches Jerusalem ausgeführt wurden.983 Nicht zuletzt durch den florierenden Handel zwischen dem muslimischen Syrien und den Küstenstädten erlangte Tiberias, die nur drei Tagesreisen von Damaskus entfernt liegende Hauptstadt Galiläas, seit der Herrschaft Walters von St. Omer wirtschaftlichen Bedeutungszuwachs.984 Als Exporthäfen wurden Haifa und Akkon genutzt,985 von wo aus die Handelsgüter des Orients in steigenden Mengen nach Europa weiterverschifft wurden.986 Haupthafen für Damaskus 980 Mouton, Sinaï (2000), 149  f.; Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 187. 981 Ibn Ǧubair gibt die Distanz von Akkon nach Jerusalem mit drei Tagesreisen an, Ibn Ǧubair, Tage­ buch. Ed. Günther (1985), 231. 982 Burns, Damascus (2005), 41; 53  f.; 142; Elisséeff, Dimashk (1963), 983 „Damascus (…) was primarily a supplier of finished goods, such as tempered steel, fine cloths (hence the name damask), some produced locally and some further to the east (…)“, Abulafia, Role (1994), 16; Burns, Damascus (2005), 147; Jacoby, Mercanti (2001), 216; Feldbauer, Welt (1995), 105; Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 187; 191. 984 Den Namen der Stadt wählte der Stadtgründer Herodes Antipas im Jahre 20 n. Chr. zu Ehren Kaiser Tiberius. Unter römischer Herrschaft entwickelte sich Tiberias zum wirtschaftlichen Zentrum, nach Zerstörung Jerusalems wurde es zudem spirituelles Zentrum des Judentums mit einer Jeschiwa. In byzantinischer Zeit war hier eine große christliche Gemeinde ansässig, Hirschfeld, Tiberias (2007). Unter den Arabern (636–1099) kamen muslimische Bewohner hinzu. Die Stadt prosperierte und dehnte sich aus, Avni, Transition (2014), 71–93; Stepansky, Tiberias (2008), 384. Nach einem Erdbeben 1033 und der Seldschukeninvasion 1071 eroberte Tankred von Tarent 1099 die Stadt. Als Hauptstadt des Fürstentum Galiläas, „eine der größten und reichsten Herrschaften im Kreuzfahrerkönigreich“, gelangte Tiberias besonders unter Walter von St. Omer (1159–1174) und Raimund III. (1174–1187) erneut zu Wohlstand, ebd., 368; Rheinheimer, Kreuzfahrerfürstentum (1990), 39–63; Mayer, Principality (1994); Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 190. Am 5. Juli 1187 übergab Eschiva, die Witwe Walters und Gattin Raimunds III. von Tripolis, die Stadt an Saladin, der die Burg schleifen ließ. Durch neuere Ausgrabungen seit 1994 konnten das fränkische Tiberias und eine Burganlage lokalisiert werden, deren Entstehungszeit nicht gesichert ist, Stepansky, Tiberias (2008), 386–393. 985 Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 191. 986 Jacoby, Mercanti (2001), 218; 226  f. Seit Beginn des 12. Jahrhunderts hatten Genuesen, Venezianer und Pisaner in syrischen Hafenstädten Handelsniederlassungen gegründet und weitreichende Konzessionen und Privilegien ausgehandelt, Favreau-Lilie, Italiener (1989), 39–150; 185–187; 213  f.; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 141; Barber, States (2012), 62; 67–69; 85–87; Mayer, Kreuzzüge (1995), 93  f.; 102. Siehe Kapitel III.1.1. Anm. 27.

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war Akkon,987 der größte Hafen der Levante und Zentrum des Pilgerverkehrs nach Jerusalem. Akkon war die bevölkerungsreichste Stadt der fränkischen Levante988 und gewann besonders im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts an wirtschaftlicher Bedeutung hinzu. Ab 1180 konkurrierte sie als wichtigster Absatzmarkt für Gewürze mit Alexandria.989 Eine wertvolle Quelle für die Handelsverbindung des ayyubidischen Syriens mit dem Markt in Akkon ist derReisebericht Ibn Ǧubairs. Ibn Ǧubair reiste im September 1184 mit einer großen Karawane in vier Tagen von Damaskus über Baniyas nach Akkon. Dort angekommen, wurden die Waren der Karawane von arabischsprachigen, christlichen Zollbeamten registriert und im khan990 deponiert, wo auch die Reisenden zunächst untergebracht wurden.991 „Das Gepäck eines jeden, auch wenn er keine Handelsware bei sich hatte, wurde überprüft, ob es versteckte oder zollpflichtige Ware enthielt. Danach war dem Besitzer erlaubt, seines Weges zu ziehen und sich eine Unterkunft an einem beliebigen Ort zu suchen.“992 Akkon selbst verleitet ihn zu einem Vergleich mit Konstantinopel, so groß und lebendig erschien ihm der Hafen mit all seinen Schiffen und die Stadt mit den Handeltreibenden: „Es ist ein Sammelpunkt für Schiffe und Karawanen, Treffpunkt für muslimische und christliche Kaufleute aus allen Himmelsrichtungen.“993 Als „eine der größten Eigentümlichkeiten in der Welt“ scheint ihm überhaupt, „dass muslimische Karawanen in die fränkischen Länder ziehen, während Franken als Gefangene die muslimischen Länder betreten.“994 987 Erste Spuren der Besiedlung des Tell Akko/el-Fuhhar gehen in die Bronzezeit zurück. Schon früh war es eine bedeutende Hafenstadt und mehrfach in ägyptischen, ugaritischen und assyrischen Quellen sowie in der Bibel (Ri 1, 31; Jos 19, 30; Gen 49, 13; 1 Kön 9,11) erwähnt. Nach Abhängigkeit von Ägypten gehörte Akkon unter den Phöniziern ab ca. 1000 v. Chr. zu Tyros. Eine Blütezeit begann unter persischer Herrschaft. Unter den Ptolemäern wurden die Stadt (mit Namen Ptolemais) ausgebaut und hellenistisch geprägt, rege Handelsverbindungen estanden zu Griechenland und Italien. Nach römischer Eroberung 47 v. Chr. gehörte Akkon zur Provinz Syria, christliche Bischöfe sind seit 190 bezeugt. Von 638 bis 1104 stand Akkon unter arabischer Herrschaft, während der auch die Hafenanlagen erweitert wurden. 1104 gelang den Kreuzfahrern nach zwanzig Tagen Belagerung die Eroberung der strategisch so wichtigen Stadt, 1135 wurde das Bistum Akkon gegründet. 1187 gelangte Akkon an Saladin, wurde 1191 von Richard Löwenherz zurückerobert und Hauptstadt des Königreichs Jerusalem. Zu Akkon siehe Jacoby, Ports (2014); Ders., Akko (2008); Ders., Society (2004); Ders., Jacoby, Fonde (2001), 278  f.; Riley-Smith, Akkon (2002); Wenning, Akko (2006). 988 Jacoby, Akko (2008), 242. 989 Jacoby, Acre (2010); Ders., Trade (1998); Abulafia, Trade (2014), 14  f.; Riley-Smith, Akkon (2002), Sp. 252; vgl. Theoderich. Ed. Huygens (1994), 185  f.; 196. 990 Der khan entspricht dem Funduk, Constable, Housing (2003), 59–62; siehe Kapitel  III.1.1. Anm.  129. Zum arabischsprachigen Personal des Funduks siehe Jacoby, Akko (2008), 244  f.; Ders., Fonde (2001), 278  f. 991 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 225. Zur Lage und Funktion des Funduks siehe Jacoby, Fonde (2001), 281–283. 992 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 225. 993 Ebd., 226. 994 Ebd., 221.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Genauere Belege zum Ablauf, den Bedingungen und Beteiligten dieses Handels sind indes spärlich. Von 1164 bis 1175 war der Levantehandel aufgrund des Seekrieges zwischen Genua und Pisa stark beeinträchtigt, erst 1179 ist wieder eine Landung in Akkon bezeugt.995 Auch für die Präsenz damaszenischer Kaufleute im Königreich Jerusalem gibt es für die Reisezeit Burchards keine Belege. Zolltarife von 1187 bestätigen die Ankunft von Händlern aus Damaskus in Akkon.996 Der Livre des Assises de la Cour des Bourgeois997 verzeichnet die Gebühren für Händler unterschiedlicher Herkunft aus dem (muslimischen) Hinterland: „The first consisted of peasants marketing agricultural, pastoral, as well as semi-finished and products from the countryside in Acre and returning home with commodities bought there (…). The second group included merchants engaging in commercial exchanges between Acre and inland cities under Muslim rule such as Damascus, the only one mentioned in the tariff (A20, A57).“998 Erst für die Zeit nach dem Dritten Kreuzzug kann davon ausgegangen werden, dass europäischen Händlern selbst Zutritt zu den muslimischen Märkten wie Aleppo und Damaskus gewährt wurde.999 Der früheste Beleg ist in einem Privileg Heinrichs von Champagne für die Genuesen aus dem Jahr 1192 enthalten.1000 Der Karawanenverkehr zwischen Damaskus und Akkon lässt sich zwar für Burchards Reisezeit nicht konkret verifizieren, doch ist kaum vorstellbar, dass er nicht stattfand, schließlich war das Königreich auf die Waren angewiesen und profitierte vom Handel. In friedlichen Zeiten konnten muslimische Karawanen und Händler ungestört passieren. Selbst bei politischen Spannungen lief der Handelsverkehr über Land weiter,1001 es konnte dann freilich zu Angriffen und Plünderungen kommen.1002 Just zu Burchards Rückreisezeit, die für Mitte März 1176 angenommen wird, war das politische Klima zwischen Jerusalem und dem expandierenden Ayyubidenreich für

995 Byrne, Trade (1920), 211, 204; 209; siehe Kapitel III.1.1., 73  f. 996 Jacoby, Mercanti (2001), 233. 997 John of Ibelin, Assises. Ed. Edbury (2003); Assises. Ed. Kausler (1839). 998 Jacoby, Fonde (2001), 279; 283  f. 999 „Un singolo documento del secolo XII, del 1156, menziona l’eventualità di un viaggio da Genova in Oltremare fino a Damasco, in un modo che suggerisce che non era eccezionale. (…) Comunque, è chiaro che i mercanti viagiattori italiani non avrebbero potuto compiere operazioni mercantili nel retroterra musulmano senza l’esplorazione preliminare dei mercati musulmani da parte dei coloni, che sfruttavano i loro contatti con questi mercati, e neanche senza la loro cooperazione“, Jacoby, Mercanti (2001), 233; 233–238; Abulafia, Trade (2014), 15; Byrne, Trade (1920), 212  f.; Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 194. 1000 Jacoby, Mercanti (2001), 233; 235; Ders., Fonde (2001), 280. 1001 Darüber ist Ibn Ǧubair irritiert: „Eigentümlich ist auch, dass, obwohl die Feuer der Uneinigkeit zwischen den beiden Parteien, Muslimen und Christen, brennen, zwei Armeen von ihnen aufeinanderstoßen und sich in Schlachtordnungen aufstellen, dennoch muslimische und christliche Reisende zwischen ihnen ohne Behelligung hin- und herziehen“, Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 213. Siehe auch Kapitel III.1.6. 1002 Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 189.

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eine kurze Periode relativ entspannt, so dass die Voraussetzungen für ein unbehelligtes Reisen gegeben scheinen. Nach dem Tod Amalrichs hatte Raimund  III. von Tripolis, ein Vetter des noch minderjährigen Balduins  IV., die Regentschaft übernommen.1003 Der leprakranke Balduin IV. war „alles andere als ein idealer Thronanwärter“ und für seine Schwester Sybilla war bis zu Amalrichs Tod noch kein passender Gatte gefunden worden.1004 Erst 1174 war Raimund für ein Lösegeld von 80 000 Dinaren aus zengidischer Haft entlassen worden.1005 Bis Anfang 1175 hatte sich Raimund die Optionen einer zengidischen oder ayyubidischen Unterstützung zunächst offengehalten,1006 verbündete sich nach Saladins Eroberung von Damaskus dann mit den Zengiden, von denen er im Gegenzug die Freilassung fränkischer Geiseln erwartete.1007 Diese gerieten nach Saladins Eroberung der Zitadelle von Homs im März 1175 in die Hand der Ayyubiden, worauf Raimund sofort die Unterstützung der Zengiden beendete.1008 Für die Einhaltung der fränkischen Neutralität bot ihm Saladin die Auslieferung der Geiseln an,

1003 Erster Regent während Balduins Minderjährigkeit war Milo von Plancy, der im Herbst 1174 ermordet wurde, Phillips, Krieg (2012), 201; Hamilton, King (2000), 84–93. Wilhelm von Tyrus, der Erzieher Balduins, schildert die Ereignisse und Personen, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 17, 9; 21, 3–5. Ed. Huygens (1986), 772; 963–967. Raimunds Vater wurde schon 1152 von den Assassinen ermordet, Raimund III. (* 1141, † 1187) wurde neuer Graf von Tripolis, zunächst führte seine Mutter Hodierna, Tochter Balduins II., die Regentschaft. 1164 geriet Raimund in die Gefangenschaft Nūr ad-Dīns. Bis zu seiner Freilassung 1174 übte Amalrich die Regentschaft über das Fürstentum aus. Über seine Frau Eschiva von Bures, der Witwe Walters von Saint-Omer, wurde Raimund ab 1174 Fürst von Galiläa, Köhler, Allianzen (1991), 289; Murray, Raymond III (2006); Baldwin, Raymond (1934). In seiner Funktion als Regent für Balduin IV. ernannte er Wilhelm von Tyrus 1174 zum Kanzler des Königreichs Jerusalem, 1175 dann zum Erzbischof von Tyrus. 1004 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 328. „Balduins Situation war äußerst heikel – als Monarch war er kritischen Fragen ausgesetzt; als Herrscher war er unfähig, für Stabilität zu sorgen; und in dynastischer Hinsicht war es ihm nicht vergönnt, die königliche Erbfolge fortzusetzten, weil man zu seiner Zeit davon ausging, dass sexueller Kontakt zur Übertragung der Krankheit führte, aber wohl auch, weil Balduin infolge seiner Krankheit unfruchtbar war. So ruhten die Hoffnungen für die Zukunft auf Balduins Schwester Sybilla“, ebd., 329  f.; Hamilton, King (2000). 1005 Ebd., 93; Köhler, Allianzen (1991), 289. 1006 Ebd., 290. „Aus all dem geht hervor, dass auf fränkischer Seite die Folgen des Vordringens Saladins nach Syrien klar analysiert wurden; und Ergebnis dieser Analyse war eine Neuorientierung der Bündnispolitik. Offensichtlich hatten die Franken aber Probleme bei der Beantwortung der Frage, mit wem man zusammenarbeiten solle. Dass Saladin nicht behindert wurde, als er im Oktober 1174 mit schwachen Kräften Damaskus besetzte, braucht nicht mit bündnispolitischen Erwägungen (man hatte ja in den Monaten zuvor in engem diplomatischen Kontakt zu Saladin gestanden!) begründet zu werden. Vermutlich war Jerusalem nach dem Tod Amalrichs I. noch zu sehr mit Thronfolge- und Regentschaftsproblemen beschäftigt“, ebd., 291. Siehe auch Kapitel III.1.7. 1007 Raimund selbst stand noch in der Schuld der Zengiden, da Teile seines Lösegeldes noch nicht bezahlt waren, Hamilton, King (2000), 93; Köhler, Allianzen (1991), 289. 1008 Hamilton, King (2000), 98  f.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

noch im Sommer 1175 wurde ein entsprechender Vertrag abgeschlossen.1009 Raimund vermied eine direkte Konfrontation mit Saladin und verfolgte eine „Politik diplomatischer Annäherung“.1010 Die Franken griffen immer erst dann ein, „wenn der Verlauf der Kämpfe einseitig zugunsten eines der Kontrahenten auszufallen schien.“1011 Zumindest bis zur Schlacht bei Tall as-Sultan am 22. April 1176 scheint der Neutralitätsvertrag zwischen Saladin und Raimund befolgt worden zu sein, „obwohl Saladin Zweifel an seiner Dauerhaftigkeit hegte.“1012 Mit Saladin stand Raimund in gutem Einvernehmen, es wird gar von Freundschaft gesprochen.1013 Ein Umschwung in der Politik gegenüber den Muslimen erfolgte dann mit der Herrschaftsübergabe an Balduin. Der im Sommer 1176 eben volljährig gewordene Balduin weigerte sich, den Friedensvertrag mit Damaskus zu verlängern und griff ayyubidisches Gebiet an.1014 In der kurzen Zeitspanne von Raimunds Regentschaft, die mit einem Waffenstillstand bzw. Friedensvertrag zwischen Saladin und Jerusalem zusammenfiel, spricht nichts gegen einen ungehinderten Warenverkehr zwischen Jerusalem und Damaskus. Abgesehen von der politischen Lage war auch die Jahreszeit für eine Handelsfahrt besonders günstig, da die Handelsfahrten nach Europa aufgrund der Wetterbedingungen vornehmlich in den Monaten April und Mai stattfanden.1015

1009 Ebd., 100. Michael Köhler vermutet den Vertragsabschluss schon im April, Köhler, Allianzen (1991), 291. „Es ist also nicht zu verkennen, dass Raimund zwar strategisch dachte und verhindern wollte, dass eine Seite zur neuen Vormacht würde. Er suchte aber jeweils auch seinen persönlichen Vorteil, wobei unklar ist, ob für Raimund Strategie oder Eigeninteresse das erstrangige Entscheidungskriterium war. Erstmals seit der festen Etablierung des Königtums in Jerusalem im ersten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts wird hier deutlich, dass das Privatinteresse eines der großen Barone zur bestimmenden Größe für die Ausgestaltung der Vertragspolitik wurde.“ Das fränkische Nichteingreifen erleichterte Saladin die Konsolidierung seiner Position in Nordsyrien, Hamilton, King (2000), 100. 1010 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 330. 1011 Köhler, Allianzen (1991), 293. 1012 Ebd., 292. Interessant ist die Suspensionsklausel, von der Saladins Sekretär al-Kātib al-Isfahānī um 1177/1178 berichtet: „Eine der Waffenstillstandsklauseln (surūt al-hudna) der Franken besagte, dass sie, wenn von ihnen (? lahum) ein König oder Großer käme, wobei sie keine Möglichkeit hätten, ihn zurückzuhalten, ihm (dann) hälfen und sich nicht zu ihm in Widerspruch stellten, seine Verbündeten würden und nicht gegen ihn opponierten. Wenn er dann zurückkehrte, solle auch der Waffenstillstand wieder in Kraft treten, wie er zuvor gegolten hatte. Das feindselige Verhalten (sidda) wäre dann erledigt“, ebd., 299. Deutlich zeigt sich die Abhängigkeit Jerusalems von europäischer Hilfe. Für das 12. Jahrhundert gibt es allerdings keine weiteren Belege und keinen Nachweis, wann die Klausel das erste Mal Anwendung fand. Interessant ist diese Klausel bezüglich der Verbindung Raimunds zu Barbarossa, denn er arrangierte 1176 auch die Ehe von Balduins Schwester Sybille mit Wilhelm von Montferrat, einem Cousin und Parteigänger Friedrich Barbarossas, wie auch Cousin Ludwigs VII. von Frankreich, der aber schon kurz nach seiner Hochzeit starb, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 21, 12. Ed. Huygens (1986), 977–979; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 330; Runciman, Kreuzzüge (2001), 712. 1013 Oschema, Blutsbrüderschaft (2008), 65–67. 1014 Im Juli und Anfang August unternahm Balduin IV. einen Streifzug nach Damaskus in die BiqaEbene, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 330  f.; Köhler, Allianzen (1991), 292. 1015 Ibn Ǧubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 232.

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An Jerusalem führten die großen Handelsstraßen nicht direkt vorbei. Es besaß nicht die gleiche wirtschaftliche Bedeutung wie die Häfen Akkon und Tyrus, doch bestand hier wegen des Hofes ein besonderer Bedarf an Waren.1016 Von Akkon war Jerusalem in drei Tagen erreichbar wie Burchard richtig angibt. Von dort reisten die Handelskarawanen dann nach Askalon und auf der Küstenroute weiter nach Ägypten. Angenommen werden kann, dass Burchard in jedem genannten Ort Station machte und insgesamt wohl 10–12 Tage im Königreich unterwegs war. Das Schweigen über die Eindrücke beim Besuch der genannten Städte ist vielleicht dem Umstand geschuldet, dass er sich nur kurz in diesen Städten, evtl. auch nur im Funduk, aufhielt. Erst an der Grenze zu Ägypten wird sein Bericht wieder genauer. Alternativ oder zusätzlich zur These, dass Burchard mit einer solchen Handelskarawanen unterwegs war, könnten im Königreich Jerusalem auch diplomatische Gespräche stattgefunden haben. Nicht auszuschließen bleibt, dass sich abgesehen von den Händlern und den Begleitpersonen noch weitere Gesandte oder Boten in der Gruppe befanden.1017 An der Grenze zum Machtbereich Saladins, der 1170 das nur 20 km von Akkon entfernte Gaza eingenommen hatte,1018 beschreibt Burchard die Stadt Askalon als befestigte Hafenstadt.1019 Askalon lag an der Grenze zum muslimischen Herrschaftsgebiet und besaß daher große strategische Bedeutung. Wilhelm von Tyrus berichtet, dass die Stadt regelmäßige Unterstützung durch den fatimidischen Kalifen erhalten hatte, da nur hier der Vormarsch der Franken aufgehalten werden konnte.1020 Von dort 1016 Heyd, Levantehandel Bd. 1 (1879), 193; Boas, Jerusalem (2008). 1017 In Erwägung zu ziehen ist daneben, dass die Saladinroute durch den Sinai aufgrund durchziehender ägyptischer Truppen vermieden wurde, vgl. Eddé, Saladin (2008), 93. Interessanterweise nahm aber auch Saladin 1176 den Weg von Damaskus nach Kairo über Jerusalem, „(…) le sultan et l’ambassadeur impérial auraient-ils fait la route ensemble?“, Tolan, Europe (2009), 100. 1018 Mayer, Kreuzzüge (1995), 151; Eddé, Saladin (2008), 61. 1019 Askalon ist eine der ältesten Städte des Heiligen Landes und seit dem Neolithikum besiedelt. Sie ist eine der Philisterstädte des Alten Testaments, seit alters her eine Handels- und Hafenstadt wie auch Bischofssitz. Von den Arabern wurde sie als letzte Stadt 640 erobert, seit 969 stand Askalon unter der Herrschaft der Fatimiden. In der Kreuzzugszeit lag ihre Bedeutung in der strategischen Lage nahe Ägypten. „Der Hauptbeitrag Ascalons zur Geschichte der Kreuzfahrerzeit war seine 50  Jahre währende Rolle als Außenposten bzw. Brückenkopf der Fatimiden auf fränkischem Gebiet“, Boas/ Piana, Ascalon (2008), 263. Erst 1153 konnten die Kreuzfahrer die Stadt einnehmen. 1177 belagerte Saladin die Stadt erfolglos. Vgl. die Schilderung bei Wilhelm von Tyrus, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 17, 22. Ed. Huygens (1986), 790–792. 1020 Erat autem in eadem civitate populus multus, quorum ei qui minimus erat et, vulgo dicebatur, etiam recens nato de thesauris Egyptii caliphe dabantur stipendia: multam enim et maximam tam predictus dominus quam eius principes pro eadem urbe gerebant sollicitudinem, arbitrantes quod si illa deficeret, in nostrorum veniens dicionem, nichil restaret aliud quam ut libero et sine difficultate accessu nostri principes in Egyptum descenderent, regnum violenter occupaturi. Utebantur ergo ea pro muro et profusa liberalitate quater in anno tam per mare quam per terras civibus ministrabant subsidia, ut ea superstite et nostris circa eam studium consumentibus et operam, ipsi optata interim tranquilitate fruerentur. Multis ergo propterea urbi necessaria nimistrabant expensis, arma, victum et recentem militiam certis temporis dirigentes, ut nostris circa eos occupatis, minor eos de nostrorum suspectis viribus

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Abb. 18: Der nördliche Teil des Sinai im Mittelalter („Evolution de la frontière du Nord-Sinaï au Moyen Age“), Karte entnommen aus Mouton, Sinaï (2000), 199.

benötigte Burchard nach eigenen Angaben acht Tage bis nach Babylon. Als einzige weitere Station nennt er Al-Arisch, dessen erwähnenswerte Attraktivität in einem Bordell (prostibulum meretricum) bestand. Burchards Interesse an dem Bordell in ElArisch hat möglicherweise einen handfesten ökonomischen Hintergrund. Lateinische Quellen enthalten den Vorwurf, Saladin habe „zu Beginn seiner Karriere (als Polizeichef) durch eine Steuer an der Prostitution verdient und sich mit dem so erworbenen Geld durch Schauspiele bei der Bevölkerung von Damaskus beliebt gemacht.“1021 Erst ab 1178 wird berichtet, dass Saladin öffentlich gegen die Prostitution vorging und Bordelle in Ägypten schließen ließ.1022 Auf dem Weg durch die Wüste fiel ihm des Weiteren ein mit Steinsalz (sale gemma) bedecktes Areal auf: In qua via stratam per miliare unum sale gemmam coopertam inveni et plurimos vidi onagros et boves silvestres. Die genaue Lokalisierung der Salzwüste ist schwierig, da dafür mehrere Orte in Frage kommen. Salzfelder sind an der Küste des Bardawilsees bekannt, an dem die Via maris wie auch die Nordroute

premeret sollicitudo, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 17, 22. Ed. Huygens (1986), 791  f.; Giese, Stadt­ beschreibungen (1978), 389. 1021 Möhring, Saladin (2005), 46. 1022 Ebd., 45  f.

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vorbeiführten.1023 Einen hohen Salzgehalt weisen auch die Bitterseen in der Nähe von Ismailia auf.1024 Die genaue Wegführung von der Mittelmeerküste des Sinai bis nach Fustat ist nicht ersichtlich, in al-Warrada oder auch erst al-Farama kann die Küstenroute in Richtung Fustat verlassen worden sein.1025 Von Fustat aus reiste Burchard sicherlich weiter nach Alexandria, wo er anschließend vielleicht mit demselben Schiff wie auf der Hinfahrt zurück nach Genua fuhr. Üblicherweise legten die im Herbst/Winter 1175 angekommenen Schiffe zwischen April und Juni mit neuer Ware wieder gen Italien ab. Abschließende Informationen zu Syrien, wie im Anschluss an den ersten Reise­abschnitt durch Ägypten, liefert Burchard nicht. Der Bericht endet mit einem Abschnitt über die religiösen Rituale und Gewohnheiten der Muslime.

III.2 Bewohner des Landes III.2.1 Die Assassinen Im Anschluss an die Beschreibung des Klosters von Saidnaya folgt eine längere Darstellung der ca. 200 bis 250 km weiter nördlich von Damaskus lebenden Gemeinschaft der Assassinen. Nota, in terminis Damasci, Antiochie et Alapie est quoddam genus Sarracenorum in montanis, quod eorum vulgari Heyssessini vocatur et in Romano segnors de montana. Hoc genus hominum sine lege vivit, carne quoque porcina vescitur contra legem Sarracenorum et omni muliere abutitur indifferenter, scilicet matre et sorore. In montibus habitant, et sunt quasi inexpugnabiles, quia in munitissimis castris recipiuntur. Et terra eorum non multum est fertilis, nisi quod de peculio vivunt. Habent etiam inter se dominum, qui omnibus Sarracenis principibus prope et longe positis, nec non Christianis vicinis et magnatibus timorem maximum infert, quoniam eos miro modo occidere solet.

Die unter dem Namen Assassinen bekannte (Glaubens-)Gemeinschaft gehörte zum Bekenntnis des schiitisch-ismailitischen Islams und bildete innerhalb der ismailitischen Schia eine eigene Fraktion. Den fatimidischen Kalifen in Kairo wie auch den sunnitischen Kalifen in Bagdad verwarfen sie als Usurpatoren. Von den Ismailiten selbst wurden sie als Nizariten (nizārīya) bezeichnet, da sie nach dem Tod des fatimidischen Kalifen al-Mustanṣir 1094 dem zur Nachfolge designierten Kalifen al-Mustaʿlī

1023 Der Sirbonische See heißt arabisch Bardawilsee, benannt nach Balduin I., der in El-Arisch seinen Tod fand. Die Nehrung wurde von einigen Forschern als das Schilfmeer lokalisiert, in dem das Heer Pharaos bei der Verfolgung des Volkes Israel versank, so von Matthias Jakob Schleiden, Heinrich Brugsch, Alan Gardiner und James Karl Hoffmeier. 1024 Die beiden Bitterseen waren mit dem Roten Meer verbunden. 1025 Der alte Horusweg führte von Gaza über Pelusium, dann nördlich vom Bittersee nach Bubastis, siehe auch Karte Kapitel III.1.6.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

die Anerkennung als rechtmäßigem Imam verweigert und sich stattdessen dem Thronfolger Nizār angeschlossen hatten.1026 In aktiver, wenn auch geheimer missionarischer und politischer Tätigkeit (daʿwa)1027 bereiteten sie die erwartete Wiederkunft 1026 Die Ismailiten gingen aus der schiitischen Fraktion der Imāmīya (der husainidischen Linie der alidischen Imame) hervor. Nach dem Tod des 6. Imams Ğaʿfar aṣ-Ṣādiq (765) erklärten sie dessen Sohn Ismael zum rechtmäßigen Nachfolger (7. Imam) und spalteten sich von dem eigentlich zum Nachfolger bestimmten Sohn Mūsā al-Kāẓim ab, Daftary, Ismailis (2008); Ders., Légendes (2007), 25–61; Ders., Geschichte (2003), 29–47; Ders., Origins (1996). Nach einer Zeit verborgenen Wirkens und der Mission (daʿwa) mittels Sendboten (dāʿī) konnten sie v.  a. im Jemen und dann in Ifriquia Erfolge erzielen. 909 gelang die Gründung des fatimidischen Kalifats in Tunesien; nach der Eroberung Ägyptens wurde die neu gegründete Hauptstadt Kairo 973 Sitz des Kalifen. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht herrschten sie über Ägypten, Nordafrika, Sizilien, Syrien, den Ḥiǧāz und Jemen. Faktische Macht übernahmen allerdings bald die Militärkommandanten anstelle des ismailitischen Kalifen und schwächten das Kalifat nachhaltig, Daftary, Geschichte (2003), 75–96; Lewis, Ismāʿīlites (1969), 101–106. „Soon the world-wide ambitions of the Ismāʿīlite mission were abandoned, and the descendants of al-Muʿizz became a local Egyptian dynasty – secularized, militarized, and in decay“, ebd., 106; Daftary, Dawa (2007). 1074 hatte, der armenische General General Badr al-Ǧamālī mit militärischer Unterstützung seiner Armee faktisch die Macht in Ägypten übernommen, die Kalifen regierten nurmehr zum Schein. Zu einer erneuten Spaltung kam es nach dem Tod des Kalifen al-Mustanṣir 1094, als der Wesir AlAfḍal, der Sohn Badr al-Ǧamālīs, anstelle des Thronfolgers Nizār dessen jüngeren Bruder Al-Mustaʿlī zum Kalifen einsetzte. Die Einsetzung al-Mustaʿlīs führte zu einer tiefgreifenden Spaltung zwischen Mustaʿlīs und Nizariten, Daftary, Légendes (2007), 45  f.; Lewis, Ismāʿīlites (1969), 105–107. Unterstützung erhielt der vertriebene Nizār v.  a. von den östlichen Ismailiten, welche in Opposition gegen die seldschukische Vorherrschaft eine starke Dynamik und politische Aktivität entwickelt hatten. Unter Ḥasan-i Ṣabbāḥ wurden die Beziehungen zu Kairo und dem Usurpator al-Mustaʿlī abgebrochen, langfristiges Ziel stellte vielmehr die Einsetzung eines eigenen Imams dar. Zwar soll Nizār selbst zusammen mit seinem Sohn in Ägypten ermordet worden sein, doch gelangte sein Enkel – so besagt es die Legende – nach Persien, wurde von Ḥasan-i Ṣabbāḥ heimlich aufgezogen und konnte eine neue Folge von Imamen begründen, Daftary, Légendes (2007), 48–50. Der vierte nizaritische Großmeister al-Ḥasan ʿalā ḏikrihi as-salām (1162–1166) proklamierte sich als Enkel Nizārs schließlich zum ersten neuen Imam, Lewis, Assassins (1971); Ders., Ismāʿīlites (1969), 106–108. Mit dem Fall Alamuts endete die selbständige Herrschaft, die Gemeinschaft blieb aber bestehen. Im 19. Jahrhundert emigrierten sie unter ihrem 46. Imam nach Indien, heute lebt die Mehrheit der 20 Millionen Nizariten in P ­ akistan. Derzeitiges Oberhaupt ist Karīm Āqā Ḫān  IV., Daftary, History (2011); Hirji, Ismailis (2008). Zu den Ismaeliten/Assassinen im Mittelalter siehe auch: Halm, Kalifen (2014); Ders., Assassinen (1996); Daftary/Nanji, Role (2007); Ders., History (1996); Ders., Ismāˁīlīs (1990); Lewis, Assassinen (1989); Ders., Hashishiyya (1971); Ders., Ismāʿīlites (1969); Ders., Sources (1952); Burman, Assassins (1987); Madelung, Ismā’īliyya (1978); Hodgson, State (1968); Ders., Order (1955); Nowell, Man (1947). 1027 „In the religious sense, the daʿwa is the invitation, addressed to men by God and the prophets, to believe in the true religion, Islam (Sure XIV, 46). The religion of all prophets is Islam, and each prophet has his daʿwa, an idea which has been developed, with the addition of heterodox elements, by the Ismailis (…) In the politico-religious sense, daʿwa is the invitation to adopt the cause of some individual or family claiming the right to the imamate over the Muslims, that is to say civil and spiri­ tual authority, vindicating a politico-religious principe which, in the final analysis, aims at founding or restoring an ideal theocratic state based on monotheism. The whole organization responsible for attracting the greatest possible number of people to this idea and for giving power to their representatives, as well as propaganda for this purpose, is thus called daʿwa which can often be translated as

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und Herrschaft des verhüllten rechtmäßigen Imams vor.1028 Ende des 11. Jahrhunderts gelang den östlichen Ismailiten unter Führung von Ḥasan-i Ṣabbāḥ1029 (* ca. 1050, mission or propaganda“, Canard, Dawa (1965), 168. In der Auseinandersetzung mit der neuplatonischen Philosophie entstand im Iran ein „philosophisches Ismaelitentum“, ein „Amalgam aus Vernunft und Offenbarung“, um die gebildeten Schichten für die daʿwa zu gewinnen, Daftary, Geschichte (2003), 99. Die neuplatonische Kosmologie der iraninschen dāʿīs wurde vom fatimidischen Kalifen al-Muʿizz bestätigt. Nach der Heilslehre besteht das „eigentliche Ziel der Erlösung des Menschen“ im Aufstieg der Seele, d.  h. in der „Suche nach geistiger Belohnung in Form des ewigen Lebens im Paradies.“ Bei diesem Streben ist der Mensch auf die Führung der ismaelitischen daʿwa angewiesen, ebd., 102; Daftary, Dawa (2012), 42; Lewis, Assassinen (1989), 76. Rechtfertigendes Prinzip der Geheimhaltung der Glaubensüberzeugung war die taqīya (Vorsicht); sie bildete – nicht nur in schiitischer Tradition – auf Grundlage der Sure 3, 28 „ein Gegengewicht zu der selbstzerstörerischen Militanz“, Lewis, Assassinen (1989), 46; Halm, Oath (1996). 1028 Im Mittelpunkt des ismailischen Systems steht der Imam: „Nach der Erschaffung der Welt durch Einwirkung des universalen Logos auf die Weltseele, so besagt die Doktrin, zerfällt die menschliche Geschichte in eine Anzahl von Zyklen, an deren Anfang jeweils ein ‚sprechender‘ Imam oder Prophet steht, dem eine Reihe ‚stummer‘ Imame folgt. (…) Die Imame, im gegenwärtigen Zyklus, die Nachkommen von Ali und Fatima über Ismaʿi, sind göttlich inspiriert und unfehlbar, in gewisser Weise selbst göttlich, weil der Imam der Mikrokosmos, die Personifikation der metaphysischen Weltseele ist. In dieser Funktion ist er der Urquell des Wissens und der Autorität, der esoterischen Wahrheiten, die den Uneingeweihten verborgen sind, und der Gebote, die totalen und bedingungslosen Gehorsam heischen“, Lewis, Assassinen (1989), 49; Madelung, Imama (1971); Gardet, Imam (1971). Die Erwartung eines verborgenen Imams, eines Mahdī, der am Jüngsten Tage zurückkehren würde, entstand schon früh im Islam und wird nicht nur von den Schiiten geteilt. Schiitische Bewegungen bezogen diese Hoffnung im Laufe der Geschichte auf bestimmte Persönlichkeiten, deren Wiederkunft als rechtmäßigen Führer sie erwarteten (Zwölfer-Schia, Drusen, Qarmaten, Siebener Schia), Madelung, Shia (1997); Daftary, Mahdi (2012). „In common with all Shiʿi communities, the Ismailis believe that the imamate (imāma) is a divinely sanctioned and permanent institution of mankind through which Muslims receive the necessary guidance. The imamate is complementary to the prophecy (nubuwwa) in ensuring that the divine purpose is fulfilled on earth at all times. Therefore, the earth can never be left without an ‚imam of the time‘. Indeed, there is always in existence a true imam, designated by the naṣṣ, or explicit designation of the previous imam, who possesses all the authority of the sole legitimate imam of the time“, Daftary, Imamate (2012), 80; Ders., Ismailis (2008); Ders., Origins (1996). 1029 Der Perser Ḥasan-i Ṣabbāḥ gehörte ursprünglich der Zwölfer-Schia an, konvertierte mit 17 Jahren zum Ismaelitentum und unterstellte sich dem fatimidischen Imam. Wahrscheinlich drei Jahre verbrachte er zur Weiterbildung in Kairo, kehrte dann nach Persien zurück und predigte dort die ismailitische Auslegung des Koran, die von mehreren Bedeutungsebenen der Schrift ausgeht. In Opposition zum fatimidischen Wesir Badr al-Ǧamālī verfolgte er einen eigenen unabhängigen Kurs im Kampf gegen die Fremdherrschaft der Seldschuken. „The establishment of Turkish rule over the Iranian lands checked the rapid resurgence of Persian culture and Iranian ‚national‘ sentiments‘“, Daftary, Ḥasan-i Ṣabbāḥ (1996), 184. Nach intensiver und erfolgreicher Anwerbung von Anhängern erwarb Ḥasan-i Ṣabbāḥ 1090 die Bergfestung Alamut als Operationsbasis, die er bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen haben soll. Die von ihm augeschickten dāʿīs stärkten den ismaelischen Einfluß und Besitz in der Region. Im Konflikt um die Nachfolge al-Mustanṣirs schlossen sie sich Nizār an, dessen Nachfolge aber ungeklärt blieb, Daftary, Ḥasan-i Ṣabbāḥ (1996), 195. Als Stellvertreter (huğğa) des verborgenen Imams wurde Ḥasan-i Ṣabbāḥ anerkannt. „And Ḥasan-i Ṣabbāḥ acted as the imam’s huğğa until such time as the imam himself would appear and take charge of the leadership of his

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† 1124) in Nordpersien die Etablierung einer faktisch unabhängigen nizaritisch-ismailitischen Gemeinschaft mit Sitz in der Bergfestung Alamut.1030 Zu Beginn des 12. Jahrhunderts dehnten sie ihre Aktivitäten auf Syrien aus, das seit 1070–1079 ebenfalls unter seldschukischer Herrschaft stand, dessen Bevölkerung sich aber zum größten Teil aus aramäischen Christen und unterschiedlichen Zweigen der Schia und Ismailia zusammensetzte, die ihnen nahe standen.1031 Rückzugsgebiet der Nizariten war vor allem das parallel zur Mittelmeerküste verlaufende Bergmassiv Ǧibāl al-Anṣārīya, wo durch Kauf und Eroberung ab ca. 1140 ein Netzwerk von Bergfestungen mit Mittelpunkt in Maṣyāf entstand.1032 In unmittelbarer Nähe der Kreuzfahrerherrschaften Antiochia und Tripolis beherrschten sie damit ein quasi autonomes Gebiet im unzugänglichen Bergland, das kaum von anderen Zentralgewalten zu kontrollieren war.1033 community“, ebd., 197. „Hasan widmete seine ganze Kraft dem Ziel, die Seldschuken zu beseitigen, und so formte er aus den persischen Ismailiten eine furchteinflößende und äußerst disziplinierte revolu­tionäre Streitmacht. Fortan redeten sich die persischen Ismailiten unterschiedlicher sozialer Herkunft (…) untereinander mit rafīq, Kamerad, an“, Daftary, Geschichte (2003), 143. Ḥasan-i Ṣabbāḥ führte ein äußerst asketisches Leben. Strenge und eine straffe Organisation kennzeichneten seine Bewegung. Er war hochgebildet, widmete sich zeitlebens den Wissenschaften und verfügte auf Alamut über eine umfangreiche Bibliothek. Unter seiner Führung etablierte sich Persisch als religiöse Sprache der persischen Ismaelis, u.  a. der dāʿī Nāṣir-i Ḫusrau verfaßte alle seine Werke auf persisch. Siehe auch: Daftary, Légendes (2007), 50–56; Lewis, Assassinen (1989), 63–94; Frère, Ordre (1973); Hodgson, Order (1955), 41–98; Lockhart, Ḥasan-i Ṣabbāḥ (1930). 1030 Nach Erwerb der Bergfestung Alamut konnten die Nizariten ihre Stützpunkte in anderen Teilen Persiens und dem Irak befestigen und ein eigenes und unabhängiges Staatswesen errichten, das bis 1273 bestand hatte. Die Etablierung in Syrien seit Anfang des 12. Jahrhunderts gestaltete sich schwieriger und nahm 50 Jahre in Anspruch, Daftary, Ḥasan-i Ṣabbāḥ (1996), 198. Hauptquartier der Nizariten blieb Alamut, wo sie eine Zentralregierung und eigene Münze hatten, Daftary, Geschichte (2003), 158; Lewis, Assassinen (1989), 72; Ders., Ismāʿīlites (1969), 109  f. 1031 Daftary, Geschichte (2003), 153. Syrien war religiös eines der Zentren und Rückzugsgebiete schii­tischer Gruppen. Geostrategisch und politisch bot es sich als „a sort of no-man’s-land“ zwischen den Zentren Ägypten und Persien als Operationsbasis an. Die religiöse und politische Zersplitterung machte Syrien zu einem besonders fruchtbaren Feld für die nizaritische Propaganda, stellten sie doch die Befreiung von drückender Fremdherrschaft in Aussicht. Für die Wiederkunft eines gerechten Imams, der aller Unterdrückung ein Ende machen würde, war die schiitisch geprägte Bevölkerung besonders empfänglich, so die Drusen und Nusairis, Lewis, Syria (1971), 577; Ders., Ismāʿīlites (1969), 112–114; Braune, Untersuchungen (1993), 297–301. 1032 Maṣyāf liegt in unmittelbarer Nähe vom Krak des Chevaliers. Weitere Burgen waren al-Qadmūs, al-Kahf, Qalaʿat al-Ḫawābī, ar-Ruṣāfa, al-ʿUllaiqa und al-Mainaqa, Willey, Nest (2005), 216–232; Daftary, Geschichte (2003), 157; Braune, Untersuchungen (1993); Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 31; Lewis, Ismāʿīlites (1969), 119. Die Bevölkerung dieser abgelegenen Bergregion besteht heute noch jeweils zur Hälfte aus arabischsprachigen Ismailiten und aramäischsprachigen Christen. 1033 Zeitweilig konnten sie ihren Einfluss auf Aleppo (1124), dann Damaskus und Bāniyās ausdehnen. Die Nizariten besaßen in zahlreichen Städten Stützpunkte und standen mit den benachbarten Herrschaften in komplizierten Beziehungen. Nach der Allianz mit Riḍwān, dem seldschukischen Herrscher von Aleppo, kam es nach dessen Tod 1113 zu antiismailitischen Ausschreitungen. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit tausendenen von Toten kam es auch 1129 in Bāniyās. Der nizaritische Führer floh daraufhin zu den Franken, Lewis, Ismāʿīlites (1969), 111–119.

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Die syrischen Nizariten unterstanden der Führung des huğğas1034 von Alamut, der die Mission (daʿwa) organisierte und die dāʿīs ernannte. Dāʿīs waren als geistliche Führer für die Rekrutierung neuer Anhänger zuständig.1035 Kraft ihrer Autorität als Repräsentanten und Gesandte des huğğa kamen ihnen organisatorische Aufgaben zu. Sie waren äußerst gebildet, in Geheimhaltung geschult, gut vernetzt und pflegten Kontakte zu potentiellen politischen Partnern. Über ihre Missionsmethoden ist allerdings weder aus fatimidischer noch aus späterer Zeit Genaueres bekannt: „Les dāʿīs fatimides étaient en général des théologiens hautement qualifiés qui produisirent également la majeure partie de la littérature ismaélienne de l’époque. Bien que l’on ne sache rien des méthodes qu’ils utilisaient pour s’attirer la sympathie des nouveaux adeptes et les convertir, il est certain que des approches différentes étaient utilisées selon leur origine religieuse ou socio-culturelle. Il semble que les dāʿīs traitaient chaque cas individuellement, en procédant de façcon graduelle pour initier et éduquer ces nouveaux adeptes. Mais rien ne permet de prouver, comme le prétendent les sources hostiles aux ismaéliens, qu’il ait existé, à quelque époque que ce soit, un système de sept ou de neuf étapes d’initiation permettant d’adhérer à l’ismaélisme.“1036 Als Gemeinschaft ismailitischer Muslime standen die Nizariten vor allem den Vertretern des sunnitischen Islams feindlich gegenüber und richteten ihre Aktivitäten gegen die Seldschukenherrschaft in Persien und Syrien.1037 Über eine „feldtaugliche Armee“1038 verfügten die Nizariten freilich nicht. Angesichts der militärischen Übermacht der Seldschuken verlegte sich Ḥasan-i Ṣabbāḥ auf die Technik des heimtückischen Mordes, um seine militärischen und politischen Ziele zu erreichen.1039 Die

1034 Die eigentliche Bedeutung von huğğa ist „Beweis für Gottes Wirken“. Die Ismailis benutzten den Begriff für einen Würdenträger der daʿwa, der in Stellvertretung des verhüllten Imams Nizār agierte, Daftary, Hujja (2012); siehe Anm. 1028. 1035 „The term dāʿī (plural duʿāt) was applied to any authorized representative of the Ismaili daʿwa, a religio-political missionary or propagandist responsible for spreading the Ismaili doctrine and winning followers for the imam“, Daftary, Dāʿī (2012); Calderini, Portrayal (2007). Die syrischen dāʿīs stammten aus Persien und wurden vom Großmeister in Alamut ernannt, welcher wohl auch ihre Aktionen und Anschläge steuerte, Lewis, Assassinen (1989), 76; Ders., Syria (1971), 577; Ders., Ismāʿīlites (1969), 111; Daftary, Geschichte (2003), 106–128; Halm, Oath (1996). 1036 Daftary, Légendes (2007), 38. Besonders unter den Fatimiden wurden die dāʿīs zur Verbreitung der schiitischen Lehre gefördert. Unter ihnen waren bedeutende Gelehrte, Theologen, Philosophen, Juristen. 1037 Die Islamisierung der Seldschuken hatte zusammen mit anderen Faktoren zu einer sunnitischen Erneuerungsbewegung geführt, der das schwache fatimidische Kalifat kaum etwas entgegen zu setzen hatte, es war eher „zu einem Hindernis für die ismailischen Ansprüche geworden“, Lewis, Assassinen (1989), 94; Daftary, Légendes (2007), 41; 51; Ders., Geschichte (2003), 140–150; Ders., Ḥasan-i Ṣabbāḥ (1996), 184. 1038 Halm, Assassinen (2003), 66. 1039 Mord, verstanden als religiöse Pflicht, stellt kein Alleinstellungsmerkmal der Assassinen dar. Bekannt ist die Mordpraktik des Strangulierens von Sekten des 8. Jahrhunderts aus dem Irak, Lewis,

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fidāʾīs1040 (Getreue) verübten politisch motivierte Attentate auf die Repräsentanten der herrschenden Zentralgewalt des sunnitischen und fatimidischen Kalifats, wobei oftmals nicht geklärt ist, ob es sich dabei um Auftragsmorde auf Geheiß muslimischer oder christlicher Fürsten handelte.1041 Opfer waren in allen Fällen politische Schlüsselfiguren. Das erste Attentat wurde 1092 an dem Wesir Niẓām al-Mulk verübt, der für die Angriffe auf Alamut verantwortlich war.1042 Als Vorkämpfer der sunnitischen Orthodoxie wurde dann Saladi zum Hauptfeind der Nizariten.1043 Im Januar

Ismāʿīlites (1969), 108  f. Der religiös-politisch motivierte Mord wurde innerhalb des Islams schon vorher und von anderern Gruppen wie den ġulāt und den Ḫawāriǧ ausgeübt, doch erst von den Nizariten als spezielle Art der Kriegsführung systematisch und auf spektakuläre Weise eingesetzt, Daftary, Légendes (2007), 51; Ders., Ḥasan-i Ṣabbāḥ (1996), 192. Auch wenn bei den Assassinen die politische Intention betont wird, ist eine religiöse Komponente enthalten. Kennzeichnend sind die ausschließliche Verwendung des Dolches und die direkte Konfrontation mit dem Opfer (anders als bei Gift oder Pfeilen). 1040 Über die Auswahl und Ausbilung der fidāʾīs ist wenig bekannt, wegen ihres Mutes und ihres Gehorsams wurde sie als Helden verehrt. „Il n’est pas certain que les fidāʾīs de Perse aient été constitué en un corps spécial, alors qu’ils étaient en Syrie, du moins pendant un certain temps. Il ne semble pas non plus qu’ils aient reçu une formation particulière en langues ou d’autres sujets ainsi que le suggèrent les récits compliqués de certaines chroniques occidentales des Croisés et des écrivains euro­ péens postérieurs. A une certaine époque à Alamut, s’établit cependant la pratique d’introduire, sous différents déguisements, des assassins potentiels dans les demeures d’un certain nombre d’ennemis notoires de la communauté. Des agents secrets se trouvaient ainsi dans une position idéale pour pouvoir, le cas échéant, exécuter leurs missions d’assassinats; la seule rumeur de leur existence s’avérait également particulièrement intimidante“, Daftary, Légendes (2007), 51  f.; Huart, Fidā῾ī, (1965). 1041 Beim Mord 1113 an Maudud, dem seldschukischen Emir von Mosul, soll der Atabeg von Damaskus beteiligt gewesen sein. Anlässlich des Mordes am fatimidischen Wesir al-Afdal bestand das Gerücht, der fatimidische Kalif habe das Attentat veranlasst. Beim Mord 1139 am Kalifen al-Mustaršid von Bagdad wiederum soll der Seldschukensultan Drahtzieher gewesen sein, Halm, Assassinen (2003), 68  f. Dass sich die Assassinen in dieser Zeit als Mörder anheuern ließen, scheint nach Bernard Lewis eher unwahrscheinlich. Auch gesetzt den Fall, wären die Auftragsmörder selbst kaum über den eigentlichen Drahtzieher informiert gewesen. Eher hatten diese Vermutungen den Effekt, nicht nur die Assassinen selbst, sondern auch deren mutmaßliche Verbündete zu diskreditieren, Lewis, Sources (1952), 489. Opfer der Assassinen waren u.  a. der Wesir Niẓām al-Mulk (1093); Wesir Muʿīn ad-Dīn in Bagdad (1127), der Fatimidenkalif von Kairo al-Amīr (1130); Tāǧ al-Mulk Būrī in Damaskus (1131); ar-Rašīd, der sunnitische Ex-Kalif von Bagdad (1138) und der Seldschukensultan Dāwūd (1143), siehe auch Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 32. 1042 Daftary, Geschichte (2003), 146. 1043 Eddé, Saladin (2008), 454–462; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 31–36; Lewis, Saladin (1953), 242. „The suppression of Ismaˁilism in Egypt; the destruction of the great Fatimid libraries of Ismāˁīlī works – many of them common to all branches of the sect; above all, the restoration, after two centuries, of the Khuṭba in the name of the hated Abbasids, all showed that a new power had arisen who was no longer content to play the political game of his predecessors, but was determined to restore the unity and orthodoxy of Islam, and re-establish the supremacy of the Sunnī Caliph in Baghdad as head of the Isalmic world,“ Lewis, Kamāl al-Dīn (1976), 242; Ders., Saladin (1953). Eine 1174 niedergeschlagene profatimidische Verschwörung, die sich gegen Saladins Herrschaft richtete, warf Saladin selbst den Assassinen vor, Lewis, Saladin (1953), 242.

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1175 entging er nur knapp einem Mordanschlag, als dreizehn Nizariten in sein Lager bei Aleppo eindrangen.1044 Ein erneuter Anschlag am 22.  Mai 1176 schlug ebenfalls fehl.1045 Nach der vergeblichen Belagerung von Maṣyāf im Juli 1176 wurde ein Waffenstillstand zwischen Saladin und Rašīd ad-Dīn Sinān (1163–1193)1046 notwendig, dessen genaue Bestimmungen und Umstände zwar nicht bekannt sind, aber bis zum Tod der beiden Vertragspartner Bestand hatte.1047 Unter dem Druck der zengidischen, dann ayyubidischen Expansion boten sich die Assassinen innerhalb der vielgestaltigen religiösen Topographie Syriens als Bündnispartner bedrohter Lokalherrscher an; die Verbindungen zu den Nachbarn waren jedoch kompliziert. Erste Kontakte bzw. eher Konfrontationen mit den Franken sind schon Anfang des 12.  Jahrhunderts bezeugt.1048 In der ausschlagge1044 Als Hintermann wird Gümüshtegin von Aleppo vermutet, Eddé, Saladin (2008), 458; Lewis, Saladin (1953), 239–241. Der Grund für die nizaritische Offensive gegen Saladin könnte in einem kurz zuvor ausgeführten Angriff 1174/1175 Saladins auf Sarmīn, Maʿarrat Maṣrīn und den Ǧabal as-Summāq liegen, den der arabische Chronist Sibṭ ibn al-Ǧauzī erwähnt, ebd., 241. 1045 Möglicherweise gab es noch einen weiteren Anschlag im Juli 1176, Lewis, Biography (1966), 258. 1046 Rašīd ad-Dīn Sinān wurde um 1126–1135 nahe Basra in eine schiitische Familie hineingeboren, konvertierte aber schon in seiner Jugend zum nizarischen Ismailismus. Seine Ausbildung erhielt er in Alamut und wurde dort Gefolgsmann von al-Ḥasan ʿalā ḏikrihi as-salām. Nach dessen Aufstieg zum Großmeister Hassan II. der persischen Nizariten schickte dieser Rašīd ad-Dīn Sinān nach Syrien. In Khaf wirkte Rašīd ad-Dīn Sinān zunächst als Schulmeister, übenahm nach dem Tod Scheich Abū Muḥammads dann die Herrschaft der syrischen Nizariten. Seine Hauptsitze waren Khaf, Maṣyāf und al-Qadmūs, wobei Maṣyāf als seine Residenz gilt. Noch eine Reihe weiterer Stützpunkte vermochte er zu aquirieren. 1164 kündigte Rašīd ad-Dīn Sinān nach dem Beispiel Hassans II. die spirituelle Erneuerung der Nizariten durch die qiyāma an. Unter seiner Herrschaft konsolidierten sich die syrischen Nizariten nach dem gescheiterten Festsetzen in Damaskus und Bāniyās im Bergland. Eine neue Herausforderung stellte die Herrschaft Saladins dar, der sich nach der vergeblichen Belagerung von Maṣyāf 1176 mit ihnen arrangieren musste. Zwar waren Zengiden und Tempelritter seine Widersacher, doch bemühte sich Rašīd ad-Dīn Sinān um friedliche Beziehungen zu den Kreuzfahrern und suchte die Verbindung zu Amalrich. „Sinān war ein geschickter Stratege und ein Meister in der Kunst der Diplo­ matie“, Daftary, Geschichte (2003), 165. Die Daftary zufolge wichtigste nizaritische Quelle zu Sināns Leben ist eine Hagiographie des dā῾ī Abū Firās Šihāb ad-Dīn Mainaqī, ediert in Guyard, Maître (1877); die wichtigste nicht-nizaritische Quelle geht auf Ibn al-‘Adīm zurück und wurde von Bernard Lewis ediert, Lewis, Kamāl al-Dīn (1976). Zu Rašīd ad-Dīn Sinān siehe Daftary, Rashid al-Din Sinān (2012); Ders., Rashid (1995); Mirza, Ismailism (1997), 22–39; Lewis, Syria (1971), 577; Nowell, Man (1948). 1047 In muslimischer Überlieferung werden Briefe zwischen Saladin und Sinān überliefert, deren Authentizität allerdings nicht einwandfrei belegt ist, Lewis, Biographie (1966), 254–256; Ders., Saladin (1953), 240; 243  f. Im Zusammenhang mit dem Arrangement ist möglicherweise auch der 1177 verübte Anschlag auf den Emir von Aleppo Ibn al-ʿAğamī zu sehen. 1048 Smarandache, Franks (2012), 221–225; Daftary, Geschichte (2003), 20. Der erste bekannte Kontakt kam im Zuge des Kampfes um die Festung Apameia 1106 zustande, die Tankred von Antiochia nach den Assassinen eroberte, ebd., 226  f.; Halm, Assassinen (2003), 68. 1129 unterstützten die Nizariten die Buriden bei der Verteidigung Damaskus‘ gegen die Franken. 1130 übergaben sie den Franken die Festung Bāniyās, was Bagdan Smarandache zufolge aber kein Zeichen einer Allianz, sondern ein einmaliges Arrangement darstellte, Smarandache, Franks (2012), 230. Schon 1132 übernahmen die Buriden von Damaskus diese Festung, 1140 fiel sie wieder an die Franken.

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benden politischen Konstellation zwischen sunnitischem und schiitischem Kalifat stellten die Kreuzfahrer zunächst aber nur eine „Randerscheinung“ dar.1049 Nachdem die Nizariten ihre Herrschaft in Syrien konsolidiert hatten, gingen sie 1149 eine erste Allianz mit den Franken ein, doch wurde diese Kooperation frühzeitig beendet.1050 Feindschaft bestand spätestens seit 1152, als mit Raimund II. von Tripolis zum ersten Mal ein christlicher Fürst einem von Assassinen verübten Anschlag zum Opfer fiel. Ungeklärt sind allerdings die genauen Hintergründe und möglichen Auftraggeber des Mordes.1051 Benjamin von Tudela berichtet um 1170 vom Kriegszustand zwischen Nizariten und Franken.1052 Nach dem Sturz des fatimidischen Kalifen bemühten sich die syrischen Assassinen unter dem Druck der Zengiden erneut um ein Bündnis. 1173 sind Kontakte zwischen Amalrich I. und Rašīd ad-Dīn Sinān, dem „Alten vom Berge“, bezeugt, von denen Wilhelm von Tyrus berichtet.1053 Um diese Zeit setzt auch die westliche Berichterstattung über die nizaritische Sekte ein. Zuvor ist, trotz der Nachbarschaft zu den Nizariten und den diversen Begegnungen in der westlichen Tradition, nur eine diffuse und bruchstückhafte Kenntnis dieser rätselhaften Gemeinschaft nachweisbar.1054 In der wohl frühesten lateinischen Erwähnung eines „alten Sarazenen“ und seiner zwanzig Adepten bei Rahewin, denen ein vereitelter Anschlag im Jahr 1159 auf Friedrich Barbarossa angelastet wird, bleiben sie als Gemeinschaft namenlos. Herkunft und genauere Details scheinen weitgehend unbekannt,1055 wichtigstes Element der Schilderungen ist aber schon hier der heimtückische Mord. 1049 Halm, Assassinen (2003), 65. 1050 Raimund von Antiochia und Alī ibn Wafā schlossen zur Abwehr der Zengiden einen Waffenstillstand, Smarandache, Franks (2012), 232. 1051 Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 17, 19. Ed. Huygens (1986), 786; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 268; Mayer, Geschichte (1995), 140; Runciman, Kreuzzüge (1995), 637  f. 1052 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 14. 1053 Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29 und 30. Ed. Huygens (1986), 953–956; Wilhelm von Tyrus stellt neben Al-Athir und al-Qalanisi eine der Hauptquellen für die fränkisch-nizaritischen Beziehungen dar, Smarandache, Franks (2012), 222  f. Den Templern war diese Verbindung ein Dorn im Auge. Nach den diplomtischen Gesprächen überfielen sie die nizaritischen Gesandten, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 30. Zu den Beziehungen siehe auch Smarandache, Franks (2012), 233  f.; Eddé, Saladin (2008), 457; Daftary, Légendes (2007), 82  f.; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 45–57; Cahen, Syrie (1940), 585. 1054 Bis 1129 wurden sie von den Franken nicht als distinkte Gemeinschaft und potentieller Allianzpartner wahrgenommen und noch lange als Sarraceni oder Turci bezeichnet. Die kurze Allianz von 1149 findet keine Erwähnung, Smarandache, Franks (2012), 230; 234. 1055 Non multo post a quodam divino monitore litteras imperatori allatas accepimus, quendam venisse in Italiam sive Hispanum sive Arabum Sarracenum, etate senem, facie deformem et luscum, discipulos vel socios pene XX habentem, malis consiliis et arte venefica prioribus multo potentiorem eumque mortis contemptorem, pariter cum suis sequacibus magnum se munus consecutos arbitrantes, si gloriam et nomen sibi perpetuum principis sanguine comparassent. Pretiosa ipsum quasi munuscula laturum, medicinas, anulos, gemmas, frena, calcaria, venenatis furfuribus circumlita, adeo violenter et efficaciter toxicata, ut mortem non evaderet imperator, si vel manu nuda ea attigisset. Sicam quoque latentem

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Abb. 19: Die Burgen der Assassinen, entnommen aus Halm, Kalifen (2014), 207.

Soweit aus den bekannten Quellen ersichtlich liefert Burchard eine der frühesten lateinischen Beschreibungen der Assassinen. Die bislang älteste bekannte westliche Darstellung stammt von Benjamin von Tudela.1056 Eine genauere Beschreibung liefert iuxta femur gestare, ut, si quo impedimento veneni facinus non procederet, ea ad peragendum nefarium propositum uteretur, Otto von Freising und Rahewin, Gesta IV, 45. Ed. Schmale (1986), 600  f. 1056 „(…) Von dort sind es zwei Tage nach Gebal (…) am Fuße des Libanon gelegen. In seiner Nähe befindet sich das Volk, das man al Chashishin nennt. Sie bekennen sich nicht zum Glauben der Mohammedaner, sondern zu einem der ihren, den sie wie einen Propheten betrachten. Alles, was er ihnen sagt, erfüllen sie auf Tod oder Leben; sie nennen ihn Sheik al Chashishin. Er ist ihr Ältester; auf sein Wort kommen oder gehen alle Bergbewohner. Ihr Hauptort ist Kadmos (…). Sie sind einander treu auf Geheiß ihres Ältesten, jedoch überall fürchtet man sich vor ihnen, da sie selbst Könige unter Selbsthingabe töten. Die Ausdehnung ihres Landes ist eine Strecke von acht Tagen. Sie kämpfen

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Wilhelm von Tyrus, der die fränkisch-nizaritischen Kontakte im gleichen Zeitraum aus nächster Nähe wahrnehmen konnte und über aktuelles Material verfügte.1057 Eine weitere Beschreibung der Assassinen ist im Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane enthalten, dessen Entstehungszeit allerdings nicht feststeht.1058 Erst nach dem Mord an Konrad von Montferrat im Jahr 11921059 wuchs das Interesse an der mordenden Sekte und schlägt sich in lateinischen Schriftzeugnissen ganz unterschiedlicher literarischer Genres nieder.1060 Zum ersten Mal in der lateinischen Tradition des Westens begegnet bei Burchard die arabische Bezeichung Heyssessini. Der Terminus Heyssessini leitet sich vom arabischen ḥašīšī (Pl. ḥašīšīya: Haschischraucher) ab1061 und ist in muslimischen Quellen als Schimpfname für den syrischen Zweig der Nizariten bezeugt.1062 Die pejorative Bezeichnung wurde jedoch nicht wörtlich, sondern im Sinne von „Unterklassen­ pöbel“ und „areligiöser, sozialer Abschaum“1063 oder „nicht ganz klar im Kopf“1064 gegen Christen, die Franken heißen und gegen den Herrscher von Tripolis“, Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 14. 1057 Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29 und 30. Ed. Huygens (1986), 953–956. 1058 Ediert in Kedar, Tractatus (1998), 123–131. Der Entstehungszeitraum wird zwischen 1168 und 1187 vermutet, diente aber entgegen der kursierenden Meinung nicht als Vorlage für Burchard, siehe dazu Kapitel VI.2.3. 1059 Daftary, Geschichte (2003), 166; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 54–57. Auch Richard Löwenherz soll 1195 in Chinon von 15 Assassinen bedroht worden sein, welche angeblich vom französischen König mit dem Mord beauftragt worden waren. In der französischen politischen Propaganda wurde Richard Löwenherz selbst als Verantwortlicher des Mordes an Konrad bezichtigt, auch soll er einen weiteren Mord an Philipp II. August geplant haben, ebd., 57–72. 1060 Smarandache, Franks (2012), 234–238; Daftary, Légendes (2007), 63–134; bes. 87, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 72–116; Lewis, Sources (1952), 482  f. Zur frühen Forschungsgeschichte, die ihren Anfang 1603 mit dem ‚Traité de l’origine des anciens assassins porte-couteaux‘ von Denis Lebey de Batilly nahm, siehe Lewis, Sources (1952); Daftary, Légendes (2007), 129  f. 1061 Daftary, Geschichte (2003), 21. Der Schimpfname hašīšīya für die syrischen Nizariten begegnet das erste Mal 1122 in einer polemischen Epistel des Fatimidenkalifen al-Āmir; ein weiterer Beleg stammt aus der seldschukischen Chronik Nuṣrat al-fatra des ʿImād ad-Dīn Muḥammad al-Kātib alIṣfahānī († 1201) von 1183. Der Terminus wurde in zaiditischen Quellen auch auf die persischen Nizariten angewandt, Daftary, Geschichte (2003), 19; Lewis, Syria (1971). Die Annahme des Haschischkonsums konnte entgegen der etymologischen Grundbedeutung von Haschisch (Gras) historisch nicht nachgewiesen werden, Lewis, Hashishiyya (1971); Halm, Assassinen (2003), 72; De Sacy, Mémoire (1818). 1062 Als Schimpfname für die persischen Nizariten wurde das Wort ‚Mulhet‘ oder ‚Mulihet‘ gebraucht (von arab. mulḥid, Pl. malāḥida = Abtrünniger). In arabischen und persischen Quellen werden die Nizariten al-bāṭinīya genannt (al-bāṭin: das Innere, das Verborgene), was mit „Allegorisierer“ umschrieben werden kann, Daftary, Légendes (2007), 52; 100–103; Halm, Assassinen (2003), 63. Eine gängige Bezeichnung wurde dann der Begriff fidāʿī, Lewis, Assassinen (1989), 24; Ders., Syria (1971), 576. Zu den muslimischen Quellen der Ismailiten und Nizariten siehe Ders., Sources (1952), 479–482; 483–489. 1063 Daftary, Geschichte (2003), 20. 1064 Lewis, Assassinen (1967), 27–29.

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für die deviante Sekte angewandt. In der lautmalerischen Schreibweise unterscheidet sich die Form Heyssessini von der später gängigen lateinischen Form assassini.1065 Dass Burchard die Bezeichung Heyssessini mit der gleichzeitigen Angabe der romanischen Form Segnors de la montana einführt, kann als Indiz für die relative Unbekanntheit der arabischen Bezeichnung gedeutet werden, die in allen Handschriften auch so übernommen wird. Erst nach dem dritten Kreuzzug wird die Bezeichnung Assassinen als Gemeingut in historiographischen Werken und der provenzalischen Troubadourdichtung faßbar.1066 Damit etablierte sich die pejorative arabische Fremdbezeichnung für die Nizariten, welche Kreuzfahrer und Chronisten von den Gegnern der Nizariten vor Ort aufgegriffen haben, in der lateinischen Tradition.1067 Die romanische Form hingegen variiert in den Handschriften des Burchardtextes deutlich.1068 Als Begriff scheinen die Segnors de la montana demnach allgemein bekannt und mit bestimmten Vorstellungen verknüpft gewesen zu sein. Mit der Pluralform Segnors hatte sich der Titel des Oberhauptes (des Scheichs) auf die gesamte nizaritische Gemeinschaft übertragen. Geographisch korrekt verortet Burchard die Assassinen in den Bergen zwischen Damaskus, Antiochien und Aleppo. Geopolitisches Kennzeichen ihrer Herrschaft ist der schwer zugängliche Rückzugsort in den Bergen in einem Gebiet, das ihnen zwar wenig fruchtbares Land und entsprechend geringe Mittel (Kleinviehhaltung) zur Verfügung stellt, dafür aber verteidigungsfähige und nahezu uneinnehmbare Stützpunkte bietet: In montibus habitant, et sunt quasi inexpugnabiles, quia in munitissimis castris recipiuntur. Et terra eorum non multum est fertilis, nisi quod de peculio vivunt. Die Burgen beschreibt er als besonders gut befestigt und schwer zugänglich, Zugang sei nur durch eine gut bewachte Tür möglich. Sie seien aber auch sehr schön. Die 1065 Benjamin von Tudela spricht vom „Volk der Chashishin“, siehe Anm. 1056. Der Name wird auch im Tractatus genannt, doch werden sie dort als Essener gedeutet: Alii sunt Esseie quos vulgo Assessinos dicimus. Isti de Judeis tracti sunt, sed Judeorum ritus in omnibus non observant, Kedar, Tractatus (1998), 130. Wilhelm von Tyrus weiß den Namen nicht zu deuten: Hos tam nostri quam Sarraceni, nescimus unde nomine deducto, Assissinos vocant, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29. Ed. Huygens (1986), 953. 1066 In der Dichtung wurde die Treue der Assassinen zunächst positiv betrachtet. Im deutschen Minnesang sind derartige Anspielungen auf die Assassinen nicht bezeugt, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 72–74; Chambers, Troubadours (1949). 1067 Daftary, Geschichte (2003), 21. Der Begriff wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Italien als Synonym für Mörder gebraucht, zuerst nachgewiesen bei Dante (Inferno XIX, 48: lo perfido assesin). Zu den Quellen und der älteren Forschung siehe Lewis, Sources (1952). Die erste Herleitung des Wortes, das in muslimischen und westlichen Quellen namensgebend wurde, stammt von Silvestre De Sacy, De Sacy, Mémoire (1818). Siehe auch Daftary, Légendes (2007), 135–181; Lewis, Assassinen (1989), 27  f.; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 72–116; Chambers, Troubadours (1949); Scheludko, Lehnwörter (1927), 423. 1068 Arnold: segnors de montana; Ripener Hs: de gens de montana; Wiener Hs: veteris de montano. Es handelt sich wohl um eine Übertragung der Bezeichnung Scheich (Ältester) in Verknüpfung mit den Bergen, Lewis, Assassinen (1989), 23  f.; Ders., Syria (1971), 575.

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Abb. 20: Der einzige Zugang zur Zitadelle, Foto entnommen aus http://monummamluk-syrie.org/ Fiches/Syrie/Citadelle_Masyaf.htm, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

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Namen der Burgen nennt Burchard nicht. Die Nizariten besaßen in dieser Zeit zehn Festungen, von denen aus sie bei der umliegenden Landbevölkerung Propaganda betrieben.1069 Benjamin von Tudela nennt Qadmūs als ihren Hauptsitz,1070 Haupt­ residenz war jedoch Maṣyāf. Archäologische Untersuchungen der Burg Maṣyāf bestätigen Burchards Angabe, dass die Burg nur über einen Zugang erreichbar war.1071 Burchard kennzeichnet die Assassinen als genus Sarracenorum, wobei sich die Zuordnung zunächst sowohl auf die arabische Abstammungs- bzw. Sprachgemeinschaft als auch auf die Religionszugehörigkeit zum Islam beziehen kann.1072 In beiden Hinsichten macht Burchard die Abweichungen der Assassinen von der Norm deutlich. Da „sarazenisch“ (arabisch) nach Burchards Aussage Bestandteil der Sprachausbildung der Neophyten war,1073 kann es sich zumindest bei diesen größtenteils nicht um Araber gehandelt haben. Eine Erklärung für diese Aussage wäre, dass die aus der Bauernschaft rekrutierten Jungen nicht arabisch-, sondern aramäischsprachig waren, und daher erst arabisch lernen mussten. Möglicherweise bezieht sich diese Information aber auch weniger auf die Ausbildung der fidāʾīs, sondern auf die meist aus Persien stammenden Dāʿīs, bei denen das Persische das Arabische auch als religiöse Sprache ersetzt hatte.1074 Offensichtlich wird die Abweichung der Assassinen in religiöser Hinsicht. Als genus Sarracenorum ordnet Burchard die Nizariten zwar religiös dem Islam zu, hebt aber deren willentliche Verstöße gegen die muslimischen Gebote (lex Sarracenorum) hervor. Da sie gar kein religiöses Gesetz besitzen, können sie folglich keine Muslime im strengen Sinne sein. Vor allem der Verzehr von Schweinefleisch, ihre Promiskuität und der Inzest1075 machen die Differenz zum Islam deutlich: Hoc genus hominum sine lege vivit, carne quoque porcina vescitur contra legem Sarracenorum et omni muliere abuitur indifferenter, scilicet matre et sorore. Anstelle des religiösen Gesetzes gehorchen sie ihrem Oberhaupt (princeps), der behauptet, über weitere Götter 1069 Willey, Nest (2005), 216–232. 1070 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 14, siehe Anm. 1056. 1071 Michael Braune untersuchte die Assassinenburg 1983/1984. Eine Vorgängerbebauung der Burg geht ins 10./11. Jahrhundert zurück, möglicherweise auch schon in byzantinische Zeit, dies ist aber nicht belegbar. Schon in der Antike stand hier vermutlich eine Siedlung. Die Stadt Maṣyāf liegt an einem Verkehrsknotenpunkt, Deschamps, Châteaux (1973), 18; Braune, Untersuchungen (1993), 302  f. Die Zitadelle erhebt sich auf einem ovalen, zerklüfteten Berg in ca. 50 m Höhe. Von drei Seiten ist sie unzugänglich, man kann sich ihr nur von der Stadt her auf einem 70  m langen Zuweg an der Burg­mauer nähern (siehe Plan ebd., 310). In Maṣyāf sind keine Spuren weiterer Ausfalltore nachweisbar, ebd., 318. Siehe auch Hasan, Castle (2008); Ders., Introduction (2007); Ders., Châteaux (2002); ­Thorau, Burgen (1987). 1072 Der Begriff ist in erster Linie religiös konnotiert, siehe Kapitel III.1.1. Anm. 126. 1073 In quibus palatiis filios rusticorum suorum plurimos a cunabulis enutriri facit et diversis linguis imbui, scilicet Latino, Greco, Romano, Sarraceno et aliis quam plurimis. 1074 Siehe Anm. 1026. 1075 Von Promiskuität und Unzucht berichtet schon die Biographie Sināns, Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 230; 239  f.

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oder Dämonen (Deos vivos)1076 zu gebieten und über den Zugang zum Paradies zu be­stimmen.1077 Die hier betonte Gesetzlosigkeit der Nizariten ist ein häufiger Vorwurf. In muslimischen, insbesondere sunnitischen Quellen wurden die Ismailiten schon früh als Abtrünnige und Häretiker bezeichnet.1078 Anklagepunkte waren besonders die nichtislamischen Praktiken und die Libertinage der Assassinen.1079 Historisch-religiös gründen diese Vorwürfe auf den Glaubensgrundsätzen der Ismailiten. Das Imamat besaß bei den Ismailiten traditionell eine starke Position. „The imam is a hypostasis of the divine will, which is transferred, from father to son, through the line of imams.”1080 Größeres Gewicht lag in der ismailitischen und nizaritischen Doktrin auf der inneren Ausrichtung, das esoterische Element (taʾwīl) wurde im Gegensatz zum exoterischen stärker betont. Am 8. August 1164 hatte sich der nizaritische Großmeister von Alamut, Ḥasan II., in der Nachfolge Nizars selbst zum Imam proklamiert und verkündet, die Scharia habe mit diesem Ereignis ihre Bedeutung verloren, der neue Imam selbst sei Gottes Stellvertreter (ḫalīfa) auf Erden. Ḥasans Proklamation bedeutete die qiyāma (Wiederauferstehung): die Ankunft des Jüngsten Gerichtes, „da die Menschen nach ihren Taten beurteilt werden und auf ewig entweder ins Paradies oder in die Hölle kommen. (…) Dies bedeutete faktisch nicht mehr und nicht weniger als die Manifestation der unverhüllten Wahrheit (haqīqa) in der Person des nizaritisch-ismailitischen Imams – und war somit eine geistige Auferstehung, vorbehalten nur den Nizariten, wo immer sie waren. Mit anderen Worten: Diejenigen, die den nizaritischen Imam 1076 Was es mit dieser Zuschreibung auf sich hat, ist nicht klar. Deos vivos im Sinne von Dämonen oder Geistern, über die Sinān Macht ausübte, könnte eine Entsprechung in der Erzählung haben, dass Sinān mit Wahrsagerei, Telepathie und übernatürlich erscheinenden Fähigkeiten seine Gegner verwirrte, Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 231; 245; Ders., Saladin (1953), 243. Ḥasan-i Ṣabbāḥ bezeichnete seine Feinde, die Türken, als ğinns (Dämonen), Daftary, Geschichte (2003), 143. Für Ibn Ǧubair wie­ derum ist Rašīd ad-Dīn Sinān selbst ein Dämon, siehe Anm. 1089. 1077 (…) quod si fecerint, gaudia paradisi eis dabit tamquam potestatem habens super Deos vivos. 1078 Die ismailitische Doktrin des taʿlīm attackierten v.  a. Abū Ḥāmid al-Ġazālī und Ibn Rizām. Zur Zeit der Fatimiden brachen immer wieder religiös motivierte Unruhen in Ägypten aus, die der nizaritischen Propaganda zugeschrieben wurden. Sie gaben Anlaß zur Entstehung antinizaritischer Rechtfertigungsschriften von fatimidischer Seite, Lewis, Ismāʿīlites (1969), 118  f. Schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden die Nizariten in sunnitischen Fatwas (Rechtsgutachten) zu Häretikern oder Apostaten erklärt, Halm, Assassinen (2003), 67; Daftary, Légendes (2007), 40–45; 53  f.; 110; 104  f.; Ders., Geschichte (2003), 161. Da die Sekte im Verborgenen agierte und nur in bestimmten Situationen das öffentliche Interesse weckte, sind nur wenige Quellen von den Nizariten selbst überliefert. Die arabischen Chronisten stammten meist aus dem sunnitischen Umfeld und standen den Nizariten feindlich gegenüber. Die Wiederherstellung der sunnitischen Orthodoxie unter Saladin führte zum Verlust und der Zerstörung ismailitischer Literatur, waren deren Vertreter doch als Schismatiker abgesetzt worden, Lewis, Sources (1952), 481. 1079 Daftary, Légendes (2007), 40. 1080 Lewis, Ismāʿīlites (1969), 108. In der schiitisch-ismailitischen Praxis wurden immer wieder „heilige Männer“ verehrt, Imame und dāʿīs, denen Wunderkräfte zugeschrieben wurden, Ders., ­Assassinen (1989), 44.

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Abb. 21: Festung Maṣyāf, Gesamtansicht von Süden, Foto entnommen aus http://monummamluk-syrie.org/Fiches/Syrie/Citadelle_Maṣyāf.htm, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.

anerkannten, waren nun in der Lage, die Wahrheit bzw. das esoterische Wesen der Religion zu erkennen, und somit war für sie das Paradies in dieser physischen Welt Wirklichkeit geworden.“1081 Gefeiert wurde die qiyāma mit einem Festmahl.1082 Auch in Syrien gab es – möglicherweise auf Geheiß aus Alamut – ähnliche Feiern. Diskreditierende muslimische Quellen des Jahres 1164/65 berichten davon, dass die Ismailiten in Syrien fortan die Scharia verwarfen, das Ramadanfasten nicht mehr einhielten, Wein tranken und Inzest trieben.1083 Die Proklamation der qiyāma gab „eine ideale Gelegenheit zur Fehlinterpretation der Ereignisse selbst wie auch seiner Implikationen.“1084 Genauere Kenntnisse über diese Vorgänge waren allerdings außerhalb der Nizaritengemeinschaft wenig verbreitet, da sie ihre Mission im Verborgenen betrieben. Die Quellen

1081 Daftary, Geschichte (2003), 160. 1082 Ebd., 160; Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 240. 1083 Die Abschaffung der Scharia wurde den Ismailiten schon vor der Gründung des fatimidischen Kalifats vorgeworfen und nun erneut angeprangert. Im Bustān al-ğamiʿ und im Taʾrīḫ Manṣūrī wird über die Ausschweifungen 1164/1165, im Kamāl al-Dīn 1176/1177 berichtet, Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 240  f. 1084 Daftary, Geschichte (2003), 161; Ders., Légendes (2007), 59; 110.

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berichten von der hohen Autorität Rašīd ad-Dīn Sināns über seine Anhänger.1085 Offenbar nutzte Sinān die Gelegenheit, um sich von Alamut zu emanzipieren, so dass seine Herrschaft unabhängig von den persischen Nizariten erschien.1086 Von einer Verbindung zu den in Persien ansässigen Nizariten weiß Burchard anscheinend nichts, er beschreibt ihren Landesfürsten (dominus oder princeps) als autonomen Herrscher.1087 Allerdings gibt es keinen Beleg, dass Sinan von den syrischen Nizariten als Imam anerkannt wurde.1088 Die Feindschaft zwischen Sunniten und Ismaeliten wird bei Ibn Ǧubair deutlich. Er prangert die Idolatrie dieser Glaubensgemeinschaft an, Rašīd ad-Dīn Sinān bezeichnet er als Dämon in menschlicher Gestalt, der sich mittels Manipulationen den Gehorsam seiner Untertanen sichert.1089 Ähnlich hebt Benjamin von Tudela die gottgleiche Stellung des Assassinenältesten hervor, verkennt aber, dass es sich bei den Nizariten um Muslime handelt.1090 Die religiöse Zugehörigkeit der Nizariten war Nichtmuslimen ein Rätsel. Im Tractatus de locis et statu sancte terre iersolimitane werden sie als Essener identifiziert und nicht eindeutig als Muslime eingestuft.1091 Richtig erkennt sie Wilhelm von Tyrus als muslimische Apostaten, interpretiert die Abweichungen vom Islam aber irrigerweise als Annäherung an das Christentum und die Bündnisbestrebungen Rašīd ad-Dīn Sināns als Konversionsabsicht: „Vierhundert Jahre lang erfüllte dieses Volk die Gebote des sarazenischen Gesetzes mit solchem Eifer, dass, mit ihnen verglichen, alle übrigen nur für Übertreter ihrer Glaubensvorschriften gelten mussten. Es traf sich aber in unseren Tagen, dass sie sich einen äußerst beredten, scharfsichtigen und feurigen Mann zum Meister wählten. Dieser hatte gegen die Sitte seiner Vorgänger

1085 Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 245. 1086 Darauf verweisen indirekt auch die Aussagen, dass Sinān von einigen Anhängern als Gott verehrt wurde, was von der Zentrale in Alamut kaum akzeptiert worden sein kann, Lewis, Assassinen (1989), 248  f.; Ders., Syria (1971), 578. 1087 Die Beziehungen der syrischen Nizariten zu Persien scheinen im Westen kaum bekannt gewesen zu sein, im 12. Jahrhundert erwähnt sie nur Benjamin von Tudela; später berichten Jacques de Vitry, Marco Polo und Ordericus von Pordenone vom weiter östlich gelegenen Ursprung der Sekte, Lewis, Assassinen (1989) 21; Ders., Sources (1952), 475; Nowell, Man (1947), 515. 1088 Daftary, Rashid (1995), 443; Smarandache, Franks (2012), 236 Anm. 95. 1089 „Derrière elle [die Stadt Qinnasrin], la montagne du Liban s’élève très haut et s’étale en longueur, longeant partout la mer. Sur ses flancs se dressent les forteresses de hérétiques ismaïliens, secte qui s’est séparée de l‘Islam et qui prétend trouver en un être humain les caractères de la divinité. Il leur a été réservé, par le destin, un démon à forme humaine appelé Sinān, qui les a égarés par des mensonges et des forgeries. Il les a séduits par ces procédés et les a ensorcelés par leur absurdité même. Ils l’ont donc pris pour divinité qu’ils adorent, sacrifiant pour lui leurs personnes, entièrement soumis à son obéissance et à l’exécution de ses ordres. S’il ordonne à l’un d’eux de se jeter de la cime d’une montagne, celui-ci s’en précipite et se hâte vers sa perte pour satisfaire son désir criminel“, übersetzt in: Ibn Jobair (Ibn Ǧubair), Voyages, Bd.  3. Ed. Gaudefroy-Demombynes (1953), 294. Zum Verhältnis zwischen Sunniten und Schiiten siehe ebd., 324  f.; Eddé, Saladin (2008), 456. 1090 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 14; siehe Anm. 1056. 1091 Siehe Anm. 1065.

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die Evangelien und den apostolischen Codex, und durch eifriges Lesen von diesen erhielt er einige Kenntnis von den Wundern und Vorschriften Christi, wie auch von der Lehre des Apostels. Nun verglich er die edle und liebliche Lehre Christi mit dem, was der unglückselige Verführer Mohammed seinen Anhängern und denen, die sich von diesen hatten verführen lassen, überliefert hatte, und begann vor der unreinen Lehre, die er mit der Muttermilch eingesogen, Abscheu zu empfinden. Und diese seine bessere Erkenntnis brachte er auch seinem Volke bei, befreite sie von der Anhänglichkeit an den mohammedanischen Aberglauben, riss ihre früheren Gotteshäuser ein, sprach sie von ihrem Fasten los und erlaubte ihnen den Genuss des Weines und Schweinefleisches. Endlich, da er jetzt mit Einführung des göttlichen Gesetzes weiter gehen wollte, sandte er einen klugen, umsichtigen und beredten Mann namens Boaldelle, der die Lehre seines Meisters schon gründlich kannte, mit einer geheimen Botschaft an den König, deren Hauptartikel folgender war: Wenn die Tempelritter, die einige feste Plätze in der Nähe ihres Landes hatten, ihnen die zweitausend Goldstücke, welche sie jährlich als Tribut von den Assassinen bezogen, erlassen und sie fortan mit brüderlicher Liebe behandeln wollten, so seien sie bereit, zum christlichen Glauben überzutreten und sich taufen zu lassen.“1092

Näher führt Burchard – mit eigenem Hinweis sic accipe – die spezifische Ausbildung der eigens für den Mord, nicht für den Kampf, rekrutierten Einheit des Assassinenherrschers aus. Söhne einfacher Bauern würden in völliger Abschottung von der Außenwelt auf den Burgen der Assassinen unter strenger Aufsicht von Lehrern (magistri) in Sprachen und anderen Disziplinen unterrichtet: In quibus palatiis filios rusticorum suorum plurimos a cunabilis enutriri facit et diversis linguis imbui, scilicet latino, greco, romano, sarraceno et aliis quam plurimis. Quibus a magistris suis a primeva etate usque ad perfectionem virilem hoc predicatur, ut domino terre illius obediant in omnibus verbis et preceptis suis. Der Princeps könne diesen gegenüber gottesgleich auftreten und unbedingten Gehorsam verlangen, da er vorgibt, über ihre

1092 Übersetzung nach Wilhelm von Tyrus, Geschichte. Ed. Kausler (1840), 558  f. Hii etiam annis quasi quadringentis Sarracenorum legem et eorum traditiones tanto zelo coluerunt, ut respectu eorum omnes alii quasi prevaricatores iudicarentur, ipsi autem legem viderentur implere. Contigit autem diebus nostris quod magistrum sibi prefecerunt virum facundissimum, subtilem et acris valde ingenii. Hic preter morem maiorum suorum cepit habere penes se evangeliorum libros et codicem apostolicum, quibus continuato incumbens studio miraculorum Christi et preceptorum seriem, sed et apostoli doctrinam multo labore aliqantisper assequutus erat. Inde conferens Christi et suorum suavem et honestam doctrinam cum his, que miser et seductor Mahumet complicibus suis et deceptis ab eo tradiderat, cepit sordere quicquid cum lacte biberat et predicti seductoris immundicias abhominare. Eodem quoque modo populum suum erudiens, ab observantia illius supersticionis cessare fecit, oratoria, quibus ante usi fuerant, deiciens, eorum eieunia solvens, vinum et suillas carnes suis indulgens. Tandem ad interiora legis dei volens procedere virum prudentem, in consiliis providum, eloquentem et magistri sui doctrinam redolentem, nomine Boabdelle, ad dominum regem dirigit, verba secreta deferentem. Quorum precipuus et maximus erat articulus quod si fratres militie Templi, qui castella regioni eorum habebant contermina, duo milia aureorum, que singulis annis de hominibus eorum quasi pro tributo solebant assumere, eis vellent remittere et fraternam deinceps observare caritatem, ipsi ad fidem Christi et baptisma convolarent, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29. Ed. Huygens (1986), 953  f.; Smarandache, Franks (2012), 235; Eddé, Saladin (2008), 458.

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Aufnahme ins Paradies zu bestimmen.1093 Die vom Princeps angemaßte gottgleiche Stellung wird in Burchards Darstellung als bösartige Lüge entlarvt, denn Verehrung, Furcht und Gehorsam gründen auf Isolation, Zwang und Gewalt. In frühestem Kindesalter würden die späteren Mörder von ihren Eltern getrennt und einer Gehirn­ wäsche unterzogen: Instruuntur itaque, non posse salvari, si in aliquo voluntati principis terre resistant. Et nota, quod ex quo a cunabulis palatiis includuntur, preter doctores et magistros suos neminem hominum unquam videbunt, nec aliam disciplinam capiunt, quousque ad presentiam principis evocentur ad interficiendum aliquem. In der Hierarchie von Princeps, magistri und rustici sind leicht die hierarchischen Ränge der daʿwa erkennbar: der huğğa, die dāʿīs und die fidāʾīs.1094 Historisch ge­sichert ist die Ausbildung der fidāʾīs jedoch nicht, so dass sich Burchards Darstellung nicht verifizieren lässt. V. a. von einer Sprachausbildung ist laut Farhad Daftary nichts bekannt, weshalb er Burchards Schilderung als unglaubwürdiges Konstrukt, als eine „description pleine d’imagination“ beurteilt.1095 Burchards Darstellung beruhe auf Fehlinformationen und Gerüchten aus dem Umkreis der Kreuzfahrer, die er ohne genauere Kenntnisse vom Hörensagen aufnahm und mithilfe seiner „imagination personelle“ zusammenfügte:1096 „La plupart des détails de Burchard sur leur programme d’instruction rigoureux, que des écrivains occidentaux devaient par la suite adopter ou imaginer indépendamment, peuvent être considérés comme l’exagération manifeste ou la description fictive de ce qui devait s‘être réellement produit, notamment pour ce qui concerne le jeune âge des recrues et leur longue instruction en isolement. Il n’existe par ailleurs aucune preuve permettant de supposer que les fidāʾīs recevaient une formation spécifique en langues.“1097 Besonders die Erwähnung des Paradieses bei Burchard zeige das fehlende Verständnis für die nizaritische qiyāma auf. In späteren lateinischen Berichten wird das Paradies fester Bestandteil der Darstellung, ausgeschmückt als irdischer Paradiesgarten, den der Assassinenherrscher anlegen ließ, um seine Getreuen willfährig zu machen.1098 In muslimischen Berichten 1093 (…) quod si fecerint, gaudia paradisi eis dabit tanquam potestatem habens super Deos vivos. Instruuntur itaque, non posse salvari, si in aliquo voluntati principis terre resistant. Vgl. auch Daftary, Légendes (2007), 111. 1094 „Im Zeitalter der qiyāma verschwanden die hierarchischen Ränge der daʿwa allmählich“, ­Daftary, Geschichte (2003), 163. Nur noch drei Kategorien von Personen sollten übrigbleiben: 1. Die „Leute der Opposition“, d.  h. alle Nicht-Nizariten; 2. Die „Leute der gradweisen Abstufung“, d.  h. die normalen Anhänger des Imams; 3. Die „Leute der Einheit“, d.  h. die Elite der Nizariten, welche allein eine „spirituelle Existenz“ in der qiyāma erhalten haben, ebd., 164; Ders., Nizari Ismaelis (2008), 134. 1095 Daftary, Légendes (2007), 108  f. Negativ fallen auch die Urteile von Bodgan Smarandache und Miriam Page aus, Smarandache, Franks (2012), 238; Pages, Image (2007), 100–114. 1096 Daftary, Légendes (2007), 85; 107; 109  f. 1097 Ebd., 108. 1098 Ebd., 111. In der nizaritischen Esoterik war mit dem Paradies ein „bestimmter geistiger Zustand gemeint, eine bestimmte Stufe der Erleuchtung, die man bereits in diesem Leben zu erreichen und im Tode endgültig zu verwirklichen hoffte“, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 40.

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ist dieser Aspekt nicht von Bedeutung, da die Paradiesvorstellung von allen muslimischen Gruppen geteilt wird.1099 Auch wenn die einzelnen Elemente in Burchards Schilderung nicht in direktem Zusammenhang mit der Ausbildung syrischer fidāʾīs stehen und überzeichnet sind, sind sie dennoch sämtlich historisch verbürgt, wobei sich Sachverhalte aus der persischen und syrischen Ismailia vermengen. Tatsache ist die Isolation der Assassinen in den Bergfestungen. Generell lebten die Nizariten abgeschottet und agierten im Verborgenen, Ḥasan-i Ṣabbāḥ soll die Bergfestung Alamut 34 Jahre lang nicht verlassen haben. Ihre dāʿīs verpflichteten sie zu einem Treueeid auf den Imam und zur Geheimhaltung der Lehre.1100 Eine starke Anziehungskraft übten die Assassinen auf die ländliche Bevölkerung des Umlandes und die unteren Schichten aus und betrieben vehement Propaganda auf dem Land um Damaskus.1101 Überliefert ist von Rašīd ad-Dīn Sinān, dass er in der Nähe von Kahf als Lehrer bzw. Schulmeister wirkte und Kinder unterrichtete.1102 Er rekrutierte eine Gruppe von fidāʾīs, wozu auch psychologische Methoden angewandt wurden.1103 Herausgestellt wurde zudem der hohe Stellenwert der Bildung bei den Ismailiten. Ḥasan-i Ṣabbāḥ besaß eine bedeutende Bibliothek in Alamut, auch in Syrien waren die Festungen mit Bibliotheken und Sammlungen wissenschaftlicher Instrumente ausgestattet. Viele dāʿīs verfaßten theologische und historiographische Schriften; verfolgten Intellektuellen gewährten sie Zuflucht.1104 Wenn auch über die Sprachausbildung nichts bekannt ist, benötigten die Assassinen, insbesondere die persischsprachigen dāʿīs für ihre Kontakte mit den christlichen und muslimischen Herrschern Sprachkenntnisse. Die als „Schläfer“ agierenden fidāʾīs mussten teilweise wochenlang unauffällig bleiben, bis sie ihre Tat verüben konnten, was ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und eine gute Ausbildung voraussetzte.1105 Die von Burchard erwähnte Verheißung des Paradieses durch den Princeps entspricht der ismaelitischen Lehre, verkörperten die Imame nach Vorstellungen der Nizariya doch den göttlichen Willen, was ihnen gegenüber den Anhängern eine schrankenlose Autorität verlieh.1106 Auch werden die Assassinen bei Burchard nicht insgesamt als Mörder hingestellt, nur die kleine Gruppe speziell ausgebildeter und isoliert gehaltener Bauernsöhne ist für diese Aufgabe bestimmt. Zur Verdeutlichung seines Urteils, Burchard habe in seinem Bericht von Christen aufgeschnappte Fehlinformationen und populäre Geschichten verarbeitet, zieht 1099 Daftary, Légendes (2007), 103. 1100 Halm, Oath (1996). 1101 „Every castle in the Nizari polity also depended on agriculture. Salāh al-Dīn must therefore have destroyed the crops on which the Nizari Ismailis relied when he raided the Nizari territories around Maṣyāf“, Smarandache, Franks (2012), 226; Daftary, Légendes (2007), 79; Eddé, Saladin (2008), 455. 1102 Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 230; 243. 1103 Daftary, Légendes (2007), 50; Ders., Geschichte (2003), 165. 1104 Daftary, Légendes (2007), 55, 76; Ders., Ismailis (2008), 130. 1105 Daftary, Légendes (2007), 51; 76. 1106 Siehe Anm. 1080.

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Daftary den Vergleich mit der Darstellung bei Wilhelm von Tyrus heran, der ihm weit besser informiert und zuverlässiger erscheint.1107 Wie Burchard verortet Wilhelm die Assassinen geographisch. Über zehn Burgen sollen sie verfügen, ihre Anzahl schätzt er auf 60 000. Wilhelm kennt ihren arabischen Namen, weiß ihn aber nicht zu deuten.1108 Wilhelms Interesse gilt ebenfalls dem blinden Gehorsam der Assassinen gegenüber dem Meister: „Sie wählen sich ihren Meister (magister) nicht nach der Erbfolge, sondern nach dem Vorrang des Verdienstes und nennen ihn ohne allen sonstigen Titel kurz den Alten (senex). Diesem sind sie so gehorsam und untertänig, dass nichts so schwierig, so gefährlich und mühsam ist, dass sie es nicht mit glühendem Eifer ausführen, sobald es ihnen ihr Meister befiehlt. Wenn unter anderem diesen Meistern oder ihrem Volk ein Fürst verhasst und furchtbar ist, so gibt er einem oder mehreren von ihnen einen Dolch, und sofort gehen die, welche den Auftrag erhalten haben, ohne zu bedenken, welchen Ausgang die Sache nehmen mag, alsbald dahin, wo ihnen geboten ist, und haben keine Rast, bis es ihnen gelingt, den erhaltenen Befehl zu vollstrecken und den Willen des Meisters zu erfüllen.“1109

Religiös bestimmt Wilhelm die Assassinen korrekt als häretische Muslime, begründet ihre Abkehr vom orthodoxen Islam allerdings mit der Affinität zum Christentum.1110 Sein Fokus liegt auf den Möglichkeiten einer Allianz des Königreiches Jerusalem mit den Assassinen, weshalb in seiner Schilderung auch weniger die Assassinen als die

1107 Daftary, Légendes (2007), 69; 85; 112; so auch Smarandache, Franks (2012), 234, Hellmuth, ­Assassinenlegende (1988), 52–54. Auch Jacques de Vitrys Darstellung, der sich hauptsächlich auf Wilhelm von Tyrus stützt, bewertet er deutlich höher: „Il omet cependant nombre de détails compliqués du récit de Burchard, ce qui démontre qu’il ne croyait pas aveuglement ses sources orales locales“, Daftary, Légendes (2007), 113. Eine Verbindung zwischen Burchard und Jacques de Vitry schließt Daftary aus. 1108 In provincia Tyrensi, que Phenicis dicitur, circa episcopatum Anteradensem est quidam populus, castella decem habens cum suburbanis suis, estque numerus eorum, ut sepius audivimus, quasi ad sexaginta milia vel amplior. (…) Hos tam nostri quam Sarraceni, nescimus unde nomine deducto, Assissinos vocant, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29. Ed. Huygens (1986), 953. 1109 Übersetzung nach Wilhelm von Tyrus, Geschichte. Ed. Kausler (1840), 558. Hic non hereditaria successione sed meritorum prerogativa magistrum solet sibi preficere et eligere preceptorem, quem spretis aliis dignitatum nominibus Senem vocant, cui tanto subiectionis et obedientie vinculo solent obligari, ut nichil sit tam durum, tam difficile tamque periculosum, quod ad magistri imperium ardentibus animis non aggrediantur implere. Nam inter cetera, siquos habent principes odiosos aut genti sue suspectos, data uni de suis sica vel pluribus, non considerato rei exitu utrum evadere possit illuc contendit, cui mandatum est, et tam diu pro complendo anxius imperio circuit et laborat, quousque casu iniunctum peragat officium, preceptoris mandato satisfaciens, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29. Ed. Huygens (1986), 953. 1110 Smarandache, Franks (2012), 235; Mirza, Ismailism (1997), 38; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 50; Nowell, Man (1947), 506. Die Spaltung des Islams in verschiedene Glaubensgemeinschaften war Lateineuropäern nicht geläufig. Als erster berichtet Wilhelm von Tyrus über Sunniten und Schiiten, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, I, 4; XIX, 21. Ed. Huygens (1986), 109  f.; 890–892; Daftary, Légendes (2007), 76  f.

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Sunniten selbst als Übertreter der Glaubensvorschriften erscheinen.1111 In Bezug auf eine realitätsnahe Schilderung dieser Gemeinschaft ist ein Mehrwert seiner Darstellung jedoch nicht so klar zu erkennen, wie bislang behauptet.1112 Im Gegenteil: Die für Burchard zentrale Frage, wie die absolute Unterwerfung der Assassinen unter den Willen ihres Princeps zu erklären ist, wird bei Wilhelm nicht weiter ausgeführt, da er die religiösen Hintergründe, welche schließlich die politisch motivierten Morde und die Bündnispolitik der Ismaeliten bedingen, nicht erkennt. Auf die Verheißung des Paradieses geht er nicht ein. Die hierarchische Gemeinschaftsordnung dieser Sekte und der entsprechend unterschiedliche Grad der dāʿīs und fidāʾīs an der Teilhabe ihres geheimen Wissens sind ihm unbekannt. Auch differenziert er nicht explizit zwischen „normalen“ Assassinen und den speziell ausgebildeten Mördern (fidāʾīs). Die Diskrepanzen zwischen Burchard und Wilhelm sind auf ihre unterschiedlichen Bezugsquellen und damit verbunden auf abweichende Interessenschwerpunkte der jeweiligen Informanten zurückzuführen. Während Wilhelm seine Informationen über die Assassinen über einen längeren Zeitraum aus christlichen Quellen bezogen haben dürfte, die ihrerseits wiederum ursprünglich auf muslimischen, sunnitischen oder nizaritischen, Informationen basierten,1113 spiegelt Burchards Beschreibung eine ungefilterte sunnitische Perspektive wider, die von Polemik und Diffamierung gezeichnet war. Entsprechend steht bei ihm nicht das christlich-nizaritische, sondern das sunnitisch-nizaritische Verhältnis im Vordergrund. Bei Burchard steht die religiöse Einordnung als muslimische Häresie fest und bildet den Kern seiner Darstellung. Die Betonung gerade für Muslime bedeutender Leitdifferenzen wie die Missachtung der Gebote, den Verzehr von Schweinefleisch und besonders die Verehrung des Imams weisen auf die Herkunft der hier dargelegten Informationen aus sunnitischen Kreisen hin, da sie sich auf innermuslimische dogmatische Auseinandersetzungen beziehen. Das in allen Bereichen deviante Verhalten der Sekte, Skrupello1111 Siehe Anm. 1092. 1112 Vor Daftary stellte schon Leopold Hellmuth die Darstellungen bei Burchard der bei Wilhelm von Tyrus gegenüber. Anders als Burchard gab sich dieser aber nach Hellmuths Einschätzung nicht mit „volkstümlichen Erklärungen“ zufrieden, um die Opferbereitschaft der Assassinen zu erklären: „Es könnte natürlich sein, dass Wilhelm von den Erzählungen über die Gewinnung und Erziehung der Assassinen durch den Alten vom Berge, die verhältnismäßig bald nach der Entstehung seiner Chronik eine so große Verbreitung finden sollten, noch nichts gehört hatte. Dass jene Gerüchte und Spekulationen über die Gewinnung der Assassinen, die bald allen Reisenden zu Ohren kamen, gerade dem besten Historiographen der Kreuzzüge entgangen sein sollten, erscheint freilich recht unwahrscheinlich. Näherliegend wäre es wohl, damit zu rechnen, dass Wilhelm die Erzählungen über die Gewinnung der Assassinen zwar kannte, sie jedoch im Wissen um ihre volkstümliche Herkunft und in Erkenntnis ihres fiktionalen Charakters für nicht erwähnenswert hielt. Allerdings müssten ihn derartige Erzählungen doch gerade auf die zentrale Frage nach der tatsächlichen Herkunft jenes erstaunlichen Gehorsams aufmerksam gemacht und – wie bei der für ihn rätselhaften Bezeichnung Assissini – zu einer Stellungnahme bewogen haben“, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 54. 1113 Die negative Berichterstattung seit dem 10. Jahrhundert übertrug sich auf die Kreuzfahrer, Daftary, Légendes (2007), 44.

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Abb. 22: Miniatur des Paradiesgartens des „Alten vom Berge“, entnommen aus Marco Polo, Le Livre des Merveilles du Monde, Ms. fr. 2810, f. 16v, Paris, Atelier des Boucicaut-Meisters, um 1412.

sigkeit, Inzest, Mord und Schrecken, gründet in der Abkehr vom Gesetz. In böser, mörderischer Absicht pervertiert das Oberhaupt der Sekte seine religiöse Autorität. In diesem Sinne kritisiert Burchard nicht die muslimische Paradiesvorstellung und die Verheißung des Paradieses an sich (die er an anderer Stelle schildert), sondern die Anmaßung des nizaritischen Princeps (oder Imams), über den Zugang zu bestimmen. Auch in der muslimischen Überlieferung des 12. Jahrhunderts werden die Nizariten meist im Zusammenhang mit ausgeübten Mordtaten, Gewaltakten und Anschlägen erwähnt.1114 Unter Saladin war die Verführung der „Schwächsten“ der Gesellschaft, der Bauern und einfachen Leute, ein schwerwiegender Tatbestand. Nicht nur Anhänger der Nizariten wurden dafür angeklagt und schwer bestraft.1115 Heterodoxe und ganz besonders häretische Gruppen stellten aufgrund ihrer Opposition zur Orthodoxie eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Grundordnung und Legitimität der ayyubidischen Herrschaft dar, da sie die Rechtmäßigkeit des sunnitischen Kalifats nicht anerkannten.1116

1114 Daftary, Légendes (2007), 42. 1115 Eddé, Saladin (2008), 453–455. 1116 In einem 1181/1182 verfassten Brief Saladins an den Kalifen von Bagdad benennt er die drei Hauptfeinde des Islams in Syrien: die ungläubigen fränkischen Invasoren, die häretischen und mörderischen Assassinen und die verräterischen zengidischen Herrscher von Mosul, welche miteinander konspirieren, Lewis, Saladin (1953), 239.

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Entgegen der bisherigen Annahme der Forschung darf Burchards knapper und auf das Wesentliche reduzierte Bericht als recht verlässliche Wiedergabe von Informationen sunnitischer Informanten eingeschätzt werden, die hinsichtlich der religiösen Einordnung der Nizariten aus Sicht des orthodoxen Islam keinen Zweifel lässt.1117 Eigene Hinzufügungen sind nicht erkennbar, auch verfügte Burchard keineswegs über schlechtere Informationen als im Orient ansässige Franken, sondern besaß vielmehr einen Informationsvorsprung, der allerdings nicht in den allgemeinen Erwartungshorizont passte. Mit Sicherheit verfügte Burchard dabei schon vor Reiseantritt über Kenntnisse über die Assassinen, die in Europa kursierten. Mit phantastischen Details wurden dann die nachfolgenden lateinischen Darstellungen ausgeschmückt. Sie führen den unbedingten Gehorsam der Assassinen auf den Haschischkonsum zurück, was in muslimischen Quellen keine Entsprechung hat.1118 Ein irdischer Paradiesgarten erfüllte die Sehnsüchte der Gefolgsleute des „Alten vom Berge“.1119 Konstante Elemente aller Darstellungen blieben der heimtückische Mord und der unbedingte Gehorsam gegenüber dem nizaritischen Anführer.

1117 Im Kontext des gesamten Reiseberichts, Burchards strenger Informationsselektion und seinen vermutlich nicht aus der untersten Bildungsschicht stammenden Informanten erscheint es wenig plausibel, dass er hier völlig haltlose Fabuleien wiedergibt, die er vom „Hörensagen aufgeschnappt hat“. Vielmehr stufte Burchard die Nachrichten über die Assassinen als vertrauenswürdig ein und verzichtete gänzlich auf Hinzufügungen. 1118 Lewis, Sources (1952), 482; 477 Anm. 14; Halm, Assassinen (2003), 62  f. Das erste Mal wird die Droge bei Arnold von Lübeck erwähnt: Beatissimos autem eos affirmat qui humani sanguinis fusores ipsi pro tali ultione occumbant. Cumque aliqui eorem talem elegerint mortem, ut aliquem dolo occidant, pro cuius ultione ipsi beatius moriantur, ipse eis cultros quasi ad hoc negotium sacratos amministrat et tunc poculo eos quodam, quo in extasim vel amentiam rapiantur, inebriat, et eis magicis suis quedam sompnia in fantastica, gaudiis et deliciis, immo nugis plena, ostendit, et hec eternaliter pro tali opere eos habere contendit, Arnold, Chronica, IV, 16. Ed. Lappenberg (1869), 179; Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 39 Anm. 74; 103  f. 1119 Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 41–45; 82–92. In späteren Darstellungen wird das Bild verzerrt, und die negativen Aspekte stärker betont. Rationale Erklärungen können sich als Allgemeingut kaum durchsetzen. Der Alte wird wieder zum Hexenmeister, den absoluten Gehorsam erreicht er durch Vergabe von Drogen, Mord wird zur einzigen Aufgabe dieser Spezies, so bei Marco Polo, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 27–29; 36–45. Nach den religiösen und politischen Hintergründen wird nicht mehr gefragt. Der freiwillige Sturz in den Tod auf Befehl des Großmeisters ist Bestandteil der Darstellung bei Arnold von Lübeck, taucht aber auch in der Biographie Rashid ad-Din Sināns auf, Lewis, Kamāl al-Dīn (1966), 230; 238  f.; Daftary, Légendes (2007), 115  f. Hellmuth führt diese Legende auf den Alexanderroman zurück, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 113–116. Bei Jan Enikel wird die Praxis auf die „Stecher“ Friedrichs II. übertragen, Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 12–22; 102. Der Paradiesgarten findet zum ersten Mal bei Jacques de Vitry Erwähnung, der sich ansonsten eng an Wilhelm von Tyrus orientiert, dann bei Marco Polo, Daftary, Légendes (2007), 113  f.; 121; 126.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

III.2.2 Die Muslime Am Ende des Orientberichts steht ein Porträt über Gewohnheiten, Lebensführung, Gebote und religiöse Rituale der Muslime. Dieser Abschnitt komplettiert die schon im Anschluss an die Beschreibung Ägyptens eingefügten Informationen bezüglich der islamischen Paradies- bzw. Jenseitsvorstellungen. Die in beiden Abschnitten enthaltenen Ausführungen werden im folgenden gemeinsam untersucht und systematisch gebündelt. Den Islam kennzeichnet Burchard als Monotheismus. Muslime glauben an (einen) Gott, Mohammed ist ihr Prophet und Begründer ihres Gesetzes: Credunt in Deum creatorem omnium, Mahometh prophetam dicunt esse sanctissimum et eorum legis auctorem, quem etiam frequentare solent prope et longe positi Sarraceni cum maxima veneratione in peregrinationibus suis. Er weiß von ihrer Wallfahrt (Hadsch),1120 auch wenn er Mekka nicht mit Namen nennt und als Ziel der Pilgerreise den Propheten selbst

1120 Nach dem Koran (Sure 3: 97) ist jeder Muslim verpflichtet, einmal im Leben nach Mekka zu pilgern. Zur Reisezeit Burchards fiel dieser Monat und damit die Zeit des großen Hadsch in den Juni, siehe Kapitel III.1.6. Anm. 124; Wensinck, Hadjdj (1986). Die Ursprünge des Hadsch liegen in vorislamischer Zeit und schlossen die Kaaba in Mekka nicht mit ein. Es handelte sich wahrscheinlich um ein Ritual der Sonnenverehrung, bei dem zum Sonnenuntergang ein Lauf von der ʿArafat-Ebene (ca.  20  km östlich von Mekka) nach Muzdalifa und bei Sonnenaufgang von Muzdalifa nach Minā stattfand, Chabbi, Seigneur (1997), 361–368; Dostal, Mecca (1991). Im Jahr 632 vollzog Mohammed selbst das Ritual. Um sich von den Polytheisten abzusetzen, nahm er dabei einige Änderungen vor, al-Azraqī, Kitāb. Ed. Wüstenfeld (1857), 130  f. (arabisch). Er vertauschte die Tageszeiten der Läufe und ging erst nach Sonnenuntergang von Arafat nach Muzdalifa und schon vor Sonnenaufgang von dort nach Minā. Den Hadsch kombinierte er mit den Riten der Kaaba in Mekka (umra), was nach seinem Tod zur Norm der Muslime wurde, Hawting, Origins (1982). Der islamische Hadsch beginnt am 8. Tag des Monats Ḏū al-Ḥijja mit dem Lauf von Mekka nach Minā, von dort führt der Weg am 9. Tag nach Arafat und weiter nach Muzdalifa. Kurz vor Sonnenaufgang geht es am 10.  Tag dann wieder nach Minā, wo unter der Jamarat-Brücke die symbolische Steinigung des Teufels stattfindet und anschließend das Opferfest begangen wird. Danach pilgern die Muslime nach Mekka zur Kaaba, dem zentralen Heiligtum des Islams. Vom 11. bis 13. Tag dieses Monats wird die Teufelssteinigung wiederholt, am letzten Tag umrunden sie auch nochmal die Kaaba, McMillan, Mecca (2011), 21–27. In vorislamischer Zeit war die Kaaba Heiligtum des Gottes Hubal, daneben wurden noch weitere Götter und Göttinnen verehrt. Das Priesteramt lag bei den Mitgliedern des Stammes der Quraisch, dem auch Mohammed angehörte. Seit 632 ist die Kaaba islamisches Heiligtum, Mohammed ließ die Götterstatuen entfernen. Verehrt wird hauptsächlich der Schwarze Stein, ein nicht näher untersuchter Stein des paganen Steinkultes (25–30 cm Durchmesser), der nach islamischer Überlieferung aus dem Paradies stammen soll, Kahn, Origin (1938); Rubin, Ḥanīfiyya (1990). Nach Sure 22: 26–27 und Sure 2: 127 soll die Kaaba von Adam erbaut und von Abraham und Ismael erneuert worden sein. Den Hadsch, die Kaaba und den schwarzen Stein beschreibt ausführlich Ibn Ğubair, Ibn Ğubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 56–75. Saladin zog jedoch niemals nach Mekka, Möhring, Mekkawallfahrten (1994), 319  f. Siehe auch Porter, Hajj (2012); Nagel, Mohammed (2008); Reichert, Mohammed (2005); Faroqhi, Ziel (1991); Dies., Herrscher (1990); Haarmann, Pflichten (1975).

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annimmt.1121 In Europa war die Vorstellung verbreitet, Mohammed habe vornehmlich in Mekka gewirkt und sei dort auch bestattet. Die Ursache der Wallfahrt wurde in einem dort sich befindenden Grabmal gesehen.1122 Richtig gibt Burchard die Verpflichtung zum fünfmaligen Gebet an, wobei nur den Männern der Moscheebesuch obligatorisch sei: Viri quoque quinque vicibus infra diem et noctem ad templum vadunt orare et loco campanarum precone utuntur, ad cuius vocationem sollempniter convenire solent. Den Ruf des Muezzins hat Burchard vermutlich selbst vernommen. Die rituelle Waschung zu jeder Tageszeit, bevor die Muslime zum Beten gehen wie auch die Gebetshaltung im Knien schildert er ebenfalls so, wie er sie anscheinend beobachten konnte: Et nota, quod religiosi Sarraceni ad quamlibet horam se solent lavare cum aqua, incipientes a facie et a capite, lavantes manus, brachia, crura, pedes, pudibunda et anum, et postea vadunt orare, et nunquam orant sine venia. Die Einschränkung auf die religiosi Sarraceni lässt vermuten, dass längst nicht alle Muslime in Burchards Umgebung die religiösen Vorschriften so streng befolgten. Die Einschränkung kann sich aber auch auf die unterschiedlichen Arten von Waschungen beziehen: Neben der Teilwaschung (wuḍūʾ) vor dem Gebet existiert eine allgemeine Waschung des Körpers (ġusl), die im Zustand der großen rituellen Unreinheit (ğanāba) und insbesondere vor dem Freitagsgebet zu verrichten ist.1123 Burchards Aufzeichnungen stimmen mit den Geboten (fünf Säulen) des Islam überein. Seine Definition des Islam als Monotheismus gibt gut die erste Säule, das islamische Glaubensbekenntnis (Šahāda) wieder: Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.1124 Die zweite Säule ist das Gebet (Ṣallā), das ebenso wie die rituelle Waschung im Koran verankert ist.1125 Von der Almosensteuer und vom Fasten (dritte und vierte Säule) berichtet Burchard nicht. Da der islamische Monat Ramadan im Jahr 1176 erst Mitte März begann, hat Burchard die Tradition des Fastens möglicherweise nicht eigens bemerkt, zumal Reisende vom Fasten befreit sind.1126 Der Hadsch ist die fünfte Säule. 1121 Das Grab Mohammeds befindet sich in der Prophetenmoschee in Medina. Nach malikitischer Lehre ist auch der Besuch des Grabes für Muslime obligatorisch, Schöller, Mohammed (2008), 47. Saladin selbst stiftete in Damaskus eine malikitische Madrasa und scheint dieser Richtung nahe gestanden zu haben, Eddé, Foundations (2010), 72. Die Unterstützung dieser Lehre diente dazu, der schiitischen Lehre der Fatimiden entgegenzuwirken. In Ägypten waren aber v.  a. die Rechtsschulen der Shāfiʿiten und der Ḥanafiten vorherrschend. 1122 Rotter, Mohammed (2009), 183; 185; Reichert, Sarg (2014); Daniel, Islam (1960), 245  f. 1123 Monnot, Salat (1995), 929. 1124 Sure 37: 35 und 47: 19, Hennig, Koran (1999), 358; 408; Nagel, Koran (1991), 45; 78; Halm, Islam (2008), 60; Gimaret, Shahāda (2002); Macuch, Vorgeschichte (1978). 1125 Sure 5: 6, Hennig, Koran (1999), 103; Nagel, Koran (1991), 316; Monnot, Salat (1995). Zur Entwicklungsgeschichte der Gebetszeiten siehe Neuwirth, Kultentwicklung (2011); Watt/Welch, Islam (1980), 270; 273  f.; Goldziher, Islamisme (1901), 15. 1126 „Wer jedoch krank ist oder auf einer Reise, der faste eine gleiche Anzahl anderer Tage. Allah wünscht, es euch leicht- und nicht schwer zu machen und dass ihr die Zahl der Tage erfüllt und Allah dafür preist, dass Er euch geleitet hat“, Sure 2, am Ende von Vers 185, Hennig, Koran (1999), 47.

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Auch über die Paradiesvorstellungen der Muslime hat Burchard einiges erfahren. Item credunt Sarraceni se habere paradisum in terra, in quem post hanc vitam sint transituri, in quo credunt esse IIII flumina, unum scilicet de vino, secundum de lacte, tertium de melle, et quartum de aqua. Et omne genus fructuum ibidem dicunt nasci, et ibi pro velle comedent et bibent. Die hier wiedergegebene Beschreibung findet sich ganz ähnlich im Koran, Sure 13: 35: Das Paradies, das den Gottesfürchtigen verheißen wurde, gleicht folgendem: Es ist von Bächen durchteilt, und ständig gibt es dort Früchte und Schatten. Das ist der Lohn der Gottesfürchtigen. Doch der Lohn der Ungläubigen ist das Feuer.1127 Vor allem Sure 47: 15 entspricht Burchards Darstellung: Das Bild des Paradieses, das den Gottesfürchtigen verheißen ist, (ist so): In ihm fließen Ströme von Wasser, das nicht verdirbt, und Ströme von Milch, deren Geschmack sich nicht ändert, und Ströme von Wein, köstlich für die Trinkenden, und Ströme von geklärtem Honig. Und dort finden sie allerlei Früchte sowie Verzeihung von ihrem Herrn. (…).1128 Das Paradies der Muslime verheißt nicht nur Früchte und Nahrung im Überfluss, es ist vor allem ein Ort der Wollust: Unusquisque eorum omni die pro voluptatis explecione nove virgini commiscetur, et si quis in proelio a Christiano moritur, cottidie in paradiso decem virginibus utitur. Die besonders Männer ansprechende Verheißung gefügiger ‚Jungfrauen‘ ist ebenfalls im Koran (Suren 52, 55 und 56) enthalten.1129 Die größten Vorteile des Paradieses sind den „Vordersten“, den Gott am nächsten Stehenden vorbehalten (Sure 56):1130 (11.) Sie sind die (Allah) Nahegebrachten, (12.) In Gärten der Glückseligkeit, (13.) (Darunter) eine große Zahl der Früheren, (14.) Aber wenige der Späteren. (15.) Auf golddurchwobene Polster (16.) Lehnen sie sich, einander gegenüber. (17.) Der Reihe nach bedient von immerjungen Knaben (18.) Mit Bechern und Krügen und Gläsern gefüllt aus einer fließenden Quelle. (19.) Davon werden sie weder Kopfweh bekommen noch berauscht werden. (20.) Und Früchte ihrer Wahl (gibt es dort) (21.) Und Fleisch von Geflügel, wie sie es begehren, (22.) Und Huris, (23.) Verborgenen Perlen gleich, (24.) Als Lohn für ihr Tun. (…)

Den „Gefährten zur Rechten“ werden ebensolche Annehmlichkeiten versprochen: Sie (28.) (Weilen) unter dornenlosem Lotos (29.) Und gebüschelten Bananen (30.) Und in ausgedehntem Schatten (31.) Und an sprudelndem Wasser (32.) Und mit Früchten in Menge, (33.) Unerschöpflich und stets verfügbar, (34.) Und mit ihren erhabenen Gefährtinnen. (35.) Siehe, Wir haben sie in herrlicher Schöpfung neugestaltet (36.) Und sie zu Jungfrauen gemacht, (37.) Zu liebevollen Altersgenossinnen.1131

1127 Hennig, Koran (1999), 209. 1128 Ebd., 407; Nagel, Koran (1991), 77  f.; Gardet, Djanna (1965). 1129 Siehe auch Sure 88: 8–16, Hennig, Koran (1999), 482  f.; Nagel, Koran (1991), 120. 1130 Sure 56: 1–11, Hennig, Koran (1999), 431; Nagel, Koran (1991), 155  f. 1131 Hennig, Koran (1999), 431; Nagel, Koran (1991), 156.

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In Sure 52 heißt es ähnlich: (17.) Die Gottesfürchtigen hingegen werden sich in Gärten und im Glück befinden (…) (20.) Gelehnt sind sie auf aufgereihten Polstern. Und wir vermählen sie mit großäugigen Gefährten.1132 Die „Gefährten“ in der deutschen Übersetzung von Max Hennig waren Huris, wunderschöne Paradiesjungfrauen, die im Koran an mehreren Stellen erwähnt werden.1133 Ins Auge fällt in Burchards Darstellung die besondere Belohnung von Kämpfern (Märtyrern), welche im Kampf gegen Christen ihr Leben verloren haben: quis in proelio a Christiano moritur. Ob diesen tatsächlich nur eine Jungfrau mehr, nämlich zehn anstatt neun, als den anderen zustand, sei dahingestellt. Der Überlieferungsbefund des Burchardberichtes lässt kaum eine alternative Lesart zu.1134 In der Hadithliteratur zum Ǧihād wurden die Huris den Kämpfern im Jenseits versprochen und boten anscheinend einen besonderen Anreiz für den Kampf gegen die Kreuzfahrer.1135 Besonders im Umfeld Saladins war das Thema des Märtyrertodes im Ǧihād äußerst präsent, von Hofpoeten und Schriftstellern wurde Saladin zu Lebzeiten als Vorkämpfer der Gläubigen propagiert, da gerade ihm die Vereinigung der muslimischen Herrschaftsgebiete gelungen war.1136 Anfang des Jahres 1175 übermittelte Saladin dem Kalifen ein Zeugnis seines Willens zum Glaubenskampf gegen die Kreuzfahrer.1137 Der Kalif unterstützte den Ǧihād nicht zuletzt durch die Investitur Saladins als neuen Herrscher über Damaskus im gleichen Jahr.1138 In der Propaganda des Ǧihād wurde diese Art des Todes im Kampf gegen die Franken den Soldaten besonders schmackhaft gemacht. „Heaven is described in a sensual manner. Many of those things that were forbidden to the Muslim during life, such as drinking wine or wearing gold and silk, are not only permitted in Paradise,

1132 Hennig, Koran (1999), 421. 1133 Suren 44: 54; 52: 20; 55: 72; 56: 22; 37: 48; 38: 52; 78: 33. „(…) in extension, ḥawrāʾ signifies a woman whose big black eyes are in contrast to their ‚whites‘ and to the whiteness of the skin. The plural ḥūr is a substantival adjective used in the Ḳurʾān for the virgins of Paradise promised to the Believers, the houris; the latter term has entered European languages through the Persian singular (ḥūrī or ḥūrī beheshtī) and the Turkish ḥūrī, whereas the Arabic noun of unity, a secondary formation from ḥūr, is ḥūriyya, pl. ḥūrriyyāt“, Wensinck, Hūr (1971), 581. Dagegen Christoph Luxenberg, der den Terminus mit Weintrauben übersetzt, Luxenberg, Lesart (2004), 221–260; Tubach, Schönheit (2010). 1134 Einzig die Handschrift W überliefert die Zahl von einer Jungfrau (unius) für Normalgestorbene. Diese Variante kann nicht als ursprüngliche Lesart behauptet werden, ist aber nicht grundsätzlich als solche auszuschließen. Es kann ursprünglich z.  B. IV geheißen haben. 1135 Cook, Jihad (2005), 27–31. 1136 Eddé, Saladin (2008), 210. 1137 „Les Francs savent qu’ils ont en nous un adversaire que nulle calamité ne pourra abattre jusqu’au jour où ils se décourageront, un chef qui ne déposera l’épée que lorsqu’il désarmeront. Si notre opinion obtient la haute approbation [du calife] nous combattrons avec un glaive qui est redoutable même dans son fourreau, par la volonté de Dieu nous atteindrons au but de nos désirs sans que les croyants n’aient besoin de sortir leur main de leur manteau et nous délivrerons la mosquée où Dieu transporta son serviteur pendant la nuit“, ebd., 201. Übersetzt aus Abu Shama. 1138 Ebd., 203.

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but are a major feature of the pleasures in store for the blessed. However, without a doubt, the literature concentrates on the women of paradise.“1139 Auf Grundlage von Schriftzeugnissen geht Eddé von einer tatsächlichen Überzeugung von den im Koran und den Hadithen verheißenen Paradiesversprechen bei den Soldaten aus. Saladin selbst soll sich diesen „edelsten aller Tode“ gewünscht haben.1140 Der Hinweis ist damit als spezifisch für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts einzuordnen und stellt die Authentizität der Nachricht unter Beweis.1141 Burchards ironische Nachfrage, was denn mit den Paradiesjungfrauen nach ihrer Entjungferung geschehe, kann als Kritik an dieser materialistischen und mit se­xuel­len Vorstellungen verknüpften Auffassung des Paradieses gelesen werden.1142 In diese Richtung weist auch seine Schilderung einer irdischen Paradiesvorstellung im Islam: Item credunt Sarraceni se habere paradisum in terra. Da diese Bemerkung vor der Beschreibung der Assassinen im Bericht erfolgt, ist eine Verwechslung mit der Paradiesvorstellung der Ismaeliten, speziell der Nizariten nach 1164 nicht unbedingt anzunehmen.1143 Eine irdische Paradiesvorstellung ist dem Islam zwar fremd, doch wird das Paradies im Koran, insbesondere aber in den Hadithen und der Ǧihādliteratur ausführlich und sehr sinnlich beschrieben, so dass es im Vergleich mit der Beschreibung des Garten Eden1144 in der Bibel als ein definierter Ort erscheint, wenn auch nicht lokalisierbar. Neben Mohammed führt Burchard weitere legis auctores des Islams an: Habent etiam alios quosdam sue legis auctores in veneratione. Unklar bleibt, wen er damit meinte. In Frage kommen grundsätzlich Glaubenslehrer und Gefährten Mohammeds wie Abu Bakr, Omar, Osman und Ali. Im lateinischen Schriftgut ist die Kenntnis der Glaubensrichtungen der Sunniten und Schiiten nicht belegt, einzig Wilhelm von Tyrus berichtet davon in seiner Chronik.1145 Die Spaltung des Islams in verschiedene 1139 Cook, Jihad (2005), 28. 1140 Eddé, Saladin (2008), 219. 1141 Möhring, Saladin (2005), 24  f.; Eddé, Saladin (2008), 216. 1142 Sed quid de mulieribus istis contingat, que nunc sunt, vel quo deveniant virgines, que cottidie secundum eos corrumpuntur, mihi respondere ignorabant. 1143 Dies vermutet Daftary, Légendes (2007), 108. 1144 Gen 2, 8–14. 1145 Prioris autem nominis hec est ratio. Mehemeth propheta eorum, immo subversor, qui primus Orientales populos ad huiusmodi supersticionem traxit, successorem habuit statim post se quendam de cooperatoribus suis Bebecre nomine. Post quem in regno successit Homar, filius Cathab, post hunc Uthemen, post quem Hali, filius Bitaleb. Hii omnes dicti sunt caliphe, sicut et deinceps omnes qui eius successerunt, eo quod eorum magistro precipuo successerunt et eius erant heredes. Iste tamen ab eo quintus, Hali videlicet (…) indignari cepit plurimum quod illius diceretur successor et non magis propheta eximius et multo maior illo haberetur. Nec satis visum est ei ita de se vel se vel alios opinari, nisi et id publice predicaret. Adiecit etiam in illum blasphemie plenum dicere et per vulgus disseminare quod angelus legis lator Gabriel ad se missus fuerat divinitus, sed errore deceptus eam Mehemeth contulit, unde graviter fuit a domino correptus. Hec etsi absona quibusdam eorum et ab eorum traditionibus multum dissentire videbantur, invenit tamen populum qui sibi crederet sicque in gente illa exortum est

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Glaubensrichtungen ist auch in Burchards Darstellung kein Thema. Der Terminus legis auctores legt eher einen Bezug zu den vier Imamen der vier Rechtschulen nahe: Mālik, Abū Ḥanīfa, Ibn Ḥanbal und aš-Šāfiʿī. Gerade während der Herrschaft Saladins genossen sie hohes Ansehen.1146 Zur Abwehr schiitischer Glaubensauslegung förderte Saladin seit 1170 insbesondere die shafiʿitische und die ḥanafitische Schule und stiftete zahlreiche Medresen.1147 Schon 1178 hatte Saladin aš-Šāfiʿī ein Grab gestiftet, 1180 ließ er ihm in Kairo ein Mausoleum errichten.1148 Eine der wichtigsten Medresen entstand 1176/1177 in Kairo in unmittelbarer Nähe des Grabes von aš-Šāfiʿī, andere Schulen konnte Burchard schon in Fustat besucht haben.1149 Eine Pilgerstätte war auch das Grabmal Abū Ḥanīfas in Damaskus.1150 Burchards Bemerkung weist damit einen recht eindeutigen Bezug zur Herrschaftszeit Saladins im Unterschied zur Fatimidenzeit auf. Ein enger Zeitbezug zur Zeit Saladins bzw. zum 12. Jahrhundert ist auch in den weiteren Ausführungen auszumachen. Großes Interesse zeigt Burchard hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses im Islam. Deutlich stellt er die Verbannung der muslimischen Frau aus dem öffentlichen Leben, ihr Verschwinden unter einem Schleier und die völlige Isolation von anderen, männlichen Personen heraus.1151 Nicht mal zum Tempel haben sie Zutritt, ihre eigenen Verwandten dürften sie im Harem nicht besuchen, wie Gefangene werden sie bewacht und sind völlig der Herrschaft ihres Mannes unterworfen: Mulieres Sarracenorum linteaminibus velate et cooperte incedunt, nunquam templa eorum ingrediuntur. In maxima custodia eunuchorum mulieres habentur, ita quod maiores domine nunquam domicilia sua egrediuntur, nisi per preceptum maritorum suorum. Et nota, quod non frater, non alius propinquus viri vel mulieris sine consensu viri ad mulierem audet ingredi.

Den Männern hingegen seien alle Freiheiten erlaubt. Bis zu sieben Ehefrauen dürften sie zeitgleich haben, Geschlechtsverkehr mit Sklavinnen und Dienerinnen sei nicht verboten. Unabhängig von den Müttern der Kinder werden Erben und Nachfolger eingesetzt, auch die Söhne von Sklavinnen ohne Unterschied bedacht: Unicuique Sarraceno licet ducere septem uxores legitime simul, et unicuique illarum divisim expensas condictas et promissas e contractu nuptiarum providet. Insuper quotquot habuerit slavas vel

scisma, quod postea non defecit usque in presentem diem, aliis dicentibus Mehemeth maiorem esse et omnium eximium prophetarum, et hii lingua eorum dicuntur Sunni, aliis dicentibus Hali solum esse prophetam domini, et isti dicuntur Ssia, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XIX, 21. Ed. Huygens (1986), 890  f. Verloren ist leider Wilhelms ‚Geschichte der morgenländischen Fürsten‘, welche er auf Wunsch Amalrichs verfasste, ebd., 892. 1146 Eddé, Saladin (2008), 435–449; siehe auch Anm. 1121. 1147 Ebd., 436. 1148 Ebd., 440. 1149 Ebd., 441. 1150 Ali, Imam Shafiʿi (2011). 1151 Vgl. die Schilderung bei Symon Semeonis, Itinerarium. Ed. Esposito (1960), 60–63.

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servas, cum ilis licenter peccat, quasi non inde habeat peccatum. Quarum ancillarum si aliqua conceperit, statim a domino domini libera erit. Et quemcunque filiorum suorum, sive Sarracenus de libera sive de ancilla heredem suum constituere poterit secundum velle suum.

Die Polygynie der Muslime ist ein im Westen bekannter Tatbestand, der sich mit dem Bild des unzüchtigen und lüsternen Muslims verbindet.1152 Nach dem Koran (Sure 4: 3 und 33: 50) ist die Zahl der Ehefrauen auf vier beschränkt: Und wenn ihr fürchtet, sonst den Waisen nicht gerecht werden zu können, nehmt euch als Frauen, was euch gut erscheint, zwei oder drei oder vier. Doch wenn ihr fürchtet, ihnen nicht gerecht werden zu können, heiratet nur eine oder diejenigen, die ihr von Rechts wegen besitzt. Dies schützt euch eher vor Ungerechtigkeit.1153 Mohammed selbst jedoch nahm sich deutlich mehr: neun bis zwölf Frauen werden meist genannt, die Zahl ist aber nicht festgelegt.1154 Die nach Burchard erlaubte Zahl von sieben Frauen pro Mann basiert nicht auf dem Koran, sondern eher auf mündlicher Information, die sich somit auf die Anzahl der Frauen Mohammeds bezieht. Möglicherweise stand in einer hinter dem Archetypus des Burchardtextes anzusetzenden Version auch nicht VII, sondern IIII – dann würde sich das Rätsel um die mitgeteilte Anzahl der Frauen lösen. Burchards Zusatz, dass viele Muslime auch nur eine Ehefrau hätten,1155 relativiert das Bild für die Praxis und die Verbreitung der Polygynie, die doch der religiös-rechtlichen Norm entspricht. Bei Burchard steht nicht die Entrüstung über die Unzucht, sondern die Unterdrückung der Frauen und die Reduzierung der Gesellschaft auf den Mann an erster Stelle.1156 Die Unsichtbarkeit der Frauen1157 und ihr völliger Ausschluss aus dem 1152 Walter von Compiegne geht von zwölf Frauen aus, Walter von Compiegne, Otia. Ed. Huygens (1956), 320. 1153 Hennig, Koran (1999), 81  f.; 340; Nagel, Koran (1991), 311; 315. 1154 Nagel, Mohammed (2008), 939–942; Rotter, Mohammed (2009), 184 bes. Anm. 7. Vgl. Guibert von Nogent, Gesta, I, 4. Ed. Huygens (1996), 498. 1155 Multi tamen sunt Sarraceni adeo religiosi quod non nisi unam habent uxorem. 1156 „Die Unterwerfung der Frauen ist in Mohammeds Denken ein wesentliches Merkmal der von ihm verkündeten Glaubenspraxis. So wichtig ist sie ihm, dass er sie in der Ansprache erwähnt, die er während seiner letzten Wallfahrt hält. Viele Muslime betrachten das, was er damals verkündet, als eine Art Vermächtnis. Über die Frauen heißt es dort: ‚Ihr Leute! Die Frauen haben einen Anspruch gegen euch, und ihr habt einen Anspruch gegen sie. Denn es obliegt ihnen, dass sie niemandem erlauben, sich in euer Bett zu legen, und niemandem, den ihr verabscheut, gestatten, euer Haus zu betreten, es sei denn mit eurer Erlaubnis. Handeln sie dem zuwider, so gilt, dass Allah euch gestattet hat, sie im Bett zu meiden und sie zu schlagen, allerdings ohne sie grausam zu quälen. Wenn sie dann ihr Fehlverhalten aufgeben und euch gehorchen, dann stehen ihnen Nahrung und Kleidung zu, wie es recht und billig ist. Die Frauen sind bei euch wie Kriegsgefangene (arab.: Pl. f. al-‘awānī), die über nichts aus eigener Macht verfügen. Ihr aber habt sie von Allah zu treuen Händen erhalten, dank seinem Wort verfügt ihr über ihre Scheide. Darum seid gottesfürchtig im Umgang mit den Frauen und nehmt euch ihrer im Guten an!‘ Kriegsgefangene in Ketten, das ist die Assoziation, den der von Mohammed verwendete Begriff weckt“, Nagel, Mohammed (2008), 333; siehe auch ebd., Anm. 225, 782; 450. 1157 Nagel, Mohammed (2008), 541  f.; Knieps, Verschleierung (1993), 217–226.

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öffentlichen Leben sind der auffallendste Unterschied zwischen der christlichen und der islamischen Gesellschaft.1158 Als „totales soziales Phänomen“1159 hatten Ehe und Familie im Islam eine völlig andere Bedeutung als im Christentum. „Viel tiefer als in die Beziehungen der Sippen und Stämme untereinander griff die Ausbreitung des neuen Glaubens in die Eheverhältnisse ein, in den Lebenskreis des einzelnen. Was Mohammed in Sure 2 nur andeutet, die Ausrichtung ehelicher Verbindungen an den Belangen der Gemeinschaft der Gläubigen, formuliert er etwa zwei oder drei Jahre später in Vorschriften, die sich in Sure 4 finden, die mit dem Titel ‚Die Frauen‘ versehen wurde. Die gestiftete Solidarität zwischen Männern unterschiedlicher Stämme wurde (…) rasch aufgegeben; denn Mohammed hatte die Herrschaft seiner Sippe im Auge. Nirgends gibt er zu erkennen, dass ihm die Überwindung des genealogischen Ordnungssystems der altarabischen Gesellschaft am Herzen gelegen hätte. Erst als fremde Völker unter das Joch der arabischmuslimischen Eroberer gezwungen wurden, kam die Frage aufs Tapet, ob jenes System eine unabdingbare Voraussetzung für eine Lebensführung nach Maßgabe des Islams sei, und nur unter langwierigen Zwistigkeiten gelang die Abtrennung der Religion von der Genealogie. Die mohammedschen Ehebestimmungen hatten, ganz im Gegenteil, die Festigung der patrilinea­ ren Abstammung bezweckt; sie hatten die Herrschaft eines jeden – muslimischen – Mannes über seine Frau oder seine Frauen sichern und dadurch die Stabilität der Kampfgemeinschaft der ‚Gläubigen‘ erhöhen sollen. Sie verstärkten zudem die Anziehungskraft dieser Gemeinschaft, weil nun nirgendwo sonst im damaligen Arabien ein Mann so kostengünstig Eigner einer Frau werden und so unangefochten ihr Herr sein konnte. Mohammed versäumte nicht, diesem in der Tat neuen Verhältnis zwischen Mann und Frau eine tiefere, religiöse Auslegung zu verschaffen.“1160 Das Christentum verfocht hingegen von Anfang an „die strikte Monogamie“: „Das bedeutet nicht bloß das Gebot der Einehe ohne jede zusätzliche sexuelle bzw. rechtliche Verbindung, sondern auch das Verbot der Scheidung mit Wiederheirat und sogar die Tendenz, die neue Heirat nach Verwitwung zu untersagen. Im Unterschied zu den beiden anderen großen Religionen im mediterran-europäischen Raum sind Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit im Christentum sogar ausgezeichnet (…).“1161 Neben der Muntehe bestanden zwar Möglichkeiten eines Konkubinats,1162 doch waren die Legitimierung der daraus hervorgegangenen Kinder schwierig.1163 Burchards zeigt in seiner Darstellung die Unterschiede von Rechtsordnung und Sozialstruktur in Hinblick auf Frauen und Nachkommen in beiden Kulturkreisen auf.

1158 Nagel, Mohammed (2008), 324–336; Ders., Koran (1991), 313  f. 1159 Borgolte, Einheit (2004), 160. 1160 Nagel, Mohammed (2008), 325. 1161 Borgolte, Einheit (2004), 160  f.; Goody, Entwicklung (1986); Mikat, Ehe (1971). 1162 Die Eheform der Friedelehe ist umstritten, Schumann, Friedelehe (2005); Karras, History (2006). Bis ins 10. Jahrhundert gab es die Kebsehe, Esmyol, Geliebte (2002), 7–10; Schumann, Kebskind (2012). 1163 Borgolte, Einheit (2004), 163.

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Doch bleibt seine Schilderung sachlich neutral. Dass Burchard diesem Aspekt so viel Aufmerksamkeit widmet und die völlige Rechtlosigkeit und das Wegsperren der Frauen gleich zu Beginn des Abschnitts über die Muslime schildert, drückt Entrüstung, zumindest Kritik an diesem Zustand aus, wenn auch nicht explizit formuliert. Frauen kommt lediglich die Funktion von Gebärerinnen von Nachfolgern zu, unabhängig von deren Status als Ehefrau oder Sklavin. Das Erbe wird in dieser Gesellschaft nicht per Gesetz, sondern nach der Willkür des Mannes verteilt. Burchards ironische Nachfrage nach den Jungfrauen im Paradies kann in dieser Hinsicht ebenso als Kritik am muslimischen Frauenbild interpretiert werden, dass die Frau auf Erden auf die Rolle einer rechtlosen Gebärerin und im Paradies auf ein einmal verfügbares Sexualobjekt reduziert.1164 Die Provenienz der Informationen ist auch in diesem Fall nicht nur auf den Koran zurückzuführen. Strengere Restriktionen und Maßgaben zur Verschleierung der Frauen hatte 1024 al-Ḥakim erlassen. Sie sind besonders als Phänomen des 11. Jahrhunderts, aber auch in der Auslegung der unter Saladin geförderten Rechtsschulen nachzuweisen.1165 „Among later Ḥanafīs, the opinion gradually prevailed that no women should attend any public prayers. Ṭāhir ibn Aḥmad al-Bukhārī (d. 542/1147), after outlining the difference of opinion between Abū Ḥanīfa and his two disciples on mosque attendance by elderly women, writes that ‚the preferred opinion in our time (al-jawāb al-mukhtār fī zamāninā)‘ is ‚that they should not go out (for congregational prayers); (similarly) an old woman should not travel without a close male relative (maḥram), and should not be alone with a man, whether young or old; (however), she may shake hands with old men.‘ Al-Bukhārī’s repudiation of mosque attendance even by elderly women, which is related to the conditions of ‚our time‘ without further specification, is placed within the context of a more general limitation of the social prerogatives of old women. His use of the term ‚preferred (opinion)‘ (al-mukhtār) implies that it was a preexisting doctrine that had already met with wide acceptance. This terminology is echoed by ʿAbd Allāh al-Mawṣilī, who states that ‚the preferred opinion in our time is that none of that is permissible (i.  e. women are never permitted to go to mosques), because of the corruption of the times and the open commision of obscene acts (li-fasād al-zamān waʾl-taẓāhur biʾ;-fawāḥish)‘. In the Ḥanafī literature, no individual authority is credited with establishing this view; rather, in the sixth century AH/ twelfth century CE and later, it appears as an anonymous and yet pervasive view that gradually established itself as the new doctrine of the school.“1166 Vor diesem Hintergrund scheint Burchard in seiner Darstellung hauptsächlich zeitgenössische Phänomene wiederzugeben, derer er nur durch direkten Kontakt und durch intensiven Austausch mit Sunniten gewahr werden konnte. Korrekte und spezifische Informationen liefert er auch bezüglich des Erbrechts. Seine Angaben ent1164 Vgl. Nagel, Mohammed (2008), 332  f. 1165 Cortese/Calderini, Women (2006), 195  f. 1166 Katz, Women (2014), 75  f.

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sprechen präzise der Rechtsfigur der Umm al-walad’ (Mutter des Kindes).1167 Darin ist das Recht des Mannes festgeschrieben, Sklavinnen als Konkubinen zu frequentieren. Im Koran ist die Stellung der Umm al-walad’ nicht genau definiert, spätere Hadithen legen die Freilassung der Sklavinnen nach Willen des Mannes – wie auch Burchard formuliert (secundum velle suum)1168 – fest. „That the child borne by a slave to her master (on the assumption that his paternity is established) is free, has always been recognised in Islam without any difference of opinion and in the discussion of the position of the umm al-walad it is regarded as a presumption and argument for her not being sold.“1169 Burchards Darstellung des Islams und seiner lebensordnenden Grundsätze entspricht nicht nur insgesamt den Gegebenheiten, sondern gibt sehr genau bestehende Rechtsvorschriften zur Zeit des 12.  Jahrhunderts wieder, welche als Kronzeugen die Authentizität des Berichtes indizieren. Im Vergleich mit parallelen lateinischen Zeugnissen über den Islam und die Muslime sind der auf die islamische Gesellschaft gerichtete Fokus, die weitgehend korrekte Darstellung der Glaubensgrundsätze des Islams als eigenständiger Religion und besonders das Fehlen jeglicher Kritik an Mohammed auffällig. Häufig ist konstatiert worden, dass in großen Teilen Latein­ europas kein tiefergehendes Interesse am Islam vorhanden war.1170 Muslime wurden „als Gegner wahrgenommen, die meist nicht als Inhaber einer eigenen, monotheistischen Religion gekennzeichnet sind, sondern durch ihre Gegnerschaft zum Chris1167 Schacht, Umm al-walad’ (1993). 1168 Quarum ancillarum si aliqua conceperit, statim a domino domini libera erit. Et quemcunque filiorum suorum, sive Sarracenus de libera sive de ancilla heredem suum constituere poterit secundum velle suum. 1169 Schacht, Umm al-walad’ (1993), 858. 1170 Burchards Bericht unterscheidet sich in dieser Hinsicht von christlichen Pilgerberichten, deren Fokus auf christlichen Stätten und der Lage der Glaubensgenossen lag. Festgestellt wurde gleichermaßen für jüdische und muslimische Reisende, dass sich ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die eigenen Glaubensgenossen richtete. „Gegenstand der jüdischen Reiseliteratur waren also nicht so sehr die fremden und anderen Welten, die wir mit Namen wie Mandeville und Marco Polo verbinden, als vielmehr die Erforschung der eigenen Welten, der durch die Verschiedenheit der jeweiligen Umwelten geographisch wie auch historisch um so variableren jüdischen Binnenwelten“, Harbs­ meier, Reisen (1998), 72  f. Zu einem ähnlichen Befund kommen Ewald Wagner und Michael ­Borgolte in Bezug auf muslimische Reisende, Borgolte, Augenlust (2010), 597  f.; Wagner, Wahrheit (1992), 46. Im Vergleich Ibn Ğubairs mit Burchard hält Borgolte fest: „Ibn Dschubair hat (…) die Begegnung mit der Fremde ganz anders verarbeitet als der Straßburger Kleriker Burchard. Was er unter Christen sah und ihn faszinierte, verbot er sich nachträglich als Versuchung zu Glaubensverrat und Sünde. Er konnte nicht, wie seine christlichen Zeitgenossen, die Fremden in sein Weltbild aufnehmen, Borgolte, Augenlust (2010), 612  f. Zur Wahrnehmung des Islam zuletzt: Skottki, Christen (2015), 132–171; Dies., Perceptions (2011); Bade, Wahrnehmung (2015); Beckmann/Prenner/Renhardt, Islam (2014); Puchart, Darstelllung (2014); Morton, William (2014); Tolan/Veinstein/Laurens, Europe (2013); Tolan, Accounts (2010); Ders., Europe (2009); Ders., Sons (2008); Ders., Sarrasins (2003); Pages, Roots (2013); Sassier, Connaissance (2012); Saßenscheidt, Konstruktion (2011); Tinsley, Mapping (2011); Höfert, Europa (2008); Borgolte, Christen (2006); Rotter, Bamberg (2004); Cardini, Europa (2004).

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tentum oder durch ihre ethnische Zugehörigkeit zu einer eigenen gens.“1171 Geläufige Muster der Darstellung und Einordnung der fremden Religion waren die „normativ vorgegebenen Deutungsmöglichkeiten“ im Rahmen des Häresie- oder Heidendiskurses.1172 In der Geschichte des Christentums beruhte die traditionelle Klassifikation der Glaubensgegner auf der Einteilung in die Kategorien Juden, Heiden und Häretiker, wobei es sich um eine Unterscheidung aufgrund theoretischer Muster handelte: In der Einteilung ging es primär um Gültigkeit, nicht um praktische Wahrheit.1173 Als neue Variable in diesem Koordinatensystem kam der Islam hinzu, dem bis dahin kein fester Platz unter dogmatisch-religiösen Gesichtspunkten zugewiesen war.1174 Auf1171 Saßenscheidt, Konstruktion (2011), 228. 1172 Jochum-Godglück/Linseis/Potthast, Spannungsfeld (2011), 195. Die Autoren sehen in der Paradoxie der Deutungsversuche den Beleg einer „Innovationsnotwendigkeit, um aufgrund von Erfahrungen, die bisherigen Deutungen widersprechen und daher neue einfordern, wieder eine plausible Konstruktion fremder Religion zu erlauben“, ebd., 196. 1173 Die Begegnung mit Andersgläubigen zählt zu den Grundtatsachen des Christentums. Die Identitätsfindung innerhalb rivalisierender (juden-)christlicher Strömungen, gegen das orthodoxe Judentum und gegen die heidnische Staatsreligion prägten die frühchristlichen Schriften, so dass im Neuen Testament keine eindeutigen Aussagen für den Umgang mit Abweichlern und Heterodoxen auszumachen sind. Aufschlussreich ist hinsichtlich der Kanonisierung der vier Evangelien, der Paulusbriefe, der Apostelgeschichte und der Offenbarung zum Neuen Testament die Begründung dieser Entscheidung und Auswahl bei Irenäus von Lyon. So soll gerade die Beibehaltung widersprüchlicher Schriften einem als häretisch definierten Totalitarismus entgegenwirken. Toleranz sowie Formen der Intoleranz sind durch die Schrift begründbar und dadurch äußeren Faktoren in stärkerem Maße ausgesetzt, als wenn von vornherein eine diesbezügliche Auswahl der Evangelien vorgenommen worden wäre. 1174 In der dynamischen Phase nach Eroberung Jerusalems 1099 und der Etablierung der Kreuzfahrerherrschaften richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Grenzfragen der Wirklichkeit, die vor dem Hintergrund der Erfahrungstotalität und der öffentlichen Deutungsaufgabe der Religion nicht ausgeklammert werden konnten, sondern neu zu formulieren waren, Kahl, Bereinigung (1992), 70. Westliche Autoren fernab der Kriegsschauplätze sahen sich genötigt, die verschobenen Grenzmarkierungen und Ordnungsschemata der geistigen Landschaft neu abzustecken und die Geschehnisse im Kontext der Heilsgeschichte zu deuten. Insbesondere geschah dies in der dogmatischen Auseinandersetzung mit Judentum, Häresien und dem Islam, die sich in systematisch angelegten Streitschriften niederschlug. Neben Traktaten und Streitschriften waren Religionsgespräche, Predigten, religiöse Dichtung der vornehmliche Ort der Polemik, Dahan, Intellectuels (2007), 361–363. Ausdrücklich wurde dabei das Wortgefecht als Alternative zum militärischen Kampf verstanden, wobei in der theoretisch-theologischen Auseinandersetzung mit anderen Glaubensformen nicht die lebenspraktische Bewältigung des Bösen in der kontingenten Wirklichkeit im Vordergrund stand. Vielmehr beförderte die Polysemie des plakativen Feindbildes die Frage nach dem Sinn, und wenn nicht nach Bewältigung, so verlangte sie zumindest nach einer Besprechung, Kategorisierung und Interpretation der Existenz von fremden Weltdeutungsmächten, Borgolte, Christen (2008), 361; dazu auch die Einleitung von Mathias Hildebrandt zum Sammelband Hildebrandt/Brocker, Religionen (2005). Schließlich implizierte die Frage nach Sinn und Status der Gottesfeinde innerhalb der mittelalterlichen Welt auch jene nach dem heilsgeschichtlichen Stadium der Christenheit selbst, da der Glauben als übergreifende Kategorie primär die Identitäten bestimmte und sämtliche Bereiche des Denkens und Handelns umfasste. Die anhaltende Problematik der Erfahrung religiöser Pluralität bestand und besteht dabei im konkreten und immanenten Wirklichkeitsbezug des Schöpfergottes und der offensichtlichen Bedrohung

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grund ihrer engen spirituellen und historischen Beziehung zum Christentum standen Juden, Häretiker und Muslime diesem gefährlich nahe, verkörperten sie doch in abhängiger religiöser Tradition zwei Möglichkeiten des Unglaubens: die prinzipiellen Nichtannahme der Verkündigung durch die Juden einerseits und der nachmalige Abfall von der Verkündigung durch Häretiker und Muslime. Der Unglauben wurde von christlicher Seite nur als paradoxe, willentliche Abkehr von der Verkündigung verstanden (ein Faktum, das Polytheisten nicht betraf).1175 Genaueres Wissen über den Islam und seinen Stifter war nach Ansicht Benjamin Kedars im lateinischen Westen schon vor den Kreuzzügen schriftlich und mündlich verfügbar, doch bestand wenig Interesse, dieses Wissen zu ordnen.1176 Hinsichtlich der religiösen Einordnung blieben die Unsicherheiten lange bestehen. Zwar intensivierte sich im Laufe des 12.  Jahrhunderts die Auseinandersetzung und Beschäftigung mit dem Islam aufgrund der militärischen Konfrontationen. Die Darstellungen waren jedoch überwiegend von Polemik, in jedem Fall aber von Ablehnung und der

der Ordnung durch die Gottesfeinde. Bei der Erfahrung von Inkonsistenzen und Diskontinuitäten handelt es sich um ein prinzipielles und unausweichliches erkenntnistheoretisches Grundproblem, dem insbesondere die Religionen durch unmittelbare Vermittlung und Interpretation begegnen. Die Aufgabe von Religion besteht in der Kontingenzreduzierung und in der Formulierung von „Vorstellungen einer allgemeinen Sinn- und Seinsordnung“, Geertz, Religion (1987), 58  f., welche insbesondere die Fragen nach dem Bösen umfassen. Während Geertz den „Realismus“ von Religionen angesichts ihrer Unmittelbarkeit zur so empfundenen Wirklichkeit betont, verweist Hermann Häring auf das unausweichliche hermeneutische Problem der umfassenden Definitionsmacht: Die Deutungen und Überzeugungen, i.  e. die „Wahrheit re-präsentiert, re-agiert und re-flektiert. Sie bleibt in Kontexten eingeschlossen, die immer wieder aufgebrochen werden und dennoch unhintergehbar sind“, Häring, Konflikt (2006), 19. In Bezug auf das Problem des Bösen ergibt sich theologisch eine doppelte Position: „Eine Theologie des Bösen ist, strenggenommen, Unsinn: ein Widerspruch in sich. Denn Gott ist unbedingt gut, die Dämonen aber sind nichts (…) Zugleich ist eine Theologie des Bösen, strenggenommen, unverzichtbar. Ohne es und die mit ihm verbundenen Verhüllungen, Kontrasterfahrungen und Irrtümer wäre eine Theologie überhaupt nicht nötig“, Häring, Problem (1985), 143. 1175 Die Apperzeption (die Wahrnehmung und unmittelbare Kategorisierung) der Andersgläubigen erfolgte somit nicht in einem wertneutralen Rahmen, sondern war mit der Zuschreibung von De­vianz verbunden. Das epistemologische Problem bestand fortan in der Bestimmung des grundsätzlich ambivalenten Verhältnisses zu den anderen monotheistischen Religionen, welche im christlichen Rechtsbereich (pax christiana) bestanden und doch jede für sich einen universalen Grund für die conditio humana formulierten. Die Binnendifferenzierung der unterschiedlichen Gegner bedurfte angemessener theologischer Untersuchung und konnte sich nicht nur auf die Feststellung intentionaler Bekehrungsunwilligkeit beschränken, Graboïs, Dialogue (1979). Das Bestreben, den Gottesgegnern schärfere Konturen zu verleihen und somit Qualität und Logik der religiösen Abweichung zu bestimmen, kennzeichnet in gleichzeitiger Introspektion die Sorge um den spirituellen Zustand der Gläubigen und ihre Positionierung gegenüber den Andersgläubigen, welche den ständigen Einflüsterungen und Versuchungen der ubiquitären Macht des Teufels und seiner Helfer ausgesetzt sind. Proportional mit dem Bemühen um ein gottgefälliges Leben steigen die dämonischen Irreführungen, vgl. Cohn, Demons (1993), 27  f. 1176 Kedar, Crusade (1984), 3–41.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Absicht, die Überlegenheit des Christentums darzulegen, geprägt.1177 Die größte Schuld an der Existenz des Islam wurde freilich Mohammed angelastet. In der westlichen Geschichtsschreibung war Mohammed eine vertraute Gestalt und wurde in ganz unterschiedlichen literarischen Genres erwähnt, dabei aber nahezu durchgehend negativ dargestellt. Im Unterschied zu christlichen Hagiographien eignete sich das Leben des islamischen Religionsstifters zur polemischen Darstellung.1178 „They depict him in various guises: as a false prophet; an anti-saint; a precursor to the Antichrist or the final manifestation of the Antichrist himself; as a pagan god, and as a heresiarch protagonist of an extraordinaria historia.“1179 Die ambivalente Haltung gegenüber Mohammed zeigt sich schon in frühen Darstellungen. Dabei variieren die Widersprüche und Inkongruenzen in den einzelnen Darstellungen je nach literarischen Konventionen und Genre und weisen spezifische ikonographische Eigenheiten auf.1180 Unterschieden werden abhängig von literarischen Konventionen und Publikum drei Gruppen von Mohammedbildern (literary images of the Prophet): Die erste Gruppe umfasst theologische Traktate und Missionsberichte mit apologetischer, polemischer und missionarischer Intention. Die zweite Gruppe beinhaltet weltliche Dichtung und Prosa zur Unterhaltung und Erbauung des Publikums. Die dritte Gruppe besteht aus Kreuzzugschroniken und Pilgerberichten mit religiöser oder politischer Ausrichtung.1181 Die Mohammeddarstellungen dieser Genres unterscheidet Michelina Di Cesare in einen „pseudo-historischen“, einen „legendenhaften“ und einen „gottgleichen“ Mohammed.1182 Das „pseudo-historische“ Mohammedbild geht auf Ursprünge im siebten Jahrhundert in Syrien und neunten Jahrhundert in Spanien zurück.1183 Aus dem Leben Mohammeds wurden einzelne Episoden ausgewählt und besonders hervorgehoben.1184 Ziel bzw. Effekt dieser Darstellung war die Diskreditierung des Religionsstifters, die Präsentation Mohammeds als Anti-Hei-

1177 Jochum-Godglück/Linseis/Potthast, Spannungsfeld (2011); Tolan, Europe (2009), 97. 1178 Die erste Erwähnung im Westen findet sich in der mozarabischen Chronik von 741, Wolf, Counterhistory (2014); Di Cesare, Prophet (2013), 10; Klueting, Machometus (2008), 287; siehe auch Bade, Wahrnehmung (2015); Hernández/Palma, Vitae Mahometi (2014); Rotter, Mohammed (2009); Engels Bild (2004); Acker, Mahomet (1999); Tolan, Anti-Hagiography (1996); Daniel, Islam (1960), 100–130. 1179 Di Cesare, Prophet (2013), 10. 1180 Ebd., 11; Dies., Image (2011), 3–8; Tolan, Accounts (2010); Klueting, Machometus (2008). 1181 Di Cesare, Prophet (2013); Tolan, Accounts (2010). 1182 Di Cesare, Prophet (2013), 11; Dies., Image (2011), 8. 1183 Klueting, Machometus (2008), 289; Wolf, Martyrs (1988). 1184 Dies sind besonders die Jugend Mohammeds als Waisenknabe, der als Kaufmann im Dienste der reichen Witwe Khadija stand und diese dann ehelichte; seine Begegnung mit christlichen und jüdischen Kaufleuten; die Erscheinung des Erzengels Gabriel und seine Offenbarung als Prophet, die Verkündung des Koran, seine Polygynie und seine Vorahnung des Todes, Di Cesare, Prophet (2013), 12. Das Mohammedbild des lateinischen Westens geht v.  a. auf Johannes von Damaskus zurück, Klueting, Machometus (2008), 287  f.; 291; 299–305.

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ligem und Pseudopropheten bis hin zum Antichrist.1185 Pseudohistorische Narrative über die Versuchung Mohammeds durch den Teufel und absicht­liche Irreführung der Araber und Manipulation der Schrift sollten die wahre Natur des selbsternannten Propheten herausstellen, „in order to satisfy base desires of power and lust.“1186 Um die Mitte des 12. Jahrhunderts wurde dieses Paradigma besonders durch die Schriften des Petrus Venerabilis im lateinischen Westen aufgenommen und ausgeformt.1187 Ihm kommt der Verdienst der ersten lateinischen Koranübersetzung zu.1188 1141 beauftragte Petrus während eines Aufenthaltes in Spanien Hermann von Kärnten, Robert Ketton, Peter von Toledo und den Muslim Mohammed mit der Übersetzung des Korans,1189 denn bis dato hatte sich nach Aussage des Petrus Venerabilis niemand ernsthaft mit der fremden gefährlichen Macht auseinandergesetzt, nicht einmal eine oberflächliche Untersuchung der Inhalte und Erfolgsstrategien des Islam lag vor, was ihm in Anbetracht der reichhaltigen antihäretischen Tradition unerklärlich bleibt:1190 „Ich war entrüstet, dass die Lateiner den Grund eines solchen Verderbens nicht kannten, und dass durch eben diese Unkenntnis niemand zum Widerstand aufgerüttelt werden konnte. Denn es gab niemand, der antwortete, weil es niemand gab, der verstand.“1191 1185 In diesem Sinne griff Eulogius von Cordoba in seiner Istoria de Mahomet Elemente der islamischen Tradition auf und verzerrte sie zu einem pseudo-historischen Narrativ, ebd., 14; Wolf, Antichrist (1999); Eulogius Cordubensis, Liber 16. Ed. Gil (1973), 484. 1186 Di Cesare, Prophet (2013), 14; Tolan, Accounts (2010), 233; Strickland, Saracens (2003), 190–193. Beschreibungen nach diesem Paradigma u.  a. bei Petrus Alphonsi, Dialog, Kap. 5. Ed. Mieth (1982), 65; Otto von Freising, Chronik 5,9; 7,7. Ed. Lammers (2011), 394–397; 510  f.; Sigbert von Gembloux; Ekkhard; Gottfried von Viterbo; Richard von Cluny; zahlreiche Quellenangaben und Zitate bei Goetz, Wahrnehmung (2013), 262–395, bes. 288–316 1187 Petrus Venerabilis, Summa. Ed. Glei (1985); Petrus Venerabilis, Summa. Ed. Kritzeck (1964); Petrus Venerabilis, Liber. Ed. Glei (1985); Petrus Venerabilis, Liber. Ed. Kritzeck (1964); D’Alverny, Traductions (1947–48); Dies., Pierre (1950). Zu Petrus Venerabilis siehe Saßenscheidt, Konstruktion (2011); Iogna-Prat, Ordonner (2004); Tolan, Peter (1998); Bouthillier, Spiritualité (1984); Bouthillier/ Torrell, Légende (1982). 1188 Die Übersetzung wurde erst 1698 durch die Übersetzung des Ludovico Marraci abgelöst; noch 1543 veranlasste Luther den Druck dieser ersten Koranübersetzung. Die ca. 60 Jahre nach der Kettonschen Übersetzung entstandene Version des Marcus von Toledo war wenig verbreitet, Bobzin, Koran (1995), 55–60. 1189 Cecini, Alcoranus (2012); Burman, Reading (2007); Ders., Tafsir (1998); Gázquez/de la Cruz/Ferrero, Koranübersetzung (2004); Hagemann, Koranübersetzung (1985). 1190 Zwar speiste sich die Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen im byzantinischen Raum aus dem Koran und adäquate Übersetzungen einzelner Suren deuten darauf hin, dass ­einige Kleriker und Theologen mit demselbigen vertraut waren, komplette Handschriften liegen jedoch nicht vor. Nach Hartmut Bobzin ist eher anzunehmen, dass arabisierte Christen unter muslimischer Herrschaft aufgrund ihrer Nähe und Sprachkenntnis über ein Grundwissen verfügten, das über koranische Idiome und Redewendungen vermittelt wurde, nicht aber aus direkter Lektüre stammte, Bobzin, Translations (1993); Burman, Reading (2007). 1191 Petrus Venerabilis, Liber. Ed. Glei (1985), 53–55. Sive ergo Mahumeticus error haeretico nomine deturpetur sive gentili aut pagano infametur, agendum contra eum est, scribendum est. (…) Indignatus sum causam tantae perditionis Latinos ignorare et ipsa ignorantia nullum ad resistendum posse animari.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

Die mindestens 30 noch erhaltenen Handschriften der von Petrus Venerabilis in Auftrag gegebenen Übersetzung bezeugen die Verbreitung vornehmlich in Westeuropa und können als Indikator dafür genommen werden, dass ein Interesse nach authentischem Wissen über die fremde Religion vorhanden war. Neben dem Koran ließ Petrus Venerabilis noch weitere Übersetzungen arabischer Texte (bekannt als Collectio Toletana oder Corpus Toletanum) über den Islam anfertigen, von denen besonders die ‚Risala‘ des Pseudo al-Kindi Verbreitung fand.1192 Petrus selbst begründete sein Vorhaben, ein Textkorpus mit Schriften über den Islam bereitzustellen mit der Absicht, Falschinformationen und Fehldeutungen zu korrigieren, welche bis dahin das Islambild prägten.1193 Die Kenntnis der Übersetzung blieb aber insgesamt auf einen kleinen Kreis von Interessenten beschränkt,1194 die Beschäftigung mit dem nun endlich zur Verfügung stehenden authentischen Material führte nicht zu einem strukturierten und sachlich neutralen Informationsbestand über den Islam.1195 Parallel bestanden unterschiedliche Vorstellungen fort. Nam non erat qui responderet, quia non est qui agnosceret. Contuli ergo me ad peritos linguae Arabicae, ex qua procedens mortiferum virus orbem plusquam dimidium infecit. Eis ad transferendum de lingua Arabica in Latinam perditi hominis originem, vitam, doctrinam legemque ipsam, quae Alkoran vocatur, tam prece quam pretio persuasi. Et ut translationi fides plenissima non deesset nec quicquam fraude aliqua nostrorum notitiae subtrahi posset, Christianis interpretibus etiam Sarracenum adiunxi, ebd., 52–54. 1192 Edition: Muñoz, Exposición (2006). In der Collectio Toletana waren dem ältesten überlieferten Textzeugen gemäß folgende Schriften enthalten: Summa totius haeresis Saracenorum; Epistola de tranlatione sua; Fabulae Sarracenorum; Liber generationis Mahumet; Doctrina Mahumet; Lex Sarracenorum; Epistola Sarraceni et Rescriptum Christiani. 1193 Entsprechend formuliert er in der einleitenden Summa: Somniant et alii alios, et sicut lectionis incuriosi et rerum gestarum ignari, sicut et in aliis casibus falsa quaelibet opinantur, Petrus Venerabilis, Summa. Ed. Glei (1985), 4, Zitat im Zusammenhang mit den Vorstellungen über die Herkunft Mohammeds. Vor Leichtgläubigkeit und Ignoranz warnte er nicht nur in Hinblick auf wohl weniger eindeutige „andere Fälle“, ebenso kommt das unkritische Festhalten an Fabeleien dem Vergehen gleich, den eigenen Glauben nicht nach Möglichkeit zu verteidigen. Deutlich wird dies in der Epistola an Bernhard von Clairvaux, Ed. Glei (1985), ebd., 26  f. 1194 Goetz, Wahrnehmung (2013), 381; vgl. Klueting, Machometus (2008), 305. 1195 Während im Anschluss an die Übersetzungen wissenschaftlicher Werke aus dem muslimischarabischen Raum das neue Wissen nach Phasen der Rezeption assimiliert wurde, scheint die Koran­ übersetzung keinen Keil in das überkommene Geflecht des Islambildes getrieben zu haben. Islamstudien wurden kaum betrieben. Kedar bescheinigt dem lateinischen Christentum im Unterschied zu den anderen „lack of intellectual interest in Islam as religion“, Kedar, Crusade (1984), 18. Norman Daniel erklärte diesen Umstand mit der Wirksamkeit eines kulturellen Filters, der zwischen technologisch-wissenschaftlichem und kulturellem Austausch dissoziiert. Es würden vornehmlich Ideen, Güter und Techniken transferiert, die grundsätzlich auch von der Empfängergesellschaft hervorgebracht werden könnten, und daher als neutral und als von universeller Gültigkeit empfunden werden, Daniel, Barrier (1975), 171; 173. Die Verzerrungen erfüllten in der polemischen Islamliteratur demnach die Funktion eines Filters für die Inhalte des religiösen Alternativprogramms, zumal der Konstruktionsprozess des Islambildes („making of an image“) von polemischen und apologetischen Zwängen christlicher Geistlichkeit gesteuert wurde und die Anstrengungen, den Islam kennenzulernen überhaupt von der Kirche ausgingen, Daniel, Islam (1993), 35; 98  f.

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In Volkserzählungen und der Volksdichtung stellte die legendenhafte Ausschmückung des Leben Mohammeds meist das unlautere Vorgehen Mohammeds in den Mittelpunkt, ohne näher auf theologische Implikationen einzugehen.1196 Mohammed erschien im christlichen Kontext als Häretiker, von einem abgefallenen Mönch zu Betrügereien, Verfälschung der christlichen Botschaft und Manipulationen veranlasst, um der der Kirche zu schaden.1197 Parallel dazu wurde Mohammed in Kreuzzugschroniken häufig als gottgleiches Idol der Muslime dargestellt, quasi als pagane Gottheit, die von den Sarazenen verehrt wird.1198 Anders als bei den ersten beiden Paradigmen ist Mohammed hier aus dem monotheistischen christlichen Kontext herausgenommen und steht als Heide im Unterschied zum Häretiker gänzlich außerhalb der Heilsgeschichte. Diese Darstellung passt sich in die Vorstellungen des Antichristen ein und wurde zur Rechtfertigung der Kreuzzugsunternehmen propagiert.1199 Den Verfassern dieser Botschaften war aufgrund ihres Aufenthaltes im Heiligen Land zwar bewusst, dass keine Statuen von Mohammed existierten, sie verbreiteten dennoch unrichtige Nachrichten.1200 Dass Mohammed nicht der Gott der Muslime ist, stellte schon Guibert von Nogent fest.1201 Bei ihm ist der Islam eine christliche Häresie.1202 Die monotheistische Struktur des Islam und die Stellung Mohammeds als Propheten des höchsten Gottes erken-

1196 Diese Darstellungen sind nach dem Muster von Volkserzählungen (folktales) und dem exemplum gestaltet. Di Cesare zählt die Vita Mahumeti des Embricho von Mainz, die Otia de Machometo von Gautier of Compiegne und den ‚Roman de Mahomet‘ von Alexandre du Pont dazu, Di Cesare, Prophet (2013), 20–24; Dies., Image (2011), 9  f.; Hotz, Mohammed (2002); Tolan, Anti-Hagiography (1996); Walter von Compiegne, Otia. Ed. Huygens (1956); Alexandre du Pont, Roman. Ed. Huygens/Lepage (1977); so u.  a. auch bei Radulphus Glaber, Chronica I, 9. Ed. Cavallo/Orlando (1989), 26  f.; Guibert von Nogent, Gesta, I, 3–4. Ed. Huygens (1996), 94–101. 1197 Di Cesare, Prophet (2013), 25; Tolan, Accounts (2010); Klueting, Machometus (2008), 293  f.; ­Hamilton, Enemy (1999), 374  f. 1198 So u.  a. im Rolandslied, Chanson de Roland, Bd. 2. Ed. Segre (1989), 265; bei Radulf von Caen, Gesta, cap. 129. Ed. Migne (1854), Sp. 571; weitere Belege bei Goetz, Wahrnehmung (2013), 357–377; Di Cesare, Prophet (2013), 24–30; Hamilton, Enemy (1999), 374; Jones, Saracen (1942). 1199 Skottki, Christen (2015); Dies., Antichrist (2010), bes. 95–98; McGinn, Antichrist (2000); Emmerson, Antichrist (1981). 1200 Skottki, Christen (2015); Dies., Antichrist (2010); Hamilton, Enemy (1999), 372; France, Crusade (1977). 1201 Guibert von Nogent, Gesta, I, 3. Ed. Huygens (1996), 94. Plebeia opinio est quendam fuisse qui, si bene eum exprimo, Mathomus nuncupetur, qui quondam eos a Filii et Spiritus sancti prorsus credulitate diduxerit, solius Patris personae quasi deo uni et creatori inniti docuerit (…) Frustra plane ab aliquo si falsa an vera sint discutiatur, dum hoc solummodo attendatur quantus ille magister fuerit, de quo tam nobilium facinorum gloria propagatur: securus enim quis de eo male cantat, cuius malignitas quicquid pravi dicitur transcendit et superat. Der Epileptiker Mohammed gab seine Anfälle als Visionen aus, ebd. I, 4, 96  f. 1202 Hamilton, Enemy (1999), 374; Guibert von Nogent, Gesta, I, 4. Ed. Huygens (1996), 95.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

nen auch Wilhelm von Malmesbury,1203 Petrus Alfonsi1204 und Otto von Freising.1205 So bezweifelt Otto die Nachricht, Erzbischof Thiemo von Salzburg habe als Protest gegen den ihm abverlangten Götzendienst während seiner muslimischen Gefangenschaft Götzenbilder zerschlagen: „Dass er dies um seines christlichen Glaubens willen erlitt, das ist völlig zuverlässige Überlieferung; dass er aber Götzenbilder zertrümmert hat, ist schon deshalb schwer zu glauben, weil ja bekanntlich alle Sarazenen nur einen Gott verehren (…) auch erkennen sie Christus an sowie die Apostel und die apostolischen Männer und sind nur insofern weit vom Heil entfernt, als sie bestreiten, dass Jesus Christus, der Heiland der Menschheit, Gott und Gottes Sohn sei, und den Verführer Mohammed (…) als den großen Propheten des höchsten Gottes verehren.“1206

Größtes Hindernis beim Verständnis des Islam aus christlicher Sicht war die Anerkennung Jesu (als Prophet) und Mariä im Koran,1207 da die Christologie des Koran enge Parallelen mit der Christologie des Judenchristentums und des Arianismus aufweist. Hochverehrt wird Maria, Jesus erscheint stets als „Sohn Marias“. Selbst die Trinität wird auf Gott, Jesus und Maria bezogen. Anlässlich des Besuchs in Matariya, wo die Verehrung Mariens eindringlich vor Augen geführt wird, erörtert Burchard diese theologische Schwierigkeit eingehend. Er ist sich des aus der Nähe zum Christentum resultierenden religiösen Problems der Einordnung des Islam also durchaus bewusst.1208 Aufgrund der Art seiner Darstellung der Muslime, die sich von den pseudohistorischen und verzerrenden Narrativen deutlich abhebt und kaum einen apologetischen Hintergrund erkennen lässt, kann angenommen werden, dass auch diesen Ausführungen eine Instruktion zugrunde lag, denn die von Burchard zusammengetragenen Informationen waren nicht aus lateinischen Schriftquellen und der Koranübersetzung zu beziehen. Jenseits theologischer Erörterungen sollte der Gesandte möglicherweise die Glaubensgrundsätze des Islam wie auch das Verhältnis vom Islam zum Christentum und von Muslimen zu Christen aus erster Hand und auf Grundlage verlässlicher Informationen prüfen. Zwar verfügten auch Christen unter muslimischer Herrschaft 1203 Nam Saraceni et Turchi Deum Creatorem colunt, Mahumet non Deum sed eius prophetam aestimantes, William von Malmesbury, Gesta, Bd. 1. Ed. Stubbs (1887/1889), 230. 1204 Viam tamen excogitans, qua rex effici potuisset, voluit se prophetam confingere, Petrus Alphonsi, Dialog, Kap. 5. Ed. Mieth (1982), 65. 1205 Otto von Freising, Chronik, 7,7. Ed. Lammers (2011), 510  f.; Klueting, Machometus (2008), 292  f. Vgl. auch die Anrede Papst Gregors  VII. an al-Nasir, Sassier, Connaissance (2012), 173; Hamilton, Enemy (1999), 373. 1206 Otto von Freising, Chronik, 7,7. Ed. Lammers (2011), 511. Quod ob fidem Christi passus sit, fidelissima traditio habet; quod autem ydola comminuerit, ex hoc credere difficile est, quia constat universitatem Sarracenorum unius Dei cultricem esse (…) Christum etiam et apostolos apostolicosque viros non improbare, in hoc tantum a salute longe esse, quod Iesum Christum humano generi salutem afferentem Deum vel Dei filium esse negant Mahmetque seductorem (…) tanquam prophetam magnum summi Dei venerantur et colunt, ebd., 510; Goetz, Wahrnehmung (2013), 376  f. 1207 Hamilton, Enemy (1999), 378. 1208 Tolan, Europe (2009), 105; Kapitel III.1.5.

Zusammenfassung 

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über gute Kenntnisse des muslimischen Glaubens und vermieden tunlichst jedwede Kritik am Islam und an Mohammed, wie es der Burchards Bericht spiegelt. Seine Darstellung zeugt aber noch eher von einem intensiven theologisch und gesellschaftspolitisch motivierten Austausch zwischen Muslimen und Christen. Seine Informanten mussten nicht nur gut mit der zeitgenössischen islamischen Rechtslehre, sondern ebenso mit den theologischen Debatten im westlichen Europa vertraut gewesen sein.

III.3 Zusammenfassung Die Prüfung des Realitäts- und Aktualitätsgehaltes der einzelnen Abschnitte des Orient­berichtes hat einen engen Bezug des Dargestellten zum angegebenen Berichtszeitraum 1175/1176 ergeben. Die dargestellten Sachverhalte entsprechen weitgehend der historischen Realität, was sich aus dem Vergleich des Dargestellten mit archäologischen und städtebaulichen Befunden sowie mit bis dahin bekannten Schriftzeugnissen ähnlicher Thematik aufzeigen lässt. Die Heranziehung und Prüfung schrift­ licher Vergleichsquellen macht zudem deutlich, wie sehr sich Burchards Angaben von vorhandenen lateinischen Quellen über das südliche Mittelmeer, Ägypten und Syrien in ihrer Neuartigkeit und Aktualität der Informationen abheben. Die Historizität und Authentizität der Beobachtungen zeigt sich bereits bei Burchards Angaben über die Sarden und Korsen sowie über die Insel Pantelleria im Verlauf der Seereise von Genua nach Alexandria. Seine Bemerkungen weisen einen deutlichen Aktualitätsbezug auf und sind stark von der Perspektive des in­for­ma­ tions­vermittelnden Kontaktsystems, in diesem Falle das der Fernhändler, geprägt. Sämtliche weitere Abschnitte enthalten unabweisliche Argumente für die Augenzeugenschaft und die Zeitgebundenheit des Berichteten. So kann insbesondere die Beschreibung Fustats und Kairos nur in der Zeit nach dem Umbruch von der fatimidischen zur ayyubidischen Herrschaft platziert sein, da Saladin schon 1176 beide Städte ummauern ließ. Ebenso war der Sinai auf der beschriebenen Route nur innerhalb eines kurzen Zeitraums von 1170 bis ca. 1177 passierbar. Unabweisliche Argumente für die Augenzeugenschaft sind insbesondere seine Beschreibung der Assassinen aus der nur vor Ort greifbaren Perspektive sunnitischer Diffamierung sowie auch seine Darstellung der Muslime und ihrer Rechtstraditionen, welche hauptsächlich zeit­ genössische Phänomene wiedergibt und über die gesellschaftspolitische Praxis im Ayyubidenreich informiert. Direkte Übernahmen aus schriftlichen Quellen sind nicht nachweisbar. Vielmehr korrigiert Burchard bestehende Annahmen und bietet in vielen Details im Vergleich genauere und spezifischere Informationen als parallele lateinische Zeugnisse. In den meisten Fällen konnten gar keine früheren lateinischen Quellen ausfindig gemacht werden. Kronzeugen der Darstellung Burchards sind überwiegend muslimische bzw. arabischsprachige Autoren, namentlich ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī (1163–1231), Abū l-Makārim (ca. 1150–1209) und Ibn Ǧubair (1145–1217), deren Berichte ungefähr zeit-

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

gleich mit Burchards Bericht entstanden. Ferner werden Burchards spezifische und konkret auf die Herrschaftszeit Saladins bezogene Informationen durch eine Reihe weiterer Schriften und Autoren bestätigt, welche ihrerseits Zugang wirtschaftlichem, theologischem, juristischem zu Spezialwissen hatten. Da Burchard wohl kaum auf arabische Schriftquellen zurückgegriffen hat, basiert der Bericht vermutlich in erster Linie auf mündlich vermitteltem Wissen, welches nur durch intensive und detaillierte Gespräche erworben werden konnte. Die hier präsentierte spezifische Aneignung der Wirklichkeit des Orients durch den Erzähler beantwortet die untersuchungsleitende Frage nach der Historizität und der Authentizität der Beobachtungen – und damit zugleich von Reise und Text. Aufgrund der Selektion, der Systematik und der Neuartigkeit des Berichteten ist sowohl von einem spezifischen Beobachtungsauftrag als auch von einem bestimmten Auftraggeber für den Bericht auszugehen. Der Befund spricht für die These, dass der Bericht tatsächlich einer Gesandtschaftsreise entspringt und der Verfasser in der Funktion als Gesandter berichtet. Generell war Lateineuropäern der Zugang ins Landesinnere Ägyptens und Syriens untersagt, so dass schon dieser Umstand für eine Gesandtschaftsreise als Reiseanlass spricht. Burchards Informanten waren oftmals Muslime oder Orientchristen, deren Perspektive sich in seinem Bericht spiegelt. Der Bericht zeugt von einem intensiven Austausch zwischen Muslimen und Christen, von theologischen Diskussionen im Orient selbst. Unter Vorbehalt sind ab Alexandria vornehmlich muslimische Begleitpersonen anzunehmen. Genauer können die mit Burchard interagierenden Personen im Sinne von „Trägergruppen von Kulturbeziehungen“ nicht bestimmt werden, doch handelt es sich zumindest beim Besuch der Wallfahrtsorte Matariya und Saidnaya um Personen, die dem staufischen Gesandten ein bestimmtes Bild vermitteln und seine Aufmerksamkeit steuern sollten. Die Impulse der Berichterstattung stammen in diesen Abschnitten des Berichtes weniger vom Verfasser oder dem Beobachtungsauftrag. Burchards Bericht ist nicht zuletzt das Resultat einer Selbststilisierung der neuen ägyptischen Elite. In der lateinischen Geschichtsschreibung bestätigt vornehmlich die Chronik Wilhelms von Tyrus die im Bericht niedergelegten Sachverhalte.1209 Wilhelm war hochgebildet und über das Zeitgeschehen im Heiligen Land bestens informiert. Der Interessenschwerpunkt seiner Chronik liegt in der Darstellung der Geschichte des Königreichs Jerusalem, sein Fokus ist dabei hauptsächlich auf politische, militäri-

1209 Wilhelm von Tyrus, ca. 1130 in Jerusalem geboren, studierte 20  Jahre lang in Europa. Seine Karriere begann er als Kanonikus 1165 in Akkon unter der Protektion König Amalrichs, wurde dann Archidiakon in Tyrus. Von Amalrich erhielt er den Auftrag, eine Geschichte der königlichen Taten zu verfassen. Mit der Arbeit an der Chronika begann er schon 1169. Als Erzieher Balduins IV. blieb er bis 1184 Kanzler und engster Vertrauter am Hof. Zu Wilhelm siehe Schmolinsky, Historiograph (1995); Rödig, Ideenwelt (1990); Edbury/Rowe, William (1988); Hiestand, Leben (1978); Giese, Stadtbeschreibungen (1978); Schwinges, Kreuzzugsideologie (1977).

Zusammenfassung 

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sche, historische und geographische Aspekte ausgerichtet. Wolfgang Giese hebt in Bezug auf die Chronik Wilhelms die Stadtbeschreibungen hervor, welche sonst ausgesprochenen Seltenheitswert besitzen und „trotz allen Wortreichtums ungriffig und aussagearm [sind], bisweilen ähneln sich einzelne Beschreibungen so stark, dass sie geradezu gegenseitig vertauschbar sind.“1210 Burchards Stadtbeschreibungen fallen zwar meist weniger wortreich aus als diejenigen Wilhelms. Auf ein Zusammentragen historischer und biblischer Nachrichten verzichtet er nahezu komplett zugunsten einer Orientierung an der Aktualität und Realität.1211 Doch zeigt der Vergleich, dass seine Ausführungen, was die Auswahl der Städte betrifft, dem Informationsgehalt Wilhelms nicht nachstehen. Ein Gesandter, der sich nur kurz im fremden Land aufhielt, besaß somit allem Anschein nach einen Informationsvorsprung auch gegenüber den Franken in unmittelbarer Nachbarschaft zu Ägypten und Syrien. Was Wolfgang Giese für Wilhelm von Tyrus‘ Stadtbeschreibungen feststellt, der Städte seiner Heimat Palästina beschreibt, gilt umso mehr für Burchard, der sich nur kurze Zeit in einem völlig unbekannten Land aufhielt: Er war ein „scharfer Beobachter, hatte einen sicher erkennenden und qualifizierenden Blick für die Dinge.“1212 Deutlich werden im Vergleich besonders die unterschiedlichen Perspektiven und Informationsvermittler. Der Verfasser des Orientberichtes liefert eine recht verlässliche Darstellung geographischer, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Sachverhalte Ägyptens und Syriens und dokumentiert zugleich ein vornehmlich politisch motiviertes Interesse am aktuellen Ägypten (bzw. am expandierenden Ayyubidenreich). Aufgrund des anzunehmenden Berichtsauftrages ist davon auszugehen, dass sich der Verfasser schon vor Reiseantritt über das Zielreiseland kundig machte. Der zeit- und kulturspezifische Rahmen bestimmte zugleich die Bedingungen und Möglichkeiten indivi1210 Giese, Stadtbeschreibungen (1978), 384. Bei Wilhelm liegt das Hauptinteresse gemäß des Descriptio-Kanons der laus urbium auf dem Alter und der Ehrwürdigkeit der Städte, ihrer Geschichte und Mythologie, er berichtet daneben auch über die Lage und Umgebung. Eine Beschreibung des Inneren liefert er jedoch nicht. Ihm kam es nicht auf Vollzähligkeit bei der Beschreibung an. Aufgelockert wurden der Kanon und die „panegyrische Unverbindlichkeit“ insbesondere dann, wenn besondere Schwierigkeiten bei der Belagerung ausgewiesen werden mussten und der Blick an strategisch wichtigen Einzelheiten geschärft wurde, ebd., 395. 1211 Burchard beherrschte die Technik, entzog sich aber nachweislich den strengen panegyrischen Vorgaben in Absicht einer realitätsgetreuen Wiedergabe. Im Vergleich mit den sehr wenigen und sehr starr schematisch ausgerichteten Stadtbeschreibungen seiner Zeit ein ungewöhnlicher Befund, der seinesgleichen sucht. 1212 Giese, Stadtbeschreibungen (1978), 408. In Bezug auf Wilhelm wünschte sich Giese schon 1978: „Es müsste zumindest überprüft werden, ab wann in der abendländischen Historiographie Parallel­ erscheinungen auftreten und ob sich unmittelbare Wechselwirkungen feststellen lassen. Erst dann werden Wilhelm von Tyrus‘ Stadt- und Herrscherbeschreibungen endgültig zu würdigen sein. Damit wäre aber nicht nur ein weiterer Beitrag zur genaueren Einschätzung der Historia und ihres Verfassers geleistet, sondern auch neue Erkenntnisse über den für die mittelalterliche Geistesgeschichte so wichtigen Prozess der geistigen Verselbständigung gewonnen“, ebd., 409.

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 Realitäts- und Aktualitätsbezug des Berichts

dueller Wahrnehmung und Fremderfahrungen. Um den Eigenanteil des Verfassers und die Differenzen zum Bestandswissen über die Zielregion näher zu konturieren, ist eine „Erkundung des zeittypischen Wissens“ über Ägypten am bis dato literarisch fixierten Kenntnisstand notwendig.1213 Da auf eine genauere Untersuchung des Ägyptenbildes im 12. Jahrhundert nicht zurückgegriffen werden kann, wird im folgenden Exkurs der literarischen Tradition und den sedimentierten Wissensbeständen über Ägypten im Mittelalter nachgegangen. Erst vor diesem Hintergrund kann die Diskrepanz des Burchardberichtes zum Bestandswissen über Ägypten eingeschätzt und die Qualität des damit erworbenen neuen Wissens abschließend bestimmt werden.

1213 Huschenbett, Orient (1991), 299.

IV Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert. Mittelalterliche Wissensbestände Lateineuropas in Bezug auf Ägypten In der Erforschung von Kulturkontakten zwischen Orient und Okzident, von christlicher und muslimischer Sphäre im Mittelalter, ist Ägypten bislang weitgehend ausgespart geblieben. „It is commonly thought that the Latin Middle Ages was a barren period for knowledge of and interest in Egypt – between the enthusiams of the late hellenistic Neoplatonists and the rediscovery of Horapollo and the Corpus Hermeticum in the 15th century. (…) No attempt has been made to bring together the full range of images of Egypt prevalent during this period,“1 bemängelt Charles Burnett in seinem Aufsatz „Images of ancient Egypt in the latin Middle Ages“. Gering ist auch das Interesse der Ägyptologie an der Ägyptenrezeption des Mittelalters, obwohl außer Frage steht, dass Ägypten „in der europäischen Tradition als Chiffre für sehr unterschiedliche Bedeutungen“ steht und im kollektiven Gedächtnis die verschiedenen Elemente der einzelnen Etappen kumulierten.2 Thomas Scharff betont, dass Ägypten als real existierendes Land „vor allem vor dem Hintergrund der biblischen Überlieferung einen Sinn für die Menschen bekam.“3 Vorherrschend seien fremde Geschichtskonzepte in der Wahrnehmung Ägyptens gewesen und Spuren von „echtem Wissen“ über Ägypten kaum auszumachen, so die auf den spärlichen mittelalter­lichen Quellen beruhende Annahme für die Begegnung „Europas mit Ägypten“.4 Zu einer wirklichen Begegnung sei es nicht gekommen urteilt auch Siegfried Morenz.5 Durch die Zusammenführung verschiedener Überlieferungsstränge wurde vielmehr eine Vorstellung – ein Bild6 – konstruiert. Seit der arabischen Eroberung 643 bis Ende des 13. Jahrhunderts blieb Ägypten terra incognita resümiert Aryeh Graboïs,7 der sich neben Burnett und Scharff als einer der wenigen Historiker überhaupt dieser Frage angenommen hat. 1 Burnett, Images (2003), 65. 2 Scharff, Rückkehr (2001), 432. Das Interesse der Ägyptologie richtet sich auf positives Wissen und relevante Fragen über das alte Ägypten sowie Spuren der Tradierung, weniger auf das Verhältnis des mittelalterlichen Europas zu Ägypten, auch wenn dieses das neuzeitliche Ägyptenbild beeinflusst hat. Zum Ägyptenbild siehe Hornung, Ägypten (1999); Staehlin/Jaeger, Ägypten-Bilder (1997); Assmann, Ägypten (1997); Iversen, Myth (21993); Syndram, Erbe (1989); Dieckmann, Hieroglyphics (1970); Morenz, Begegnung (1969) sowie Ebeling, Ägypten (2013) für die Frühe Neuzeit. 3 Scharff, Rückkehr (2001), 434. 4 Iversen, Myth (21993), 57–59; Dieckmann, Hieroglyphics (1970), 30  f.; Morenz, Begegnung (1969), 107–116. 5 Morenz, Begegnung (1969), 107–116. 6 „(Die) Geschichte bezeichnet das vergangene Geschehen, (das) Geschichtsbild dessen zeitgemäße geistige Rezeption. Geschichte ist der Gegenstand, Geschichtsbild das Ergebnis historischer Betrachtung, die historische Erkenntnis“, Goetz, Proseminar (1993), 25. 7 Graboïs, Description (2003), 529.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

Zwischen der Spätantike und dem späteren Mittelalter klafft in der Tat eine Lücke in der Überlieferung. Nach Pilgerberichten aus dem Frühmittelalter, der letzte geht auf Bernhard den Mönch (870) zurück, beschreiben erst wieder Reisende aus dem späteren Mittelalter wie Burchard von Monte Sion, Symon Semeonis, Wilhelm von Boldenseele und Felix Fabri Ägypten.8 Doch wurde der prominenten Rolle Ägyptens in der klassischen Antike und der Bibel bis zum 13. Jahrhundert auch Wissen aus direkten oder indirekten Kontakten zwischen dem islamischen Orient und Europa hinzugefügt, deren Umstände und Quellen meist nicht mehr fassbar sind. Neben der schriftlich vermittelten Überlieferung ist von einem allgemeinen Vorwissen, einem ‚Alltagswissen‘9 über Ägypten auszugehen. Angenommen werden kann für das Mittelalter ein genuines Ägyptenbild, das sich von den Deutungen der Antike abhob und als ein synchrones Spektrum von Wissensbeständen aufgefasst werden muss. Um den Rahmen sedimentierter Wissensbestände und damit das mögliche Vorwissen eines gebildeten Autors des 12.  Jahrhunderts abzustecken, erfolgt eine diachrone Zusammenstellung jener Wissensbestände, die potentiell als Orientierungsmuster in Mitteleuropa im 12. Jahrhundert präsent waren, auch wenn ihre Rezeption im einzelnen nicht nachprüfbar ist. Welche „Ströme“ und „Unterströme“, gemeint sind verschiedene Geschichtskonzepte und die unbewusste Weitergabe ägyptischen Traditionsgutes, sind als „Träger der ägyptischen Fracht“ festzustellen?10 Was war aus den verschiedenen Überlieferungssträngen bekannt? Welche Funktion kam diesem Wissen zu und unter welchen Bedingungen war es zugänglich? Unterschieden werden in der Analyse 1. Die Vermittlung antiker Autoren; 2. Biblisches und religiöses Wissen und 3. Beiträge der mittelalterlichen Literatur.

IV.1 Wissen aus der Antike In erheblichem Maße prägten die literarischen Zeugnisse antiker Autoren und Geographen das Ägyptenbild nachfolgender Epochen. Schon Homer erwähnt Ägypten in der Odyssee. Die frühste ausführliche und zugleich einflussreichste Beschreibung Ägyptens stammt aus der Feder Herodots (490/480–424 v. Chr.), dessen Beschreibungskategorien zugleich den Referenzpunkt nachfolgender Darstellungen Ägyptens 8 Auflistung der Berichte über Ägypten samt Editionen bei Amin, Ägyptomanie (2013), 333–369. Die ersten Pilgerberichte im 4. Jahrhundert stammen von Egeria und Hieronymus; aus dem 6. Jahrhundert sind Theodosius, Cosmas Incicopleustes und der Pilger von Piancenza, aus dem 7. Jahrhundert Arculf und Epiphanius Hagiopolita, aus dem 8.  Jahrhundert Fidelis und Bernhard der Mönch bekannt, siehe IV. 2. Als nächster Bericht wird dann Burchard aufgeführt, gefolgt von Thietmar, Oliver von Paderborn, Burchard von Monte Sion, Wilhelm von Boldensele, Ludolf von Sudheim und weiteren. Siehe auch Graboïs, Description (2003); Schröder, Christentum (2009); Herkenhoff, Kontinent (1990); Khattab, Ägyptenbild (1982). 9 Hassauer, Reiseliteratur (1987), 278. 10 Morenz, Begegnung (1969), 107–116; Scharff, Rückkehr (2001), 433.

Wissen aus der Antike 

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bilden.11 Herodot setzt die Besonderheiten dieses Landes, das sich in Geographie, Geschichte, Bebauung qualitativ von allen anderen unterscheidet, in Bezug zur eigenen griechischen Welt.12 Zentrale Kategorie seiner Darstellung ist das Wunderbare und Merkwürdige Ägyptens.13 Schon hinsichtlich des von Herodot überlieferten exemplarischen Ägyptenbildes stellt Thomas Harrison allerdings fest, dass hier ein überkommener, erstarrter Zustand beschrieben wird, der sich bei aller Größe und Wissen nicht weiterentwickelte und verharrte. Die ägyptische Kultur erscheint isoliert von allen anderen und damit abgeschnitten von Fortschritt.14 Weitere systematische Darstellungen stammen u.  a. von Diodorus von Sizilien (60/56 v. Chr.) und Strabo (25/24 v. Chr.), die sich direkt auf Herodot beziehen.15 Die griechischen Autoren prägten ein vornehmlich positives Bild Ägyptens, das von Bewunderung und Anerkennung bestimmt ist und sich hauptsächlich auf die Zeit zwischen der Eroberung Ägyptens und der Gründung Alexandrias durch Alexander den Großen bis zum Ende des Ptolemäerreiches bezog. Nicht abschließend geklärt scheint, welchen Zugang antike Autoren zu ägyptischem Wissen hatten und wie sich ihre Achtung begründete.16 Bei römischen Autoren fand Ägypten erst seit der Schlacht von Actium 31 v. Chr. zunehmendes Interesse.17 Während Ägypten für die Griechen in mehreren Hinsichten Modellcharakter besaß, ist hier aufgrund der Propaganda Octavians gegen Antonius und Kleopatra teilweise eine Aversion gegenüber Ägypten konstatiert worden. Die Darstellung der religiösen und kulturellen Errungenschaften dieser frühen Hochkul-

11 Herodot, Historien, II, 35–103. Ed. Feix (2006), 228–283. 12 Harrison, Herodotus (2003), 148  f.; Ders., Place (2007); Thomas, Herodotus (2000); Kaiser, Begegnung (1969). 13 „Jetzt gehe ich dazu über, ausführlicher über Ägypten zu berichten, weil es sehr viel Wunderliches und Werke aufweist, die man in ihrer Größe kaum schildern kann im Vergleich zu jedem anderen Land“, Herodot, Historien, II, 35. Ed. Feix (2006), 228. 14 Harrison, Herodotus (2003), 153. 15 Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985), Sp. 22  f. nennen an griechischsprachigen Autoren noch Hekataios von Milet, Karyanda, Erastothenes, Manetho von Sebennytos, Ptolemaios von Mendes, Hermaios, Apollonides Horapios, Klaudios Ptolemaios, Hierokles, Stephanos von Byzanz, Georgios von Kypros. 16 „We cannot be sure what it was that classical writers might have read, seen or heard that might have given substance to their respect for Egypt,“ Tait, Wisdom (2003), 29. John Tait nimmt als Grund des positiven Interesses den Kontrast Ägyptens mit der Wahrnehmung der eigenen (hellenistischen) Gesellschaft der Autoren an: „The classical writers who survive to us were rarely fascinated by the latest achievements of their own culture – and those who were naturally had little reason to men­ tion Egypt with enthusiasm,“ ebd., 36. Siehe auch Hornung, Secret (2001); Assmann, Weisheit (2000); Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985). 17 Lateinische Autoren sind u.  a. Plinius, Pomponius Mela, Tacitus, Plutarch, Claudius Ptolemäus, Ammianus Marcellinus, Macrobius, Heliodorus, Paulus Orosius, Julius Honorius und Isidor, siehe Fontes. Ed. Hopfner (1922–1925); Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985), Sp. 50  f.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

tur wurde von den politischen Ereignissen in den Hintergrund gedrängt. In augusteischer Zeit war eine antiägyptische Haltung allgemein akzeptiert.18 Geographisch war Ägypten nach antiker Anschauung nicht eindeutig einem Erdteil zugeordnet, da zwei konkurrierende Deutungen parallel bestanden. So zählte es in der kontinentalen Dreiteilung bei Plinius (Europa, Asien, Afrika) zu Asien. Nach dieser Vorstellung markierte der Nil, nicht der Sinai, die Grenze zwischen den Kontinenten Asien und Afrika.19 Im Westen war Ägypten von der einstigen römischen Provinz Africa begrenzt, die dann mit dem islamischen Ifriquiya zusammenfiel. Auch die Vorstellung des Nils als einem der vier Paradiesflüsse wurde durch diese Grenzziehung zwischen Afrika und Asien erleichtert.20 Nach der Einteilung der Welt in vier Erdteile dagegen war Ägypten Teil Afrikas (unter der griechischen Bezeichnung Libya) und wurde u.  a. bei Ptolemäus zusammen mit Libyen einem Kulturgebiet zugerechnet.21 Abhängig von der geographischen Lage war die Zuordnung zu bestimmten Tierkreiszeichen, welche sich wiederum auf die Beschaffenheit des Landes und der Einwohner auswirkte.22 Diesen Zusammenhang erklärt Ptolemaius in seinem mathematischen Traktat ‚Tetrabiblos‘: „The remaining parts of the quarter, which are situated near the centre of the inhabited world, Cyrenaica, Marmarica, Egypt, Thebais, the Oasis, Troglodytica, Arabia, Azania, and Middle Ethiopia, which face the north-east of the whole quarter, have an additional familiarity with the north-eastern triangle Gemini, Libra, and Aquarius, and therefore have as co-rulers Saturn and Jupiter and, furthermore, Mercury. Accordingly those who live in these countries, because they all in common, as it were, are subject to the occidental rulership of the five planets, are worshippers of the gods, superstitious, given to religious ceremony and fond of lamentation; they bury their dead in the earth, putting them out of sight, on account of the occidental aspect of the planets; and they practice all kinds of usages, customs, and rites in the service of all manner of gods. Under command they are humble, timid, penurious, and long-suffering, in leadership courageous and magnanimous; but they are polygamous and polyandrous and lecherous, marrying even their own sisters, and the men are potent in begetting, the women in conceiving, even as their land is fertile.“23

18 Pomponius Mela, Kreuzfahrt (Chorographia) I. 41–60. Ed. Brodersen (1994), 50–61; Apuleius, Meta­morphosen. Ed. Helm (1978); Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII. 15–16. Ed. Seyfarth (1978), 50–65; Maehler, Poets (2003), 211; 214  f. Zur Wahrnehmung Ägyptens durch klassische griechische und lateinische Autoren siehe auch Iversen, Myth (21993); Tait, Wisdom (2003). 19 Plinius, Historia naturalis VI. 38. Ed. Brodersen (1996), 142  f. Beda übernimmt die antike Einteilung in seiner Weltkarte, Woodward, Mappaemundi (1987), 334. Zur Pliniusrezeption Bedas siehe Borst, Naturgeschichte (21995), 98–110. 20 Gen 2, 13; Jes 11, 15; Burnett, Images (2003), 65. Siehe dazu auch Kapitel III.1.2 und III.1.3. 21 Ptolemäus, Geographie, IV, 4, 3 und IV, 5. Ed. Stückelberger/Graßhoff (2006), 414, 421–443; B ­ urnett, Images (2003), 66; Snape, Emergence (2003). 22 Herodot, Historien, II, 35–36. Ed. Feix (2006), 228–231; Ptolemäus, Tetrabiblos  II.3. Ed. Robbins (1980), 150–157. 23 Ptolemäus, Tetrabiblos II.3. Ed. Robbins (1980), 153–155.

Wissen aus der Antike 

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Die Besonderheiten des Landes korrespondierten mit Eigenschaften der Bewohner. Generell erscheinen die Ägypter als Gegenbild der Griechen und Römer: „Wie der Himmel bei den Ägyptern anders ist als in anderen Ländern, der Strom sich anders verhält als die anderen Flüsse, so stehen auch die Sitten und Bräuche der Ägypter größtenteils in allen Stücken im Gegensatz zu denen der übrigen Völker. Bei ihnen gehen die Frauen auf den Markt und treiben Handel, während die Männer zu Hause sitzen und weben. Die anderen Völker schlagen beim Weben den Einschlag von oben nach unten, die Ägypter tun es umgekehrt. Die Männer tragen die Lasten auf dem Kopf, die Frauen auf den Schultern. Den Urin lassen die Frauen im Stehen, die Männer im Sitzen. Ihre Notdurft verrichten sie in den Häusern, das Essen nehmen sie draußen auf der Straße ein,“

heißt es bei Herodot.24 Ähnlich formuliert dann Pomponius Mela: „Die Bewohner dieser Gegenden führen ein vielfach anderes Leben als die übrigen Menschen. Ihre Toten beklagen sie, indem sie sich mit Kot beschmieren; sie zu verbrennen oder zu begraben halten sie für einen Frevel, vielmehr legen sie sie kunstvoll einbalsamiert innerhalb ihrer Tempel nieder. Ihre Buchstaben setzen sie verkehrt herum. Ziegellehm kneten sie mit den Händen, Brotmehl mit den Füßen. Um öffentliche und private Geschäfte kümmern sich die Frauen, die Männer um die Wollarbeiten und das Haus. Traglasten nehmen die Frauen auf die Schultern, die Männer auf den Kopf. (…).“25

Kennzeichen und Sinnbild Ägyptens war der Nil, galt Ägypten doch als Geschenk des Nils.26 Der Flussverlauf in Ober- und Unterägypten, Pflanzen, Tiere und Siedlungen an den Ufern des Nils sowie das Delta mit seinen sieben Mündungsarmen waren fester Bestandteil der Darstellungen.27 Allgemeinplatz war das gesunde und angenehme Wasser, welches als Trinkwasser auch in entlegene Gebiete exportiert wurde.28 Betont 24 Herodot, Historien, II. 35. Ed. Feix (2006), 228  f. 25 Pomponius Mela, Kreuzfahrt (Chorographia) I. 57. Ed. Brodersen (1994), 58–61. Melas Werk diente Gaius Plinius Secundus d. Ä. für seine Historia naturalis wie auch Solinus als Quelle, ebd., 14. Aus dem 9. Jahrhundert liegen Abschriften im Ostfrankenreich von Rusticius und Heiric von Auxerre vor, bis zum 12./13. Jahrhundert sind drei weitere Abschriften bekannt. Erst durch Petrarca begann das Nachleben des Werkes, ebd., 15  f. 26 Homer, Odyssee, III. 306–311; IV. 356; 477. Ed. Weiher (2014), 70  f.; 100  f.; 106  f.; Herodot, Historien, II, 7. Ed. Feix (2006), 204  f.; Strabon, Geographika, Bd. 5, XV 691. Ed. Radt (2005), 154–157; Plinius, Historia naturalis V, 10 (54). Ed. Winkler/König (1993), 44  f.; Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I. 49. Ed. Brodersen (1994), 54–57; Cooper, Nil (2014), 15–41; Herkenhoff, Kontinent (1990), 122–130; Honigmann, Nil (1936); Kees, Nilschwelle (1936); Lasserre, Nilschwelle (1972), siehe Kapitel III.1.2. Anm. 210 und Kapitel III.1.3, Anm. 341 und 366. 27 Herodot, Historien, II, 17. Ed. Feix (2006), 212  f.; Ptolemäus, Geographie IV, 5, 10. Ed. Stückelberger/Graßhoff (2006), 423; Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII, 15, 10. Ed. Seyfarth (1978), 52  f.; Diodorus, Weltgeschichte, I, 33. Ed. Wirth (1992), 61; Strabon, Geographika, Bd. 5, XVII 801  f. Ed. Radt (2005), 446  f.; Plinius, Historia naturalis V, 12 (64). Ed. Winkler/König (1993), 50  f. Wurde der Nil als Grenzfluss zwischen Asien und Afrika angesehen, dann ergaben sich bei der Zuordnung des Deltas zu einem Kontinent allerdings Schwierigkeiten. 28 Herodot, Historien, III, 6. Ed. Feix (2006), 364  f.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

wurde der Artenreichtum der im Nil lebenden Tiere – zahlreiche essbare Fische, Krokodile, Nilpferde, Warane – und die Beschreibungen gerade der exotischen Lebewesen im mittelalterlichen Schriftgut übernommen, so von Ammianus Marcellinus: Exuberat Aegyptus etiam pecudibus multis, inter quas terrestres sunt et aquatiles aliaeque humi et in humoribus vivunt, unde amphibii nominantur. Et in aridis quidem capreoli vescuntur et bubali et spinturnicia omni deformitate ridicula aliaque monstra, quae enumerare non refert.29 Bezeichnung und Beschreibung des Nilpferdes gehen auf Herodot zurück und finden sich in dieser verzerrten und teils falschen Form im Gegensatz zum tatsächlichen Aussehen des Tieres bei späteren antiken und mittelalterlichen Autoren.30 Ähnlich verhält es sich mit der Schilderung des Krokodils, dessen mehrfacher Vergleich mit einem Schwein neben weiteren Charakteristika die antike Literatur durchzieht.31 Die Bedeutung des Nils, von dem der Wohlstand ganz Ägyptens abhing, wurde früh erkannt. Da die Frage nach den Quellen des Nils ungelöst blieb, bestärkte die Identifikation mit dem Paradiesfluss Gihon/Geon die Annahme, der Nil entspränge im Osten.32 Einer zweiten, parallelen Theorie gemäß wurden die Nilquellen in hellenistischer Zeit im Atlasgebirge vermutet, während die Herkunft aus der Äquatorial­

29 Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII 15, 14–26. Ed. Seyfarth (1978), 52–57. Non pererrat autem tantum eam sed aestivo sidere exundans etiam irrigat, adeo efficacibus aquis ad generandum alendumque, ut praeter id quod scatet piscibus, quod hippopotamos crocodilosque vastas beluas gignit, glaebis etiam infundat animas, ex ipsaque humo vitalia effingat, Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I. 52. Ed. Brodersen (1994), 56. 30 Herodot, Historien, II, Kap. 71. Ed. Feix (2001), 260  f.; Übernahme der Beschreibung von Hekataios. Allerdings berichtet schon Ammianus Marcellinus, dass das Nilpferd in Ägypten nahezu ausgerottet sei und kaum von den späteren Autoren tatsächlich ausfindig gemacht werden konnte, Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII 15, 24. Ed. Seyfarth (1978), 54–57. Siehe dazu Kapitel III.1.3. Anm. 397 und 398. 31 U. a. bei Herodot, Historien, II, Kap. 70. Ed. Feix (2001), 260  f.; Aristoteles, Tierkunde, II, 9, 10. Ed. Gohlke (1957), 92; Diodorus, Weltgeschichte, I, 85. Ed. Wirth (1992), 118; Plinius, Historia naturalis VIII, 36 (88) und 72 (186). Ed. König (1976), 70–73; 136  f.; Solinus, Wunder, 32, 21–28. Ed. Brodersen (2014), 294–297; Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII, 15, 15–20. Ed. Seyfarth (1978), 54  f.; Isidor, Etymologiae, XIV, III (28). Ed. Lindsay (1911); in der Bibel: Jesaja LI. 9; Psalm LXXIV, 13; Ezechiel 29, 3; 32, 2; Hiob 40, 25  ff. und 41. Neben genauen Beschreibungen von Aussehen, Lebensweise und Verehrung des Krokodils wurde die Gefährlichkeit des Tieres für den Menschen hervorgehoben, das Menschen nicht nur tötete, sondern ganz verspeiste, Herodot, Historien, II, 90. Ed. Feix (2001), 270  f.; Aristoteles, Tierkunde, II, 9, 10. Ed. Gohlke (1957), 92; Plinius, Historia naturalis VIII 72 (186). Ed. König (1976), 136  f. Siehe auch Kapitel III.1. 3. Anm. 399. 32 Honigmann, Nil (1936), 557  f. nennt Aristoteles, Polybios, Prokopios und dann al-Mas’ūdī als Vertreter dieser Ansicht, die auf dem ionischen Kartenbild und der angenommenen Landbrücke zwischen Indien und Südafrika beruhte. Hingegen hatte Aristoteles in seiner Schrift ‚Liber de inundatione Nili‘. Ed. Bonneau (1971), 1–33, die Nilschwelle auch auf die Nebenflüsse des Nils im äthiopischen Gebirge zurückgeführt. Siehe Kapitel Kapitel III.1.2. Anm. 210 und III.1.3. Anm. 366 und 379.

Wissen aus der Antike 

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region nicht plausibel erschien.33 Daneben bestand eine dritte Auffassung, der zufolge der Fluss teilweise unterirdisch verlief. So konnte auch ein Quellgebiet in der Äquatorialzone oder aber in den Sümpfen des Euphrat angenommen werden.34 ­Ptolemaios lokalisierte zwei Binnenseen in Äquatornähe als Ausgangspunkt der Nilquellen.35 Auf seiner Darstellung basierten dann spätere Angaben und Karten der Antike, doch wurde die Herkunft des Nils ganz unterschiedlich dargestellt.36 Die Faszination des Stromes lag in der jährlichen Nilschwelle, über deren Ursachen ähnlich wie über die Nilquellen spekuliert wurde. Wie kein zweites Problem wurde das Naturphänomen in der antiken griechischen Literatur immer wieder behandelt, die Ursachen erörtert und Theorien diskutiert.37 Die Zeiten des Wasseranstiegs waren bekannt: Die Nilschwelle begann mit der Sommersonnenwende, bis Ende August/Anfang September erreichte der Nil seinen Höchststand und überflutete innerhalb eines Zeitraums von hundert Tagen die Nilebene.38 Die Frage nach den Ursachen der jährlichen Flut wurde von lateinischen Autoren nicht fortgeführt, die Ätiologie versiegte.39 Zum Traditionsgut zählten die Auswirkungen der Überschwemmungen, die von Juli bis Oktober das gesamte Niltal mit schwarzem Schlamm überzogen und eine mühelose Landwirtschaft erlaubten.40 „Der Nil, der dort die Stelle des Bauern vertritt, beginnt, wie wir bereits gesagt haben, bei Vollmond zur Zeit der Sommersonnenwende anzuschwellen, zuerst langsam, dann heftiger, solange die Sonne im Zeichen des Löwen steht. (…) Allgemein glaubte man, dass man nach seinem Rück33 Pomponius Mela nimmt die Nilquelle in Äthiopien an: Hic ex desertis Africae missus nec statim navigari facilis nec statim Nilus est, et cum diu simplex saevusque descendit, circa Meroen late patentem insulam in Aethiopiam diffunditur, alteraque parte Astabores altera Astape dictus est. Ubi rursus coit ibi nomen hoc capit, Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I. 50. Ed. Brodersen (1994), 57 und III, 96, 182  f. Siehe auch Vitruv, Architektur, VIII, 2, 6  f. Ed. Fensterbusch (1987), 360–363; Paulus Orosius, Historiae, I, 2 (31). Ed. Zangenmeister; Cassius Dio, Geschichte, LXXVI, 13 3–5. (Bd. 5). Ed. Veh (2012), 357. 34 Honigmann, Nil (1936), 558 nennt dazu Pausanias, Pausanias, Guide, II,5,3. Ed. Taylor (2006), 93  f.; Philostratos, Appolonius, I, 20. Ed. Mumprecht (1983), 60–63. 35 Honigmann, Nil (1936), 560  f.; Ptolemaius, Geographie, I, 17, 6. Ed. Stückelberger/Graßhoff (2006), 103. 36 Siehe Kapitel III.1.3. 37 Das physikalische Problem bedingte die literarische Sonderstellung, wobei die Frage nach den Ursachen griechischen Ursprungs ist. Als Ursachen genannt werden Stauung durch Etesien (Thales), Regenfälle (Aristoteles), Schneeschmelze (Anaxagoras), generell hohes Grundwasser (Herodot und Diogenes von Apollonia), Cooper, Nil (2014), 15–41; Honigmann, Nil (1936); Kees, Nilschwelle (1936); Rehm, Nilschwelle (1936); Lasserre, Nilschwelle (1972). 38 Herodot, Historien, II, 19. Ed. Feix (2001), 214–217; Plinius, Historia naturalis V, 10 (57  f.). Ed. Winkler/König (1993), 46  f. Zeitpunkt und Dauer der Nilflut variieren bei den Autoren. 39 Rehm, Nilschwelle (1936), Sp. 590. 40 Harrison, Divinity (2000), 59–60; Herodot, Historien, I. 193. Ed. Feix (2001), 176–179; Ariostophanes, Vögel, 504–507. Ed. Schadewaldt (1970), 37; Diodorus, Weltgeschichte, I. 36; III, 34. Ed. Wirth (1992), 64  f.; 228–230; Plinius, Historia naturalis XVIII, 47 (167–170). Ed. König (1995), 106–109; Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I, 52. Ed. Brodersen (1994), 56  f.; Prokop, Gotenkriege, III, 29. Ed. Veh (1966), 624–629.

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gang zu säen und dann die Schweine darauf zu treiben pflege, damit diese mit ihren Füßen den Samen in den nassen Boden treten; auch ich selbst glaube, dass dies früher so gehandhabt wurde, und auch jetzt noch ist die Arbeit nicht viel schwerer: aber dennoch ist gewiss, dass man jetzt die vorher in den Schlamm des zurückgetretenen Flusses gebrachten Samen unterpflügt. Dies geschieht zu Beginn des November (…) Die Ernte wird aber im Mai abgeschlossen (…)“,

heißt es bei Plinius in seiner Historia naturalis.41 Neben den naturräumlichen Besonderheiten übten seit Homer die kulturellen Errungenschaften und die weit zurückreichende Geschichte Ägyptens eine Faszination auf die antiken Autoren aus, von der die materiellen Überreste Zeugnis ablegten. Schon Herodot beschrieb die Pyramiden.42 Besonderes Interesse galt dem Alter Ägyptens und der Frage nach der ältesten menschlichen Kultur in der Menschheitsgeschichte.43 „Sie selbst sind, wie sie behaupten, die ältesten unter den Menschen; dreihundertdreißig Könige vor Amasis und ein Alter von über dreizehntausend Jahren zählen sie in gewissen Jahrbüchern auf und bewahren in schriftlicher Überlieferung, dass, seit es Ägypter gibt, die Sterne schon viermal ihre Bahnen geändert hätten und die Sonne schon zweimal untergegangen sei, wo sie jetzt aufgeht,“ berichtet diesbezüglich Pomponius Mela.44 Bemerkenswert ist das Interesse an der ägyptischen Götterwelt, deren Götter­ gestalten in der Interpratio graeca zunächst den griechischen Göttern gleichgestellt und entsprechend benannt wurden.45 Die Interpretatio romana identifizierte im analogen Prozess ägyptische Gottheiten mit römischen.46 Speziell mit Ägypten 41 Nilus ibi coloni vice fungens evagari incipit, ut diximus, a solstitio et nova luna, primo lente, dein vehementius, quamdiu in Leone sol est. (…) Vulgo credebatur a decessu eius serere solitos, mox sues inpellere vestigiis semina deprimentes in madido solo, et credo antiquitus factitatum, nunc quoque non multo graviore opera; sed tamen inarari certum est abiecta prius semina in limo degressi amnis. Hoc fit Novembri mense incipiente (…) Peragitur autem messis mense Maio (…), Plinius, Historia naturalis XVIII, 47 (167–170). Ed. König (1995), 106. 42 Herodot, Historien, II, 124–128. Ed. Feix (2001), 308–313; auch Lucan, Bello  IX. 155. Ed. Ehlers (1978), 412  f.; Plinius, Historia naturalis, XXXVI, 75 (82). Ed. König (1992), 62  f.; Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII. 15. 28–29. Ed. Seyfarth (1978), 56  f.; Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I. 55. Ed. Brodersen (1994), 58  f.; Cassiodor, Variae VII. 15. Ed. Mommsen (1961), 212; Isidor, Etymologiae, XV.11.4. Ed. Lindsay (1911). Als Weltwunder galten im ersten Jahrhundert nur die Cheops- und die Chephrenpyramide, so Meinardus, Familie (1988), 35. 43 Tait, Wisdom (2003), 31; Vasunia, Gift (2001), 110–112. 44 Ipsi vetustissimi ut praedicant hominum trecentos et triginta reges ante Amasim, et supra tredecim milium annorum aetates certis annalibus referunt mandatumque litteris servant, dum Aegyptii sunt, quater cursus suos vertisse sidera ac solem bis iam occidisse unde nunc oritur, Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I. 59. Ed. Brodersen (1994), 60  f. 45 Herodot, Historien, II, 42–50. Ed. Feix (2001), 236–245. Amun wird zu Zeus, Osiris zu Dionysos, Thot zu Hermes. Plato verwendet dagegen weiter die ägyptischen Namen, Griffith, Interpretatio (1980); Burnett, Images (2003), 73. 46 Amun/Zeus wird zu Jupiter, Osiris/Dionysos zu Bacchus, Thot/Hermes zu Mercurius, Imhotep/ Asclepius zu Aesculapius, Ra/Apollon zu Apollo, Cicero, Natura, III. 22. Ed. Gigon/Straume-Zimmer-

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wurde der Gott Hermes assoziiert. Hermes Trismegistos47 galt von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit als Verfasser einer Reihe von philosophischen, astrologischen, magischen und alchemistischen Schriften, die aufgrund seiner Gleichsetzung mit Thot48 als Zeugnisse uralten Wissens geschätzt wurden, das zumindest auf die Zeit des Moses zu datieren sei.49 Die bekannteste hermetische Schrift im Mittelalter war der Asclepius-Dialog,50 der zusammen mit den Werken des Apuleios von Madauros überliefert wurde, den man für den Übersetzer der verlorengegangenen griechischen Textvorlage hielt.51 Im 12. Jahrhundert erlangte der Text einen größeren Bekanntheitsgrad, das Interesse fiel mit der Verbreitung der zweiten Version des Alexanderromans und weiteren hermetischen Schriften zusammen, die aus dem Arabischen übersetzt wurden. Allerdings galt Hermes auch als Urheber der Magie und der Dämonen, deren Wesen gut oder böse bestimmt sein konnte.52 Unverständnis herrschte hingegen in Bezug auf die Hieroglyphen als Schriftsystem, das mit Magie und Zauberei in Verbindung gebracht wurde.53 Aufgrund ihrer Verehrung von Tiergottheiten wurde die Götterwelt der alten Ägypter aber auch verachtet.54 „Sie verehren die Abbilder vieler Lebewesen und mann (1996), 240–243; Plinius, Historia naturalis VIII 46 (184–186). Ed. König (1976), 134–137; Solinus, Wunder, XXXII. 21. Ed. Brodersen (2014), 128  f.; Rufinus, Historia Ecclesiastica, II, 23. Ed. Migne (1878), Sp. 529–533; Porreca, Names (2010). Quellen, angefangen mit Homer, Hesiod und Pindarus bis ins 13. Jahrhundert mit Nicolaus Myrepsus, zusammengestellt bei Fontes. Ed. Hopfner (1922–1925). 47 Es existierten mehrere Hermesvorstellungen, Cicero, Natura, III. 56. Ed. Gigon/Straume-Zimmermann (1996), 266  f.; Augustinus, Civitate, VIII. 8. (Bd. 1) Ed. Dombart/Kalb (1993), 332  f.; Bonnet, Hermes (2000); Ebeling, Geheimnis (2005); Fowden, Hermes (1986), 22–31; Burnett, Legend (1976); Antoine/Tristan, Présence (1988). 48 So bei Manetho, Buch des Sothis, überliefert von Georgios Synkellos, Berossos and Manetho, Ed. Verbrugghe/Wickersham (2001), 174; Cicero, Natura, III. 56. Ed. Gigon/Straume-Zimmermann (1996), 266  f. 49 Hermes wurde auch mit Moses identifiziert, Hornung, Ägypten (1999), 87. 50 Corpus Hermeticum, Bd. 1. Ed. Colpe/Holzhausen (1997, 233–316. Mehrfach zitiert bei Augustinus, ebd., 590. Verwendet bei Hermann von Kärnten, Hermann of Carinthia, De essentiis. Ed. Burnett (1982), 186; Abaelard, Theologia Christiana, I c. 61. Ed. Buytaert (1969), 96 und Albertus Magnus, Scharff, Rückkehr (2001), 436; Hornung, Ägypten (1999), 85; Ebeling, Ägypten (2013), 111–113. 51 Die als Corpus Hermeticum bekannten Dialoge wurden erst in der Renaissance wiederentdeckt und von Marsilio Ficino 1463 ins Lateinische übersetzt. Isaac Casaubon erkannte die Schriften des Hermes (Corpus Hermeticum) als hellenistische Traktate, die nicht auf den Gott Hermes als tatsächlichem Verfasser zurückgingen, Isaac Casaubon, De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes XVI. London 1614. 52 Isidor, Etymologiae, III. 22.8–9. Ed. Lindsay (1911); dann Alain de Lille, Distinctiones. Ed. Migne (1855), Sp. 776C. 53 Rufinus, Historia Ecclesiastica, II, 26. Ed. Migne (1878), Sp. 534  f.; zu den Hieroglyphen siehe Macro­bius, Saturnalia I. 19, 13. Ed. Willis (1994), 110; Origenes, Kommentar II.13. Ed. Heithner (1990), 286–289; Isidor, Etymologiae, I. 3. 5. Ed. Lindsay (1911); Apuleius, Metamorphoseon, XI.22. Ed. Brandt/ Ehlers (2012), 484–487. Zur Rezeption siehe Hüttig, Macrobius (1990). 54 Vergil, Aeneis, VIII. 698–700. Ed. Staiger (1981), 232; Cicero, Tusculan Disputations, V. 78. Ed. Douglas (1990), 122  f.; Juvenal, Satiren, XV. 1–4, 10–11. Ed. Adamietz (1993), 300  f.; Hilarius von Poitiers,

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

mehr noch die Lebewesen selbst, jedoch ein jeder andere – so sehr, dass irgendwelche davon auch nur aus Versehen getötet zu haben ein Kapitalverbrechen ist, und dass es, sobald sie an Krankheit oder durch einen Zufall gestorben sind, feierlicher Brauch ist, sie zu bestatten und zu betrauern.“55 In christlicher Interpretation stellten die ägyptischen Gottheiten postum als Götter verehrte Menschen dar, ihre Verehrung galt als Idolatrie.56 Das goldene Kalb wurde als ägyptischer Apis identifiziert.57 Für das Ägyptenbild des Mittelalters waren die antiken Götter aber kaum von Relevanz, da die Bedeutung Ägyptens für das Frühchristentum und dann die muslimische Eroberung die heidnische Epoche überlagerte. Dennoch wurden bestimmte religiöse Themenbereiche des alten Ägyptens auch von mittelalterlichen Autoren übernommen.58 Sprichwörtlich war die Weisheit Ägyptens, welche gleichermaßen von heidnischen, antiken Autoren wie auch dem Alten und Neuen Testament bezeugt wurde und durch Vermittlung Isidors im Mittelalter als Allgemeingut fortbestand.59 Ägypter galten als Entdecker von Astrologie, Astronomie und Geometrie,60 von Lyra61 und Sistrum.62 Die Erfindung des Papyrus, der Künste63 oder gar der Philosophie64

In Matthaeum I.6. Ed. Doignon (1978), 98–101; Paulinus von Nola, Carmen XIX. 84–86. Ed. De Hartel (1999), 121; Rufinus, Historia Monachorum, VII. Ed. Migne (1878), Sp. 413; Paulus Orosius, Historiae, I. 8 (7–12). Ed. Zangenmeister; Prudentius, Apotheosis 194–196. Ed. Garuti (2005), 35; Augustinus, Civitate, II. 22. (Bd. 1) Ed. Dombart/Kalb (1993), 83–85. Ironisch betrachtet wurden auch die göttliche Abstammung und Unsterblichkeit Alexanders, Tait, Wisdom (2003), 24. 55 Colunt effigies multorum animalium atque ipsa magis animalia, sed alia alii; adeo ut quaedam eorum etiam per imprudentiam interemisse capital sit, et ubi morbo aut forte extincta sint sepelire ac lugere sollemne sit, Pomponius Mela, Kreuzfahrt, I. 58. Ed. Brodersen (1994), 60  f. 56 Augustinus, Civitate, XVIII. 40. (Bd. 2) Ed. Dombart/Kalb (1993), 316; Apuleius, De deo Socratis (15), 153–154. Ed. Baltes/Lakmann (2004), 72  f.; Hermann of Carinthia, De essentiis. Ed. Burnett (1982), 170  f. Ein abschätziges Urteil findet sich bei Hieronymus, In Hiezechielem, VII. 23. Ed. Glorie (1964), 303–320, 304  f.; Hieronymus, In Esaiam, XII. 45. Ed. Adriaen (1963), 503–506; Tait, Wisdom (2003). 57 Tertullian, Scorpiace. Ed. Dunn (2004), 113; Pseudo-Clemens, Recognitiones I. 35. Ed. Rehm/Strecker (1994), 28  f. 58 Johannes de Hauvilla, Architrenius, Buch 6–8. Ed. Wetherbee (1994), 144–223; Burnett, Images (2003), 74. 59 Herodot, Historien, II, 4. Ed. Feix (2006), 202  f.; Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII.16. 12–20. Ed. Seyfarth (1978), 60–63; Macrobius, Saturnalia  I. 15. 1. Ed. Willis (1994), 69; Augustinus, Civitate, XVIII. 37. (Bd. 2) Ed. Dombart/Kalb (1993), 311–313; Isidor, Etymologiae, I. 3. 5. Ed. Lindsay (1911); Tertullian, De Corona 7. Ed. Currey (1854), 130–134; Bibel: Apostelgeschichte 7. 22; I. Könige 4.30; Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985). 60 Cicero, De Divinatione, I. 1–2. Ed. Schäublin (2013), 6–9; Isidor, Etymologiae, III.15.1. Ed. Lindsay (1911).; Servius, Kommentar zu Georgicorum, I. 33. Ed. Thilo (1961), 140  f.; Macrobius, Somnium, I. 21, 23–27. Ed. Willis (1994), 88  f.; Firmicus Maternus, Mathesis III. 1.(Bd. 2.) Ed. Monat. Paris 2002, 15  f. 61 Isidor, Etymologiae, III.22. 8–9. Ed. Lindsay (1911). 62 Isidor, Etymologiae, III.10.1; 12.12; 13.8; 15.1; V.33.2; VI.10.1; XIX.16.2. Ed. Lindsay (1911). 63 Cicero, Natura, III. 22. Ed. Gigon/Straume-Zimmermann (1996), 249  f. 64 Macrobius, Somnium, I. 19. 2. Ed. Willis (1994), 73.

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wurde auf Ägypten zurückgeführt. Isis habe die Buchstaben erfunden,65 die Leinenweberei und die Nutzung von Getreide, während der Weinanbau ebenso wie die Grammatik Osiris zugeschrieben wurden.66 Die geometrischen Kenntnisse der Ägypter wurden auf die Nilüberschwemmungen zurückgeführt und in dieser Begründung von mittelalterlichen Autoren übernommen.67 Die besondere Rolle der Astronomie ging auf Ptolemäus zurück, der besonders durch die Übersetzungen seiner Werke im 12. Jahrhundert zur unangefochtenen Autorität der Himmelskunde aufstieg.68 Ägypten galt als Station, um Bildung zu erwerben. Platos Aufenthalt in Ägypten zu Studienzwecken reiht sich als prominentes Beispiel in die illustre Schar antiker Besucher wie Solon, Phytagoras und Eudoxus ein.69 Im fünften und sechsten Jahrhundert war Alexandria Zentrum des Neuplatonismus und der Aristotelesrezep­tion.70 Enge Verbindungen zwischen Ägypten als Wiege der Kultur und Wissenschaft mit Griechenland und Rom wurden immer wieder thematisiert. Gleichzeitig bestand in Hinblick auf Klima und Sitten ein starker Gegensatz zwischen antiker und ägyptischer Welt, die sich in die Polarität von Griechen/Römern und Barbaren einordnete, wenn auch das antike Ägyptenbild nicht prinzipiell antagonistisch angelegt war.71 Ammianus Marcellinus ist der Ägypter an sich suspekt: „Die meisten Ägypter sind dunkelhäutig und schwarzhaarig. Sie machen einen düsteren Eindruck, sind zierlich und dürr; sie neigen zu jähen Bewegungen, sind streitsüchtig und vertreten ihre Forderungen in schärfster Form. Bei ihnen errötet vor Scham, wer nicht auf seinem Körper zahlreiche Striemen aufweisen kann, weil er Tributzahlungen verweigert hat. Bisher hat man noch keine Folterqualen erfinden können, die einem hartgesottenen Räuber jenes Landstrichs gegen seinen Willen die Preisgabe seinen Namens entlockt hätten.“72

65 Die Erfindung der Schrift durch die Ägypter erwähnt Platon, Philebus 18 b–c. Ed. Frede (1997), 21; Platon, Phaedrus 274C–275A. Ed. Heitsch (1993), 60  f., lässt aber auch Zweifel an dieser Interpretation. 66 Martianus Capella (De Nuptiis) II. 158; III. 223; IV. 330. Ed. Willis (2012), 47; 59  f.; 107. 67 Geometrica incerti auctoris IV.60. Ed. Bubnov (1963), 362; Hugo von St. Victor, Didascalion III.2. Ed. Migne (1854), Sp. 765–767; Geometrica Gerberti I, 2. Ed. Bubnov. (1963), 49  f.; Adelard von Bath (Euklids Elemente), I.31. Redaction. Ed. Busard (2001), 31; Martianus Capella. VI. 595–598. Ed. Willis (2012), 208–210; Isidor, Etymologiae, III. 10.1. Ed. Lindsay (1911). 68 Die Gleichsetzung des Gelehrten mit dem König basiert auf Isidor, Etymologiae, III. 26. Ed. Lindsay (1911) und findet sich u.  a. bei St. Victor, Hugo von St. Victor, Didascalion III. 2. Ed. Migne (1854), Sp. 765–767; dazu Burnett, King (1998). 69 Reisende nach Ägypten waren vornehmlich Philosophen, Wissenschaftler und Künstler, Herodot, Historien, I, 30. Ed. Feix (2006), 28  f.; Strabon, Geographika, X.4.19. Bd. 3. Ed. Radt (2004), 265–267; Diodorus, Weltgeschichte, I. 96–98. Ed. Wirth (1992), 129–133. 70 Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985), 44–49. 71 Harrison, Herodotus (2003), 145. 72 Homines autem Aegyptii plerique suffusculi sunt et atrati magisque maestiores, gracilenti et aridi, ad singulos motus excandescentes, controversi et reposcones acerrimi. Erubescit apud eos, si qui non infitiando tributa plurimas in corpore vibices ostendat. Et nulla tormentorum vis inveniri adhuc potuit, quae obdurato illius tractus invito elicere potuit, ut nomen proprium dicat, Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII 16, 23. Ed. Seyfarth (1978), 62–64.

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Dennoch galt Ägypten als Vorbild für staatliche Ordnung und stabile gesellschaftliche Verhältnisse.73 Betont wurde die Rolle Ägyptens als Kornlieferant und Alexandrias als großer Handelshafen.74 „Augustus“, bemerkte Tacitus, „behielt sich (…) Ägypten selbst vor, damit niemand Italien aushungern könne, der sich in dieser Provinz und damit in der Schlüsselstellung des Landes und Meeres festsetze und sich hier mit ganz geringer Besatzung gegen mächtige Heere behaupte.“75 Unter den Städten Ägyptens waren Memphis, Babylon, Heliopolis, Pelusium, Alexandria von Interesse.76 Wichtigste Stadt Altägyptens war Memphis. Alexandria77 gewann dann nach der Gründung durch Alexander als eine der größten Metropolen des hellenischen Orients und Schauplatz einer wechselvollen Geschichte eine herausragende Bedeutung. Bekannt aus antiker Überlieferung war die Bedeutung und Blüte Alexandrias als Residenz der Ptolemäer und als Provinzhauptstadt des römischen Ägypten mit Sitz des Präfekten, wobei die militärische und ökonomische Vorrangstellung fester Bestandteil aller Beschreibungen ist.78 Allerdings waren die Mauern der Stadt schon zu Aurelians Zeiten verfallen.79 Reichtum und Luxus Alexandrias speisten sich aus dem Handel mit Getreide, Textilien, Glas, Papyrus, Gold- und Silberverarbeitung, Luxusgewerbe. Die wirtschaftliche Bedeutung und der Reichtum Alexandrias sind in römischer Zeit nicht zuletzt durch die Münzstätten bezeugt, in denen Silber- und Kupfermünzen bis 296 geprägt wurden.80 Beschrieben wurde der Stadtplan mit seinem Netz rechtwinkliger Straßen,81 den fünf Quartieren und zahlreiche Gebäude: die königliche Residenz mit ihren Gärten und Parkanlagen, Museion und Bibliothek, das Theater, das Emporium, Caesareion mit den beiden Obeslisken davor, Tempelanlagen, Werften und Magazine, schließlich die Gräber Alexanders und der Ptolemäer. Erwähnt werden auch ein Amphitheater, ein Hippodrom, Bäder und eine Nekropole im Osten der Stadt.82 Nilkanäle stellten nicht nur die Wasserversor73 Strabon, Geographika, Bd. 5, XVII. 1.3. Ed. Radt (2005), 410–415. 74 Lepelley, Rom (2001), 486–488. 75 Tacitus, Annalen, 2, 59. Ed. Heller (2011), 176  f. 76 Burnett, Images (2003), 66. 77 Bekannt auch unter dem ägyptischen Namen Rakotis, an deren Stelle Alexandria angelegt wurde. Sed iure laudetur in litore Aegyptii maris Alexandria, a Magno Alexandro condita in Africae parte ab ostio Canopico XII p. iuxta Mareotim lacum; qui locus antea Rhacotes nominabatur, Plinius, Historia naturalis V, 11 (62–64). Ed. Winkler/König (1993), 50–53; Tacitus, Historien, IV 84. Ed. Borst (2011), 506–509; Pausanias, Guide, V 21, 9. Ed. Taylor (2006), 320–323. Siehe Kapitel III.1.2. 78 Clauss, Alexandria (2003); Puchstein/Kubitschek, Alexandria (1893), Sp. 1377; Schubart, Alexan­ dria (1950); siehe III. 1. 2. Anm. 150 79 Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII 16, 15. Ed. Seyfarth (1978), 60  f. 80 Puchstein/Kubitschek, Alexandria (1893), 1388; Schubart, Alexandria (1950), 275. 81 Diodorus, Weltgeschichte, 17, 52. Ed. Wirth (2009),71; Puchstein/Kubitschek, Alexandria (1893), Sp. 1383. 82 Polybios, Histories, Bd. IV, XV 30, 4.; 33, 12. Ed. Paton (2011), 602  f.; 612  f.; Plinius, Historia naturalis V, 11 (62–64). Ed. Winkler/König (1993), 50–53 und XXXVI, 14 (68  f.). Ed. König (1992), 54  f.; Strabon, Geographika, Bd. 5, XVII 793–795. Ed. Radt (2005), 426–433; Plutarch, Caesar 49. Ed. Pelling

Wissen aus der Antike 

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gung sicher, sie speisten auch die Mareotis.83 Die vollständigste Beschreibung geht auf Strabo zurück,84 auch Diodor85, Josephus86 und Ammianus Marcellinus87 schildern die Stadt. Die historischen Zäsuren der alexandrinischen Geschichte bildeten die Gründung durch Alexander 332 v. Chr., die Schlacht von Actium 31 v. Chr., die Zugehörigkeit zum Ostreich ab 495, 618 die Eroberung durch die Perser unter Chosrau und schließlich durch die Muslime 642. Die historischen und politischen Wechselfälle Alexandrias wurden fester Bestandteil mittelalterlicher Chroniken. Die in enger Verbindung mit dem Schicksal der Stadt stehenden Personen Alexander, Caesar, Kleopatra und Athanasius fehlen kaum in einer Darstellung. Ebenso berühmt wie die Stadt war der große, befestigte Hafen mit seinem nach der Insel Pharos benannten Leuchtturm.88 In römischer Zeit spielte der Durchgangshandel mit Arabien, Ostafrika und Indien, der Gewürze, Seide und weitere Produkte ins Römische Reich vermittelte, eine große Rolle. Charakteristikum der Metropole war ihre kosmopolitische Einwohnerschaft.89 Die Bevölkerung wurde jedoch negativ beschrieben: als unbotmäßig und leidenschaftlich.90 (2011), 113  f.; Plutarch, Kleomenes 37. Ed. Ar (1935), 184–186; Josephus, Bello, II, 18, 7 (Bd. 1). Ed. Michel/Bauernfeind (2013), 278–281; Sueton, Augustus 17. Ed. Ihm (1958), 54–56. Weitere Gebäude und Monumente bei Puchstein/Kubitschek, Alexandria (1893), Sp. 1384–1387. Auch vor dem Arsinoeion standen zwei Obelisken, die Maximus auf die Agora versetzen ließ. Im westlichen Teil Alexandrias lag das ägyptische Viertel, die Altstadt Rakotis, mit dem Serapeion und der Pompeiussäule aus der Zeit Diokletians (284–305), ebd., Sp. 1386. 83 Strabon, Geographika, Bd. 5, XVII 793. Ed. Radt (2005), 426–429. 84 Strabon, Geographika, Bd. 5, XVII 791–795. Ed. Radt (2005), 420–433. 85 Diodorus, Weltgeschichte, 17, 52. Ed. Wirth (2009), 71. 86 Josephus, Bello, IV, 5 (Bd. 2). Ed. Michel/Bauernfeind (2013), 94–97. 87 Ammianus Marcellinus, Geschichte, XXII 16, 7–23. Ed. Seyfarth (1978), 58–63. 88 Bekannt war die Insel schon seit Homer, Homer, Odyssee, IV 354–358. Ed. Weiher (2014), 100  f. Dazu Kapitel III.1.2. 89 Die Bevölkerung setzte sich schon früh aus ansässigen Ägyptern, Griechen und Juden zusammen, die gesondert in eigenen Stadtbezirken leben, Dion Chrysostomos, Orationes XXXII, 40. (An die Alexandriner). Ed. Elliger (1967), 419–456; 434 In römischer Zeit kamen noch Angehörige des Römischen Reiches hinzu und Latein löste Griechisch als Amtssprache ab. In Alexandria lebte die größte jüdische Diasporagemeinde mit einer eigenen Verfassung und dem Recht der freien Religionsausübung. Hier entstand die griechische Übersetzung der Bibel (Septuaginta). Spannungen führten 38 zu schweren antijüdischen Ausschreitungen, Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985), 19–21. 90 „Polybios at least, who visited the city, was disgusted with its condition at the time. He says it is inhabited by three classes of people, first the native Egyptians, volatile and resistant to civil control; secondly by the mercenaries, a numerous, overbearing, and uncultivated set, it being an ancient practice there to maintain a foreign armed force which owing to the weakness of the kings had learned rather to rule than to obey; thirdly there were the Alexandrians themselves, a people not genuinely civilized for the reason, but still superior to the mercenaries, for though they are mongrels they came from a Greek stock and had not forgotten Greek customs“, Polybios, Histories, Bd. VI, XXXIV, 14. Ed. Paton (2012), 372  f.; Dion Chrysostomos, Orationes XXXII, 40. (An die Alexandriner). Ed. Elliger (1967), 419–456; Strabon, Geographika, Bd. 5, XVII 797. Ed. Radt (2005), 436–439.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

Insgesamt waren damit in antiken Quellen eine Fülle genauer Informationen über das alte Ägypten enthalten und mittelalterlichen Gelehrten zugänglich, die selektiv rezipiert und genutzt wurden.91 Bei mittelalterlichen Verfassern historiographischer Werke sind eine große Anzahl an antiken Quellen nachweisbar: u.  a. Platon (Timaeus), Aristoteles, Plinius, Solinus, Boethius, Hermes Trismegistus, Cicero, Seneca, Juvenal, Priscian, Origines, Paulus Orosius, Cyprian, Hilarius von Poitiers, Johannes Chrysostomos, Cassiodor, die Chronik des Eusebius, Isidor, Josephus, Rufinus, Jordanes, Paulus Diaconus.92 Die Schriften Strabos und die Geographie des Ptolemäus waren nicht disponibel.93 Das von den antiken Autoren tradierte Bild des alten Ägypten war ambivalent: Auf der einen Seite stand Ägypten als Metapher für Wissen und Weisheit, auf der anderen Seite wurde schon vor der Christianisierung der Götzendienst angemahnt. Von noch größerer Relevanz für das Mittelalter war das nicht minder mehrdeutige Bild, welches vom Alten und Neuen Testament, den Kirchenvätern, apokryphen Schriften und der christlichen Tradition vermittelt wurde.

IV.2 Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten In der hebräischen Bibel nahm das Nachbarland Palästinas eine prominente Rolle ein, vollzog sich die Geschichte Israels doch weithin im Beziehungs- und Spannungsverhältnis zu der dominanten Nachbarkultur.94 Die erste Erwähnung Ägyptens findet sich in der Geschichte Abrahams: Als über das Land eine Hungersnot kam, zog Abraham nach Ägypten hinab, um dort zu bleiben, denn die Hungersnot lastete schwer auf dem Land.95 Ägypten erscheint dann namentlich als Wirkungsbereich Josefs, dem Lieblingssohn Jakobs, der von seinen Brüdern als Sklave verkauft und nach Ägypten verschleppt wurde: Josef hatte man nach Ägypten gebracht. Ein Hofbeamter des Pharao, ein Ägypter namens Potifar, der Oberste der Leibwache, hatte ihn den Ismaelitern abgekauft, die ihn dorthin gebracht hatten. Der Herr war mit Josef, und so glückte ihm alles. Er blieb im Haus seines ägyptischen Herrn. Dieser sah, dass der Herr mit Josef war und dass der Herr alles, was er unternahm, unter seinen Händen 91 Burnett, Images (2003), 78  f. 92 Otto von Freising, Chronik. Ed. Lammers (2011), XXXIV–XXXVIII; siehe auch die Liste Otto von Freising, Chronica. Ed. Hofmeister (1912), XCIf.; Honorius Augustodunensis, Imago. Ed. Flint (1982), 13; Gervasius von Tilbury, Otia. Ed. Binns/Banks (2002), xliif. 93 Burnett, Images (2003), 66. 94 Ägypten wird an zahlreichen Stellen unter verschiedenen Bezeichnungen genannt, Kessler, Ägyptenbilder (2002); Pfeifer, Ägypten (1995), 2–4; Görg, Beziehungen (1997); Ders., Ägypten (1993); Ders., Studien (1992); Ders., Aegyptiaca-Biblica (1991); Ders., Schriftenreihe „Ägypten und Altes Testament“; Donner, Geschichte (1995); Hermann, Israel (1964); Morenz, Ägypten (1957). 95 Gen 12, 10–20; Callender, Kingdom (2000). Die Auswanderung Abrahams hat sich etwa zur Zeit der zwölften Dynastie am Übergang vom Alten zum Mittleren Reich zugetragen (ca. 1995 v. Chr.).

Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten 

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gelingen ließ. So fand Josef sein Wohlwollen, und er durfte ihn bedienen. Er bestellte ihn zum Verwalter seines Hauses und vertraute ihm alles an, was er besaß. Seit er ihm sein Haus und alles, was ihm gehörte, anvertraut hatte, segnete der Herr das Haus des Ägypters um Josefs willen.96

Aufgrund seiner Fähigkeiten als Traumdeuter wurde Josef vom Pharao befördert und stand als Vizir im Dienste des Pharaos.97 Der Pharao sagte zu ihnen: Finden wir einen Mann wie diesen hier, einen, in dem der Geist Gottes wohnt? Dann sagte der Pharao zu Josef: Nachdem dich Gott all das hat wissen lassen, gibt es niemand, der so klug und weise wäre wie du. Du sollst über meinem Hause stehen, und deinem Wort soll sich mein ganzes Volk beugen. Nur um den Thron will ich höher sein als du. Der Pharao sagte weiter zu Josef: Hiermit stelle ich dich über ganz Ägypten.98

Seine Heirat mit Asenath machte Josef zum Schwiegersohn des Sonnenpriesters.99 In größter Not kam die gesamte Familie Jakobs nach Ägypten, wurde somit gerettet und wieder zusammengeführt.100 Josefs Söhne Manasse und Ephraim beanspruchte Jakob für sich.101 In der christlichen Exegese wurde Josef früh zum exemplum Christi stilisiert.102 Neben der Josef-Christus-Typologie war der Josefstoff aufgrund seiner dramatischen und moralischen Aspekte beliebt.103 Umfangreiche Zyklen und ebenso einzelne Szenen der Josefsgeschichte sind in byzantinischer, spätantiker und mittelalterlicher Ikonographie, in Kapitellplastik, Buch- und Glasmalerei nachweisbar.104 Während Ägypten in der Josefsgeschichte positiv konnotiert ist, wurde es in der Folgezeit zum Ort der Knechtschaft des israelischen Volkes und seines Anführers Moses, der hier seine Erziehung durch die Tochter des Pharaos erhielt.105 Mose wurde von Gott mit der Rettung Israels beauftragt.106 Nach jeder Weigerung des Pharao, Israel ziehen zu lassen, schickte Gott eine Plage über Ägypten.107 Nach der letzten Plage, dem Tod der Erstgeborenen Ägyptens,108 zogen die Israeliten 40 Jahre durch

96 Gen  39, 1–5. Siehe dazu auch Lux, Josef (2014); Weimar/Raspe, Josef (2009); Weimar, Studien (2008); von Rad, Josefsgeschichte (1974). 97 Gen 37–50; Pfeifer, Ägypten (1995), 43–48. 98 Gen 41, 38–41. 99 Gen 41, 50. 100 Gen 46; Lux, Josef (2014), 196–205. 101 Gen 48. 102 Lux, Josef (2014), 284–294. Vgl. Apg 7, 9–16. 103 Weimar/Raspe, Josef (2009), Sp. 998. 104 Nilgen, Josef (1970); z.  B. die Emailtafeln des 12. Jahrhunderts des Klosterneuburger Altars mit der Grablegung Jesu, Josefs Sturz in die Zisterne und Jonas Sturz in den Rachen des großen Fisches, Abbildung in Lux, Josef (2014), 289. 105 Ex 1–2. Gertz, Mose (2008); Ders., Anfänge (2002); Nützel/Maier, Mose (2009). 106 Ex 3. 107 Ex 20. 1–17; Deut 5, 6–21; Levinson/Levinson, Biologie (2008); Hort, Plagues (1957). 108 Ex 7, 14–11, 29.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

Abb. 23: Josef wird von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft, Buchmalerei aus dem Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (Elsass), 1185 oder auch erst 1195 (Oexle). Das Original ist 1870 verbrannt, Teilkopie des 19. Jahrhunderts. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hortus_Deliciarum#/media/File:Hortus_Deliciarum,_Josef_wird_ von_seinen_Brüdern_nach_Ägypten_verkauft.JPG, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.)

die Wüste bis sie das gelobte Land erreichten.109 Im Sinai, dem „Ort der grundlegenden Gottesoffenbarung“, kam es zur Bekanntgabe des Dekalogs und zum Bundeschluss. Bereits innerhalb des Alten Testaments wurde Moses zur symbolträchtigen literarischen Gestalt, in den synoptischen Evangelien besonders seine Funktion als Gesetzgeber hervorgehoben. Ägypten wurde in der Tradition v.  a. mit dem Exodus des Volkes Israel, dem Ursprungsmythos des Volkes Israel, assoziiert, der im jährlichen Pessachfest kommemoriert wird110 und einen festen Bestandteil der christ­ lichen Osterliturgie darstellt. Neben einer reichhaltigen Mosesliteratur sind seit dem Frühchristentum etliche Darstellungen in der Kunstgeschichte belegt. Hauptattribute Mose sind die Gesetzestafeln und der Mosesstab.111 Die nächste Nennung Ägyptens in der Schrift stammt erst wieder aus der Zeit Salomos, aus einer Phase politisch motivierter Annäherung zwischen Ägypten und Israel.112 Salomo heiratete eine ägyptische Prinzessin, Pharao Sisak gewährte Jerobeam Zuflucht vor Salomo und fiel schließlich in Judäa ein und plünderte Jerusa-

109 Ex 15, 22–18, 27. 110 Assmann, Katastrophe (1991); Ders., Gedächtnis (1992), 196–228; Berner, Exoduserzählung (2010); Bimson, Auszug (2004); Finkelstein/Silbermann, Posaunen (2002), Gertz, Tradition (2000); Schmidt, Exodus (1983); Hermann/Dexinger, Exodusmotiv (1982); Görg, Ausweisung (1978). 111 Gertz, Moses (2008); Nützel/Maier, Mose (2009), Sp. 491; Schlosser, Moses (1971). 112 Görg, Ägypten (1993), Sp. 257  f.

Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten 

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Abb. 24: Moses führt die Israeliten durch das Rote Meer, Buchmalerei aus dem Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hortus_Deliciarum#/media/File:Hortus_ Deliciarum,_Moses_führt_das_Volk_Israel_durch_das_Rote_Meer.JPG, letzter Zugriff am 31. 07. 2017.)

lem.113 Besiegt wurde Ägypten schließlich von Nebukadnezar, dem Herrscher Babylons.114 Als wichtigste Sekundärquelle bot die Heilige Schrift neben der biblischen Geschichte eine Fülle an Auskünften über die Beschaffenheit des Landes, Geographie, Naturraum, klimatische Verhältnisse, Bevölkerung, Städte, Wirtschaft und Geschichte. Ägyptens nordöstliche Grenze zu Israel markierte der „Strom oder Bach Ägyptens“, bei dem es sich wohl um den Wadi el-Arisch handelt, während die Westgrenze nicht erwähnt wird.115 Der Weg von Kanaan nach Ägypten führte durch karges Land und Wüste, in der wilde Tiere hausten.116 Landschaftlich ist Ägypten als flaches Land gekennzeichnet, das aufgrund des spärlichen Niederschlags auf künstliche

113 1 Kön 11, 40; 14, 25–26; 2 Chr 12, 2–9. 114 2 Kön 24, 7; Jer 46, 2–12. 115 Gen 15, 18; Num 34, 5; Jos 15, 4.47; 1 Kön 8, 65; 2 Kön 24, 7; Jes 27, 12; 2 Chr 7, 8; weitere Belege bei Pfeifer, Ägypten (1995), 5. 116 Jes 30, 6.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

Bewässerung angewiesen war.117 Der Ackerbau brachte ausreichende Ernte an Gerste, Weizen und Emmer hervor,118 schon Abraham zog wegen der anhaltenden Hungersnot nach Ägypten. Die Josefsgeschichte bezeugt dann nachdrücklich die Bedeutung des Getreideanbaus für Ägypten und seine Nachbarvölker, die auf Ägyptens Reserven angewiesen waren.119 Als landwirtschaftliche Produkte sind auch Gurken, Wassermelonen, Porree, Zwiebeln, Knoblauch120 und Wein121 belegt. Feigen, Granatäpfel und weitere Baumfrüchte werden genannt122 sowie Flachs für die Produktion feinen Leinens,123 Papyrus124 und Schilf.125 Weitere Wirtschaftszweige neben der Landwirtschaft waren Viehhaltung,126 Fischfang,127 Textilhandwerk128 und Ziegelherstellung.129 Eisen- und Bronzewaren, Gold und Silber130 wie auch Pferde,131 Korn und Leinen wurden ausgeführt.132 Neben einer Reihe von Nutztieren – Schafe, Ziegen, Kühe, Pferde, Kamele, Esel und Eselhengste – ist Ägypten Heimat gefährlicher Tiere wie Nilpferd, Krokodil und Wild, die in Palästina nicht vorkommen.133 Beschrieben wird die Bewässerung des Landes durch die Nilschwelle,134 doch erscheint der Nil nicht nur in günstigem Licht. Auf Gottes Geheiß verdirbt das Trinkwasser, die Fische verenden,135 das Wasser wird zu unter Moses Stab zu Blut.136 Oft wird Ägypten von Katastrophen heimgesucht: Dürre,137 Hagel und Unwetter,138 ver-

117 Gen 13, 10; Dtn 11, 10  f. 118 Ex 9, 32. 119 Gen 41, 5.22; 6.23; 26. 27; 42, 1.2.19.16.33; 43, 2; 44, 2; 47, 14. 120 Num 11, 5. 121 Gen 40, 9–13; Num 20, 5; Ps 78, 47; 105, 33. 122 Ex 10, 15; Num 20, 5; Ps 105, 33; Hi 40, 21. 22. 123 Ex 9, 31; Jes 19, 9; Prov 7, 16. 124 Ex 2, 3; Jes 18, 2; ohne direkten Bezug auf Ägypten Jes 35, 7; Hi 8, 11. 125 Ex 2, 3.5; Jes 19, 6. 126 Kleinvieh und Rinder, Esel, Kamele in Gen 12, 16, 47, 17, Ex 9, 3. 20. 21; Pfeifer, Ägypten (1995), 71  f. 127 Num 11, 5; Jes 19, 8. 128 Jes 19, 9. 129 Ex 1, 13; 5, 6–19. 130 Ps 105, 18; Ps 68, 32; Dan 11, 43. 131 Dtn 17, 16; 1 Kön 10, 28  f.; 2 Chr 1, 16  f.; 9, 28. 132 Jes 23, 3; Ez 27, 7; Prov (Sprichwörter) 7, 16. 133 Pfeifer, Ägypten (1995), 22; 24. 134 Jes 23, 3. 135 Ex 7, 14–25; Ex 17, 5; Ps 78, 44; 105, 29. 136 Pfeifer, Ägypten (1995), 12. 137 Gen 41, 6.23.27. 138 Ex 9, 13–35; Ps 78, 47  f; 105, 32  f.

Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten 

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heerende Fluten,139 Frösche,140 Heuschrecken141 und undurchdringliche Finsternis142 bekunden das Eingreifen Jahwes.143 Die Bewohner Ägyptens werden ethnographisch als Nachkommen Hams gesehen.144 In der Verfluchung des zweiten Sohnes Noahs ist die nachrangige Stellung Afrikas gegenüber Asien und Europa begründet. Zur Verständigung mit ihnen werden Dolmetscher benötigt.145 Die Einwohnerschaft wird als sehr groß und aufgrund der zahlreichen Sklaven und Landfremden heterogen beschrieben.146 Söldner, Kaufleute, Gesandte, Kundschafter, politische Flüchtlinge fanden Aufnahme in Ägypten, darunter viele Israeliten, wie auch Moses und Hagar Israeliten waren und eine große jüdische Diaspora in Ägypten existierte, die wohl frei ihren Kult ausüben konnte.147 Aus der Umgebung Ägyptens werden weitere Völker angeführt, deren Angehörige teilweise in ägyptischem Dienst standen: im Süden die Kuschiten, die Rama, Kaphtorim und Ludim, die wohl in Vorderasien beheimatet waren, die Länder Seba und Chavila.148 Für Ägypten selbst scheint es eine Unterscheidung in Ober- und Unterägypten gegeben zu haben.149 Verschiedene Städte und Ortschaften in der Funktion politischer Zentren für den jeweiligen Umkreis werden genannt: u.  a. Assuan (Syene),150 Theben (No),151 Heliopolis (On),152 Memphis (Mof).153 Befestigte Plätze und Palast­ anlagen demonstrieren die militärische Vormachtstellung Ägyptens.154 In der Beschreibung der Eigenschaften der Ägypter wird die sexuelle Konstitution und Lüsternheit besonders der Männer hervorgehoben, die Frauen hingegen seien weniger gebärtüchtig als die Hebräerinnen.155 Die Männer sind beschnitten,156 Promiskuität und Ehebruch werden thematisiert.157 Erwähnung finden auch die von 139 Ex 9, 33  f.; Ps 78, 47. 140 Ex 7, 26–29; 8, 4–11; Ps 78, 45; 105, 30. 141 Ex 10, 13. 142 Ex 10, 21–29. 143 Siehe Anm. 107. 144 Gen 10,1 u. 6; Ps 105, 23, 27; 106, 22; vgl. Isidor, Etymologiae, VI.6. 17 und IX. 2. 10. Ed. Lindsay (1911). 145 Gen 42, 23. 146 Ex 12, 38; Ez 30, 5; Jer 25, 19; Jer 46, 21; Nah 3, 9. 147 Ex, 1, 7; Dtn 26, 5; Ps 105, 23, weitere Belege bei Pfeifer, Ägypten (1995), 37–43; 50–58. 148 Pfeifer, Ägypten (1995), 34. 149 Pfeifer nimmt die Bezeichnung Misrajim für Unterägypten (Jes 11, 11 und Jer 44, 1.15) und Patros für Oberägypten (Jes 11, 11; Jer 44, 1.15; Ez 29, 14; 30, 14) an, Pfeifer, Ägypten (1995), 7. 150 Ez 29, 10; 30, 6. 151 Jer 46, 25; Ez 30, 14  ff. 152 Gen 41, 45. 153 Hos 9, 6; Jes 19, 13. 154 Pfeifer, Ägypten (1995), 76–78. Aufzählung von Städten in Gen 41, 48; weitere Belege für Ortschaften bei Pfeifer, Ägypten (1995), 27–31 und Görg, Ägypten (1993), 256  f. 155 Ez 16, 26; 23, 20; Ex 1, 19. 156 Jer 9, 24  f.; Ez 31, 18; 32, 17–32. 157 Lev 18, 3; Gen 12, 10–20; Gen 39, 7–20.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

den antiken Autoren hervorgehobene Weisheit und das Wissen; stärker betont aber werden Geheimkünste, Zauber und Magie.158 Den Ägyptern war Jahwe wohl bekannt, sie bekehrten sich aber wider Erwarten nicht zu ihm und mussten schließlich seine Macht anerkennen.159 Prophezeit wird dem Ort des Götzendienstes, der Unterdrückung und der Lüsternheit das Erkennen Gottes: Seht, der Herr fährt auf einer leichten Wolke daher; er kommt nach Ägypten. Vor seinem Angesicht zittern die Götter Ägyptens, den Ägyptern verzagt das Herz in der Brust. Ich hetz Ägypter gegen Ägypter, und sie kämpfen gegeneinander. (…) So wird in Ägypten niemand mehr etwas vollbringen (…) Der Herr wird sich den Ägyptern offenbaren, und die Ägypter werden an jenem Tag Schlachtopfer und Speiseopfer darbringen, sie werden dem Herrn Gelübde ablegen und sie auch erfüllen. Der Herr wird die Ägypter zwar schlagen, aber er wird sie aber auch heilen: Wenn sie zum Herrn umkehren, lässt er sich durch ihre Bitte erweichen und heilt sie. (…) Gesegnet ist Ägypten, mein Volk (…).160

Wesentlich für das alttestamentarische Ägyptenbild war, wie auch bei antiken griechischen und römischen Autoren, das Verhältnis des eigenen Volkes zu Ägypten. Im Falle Israels standen Aufenthalt und Auszug aus Ägypten am Anfang seiner Geschichte, die erheblich durch die Beziehung zu Ägypten mitbestimmt war.161 Neben der ägyptenkritischen Exodusüberlieferung und der Josefsgeschichte existiert ein dritter Perspektivstrang, der die Außenpolitik und das realpolitische Verhältnis zwischen Israel und Ägypten thematisiert und bei den Propheten des 8. Jahrhunderts (Hosea, Jesaja, Jeremia, Ezechiel) zu finden ist.162 In diesem außenpolitischen Ägyptendiskurs wird Ägypten als Bündnispartner abgelehnt, was mit der Hybris und Unzuverlässigkeit Ägyptens als Bündnispartner, nicht jedoch mit dem Exodus begründet wird.163 Auf158 Ex 7, 11; Gen 41, 8; 1 Kön 5, 10; Jes 19, 11, Ps 8 und 104. 159 Ez 29, 6; Jes 45, 14  f.; 19, 18; Ps 68, 32. 160 Jes 19. 161 „Kein fremdes Volk spielt für das Selbstverständnis der Hebräischen Bibel eine solche Rolle wie das Großreich am Nil. Ohne das Ursprungsgeschehen des Auszuges aus Ägypten und ohne die alles überragende Gründerfigur des Mose ist die Identität Israels nicht denkbar. (…) Solange für das Selbstverständnis Israels JHWH zwar sein Gott ist, neben dem aber andere Völker andere Götter haben, erwächst daraus kein grundsätzliches religiöses Problem für das Verhältnis zu den Anderen. Das erste Gebot beschränkt sich darauf, für Israel die Verehrung anderer Götter zu verbieten; dass sie nicht existieren, behauptet es nicht. (…) Dies wird anders in dem Maß, in dem JHWH, der Gott Israels, zugleich zum Herrn der ganzen Welt und zum geheimen Lenker aller Völker und Geschichte wird. (…) Allmählich wird der für Israel einzige Gott zu dem einen Gott, neben dem es keine anderen Götter gibt. Er bleibt aber zugleich immer der Gott Israels, der sein Volk aus Ägypten herausgeführt hat. So wird Ägypten in das monotheistische Bekenntnis eingeschrieben“, Kessler, Ägyptenbilder (2002), 9. „Die Grundfrage an den Monotheismus, wie er nämlich mit denjenigen umgeht, die nicht an den einen Gott glauben, sondern bei ihren Göttern bleiben, muss sich für die Hebräische Bibel paradigmatisch am Verhältnis Israels zu Ägypten ablesen lassen“, ebd. 162 Kessler, Ägyptenbilder (2002), 14–90. 163 Ebd., 89  f.; Pfeifer, Ägypten (1995), 101–105. Zur negativen Darstellung Israels in Ägypten ebd., 50–57.

Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten 

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grund der recht unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Erzähltraditionen im Alten Testament ergibt sich in der Beurteilung Ägyptens ein disparates Bild, das je nach der politischen Stellung der Juden in Ägypten zwischen Anerkennung und Verwerfung Ägyptens oszillierte.164 In der mittelalterlichen Exegese des Alten Testaments wurden die vorgezeichneten Linien im ägyptisch-israelischen Verhältnis allegorisch und typologisch ausgedeutet.165 Fest verankert als Referenzpunkt in Tradition und Bewusstsein von Juden und Christen war das Motiv des Auszugs aus Ägypten.166 Dieses elementare Ereignis der jüdischen Geschichte wurde in christlicher Exegese nicht nur als Befreiung aus der Knechtschaft verstanden, es war zugleich Sinnbild für die Befreiung der Unmündigen aus Sünde und Knechtschaft des Gesetzes durch Jesus Christus.167 Ägypten stand allegorisch für die Heilsgeschichte jedes Christen: Die Flucht durch das Rote Meer wird mit der Taufe gleichgesetzt, die den Christen in den Status der Gnade versetzt wie einst das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen. Die Taufe bedeutet den Eintritt in die Gemeinschaft der Christen und bildet als Reinigungsritus einen komplementären Vorgang zum Exorzismus.168 Sie steht für einen „Herrschaftswechsel“ vom Reich des Teufels in das Reich Gottes, wobei der Exorzismus bis zum 12. Jahrhundert massiv an Bedeutung gewann.169 In der typologischen Deutung entsprach Ägypten in dieser Lesart der Verdammnis, konnte gar mit der Hölle identifiziert werden.170 Etymologisch wurde die aufgrund der Nilschwemme ursprünglich positiv konnotierte Selbstbezeichnung des „schwarzen Landes“ mit Finsternis und Bedrängnis in Verbindung gebracht.171 Die Zehn Plagen bildeten das negative Gegenstück des Dekalogs.172 Gedeutet wurden die

164 „Das die ‚ältere Bibel‘ beherrschende Bekenntnis zu JHWH ruht auf dem Glauben an die ‚Herausführung‘ aus Ägypten. ‚Ägypten‘ erscheint denn auch überwiegend als ein Land der Unfreiheit, gilt als ‚Haus der Knechtschaft‘. Demgegenüber sieht die bekannte Erzählung von ‚Josef in Ägypten‘ das Land in einem ganz anderen Licht: Hier begegnet es als attraktive Region der faszinierenden Fremdheit, als Ort mit geheimnisvoller Vergangenheit, aber auch als Raum der internationalen Akzeptanz, voll von Humanität und Zukunftsfreude“, Görg, Beziehungen (1997), 1; Ders., Ägypten (1993), Sp. 258. 165 Scharff, Rückkehr (2001), 437. 166 Bezeugt auch durch außerbiblische Quellen: Diodorus, Weltgeschichte, 40, 3, 1–8. Ed. Wirth (2008), 294–296; Flavius Josephus, Ursprünglichkeit, I, 227–254. Ed. Siegert (2008), 144–149; Strabon, Geographika, XVI, II, 35–36. (Bd. 4.) Ed. Radt (2005), 340  f.; siehe Anm. 110. 167 Gal 4, 1. 168 Burnett, Images (2003), 70  f.; Hrabanus Maurus, Commentariorum Ed. Migne (1851), Sp. 9; Pseudo-Beda Venerabilis, Pentateuchum, c. 15. Ed. Migne (1862), 311; Gerhoh von Reichersberg, Moysis I. Ed. Migne (1855). 169 Angendendt, Geschichte (32005), 468  f. 170 Scharff, Rückkehr (2001), 440. 171 Hieronymus, Liber. Ed. Lagarde (1959), 61; in der Passion der Perpetua symbolisiert der Ägypter das Böse, Habermehl, Perpetua (1992), 145–160. 172 Origenes, Homilia  IV. Ed. Baehrens (1920); Augustinus, Plagis. Ed. Lambot (1961); Honorius Augusto­dunensis, Plagis. Ed. Migne (1895); Petrus Damiani, Plagis. Ed. Migne (1853).

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

Plagen als jederzeit von Gott wiederholbare Strafen für die Übertretung der Gebote,173 konnten aber auch als Ketzer gedeutet werden.174 Der Pharao verkörperte den verwerflichen, schlechten Herrscher, wenn nicht den Teufel selbst, seine Beamten figurierten als Ketzer im Auftrag des Teufels.175 In der Zeit des Investiturstreites erfuhr die Verbindung von Grausamkeit, Härte und Tyrannei mit der pharaonischen Herrschaft eine Aktualisierung in der Bezeichnung zeitgenössischer Herrscher. Die Dichotomie der Ägyptenmetapher von Finsternis und Licht eignete sich für die Positionierung in der Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Papsttum. Das mit Ägypten in Verbindung stehende semantische Feld stand prototypisch für fehlgeleitete, gottlose Herrschaft.176 Die häufige Verwendung dieser Metapher, deren Verständnis in der Leserschaft vorausgesetzt wurde, verweist auf die Präsenz dieses Negativbildes nicht nur innerhalb des theologisch-religiösen, sondern auch des politischen Diskurses.177 Die Begriffe Pharao und Babylon bezeichneten daneben auch den aktuellen Herrscher und sein Land.178 Vornehmlich in der Kreuzzugschronistik wurden diese Termini aktualisiert und konnten leicht falsche Bezüge herstellen, wenn der Kalif als rex Babylonis mit dem Herrschaftsraum regnum Babylonicum geographisch nicht mehr eindeutig zuzuordnen war.179 Dem negativen Bild der Exegese entsprach auch die Einordnung der schon bei den Römern bekannten dies Aegyptiaci (Unglückstage) in die Negativtypologie Ägyptens. Ursprünglich aufgrund des ägyptischen Systems der Tageszuordnung (Loskalender) als ägyptisch bezeichnet,180 wurde eine Verbindung zwischen Ägypten und dem „Unglück“ dieser Tage etabliert. „Auch das Mittelalter erklärte – wie die Antike – den Namen dieser Unglückstage mit ihrer ‚Erfindung‘ durch die Ägypter. Die Gelehrten brachten aber nun die Tage mit ihrem exegetischen Wissen über Ägypten und seine typologische Bedeutung in Einklang: Die Ägypter hätten, so Honorius Augustodunensis in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, die dies Aegyptiacie eingeführt. Und weil nun Ägypter tenebrae (‚Dunkelheit‘) bedeute, müsse man diese Tage auch als tene­ brosi bezeichnen, weil sie die Unvorsichtigen zur Dunkelheit des Todes führten.“181

173 Honemann, Gebote (1999), Sp. 1503 174 Scharff, Rückkehr (2001), 440. 175 Heißt er doch „Pharao der Bedrückung“, Ex 1, 8. Die Warnung vor dem Pharao wird besonders deutlich in Ez 31, 1–18; in Ez 29, 1–6 wird er mit einem Seeungeheuer verglichen, Pseudo-Beda Venerabilis, Pentateuchum. Ed. Migne (1862), Sp. 288; Rupert von Deutz, Verbi, IV c. 1. Ed. Haacke (1970), 118. 176 Mit der Bezeichnung Pharao wurden im 13.  Jahrhundert Tyrannen als grausam empfundene Herrscher bedacht, so auch Friedrich II., Scharff, Rückkehr (2001), 445–447. 177 Rufinus von Sorrent, Pacis, II, c. 1; II, c. 2–7. Ed. Deutinger (1997), 102–114. 178 Fulcher, Historia, I. c. 31. Ed. Hagenmeyer (1913), 311  f.; siehe Kapitel IV, 3. 179 Erklärend hier Otto von Freising, Chronik, VII, c. 3. Ed. Lammers (2011), 502–505; Scharff, Rückkehr (2001), 451. 180 Müller, Zeit (2006), 34; Scharff, Rückkehr (2001), 442; Harmening, Superstitio (1979), 164–169. 181 Dies Egyptiaci ideo dicuntur quia ab Egyptiis sunt inventi. Et quia Egyptus dicitur tenebre, ipsi tenebrosi inde nominantur, eo quod incautos ad tenebras mortis perducere affirmantur, Honorius Au-

Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten 

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Petrus Comestor bezog die dies Aegyptiacie direkt auf die Plagen: Notandum quia plures fuerunt in Aegypto plagae quam decem, quas Exodus non enumerat, sed non fuerunt adeo graves fortes, et ideo tacentur. Unde quidem dies Aegyptiaci dicuntur, quia in his passa est Aegyptus, quorum duos tamen in singulis mensibus notamus ad memoriam, cum plures forte fuerint.182 Das finstere Bild Ägyptens, das die Kinder Gottes verlassen haben, stellte aber nur einen, wenn auch in der Exegese des Mittelalters äußerst wirkmächtigen Aspekt dar. Ägypten blieb daneben Aufenthaltsort des von Gott auserwählten Volkes und keinesfalls von der Erlösung ausgeschlossen.183 In allegorischer Lesart, wie sie die Bibelkommentare der Glossa Ordinaria überliefern, präfiguriert das Ägyptische Exil und der Exodus die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten und dann die Rückkehr nach Palästina. Im Neuen Testament steht Ägypten im Zusammenhang mit der Flucht der Heiligen Familie als Land, das Jesus, Maria und Joseph (und die Amme Salome) vor der Verfolgung des Herodes schützte.184 Zwar wird der Aufenthalt in Ägypten nur im Matthäusevangelium ohne weitere Ortsangaben erwähnt.185 Berichte über die einzelnen Etappen186 und Wunder auf dem Weg bis nach Deir-al-Mouharraq 340 km südlich von Kairo sind in neutestamentlichen apokryphen Schriften – wie das Pseudo-Matthäusevangelium, das Kindheitsevangelium des Thomas, das Arabische Kindheitsevangelium – und anderen Überlieferungen enthalten.187 Überliefert sind gustodunensis, Imago, II c. 120. Ed. Flint (1982), 123; weitere Quellenbeispiele bei Scharff, Rückkehr (2001), 443. 182 Petrus Comestor, Historia, c. 24. Ed. Migne (1855), Sp. 1152  f.; zu Petrus Comestor zuletzt Dahan, Pierre le Mangeur (2013). 183 Jes 19, 21–25; 36, 6; Dan 11, 40–43; Zeph. 3, 9–10; Psalm 68, 32. 184 Dazu Kapitel III.1.5. 185 Mt 2, 13–20. 186 Die Fluchtroute führte von Bethlehem durch die hebräische Wüste ins Jordantal, vermutlich die Karawanenstraße entlang über Askalon, Hebron, Gaza, Rafa zum Wadi el-Arisch, der Grenze nach Ägypten. Von El-Arisch (Rhinocolura) aus erreichten sie Pelusium (Farama) und brachen von hieraus ins Nildelta auf, setzten die Reise nordwärts nach Sebennytos (Samannûd) fort, überquerten den Damietta- und weiter westwärts den Rosettanilarm, gelangten dann nilaufwärts nach Heliopolis (On). Besondere Bedeutung kam dem Aufenthalt in Matariya unweit der jüdischen Kolonie Leontopolis zu. Der Weg führte anschließend nilaufwärts vorbei an Babylon und den Pyramiden. Die südlichste Station der Flucht war wohl Deir el-Mouharraq. Nach dem Tod des Herodes reiste die Familie nilabwärts dieselbe Strecke bis Babylon und Matariya zurück, über Bilbais durch das Wadi Tumilat auf der alten Karawanenstraße nach Nazareth. Die Marschroute ist in verschiedenen Versionen überliefert, Mei­ nardus, Familie (1988), 17–21; 48–57; 60; Ders., Saints (2002), 89–92. 187 Parante autem Herode parvulis necem Ioseph per angelum monetur ut eum in Aegyptum transferat, Aegyptum idolis plenam et omnigenum deum monstra venerantem. Iam post Iudaeorum insectationem et in exstinguendo eo profanae plebis adsensum Christus ad gentes inanissimis religionibus deditas transit et Iudaeam relinquens ignoranti eum saeculo colendus infertur, Bethleem id est Iudaea martyrum sanguine reduntante, Hilarius von Poitiers, In Matthaeum I.6. Ed. Doignon (1978), 98–101; Cannuyer, Coptes (1996), 15; Meinardus, Familie (1988). Siehe dazu Markschies/Schröter, Apokryphen (2012); Schneider, Evangelia (1995); Weidinger, Apokryphen (1994); siehe auch Kapitel III.1.5.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

neben den Stationen und wiederkehrenden Motiven der Quell- und Baumwunder188 Umstände der Reise: Zollzahlungen, die Begegnungen mit Wegelagerern, gefährliche Tiere, Löwen, Panter und Krokodile, Ablehnung und Misstrauen bei der einheimischen Bevölkerung. Häufiges Motiv ist der Kampf gegen Dämonen und die Zerstörung heidnischer Götzen. Die nichtkanonisierten Darstellungen der Kindheit Jesu fanden Aufnahme im lateinischen Schriftgut, so in der Legenda aurea.189 Eine positive Deutung erhielt Ägypten als eines der ersten Länder, das direkt mit dem Christentum in Verbindung kam. Ohnehin war Alexandria schon eng mit der Entstehung der Septuaginta verbunden, jetzt wurde die Stadt als Ausgangspunkt des ägyptischen Christentums und als Aufenthaltsort des Apostelschülers Marcus und Patriarchensitz geadelt. Thema in der lateinischen Überlieferung sind die vom zweiten bis vierten Jahrhundert anhaltenden Christenverfolgungen und die zahlreichen Märtyrer, unter ihnen Leonidas, der Vater des Origines,190 wie auch die kirchenpolitischen Zusammenhänge, die mit Namen wie Clemens von Alexandrien, Origenes, Dionysius, Arius und Athanasius verknüpft sind.191 Positiv ist auch die Bedeutung Ägyptens für das Eremiten- und Koinobitentum einzuschätzen, als dessen Begründer Antonius gilt. Die Pachomiusregel fand durch die Übersetzung des Hieronymus Verbreitung, nach ägyptischem Muster wurden die Klöster Ligugé und Lérins gegründet.192 Bekannt waren der Aufenthalt von Melania und Rufinus, Johannes Cassian und Hieronymus in der ägyptischen Wüste. In der Spätantike und im Frühmittelalter bestand ein Reiseziel darin, das ägyptische Mönchtum aus eigener Anschauung kennenzulernen.193 Meist führte der Weg über Ägypten weiter ins Heilige Land, Erlebnisse wurden in Itinerarien und Pilgerberichten festgehalten.194 Einer der frühesten lateinischen Berichte stammt von Egeria (381–384).195 Aufgeführt werden zeitlich anschließend die Aufzeichnungen des Anonymus aus 188 Dazu Kapitel III.1.5. 189 Jacob von Voragine, Legenda. Ed. Maggioni (1998). 190 Origenes Vater fiel der Verfolgung durch Septimius Severus zum Opfer. Origenes selbst wurde inhaftiert und gefoltert. Von einschneidender Bedeutung war dann die Verfolgung unter Diokletian als „Ära der Märtyrer“. Mit dem Beginn der Regierungszeit Diokletians setzt die koptische Zeitrechnung am 29. August im Jahr 284 (A. M. = Anno Martyro) ein, Meinardus, Saints (2002), 27. Dazu auch Kapitel III.1.2. 191 Böhlig, Ägypten (1950). Christologische Fragen führten schließlich zur Trennung Ägyptens von der orthodoxen Kirche, nachdem der alexandrinische Bischof Dioscur auf dem Konzil von Chalkedon abgesetzt worden war, Cannuyer, Coptes (1996), 30  f. 192 Cannuyer, Coptes (1996), 27. 193 Berichte stammen u.  a. von Evagrius Ponticus (345/99), Palladios (388/399, Historia Lausaca), Basilius von Caesarea (330/379, Historia monachorum in Aegypto), Gregor von Nazianz (329/390), Epiphanius von Salamis (315–403), Severos von Antiochien (518/538), Julianos von Halikarnassos (535), Krause/Hoheisel, Ägypten II (1985), 68  f. 194 Vgl. Wilkinson, Pilgrims (1977); Osborne, Heap (1986); Amin, Ägyptomanie (2013), 94–112; ­Burnett, Images (2003), 68  f.; Graboïs, Description (2003); Khattab, Ägyptenbild (1982). 195 Egérie, Journal. Ed. Maraval (1982); Egeria, Itinerarium. Ed. Prinz (1960); Wilkinson, Egeria (1971).

Biblisches und religiöses Wissen über Ägypten 

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Piacenza (570),196 des Mönches Epiphanius Hagiopolita,197 des irischen Mönches Fidelis,198 von Adamnanus/Arculf199 und von Bernhard dem Mönch (870).200 Danach sind bis ins 13.  Jahrhundert keine Pilgerberichte mehr überliefert, so dass Ägypten als Pilger- und Wallfahrtsziel zumindest für Lateineuropäer des 12. Jahrhunderts der fernen Vergangenheit angehörte. Als Indiz fehlender direkter Begegnungen ist die Unkenntnis der Kopten zu werten, mit denen römisch-christliche Pilger bei einem längeren Aufenthalt in Ägypten in Interaktion getreten sein müssten. Bis ins 13. Jahrhundert sind diese auch den Franken der Kreuzfahrerherrschaften aber nicht als eigene christliche Glaubensgemeinschaft bekannt.201 Ägyptens Bedeutung als Geburtsland des Mönchtums bescheinigen Wilhelm von Poitiers und Otto von Freising:202 „In derselben Zeit tat sich Ägypten hervor durch viele Tausende von Heiligen, Jüngern des Antonius, die in der Wüste ein asketisches Leben führten.“203 „(…) in fruchtbarer, reicher Vermehrung“ haben sich die Koinobiten und Eremiten „über die ganze Erde ausgebreitet, und ihr Verdienst wie ihre Zahl ist in kurzer Zeit ungeheuer gewachsen (…) Sie wohnen aber am zahlreichsten, wie einst in Ägypten, so jetzt in Frankreich und Deutschland, so dass man sich über die Übertragung der Macht und des Wissens vom Orient auf das Abendland nicht zu wundern braucht, wo ja offensichtlich auf dem Gebiet der Religion dasselbe geschehen ist.“204

Der Verweis auf die zahlreichen Mönche in Europa, die dem Vorbild der ägyptischen Eremiten folgten, zielt ebenso wie die Bezeichnung beata Aegyptus auf die Wüste und Einöde, nicht auf das besiedelte und hoch entwickelte Land.205 Die Wüste Ägyptens als Heimstatt und Zufluchtsort der Heiligen, der zugleich Ort der Prüfungen und Versuchungen ist, verband sich mit der Vorstellung tiefer Frömmigkeit. Heiligkeit ist in diesem Kontext aber kein Attribut Ägyptens und auch nicht der Wüste, da erst „die Virtus des Heiligen (…) auch diesen gottlosen Raum mit ‚positiver‘ Bedeutung auf-

196 Antonini Placentii Itinerarium. Ed. Geyer (1965). 197 Donner, Palästinabeschreibung (1971). 198 Überliefert bei Dicuil, Liber. Ed. Bieler/Thierney (1967). 199 Adamnanus, Locis. Ed. Geyer (1965). 200 Bernard, Itinerarium. Ed. Ackermann (2010). 201 Dazu III.1.2 und III.1.5. 202 Guillaume de Poitiers, Histoire, c. 51. Ed. Foreville (1952), 124; Scharff, Rückkehr (2001), 436; Otto von Freising, Chronik, IV, 14. Ed. Lammers (2011), 328  f. 203 Per idem tempus florebat Egyptus multis sanctorum milibus ex Antonii discipulis in heremo philosophantibus, Otto von Freising, Chronik, IV, 14. Ed. Lammers (2011), 328  f. 204 Taliter intus et foris instructi ac per totum terrarum ambitum fertili copiosaque propagine merito et numero in inmensum in brevi multiplicati signis radiant (…) Manent autem, sicut olim in Egypti, sic et nunc in Galliae Germaniaeque partibus habundantius, ut in hoc haut mireris potentiae seu sapientiae ab oriente ad occiedentem translationem, cum de religione itidem factum eniteat, Otto von Freising, Chronik, VII, 35. Ed. Lammers (2011), 564–567. 205 Scharff, Rückkehr (2001), 436  f.; Rufinus, Historia. Prologus c. 1. Ed. Schulz-Flügel (1990), 243.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

laden [kann]“206. Da die Qualität der Heiligkeit des Landes von den dort lebenden „Heiligen“ abhängt, kann sie leicht – so wie bei Otto behauptet – nachgeahmt und übertroffen werden.207 Nach Thomas Scharff wurde dieser „monastische Diskurs“ jedoch nicht maßgeblich für das Mittelalter, prägend blieb die Exegese des Alten Testaments.208 Zu einem differenzierteren Resultat kommt Charles Burnett, in dem er die disparaten Ägyptenbilder des Mittelalters bis zur Renaissance den ebenso unterschiedlichen Interessen und Bildungsniveaus der Rezipienten zuordnet: „For the common people the predominant image of Egypt would have been as the antithesis of Israel and the epitome of idol-worship. For the scholar educated in classical literature, it was a land of myths and exotic gods, that provided a rich fund of metaphors (…).“209 Beide Historiker beziehen sich in erster Linie auf das „Alte Ägypten“ und auf die aus der Antike tradierten Bilder. Auf Grundlage der Untersuchung von Pilgerberichten des 14. Jahrhunderts kommt Aryeh Graboïs zu einem ähnlichen Ergebnis, verweist aber auf einen mittelalterlichen Wissenszuwachs, den er, wie auch Scharff, mangels Nachweisen aber nicht näher expliziert.210 Wie unterscheidet sich aber nun das „dezidiert mittelalterliche Ägyptenbild“ von den antiken Traditionen? Ist hier überhaupt ein Beitrag erkennbar und ein Standardwissen über Ägypten für das 12. Jahrhundert definierbar? Wie ist schließlich der Beitrag Burchards in dieses Bild einzuordnen?

IV.3 Neues Wissen in mittelalterlicher Literatur? Das durch das Alte Testamten vermittelte Negativbild Ägyptens reicht bis in das zweite Viertel des 1. Jahrtausends v. Chr. zurück und entstand zeitlich vor Hellenismus und römischer Überlieferung. Viele Angaben decken sich mit den Informationen antiker Autoren. Hinsichtlich der Bezugspunkte und der Auslegung bestehen jedoch deutliche Unterschiede zum tradierten Bild heidnischer, antiker Autoren. Biblisches Wissen musste mit den aus der antiken Überlieferung bekannten Zusammenhängen in Einklang gebracht und neu interpretiert werden.211 Antike Bilder und Vorstel206 Scharff, Rückkehr (2001), 436  f. „Ägypten ist in diesem Kontext immer so ambivalent zu betrachten, wie es die metaphorische Bedeutung der Wüste oder des Waldes ist.“ 207 Scharff, Rückkehr (2001), 436. 208 Ein Eindruck, der nicht zuletzt den Überlieferungsbedingungen und der Selektion mittelalterlichen Schriftgutes mit einem starken Übergewicht an theologischer Literatur zuzuschreiben sein dürfte. 209 Burnett, Images (2003), 96. 210 Graboïs, Description (2003), 529; Scharff, Rückkehr (2001), 433. 211 So bestärkte die geographische Beschreibung des Nils unter verschiedenen Namen – Sihor, Gihon oder Euphrat – als einem der vier Paradiesflüsse die Ansicht, die Quelle des Nils läge im Osten, wo auch das Paradies zu suchen war, Gen 2,13; Jos 13,3; Jes 23,3; I Chron 13,5; Jer. 2,18; Scafi, Paradise (2003).

Neues Wissen in mittelalterlicher Literatur? 

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lungen blieben erhalten, wurden aber von biblischen und religiösen Auffassungen überlagert oder modifiziert. Das aus antiken, biblischen und spätantiken religiösen Quellen konstruierte mittelalterliche Ägyptenbild war in jedem Falle ambivalent und polysem.212 In einigen Punkten wurde das antike Bild revidiert. Die Herkunft der Künste, insbesondere der Astronomie, konnte von jüdisch-christlicher Seite auch den Hebräern zugeschrieben werden.213 So wurde Platons Studienaufenthalt in Ägypten letztendlich auf die hebräische Quelle der Weisheit zurückgeführt.214 Die astrologischen und astronomischen Kenntnisse der Ägypter waren in dieser Tradition Abraham zu verdanken, der das Wissen der Chaldäer nach Ägypten brachte, wo es erweitert wurde.215 Allerdings wurden Chaldäer und Ägypter nicht immer streng geschieden, da in Fehlübersetzungen der arabischen Termini Ägypter (misri) mit Medern, Kopten (qibt) mit Chaldäern gleichgesetzt wurden. Die beiden Städte mit dem Namen Babylon führten ebenfalls zu Verwechslungen.216 Seit das in Ägypten liegende Babylon zur Hauptstadt der Fatimiden und ihres Herrschaftsgebietes erhoben worden war, rückte das neue Babylon zunehmend ins Bewusstsein und trat in Widerspruch zur exegetischen Deutung des alten Babylon. Vermieden werden musste eine unzulässige Vermischung beider Überlieferungszusammenhänge, die doch beide gänzlich unterschiedlichen Geschichts- und Sinnebenen angehörten. Unterschiedliche Traditionen existierten auch parallel, ohne in Konkurrenz zu treten. Parallel tradiert wurden z.  B. verschiedene Erklärungsversuche, die Funktion der Pyramiden zu bestimmen – als Kornspeicher, Grabmäler, Schatzhäuser, Zeugnisse der Fronarbeit der unterjochten Juden oder Zufluchtsort vor der Sintflut. Die für das Mittelalter relevanten Alternativen, Josefs Kornspeicher217 oder Grab des 212 Was Florian Ebeling für die Frühe Neuzeit feststellt, gilt schon für das Mittelalter: „In der Frühen Neuzeit ruhte das Ägyptenbild nicht auf altägyptischen Quellen, sondern auf zwei Textkorpora, die grundverschiedene Vorstellungen überliefern: die biblischen Texte sowie die Schriften der griechischrömischen Antike und Spätantike. Durch Vermittlung beider hat sich dem Abendland ein zweifaches Ägyptenbild tief eingeprägt, in dessen Spannungsverhältnis Ägypten in zahlreichen Diskursen zum Thema wurde. Ein einziges Ägyptenbild und einen einheitlichen Diskurs über das Alte Ägypten in der Frühen Neuzeit gibt es nicht, wohl aber gemeinsame Leitthemen,“ Ebeling, Ägypten (2013), 105. 213 Isidor, Etymologiae, III. 25. 1. Ed. Lindsay (1911); Hugo von St. Victor, Didascalion III. 2. Ed. Migne (1854), Sp. 765–767; dagegen: Remigius von Auxerre, Kommentar zu Martianus Capella, II. 43.10. Ed. Lutz (1962), 146; Origenes, Kommentar zu Epistola Pauli ad Romanos II. 13. Ed. Heithner (1990), 286– 289. 214 Augustinus, Civitate, VIII. 11. (Bd. 1) Ed. Dombart/Kalb (1993), 336–338; Petrus Comestor, Kommentar zu Genesis 7. Ed. Migne (1855), Sp. 1061. 215 Burnett, Group (1977), 84. 216 Scharff, Rückkehr (2001), 450  f.; dazu III.1.4. 217 Gregor von Tours, Libri X, I.10. Ed. Krusch (1951), 11; Dicuil, Liber, VI c. 13. Ed. Bieler/Tierney (1967), 62; Petrus Diaconus, Liber. Ed. Geyer (1965), 100. Die Idee des Kornspeichers entstammt der volksetymologischen Herleitung des nicht griechischen Wortes πυραμις in der Spätantike aus πυυρος (Weizen), Graefe, Pyramidenbeschreibung (1990), 17  f.

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

Pharaos218, konnten aufgrund der sie vertretenden Autoritäten nebeneinander existieren.219 So nennt Cosmas von Jerusalem beide Auffassungen, wobei er die Grabmalthese den Griechen zuschreibt.220 Auf Basis der mittelalterlichen Schriftzeugnisse kann der grundlegenden Feststellung, dass die Exodusexegese oder im besten Falle ein Patchwork aus antiken und biblischen Quellen das Bild dominierten, kaum etwas entgegengehalten werden. Beschreibungskategorien über Ägypten scheinen fest implantiert.221 Bei den erst wieder seit dem 13./14.  Jahrhundert überlieferten Pilgerberichten stand die Referenz zur „profanen Welt“ nicht im Mittelpunkt.222 Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung, der relativen Nähe und guten Erreichbarkeit Ägyptens von den Küsten des Mittelmeeres sowie der Tatsache, dass nur ein von vornherein selektierter Bruchteil des Ägypten betreffenden Materials erhalten ist, drängt sich aber die Frage nach der Geschlossenheit und den Erkenntnismöglichkeiten „des“ Ägyptenbildes für das 12.  Jahrhundert auf. Inwiefern erlauben die in einer bestimmten Literaturtradition entstandenen tradierten Schriften überhaupt Rückschlüsse auf Wissen und Vorstellungen vom zeitgenössischen Ägypten? Die folgenden Überlegungen sollen das allzu starre Bild etwas nuancieren. 1. Explizit sind je nach literarischem Genre und Aussageabsicht des jeweiligen Schriftzeugnisses unterschiedliche Äußerungen über Ägypten und damit spezifische Bezugnahmen fassbar. Theologische, exegetische Schriften orientieren sich an biblischen Auslegungstraditionen. Ihr Interesse gilt in erster Linie der eigenen heilsgeschichtlichen Vergewisserung und eventuell noch der heilsgeschicht­lichen Einordnung Ägyptens, wobei diese Einordnung nicht unbedingt auf das aktuelle Ägypten bezogen werden muss – auch dann nicht, wenn der Gegensatz zwischen Muslimen und Christen einbezogen und damit das biblische Bild ak­tua­li­siert wird.223 Die Auswertung mittelalterlicher Chroniken und historiographischer Werke kann den biblischen Bezugsrahmen nur bedingt bestätigen, da hier viel stärker auf antike Geschichtsschreibung rekurriert wird. Sinnvoll und notwendig für die Evaluierung des Ägyptenbildes ist eine Trennung von theologisch-religiösem und politisch-kulturellem Diskurs, ihren jeweiligen Funktionszusammenhängen und Produkten, um voreilige oder generalisierende Fehlschlüsse zu vermeiden. 2. Mittelalterliche Chroniken und Enzyklopädien basieren in erster Linie auf antiken Autoren. Die geographische Einordung wird von der Antike übernommen,

218 Isidor, Etymologiae, XV, c. 11. Ed. Lindsay (1911); Hrabanus Maurus, Universo, XIV c. 28. Ed. Migne (1864), 408. 219 Graefe, Pyramidenbeschreibung (1990), 16; Scharff, Rückkehr (2001), 448–450. 220 Fontes. Ed. Hopfner (1922), 741. 221 Vgl. Scharff, Rückkehr (2001), 453. 222 Graboïs, Description (2003), 530. 223 Vgl. Arnold von Lübeck, Kapitel VI.2.1.

Neues Wissen in mittelalterlicher Literatur? 

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meist werden die antiken Städtenamen weitergeführt.224 Der stete Bezug auf die antiken Bilder dient dazu, zwischen entfernt liegenden Epochen eine Relation herzustellen. Den Menschen der mittelalterlichen Epoche war aber durchaus bewusst, dass sich das reale Land in politischer, religiöser und kultureller Hinsicht von der antiken Periode unterschied. Im 12. Jahrhundert zeigt sich eine langsame Aktualisierung des Wissens in den Angaben arabischer neben den antiken Ortsnamen. Der Kalif wurde als rex Babylonie bezeichnet, jedoch nur selten mit dem Pharao, dem „Urtyp des schlechten Herrschers überhaupt“225 identifiziert.226 Die negative Ägyptenmetapher diente eher zum Aufzeigen eigener Missstände im biblischen Referenzsystem.227 Auch wenn abgesehen von sehr vereinzelten Nachrichten kaum neuere Informationen über Ägypten eruierbar sind, deutet eine relativ wertneutrale Wiedergabe der antiken Geschichte und das Nebeneinander konkurrierender Überlieferungsstränge darauf hin, dass die negativen Zuschreibungen, zumindest in gebildeteren Schichten, sehr kontextabhängig waren und sich nicht unbedingt auf die aktuelle Situation beziehen mussten, zumal Ägypten als politischer Faktor bis ins 13. Jahrhundert für Europa nicht relevant war.228 Wohl auch deshalb ist eine systematische Geschichte Ägyptens nirgends enthalten.229 In der Periodisierung der Weltgeschichte hält Ägypten bei mittelalterlichen Autoren keinen eigenen Platz inne.230 Im Alten Testamten wurde Ägypten als Teil des neubabylonischen Reiches, in augustinischer Tradition als dem Assyrischen Reiche untertan dargestellt und daher keiner eigenen Erwähnung würdig erachtet: Fuit etiam regnum Aegyptiorum, quod tunc cum aliis Asiae regnis Assiriis sub-

224 Borgolte, Repräsentationen (2008); Woodward, Mappaemundi (1987); Baumgärtner/Schröder, Weltbild (2010); von den Brincken, Studien (2008); Edson/Savage-Smith/von den Brincken, Kosmos (1995); Englisch, Ordo (2002); Simek, Erde (1992). 225 Scharff, Rückkehr (2001), 445. 226 In der Hebräischen Bibel wird Ägypten nicht durch seine Götter, sondern durch den Pharao repräsentiert. „In ihm kann sich Ägypten als Weltmacht personifizieren. Er ist im Exodusdiskurs der eigent­liche Opponent der Hebräer, ihrer Anführer Mose und Aaron und letztlich ihres Gottes JHWH. Der Pharao ist aber auch die Verkörperung weiser Regierungskunst, indem er mit Josef den rechten Verwalter seiner Geschäfte auswählt. Wenn es so etwas wie eine Mosaische Unterscheidung im Vergleich des Selbstbildes Israels und seiner Ägyptenbilder gibt, dann ist es jedenfalls nicht ‚die Unterscheidung zwischen wahr und unwahr im Bereich der Religion‘, wie Assmann formuliert hat. ‚Mosaische Unterscheidung‘ im Sinn der Hebräischen Bibel ist die Unterscheidung zwischen einer Außenpolitik, die auf JHWH vertraut, und einer Politik, die ihre Sicherheit aus dem Bündnis mit Ägypten sucht“, Kessler, Ägyptenbilder (2002), 154  f. 227 Vgl. Scharff, Rückkehr (2001), 445. 228 Anders Scharff, der auf die Kontakte während der Kreuzzugszeit nicht eingeht. „Fast alles aber führte dazu, dass der Name Ägypten immer auch unmittelbar Assoziationen von Hölle, Finsternis, und Verderben hervorrief“, Scharff, Rückkehr (2001), 452. 229 Vgl. Burnett, Images (2003), 72. 230 Nach Hieronymus und Orosius wurden vier Weltreiche (babylonisches, medisch-persisches, griechisches und römisches Reich) angenommen, vgl. Engels, Geschichte (1984).

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 Exkurs: Das Ägyptenbild im 12. Jahrhundert

iacebat. (…) De his ergo, qui regni eius tamquam appendices fuere, necesse dicere non est, befindet Otto von Freising.231 3. Religiös war Ägypten im Bewusstsein Lateineuropas ein ehemals christliches Land. Während die Exodusgeschichte einen Gegensatz zwischen Monotheisten und Polytheisten etabliert, war mittelalterlichen Autoren bewusst, dass es sich bei den aktuellen Bewohnern um Muslime handelte, deren heilsgeschichtliche Einordnung je nach Auffassung vom Islam changierte; graduelle Veränderungen in der religiösen Einschätzung der Muslime sind zu konstatieren. Heiden und Muslimen kam im Glaubenssystem nicht per se die gleiche Rolle zu. Unterschieden wurden die ursprünglichen Ägypter von den arabischen Invasoren als neue muslimische Herrscher über Ägypten,232 welche die Christen zu Tributzahlungen verpflichteten. Insofern konnte „Gottlosigkeit“ als Merkmal Ägyptens angesehen werden.233 Diese Zuschreibung wurde aber im theologischen Diskurs als Spiegel für die eigene Sündhaftigkeit verwendet. Der religiöse Gegensatz spielte im politisch-kulturellen Diskurs eine untergeordnete Rolle, das Verhältnis ist damit nicht im engeren Sinne als religiöses zu bestimmen. 4. Aktuelle Informationen über das aktuelle Ägypten fehlen weitgehend in den Quellen bis zum 14.  Jahrhundert. Wissen aus wirtschaftlichen und politischen Verbindungen ist kaum nachweisbar, gleichwohl konnte Ägypten als „Mnemotop“234 in gegenwarts- und sachorientierten Relationen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn auch nur selten dokumentiert, waren Kulturbeziehungen mit (Nord-) Europa dennoch vorhanden, sie begannen mit einer zunächst auf Handelskontakten beruhenden Kommunikation. Seit dem 12. Jahrhundert hatten sich neue, in erster Linie wirtschaftliche Verbindungen etabliert, die zwar nicht schon als Verflechtungen, wohl aber als Austauschbeziehungen und als wirtschaftliche Abhängigkeiten qualifiziert werden können. Direkte Kontakte beschränkten sich auf die wirtschaftliche Ebene, die von moralischen Deutungen unberührt blieb und keine Zeugnisse hinterließ. Im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts bestand nicht zuletzt aufgrund der Aktionen Amalrichs ein stärkeres Interesse am aktuellen Ägypten. Im System der Kulturbeziehungen zwischen Europa und Ägypten kann der diplomatische Austausch als Konsequenz bestehender wirtschaftlicher Beziehungen und auch kriegerischer Auseinandersetzungen gesehen werden.235 Er ist keine Notwendigkeit, auch musste sich das neu erworbene Wissen nicht schriftlich verbreiten, da

231 Otto von Freising, Chronik, I, 6. Ed. Lammers (2011), 70  f. unter Bezug auf Augustinus, Civitate, XVIII, c. 2 (Bd. 1) Ed. Dombart/Kalb (1993), 257; Scharff, Rückkehr (2001), 444. 232 Die zeitgenössischen Ägypter sind dann Araber, Burnett, Images (2003), 98 Anm. 22. 233 Scharff, Rückkehr (2001), 432. 234 Begriff von Assmann, Gedächtnis (2013), 59  f.; Scharff, Rückkehr (2001), 235 Vgl. das Schema der drei Formen der Kulturkontakte nach Bitterli, Bitterli, Welt (1992), 34–42; Osterhammel, Grenzen (1995), 108–120.

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die Praxis auch ohne „verstehende Durchdringung“ funktionieren konnte.236 Der Austausch von Gesandten wie Burchard zeugt aber vom politischen Bedeutungszuwachs Ägyptens. Abgesehen von Burchard enthält nur die Chronik Wilhelms von Tyrus genauere Informationen über die aktuellen Ereignisse, wobei die Chronik eine deutlich höhere Überlieferungschance besaß als Burchards knappes Aktendokument. 5. Die steigende Bedeutung Ägyptens zeigt sich ab Mitte des 12.  Jahrhunderts zwar noch nicht im Zuwachs tatsächlichen Wissens, doch ist eine stärkere Präsenz in der Volkskultur festzustellen: in der Verbreitung und Popularisierung der Fluchtgeschichte und dem Alexanderroman.237 Als Konsequenz der politischen Bedeutungslosigkeit Ägyptens blieben aber Religion und Mythologie im Fokus der Darstellungen.238 Die Hinwendung zur Antike und zu positiv konnotierten Ägyptengeschichten neben der Exodusexegese kann auch hier auf einen langsamen Perspektivwandel in Bezug auf Ägypten hindeuten. Burchards Bericht ist in die Phase erster näherer direkter Kulturbeziehungen zwischen dem Reich und Ägypten einzuordnen. Im Vergleich mit dem Befund des aus der Überlieferung verfügbaren ‚Standardwissens‘ über Ägypten werden die Differenzen des bei Burchard präsentierten Wissens offensichtlich. Das betrifft das nahezu völlige Fehlen der für das mittelalterliche Ägyptenbild angenommenen Beschreibungskategorien: der biblisch-religiös-moralischen und der antik-historischen Kategorie. Das betrifft die Qualität seiner auf Augenzeugenschaft beruhenden Beobachtungen, die erst im 14.  Jahrhundert erreicht wird,239 das betrifft die hervorstechende Aktualität und enge Zeitgebundenheit seiner Ausführungen. Es handelt sich um eine frühe, wenn nicht erste systematische kategoriale Erfassung eines bislang wohl nur aus Handelskontakten erfahrenen Landes, womit die Kenntnisse zwecks angestrebter Beziehungen auf eine zuverlässige Basis gestellt werden sollten. Er dokumentiert damit eine jenseits der konventionellen Bahnen existente Vorstellung vom realen Ägypten und den Bedarf an aktuellem Wissen.

236 Münkler, Erfahrung (2000), 19. 237 Dazu Kapitel III.1.2 und III.1.5. 238 Ebeling, Ägypten (2013), 107. 239 Vgl. Graboïs, Description (2003).

V Die Gesandtschaft und ihr Gesandter Mit der nachgewiesenen Historizität und Authentizität des Berichts als Augenzeugenbericht liegt die notwendige Prämisse für die Annahmen vor, dass 1175 tatsächlich eine Gesandtschaft stattfand und der Bericht wie behauptet als ein Produkt dieser Gesandtschaft gelten kann. Die Art des Zusammenhangs zwischen Bericht und Gesandtschaft ist mit dem Nachweis der Augenzeugenschaft aber noch nicht erfasst. Zwar benennt der Autor selbst in seinem Bericht die äußeren Koordinaten der Legation. Auch fügen sich Zeitpunkt und Ziel dieser kaiserlichen Legation im Jahre 1175 in bereits existierende diplomatische Kontakte zwischen Staufern und Ayyubiden ein, die Barbarossa Mitte 1172 aufgenommen hat.1 Allerdings verrät Burchard in seiner Darstellung nichts über eine kaiserliche Instruktion oder den politischen Inhalt der Gesandtschaft, jegliche Hinweise auf die Motivation und das Interesse der Beziehung blendet er aus. Auch wird die Faktizität einer solchen Gesandtschaft von keiner anderen lateinischen oder arabischen Quelle bestätigt. Selbst in der Kölner Königschronik,2 der Hauptquelle der Nachrichten über staufische Kontakte mit Saladin, fand sie keinen Niederschlag.3 Nur wenige Schriftzeugnisse geben überhaupt Auskunft über staufische Beziehungen mit dem Nahen Osten dieser Zeit,4 enthalten aber wenig Konkretes und haben sich größtenteils als unglaubwürdig oder als Fälschungen erwiesen. Dies betrifft den Bericht Arnolds von Lübeck über die Jerusalemfahrt Heinrichs des Löwen 1172, den Johannes Fried als fiktives Konstrukt entlarvt hat.5 Als wenig glaubhaft stuft Hannes Möhring eine in den Stader Annalen erwähnte Gesandtschaft Saladins für das Jahr 1184 ein.6 Ein an Saladin adressierter Brief Barbarossas von 1188 erwies

1 Die zeitliche Einordnung mit dem Beginn der Beziehungen Mitte 1172 beruht auf der Iden­tifika­ tion des Gesandten Albericus mit Albericus Lanfrancus, Georgi, Mächte (1990), 231. Siehe Kapitel V.1. Anm. 24. 2 Chronica Regia. Ed. Waitz (1880); dazu Schmale, Chronica (1978); Groten, Geschichtsschreibung (1997); Lückenrath, Ecclesia (2000). 3 Die ausführlichen Nachrichten über die außenpolitischen Beziehungen sind allem Anschein nach dem Siegburger Abt Nikolaus zu verdanken, der in gutem Kontakt zum Kölner Erzbischof und zum kaiserlichen Hof stand. Mit seinem Tod 1174 brechen diese Nachrichten aber ab, Wagendorfer, Überlieferung (2009), 577. 4 Konkrete Nachrichten über Gesandtschaftsbeziehungen sind insgesamt rar. Orientreisen von Adligen sind in der Zeit allerdings häufig belegt, siehe Schwarzmaier, Kreuzzug (2012). 5 Fried, Jerusalemfahrt (1998). 6 Hier soll Saladin Erbansprüche auf Jerusalem geltend gemacht haben, die er notfalls mit Gewalt durchsetzen wollte. Möhring hält die Angaben in den Annales Stadenses für eine Verwechslung oder gar bewusste Dramatisierung, Annales Stadenses. Ed. Lappenberg (1859), 350; Möhring, Sultan (2005), 154; Ders., Kreuzzug (1980), 136. Ebenfalls zum Jahr 1184 verzeichnet Radulf de Diceto in den Ymagines historiarum zwei Briefe von Saladin und seinem Bruder al-Adil an den Papst, Möhring, ­Briefe (2000).

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sich als Fälschung.7 Die Authentizität von Saladins Antwort an Barbarossa aus demselben Jahr ist umstritten.8 Angesichts der offensichtlichen Frontstellung beider Herrscher nach Festsetzung des Kreuzzuges scheinen die in den Quellen genannten Anliegen der Gesandtschaften von 1184 und 1188 wenig plausibel.9 Zwar spricht dies nicht per se gegen einen diplomatischen Austausch, doch bleibt der ereignisgeschichtliche Kern in den betreffenden Fällen Hypothese. Wenn nun auch kein grundsätzliches Misstrauen mehr gegenüber der Historizität des Unternehmens von 1175 besteht, stellt sich in Hinblick auf eine funktionsgeschichtliche Einordnung des Burchardberichts die Frage nach der konkreten diplomatischen Funktion der Reise. Konsens besteht in der Forschung in Bezug auf den freundschaftlichen Charakter der staufisch-ayyubidischen Beziehung. Die Verbindung zu Saladin wird als gegen Byzanz gerichtetes, aber ineffektives Bündnis aufgefasst, welches – wie auch ein mögliches Bündnis Barbarossas mit den Rum-Seldschuken – der Isolation von Byzanz im Orient dienen sollte.10 Als Argument für die Bindekraft dieses Bündnisses führt Möhring eine zehn Jahre andauernde Distanz Saladins zu Byzanz an,11 die angesichts der wechselnden Koalitionen und der realpolitischen Notwendigkeiten allerdings kaum auf die bloße Abmachung zurückzuführen ist. Üblicherweise sind Bündnisse mit gewissen gegenseitigen Leistungen für einen absehbaren Zeitraum verknüpft, unabhängig davon, ob diese dann erbracht werden. Welche Leistungen allerdings der gegen Byzanz gerichtete Vertrag zwischen Barbarossa und Saladin beinhaltete, auch wenn es sich um ein Eventualbündnis handelte, ist kaum zu ermitteln. Ebenso unklar ist, wie sich Burchards Legation von 1175 in diese Beziehung einordnet und welchem Zweck sie diente. Sollte der Gesandte begonnene Vertragsverhandlungen erst zu einem Abschluss führen, wie SchefferBoichorst annimmt,12 oder zwei Jahre nach Abschluss des Bündnisses Saladin „zu seinen jüngsten Erfolgen beglückwünschen und sich ein Bild von seinen Absichten machen“13? Nach Hannes Möhring und Wolfgang Georgi hatte die Gesandtschaft vermutlich „die gleichen Ziele wie die der vorausgegangenen Jahre, nämlich die Einkreisung von Byzanz.“14

7 Mayer, Brief (1985); Möhring, Kreuzzug (1980), 94–97. Möhring zufolge sind die Berichte über eine Gesandtschaft im Auftrag Barbarossas 1188 insgesamt in Frage zu stellen, da die Gesandtschaft auch keinen Niederschlag in arabischen Quellen findet, ebd., 94; kritisch dazu Schieffer, Graf (2001), 436. 8 Möhring stuft Saladins Brief ebenfalls als Fälschung ein, Möhring, Kreuzzug (1980), 94–97; dagegen Eddé, Saladin (2008), 290. 9 Möhring, Kreuzzug (1980), 136. 10 Möhring, Sultan (2005), 152; Görich, Barbarossa (2011), 545  f.; Georgi, Mächte (1990), 241–244; anders Eddé, Saladin (2008), 289; zuletzt: Staufer (2013). 11 Möhring, Sultan (2005), 152. 12 Scheffer-Boichorst, Burchard (1889), 246; Georgi, Mächte (1990), 243  f. 13 Möhring, Sultan (2005), 154; Ders., Saladin (2005), 55. 14 Georgi, Mächte (1990), 244; Möhring, Kreuzzug (1980), 133.

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Für den in Frage kommenden Entstehungskontext des Berichts müssen die historischen Bedingungen der Legation geprüft werden. Welchen politischen Wert besaß die Verbindung zwischen Barbarossa und Saladin? Wie veränderten sich deren Grundlagen im Zeitraum von der ersten nachweisbaren Kontaktaufnahme 1172 bis 1175? Anhaltspunkte für das Anliegen der Gesandtschaft können nur im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Verbindungen und mit genauem Blick auf die handlungsbezogenen Strukturen beider Partner innerhalb eines weitgespannten Beziehungsgeflechtes gewonnen werden.15 Schließlich fand der diplomatische Austausch in einer Phase statt, in der sich die politischen Bedingungen sowohl der staufischen als auch der ayyubidischen Herrschaft entscheidend änderten. In der politischen Konstellation, die den Gesandtenaustausch und die Etablierung einer staufisch-ayyubidischen Allianz zwischen 1172 und 1175 veranlasste, spielten neben Byzanz eine ganze Reihe weiterer Akteure eine Rolle: das Königreich Jerusalem, die Kreuzfahrerherrschaften, das Papsttum, die italienischen Kommunen, das Königreich Sizilien und die muslimischen Herrschaften in Kleinasien. Da Außenpolitik16 grundsätzlich der Sicherheit der eigenen Herrschaft sowie der Aufrechterhaltung oder Optimierung des Handlungsspielraums dient, können außenpolitische Akte nicht abgelöst von der inneren Entwicklung verstanden werden.17 Strukturelle Bedingungen bestimmen den Inhalt und die Realisierungsmöglichkeiten der politischen Ziele. Unterschieden werden muss darüber hinaus zwischen der Notwendigkeit gezielten politischen Handelns in einer konkreten Situation und dem Wirken langfristig angelegter Konzepte nicht nur politischer Natur, welche nicht unbedingt quellenkritisch nachweisbar, aber existent sind. Die Intention der Austauschbeziehung bedingt dann die diplomatische Funktion der Gesandtschaft, deren Form und Zusammensetzung. Kommunikationsformen und Kommunikationsträger von Außenbeziehungen waren höchst vielfältig. Während 15 Vgl. Kleinschmidt, Beziehungen (1998), 11. Harald Kleinschmidt unterscheidet hier vier Strukturen: Die Ziele internationaler Beziehungen können subsistenzbezogen oder referenzbezogen sein; die Ordnung hierarchisch oder egalitär. 16 In Unterscheidung zur neuzeitlichen klassischen Definition von Außenpolitik, nach deren Verständnis nur Staaten Außenpolitik betreiben, kann als Außenpolitik dieser Epoche „jede politische Aktion eines Herrschers, die über die Grenzen des eigenen Machtbereichs hinausweist und höchst unterschiedliche Ziele – wie Sicherung der Expansion des eigenen Herrschaftsraumes, die Förderung sozio-ökonomischer Ziele, die Realisierung herrschaftsideologischer Konzeptionen oder ähnliches – unter Verwendung eines geeigneten Instrumentariums politischer Kommunikation ver­folgte,“ bezeichnet werden, Berg, England (1987), 4; Ders., Deutschland (1997). Für das Mittelalter ist der neuzeitliche Ansatz sonst nur bedingt anwendbar: „Es gibt nicht nur keinen Begriff für Außenpolitik in den Quellen, auch nicht für Diplomatie oder Diplomaten, sondern es gibt überhaupt kein verbindliches Fachvokabular für diplomatische Funktionen und Aufträge. Außenpolitik blieb ein Feld der Praxis, das sich seine eigenen Zuständigkeiten suchte und sein besonderes Fachwissen zuschrieb. Eine Theorie zu dieser Praxis ist während des Mittelalters nicht entstanden und auch in Traktaten zur politischen Theorie oder in Fürstenspiegeln nicht enthalten“, Kintzinger, Diplomatie (2010), 263; Seidelmann, Außenpolitik (1998), 7; Gaedtke, Außenpolitik (2009), 12. 17 Vgl. Seidelmann, Außenpolitik (2011), 29.

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offizielle Gesandte als „lebendiger Brief“ in einer konkreten Mission aufbrachen, überbrachten Boten mit begrenzter Vollmacht in der Regel lediglich Schriftstücke.18 Der spezielle Auftrag bildete die Voraussetzung für die Auswahl der Gesandten. Für bestimmte Verhandlungsaufgaben wurden „Expertenkommissionen“ eingesetzt, die neben geistlichen und weltlichen Würdenträgern aus ausgebildeten Fachleuten bestanden, auf deren Expertise es letztlich ankam.19 Ein ausdrücklicher kaiserlicher Auftrag war für Legationen nicht zwingend erforderlich, ebenso konnten sie im Auftrag anderer Funktions- und Würdenträger initiiert sein. Eingesetzt wurden auch „inoffizielle Mitarbeiter“20; häufig begegnet darüber hinaus der Vorwurf der Spionage.21 Sondermissionen verlangten höchste Geheimhaltung von den Informanten über das eigentliche Ziel der Reise, die Namen der Kundschafter blieben ihrerseits vertraulich.22 Im vorliegenden Fall kann eine Eingrenzung der Bestimmungsfaktoren der Gesandtschaft eventuell Hinweise darauf liefern, in welcher Funktion Burchard als kaiserlicher Gesandter agierte und welche Aufgabe seinem Bericht zukam. Im folgenden Teil sollen Anlass und Intentionen der staufisch-ayyubidischen Beziehung und die sich daraus ergebenden Zielsetzungen der Gesandtschaften von 1172 bis 1175 näher untersucht werden. Hauptaugenmerk des ersten Abschnittes (Die staufisch-ayyubidischen Beziehungen im Spiegel ihrer Quellen) gilt den Nachrichten über den diplomatischen Austausch im Zeitraum von 1172–1189. Wenn auch die Ziele der Verbindung und die Funktion der Gesandtschaft aus dem Quellenbefund nicht rekonstruierbar sind, vermitteln die unterschiedlichen Schriftzeugnisse doch Einsichten in die Perzeption der diplomatischen Interaktionen innerhalb des Kommunikationsraumes.23 Sie geben Aufschluss über die deskriptiven und kognitiven Modelle, die der Wahrnehmung und der Darstellung zugrunde liegen. Hinweise auf Träger, Aufenthalte und Themen der diplomatischen Beziehungen lassen mit Blick auf das parallel existierende Bündnis mit den Seldschuken Vermutungen über den Verhandlungsgegenstand zu. Im zweiten Abschnitt (Bestimmungsfaktoren der staufisch-ayyubidischen Beziehung 1172–1174) wird versucht, die aus dem Quellenbefund ableitbaren Informationen über die diplomatischen Interaktionen, über konkrete Akteure, Anlass und Rahmenbedingungen der Kontaktaufnahme von 1172 mit der Ausgangslage beider Herrscher und den politischen, geostrategischen und wirtschaftlichen Bedingungen, denen sie unterworfen sind, in Verbindung zu bringen. Dabei soll eine monokausale Verengung der möglichen Bedingungen vermieden werden, um weitere Aspekte des staufisch-ayyubidischen Verhältnisses auszuloten. Als Ver18 Jaspert, Wort (2002), 290  f. 19 Ebd., 295  f. 20 Ebd., 292. 21 Vgl. Jacoby, Diplomacy (2009). 22 Jaspert, Wort (2002), 292. 23 Zur „Kategorie der Perzeption“ siehe Kleinschmidt, Beziehungen (1998), 11.

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tragspartnern wird Friedrich I. und Saladin dabei ein gegenseitiges Interesse an der Beziehung unterstellt. Auf dieser Grundlage und unter besonderer Berücksichtigung der veränderten politischen Konstellation ab 1174 werden dann im dritten Abschnitt (Rahmenbedingungen und vermutliche Ziele der Gesandtschaft von 1175) Bestimmungsfaktoren für die Gesandtschaft von 1175 erwogen. Die Frage nach der Funktion der Gesandtschaft bildet die Grundlage für die Frage nach Auswahl und Identität des Gesandten, über den nur wenig bekannt ist. Erst zum Schluss kann daher die Frage nach seiner Identität gestellt werden.

V.1 Die staufisch-ayyubidischen Beziehungen 1172–1189 im Spiegel ihrer Quellen Das erste Zeugnis einer Beziehung zwischen Friedrich  I. und Saladin ist ein lateinisch übersetztes Beglaubigungsschreiben Saladins für seinen Gesandten Abu Tahir Ismail.24 Dieser sollte Barbarossa ein Antwortschreiben Saladins auf ein vorausgegangenes, aber nicht erhaltenes Schriftstück Barbarossas überbringen.25 Das Schreiben schließt ohne Jahresdatierung mit den Worten data Babilonie medio mense Aprile. Martin Wagendorfer und Hannes Möhring sehen es in Verbindung mit der 1173 im

24 Wagendorfer, Überlieferung (2009); zuvor bei Röhricht, Geschichte (1886), der das Schreiben auf 1180/82 datiert. Die lateinische Übersetzung wurde Röhricht zufolge in Europa angefertigt und geht möglicherweise auf eine französische oder italienische Fassung zurück, ebd., 575. Wagendorfer vermutet den möglichen Ausgangspunkt des Briefes und der lateinischen Übersetzung in Siegburg, Wagendorfer, Überlieferung (2009), 577–579; RI IV, 2.3 Nr. 2016 und Nr. 2024. Anne-Marie Eddé hingegen hält die Datierung des Briefes auf 1172 aufgrund Saladins Titel als Emir der Gläubigen, der ihm durch den Kalifen erst nach dem Tode Nūr ad-Dīns zuerkannt wurde, für bedenklich. Auch habe sich die erwähnte Flotte erst ab 1177 im Aufbau befunden. Allerdings bezieht Eddé weder das Instruktionsschreiben für den ayyubidischen Gesandten noch die Nachricht der Kölner Königschronik in ihre Argumentation ein, Eddé, Saladin (2008), 289  f., Anm. 234. Bei einer Datierung in den Zeitraum von Oktober 1176 bis Februar 1178 würde Burchards Reise den Beginn des Gesandtschaftsaustausches markieren. Zur sprachlichen Gestaltung des Briefes siehe Möhring, Kreuzzug (1980), 129–131. Die Einordnungsversuche der vorausgegangenen staufischen Gesandtschaft schwanken entsprechend zwischen 1172 und 1173, Wagendorfer, Überlieferung (2009), 567; Möhring, Kreuzzug (1980), 132; Ders., Sultan (2005), 152; Borgolte, Augenlust (2010), 602. Plausibel scheint die zeitliche Einordnung im Sommer 1172, Georgi, Mächte (1990), 231. 25 In dem lateinischen Schreiben wird der Name Abu Tahir Ismail verballhornt als Butair Esmair wiedergegeben: Inde quoque fidelem legatum nostrum Arcarium, qui est sapientia et pulchritudine legum, Butachir Elmahir videlicet, ad vos transmisimus, quem Deus conducat, Wagendorfer, Überlieferung (2009), 583  f. Bei dem Wort Arcarium könnte es sich nach Wagendorfer um die Verballhornung von al-qadi handeln, was den Satz erst verständlich macht. Die Lesart Elmahir (anstatt Esmair) ­könnte lateinisch durch die Bedeutung „klug und verständig“ wiedergegeben worden sein, ebd., 580  f. Genaueres über den Legaten al-Quāḍī as-Sadīd Abū Ṭāhir Ismāʿīl ibn ʿAbdalʿazīz Ibn QuāḍīʿAkkā ist nicht bekannt, Möhring, Kreuzzug (1980), 132  f.

Die staufisch-ayyubidischen Beziehungen 1172–1189 im Spiegel ihrer Quellen  

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Reich nachgewiesenen ayyubidischen Gesandtschaft, „die somit im April [1173] aus Ägypten aufgebrochen sein muss.“26 Mit äußerster Ehrerbietung erwiderte Saladin in dem Beglaubigungsschreiben ein kaiserliches Freundschaftsangebot und gedachte ferner, einem nicht näher präzisierten „Wunsch“ Barbarossas nachzukommen: Mandatum autem, quod nobis demandastis, ad agmentum honoris regni nostri pro precepto habui­mus, quia per hoc credimus super omnes reges excellentiores esse tam Christianos quam Sarracenos. Unde tam astricti vobis et imperio tenemur, ut numquam a voluntate vestra et ab obsequio vestro separari velimus.27

Durch seinen Gesandten wollte Saladin aber zuvörderst Gewissheit über die Glaubwürdigkeit des zu ihm gesandten Boten oder Unterhändlers namens Albericus erlangen, dessen kaiserliche Legitimation seitens seiner genuesischen Begleitung ­dementiert worden war, die ihn zum Gesandten des Kanzlers degradierten: Inter cetera scire debetis, quod quidam Ienuenses qui predictum Albricum legatum vestrum comitabantur, non legatum vestrum, sed cancellarii vestri ipsum asserebant multa mala de vobis predicantes. Quare in dubitationem versi propositum nostrum et legati voluntatem adimplere distulimus. Verumtamen ob hoc nullatenus pretermittere voluimus, quin huius rei veritatem vellemus investigare.28

Der namentlich genannte staufische Bote ist nicht sicher zu identifizieren. Es könnte sich nach Wolfgang Georgi (in Anlehnung an Röhricht) um den früheren genuesischen Konsul Albericus Lanfrancus handeln, der in enger Beziehung zum Erzkanzler Christian von Mainz stand und in dessen Urkunden nachweisbar ist.29 Dieser Albericus Lanfrancus war schon 1168 in Syrien als Gesandter tätig und an den Friedensverhandlungen 1172 in Lucca beteiligt, bevor er 1173 erneut Konsul wurde.30 Dem Urkundenmaterial folgend kann Alberichs Aufbruch nach Juni/Juli 1172 angesetzt werden, wieder greifbar ist er dann am 12.  April 1173.31 Möhring hingegen bevorzugt ohne weitere Begründung einen „nicht näher bezeichneten Albericus (…), der 1171, 1178 und 1180 Konsul war und sich von 1158 bis 1180 nachweisen lässt“ als Gesandten.32 Die Träger des ersten diplomatischen Kontaktes stammten in jedem Fall aus der städtischen Kaufmannsschicht Genuas, verfügten über Erfahrungen und Vorwissen über die Zielregion und konnten es funktional einsetzen. Die Stellung als Konsul von Genua lässt eine juristische und ökonomisch orientierte Ausbildung bei 26 Wagendorfer, Überlieferung (2009), 568; 584. 27 Ebd., 583. 28 Ebd., 583. 29 Hägermann, Urkunden (1968), 244 (Urkunde vom 6.  März 1172); RI IV, 2,2, Nr.  1383; Nr.  1446; Röhricht, Kreuzzüge (1886), 574  f. 30 Möhring, Kreuzzug (1980), 133. 31 Georgi, Mächte (1990), 231. Ferdinand Opll setzt die Entsendung der Gesandten im Frühjahr 1172 an, Opll, Friedrich (2009), 297. 32 Möhring, Kreuzzug (1980), 133.

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Albericus vermuten. Der ayyubidische Gesandte Abu Tahir verfügte als Qadi ebenfalls über juristische und administrative Kenntnisse. Zwischen Saladin und Genua bestand bereits eine enge Verbindung. Neben dem kaiserlichen Gesandten sprachen offenbar auch genuesische Händler bei Saladin vor und nutzten die Gelegenheit zur antikaiserlichen Stimmungsmache.33 Anscheinend war Saladins Gesandter neben seiner politischen Mission 1172/1173 dann damit beauftragt, in Genua Rohstoffe für die Konstruktion einer Flotte zu erwerben.34 Dass Saladin wie auch die italienischen Seestädte ein großes Interesse an einem funktionierenden Handel besaßen, dürfte unbestritten sein.35 Der Passus im Zusammenhang mit dem Genueser Boten lässt nach Georgi vermuten, dass die Kontaktaufnahme im Auftrag des Reichslegaten36 Christians von Mainz geschah, so wie es die Genuesen behaupteten.37 Christian von Mainz war seit Ende 1171 Erzkanzler für Italien und mit der Durchsetzung der Reichsgewalt dort beauftragt.38 Im Januar 1172 besuchte er in seiner Funktion als Legat und kaiser­licher Stellvertreter Genua, wo er wohlwollend empfangen wurde und der Stadt das Versprechen gab, „die Ehre ihrer Stadt vermehren zu wollen“. Genua zeigte großes Interesse an einer Kooperation mit dem kaiserlichen Gesandten und beteuerte, Verbindungen zu Alexander III., den Lombarden, Normannen und Byzanz zugunsten des Reiches zurückgewiesen zu haben.39 In den schwierigen Friedensbemühungen zwi33 Vgl. diesen Sachverhalt für die Gesandtschaft Jakobs II. von Aragon zum Sultan, Jaspert, Diplomatie (2008), 176. 34 Eddé, Saladin (2008), 524. Eddé bezieht sich anscheinend auf das arabische Instruktionsschreiben Saladins für Abu Tahir, ebd., Anm. 339; Lyons/Jackson, Saladin (1984), 114. 35 1177 schloss Saladin einen Handelsvertrag mit dem genuesischen Unterhändler Rubeo della Volta, Jacoby, Italiens (2000), 79; 358; Eddé, Saladin (2008), 524. 36 Zum Begriff des Reichslegaten siehe Uebach, Ratgeber (2008), 223. 37 Georgi, Mächte (1990), 228–231; dagegen Möhring, Kreuzzug (1980), 133; ihm folgend Wagendorfer, Überlieferung (2009), 568. 38 Christian von Buch war seit 1162 Nachfolger Rainald von Dassels als Legat und Kanzler, seit Spätsommer war er 1164 als Legat in Italien tätig. Er fungierte auf höchster Ebene der Verwaltungsorganisation des Reiches, „ausgestattet mit umfassenden jurisdiktionellen, insbesondere aber politischen Kompetenzen und Agenden“, Opll, Friedrich (2009), 191  f.; Görich, Barbarossa (2011), 360. Wie auch Rudolf von Straßburg wurde er auf dem vierten Italienzug am 4.  März 1167 von Paschalis  III. zum Priester und dann zum Bischof geweiht, durfte nach 1177 aber anders als Rudolf das Pallium behalten, Burkhardt, Stab (2008). 39 Bernwieser, Honor (2012), 193–196. Dazu Oberto, Annales Ianuenses. Ed. Belgrano (1890), 247, Z. 9–13: Nam prefati consules comunis honorem nostre ciuitatis augere cupientes, habuerunt in urbe nostra colloquium cum Christiano Magontino archiepiscopo et Germanie archicancellario, qui tunc legationem et uicem imperatoris Frederici gerebat per totam Italiam (…). Z. 18–25: Nos enim Constantinopolitani imperatoris dona nobis transmissa, perperorum uidelicet .XXVIII. milia, maiestatis imperialis intuitu spreuimus, et regni Siculi omnia comoda renuimus, quoniam in ipsorum amborum pace uel conuentione uidebatur quoddammodo honor imperii decrescere. Nam cum Lombardis huc usque distulimus asotiare; cursoribus et missis imperatoris, per terram nostrarum transeuntibus, ducatum amice fecimus semper prestare. Bis dahin war Christian von Mainz Parteigänger Pisas gewesen. Den Grund

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schen Genua und Pisa hatte sich Christian von Mainz zu Zugeständnissen gegenüber Genua bereitgefunden und sich mit Genua und Lucca gegen Pisa verbündet. Seine „Schaukelpolitik“ gegenüber den verfeindeten Seestädten verstärkte allerdings das Misstrauen ihm gegenüber auch auf genuesischer Seite.40 Gerade in der Zeit des vermutlichen Aufbruchs des Gesandten Albericus Mitte 1172 war das Verhältnis zwischen Christian und Genua aufgrund erneuter Verhandlungen Christians mit Pisa gespannt. Dies könnte die despektierlichen Äußerungen der Genuesen in Bezug auf den Kaiser bzw. seine Politik in Alberichs Umfeld erklären. Was der staufisch-genuesische Bote Saladin ausrichten sollte, ist nicht ersichtlich. Den Worten des Beglaubigungsschreibens zufolge überbrachte Albericus einen Brief: Litteras maiestatis vestre, quas per virum nobilem ac sapientem et discretum Albri­cum videlicet militem ac legatum vestrum Ienuensem nobis transmisistis, cum summa honorificentia presentibus baronibus et terre nostre magnatibus desideranter recepimus.41 Es handelte sich auf jeden Fall um ein wohlwollendes Ansinnen Barbarossas. Da Saladin Alberichs Legitimität mit einem eigenen Boten überprüfte, kann auf ayyubidischer Seite ein größeres Interesse an dieser Verbindung angenommen werden. Einem Gesandten des Kanzlers konnte Saladin aber nicht die gleiche Behandlung erweisen wie einem kaiserlichen Gesandten. Als Bedingung für weitere Absprachen fordert Saladin die Entsendung eines mit glaubwürdigen Vollmachten ausgestatteten Boten, wie es seiner Stellung entspreche: Ceterum si placuerit vobis cum predicto legato vestrum legatum cum litteris vestris nobis transmittere, nos tocius negocii seriem statim, ut veritatem et certitudinem inde cognoverimus, iuxta honorem vestrum et voluntatem vestram ad effectum perducemus et, sicut superius diximus, corda nostra semper erunt, quamvis longa terrarum spacia corpora nostra separata habeant.42

Erst nach Vergewisserung sei Saladin bereit, dem Wunsch des Kaisers nachzukommen.43 Vorsicht und ein gewisses Misstrauen sprechen aus dem Brief. Zugleich mahnte Saladin die angemessene Behandlung seines eigenen Boten Abu Tahir an: Rogamus ergo benignitatem vestram, ut eum, sicut decet excellentiam vestram, honoretis scientes, quia qui honorat legatum, honorat et dominum.44 Bestätigt wird diese erste staufisch-ayyubidische Verbindung durch ein erhaltenes Instruktionsschreiben für den Gesandten Abu Tahir, welches zugleich das einzige für die nunmehrige Annäherung an Genua sieht Bernwieser im kaiserlichen Auftrag, die Toskana zu befrieden und damit sicherzustellen, dass sich die Genuesen tatsächlich seiner Initiative anschlossen, Bernwieser, Honor (2012), 194  f. Die Liga rächte sich an der kaiserfreundlichen Haltung Genuas mit einem Getreideembargo, das die Brotpreise stark ansteigen ließ, Raccagni, League (2010), 121. 40 Hägermann, Reichslegation (1969), 208. 41 Wagendorfer, Überlieferung (2009), 582. 42 Ebd., 584. 43 Möhring, Kreuzzug (1980), 132. 44 Wagendorfer, Überlieferung (2009), 584.

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arabische Zeugnis dieser Beziehung darstellt.45 Hierin wies Saladin seinen Gesandten an, dem Kaiser mündlich Auskunft über die Beseitigung des fatimidischen Kalifats zu geben sowie über Saladins militärische Stärke und „unbedingte Vertragstreue und Wahrheitsliebe“ zu informieren.46 „Außerdem solle er die erfolgreiche Abwehr des byzantinisch-fränkischen Angriffes auf Damiette schildern und Unzuverlässigkeit wie Doppelzüngigkeit der Byzantiner in Vertragsdingen betonen, die den Franken in den Rücken gefallen seien und in gesonderte Verhandlungen mit Saladin zu treten versucht hätten.“47 Mit dem Begleitbrief und dem Instruktionsschreiben liegen zwei direkt aus dem Gesandtschaftsverkehr hervorgegangene Dokumente von ayyubidischer Seite vor.48 Ihr Wert wird neben der arabischen Provenienz vor allem dadurch bestimmt, dass sie als unmittelbare Zeugnisse wichtige Hinweise auf Beginn, Akteure und Absicht der angestrebten Beziehung überliefern. Initiator der Beziehung war demnach Barbarossa, der mit einem konkreten Interesse an den neuen Herrscher Ägyptens herantrat.49 Als Zeitraum dieser Kontaktaufnahme kann schon Frühjahr oder Sommer 1172 angesetzt werden, sie dürfte eine unmittelbare Reaktion auf den Sturz der Fatimiden im September 1171 darstellen. Vor Oktober/November 1171 konnten die Nachrichten vom Herrscherwechsel in Ägypten kaum Europa erreicht haben. Eine Seeverbindung war dann erst wieder im Frühjahr möglich. Dass die Kontaktaufnahme in engerer Verbindung mit der Orientfahrt Heinrichs des Löwen stand, gar „die Erzählungen Heinrichs des Löwen von der Mächtekonstellation im Orient den Grund für Barbarossas Initiative bilden“,50 erscheint hingegen wenig plausibel, zumal Heinrich Anfang 1172 aufbrach und erst Anfang 1173 wieder zurückkehrte. Die Betonung der Heeresstärke und Vertragstreue im arabischen Instruktionsschreiben weisen auf militärische Absichten und ein mögliches Bündnis hin, das sich

45 Ebd., 566; Möhring, Kreuzzug (1980), 131, Angabe der Edition in Anm. 263: Muhyiddin ibn ‘Abdazzahir, ad-Durr an-nazim min tarassul ’Abdarrahim. Ed. Ahmad Badawi. Kairo 1378/1959, 37–42 (non vidi). 46 Möhring, Kreuzzug (1980), 132. 47 Ebd., 132  f.; Ders., Sultan (2005), 152. 48 Die Intitulatio des Begleitbriefes lautet: Rex nobilis defensator et rector gentis et legis sue et regni sui secundum iusticiam et equitatem tam pauperum quam divitum Saladinus rex Sarracenorum Babilonie, Dulcarie, Alexandrie tociusque terre Egipti, fortunatus Ioseph, protector quoque emirlemomelin [Amir al-Muminin], id est pape religiosorum virorum, und ist „europäischen Gepflogenheiten angepasst“, Möhring, Kreuzzug (1980), 129  f. Eine genauere Datierung dieses Titels ist nicht möglich, da Saladin den Titel Amir al-Muminin erst nach 1171 getragen haben kann. Die Formulierung rector gentis et legis sue basiert auf dem arabischen Salahaddin und ist Möhring zufolge vor 1175 anzusetzen. 49 Eddé hält hingegen die Kontaktaufnahme auch seitens Saladins für möglich, der nach Burchards Besuch dem Kaiser gegenüber seine militärische Stärke und Autonomie bezeugt, Eddé, Saladin (2008), 289. Dies angenommen, müsste Saladin mit der Aufzählung seiner Erfolge Barbarossa für ein Bündnis motivieren und so von anderen Allianzen abhalten. 50 Vgl. Möhring, Kreuzzug (1980), 132.

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der Wortwahl Saladins zufolge gegen Byzanz richtete.51 Die Nachrichten über die veränderten politischen Verhältnisse, den Sturz der Fatimiden wie auch die Niederlage der Byzantiner vor Damiette 1169 dürften den staufischen Hof zu diesem Zeitpunkt jedoch längst erreicht haben und u.  a. Anlass für die Kontaktaufnahme gewesen sein.52 Anne-Marie Eddé interpretiert dieses Hinweisen auf die errungenen Siege als Reaktionstest und zugleich Warnung an den Kaiser, nichts gegen Saladins Stellung zu unternehmen.53 Zuverlässig verbürgt ist dann der Aufenthalt einer Gesandtschaft Saladins vom Herbst 1173 bis Frühjahr oder gar Sommer 1174 am Hof Friedrichs  I.54 In der Forschung wird angenommen, dass es sich bei dieser Gesandtschaft um dieselbe handelt, die 1173 mit Abu Tahir zur Vergewisserung der Legitimität des kaiserlichen Wunsches im Reich anlangte.55 Nicht auszuschließen ist aber ebenso, dass Abu Tahir zunächst wieder zurückreiste, um Saladin die Bestätigung des kaiserlichen Interesses an einer Verbindung sowie eine entsprechende Einladung von Barbarossa zu überbringen und die mit Geschenken ausgestattete Gesandtschaft erst anschließend aufbrach.56 Die erzählende Quelle der Kölner Königschronik gibt Aufschluss über die Perzeption der Beziehung: Freundschaft mit dem Kaiser, Schutz und Anerkennung der Christen stehen hier im Mittelpunkt. Illis diebus legati regis Babyloniae ad imperatorem venerunt, rara et preciosa munera deferentes. Legatio talis erat, quod idem rex peteret, ut filio suo filia imperatoris matrimonio iungeretur, ea conditione, ut ipse rex cum filio et omni regno suo christianitatem susciperet et omnes captivos christianos relaxaret. Imperator vero eosdem legatos honorifice secum per dimidium fere annum detinuit et singulas civitates et ritus diligenter notare et inspicere concessit.57

51 In der Inscriptio des Beglaubigungsschreibens wird Friedrich Barbarossa allen anderen Kaisern vorgezogen, was als Formel freilich nicht überbewertet werden darf, zumal es sich um eine vermutlich im Reich angefertigte Übersetzung handelt: (…) imperatori magnifico, altissimo, nobilissimo F., intimo domino et amantissimo amico pro omnibus tocius mundi karissimo iuxta cordis sui desiderium pro omnibus imperatoribus, regibus ac principibus rerum suarum felicissimum ac beatum a Deo eventum, generis et nobilitatis sue, universorum quoque possessorum et possidendorum perpetuum gaudium ac longevam vitam cum gloria et honore in nomini Domini. Amen, Wagendorfer, Überlieferung (2009), 582. 52 Die Doppelzüngigkeit der Griechen allerdings war ein weitverbreitetes Klischee, vgl. Lilie, Byzanz (1981), 240. 53 Eddé, Saladin (2008), 289. 54 Chronica Regia, ad a. 1173 und 1174. Ed. Waitz (1880), 124  f.; Annales Aquenses, ad a. 1174. Ed Waitz (1879), 38; siehe RI IV, 2, 3 Nr. 2063 und Nr. 2081. Die Aachener Annalen verzeichnen die Rückreise der Gesandtschaft nach dem Osterfest am 24. März 1174, die Kölner Königschronik dagegen bezeugt die Gesandtschaft noch bis St. Johannes am 24. Juni 1174. Die Ankunft allerdings kann aufgrund der Winterstürme spätestens für November 1173 angesetzt werden. 55 Möhring, Kreuzzug (1980), 132; Borgolte, Experten (2011), 984. 56 Dafür spricht die sonst außergewöhnlich lange Aufenthaltsdauer der Gesandtschaft im Reich, die ja schon Monate vor der Erwähnung im Herbst 1173 mit Geschenken dort eingetroffen sein musste. 57 Chronica Regia, ad a. 1173. Ed. Waitz (1880), 124.

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In der Darstellung erscheint die ostentative Inszenierung der Zusammenkunft mit den jeweiligen Repräsentanten wichtiger als deren politische Hintergründe.58 Die Delegation wurde mit allen Ehren empfangen, die Kommunikation schien reibungslos zu verlaufen – von Missverständnissen zumindest wird nicht berichtet. Wertvolle Geschenke des „Königs von Babylon“59 demonstrierten die Wertschätzung Saladins für Barbarossa.60 Ebenso entsprach der lange Aufenthalt der Legation einer besonderen Auszeichnung und ist qualitatives Zeugnis der Beziehung.61 Mit zahlreichen Geschenken bedachte dann Barbarossa die Gesandten zum Abschied.62 Neben Herrschaftspraxis, Reisekaisertum und Hoftagen lernten die ayyubidischen Gesandten Städte, Infrastruktur, Lebensweise (ritus) und religiösen Ritus während ihres Aufenthaltes im Reich kennen.63 Anzunehmen ist, dass die Gesandten während dieser Zeit dem Itinerar des Kaisers folgten und auch die hohen Festtage bei Hofe miterlebten: Weihnachten 1173 in Erfurt, Ostern 1174 in Aachen.64 „(…) als er sie zum Johannesfest, also Ende Juni 1174, in Regensburg entließ, waren fast alle deutschen Fürsten und eine Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers zugegen.“65 Als Grund für den Besuch nennt die Kölner Königschronik den Wunsch einer ehelichen Verbindung von Saladins Sohn mit einer Tochter Friedrichs. Darüber hinaus 58 Vgl. Kintzinger, Diplomatie (2010), 260. 59 Aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Bericht vom Empfang Heinrichs des Löwen bei Qilig-Arslan vermutete die ältere Forschung auch hier eine Legation Qilig-Arslans, Chronica Regia, ad a. 1172. Ed. Waitz (1880), 123  f.; Möhring, Kreuzzug (1980), 125. Ähnlichkeiten bestehen auch mit der Beschreibung der Gesandtschaft 1179 bei Otto von St. Blasien: Anno dominice incarnationis MCLXXIX soldanus rex Iconii missis ad Fridricum imperatorem legatis quamvis paganus cum suis omnibus fedus cum eo pepigit filiamque eius matrimonio sibi coniungi postulavit ac se Christianum cum sua gente fieri si adipisceretur imperatoris filiam, sponte promisit. Imperator autem, licet filiam tenere diligeret vixque postulata concederet, tamen consensit eamque sibi dare promittens prius tamen mortuam luxit, quam petenti dederit, Otto von St. Blasien, Chronica. Ed. Hofmeister (1912), 37; Möhring, Kreuzzug (1980), 126. 60 Kintzinger, Diplomatie (2010), 268; Hiestand, Singen (1995). Geschenke und Eheverabredungen gehörten seit der Antike zu den symbolischen Interaktionsformen zwischenstaatlicher Bündnisse, vgl. Epp, Rituale (2001), 12; 23. 61 Unerwünschte Gesandtschaften hingegen wurden von Barbarossa warten gelassen oder gar nicht persönlich empfangen, Görich, Sprache (2008), 41; 44. Die lange Aufenthaltsdauer von mindestens einem halben Jahr ist auch den Reisebedingungen geschuldet, da das Mittelmeer zwischen November und März kaum befahrbar war, Möhring, Kreuzzug (1980), 126  f.; Ders., Sultan (2005), 151. 62 Imperator legatos regis Babilonie cum magno honore et multis donis remittit, Chronica Regia, ad a. 1174. Ed. Waitz (1880), 125. 63 Zur Übersetzung von ritus siehe Möhring, Kreuzzug (1980), 127. 64 Würzburg (21. November 1173), Worms (29. November–3. Dezember), Erfurt (18. –25. Dezember), Nordhausen (Januar 1174), Tilleda (Januar–Februar), Merseburg (21. Februar), Quedlinburg (3. März), Fulda (März), Aachen (24. –31. März; Ostern), Maastricht (11. April), Nimwegen, Kaiserswerth, Köln, Sinzig (9. Mai), Cochem (12. Mai; Pfingsten), Kaiserslautern (23. Mai), Avenches (9. Juni), Regensburg (Juni/Juli), Opll, Itinerar (1978), 58  f.; 208  f. Mit der Festkrönung Barbarossas, Beatrix und Heinrichs in Aachen inszenierte der Kaiser seinen Anspruch auf Herrschaft im Romanum imperium vor dem Italienzug. 65 Borgolte, Augenlust (2010), 603  f.

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beabsichtigten Saladin, sein Sohn und das gesamte Reich die Konversion zum Christentum und versprachen die Freilassung sämtlicher christlicher Gefangener. Zwar entspricht das genannte Projekt einer staufisch-ayyubidischen Heirat wohl eher „Wunschdenken“ und stellte keine realistische Alternative dar,66 doch weist der Vorschlag einer Eheverbindung über freundschaftliche Beziehungen hinaus auf einen Vertragsabschluss hin, der ja üblicherweise durch dynastische Verbindungen bekräftigt wurde.67 1173 war Saladin noch Stellvertreter Nūr ad-Dīns und kein souveräner Herrscher, wurde hier aber nicht als Usurpator, sondern als souveräner und egalitärer Herrscher anerkannt. Rang und Status Saladins scheinen einer Eheverbindung in der Wahrnehmung angemessen gewesen zu sein, eine Aufnahme in die Familie der Könige war denkbar.68 Die Annahme einer Heiratsverbindung mit Saladin erklärt sich aufgrund parallel geführter Eheverhandlungen dieser Jahre: 1171 und 1173 bot Friedrich Barbarossa seine Tochter Ludwig  VII. an.69 1171/72 begannen Verhandlungen um ein Heiratsbündnis mit Byzanz.70 Noch auf dem Regensburger Hoftag 1174, nachdem die Gesandtschaft Saladins verabschiedet wurde, bemühten sich byzantinische Gesandte um das anberaumte Eheprojekt.71 Im Herbst 1173 wurden auch Verhandlungen mit Wilhelm  II. von Sizilien um eine Ehe mit der Kaisertochter aufgenommen.72 Angesichts der parallelen Eheverhandlungen des byzantinischen Kaisers Manuel  I., der seine Tochter Maria sowohl Wilhelm II. von Sizilien als auch Barbarossa anbot,73 ist diese Taktik grundsätzlich auch für Barbarossa anzunehmen, da zeitgleiche Verhandlungen mit Saladin und dann Sizilien ein Druckmittel gegenüber Byzanz schufen.

66 Ebd., 603, Anm. 58. Borgolte widerspricht Möhrings Annahme, der hierin eine „Schutzbehauptung“ sieht: „um dem Vorwurf vorzubeugen, der Kaiser als Schutzherr der Christenheit pflege mit Feinden des Christentums freundschaftliche Beziehungen“, Möhring, Sultan (2005), 152. Dagegen hält Borgolte es für „Wunschdenken“, also „Vorstellungen“, welche das Denken und Handeln der Menschen steuern. Zeitgenössische Beispiele (vermeintlicher) Konversionsabsichten bei Möhring, Kreuzzug (1980), 127  f.; Görich, Friedrich (2011), 546; Opll geht von einem tatsächlichen Ehevorschlag aus, Opll, Friedrich (2009), 297. 67 Zeitgenössische Ordnungsvorstellungen und das Verhältnis zwischen Herrschern spiegelten sich in der Wahrung bestimmter Formen und Aktivitäten, die zum Bereich „politisch relevanten Handelns“ zählten, vgl. Görich, Sprache (2008), 40; Garnier, Politik (2007), 49  f. 68 Vgl. auch Otto von St. Blasien, Chronica, c. 28. Ed. Hofmeister (1912), 39  f. und Otto von Freising, Chronik, V. 1. Ed. Lammers (2011), 378  f. 69 Die Verbindung scheiterte allerdings am Widerstand Alexanders III., Opll, Friedrich (2009), 108; 290; Georgi, Mächte (1990), 219; 237. 70 Ob ein Ehebündnis schon Verhandlungsgegenstand der Legation Christians von Mainz Ende 1170 war, ist nicht entschieden. Georgi setzt die Heiratspolitik erst 1171 an, Georgi, Mächte (1990), 199; dagegen Opll, Friedrich (2009), 107; 278  f. 71 Annales Aquenses, ad a. 1174. Ed. Waitz (1879), 38; Dölger, Regesten, Nr. 152a. (1995), 267. 72 Die Ehepläne mit Sizilien wurden wohl im Anschluss an die gescheiterte Eheverhandlung mit Frankreich aufgenommen, Georgi, Mächte (1990), 238; Möhring, Kreuzzug (1980), 128. 73 Georgi, Mächte (1990), 203; 205.

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Die Vorstellung ehelicher Verbindungen entsprach jenseits des religiösen Gegensatzes dem politischen Utilitarismus. Heiratspolitik war Bündnispolitik und konnte in dieser Funktion Allianzen stabilisieren oder erst generieren.74 Dass dies auch zwischen Partnern unterschiedlicher Bekenntnisse galt, davon zeugen die Verbindungen mit byzantinischen Frauen zur Zeit Konrads  III. Otto von St. Blasien berichtet dann von der Absicht Qilig-Arslans  II., eine Tochter Barbarossas zu ehelichen und zum Christentum zu konvertieren.75 Angedacht war auch eine Heirat zwischen Saladins Bruder al-Adil und Johanna, der Schwester Richards  I.76 Ein unüberwindbares Hindernis stellte die Zugehörigkeit zum Islam in diesen Zeugnissen nicht dar. Die geäußerte Erwartung einer Konversion Saladins zum Christentum diente teils sicher der Rechtfertigung der Beziehungen,77 dennoch erschien sie schon aufgrund der vielfach dargelegten Überlegenheit des Christentums im Vergleich mit allen anderen Religionen plausibel. Der Hinweis auf die Freilassung der christlichen Gefangenen drückt hier ebenso neben der Betonung einer friedlichen Absicht die besondere Wertschätzung aus.78 Leitgedanke dieser Darstellung ist die Steigerung des Ansehens durch Freundschaft mit einem gleichrangigen Herrscher, der den Honor des Reiches bestätigt.79 Von einer unmittelbaren Antwort Barbarossas auf die saladinische Gesandtschaft ist nichts Näheres bekannt,80 den nächsten Hinweis auf eine Fortführung des (Freundschafts-) Bündnisses liefert erst der Bericht Burchards. Hauptquelle für spätere Nachrichten über Kontakte zu Saladin aus den 1180er Jahren ist dann wieder die Kölner Königschronik. 1180 wird eine Gesandtschaft eines soltanus rex Persarum erwähnt,

74 Garnier, Politik (2007), 49  f.; siehe auch Spieß, Familie (1993); Medick/Sabean, Emotionen (1984). 75 Otto von St. Blasien, Chronica. Ed. Hofmeister (1912), 37; siehe Anm. 59. 76 Möhring, Kreuzzug (1980), 128. 77 Vgl. die von Wilhelm von Tyrus erwartete Konversion der Assassinen im Kontext des Bündnisses mit Amalrich 1173, Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XX, 29. Ed. Huygens (1986), 953  f.; dazu Kapitel III.2.1. Die ausdrückliche Verwendung des auf ein Territorium bezogenen Titels rex für den Sultan, die Hoffnung auf Christianisierung der Muslime und der Freilassung christlicher Gefangener stimmen mit dem antiken und dann karolingischen Modell auswärtiger Beziehungen überein, Georgi, Intra (2002), 56  f. Ein missionarischer Impetus christlicher Freundschaft wird bei Augustin deutlich, der Freundschaft als Teil der caritas und als Geschenk Gottes begriff, Epp, Amicitia (1999), 14–16. 78 Görich, Sprache (2008), 45. Das lateinische Schreiben Saladins an Barbarossa hebt die repräsentative Bedeutung des Bündnisses hervor, Georgi, Intra (2002), 65–69. Der Verweis auf die Gefangenen begegnet ebenso in der Kölner Königschronik in der Behauptung, Qilig-Arslan habe auf Bitten Heinrichs des Löwen alle christlichen Gefangene befreit, Chronica Regia, ad a. 1172. Ed. Waitz (1880), 124. Im Verhältnis zwischen Qilig-Arslan und Heinrich dem Löwen wurde eine verwandtschaftliche Beziehung von seiten des Seldschuken betont, um eine enge Bindung zu signalisieren, Arnold, Chronica, I, 9. Ed. Lappenberg (1869), 24  f. 79 Vgl. Einhard, Vita Karoli, 16. Ed. Firchow (1996), 32–35. Die Freundschaften mit Alfons von Galicien, den Königen der Schotten, Harun al-Raschid und Byzanz steigerten nach Einhard das Ansehen des Reiches. Ähnliches berichtet dann Otto von Freising, Gesta III, 8. Ed. Schmale (1986), 406–409. 80 Möhring, Kreuzzug (1980), 134.

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welche nicht eindeutig Saladin oder Qilig-Arslan zugeordnet werden kann und deren Anliegen dem Chronisten unbekannt war.81 1184 soll eine Delegation Saladins nach Verona gekommen sein und dem Kaiser mit der Eroberung Jerusalems gedroht haben, wohl nachdem Barbarossa auf Bitten des Königs von Jerusalem und Papst Lucius‘ III. 1184 den Kreuzzug festgesetzt hatte.82 Eine letzte Gesandtschaft unter der Leitung des Grafen Heinrich von Diez reiste 1188 zu Saladin.83 Der Überlieferung zufolge stellte dieser Gesandte Saladin demnach ein Ultimatum: Sollte er Jerusalem nicht freigeben, wäre der Krieg unvermeidlich.84 „Freunde“ konnten sie dann nicht mehr sein: amicus eius esse non posset.85 Die freundschaftliche Verbindung zu Saladin scheint aber 81 Nuncius soltani regis Persarum illic aderat; sed cuius rei gratia venerit, latet, Chronica Regia, ad a. 1180. Ed. Waitz (1880), 131; Möhring, Kreuzzug (1980), 136. 82 Venit nuncius Saladini ibidem, qui se in littera sua Saladinum, felicem Ioseph Egipti et dominatorum Damasci nominavit et principem Babilonis, minatus se velle repetere Iherusalem, quam sibsi asseruit iure hereditario provenire de Sara. Et in fine litterae subiunxit: Sic me adiuvet propheta meus Machometus. Super hoc nuncio est tota curia contristata, Annales Stadenses, a.  D. 1184. Ed. Lappenberg (1859), 350 Z. 34–38. Möhring hält diese Angaben für eine Verwechslung oder gar bewusste Dramatisierung, Möhring, Kreuzzug (1980), 136. Dagegen sind Saladins Antworten auf päpstliche Gesandtschaften überliefert (1183), Möhring, Sultan (2005), 155. 83 In ascensione Domini comes de Dietse Heinricus profectus est, quem misit imperator ad Salatinum regem, ut federi quod mutuo dudum pepigerat renunciaret, et quod amicus eius esse non posset, immo hostem et totum Romanum Imperium vel orbem contra eum moturum, nisi sub celeritate terram sanctam Iherusalem deserere, ligum dominicum in id loci id tulerat referre, de occisis christianis, qui utique homines ipsius essent, satisfacere festinaret, Chronica Regia, ad a. 1188. Ed. Waitz (1880), 140. Quia vero serenissimus imperator et Saladinus tam per nunciorum quam per donativorum alternam missionem a longo antea tempore amici fuerant ad invicem, imperator sue maiestatis prospiciens honestati duxit conveniens ad eum premittere legationem et cum denunciation belli se illius hostem fateri, nisi sanctam crucem in prelio christianis ablatam redderet cum terra Ierosolimitana, quam sue subiugaverat dicioni. Ab Henrico vero comite de Dietz rogatu imperatoris suscipitur hec ac Saladinum legatio deferenda, Historia Peregrinorum. Ed. Chroust (1928), 126  f. Eodem anno comitem Henricum de Deti magnanimus imperator consuetudine imperiali ad Saladinum direxit, monens et monitans, ut terram desereret, quam invaserat, Iesu Christi. Mos enim est imperii, ut inimiciis bellum indicat, quia nullum occulte bello consuevit invadere, Salimbene, Cronica. Ed. Holder–Egger (1905–1913), 7. Et quia imperialis maiestas neminem citra defectionem impetit, sed hostibus suis bella semper indicit. Giraldus Cambrensis: Sed quoniam imperialis majestas neminem citra defectionem impetit, sed hostibus suis bella semper indicit, praemiserat imperator ad Saladinum, priusquam iter arriperet, nuntios et litteras diffiduciatas ei et despicatas inimicitias, nisi Christianitati quam laeserat satisfaceret, ad plenum denuntiantes, Mayer, Itinerarium (1962), 279  f. Zu Heinrich von Diez d. Ä. siehe Schieffer, Graf (2001) und Kapitel V.3. Anm. 225. 84 Brief Barbarossas an Saladin, Anglicarum scriptoribus. Ed. Pauli (1885), 197  f. und die Antwort Saladins, ebd., 198  f. Gegen die Gesandtschaft samt kaiserlichem Begleitschreiben wurden Einwände vorgebracht, Möhring, Kreuzzug (1980), 93–125; Mayer, Brief (1958), 488–494. Eine quellenkundlich zwingende Erklärung für die Fiktion gleich der ganzen Gesandtschaft fehlt aber, Schieffer, Graf (2001), 463. Mitglied einer Gesandtschaft nach Konstantinopel war Heinrichs Sohn Heinrich III. von Diez, Historia de expeditione. Ed. Chroust (1928), 16; 20; 47 und Historia Peregrinorum. Ed. Chroust (1928), 127  f. Sein Vater kam auf dem dritten Kreuzzug um, ungewiss bleibt daher seine erwähnte Delegation im Vorfeld des Kreuzzuges zu Saladin, Schieffer, Graf (2001), 436  f. 85 Chronica Regia, ad a. 1188. Ed. Waitz (1880), 140, siehe Anm. 83.

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bereits 1180 nach dem Tod Manuels I. abgebrochen worden zu sein.86 Spätestens mit der Festsetzung des Kreuzzuges Weihnachten 1185 nach der Eroberung Jerusalems standen sich Barbarossa und Saladin als Feinde gegenüber. Aus dem Befund der lateinischen Quellen bleibt festzuhalten, dass in den Nachrichten stets auf das bestehende Einvernehmen Bezug genommen wird. Das Bündnis zwischen Barbarossa und Saladin wird sprachlich durchgehend als amicitia charakterisiert.87 Dieser „oszillierende Quellenbegriff“88 beinhaltet allerdings unterschiedlichste Formen und Funktionen von Bindungen. In einem weitgefassten Definitionsansatz kann er „als eine wechselseitige, wertbezogene und moralisch bindende Verpflichtung verstanden“ werden, die „affektive und kontraktuelle Elemente enthielt und sich in gegenseitigen Diensten äußerte“.89 Amicitia war seit der Antike das Paradigma zwischenstaatlicher herrschaftlicher Verhältnisse und ein Verfahren politischer Einbindung, konnte aber auch als Herrschaftsinstrument begriffen werden.90 Als Ordnungsbegriff zwischenstaatlicher Beziehungen bezeichnete amicitia im antiken Verständnis ein „unbefristetes völkerrechtliches Freundschaftsverhältnis“ und „wechselseitige Anerkennung meist ungleicher Partner“. Mittels formloser Zweckbündnisse mit Klientelkönigen und Föderaten sollte die pax romana – die römische Einflusssphäre und indirekte römische Weltherrschaft – erweitert werden.91

86 So Möhring, Sultan (2005), 154; Görich, Friedrich (2011), 544. 87 Zur amicitia in Antike und Mittelalter siehe u.  a. Lundgreen, Staat (2013); Burton, Friendship (2011); Descharmes/Heuser, Varietis (2011); Mustakallio/Krötzl, Amicitia (2009); Konstan, Friendship (1997); Epp, Amicitia (1999); Gotter, Cicero (1996); Berg, Deutschland (1997), 56; Ders., England (1987), 518; Brunt, Amicitia (1988); Wielers, Beziehungsformen (1959); Heinemeyer, Diplomatik (1936). 88 Garnier, Politik (2007), 63. 89 „Sie wurde begriffen als ein wechselseitiger, dialogischer, auf Konsens ausgerichteter Prozess und nicht als Einbahnstraße von Befehl und Gehorsam (…)“, Epp, Rituale (2001), 11; Dies., Amicitia (1999). Verstanden werden soll hier der Begriff als „politisch normierte Kooperationsbeziehung, die sich an ganz bestimmten Erfordernissen orientierte“, Garnier, Politik (2007), 36. Daneben ist amicus auch „bloße Höflichkeitsformel, die ohne weitere Implikationen großzügig verwendet wird.“ Doch geht es immer um Kommunikation unter Gleichrangigen. Inimicitia hingegen, offene Gegnerschaft, hat es nicht gegeben, „denn dies hätte bedeutet, soziale Beziehungen abzubrechen und statt eines momentanen Sachkonflikts einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Personen auszuhalten (…)“, Lundgreen, Staat (2013), 36  f.; Gotter, Cicero (1996), 345. 90 Mit dem amicitia-Begriff ist eine große Bandbreite von Deutungsmustern und Ausprägungen verbunden, welche Verallgemeinerungen problematisch machen. „Kernproblem“ ist, „ob wir es mit einem eigenständigen Konzept personaler Bindung zu tun haben, oder ob es sich stattdessen für die verschiedenen Kulturen des vormodernen Europa lediglich um eine ‚Chiffre‘ handelt, mit der bestimmte Aspekte der eigentlich durch Verwandtschaft oder Herrschaft bestimmten Bindungen angesprochen werden“, Oschema, Einführung (2007), 13. 91 Aus den Digesten lassen sich „fünf Beziehungsformen Roms mit fremden Mächten erkennen: die erklärte Feindschaft, das rechtliche Vakuum, das Gastverhältnis, den Föderatenstatus und die vertraglich fixierte oder informell geschlossene amicitia, die entweder die Gleichrangigkeit der Partner (aequum foedus) oder die Unterordnung eines der beiden beinhaltete“, Epp, Amicitia (1999), 179; Dies., Rituale (2001), 12; Iustinian, Digesten, XLIX, 15,5. Ed. Mommsen (1889), 833. Im Falle einer mi-

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Derartige Bündnisse bestanden in der Antike mit Ägypten, Galatien, Kappadokien und Paphlagonien und machten die Einflusssphäre des Römischen Reiches im Orient sichtbar.92 Im Gegenzug für militärischen Beistand versprach Rom seinen Freunden Unterstützung im Verteidigungsfall.93 Da für das Mittelalter theoretische Konzepte für außenpolitische Bündnissysteme fehlen, diente amicitia als Modell einer funktionalen Sicht diplomatischer Verbindungen, als „politisch normierte Kooperationsbeziehung, die sich an ganz bestimmten Erfordernissen orientierte“.94 Der Leitbegriff bestimmte nach Formen und Mitteln die außenpolitische Beziehung und transportierte trotz seiner Deutungsvarianz inhaltliche Grundprinzipien, zumindest eine Orientierung.95 Die Feststellungen von Claudia Garnier bezüglich des spätmittelalterlichen Verständnisses von amicitia können auch hier Geltung beanspruchen: „In allen Fällen wurde durch die Bezeichnung einer Beziehung als amicitia ein reziproker Verpflichtungshorizont markiert, der den Partnern Leistungen und Gegenleistungen abverlangte.“ Sie konnte unterschiedlichste Funktionen erfüllen, stellte aber „keine umfassende Verpflichtung“ dar, sondern konnte „überaus flexibel den jeweiligen Entwicklungen angepasst werden“.96 Von gegenseitiger Wertschätzung zeugen noch die letzten Nachrichten des diplo­ matischen Austausches zwischen Friedrich I. und Saladin Ende 1188 in der Historia Peregrinorum, die lange nach Festsetzung des Kreuzzuges von einem persönlich überbrachten Ultimatum an Saladin berichten:97

litärischen Verpflichtung verbunden mit der Investitur oder Adoption eines ausländischen Fürsten enthielt sie auch eine missionarische Dimension und war häufig mit der Taufe gekoppelt, Epp, Amicitia (1999), 18  f.; Paradisi, Amicizia (1947), 208  f. Zur Begriffsgeschichte antiker amicitia siehe Epp, Amicitia (1999), 7–16; Schulz, Entwicklung (1993). 92 Epp, Rituale (2001), 12  f. 93 Den Ptolemäern in Ägypten garantierten die Römer als amici ihre Souveränität, die nach der Eroberung Ägyptens 30 v. Chr. endete, Jordanes, Romana. Ed. Mommsen (1882), 30. 94 Garnier, Politik (2007), 36; Dies., Amicus (2000); Oschema, Freundschaft (2007); Appuhn-Radtke/ Wipfler, Freundschaft (2006); Eve, Friendship (2002); Paine, Approaches (1974). 95 Vgl. Koselleck, Begriffsgeschichte (1973), 124. 96 Garnier, Politik (2007), 63  f. Bruno Paradisi qualifiziert Freundschaftsbündnisse des Mittelalters als Allianzen: „E così potremmo concludere, ripitendo un ragionamento già fatto da Ottone di Fri­ singa, l’esposizione della trasformazione dell’amicitia in alleanza che avevanno iniziato con un esempio tratto pur esso dalle relazioni tra l’Occidente e l’Oriente“, Paradisi, Amicizia (1947), 222. 97 Allerdings nahm Friedrich selbst erst Ende 1188 das Kreuz, ein Jahr nach dem Kreuzzugsgelübde der Fürsten auf dem Straßburger Hoftag vom 1. Dezember 1187 und zwei Monate nach den Königen von Frankreich und England. In dieser Zeit sandte Friedrich Gesandtschaften an die Herrscher von Ikonium, Serbien, Ungarn und Byzanz, deren Gebiete er auf dem Landweg nach Jerusalem durchqueren würde, Möhring, Kreuzzug (1980), 85–90.

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Quia vero serenissimus imperator et Saladinus tam per nunciorum quam per donativorum alternam missionem a longo antea tempore amici fuerant ad invicem, imperator sue maiestatis prospiciens honestati duxit conveniens ad eum premittere legationem et cum denunciation belli se illius hostem fateri, nisi sanctam crucem in prelio christianis ablatam redderet cum terra Ierosolimitana, quam sue subiugaverat dicioni.98

Die Begründung der Kriegsankündigung steht in Zusammenhang mit der zunehmenden Durchdringung des politischen Handelns mit Rechtsideen, speziell mit der Rechtsverpflichtung, Fehden anzusagen. „(…) auch dem Gegner gegenüber war prinzipiell den vom römischen Rechtsdenken übernommenen Vorstellungen zu folgen. Obwohl der überlieferte Briefwechsel Barbarossas mit Saladin Fiktion ist, scheint doch formell die Freundschaft aufgesagt worden zu sein, nachdem zuletzt in Verona 1184 sich ein Bote des Ayyubiden eingefunden hatte. Man erwartete gleiches von der anderen Seite, so dass sich Barbarossa nach der Estoire bitter beklagt, der Sultan von Ikonium hätte ihn trotz eines Waffenstillstands angreifen lassen.“99 Nicht der reli­ giöse Gegensatz und der Unglaube Saladins werden als Kriegsgrund aufgeführt, der Bruch mit Saladin wird rechtlich begründet. Die vertragliche Abmachung besitzt Gültigkeit und muss pflichtgemäß eingehalten werden. Bis zum Schluss bleibt ihm der angebotene Ausweg, die heiligen Stätten wieder freizugeben und so den Kreuzzug zu verhindern.100 Mit dem Ultimatum würden nach Ernst Dieter Hehl die Kreuzzugsambitionen und -verpflichtungen Barbarossas nicht geschmälert. Denn dieser hatte seine Bereitschaft zum Kampf gezeigt und „seiner Verpflichtung gegenüber Christus“ auch ohne Krieg und peregrinatio Genüge getan.101 Schwierig gestaltet sich eine genauere Bestimmung der Intentionen und der Verhandlungsgegenstände, die zur Kontaktaufnahme zwischen Friedrich I. und Saladin führten, zumal Nachrichten über frühere und parallele Abkommen zwischen christlichen und muslimischen Herrschern kaum Analogieschlüsse für spezifische Themen und Verhandlungsgegenstände anbieten.102 Im Unterschied zum antiken Verständ98 Historia Peregrinorum. Ed. Chroust (1928), 126  f. 99 Hiestand, Precipua (1992), 92. 100 In unmittelbarer Verbindung mit dem Kreuzzug standen friedenstiftende Maßnahmen, so auch die Verpflichtung, eine Fehde anzusagen, ebd., 56. 101 Hehl, Kreuzzug (1999), 47. 102 Anregungen bieten Verträge des Königreiches Aragon aus dem 13. und 14. Jahrhundert, deren zentrale Interessen mit dem Handelsverkehr zusammenhängen. Jaspert stellt fünf Problemfelder heraus: „die Auslösung beziehungsweise Befreiung gefangener Christen respektive Muslime; die Lösung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit Schiffbruch und Piraterie; die Sicherstellung der Bewegungsfreiheit; die Gewährleistung einer eigenen Rechtsprechung der religiösen Minderheit in der Fremde sowie schließlich die Religionsfreiheit der Glaubensbrüder im Dar al-Islam (…). Spezifisch als Anliegen der christlichen Seite lässt sich das Bemühen um die Einrichtung von Handelshäusern und –niederlassungen in muslimischen Hafenstädten, aber auch der Schutz der heiligen Stätten und christlicher Pilger bezeichnen“, Jaspert, Diplomatie (2008), 177. Siehe dazu auch Beihammer, Kommunikation (2012); Ders., Strategies (2012); Beihammer/Parani/Schnabel, Diplomatics (2008); Bei­

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nis von amicitia bestand zwischen Saladin und Barbarossa weder ein territoriales noch kulturelles Hegemonieverhältnis, welches eine politische Funktionsweise nach antikem Modell nahelegte: nämlich „die Ausübung von Kontrolle und informeller Herrschaft auf der Seite des stärkeren Partners gegenüber Sicherheitsgarantien, die den Aufstieg zu eigener ‚Staatlichkeit‘ ermöglichte, auf der Seite des (zunächst) schwächeren Partners.“103 Grundsätzlich entstand politische und damit im weitesten Sinne zweckorientierte Freundschaft als Konsequenz und Strategie in Hinblick auf eine Gefährdung.104 Aktivitäten und Unterstützungsleistungen umfassten unterschiedliche Formen der Parteinahme, konnten de facto auch auf Neutralität oder eine „gezielte Politik der Enthaltung“ hinauslaufen.105 Barbarossa konnte in Ägypten kaum die Verhältnisse kontrollieren, höchstens von ihnen profitieren, indem er eine unbekannte Größe durch amicitia an sich band und damit partiell berechenbar machte. Die Semantik der Freundschaft bezog sich im vorliegenden Fall auf ein horizontales Verhältnis und eine optionale und temporäre Bindung einer Interessengemeinschaft, die damit bestimmte Haltungs- und Handlungsoptionen markiert. Bekräftigt und sichtbar gemacht wurden die nunmehr geregelten zwischenstaatlichen Beziehungen durch symbolische Interaktionsformen und das zeichenhafte Entgegenkommen Barbarossas beim Besuch der Gesandten 1173.106 Die sichtbaren äußeren „Garantieformen“ der Allianz indizierten Saladins Position im politischen Kräftespiel und eröffneten ihm diplomatische Anerkennung als selbständiger Herrscher durch den Kaiser.107 Für die Frage nach den Motiven und dem Anlass des staufisch-ayyubidischen Bündnisses ergeben sich aus den Quellen unterschiedliche Ausgangspunkte. Aufgrund der zeitgleichen Verhandlungen Barbarossas mit dem Seldschukenfürsten Qilig-Arslan wird in der Forschung von einem gegen Byzanz gerichteten Bündnis zwischen Saladin und Barbarossa ausgegangen, quasi als Teil eines Bündnissystems. Dreh- und Angelpunkt der Annahme eines gegen Byzanz gerichteten Bündnisses ist der Passus im saladinischen Instruktionsschreiben, in dem auf die Doppelzüngigkeit

hammer, Kaiser (2007); Ders., Nachrichten (2000); Atrache, Politik (1996); Hiestand, Singen (1995); Omran, Truces (1996); Köhler, Allianzen (1991). Verloren ist Quellenmaterial aus den Archiven von Antiochien, Tripolis und Jerusalem, Hiestand, Urkunden (1995). 103 Epp, Rituale (2001), 12  f. Isidor von Sevilla unterscheidet foedus und amicitia, Isidor, Etymolo­ giae, I, 40,7. Ed. Lindsay (1911). Amicitia meint die Begründung eines völkerrechtlichen Verhältnisses, das Autonomie in Gestalt einer eigenen Königsherrschaft zuließ, aber dafür auf Schutz durch den stärkeren Partner verzichtete. Foedus ist dagegen mit Untertanenschaft verbunden, Epp, Amicitia (1999), 193; vgl. Opll, Friedrich (2009), 273. 104 Garnier, Politik (2007), 55–62. 105 Die Intention des Bündnisses konnte sich auf unterschiedliche Bereiche erstrecken und musste nicht vornehmlich von strategischer Bedeutung sein. 106 Vgl. Epp, Rituale (2001), 12; vgl. Laudage, Gewinner (2002), 130. 107 Amicitia diente als Weg zu politischer Eigenständigkeit, die Vorrangstellung blieb in Begriffen ersichtlich, Epp, Rituale (2001), 15  f.

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und Vertragsbrüchigkeit der Byzantiner hingewiesen wird. Im Instruktionsschreiben für Abu Tahir wird auch das byzantinische Interesse an einer Zusammenarbeit mit Saladin erwähnt,108 dass dieser offensichtlich zugunsten einer Allianz mit Barbarossa ablehnte. Als Begründung führt er die Unzuverlässigkeit der Byzantiner an, die in seiner Darstellung nicht ihm, sondern den Franken der Kreuzfahrerherrschaften schadeten.109 Nach Ralph-Johannes Lilie waren 1169 allerdings nicht die Byzantiner vertragsbrüchig geworden, vielmehr hatte Amalrich von Jerusalem während des gemeinsam mit Byzanz unternommenen Eroberungszuges nach Ägypten 1169 hinter deren Rücken Verhandlungen mit Saladin aufgenommen.110 Angesichts der geschlossenen muslimischen Front nach dem Misserfolg der Unternehmung von 1169 suchte Jerusalem dann 1169 und 1171 Hilfe im Westen, konnte aber auch auf byzantinische Unterstützung nicht verzichten. Mutmaßlich wünschte auch Saladin nach außen hin eine Verständigung mit Byzanz.111 Trifft dies zu, dann instruierte Saladin seinen Boten, die Byzantiner in ein schlechtes Licht zu rücken, obwohl die Doppelzüngigkeit den Franken angelastet werden müsste. Erwiesen ist dies jedoch nicht. Unbestritten ist für Barbarossa und Saladin das gespannte und konkurrierende Verhältnis zu Byzanz, stellt aber nur einen, wenn auch gewichtigen Faktor unter anderen dar. In den lateinischen Quellen wird der Grund für die Aufkündigung des früheren Bündnisses mit der Eroberung Jerusalems durch Saladin angegeben. Rückblickend steht der Schutz des Heiligen Landes im Zentrum. Um die Absicht und den möglichen Nutzen des (ersten) Bündnisses 1172–1174 näher zu ermitteln, wird im folgenden Abschnitt die jeweilige politische Situation der Herrscher innerhalb der Mächtekonstellation dargestellt. Neben dem Anhaltspunkt eines gegen Byzanz abzielenden Bündnisses richtet sich der Fokus auch auf die Verbindung zu Jerusalem und Genua bzw. den italienischen Seestädten, da diese Akteure bzw. Mächte explizit in den Quellen genannt werden. Welchen Intentionen sollte und konnte die amicitia zwischen Barbarossa und Saladin nutzen?

108 Georgi, Mächte (1990), 240. 109 Lilie, Byzanz (1981), 190–194. 110 „Die ganze Entwicklung der Expedition von 1169 erweckt den Eindruck, dass Amalrich an einer gemeinsamen fränkisch-byzantinischen Eroberung Ägyptens nicht interessiert gewesen ist. Er wollte das Land für die Franken allein, und weder er noch seine Barone wollten mit Byzanz teilen. Da man die Byzantiner, als sie nun einmal eingetroffen waren, nur schlecht wieder nach Hause schicken konnte, brach man zwar zusammen mit ihnen auf, verzögerte und sabotierte aber das ganze Unternehmen, bis es ergebnislos abgebrochen werden musste. (…) Man brauchte aber die Defensivallianz mit Byzanz, denn sie allein ermöglichte die Expansion nach Ägypten, da sie den Franken in Syrien den Rücken deckte“, ebd., 193. 111 Ebd., 194, Anm. 255.

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V.2 Bestimmungsfaktoren der staufisch-ayyubidischen Beziehung 1172–1174 Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass im Mittelalter auswärtige Interessenpolitik betrieben wurde, die dem Erhalt oder der Optimierung des status quo dienen sollte. Ob der an neuzeitliche Kategorien gebundene Begriff Außenpolitik dabei für das Mittelalter angemessen ist und überhaupt als Kategorie für die Einordnung politischer Beziehungen zu anderen Reichen dienen kann, wird noch in jüngsten Publikationen kontrovers beantwortet.112 Wenn auch das außenpolitische Handlungsmonopol nicht Bestandteil der herrscherlichen Gewalt des Königs war und spezifische Institutionen zur Regelung auswärtiger Angelegenheiten nicht existierten, bleibt dennoch unstrittig, dass in der Praxis über die Grenzen des eigenen Machtbereiches hinaus Politik betrieben und diplomatische Kontakte unter Verwendung eines dafür geeigneten Instrumentariums verfolgt wurden. Der polyseme Begriff amicitia macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass die terminologische Übereinstimmung von Verwandtschafts- und politischer Beziehung auf der funktionalen Kongruenz der unterschiedlichen Bindungsformen basierte: Von allen amici wurde Schutz und Unterstützung erwartet.113 Interessenkonstellationen innerhalb und außerhalb des jeweiligen Herrschaftsbereiches werden nach neueren Ansätzen als eng verzahnte und miteinander zusammenhängende Politikbereiche verstanden, die nicht isoliert betrachtet werden können.114 Die enge Verknüpfung innen- und außenpolitischer Bedingungsstrukturen kann dabei höchst unterschiedliche Bereiche, Strategien und Maßnahmen einbeziehen, die diversen Handlungsbereichen und Akteurstypen zuzuordnen sind. Das so erweiterte Verständnis von Außenpolitik erleichtert ferner die Anwendung des Begriffs ‚Außenpolitik‘ auf das Mittelalter, in dem eine begriffliche und politischinstitutionelle Trennung beider Bereiche nicht gegeben ist.115 Entsprechend soll für die Frage nach den spezifischen politischen Zielhierarchien Barbarossas und Saladins der Ansatz moderner Politikwissenschaft angewandt werden, „Außenpolitik als na­tio­nal­staatliches Verhalten“ zu beschreiben und nicht mehr analytisch von inneren Entwicklungen zu trennen.116 Dazu werden vor dem Hintergrund der Diskussion über die Ausrichtung der staufischen, byzantinischen und ayyubidischen Politik zunächst wesentliche Ausgangsbedingungen, Interessen und Herausforde112 Zey/Märtl, Frühzeit (2008), 11; Berg, Deutschland (1997), 1–4. 113 „Diese Bedeutungsvarianz ist die logische Konsequenz der Tatsache, dass sich Funktionsträger im spätmittelalterlichen Reich aus einem Set verschiedenster Sozialbindungen bedienten, die herrschaftlicher, genossenschaftlicher ebenso wie verwandtschaftlicher Natur waren. Diese Netzwerke wurden häufig kumulativ miteinander verknüpft, um der Partnerschaft eine möglichst dauerhafte Stabilität zu garantieren“, Garnier, Politik (2007), 63. 114 Vgl. Seidelmann, Außenpolitik (2011), 43. 115 Ebd.; siehe Kapitel V Anm. 16. 116 Seidelmann, Außenpolitik (2011), 43.

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rungen Friedrichs  I. wie auch Saladins dargestellt und in Hinblick auf strategische Optionen strukturiert. Im nächsten Schritt wird die Frage nach einer Kongruenz der Interessen und möglichen Alternativen gestellt, um den Zweck des Bündnisses einzugrenzen. Aufgrund häufig nur kurzfristig anvisierter Ziele und strategisch-taktischer Täuschungsmanöver sind die Interessenkonstellationen, die hier als Rahmenbedingungen des Bündnisses herausgestellt werden sollen, allerdings schwer zu fixieren. Das parallele Agieren verschiedener Akteure, deren offizieller Auftrag nicht immer ersichtlich ist, erschwert eine genaue Bestimmung der praktischen Außenpolitik und ihrer Träger. Gefragt werden muss nach der Art der Herausforderung, die das staufisch-ayyubidische Bündnis rezipiert. Zwei Arten der Herausforderungen werden dabei unterschieden: Sie können sich auf Strukturfragen oder auf einen bestimmten Herausforderer beziehen und erfordern entsprechend unterschiedliche Antworten auf Problemlösungen.117 Das allem Anschein nach von Barbarossa initiierte, von Saladin erwiderte und honorierte Bündnis steht zeitlich mit der Vorbereitung des fünften Italienzuges in Verbindung. Barbarossa schickte die erste Gesandtschaft wohl im Sommer 1172 zu Saladin, kurz nachdem er am 26. März 1172 den fünften Italienzug festgesetzt hatte.118 Priorität hatte für Barbarossa die Durchsetzung kaiserlicher Hoheitsrechte in Italien, die von den meisten italienischen Städten in dieser Form nicht anerkannt und heftig bekämpft wurden.119 Nach dem schweren Rückschlag des vierten Italienzuges war in Oberitalien die Reichsverwaltung zusammengebrochen und die überwiegende Zahl der lombardischen Städte stand ihm feindlich gegenüber.120 Besonders der Zusammenschluss der wirtschaftlich am weitesten entwickelten Kommunen zum lombardischen Städtebund bedeutete politisch, juristisch und wirtschaftlich einen herben Affront.121 Militärisches Hauptangriffsziel war das zu Ehren Papst Alexanders  III. benannte Alessandria,122 dessen Gründung im Frühjahr 1168 die enge Verbindung der 117 Vgl. Krause, Sicherheitspolitik (1996), 82. 118 Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 121. Möglich wurde die Planung des erneuten Italienzuges durch die Festigung der Herrschaft im deutschen Reichsteil und die territorialen und politischen Erfolge in der Zeit nach der Katastrophe vor Rom 1167, Opll, Itinerar (1978), 46. 119 Opll, Friedrich (2009), 102–123; Görich, Friedrich (2011), 349–387; Haverkamp, Friede (1987), 17; 33. 120 Görich, Friedrich (2011), 371; Petersohn, Kaisertum (2010), 257. 121 Der Zusammenschluss von vierzehn oberitalienischen Städten erfolgte am 1. Dezember 1167 auf der Grundlage schon bestehender kleinerer Städtebünde. Bezeichnung und Mitglieder variierten, seine höchste Anzahl von Städten erreichte er 1175. Die Forderungen der societas nach dem Frieden von Montebello unterzeichneten 25 Städte, Haverkamp, Friede (1987), 11  f.; 17  f.; Raccagni, League (2010), 43. In der Politik der Kommunen herrschten unterschiedliche Parteiungen vor, sie darf nicht als monolithischer Block betrachtet werden. Mittels wirtschaftlicher Sanktionen und der Kontrolle wichtiger Verkehrswege entzogen sie Land und Städte dem kaiserlichen Zugriff. Der Widerstand traf damit den Lebensnerv der nicht zur Lega gehörenden Städte und setzte diese stark unter Druck, ebd., 113–118; Opll, Friedrich (2009), 263; Görich, Friedrich (2011), 372  f. 122 Romuald von Salerno, Chronicon. Ed. Arndt (1866), 440.

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Kommunen zu Papst Alexander III. demonstrierte und eine schwere Beleidigung und Schädigung der Kaiserkrone darstellte.123 Nicht zu trennen ist das Vorgehen gegen die aufständischen Kommunen von dem Versuch, durch unterschiedliche Maßnahmen die weitreichende Interessenkoalition des Bundes „mit dem antikaiserlichen Papsttum Alexanders III., dem normannischen König und dem byzantinischen Kaiser“124 zu durchbrechen. Barbarossas Kampf galt der perfidia des Lombardenbundes, ausdrücklich aber auch dessen Unterstützern. Als unlösbar und „kaum zu überwindendes Hindernis für alle Maßnahmen des Herrschers“125 erwies sich das Schisma. Der von Barbarossa nicht anerkannte Papst Alexander  III. nahm direkten Einfluss auf die Mitglieder der Liga126 und intervenierte mehrfach in der Allianzpolitik Barbarossas.127 Während sämtliche Verhand123 Die Provokation lag im Status Alessandrias als civitas, der traditionell mit der Erhebung zum Bischofssitz durch Alexander III. verbunden war. Auf Drängen des Bundes und des Erzbischofs von Mailand setzte Alexander um 1175 einen Bischof ein, Raccagni, League (2010), 116  f. Der Grund der Belagerung lag nach Raccagni weniger in militärischer Hinsicht als ‚Bundesfeste‘. „Indeed, rather than a necessity, the siege of Alessandria might have been a deliberate choice of the emperor motivated by the symbolic role of the city“, ebd., 115. Nicht zu unterschätzen ist die strategisch günstige Lage Alessandrias am Schnittpunkt von Handelsrouten der Poebene: „As the construction of Alessandria promoted the opening of a terrestrial route to Genoa, the measure concerning the Po concerned the main route to the other major harbor of northern Italy, that is, Venice. (…) The League was involved not only in opening routes and facilitating travel, but also in closing them and in enforcing embargoes. Indeed, it achieved quite an effective control over the lines of communication in northern Italy“, ebd., 119  f. Möglicherweise ging die Belagerung Alessandrias auch von loyalen Kräften in Pavia und Montferrat aus, da die neue civitas in ihrer direkten Nachbarschaft lag und der Marquis von Montferrat im Juni 1172 zum Beitritt der Liga gezwungen worden war, ebd., 46. 124 Haverkamp, Friede (1987), 13. In der Begründung des fünften Italienzuges im Brief an das Würzburger Domkapitel Ende 1175 benennt Friedrich I. ausdrücklich Byzanz und Sizilien als die Unterstützer der aufständischen Kommunen: Satis evidenter ad universitatis vestre pervenit noticiam, quod in transacta nuper expeditione proditores nostros Longobardos adio rebelles et contumaces invenimus, ut pravis et iniquis machinationibus suis gloriam nominis nostri et excellentiam Romani imperii pentitus destruere et ad nichilum reducere fraudulenter attemptarent. Opotuit itaque consuetis eorum periuiis et ingeiis fallacibus non solum sagaci consilio, sed et armis et viribus totius imperii festinanter obviari, ne pestis perfidie, que totam Italiam veneno suo polluerat, Greciam quoque vel Siciliam in partem suam alliceret et ad corone nostre detrimentum utranque vel alteram falsis suggestionibus invitaret, MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 645, 146  f.; Houben, Babarossa (1992), 118. 125 Opll, Friedrich Barbarossa (2009), 303. 126 Eide und Schwüre wurden unter Berufung auf Gott und die Kirche abgelegt. Alexander III. trat als Garant der Vereinigung an die Stelle des Kaisers, denn: „Roman law, Carolingian capitularies, and Frederick Barbarossa’s legislation forbade unauthorized associations“, Raccagni, League (2010), 59. Bei Eidbruch oder Aktivitäten gegen die Liga drohte er mit Exkommunikation bzw. Interdikt, so in einem Brief von 1170, Vignati, Storia (1866), 203  f.; Raccagni, League (2010), 59  f.; 67. Sukzessive wurden alexandrinische Bischöfe in Norditalien eingesetzt, die eine aktive Rolle in der Liga spielten, ebd., 60; 146. 127 Papst Alexander III. verhinderte dynastische Verbindungen und stellte im Zusammenhang mit der Lösung schismatischer Weihen Forderungen, die die Innenpolitik gefährdeten. Schwierigkeiten bereitete die Wahl des alexandrinischen Erzbischofs Adalbert in Salzburg 1169 und dessen anschlie-

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 Die Gesandtschaft und ihr Gesandter

lungen zwischen Barbarossa und Papst Alexander  III. zur Lösung des Schismas scheiterten,128 hatten sich dagegen Alexander und der byzantinische Kaiser Manuel angenähert. Unionsverhandlungen zwischen beiden 1168 brachen zwar ergebnislos ab, doch „blieb Manuel bis 1177 für den Papst ein überaus wertvoller Verbündeter im Kampf gegen Barbarossa.“129 In dieser gespannten Situation brachte Manuel immer wieder die Absicht ins Spiel, sich als einzig legitimer Kaiser des Erdkreises auch von Papst Alexander krönen zu lassen. So wurde der fünfte Italienzug in der Kölner Königs­chronik mit der bevorstehenden Krönung Manuels durch Alexander begründet.130 Direkten Einfluss auf die staufische Italienpolitik nahm der byzantinische Kaiser Manuel I. durch Subventionierung der mittel- und oberitalienischen Gegner.131 ßendes illoyales Verhalten gegenüber dem Kaiser. Erst 1174 konnte dieses Problem mit der Neuwahl gelöst werden, Opll, Itinerar (1978), 48–60. Alexanders Einschreiten war es dann auch zuzuschreiben, dass Barbarossas lang geplantes Ehebündnis seiner Tochter mit Ludwig  VII. 1173 und dann 1174 mit Wilhelm II. nicht zustande kam, wovon Romuald von Salerno (1115–1181) berichtet: Interea prae­dictus cancellarius ex mandato imperatoris nuntios ad Willelmum Sicilie regem transmisit suadens et postulans, ut ipse, imperatoris filia in uxorem accepta, cum eo pacem perpetuam faceret et ipsi si amicabiliter coniuret. Sed rex Willelmus utpote christianissimus et religiosus princeps sciens hoc matrimonium Alexandra pape plurimum disclicere et Romae ecclesiae non modicam iacturam inferre, Deum et Alexandro papam in hac parte revertitus imperatoris filiam in uxorem et eius pacem recipere noluit, Romuald von Salerno, Chronicon. Ed. Arndt (1866), 441. Siehe dazu Houben, Babarossa (1992), 117; Georgi, Mächte (1990), 237  f.; Assmann, Kinder (1977), 448. 128 Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 120; Boso, Vita. Ed. Duchesne (1955), 420–422; Johannes von Salisbury, Letters, Nr.  298, Bd.  2. Ed. Miller/Brooke (1979), 690–692. Barbarossa wollte Roland niemals als rechtmäßigen Papst Alexander anerkennen, Opll, Friedrich (2009), 104  f.; Raccagni, League (2010), 92. 129 Todt, Kaiser (1992), 147; Georgi, Mächte (1990), 186. 1170 heiratete die byzantinische Prinzessin und Nichte Manuels Eudokia Komnena Otto Frangipane, einen wichtigen Parteigänger Alexan­ ders III. Bei den Unterhandlungen wurden möglicherweise auch theologische Fragen erörtert, Georgi, Mächte (1990), 193. 130 Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 121. Ralph-Johannes Lilie sieht politische Aktionen oder Reaktionen nicht durch das „Zweikaiserproblem“ verursacht. Friedrichs Befürchtung sei „nichts anderes als ein Propagandamittel (…), um die deutschen Fürsten von der Notwendigkeit eines weiteren Ita­ lien­feldzuges zu überzeugen.“ Die Aktualisierung des Problems korrespondierte allerdings mit dem Kampf um Italien, in dem das „Zweikaiserproblem“ als „ideologische Waffe“ eingesetzt wurde, wenn es sinnvoll erschien, Lilie, Zweikaiserproblem (1985), 241 Anm. 42; Kahl, Krönungspläne (1977); Classen, Komnenen (1977). 1160/1161 erkannte Manuel jedoch Alexander III. im Gegenzug für die Anerkennung Manuels als einzig rechtmäßiger Kaiser des Ostens und des Westens an, Dölger, Regesten, Nr.  1450; 1451; 1456. (1995), 239–242; Ohnsorge, Legaten (1928), 69–79; 125–145; Todt, Kaiser (1992), 144; 146  f.; Capizzi, Alessandro (1985), 303–324; Kahl, Krönungspläne (1977), 285–289; Classen, Konzil (1955); Ders., Komnenen (1977). 131 Raccagni, League (2010), 133  f.; Todt, Kaiser (1992), 144; 147. Das Scheitern Friedrichs Italienpolitik war nicht unerheblich der byzantinischen Unterstützung seiner Gegner zuzuschreiben. Ein erster Städtebund von Verona, Padua und Vicenza kam 1164 mit Unterstützung Manuels zustande. Den Städtebund 1167 von Brescia, Bergamo, Mantua und Cremona unterstützte er ebenfalls mit einer großen Summe, nachdem ihm die Mailänder Konsuln den Treueeid geschworen hatten, ebd., 149; Haverkamp, Friede (1987), 11–13; 17–19; Opll, Barbarossa (1990), 96  f.; 193  f. Auch nach dem Frieden

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Zwischen Barbarossa und Manuel I. bestand ein unlösbarer Interessenkonflikt, da beide eine imperiale Politik betrieben und Manuel die von Barbarossa geforderte Reichshoheit über ganz Italien nicht anerkennen konnte.132 Zu Beginn der 1170er Jahre sah sich Barbarossa einer weitgespannten Koalition von Byzanz, Papst Alexander III., Venedig, Antiochia und Jerusalem, Frankreich, den Normannen sowie v.  a. einer Zahl italienischer Städten und Adliger gegenüber, die mit Byzanz durch existierende oder versprochene Ehebündnisse verbunden waren. Militärisch-politisch gegen Barbarossa gerichtet waren byzantinische Verträge mit den italienischen Seestädten Venedig, dann Pisa und Genua.133 Nach der Abtretung Dalmatiens, Bosniens und Kroatiens konnte sich Manuel 1172 in Ungarn endgültig durchsetzen.134 Auch in Kleinasien und den Kreuzfahrerherrschaften hatte Byzanz seine Position entschieden verbessert, mit der Eroberung Ägyptens plante Manuel eine weitere Ausweitung seiner Herrschaft.135 Ungünstig für Barbarossas Italienpolitik war eine byzantinischnormannische Allianz in Koalition mit Alexander III., die sich in den Heiratsabsprachen zwischen Manuel und Wilhelm 1172 manifestierte.136 1171/1172 brach dieses Bündnissystem auf. Zunächst kam es zum Bruch Byzanz‘ mit dem alten Bündnispartner Venedig, als Manuel am 12. März 1171 alle Venezianer in seinem Reich gefangen nehmen und ihre Waren konfiszieren ließ.137 Im Mai 1172 schien sich die Interessenkoalition von Lombardenbund, Papsttum, Normannen und Byzanz durch das Scheitern des normannisch-byzantinischen Ehebündnisses weiter von Venedig verfolgte Manuel weiterhin seine „Westpolitik“ und warb in Italien mit hohen Subventionszahlungen Bündnispartner und Widerstand gegen Barbarossa. Ab 1178 wurden die Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und Barbarossa wieder aufgenommen, Todt, Kaiser (1992), 153; 158; Hiestand, Manuel (1986), 29–34; siehe den Brief Friedrichs an Manuel 1177 bei Kap-Herr, Politik (1881), 156  f. 132 Todt, Kaiser (1992), 132  f.; 138; Schreiner, Manuel (2002); Magdalino, Phenomenon (1988), 177  f.; Houben, Babarossa (1992), 109–117; Abulafia, Italies (1977), 124  f. Manuels Politik orientierte sich an den politischen Realitäten. Nicht die tatsächliche Rückeroberung und faktische Herrschaft über früher zum Reich gehörigen Gebiete konnten das Ziel sein, sondern die Schaffung einer kaiserlich dominierten Hierarchie und „Familie der Könige“ in Abhängigkeit des Kaisers. Gebietsansprüche und dauerhaftes Interesse setzte Manuel nur in Ungarn und Dalmatien durch; militärische Aktionen in Syrien 1158–1159, Ägypten 1169 und Konya 1176 können eher als „isolated demonstrations of force“ angesehen werden, Magdalino, Phenomenon (1988), 180  f. 133 Niketas, Krone. Ed. Grabler (1958), 247–249; Georgi, Mächte (1990), 156  f.; Lilie, Manuel (1992), 164  f. Im Falle Genuas und Pisa war Manuel laut Lilie kaum am kommerziellen Aspekt, sondern an Unterstützung interessiert. Auf Forderungen einer offensiven Unterstützung byzantinischer Interessen in Italien gingen die Genuesen allerdings nicht ein, Day, Diplomacy (1978), 396; Opll, Friedrich (2009), 278. 134 Patze, Barbarossa (1968), 392; Opll, Friedrich (2009), 277  f.; Stephenson, Authority (1996); Georgi, Mächte (1990), 211  f.; Lilie, Handel (1984), 467–474. 135 Lilie, Byzanz (1981), 174–200; 318. 136 Georgi bezweifelt, dass dieses Eheprojekt eine Bedrohung für Barbarossa darstellte, da er mit Belangen im deutschen Reichsteil beschäftigt war, Georgi, Mächte (1990), 204  f. 137 Ebd., 202.

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aufzulösen, auch die Liga zog sich von Byzanz zurück.138 Ebenso scheint es Widerstände gegen das Bündnis Byzanz‘ mit Jerusalem von 1171 gegeben zu haben.139 Ergebnis dieser Entwicklung war ein renversement des alliances im Mittelmeerraum, das nicht nur Barbarossa neue Handlungsmöglichkeiten eröffnete. Nicht eindeutig ist, ob und inwiefern Barbarossa an dieser Entwicklung beteiligt war, da der Bruch Byzanz‘ mit den alten Bündnispartnern Venedig und Sizilien in der Forschung unterschiedlich beurteilt wird. Ralph-Johannes Lilie führt „die selbstverschuldete Isolation“ von Byzanz auf eine erfolgreiche Initiative Barbarossas zurück, die alexandrinisch-byzantinische Front aufzubrechen. Für die Phase von Anfang der 1170er Jahre bis zur Belagerung von Ancona 1173 nimmt er eine von Barbarossa initiierte Annäherung zwischen Barbarossa und Manuel an, deren Zweck im „Zusammenbruch der antideutschen Allianz zwischen Byzanz auf der einen und Venedig und Sizilien auf der anderen Seite“ gelegen habe.140 Zwischen 1170 bis 1172 sind mehrere hochrangige deutsche Gesandtschaften in Konstantinopel bezeugt: 1170 reisten Erzbischof Christian von Mainz und möglicherweise auch Hugo von Honau nach Byzanz.141 Im Sommer 1171 verhandelten byzantinische Gesandte um ein Ehebündnis zwischen Maria Komnena und Barbarossas Sohn Heinrich.142 Zu Ostern (16.  April) 1172 besuchte Heinrich der Löwe auf seiner Fahrt zweimal den oströmischen Kaiser, begleitet von Konrad  II. von Worms.143 Gegenstand und Absicht der staufisch-byzantinischen Verhandlungen sind jedoch nicht klar. Die Gegenleistung für das Bündnis von deutscher Seite wird in Gebietsabtretungen in Italien vermutet, womit sich auch die Auseinandersetzung 1173 um Ancona erklären ließe.144 Des138 Ebd., 213. 139 „Es wird aus den Quellen zwar nicht deutlich, aber es ist doch wahrscheinlich, dass die byzanzfeindlichen Kräfte in den Kreuzfahrerstaaten ihrerseits auch auf Unterstützung durch die Gegner des Kaisers in Westeuropa zählen konnten: Venezianer und Normannen nach 1171/72 sind hier nur ein Beispiel. So könnte man die sizilianischen Flottenzüge gegen Ägypten in den letzten Jahren Amalrichs auch als Versuch ansehen, die Union zwischen Jerusalem und Konstantinopel zu lockern“, Lilie, Byzanz (1981), 210; besonders 194–200. 140 Ebd., 169; Todt, Kaiser (1992), 150. 141 Zu den spärlichen Quellen siehe Georgi, Mächte (1990), 197  f. 142 Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 121. Nicht belegen lässt sich allerdings, dass sich Friedrich 1171/72, vielleicht schon 1170 um ein Ehebündnis mit den Komnenen bemühte, Georgi, Mächte (1990), 199. 143 Konrad von Worms war offizieller kaiserlicher Gesandter und Vertreter der Politik Christians von Mainz, ebd., 210. 144 Barbarossa wollte Byzanz die Herrschaft über Ancona nicht mehr zugestehen. Vom 1. April bis Mitte Oktober 1173 belagerten die Truppen Christians von Mainz mit venezianischer Hilfe Ancona, wurden dann aber vom Dux des dalmatischen Dukats, Konstantinos Dukas, und Guglielmo Marcheselli von Ferrara zum Abzug gezwungen, Schreiner, Dux (1971), 293; Magdalino, Empire (1993), 84; Lilie, Manuel (1992), 168. Unterstützt wurde Manuel von engen Partnern in Italien, hier von Aldruda, der Gräfin von Bertinoro, Abulafia, Ancona (1984), 213. Auch Paul Magdalino nimmt ein staufischbyzantinisches Bündnis in dieser Zeit an, obgleich ein Bündnis mit Friedrich die meisten bestehenden Allianzen gefährdete, die Manuel I. mit hohen Subsidienzahlungen an die Kommunen etabliert

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gleichen ist nicht eindeutig festzumachen, von welcher Seite die Anbahnung einer staufisch-byzantinischen Ehe ihren Ausgang nahm, auch wenn hier grundsätzliche Gesprächsbereitschaft und die Wiederaufnahme der Beziehungen bezeugt wird.145 Nach der Belagerung Anconas, spätestens ab 1174, zeigte sich Barbarossa dann aber nicht mehr an dem Bündnis mit Manuel interessiert. Weitere Verhandlungen über ein Ehebündnis verliefen ergebnislos.146 Die sehr kurzfristigen Bemühungen um byzantinische Zusammenarbeit und das rasche Umschwenken und Desinteresse noch vor Beginn des fünften Italienzuges scheinen angesichts des beträchtlichen Einflusses Manuels auf die lombardischen Städte und Alexander  III. auf den ersten Blick wenig einsichtig, da der Bruch den Bündnispartner Byzanz brüskierte und ein Risiko bedeutete. Eine Heirat von Barbarossas Sohn mit Maria hätte allerdings die zurückgewiesenen Gebietsansprüche der Byzantiner tatsächlich legitimiert, während Barbarossa die Preisgabe von Reichsrechten und Reichshoheit in Italien doch mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Auch in der Frage des Schismas war das Bündnis kaum von Nutzen, einen starken Einbruch in die alexandrinische Opposition konnte sich Barbarossa durch das Bündnis nicht erhoffen. Paul Magdalino erklärt dieses nur kurze Entgegenkommen Friedrichs I. mit der situationsgebundenen Absicherung im Vorfeld des Italienzuges, während Manuel offensichtlich noch länger ein Bündnis favorisierte.147 Hannes Möhring begründet die Abkehr Barbarossas von dem byzantinischen Bündnis in Anlehnung an Werner Ohnsorge mit der Hinwendung zu den Seldschuken und Saladin, die Byzanz an seiner empfindlichsten Stelle im Osten „bedrohen“ sollten.148 Welchen Vorteil ein staufisch-ayyubidisches Abkommen im Vergleich zu einem staufisch-byzantinischen Abkommen verhieß, wenn es darum ging, die noch Anfang 1172 bestehende große hatte. Die Annahme eines von Byzanz gewünschten Bündnisses mit Barbarossa erklärt Magdalino damit, dass Manuel die geforderten Gebiete seiner Restaurationspolitik wohl weder im Bündnis mit Alexander noch mit Wilhelm II. erhalten hätte. Der Bruch mit Sizilien könnte hier eine Bedingung Barbarossas dargestellt haben, während Byzanz sich das Bündnis mit deutscher Unterstützung im Seekrieg gegen Venedig bezahlen ließ, Magdalino, Empire (1993), 85–93. Raccagni sieht die Belagerung Anconas dagegen stärker in Bezug zum Konflikt mit der Lega, Raccagni, League (2010), 83  f. 145 Die Gesandtschaften stehen wohl mit der Absicherung des fünften Italienzuges in Zusammenhang, Todt, Kaiser (1992), 149  f.; Georgi, Mächte (1990), 198. 146 Möhring, Sultan (2005), 151. 147 Magdalino, Phenomenon (1988), 186; Todt, Kaiser (1992), 159. Opll erklärt den Abbruch der Beziehungen damit, dass Heinrich der Löwe bei seinem Besuch 1172 in Ostrom „höchstwahrscheinlich für ein Zusammengehen mit Friedrich den seit langem erstrebten Landgewinn an der italienischen Adriaküste in Aussicht stellte. (…) Friedrich konnte aber auf der Basis dieser Zugeständnisse nicht weiterverhandeln. Dennoch ließ er die Kontakte nicht sofort abreißen, bediente sich aber in der Folge in deutlicher Befolgung des Vorbildes der byzantinischen Diplomatie neu aufgenommener Kontakte zu den traditionellen, islamischen Gegnern im Rücken Ostroms, um damit nun seinerseits in Druckmittel in der Hand zu haben“, Opll, Friedrich (2009), 109; Hägermann, Reichslegation (1969), 187  f. 148 Möhring, Kreuzzug (1980), 134; Ohnsorge, Byzanzpolitik (1979), 139  f.

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Allianz aufzubrechen, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Bis 1171 hatte Manuel in seinem Hauptinteressengebiet Syrien und Palästina Erfolge zu verzeichnen. Jerusalem und Antiochia standen in seiner Abhängigkeit, ebenso konnte er Nūr ad-Dīn und den Kalifen entzweien und so die Mächtebalance aufrechterhalten.149 Auch gegenüber den Seldschuken vermochte Manuel seine politische Autorität durchzusetzen.150 Lässt der Bruch Barbarossas mit Byzanz nicht eher vermuten, dass von byzantinischer Seite keine ernsthafte Bedrohung vorlag?151 Bei der Analyse des staufisch-byzantinischen Verhältnisses kommt Wolfgang Georgi zu einem anderen Ergebnis. Den Bruch Byzanz‘ mit Venedig und mit Sizilien deutet er völlig unabhängig von einem angenommenen Bündnisangebot Barbarossas. Vielmehr sei das byzantinisch-normannische Eheprojekt als Bündnis zur Abwehr der brüskierten Venezianer anberaumt worden. Nachdem der befürchtete Angriff von dieser Seite aber keine Gefahr mehr darstellte, wurde auch das als Sicherheitsmaßnahme geplante Heiratsbündnis mit Wilhelm von Sizilien obsolet und Manuel kündigte das Bündnis auf.152 Im Unterschied zur Deutung Lilies153 hatte Barbarossa nach dieser Interpretation keinen Einfluss auf die Entwicklung, er wollte sie aber zu seinen Gunsten nutzen: Stellte doch das Aufbrechen der Koalition zwischen Byzanz, Sizilien und Venedig das mittelfristige Ziel Barbarossas in Aussicht, zumindest die Fronten des alexandrinischen Bündnisses aufzuspalten und selbst ein Gegengewicht gegen Alexander und Ostrom und den Lombardenbund zu schaffen. Das Ziel der staufischen Politik bestand nicht in einer Eheverbindung mit Byzanz, sondern mit Frankreich, bei der Alexander dann aber intervenierte.154 Die Zweigleisigkeit der Verhandlungen Barbarossas mit Byzanz und Ludwig VII. von Frankreich sollten Druck auf Byzanz ausüben, das seit dem zweiten Kreuzzug einen Angriff fürchtete.155 149 Georgi, Mächte (1990), 245. Manuel verfolgte gegenüber den Kreuzfahrerherrschaften eher eine moderate Politik mit dem Ziel, den Status quo und das Mächtegleichgewicht in Syrien und Palästina aufrechtzuerhalten, Magdalino, Phenomenon (1988), 181. 150 Magdalino, Empire (1993), 77. 151 Vgl. Todt, Kaiser (1992), 159. 152 Georgi, Mächte (1990), 208  f.; 218. Die staufische Allianzsuche im Orient ordnet Georgi dann (mit Verweis auf die Schrift De fine schismatis vaticinium, die wahrscheinlich um 1173/74 im Umkreis Christians von Mainz entstand und die alte Weissagung eines „Endkampfes des westlichen und östlichen Kaiserreiches“ aufgreift, die mit dem Sieg des Löwen Friedrich über den Esel Manuel endet, ebd., 233) aber gänzlich einer antibyzantinischen Politik Barbarossas und besonders seines Legaten Christian von Mainz zu, ohne für das Bündnis mit Saladin andere Motive in Betracht zu ziehen. „In Wirklichkeit trat Barbarossa 1172 über Heinrich den Löwen in Verbindung zu Kilidj Arslan und durch Christian von Mainz zu Saladin: er bot beiden ein antibyzantinisches Bündnis an“, ebd., 242. 153 Lilie, Handel, 486–489 (in Anlehnung an Ohnsorge). 154 Georgi, Mächte (1990), 201. 155 Byzanz hegte besonders gegenüber Ludwig tiefgreifende Befürchtungen, da Frankreich enge persönliche Bindungen mit den Dynastien der Kreuzfahrerherrschaften unterhielt. Nach dem zweiten Kreuzzug verabredeten Frankreich, Normannen und der Papst tatsächlich einen neuen Kreuzzug, der sich gegen Byzanz richten sollte, Lilie, Byzanz (1981), 140–156. Nach der Zerstörung Mailands

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Sie zeigt zudem, dass Manuel nur ein Verhandlungspartner unter anderen war. Die Annäherung an ihn 1171 sollte „nur diejenige an Alexander flankieren“.156 Militärisch hing die Potenz und Präsenz von Byzanz von seinen Bündnissen mit anderen Flottenmächten ab, die Byzanz vor allem durch Privilegien und Subsidien erhielt.157 Hinhaltetaktik und das Offenhalten von Optionen kennzeichneten das deutsch-byzantinische Verhältnis. Seit spätestens 1172 war Byzanz als strukturbildender Faktor im Mittelmeerraum ausgefallen. 1172 intensivierte Barbarossa die diplomatischen Beziehungen zu nahezu allen Mächten im europäischen und orientalischen Kontext. Seine Aktivitäten schlossen neben den christlichen auch die muslimischen Herrscher Saladin und Qilig-Arslan ein. 1172 reiste Heinrich der Löwe im Rahmen seiner Pilgerfahrt nach Jerusalem auch zum Seldschukensultan.158 Mit einer Eskorte von 500 Soldaten wurde Heinrich als hochrangiger Gesandter des römischen Kaisers in Tarsus empfangen, um ihn sicher nach Konya zu geleiten.159 Mit wertvollen Geschenken wurde er entlassen.160 Ausdrücklich wurde die amicitia zwischen Qilig-Arslan und Barbarossa betont, ähnlich wie im Verhältnis zu Saladin berichten die lateinischen Quellen auch hier von Gesandtschaftsaustausch und Heiratsabsichten der Verbündeten.161 Tatsächlich begannen 1173 Auseinandersetzungen der Seldschuken mit Manuel. Auch ein Bündnis Barbarossas mit Georgien wird vermutet, später dann zu den Rupeniden in Armenien.162 1162 durch Barbarossa bestand in Byzanz zudem die Befürchtung eines staufischen Angriffs, so im Brief des Kaplans Burchard an Abt Nikolaus 1161 formuliert: Scripsit etiam idem rex Greciae regibus Turchiae, Babiloniae, Persidis et Comaniae, nuncians illis, quod Romanus imperator terram suam et illorum occupare intendat, si de Mediolano finem faciat. Idem timebant reges Hispanus, Barcilonensis, Francigena et Anglicus, Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 108; Kinnamos, Deeds. Ed. Brand (1976), 154; Lilie, Manuel (1992), 164; Todt, Kaiser (1992), 139; 148. 156 Georgi vermutet theologische Diskussionen und die Sondierung von Ansatzpunkten als Inhalt der Gespräche mit Manuel, um die Verbindung mit Alexander zu sprengen, Georgi, Mächte (1990), 199. 157 Ebd., 205–207. 158 Ebd., 222  f. 159 Arnold, Chronica, I, 9. Ed. Lappenberg (1869), 23; Georgi, Mächte (1990), 223; Joranson, Pilgri­ mage (1938), 198–204. 160 Görich, Friedrich (2011), 542. Arnold, Chronica, I, 9. Ed. Lappenberg (1869), 23–25; Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 124. Das Hauptziel der Fahrt könnte ebenfalls in einem gegen Byzanz gerichtetes Bündnis mit Sultan Qilig-Arslan II. bestanden haben. „(…) dann wären die Religionsgespräche und der Eheplan, den Arnold als Verhandlungsgegenstand Konrads von Worms hervorhob, nichts weiter als ein raffiniert eingefädeltes und geglücktes Ablenkungsmanöver, um des Welfen freien Durchzug durch das griechische Imperium zu gewährleisten“, Fried, Jerusalemfahrt (1998), 127. 161 Arnold, Chronica, I, 9. Ed. Lappenberg (1869), 23–25; Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 123  f.; Robert von Torigni, Chronique, Bd. 2. Ed. Delisle (1872/1873), 31  f. Verbindungen und Gesandtschaftsaustausch mit den Seldschuken sind noch 1179 und 1188 belegt, Opll, Friedrich (2009), 162. 162 Zu Georgien (Hibernia/Abasgia in den Quellen) und den Georgiern siehe Halfter, Georgien (2012); Ders., Staufer (2010); von den Brincken, Nationes (1973), 103–106; beschrieben werden die Georgier bei Wilhelm von Tyrus, Chronicon, XI, 16. Ed. Huygens (1986), 520  f., und im Tractatus de locis et statu

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Während die Verbindung zu den Seldschuken als unmittelbare Nachbarn der Byzantiner strategisch plausibel ist, Heinrich der Löwe als hochrangiger Gesandter fungierte und Manuel nach der Niederlage 1176 bei Myriokephalon ausdrücklich Vorwürfe gegen das Bündnis mit den Staufern erhob,163 bleibt unklar, wie genau sich Saladin und Barbarossa im Falle einer Defensivallianz oder eines Eventualbündnisses beistehen sollten und wie die Gegenseitigkeit der Abmachungen gewährleistet werden konnte.164 Zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme zwischen Friedrich und Saladin herrschte Saladin als Stellvertreter Nūr ad-Dīns über Ägypten, an dessen Eroberung er maßgeblich beteiligt war. 1169 wurde Saladin in der Nachfolge seines Onkels Shirkuh fatimidischer Wesir.165 Nach dem Sturz des letzten fatimidischen Kalifen übernahm er 1171 als Sultan die Herrschaft, war aber kein souveräner Herrscher. Seiner Regierungsübernahme stand eine große fatimidisch-schiitische Opposition entgegen, noch Jahre später musste er innerägyptische Widerstände bekämpfen. Eine Gefährdung seiner errungenen Position ging besonders von den Zengiden aus, die Saladins Expansion misstrauisch verfolgten.166 Außenpolitisch stellte namentlich Amalrich von Jerusalem, der es in militärischer Allianz mit Byzanz, den Normannen oder den italienischen Seestädten auf Ägypten abgesehen hatte, eine große Gefahr dar. Amalrich war 1163, 1164, 1168 und 1169 in Ägypten eingefallen und hatte 1167 eine Art Protektorat in Kairo installiert. Ägypten galt als Rückgrat der islamischen Welt und in strategischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht als „Kopf der Schlange“167. Die Angriffe auf Ägypten hatten aber nur in Allianz mit einer weiteren Flottenmacht, Byzanz, Pisa oder Sizilien, Aussicht auf Erfolg. 1169 schloss Amalrich ein Bündnis mit Pisa, in dem er Pisa schon weitreichende Zugeständnisse für ägyptische Städte machte.168 1171 ging er eine Union mit Byzanz ein. Byzantinische Pläne, zusammen mit einer anderen sancte terre iersolimitane, Kedar, Tractatus (1998), 124  f.; erwähnt auch bei Ansellus, Ordericus Vitalis, Otto von Freising, Richard von Cluny, Ansbert, und dann bei Oliver von Paderborn, Jacques de Vitry und Thietmar, dazu Halfter, Georgien (2012), 369  f.; 379–383; 389–397. Zu Armenien siehe Ders., Papsttum (1996); Ders., Königreich (2013); Ders., Armenier (2011); Ders., Kilikien (2001). 163 Georgi, Mächte (1990), 224; Möhring, Kreuzzug, 134; Brief Manuels ediert bei Kap-Herr, Politik (1881), 156  f. 164 „Barbarossas Verbindungen in den Orient waren zunächst eine Folge der gespannten Beziehungen zu Byzanz. Aber sie waren keine ‚Einkreisungspolitik‘ im Sinne moderner, Kontinente umspannender Allianz- und Machtpolitik. Unmittelbarer Effektivität standen nicht nur die Kommunikationsmöglichkeiten der damaligen Zeit entgegen, sondern auch der religiöse Gegensatz. In diesem von vornherein engen Rahmen konnte durch den Austausch von Gesandtschaften und Geschenken wenigstens persönliche Bindungen geschaffen werden, Loyalitäten vielleicht, auf deren Aktivierbarkeit im Bedarfsfall man wohl hoffte“, Görich, Friedrich (2011), 545  f. 165 Möhring, Saladin (2005), 41. 166 Ders., Reaktionen (2005), 88. 167 Labib, Handelsgeschichte (1965), 23. 168 Lilie, Byzanz (1981), 323  f. Als Dank für geleistete Unterstützung erhielt Pisa Märkte, Funduks und Handelsprivilegien von Amalrich.

Bestimmungsfaktoren der staufisch-ayyubidischen Beziehung 1172–1174 

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Macht Ägypten zu erobern, wurden erst 1177 aufgegeben, doch scheint sich ein Teil des Jerusalemitaner Adels seit 1169 gegen ein solches Vorhaben gewehrt zu haben.169 Das Verhältnis zwischen Saladin und Manuel ist in dieser Phase nicht eindeutig bestimmbar. Parallel zu den staufisch-ayyubidischen Verhandlungen suchte anscheinend auch Manuel eine Möglichkeit, mit Saladin Kontakt aufzunehmen und seine Isolation zu beenden.170 Simultan zu den Verhandlungen mit Barbarossa sandte auch Saladin Gesandte nach Byzanz,171 vermutlich, um eine Zusammenarbeit gegen den gemeinsamen normannischen Gegner anzubieten.172 Nach dem Aufbrechen der byzantinisch-sizilischen Beziehungen musste Saladin fürs erste keinen sizilischbyzantinischen oder venezianisch-byzantinischen Angriff befürchten und konnte sich auf seine Expansionspolitik in Nordsyrien konzentrieren. Kongruenzen in der Zielsetzung Barbarossas und Saladins ergaben sich aus der Notwendigkeit, eine übermächtige Allianz feindlicher Mächte zu verhindern und einen Bündnispartner zur Stärkung der eigenen Position zu gewinnen. Die Auflösung bestehender Bündnisse bot beiden die Chance, die Entwicklung zumindest dahingehend auszunutzen, neue Handlungsspielräume auszuloten, bisherige Gegner neutral zu halten und ein Mächtegleichgewicht zu schaffen. Die Alternative zu einem staufisch-ayyubidischen Bündnis hätte sowohl für Saladin als auch für Barbarossa die Gefahr einer erneuerten Allianz Siziliens, Byzanz‘ und der italienischen Seestädte bedeuten können, die sich für beide äußerst ungünstig ausgewirkt hätte. Eine von Barbarossa intendierte „Einkreisung“ Byzanz‘ durch muslimische Mächte scheint hingegen weniger plausibel, da dies unabsehbare Folgen für die Christen im Heiligen Land gehabt hätte. Schließlich blieb Byzanz die größte christliche Macht im Vorderen Orient, die ein Gegengewicht zu den muslimischen Herrschaften darstellte. Während das Bündnis mit Quilig-Arslan eindeutiger gegen Byzanz gerichtet war, musste Barbarossa darauf bedacht sein, dass die muslimische Front sich nicht gegen Jerusalem richtete, wenn Byzanz zu schwach würde. Schon die Eroberung von Damaskus durch Nūr ad-Dīn hatte das Mächtegleichgewicht verändert und die christlichen Staaten bedroht. Barbarossa selbst hatte kein Interesse, mit dem Einsatz größerer eigener Kräfte im Orient zu agieren und musste hinhaltend taktieren.173 Saladin stellte einen neuen, unberechenbaren Faktor dar, der mit allen anderen Mächten Bündnisse eingehen konnte. Die Furcht vor einem Kreuzzug der westlichen Mächte 169 Ebd., 328. In früheren Vereinbarungen zwischen Byzanz und Pisa war auch ein Angriff auf Jerusalem nicht ausgeschlossen, ebd., 167. 170 In Briefen warnte Manuel Saladin vor dem bevorstehenden Angriff der Normannen, Abû Shâma, Livre. Ed. Meynard (1898), 177; Georgi, Mächte (1990), 240. 171 Jacoby, Diplomacy (2009), 88. 172 Die Normannen bedrohten nicht nur Ägyptens Küste, sondern konspirierten auch mit Aufständischen im ayyubidischen Herrschaftsbereich. 173 Möhring vermutet als Gegenleistung Barbarossas für eine Einkreisung Byzanz durch Saladin „ständige Invasionsdrohungen gegen Wilhelm II.“, um ihn von einer Kampagne in Ägypten abzuhalten, Möhring, Kreuzzug (1980), 133; Georgi, Mächte (1990), 241.

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konnte auch Saladin und Byzanz zusammenführen. Größere Furcht musste nach Bestimmung der Lage jedoch Saladin vor einer staufisch-byzantinischen Kooperation hegen, die seine noch nicht gefestigte Position ernsthaft bedroht hätte. Die Hinweise auf die mögliche antibyzantinische Stoßrichtung des staufisch-ayyubidischen von 1172–1174 Bündnisses finden sich auch nur in den arabischen Quellen.174 Vor dem Hintergrund dieser politischen Situation diente das Bündnis wohl eher als Regulativ hinsichtlich des Verhältnisses zu Byzanz. Für beide Parteien war die Aufrechterhaltung eines Mächtegleichgewichtes im Nahen Osten entscheidend. Zwar bleibt dahingestellt, wie detailliert der staufische Hof überhaupt von den Umwälzungen in Ägypten informiert war und die Situation im Orient und im Mittelmeerraum einschätzen konnte. Sicher anzunehmen ist aber, dass Barbarossa nach dem politischen Umsturz in Ägypten die Sicherheitslage Jerusalems und generell der Christen im Orient im Blick hatte. Als ein Verhandlungsgegenstand im Bündnis ist daher der Schutz der Christen im Orient im Gegenzug für die Anerkennung der Herrschaft Saladins anzunehmen. Denkbar ist eine von Barbarossa geforderte Sicherheitsgarantie für das bedrohte Jerusalem: Solange Saladin Jerusalem und die Kreuzfahrerherrschaften unangetastet ließ, würde Barbarossa von weiteren Kreuzzugsplänen absehen, die er ohnehin vermeiden wollte. Indizien hierfür liefert der Brief Saladins an den Kalifen 1175/1176, in dem er seine Furcht vor einem staufischen Angriff äußerte175 sowie das in der Kölner Königschronik vorgegebene Ultimatum an Saladin nach dem Einfall in Jerusalem.176 Eine gewisse Bestätigung erfährt diese Hypothese durch die Jerusalemer Gesandtschaft von 1174, von der ebenfalls die Kölner Königschronik berichtet. Die Gesandten baten 1174 um einen erneuten Kreuzzug, sprachen aber zuvor Barbarossa ihren Dank für geleistete Hilfe aus: „Die Ungläubigen hätten ihn schon längst aus seinem Reich vertrieben, wenn nicht die Furcht vor dem Kaiser sie zurückhielte“.177 174 Möhring, Kreuzzug (1980), 133. 175 Ebd., 133. 176 Chronica Regia, ad a. 1188. Ed. Waitz (1880), 140. 177 Möhring, Kreuzzug (1980), 133. Die Gesandtschaft traf nach der Chronik im September in Italien mit Friedrich zusammen: Cumque ad Alpium Appenninarum aditum venisset, legati regis Iherosolimorum ei occurrerunt, dona plurima et poma aurea musco impleta afferentes et litteras eiusdem regis, in quibus gratias imperatori retulit, dicens se iam dudum de regno expulsum, si non terrore imperatoris paganorum regis restringerentur, Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 125. Schon 1169 hatte Alexander III. einen allgemeinen Kreuzzugsaufruf an die Christenheit erlassen. In jedem Fall waren die Kreuzfahrerherrschaften auf Hilfe von außen angewiesen, weshalb Amalrich nicht nur dem französischen König eine Ergebenheitsadresse sandte, sondern alle Jahre wieder Gesandte mit Hilfsgesuchen an die europäischen Höfe schickte, Lilie, Byzanz (1981), 180  f.; Möhring, Sultan (2005), 153. Friedrich von Tyrus übergab Barbarossa Briefe von Amalrich. Auch hier zeigt sich, dass Manuel selbst nicht die ausschlaggebende Figur im Verhältnis zwischen Saladin und Barbarossa, aber untrennbar mit näher liegenden Zielen verbunden war und als Bindeglied fungierte. Störfaktor für Byzanz war vor allem der westliche Anspruch, die Verantwortung für das Christentum von Outremer zu tragen. „Particulary ominous for Byzantinum was the idea that the German king, as rex Romanorum, was in some sense the overlord of the crusader states“, Magdalino, Phenomenon (1988), 182. Die riskanten Manöver Manuels in Ägyp-

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Möglicherweise darf auch die nach dem Tode Amalrichs vereinbarte Ehe Sybilles mit Wilhelm VII. von Montferrat in diesem Zusammenhang gesehen werden. Wilhelm war ein Cousin Barbarossas, seinem Vater kam in der Belagerung Alessandrias 1175/1176 eine wichtige Vermittlerrolle im Reich zu, da diese Stadt in seinem Herrschaftsgebiet lag.178 Eine Schutzherrschaft über Jerusalem bot Barbarossa mehrere Vorteile. Eine Unterstützung der Kreuzfahrerreiche konnte sein Prestige als Kaiser erhöhen, verband sich doch mit dem Kaisergedanken die Aufgabe, zumindest den Schutz der heiligen Stätten, wenn nicht der dort lebenden Christen, zu garantieren.179 Sie unterstrich die Legitimität und Idoneität des allerchristlichsten Königs, dem die Herrschaft über Rom während des Schismas verwehrt war. Vor allem aber vermied Friedrich einen eventuellen Kreuzzug, zu dem er militärisch nicht in der Lage war. Er hatte nun die Möglichkeit, über den Kopf Manuels hinweg und ohne Gewalt Einfluss auf Jerusalem zu nehmen. Das Bündnis eröffnete eine neue Option, als Ordnungsmacht im Osten aufzutreten und durch Verhandlungen mit weiteren Mächten die Position Ostroms, vielleicht auch des Papstes, zu untergraben. Die Schaffung einer neuen Allianz bezog Saladin in die Sphäre des westlichen Imperiums ein und zeigte Barbarossa in der höchsten kaiserlichen Prärogative.180 Nicht auszuschließen sind ökonomische Interessen in Bezug auf das Bündnis zwischen Friedrich und Saladin. Für die italienischen Seestädte stellte der Handel über die ägyptischen Häfen und die Levante den Lebensnerv ihrer Städte dar, umso mehr, seit es ab 1171 mit Byzanz zu Spannungen, Handelssperren und Konfiskationen gekommen war, die das Interesse verstärkt auf die afrikanische Küste umleiteten.181

ten und gegen die Seldschuken bilden die Reaktion auf die Verbindung von Kaisertum und Kreuzzug, die auch Manuel für sich reklamierte und sich damit als der legitime Souverän aller Christen bewies, ebd., 189; Lilie, Byzanz (1981), 181. Lilie, Byzanz (1981), 181. 178 Görich, Barbarossa (2012), 372–377; Übach, Ratgeber (2008), 91–95, siehe auch Anm.  123 und Kapi­tel III.1.9. 179 Vgl. Jaspert, Jerusalem (2005), 70. Mit dieser Motivation würde sich der Gesandtenaustausch Barbarossas von den Missionen Karls des Großen mit den Abbasiden unterscheiden. Wie Michael Borgolte nachgewiesen hat, dienten die diplomatischen Beziehungen Karls nicht dazu, sich als Schutzherr über Jerusalem zu etablieren, sondern „um den dort lebenden Christen zu helfen. (…) Möglicherweise hat sogar eine Nachricht von den besonders bedrückenden Unruhen des Jahres 797 oder gar ein Hilfsgesuch des Patriarchen den Gesandtenaustausch Karls mit dem Kalifen in Gang gesetzt“, Borgolte, Gesandtenaustausch (1976), 93  f. 180 Vgl. Hiestand, Precipua (1992), 95. 181 Genua und Pisa hatten 1170 Handelsverträge mit Byzanz abgeschlossen, die sie zu einer Defensivallianz mit Byzanz verpflichten sollten: Im Angriffsfalle sollten sie Byzanz militärisch gegen einen möglichen Angreifer unterstützen. Beiden Verträgen, die Byzanz mit Pisa (Juli 1170) und Genua (Oktober 1169) abschloss, war ein Passus angefügt, der die politische Unterstützung regeln sollte, Georgi, Mächte (1990), 191  f.; Cod. Dip. Gen. 2, Nr. 50, 106: (…) neque aliqua coniungentur iusta vel iniusta occasione alicui homini coronato vel non coronato qui sit vel qui erit christiano vel pagano viro vel mulieri

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Die Handelsbeziehungen müssen in keinem Zusammenhang mit der Bündnispolitik stehen, doch kompensierten sie für die Seestädte Nachteile im byzantinischen Reich und gereichten allen Beteiligten zum Vorteil, sie sicherten Barbarossa eventuell im Gegenzug die Unterstützung der Seemächte im Kampf gegen die Lega.182 Im Auftrag des Kaisers verhandelte Christian von Mainz mit den verfeindeten italienischen Seestädten Pisa und Genua, um einen Ausgleich herbeizuführen und gleichzeitig deren Rückendeckung oder zumindest Neutralität für den Italienzug zu gewinnen.183 Pisa

qui mori vel vivere possit. Ebd., 108: quandocumque vero dominus imperator voluerit Ianuam mittere peccuniam vel res vel homines eius galeas sive naves contra quemcumque miserit ea, christianum sive paganum, coronatum vel non coronatum, ut ex debito, debeant Ianuenses honorifice eam recipere et deffendere in terra sua et custodire secundum voluntatem hominum domini imperatoris qui cum eis erunt (…). Der Passus der gekrönten und ungekrönten Häupter wird auf Barbarossa, Wilhelm II. und den Dogen von Venedig (als ungekröntes Haupt) bezogen, Georgi, Mächte (1990), 192. Mit dem Heiden können diese aber nicht in Verbindung gebracht werden, eher wäre hier an eine Eventualklausel gegenüber einem muslimischen Herrscher zu denken. Vgl. den Vertrag Genuas mit Byzanz 1155. Dort wenden sich die Genuesen nicht gegen ein byzantinisches Vorgehen in Syrien, aber es darf die dortigen genuesischen Interessen nicht berühren, Lilie, Byzanz (1981), 165. 182 Verträge zwischen Byzanz und den Fatimiden beinhalteten neben Waffenstillständen und der Anerkennung des geopolitischen status quo auch wirtschaftliche Klauseln sowie die gegenseitige Zusicherung ungestörter Ausübung der Religion, Labib, Handelsgeschichte (1965), 10  f. In politischer, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht versicherten sie sich gegenseitige Anerkennung und Gleichrangigkeit, wie es der faktischen Stärke ihrer Herrschaften entsprach. 183 Notwendig für den bevorstehenden Italienzug war eine zumindest neutrale Haltung der Städte, um die innenpolitische Stabilität nicht weiter zu gefährden und vor allem aber den Einfluss zu Byzanz auf die lombardischen Kommunen zu unterbinden, die ihre Agenten über die Hafenstädte kommen ließen. Christian hatte anscheinend weitreichende Ziele, die über die Neutralisierung der Rivalitäten zwischen Pisa und Genua hinausgingen: „Befriedung der Toscana, Unterwerfung Mittelitaliens sowie diplomatische und militärische Vorbereitungen der für 1174 angesetzten neuerlichen italienischen Heerfahrt Barbarossas“, Hägermann, Reichslegation (1969), 193. Siehe auch Kapitel III.1.1. Die andauernden Auseinandersetzungen mit Pisa vermochte Christian nicht zu beenden. Da eine gütliche Einigung nicht zu erzielen war, stellte er sich vielmehr auf die Seite Genuas und seiner Verbündeten, festgelegt in einem Vertrag zwischen Christian, Genua und Lucca vom 6.  März 1172 (Codice de Genova 2, n. 71), Hägermann, Reichslegation (1969), 196. Das mit Sizilien und Byzanz verbündete Pisa stand der Politik Christians höchst misstrauisch gegenüber und ließ sich nicht zu Zugeständnissen bewegen, ebd., 200  f. Wegen Ungehorsams und Rechtsverweigerung verhängte Christian Ende März/ Anfang April 1172 die Acht über Pisa, verbunden mit dem Entzug der Privilegien – ein Vorgehen, das der nötigen militärischen Unterstützung Barbarossa keineswegs förderlich war, und daher nicht weiterverfolgt wurde, ebd., 205. Zum erneuten Bruch mit Pisa kam es am 4. August, als Christian im Umfeld der Friedensverhandlungen Pisaner Konsuln und Bürger in Ketten legen ließ, Bernwieser, Honor (2012), 37–239. In der Beilegung des Konflikts verfuhr Christian dabei offenbar schärfer als von Barbarossa vorgesehen, da er im Konflikt der widerstreitenden Parteien unter Zugzwang geraten und sein Handlungsspielraum in Verpflichtung gegenüber Genua stark eingeschränkt war. Allerdings erweist sich die Rekonstruktion der Friedensinitiative von Christian von Mainz als „überaus kompliziert“, ebd., 192. Nach Festsetzung des Italienzuges Ende März musste Christian seine rigorose Haltung abmildern, da Barbarossa im Vorgehen gegen den Lombardenbund auf Pisa zählte. Ende Juni 1172 löste er Pisa vom Bann und restituierte der Stadt die alten Privilegien, ebd., 202–204; 223  f.; Hägermann,

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und Genua hatten sich zwar von Barbarossa gelöst, wollten sich aber nicht in eine byzantinische Allianz gegen Barbarossa hineinziehen lassen, sondern versuchten einen neutralen Kurs beizubehalten.184 Als Territorialherren im Heiligen Land hatten die italienischen Handelsstädte nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch Kreuzzugsambitionen. Ökonomische, politische und militärische Ambitionen waren eng miteinander verknüpft, bildeten letztere doch die Voraussetzung für wirtschaftliche Aktivitäten. Notwendig für die Sicherung des Handels waren gute Beziehungen zu den muslimischen Herrschern, da diese Kontrolle über den Handel ausübten.185 Die italienischen Seemächte waren aufgrund ihrer Flotten gefährliche Gegner Ägyptens, sobald sie sich gegen Ägypten in Allianzen zusammenschlossen. Nach dem Angriff auf Ägypten 1169 hatte Saladin den Handel mit den Angreifern unterbunden. Auf der anderen Seite war Saladin aber auf den Import kriegswichtiger Produkte angewiesen. 1173 gewährte er Pisa die aufgekündigten Privilegien von neuem, gegenüber dem Kalifen musste er den Vorteil der Handelsverbindungen mit den Christen aber rechtfertigen.186 Im Gegenzug für die Handelsprivilegien von 1173 forderte Saladin, „kriegsnotwendige Waren wie Eisen, Bauholz, Waffen und Pech, die in Ägypten und seinem Herrschaftsbereich nicht produziert wurden, zu liefern.“ Die Gewährung notwendiger Privilegien war stets abhängig vom politischen Verhalten der Handelspartner. „Nahmen die Heimatländer der fränkischen Kaufleute am Krieg gegen Ägypten teil, so wurden die auf ägyptischem Boden befindlichen fränkischen Kaufleute gefangengesetzt, ihre Güter und Waren beschlagnahmt und sie liefen Gefahr, den Schutz des Sultans für Leben und Eigentum zu verlieren.“187 Der Genueser Konsul Albericus als Gesandter vertrat womöglich nicht nur politische und militärische Reichsinteressen, war er doch vom Amt her Interessenvertreter einer Gemeinde von Kaufleuten und Händlern.188 Es ist daher ebenso denkbar, dass Christian von Mainz, versehen mit kaiserlicher Autorität (auctoritate imperiale), aus

Reichslegation (1969), 187–211. Erst am 6. November 1175 setzte Barbarossa den Frieden von Roccha Nova durch, Bernwieser, Honor (2012), 228–234. 184 Lilie, Handel (1984), 484. Genua betrieb zwischen der Liga und dem Kaiser eine Interessenpolitik, trat der Liga nicht bei, aber unterstützte neue Mitglieder und gewährte Alessandria Hilfsgelder, Georgi, Mächte (1990), 190. Grund war vermutlich, die Kontrolle und das Monopol der Handelsrouten durch den Kaiser zu verhindern, Raccagni, League (2010), 118–121. Unter versteckter Drohung einer Annäherung an Alexander  III. versuchten die Genueser Konsuln, den kaiserlichen Legaten zu Zugeständnissen zu bringen und auch unter finanzieller Zuwendung „ihm die Gesetze des Handelns vorzuschreiben“, Hägermann, Reichslegation (1969), 194. 185 Labib, Handelsgeschichte (1965), 19  f.; 23. Bereits 1154 war zwischen den Fatimiden und Pisa ein bemerkenswerter Handelsvertrag abgeschlossen worden, den es aufgrund der Teilnahme an den Kreuzzügen zur Eroberung Ägyptens aber wieder verlor. 186 Siehe Kapitel III.1.1. und III.1.2. Anm. 191. 187 Labib, Handelsgeschichte (1965), 30. 188 Rigaudière, Konsulat (2002); Pawinski, Entstehungsgeschichte (1867).

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eigener Initiative handelte und den genuesischen Konsul zu Saladin schickte, wie es Saladins Schreiben nahelegt.189 Möglichen wirtschaftsbezogenen Absichten der Kontaktaufnahme konnte eine offizielle kaiserliche oder zumindest kanzellarische Vollmacht Nachdruck und zusätzliches Prestige verleihen und auch die Verbindung der Seestädte zum Kaiser wieder attraktiv machen.190 In Ermangelung genauerer Hinweise kann es nur bei Vermutungen bleiben, was die Motive der Kontaktaufnahme betrifft. Gezeigt werden konnte, dass sich gerade im Zeitraum des ersten staufisch-ayyubidischen Gesandtschaftsaustausches von 1172/1173 ein Wandel im mediterranen Mächtesystem durch das Aufbrechen traditioneller bzw. etablierter Bündnispartnerschaften vollzog. Da das Interesse eines solchen Bündnisses von der aktuellen politischen Konstellation abhing, scheint das Bündnis mit der Gesandtschaft 1173/1174 auch besiegelt und abgeschlossen gewesen zu sein. Ab Mitte 1174 bis unmittelbar vor dem Aufbruch Burchards im September 1175 veränderte sich dann die machtpolitische Lage sowohl Barbarossas als auch Saladins erheblich. Die Gesandtschaft Burchards brach unter gänzlich veränderten politischen Ausgangsbedingungen nach Ägypten auf, so dass nicht unbedingt von einer Interessenskontinuität und einer Fortführung des Bundes unter gleichen Vorzeichen ausgegangen werden darf.

V.3 Rahmenbedingungen und vermutliche Ziele der Gesandtschaft von 1175 Einen entscheidenden Wendepunkt für Saladin markierte das Jahr 1174. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Saladins Kräfte durch mehrfache Einfälle der Normannen, Franken und Byzantiner in Ägypten gebunden und seine errungene Machtposition von außen bedroht. Im Innern gefährdeten Umsturzversuche einer fatimidischen Opposition in Verbindung mit den Franken seine Stellung.191 Hinzu kam das Misstrauen Nūr ad-Dīns gegenüber der eigenmächtigen Politik Saladins. 1174 plante Nūr ad-Dīn eine Invasion nach Ägypten.192 Vermutlich war Saladin zur Abwehr auch ein Defensivbündnis mit Amalrich eingegangen.193 Im gleichen Jahr musste er Ende Juli den Angriff der Normannen auf Alexandria abwehren und eine Verschwörung niederhalten, die er aber rechtzeitig aufdecken konnte.194

189 Vgl. Görich, Friedrich (2011), 358  f. 190 Seit der Zeit Lothars III. ging es den Königen um die Flottenhilfe der Seemächte, wohingegen die Genuesen ihre Pflicht dem Kaiser gegenüber „nur zum Schutz des Meeres gegen Barbaren“ sahen, Opll, Stadt (1990), 279. 191 Eddé, Saladin (2008), 72–76. Siehe dazu Kapitel III.1.6. 192 Möhring, Saladin (2005), 56; Eddé, Saladin (2008), 78–82. 193 Möhring, Saladin (2005), 59. 194 Eddé, Saladin (2008), 74; Möhring, Kreuzzug (1980), 60.

Rahmenbedingungen und vermutliche Ziele der Gesandtschaft von 1175  

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Der plötzliche Tod Nūr ad-Dīns im Mai 1174 verschob das Mächteverhältnis im Orient zugunsten Saladins. Im Oktober 1174 zog er in Syrien ein und erreichte mit dem Einzug in Damaskus die für die Orientfranken und Byzanz bedrohliche Vereinigung beider Herrschaften.195 Die Usurpation wurde 1175 mit einem Investiturdiplom des Kalifen von Bagdad bestätigt, der damit Saladins Souveränität über Ägypten, Syrien und den Jemen anerkannte.196 Knapp zwei Monate nach Nūr ad-Dīns Tod starb auch Amalrich und hinterließ seinen kranken Sohn Balduin IV. als Nachfolger im Königreich Jerusalem.197 Einer Bedrohung durch einen Kreuzzug europäischer Könige und des Kaisers hatte Saladin nun deutlich mehr entgegenzusetzen. Vor allem über die Handelsverbindungen zu Pisa und Genua war er zu einem dominanten Akteur aufgestiegen, der kaum auf Unterstützung Barbarossas angewiesen war. Für das Jahr 1174 ist für Saladin eine umtriebige Diplomatie bezeugt, die sich neben dem islamischen Bereich auf Barbarossa, Amalrich, Genua und Byzanz erstreckte.198 Verhandlungen mit Kaiser Manuel I. richteten sich dabei vermutlich auf eine gemeinsame Abwehr des normannischen Gegners – ein Vorhaben, das die Genueser um ihre Handelsprivilegien in Ägypten fürchten ließ.199 Eine Zäsur für Barbarossas Herrschaft bedeutete das Jahr 1175. Allerdings verlief seine Erfolgskurve konträr zu der Saladins. Während dieser vor 1174 von Feinden umgeben war, nach dem Tod Nūr ad-Dīns dann aber Teile des Zengidenreiches übernehmen konnte und zur dominierenden Kraft aufstieg, befand sich Barbarossa 1175 in einer äußerst prekären Situation. Der Beginn der Reise Burchards fällt in die Periode im Sommer 1175, als in der gespannten Situation nach der Belagerung Alessandrias ein Entscheidungskrieg mit der Lega und ihren Verbündeten bevorstand.200 Nachdem sich die Lombarden am 17. April 1175 (Vertrag von Montebello) unterworfen hatten, entließ Barbarossa den Großteil seines Heeres und begab sich nach Pavia, „wo er sich bis in den Herbst des Jahres ununterbrochen aufgehalten zu haben scheint.“201 Die Zahl der Städte des Lombardenbundes war auf fünfundzwanzig Mitglieder angewachsen.202 Bezüglich des Status Alessandrias waren die Differenzen zwischen Lom195 Siehe dazu Kapitel III.1.7. 196 Der Kalif verlieh Saladin nie den Titel Sultan. Dieser blieb dem Seldschukensultan vorbehalten, Saladin verwandte ihn nur mit Zusätzen. Dagegen führte Saladin wohl seit 1171 als fatimidischer Wezir den Titel al-Malik (rex), Möhring, Kreuzzug (1980), 108; Wiet, Inscriptions (1922). 197 Siehe dazu Kapitel III.1.9. 198 Jacoby, Diplomacy (2009), 90  f. 199 Ebd., 92. 200 Görich, Friedrich (2011), 380; Laudage, Alexander (1997), 200; Haverkamp, Friede (1987), 21  f., Heinemeyer, Montebello (1954/55), 132  f.; MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 638, 135–138. 201 Im Zeitraum vom 23. 04.–27. 08. 1175, Opll, Itinerar (1978), 63; 211. Zu dem langen Aufenthalt in Pavia siehe Annali Genovesi. Ed. Belgrano/Imperiale di Sant’Angelo (1901), 8  f. 202 Diese Zahl erreicht die Aufzählung von Städten in den Forderungen der societas nach dem Frieden von Montebello. Genannt werden Cremona, Mailand, Lodi, Bergamo, Ferrara, Brescia, Mantua, Verona, Vicenza, Padua, Treviso, Venedig, Bologna, Ravenna, Rimini, Modena, Reggio, Parma, Piacenza, Bobbio, Tortona, Alessandria, Vercelli, Novara, Manaresi, Atti, Nr. 96 (1919), 134–136. „Der Lom-

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bardenbund und Kaiser unüberbrückbar, was sich schon in dem von Barbarossa bis Mitte Juni gewährten Waffenstillstand zeigte, der Alessandria eben nicht in den Frieden einbezog.203 Bis in den Spätsommer wurde versucht, zwischen Lombardenbund und Alexander III. eine Einigung herbeizuführen. Ergebnislose Verhandlungen mit dem Lombardenbund und die Forderungen Alexanders in der Frage des Schismas ließen keine Hoffnung mehr, eine Lösung auf dem Verhandlungswege herbeizuführen. Spätestens im Oktober 1175 kam es zu erneuten Kampfhandlungen.204 Die Auseinandersetzung endete schließlich mit der völligen Niederlage des Kaisers bei Legnano am 29.  Mai 1176.205 Erst danach erhöhte sich die Kompromissbereitschaft Barbarossas wohl auch dadurch, „dass kurz zuvor die Ehe König Wilhelms II. von Sizilien mit einer Tochter des englischen Königs unter Vermittlung Alexanders III. fest verabredet worden war. Zudem war der normannische König im Jahr 1175 mit der Seehandels­ republik Venedig ein deutlich gegen Byzanz gerichtetes Bündnis eingegangen.“206 In dieser Phase konzentrierte sich alles auf die Herrschaftssicherung in Oberitalien, für die Friedrich dringend auf militärische Unterstützung seitens der Fürsten angewiesen war. Er musste darauf bedacht sein, seine Kräfte für den bevorstehenden Krieg zu bündeln und durfte keinesfalls in weitere Konflikte hineingezogen werden. Die Planung für dieses Unternehmen, wie auch der Italienzug selbst zeigt, begann frühzeitig und vorausschauend. Allianzen und Bündnisversprechen, die einen bewaffneten Eingriff erforderten, mussten vermieden oder zumindest weit hinausgezögert werden, zumal Barbarossa aufgrund des Schismas kaum auf äußere Bündnispartner zurückgreifen konnte. Die erneute Forderung einer Gesandtschaft aus Jerusalem, Barbarossa möge unterstützend im Orient eingreifen, hatte in dieser Phase keine Aussicht auf Erfolg.207 Außenpolitisch konnten die 1172 noch in Aussicht stehenden Bündnisoptionen mit Sizilien und Frankreich nicht realisiert werden, währenddesbardenbund kann vielmehr deshalb als der mächtigste Städtebund der Welt charakterisiert werden, weil er jedenfalls für mehrere Jahre eine größere Anzahl der reichsten und vor allem der mächtigsten Städte der damaligen Welt vereinigte: Städte nämlich, die im Unterschied zu fast allen urbanen Zentren außerhalb Italiens bereits vor der Mitte des 12. Jahrhunderts eine weitgehende Selbstverwaltung durchgesetzt und zugleich ihre Herrschaft – vielfach in lehnrechtlichen Formen – über das Umland ausgedehnt hatten“, Haverkamp, Friede (1987), 13. 203 Görich, Friedrich (2011), 380. 204 Laudage, Alexander (1997), 201; Opll, Friedrich (2009), 117; Schieffer, Graf (2001), 431. 205 Görich, Friedrich (2011), 381; Laudage, Alexander (1997), 201  f. 206 Haverkamp, Friede (1987), 23. 207 Nicht zuletzt kannte Friedrich aus eigener Erfahrung als Teilnehmer des gescheiterten Kreuzzugsunternehmens von 1147/48 die Risiken und Grenzen militärischer Schlagkraft wie auch kaiser­ licher Autorität angesichts unvorhersehbarer Situationen. Barbarossa selbst hatte während des zweiten Kreuzzuges gegen die Rumseldschuken kämpfen müssen und an der Belagerung von Damaskus teilgenommen. Nicht nur der aussichtslose Kampf und die Niederlage gegen die beweglichen türkischen Reiter blieben von dieser Fahrt in Erinnerung. Angewiesen war das dezimierte deutsche Heer nach schweren Verlusten schon zu Beginn des Zuges nach Iconium auf französische Unterstützung, was die Unterlegenheit und Diskrepanz zwischen Geltungsanspruch des potentiellen Kaisers und der

Rahmenbedingungen und vermutliche Ziele der Gesandtschaft von 1175  

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sen sich die italienischen Seestädte wieder Byzanz und Sizilien angenähert hatten.208 Vorausschauende Konfliktvermeidung war vordringlich und veranlasste vermutlich auch die Gesandtschaft zu Saladin. Dass Barbarossas Ansinnen gerade zu diesem Zeitpunkt darin bestand, „die Stellung Manuels im Orient zu untergraben“209 ist nicht als Motiv erkennbar, da der byzantinische Einfluss auf Italien nur mehr gering war und hier kein dringliches Interesse bestand. Ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Verbündeten Saladin war angesichts dessen erfolgreicher Expansion und seiner weitreichenden Kontakte angezeigt, da aufgrund der Handelsinteressen im Mittelmeerraum alle Mittelmeermächte nach günstigen Allianzen suchten und sich leicht eine Koalition bilden konnte, die sich ungünstig auf Barbarossas ohnehin prekäre Lage auswirken konnte. Wegen seiner engen Beziehungen zu Genua und Pisa stellte Saladin ein Risiko dar, wenn diese zur Erhaltung ihrer Existenzbasis eine antikaiserliche Politik betreiben würden. Ein antibyzantinisches Bündnis scheint auch hier wenig wahrscheinlich, zumal Saladin mit Byzanz Verhandlungen aufgenommen hatte und von dieser Seite eher Unterstützung gegen die Normannen erwarten konnte.210 Der Aggressor Amalrich war ausgefallen und damit fürs erste auch der Angriffspartner Byzanz. Wie schon zu Beginn der Kontaktaufnahme mit Saladin 1172 dürfte auch hier der Anlass der Gesandtschaft direkt mit der Machterweiterung der Ayyubiden, also mit der Expansion nach Syrien, in Zusammenhang stehen. Gleichermaßen musste Friedrich die ungesicherte Thronfolge im Königreich Jerusalem alarmieren. Im Zentrum stand für beide Partner vermutlich Jerusalem, dessen politische Situation nach dem Hinscheiden Amalrichs für beide ein Risiko barg. Jerusalem spielte für Barbarossa zwar zumindest in politischer Hinsicht keine herausragende Rolle.211 Doch war der Kreuzzug eine Herrscherpflicht, die erst nach eingehender Prüfung aller Vorrausetzungen durchgeführt wurde, wie aus der Vorbereitung des dritten Kreuzzuges hervorgeht.212 Aus dem Vergleich der Situation von 1175 mit der nach 1184 können unter Vorbehalt Rückschlüsse auf die Handlungsmaximen Friedrichs gezogen werden. Rudolf Hiestand konnte keine Anhaltspunkte für eine langfristige Planung des mili-

Realität augenfällig machte, Görich, Friedrich (2011), 78; 81  f.; Hiestand, Precipua (1992), 61  f.; Mayer, Geschichte (1989), 94  f. 208 Im Mittelmeer bildeten sich erneut festere Allianzen heraus: Sizilien war Bündnisse mit Venedig, Pisa und Genua eingegangen, Genua stand mit Byzanz in Verhandlung. 209 Georgi, Mächte (1990), 244. 210 Nach 1174 griffen die Normannen 1175/1176 und 1177/1178 Tinnis im östlichen Nildelta an. Mit Ankunft Philipps von Flandern in Jerusalem 1177 hofften auch die Byzantiner auf eine gemeinsame Expedition, Eddé, Saladin (2008), 224. 211 Hiestand, Precipua (1992), 52  f.; 65. Möglicherweise war 1189 nicht Jerusalem, sondern Antiochia primäres militärisches Ziel, da hier eine direkte Herrschaft erlangt werden konnte. Bohemund  III. von Anitochia übergab Barbarossa bei dessen Ankunft wie versprochen die Stadt und alle Burgen für gewährte Hilfeleistung, ebd., 98  f. 212 Ebd., 90  f.

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tärischen Unternehmens 1189 festmachen – weder in politischer noch in eschatologischer Dimension.213 Auslösende Momente waren wohl tatsächlich die Schlacht von Hattin und die Eroberung Jerusalems,214 denn schon 1184 erreichten Friedrich Hilferufe aus dem Heiligen Land. Um den dritten Kreuzzug zum Scheitern zu bringen, bahnte sich tatsächlich eine byzantinisch-ayyubidische Allianz an, von der ein Brief Isaaks II. Angelos an Saladin zeugt.215 „Allein, eine konkrete militärische Kooperation gegen die Kreuzfahrer erscheint schon aus praktischen Überlegungen heraus sehr unwahrscheinlich, und Saladin hätte dem byzantinischen Kaiser wohl nie reelle Souveränitätsrechte in Palästina einräumen wollen und können.“216 Die Führung im negotium christianismi 1189 versprach Friedrich  I. Vorteile auf reichsrechtlicher Ebene genauso wie in staatsrechtlichen Dimensionen,217 zumal beim Aufbruch bekannt war, dass in dieser Zeit die Thronfrage Jerusalems geregelt werden musste.218 Lässt sich auch nicht klären, wieweit Barbarossa Kaiserrechte im Heiligen Land beanspruchte, beinhaltet der Titel advocatus specialis terrae Ierosolomitanae dennoch einen Vorrang gegenüber dem König von Jerusalem und allen anderen Königen, zumindest der Anspruch auf Lehnsoberhoheit über Jerusalem kann damit unterstellt werden.219 Absichten einer Ausweitung der nominellen Herrschaftsgebiete des Imperiums in Annäherung an die Grenzen des antiken Imperium Romanum klingen auch im gefälschten Brief Barbarossas an Saladin 1188 an.220 Auch wenn Barbarossa keine konkreten Ambitionen einer Herrschaft über das Heilige Land nachzuweisen sind, bestand 1175 durch das gespannte Verhältnis zu Alexander III. und Manuel ein gewisser Handlungsdruck, um seine Eignung als Kaiser in religiösen Fragen unter Beweis zu stellen. Neben politischen Interessen, die ein Bündnis mit Saladin und auch Qilig-Arslan nötig machten, existierte hintergründig ein ideologisches Modell des Orients, das letztlich auf die Einbindung und Rechristia­ 213 „Wäre bei einer solchen, seit jeher auf den Kreuzzug ausgerichteten Planung des ganzen Lebens nicht schwer zu erklären, weshalb nicht schon vor 1187 wenigstens irgendwelche Vorbereitungen begonnen hatten, sei es auch nur wie bei Heinrich II. von England durch die Überweisung von Geldern. Doch kein Zeugnis liegt dafür vor, dass Barbarossa vor dem Spätjahr 1187 ernsthaft an einen von ihm persönlich zu unternehmenden Kreuzzug dachte, geschweige einen solchen für seine letzten Tage in Aussicht gestellt hätte – auch letztere wäre gegen mittelalterliches Denken: media in vita…“, ebd., 54  f. 214 Ebd., 55; Historia peregrinorum. Ed. Chroust (1928), 4  f. 215 Beihammer, Kaiser (2007). 216 Ebd., 15. 217 Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung des Unternehmens für die reichsrechtliche Ebene und als stabilisierendes Element für die Stellung Barbarossa im Reich. Der Kreuzzug ermöglichte Barbarossa die Durchsetzung friedensstiftender Maßnahmen im Innern des Reiches. Bestehende Konflikte mit Papst Urban III. und die Gefahr des Kirchenbannes wurden durch das gemeinsame Unternehmen beigelegt, Hiestand, Precipua (1992), 56  f. 218 Ebd., 63; 97. 219 Ebd., 99; Mayer, Kaiserrecht (1972). 220 Mayer, Brief (1985); Möhring, Kreuzzug (1980), 94–97; Röhricht, Kreuzzüge (1886), 575–577.

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nisierung des Nahen Ostens zielte. Den Hintergrund einer solchen Hoffnung bildete die populäre alte Weissagung über den letzten römischen Kaiser, der am Ende der Zeiten die Muslime vernichte, ein Reich des Friedens schaffe und so alle Macht Gott zurückgebe.221 Die Gesandtschaft Burchards konnte somit einer „Rückversicherung“ des beschlossenen Bündnisses dienen, freilich unter veränderten Vorzeichen, da sich die Lage zugunsten Saladins verschoben hatte. Nicht zuletzt für den Eventualfall eines notwendigen Eingreifens benötigte Friedrich in dieser Situation verlässliche Informationen über die politische Lage, Intentionen, Ressourcen und militärische Stärke des nun dominantesten Herrschers im Orient, um eigene lang- und kurzfristige Konsequenzen zur Aufrechterhaltung der eigenen Sicherheit im weitesten Sinne formulieren und abschätzen zu können. Burchards Auftrag ist zugleich im Bereich des „intelligence gathering‘“ zu verorten: Sein Aufenthalt und Bericht diente der Informationsbeschaffung und Auskundschaftung des neuen Herrschaftsbereiches Saladins Ägypten und auch Syrien in der veränderten Situation nach 1174. Die Tatsache, dass Burchard im ayyubidischen Herrschaftsbereich herumgeführt und auf Pracht, Reichtum und Stärke aufmerksam gemacht wurde, ist als Antwort auf die ayyubidische Gesandtschaft am Hofe Barbarossas zu verstehen, der ein ähnliches Programm geboten wurde. Von muslimischer Seite sollte demonstriert werden, dass die Christen hier keinen erkennbaren Repressalien ausgesetzt waren, die ein sofortiges Eingreifen zum Schutz der Glaubensbrüder erforderten. Letztlich bleiben die Thesen über die Motive der Gesandtschaft hypothetisch, da der Inhalt des Berichtes nichts verlautbaren lässt. Welchen Stellenwert die Gesandtschaft hatte, lässt sich weder aus dem Bericht noch aus dem historischen Kontext ableiten. Doch kann davon ausgegangen werden, dass die Gesandtschaft von 1175 kaum weniger wichtig für Friedrich war als die von 1172. Barbarossa dürfte Saladin wertvolle Geschenke übersandt haben, wie es aus anderen Kontakten des Reiches mit den Kalifen und Sultanen überliefert ist.222 Auch aus der gesellschaftlichen Stellung der staufischen Gesandten, die zu Saladin geschickt wurden, ergeben sich wenige Hinweise auf den Stellenwert des Bündnisses, da die Identität der ersten Gesandten Albericus und dann Burchard nicht eindeutig feststellbar ist.223 Als letzter Gesandter soll 1188 Graf Heinrich II. von Diez

221 Möhring, Weltkaiser (2000); Prinz, Aktualisierung (1985). 222 Hiestand, Singen (1995), 58–62. 223 Hochrangige Gefolgsleute wie Wibald von Stablo, Heinrich II. von Österreich, Pfalzgraf Otto von Wittelsbach 1165, 1168 Christian von Mainz und Hugo von Honau, 1172 Bischof Konrad von Worms und Heinrich der Löwe wurden zum Basileus entsandt. „Die Bedeutung, die einer Gesandtschaft beigelegt wurde zeigte sich natürlich auch in ihrer Zusammensetzung: Zahllos sind die Belege dafür, dass sozialer Rang und die Vertrauensstellung, die Gesandte an ihrem Heimathof genossen, vom Adressaten der Gesandtschaft seinerseits als Ehrung empfunden wurden, die dem eigenen Rang entsprach“, ­Görich, Sprache (2008), 42.

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Abb. 25: Man on balcony from Elephant-water-clock (1205), entnommen aus Ibn al-Razzaz al-Jazari, Book. Ed. Donald R. Hill. (1974), 212, Tafel VI. Anne-Marie Eddé hat diese Zeichnung auf dem Einband ihrer Monographie über Saladin verwendet, die zeitgenössische Illustration zeigt jedoch nicht Saladin, sondern eine mit Nimbus versehene andere, hervorragende Person, vor einem Schloss, vgl. Fragaki, Clocks (2012), 240; Schulz, Miniaturmalerei Bd. 2 (1914), Tafel 3.

d.  Ä. zu Saladin geschickt worden sein.224 „Er wurde, um es gleich zu sagen, nicht zu einem wirklichen Beweger der Geschichte, sondern blieb eine Figur eher dritten Ranges, verdient als solche aber durchaus exemplarisches Interesse (…).“225 Hochrangige Legaten wurden soweit ersichtlich also nicht zu Saladin entsandt. Wer sich hinter dem Gesandten Burchard und dem Autor des Berichtes verbirgt, ist nur partiell zu ermitteln und wurde in der Forschung kontrovers beurteilt. Die wenigen Spuren

224 Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 140; Historia peregrinorum. Ed. Chroust (1928), 127; Möhring, Saladin (2005), 93. 225 Schieffer, Graf (2001), 425. Heinrich  II. von Diez hat „anscheinend nie ein förmliches Amt im Dienste des Kaisers bekleidet, sondern allenfalls zeitlich und sachlich begrenzte Aufträge als Barbarossas Gesandter oder Bevollmächtigter ausgeführt“, ebd., 437.

Der Gesandte 

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von Burchards Dasein werden im folgenden Kapitel zusammengetragen. Doch auch bezüglich der Person des Gesandten, das sei vorausgeschickt, muss sich die Forschung mit Hypothesen begnügen, mit einer Geschichte der Möglichkeiten.

V.4 Der Gesandte Mit den Angaben des eigenen Namens Burchard, seines Amtes als Vizedominus von Straßburg sowie des Zeitpunkts, des Ziels und des kaiserlichen Auftrags der Gesandtschaft eröffnet der Autor seinen Reisebericht und präsentiert sich noch vor Beginn der eigentlichen Darstellung dem Leser. Für die Frage nach der Identität des Autors sind diese Zeilen von besonderer Bedeutung, da allein dieses Schriftstück den Viztum als kaiserlichen Legaten vorstellt. Ein genaueres Profil des Autors ist aufgrund der spärlichen Quellenlage schwer zu bestimmen. Gesicherte Daten, die über den Namen und die Berufsbezeichnung als Vizedominus von Straßburg hinausgehen, stehen kaum zur Verfügung. Im Gegensatz zu der bei Arnold von Lübeck überlieferten Nennung eines Viztums namens Gerhard gilt wenigstens die Namensform Burchard als gesichert.226 Ein Straßburger Viztum Burchard begegnet in der Zeugenliste zweier Kaiserurkunden vom Herbst 1174227 und April 1189.228 Zwischen 1182 und 1194 wird Burchard in mehreren Urkunden des Straßburger Bischofs und des St. Thomasstiftes in Straßburg genannt.229 226 Laurent, Ueber Burchard (1856), 255; Ders., Burchard (1858), 145; Klewitz, Ministerialität (1929), 76  f. 227 MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 631, 127, Z. 16. In der Zeugenreihe nach Bischof Rudolf erscheint Burchardus vicedominus Argentinensis an zweiter Stelle. Ausstellungsort ist wahrscheinlich Straßburg, die genaue Datierung allerdings unsicher (zwischen 1174 und 1179); Vertragsgegenstand sind Maßnahmen zur Wiederherstellung der Besitzverhältnisse des Bistums Basel. 228 MGH DD FI, Bd.  4, Nr.  993, 282, Z. 34  f. Ausgestellt am 14.  April 1189 in Hagenau; Burchardus vicedominus Argentinensis wird als Vertragszeuge genannt; Vertragsgegenstand ist ein Gütertausch zwischen Bischof Heinrich von Straßburg und dem Zisterzienserkloster Eußerthal (Uzerstal). 229 Nennung in zwei Urkunden von St. Thomas für 1182: in Nr. 118, Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand (1879), 97–99, wird Burchard als Stifter von zwei Talenten und als frater noster des St. Thomaskonventes bezeichnet (Z. 17  f.), tritt dann als Zeuge auf (Z. 37); in Nr. 119, ebd., 99, Z. 36, ist er eingeordnet unter den Brüdern des Thomasstiftes. In vier Bischofsurkunden: für 1189 Nr. 127, ebd., 104, Z. 19 (der Vertragsgegenstand ist identisch mit der Kaiserurkunde Nr. 993, bis auf die Straßburger Domkanoniker sind auch die Zeugen identisch); für 1190: Nr. 128, ebd., 105, Z. 4; für 1193: Nr. 132, ebd., 109, Z. 14; für 1194: Nr. 133, ebd., 109, Z. 25  f. Darüber hinaus wird Burchard in einer Kaiserurkunde Heinrichs VI. vom März 1192 (Hagenau), Nr. 130, ebd., 106–108, als Erbauer einer Hofstätte genannt, aber nicht als Zeuge aufgeführt, 106, Z. 28 (RI IV, 3 n. 210). Der in RI IV, 3 n. 214 (zum 10. April 1192 in Speyer) genannte Straßburger Kleriker ist nicht eindeutig mit dem Viztum zu identifizieren, siehe Haverkamp, Juden (2002), 468 Anm. 92. Der Vitzum ist ausschließlich fassbar in Urkunden, die im Umkreis Straßburgs ausgestellt wurden und lokale Belange behandeln. Da in der Amtsperiode Rudolfs (1162–1179) die bischöfliche Urkundentätigkeit zum Erliegen kam, erscheint er erst unter dessen Nachfolgern Heinrich und Konrad in den Bischofsurkunden, vgl. Rösch, Studien (1977), 314.

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Mindestens zwanzig Jahre lang hielt Burchard demnach das Amt des Viztums inne, erst für 1196 erscheint ein Nachfolger Albert (1196–1201) in diesem Amt.230 Anhaltspunkte über den familiären Hintergrund des Viztums existieren nicht, ebenso fehlen Hinweise auf Vergabe und Erblichkeit der Hofämter für seine Zeit. Die Reihe seiner Vorgänger ist unvollständig, die letzte Nennung eines Straßburger Viztums Otto ist auf 1154 datiert.231 Die Inhaber hoher städtischer und bischöflicher Ämter in Straßburg stammten zwar vermutlich aus regional bedeutsamen Familien, doch sind deren früheste Vertreter vor dem 13.  Jahrhundert kaum bezeugt.232 Nähere Angaben über Ausbildung und Förderer Burchards sowie über den Zeitpunkt der Übernahme dieses Amtes sind nicht ableitbar. Angenommen werden kann, dass Burchard Ministeriale war, da die Straßburger Viztume schon vor der Erblichkeit des Amtes dem Ministerialenstand angehörten und Burchard im Gefolge Bischof Rudolfs neben zehn weiteren Ministerialen urkundlich fassbar ist.233 Der Laienstand war hier eher die Regel,234 doch scheint Burchard einen geistlichen Weihegrad besessen zu haben, da er in einer Urkunde des Thomasstiftes als frater bezeichnet wird.235 Belegt ist für den Viztum Burchard ein Landerwerb in Donnenheim im Elsass,236 den er um 1190 dem Zisterzienserkloster Neuburg übertrug237 und der schon beste230 Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand (1879), Nr. 137, 113, Z. 7. 231 Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand (1879), Nr. 108, 89, Z. 23. 232 Bischöfe und Mitglieder des Domkapitels wurden aber ebenso aus dem Hochadel des Reiches rekrutiert, Dollinger, Origines (1981), 23  f. Auch die Mitglieder der Ministerialenfamilien sind vor dem 13. Jahrhundert nur sporadisch bezeugt, vgl. Klewitz, Ministerialität (1929), 70–99. Die Zugehörigkeit zur Familie der Beger, welche im 13. Jahrhundert die Viztume stellten, ist keinesfalls gesichert. 233 „(…) die ‚vicedomini‘ des Bischofs von Strassburg gehörten stets dem Ministerialenstande an“, Imhof, Ministerialität (1912), 36. Die bischöfliche Ministerialität besetzte in Straßburg auch die städtischen Ämter, vgl. das Straßburger Stadtrecht (Urkundenbuch Straßburg. Ed. Wiegand [1879], Nr. 616, 467–476) § 6, 7 und 111. Bezeugt ist die Gruppe seit 1129, wird dann aber nicht mehr als solche bezeichnet, Klewitz, Ministerialität (1929), 37–42. Die Dienstmannen des Bischofs werden aufgeführt in MGH DD FI, Bd. 1, Nr. 133, 224 (für 1156); MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 631, 127 (vermutlich 1174); MGH DD FI, Bd. 4, Nr. 993, 282 (1189); siehe auch Plassmann, Struktur (1998), 158. 234 Vor und nach Burchard werden die Viztume als Laien bezeichnet, wie im Straßburger Stadtrecht §  111 vorgesehen. Episcopo eunte in expeditionem vel ad curiam, qui gladios poliunt debent purgare gladios et galeas vicedomini, marscalci, dapiferi, pincerne, camerarii et omnium, qui necessarii et cotidiani sunt ministri episcopi, Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand (1879), Nr. 616, 475. Vgl. Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 469  f. 235 Dominus Burchardus vicedominus et frater noster, Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand (1879), Nr. 118, 98, Z. 17  f. (von 1182). Die Verwendung des Begriffes frater ist komplex und umschließt sowohl Geistliche als auch Laien, siehe Aubert, Frère (1977), 1262; Stupperich, Bruderschaften, 196  f. 236 Fiala, Fragment (1954), 28. 237 Zu Neuburg siehe Pfleger, Cisterzienserabtei (1926); Seiler, Territorialpolitik (1995), 139–143. Mitgründer der Abtei war 1133 Herzog Friedrich II. von Hohenstaufen. Neuburg wurde auf staufischem Eigengut errichtet und mehrfach von Kaiser Friedrich I. privilegiert. 1175 setzte sich Friedrich I. während der Belagerung Alessandrias auf Bitten Neuburger Brüder für die Rechte des Klosters ein, Alsatia Diplomatica I. (CCCXVII). Ed. Schöpflin (1772), 261.

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hendes Klostergut in diesem Dorf arrondierte.238 Dabei handelte es sich um einen ansehnlichen Besitz von 52 Äckern, drei Höfen mit einer Wiese sowie einer „Zelle“ oder Grabkammer (cellarium) auf dem Friedhof.239 Die jährliche Gegenleistung von 50 quartalia240 Wintergetreide für die Übertragung des Grundstückes sollte neben Burchard selbst einer Domina Anna zugutekommen, die er damit über seinen Tod hinaus finanziell absicherte.241 Anna war jüdische Konvertitin und hatte sich auf Ratschlag Burchards taufen lassen, doch ist auch über ihren sozialen und familiären Hintergrund nichts bekannt.242 Der Titel Domina verweist auf eine höhere gesellschaftliche Stellung und entspricht dem des Dominus Burchard.243 Offen bleibt, „ob die Konvertitin ihre hohe soziale Geltung innerhalb der christlichen Gesellschaft dem einflussreichen Geistlichen, der sie zur ‚Partnerin‘ seines leiblichen und seelischen Wohls machte, verdankte oder – respektive und auch – ihrer Herkunft aus einer angesehe-

238 In der bei Fiala angegebenen Bulle Alexanders III., Alsatia Diplomatica I. (CCCXVIII). Ed. Schöpflin (1772), 261  f., die den Klosterbesitz Neuburgs 1177 bestätigt, wird Donnenheim allerdings nicht genannt. Donnenheim war ursprünglich Reichsdorf und gehörte zum Amtsgut des Landgrafen, fiel 1196 während einer Vakanz an Heinrich  VI., der es dem Kloster Neuburg übertrug, Clauss, Wörterbuch (1898), 17. 239 (…) L scilicet et duos agros cultos et tres curtes cum prato et cellario in cimiterio (…), Fiala, Fragment (1954), 28. Der Kaufpreis wird mit 64 Pfund angegeben. Es handelt sich wohl nicht um ein tradiertes Lehen, sondern um Eigenbesitz. Gütertraditionen aus Lehensbesitz waren nur nach besonderer Privilegierung möglich, bestand doch grundsätzlich der Eigentumsvorbehalt gegenüber ministerialischen Lehen, Keupp, Dienst (2002), 286–288; 323; Ders., Ministerialität (2010). Friedrich I. hatte den Neuburger Zisterziensern zur Auflage gemacht, „Güterschenkungen seiner Ministerialen keinesfalls ohne seine Zustimmung entgegenzunehmen“, Keupp, Dienst (2002), 324 (MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 206, 345  f.). Diese Auflage wurde 1196 von Heinrich VI. aufgehoben, RI IV, 3 Nr. 530; Nova subsidia, Bd. X, Nr. 61. Ed. Würdtwein (1788), 178–180. 240 Das Viertel eines Malters umfasste im Elsass 116,18 Liter, Fiala, Fragment (1954), 29 Anm. 17. Der Gesamtwert entsprach etwa dem von 2500 Litern Wein, Haverkamp, Juden (2002), 469. 241 Quia successione personarum et [ve]tustate temporum res memoria digne a suo statu facile dilabuntur, idcirco sub huius pagine [scr]ipto memorie commendatur, quod dominus Burchardus Argentinensis ecclesie vicedominus allodium quoddam in Dunne[he]im .L. scilicet et duos agros cultos et tres curtes cum prato et cellario in cimiterio LXIIIIor (lib)ris ab ipso comparatum gloriose virgini Marie et honorabili in Christo abbati Walthero fratribusque in novo [ca]stro deo mancipatis pro sua suorumque salute legitima donatione contradidit, ita sane ut .L. [quar]talia hiemalis frumenti in festo sancti Galli annuatim sibi in Argentina persolvantur et domine Anne, [qu]e divino et suo consilio de iudaismo ad fidem catholicam pervenit, eo defuncto idem pactum in annuo [ce]nsu dum vivit conservetur, Fiala, Fragment (1954) 28; Haverkamp, Juden (2002), 469. 242 Mentgen, Proselyten (1994), 120. 243 Die Verwendung der Ehrentitel Dominus und Domina kann sich, abgesehen von der einfachen Geschlechtsbezeichnung, gleichermaßen auf einen höhergestellten Laien oder eine geistliche Funktion beziehen (Domherr, Priester, Bischof), Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 3 (2007), Sp. 947–949 (domina), 963–968 (dominus); Mediae Latinitatis Lexicon Minus (22002), 458 (domina), 464  f. (dominus); du Cange, Glossarium Bd. 3 (1938), 164 (domina), 173–175 (dominus).

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nen jüdischen Familie.“244 Alfred Haverkamp nimmt an, dass Burchard und Anna einen gemeinsamen Haushalt teilten und in enger persönlicher Beziehung zueinander standen.245 Da das Verhältnis nicht näher präzisiert wird, handelte es sich wohl um eine Patenbeziehung, deren Motiv und konkreter sozialer Wert nicht eindeutig bestimmbar ist. Bezog sich die gezielte Etablierung verwandtschaftlicher Bindung über den Täufling sonst auf eine ganze Gruppe von Personen, ist im Falle der Konversion weniger das Motiv sozialer Verflechtung anzunehmen, sondern eine persönliche soziale Bindung bezweckt.246 Die Verbindung zu Anna und dem Kloster Neuenburg ist der letzte Mosaikstein, der dem unvollständigen Bild Burchards hinzugefügt werden konnte. Auf die Betrauung mit der kaiserlichen Gesandtschaft enthalten die spärlich gesäten urkundlichen Belege des Viztums keinerlei Hinweise. Einzig der Verweis auf

244 Haverkamp, Juden (2002), 469. Das städtische und bischöfliche Beziehungsnetz bot vielfältige Möglichkeiten jüdisch-christlicher Beziehungen, besonders im höfischen Umfeld, ebd., 489. Für Straßburg ist durch Benjamin von Tudela, Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 49, eine bedeutende israelitische Gemeinde bezeugt, deren Mitglieder wohl in engem Kontakt zum Bischofshof standen, Mentgen, Studien (1995), 29–31; 125; Haverkamp, Juden (2002), 454. Juden zählten zu den „kaiserlichen ‚fideles‘“ (MGH DD FI, Bd. IV, Nr. 833, 43  f.); Bestimmungen des Dritten Laterankonzils, Acta Concilii Lateranensis, Canon 26. Ed. Mansi (1903), 231, wandten sich gegen Besitzverlust konvertierter Juden, Regesten, Nr. 310. Ed. Aronius (1887–1902), 132; Haverkamp, Juden (2002), 452; 476. Bereits im 13. Jahrhundert ist in Straßburg ein Patriziergeschlecht mit dem Namen „Jude“ nachweisbar: 1236 wird ausgerechnet ein Burchardus Judeus erwähnt (Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand [1879], Nr. 247, 194), bei dem es sich möglicherweise um einen Konvertiten oder dessen Nachfahren handelt, Mentgen, Proselyten (1994), 121–123; zur Deutung des Namens ebd., 121, Anm. 16; Ginsburger, Communauté (1946), 80. 245 Haverkamp, Juden (2002), 469. Für eine enge Beziehung spricht, dass beide die Aufnahme in die Gebetsbruderschaft erbaten: Illud etiam sane memorie commendandum est, quod ipse ad eternam illuma[tio]nem anime sue comperandam statuit ut de eodem censu coram altari beate Marie singulis noctibus [la]mpas ardeat. Pro huiusmodi benificiis gloriose virgini et fratribus ab ipso collatis in consortium plenari[um frater]nitatis ipse et domina Anna devotissime ab ipsis recepti sunt et participes facti sunt omnium orationum [et] elemosinarum suarum et pro eis tam vivis quam defunctis sicut pro abbate monacho et fratre omnimodis [ro]getur et in anniversariis eorum secundum dispositionem abbatis priorum et seniorum de ipso allodio caritati [su]e administrabitur, Fiala, Fragment (1954) 28. 246 „Die Struktur einer solchen Patenschaft hing nicht von einem ‚Charakter‘ oder ‚Wesen‘ des Pateninstituts ab, sondern von dem Zweck, für den man die Beziehung jeweils organisiert hat. Die Patenschaft hatte zwar rituell, aber nicht sozial ein klar definiertes Einsatzfeld“, Jussen, Patenschaft (1991), 279. Möglicherweise sollte hier keine Verbindung konstituiert, sondern im Sinne eines vorzeigbaren pactum formalisiert werden, vgl. ebd., 283  f. So wird das Verhältnis zwischen Burchard und Anna nicht mittels verwandtschaftlichem Vokabular angedeutet. Die Anreden dominus und domina verweisen – wenn nicht auf einen geistlichen Stand – auf eine symmetrische Beziehung, die nach innen und außen Repräsentationswert für die Verbindung hatte. Freiwillige Konversionen waren nach Haverkamp keine Seltenheit, Haverkamp, Juden (2002), 469; 474  f. Im Falle einer ehelichen Verbindung wäre dies wohl angegeben worden. Zumindest scheint die Versorgung Annas Burchard mehr am Herzen gelegen zu haben, als die Begünstigung möglicher Familienmitglieder. Für weitere mögliche Gründe Annas für die Taufe siehe Mentgen, Proselyten (1994), 136–139.

Der Gesandte 

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das historische Subjekt im Exordium des Berichts konstituiert den Gesandten, wie überhaupt einzig der Gesandtschaftsbericht die diplomatische Unternehmung nach Ägypten bestätigt.247 Vor allem die zentrale Frage nach der Qualifikation des Viztums als kaiserlicher Legat bleibt aufgrund der lückenhaften Überlieferung auf Hypothesen angewiesen. Auch wenn dieser „kein versierter Diplomat“248 gewesen sein sollte, wurde er mit einer heiklen Mission betraut, die eine Vertrauensstellung bei Hof sowie gewisse Erfahrung und Kompetenz zur Bewältigung einer solch verantwortungsvollen Aufgabe zwingend voraussetzte. Eben dieses Autorprofil, die Betrauung eines bischöflichen Beamten mit einer wichtigen diplomatischen Mission, gab Anlass zur Skepsis an der Glaubwürdigkeit des Autors und der Historizität des Gesandten. Wer sich hinter dem Gesandten des Kaisers und Autor des Reiseberichts verbirgt, konnte in der Forschung nicht überzeugend bestimmt werden. Um die Doppelfunktion von Viztum und Legaten zu erklären, schien allein die Gleichsetzung des Autors mit gleichnamigen Funktionsträgern im kaiserlichen Dienst eine Lösung zu bieten. Der Blick auf die Forschungsgeschichte zeigt diverse Kombinationsmöglichkeiten auf, wie aus Bruchstücken einzelner historischer Burcharde je nach Interpretationsmuster neue Personen nach Zeit, Funktion und zugeschriebener Autorschaft mitunter „rücksichtslos zusammengeschmiedet“249 wurden und zu kontroversen Ergebnissen führten. Die Einträge (früh)neuzeitlicher Enzyklopädien und Literaturgeschichten im 17.  Jahrhundert verzeichneten unter dem Namenseintrag Burchard/Brocardus nur den Notar (Kaplan)250 Barbarossas, der als solcher durch zwei Briefe an Abt Nikolaus von Siegburg von 1161 und 1162 belegt ist.251 Dem Kaplan wurde darüber hinaus ein Bericht über den Kreuzzug mit dem Titel Brocardi Annales de Friderici in terra sancta 247 Möhring, Kreuzzug (1980), 135; Georgi, Friedrich (1990), 242  f. 248 Borgolte, Augenlust (2010), 604. 249 Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 467. 250 Der in der älteren Literatur betitelte Notar wird in der neueren Forschung als Kaplan bezeichnet, um nach der namentlichen Identifikation des späteren Notars Burchard beide begrifflich zu scheiden. In den Urkunden wurde der Kaplan Burchard aber nie als Notar bezeichnet, MGH DD FI Bd.  5, 46 Anm. 114. 251 Die Briefe sind in der Kölner Königschronik inseriert: Chronica. Ed. Waitz (1880), 108–111. Das erste Schreiben von 1161 betrifft die Gesandtschaft Burchards nach Aquileia, Salzburg und Ungarn, vollständig gedruckt überliefert bei Sudendorf, Registrum II (1851) Nr. LV, 134–139, zur Herkunft des Ms. aus dem 16. Jahrhundert, ebd., VIII. Der zweite Brief über die Zerstörung Mailands von 1162 ist in der Sonderüberlieferung mit Burchardi notarii imperatoris überschrieben, Ed. Freher (1624). Erwähnung findet das zweite Schreiben bei Vossius, Historicis (1627), 435. Hoffmann, Lexicon (1698), 603 enthält daneben noch einen Eintrag zu Burchard als Verfasser einer Beschreibung des Heiligen Landes, allerdings ohne zeitliche Einordnung; es handelt sich wohl um Burchard von Monte Sion. Der Kaplan erscheint zudem in zwei kaiserlichen Schreiben an Erzbischof Eberhard I. von Salzburg und Bischof Roman I. von Gurk (MGH DD FI, Bd. 2, Nr. 341, 178 und Nr. 342) sowie an das Domkapitel, die Vasallen und die Ministerialen der Kirche von Halberstadt (MGH DD FI, Bd. 2, Nr. 313, 134, hier als Kaplan und Nuntius bezeichnet), Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 45  f.; MGH DD FI, Bd. 5, 46.

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rebus gestis zugeschrieben, der in einem Handschriftenkatalog von 1574 lediglich erwähnt, aber niemals aufgefunden wurde.252 Vermutlich zu Beginn des 18.  Jahrhunderts wurde dann der Bericht, versehen mit dem Titel Legatio in Aegyptum, in einer Baseler Handschrift aufgefunden.253 Da in der Baseler Handschrift die Reise ins Jahr MCCXXV datiert ist und somit in die Zeit Friedrichs II. fiel, ergaben sich Zuordnungsschwierigkeiten des Verfassers.254 Die thematische Nähe des Baseler Orientberichtes zur Descriptio de terra sancta des Namensvetters und Orientreisenden Burchard von Monte Sion255 aus dem Jahr 1283 führte zu weiteren Verwechslungen und weitete die grundsätzlich in Frage kommenden Datierungen des Berichtes und damit der Gesandtschaft von 1175 bis 1283 aus.256 Hatte der häufige Name Burchard257 eine genaue zeitliche Einordnung und Identifikation des Gesandten zunächst verhindert, gelang in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts nach dem Auffinden weiterer Textzeugen die sichere Datierung des Berichts und folglich eine nähere Bestimmung des Verfassers. Der Hamburger Gelehrte und Übersetzer der Chronik Arnolds von Lübeck, Johann Christian Moritz Laurent (1810–1876), erkannte die Identität des bei Arnold von Lübeck unter dem Namen Gerhard inserierten Berichts mit der schon erwähnten Baseler Handschrift sowie mit den kurz zuvor veröffentlichten Beschreibung aus einem Genter258 und einem Berliner Manuskript.259 Namentlich legte Laurent den Verfasser auf Burchard fest, da ein Straßburger Viztum Gerhard nicht nachweisbar ist.260 Als Entstehungs252 Erwähnt bei Gesner/Simler, Bibliotheca (1574), 104; siehe Laurent, Burchard (1858), 146; SchefferBoichorst, Notar (1889), 460  f. Anm. 5. 253 Ms. BX35, Pergamentcodex von ca. 1300; zu Beschreibung siehe Kapitel VIII. Der erste Nachweis von Burchards Orientbericht stammt von 1719, Quetif/Echard, Scriptores (1719/1721), 384. 254 Aufgrund der falschen Jahresangabe 1225 der Basler Hs. (ebenso in der Berliner Hs. Ms. theol. lat. qu. 141) wurde angenommen, Burchard sei Dominikaner gewesen, Quetif/Echard, Scriptores (1719/1721), 384. 255 Burchard von Monte Sion (ca. 1224–1285), im Druck von Reinerius Reineccius von 1587 erschienen. 256 Fabricius, Supplementa (1709), 384; Cave, Scriptorum, Bd. II (1745), 311  f., Anm. e). Bis Mitte des 19. Jahrhunderts behielt der in Jöchers Gelehrtenlexikon aus dem Jahr 1750 unter dem Lemma Brocardus vermerkte Forschungsstand seine Geltung: Ein Straßburger Vice-Dominus aus dem 13 Seculo, wurde von Kayser Friedrich  II 1225 in Egypten zum König Saladin von Babylonien als Gesandter geschickt, und schrieb nachgehends ein kleins Werck de legatione sua in Aegyptum, welches in der Baseler Bibliothek im Manuskript liegt. Diesem Brocardo scheinen auch mit gutem Rechte die Annales de Friderici I Imp. in terra sancta zuzukommen, Jöcher, Gelehrten-Lexicon (1750), Bd. 1, Sp. 1390. Deutlich werden die Unsicherheiten der Datierung noch bei Saint-Genois, Voyages (1851), 14–17. 257 Hinc saltem dicimus Brocardi vel Burcardi nomen Argentinae fuisse eo seculo usitatissimum bemerken nach Zusammenstellung der Schriften, die einem Autor Brocardus zuzuschreiben sind schon Quetif/Echard, Scriptores (1719/1721), im Anhang: de scriptores ordninis dominicanorum, Bd. 1 (1719), Sp. 393  f. 258 Saint-Genois, Voyages (1851); siehe VIII. 1. 2. 4. 259 Siehe VIII. 1. 2. 3. 260 Laurent, Ueber Burchard (1856), 255; Ders., Burchard (1858), 145.

Der Gesandte 

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zeit bzw. Reisedatum kam nur die Angabe 1175 in Frage, womit auch die Gesandtschaft in dieses Jahr und nicht auf 1189 oder 1225 datiert werden musste.261 Den Verfasser selbst identifizierte Laurent mit dem gleichnamigen kaiserlichen capellanus und nuntius262 von 1161/1162, ohne diese Annahme näher zu prüfen.263 Die Sonderüberlieferungen machten zudem deutlich, dass es sich nicht um einen Auszug oder Fragment eines längeren Textes handelte, sondern der Bericht in dieser Kürze verfasst worden war.264 Eine weitere Option der Zuordnung eröffnete sich nach der namentlichen Identifikation des von Ende 1174 bis Herbst 1179 tätigen kaiserlichen Notars Burchard.265 Paul Scheffer-Boichorst nahm die Identität des früheren Kaplans und des nun nachweisbaren Notars an, widersprach aber der Gleichsetzung mit dem Viztum.266 Neben der Kölner Herkunft des Kaplans267 schien ihm vor allem eine Doppelfunktion von Notar und Viztum aufgrund der unterschiedlichen Spezialisierung beider Berufe kaum plausibel.268 Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob der Verfasser der Kölner Königschronik mit dem Notar Burchard zu fassen sei.269 Auf Grundlage des negativen Diktatvergleichs und fehlender Hinweise auf eine Kölner Herkunft des Notars kamen Kurt Zeilinger und Rainer Maria Herkenrath zu dem Schluss, dass auch Kaplan und Notar zwei verschiedene Personen seien, ohne allerdings die Frage nach dem Viztum einzubeziehen.270 Alfred Haverkamp identifizierte 261 Laurent, Burchard (1858), 146; Ders., Ueber Burchard (1856), 256; Begründung der anderen Datierungen bei Saint-Genois, Voyages (1851), 15. 262 MGH DD FI, Bd. 2, Nr. 313 und Nr. 341, 134; 178. 263 Laurent, Burchard (1858), 146; ebenso Cardauns, Burchard (1876), 566 und Wattenbach, Geschichtsquellen (51886), 405; anders dann in der sechsten Auflage von 1894, 444. 264 Gestützt wurden die Ergebnisse durch den Vergleich des Burchardtextes mit den ebenfalls von Laurent als solchen erkannten zwei Fassungen der Peregrinatio des Magister Thietmar. Der ursprünglichen Schrift von 1217, der Burchard schon als Vorlage diente, wurden in einer späteren Interpolation ganze Passagen des Burchardberichts wörtlich eingefügt. Laurent konnte nun die Abhängigkeiten aller drei Texte aufzeigen. Wattenbach stieß dann noch auf die Wiener und die Vatikanische Son­der­ überlieferung. 265 Scheffer-Boichorst, Notar (1898), 464; Güterbock, Urkunde (1920), 34. 266 Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 465. Der Gleichsetzung von Kaplan und Notar folgten Güterbock, Lettere (1949), 41  f.; Bresslau, Handbuch (41969), 510 Anm. 1; Egger, Schreiber (1961). 267 Die Bezeichnung Coloniensis findet sich im ersten Brief an Abt Nikolaus von Siegburg, Güterbock, Lettere (1949), 51, sowie in MGH DD FI, Bd.  2, Nr.  341 und Nr.  342, 178  f; Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 461  f. 268 Zudem vermochte Scheffer-Boichorst im Vergleich des Briefes an den Siegburger Abt Nikolaus, der auf den Kaplan zurückgeht, mit dem Reisebericht des Viztums keinerlei stilistische und interessengeleitete Übereinstimmungen feststellen, ebd., 465–467. 269 Möhring, Kreuzzug (1980), 93–98; Wattenbach, Geschichtsquellen (51886), 405 (vgl. die dritte Auflage von 1874, 311.) 270 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 45–47; Riedmann, Studien (1968), 80 Anm. 26 und 27. Die Annahme, dass es sich bei Kaplan, Notar und Viztum um drei getrennte Personen handelt, fand kaum Beachtung in der Frage nach der Identität des Viztums Burchard. Maßgeblich blieb hier die von Schef-

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dann den kaiserlichen Notar und den bischöflichen Viztum als eine Person.271 Entscheidend für seine Argumentation ist die persönliche Vertrauensstellung Burchards bei Hof. Loyalität und Bewährung im kaiserlichen Dienst galten als Voraussetzung für den diplomatischen Auftrag, da der Gesandte stellvertretend für den kaiserlichen Auftraggeber agierte.272 Im Vergleich des Viztums und Gesandten Burchard mit dem von 1174 bis 1179 tätigen kaiserlichen Notar Burchard ergeben sich in der Tat Übereineinstimmungen in puncto Namen, Zeitraum, Aufgabenbereich und Herrschernähe. Nach den Studien Rainer Maria Herkenraths ist ein Notar Burchard von Oktober 1174273 bis September 1179274 anhand des Diktatvergleichs der Kaiserurkunden nachweisbar.275 Dieser begleitete Barbarossa auf dem fünften Italienzug und tritt selbst in sechs Kaiserurkunden als Zeuge auf, versehen mit dem Zusatz notarius oder capellanus.276 Aussagen über seine Person lassen diese Zeugnisse nicht zu. So plötzlich, wie er im Herbst 1174 als Kanzleinotar erscheint, verliert sich seine Spur fünf Jahre später. „Was wir von Burchard wissen, geht nicht über das hinaus, was uns sein Itinerar an Hand der von ihm hergestellten Diplome aussagt.“277 Demnach zog der Notar Burchard über Burgund nach Oberitalien, wo er von Oktober 1174 bis Juni 1178 blieb. Dann folgte er Barbarossa ins Arelat, nach Burgund, ins Elsass und dann ins regnum Teutonicum. Die letzten Diplome aus seiner Hand stammen aus Augsburg.278 Hinweise auf den Zeitpunkt des Eintritts in die Kanzlei und seinen Instruktor, bevor der Notar Burchard zur dominierenden Kraft der Reichskanzlei aufstieg, gibt der Forschungsstand nicht

fer-Boichorst vertretene These, so bei: Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters (2012); Opitz, Burchard (1957); Worstbrock, Burchard (1978); Samson-Himmelstjerna, Pilger (2004), 84; Cannuyer, Description (1984), 13; Scior, Eigenes (2002), 320, Anm. 448; Möhring, Kreuzzug (1980), 134  f.; ­Georgi, Friedrich (1990), 243 erwähnt nur den späteren Notar; Borgolte, Experten (2011), 985 Anm.  158, Ders., Augenlust (2010), 601 Anm. 50; von drei Personen geht aber aus: Engels, Burchard (Kaplan) (2002). 271 Haverkamp, Juden (2002), 467; Görich, Friedrich (2011), 544. 272 Haverkamp, Juden (2002), 467. 273 MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 632, 127  f.; Urkunde vom 25. Oktober, von Herkenrath auf das Jahr 1174 datiert. 274 MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 789, 352  f.; Urkunde vom 16. September 1179 aus Augsburg. 275 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 45; Übersicht über die ausgefertigten Urkunden in MGH DD FI, Bd. 5, 66–68. 276 MGH DD FI, Bd. 3; Nr. 633 vom 19. Dezember 1174, 129 Z. 39 (Burchardus capellanus); Nr. 670 vom 11. Mai 1177, 184 Z. 4 (unter den capelani); Nr. 669 vom 22. März 1177, 181 Z. 9 (Burcardus, qui scripsit privilegium); Nr. 705 vom 3. September 1177, 239 Z. 42 (Rudolfus et Burchardus notarii et capellani); Nr. 715 vom 7. Oktober 1177, 250 Z. 22 (unter den cappellani); Nr. 732 vom 14. Juni 1178, 277 Z. 11 (Burcardus notarius); Nr. 757 vom 20. August 1178, 310 Z. 18 (Burcardus notarius). Auffällig ist die häufige Nennung zusammen mit dem Kaplan Rudolf, dem späteren Protonotar, MGH DD FI, Bd. 5, 25. 277 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 47. 278 Ebd., 47  f.

Der Gesandte 

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her.279 Woher der Kaiser den Notar bezog, kann nicht eruiert werden.280 Auch wo Burchard seine Fähigkeiten als Schreiber erworben hat und unter wessen Aufsicht er arbeitete, ist nicht bekannt.281 Gemäß der „idealen Laufbahn“ eines Kapellans und Notars im kaiserlichen Dienst wurde man erst nach der Bewährung im Kanzleidienst für politische Aufgaben und Gesandtschaften eingesetzt. Gleichzeitig erfolgte „die materielle Versorgung mit Pfründen in Domkapiteln und Kollegiatstiften, meist dort, wo der König selbst ein Kanonikat innehatte.“282 Da die erste Erwähnung des Viztums im Gefolge des Bischofs Rudolf und der erste Nachweis der Kanzleitätigkeit des Notars eng zeitlich zusammenliegen,283 wäre zumindest denkbar, dass Burchard beide Ämter gleichzeitig erlangt hat bzw. mit dem Amt des Vicedominus ausgestattet wurde, um für eine Zeit finanziell abgesichert zu sein. In der Kanzlei bestand für den anstehenden Italienzug dringender Bedarf an Personal. Für die Zeit von Mitte 1173 bis März 1174 wird ein „personeller Engpass“ in der Reichskanzlei angenommen; bis August 1174 verließen der maßgebliche Verfasser der Kaiserurkunden Gottfried B sowie Ulrich B endgültig die Kanzlei.284 Nach Herkenrath erreichte die Reichskanzlei in den Jahren 1175 und 1176 „ihren absoluten Tiefpunkt“, was er mit der politischen Situation begründet.285 Keine der Urkunden von November 1175 bis Juni 1176 stammt aus der Kanzlei. Nicht sicher dem Notar

279 Burchard erscheint im Herbst 1174 nach dem Ausscheiden von Heinrich E als Schreiber des fünften Italienzuges, erst im Spätsommer 1177 taucht mit Gottfried G eine neue Kraft auf, MGH DD FI, Bd. 5, 46  f. Unvermitteltes Auf- und Abtreten ist beim Kanzleipersonal nicht selten, auf Abhängigkeiten kann vornehmlich durch Stilvergleich geschlossen werden, sie sind aber nicht ausdrücklich dokumentiert. Nur in wenigen Fällen überhaupt gelang eine einwandfreie Identifizierung, Koch, Reichskanzlei (1973) 23. Angenommen werden kann für Burchard eine „enge Verbundenheit (…) zu Mainz oder (…) zur Mainzer Kirchenprovinz“, Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 47. 280 Für Straßburg schließt sich der Vergleich mit der Diplomatik der bischöflichen Kanzlei aus. Vgl. Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 26. 281 Gewandte Schreiber beherrschten schon nach ein paar Monaten die Kanzleigewohnheiten, wie das Beispiel Wortwins zeigt, Koch, Reichskanzlei (1973), 64; 71. Allerdings kann angenommen werden, „dass die Zahl der uns namentlich bekannten Notare – zehn während der ganzen Regierung Friedrichs I., fünf unter Heinrich VI. erheblich kleiner ist als die der wirklich vorhanden gewesenen“, Bresslau, Handbuch (41969), 497; 509–511. Da unter Bischof Rudolf kaum Urkunden hergestellt wurden, liegt kein Indiz für eine Ausbildung in der bischöflichen Hofkapelle vor, wenn von einer Identität mit dem Viztum ausgegangen wird, Rösch, Studien (1977), 314. Die Verwendung der Herrscheranrede Romanorum imperator augustus entspricht den Kanzleigewohnheiten unter Ulrich B und dann Burchard, Koch, Reichskanzlei (1973), 55. 282 Hausmann, Gottfried (1992), 608  f. 283 Siehe Anm. 227. 284 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 31; 39; Koch, Reichskanzlei (1973) 23. Koch nimmt an, dass allein der Notar Heinrich E vor dem fünften Italienzug als Schreibpersonal zur Verfügung stand, ebd., 159. 285 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 63.

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Burchard zuzuschreiben ist jedoch eine Urkunde von November 1175,286 so dass eine Unterbrechung der Notarstätigkeit und Legation zu Saladin innerhalb dieses Zeitraums in Betracht gezogen werden kann.287 Kontinuierlich tätig scheint der Notar erst von März 1177 bis September 1179 gewesen zu sein, denn erst jetzt nahm der Umfang seiner Tätigkeit merklich zu.288 Die Bezeichnung Notar in den Zeugenlisten der Kaiserurkunden ist erst März 1177 belegt,289 zuvor erscheint er als Kaplan.290 Dass dem Notar Burchard die Hauptlast der Kanzleitätigkeit oblag, zeigt sich auch darin, dass nach seinem Ausscheiden im Herbst 1179 bis zum 1. April 1180 keine Kanzleiprodukte erhalten sind. Nach Herkenrath waren den anderen Notaren neben Burchard andere, speziellere Aufgaben zugewiesen.291 Der Suggestionskraft der Doppelfunktion von Notar und Viztum kann man sich schwer entziehen. Neben den zeitlichen Übereinstimmungen scheinen die Tätigkeiten von Viztum und Notar vereinbar, wenn angenommen wird, dass der Straßburger Viztum sich auf geschultes Personal stützen konnte, welches seine Aufgaben in Straßburg auch bei einer so langen Abwesenheit von zweieinhalb Jahren übernahm.292 Ehrenämter in dieser Form sind für das 13. Jahrhundert bezeugt.293 Vor dem Hintergrund der dürftigen Quellenlage ist allerdings als Erstes zu fragen, ob ein zwingender Grund für den Zusammenhang des Gesandtschaftsauftrages mit der Notariatsaufgabe besteht, oder ob die Legatentätigkeit nicht schon hinreichend mit der Funktion als bischöflicher Viztum erklärt werden kann.294 Schließlich konnten Amtsträger am weiteren Hof situativ mit besonderen Mandaten und Kompetenzen versehen werden,295 auch über die Dienstmannschaft der Bischöfe besaß der Kaiser Verfügungsrecht.296 Als Ausgangspunkt für die Verortung Burchards als kaiserlicher Gesandter muss

286 MGH DD FI, Bd. 5, 67. D 643 vom 20. November 1175 sei lediglich von ihm beeinflusst, Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 81. 287 Haverkamp, Juden (2002), 467. 288 Vgl. die Auswertung der Urkunden bei Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 69–214. Auch für den Zeitraum von Juni 1176 bis März 1177 sind keine Urkunden von Burchards Hand ausgefertigt worden. 289 MGH DD FI, Bd. 3, Nr. 669, 181. 290 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 45. Vor Antritt der Reise wäre er an maximal sieben Urkunden beteiligt gewesen. 291 Ebd., 27  f. Zu den Aufgaben der Notare siehe MGH DD FI, Bd. 5, 24–26. Für die dringendsten Aufgaben wurden die Kanzler, Protonotare und Erzbischöfe herangezogen. 292 Spannungen und Kompetenzstreitigkeiten zwischen Domkapitel und Bischof, die auf einen durch Abwesenheit zurückzuführenden Missstand hindeuten könnten, sind für die Zeit Rudolfs nicht bezeugt, allerdings für die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die Güter und Aufgabenbereiche waren deutlich geschieden, das Kapitel agierte autonom, auch in Opposition zum Bischof, vgl. Dollinger, Origines (1981), 24. 293 Siehe Anm. 304. 294 Vgl. die ungewisse Gleichsetzung Gottfrieds von Viterbo mit dem Notar Arnold II. C., MGH DD FI, Bd. 5, 32  f.; Hausmann, Gottfried (1992). 295 Vgl. Keupp, Dienst (2002), 348. 296 Ebd., 288  f.

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zunächst die Selbstbezeichnung als Viztum von Straßburg dienen. Vor dem Hintergrund genereller Überlegungen zu Funktion, Beziehungsnetz und Wirkungsraum des Viztums einerseits, der Berücksichtigung der zeitgenössischen sozialen Praxis sowie der spezifischen Situation von 1175 andererseits, können zumindest die Konturen in Hinblick auf die Kriterien Qualifikation, Kaisernähe und Handlungsspielräume Burchards geschärft werden.297 Burchards Eignung und Verfügbarkeit als Gesandter kann durchaus aus seinem bischöflichen Stellvertreteramt begründet werden, gegebenenfalls führte er an Stelle seines Bischofs den Auftrag aus. Nach dem Bischof war der Viztum der wichtigste Amtsträger am bischöflichen Hof, den Hofämtern übergeordnet und Schlüsselfigur in der bischöflichen Verwaltung.298 In der Tradition des antiken oeconomus, eines Funktionsträgers des Bischofs,299 und nicht deutlich geschieden von weiteren Ämtern in Abhängigkeit des Bischofs (archidiakon, advocatus, praepositus) oblag ihm die Aufsicht über das Bistumsvermögen und die Administration der Diözese, d.  h. über die notwendigen weltlichen Geschäfte, die der Bischof aufgrund seiner spiri­tuel­ len Aufgaben nicht wahrnehmen konnte.300 In der Funktion des Vizeamtes konnte er in Abwesenheit des Bischofs oder bei Sedisvakanz als Verweser der bischöflichen Güter auftreten.301 Residenzpflicht bestand wohl nicht, da die Ausführung des Amtes und die Visitationen in den Gütern dies nicht ermöglichte. Der Geschäftsbereich des Viztums bezog sich damit auf eine Vielzahl administrativer, ökonomischer, jurisdik-

297 Eng gesteckte Normvorstellungen von Funktion und Tätigkeitsprofil des Viztums können aufgrund der Überlieferungslücke zu Schlüssen verleiten, welche die konkreten politischen Handlungsspielräume und personellen Beziehungsnetzwerke außer Acht lassen. Nützlich scheint hier der Begriff der sozialen Figurationen bzw. der Interdependenzgeflechte, wie ihn Keupp für die Untersuchung des Zusammenwirkens von Reichsspitze und Dienstleuten anwendet. „In Abgrenzung zum Strukturbegriff akzentuieren Figurationen die dynamisch-flexible Gestalt eines Beziehungsgefüges, das gleichwohl eine erkennbare zeitliche Kontinuität aufweisen muss“, Keupp, Dienst (2002), 12 Anm. 35; Elias, Soziologie (1970), 12. 298 Vicedominus, qui vicem Episcopi agit, Herrad von Landsberg, Hortus. Ed. Green (1979), 386. Zahlreiche Quellenzitate bei Du Cange, Glossarium Bd. 8 (1938), 315–318, der die umfangreichste Zusammenstellung der Aufgaben und Funktionen des Viztums im weltlichen und geistlichen Bereich bietet. Die Bandbreite der Aufgaben und Tätigkeiten lässt sich nicht generell definieren, da sich die Angaben in den Quellen meist auf allgemeine Formulierungen oder auf konkrete Einzelfälle beziehen, vgl. Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 475  f. Anm. 6; Nova subsidia, Bd. X, Nr. 58. Ed. Würdtwein (1788), 168. 299 Festgelegt im Canon 26 des Konzils von Chalkedon, Sacrorum conciliorum collectio, Bd. 6. Ed. Mansi (1761), Sp. 1230. Im weltlichen Bereich entspricht dem Vizedominus weiterhin der Maior domus. 300 Vgl. Charta Ludovici VI. Regis Franciae anno 1125 ex Tabulario Ecclesiae Laudunensis, zitiert in Du Cange, Glossarium Bd. 8 (1938), 316; Kremsmair, Vizdom (2001); Kreiker, Vizedominus (2002). Das Bistum Straßburg als größte Grundherrschaft im Unterelsass war in acht Distrikte eingeteilt, deren Verwalter dem Viztum unterstanden, Dollinger, Apogée (1991), 95. 301 Du Cange, Glossarium Bd.  8 (1938), 318. Neben der Bistumsverwaltung übernahm der Viztum auch militärische Aufgaben als Anführer des bischöflichen Heeres, ebd.; Kreiker, Vizedominus (2002), Sp. 1621.

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tioneller, politischer und diplomatischer Aufgaben,302 einzelne Kompetenzbereiche konnten aber den Hofämtern, den officia specialia, übertragen werden. Für das Straßburger Hochstift sind die Hofämter seit Mitte des 12.  Jahrhunderts nachweisbar,303 gleichzeitig erfolgte der Ausbau des Bischofshofes zur Residenz (1147). Der Vizedominus gehörte neben den Trägern der Hofämter auch zum Gefolge des Bischofs bei Hofe, war der Viztum doch in gut ausgebauten Residenzen vor allem ein prestigeträchtiges Amt.304 Seine Kompetenzen in den Bereichen Wirtschaft und Recht gingen im Idealfall mit Pragmatismus, Handlungssicherheit, souveränem Auftreten, schneller und sicherer Auffassungsgabe einher. Diverse Berührungspunkte mit dem Hof und dem Kaiser ergaben sich aus Burchards Position und Aktionsraum im Gefolge des kaisertreuen Bischofs Rudolf sowie als Angehöriger des kaisernahen St. Thomasstifts. Bischof Rudolf305 von Straßburg gehörte zum Kreis der kaiserlichen capellani,306 war dann als Bischof in Reichsbelangen engagiert und häufig am Hof und auf dem vierten und fünften Italienzug nachweisbar.307 Seiner unbedingten Loyalität und Kooperation hat er wohl auch

302 Die Urkundentätigkeit oblag den Hofgeistlichen und Angehörigen der bischöflichen Kanzlei, deren Aufgabenbereich sich aber mit dem des Vitzums deckte, Rösener, Hofämter (1989), 541; Ders., Hofkultur (2010). 303 Vgl. Rösener, Hofämter (1989), 512; 542. Aufgeführt werden die Hofämter Viztum, Marschall, Truchsess, Schenk und Kämmerer im Straßburger Stadtrecht § 111 Nr. 616, Urkundenbuch der Stadt Straßburg. Ed. Wiegand (1879), 475. Anfang des 12. Jahrhunderts wurden vier, dann sieben Archidiakone mit Verwaltungsaufgaben im Bistum betraut, Dollinger, Apogée (1991), 99  f. Hinweise auf bischöfliche Ministeriale finden sich schon Ende des 11. Jahrhunderts, vgl. Dollinger, Origines (1981), 25. An Ansehen kam die bischöfliche Ministerialität Straßburgs der Reichsministerialität nahezu gleich, Dollinger, Apogée (1991), 98. 304 Vgl. Rösener, Hofämter (1989), 540; 550. In Bezug auf Trier betont Rösener, dass die Verwaltung der Ämter im 12. Jahrhundert in der Regel von den Ministerialen persönlich geleistet wurde. „Erst mit der Erblichkeit der Hofämter im frühen 13. Jahrhundert und mit der Veränderung des Dienstcharakters durch das Lehnrecht werden die Trierer Hofämter zu Ehrenämtern, die von den Inhabern nur mehr bei festlichen Anlässen am erzbischöflichen Hof ausgeübt werden“, ebd., 537. 305 Über Rudolf ist wenig bekannt. Er stammte vermutlich aus dem Hause der Herren von Lichtenberg, einem unterelsässischen Geschlecht, das in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stark im Bistum vertreten war, Schwarzmaier/Taddey, Handbuch Bd. 5 (2007), Stammtafel 436; Battenberg, Hanau-Lichtenberg (1995), 417–422. Eine Verbindung besteht auch zu Bernhard von Rotenwill und zum Kloster Baumgarten, siehe Regesten. Ed. Wentzcke (1908), 342–347; Eyer, Territorium (1938); Weber, Lichtenberg (1993). 306 Riedmann, Studien (1968). 307 Rudolf erscheint in zahlreichen Kaiserurkunden: MGH DD FI, Bd. 2: Nr. 394, 268 Z. 19 als Kaplan; Nr. 400, 278 Z. 4; Nr. 479, 382, Z. 37; Nr. 472, 385 Z. 5; Nr. 531, 475 Z. 22; Nr. 532, 477 Z. 1; Nr. 536, 483 Z. 25; Bd. 3: Nr. 606, 93 Z. 26; Nr. 631, 127 Z. 15; Nr. 658, 164 Z. 29; Nr. 685, 200 Z. 35; Nr. 687, 205 Z. 1, dazu auch Plassmann, Struktur (1998), 132. Ein Indiz für häufige Abwesenheit oder wenig Interesse an regionalen Geschäften im Gegensatz zur Reichspolitik könnte darin gesehen werden, dass zu Zeiten Rudolfs keine Urkundentätigkeit in Straßburg nachweisbar ist, währen sich die Urkundentätigkeit seines Vorgängers stark an den Gepflogenheiten der Reichskanzlei orientiert hatte.

Der Gesandte 

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seine Beförderung auf den Straßburger Bischofsstuhl 1163 zu verdanken.308 Während des Schismas verpflichtete er sich bedingungslos der Obödienz Paschalis‘  III., von dem er 1167 seine Weihe erhielt.309 Aufgrund dieser Ordination verlor er nach Beendigung des Schismas Bischofsstuhl und Weihegrad und zählte neben Ludwig von Basel zu den prominenten Opfern des Friedenskompromisses zwischen Barbarossa und Alexander III.310 Das Interesse des Kaisers an der Anbindung des Straßburger Bischofs erklärt sich reichspolitisch aus der zentralen Lage des Bistums zwischen Burgund und Basel.311 Schon Bischof Burchard (1141–1162) war treuer Anhänger Friedrichs I. und Teilnehmer auf dem zweiten Italienzug gewesen. Für die staufischen Territorialinteressen und verstärkten Interventionen im Elsass stellten der Bischof und das adlig dominierte Domkapitel ein wichtiges Bindeglied zwischen herrschaftlichem und ordensspezifischem Beziehungsnetz dar.312 Als „regionaler Potentat“313 im Elsass stand 308 Eine besondere Vertrauensstellung Rudolfs zum Kaiser wird in der Urkunde Nr. 394 deutlich, die auf Bitten Rudolfs ausgestellt wurde, siehe Anm. 307. 309 Regesten. Ed. Wentzcke (1908), 343 zum Jahr 1167; MGH DF I. Bd. 2: Nr. 480, 396. Z. 36; 397, Z. 26. 310 Schon 1170 waren die Friedensverhandlungen von Veroli zwischen Barbarossa und Alexander III. an dem Problem der schismatischen Weihen gescheitert, Laudage, Alexander (1997), 189–191. Im Vorvertrag von Anagni ordnete Alexander eine kanonische Untersuchung an, die auf dem Laterankonzil von 1179 zum Verlust seines Amtes und Weihegrades führte, MGH DF I. Bd. 3, Nr. 658, § 21, 164, Z. 29–34. Den von ihm gespendeten Ordinationen wurde jede Wirksamkeit abgesprochen, Annales Argentinenses. Ed. Jaffé (1861), 89, Z. 6–9; Annales Marbacenses. Ed. Bloch (1907), 51, Z. 20–25; Laudage, Alexander (1997), 209; 236. 311 Zum Elsass in der Stauferzeit siehe Dollinger, Apogée (1991); Ders., Alsace (1976). 312 Vgl. Huth, Reichshistoriographie (2004), 92–95; zu Schenkungen Barbarossas an das Straßburger Münster 1180, ebd., 75. Zur Frage der Herkunft der Straßburger Bischöfe und der Mitglieder des Domkapitels siehe auch Dollinger, Origines (1981), 23  f.: „Les évêques eux-mêmes d’ailleurs étaient choisis traditionellement par le souverain dans les familles ducales et comtales de l’Empire. (…) … dès la fin du XIIe siècle, semble-t-il, les chanoines étaient presque tous issus de familles comtales, ce qui excluait meme la noblesse alsacienne.“ 313 Plassmann, Struktur (1998), 130. Das Elsaß bildete mit den Besitzungen in Schlettstadt, Lorch, dem Heiligen Forst und der Hohkönigsburg einen territorialen Schwerpunkt der Staufer. Schon Konrad wollte sich in Straßburg zum Kaiser krönen lassen. Hinweise auf Besitz- und Interessenschwerpunkte liefern aus der Ahnenreihe Barbarossas Otto, Bischof von Straßburg und Hildegard, die in Verbindung mit Schlettstadt erwähnt wird, Ziemann, Staufer (2005), 99–133; Schwarzmaier, Pater (2001), 254; Görich, Friedrich (2011), 83; Dollinger, Alsace (1976), 92  f. Das von Odo von Deuil erwähnte castrum Estufin, wo Konrad III. und sein Bruder Herzog Friedrich jeweils einen Turm besessen haben sollen, stützen die Annahme dieses Besitzschwerpunktes, Odo von Deuil, Libro. Ed. Waitz (1882), 70, für das Jahr 1147; Büttner, Lothringen (21991), 252; Seiler, Territorialpolitik (1995), 85. Im Gegensatz zu Hlawitschka vertritt Ziemann die These, dass nicht die Erhebung Friedrichs zum Herzog und seines Bruders Otto zum Bischof von Straßburg Ausgangspunkt von Besitzerwerbungen im Elsass waren, sondern deren Position in diesem Raum erst Heinrich IV. dazu veranlasste, ihnen diese Stellungen zu verleihen. „Damit ergäbe sich das überraschende Bild einer umgekehrten Wirkrichtung der Staufer, nämlich vom Elsass ausgehend in Richtung Ostschwaben. Bischof Otto von Straßburg weist als politischer Erbe der Generation Friedrichs von Büren durch die Gründung und Übertragung des St.

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 Die Gesandtschaft und ihr Gesandter

Barbarossa in enger Verbindung zu den ansässigen Familien, die ein ebenso starkes Territorialinteresse hatten, größter Grundherr aber war der Straßburger Bischof.314 Im nördlichen Elsass wurde Hagenau zum Verwaltungszentrum und eine der bevorzugten Residenzen.315 Häufige Besuche des Kaisers in den Landschaften staufischer Hausmacht boten Gelegenheit für regelmäßigen Kontakt; Kaisernähe war hier nicht notwendig mit intensiver Reisetätigkeit verbunden.316 Die Aussendung Burchards als kaiserlicher Gesandter hätte auf Anraten Rudolfs stattfinden können.317 Doppelfunktionen im bischöflichen und kaiserlichen Dienst waren keine Seltenheit und wurden vom Kaiser gefördert.318 Sie waren vor allem Resultat eines engen Beziehungsgefüges, das hier durch die spezielle Leistungsbereitschaft des Straßburger Bischofs im Reichsdienst und der ausgewiesenen personellen Verbindung des Kaisers zum Straßburger Bistum angenommen werden kann. Wenn der Viztum auch nur einmal in der Zeugenliste einer Kaiserurkunde vor seiner Orientreise auftaucht, kann daraus nicht auf seine Hofpräsenz geschlossen werden. Unter den gezielt geförderten Orten und Klöstern der Umgebung ist besonders die staufische Kontrolle über das St. Thomasstift in Straßburg von Interesse, dem der Straßburger Bischof Rudolf (1162–1179) zumindest vor seiner Erhebung zum Bischof als Propst319 vorstand und dessen Gemeinschaft Burchard angehörte. Das Stift stand

Fides-Klosters zu Schlettstadt und die Auseinandersetzungen mit Graf Hugo von Egisheim einen politischen Schwerpunkt im Elsass auf, während Herzog Friedrich I. durch die Gründung des Stauf und die Dotierung des Klosters Lorch einen weiter östlich gelegenen Schwerpunkt setzte“, Ziemann, Staufer (2005), 132. Zur Problematik des bei Otto von Freising erwähnten Burgenbaus im linksrheinischen Gebiet, Otto von Freising, Gesta, I, 12. Ed. Schmale (1986), 152  f., siehe Schwarzmaier, Heimat (1977), 29–33; Biller/Metz, Anfänge (1992), 262. 314 „Si l’on ajoute que l’autorité épiscopale, par son droit de justice et de ban, s’étendait encore à d’autres territoires, et notamment à la ville de Strasbourg, jusqu’au milieu du XIIIe siècle, il apparaît qu’aucun dynaste laïque n’était comparable aux évêques par la richesse et la puissance“, Dollinger, Apogée (1991), 95. 315 Hagenau wurde unter Heinrich V. gegründet und unter Herzog Friedrich ausgebaut. Barbarossa förderte insbesondere den Ausbau Hagenaus zu einer der bedeutendsten Kaiserpfalzen, unweit der Grablege seines Vaters in St. Walburg, MGH DF I. Bd. 2, 447 vom 15. Juni 1164; Seiler, Territorialpolitik (1995), 19. Walburg wurde 1159 zur Reichsabtei erhoben, ebd., 207. Vielleicht wurde auch Judith dort begraben, Schwarzmaier, Pater (2001), 275; Metz, Hagenau (1998). 316 Plassmann, Struktur (1998), 130 Anm. 1. In seiner Stellung als Viztum ist Burchard selten außerhalb des Elsass bezeugt, wie es seiner Stellung als Vertreter des Bischofs entspricht. 317 Über das Verhältnis Bischof Rudolfs zu seinen Ministerialen ist nichts bekannt, ebensowenig zu eventuellen Spannungen zu dem vorher recht autonom agierenden Domkapitel. Die Gefangennahme seines Nachfolgers Konrad von Hunebourg durch die Ministerialen 1193 zeugt von Kompetenzstreitigkeiten und Aufbegehren gegen den Bischof durch die eigene Dienstmannschaft, Notiz in den Marbacher Annalen zu 1192, Annales Marbacenses. Ed. Bloch (1907), 62. 318 Auch die reichskirchliche Ministerialität gehörte zu den vom König verliehenen Regalien, Keupp, Dienst (2002), 286. 319 Nach Reg. Nr. 547, Regesten. Ed. Wentzcke (1908), 342, ist Rudolf mit einem schon 1155 genannten Stiftsherrn und Kanoniker von St. Thomas identisch, der zunächst Kustos war, dann das Propstamt

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in einer „eigentümlich engen Verbindung“ zum staufischen Hof, dessen Kanoniker als Hofkapläne, Mitglieder der Hofkanzlei und Legaten nachzuweisen sind.320 Seit 1144 hielten die Staufer die Vogtei über St. Thomas inne,321 1156 und 1163 stellte Barbarossa dem Kollegiatstift Urkunden aus. Als „Rekrutierungszentrum des geistlichen Hofdienstes zur Stauferzeit“322 bestanden enge Wechselwirkungen zwischen kaiserlichen Funktionsträgen und dem Stift, die vom Kaiser selbst, als Vogt von St. Thomas, gefördert wurden. Der Wirkungshorizont des Stiftes reichte weit über den landschaftlichen Bezugsrahmen hinaus und kann mit territorialen und herrschaftlichen Interessen der Staufer erklärt werden.323 Auch konnten im Dienst bewährte Funktionsträger mit Pfründen in St. Thomas ausgestattet werden, wie es generell für das Elsass bewährte Praxis war.324 Die mutmaßliche Vertrauensstellung Burchards beim Kaiser muss nicht zwingend ihren Ausgang durch eine Verbindung zu St. Thomas genommen haben, auch der entgegengesetzte Fall ist somit denkbar: Für kaiserliche Dienste könnte der Burchard zum Viztum befördert, und in diesem Zusammenhang erst Mitglied des Stiftes geworden sein. Angesichts der Praxis, elsässische Kräfte für den Hofdienst einzuspannen sowie der nachgewiesenen Kaisernähe und häufigen Abwesenheit Bischof Rudolfs ist der Eintritt Burchards in den kaiserlichen Dienst in der Funktion des Viztums plausibel. Die flexible Praxis in der Vergabe von Mandaten gestattet gleichwohl kein eindeutiges Urteil in der Frage nach der Identifizierung des Gesandten: Genauso gut könnte der Viztum in der personellen Notlage der Reichskanzlei während des fünften Italienzuges auch als Notar eingespannt worden sein. Profil, Beziehungsnetzwerk und politisches Kräftefeld legen eine Verwendung Burchards in der Hofkanzlei nahe.325 Zwar spricht gegen die Identität von Viztum und Notar kein stichhaltiges Argument, die Gleichsetzung ist dennoch fraglich. Nimmt man die Doppelfunktion von Viztum und Notar für Burchard an, dann stellt sich die Frage, weshalb er sich in seinem Bericht lediglich als Viztum und nicht als notarius präsentierte. Funktion der Präsentation im Prolog ist es, an schon bestehende Verbindungen mit dem Empfänger anzuknüpfen und sicherzustellen, dass man ihn in seiner Stellung situiert und erkennt.326 Im Unterschied zu anonym überlieferten Texten stehen Autor und Text hier in einem besetzte (1163). Er wurde wohl in der ersten Hälfte 1163 zum Bischof gewählt, aber erst 1167 durch Paschalis III. in Italien geweiht (Reg. Nr. 581). 320 Huth, Reichshistoriographie (2004), 83. So Rudolf (Urkunde von 1163 capellanus et prepositus), dann Friedrich von St. Thomas, Plassmann, Struktur (1998), 134 Anm. 16. 321 Schmidt, Histoire (1860). 322 Huth, Reichshistoriographie (2004), 91. 323 Vgl. ebd., 92–95. 324 Ebd., 111, Anm. 370. Auch die Erhebung Rudolfs zum Bischof kann als Gunsterweis für geleistet Dienst und erwartete Treue gedeutet werden. 325 Keupp, Dienst (2002), 342. 326 Zur Nennung der Autorschaft siehe Münkler, Erfahrung (2000), 241  f.; Wachinger, Autorschaft (1991), 5; 11; Brinkmann, Prolog (1964), 1.

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untrennbaren Zusammenhang, was in der zentralen Position der autorbezogenen Informationen gleich in den ersten Zeilen des Textes deutlich wird.327 Nur er konnte kraft seines Namens oder Amtes die Zuverlässigkeit des Berichteten verbürgen, sofern Vergleichsquellen nicht zur Verfügung standen.328 So diente die knappe Selbstvorstellung des Autors dazu, die Glaubwürdigkeit des Berichtes aufgrund der Glaubwürdigkeit des Verfassers zu garantieren. Dieser konnte im vorliegenden Fall offenkundig damit rechnen, dass sein Autorprofil als Viztum und Gesandter den Lesern bekannt oder zumindest glaubhaft war. Auch gesetzt den Fall, dass er sich an ein anderes Publikum außerhalb des Hofes wandte, hätte er hier wie dort durch Nennung seiner Funktion in der Kanzlei um die Sympathien des Empfängers werben können. Als entscheidende Kriterien für die Annahme einer Gleichsetzung von Notar und Viztum sind neben den zeitlichen und personellen Konstellationen soweit möglich die stilistischen und sprachlichen Merkmale der einzigen verfügbaren Quellen zu berücksichtigen. Aus den stilistischen Merkmalen des Textes lässt sich der Notar als Autor des Orientberichtes indes kaum annehmen. Festgestellt wurde in den Urkunden Burchards „Freude an Variationen“329, die im Reisebericht nicht auszumachen ist. Anhand von Parallelen zu den in den Urkundentexten festgestellten stilistischen Merkmalen ist der Notar als Gesandter nicht erkennbar, was hier kein Argument gegen die Identität darstellt, da es sich um unterschiedliche Gattungen handelt, die sich an einen unterschiedlichen Empfängerkreis richten.330 Ein besonderer Stil und spezifische Diktatgewohnheiten prägten sich bei dem Notar Burchard zudem erst ab 1177 während der kontinuierlichen Tätigkeit in der Kanzlei aus. Fraglich erscheint insbesondere die Entsendung des wichtigsten Notars vor dem Hintergrund des personellen Engpasses in einer höchst kritischen politischen Situation.331 Der Beginn der Reise Burchards fällt in die Periode im Sommer 1175, als in der gespannten Situation nach der Belagerung Alessandrias und dem Vertrag von Montebello (17.  April 1175) ein Entscheidungskrieg bevorstand.332 Die Verhandlun327 Das Exordium gehört nicht eigentlich zum Text, in seiner Funktion als erste Leserinformation bestimmt es aber den Geltungsanspruch und die Rezeption des Textes. Im ersten Satz empfiehlt sich der Verfasser selbst dem Empfänger und stellt eine Beziehung zu ihm her, erst im zweiten Satz führt er dann in den eigentlichen Text ein. In Bezug auf die handschriftliche Überlieferung des Mittelalters sind Prolog und eigentliche Darstellung nicht immer scharf abgrenzbar. Der Prolog ist aber Bestandteil aller mittelalterlichen Gattungen und beinhaltet unterschiedliche Formen der Eröffnung, Brinkmann, Prolog (1964), 4; 7; Münkler, Erfahrung (2000), 241  f.; Wachinger, Autorschaft (1991); siehe auch Kapitel II.3. 328 Münkler, Erfahrung (2000), 241. 329 Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 53. 330 Dazu Kapitel II.3. 331 Heinemeyer, Friede (1954/55), 136. Herkenrath geht davon aus, dass von den kaiserlichen Notaren einzig Burchard „ein Angehöriger der Kanzlei im modernen Sprachgebrauch war“, d.  h. dass er mit dem Beurkundungsgeschäft und der Korrespondenz betraut war. Zumal „die Schriftlichkeit ge­ rade während der Italienaufenthalte zunahm“, Herkenrath, Reichskanzlei (1977), 53. 332 Laudage, Alexander (1997), 200; Heinemeyer, Friede (1954/55), 132  f.

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gen mit dem Lombardenbund, in die seit Montebello auch Alexander III. einbezogen worden war, waren im Spätsommer gescheitert. Als kaiserliche Unterhändler fungierten hier die fähigsten und wichtigsten Männer.333 Spätestens im Oktober 1175 kam es zu erneuten Kampfhandlungen.334 In der angespannten Situation und angesichts des konstatierten Personalmangels in der kaiserlichen Kanzlei stellt sich die Frage, ob Barbarossa just in der Zeit der erneuten Kampfhandlungen und den Auseinandersetzungen mit dem Lombardenbund, bei denen es um komplizierte rechtliche Sachverhalte ging, seinen augenscheinlich einzig verfügbaren Urkundenschreiber für eine Orientfahrt entließ. Aus der dramatischen Situation der Jahre 1175/1176 könnte sich genauso gut schließen lassen, dass der Kaiser für die Gesandtschaft auf weniger eingebundenes Personal zurückgriff, da alle anderen Kräfte vor Ort benötigt wurden. Möglich wäre, dass der Viztum tatsächlich in Vertretung seines Bischofs, wie es seiner Aufgabe entsprach, die Reise antrat bzw. der Bischof dem Kaiser seinen Beamten zur Verfügung stellte.335 Dies könnte auch die Selbstbezeichnung als Straßburger Viztum erklären. Rudolf selbst ist im Herbst 1174, 1176 und dann 1177 in Kaiserurkunden ebenfalls als Begleiter Barbarossas auf dem fünften Italienzug bezeugt,336 konnte aber in der prekären Lage das Reichsgebiet nicht verlassen. Spätestens seit den Verhandlungen von Veroli 1170 war klar, dass das Problem der schismatischen Ordinationen einer Friedensregelung mit Alexander III. im Wege stand und im Falle eines Einvernehmens zwischen Kaiser und Papst Rudolf seinen Bischofsstuhl verlieren würde, verbunden mit erheblichen Konsequenzen für Sach- und Personalfragen seines Bistums.337 Die Frage der schismatischen Ordinationen stellte in den Verhandlungen mit Alexander III. im Sommer 1175 einen Hauptstreitpunkt dar und verhinderte ein Einvernehmen.338 Nach der Schlacht bei Legnano wurde im Vorvertrag von Anagni und dann in Venedig genau dies durchgesetzt.339 Die Absetzung Rudolfs erfolgte nach einer kano-

333 Görich, Friedrich (2011), 376. 334 Laudage, Alexander (1997), 201; dazu Kapitel V.3. 335 Gleiches gilt dann für Propst Friedrich, der Barbarossa auf dem sechsten Italienzug begleitete. 336 Laudage, Alexander (1997), 192; Chronica Regia. Ed. Waitz (1880), 121. 337 Laudage, Alexander (1997), 189–191. Schon auf der Synode von Tours 1163 hatte Alexander III. alle schismatischen Weihen verurteilt, ebd., 208–210; Concilium Turonense, Sacrorum conciliorum collectio, Bd. 14. Ed. Mansi (1769) c. 9, Sp. 1179 D. 338 Laudage, Alexander (1997), 199. „Da der Lombardenbund bereits in seiner peticio bekundet hatte, er werde einem Frieden mit dem Kaiser erst dann endgültig zustimmen, wenn auch ein Abkommen mit Alexander III. vorliege, war die Annahme des Schiedsspruchs von vornherein an ganz bestimmte Voraussetzungen geknüpft“, Görich, Friedrich (2011), 428. 339 Konsequenz des Pactum Anagninum war die Auflösung der schismatischen Hierarchien, verbunden mit Sach- und Personalfragen in den betroffenen Bistümern (Art.  21), Pactum Anagninum. Ed. Weiland (1893), 349; Laudage, Alexander (1997), 210. Der endgültige Text des Pactum Venetum wurde am 22. Juli 1177 in Chioggia festgelegt, ebd., 213–220.; dagegen Dollinger, Apogée (1991), 92, der von eine Rehabilitation Rudolfs in Venedig schreibt.

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nischen Untersuchung auf dem Laterankonzil von März/April 1179.340 Kurz darauf verliert sich aber auch die Spur des Notars Burchard. Das Hauptargument gegen die Identität von Viztum und Notar bleibt neben dem fehlendenden Schriftbefund der äußerst ungünstige Zeitpunkt, die einzig zur Verfügung stehende Fachkraft auf eine Auslandsreise in unbekanntes Gebiet zu entlassen. Da bei diplomatischen Missionen die Wichtigkeit des Auftrages mit dem Rang des Gesandten korrespondierte, ist die Annahme einer Doppelfunktion nur überzeugend, wenn es sich um einen außerordentlich wichtigen Auftrag handelte, der den Verzicht dieser Fachkraft rechtfertigte, was sich jedoch nicht genau feststellen lässt. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob Burchard auf der Gesandtschaft zu Saladin tatsächlich in leitender Funktion oder nur im Gefolge für einen höherrangigen Gesandten agierte. Wie viele Personen tatsächlich hinter Kaplan, Notar und Viztum stehen, ist nicht zu ergründen. In Erwägung zu ziehen ist allenfalls eine Identität des Viztums und Gesandten mit dem 1161/1162 nachweisbaren kaiserlichen Kapellan. Dieser stammte vermutlich aus Köln, war Weltgeistlicher und hatte seine Bildung im Kloster Siegburg bei Abt Nikolaus erworben, den er in seinem ersten Brief als Vater anspricht: Domino et patri suo Nykolao venerabili abbati Sigebergensi Burchardus Coloniensis primogenitus et primitivus filius salutem et quicquid est mirabile in oculis nostris. Quoniam devotionem desiderantissimi patris latere non debent labores filii exulantis, quecunque in legatione domini imperatoris mihi a festo beati Michaelis usque ad nativitatem Domini acciderunt, vobis breviter figurare dignum duxi.341

Vermutlich wurde er von Rainald von Dassel in die kaiserliche Kanzlei eingeführt.342 Zur Zeit seiner Tätigkeit als Kaplan besaß er Pfründe in Eberfeld und Bonn, Näheres ist nicht bekannt.343 1161 reiste Burchard im Auftrag des Kaisers nach Aquileia, Kärnten, Istrien Ungarn und Salzburg, um Reichsangelegenheiten zu regeln und die anstehende Heerfahrt nach Italien bekanntzugeben.344 1162 berichtete er als Augenzeuge von der Unterwerfung der Mailänder.345 In der Forschung gelten die vom Kapellan verfassten Briefe als „wertvollste Aktenstücke der Zeit“346, zudem bezeugen sie die guten Kenntnisse wie auch die Gewandtheit des Kapellans auf diplomatischem

340 U. a in Annales Marbacenses. Ed. Bloch (1907), 51  f.; Continuatio Claustroneoburgensis Tertia. Ed. Pertz (1851), 632. 341 Güterbock, Lettere (1949), 51; ähnlich der Beginn des zweiten Briefes, ebd., 59; zum Kapellan siehe Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 461  f.; Engels, Burchard (2002); Koch, Schrift (1979), 249–253. 342 Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 462. 343 Ebd.; Güterbock, Lettere (1949), 58; biographische Annahmen ebd., 36–40. 344 Görich, Friedrich (2011), 174. 345 Ebd., 340–342; 343  f.; Güterbock, Lettere (1949), 61–63. 346 Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 456; Riedmann, Studien (1968), 80.

Der Gesandte 

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Parkett.347 Friedrich I. betont die Eignung des Kaplans in einem Brief an Erzbischof Eberhard von Salzburg 1160, indem er ihn als bewährten Gesandten bezeichnet.348 Die Briefe des Kapellans zeichnen sich durch eine mit dem Orientbericht vergleichbare Stringenz der Darstellung aus, das Augenmerk des Verfassers liegt auch hier auf einer realitätsgetreuen, sachlichen Wiedergabe des Geschehens. Die von Scheffer-Boichorst aufgeführten Unvereinbarkeiten beider Schilderungen: 1. Die in den Briefen enthaltenen historischen Angaben und Referenzen, welche im Orientbericht kaum enthalten sind;349 2. Die Mannigfaltigkeit der Wortwahl beim Kapellan,350 sind als Ausschlusskriterien einer Identität von Kapellan und Viztum kaum mehr nachvollziehbar und als Argumente durch die Gattungsvorgaben und den jeweiligen Berichtsauftrag zu entkräften. Die dichten, bündigen und auf das Wesentliche reduzierten Schilderungen weisen viel eher auf eine Verwandtschaft der Texte hin, was über das ähnliche Auftragsprofil hinaus auf eine gleichartige genaue Beobachtungsgabe der bzw. des Augenzeugen schließen lässt. Vorstellbar wäre bei einer Identität von Kaplan und Viztum, dass der Kaplan Burchard für seine Dienste mit dem Amt des Vizedominus belohnt wurde. Die von Scheffer-Boichorst konstatierte Monotonie beim Verfasser des Orientberichts351 könnte dann zusätzlich mit der Tätigkeit als Verwalter und den Gattungskonventionen des Verwaltungsschriftgutes erklärt werden.352 Die beiden Briefe an Abt Nikolaus wie auch der Orientbericht stehen in erkennbaren Zusammenhang mit dem Erzkanzler von Italien.353 Die Legation zu Saladin steht in Verbindung mit Rainalds Nachfolger Christian von Buch, welcher zudem gemeinsam mit Rudolf von Straßburg 1167 die Priesterweihe erhielt.354 Christian (*1130), Rudolf und Burchard gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach der gleichen Generation an und waren Mitglieder der Hofkapelle. Der Gesandte Burchard wäre dann bei Reiseantritt nach Ägypten zwischen 40 und 50 Jahre alt gewesen und dürfte über genügend Erfahrung und Weitblick für eine diplomatische Mission verfügt haben.355 Aufgrund des Alters ist eine Identität von Kaplan und Viztum/Gesandtem mit dem Notar hin-

347 Das zeigt sich u.  a. in der Schilderung von Hintergründen und Einzelheiten im Vorfeld des Konzils von Rom, Güterbock, Lettere (1949), 55–58. 348 …capellani et nuncii nostri Burem Coloniensis, fideli et firma promissione certificare non differas, MGH LL 2, 130; Scheffer-Boichorst, Notar (1889), 463. 349 Ebd., 466. 350 Ebd., 467. 351 „Um zur Darstellung zu kommen, so ist der Notar [der Kapellan, C. T.] lebhaft, er schildert anschaulich, er weiss Ausdrücke mannichfach zu wählen; umgekehrt der Viztum: wie schätzenswert auch seine Mitteilungen sind, sie gehen nur mühsam über die Lippen und ihr Klang hat etwas klappernde Monotones“, ebd., 467. 352 Siehe Kapitel II.3.2, 63. 353 Riedmann, Studien (1968), 80; Güterbock, Lettere (1949), 2. 354 Siehe Kapitel V.3. 355 Der spätere Gesandte Heinrich II. von Diez war 45 Jahre alt, als er mit der Gesandtschaft beauftragt wurde, siehe Kapitel V.3

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 Die Gesandtschaft und ihr Gesandter

gegen eher auszuschließen.356 Der Umstand, dass die Legation nach Ägypten in der Kölner Königschronik nicht erwähnt wird, ist unabhängig von der Identität Burchards mit dem Tod Abt Nikolaus‘ 1174 zu erklären.

356 So aber Tolan, Burchard (2011), 679, ohne nähere Begründung.

VI Rezeption und Textgeschichte Die Annahme, dass es sich bei Burchards Orientbericht um einen Gesandtschafts­ bericht handelt, impliziert auf der anvisierten Empfängerseite einen exklusiven Rezipientenkreis, ein fest definiertes Verhältnis von Autor und Leser sowie eine vorbestimmte Kommunikationssituation. Der Bericht darf in einem festgelegten Rahmen als „Bedürfnissynthese“ verstanden werden, d.  h. als „Organisationsform literarischer Kommunikation“, „in der bestimmte historische Problemstellungen bzw. Problemlösungen artikuliert und aufbewahrt sind“.1 Gleichwohl bleiben alle Fragen, die mit der unmittelbaren Empfängerseite und der Wirkung2 dieses Berichtes in Verbindung stehen, auf Vermutungen angewiesen. Für wen er tatsächlich bestimmt war, wer ihn zuerst in die Hände bekam, las und weitergab, bleibt ungewiss. Auch kann kaum auf die Reaktionen seitens der Rezipienten und die ‚Bedeutung‘3 des Textes für diese und nachfolgende Leser geschlossen werden. Da nur wenige Gesandtschaftsberichte aus dieser Zeit überliefert sind, die sich in ihrem Darstellungsinteresse und ihrer Intentionalität zudem deutlich von Burchards Bericht unterscheiden,4 fehlen generell Anhaltspunkte, ob, wann und innerhalb welcher Kreise solche Berichte zirkulierten. Die Lesart als Gesandtschaftsbericht stellt auch nur eine unter mehreren Möglichkeiten im Bedeutungsspektrum des Textes dar, welche sich synchron und diachron entfaltet haben. Zwar sollte der Prolog als Verständnis- und Lesehilfe des Berichtes fungieren, doch lag die Sinnkonstruktion nicht (zumindest nicht einseitig) in der Verfügungsgewalt des Autors. Als Spezialfälle „eines generellen Rezeptionsphänomens“5 stehen die erhaltenen acht Textzeugen des Burchardberichtes am Ende der vorausliegenden Überlieferungs- und Textgeschichte. Ein direktes Abhängigkeitsverhältnis voneinander besteht nicht. Auf Basis der Überlieferungslage ist so mit Einschränkungen immerhin festzustellen, wer den Text zuletzt las und wie er ihn verstand bzw. verstanden wissen wollte. Konkrete Antworten auf überlieferungsgeschichtliche Fragen, welche Erhalt und Weitergabe des Textes betreffen,6 gibt das erhaltene Material nicht.

1 Voßkamp, Institutionen (1977), 32; siehe dazu Kapitel II.2. 2 „Wirkung benennt das vom Text bedingte, Rezeption das vom Adressaten bedingte Element der Konkretisation und Traditionsbildung. Die Wirkung eines Kunstwerkes setzt den Anstoß des Textes, aber auch die Disposition des Adressaten voraus“, Jauß, Racine (1973), 33; Ders., Rezeption (1992), Sp. 999. 3 Zum Begriff und seinen ‚Bedeutungen‘ siehe Jannidis/Lauer, Bedeutungsbegriff (2003). 4 Vgl. die ausführliche Schilderung Romualds von Salerno, Unterhändler im Vertrag von Benevent (1156) und im Frieden von Venedig (1177), über die Zusammenkünfte der Gesandten, des Papstes und des Kaisers sowie seine Behandlung durch Barbarossa 1177, Romuald von Salerno, Chronicon. Ed. Arndt (1866), 443–458, bes. 453–456; Görich, Sprache (2008), 38; Hoffmann, Hugo (1967), 144  f.; 154  f., Ohnsorge, Legaten (1928). 5 Schmidt, Rezeption (2000), 210. 6 Vgl. Steer, Textanalyse (1985), 6.

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 Rezeption und Textgeschichte

Dennoch erschöpft sich die Bedeutung der Handschriften nicht in der Eigenschaft als bloße Überlieferungsträger. Abgesehen von ihrem Belang für die Textkonstitution dokumentieren die einzelnen Textzeugen als „historische Objekte“ das Interesse der Benutzer an diesem Text und geben Hinweise bezüglich der Bedeutung, Verbreitung und der gesellschaftlichen Funktion des Berichtes für die jeweilige Leserschaft, die mit den konkreten Handschriften in Verbindung zu bringen ist.7 Insbesondere die Mitüberlieferung verweist auf das spezifische Verständnis des Burchardberichtes im Kommunikationszusammenhang der jeweiligen Textkombination. Überlieferungssymbiosen geben als „produktive Rezeption“8 Aufschluss über die Gebrauchsfunktion des Berichtes, wobei sich der Blick von der ursprünglichen Intention und Funktion des Schriftstückes auf seine Rekontextualisierung in Anwendung auf jeweils aktuelle Zusammenhänge verlagert.9 „Die Mitüberlieferung in den Codices und den Drucken kann dabei nur soweit in Betracht gezogen werden, als sie tatsächlich mit dem untersuchten Text in gebrauchsfunktionaler Verbindung steht. Nicht jede Textabfolge in den Handschriften darf als ‚Textsymbiose‘ verstanden werden.“10 Die These, dass es sich bei dem Burchardbericht ursprünglich um einen Gesandtschaftsbericht handelt, muss durch die verschiedenen Lesarten in den Handschriften nicht gestützt werden. Die Diskrepanz zur ursprünglichen Intention und Funktion des Berichtes ist jeweils mit dem Erwartungshorizont und den Lesegewohnheiten des Publikums zu erklären. Den unterschiedlichen Ansätzen der Rezeptionsforschung liegt die Position zugrunde, dass die Bedeutung eines Textes erst in der Interaktion von Text und Leser generiert wird11 und Texte grundsätzlich polysem sind.12 Abgesehen von möglichen Verständnisproblemen sind Texte generell durch eine ‚paradig-

7 Die Frage nach der Rezeption fokussiert vorrangig auf den empirischen Leser und dessen Entscheidung, sich mit dem Bericht auseinanderzusetzen und ihn zu tradieren. „Reception (…) can be defined as the initial decision to get involved with the text, influence as the abiding effects emanating from that involvement“, Schmidt, Theory (2000), 98. In der Reihe der Rezipienten sind freilich wir die letzten, Kuchenbuch, Schriftkultur (2012), 48; vgl. auch Solomon, Mythos (2012), 239  f. 8 Vgl. Schmidt, Theory (2000), 99. 9 „Geht man davon aus, dass die Überlieferung eines Textes – diese Überlegungen gelten, dies muss einschränkend gesagt werden, nur für wissensvermittelnde Literaturgattungen – von den Intentionen des Autors, der Redaktoren und der Schreiber in Verbindung und in Bezugnahme auf die literarischen Bedürfnisse der Benutzer und Leser, also des ‚literarischen Publikums‘, gesteuert werden, dann erscheinen Funktion und Gebrauch als jene Kategorien, mit denen die Vorgänge der Textüberlieferung und Textgeschichte adäquat erfasst werden können“, Steer, Textanalyse (1985), 33. 10 Ebd., 35. 11 Eco, Kunstwerk (1977), 133; Ders., Grenzen (1992), 22; Iser, Appellstruktur (1979), 229; Jannidis/ Lauer, Bedeutungsbegriff (2003), 18–21; Winter, Polysemie (2003), 435; bezogen auf die Medien-Rezipienten-Interaktion in den Sozial- und Medienwissenschaften siehe u.  a. Geimer, Konzept (2011), 192; Michel, Bild (2006), 23–26. 12 Umberto Eco spricht von einer „Oszillation der Sinnbildung“, Eco, Grenzen (1992), 22; Ders., Kunstwerk (1977), 51; Winter, Polysemie (2003); Jannidis/Lauer, Bedeutungsbegriff (2003); Michel, Bild (2006), 46  f.

Rezeption und Textgeschichte 

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matische‘ Offenheit gekennzeichnet, d.  h. durch assoziative Beziehungen, welche der Leser beim Rezipieren des Textes herstellt.13 Zu fragen ist daher eher, weshalb es zur Pluralität der Sinnbildungen kam. Für jeden historisch nachweisbaren Textzeugen stellt sich die Frage nach dem Gebrauchsinteresse und den jeweiligen Rezeptionsbedingungen, auch wenn – oder gerade weil – die späteren Lesarten kategorial von einer ursprünglichen Intention abweichen. Die Behandlung der Rezeptionsgeschichte reicht über die engere Themenstellung dieser Arbeit hinaus, stellt aber aufgrund der engen Verzahnung mit textkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Forschungsinteressen eine wichtige und notwendige Erweiterung des Gegenstandsbereiches dar – nicht zuletzt, um Fragen nach der Kontinuität und den Konditionen der Überlieferung nachzugehen, auch wenn diese nur bedingt beantwortet werden können. Überlieferungs-, Text- und Rezeptions­ geschichte stehen in einem engen historischen, systematischen und methodischen Zusammenhang und sind nicht voneinander zu trennen.14 Rezeptionsgeschichte als Text- und Überlieferungsgeschichte ist als Prozess zu verstehen, dessen historische Ursachen sich in unterschiedlichem Maße in den Textzeugen spiegeln. Rezeptionsspuren wie auch das Fehlen derselben erlauben erst textgeschichtliche Rückschlüsse. Der Verlauf der Überlieferung verbindet sich mit dem Gebrauch des Textes und trägt seine geschichtliche(n) Funktion(en) mit. Die Untersuchung der Re­zep­tions­ geschichte verspricht somit insbesondere Hinweise bezüglich der Textgeschichte, Provenienz und Datierung vorausgehender Vorlagen, welche dem verlorenen Archetyp nahestanden. Das Erkenntnisinteresse dieses Kapitels fokussiert auf die empirischen Leser und die historisch realisierten Lesarten des Burchardberichtes. Anhand der Mitüberlieferung sollen der jeweilige Kommunikationszusammenhang und die konkrete Funktion der Rezeptionsformen herausgearbeitet werden. Methodisch ist eine Differenzierung und Limitierung der mit dem Begriff der Rezeption verbundenen Fragerichtungen in Hinblick auf das Erkenntnisinteresse notwendig, da sich der Begriff auf eine Band13 Der aus der Wissenschaftstheorie stammende Begriff Paradigma enthält verschiedene Ebenen und Reichweiten. Es steht allgemein für ein Bündel von Werten, Methoden und Ansichten einer Gruppe von Wissenschaftlern oder Disziplinen, er bezeichnet aber auch ein Element (Modell) aus diesen gemeinsamen Vorstellungen. In Bezug auf die Polysemie und Offenheit eines Textes meint Paradigma das Bezugssystem des Rezipienten, vor dessen Hintergrund der Text bzw. ein Zeichen verstanden wird. Die Offenheit auf der Textseite kann mit dem Begriff des Syntagmas beschrieben werden. Syntagmatische Offenheit führt in der Interaktion von Text und Leser zu Verstehensproblemen. Die Dichotomie von Syntagma und Paradigma geht auf das strukturalistische Sprachmodell Ferdinand de Saussures zurück, de Saussure, Grundfragen (1967), 148, wird aber auch in der Literatur- und Kulturwissenschaft angewandt, Kuester, Syntagma (1998). 14 Gemeinsamer Schnittpunkt von Text- und Rezeptionsgeschichte ist die Recensio: „Ein Stemma weist ja nicht allein jeder Handschrift ihren Platz in einer abstrakten Hierarchie von Varianten zu, sondern versucht zugleich, ihr eine wenn auch nur ungefähre Position in Zeit und Raum zu geben; auf diese Weise ergibt sich ein unvollständiges, vielleicht simplifizierendes und sicherlich verkürztes Bild des Rezeptionsprozesses“, Schmidt, Rezeptionsgeschichte (2000), 90.

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 Rezeption und Textgeschichte

breite von Themenbereichen und Disziplinen erstreckt.15 In Orientierung v.  a. an der hermeneutischen Rezeptionstheorie beschränken sich der Begriff und das Untersuchungsfeld der Rezeption im folgenden auf die Frage nach der Sinnkonstitution und den konkreten Sinnbildungen. Da Rezeption und Überlieferung sich gegenseitig bedingen, werden im ersten Abschnitt zunächst die spezifischen Überlieferungsbedingungen des Burchardberichtes dargestellt. Die Frage nach dem in den Überlieferungssymbiosen feststellbaren Sinnzusammenhang schließt die Frage nach den Bedingungen und Instanzen der Sinnkonstitution ein, welche je nach Handlungsmodell anders konzeptualisiert werden. Erforderlich ist daher eine knappe Darstellung des rezeptionstheoretischen Bezugsrahmens, welcher der Untersuchung zugrunde liegt und somit auch das Ergebnis beeinflusst (1. Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen). Im zweiten Abschnitt werden die Textzeugen des Berichts nach Funktion und Kommunikationszusammenhang (Mitüberlieferung) untersucht, wobei drei weitgehend synchrone Rezeptionsformen, die Anfang des 13.  Jahrhunderts zu verorten sind, unterschieden werden. Da über den Entstehungskontext der unmittelbar mitüberlieferten Texte wenig bekannt ist und keine zuverlässigen Editionen derselben verfügbar sind, muss auch auf deren Entstehung und Funktion näher eingegangen werden (2. Rezeptionsformen). Abschließend werden die Ergebnisse mit Blickrichtung auf frühere Textzustände und mögliche Überlieferungswege in einer Synthese zusammengefasst und daraus ableitbare Schlüsse bezüglich der Textgeschichte festgehalten (3. Überlegungen zur Textgeschichte).

VI.1 Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen Die erhaltenen acht Textzeugen des Burchardberichtes stammen aus der Zeit zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert. Sie stellen jeweils die Endpunkte einzelner Überlieferungszweige dar und sind nicht unmittelbar voneinander abhängig.16 Auf Grundlage des Kollationierungsbefundes kann insgesamt von mindestens zwei Dutzend Abschriften des Berichtes ausgegangen werden, deren Textgestalt und Aussageintention nur geringfügig divergieren.17 Besonders in der Zeit zwischen dem dritten und

15 „Rezeptionstheorie, definiert als historische Rezeptionsforschung bzw. Rezeptionsgeschichte, (…) hat es mit allen Reaktionen auf ihn [den Text, C. T.] zu tun, beginnend mit dem, was wir den institutionellen Erfolg nennen können, die öffentliche Anerkennung des Autors, (…) die Quantität der handschriftlichen Kopien und natürlich allein schon das Faktum der Überlieferung an sich“, Schmidt, Rezeptionsgeschichte (2000), 88. 16 Siehe Stemma Kapitel VIII.2.2. 17 Siehe Kapitel VIII.2. Nicht eingerechnet sind dabei die Manuskripte der Chronik Arnolds von Lübeck, von denen 13 nachweisbar sind, Mey, Kritik (1912), 11.

Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen 

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fünften Kreuzzug scheint der Bericht eine gewisse Resonanz gefunden zu haben. In dieser Periode sind die Hyparchetypen der Handschriften V, M und W (*VMW, *VM), die jeweilige Vorlage für Thietmar, Oliver von Paderborn und Jacques de Vitry und vermutlich auch der Hyparchetyp für die Arnoldhandschrift A und die Kurzfassungen ba, be, ge, mü (*Ababegemü) anzusetzen. Neben der inhaltlichen Konsistenz und der zeitlichen Verdichtung der Überlieferung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist die Kombination mit anderen Texten ein auffälliges Merkmal der Überlieferung. Burchards Bericht ist ausschließlich in Überlieferungssymbiosen, Kompilationen und Textauszügen auf uns gekommen: als Insert innerhalb der Chronik Arnolds von Lübeck, als Kompilation mit den Reisebeschreibungen des Fretellus und des Magisters Thietmar, in Textsymbiose mit geistlichen Schriften mit Bezug zu Ägypten und als Neben-Überlieferung.18 Die Grundeinsicht, dass der Überlieferungsbefund auf der mehr oder weniger zufälligen Selektion aus einer unbestimmten Quantität ehemals vorhandener Handschriften beruht, relativiert allerdings sämtliche Aussagen bezüglich der Bedeutung, der Proportionen und der Repräsentativität des erhaltenen Materials. Da keine der Handschriften eindeutig als direkte Abschrift einer jeweils anderen Handschrift zu identifizieren ist, könnte die Zahl der Zwischenhandschriften (Zwischenstufen) schon der erhaltenen Textzeugen deutlich höher als die vermutete Mindestanzahl liegen und ihren Häufigkeitsschwerpunkt erst in späterer Zeit erreicht haben. Dass die erhaltenen Handschriften auf Vorlagen zurückgeführt werden können, die in einem bestimmten Zeitraum und innerhalb einer Zeitspanne von ca. 20–25  Jahren anzusiedeln sind, sagt auch noch nichts über die Verbreitung des Berichtes in früherer, späterer und paralleler Zeit aus. Die erschließbaren Hyparchetypen des Burchardberichtes sowie der Umstand, dass der Bericht bis ins 14. Jahrhundert in ganz unterschiedlichen Textsymbiosen überliefert ist, belegen zwar eindeutig, dass der Bericht lange Zeit als autonome Schrift kursierte. Doch weder ist die Relation von Erhaltenem zu Verlorenem bestimmbar noch die historische Relevanz des Textes innerhalb eines Diskursraumes. „Wert und Erheblichkeit des Textes in der ihn überliefernden Umwelt“19 zu ermitteln, ist folglich nur sehr begrenzt möglich. Fest steht lediglich,

18 Die Nebenüberlieferung beinhaltet die indirekte Überlieferung des Ausgangswerkes, namentlich alle Schriftzeugnisse, die einzelne Passagen des Berichts wörtlich oder in modifizierter Form wiedergeben. 19 So fordert es Horst Fuhrmann in seinen ‚Überlegungen eines Editors‘: „Wer Wert und Erheblichkeit eines Textes in der ihn überliefernden Umwelt ermitteln will, muss seine Wirkungsgeschichte erforschen. Spätere Wirkformen liegen nicht selten qualitativ von der Urschrift eines Werkes weit entfernt, zuweilen umgossen in Florilegien, Konkordanzen oder sachlich-systematische Sammlungen. Dennoch sind sie umso ernster zu nehmen, als die Grenze zwischen artistisch verstandener Literatur und Lebensform stiftenden Texten in manchen Zeiten fließend war“, Fuhrmann, Überlegungen (1978), 16  f.; so auch Hans Robert Jauß in Anlehnung an Hans-Georg Gadamer, Jauß, Rezeption (1992), Sp. 999.

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 Rezeption und Textgeschichte

dass es sich bei den tradierten Manuskripten um einen Restbestand handelt, dessen Erhalt bestimmten Faktoren zu verdanken ist.20 Vor diesem Hintergrund scheint die Kombination des Berichtes mit anderen Schriften weniger Merkmal der Überlieferung generell als seine „Überlieferungschance“ gewesen zu sein, zusätzlich begünstigt durch die Archivierung der Manuskripte in Klöstern und geistlichen Einrichtungen, deren Bestände insgesamt stabiler als die in weltlichen Einrichtungen blieben und oftmals geschlossen in Bibliotheken überführt wurden.21 Überleben konnte der Bericht offensichtlich nicht als autonomes Schriftstück, sondern nur innerhalb textueller Bezüge, in denen ihm ein anderer Sinn verliehen und durch die er einem anderen Objektbereich zugeordnet wurde.22 20 Als Faktoren für die Ungleichmäßigkeit der Überlieferung führt Arnold Esch die mit dem Material verbundenen Personen, Vorgänge, Quellengattungen, den Inhalt bezogen auf die aktuelle Verwendbarkeit, die Eigenschaft als Überrest oder Tradition, die Kombination der Überlieferung, die Art der Archivierung sowie „natürliche“ Faktoren der Konservierung an, Esch, Überlieferungs-Chance (1994). Zu dieser Frage siehe auch Wolf, Buch (2008), 20–27. Hochspekulative Verlustrechnungen bezüglich des Quellenmaterials nimmt vor: Neddermeyer (1998); dazu die Rezensionen von Görz/Rautenberg (2001) und Wolf (2001); Muschg, Literaturgeschichte (1948). 21 Esch, Überlieferungs-Chance (1994), bes. 44  f.; 53. 22 Die Mitüberlieferung stellt die jeweiligen Texte in medientechnische, konzeptionelle und funktionale Beziehungen zueinander und verweist auf das spezifische Verständnis der Texte in dieser Kombination. Wolfgang Haubrichs unterscheidet in überlieferungssystematischer Hinsicht für die volkssprachliche Dichtung der Karolingerzeit verschiedene Überlieferungstypen: 1. eine textautonome (werkbezogene); 2. eine ‚korrelierte‘ Überlieferung, Text in Korrelation zu anderen Texten oder zu einem Haupttext, wobei der Text in ein Textensemble eingebettet sein kann oder am Rande (limitan), mitunter rein zufällig mitüberliefert ist, Haubrichs, Edition (2005), 98–102. Bei der volkssprachlichen Literatur tritt noch der Typus der „Kopräsenz zweisprachiger Textensembles“ hinzu, ebd., 103  f. Ernst Bremer stellt die Frage nach der Mitüberlieferung in Hinblick auf „eine funktionale Gattungsbestimmung der Reiseliteratur“. „Gattungstypologische Phänomene sollten als historisch verifizierbare Ausformungen eines konkreten Funktionszusammenhanges von Literatur begriffen werden“, Bremer, Reiseliteratur (1992), 337. Anhand der mitüberlieferten Texte in den Handschriften Jean de Mandevilles untersucht Bremer Beziehungen und mögliche Symbiosemuster. Die Quantität der 130 Handschriften Jean de Mandevilles erlaubt eine Klassifizierung der Einordung nach Objektbereichen, wobei der Überlieferungszufall aufgrund der zahlreichen Handschriften ausgeschlossen werden kann, ebd., 346. Die Textsymbiose von Schwabenspiegel und Prokaiserchronik untersucht Stephan Müller und resümiert in Bezug auf die Verbindung dieser beiden Werke: „Man kann jeden mittelalterlichen Text neben einen anderen legen, außer jene, die in derselben Handschrift stehen! Kodikale Einheit bedeutet auch visuelle Trennung, wenn man den gebundenen Einzelkodex als Bezugsgröße ansetzt.“ Im Falle von Schwabenspiegel und Prokaiserchronik führt diese Trennung „konzeptionell (…) zu einem textuellen Bezugssystem, in dem ‚Text und Text‘ nicht nur im Kodex vereint sind, sondern auf sich gegenseitig aufmerksam machen und sich so auch textuell abstrakt aufeinander beziehen“, Müller, Schwabenspiegel (2006), 248. Konzeptionell können Texte in separater Überlieferung „ganz andere Texte werden“, ebd., 249. Abgesehen von der Mitüberlieferung spiegeln Abschriften mit ihren Varianten und Lesarten generell die Wirkung tradierter Texte „über den Vorgang einer indivi­duellen Aneignung“, Göttert, Spiegelung (1974), 95; Baisch, Textkritik (2006), 85. Zum Komplex der Mitüberlieferung siehe auch Nemes, Textvergesellschaftung (2011); Schubert, Materialität (2010); Müller, Codex (2009); Roth, Überlieferungskontexte (2003).

Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen 

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Auch die relativ konsistente Überlieferung des Berichtes steht vermutlich eher in einem Zusammenhang mit den Überlieferungssymbiosen und deren spezifischen Rezeptionsbedingungen und Gebrauchszusammenhängen23 und ist nicht in erster Linie mit der wissensvermittelnden Funktion und dem exklusiven Informationsgehalt des Textes zu erklären.24 Gemäß den Grundannahmen der Rezeptionsforschung ist ein Text nicht als „monolithische Einheit“ und „sedimentierter Informationsgehalt“ zu verstehen.25 Dem Text selbst ist keine feste inhärente Bedeutung eigen, diese wird erst in der Interaktion von Text und Leser generiert und grundsätzlich als variables Produkt der Faktoren Autor, Text, Kontext und Leser gefasst.26 Der Sinn eines Textes ist Ergebnis eines Kommunikations- und Verstehensprozesses zwischen Text und Leser, bei dem den Signifikanten (Zeichenträgern) des Textes auf Leserseite Signifikate (Zeichen­inhalte) zugeordnet werden. Eine der wesentlichen Prämissen der Rezeptionsforschung besteht im aktiven Beitrag des Lesers zur Sinnbildung.27 Der Aktivität des Lesers kommt insbesondere dann eine entscheidende Rolle zu, wenn er das Vorhandene nicht nur erneut abbildet bzw. kopiert, sondern in einem übergeordneten Zusammenhang mit Sinn versieht, wie es in den Überlieferungssymbiosen der Fall ist. Über den Verstehensprozess hinaus wird der Text durch die Mitüberlieferung in eine Interpretation überführt.28 Die Mitüberlieferung – das ‚Was‘ als Ergebnis der Interaktion – 23 Marina Münkler geht davon aus, dass die Variationsbreite der Überlieferung weitgehend „von der institutionellen Bindung der Texte und ihrer Berichterstatter sowie den Funktionsmechanismen der jeweiligen Kontakt- und Verschriftlichungssysteme“ abhängig ist, Münkler, Erfahrung (2000), 239. Varianten sind weder allein mit dem Ziel zu deuten, den Text an das überlieferte Wissen der Zeit anzugleichen, noch korreliert eine breite Rezeption notwendigerweise mit einer entsprechenden Variationsbreite, eher sind beide Phänomene von den spezifischen Überlieferungszusammenhängen abhängig, siehe dazu auch Kapitel II.1. 24 Im vorliegenden Falls enthält der Textzeuge W, der den Bericht separat, wenn auch in Textsymbiose mit geistlichen Texten, tradiert, mit Abstand die meisten Varianten, Korruptelen und Verderbnisse, was mit einer höheren Zahl von Abschriften, möglicherweise aber auch mit anderen Überlieferungszusammenhängen zu erklären sein mag. Schon der Hyparchetyp *VMW weist absichtliche Schreibereingriffe in Form von Kürzungen auf, doch sind die ebenfalls auf diese Handschrift zurückgehenden, mit Fretellus kompilierten Handschriften in der Folgezeit kaum absichtlich verändert worden – was freilich ein rein zufälliger Befund sein kann. 25 Michel, Bild (2006), 32. 26 Jannidis/Lauer, Bedeutungsbegriff (2003), 14. Auf eine ursprüngliche (Autor-) Intention kann nicht verzichtet werden, wenn das sich wandelnde Verhältnis von Text und Rezipienten abgebildet werden soll, vgl. Bremer, Reiseliteratur (1992), 334  f.; Münkler, Erfahrung (2000), 238. 27 Brenner, Problem (1998), 108; Jauß, Rezeption (1992), Sp. 998. Besonders in den Sozialwissenschaften und Cultural Studies dominiert das Konzept eines kreativen, autonomen Rezipienten, Michel, Bild (2006), 21; Winter, Polysemie (2003), 435; vgl. das Konzept der Aneignung nach de Certeau, Geimer, Konzept (2011). 28 Nach Karl Mannheim kann ‚Verstehen‘ als „das geistige, vorreflexive Erfassen“ definiert werden, während ‚Interpretieren‘ als „theoretisch-reflexive Explikation“ auf diesem Erfassen beruht, Mannheim, Strukturen (1980), 272–276.

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 Rezeption und Textgeschichte

ist Ausgangspunkt aller weiterführenden Fragen nach der Rezipientenseite und damit nach dem ‚Wie‘ als modus operandi, welcher der Konkretisation der Sinnbildung vorausliegt. Mit der These vom aktiven Beitrag des Rezipienten verbindet sich die Frage, wie dieser Beitrag vor dem Hintergrund des „Menschenbildes der Rezeptionsforschung“ konzeptualisiert wird,29 d.  h., inwieweit die jeweilige Interpretation des Textes als Ergebnis der jeweiligen soziohistorischen Verankerung des Rezipienten und bestimmter kollektiver Muster bzw. inwieweit der Rezipient als weitgehend „autonom“ und individuell handelnd verstanden wird.30 Die Bedingungen der Bedeutungsbildung in der Interaktion von Text und Leser werden je nach Forschungstradition in unterschiedlichen rezeptionstheoretischen Konzepten präzisiert. Fragerichtungen und Ansätze berühren sich zwar in vielen Punkten, die jeweilige Vorauswahl und Gewichtung der am Sinnbildungsprozess beteiligten Instanzen führen aber zu unterschiedlichen Schlüssen.31 Auch sind die an Massenkommunikation, modernen Medien und einem eigensinnig handelnden Individuum orientierten Konzepte der Cultural Studies nicht ohne weiteres auf die mittelalterliche Schrift- und Lesepraxis übertragbar, da hier die Einbindung des Rezipienten in soziale Einheiten stärker berücksichtigt werden muss.32 Als theoretischer Bezugsrahmen für die Frage nach der Rezeption unter mittelalterlichen Bedingungen eignet sich die von der Literaturwissenschaft entwickelte hermeneutische Bedeutungstheorie (Rezeptionsästhetik), da sich diese neben den semantischen und medialen Kontexten insbesondere für die historischen und so­zia­ len Bedingungen der Rezeption interessiert.33 Nach dem Ansatz der Rezeptions­ 29 Michel, Bild (2006), 96. 30 Ebd., 122–125. Auswirkungen hat das „Menschenbild“ auf die Frage, inwiefern die Rezeption eines Textes aufgrund seiner Wirkung als Indikator für sozial- und ideengeschichtliche Vorgänge genutzt werden kann, vgl. Steer, Textanalyse (1985), 36. 31 Vergröbernd können eine geisteswissenschaftliche, eine philologisch-hermeneutische, eine eher textorientierte und eine sozialwissenschaftliche, am Rezipienten orientierte Richtung unterschieden werden, Michel, Bild (2006), 24  f. 32 Vgl. die Zusammenfassung der Ansätze bei Geimer, Konzept (2011). Zu den Typologien und Modellen des Lesers siehe zuletzt Willand, Lesermodelle (2014), bes. 112–248. 33 Der Beginn der poststrukturalistischen literarischen Rezeptionsforschung wurde mit der 1967 von Hans-Robert Jauß gehaltenen Antrittsvorlesung ‚Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft‘ eingeleitet. Die differenzierten Theoriemodelle der Rezeptionsforschung versuchen, die Phänomene des Lesevorgangs, i.  e. Zusammentreffen und Interaktion von autonomem Text und den „hermeneutischen Vorstellungsaktivitäten der Leser“ (in Bezug auf fiktionale Texte) zu konzeptualisieren. Der Begriff Rezeption impliziert einen Gegensatz zu ‚Tradition‘, ‚Nachleben‘ oder ‚Einfluss‘, die eine passive Reaktion auf einen objektiv verstehbaren Text und zugleich einen Prozess kultureller bzw. literarischer Kontinuität suggerieren. „Rezeption ist demgegenüber auf die aktive Rolle des Publikums bedacht (…), kann also definiert werden als eine Grundentscheidung, sich auf einen Text einzulassen; Wirkung als textbezogene Kategorie mit den bleibenden Folgen, die von diesem Sicheinlassen ausgehen können. Rezeptionsgeschichte und Wirkungsgeschichte meinen also jeweils die eine oder andere Seite desselben komplexen historischen Prozesses“, Schmidt, Rezeptionsgeschichte (2000), 88. Differenziert werden kann zwischen einer Wirkungsästhetik, Iser, Appellstruktur (1971);

Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen 

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ästhetik wird die Lektüre auf seiten des Lesers durch ein Referenzsystem (Erwartungsstruktur oder -horizont) geleitet, das sich in der Definition von Hans-Robert Jauß „v.  a. aus den die jeweilige Textgattung bestimmenden bekannten Normen, den Beziehungen des Textes zu seiner dem Leser ebenfalls vertrauten literarischen Umgebung und zu den anderen Texten sowie aus der dem Rezipienten präsenten Differenzqualität von Fiktion und Wirklichkeit konstituiert.“34 Dem Erwartungshorizont ist eine Doppelnatur zu eigen, da „er als geschichtliche Begrenzung und zugleich als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung alle Bildung von Sinn im menschlichen Handeln und primären Weltverstehen konstituiert.“35 Der Rezipient reagiert auf das „Textrepertoire der vom Autor aus der extratextuellen Welt selektierten Normen und Weltansichten“ und schafft in der Auseinandersetzung mit Textsignalen individuelle Konkretisationen36, die den Text komplettieren.37 In Abhängigkeit von den sozialen, historischen

Ders., Leser (1972); Ders., Akt (1976), welche vom Wirkungspotential des Textes und seiner „vir­tuellen Systemstruktur“ ausgeht und einer historisch-hermeneutischen Theorie der Rezeptionsästhetik, Jauß, Literaturgeschichte (1979); Ders., Theorie (1987), welche primär den historisch bedingten ‚Erwartungshorizont‘ des Rezipienten in den Blick nimmt, dazu Müller, Rezeptionstheorien (2005); Winkgens, Wirkungsästhetik (1998); Antor, Rezeptionsästhetik (1998); Jauß, Rezeption (1992); kritisch gegenüber Iser und Jauß: Eagleton, Einführung (1997), 43–52. 34 Jauß, Literaturgeschichte (1979), 6. „Der Erwartungshorizont besteht aus der Gesamtheit kultureller Annahmen und Erwartungen, Normen und Erfahrungen, die das Verstehen und die Interpretation eines literarischen Textes durch einen Leser in einem bestimmten Moment leiten“, er ist „abhängig von zeitlichen und kulturräumlichen Faktoren einerseits und von individuellen Gegebenheiten andererseits. Horizonte unterliegen also historischen Veränderungen und sind damit auch mitverantwortlich für die Neubewertung literarischer Werke im Laufe der Zeit“, Antor, Erwartungshorizont (1998). Der Begriff des „Horizontes“ bezieht sich nach Gadamer auf die Situationsgebundenheit des Menschen und auf die „Gebundenheit des Denkens an seine endliche Bestimmtheit“, bezieht sich aber auch auf die des Textes selbst, Gadamer, Wahrheit (1986), 307. Bezogen auf den Burchardbericht wäre die Differenzqualität von Fiktion und Wirklichkeit durch die Darstellung des Fremden im Kontrast zum Habituellen zu ersetzen. 35 Jauß, Erfahrung (1991), 657. 36 Der Begriff Konkretisation stammt aus der juristischen Hermeneutik und bezeichnet die „fortschreitende Auslegung von Gesetzesnormen, die ein konkreter Fall bei der Rechtsfindung erfordern kann“, Jauß, Rezeption (1992), Sp. 998. Als Verfahren der Rechtsanwendung steht er in „bemerkenswerter Analogie zum Verhältnis vom Einzelwerk und ästhetischer Norm in der literarischen Hermeneutik. Soll nämlich ein literarisches Werk in seinem Ereignischarakter, als Innovation vor dem Horizont der Tradition, bestimmt werden, so erfordert das ästhetische Urteil, die Eigenheit und normbildende Leistung des Werks im Verhältnis zu bisher geltenden ästhetischen Normen, kanonischen Regeln der Gattung und Mustern des Stils zu erfassen, die durch ein originales Werk stets variiert oder modifiziert, also gleichermaßen neu oder anders konkretisiert werden. (…) Unter ‚Konkre­tisa­tion‘ versteht der Prager Strukturalismus (…) das Abbild eines Werkes im Bewusstsein derer, für die das Artefakt zum ästhetischen Objekt wird: Erst die Rezeption des Werks bringt in fortschreitenden Interpretationen seine Struktur in der offenen Reihe von Konkretisationen (oder Rezeptions-Gestalten) zum geschichtlichen Leben“, ebd. 37 Iser, Akt (1976), 38. Das Konzept der Konkretisation beschreibt das Füllen von „Unbestimmtheitsstellen“ bzw. Leerstellen durch den Leser, bezeichnet aber auch das Ergebnis dieser konstituieren-

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 Rezeption und Textgeschichte

und kognitiven Dispositionen der Rezipienten wird das Bedeutungs- und Sinnangebot des Schriftstückes in unterschiedlichen Sinnkontexten aktualisiert.38 Aus der Sicht des Lesers müssen die Unbestimmtheitsstellen normalisiert bzw. mit der eigenen Erfahrung kompensiert werden. Durch den historisch und sozio-kulturell bedingten Rezeptionshorizont ist die Lektüre präformiert, er verortet den Verstehensprozess zugleich in einem konkreten und definierbaren Ort. Der Rezeptionshorizont bestimmt den Erfahrungsgegenstand zugleich als relational, die Erwartungen „können vom Text erfüllt, modifiziert oder völlig desillusioniert werden“.39 Sowohl das Aktualisierungspotential als auch die Distanz zwischen Text und jeweiligem Publi­kum als hermeneutische Differenz sind im Rahmen der Überlieferung bestimmbar.40 Der Verstehens- und Interpretationsprozess ist nicht arbiträr, sondern wird von „institutionalisierten Konventionen“ geleitet, die mit dem Konzept der Interpreta­ tions­ gemeinschaften (interpretative communities) beschrieben werden können.41 Der von Stanley Fish etablierte Begriff bezieht sich dabei weniger auf eine Gruppe von Individuen „als auf ein Bündel von verbreiteten Rezeptionsstrategien, die allen

den Aktivitäten des Rezipienten. Der Prozess der Konkretisation läuft meist unbewusst ab, stellt aber einen entscheidenden Teil des Verstehensvorganges dar, Antor, Konkretisation (1998), 278. 38 Iser, Fiktives (1993), 24  f.; Ders., Akt (1976), 116; 211; Zima, Ästhetik (1995), 252. Die Bedeutung von Texten wird nach Wolfgang Iser im Lesevorgang generiert, den Lesevorgang selbst bestimmt er als Aktualisierung des Textes. Eine objektive Bedeutung des Textes existiert nicht, vielmehr gewährt jeder Text durch seine Appellstruktur einen „Spielraum von Aktualisierungsmöglichkeiten“ – verschiedene Interpretationen (Realisierungen), die durch die Unbestimmtheit des Textes hervorgerufen und nicht auf eine Bedeutung festgelegt sind, Iser, Appellstruktur (1975), 230. Während des Rezeptionsvorganges steht der „Spielraum von Aktualisierungsmöglichkeiten“ in enger Verbindung mit dem Empfänger, ist aber durch den Text vorgegeben, wenn auch nicht vorbestimmt. In Hinblick auf fiktionale Texte betont Iser „den Ereignischarakter des kommunikativen Geschehens zwischen Text und Leser“ und bricht damit die Opposition von Realität und Fiktion sowie die Kategorien Autor, Werk und Leser auf. Während sich die Unbestimmtheitsstellen bei Iser aus der Fiktionalität des Textes ergeben, resultieren sie bei Burchard aus den Anschlussstellen, die über den konkreten Entstehungskontext hinaus auf soziale Realitäten bezogen werden können, vgl. Hidalgo/Nonnenmacher, Vokabular (2015), 12. 39 Zapf, Rezeptionsgeschichte (1998), 462. 40 Jauß, Rezeption (1992). In der Distanz zwischen Erwartungshorizont und Werk sieht Jauß einen „Indikator literarischen Wertes“, der sich in der Breite des Spektrums kritischer Reaktionen auf den Text äußert, Jauß, Literaturgeschichte (1979), 4–6. 41 Fish, Class (1980); Willand, Lesermodelle (2014), 133–138. Nach der von Fish vertretenen konsequent leserorientierten Theorie (Reader-response-theory) ist jede Bedeutung ausschließlich durch den Kontext und die Kultur des Lesers bedingt, nicht aber durch den Text. Lesarten sind kulturell konstruiert, der Leser kann den Text nur innerhalb vorgegebener Möglichkeiten interpretieren. Die Sinnbildung ist aufgrund der kulturellen Prägung und der sozialen Konventionen der Rezipienten nicht beliebig. „Bedeutung ist nach Fish weder die Eigenschaft eines statischen und stabilen Textes noch das Eigentum völlig freier und unabhängiger Leser, sondern vielmehr das Ergebnis der Tätigkeit einer Interpretationsgemeinschaft, die die Aktivitäten des individuellen Rezipienten ebenso steuert wie sie dessen Lektüreergebnis prägt“, Antor, Interpretationsgemeinschaft (1998).

Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen 

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Angehörigen der jeweiligen Interpretationsgemeinschaft gemein sind.“42 Dominierend sind nach diesem Konzept im Rezeptionsprozess weder Text noch Leser, sondern die jeweilige Interpretationsstrategie. Verschiedene Lesarten existieren dabei gleichberechtigt nebeneinander, eine privilegierte Lesart des Textes besteht nicht.43 Geeignet scheint dieses Modell, in weniger radikaler und dekonstruktivistischer Form, als es bei Fish gedacht ist, für die Rezeption mittelalterlicher Texte, da hier Rezeption als soziale Praxis und in Abhängigkeit von impliziten oder expliziten Normen einer sozialen Kategorie begriffen wird, so wie es auch im Modell der Diskursgemeinschaften und der Kulturkontaktsysteme der Fall ist. Letztlich bleibt aber bei allen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, unbestimmt, wodurch genau sich die jeweiligen Gemeinschaften konstituieren, welchen Kollektivitätsgrad ihre Konventionen besitzen und inwiefern sie voneinander abgrenzbar sind. Bezogen auf die mittelalter­ liche Schrift- und Lesepraxis44 müssen die Leser bzw. Lesergruppen enger an soziale Kontexte gebunden und die Frage nach bildungsgeschichtlichen Voraussetzungen beantwortet werden, um die jeweilige Rezeptionsform in sozialer Dimension einzuordnen.45 Welcher Stellenwert dabei den gesellschaftlichen Strukturen im Vergleich zur aktiven Handlung des einzelnen Rezipienten beigemessen wird, kann nur unter Einbezug makroskopischer Strukturen geschehen und ist für jeden Fall separat zu entscheiden.46 Berücksichtigt werden muss in einer gebrauchsfunktionalen Untersuchung des Rezeptionsprozesses genauso die „Logik der Signifikanten“47 bzw. deren Konventionalisierung und Fundierung in Abhängigkeit von sozialen und historischen Bedingungen.48 Denn auch wenn die Bedeutung des Textes nicht determiniert ist, „ist überhaupt nicht erwiesen, dass die inhaltlichen und formalen Qualitäten eines Textes kein Movens für seine Beliebtheit und seine Verbreitung beim Publikum gewesen wären.“49 42 Fish, Text (1980), 14; 171; 321; 328  f.; Antor, Interpretationsgemeinschaft (1998). Stanley Fish ist ein umstrittener, radikaler Kritiker textzentrierter Literaturanalyse. Seine theoretischen Positionen hat er mehrfach verändert, seine Kritik gilt den Positionen des New Critisicm, in denen das literarische Werk als autonom betrachtet wurde. Nach Fish führt „Literatur keine objektive Eigenexistenz (…), sondern [kommt] immer erst durch den und im Leser zustande“, Antor, Fish (1998), 156. 43 Antor, Interpretationsgemeinschaft (1998); Fish, Text (1980); Ders., Correctness (1995). 44 Zu mittelalterlichen Lesekonzepten und zur Lektürepraxis u.  a. Schnyder, Vergegenwärtigung (2009); Chartier/Cavallo, Welt (1999); Hauke, Stellenwert (1997); Scholz, Hören (1980); Curschmann, Hören (1984). 45 Vgl. Schmidt, Theory (2000), 102; Willand, Lesermodelle (2014), 135. 46 In sozialwissenschaftlichen Ansätzen, insbesondere im Konzept der Aneignung, kommt der Krea­ tivität des Lesers und seiner Leseraktivität eine Rolle zu, die auf den mittelalterlichen Rezipienten nicht zutrifft, vgl. Geimer, Konzept (2011). 47 Eco, Grenzen (1992), 27. 48 „Die Zeit der Überlieferung des Textes ist nicht bloß eine bestimmte historische Zeit, sondern jene, die aufgrund geistiger und literarischer Vorbedingungen die Wirkungsentfaltung des Textes ermöglichte“, Steer, Textanalyse (1985), 35. 49 Ebd., 12; Michel, Bild (2006), 38.

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 Rezeption und Textgeschichte

Das konstitutive Moment der Bedeutungsgenerierung kann mit Ludwig Jäger als „Lesbarmachung“ des ursprünglichen Textes bezeichnet werden. Jäger erklärt diese Herstellung der Lesbarkeit50 mit dem Verfahren der „Transkription“,51 das terminologisch an die konkrete Tätigkeit der Schreiber erinnert. Der Begriff des Transkribierens beinhaltet nicht nur den Akt der Ab- oder Umschrift, sondern schließt in Orientierung an der inhaltlich viel weiter gefassten Definition Jägers auch die dahinterliegende operative Logik der ‚Resemantisierung‘ und ‚Remediatisierung‘ ein, d.  h. die Übersetzung, Umgestaltung und Umformung von Texten (Medien)52 auf der Inhalts- und Formebene durch die wechselseitige Bezugnahme differenter Medien aufeinander.53 Jäger unterscheidet dabei zwei Formen des Transkribierens: erstens ein intramediales Verfahren „in Bezug auf die Semantik natürlicher Sprachen“, indem der „Verwendungssinn von Äußerungen durch Paraphrase, Erläuterung und Explikation“ thematisiert wird.54 Zweitens werden in einem intermedialen Verfahren „Symbolsysteme verschiedener medialer Provenienz so zueinander positioniert, dass sie sich gegenseitig – oder asymmetrisch eines das andere – semantisch erschließen.“55 Mindestens ein weiteres „mediales Kommunikationssystem wird zur Kommentierung, Erläuterung, Explikation und Übersetzung herangezogen.“56 Die ‚Transkription‘ bildet den zugrundeliegenden Text57 nicht einfach ab, sondern verleiht ihm erst einen „SkriptStatus“ und eine Semantik, wobei symbolische Rahmungsverfahren eine ‚Readressierung‘ erlauben, um spezifische Lektüreorientierungen zu geben und „Information 50 Lesbarmachung schließt auch die „Konstitution der erschlossenen Bedeutung“ mit ein, Jäger, Verfahren (2004), 73; Raible, Arten (1995). Die Attribute lesbar bzw. unlesbar sind relativ, also weder festgelegt noch hierarchisch. 51 Für die folgenden Überlegungen siehe Jäger, Logik (2008); Ders., Transkriptivität (2008) und Ders., Erinnerung (2011). 52 Medien selbst können als „Verfahren beschrieben werden, die die spezifische Ausprägung gesellschaftlicher Sinn-Inszenierung organisieren“, Jäger, Verfahren (2004), 71. 53 Transkription steht für ein Verfahren „wechselseitiger, intermedialer Um-, Ein- und Überschreibungen (…), die als basale Strategie für die Generierung kultureller Semantik zu fungieren scheint“, Jäger, Transkription (2004), 5; Ders., Verfahren (2004), 71  f. Jäger verwendet den Begriff in einem viel weiteren Horizont für das Verfahren der kulturellen Semantik, er eignet sich aber auch, um Pro­zesse im Kleinen darzustellen. Das Konzept der Transkription ist mit zwei weiteren zentralen erkenntnistheoretischen Hypothesen verknüpft: 1. Die Bedeutungsgenerierung unterliegt dem „Prinzip der Medien-Immanenz, d.  h. die Genese und Beglaubigung von Sinn vollzieht sich innerhalb symbolischer Darstellungssysteme; 2. Es kann keine „monomediale Sinnkonstitution“ geben, da sich Medien nur über Medien beobachten lassen, in denen sie sich über Differenzmarkierungen entfalten, Ders., Verfahren (2004), 73. 54 Jäger, Transkriptivität (2008), 9. Genutzt wird in diesem ersten Verfahren „die intramediale, reflexive Doppelheit der Sprache“, d.  h. die Eigenschaft, mit Sprache über Sprache zu kommunizieren, ebd. sowie Ders., Transkription (2004), 5; Ders., Verfahren (2004), 72. 55 Jäger, Transkription (2004), 5. 56 Jäger, Transkriptivität (2008), 9; Ders., Verfahren (2004), 72. 57 Jäger verwendet den Begriff ‚Präskript‘ in einem viel breiteren Bedeutungsspektrum, Jäger, Transkriptivität (2008), 9  f.

Überlieferung und Rezeption: Theoretisch-methodische Vorüberlegungen 

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in Mitteilung“ zu überführen.58 Die angebotenen „Navigations-Optionen“ werden von einem bestimmten diskursiven Modus geleitet, alternative Lesarten sind in dieses Verfahren aber implementiert. Die Genese und Beglaubigung von Sinn vollzieht sich dabei innerhalb symbolischer Darstellungssysteme mit eigenen Begrenzungen, Reduzierungen und Defiziten und nicht in der Übereinstimmung mit einer „medientranszendenten Realwelt“.59 Ein Schriftstück erzeugt somit neue, autonome Schriftstücke „mit verschiedenen Graden der Offizialität und Aktualität“, an dem sich unterschiedliche Diskursfäden überschneiden.60 Im Vorgang der Bedeutungsgenerierung stehen ‚Stummheit‘, d.  h. der zunächst bezugslose Charakter des Schriftstücks als autonomes Artefakt und seine „ursprüngliche Schreibung“, und ‚Resemantisierung‘ in einem wechselseitigen Beziehungsund Spannungsverhältnis, welches gleichermaßen für die allgemeinere Logik der kulturellen Semantik und die Verfahrenslogik des kollektiven Gedächtnisses konstitutiv ist.61 Unter dem Oberbegriff des kollektiven Gedächtnisses werden nach Jan Assmann das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis als zwei Modi der kulturellen Erinnerung („Vergangenheitsregister“) unterschieden.62 Das kommunika58 Jäger, Verfahren (2004), 76. „Der systematische Zusammenhang von Transkription und Adressierung lässt sich also so verstehen, dass transkriptive Verfahren als mediale Operatoren fungieren, die in Anspruch genommen werden müssen, wenn ein Interesse daran besteht, (unadressierte) Information in (adressierte) Mitteilung zu überführen. 59 Siehe ebd., 73. 60 Kuchenbuch, Schriftkultur (2012), 49. Unabhängig von diesen Überlegungen korreliert die Auffassung, dass mit der Transkription autonome Schriftstücke entstehen, mit den überlieferungsgeschichtlich orientierten Ansätzen der Editionsforschung. In der frühen Editionsgeschichte dienten die Handschriften zur Rekonstruktion eines ‚Originals‘, die Überlieferung wurde aus editionspragmatischen Gründen in der Absicht der Elimination codicum descriptorum, der „Beseitigung, Ausmerzung, Entsorgung von Handschriften als Ziel der Philologie“, untersucht, Wolf, Buch (2008), 8; Heinzle, Handschriftenkultur (2004), 9  f. Schon 1812 legten Heinrich von der Hagen und Johann Gustav Büsching ein Modell vor, dass sich auf die Handschriftenüberlieferung konzentrierte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Forderung, Manuskripte als eigenständige Forschungsobjekte zu begreifen, mit der Schaffung des Handschriftenarchivs und der Gründung der Editionsreihe der ‚Deutschen Texte des Mittelalters‘ im volkssprachlichen Bereich Rechnung getragen, Wolf, Buch (2008), 9  f. In der Forschungsgeschichte wurde das Projekt, eine von der Antike zum Mittelalter reichenden Geschichte der Textüberlieferung zu erstellen in den 1960er Jahren u.  a. von Karl Langosch, Alexandre Micha, Stefan Sonderegger und Friedrich Neumann wieder aufgegriffen, Geschichte der Textüberlieferung (1964), 17  f. Jedes Manuskript sollte als „geschichtliches Individuum“ begriffen werden, „eine durch den geschichtlichen Standort des Schreibers festgelegte Sonderausgabe eines Werkes“, Wolf, Buch (2008), 11. Die Überlegungen mündeten in den Grundsatzdiskussionen der Material Philology und der New Philology. Konsequenzen zeitigten sie in der germanistischen Mediävistik im Programm für eine überlieferungsgeschichtliche Editionsmethode und –praxis (Würzburger Schule um Kurt Ruh), ebd., 12  f.; Grubmüller/Johanek, Prosaforschung (1973); Stackmann, Texte (1964); Ruh, Prosaforschung (1985); Williams-Krapp, Methode (2000). 61 Jäger, Logik (2008); Ders., Transkriptivität (2008) und Ders., Erinnerung (2011). 62 Assmann, Gedächtnis (2013), 45. „Das kommunikative Gedächtnis umfasst Erinnerungen, die sich auf die rezente Vergangenheit beziehen. Es sind dies Erinnerungen, die der Mensch mit seinen Zeit-

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 Rezeption und Textgeschichte

tive Gedächtnis beruht als Form des lebendigen Erinnerns auf „sozialer Interaktion“ und ist an das transitorische Medium der Mündlichkeit gebunden, das kulturelle Gedächtnis dagegen ist als „Organ außeralltäglicher Erinnerung“ in artifiziell implementierten und institutionalisierten Zeichensystemen fundiert.63 Beide Vergangenheitsregister konstituieren sich demnach über verschiedene ‚mediale Dispositive‘64 und generieren „Erinnerungsräume verschiedener historischer Tiefe sowie kategorial auseinanderklaffende Modelle der Wissensverarbeitung.“65 Ludwig Jäger zufolge stehen sich beide Erinnerungsmodi aber nicht als getrennte Erinnerungsverfahren kategorial und bipolar gegenüber. Vielmehr organisiert sich das kollektive Gedächtnis durch „intra- und intermediale Verfahren der wechselseitigen Bezugnahme von Medien auf Medien“, da das im „archivalischen Ablagesystem des kulturellen Gedächtnisses“ aufbewahrte historische Wissen erst im Diskursraum des kommunikativen Gedächtnisses, gesteuert von bestimmten Aufmerksamkeitsökonomien, wieder in den „semantischen Haushalt von Gesellschaften eingespeist“ wird.66 Eine „rekursionsfreie“ Semantik existiert ebensowenig wie eine monologische Form der Kommunikation durch das autonome Textmaterial, da der Gegenstand immer vom Erkenntnissubjekt abhängig ist.67 Jede Rezeption eines „stummen Zeugen“ stellt damit zugleich eine „semiologische Schnittstelle“ dar, an der aktuelle Diskurse auf das kulturelle Gedächtnis zurückgreifen. Der Gegenstand einer Lektüre ist in allen

genossen teilt“, ebd., 50. „Das kulturelle Gedächtnis richtet sich auf Fixpunkte in der Vergangenheit. Auch in ihm vermag sich Vergangenheit nicht als solche zu erhalten. Vergangenheit gerinnt hier vielmehr zu symbolischen Figuren, an die sich die Erinnerung heftet“, ebd., 52. 63 Jäger, Logik (2008), 8. 64 „Während das kommunikative Gedächtnis im Wesentlichen diskursiv verfährt, operiert das kulturelle Gedächtnis im Wesentlichen skriptural. In der Unterscheidung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis zeigt sich insofern noch einmal eine Differenzmarkierung, die wie kaum eine andere die verschiedenen Diskurse der Kulturwissenschaften in den letzten Jahrzehnten durchzogen hat: die Unterscheidung nämlich zwischen Oralität und Literalität (…)“, ebd., 10  f. 65 Ebd., 13  f. „Während das kommunikative Gedächtnis Wissen nur in dem fragilen Speicher des individuellen Gedächtnisses aufbewahren und verarbeiten und sich dabei nur ritueller Formen der Kohärenzsicherung bedienen kann, erlaubt erst sein Eintritt in den durativen Speicher der Schrift eine personenungebundene Objektivierung des Wissens mit allen Folgen für die kognitive und soziale Entwicklung von Kulturen.“ 66 Ebd., 17. In der intra- und intermedialen Vernetzung von Rede, Schrift und nichtsprachlichen Medien sieht Jäger die Voraussetzung „für die operative Logik des kollektiven Gedächtnisses“. Unabhängig vom medialen Status sei der Operationsmodus von Gedächtnis dann intra- und intermedial konfiguriert: Im kommunikativen Verfahren seien prinzipiell Momente durativer „Textualität“ mit solchen transitorischer „Performanz“ vernetzt, ebd., 18. 67 Jäger, Logik (2008), 24; Ders., Transkriptivität (2008), 8. „Für die Geltungsansprüche der Beurteilungsdiskurse, in denen die Frage der Angemessenheit von Darstellungsmitteln hinsichtlich der Darstellungsgegenstände in Frage steht, gibt es kein Institut der Bürgschaft, das nicht seinerseits im Universum extern-medialer Symbolsysteme angesiedelt wäre“, ebd.

Rezeptionsformen 

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Fällen ein systematischer Ort, an dem sich „das kulturelle Gedächtnis in das kommunikative ein- und das kommunikative das kulturelle fortschreibt.“68 Vor diesem theoretischen Verständnishintergrund sollen nun die historischen Konkretisationen des Burchardberichtes, deren funktionale Bezüge, Kommunika­ tionszusammenhänge und Gebrauchsinteressen dargestellt werden. Ausgangspunkt ist, dass es sich dabei nicht um singuläre, rein individuelle Interpretationen handelt, sondern um mehr oder weniger kollektive Deutungen. Auf synchroner Ebene lassen sich grob drei verschiedene Interpretationsgemeinschaften ausmachen, die den Text in einen bestimmten diskursiven Modus einschreiben und als Rezeptionsformen bezeichnet werden: das theologisch-überzeitliche Aussagefeld (2.1), der allegorische Kontext der Pilgerberichte und Heiliglandbeschreibungen (2.2) und der politisch motivierte Erfahrungsbericht als Sachtext (2.3).

VI.2 Rezeptionsformen VI.2.1 Burchards Orientbericht in der mittelalterlichen Hermeneutik bei Arnold von Lübeck Die historisch älteste und auch eine recht getreue Wiedergabe des Berichtes liefert Arnold von Lübeck, erster Abt des Johannisklosters in Lübeck (geb. um 1150; gest. 27.  Juni 1212 oder 1213)69, der Burchards Orientbericht im letzten Buch seiner 1210 68 Jäger, Logik (2008), 20. 69 Arnolds Herkunft und genaue Lebensdaten sind unbekannt. Nach eigenen Andeutungen scheint er schon als Kind nach Braunschweig gekommen und dort im Benediktinerkonvent St. Aegidien erzogen worden zu sein, wo er bis 1177 Mitglied war (quia vero pater meus et mater mea dereliquerunt me […], Arnold, Chronica, V, 13. Ed. Lappenberg [1869], 187); eine Ausbildung in Hildesheim ist nicht belegt. Arnold selbst gibt an, unter der Herrschaft Heinrichs des Löwen aufgewachsen zu sein, ­Arnold, Gesta, hrsg. von Schilling (1986), Prosaepil. 177. Die Vermutung einer Abkunft aus der Adelsfamilie von Dorstadt und einer Erziehung am Hof Heinrichs des Löwen (so Hucker, Otto IV. [1990], 432; Freund, Kommunikation [2008], 100) entbehrt Anna-Therese Grabkowsky zufolge jeglicher Hinweise, Grabkowsky, Arnold (1993), 209–211; ebenso Scior, Eigenes (2002), 223  f. Von 1177 bis zu seinem Tod 1212/13 stand Arnold als erster Abt dem Lübecker Benediktinerkloster St. Johannis vor. Ausgehend vom Mindestalter von 25 Jahren für die Übernahme des Abbatiates wird ein Geburtsdatum um 1150, spätestens 1152 angenommen, zur Begründung des Geburts- und Sterbedatums siehe Grabkowsky, Arnold (1993), 209 Anm. 15. Nach Fertigstellung der Chronik übersetzte Arnold nach 1210 den Gregorius des Hartmann von Aue im Auftrag Wilhelms von Lüneburg ins Lateinische, weitere Schriften Arnolds sind nicht bekannt. Grundlegend für seine Biographie sind die im Rahmen der ersten Edition in den MGH angestellten Untersuchungen von Johann Martin Lappenberg und Rudolf Damus: Lappenberg, Ausgabe (1838); Damus, Slavenchronik (1873), 1–16. Zu Arnold in der jüngeren Forschung siehe Grabkowsky, Arnold (1993); Scior, Eigenes (2002), 223–230, Arnold, Gesta, hrsg. von Schilling, (1986), 12–15; Hucker, Otto (1990), 405; 432  f.; 477; 586; Schmale, Arnold (21957); Berg, Helmold (1976), 437–441; Berg/ Worstbrock, Arnold (1978); Wesche, Arnold (1980); Engel, Arnold (1992). Zu St. Aegidien: Römer-Johannsen, Braunschweig (1979); Dies., (Hrsg.), St. Aegidien (1979); Schneidmüller, Beiträge (1986); Naß,

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 Rezeption und Textgeschichte

fertiggestellten Chronik inserierte.70 Kontext und Darstellungsabsicht der Chronik, speziell die dem Burchardbericht vor- und nachgeschalteten Kapitel, stellen den Kommunikationszusammenhang bereit, innerhalb dessen der Bericht remediatisiert wird und eine neue Semantik erhält. Deutlich kennzeichnet Arnold die Unterbrechung seiner eigenen Darstellung: (…) nos paululum dimissa hystoria regum ad alia nobis comperta (…) transeamus.71 Den Wortlaut seiner Vorlage hat Arnold zu Beginn verändert und dem Bericht ein einleitendes Horazzitat vorangestellt. Am Ende des Berichts ist ein Kommentar angefügt, der in den überlieferten Versionen der Chronik nahtlos an den eigentlichen Burchardbericht anschließt und mit diesem eine formale Einheit bildet. Diese Rahmung fungiert als Lektüreorientierung, mit der die Lesbarkeit des Berichts gemäß der Darstellungsabsicht Arnolds gewährleistet und systematisch gesteuert werden sollte. Am Ende seines Kommentars leitet Arnold dann wieder zur eigenen Darstellung über: Nunc ad ordinem historie prosequendum revertamur.72 Eine Funktionsbestimmung73 des Burchardberichtes kann nur unter Berücksichtigung der Darstellungsabsicht der Chronik erfolgen, allerdings ist eine Gesamtthematik der Chronik zwischen den Polen Reich, Region und Kreuzzugsthematik aufgrund der Heterogenität des Werkes schwer zu bestimmen.74 Kontrovers diskutiert

Auctorkult (1990); Herbst, Benediktinerkloster (1936). Zu St. Johannis: Biereye, Lübeck (1929); Eilermann, Lübeck (1979); Petersohn, Ostseeraum (1979), 126–130; Hauschild, Kirchengeschichte (1981), 51  f.; Grabkowsky, Cismar (1982), 13–16. 70 Die Buch- und Kapitelangabe entspricht der Einteilung bei Lappenberg (in der Ausgabe von Leibniz ist es Kapitel X des siebten Buches). Angenommen wird eine Kapiteleinteilung der Chronik schon durch Arnold, inwiefern diese von Lappenberg verändert wurde, bedarf noch der endgültigen Klärung, vgl. Scior, Eigenes (2002), 226  f. Anm. 21; Grabkowsky, Arnold (1993), 220. Näheres zu Arnold siehe Kapitel VIII.1.1.1. 71 Arnold, Chronica, VII, 8. Ed. Lappenberg (1869), 235. 72 Ebd., 241. 73 Eine Einordnung hat bisher, soweit ersichtlich, einzig Volker Scior vorgenommen, Scior, Eigenes (2002), 320–327. 74 Die Darstellungsabsicht ist umstritten und gab Anlass zu einer Forschungskontroverse zwischen Bernd Hucker und Helmut G. Walther, Freund, Einleitung (2008), 4 Anm. 21 und 22; Panzer, Chronik (2008), 45–47, Scior, Eigenes (2002), 254–256; 281. Für Hucker entspricht das Werk einer Königschronik mit der Absicht, die imperiale Aufgabenstellung und Herrschaftslegitimation des Königtums Ottos IV. aufzuzeigen, Hucker, Historia (1988), 108. Walther sieht den Mittelpunkt der Chronik hingegen in der Person Heinrichs des Löwen; Reichspolitik würde in ihrer Konsequenz auf Nordelbien dargestellt und beurteilt, lediglich Bücher 6 und 7 dienten einer historia regum, Walther, Verschriftlichung (1997). Bernd Schütte bringt die Intention Arnolds mit monastisch geprägten „grundsätzlichen Handlungsund Auffassungsmuster[n]“ in Verbindung, Schütte, Staufer (2008), 146, und betont, dass bei Arnold keine einseitige Welfennähe und Stellungnahme zugunsten Ottos IV. auszumachen ist; ebenso findet Lothar III. als kaiserlicher Vorfahre Ottos keine Erwähnung bei Arnold, ebd., 123. Verkürzt scheint in seiner Argumentation die These Althoffs durch, die Chronik diene vornehmlich der „Bewältigung“ des Sturzes Heinrichs des Löwen, Althoff, Historiographie (1995). Scior zufolge liegt der Fokus der gesamten Chronik auf dem Kreuzzug und der Ausweitung des Reichsgebietes, Scior, Eigenes (2002), 227–230; 313.

Rezeptionsformen 

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werden in der Forschung neben der Darstellungsabsicht der Chronik eine Reihe weiterer Fragen bezüglich der Darstellungsweise und Glaubwürdigkeit Arnolds.75 In sieben Büchern stellt Arnold im Zeitraum von 1171 bis 1209 die zeitgenössische Geschichte des Ostseeraums und die Reichsgeschichte des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts dar.76 Das Werk ist allem Anschein nach an ein breiteres Publikum gerichtet77 und war vermutlich keine Auftragsarbeit, sondern aus eigenen Absichten konzipiert und verfasst.78 In der Chronik lassen sich verschiedene Darstellungs- und Funktionsebenen ausmachen, welche sich nicht immer streng voneinander trennen lassen.79 Den inhaltlichen Rahmen und das historiographische Darstellungsinteresse der Chronik bilden nach Arnolds eigener Aussage der status terrae nostrae — der „Zustand Nordelbiens“.80 Eigens bekundete Absicht Arnolds ist es, mit diesem Werk die in seinen Augen „unvollendete“ Chronik Helmolds von Bosau fortzuführen.81

75 Siehe Kapitel VIII.1.1.1. 76 Berichtsgegenstände der einzelnen Bücher in der Einteilung nach Lappenberg sind: (1) Pilgerfahrt Heinrichs; Wahl des Lübecker Bischofs Heinrich; Martyrium des Thomas von Canterbury; (2) Auseinandersetzung zwischen Heinrich dem Löwen und Friedrich Barbarossa; Heinrichs Exil am englischen Königshof; (3) Geschichte Norddeutschlands und des Reiches; (4) Kreuzzug Friedrich Barbarossas 1189; (5) die Rückkehr Heinrichs des Löwen und Ereignisse bis zu dessen Tod; Kreuzzug Heinrichs VI. und Livlandkreuzzüge; (6) Reichs- und Regionalgeschichte 1198–1204; (7) Reichs- und Regionalgeschichte 1204–1210, vgl. Scior, Eigenes (2002), 225. 77 Panzer, Chronik (2008), 69  f. Einige Passagen, in denen Arnold zur strikten Einhaltung der Benediktregel aufruft, wenden sich hingegen an die Mönche seines Konvents, ebd., 65. 78 Bezeugt ist nur das Widmungsexemplar an den Bischof und das Domkapitel von Ratzeburg, Scior, Eigenes (2002), 227; 254; Ders., Terra (2008), 149. Zwar stellte Arnold sein Werk 1210 unter dem Eindruck der Kaiserkrönung Ottos IV. fertig, mit der auch die Chronik schließt, Arnold, Chronica, VII, 19. Ed. Lappenberg (1869), 249, und wählte einen engen Vertrauten Ottos als Adressaten. Nach Schütte, Scior, Walther u.  a. ist eine eindeutige Favorisierung Ottos oder ein Auftrag durch diesen jedoch nicht festzumachen, wie überhaupt die „Welfennähe“ Arnolds umstritten ist, Scior, Eigenes (2002), 227; Ders., Terra (2008), 166; Schütte, Staufer (2008), 136; Althoff, Historiographie (1995), 166  f.; Walther, Verschriftlichung (1997), 19–21; Grabkowsky, Arnold (1993), 228, dagegen aber Hucker, Historia (1988), 116–119, der weitere Widmungsexemplare annimmt. Scior führt als Grund für die Adressierung die führende Rolle Philipps von Ratzeburg im Livlandfeldzug 1211 und dessen Beratertätigkeit für Otto IV. an, Scior, Eigenes (2002), 254. 79 Stephan Panzer führt als Darstellungs- und Funktionsebenen Aspekte der historischen Bezugspunkte, der religiös motivierten Geschichtsdeutung und literarische Absichten Arnolds an, Panzer, Chronik (2008). 80 Arnold, Chronica, VII, 20. Ed. Lappenberg (1869), 249. Anna-Therese Grabkowsky vermutet diesbezüglich, dass Prolog und Epilog nach Abschluss der Chronik verfasst worden sind, Grabkowsky, Arnold (1993), 225. Rudolf Damus geht davon aus, dass Arnold während des Schreibens seinen Plan erweitert habe, da er gegen Ende der Chronik die narratio regum und allgemein die historia als Hauptgegenstand angibt, (VII cap. 7), Damus, Slavenchronik (1873), 15. 81 Helmoldus (…) debito fine, ut voluit, non consummavit, Arnold, Chronica, Prolog und VII, 20. Ed. Lappenberg (1869), 115; 249. Der von Arnold hergestellte Konnex zu Helmolds Slavenchronik zeigt sich nicht zuletzt in der gemeinsamen Überlieferung: Tragen die frühesten Handschriften der Chronik noch den Titel Historia abbatis Lubicensis (Kopenhagen, Universitätsbibliothek, Additamenta. Nr. 50,

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Im Unterschied zu Helmold weitet er den Berichtsraum aber auf den gesamten orbis romanus82 aus: Neben dem Norden und Nordosten Europas umfasst er auch das Heilige Land, Konstantinopel, Griechenland, Apulien und eben Ägypten und Syrien. Gleich zu Beginn lenkt Arnold mit der Darstellung der peregrinatio Heinrichs des Löwen ins Heilige Land den Blick auf die loci sancti des Orients und gen Jerusalem,83 schildert dann die Geschicke Heinrichs des Löwen im Reich und in Nordelbien und geht auf die dänische und slawische Geschichte ein (Bücher 1, 2, 3 und 5). Besonderes Augenmerk liegt auf den umfangreichen Kreuzzugsdarstellungen:84 Eingehend berichtet Arnold über den Kreuzzug Barbarossas und wehrt sich gegen Vorwürfe an dem Unternehmen (4.  Buch);85 er beschreibt den Kreuzzug Heinrichs  VI. sowie die Livlandkreuzzüge (5. Buch) und betont, durch den gloriosus imperator Heinrich VI. habe Gott „die Grenzen des Imperiums erheblich erweitert“.86 In den letzten beiden Büchern behandelt Arnold wieder Reichs- und nordelbische Geschichte, integriert hier aber auch den Burchardbericht. Die Chronik schließt mit der Kaiserkrönung Ottos  IV.87 Offen bleiben muss, ob und inwiefern Arnold mit diesem Ende „den Boden für einen künftigen, dritten Kreuzzug [sic!] unter der Führung des neuen 14./15. Jh.) und Historia abbatis Lubicensis de duce Heinrico (Lübeck, Stadtbibliothek, Ms. hist. 4°4, 15. Jh.), wurden schon im 13. Jahrhundert Helmolds und Arnolds Geschichtswerke als zusammengehörig betrachtet, Walther, Überlieferung (2008), 8  f.; Scior, Terra (2008), 170. Maßgeblich wurde der Titel Arnoldi Chronica Slavorum im 15.  Jahrhundert durch die Editionen von Bangert und Leibniz, spätestens mit der MGH Ausgabe von 1868, siehe Kapitel VIII.1.1.1. Zur Überlieferungstradition siehe Walther, Überlieferung (2008), 8–12; Helmold, Cronica. Ed. Schmeidler, XXVI; Helmold, Cronica. Ed. Stoob (2002), 1–24; 401–410; Scior, Terra (2008), 153; 157. Zweifel an der Fortsetzertätigkeit äußert Hucker, Historia (1988), 103  f., dagegen Walther, Verschriftlichung (1997), 15–18; Scior, Eigenes (2002), 254  f. 82 Begriff bei Arnold, Chronica, V, 20 und VII, 15. Ed. Lappenberg (1869), 197; 246. Die Ausweitung des Raumes sieht Scior im Zusammenhang mit den Kreuzzügen, Scior, Mediterranean (2002), 103; Ders., Eigenes (2002), 281. 83 Arnold, Chronica, I, 1. Ed. Lappenberg (1869), 115  f. Schütte begründet den Beginn der Chronik chronologisch, da die Schilderung der Pilgerfahrt 1172 zeitlich an die Darstellung Helmolds anschließt, Schütte, Staufer (2008), 116. 84 Arnold unterscheidet begrifflich zwischen Pilgerfahrt und Kreuzzug; beide bezeichnet er als peregrinatio; für die Kreuzzüge, die nur von den römischen Königen und Kaisern unternommen werden können, ist aber der Begriff expeditio reserviert, Scior, Eigenes (2002), 292; 312. Offen bleiben muss, „ob sich in der begrifflichen Differenzierung ‚tatsächliche‘ Unterschiede zwischen den Reisen, Arnolds unterschiedliche Auffassungen von den Fahrten oder aber seine Darstellungsabsicht widerspiegelt (…)“, ebd., 292. 85 Arnold, Chronica, IV, 6–8; IV, 13; V, 23. Ed. Lappenberg (1869), 162–172; 175  f.; 199–201; Vorwürfe werden geäußert in den Annales Colonienses maximi. Ed. Pertz (1861), 798 (zum Jahr 1190) und bei Gerhard von Steterburg, Annales. Ed. Pertz (1859), 223; dazu Hiestand, Precipua (1992); Schütte, Staufer (2008), 141. 86 Arnold, Chronica, VI, 1. Ed. Lappenberg (1869), 213; Schütte, Staufer (2008), 126. Zum Kreuzzug Heinrichs VI. siehe Naumann, Kreuzzug (1994); zum Adjektiv gloriosus: Müller, Gloria (1977); Krieg, Herrscherdarstellung (2003); Althoff, Gloria (1988). 87 Arnold, Chronica, VII, 19. Ed. Lappenberg (1869), 249.

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Kaisers [Ottos  IV.] bereiten wollte“,88 da er das Kreuzzugsgelübde Ottos anlässlich seiner Kaiserkrönung nicht erwähnt.89 Die Betonung liegt hingegen bei der Wahl Ottos auf dem wiedergewonnenen Frieden nach unruhigen Zeiten.90 Aus der Vielschichtigkeit des Werkes kann nach Stephan Panzer auf eine übergreifende geschichtstheologische Konzeption der Chronik geschlossen werden, die im komplexen Zusammenspiel persönlicher, sozialer und historischer Bedingungen gründet.91 Über die Intention seiner Darstellung äußert sich Arnold selbst im Prolog, in der confessio scriptoris und der satisfactio scriptoris sowie immer wieder im Verlauf der Darstellung.92 Als Hauptinteresse seiner Darstellung gibt er die Taten von Bischöfen und Königen für die Ecclesia an.93 In der Entwicklung der boreales 88 So Hucker, Historia (1988), 103; 106  f.; Zitat 106. Hucker untermauert seine Argumentation mit dem bei Arnold angeführten Genesiszitat: „um unserer Sünden willen“ sei das Heilige Land noch nicht befreit, ähnlich Scior, Scior, Eigenes (2002), 313; Ders, Mediterranean (2004), 103. Walther und Panzer betonen dagegen die nordelbische Perspektive und die Ausrichtung auf die Missionsarbeit im Ostseeraum, da die Fertigstellung der Chronik mit den Vorbereitungen des Livlandkreuzzuges zusammenfiel, Walther, Verschriftlichung (1997), 15–18; Panzer, Chronik (2008), 59  f. Allerdings werden die Livlandzüge nur in einem Kapitel geschildert, weder Otto IV. noch Philipp finden hier Erwähnung, Arnold, Chronica, V, 30. Ed. Lappenberg (1869), 210–213. 89 Arnold, Chronica, VII, 19. Ed. Lappenberg (1869), 249; Scior, Eigenes (2002), 265; Panzer, Chronik (2008), 58. Auch die Charakterisierung Ottos IV. bleibt im Gegensatz zu Philipp „merkwürdig einseitig“, so Grabkowsky, Arnold (1993), 227. 90 Orta est autem nova lux in orbe Romano, iocunditas pacis et securitas quietis, et cessavit subsannatio et insultatio multorum qui Ottonem affirmabant nunquam regnaturum, Arnold, Chronica, VII, 15. Ed. Lappenberg (1869), 246; dazu Schütte, Staufer (2008), 118–121. 91 Panzer nennt als grundlegende und prägende Ereignisse aus dem Umfeld und der Epoche Arnolds u.  a. die Nähe zum Welfenhof und Abt Heinrich, die Situation des Johannisklosters in Lübeck, die Missionierung Nordelbiens, die Kreuzzüge und die Situation im Reich, Panzer, Chronik (2008), 47–51. Neben politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemkreisen muss bei der Frage nach der Darstellungsintention auch das fortgeschrittene Alter Arnolds berücksichtigt werden, der zur Abfassungszeit der Chronik etwa 60 Jahre zählte. „Es bleibt daher zu fragen, ob Arnold sein Werk oder zumindest Teile desselben nicht auch als ein an seinen Nachfolger bzw. den von ihm geleiteten Konvent gerichtetes Testament verstanden hat“, ebd., 51. 92 Arnold, Chronica, Prolog; V, 13; VII, 20. Ed. Lappenberg (1869), 115; 187  f.; 249  f.; Scior, Terra (2008), 154–159; Hucker, Historia (1988), 108. 93 Mit Ecclesia „werden die institutionellen, rechtlichen und sozialen Formen christlicher Religion beschrieben“, der Begriff bezieht sich über das lateinische Christentum hinaus auf das Gottesvolk, Müller, Kirche (2002), Sp. 1161. Anhaltspunkt für dieses Verständnis von Ecclesia bei Arnold im Unterschied zu christianitas ergeben sich aus der Verwendung der Begriffe in der Chronik, die jedoch nicht eindeutig und in verschiedenen Zusammenhängen verwendet werden. Scior hat zahlreiche WirBezüge auf die christianitas in Abgrenzung zu anderen Religionsgemeinschaften festgestellt, die er an unterschiedlichen Leitdifferenzen festmacht (zum abweichenden Konzept der christianitas im Frühmittelalter zuletzt die Dissertation von Tim Geelhaar, Christianitas [2015]). Neben der Abgrenzung von Juden und Muslimen trennt Arnold deutlich die lateinische von der byzantinischen Kirche, Scior, Eigenes (2002), 247–250; 278  f. Die lateinische Kirche bezeichnet Arnold als ecclesia in occiduis partibus, Arnold, Chronica, VI, 1. Ed. Lappenberg (1869), 213 oder nur als ecclesia, ebd., VI, 2, 214. Die Orientchristen zählen im Kommentar zum Burchardbericht zur alles umgreifenden ecclesia, ebd., VII, 8, 241.

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regiones, ubi sedes erat Sathanae zur christlichen terra nostra94 bildet die Förderung des Christentums den Beurteilungsmaßstab und das Leitbild; entsprechend hebt Arnold als wichtigste Aufgaben des Königs die Friedenssicherung und den Kampf gegen die Heiden hervor.95 Als zentrales Leitmotiv durchzieht die Opposition von pax und dissensio (discordia, perturbatio) die Darstellung:96 Uneinigkeit, Streit und Unordnung kennzeichnen den Zustand des Reiches97 und der Kirche98 auf allen Ebenen.99 Hervorgerufen wurden die Missstände durch die Vernachlässigung und Missachtung der Regeln und Gebote, die Gott den Menschen offenbarte, aber seit Menschengedenken nicht eingehalten wurden.100 Scharf kritisiert Arnold die Abkehr von christlichen Normen und Werten, führen diese Sünden doch bekanntermaßen zu Handlungsunfähigkeit und Verderben.101 Signifikant ist in diesem Zusammenhang die confessio scriptoris in der Mitte der Chronik, in der Arnold unter Verwendung zahl-

94 Arnold, Chronica, VII, 20. Ed. Lappenberg (1869), 249. Zur Unterscheidung von imperium und regnum siehe Scior, Eigenes (2002), 254–277. Als Motor der Unterwerfung und Bekehrung der Slaven erscheint Heinrich der Löwe, der in der Chronik als Idealbild eines christlichen Herrschers fungiert, Panzer, Chronik (2008), 53 Anm. 25. Heinrich erfährt sonst allerdings eine ambivalente Beurteilung, im zweiten Buch stellt Arnold seiner christlichen Vorbildfunktion dessen rücksichtslose weltliche Ambitionen gegenüber, ebd. 54–57; Schütte, Staufer (2008), 142–145, auch Scior, Terra (2008), 170; Hucker, Historia (1988), 101 Anm. 13. 95 Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), III, 17 und 19, 158  f.; 160  f. Schütte, Staufer (2008), 126; 142; Panzer, Chronik (2008), 52–60. Gleich zu Beginn der Chronik stellt Arnold eine Verbindung von pax und Sündenvergebung her, denn erst die Sicherstellung des Friedens ermöglichte Heinrichs peregrinatio zum Heiligen Grab. Dux itaque tanta potitus quiete tantisque fluctuationum emensis periculis, tanquam portum salutis commodum duxit, pro peccatis suis sanctum visere sepulcrum, ut adorare Dominum in loco ubi steterunt pedes eius, Arnold, Chronica, I, 1. Ed. Lappenberg (1869), 116. Die Chronik endet hingegen mit der nicht entschiedenen Bischofswahl in Bremen und unterstreicht die nicht gelöste Aufgabe, Einheit und Frieden auch nach der Krönung Ottos herzustellen, ebd., VII, 19, 249; Scior, Eigenes (2002), 263. 96 Dazu Scior, Eigenes (2002), 231–280; 312  f. 97 (…) duo soles, id est reges, exorti sunt, qui radiis invicem discordantibus Romani imperii fines non modice perturbabant, Arnold, Chronica, VI, 1. Ed. Lappenberg (1869), 213. His regibus non conregnantibus sed invicem discordantibus, turbatur ecclesia, oriuntur scismata, dissensiones, partes adulantium, hinc inde placere volentium, ebd., VI, 2, 214; de discordia regis et comitis, ebd., IV, 3, 165–167. 98 Arnold führt hier u.  a. das Schisma in der Zeit Barbarossas und Alexanders III. an, Arnold, Chronica, III, 17–19. Ed. Lappenberg (1869), 158–161; Konflikte zwischen Domkapitel und Bischof, ebd., II, 7, 149  f.; Konflikte nach dem Tod der Bischöfe von Ratzeburg und Bremen, ebd., VII, 9 und 10, 241  f. Geschildert werden auch Streitigkeiten zwischen weltlichen und geistlichen Würdenträgern sowie gewaltsame Übergriffe auf Geistliche, ebd., III, 17, 158  f. Für Arnold besonders schmerzhaft sind Missstände und Spaltungen innerhalb des Mönchtums, ebd., III, 10, 153  f. (De superbe detestabili monachorum). 99 Vgl. die Mahnung zur Einheit in 1 Kor 1, 10–13 und Röm 15, 5. 100 Vgl. Röm. 1, 19–21. Zur Bedeutung des Sündenfalls und der Sünde im mittelalterlichen Denken Angenendt, Religiosität (2005), 614–621; Stürner, Peccatum (1987), 38–66; Melville, Geschichte (1982), 121  f. 101 Vgl. Röm 1, 18–24; Röm 2, 11.

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reicher Bibelzitate die Konsequenzen regelwidrigen und sündhaften Verhaltens am eigenen Beispiel reflektiert.102 Kritik übt er an Fürsten, Würdenträgern und generell an allen, welche meinen, das lebenserhaltene Gesetz Gottes (ordo103) eigenmächtig auslegen zu können.104 Speziell bezieht sich Arnold auf die Vernachlässigung der Benediktsregel105 – schließlich oblag ihm als Abt die Verantwortung für die Einhaltung der Disziplin innerhalb seines Klosters – und spricht damit das Problem religiöser Diversität innerhalb des Mönchtums an, das ihn besonders betraf.106 Als Grundproblem verbindet sich hier das sich eigenmächtige Hinwegsetzen über göttliche Gebote mit dem besonders im 12. und 13. Jahrhundert virulenten Deutungsproblem religiöser Vielfalt inner- und außerhalb der Kirche.107 In beiden Fällen stellte sich die Aufgabe, aus der religiösen Pluralität und Devianz eine göttliche Planmäßigkeit abzuleiten, geschieht doch in geschichtstheologischer Vorstellung alles nach den „unerforschlichen, tiefen Ratschlüssen Gottes“, „ohne dessen Befehl kein Blatt auf die Erde fällt“.108 Bezugspunkt innerhalb der Diversität der Sachverhalte bleibt der Wille Gottes, d.  h. das komprehensive Erfassen seines Wollens, da sich der 102 Ego enim aliquando sub lege preter legem vixi, auditor legis, non factor. Sub religione eram, sed totus pene irreligiosus; sub libertate ordinis libere peccabam in ordine, Arnold, Chronica, V, 13. Ed. Lappenberg (1869), 187. Eng orientiert sich Arnold v.  a. an den Paulusbriefen, Nachweise im Apparat bei Lappenberg, ebd. 103 Als Grundbegriff der Theologie und Philosophie steht ordo für eine Vielfalt von Reflexionen, „die alle Gebiete des Wissens, der Wissenschaft und der Deutung von Welt und Gesellschaft umfassen.“ Allgemein impliziert die Reflexion über ordo die Annahme, dass sich hinter der Verschiedenheit der Welt das Wirken Gottes und eine Harmonie verbergen. Die einzelnen Teile wie auch das Ganze sind aufgrund der „Teilhabe (participatio) des erkennenden Geistes am göttlichen Intellekt“ erkennbar, Oexle, Ordo (2002), Sp. 1436. 104 Vgl. Melville, Geschichte (1982), 135–138 und Scior, Eigenes (2002), 239–242. 105 Nam quod illis dispensatio, nobis mutationis est remissio. Ordo enim de die in diem per plurimorum mutationes, qui non pro ordine, sed contra ordinem dispensant, vergit ad occasum, ita ut nunc in hoc tempore fere nemo sciat, quid sit ordo, sed ordinis prevaricatio, Arnold, Chronica, V, 13. Ed. Lappenberg (1869), 188. Scior konstatiert in der Betonung der Benediktsregel, verbunden mit einer Kritik der superbia der Mönche, eine mehrfache Rivalität bzw. Abgrenzung des benediktinischen Mönchtums: von den Laien, von den Kanonikern und von den Reformorden, Scior, Eigenes (2002), 240–242. Zudem vermutet er eine Verbindung mit der konkreten Situation im Johanniskloster, die von wirtschaftlichen und disziplinaren Schwierigkeiten gekennzeichnet war. Sittenverfall und Sündhaftigkeit zeigen sich aber auch bei den Kreuzfahrern und im Reich, wo der Thronstreit einen dauerhaften Frieden verhindert, ebd., 245; 252. 106 Das Johanniskloster in Lübeck war seit seiner Gründung der einzige Benediktinerkonvent in Holstein, doch konnten die Benediktiner im Gegensatz zu den Zisterziensern keine weiteren Niederlassungen gründen und blieben weitgehend isoliert. Erschwert wurde die Situation durch Spannungen mit dem Lübecker Domkapitel, Panzer, Chronik (2008), 49  f. 107 Vgl. die Klage Anselms von Havelberg, Dialogi. Ed. Migne (1855), Sp. 1141  f.: Quare tot novitates in Eccelesia Dei fiunt? Quare tot ordines in ea surgunt?; dazu Melville, Geschichte (1982), 119; Eberhard, Ansätze (1985). 108 Otto von Freising, Chronicon 2, 36. Ed. Lammers (2011), 173; Goetz, Geschichtshandeln (2013), 138.

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göttliche Plan erst in menschlicher Deutung offenbart.109 Erst im Rückblick auf sein eigenes Leben gelingt Arnold in seiner confessio ein geschlossenes Erkennen der eigenen conditio und er vermag die einzelnen Stationen seines Daseins in Einklang mit den überzeitlich gültigen Botschaften der Heiligen Schrift zu bringen. Wichtiger als die Erinnerung geschichtlicher Sachverhalte ist Arnold die stete Vergegenwärtigung Gottes.110 Desgleichen ermöglicht auch erst die Darstellung geschichtlicher Ereignisse in ihrer Vielfalt die Überwindung des veränderlichen Einzelnen und damit das (genuine) „Erfassen von Mensch und Welt“.111 In der Darstellung Arnolds tritt das Verständnis von historia als „Wissensträger, der sachgemäß erstellt und ausgelegt werden wollte, um als ein brauchbares Instrument den eigentlichen Wissenschaften dienen zu können“112 erkennbar hervor.113 Die Anordnung der einzelnen Darstellungen und die eingeschobenen Reflexionen in der Chronik deuten darauf hin, dass Arnolds Augenmerk nicht auf bestimmten Personen und politischen Handlungsstrategien lag, sondern eher in enger Verbindung mit monastisch geprägten „grundsätzlichen Handlungs- und Auffassungsmuster[n]“ stand.114 Diese Prägung zeigt sich neben den Zuschreibungen zum benediktinischen Mönchtum in der konnotativen Füllung des Dargestellten. Häufige Zitate aus der Bibel und anderen Autoritäten wie auch die von Arnold selbst verfassten Reflexionen dienen einer qualifizierenden Beurteilung des vielfältigen Stoffes und ergänzen die narratio in Form einer argumentatio.115 Referenzobjekt ist der hinter den zeitlichen Erscheinungen stehende unveränderliche Sinn, der aus menschlicher Perspektive

109 Melville, Geschichte (1982), 124–126; Goetz, Geschichtshandeln (2013), 136  f. 110 Eius memoriam omnibus preferam, quia recordatus est mei, et factus est michi in salutem, Arnold, Chronica, V, 13. Ed. Lappenberg (1869), 187; vgl. Röm 1, 20 und Augustinus, Doctrina christiana. Ed. Martin (1962), 8; Melville, Geschichte (1982), 134. 111 Ebd., 130–134. Wie bei anderen Historiographen bestand bei Arnold ein wesentliches Ziel der Geschichtsschreibung in der Sinnstiftung für die Gegenwart. Zu den Merkmalen der mittelalterlichen Historiographie siehe u.  a. Goetz, Geschichtshandeln (2013); Ders., Geschichtsschreibung (1999), 91  f.; 130–134  f.; Partner, Writing (2005); Laudage, Fakten (2003); Schmale, Funktion (1993); Werner, Gott (1987). 112 Melville, Geschichte (1982), 108. 113 Vgl. Panzer, Chronik (2008), 60. Im augustinisch geprägten mittelalterlichen Verständnishorizont wollte die narratio rei gestae generell als Nachzeichnung der göttlichen Ordnung verstanden werden, doch waren die konkreten Ausformungen des geschichtlichen Stoffes nicht unbedingt deckungsgleich mit theoretischen und theologischen Vorgaben, Augustinus, Doctrina christiana. Ed. Martin (1962), 63; Melville, Geschichte (1982), 90; 94  f. 114 Schütte, Staufer (2008), 146; Panzer, Chronik (2008), 65. Im Unterschied zu Adam von Bremen und Helmold von Bosau stehen bei Arnold auch in der Beschreibung der Bischöfe mönchische Ideale stärker im Vordergrund, Scior, Eigenes (2002), 233–238; siehe auch Grabkowsky, Arnold (1993), 228. „Arnold ist in erster Linie Mönch, so hat er auch von dem Mönchsleben, wie es sein soll und wie er glaubt, dass es in den frühesten Zeiten gewesen, sehr ideale Anschauungen (…)“, Damus, Slavenchronik (1873), 12. 115 Melville, Geschichte (1982), 107.

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kaum aufscheint.116 „Weiß man aber dann kraft der ‚intellegentia‘ um diese Grundlagen der Welt im göttlichen ‚ordo‘, so kann dessen bleibende Harmonie eben auch in der Welt selbst gesucht und gefunden werden.“117 Grundsätzlich unterliegen die actiones hominum den gleichen anthropologischen und heilsgeschichtlichen Grundbedingungen, sind vergleichbar und können in ihrer Vielfalt als „Lehrbuch des Lebens“ genutzt werden, so sie denn medial verfügbar sind.118 Der hermeneutische Zugang zur Erfahrungswirklichkeit zielte im Mittelalter generell darauf ab, die Welt anhand von Ähnlichkeiten und Analogien zu deuten und dabei den Spielraum möglicher Deutungen zu systematisieren und einzugrenzen. Schon aus der Widersprüchlichkeit der Erscheinungen ergab sich die Notwendigkeit, einen tieferen und mehrfach gestuften Sinn anzunehmen.119 „Schlüssel zum Bedeutungskosmos der Welt“ war die Bibel,120 doch setzte dieses Verständnis eine objektive Welt voraus. Mit der bei Arnold ausgeprägten geschichtstheologischen Deutung historischer Ereignisse lässt sich auch die Position des Burchardberichtes im letzten Buch der Chronik erklären. Eingefügt ist der Bericht zwischen der Darstellung der Gefangenschaft und Befreiung des Kölner Erzbischofs Bruno 1206/1207 (Kap.  3–7) und der von Streitigkeiten begleiteten Wahl des Bischofs von Ratzeburg (Kap.  9), gefolgt vom Streit um den Bremer Bischofsstuhl (Kap.  10), welcher bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Chronik nicht gelöst war und mit dem die Chronik endet.121 Chronologisch und thematisch hätte der Bericht besser ins zweite oder vierte Buch gepasst, eine Verbindung zum dritten Kreuzzug oder zur Schilderung der Assassinen durch Arnold selbst wäre eine Alternative gewesen.122 An dieser Stelle scheint der

116 Goetz, Geschichtshandeln (2013), 137. 117 Melville, Geschichte (1982), 126. 118 Melville betont die durch den Vergleich nivellierte zeitliche Dimension von Vergangenheit und Gegenwart. Zunächst wies sich Memoria als „eine Verfügungspotenz über Wissen von Vergangenem aus, indem sie die Dimension des Zeitverlaufs aufhebt und damit die Flüchtigkeit des Einstigen zurückholt in eine stete (imaginative) Gegenwärtigkeit“, ebd., 100. 119 Der Merkvers der Hermeneutik fasst die Lehre vom vierfachen Schriftsinn zusammen: Littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia, Bormann, Hermeneutik 113. Zum mehrfachen Schriftsinn siehe Schumacher, Einführung (2010), 35–39; Bezner, Vela (2005), 41–57; Brinkmann, Hermeneutik (1980); Ohly, Sinn (1958). 120 Theißen, Verstehen (2014), 26. „Gott spricht unabhängig vom Menschen durch die Dinge und verleiht so der Bibel einen zusätzlichen Sinn“, ebd., 27 121 Arnold, Chronica, VII, 19. Ed. Lappenberg (1869), 249. 122 Arnold legte Wert auf die chronologische Reihenfolge seiner Schilderungen, rechtfertigte mit Horaz jedoch auch Vor- und Rückgriffe in der Darstellung, die ab Buch V, 18 einsetzen, Arnold, Chronica, V, 7. Ed. Lappenberg (1869), 183: Ut iam nunc dicat, iam nunc debentia dici pleraque differat et presens in tempus omittat (Horaz, Ars poetica v. 43 und 44, 6. Ed. Schäfer [1972]); Grabkowsky, Arnold (1993), 222. Auch bei anderen eingefügten Briefen ist der Bezug zu den geschilderten Ereignissen nicht immer erkennbar, u.  a. die am Ende des sechsten Buches inserierten Briefe über die Eroberung Konstantinopels, mit denen er ebenfalls die narracio regum unterbricht, Arnold, Chronica, VII, I. Ed. Lappenberg (1869), 230; unvermittelt scheinen auch V, 14 und 15, 188–191.

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Burchardbericht zunächst ohne Verbindung zum Rest des Dargestellten und folglich ohne näher bestimmbare Funktion. Tatsache bleibt, dass Arnold den Burchardbericht rund 30  Jahre nach dessen Entstehungszeit für überlieferungswürdig und grundsätzlich mit seiner Darstellungsabsicht vereinbar erachtete. Bislang gar nicht beachtet wurde, dass Arnold seinen Einschub mit spezifischen Navigationshilfen versah: Mit dem einleitenden Horaz-Zitat deutet Arnold auf das Interesse und den Nutzen der hier vermittelten Informationen für die Leser hin, der die Unterbrechung der Darstellung rechtfertigt:123 Quia aut prodesse volunt aut delectare poete nos paululum dimissa hystoria regum ad alia nobis comperta et utilitati legentium profutura ad egyptum et partes lybye transeamus.124 Ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erhält Burchard durch den anschließenden Kommentar, mit dem Arnold eine auf Sinnerschließung ausgelegte Interpretation des in seiner Absicht anscheinend nicht ohne weiteres dekodierbaren Berichtes nachliefert. Der Nutzen des Berichts zeigt sich im höheren Sinn, den Arnold der Existenz der Anders- oder Ungläubigen zumisst. Die Daseinsberechtigung der Andersgläubigen deutet Arnold als gottgewollt, „da Gott in seiner Sanftmut auch den Ungläubigen nicht vom Geschenk seiner Gnade (pietas) ausschließt“.125 Erklärungsbedürftig scheint besonders der Reichtum der Muslime sowie das kulturelle und wirtschaftliche Gefälle, doch wird der Reichtum an irdischen Gütern in heilsgeschichtlicher Perspektive mit himmlischem Lohn kompensiert: Nur dem „Gerechten, Demütigen und Frommen, der seine Gebote fürchtet, verleiht Er den Lohn des ewigen Lebens (…), dem Gottlosen aber, dem einst ewige Verdammnis zuteil

123 Das Zitat betont das Entweder-Oder von Belehrung und Unterhaltung und deutet hier weniger auf die Unterhaltungsfunktion des Berichtes hin, so aber Hucker, Historia (1988), 101; Panzer, Chronik (2008), 70; vgl. Arnold, Gesta. Ed. Schilling (1986), 15. Das vollständige Zitat Horaz‘ enthält dagegen beide Optionen: aut prodesse volunt aut delectare poetae aut simul et iucunda et idonea dicere vitae, Horaz, Ars poetica, v. 333 und 334. Ed. Schäfer (1972), 24. Durchaus denkbar ist, dass Arnold absichtlich nur den ersten Teil zitierte, denn Arnolds „Bildung entspricht dem, was man von dem guten Stande dieser Schulen zu jener Zeit weiß: eine Menge von Citaten aus römischen Dichtern, Virgil, Horaz, Ovid, Statius, Fortunat zeugen von seiner Belesenheit in diesem Literaturzweige, daneben kennt er genau die Vulgata, wie dies von einem Geistlichen vorauszusetzen, und eine Reihe von Legenden, auch die Dialogi Gregorii citiert er“, Damus, Slavenchronik (1873), 11. Arnold verwendet in der Chronik weitere Zitate von Horaz und anderen antiken Autoren, Lappenberg, Ausgabe (1838), 573  f. 124 Vgl. diese Botschaft mit Röm 15, 4: quaecumque enim scripta sunt ad nostram doctrinam scripta sunt ut per patientiam et consolationem scripturarum spem habeamus. Eine wörtliche Bezugnahme zu dem Römerbrief besteht zwar nicht, doch sind inhaltliche Übereinstimmungen mit Arnolds Kommentar auffällig. Das betrifft die Aufforderung zur Nächstenliebe (Röm 15, 2), die zukünftige Verheißung (Röm  15, 8), die gemeinsame Gottesverehrung (der Juden) mit den Heiden und den gemeinsamen Lobpreis (Röm 15, 9–11), v.  a. aber den Aufruf zur Einmütigkeit der Gemeinde. 125 Laurent, Chronik (1896), 332. Quid inter ista considerandum nisi immensa clementia Redemptoris, que nec iustum, nec impium dono sue pietatis patitur esse expertem, Arnold, Chronica, VII, 8. Ed. Lappenberg (1869), 241. Grunderkenntnis ist die unbedingte Anerkennung des Menschen und der Schöpfung durch Gott, die in der biblischen Begründung als objektive Wahrheit gilt.

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wird, gestattet Er in diesem Erdenleben Überfluss an zeitlichen Gütern.“126 Die Prophezeiung der Verdammnis ist aussagekräftig, die Erlangung der reichen Gebiete der Ungläubigen gemäß biblischer Prophezeiung nur eine Frage der Zeit.127 Im gleichen Atemzug erinnert Arnold seine Leser aber an die gebotene Nächsten- bzw. Feindesliebe.128 Die unüberwindbare religiöse Diversität wird transzendent begründet und damit bewältigt, ohne dass auf anderen Wegen eine Einheit gesucht wird.129 In die Zukunft gerichtete Pläne, Hoffnungen und Vorhaben bleiben unausgesprochen und „der geschichtlichen Wirksamkeit Gottes überlassen“.130 Während im Zusammenhang mit den Kreuzzugsdarstellungen Christen und Muslime als aktuelle Feinde kontrastiert werden, und auch geographische Räume in dieser Polarisierung beschrieben werden, werden die Muslime hier nicht ausdrück126 Laurent, Chronik (1896), 332. Iustum quidem, humilem et quietum, et trementem sermones suos, premium vite eterne concedens, summo bono, quod ipse est et aspectu sue claritatis beatificat. Impium autem quandoque in hac mortali vita temporalibus bonis eternaliter dampnandum exubare permittit. Inde est, quod ipsi reprobi optimas regiones tenentes, frumento, vino et oleo abundent, auro, argento, gemmis, vestibus quoque sericis exultent, aromatibusque pigmentis et balsamis luxurient, et nichil, quod oculis concupiscant, intemptatum reliquant, Arnold, Chronica, VII, 8. Ed. Lappenberg (1869), 241. 127 Vgl. Psalm 37, 28  f. 128 Digilite inimicos vestros, benefacite his, qui oderunt vos, ut sitis filii patris vestri, qui in celis est, qui solem suum oriri facit super bonos et malos, et pluit super iustos et iniustos, Arnold, Chronica, VII, 8. Ed. Lappenberg (1869), 241, nach Matthäus 5, 44–45. 129 Es geht Arnold in seinem Kommentar nicht um eine Diskussion von Glaubensgrundsätzen, in der das Christentum seine Überlegenheit demonstrieren könnte; eine Auseinandersetzung mit anderen Glaubensformen findet hier nicht statt. In seinem Kommentar bezieht sich Arnold nicht auf die geläufige Deutung der Muslime als Nachkommen Ismaels, sondern ausdrücklich auf die Erzählung von Jakob und Esau, Gen 25, 19–33. Da Jakob sich durch Betrug und List den Segen Isaaks erschleicht, wird der Erstgeborene Esau benachteiligt. Letztendlich erkennt Jakob sein Vergehen und söhnt sich mit Esau aus. Jakob wird zum Stammvater der Juden und damit auch der Christen, doch ist er eine ambivalente Figur. Esau gilt als Stammvater der Edomiten, die mit den Arabern gleichgesetzt werden. Sie sind in der Exegese Inbegriff der Feinde der Juden und des Göttlichen; sie geben ihren Gefühlen nach und sind gezeichnet von Gier und Vorteilssucht. Sie verweigern Moses und dem Volk Israel den Durchzug, Num 20, 17–19. Als Paradigma für die Ungleichheit und Beziehung zwischen Christen und Muslimen ist die Erzählung allerdings problematisch, da Betrug, väterlicher Segen und Verheißung eng miteinander verwoben sind, auch wenn Esau um materieller Vorteile willen sein Erstgeburtsrecht verkauft. Ungeachtet weiterer Auslegungsmöglichkeiten handelt es sich hier um einen Streit unter Brüdern. Ursache allen Übels ist auch hier die Einmischung in göttliche Entscheidungen, die nicht anders als irrtümlich sein kann, da Gottes Handeln den Menschen grundsätzlich nicht vollständig verständlich ist. Erst später im AT wird der Hass beider Völker, der Juden und Edomiter, offenbar, 1. Sam 14, 47; 2. Sam 8, 14; 1. Kön 11, 14–22; 2. Kön 14, 7. Auschlaggebend für Arnolds Deutung dürfte auch der Ortsbezug der Edomiter an der Grenze zu Palästina gewesen sein. 130 Vgl. Eberhard, Ansätze (1982), 385. Scior hingegen sieht die Funktion des Berichtes auf Zukünftiges gerichtet: „Denn wenn die Beschreibung der Region Egyptus et partes Libie in Arnolds Worten überhaupt mit der Historia Regum, die gegen Ende der Chronik auf die Kaiserkrönung Ottos IV. hinausläuft, in Verbindung steht, so liegt es nahe, die Funktion der Insertion darin zu erblicken, eine Beschreibung derjenigen Gebiete und Bewohner zu geben, auf die sich ein künftiger Kreuzzug unter Kaiser Otto IV. richten könnte“, Scior, Eigenes (2002), 326.

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lich als Feinde identifiziert, denen im Diesseits der Kampf angesagt werden muss.131 Die Differenz zwischen Muslimen und Christen wird offensichtlich, aber ist allgemein auf Ungläubige bezogen, eine Forderung nach Eroberung oder Bekehrung der Sarazenen formuliert er nicht.132 Dabei wäre eine polarisierende Deutung von Christen und Muslimen durchaus denkbar gewesen, zumal Arnold zur Untermauerung seines Kommentars die Psalmen 37, 72 und 73 heranzieht, aus denen er deutlich schärfere Sätze hätte auswählen können.133 Auch bezeichnet er in seiner eigenen Darstellung das Heer Saladins als legio Sathane134und etabliert auf mehreren Ebenen Gegensätze zwischen Muslimen und Christen.135 Uneinigkeit und Sündhaftigkeit der Kreuzfahrer kontrastiert Arnold mit der Einmütigkeit der Feinde und erklärt so das Scheitern des Kreuzzuges.136 In Bezug auf einen künftigen Kreuzzug und die „Inbesitznahme dieser Länder“ sieht Volker Scior daher auch die Funktion des Berichts.137 In seiner Untersuchung vertritt er die Auffassung, dass der Fokus des überwiegenden Teils der Chronik auf dem Kreuzzug und der Ausweitung des Reichsgebietes liege.138 Vornehmlich mittels der eingefügten Reisebeschreibungen in den Orient — neben dem 131 In seinen eigenen Kapiteln ist Arnolds Sicht auf die Muslime meist deutlich schärfer und als diesseitige Feindschaft akzentuiert, ebd., 246–252; vgl. Belegstellen bei Scior, Mediterranean (2004), 108. Nur in zwei weiteren Passagen wird bei Arnold eine Gemeinsamkeit von Christen und Muslimen betont, die er auffälligerweise andere vortragen lässt (V, 27 und 28), Ders., Eigenes (2002), 251. Zur Frage der Toleranz gegenüber Andersgläubigen siehe u.  a. Angenendt, Toleranz (2009); Borgolte, Gott (2009); Auffahrt, Pluralismus (2007); Augustin, Pluralismus (2006); Patschovsky/Zimmermann, Toleranz (1998); Broer/Schlüter, Toleranz (1996); Daniel, Islam (1960); zur Thematik der Fremdbeschreibungen siehe auch: Schnell, Christen (1993), 198  f.; Wolfzettel, Entdeckung (1993); Möhring, Islam (1993); weitere Titel bei Scior, Eigenes (2002), 248 Anm. 121. 132 Impius, inimicus, iniustus, gentilis sind die Bezeichnungen für Muslime im Kommentar, welche alle aus der Bibel stammen, während Arnold zur Beschreibung der Gegenwart genauere Termini benutzt. Besonders häufig sind neben saraceni die Bezeichnungen hostes, adversarii, infideles, legio Sathanae, vgl. ebd., 249. 133 Z.  B. Psalm 72, 9–11; 73, 19–20. 134 Arnold, Chronica, V, 26. Ed. Lappenberg (1869), 203. Aber auch die Gegner Heinrichs des Löwen werden als filii Belial bezeichnet, ebd., II, 10 und 11, 133. 135 Scior, Eigenes (2002), 248–251. 136 Arnold, Chronica, V, 29. Ed. Lappenberg (1869), 209; Scior, Eigenes (2002), 312. 137 Scior, Eigenes (2002), 325  f. Scior untersucht das Problem von Alterität und Identität in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck anhand von Selbst- und Fremdzuschreibungen. In seiner Behandlung des Burchardberichtes steht entsprechend die Beschreibung der Alterität im Mittelpunkt. Den Kommentar Arnolds deutet er Hinblick auf einen zukünftigen, aber nicht explizit erwähnten Kreuzzug, doch lässt er die Positionierung des Berichtes innerhalb des Kapitels und die tatsächlich von Arnold zur Kommentierung herangezogenen Psalmenzitate weitgehend unberücksichtigt; auch basiert seine Untersuchung noch auf einer unsicheren Quellenlage, was die Veränderungen durch Arnold betrifft, so dass auch Burchard zuzuschreibende Wendungen nicht eindeutig zugeordnet werden, ebd., 320–327. 138 Scior, Eigenes (2002), 263–265; 328–331; auch Ders., Mediterranean (2004), 110. Anders als bei Burchard folgt dem Brief Konrads von Querfurt über Apulien und Sizilien die Schilderung des Eroberungszugs Heinrichs VI. in dieses Gebiet, Arnold, Chronica, V, 20. Ed. Lappenberg (1869), 197.

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Burchardbericht sind hier die Peregrinatio Heinrichs sowie die Routen der Kreuzfahrer zu nennen — zeige Arnold unterschiedliche Routen in die terra sancta auf und konstituiere so einen Mittelmeerraum, für den er eine „Vorherrschaft des lateinischen Kaisertums“ beanspruche.139 Welchen konkreten Stellenwert das Heilige Land neben seiner religiösen Bedeutung für Arnold hatte, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Im Gegensatz zur peregrinatio oder expeditio gehorcht die legatio Burchards keiner religiösen Programmatik, da nicht die loci sancti das Hauptziel der Reise darstellen.140 Rahmung und Position des Berichtes weisen eher auf eine Spiegelfunktion der Darstellung Burchards hin: Neben dem geographischen, ethnischen und religiösen Gegensatz besteht v.  a. in der Einmütigkeit der Bewohner Ägyptens ein Kontrast zu den innerchristlichen Zwistigkeiten und deren destabilisierenden Konsequenzen für Norddeutschland, die Arnold in den umgebenden Kapiteln ausführt.141 Die von Arnold zitierten Psalmen richten sich gegen Neid, Habgier und Ungeduld, letztlich gegen fehlendes Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes, die doch allen zuteil wird.142 Gleich im anschließenden 139 Scior, Eigenes (2002), 327; Ders., Mediterranean (2004), 116. 140 Vgl. dagegen die Darstellung der Motive Heinrichs des Löwen, Arnold, Chronica, I, 1. Ed. Lappenberg (1869), 115  f.; Scior, Eigenes (2002), 293. Die an mehreren Stellen geübte Kritik an der materiellen Gewinnsucht der Kreuzfahrer lässt fragen, was Arnold von den tatsächlichen Eroberungsplänen Ägyptens hielt, denn das gelobte Land war nicht Ägypten, vgl. Num 14, 3. Kritik übt Arnold an der Uneinigkeit der Kreuzfahrer (V, 29, 209  f.) und stellt sie den Ägyptern gegenüber: En quo discordia cives perduxit miseros. Illim enim unamines perseverabant, isti autem dissidentes partim pugnabant, partim diversis negotiis vacabant. Et quia caritate refrigescente mente reversi sunt in Egyptum, ideo Egyptios, id est tenebrarum filios, contra se sentiebant erectos. Der Auszug aus Ägypten als Sinnbild war der Legende nach für Arnolds ehemaligen Bischof und Vertrauten Heinrich von besonderer Bedeutung: Berichtet wird über die Erscheinung Bischof Heinrichs als Taube, der von einer Nonne erbat, ein Jahr lang den Psalm ‚Da Israel aus Ägypten zog‘ zu beten, Deecke, Bischof (1853), 23. 141 Der Bericht schließt an die Darstellung der vom Papst eingeforderten Befreiung Brunos an. Der Zustand zwischen Otto und Philipp aber ist durch Unfrieden und Dissens gekennzeichnet, wie schon die Doppelwahl Verwirrung und Spaltung ins Reich brachte. Arnold, Chronica, VII, 6. Ed. Lappenberg (1869), 235. Auch im Anschluss an den Burchardbericht zu Beginn des 9. Kapitels stehen wieder der Streit und die Zwistigkeit unter Christen im Mittelpunkt. In VII, 12, 243–245 betont Arnold im Zusammenhang mit der Ermordung Philipps den grundsätzlich zweifelhaften Wert irdischer Herrschaft, vgl. Schütte, Staufer (2008), 121. Als Grund für Arnolds Fokussierung auf die Lasterhaftigkeit der christlichen Gemeinschaft vermutet Scior ein „Krisenbewußtsein (…), das sich auf seine eigene Gegenwart richtete und aus Problemen vor Ort speiste: in der Klostergemeinschaft, im Bistum Lübeck sowie im alten benediktinischen Mönchtum in der Nordalbingia“, Scior, Terra (2008), 163 (Zitat); 168. 142 Liefert doch der Erhalt der christlichen Kirche in heidnischer Umgebung und das friedliche Zusammenleben der Menschen unterschiedlichen Glaubens einen Beweis der göttlichen Gnade: Hec de statu gentilium sive ecclesie, quam inter ipsos mirabiliter Deus conservare dignatur (…), Arnold, Chronica, VII, 8. Ed. Lappenberg, (1869), 241; vgl. V, 28, 207–209. Arnold betont hier den gemeinsamen Schöpfer von Muslimen und Christen; die Muslimen unterstreichen ihre Forderung nach Barmherzigkeit mit der fraternitas zu den Christen – wenn nicht aus dem Glauben, dann als Menschen. Die gemeinsame Abstammung von den Erzvätern meint aber noch keine Gotteskindschaft der Muslime (und Juden). Unterschieden wird zwischen natürlicher und spiritueller Abstammung, dazu Knapp, Heiden

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Kapitel schreibt Arnold dem Bischof Isfried die geforderten Tugenden der Geduld, Enthaltsamkeit und Frömmigkeit zu.143 Angeprangert wird erneut der Streit um die Besetzung des Bischofsamtes, wiederum stehen hier die Probleme der Diversität und Zwietracht im Vordergrund.144 In der von Arnold vermittelten allegorischen und tropologischen Lesart dient der Bericht über Ägypten im weitesten Sinne als Exemplum,145 das hier zur Belehrung der Leser festgehalten wurde und als Mahnung zu verstehen ist.146 Als „Medium der religiösen Paränese und Didaxe“147 ist darunter keine literarische Gattung, sondern eine „rhetorische Funktion“ oder „Argumentationstechnik“ zu verstehen.148 Gemäß der Rhetorica ad Herennium149 bezieht das Exemplum seine argumentative Geltung aus der Historizität und Autorität des Dargestellten, gerade Beispiele aus dem nicht-

(2000). Vgl. den Wortlaut am Ende des Kommentars mit dem Schluss einer Hildesheimer Übersetzung des Briefes des Priester Johannes ins Lateinische: Et sic de statu terrae nostrae et situ nostraeque re­ giae maiestatis vobis satis dicta et relata sufficiant. Omnia infrascripta pro certo et pro vero poteritis aliis principus vestrae terrae relevare. Valete, Zarncke, Priester (1879), 891. 143 (…) vir magne patientie, summe abstinentie et totus religionis cultibus deditus, Arnold, Chronica, VII, 9. Ed. Lappenberg (1869), 241. 144 Facta est autem dissensio inter canonicos de electione, episcopo nondum funerato, Arnold, Chronica, VII, 9. Ed. Lappenberg (1869), 241. Eine Wahl sollte aber im mittelalterlichen Verständnis einmütig verlaufen, Maleczek, Abstimmungsarten (1990). 145 Das Exemplum bezeichnet als literarischer Begriff eine „zumeist kurze Erzählung einer historisch oder quasihistorisch bzw. mythisch belegten Tat (factum) oder Äußerung (dictum) zum Zweck der Belehrung oder des Beweises“, Schürer, Exemplum (2005), 15; 67–94. Besondere Bedeutung erlangte dieser Modus der exemplarischen Rede im monastischen Kontext seit dem 12.  Jahrhundert; der Gebrauch wird in den artes praedicandi empfohlen und aufgrund der belehrenden Tendenz besonders in moralphilosophischen Schriften verwendet, ebd.; Menzel, Historia (2006); Ders., Predigt (1998); Raumer, Exempel (2002), Sp. 161; Daxelmüller, Exemplum (1984), Sp. 627. 146 Zur didaktischen Dimension und Funktion der Chronik siehe Panzer, Chronik (2008), 60–65; vgl. die Spiegelfunktion der Darstellung der dänischen Könige Knut IV. und Waldemar I. in Hinblick auf das Reich, Scior, Eigenes (2002), 259  f. 147 Schürer, Exemplum (2005), 15. 148 Ebd., 56. Markus Schürer lehnt sich an die Definition von Rudolf Schenda an, der das Exemplum als „eine didaktische Proposition mit moralisierender Tendenz“ definiert. Exemplum ist also sowohl ein Sammelbegriff für die verschiedensten literarischen Gattungen als auch ein Funktionsbegriff, keineswegs eine selbständige Gattungsbezeichnung, ebd., 56; Schenda, Stand (1969), 81; von Moos, Geschichte (1996), 44. Definitionskriterien des Exemplums hat Berlioz erarbeitet, Berlioz, Récit (1980), 118  f. 149 Der aus der Antike stammende Text (86 v. Chr.) wurde im gesamten Mittelalter überliefert, die dort enthaltene Definition des Exemplums war maßgeblich: Exemplum est alicuius facti aut dicti praeteriti cum certi auctoris nomine propositio (Das Beispiel ist die Angabe irgendeiner Tat oder Äußerung aus der Vergangenheit, verbunden mit der Nennung eines zuverlässigen Gewährsmannes), Schürer, Exemplum (2005), 67  f. mit weiteren Literaturangaben. Aufgrund der Beziehungen Arnolds zu Hildesheim könnte ihm dieser antike Text bekannt gewesen sein, da die in Hildesheim um 1160 entstandene Rhetorica ecclesiastica „eine auf das Prozessrecht zugeschnittene Fassung der Definition der Rheto­ rica ad Herrenium enthielt“, ebd., 70.

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christlichen Bereich können dabei die Richtigkeit der Heilsfunktion erweisen.150 In gleicher Weise wie die Ereignisse der eigenen Geschichte ordnen sich die geschilderten fremden Phänomene als weiterer Einzelfall in die übergeordnete göttliche Sinnstiftung ein, der Kommentar fungiert als persuasio dieser Erkenntnis, geleitet von der Intention der Belehrung und Erbauung.151 Arnold macht sich Burchards konkrete Erfahrungen aus dem Bereich der experientia nutzbar, indem er sie der theologischen Erkenntnis unterwirft und aktualisiert.152 Die causa legendi und der Grund für die Aufnahme des Berichtes in die Chronik liegt in dieser Interpretation weder in der Darstellung der Fremde um ihrer selbst willen begründet, noch steht die Aktualität des Berichtes in Hinblick auf eine Konfrontation mit den Muslimen im Vordergrund. Geleitet wird die Lektüre des Textes von einer stark moraltheologisch ausgerichteten Deutung, zu der aber beide Teile gehören: die narratio und die argumentatio. Nach der intentio auctoris (in diesem Falle Arnold) wird die historische zur exegetischen und damit theologischen Aussage, in der aber ein mehrdimensionaler Schriftsinn mitschwingt.153 Begründet werden kann die Lesart des Berichts bei Arnold kaum mit einer grundsätzlich unüberwindbaren Differenzqualität des Geschilderten zu Arnolds eigenem bzw. zugänglichen Wissen. Die Darstellung der Assassinen, muslimischer Traditionen und geographischer Begebenheiten mussten Arnold nicht so exotisch vorkommen, dass er sie nicht anders als symbolisch verstehen konnte, zumal Arnold ein Interesse am Orient bekundet. Im religiösen und wirtschaftlichen, zunehmend auch im politisch-militärischen Bereich war Ägypten präsent. Der Orientbericht erfüllte für Arnold sicherlich mehrere Funk­

150 Ebd., 70–75. 151 Vgl. ebd., 52; 61  f.; Menzel, Historia (2006); Ders., Predigt (1998); Ders., Predigtorganisation (1991). Exemplasammlungen dienten nicht zur chronologischen Darstellung des Stoffes, sondern „schnitten den Stoff der Weltgeschichte genau auf den Predigtbedarf zu“, Menzel, Historia (2006), 4. 152 Eine eschatologische Perspektive ist einbezogen, da die angeführten Bibelzitate die „Erwartbarkeit endzeitlicher Erfüllung unter Beweis“ stellen, Schürer, Exemplum (2005), 76. In die Exemplasammlungen wurden die historischen Darstellungen „so gut wie unangetastet“ übernommen. Verändert wurden sie erst in der Verwendung in der volkssprachlichen Predigt. „Was in den Exemplasammlungen noch eine literarische Wiedergabe war, wurde in den Predigten ein aktiver Einsatz. Hier sollten die Exempla einem theologischen Gedanken dienen und eine über sie selbst hinausgehende theologische Aussage verdeutlichen“, Menzel, Historia (2006), 14. 153 Der Perspektivwechsel konnte den Blick auf die eigene Geschichte verändern: „Der kognitive Zugriff auf die ‚Größe und Schönheit der Schöpfung‘ als eigentlicher Zweck geistigen Bemühens bedarf zwar der strikten Abhebung von der Befangenheit in sinnlichen Wahrnehmungen und muss sich aufschwingen in die ‚Spiegelungen der Vernunft‘. Gelingen kann dies aber nur, wenn man sich ge­ rade der Vielfältigkeit des in Ort und Zeit aufscheinenden Geschaffenen gegenübersieht, jedoch nicht darin verwoben ist, sondern gewissermaßen alles von einem herausragenden Punkt aus ‚auf einen Blick‘ überschaut. Die Vielfältigkeit muss folglich entsprechend aufbereitet sein, dass sie zwar als solche belassen wird – gerade darin liegt der Unterschied zu einem ausschließlich rational abstrahierenden Vorgehen –, aber dennoch in Ganzheit gleichsam von außen ‚erfasst‘ werden kann“, Melville, Geschichte (1982), 133.

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tio­nen und enthält sowohl einen symbolischen als auch konkreten Inhalt.154 Doch ist der allegorische Aspekt stärker zu gewichten als die Verbindung zum Kreuzzug. Dass Einmütigkeit und Gottvertrauen zugleich Voraussetzungen für weitere Unternehmungen darstellen, steht außer Frage.155

VI.2.2 Verwendung als Heiliglandbeschreibung oder Pilgerbericht: Die Kompilation mit der Descriptio des Rorgo Fretellus Im Codex Vat. Lat. 1058 und den Münchener Fragmenten ist der Burchardbericht zusammen mit einer Heiliglandbeschreibung zu einer ‚Chronica Burchardi‘ kompiliert. Ohne Nennung eines Verfassers schließt sich diese unter dem Namen ‚Tractatus de distantiis locorum terrae sanctae‘ oder ‚Descriptio de locis sanctis‘ bekannte, aber „viel umstrittene“156 Schrift, die Rorgo Fretellus157 zugeschrieben oder zumindest mit ihm in Verbindung gebracht wird, mit den Worten vertam eia stilum sumens inicium a chebron que et ebron dem Burchardbericht an. Beide Texte bilden formal eine Einheit und sind nur durch einen Absatz getrennt. Inhaltlich setzt der ‚Tractatus‘ mit der Beschreibung Hebrons ein, schildert dann den Auszug der Israeliten aus Ägypten ins Gelobte Land und knüpft damit in geographischer Hinsicht an Burchards Darstellung an. Um Zeitpunkt, Ort und Umstände der Kompilation näher zu bestimmen, gibt es nur äußerst vage Anhaltspunkte, zumal über die Herkunft des mitüberlieferten Textes nichts Genaues bekannt ist. Zwar sind vom 12. bis 17.  Jahrhundert über 100 Handschriften tradiert, die direkt oder indirekt auf Fretellus zurückgeführt werden können158 und aus denen nachfolgende Autoren schöpften. Das Werk und sein Verfasser sind hingegen kaum erforscht. Die eindeutige Bestimmung des mutmaßlichen Verfassers Rorgo Fretellus wie auch die Datierung der in der Kompilation benutzten Textfassung des ‚Tractatus‘ sind aufgrund unzureichender textkritischer Vorarbeiten heikel, da das Abhängigkeitsverhältnis einer Reihe mit Fretellus in Verbindung ste-

154 Mehrdimensionalität und polyphone Hermeneutik sind Kennzeichen der mittelalterlichen Exegese, Theißen, Verstehen (2014), 21  f. Hingewiesen sei auf die interpretatorische Polyvalenz exemplarischer Rede, kontextbedingt können unterschiedliche funktionale Möglichkeiten realisiert werden, die sich gegenseitig nicht ausschließen, Schürer, Exemplum (2005), 58  f., 61. 155 Arnold, Chronica, V, 29. Ed. Lappenberg (1869), 209; Scior, Terra (2008), 169; Ders., Eigenes (2002), 312. Besonders Innozenz  III. vertrat nachdrücklich die Überzeugung, dass der Erfolg eines Kreuzzuges eng mit der Sündhaftigkeit der Christen zusammenhing, Phillips, Krieg (2012), 279. 156 Mayer, Rezension zu Rorgo Fretellus (1982). 157 Zu Fretellus siehe: Kedar, Fretellus (2000); Ders., Fazienda (1995); Hiestand, Centre (1994); ­Huygens, Peregrinationes (1994), 18  f.; Tobler, Bibliographica (1867), 16; Laurent, Fretellus (1858). 158 Hiestand, Centre (1994), 20; Boeren geht von 115 Handschriften aus, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), XXVII; auch Giese, Gesta (2011), 327.

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hender Schriften nicht geklärt ist. Unklar ist, inwieweit es sich bei den inhaltlich ähnlichen Texten um Vorlagen, Redaktionen oder Derivate eines Ursprungstextes handelt und welche Verfasser sich hinter diesen Fassungen verbergen. In der Beschreibung des Vatikanischen Codex von August Pelzer wird als Verfasser des ‚Tractatus‘ auch nicht Fretellus, sondern ein gewisser Eugesippus genannt,159 der als historische Person im Zusammenhang mit einer Heiliglandbeschreibung allerdings nicht nachweisbar ist.160 Die Zuschreibung beruht auf einem nachträglichen Eintrag in einer Handschrift aus dem 17. Jahrhundert, welche damit den einzigen und äußerst unsicheren Anhaltspunkt für die Existenz dieses Verfassers bietet. Datiert wird der ‚Tractatus‘ darin ins Jahr 1040: Incipit tractatus de distantiis locorum terrae sanctae quem compilavit Eugesippus anno Domini MXXXX.161 Da der Wortlaut dieses Eugesippus zugeschriebenen Textes nahezu identisch mit der üblicherweise als ‚Descriptio de locis sanctis‘162 betitelten Heiliglandbeschreibung des Rorgo Fretellus ist, der in dieser Fassung nur Widmung und Prolog fehlen, geht der Editor des Fretellustextes Petrus C. Boeren davon aus, dass es sich hierbei um eine Adaption durch Fretellus handelt, welche als Pseudepigraph Eugesippus zugeschrieben wurde.163 Aufgrund der Übereinstimmung beider Texte nimmt Boeren ferner an, dass der Euge-

159 Bibliothecae, II, 1. Ed. Vattasso/Pelzer (1931), 610; Beschreibung der Pius XII Memorial Library (online); vgl. Hiestand, Centre (1994), 8. 160 Bekannt ist unter dem Namen Hegesippus ein Kirchenvater aus dem 2.  Jahrhundert, den Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte zitiert, Eusebius, Kirchengeschichte, IV, 22. Ed. Schwartz/Mommsen (1999), 368  f.; Lietzmann, Hegesippos (1912). Von einem (Pseudo-) Hegesippus ist dann aus dem 4./5. Jahrhundert die lateinische Übersetzung der Geschichte des Jüdischen Krieges von Flavius Josephus überliefert, Schreckenberg, Flavius-Josephus-Tradition (1972), 56–58. Als eine Kurzform von Josephus (Josippus) ist der Name Egesippus oder Hegesippus seit dem 8. Jahrhundert bekannt, siehe Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 90 Anm. 12; 91 Anm. 15; aufgeführt ist der Name im Bibliothekskatalog aus Nazareth, aber ohne Nennung eines Werktitels, ebd., 90. Die Variante Eugesippus begegnet hingegen nur im Cod. Vat. Barb. Lat 2367, dazu die folgende Anm. 161 Gefunden und ediert wurde dieser Traktat auf Grundlage des Cod. Vat. Barb. Lat 2367 (17. Jh.) von Leo Allatius, Allatius (Ed.), ΣΥΜΜΙΚΤΑ (1653), 104–120; weitere Ausgaben: Schelstrate (Ed.), Antiquitates (1698), 529–567; Genesius (Ed.), Rebus (1733), Appendix 5, 1–9; Eugesippi Tractatus. Ed. Migne (1864), 991–1004. Die Heiliglandbeschreibung in dieser Form ist Boeren zufolge in mindestens sieben weiteren Handschriften überliefert, die Nennung des Titels und des Verfassers Eugesippus findet sich allerdings nur als Nachtrag von einer späteren Hand im oben genannten Codex, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 89. Aufgeführt ist ein tractatus de distantiis locorum terrae sanctae in einem Bibliothekskatalog aus Nazareth vom Ende des 12. Jahrhundert, der seit dem 15. Jahrhundert in der Bibliotheca Amploniana in Erfurt aufbewahrt wird, sowie zweimal im Katalog der Kartause Salvatorberg nahe Erfurt, seit dem 16. Jahrhundert ebenfalls in der Bibliotheca Amploniana. In beiden Fällen wird der Bericht Hieronymus bzw. einem Pseudo-Hieronymus zugeordnet, ebd., 89  f.; Lehmann, Bibliotheks-Kataloge (1928), 447; 530. 162 Ediert unter dem Titel Fretelli Archidiaconi liber locorum sanctorum terrae Jerusalem. Ed. Migne (1854), 1039–1052. 163 Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 87.

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sippus (oder Pseudo-Hieronymus) eine der Hauptquellen des Fretellus darstellte164 und Fretellus möglicherweise selbst unter diesem Namen schrieb.165 Über die Person Rorgo Fretellus, die Entstehung seiner ‚Descriptio‘ und seine Vorlagen, zu denen neben Hieronymus eben der ominöse Eugesippus gezählt wird, ist indes nur wenig gesichert.166 Die 1980 von Boeren vorgelegte Edition des Fretellus beruht auf falschen Vorannahmen und lässt viele Fragen offen.167 Einwände wurden zuletzt gegen Boerens fragwürdige Identifizierung des Rorgo Fretellus mit einem Laien gleichen Vornamens aus Nazareth erhoben.168 Mit überzeugenden Argumenten konnte Rudolf Hiestand nicht nur Boerens biographische Angaben zu Rorgo Fretellus korrigieren, sondern v.  a. neues Licht in die Genese der ‚Descriptio‘ bringen. Hiestand zufolge zog Rorgo zwischen 1111 und 1119 gemeinsam mit seinen älteren Brüdern aus Nordfrankreich169 ins Heilige Land,170 hatte 1119 vermutlich das Amt eines Kanzlers

164 „Selon toutes les apparences, le traité De distantiis locorum Terrae Sanctae est une des sources de Fretellus. Le traité ayant été tour à tour attribué à (pseudo-) Jérôme et à (pseudo-?) Eugesippus, on peut se demander, si ce (pseudo-) Jérôme et ce (pseudo-?) Eugesippus sont identiques ou non. (…) Au fond, les problèmes d’attribution et d’originalité se réduisent au seul problème des sources. La source-clef est bien le traité De distantiis locorum Terrae Sanctae, antérieure à la première Croisade et originaire du Proche-Orient“, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 92  f. Boeren datiert den Archetyp des Eugesippustextes, den seiner Ansicht nach auch Fretellus benutzt haben soll, auf die Zeit zwischen 1120 und 1130, ebd., 88; 92. 165 „Si la reconstruction du texte modèle se vérifiait, il faudrait admettre soit que Fretellus aurait publié la première ébauche de sa topographie sacrée sous le nom de plume Eugesippus soit qu’il aurait arrangé ou réfondu, en le traduisant du grec, un opuscule semblable d’un précurseur historique nommé Eugesippus. Au point où en sont les choses, il n’est pas encore possible de distinguer ce qui est tradition, ce qui est novation dans l’œuvre de Fretellus, moins encore de faire la part de Fretellus et la part éventuelle d’Eugesippus“, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), XXII. 166 Editionsvorhaben von J. C. M. Laurent 1858, R. Röhricht 1880 und W. A. Neumann 1881 wurden nicht realisiert, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 82; Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins IV (1881), 231. 167 „In spite of Boeren’s great learning as a Church historian, he had been ill-advised to undertake the publication of this particular work: being neither a philologist nor a specialist on the Crusaders or on the history and topography of the Crusader States, he was singulary ill-equipped for the task (…) The whole edition is amateurish (…)“, Huygens, Peregrinationes (1994), 18  f. 168 Mayer, Rezension zu Rorgo Fretellus (1982); Hiestand, Centre (1994), 20–35; 21  f.; Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1982), XI. 169 Hiestand lokalisiert die Familie Fretellus auf Grundlage der von Fossier edierten Urkunden der Region um Saint-Georges d‘Hesdin, in denen eine Familie namens Fretellus mehrmals erwähnt wird, sowie eines in der Descriptio enthaltenen Colophons in eben dieser Region um Saint-George d’Hesdin in der Grafschaft Ponthieu (Picardie), Hiestand, Centre (1994), 25  f.; Cartulaire. Ed. Fossier (1988), Nr. 47, 58; Nr. 142, 101. 170 Hiestand, Centre (1994), 23. Ihr Vater, Hugo Fretel, war zuvor von Balduin VII. von Flandern gefangen genommen worden. Die Brüder lösten ihn aus, zogen dann selbst ins Heilige Land; im Gegensatz zu den älteren Brüdern wird Rorgo nicht als Krieger erwähnt. Ob es sich bei dem in einer Urkunde von 1119 erwähnten Kanzler des Prinzen von Galiläa namens Rorgo Fretellus um dieselbe

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von Galiläa inne,171 wurde 1121 Kaplan des Bischofs von Nazareth und bekleidete ab ca. 1140 das Amt des Archidiakons von Antiochia.172 Wohl um das Jahr 1137 verfasste er seine ‚Descriptio‘ in mindestens zwei Versionen173: Eine war Heinrich Sdyck (oder Zdik, 1126–1150), dem Bischof von Olmütz gewidmet,174 die zweite wahrscheinlich Rodrigo Gonzales, Graf von Toledo (* vor 1085; † nach 1144), zugedacht.175 Neben

Person handelt, bleibt letztlich hypothetisch, ebd., 24; Mayer, Bistümer (1977), 300; Rheinheimer, Kreuzfahrerfürstentum (1990), 179. 171 Rheinheimer, Kreuzfahrerfürstentum (1990), 30. 172 Belegt ist ein Rorgo Fretellus als Kanzler von Joscelin de Courtenay, dem Fürsten von Galiläa, in einer Urkunde von 1119, 1121 als Kaplan in Nazareth. In der Widmung seiner ‚Descriptio‘ erscheint er als Archidiakon von Antiochia, Hiestand, Centre (1994), 20. Da diese Angabe in der späteren Version des Fretellusberichtes des Kardinals Rosselli getilgt ist, hält Boeren ein Archidiakonat in Antiochia für unglaubwürdig und spricht der Quellenangabe die Authentizität ab, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1982), Xf. Angaben in früheren Exemplaren der Descriptio sowie die Praxis, innerhalb des Patriarchats von Jerusalem hohe geistliche Ämter mit Kandidaten aus anderen Kreuzfahrerherrschaften und ohne entsprechende Weihe zu besetzen, sprechen aber dagegen, Hiestand, Centre (1994), 21  f. 173 Siehe dazu die Darlegung bei Hiestand, Centre (1994), 31. 174 Ediert von Boeren, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1982). Zu Heinrich Zdik: ebd., XIV–XVII; Hilsch Heinrich (2002). 175 Der Text entspricht weitgehend Fretellus. Ed. Migne (1854). Eine schlüssige Argumentation für die Dedikation liefert Hiestand, Centre (1994), 26–31. Rodrigo Gonzales (Rodericus Gundisalvi, Familie Lara) ging ein erstes Mal (wohl um 1137–1141) nach einem Konflikt mit König Alphons VII. ins Exil ins Heilige Land. Als sein Stellvertreter wird für 1137 in der ‚Chronica Adefonsi imperatoris‘ Rodrigo Fernanez aus der Familie Castro genannt. Kurz nach seiner Rückkehr verließ Rodrigo Gonzales endgültig seine Heimat, um –„empoisonné et devenu lépreux“ – im Orient sein Leben zu beschließen. Chronologie und Widmung der ihm zugedachten Heiliglandbeschreibung des Fretellus lassen stark auf eine Entstehung während seines ersten Aufenthaltes in Palästina schließen, ebd., 30; zu ­Rodrigo siehe Reilly, Kingdom (1982); Ders., King Alfonso (1998). Boeren geht entgegen dem handschrift­lichen Befund von einer Widmung für den Grafen Raimund V. von Toulouse aus und nimmt zudem die deutlich spätere Abfassungszeit 1148 an, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1982), XVIII; 72–75, so auch schon Laurent, Fretellus (1858), 10 und zuletzt Trovato, Genealogia (2012), 260–263. Die Grundlage seiner Annahmen ist die Textfassung einer dritten „offiziellen Version“ des Fretellusberichtes, die Boeren neben der „Version-Henri-Sdyck“ und der „première Version-comte-R.“ als „deuxième Version-comteR.“ bezeichnet. Diese entstand, als der Text der „Version des Grafen Rodrigo“ 1356 unter der Ägide Innozenz‘  VI. von Kardinal Nicolas Rosselli (1314–1362) in eine „offizielle“ Sammlung kirchlich relevanter Schriften aufgenommen wurde, der ‚Collectana ex diversis registris et libris Camerae Apostolicae‘ in sechs Bänden, zusammengestellt in Avignon in den Jahren 1356–1362, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 80–83; erste Edition bei Mansi unter dem Titel Fretelli archidiaconi Liber locorum sanctorum Terrae Jerusalem. Ed. Mansi (1761), 434–440. Die Veränderungen dieser Version sind allerdings irreführend: 1. ist die bei Fretellus stehende Abkürzung R. für Rodrigo irrtümlich mit dem Namen Raimund aufgelöst (neben dem Grafen Rodrigo erhielt aber auch der Erzbischof Raimund von Toledo eine Heiliglandbeschreibung in dieser Zeit, die nur in kastilisch erhaltene ‚Fazienda de ultra mar‘, verfasst von Amalrich von Limoges, dem Rorgo Fretellus als Archidiakon von Antiochia folgte, siehe Anm. 181); 2. wird in der biographischen Angabe Fretellus als archidiaconus bezeichnet, der Ort Antiochia jedoch nicht genannt, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 81; Hiestand, Centre (1994), 21. Verbreitung fand diese Version in der Folgezeit hauptsächlich in Italien und Spanien, während nörd-

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diesen beiden mit Widmung versehenen Versionen, die Fretellus auch inhaltlich auf die Erwartungen der Empfänger zugeschnitten hatte,176 kursierten weitere Texte, die in weiten Teilen mit der Fretellus zugeschriebenen ‚Descriptio‘ übereinstimmen, deren Verhältnis zu dieser aber nicht geklärt ist.177 Ob es sich bei der mit Burchard kompilierten Fassung des Fretellus um eine Version des Fretellus ohne Widmung, um eine spätere Bearbeitung oder tatsächlich um einen älteren Text (als vermeintliche Vorlage für Fretellus) handelt, bedarf weiterer Überprüfung, die eine detaillierte textgeschichtliche Untersuchung der Fretellusversionen voraussetzt. Auf Grundlage des derzeitigen Forschungsstandes scheint zumindest unwahrscheinlich, dass der mit Burchard kompilierte Text nicht auf Fretellus, sondern auf den ominösen Eugesippus zurückgeht, da es dafür keine Anhaltspunkte gibt. Abgesehen von dem oben erwähnten Verfassernachtrag in einer späten Abschrift enthält keine der zahlreichen früheren Abschriften des Fretellustextes einen Hinweis auf Eugesippus oder das Jahr 1040 als Abfassungszeit des Textes. Überhaupt keinen Beweis stellt die Übereinstimmung des Titels ‚Tractatus‘ (=Eugesippus) im Unterschied zu ‚Descriptio‘ (=Fretellus) dar, da Pilgerberichte ähnliche Titel aus einem begrenzten Repertoire trugen. Dass der Fretellustext ohne Widmung und Nennung des Verfassers kursierte, ist für einen mittelalterlichen Text dieser Gattung durchaus nicht ungewöhnlich.178 Vor allem aber stellen die von Boeren benannten

lich der Alpen und der Pyrenäen die „Version des Grafen Rodrigo“ im Umlauf blieb, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 83. Zu Nicolas Rosselli siehe: Vones, Rossell (1999). 176 Die Unterschiede führt Boeren auf, obgleich er davon ausgeht, dass die „Version Sdyck“ die ursprüngliche Fassung darstellt, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1982), 52–67; Hiestand, Centre (1994), 30  f. 177 Überliefert sind: 1. Fretellusfassungen ohne Widmung, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), XXVIII; 88; 2. Der sogenannte Innominatus VI, bestehend aus den Kapiteln 7–61 des Fretellus, ediert in: Neumann, Innominatus  VI (1868); Röhricht, Bibliotheca (1963), 35; Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 4; 3. Kompiliert wurde der Fretellustext mit der anonymen ‚Descriptio locorum circa Hierusalem‘ (ca. 1150), ediert in: Vogüé, Eglises (1860), 412–433; Röhricht, Bibliotheca (1963), 35; Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 3–5. Johann von Würzburg verwandte 75 % des Fretellus, was 45 % seines Werkes ausmacht, bei Theodericus beläuft sich der Anteil auf immerhin 26 % (er benutzte 46 % des Fretellus), Huygens, Peregrinationes (1994), 19; Übernahmen finden sich auch in der ‚Historia scholastica‘ des Petrus Comestor, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), XXVI, und bei Pseudo-Odorico da Pordenone, Trovato, Genealogia (2012), 250. Eine Klärung des Abhängigkeitsverhältnisses dieser Texte versucht Trovato, Genealogia (2012), allerdings ohne Kenntnis von Hiestand und Kedar. Aufgrund der Übereinstimmungen wurde in der früheren Forschung von einem „Compendium“ ausgegangen, das den Autoren zur Verfügung gestanden haben soll, i.  e. einer „ideale[n] Vorlage, welche erst durch die Kritik aus den älteren Beschreibungen des heiligen Landes und der heiligen Orte (…) auszuscheiden und zu construiren ist (…)“, Röhricht, Bibliotheca (1963), 32  f. 178 In der Unterscheidung der „Version Sdyck“ und der des Grafen Rodrigo ist die akephale Tradition des Fretellustextes nicht berücksichtigt, doch könnte diese den mit Widmung versehen Versionen (oder Verfasserredaktionen) des Fretellus auch vorangegangen oder zeitgleich in Umlauf gekommen sein. Dass eine erste „Version Sdyck“ vom Verfasser selbst nachträglich gekürzt wurde, erscheint weniger wahrscheinlich als eine nachträgliche Ergänzung eines schon existierenden Textes, zumal die

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Unterschiede der auf Eugesippus beruhenden Handschrift im Vergleich zur Version des Fretellus keine Alleinstellungsmerkmale dar, alle finden sich auch in Kombination schon in anderen Handschriften und sind daher nicht mit einer besonderen Nähe zu Eugesippus zu begründen.179 Fraglich ist, ob es sich bei Eugesippus überhaupt um eine historische Person handelt.180 Aufschlussreich in Bezug auf mögliche Vorlagen des Fretellus sind viel eher Übereinstimmungen mit der ‚Fazienda de Ultra mar‘, die Amalrich, Patriarch von Antiochia (1141/42–1196),181 in etwa derselben Zeit im Auftrag des Erzbischofs Raimund von Toledo anfertigte.182 Auffällig ist der Beginn beider Schriften mit Hebron, der sich sonst in keiner anderen Beschreibung findet. Die übereinstimmende Konzeption beider Schriften ist Hiestand zufolge auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen,

in der „Version Sdyck“ zusätzlich enthaltene Aufzählung der 42 Stationen der Israeliten auf ihrem Weg ins Heilige Land von Hieronymus stammt und für Rodrigo, der an aktuellen Informationen interessiert war, kaum nützlich sein konnte. Allerdings finden sich diese auch im Innominatus VI und der anonymen Descriptio, was ein Argument für zwei parallele akephale Traditionen sein kann. 179 Boeren hebt lediglich drei Unterschiede zur Version des Fretellus hervor: das Fehlen der Widmung und des Vorworts, die Variante Pilati pretorium anstelle von prelati pretorium und die Interpolation der Legende von der dreifachen Heirat Annas (trinubium Annae), welche erst ab ca. 1140 aufkam, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 87, siehe auch XXII; 87–93. Die Interpolation im ‚Tractatus‘ könnte jedoch auf den Kopisten zurückgeführt werden, der Glossen der Vorlage in den Text integrierte, denn Notizen zu dieser Legende finden sich auch im Ms. 360 von Cambrai, f. 157. Diese Handschrift vom Ende des 12. Jahrhundert zählt zu den ältesten Textzeugen des Fretellus und enthält gleichermaßen kein Vorwort, ebd., 48. Von den zahlreichen Handschriften stammt auch nur diese aus dem 12. Jahrhundert und müsste mit dem Wortlaut des Fretellustextes in der Chronica Burchardi verglichen werden. Wünschenswert wäre ein Vergleich der akephalen Textzeugen untereinander sowie mit weiteren Exemplaren der Fretellusüberlieferung, um Abhängigkeiten und Historizität der Varianten festzustellen. Boeren hat die akephalen Handschriften in seiner Rezensio nicht berücksichtigt, älter als der Vatikanische Codex 1058 dürften aber nur zwei weitere Handschriften sein, ebd., 88. 180 Die historisch nicht greifbare Person namens Eugesippus verortet Boeren in Nazareth, wo er auch Fretellus irrtümlicherweise ansiedelt. Besonders der Name scheint eigenartig, wie auch Boeren bemerkt. Dennoch hält er daran fest, dass sich dahinter ein tatsächlicher Autor verbirgt, der um das Jahr 1040 gelebt und geschrieben habe, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 87; 89; 91. Der Name klingt aber eher wie eine Verballhornung der griechischen Schreibweise von Eusebius (Εὐσέβιος), so auch Laurent, Fretellus (1858), 107. Alle Angaben zu einer historischen Person Hegesippus stammen von Eusebius von Caesarea, der den lateinischen Autoren wiederum durch Hieronymus bekannt ist. Fretellus selbst erwähnt Eusebius in seiner Descriptio der Version Zdick (Kap. 74: beatus Eusebius episcopus, ecclesiastice hystorie dictator illustris, ebd., 42), allerdings nicht in den anderen Versionen – es könnte sich also gut um ein Onomastikon handeln. 181 Rorgo Fretellus folgte Amalrich im Amt des Archidiakons von Antiochia nach, als dieser Patriarch wurde. Zu Amalrich siehe: Hamilton, Latin Church (2003), 38–51; Ders., Aimery (1999); Ders., Aimery (1995), 270  f.; Barber, Crusader States (2012), 207  f.; Hiestand, Centre (1994), 8–16. 182 Almerich, Fazienda. Ed. Lazar (1965). Die kastellanische Übersetzung dürfte allerdings erst im 13. Jahrhundert entstanden sein, Kedar, Fazienda (1995), 132.

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allerdings ist die ursprüngliche Version der Fazienda nicht erhalten.183 Die überlieferte kastellanische Version stammt vermutlich aus dem beginnenden 13.  Jahrhundert.184 Letztendlich ist auch hier eine Kompilation mit Fretellus nicht grundsätzlich auszuschließen und die Vermutung einer zugrundeliegenden gemeinsamen Quelle bleibt fraglich.185 Für die Kompilation mit Burchard kommt am ehesten eine akephale Version des Fretellus in Betracht.186 Die Zusammenführung beider Texte unter dem Titel Chronica Burchardi ließe sich entsprechend mit der fehlenden Verfasserangabe bei Fretellus begründen. Wann eine (oder mehrere) akephale Version des Fretellus entstand, kann nur gemutmaßt werden, da Boeren diese, obgleich ebenso häufig wie die anderen Versionen überliefert, nicht in seiner Rezensio berücksichtigt. Womöglich kam sie in derselben Zeit wie die mit Widmung versehenen Berichte in Umlauf, worauf die weitgehende Identität mit dem sogenannten Innominatus VI (oder Pseudo-Beda) hindeutet, dessen Entstehungszeit in der Mitte des 12. Jahrhunderts jedoch nicht gesichert ist.187 Zumindest kursierten im letzten Viertel des 12.  Jahrhunderts alle drei Fretel183 Hiestand, Centre (1994), 32–35. Als Begründung einer gemeinsamen Vorlage führt Hiestand den unterschiedlichen Charakter beider Schriften an, eine gegenseitige Beeinflussung schließt er dagegen aus: „Bien davantage, Aimery et Rorgo Fretellus se sont inspirés d’une même conception d’entreprendre leur tâche; ils ont certainement eu une source commune, car il paraît exclu que l’un d’entre eux ait pris comme source l’ouvrage de l’autre. (…) tandis que Aimery a voulu donner à ses lecteurs ce que l’on appellera une ‚bible romancée avec des forts élements géographiques‘ qui, malgré l’ordre chronologique suivi permettent de se rappeler à chaque endroit les passages bibliques qui s’y réfèrent, Rorgo Fretellus pour sa part, sur la base du même texte, en a plutôt tiré un guide classique“, ebd., 34. 184 Amalrich selbst sprach wohl kein kastellanisch. Kedar erklärt die aus der hebräischen Bibel stammenden Termini, die Hiestand auf die Vorlage zurückführt, mit einem späteren Übersetzer/Kompilator, der möglicherweise ein konvertierter Jude war, Kedar, Fazienda (1995), 135. 185 Martina Giese bezeichnet sie als „volkssprachige Bearbeitung“ des Fretellus und nicht als eigenständige Schrift, Giese, Gesta (2011), 328. Zur Abfassung seines Itinerariums griff Fretellus neben dieser möglichen Vorlage auf die Bibel, v.  a. aber auf Hieronymus zurück, womit sich die Einordnung eines möglicherweise mit diesem Text identischen tractatus de distantiis locorum terrae sanctae unter Hieronymus bzw. Pseudo-Hieronymus erklärt. Er zitiert Eusebius von Caesarea, nutzte Boeren zufolge noch eine Art „Topographie Palästinas“, welche ähnlich spekulativ wie das Compendium ist, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 91; vgl. Anm. 177. 186 Auch Johannes von Würzburg scheint auf diese Version zurückgegriffen zu haben, zumindest verwendet er den Fretellusbericht erst ab Kap. 7, vgl. Huygens, Peregrinationes (1994), 19. 187 Siehe Anm. 178. Röhricht gibt als Entstehungsjahr für den Innominatus 1148 an und führt sieben Handschriften auf, Röhricht, Bibliotheca (1963), 35. Graboïs datiert ihn, allerdings ohne weitere Begründung, erst ins Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhundert, Graboïs, Pèlerin (1998), 79 Anm. 18. Große Parallelen bestehen auch zu der anonymen Schrift ‚De situ urbis Jerusalem‘, die Röhricht um 1150 datiert, Röhricht, Bibliotheca (1963), 35  f., in der jüngeren Forschung aber schon 1130 angesetzt wird, Trovato, Genealogia (2012), 252, was wenig Sinn macht, wenn es sich um eine Überarbeitung des Fretellus handelt, vgl. auch Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 246 Anm. 22. In der Forschung wird der textgeschichtliche Zusammenhang obgleich der offensichtlichen Übereinstimmungen häufig übersehen, so zuletzt u.  a. Di Cesare, Prophet (2013), 26.

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lusfassungen in Europa und scheinen im 12./13. Jahrhundert ähnlich weit verbreitet gewesen zu sein.188 Die Gründe für die Kompilation sind gleichermaßen in der Form, dem Aufbau und dem Informationsgehalt beider Texte zu suchen, die sich nicht nur in geographischer Hinsicht ergänzen. Die Beschreibung der Topographie der bereisten Gebiete bei Burchard legt eine Verbindung mit einer Heiliglandbeschreibung oder einem Pilgerbericht189 nahe, da die strukturelle Darbietungsform nach itinerarischen Gesichtspunkten in dieser Gattung charakteristisch war.190 Als Pilgerliteratur ist der Bericht allein ungeeignet. Burchard liefert zwar eine Beschreibung des nicht häufig von Pilgern 188 Boeren führt folgende Handschriften für diesen Zeitraum auf: „Version-Sdyk“: neun, davon fünf aus dem 12./13.  Jahrhundert; „Version Graf R.“: sieben aus dem 12./13.  Jahrhundert; Version ohne Widmung: vier aus dem 12./13.  Jh, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 2  f.; 48–51; 88. Leider ist die Provenienz der Manuskripte bei Boeren nicht eindeutig ersichtlich; die „Version-Sdyk“ kursierte unter Prämonstratensern, die „Version Graf R.“ scheint nach Herkunft der Handschriften eher im französischen, die Version ohne Widmung eher im süddeutschen Sprachraum zirkuliert zu haben. Der erste Satz des Fretellus in der Vatikanischen Hs. wie auch in den Münchener Fragmenten enthält mit der Formulierung chebron que et ebron anstelle von est ebron eine Gemeinsamkeit, die auf eine fehlerhafte Vorlage hindeutet. 189 Pilgerberichte, Pilgerführer und Heiliglandbeschreibungen sind nicht deutlich voneinander abzugrenzen, da alle in unterschiedlicher Form religiöse, historische, topographische, ethnographische Hinweise und Informationen in die Beschreibung integrierten. Gemeinsam ist den Berichten die Eigenschaft, den Leser über eine Reise zu informieren und zum Nachvollzug anzuregen. Intention der Pilgerberichte war nicht, eine reale Reise mit aktuell verwertbaren Informationen zu bieten, sondern Stationen der Heilsgeschichte, die zugleich Menschheitsgeschichte war, abzubilden. Dagegen boten Pilgerführer als Itinerare das notwendige Informationsmaterial für nachfolgende Reisende, sie dienten nicht nur als Erfahrungsbericht, sondern lieferten Auskunft über Etappen, Strecken, Vorkommnisse und Besonderheiten der besuchten Stätten und Gebiete, z. B das Itinerar des Erzbischofs Sigeric von Canterbury 990; des isländischen Abts Nikolaus von Munkathvera (1154–1160) und der Bericht Johannes‘ von Würzburg, Schmugge, Pilgerverkehr (1984), 67; Craecker-Dussart, Notion (1980), 65  f.; Tellenbach, Frühgeschichte (1977), 54; Graboïs, Pèlerin (1974). Zu Pilgerberichten siehe Wolfzettel, Pilgerberichte (2012); Ders., Pilgerfahrt (1983); Türck, Pilgerfahrten (2011); Huschenbett, Vart (2000); Carls, Fabri (1999); Richard, Récites (1992); Hippler, Reise (1987); Zrenner, Berichte (1981); Cardini, Pellegrini (1981); Howards, Writers 1980); Dansette, Pèlerinages (1979); Tellenbach, Frühgeschichte (1977); Herde, Weltbild (1976); Sommerfeld, Reisebeschreibungen (1924); Röhricht, Pilgerreisen (1900/1967); Ders./Meisner; Pilgerreisen (1880). 190 Gliederungsmuster war das Wegstreckenschema, Huschenbett führt unterschiedliche Be­richts­ ypen auf, Huschenbett, Landen (1985), 193  f. Im Spätmittelalter herrschte im Gegensatz zur früheren heilsgeschichtlichen die Darstellungsform nach Reisetagen vor. „Die Pilgerberichte wollen den Pilger – und das war zunehmend der Laie – mit dem nötigen Wissen ausstatten, das ihn in den Stand setzt, die ihm unbekannte Welt technisch verfügbar zu machen u n d geistig/geistlich zu begreifen. Aus diesem Grunde sind so viele ‚Künste‘ in sie eingeflossen: Theologie, Geographie, Geschichte, Literatur, Medizin, Architektur, so dass sie gewissermaßen – wenn das Wort gestattet ist – SpezialEnzyklopädien darstellten. Doch von den mittelalterlichen Enzyklopädien unterscheiden sie sich dadurch, dass sie ihr Wissen nur durch den Entwurf geographischer Muster preisgeben, also durch die Wegstruktur, die Burchard von Monte Sion so präzise entworfen hatte. An diese Wegstruktur waren auch die individuellen Heilszuwendungen – die Ablässe – gebunden“, ebd., 204.

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frequentierten – zumindest nicht beschriebenen – Ägyptens, doch fehlen in seiner Darstellung erwartbare Referenzen auf die Schrift und das Ziel Jerusalem ist nur beiläufig erwähnt.191 Um in diesem Sinnkontext lesbar zu werden, war eine Vervollständigung notwendig. Mit seiner an Reisestationen orientierten Form und der sachlichen Beschreibung bot er Möglichkeiten der Aktualisierung des biblisch geprägten Ägyptenbildes, die bislang in der Pilgerliteratur fehlten. Der weitere Kanon heiliger Stätten war zwar festgelegt, konnte aber auch neue und weiter entfernte Wallfahrtsorte miteinschließen.192 Die theoretisch bestehende Möglichkeit, die Pilgerreise nach Galiläa, Beirut und Syrien fortzuführen, wurde dabei selten in die Tat umgesetzt.193 Die Wallfahrtsorte auf dem Sinai und in Ägypten stellten das Ziel einer peregrinatio secunda dar, blieben aber schon aufgrund des Risikos, der Strapazen und des wochenlangen Weges durch die Wüste bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts eine Ausnahme.194 Es können auch konzeptionelle Gründe für die Kompilation gerade dieser beiden Texte ausgemacht werden: Beiden Texten lag ein ähnlich lautender Auftrag bzw. Schreibanlass zugrunde, der die Konzeption der Schriften beeinflusste. Während Burchard unbekanntes Terrain nach einem bestimmten Frageraster zugänglich machte, ist auch für Fretellus ein ähnlicher Auftrag anzunehmen, will er doch im Auftrag des Grafen Rodrigo loca sacra regni David, que divina pagina catholicis infor-

191 Üblicherweise gehorchten die beschriebenen Stätten dem Schema einer geistlichen Pilgerfahrt, beginnend mit dem Ort der Abreise oder der Ankunft im Heiligen Land, zumeist in Jaffa, oder auch erst mit einem heilsgeschichtlich bedeutenden Ort wie Nazareth. Die Abfolge der Darstellung geschah nach Vorgaben der Bibel, speziell des Neuen Testaments. Die letzte Station war in mehrfacher Hinsicht Jerusalem: Mittelpunkt der Welt, Ort des Anfangs und des Endes der Welt: Hic est medium mundi. Gut nachzuvollziehen ist die Anordnung bei Johannes von Würzburg, der dieses Darstellungsprinzip in dem vorangestellten Brief an seinen Freund Dietrich begründet. Ein anderes, geographisch-systematisch orientiertes Beschreibungsmuster nach den zwölf Stämmen Israels und entsprechenden zwölf Himmelsrichtungen gibt Burchard von Monte Sion an, dessen Ausgangspunkt ganz reisepragmatisch Akkon ist, Huschenbett, Landen (1985), 190  f.; Schein, Gateway (2005), 109–140; Huschenbett, Vart (2000). 192 Reichert, Erfahrung (2001), 138. 193 Ebd., 143. 194 Solzbacher, Mönche (1989), 105  f.; 122  f.; Ganz-Blättler, Andacht (1990), 137  f.; Külzer, Peregrinatio (1994), 260  f. Anlaufpunkte dieser Route waren Akkon, Beirut und Alexandria; größtes und gefährlichstes Hindernis der Reise bildeten die Wüsten Negev und des Sinai, deren Durchquerung auch als Bewährungsprobe verstanden werden konnte. Besonders ließen sich auf dieser Route die Orte des Alten Testaments memorieren, angefangen mit der Erschaffung Adams auf dem Ager Damascenus nahe Hebron, den Auszug des Volkes Israels am Roten Meer, der brennende Dornbusch, an dessen Stelle das Katharinenkloster stand, die Josephsgeschichte in Ägypten. Der Besuch dieser Stätten, v.  a. der Aufstieg auf den Katharinenberg, war aus den Zeugnissen des Spätmittelalters nicht als Ergänzung, sondern als „tief empfundene Steigerung der Wallfahrt zum Heiligen Land“ zu begreifen, Reichert, Erfahrung (2001), 157.

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mat, que sint et ubi et quid significent195 darstellen.196 Entsprechend liefert Fretellus zahlreiche Informationen über die Topographie des Heiligen Landes: Neben den Städten, Bergen, Seen, Flüssen und anderen Stätten, die freilich allesamt eine heilsgeschichtliche Bedeutung besitzen, beschreibt er die übergeordnete Struktur des Heiligen Landes mit seinen Landesteilen und Hauptstädten, gibt Ortsnamen und Eigenbezeichnungen auf Hebräisch und Arabisch wider.197 Fretellus beginnt mit seiner Beschreibung in Hebron,198 dem Ort der Erschaffung Adams, aber auch erster Ort im verheißenen Kanaan, den die Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten erreichten und bietet sich daher besser als andere Berichte an, den von Burchard beschriebenen geographischen Raum des „Exils“ fortzuführen.199 Dass Burchard selbst den Sinai durchquert und Damaskus beschreibt, ist insofern nicht störend, da Fretellus seinen Bericht nach dem Ordnungsmuster der Pilgerberichte organisiert und keinen tatsächlichen Reiseverlauf abbildet. Eine nachvollziehbare Route beginnt erst an der Quelle des Jordan, zuvor beschreibt er die Geschichte Israels und des Alten Testaments in einem geographischen Zickzackkurs, der von Hebron und Umgebung bis nach Tyrus, Beirut und Antiochia führt, unterbrochen aber von einer weiteren Station in Idumäa.200 Inhaltliche Überschneidungen mit Burchard gibt es nicht, da sich Fretellus auf biblische Stätten konzentriert und anderen Wallfahrtsorten wie Saidnaya keine Beachtung schenkt. Deutlich wird die unterschiedliche Aufmerksamkeitsökonomie der beiden Berichterstatter in der Beschreibung desselben geographischen Raumes um Damaskus. Der Titel Chronica für die Kompilation trägt dem Umstand der breiteren Informationsvermittlung Rechnung: Es handelt sich hier nicht nur um eine übliche Beschreibung der loci sancti, deren Bedeutung als bekannt vorausgesetzt werden kann. Aufgabe einer Chronik ist, Heilsgeschichte in die Weltgeschichte zu integrieren und Unbestimmtes mit Sinn zu versehen.201 Das Gebrauchsinteresse des Kompilators

195 Prolog, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 7; Fretellus. Ed. Migne (1854), Sp. 1039. 196 Vgl. den Auftrag Erzbischof Raimunds von Toledo für die Fazienda de ultra mar: „la fazienda de ultra mar e los nombres de las cibidades e de las tierras como ovieron nombre en latin e en ebraico, e quanto a de la una cibidat a la otra, e las maravyllas que Nuestro Sennor Dios fezo en Jherusalem e en toda la tierra de ultra mar“, Almerich, Fazienda. Ed. Lazar (1965), 43. 197 Hiestand, Centre (1994), 34. 198 Übliche Pilgerrouten von Caesarea über Jaffa nach Jerusalem werden nicht beschrieben, was Boeren als Indiz für das hohe Alter des Berichtes wertet. Als Merkmal hebt er die „transposition spirituelle“ des Berichtes hervor: Beschrieben werden drei Pilgerwege, die den spirituellen Etappen entsprechen: 1. von Ägypten über das Rote Meer und den Sinai an den Jordan; 2. vom Jordan in den Libanon; und 3: vom Libanon über Nazareth nach Jerusalem, Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), XXII. 199 Vgl. Num 13,22. 200 Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 18; Fretellus. Ed. Migne (1854), Sp. 1042. 201 Vgl. den Titel Chronik für die Werke des Eusebius und des Hieronymus, auch der Brief des Presbyters Johannes wird als Chronik bezeichnet.

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lag möglicherweise nicht nur in der Zusammenführung zweier Texte mit der Priorität eines Pilgerberichtes, dessen wesentlicher Zweck in der imitatio Christi202 bestand, sondern ebenso in der landeskundlichen Information, die in Bezug auf das Heilige Land nicht ohne biblische Referenz denkbar war. Da Burchard wie auch Fretellus einen Augenzeugenbericht über denselben geographischen Raum liefern und folglich an denselben Orten körperlich präsent waren, konnte Burchard nach mittelalter­ lichem Verständnis auch Autor des angehängten Berichtes werden, denn er konnte die Erfahrungen des nicht genannten Verfassers bestätigen und die „Topik des Sichtbaren“ bezeugen.203 Der für diese Kompilation verwandte Burchardbericht war seinerseits ein schon veränderter Hyparchetypus, der im Vergleich mit dem Archetypus einige Varianten und Auslassungen aufweist. Hinweise auf den offiziellen Charakter der Reise wurden in dieser Bearbeitung gekürzt, der Name Saladin getilgt und Details gestrichen, die der Darstellung Burchards in Bezug auf die religiöse Koexistenz von Christen, Muslimen und Juden eine polarisierende Tendenz verleihen.204 Vor allem der Schluss erhält mit dem Satz Qui vivunt et regunt cum diabolo in secula seculorum… einen ironischen Unterton und verleiht der Darstellung nachträglich eine religiöse Deutung. Durch die Streichung des Namens Saladins und der Berufsbezeichnung Burchards wird die Darstellung aus der ursprünglichen Berichtssituation gelöst. Entstanden ist diese Version vermutlich nach 1189, als sich das positive Saladinbild wandelte.205 Nach dem Dritten Kreuzzug befanden sich auch die meisten bei Fretellus beschriebenen Orte in muslimischer Hand.

202 Christi Nachfolge bedeutete auch, „sich selbst ein genaues Bild der heiligen Stätten zu verschaffen, dadurch ihr religiöses Erleben zu vertiefen und schließlich ihr Wissen an die Daheimgebliebenen wie auch künftigen Besuchern zu vermitteln“, Reichert, Erfahrung (2001), 146; Herbers/Plötz, Spiri­ tua­lität (1993), 12. Reales Erleben der biblischen Geschichte in ihren Überresten, den Boden zu berühren, auf dem Jesus gewandelt war, machte den Reiz der Fahrt aus. Ganz Jerusalem, aber auch andere Stätten, waren „eine einzige Kontaktreliquie, geheiligt durch das Blut des Erlösers“, in einem „sakral vermessenen Areal“ konnte der „Übergang von der Realität zur Transzendenz“ sinnlich erfahren werden, Reichert, Erfahrung (2001), 147; 157. 203 Münkler, Erfahrung (2000), 284. 204 Dazu Kapitel VIII.1.1.3. 205 Möhring, Saladinbild (2005); Hartmann, Persönlichkeit (1933).

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VI.2.3 Burchards Orientbericht als Sachtext zur Vermittlung aktuellen Wissens VI.2.3.1 In der Nebenüberlieferung bei Thietmar Wörtliche Übernahmen des Burchardberichtes finden sich in der Peregrinatio206 eines Verfassers namens Thietmar – besser bekannt als Magister Thietmarus207 –, der im Jahr 1217 eine Reise nach Palästina unternahm. Thietmars Erlebnisbericht ist in einer Reihe von Handschriften überliefert, bislang aber nicht erforscht.208 Den Forschungsstand bestimmt immer noch die von Johann Christian Moritz Laurent 1852 vorgelegte Edition des Textes auf Grundlage der Hamburger Handschrift (cod. in scrinio 143b der SUB Hamburg), die er für die zuverlässigste Redaktion des Thietmartextes hielt, obwohl sie offensichtlich nicht gesicherte Interpolationen und vermutlich sekundäre Varianten enthält.209 Das Verhältnis der von Laurent für die Edition herangezogenen acht Handschriften ist bislang ungeklärt.210 Aufgrund zahlreicher Ergänzungen steht selbst der ursprüngliche Textumfang der Peregrinatio nicht fest. Eine kritische Edition und die Aufarbeitung der Textgeschichte stellen ein Desiderat dar. Wichtig wäre v.  a., die von Thietmar benutzten Quellen zu ermitteln, um das Alleinstellungsmerkmal und die Historizität dieses Textes zu prüfen. Ähnlich wie Burchards Orientbericht bietet Thietmars Darstellung vergleichsweise ungewöhnliche Beschreibungen.211

206 Ein feststehender Titel existiert nicht, nahezu jede Handschrift bezeichnet Thietmars Bericht anders, vgl. Laurent, Thietmar (1857), 56–60. 207 Zu Thietmar siehe Jahn, Thietmar(us) (2012); Worstbrock, Thietmar (1995); Devos, Versions (1947), 247–259; Krause, Thetmarus (1875); Laurent, Nachträgliches (1859). 208 Röhricht führt 18 Manuskripte auf, Röhricht, Bibliotheca (1963), 47. Allerdings verbirgt sich hinter den unter Nr. 4 gelisteten zwei Genter Handschriften lediglich eine, so dass die Zahl auf 17 korrigiert werden muss. Die Existenz der anderen Handschriften wäre zu überprüfen, da teilweise genauere Nachweise fehlen (z.  B. bei Nr. 6 und Nr. 9) und der Bestand durch den Krieg dezimiert sein könnte. In gedruckter Form liegt Thietmars Peregrinatio in der Version der Basler Handschrift, Tobler, Thetmar (1851), der Genter Handschrift (mit nicht kenntlich gemachten Ergänzungen aus dem Hamburger Manuskript), Saint-Genois, Voyages (1851) sowie der Hamburger Handschrift, Laurent, Thietmar (1857), vor. Thietmars Bericht wird in der Forschungsliteratur in unterschiedlichen Zusammenhängen zwar öfter zitiert, doch wird meist nur auf kurze Passagen eingegangen ohne textkritische Fragen aufzuwerfen. 209 Schon Karl Ernst Hermann Krause stellte im Vergleich mit weiteren Handschriften eine Reihe sekundärer Varianten fest, Krause, Thetmarus (1875). Das Hamburger Manuskript enthält als einziges die Beschreibung Saidnayas, Devos, Versions (1947), 248  f. Ungeachtet dieser Mängel diente die Edition von Laurent als Grundlage für die französische Teilübersetzung von Christiane Deluz und die englische Übersetzung von Denys Pringle, in denen nicht auf die offensichtlichen Ungereimtheiten eingegangen wird, Deluz, Thietmar (1997); Pringle, Pilgrimage (2012). 210 Dazu Kapitel VIII.1.3. 211 Seine Darstellungen Petras, Bagdads und Mekkas sind in früheren Berichten nicht zu finden und vielleicht die ersten ihrer Art aus der Feder eines christlichen Autors aus Lateineuropa. In der Zeit von 1187 bis zu Beginn des fünften Kreuzzuges sind kaum Pilgerberichte überliefert. „La date est tout d’abord à remarquer, c’est le premier état détaillé de la situation en Terre sainte après le désastre de Hattin et la perte de Jérusalem en 1187. Mieux, ce début du XIIIe siècle représente une sorte de

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Über den Verfasser Thietmar sowie über den Anlass und Zweck der Reise ist nichts weiter bekannt. Sein Name wird in den Abschriften der Peregrinatio in unterschiedlichen Schreibweisen wiedergegeben, mehrheitlich aber mit Thetmarus oder Detmarus.212 Der Magistertitel findet sich indessen nicht in allen Handschriften;213 er scheint kein fester Namensbestandteil zu sein und kann daher nicht als Anhaltspunkt dienen, seiner Person näher zu kommen. Die Darstellung lässt aber auf einen höhergestellten Kleriker schließen, eine Ordenszugehörigkeit ist nicht sicher belegt.214 Vermutet wird eine Verbindung Thietmars nach Westfalen und damit begründet, dass er von westfälischen Gefangenen in Damaskus berichte.215 Tatsächlich nennt Thietmar als Herkunftsorte der Gefangenen Wernigerode, Quedlinburg und Swewia216 (oder

‚trou‘ documentaire, les récits de pèlerinage ne réapparaissent en plus grand nombre que dans la deu­ xième moitié du siècle, avec le retour d’une certaine sécurité“, Deluz, Thietmar (1997), 928. Auch vom christlichen Abessinien berichtet Thietmar als erster Lateiner genauer, Worstbrock, Thietmar (1995), Sp. 794. 212 Krause, Thetmarus (1875), 156; Laurent, Thietmar (1857), 61; 73. Einzig die Hamburger Handschrift überliefert den Namen Thietmarus, der sich seit der Edition von Laurent in der Forschung in dieser Form durchgesetzt hat und nur aus dem Grund der Wiedererkennung hier beibehalten wird. 213 Im Hamburger Manuskript steht der Titel nicht, auch nicht im Berliner und im Rostocker Manuskript, aber in der Baseler und der Genter Handschrift, hier auch noch einmal gegen Ende der Peregrinatio, Saint-Genois, Voyages (1851), 57. Der Titel Magister Thietmar ist ebenso in der Kurzfassung des Burchardberichtes zu lesen, die in vier Handschriften der Peregrinatio folgt. Dieser Befund spricht eher gegen die Annahme, dass Thietmar Magister war. 214 1220–1221 ist ein Themarus als Canonicus zu St. Crucis in Hildesheim belegt; ein Zisterzienserabt gleichen Namens erscheint in fünf Urkunden vom 18. Oktober 1230 bis 31. Oktober 1232 in Dargun, Krause, Thetmarus (1875), 156; MUB I (1863), Nr. 380; 401; 406; 408; 409; in Nr. 455 wird der Nachfolgeabt Heinrich genannt (1236). Keine der Namensgleichheiten lässt allerdings Schlüsse auf eine Identifizierung zu. Ein Eintrag in der Franziskanerchronik des Nikolaus Glasberger (1491–1508) nennt einen monachus Dithmar, der 1217 eine Pilgerreise unternahm und seinen Bericht dem Papst widmete, Glasberger, Chronica. Ed. Kollegium S. Bonaventura (1887), 12; Pringle, Pilgrimage (2012), 27. Deluz vermutet daher in Thietmar einen Franziskaner, der kurz vor dem Besuch des Franziskus die Gegend erkundete, Deluz, Thietmar (1997), 928. 215 Pringle, Pilgrimage (2012), 27; Deluz, Thietmar (1997), 928. In der Peregrinatio heißt es: Cum fuissem in palatio Soldani, quod ex ingenti structura et nobili constructum est, volui videre Christianos captivos in fovea Soldani, quod est carcer, sed ductori meo visum est non esse consultum. Cum tamen non auderem, accepi litteras eorum et ipsi meas per internuncios. Et quidam miles de Swevia [oder Swerina, Krause, Thetmarus (1875), 155] misit mihi bursam propria manu factam de fovea Soldani. Vidi etiam plures per civitatem Christianos captivos et Teutonicos, quibus tamen timore vite loqui non audebam. Vidi ibi quendam captivum de Wernigerothe et militem unum de Quedlingeborgh, qui vocabatur Johannes. Et ille mihi misit bursam, Laurent, Thietmar (1857), 13. 216 Mit diesem Ort kann nur der Schwabengau in Ostfalen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den anderen genannten Städten gemeint sein. Erwähnt ist Suavia in einer Urkunde Ludwigs des Frommen vom 2. September 814 als einer der Gaue, die das Bistum Halberstadt bilden, RI I Nr. 535. Das Immunitätsprivileg ist wahrscheinlich eine Fälschung, die Gaunennungen stammen aus späterer Zeit (1004–1022), Warnke, Belcsem (2009), 200.

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Swerina), was eine Verbindung nach Ostfalen (Harzgau/Schwabengau) nahelegt217 – nicht aber in den Westen des Reiches.218 Der Reisezeitpunkt just in der Vorbereitungsphase des 5.  Kreuzzuges wirft die Frage nach der genauen Motivation der Reise auf.219 Sich selbst bezeichnet Thietmar als cruce Domini signatus und rechtfertigt seine Reise als Buß- und Pilgerreise: Ego Thietmarus in remissionem peccatorem meorum cruce Domini signatus et munitus cum peregrinis meis peregere profiscentibus domo peregere sum profectus.220 Ausdrücklich betont er, dass er sich von der Reise die remissio peccatorum erhoffte.221 Ob er eher als Kreuzfahrer denn als Pilger unterwegs war, steht zwar nicht fest, eine Trennung beider Funktionen ist im weiteren Sinne aber kaum vorzunehmen.222 Eine Pilgerreise war neben dem Akt der Devotion oftmals mit politischen Interessen verbunden. Die Bereitschaft, den Tod in der Imitatio Christi auf sich zu nehmen, hebt Ernst Dieter

217 Aus dieser Region sind zur Zeit der Ottonen prominente Träger des Namens Thietmar bekannt. Markgrafen des Schwabengaus waren Thietmar I. († nach 979) und Thietmar II. (1015–1030) aus dem Geschlecht der Billunger. Als Leitname kam Thietmar im 10./11. Jahrhundert bei den Grafen von Stade, der Familie des Markgrafen Gero, den Grafen von Walbek und den Konradinern vor, Kohl, Münster (1999), 104  f. Thietmar von Merseburg war Sohn des Grafen von Walbek und mit Billungern, Ekkehardinern und den Stader Grafen verwandt. Auch bei den Wettinern ist er häufig (auch Dedi, Thimo). In Westfalen tragen im 12. Jahrhundert die Edelherren von Büren diesen Namen, so Thietmar von Büren (1160–1221), der mit seinem Bruder Bertold 1195 die Stadt Büren (zu Paderborn gehörig) gründete. Auch bei den Grafen von Stromberg (Bistum Münster) tritt der Name auf, Leidinger, Burg (2012). Die Namensformen von Thietmar waren freilich weit verbreitet und nicht auf diese Gebiete beschränkt; Leitnamen bieten aber immerhin einen Ansatzpunkt zur Identifizierung der Person. 218 Auch aufgrund der Verbreitung der Handschriften wird aber die Herkunft Thietmars eher in Westfalen und dem sächsischen Raum angenommen, Worstbrock, Thietmar (1995), Sp. 793. Thietmars Peregrinatio diente dem Verfasser des Niederrheinischen Orientberichts als Vorlage, Jahn, Orient­ bericht (2012). Da Thietmar auf die Windeln Jesu zu sprechen kommt, schließt Krause überdies einen Bezug zu Aachen nicht aus, Krause, Thetmarus (1875), 154. 219 Pringle, Pilgrimage (2012), 27. 220 Weiter heißt es: Transcursis autem tam maris quam terre periculis, que ad meam fragilitatem multum erant, sed in comparatione divinie retributionis nichil, usque Accon perveni. Er beugt jedem Vorwurf der vanitas oder curiositas vor: Cum itaque mihi soli in hoc scripto cupiam in Domino delectari, arrogantiam longe facio et vanam gloriam; presertim cum de hiis, qui laudem querunt hominum et inanem captant gloriam, dicat ewangelium: Amen, dico vobis, receperunt mercedem suam. Stultum enim nimis et absurdum iudicarem, si tanta ac talia tot viarum et maris et terre pericula tam spriritus quam corporis fatigatione perpessa et retributionem eternam, quam a Deo ad vitam eternam exspecto, laude hominum, vana gloria, immo, ut verius dicam, nichilo commutarem, Laurent, Thietmar (1857), 1. 221 Zum Erlass der Sündenstrafen siehe Mayer, Geschichte (2005), 37–52; Flori, Formation (2001); Hehl, Kreuzzug (1994), 314  f.; Erdmann, Entstehung (1972); speziell zu den Ablässen Honorius‘ III. 1217 siehe Claverie, Honorius (2013), 33  f. 222 Möhring, Kreuzfahrer (2014); Gaposchkin, Place (2013), 3  f.; Dies., Pilgrimage (2013); Friedman, Warfare (2012), 55–57; Mayer, Geschichte (2005), 25; Markowski, Crucesignatus (1984); den Unterschied zwischen Pilger und Kreuzfahrer betonen Jensen, Peregrinatio (2003); Hehl, Pilgerfahrt (1999); Ders., Kreuzzug (1994), 316  f.

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Hehl als Kennzeichen der Kreuzzugspilger hervor:223 „Sich in Nachfolge und Imitatio Christi mit seinem eigenen Leben für seinen Nächsten einzusetzen, sich nicht ausschließlich um das eigene Seelenheil zu kümmern, war eine Haltung, die den Kreuzfahrer über den Pilger heraushob.“224 Der Reisezeitpunkt lässt kaum andere Schlüsse zu, als dass Thietmar, wenn auch nicht bewaffnet, sich doch unter Einsatz des eigenen Lebens auf den Weg begab. Eindringlich schildert er an mehreren Stellen, wie nah er sich dem Tode fühlte und welchen Gefahren er auf seiner Reise ausgesetzt war.225 Thietmar brach voraussichtlich gemeinsam mit den Kreuzfahrerkontingenten auf, die im Sommer oder Herbst 1217 in Akkon landeten.226 Seinen Abfahrtsort, geschweige denn seine oder die Herkunft der Mitreisenden (peregrinis meis227), verrät er nicht. In Akkon, Hauptstadt des fränkischen Palästina und Sammlungsort der Kreuzfahrer, verweilte er einen Monat,228 ehe er sich auf den ersten Teil der Reise begab, die ihn über Tiberias nach Damaskus führte. Ob er auch Saidnaya besuchte, ist nicht gesichert, da die eingehende Schilderung des Wallfahrtsortes lediglich im Hamburger Manuskript enthalten ist und selbst der Ortsname nicht in allen Handschriften erwähnt wird.229 Von Damaskus aus kehrte Thietmar wieder nach Akkon zurück, um nun gen Süden, über Jerusalem, Bethlehem, Jericho, dann östlich des Toten Meeres

223 Hehl, Pilgerfahrt (1999), 40. 224 Ebd., 45. 225 Laurent, Thietmar (1857), 26; 40; 41. 226 Bis Sommer 1217 trafen die ersten Truppen aus Österreich, Ungarn, dann aus Friesland und den deutschen Landen ein, Philips, Krieg (2012), 366; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 591  f.; Mayer, Geschichte (2005), 259. Honorius befahl den Kreuzfahrern des Erzbistums Köln im April den Meerweg ins Heilige Land zu nehmen, Claverie, Honorius (2013), 43. 227 In der Rostocker Handschrift Ms. hist. 10 (= der von Laurent unauffindbare Codex Masch., Laurent, Thietmar [1857], 60) ist hier cum peregrinis proficiscentibus zu lesen, Krause, Thetmarus (1875), 154; so auch in der Handschrift Theo. lat. qu. 141 der Staatsbibliothek Berlin, f. 9r, nicht aber in der Baseler und der Genter Handschrift. Aus dem Bericht wird nicht ganz deutlich, ob Thietmar die Reise allein oder gemeinsam mit weiteren Pilgern unternahm. Auf dem Weg von Akkon nach Damaskus erwähnt er nur Syrer und Muslime, mit denen er sich auf den Weg machte; auch schreibt er stets in der ersten Person Singular. Auf der zweiten Etappe nennt er Gefährten, die ihn wohl zumindest einen Teil des Weges begleitet haben. 228 Thietmar erwähnt in diesem Zusammenhang die Friedensverhandlungen zwischen Muslimen und Christen. Da im Juni 1217 der 1204 geschlossene Waffenstillstand zwischen Jerusalem und Sultan al-Malik erneuert wurde, ist eine Ankunft schon im Frühsommer denkbar, Folda, Art (2005), 121, oder auch erst im Herbst 1217, Deluz, Thietmar (1997), 928; Pringle, Pilgrimage (2012), 27. Ausgehend von den üblichen wetterbedingten Abfahrtszeiten der Galeeren wäre im Herbst frühestens mit einer Landung Anfang Oktober zu rechnen. Zur Bedeutung des Hafens Akkons siehe Jacoby, Ports (2014), 56. 229 Devos wertet diesen Abschnitt als Interpolation; es ist der einzige Abschnitt, der in der ersten Person Plural verfasst ist und findet sich als eigenständige Beschreibung in der Vatikanischen Handschrift lat. 44 (Devos datiert den Mirakelbericht in die Zeit nach 1204), Devos, Versions (1947), 248– 252. In dem von Krause untersuchten Rostocker Manuskript heißt es lediglich: Cum autem fuissem sex diebus in Damasco, abii et ivi versus montem Seyr ad oppidum Sardanayam quod situm est in montibus Seyr, ubi yconam beate virginis Marie incarnata, Krause, Thetmarus (1875), 155.

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zum Berg Sinai und dem Katharinenkloster zu gelangen. Über die Rückreise und das Abreisedatum schreibt er nichts weiter.230 Die Reise folgt einem klaren Streckenverlauf, an dessen äußeren Punkten Damaskus (oder Saidnaya) und das Katharinenkloster liegen. Zu den einzelnen Stationen seiner Reise führt Thietmar die wichtigsten geographischen, historischen, religiösen, sozialen und zeitgeschichtlichen Besonderheiten auf, lässt aber auch persönliche Eindrücke und Erfahrungen einfließen.231 Jerusalem erhält in der Beschreibung wenig Raum mit der Begründung, dass die Stadt schon gut beschrieben sei.232 Genauere und aktuelle Beschreibungen liefert er dagegen von weniger frequentierten und beschriebenen Orten, z.  B. von Petra, Bagdad, Mekka und dem Sinai. Die Schilderungen Bagdads und weiterer Orte innerhalb des Kalifats (Mekka) dürften allerdings kaum auf eigener Anschauung beruhen,233 da eine Reise durch muslimisches Gebiet äußerst gefährlich war und abseits der Interessen von Kreuzfahrern und Pilgern lag. In seiner Darstellung rückt Thietmar den gegenwartsnahen Zustand der Orte in den Mittelpunkt, während er auf die religiöse Bedeutung nur peripher eingeht.234 Ausführlich beschreibt er die Muslime und ihre Bräuche wie auch die Vielfalt der Orient­ christen. Den bevorstehenden Krieg235 erwähnt er nicht explizit, doch war seine Reise von Misstrauen und Feindseligkeiten beeinträchtigt. Er besuchte Gefangene,236 geriet selbst in muslimische Gefangenschaft und musste ausgelöst werden,237 Jerusalem mied er aus Sicherheitsgründen.238 Den zweiten Reiseabschnitt zum Katharinenkloster legte er inkognito, als georgischer oder griechischer Mönch verkleidet, zurück.239

230 Arrepto itaque itinere Dei gracia et vita comite Accon incolumnis sum regressus, Laurent, Thietmar (1857), 51. 231 Sein Bericht enthält Informationen über Begleitpersonen, Unterbringung, Verpflegung und Gespräche mit Einheimischen und Mitreisenden und gewährt damit einen sonst seltenen Einblick in den Reisealltag, dazu Hiestand, Zimmer (2003). 232 De sancta civitate quia multa dixerunt et quia de ea multa dici possunt, me aliqua dicere duco ociosum, Laurent, Thietmar (1857), 26. 233 Hiestand, Zimmer (2003), 152; so aber Folda, Art (2005), 114. Möglicherweise erhielt Thietmar seine Informationen über Mekka von den Mönchen des Sinaiklosters, da dieses auch Mekkapilger aufnahm, Jestrzemski, Katharina (2010), 145. 234 Die Unterschiede in den Beschreibungskategorien werden im Vergleich mit Pilgerberichten und Heiliglandbeschreibungen deutlich. So überwiegen bei Thietmars Darstellung von Damaskus und Bethlehem die realia, während auf den biblischen (zeitlosen) Sinngehalt eher hingewiesen wird, vgl. Schein, Geography (1991). 235 Zur Vorbereitung und zum Beginn des Kreuzzuges siehe Claverie, Honorius (2013), 22–77. 236 Siehe Anm. 215. 237 Laurent, Thietmar (1857), 25  f. 238 Ebd., 25; Pringle, Pilgrimage (2012), 27. 239 Im Hamburger Manuskript ist es ein Georgianus monachus, Laurent, Thietmar (1857), 20; vgl. Krause, Thetmarus (1875), 155. Wahrscheinlich war er in Begleitung griechischer oder georgischer Mönche unterwegs, Jacoby, Sinai (2006), 84; siehe Zitat Anm. 247.

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Weshalb Thietmar zunächst nach Damaskus zog und den Palast des Sultans aufsuchte, ist im Zusammenhang mit der Pilgerfahrt zum Sinai nicht ersichtlich. Der erste Reiseabschnitt muss nicht unbedingt mit dem bevorstehenden Kreuzzug zusammenhängen, doch sind einige Auffälligkeiten zu bemerken. So besuchte Thietmar das Kloster auf dem Berg Thabor, das seit 1210 von den Ayyubiden zu einer Festung umgebaut worden war. Der Bau der Festung war 1213 Anlass der Kreuzzugspredigten. Nur einige Wochen oder Monate nach Thietmars Besuch wurde es Ende November 1217 (erfolglos) belagert.240 Anschließend reiste er nach Tiberias und an den Jordan, wo die Kreuzritter Anfang November ihren ersten Angriff starteten. Kundschaftete Thietmar auf diese Weise die Gegend aus, während die Anführer des Kreuzzugs über ihr Vorgehen berieten?241 Das Hauptanliegen der Reise bestand im Besuch des Katharinenberges und des dortigen Klosters auf dem Sinai.242 Das Kloster ist die letzte und am ausführlichsten beschriebene Station,243 die anderen Orte nehmen deutlich weniger Raum ein. Das Kloster lag isoliert im muslimischen Gebiet,244 bis zum 14.  Jahrhundert war es nur selten Ziel von Pilgern.245 Als lateinischer Pilger vor Thietmar ist nur Philipp von 240 Claverie, Honorius (2013), 50; Mayer, Geschichte (2005), 256. Thietmar begab sich in Begleitung von Muslimen und Syrern dorthin und tauschte sich am Ort mit Muslimen über die politische Lage aus. Auch beschreibt er die strategische Lage des Berges, der die gesamte Ebene dominiert, Laurent, Thietmar (1857), 4. 241 Vgl. Claverie, Honorius (2013), 49. 242 Vgl. Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 280; 212  f. Das Kloster trug zur Reisezeit Thietmars noch nicht den Namen Katharinenkloster, Thietmar spricht nur von einem Monasterium. Das Kloster selbst wurde 548–565 von Justinian gegründet. Es soll an der Stelle stehen, an dem der brennende Dornbusch stand und Moses die Zehn Gebote empfing. Geweiht ist es der Jungfrau Maria, als Gründerin der ursprünglichen Marienkapelle gilt Helena, Sevcenko, Catherine (2006), 143 Anm. 46. Wann die Widmung der Katharina hinzukam, ist nicht gesichert, erwähnt wird sie erst im späten 13. Jahrhundert, Jestrzemski, Katharina (2010), 142. Das Kloster liegt recht isoliert und ist festungsartig ummauert. Kirchenrechtlich ist der Abt des Klosters zugleich Erzbischof des Sinai und dem Patriarchen von Jerusalem unterstellt. Zum Kloster siehe Galay, Katharinenkloster (2014); Sevcenko, Monastery (2013); Gerstel/Nelson, Mountain (2010); Jestrzemski, Katharina (2010), 141–153; Forsyth/Weitzmann, Church (1973). 243 Laurent, Thietmar (1857), 20; 42–45; 48; 50. 244 Der Sinai war ein strategisch wichtiges Gebiet zwischen Ägypten und Syrien. Bis mindestens 1187 war der Norden fränkisch dominiert, noch Ernoul geht von einer Zugehörigkeit des Sinai zum Königreich Jerusalem aus, Mouton, Sinaï (2000), 79; Ders., Présence (1999). Für die Ayyubiden stellte er die Verbindung zwischen Kairo und Damaskus her und war notwendig für den Truppenübergang, Mouton, Sinaï (2000), 83; siehe auch Kapitel III.1.6. Nach 1187 verloren die unter Saladin errichteten Festungen ihre Funktion, wurden aber noch 1218 erneuert. Dass das im Süden gelegene Kloster als christliche Enklave erhalten blieb, ist wohl einem Schutzbrief Mohammeds zu verdanken, der sich hier aufgehalten haben soll, ebd., 106–112; Jestrzemski, Katharina (2010), 144  f. Im Kloster befand sich seit dem 11. Jahrhundert auch eine Moschee oder Gebetsnische, Mouton, Sinaï (2000), 113–115. 245 Walsh, Cult (2007), 42  f.; Jacoby, Sinai (2006), 84. Bis zur arabischen Eroberung sind Pilger aus Armenien, Georgien, Palästina, Äthiopien, Byzanz und Ägypten belegt. In arabischer Zeit riss der Pilgerverkehr nicht ab, jetzt machten sich vereinzelt auch Lateineuropäer auf den Weg. Seit dem 11. Jahr-

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Nablus bekannt, der 1160 den Katharinenberg bestieg und eigenhändig eine Reliquie aus dem Sarkophag der Katharina entnahm.246 Nach eigenen Angaben hegte Thietmar schon lange den Wunsch, die Gebeine der Heiligen zu verehren und das Wunder des ausfließenden heiligen Öls zu schauen.247 Um dorthin zu gelangen, nahm er alle Strapazen und Widrigkeiten auf sich, mindestens einer seiner Mitreisenden erlitt den Kältetod.248 Im Kloster angekommen, verweilte Thietmar einige Zeit in Gemeinschaft der Mönche, deren Lebensweise er ausführlich beschreibt.249 In Begleitung eines Führers bestieg er dann den Mosesberg und den Katharinenberg250 (mons Sinai), suchte die Marienkapelle und weitere religiös bedeutsame Orte auf. Wieder zurück im Kloster blieb er weitere drei bis vier Tage. Am Ende seines Aufenthaltes übergab ihm der Abt eine Phiole mit dem aus den Gebeinen der Heiligen ausfließenden Öl.251

hundert und auch während der Kreuzzüge scheinen aber weniger Pilger aus dem Westen gekommen zu sein, ebd., 82. Nur ein Pilgerführer berichtet in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vom Öl, Hill, Deeds (1962), 100 Anm. 4. Vom Kloster schreibt nur Fretellus, Jacoby, Sinai (2006), 83. Bei dem von Jacoby aufgeführten Anonymus, der ebenfalls eine Beschreibung des Klosters enthält, handelt es sich um eine Kompilation mit Fretellus, Vogüé, Eglises (1860), 417  f. Eine Darstellung des Klosters findet sich aber bei Abū l-Makārim, Mouton, Description (2008). Zum Kloster als Pilgerziel siehe auch Reichert, Wallfahrt (2012); Elsner/Wolf, Mountain (2010); Drandaki, Eyes (2006); Hiestand, Sinai (1993). 246 Philipp von Nablus (auch Philipp von Milly) war zunächst Herr von Nablus, ab 1161 dann von Transjordanien, als Freund Amalrichs wurde er 1169 Großmeister der Templer, Barber, Philip (2003). Von seinem Besuch auf dem Katharinenberg berichtete er selbst, Broussillon, Maison (1893), 101. Vermutlich machte er sich aber nicht nur aus frommen Motiven auf den Weg, sondern wollte die gesamte Reliquie gleich mitnehmen. Thietmar berichtet, dass die Gebeine von einer Person aus Petra (quidam nobilis de Petra vel Scobach) an einen anderen Ort gebracht werden sollte, was durch Gottes Eingreifen verhindert wurde, Laurent, Thietmar (1857), 44. Mayer vermutet Phillip von Nablus hinter dieser Aktion, Mayer, Kreuzfahrerherrschaft (1990), 214; Walsh, Cult (2007), 44  f. Vielleicht wollte Thietmar auch überprüfen, ob sich die Gebeine tatsächlich noch am Berg befanden. Zu den Machtverhältnissen von Klöstern im muslimischen Gebiet vgl. Weltecke, Loca (2012), 87. 247 Desiderio autem desiderans desiderantissime corpus beate Katerine, sacro sudans oleo, visitare, eoque ardentius, quo id in animo meo proposueram diuturnius, totum me, corpus et animam, gracie Dei et beate Katerine submisi auxilio, quelibet pericula et casuales eventus non abhorrens. Tanto desiderio inflammatus, vitam enim et mortem vel captivitatem perpetuam alee fortune vel fluctibus exponebam – Accon igitur iter arripiens, habitu Georgianus monachus et longa barba simulavi quod non eram, et ivi super ripam maris ad tria miliaria versus Carmelum (…), Laurent, Thietmar (1857), 20. 248 Ebd., 36. 249 Ebd., 41  f. 250 Der Katharinenberg (Dschebel Katerin) ist der höchste Berg des Sinai, wie Thietmar richtig erkennt. 251 Cum autem quatuor dies fecissem apud eos, et episcopus de voluntate discessus mei intelligeret, cum multa devotione accessit ad sarcophargum beate Katerine. Quod aperto dedit mihi de oleo eiusdem virginis, Laurent, Thietmar (1857), 50. Das Ölwunder soll sich Ende des 11. Jahrhundert ereignet haben. Das Öl trat aus Knochensplittern aus, bis ins 18. Jahrhundert wurde es als Allheilmittel gehandelt, Jestrzemski, Katharina (2010), 149; Assion, Mirakel (1969), 187. Das erste Zeugnis des Ölkultes ist 1160/1161 belegt, als Philipp von Nablus Öl aus dem Sarg erhielt, Sevcenko, Monastery, 2 Anm. 7; Jacoby, Sinai (2006), 83. Nur ein weiterer Mönch berichtet von einer Pilgerfahrt zum Kloster, Hiestand,

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Katharina von Alexandrien252 ist eine byzantinische Heilige. Ihre Legende ist seit dem 8.  Jahrhundert fassbar,253 populär wurde ihre Verehrung im Westen seit dem 11.  Jahrhundert und verbreitete sich ausgehend von Rouen im deutschsprachigen Raum v.  a. in Westfalen, im Rheinland und in Franken.254 Die Kreuzzüge verschafften Sinai (1993), 92 Anm. 59. Siehe auch die mögliche Verbindung dieser rätselhaften Ereignisse mit dem Ölwunder in Saidnaya, Kapitel III.1.8. 252 Katharina von Alexandrien ist als historische Peron nicht nachweisbar, weshalb ihr Gedächtnistag (25. November) 1969 aus dem Heiligenkalender gestrichen wurde, Seeliger, Katharina (2009), Sp. 1330. Der Legende nach war sie die einzige Tochter des Königs Kostus von Zypern (4. Jahrhundert). Zum Christentum bekehrt, lehnte sie sich gegen den Befehl des römischen Kaisers Maxentius auf, den Göttern zu opfern. Es gelang ihr, in einem Streitgespräch 50 Philosophen von ihren Argumenten zu überzeugen und zu bekehren. Das Heiratsangebot des Maxentius lehnte sie entschieden ab, da er sich nicht bekehren ließ und sie ihrem Glauben nicht abschwören wollte. Darauf ließ Maxentius Katharina in den Kerker werfen und foltern. Sie sollte mit einem eigens hergestellten Folterrad gerädert werden, doch die vier gegenläufigen, mit Messern bestückten Räder zerbarsten und die Trümmerteile des Rades töteten unzählige Heiden. Katharina wurde schließlich enthauptet. Zuvor betete sie, dass ihr Körper nicht zur Vergabe von Reliquien geteilt werde. Aus ihren Wunden floss Milch statt Blut; Engel trugen ihren Leichnam auf einen Berggipfel im südlichen Sinaigebirge, Walsh, Cult (2007), 7–21; Seeliger, Katharina (2009), Sp. 1331; Sevcenko, Catherine (2006), 130  f. 253 Die früheste Referenz ist in einer syrischen Litanei von ca. 620 enthalten, Walsh, Cult (2007), 3 Anm.  5. Eine um 730/740 datierte Darstellung der Katharina befindet sich in S. Lorenzo fuori le mura in Rom; das Register eines gallischen oder rheinischen Passionals um 800–830/840 verzeichnet eine Passio Ecaterie virginis, die nicht erhalten ist. Schriftliche Zeugnisse sind eine Notiz im Menologion Basileios‘ II. Bulgaroktonos (10.  Jahrhundert), auf die im Westen eine lateinische Passio des 11.  Jahrhunderts zurückgeht, und zwei weitere griechische Passionen aus dem 9.  Jahrhundert, Seeliger, Katharina (2009), Sp. 1330. Die lateinische Passio war bis ca. 1200 einzige Quelle ihres Lebens und Martyriums (enthalten in der Legenda aurea), sie wurde im 13. Jahrhundert um mystische Elemente erweitert und ausgeschmückt, Walsh, Cult (2007), 4  f. Zur Überlieferung der Passio bis zum 13. Jahrhundert und zur Rezeption des Kultes im lateinischen Mittelalter siehe ebd., 153–168; Sevcenko, Monastery (2013), 6–12; Dies., Catherine (2006), 130  f.; Jestrzemski, Katharina (2010), 87–94; Schill, Ikonongraphie (2005), 50–52. 254 Ausgangspunkt der Verehrung war das Kloster St. Trinité-du-Mont in Rouen. Die hier entstandene anonyme Descriptio translationis reliquiarum ac miraculorum ipsius (Miracula) berichtet von Katharinenreliquien, die ein Mönch des Sinaiklosters in die Normandie brachte, Schill, Ikonongraphie (2005), 37  f. Gemäß dieser Schilderung befand sich der Sarkophag Katharinas auf dem Katharinenberg, den die Mönche erst erklimmen mußten, Sancta Catharina. Ed. Poncelet (1903), 427–430. Eine Verbindung zwischen Rouen und dem Sinaikloster ist schon früher bezeugt, Schill, Ikonongraphie (2005), 38. Unstimmigkeiten ergeben sich aus der oben genannten Descriptio in Bezug auf den Zeitpunkt der Reliquientranslation; urkundlich dokumentiert sind die Reliquien spätestens seit 1084, ebd., 40. Die Legende des Öls stammt nicht aus Rouen, doch floss auch hier Öl aus dem Knochen, ebd., 45 Anm. 158. Im 11. Jahrhundert verbreitete sich die Verehrung Katharinas in der Normandie, im Loiretal, im Süden Frankreichs, besonders aber in England und im deutschsprachigen Raum. Das erste Katharinenpatrozinium im Reich findet sich 1047 in Werden, ebd., 45–66. Als weitere Stätten ihrer Verehrung führt Schill das Prämonstratenserkloster St. Maria in Cappenberg, den Dom St. Paulus zu Münster, Siegburg, das Zisterzienserkloster St. Maria in Marienfeld, Dortmund, Berich, das Augustinerchorherrenstift in Halberstadt sowie Aschaffenburg, Bamberg, Würzburg und einzelne Orte in der Schweiz an, ebd., 65  f.; 88. Verehrt wurde Katharina wohl besonders in Norddeutschland. Der

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der Heiligen besonderen Aufschwung, Katharina war Patronin und Schlachtenhelferin der Kreuzritter und auch „Spezialpatronin“ der Prämonstratenser, Zisterzienser, Franziskaner, Dominikaner.255 Während die Verbindung des Katharinenkultes mit dem Sinai und dem Katharinenberg in Lateineuropa seit dem 11.  Jahrhundert bekannt war, ist ihre Verehrung im Sinaikloster selbst erst Anfang des 13. Jahrhunderts belegt.256 Thietmar berichtet als erster Pilger vom Sarkophag der Katharina in der Klosterkirche.257 Erst hier erfuhr er, dass die Gebeine vom Berg ins Kloster transferiert worden waren.258 Seine Darstellung ist daher ein wertvolles Zeugnis für die Anfänge des Kultes im Kloster, das erst mit der Translation der Gebeine zum zentralen Kultort aufstieg.259 Sein Bekenntnis, er habe sich ganz (totum me, corpus et animam) dem Dienst der Heiligen Katharina verschrieben, bietet zugleich eine Spur, um seiner Person und dem Reiseanlass in zukünftiger Forschung näher zu kommen. Die von Heiligen waren Kirchen und Kapellen im Auetal, Bückeberg und an der Weser gewidmet; vor 1164 ist das Dorf Kathrinhagen angelegt worden, Jestrzemski, Katharina (2010), 62  f. In Minden besaßen die Schauenburger einen Katharinenaltar im Dom, um 1200 wurde die Braunschweiger Katharinenkirche errichtet, 1200 entstand auch die Katharinenkirche von Osnabrück; 1225 gründeten die Franziskaner mit Erlaubnis Adolfs IV. in Mölln ein Kloster, das der Hl. Katharina geweiht war, ebd., 66; 69. Besonders zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde das Patrozinium häufig gewählt, vgl. Schill, Ikonographie (2005), 67–70; 92–95. 255 Mit Katharina verbindet sich der aktive Einsatz – sowohl verbal als auch im Kampf – gegen das Heidentum. Ihre Kennzeichen sind Standhaftigkeit, Missionierung, Gelehrsamkeit und Reinheit, vgl. Jestrzemski, Katharina (2010), 29; 113. Besonders hoch wurde sie beim schwerttragenden Adel und den Rittern geschätzt. 256 Walsh, Cult (2007), 39–46. Die inventio ihrer Gebeine soll ca. 800 stattgefunden haben, „the problem with this tradition is that it seems to have originated much later than 800 and has all the appearance of a later attempt to explain the acquisition of the relics. Indeed, there is no evidence for the presence of Katherine’s relics or for her veneration on Sinai before the late tenth century”, ebd., 40. Auch byzantinische Berichte über Katharina stellen keine Verbindung zum Sinai her, Jacoby, Sinai (2006), 80. Früheste Referenz für ihre Verehrung im Kloster ist das Typikon des Klosters von 1214, Jacoby, Sinai (2006), 83; Sevcenko, Monastery (2013), 2  f.; Schill, Ikonographie (2005), 25–28. Aus dieser Zeit stammt auch die erste bildliche Darstellung, die Parallelen zu franziskanischen Abbildungen aufweist, ebd., 10  f. Die Umwidmung des Klosters geschah später, Walsh, Cult (2007), 42. 257 Laurent, Thietmar (1857), 42–44; Walsh, Cult (2007), 40 Anm. 6.; Sevcenko, Monastery (2013), 2; Jacoby, Sinai (2006), 83. 258 Notandum quod, sicut narrat passio eiusdem virginis, corpus eius a sanctis angelis statim post martirium in supercilium cuiusdem Sinai est translatum et collatum. Cum autem quererem de translatione de monte in predictam ecclesiam (…), Laurent, Thietmar (1857), 43. „When he came to Sinai in 1217, Thietmar was told this translation of her relics had happened three centuries earlier, but all we know for sure is that they were in the church by 1214, when Abbot Symeon rewrote the typikon, perhaps in part to accommodate this new focus of veneration“, Sevcenko, Monastery (2013), 19. Die Gebeine wurden zuvor in einer Kapelle auf dem Katharinenberg verehrt. Eine Darstellung der Translation befindet sich auf einem Fresko der Braunschweiger Stiftskirche St. Blasius von 1249/1250 (südliches Querhaus). 259 Jestrzemski, Katharina (2010), 146  f.

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Thietmar bekundetet enge Verbindung zu Katharina kann auf dynastische oder ordensgemeinschaftliche Zugehörigkeit gründen, um 1200 stand Katharina auch in der Pariser Universität in hohem Ansehen. Dynastenpatronate sind seit dem frühen Mittelalter bekannt.260 Das Öl war eine begehrte und zum Reisezeitpunkt seltene Reliquie.261 Kurz vor Thietmars Reise hatte der Abt des Sinaiklosters Kontakt mit Rom aufgenommen. Am 6. August 1217 stellte Honorius dem Kloster ein Dekret aus, das ihm seine Besitztümer auf dem Sinai, auf Kreta, in Syrien, Ägypten, Palästina und auf Zypern garantierte.262 Zusammenhänge mit Dominikanern oder Franziskanern oder einem anderweitigen auch kaiserlichen oder päpstlichen Auftrag sind daher als Reiseanlass Thietmars in Betracht zu ziehen.263 Seinen Reisebericht verfasste Thietmar in der Absicht, die Reiseroute samt ihrer Gefahren zu dokumentieren und zugleich die Landkarte des Orients um eher unbekannte Orte zu erweitern. Er verzichtete auf die Darstellung bereits bekannter biblischer, historischer und mythologischer Ortsbezüge und legte Wert auf möglichst eigenständige und aktuelle Berichterstattung.264 Das Augenmerk Thietmars galt in dem unter nichtlateinischer Herrschaft stehenden Gebiet dem Zustand unter muslimischer Herrschaft, den Ruinen, zerfallenen Kirchen, Festungen und Neubauten der Sarazenen. Wann und wo Thietmar seine Peregrinatio anfertigte, ist nicht gesichert, doch griff er dafür auf Quellen zurück, die seiner Darstellungsabsicht und dem 260 Mitterauer, Ahnen (1993), 280; Schreiner, Märtyrer (2000), 50; Jestrzemski, Katharina (2010), 26  f.; 29. Das niederadelige Geschlecht von Wedel führte ein Katharinenrad im Wappen (ab ca. 1227), ebd., 35–42. Auch die Schauenburger, Lehensherren der von Wedel, verehrten die Heilige, ebd., 49; 60–71. Ende des 12. Jahrhundert entstanden Katharinenbruderschaften, so in Köln, Schill, Ikonographie (2005), 88. Förderer des Kultes war die „intellektuelle Oberschicht“, ebd., 113; Stüwer, Katharinenkult (1935). 261 Claverie, Acteurs (2008). Ampullen mit dem Öl befinden sich u.  a. in Halberstadt und im Welfenschatz. 262 Claverie, Honorius (2013), 314–316; Acta Honorii III. Ed. Tàutu (1950), 35. Das Kloster besaß zahlreiche Ländereien, die es durch die Kreuzzüge und die Einnahme Kretas durch die Venetianer 1212 bedroht sah. Abt Symon bemühte sich um Garantien des Klosterbesitzes in Venedig und in Rom. Zwar gehörte das Kloster der griechischen Kirche an, doch konnte nur der Papst tatsächlichen Schutz gewähren, Sevcenko, Monastery (2013), 4; Jacoby, Sinai (2006), 83. Das Kloster selbst wird als monasterium sancte Marie in pede montis bezeichnet. Honorius führt unter den Besitzungen auch eine obedientia Sancte Katerine in Akkon auf, Claverie, Honorius (2013), 315. Der Begriff obedientia hat verschiedene Bedeutungen, er kann ein Präsenzgut (Pfründe) oder auch einen Orden bezeichnen, vgl. Kybal, Ordensregel (1915/2013), 121  f. 263 Vgl. Claverie, Politique (2013). Ob Thietmar mit den Organisatoren des Kreuzzuges und Jacques de Vitry zusammenkam, ist nicht klar. Jacques de Vitry weiß anscheinend nicht, dass sich die Gebeine der Katharina inzwischen im Kloster befinden und wähnt sie noch auf dem Berg Sinai, Incerti scriptoris narratio. Ed. Giles (1846), 65; 69. Bei einem Treffen mit Thietmar hätte er sicher davon erfahren. 264 Deutlich wird die Darstellungsabsicht im Vergleich mit Fretellus. Thietmar verzichtet weitgehend auf die von Fretellus aufgeführten heilsgeschichtlichen Bezüge der einzelnen Orte, die sonst zum festen Inventar der Beschreibung zählen. Seine Darstellung liest sich oftmals wie eine Ergänzung zu Fretellus.

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Anspruch nach verlässlicher geographischer und geopolitischer Informationsvermittlung entsprachen. Aus dem Burchardbericht übernahm er Teile der Beschreibung Ägyptens,265 die Abschnitte über Alexandria, Kairo und den Balsamgarten sind im Hamburger Manuskript nicht enthalten, aber in der Basler und Genter Handschrift.266 Ebenso stammt die Darstellung der muslimischen Bräuche von Burchard.267 Deutlich werden sein Verfahren und seine Einschätzung des Burchardberichtes: Thietmar benutzte Burchard als zuverlässige Ergänzung seines eigenen Erfahrungsberichtes für Regionen, die er selbst nicht besuchte, wobei er im Bedarfsfall Korrekturen oder Ergänzungen vornahm.268 Da Burchards Schilderungen durch Thietmars eigenen Aufenthalt im Heiligen Land Teil seiner eigenen Erfahrung wurden, war die Angabe der Herkunft dieses Wissens nicht notwendig.269 Die Übernahmen wählte er sorgfältig aus und verwertete längst nicht alles, was thematisch brauchbar war, so verzichtete er z.  B. bei Damaskus auf Burchards Ausführungen, für die Schilderung der Assassinen griff er auf den ‚Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane‘ zurück.270 Thietmars Darstellungsinteresse ist weiter gefasst und unspezifischer als dasjenige Burchards, v.  a. seine Einstellung gegenüber den Muslimen und überhaupt zur religiösen und ethnischen Pluralität sind weniger von pragmatischen und realpolitischen Gesichtspunkten bestimmt.271 So streicht er die Nennung der Juden aus Burchards Darstellungen interreligöser Koexistenz und Beziehungen. In der Passage über den wundertätigen Palmbaum nimmt er die Juden ausdrücklich aus der Verehrung heraus. In der Wiedergabe der Legende, nach der die Sarazenen versuchten, den Baum zu fällen, ersetzt er sie durch die Juden.272 Ein Grund dafür kann darin liegen, dass Thietmar sie aus seiner Darstellung des Heiligen Landes verbannen wollte, da sie üblicherweise keinen Platz in den Pilgerberichten hatten.273 265 Laurent, Thietmar (1857), 48  f. 266 Möglicherweise ergänzte er selbst einige Passagen aus dem Burchardbericht erst in einer zweiten Redaktion der Peregrinatio. 267 Ebd., 12. 268 So schreibt er im Unterschied zu Burchard, dass Alexandria nun über eine gute Stadtmauer verfüge und ergänzt in Hinblick auf die Rituale der Muslime, dass sich Muslime bei Wassermangel auch mit Sand waschen konnten. 269 Verum quia mihi aliquando lectioni operam danti redolet thimum, sapit favum in tam delectabilibus delectari, non inutile duxi, que viderem et veraciter a veredicis intellegerem, scripto commendare, ne oblivionis fumo subrepente, quod per naturam non possem, artificialiter alicuius scripti adminiculo memorie non reservam, ebd., 2. 270 Ebd., 11–13; 52; Kedar, Tractatus (1998), 123–133, siehe dazu auch Kapitel III.2.1. 271 Vgl. Deluz, Thietmar (1997), 930. „Ce texte est donc un témoignage assez remarquable, non seulement sur la Terre sainte au début du XIIIe siècle, ses paysages, ses monuments, ses habitants, mais aussi sur un changement d’attitude envers l’Islam, ou plutôt un autre regard posé sur les musulmans, un lent passage de l’esprit de croisade à l’esprit de mission.“ 272 Saint-Genois, Voyages (1851), 52; dazu Kapitel III.1.5. 273 Graboïs, Pelerin (1998), 142  f. Juden wurden im Rahmen der Schrift, v.  a. des Alten Testaments erwähnt, aber als Element im aktuellen Kontext ignoriert. „Il n’était même pas question de les faire

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 Rezeption und Textgeschichte

Thietmars Gebrauchsinteresse am Burchardbericht wird insbesondere im Zusammenhang mit weiterem Material deutlich, welches er zur Abfassung seines Berichtes benutzte.274 An mehreren Stellen sind Ähnlichkeiten zum Fretellustext festzustellen: Bei Thietmar, Laurent, Thietmar (1857), heißt es:

Bei Fretellus, Fretellus. Ed. Migne (1854), steht:

Est autem Damascus in Ydumea, sed est ­metropolis Syrie. (…) Item in Ydumea est terra Hus, unde fuit beatus Job. Cuius quedem pars Suetha dicitur, in qua est Theman metropolis, ex qua Eliphat Themanites (…), 13. (basierend auf Hiob 1.1)

Idumea est terra Damasci (…) Damascus est caput Syriae reverenda metropolis (…) Bosra est quaedam pars illius terrae quae Hus vocatur, de qua fuit beatus Job, quae et Sueta dicitur (…) Theman est metropolis in Idumea, ex qua Eliphas Themanites, Sp. 1041  f.

Item iuxta Iezrahel sunt campi Macedonum, in quibus occubuit rex Ozias, qui in monte Syon sepultus est, 21. (basierend auf 2 Kön 23, 29–30.; Chro 35, 20–24.)

Juxta Jezabel est campus Magedo, in quo Josias rex, a rege Samariae subactus succubuit, deinde translates in Sion et sepultus, Sp. 1045.

Non longe a Sebasta est Sichem, que modo Neapolis dicitur, 25.

Quarto miliario a Sebastem est Neapolis, quae et Sichem, Sichem ante Veteomor nominate, Sp. 1045.

Item iuxta Ebron est mons Mambre, in cuius radice est illa terebintus, sub qua vidit Abraham tres angelos, tres vidit et unum adoravit, 29. (basierend auf Gen 18.)

Juxta Hebron mons Mambre, ad radicem cujus est illa terebinthus, quae dirps vocatur, id est ilex, vel quercus, secus quam permultum temporis mansit Abraham, sub qua quidem tres angelos vidit, et unum adoravit, Sp. 1040.

Aus den Ähnlichkeiten lässt sich zwar keine Abhängigkeit postulieren, sie machen aber eine Kenntnis des Fretellustextes wahrscheinlich.275 Wörtlich übernahm Thietmar am Ende seiner Peregrinatio ganze Abschnitte aus dem in der der Forschung unter dem Namen Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane oder auch Innominatus V bekannten Text.276 Dieser Tractatus277 ist in

figurer à côté des habitants profanes ou des ‚simples‘ païens dans les récits: la mention d’habitants juifs dans la Terre de Promission contrevenait à la sentence divine de leur exil“, ebd., 143. Thietmar entlehnte seine religiöse Zuordnung der Bibel. 274 Pringle vermerkt neben Burchard und dem Tractatus noch die Bibel und Plinius als Quellen Thietmars; St. Genois, Laurent und Deluz geben keine Quellen an. 275 Vgl. auch Laurent, Thietmar (1857), 26  f.; 33; 51 mit Fretellus. Ed. Migne (1854), Sp. 1040  f.; Sp. 1049. 276 Beginnend mit Notandum quod civitas sancta Jerusolima bis et illum de Ebron, Laurent, Thietmar (1857), 51–53; vgl. Kedar, Tractatus (1998), 123–126. 277 Ediert zuletzt von Benjamin Kedar auf Grundlage von sieben Textzeugen, als Leithandschrift wählte er die Handschrift Royal 14. C. X. der British Library London aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, ohne die Wahl zu begründen. Aus der Handschrift Clm 5379 der Bayerischen Staatsbibliothek sind zwei Addenda hinzugefügt, Kedar, Tractatus (1998), 123–133. Der Titel Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane steht in der Handschrift Clm 17060, Leithandschrift der Edition von

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ca. drei Dutzend Handschriften überliefert,278 die ältesten stammen aus dem frühen 13. Jahrhundert.279 Entstehungskontext und Textgeschichte wurden bislang nur sporadisch untersucht,280 kontrovers diskutiert wird die zeitliche Einordnung. Benjamin Kedar setzt die Abfassung des Tractatus nach 1168 und vor 1187 und an,281 die NachGeorg Martin Thomas, Thomas (Ed.), Tractat (1865). Den Anfang des Tractatus hatte 1725 schon Heinrich Canisius veröffentlicht, Canisius, Lectiones (1725). 1866 edierte Anton Neumann den mit einem Pilgerbericht kompilierten Tractatus der Handschrift aus Heiligenkreuz Nr. 88, hielt beide Schriften für zusammengehörig und bezeichnete sie als Innominatus V, Neumann, Pilgerschriften (1866). Ein Jahr darauf widersprach Titus Tobler dieser Annahme und ging von zwei unabhängigen Schriften aus. Den „Kern“ des Tractatus datiert er vor 1187, da die erwähnte Stephanuskirche vor 1187 geschleift wurde, Tobler, Bibliographia (1867), 19  f.; 22  f. Tobler erwähnt ferner einen Brüsseler Kodex (10150) des 12.  Jahrhunderts, der den Tractatus enthalten soll und als Verfasser Wilhelmus Marchianensis (Wilhelm von Montferrat?) angibt, ebd., 22. Röhricht verzeichnet diese Handschrift unter Ms. 10149 und gibt das 13. Jahrhundert als Entstehungszeitraum an. Ohne Kenntnis dieser Veröffentlichungen schrieb Paul Riant den Tractatus dem Jerusalemer Patriarchen Haymarus Monachus (der fälschlicherweise auch als Autor des dritten Buches der Historia orientalis des Jacob de Vitry galt) zu, der damit 1199 auf die Bitte Innozenz‘ III. nach einem aktuellen Lagebericht geantwortet haben soll, Haymarus, Liber. Ed. Riant (1866); dieser These schließt sich auch Röhricht an, Röhricht, Bibliotheca (1963), 44; Kedar, Tractatus (1998), 113  f. Die Kompilationen und deren Editionen führten aufgrund von Unkenntnis der Übereinstimmungen zur Annahme, dass es sich beim Tractatus, dem Innominatus V und dem Innominatus IX um unterschiedliche Texte handelte, so von den Brincken, Nationes (1973) und San­doli, Itinera (1978–1984). Zur Forschungsgeschichte und den mit dem Tractatus in Verbindung gebrachten weitern Schriften ausführlich Kedar, Tractatus (1998). 278 Röhricht listet unter dem Eintrag De statu Terrae Sanctae des Haymarus Monachus (1199) 28 lateinische Textzeugen, Röhricht, Bibliotheca (1963), 44; von den zwei Brüsseler Handschriften enthält aber nur MS. 10149 (10147–10158) den Traktat, Kedar, Tractatus (1998), 115 Anm. 12. Kedar fügt den bei Röhricht genannten weitere sechs Handschriften in seiner Edition hinzu, Kedar, Tractatus (1998), 115 Anm. 12; 123. Unter dem Eintrag Innominatus V (datiert 1180) führt Röhricht zwei Handschriften auf, Röhricht, Bibliotheca (1963), 41, bringt den Tractatus aber auch mit dem Innominatus IX in Verbindung, Röhricht, Bibliotheca (1963), 41. Den Beginn des Tractatus (=Innominatus IX) druckte Girolamo Golubovich, Golubovich, Biblioteca (1906), 40  f. Weshalb Paolo Trovato nur von einem Dutzend Handschriften ausgeht, bleibt vor dieser Zusammenstellung der Handschriften unverständlich, Trovato, Lachmann (2012), 275. 279 Dazu zählen die Handschrift Royal 14. C. X. der British Library in London; F.4.22 des Magdalene College Cambridge; Clm 17969 der Bayrischen Staatsbibliothek München; das Manuskript Nr. 88 der Stiftsbibliothek Heiligenkreuz und die Hs. Görres 111 der Staatsbibliothek Berlin, Kedar, Tractatus (1998), 123. 280 Zum Traktat siehe Kedar, Tractatus (1998); Trovato, Lachmann (2012), 275–288; von den Brincken, Nationes (1973) passim; Graboïs, Pelerin (1998); Ders., Geography (1984); Richard, Manières (1993), 94  f. 281 Kedar, Tractatus (1998), 119. Die zeitliche Einordung begründet Kedar mit der Verwendung des Präsenz für die Aufzählung der lateinischen Kanoniker, Mönche und Barone. Den Terminus post quem bildet die Errichtung des Erzbistums Petra und des Bistums Hebron 1168, ebd., 120. Vor ihm gingen schon Neumann und Tobler davon aus, dass die Reise vor 1187 unternommen wurde, ebd., 112. Neumann und ihm folgend Aubrey Stewart nehmen aber eine spätere Niederschrift im Jahr 1198 an, womit sich der Widerspruch zur Erwähnung der Krönung Leos erklären ließe, Kedar, Tractatus (1998), 115.

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richt über die Krönung Leos II. von Armenien im Januar 1198 stuft er als Interpolation ein.282 Die These Paul Riants, dass der Tractatus für Innozenz III. bestimmt war, der 1199 detaillierte Informationen über das Heilige Land forderte,283 schließt er aus. „Yet Innocent’s letters, on which Riant bases his assumption, make clear that the pope did not ask for a general report on the country’s population or ecclesiastical and political organization in the pre-1187 period, as contained in the treatise, but for frequent letters on the country’s current situation, and that he received – not only from the patriarch but from a number of Frankish dignitaries – ‚litteras … ipsius terrae ­necessitates et miserias plenius exponentes et postulantes subsidium diutius exspectatum‘, a characterization that by no means fits the treatise.“284 Bedenken gegen die frühe Datierung Kedars erhob zuletzt Paolo Trovato,285 auch Aryeh Graboïs und Hans Eberhard Mayer gehen von einer Entstehung erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts aus.286 Der Tractatus liefert eine systematische Beschreibung des fränkischen Königreichs Jerusalem. Das Darstellungsinteresse richtet sich auf die christlichen und nicht-christlichen Einwohner, die kirchliche, rechtliche und herrschaftliche Verfassung und Gliederung des Königreiches.287 Christen (Franken, Griechen, Syrer, Armenier, Georgier, Jakobiten, Nestorianer, Lateiner, Templer, Johanniter und Deutsch­ ordensritter) und Nichtchristen (Juden, Samaritaner, Assassinen, Beduinen) werden nach bestimmten Mustern beschrieben. An erster Stelle der jeweiligen Charakteristika, noch vor Angaben über Sprache, Äußeres und Glauben, steht die Waffentauglichkeit im Kampf gegen die Sarazenen. Erwähnung findet auch die Rechtsstellung der verschiedenen Gruppen.288 Vermittelt werden darüber hinaus Informationen 282 Ebd., 120. 283 Innocentii  III opera, Epistola 189; Ep. 270; Ep. 271. Bd.  1. Ed. Migne (1835), Sp. 737  f.; Sp. 828; Sp. 833; siehe Anm. 277. 284 Ebd., 114. 285 Trovato, Lachmann (2012), 276; 285–288 mit dem Einwand, dass auch Jacques de Vitry die Institutionen des Königreiches im Präsens beschreibt, „evidently in the hope that these institutions will soon be restored when the city is conquered“, ebd., 276. 286 Mayer, Bistümer (1977), 92; 113; 172; 222; 235; 259; Graboïs, Pelerin (1998); Ders., Geography (1984). Graboïs führt diesen Text als Innominatus V und datiert ihn als erstes Zeugnis einer genaueren Beschreibung der Orientchristen in das Jahr 1202, Graboïs, Pelerin (1998), 139, bevor Wilbrand von Oldenburg eine weitere Beschreibung lieferte. „La première reference aux églises orientales figure dans un récit anonyme de 1202. Contrairement à l’Eglise latine, don’t la structure dans les pays du Levant est longuement décrite, les Eglises orientales y sont définies brièvement, de meme que leurs langues liturgiques. On n’hésite pas à qualifier leurs membres de schismatiques, tels les Grecs et les Syriens, ou des Hérétiques, parmi lesquels, toujours selon cet auteur anonyme originaire d’Allemagne, les pires étaient les Nestoriens“, ebd., 139. 287 Hec ab antiquis temporibus communis fuit patria nationum, quia ad loca sancta colenda illuc de quibuslibet partibus convenerunt, sicut in actibus apostolorum legitur in missione sancti spiritus: Parthi et Medi et Elamite et cetera. Nunc autem iste sunt gentes que in ea versantur et habent in ea domicilia et oratoria. Quorum alii sunt Christiani, alii non Christiani, Kedar, Tractatus (1998), 124. 288 V.  a. der italienischen Seestädte: De Italia sunt in terra jerosolimitana tres populi, ipsi terre plurimum efficaces et utiles, Pisani, Januenses et Veneti, navali exercitio predocti, in aquis invicti, in omni

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über die Beschaffenheit und Fruchtbarkeit des Landes und die sich verändernden Ortsbezeichnungen (de mutatione nominum urbium). In der Beschreibung des Königs von Jerusalem wird die starke Adelsopposition verschwiegen und die Rolle des ­Patriarchen bei der Königserhebung betont, was die Stellung des Königs in günstigem Licht erscheinen lässt.289 Von Interesse waren diese Informationen für Kreuzfahrer, die dem Königreich nicht nur zur Hilfe kommen, sondern eine Herrschaftsbeteiligung beabsichtigten. Von Relevanz konnte dieser Traktat daher nicht nur bis 1187 sein, doch deutet vieles eher in die Zeit davor. Kedar vermutet hinter dem Verfasser einen Kleriker deutscher Herkunft.290 Aufgrund des geographischen und ethnographischen Darstellungsinteresses sieht er zudem eine Verbindung zu Burchards Reisebericht.291 Die von Kedar konstatierten Übereinstimmungen beziehen sich auf Beschreibungskategorien.292 Trotz des ähn­ lichen Stils ist eine direkte Bezugnahme nicht zu beweisen, zumal der Tractatus sich inhaltlich deutlich von Burchard unterscheidet und ganz andere Informationen vermittelt. Die konzeptionellen Parallelen beider Berichte im diachronen und synchronen Vergleich mit anderen Pilger- und Reiseberichten lassen aber auf eine ähnliche Intention schließen. Allem Anschein nach lag auch der Abfassung des Tractatus ein bestimmter Auftrag zugrunde, da sich Gliederung und Beschreibungskategorien an einer differenzierten Vorgabe orientieren, wobei heilsgeschichtliche und historische Aspekte weitgehend ausgeklammert wurden. Die Darstellung ist sachlich, neutral, es fehlen konkrete Hinweise auf Personen. Nicht auszuschließen ist daher, dass auch bello exerciti, mercimoniorum ingenio sagaces, a cunctis tributis et redetibus liberi, excepti ab omnium iudicum iurisdictione, sibimetipsis iura dicentes, inter se tamen invidi atque discordes, quod maiorem securitatem exhibit Saracenis, Kedar, Tractatus (1998), 125. 289 Preterea eadem Jerosolimitana provincia latinum regem habet, qui a suo patriarcha sceptrum accipit et coronam, cui omnes que in eadam terra sunt obediunt nationes. Hic sanctissimo sepulcro iurat defensionem et iudicium et iusticiam inter gentes, consuetudines patrie et mores patrios conservare. Cui barones terre tocius subsunt et ad nutum ipsius ad bellum procedunt, parati semper cum numero militum singulis assignato terram defendere et pro hereditate Christi dimicare, Kedar, Tractatus (1998), 129. Dies könnte ein Indiz für eine Entstehung des Berichtes zur Zeit Amalrichs sein, vgl. Mayer, Herrschaft (1995). Suggestionskraft besitzt ein nicht auszuschießender Auftrag oder gar die Autorschaft Wilhelms von Montferrats, vgl. Anm. 277. 290 Kedar, Tractatus (1998), 120. 291 „The treatise should be compared not to pilgrimage accounts but to geographical and ethnographical reports about distant countries. The report closest in time and space is the account about Egypt and Syria by Burchard of Strasbourg, the envoy whom Emperor Frederick I sent to Saladin in 1175“, ebd. 292 Ähnlichkeiten konstatiert Kedar zwischen Burchards Beschreibung der Korsen und der Charakterisierung der Lateiner im Tractatus sowie zwischen Burchards Beschreibung der Sinaiwüste und der Flora und Fauna des Heiligen Landes im Tractatus, ebd., 120  f. Ähnlichkeiten bestehen auch in der Beschreibung der Assassinen, auffällig sind Anklänge bei der Beschreibung der Beduinen im Traktat mit der Beschreibung der Bewohner der Terra barbarica bei Burchard. Beduinen wie Afrikaner werden als Nomaden oder Seminomaden beschrieben: Sie besitzen weder Vaterland noch Haus, züchten wenig Vieh, leben auf dem Feld in Zelten und sind spärlich bekleidet.

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der anonyme Tractatus das Produkt einer Erkundungsreise ist. Der Berichtsauftrag scheint dabei komplementär zu dem Burchards gewesen zu sein, der die Beschaffenheit des Landes und die Muslime im Reich Saladins beschreibt. Auffällig ist im Tractatus das Fehlen der Muslime, die im Gegensatz zu den Türken/Beduinen nicht auftauchen. Da der Traktat offensichtlich ergänzt wurde, kann dieser Teil auch verloren oder getilgt sein. Die Verwendung des Tractatus bei weiteren Reisenden in der Funktion als zuverlässige Informationsquelle legt nahe, dass das hier vermittelte Wissen über einen „general report“293 hinausging und von den zeitgenössischen Rezipienten als Expertenwissen eingestuft wurde. Vor Thietmar griff schon Wilbrand von Oldenburg auf den Tractatus zur Abfassung seines Itinerarium Terrae Sanctae zurück. Wilbrand294 (*um 1170; † 26./27.  Juli 1233) war Domherr in Hildesheim und reiste 1211 im Auftrag Ottos IV. nach Palästina, um nach den Fehlschlägen der letzten beiden Kreuzzüge zusammen mit Hermann von Salza und Boten Herzog Leopolds VI. von Österreich die Land- und Wasserstraßen, Befestigungen, Städte und Häfen zu erkunden.295 Zudem hatte er den diplomatischen Auftrag, Leo  II. von Armenien eine Botschaft zu überbringen. Seine Beobachtungen hielt er mit großer Genauigkeit in dem so bezeichneten Itinerarium fest, das für das Domkapitel in Hildesheim bestimmt war.296 Sein Itinerarium besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil schildert er seine Reise von Akkon nach Tarsus und Zypern und liefert einen Lagebericht über die militärischen, geographischen und strategischen Gegebenheiten sowie die Zusammensetzung der Einwohnerschaft der Orte, die

293 Kedar, Tractatus (1998), 114. Siehe Anm. 281. 294 Wilbrand wurde als nachgeborener Grafensohn für die geistliche Laufbahn bestimmt, sein Talent entfaltete sich aber im politischen Bereich. Er zählte zu den „gebildetsten Prälaten Norddeutschlands“, war zunächst Kanonikus in Paderborn, dann Propst in Zutphen, seit 1209 Kanonikus in Hildesheim, ab 1219 dort auch Propst. Nach politisch-diplomatischen Tätigkeiten für Otto IV. und dann Friedrich II. wurde er 1225 Bischof in Paderborn, verwaltete zugleich die Bistümer Münster und Osnabrück. 1127/28 erfolgte ein Wechsel auf den Bischofsstuhl von Utrecht auf Wunsch der Grafen von Geldern und Holland, wohl um die aufständischen Bauern zu unterwerfen, was ihm allerdings nicht endgültig gelang. 1232 erteilte er einem Unbekannten den Auftrag, die Kämpfe mit den Bauern von Drenthe samt einer Utrechter Bistumsgeschichte aufzuzeichnen, Gesta. Ed. Weiland (1874). Zu Wilbrand siehe Malm, Wilbrand (2011); Bust-Thiele/Worstbrock, Wilbrand (1999); Hucker, Otto (1990), passim; Lahrkamp, Jerusalemfahrten (1956), 288–292. 295 Bust-Thiele/Worstbrock, Wilbrand (1999), Sp. 1071  f. Wilbrand wurde in politisch-diplomatischer Mission von höchster Stelle in den Nahen Osten gesandt. Die genauen Aufträge verrät Wilbrand zwar nicht, deutet sie aber an. 296 Ausgabe: Laurent, Peregrinatores (1864). Der Ausgabe von Laurent liegen die Pariser Handschriften sowie die Berliner Handschrift zugrunde, überliefert sind drei Handschriften, vgl. Röhricht, Bibliotheca (1890/1963), 46. Übersetzung: Laurent, Wilbrand (1859); Pringle, Pilgrimage (2012). Übereinstimmungen mit dem Tractatus finden sich in den Beschreibungen der Einwohnerschaft, u.  a. Laurent, Peregrinatores (1864), 163; 171  f.; 174; Ähnlichkeiten bestehen auch in der Beschreibung der Bistümer und Strukturen.

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er tatsächlich besucht hat.297 Im zweiten Teil beschreibt er seine Pilgerreise nach Jerusalem.298 Eine Zweiteilung, dies sich auch bei Thietmar und in der Kompilation des Burchardberichtes mit Fretellus findet. Wilbrands Bericht lag offensichtlich ein Beobachtungsauftrag zugrunde. Er ist einem ähnlichen Darstellungsmuster wie der Reisebericht Burchards verpflichtet, doch enthält er darüber hinaus persönliche Erfahrungen, Anekdoten und Zitate antiker und christlicher Literatur.299 Ähnlichkeiten zu Burchard bestehen im Darstellungsmuster und im Rekurs auf das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen,300 doch lässt sich die Kenntnis des Burchardberichtes nicht sicher belegen.301 Bislang wurden Wilbrands Quellen nicht ermittelt, da auch hier eine kritische Edition fehlt. In seiner Beschreibung sind aber gleichfalls Übereinstimmungen mit dem Fretellustext festzustellen. Festzuhalten ist, dass der Burchardbericht, der Tractatus, das Itinerarium Wil­ brands und dann auch Thietmars Peregrinatio konzeptionell in einer Reihe stehen und enge strukturelle wie und inhaltliche und intertextuelle Bezüge aufweisen, die mit ähnlichen Kommunikationssituationen und Darstellungsabsichten innerhalb eines bestimmten Kreises von Orientreisenden zu erklären sind, die in politischdiplomatischer Mission von höchster Stelle in den Nahen Osten gesandt wurden. Ob Thietmar Wilbrands Bericht kannte, ist schwer abzuschätzen, auffällige Parallelen sind aber nicht von der Hand zu weisen.302 Der Kombination von Burchardbericht, Tractatus und Fretellustext bedienten sich mit einiger Sicherheit auch Jacques de Vitry zur Abfassung seiner Historia Hierosolimitana abbreviata und Oliver von Paderborn als Vorlage für die Historia Damiatina.

297 Im Unterschied zu Thietmar reiste er die meiste Zeit innerhalb des fränkischen Territoriums und inspizierte dort die Burgen und Festungen. Orte, die er nicht eigens besucht hat, beschreibt er nicht. 298 „Wilbrand’s eastern travels were undertaken with two specific purposes and his account of them falls into two parts. The first part, beginning with his landing in Acre on 25 August 1211 and ending the following spring, involved his participation in a diplomatic mission to king Leon I of Armenian Cilicia for the German Emperor, Otto IV, in the company of Hermann of Salza, grand master of the Teutonic Order, and the envoys of Leopold VII, duke of Austria. (…) The second part of Wilbrand’s itinary was a pilgrimage to Jerusalem and the Holy places“, Pringle, Pilgrimage (2012), 25. 299 Darin ähnelt er eher der Darstellung Konrads von Querfurt über Apulien, Arnold, Chronica, V, 20. Ed. Lappenberg (1869), 197. Diesen erwähnt Wilbrand als seinen Vorgänger auch zweimal, Laurent, Peregrinatores (1864), V, 3; XXVIII, 5. 300 Laurent, Peregrinatores, (1864), 174; 180; XIV, 12. Gewisse Ähnlichkeiten sind ferner in Bezug auf den Hinweis von Homonymen, XVII, 14; und im Beschreibungsmuster der Zyprioten (Inselbewohner), XXVII, 12, auszumachen. Die Beschreibung der Assassinen, die nicht beim Namen genannt werden, und der Muslime, verrät dagegen kaum etwas von der Kenntnis Burchards. 301 Wilbrands Reiseroute überschneidet sich nicht mit der Burchards, da sein Ziel Armenien war und er Syrien und den Norden Palästinas bereiste. 302 Das betrifft die Beschreibungskategorien, den Duktus und besonders den zweigeteilten Aufbau mit dem jeweils ausdrücklichen Hinweis, dass im zweiten Teil der Reise die Gelübde erfüllt werden, Laurent, Thietmar (1857), 20.

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 Rezeption und Textgeschichte

VI.2.3.2 Übernahmen bei Jacques de Vitry Jacques de Vitry303 (* 1160–1175; † 1. Mai 1240)304 stammte vermutlich aus der Gegend um Reims (Vitry-en-Perthois)305, studierte in Paris und erhielt 1210 die Priesterweihe. 1211 siedelte er nach Oignies über, wo er als Regularkanoniker die Beginen unterstützte.306 Aufgrund seiner herausragenden rhetorischen Begabung betraute ihn Innozenz  III. 1213 mit der Kreuzzugspredigt gegen die Albigenser, Anfang 1214 wurde er zusammen mit Robert de Courçon zum Kreuzzugsprediger für Nordfrankreich bestellt.307 Jacques gehörte zu den vom Papst „handverlesenen Klerikern“ und galt als „virtuoser Redner“,308 der tausende von Kreuzfahrern zu rekrutieren vermochte. Aufgrund seiner Verdienste erhob ihn Honorius  III. 1216 zum Bischof von Akkon. Nach seiner Ankunft im Heiligen Land (1216)309 begab er sich sofort auf eine Werbungsreise für den Kreuzzug, war er doch von einer schnellen Konversion der Orientchristen wie auch der Muslime überzeugt.310 Anschließend begleitete er die Kreuzfahrer und nahm dann selbst an der Belagerung und Eroberung von Damiette 1218/1219 und dem Feldzug nach Ägypten teil.311 Nach dem Scheitern des Kreuzzuges verließ Jacques das Heilige Land 1222 und reiste zweimal nach Europa, 1225 gab er sein Bischofsamt definitiv auf. 1228 wurde er zum Kardinal von Tusculum erhoben und blieb bis zu seinem Tod 1240 an der Kurie.312

303 Zu Jacques de Vitry siehe Tolan, Jacques (2012) mit weiteren Literaturangaben; Bird, Crusade (2013); Dies., James (2006); Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 7–22; Bourgain, Jakob (2002); Hinne­ busch, Manuscripts (1997), 156–164; Forni, Giacomo (1980); Benton, Parents (1964); Coens, Jacques (1962); Funk, Jakob (1909). 304 Grossel hält auch ein Geburtsdatum um 1175 oder noch später nicht für unwahrscheinlich, ­Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 13  f. 305 Ebd., 8  f. 306 1216 erwirkte er beim Papst die Anerkennung der Beginen; später wurde er neben Marie von Oignies begraben, ebd., 9  f.; 15; Lauwers, Expérience (1989); Vauchez, Prosélytisme (1987). 307 Hiestand, Oliverus (1987), 20. Jacques de Vitry war sedis apostolicae legati vices gerens für den Legaten Robert de Courçon, ebd., 9. Daneben wurden Oliver von Paderborn und der Bonner Dekan Hermann zu päpstlichen Kreuzpredigern für Köln ernannt, ebd., 1  f. mit Quellenangaben. Kreuzprediger wurden als legati Christi bezeichnet, ihre Befugnisse lassen sich aber nicht mit denen eines apostolicae sedis legatus gleichsetzen, ebd.; Zimmermann, Legation (1913), 66; Ders., Legaten (1913), 108  f. 308 „Als Prediger war auch ihm ein gewaltiger Erfolg beschieden, so dass sich bei Stephan von Bourbon, Vinzenz von Beauvais und noch ein halbes Jahrhundert später beim Dominikanergeneral Humbert de Romanis Sätze finden, wie ‚niemand habe vor oder nach ihm in gleicher Weise Frankreich durch sein Wort bewegen können‘“, Hiestand, Oliverus (1987), 20. Von Jacques de Vitry sind ca. 450 Predigten erhalten, er wurde zum „Klassiker der Exempelliteratur“, Bourgain, Jakob (2002), Sp. 295; Tolan, Jacques (2012), 295; Asbridge, Kreuzzüge (2011), 572; Mayer, Geschichte (2005), 256  f. 309 Claverie, Honorius (2013), 47; Tolan gibt die Ankunft mit März 1217 an, Tolan, Jacques (2012), 295. 310 Claverie, Honorius (2013), 47. 311 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 591–594; Hoogeweg, Kreuzzug (1888); Ders., Kreuzzug (1887). 312 Ebd.

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Jacques de Vitry gilt einer der bedeutendsten Kleriker und Historiographen seiner Zeit.313 Er verfasste über 450 Predigten, ist Autor einer historisch-hagiographischen Biographie der Marie d’Oignies314 und schrieb zwischen 1216 bis 1221 unzählige Briefe.315 Sein Hauptwerk ist die dreibändige Historia Hierosolimitana abbreviata.316 Die Historia besteht aus der Historia Occidentalis317 und der Historia Orientalis.318 Wörtliche Übernahmen aus dem Burchardbericht finden sich im dritten, nicht fertiggestellten Buch der Historia, in dem Verlauf und Triumph des fünften Kreuzzuges dargestellt werden sollten, wie Jacques im Prolog des Gesamtwerkes ankündigt. Die Autorschaft Jacques‘ für dieses dritte Buch wird in der Forschung zumeist abgestritten.319 Nach Marie-Geneviève Grossel war der liber tertius aber als Bestandteil der Historia Hierosolimitana von Anfang an von Jacques de Vitry vorgesehen.320 Das überlieferte dritte Buch besteht nach Grossel aus Fragmenten, die Jacques de Vitry zum Zwecke einer später beabsichtigten, aber niemals ausgeführten Bearbeitung zusammengestellte.321 Dass es eher eine Stoffsammlung blieb, wird mit dem Misserfolg des Kreuzzuges und dem schlechten Gesundheitszustand Jacques‘ begründet. Um 1219/1220 war Jacques schwer krank und fühlte sein Ende kommen,322 so dass er sein Werk nicht selbst vollenden konnte. Später verhinderte das Fiasko des Kreuzzuges die Ausarbeitung des Konzeptes, welches doch der Wiederaufrichtung des Königreichs Jerusalem verschrieben war. In Umlauf kamen die Fragmente dann in unterschiedlich bearbeiteter Form im Umkreis Jacques‘. Der Entstehungszeitraum der gesamten Historia wird in die Zeit zwischen 1217 und 1224 datiert.323 Der erste Teil geriet wohl um 1222 in Umlauf, als zumindest an Buch II noch gearbeitet wurde.324 Auch wenn das dritte 313 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 17; Tolan, Jacques (2012), 295  f. 314 Grossel, Vie (2002); Jakob von Vitry, Leben. Ed. Geyer (2014). 315 Zu Ausgaben und Literatur siehe Tolan, Jacques (2012), 300–304. 316 Ausgaben der Historia: Jacobus de Vitriaco, Historia. Ed. Donnadieu (2008); die Edition der Bücher I und II basiert auf Jacobus de Vitriaco, Historia. Ed. Moschus (1597); Edition der Bücher I und III: Gesta. Ed. Bongars (1611); Ed. Martène/Durand (1717); Buch II: Jacques de Vitry, History. Ed. Hinnebusch (1972); Buch III: Incerti scriptores. Ed. Giles (1846); Französische Übersetzungen: Buch I und II bei Donnadieu, Buch I und III in Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005). Für weitere Editionen, Übersetzungen sowie Forschungsliteratur siehe Tolan, Jacques (2012), 299  f.; 306  f. 317 Erstes Buch, es beinhaltet eine Kirchengeschichte des „Westens“, beschreibt religiöse Orden und Bewegungen, versehen mit moralisch beurteilender Stellungnahme. 318 Zweites Buch, es beschreibt Jerusalem, das Heilige Land, die Orientchristen und den Islam bis zum Tod Saladins. 319 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 22–45. Auch die letzte von Donnadieu vorgelegte Edition geht nicht auf die Frage der Authentizität des dritten Teils ein und erwähnt die Arbeiten von Grossel und Hinnebusch nicht einmal. Eine kritische Edition auch des dritten Buches hat Jessalynn L. Bird angekündigt, Bird, Historia (2003), 63 Anm. 1 320 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 23  f.; Tolan, Jacques (2012), 299. 321 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 44. 322 Es handelte sich vermutlich um die Seuche im Lager vor Damiette, ebd., 37. 323 Jacobus de Vitriaco, Historia. Ed. Donnadieu (2008), 10–12; Cannuyer, Date (1983). 324 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 19; Cannuyer, Date (1983).

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 Rezeption und Textgeschichte

Buch in der überkommenen Gestalt möglicherweise nicht von ihm stammt,325 erhielt es dennoch weit mehr Aufmerksamkeit als die vollendeten Teile der Historia.326 Das dritte Buch liegt in den Editionen von Bongars (1611) und Martène/Durand (1717) in zwei unterschiedlichen Versionen vor.327 Gemeinsam ist beiden Versionen der Beginn mit einem Brief des Patriarchen Haymar von Jerusalem (1194–1202) an Innozenz III.328 und ein mit Ierusalem gloriosa Iudea metropolis überschriebener Abschnitt, der sich vornehmlich aus Teilen der Descriptio des Beda Venerabilis und dem Burchardbericht zusammensetzt. Die Descriptio wiederum ist Teil des Innominatus V, der eine Kompilation aus dem schon oben erwähnten ‚Tractatus de locis et statu sancte terre iersolimitane‘ und Beda darstellt. Bei Bongars folgt im Anschluss eine Version der ‚Historia Damiatina‘ des Oliver von Paderborn; bei Martène/Durand folgen Ausschnitte des Tractatus.329 Der einleitende Brief streicht Vorhaben und Vorbereitung eines Feldzuges nach Ägypten heraus. Die Descriptio und besonders der Burchard­ bericht dienen der Beschreibung der geographischen, topographischen Beschaffenheit Ägyptens und ergänzen zugleich die von Haymar übermittelten Informationen. Die Unsicherheit, welche Teile dem dritten Buch ursprünglich zugehörig waren, bezieht sich damit nicht auf die Übernahmen aus dem Burchardbericht. Aus diesem sind insbesondere die Beschreibungen Alexandrias, Saidnayas, des Balsamgartens und der Assassinen eingefügt, ansonsten übernimmt Jacques bzw. der Kompilator nur wenige Sätze über Ägypten, die Nilschwelle, Krokodile und Kairo.330 Wenn auch der Status des dritten Buches anfechtbar bleibt, kann daher davon ausgegangen werden, dass Jacques de Vitry schon zu Beginn seiner Arbeit über den Burchard­ bericht verfügte, denn schon im ersten Buch der Historia lassen sich Anklänge an den Inhalt des Burchardberichtes in der Beschreibung der Muslime und der Assassinen feststellen.331 Bei der Redaktion des ersten Buches lag Jacques vermutlich ebenso der Tractatus de locis et statu sancte terre iersolimitane vor. 325 Auch das zweite Buch ist nicht vollendet, Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 24. 326 Elf Handschriften sind überliefert, während von Buch I nur zwei Exemplare erhalten sind, Bird, Historia Orientalis (2003), 56; Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 23. 327 Ebd., 25. Zur Überlieferung siehe Hinnebusch, Manuscripts (1997). 328 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 24  f.; Bird, Historia Orientalis (2003), 64 Anm. 2. Der Brief des Haymarus über die Situation im Heiligen Land ist auch bei Richard von San Germano überliefert, Rycaardi de Sancto Germano notarii Chronica. Ed. Pertz (1866), 336  f. und bei Vinzent von Beauvais, Speculum (1624), 1303  f. Aufgrund dieses Briefes wurde der Dritte Teil der Historia in der Edition von Riant unter dem Titel ‚De expugnata Accone liber tetrastichus‘ dem Jerusalemer Patriarchen Haymarus zugeordnet, der damit dem 1199 eingegangenen Aufruf Innozenz‘ III. geantwortet habe, Kedar, Tractatus (1998), 113; so eingeordnet auch bei Röhricht, Bibliotheca (1963), 43. 329 Grossel ist sich der Zusammenhänge von Innominatus und Tractatus anscheinend nicht bewusst. 330 Incerti scriptoris narratio. Ed. Giles (1846), 63–72. 331 Die Beschreibung der Assassinen ähnelt auch stark derjenigen bei Oliver von Paderborn, so dass unter Vorbehalt ein Austausch von Material und Konzepten nicht nur für das dritte Buch angenommen werden kann.

Rezeptionsformen 

 463

Im Vergleich mit den Textzeugen des Burchardberichtes stehen Jacques‘ Übernahmen der Vatikanischen Handschrift am nächsten und unterscheiden sich von der Vorlage, die Thietmar zur Verfügung stand. Jacques‘ Vorlage geht auf den Hyparchetypus *VMW zurück,332 stimmt teilweise aber ebenso mit A überein.333 Völlig offen bleibt, ob die erheblichen Kürzungen auf seine Vorlage oder Jacques selbst zurückgehen. Ersteres erscheint plausibler, da z.  B. in der Wiedergabe der Legende von Saidnaya die Lücken kaum zu erklären sind.334 Stark abweichende Schreibweisen arabischer Termini wie Sardama für Saidnaya und Hegesim für Assassinen lassen zusammen mit weiteren entfernten Varianten auf eine Vorlage mit mehreren Zwischenstufen schließen. Jacques‘ Vorlage ist als sekundär einzustufen. Da er ebenso Passagen aus dem Fretellustext übernahm, hatte Jacques vermutlich eine mit Fretellus kompilierte Version des Burchardtextes vorliegen. Freilich kann er genauso gut auf einen autonom überlieferten Fretellustext zurückgegriffen haben. Die Gemeinsamkeiten mit A im Unterschied zu *VMW wie auch umgekehrt sind nur mit Kontamination oder einer Vorlage, die noch vor *VMW anzusetzen ist, zu erklären. Wie auch Thietmar rezipierte er Burchards Orientbericht als vertrauenswürdige und zumindest partiell immer noch aussagekräftige Informationsquelle. Die Übernahmen von Burchard werden mitunter ergänzt, modifiziert und immer wieder durch eigenständige Sätze des Kompilators unterbrochen, z.  B. über die Errichtung der Chastel-Pelerin 1217.335 Zwar ist die Provenienz dieser Ergänzungen nicht eindeutig auszumachen,336 sie verdeutlichen aber nach Grossel die Arbeitsweise des Kompilators, der die Vorlagen mit rezenten Informationen aktualisierte.337 Die Arbeitsweise

332 Das zeigt sich z.  B. an Varianten, die nur V enthält: caput quasi scrofe (Z. 181), Incerti scriptoris narratio. Ed. Giles (1846), 64; oder V und M: veteres Promontani (Z. 293); oder VMW: in rupe; timetur (Z. 262), ebd., 70  f. 333 Die Zahlenangaben stimmen mit A überein, auch sind Varianten festzustellen, die W und A im Unterschied zu V und M aufweisen, z.  B. in dem Satz: est autem ad unum miliare ab hac civitate hortus habens verum balsama in quantitate dimidie mansi, et est lignum balsami quasi lignum vitis triennis folium habens quasi trifolii parvi tempore maturitatis. Circa finem Maii funditur cortex ligni (…), Incerti scriptoris narratio. Ed. Giles (1846), 65. 334 Incerti scriptoris narratio. Ed. Giles (1846), 70. 335 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 27–30. 336 Der Satz Haec civitas est clavis et caput totius Aegypti ist sowohl in arabischen Schriften dieser Zeit als auch beim Menestrel von Reims nachweisbar, ebd., 29. 337 (…) à l’intérieur des passages recopiés, le compilateur a opéré un travail de tissage, formé au sens propre un texte, quand la phrase de Burchard s’achève sur un trait ‚original‘ avant d’aborder pour finir la notice venue de ‚Bède‘ – ou d’ailleurs. D’autre part, les passages ‚personnels‘ de notre texte s’avèrent, à les regarder de plus près, tout à fait essentiels au propos, qui était de raconter la cinquième croisade: l’érection de Chastel-Pelerin, l’un des vrais succès de cette entreprise ratée, la situation de villes égyptiennes que les itinéraires du XIIe siècle ignorent (et pour cause) dans leur description des Lieux Saints sont le véritable sujet de ce que devait être le Liber Tertius conçu par Jacques de Vitry“, ebd., 30.

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 Rezeption und Textgeschichte

der „tissage“ konnte Grossel auch für den weiteren Inhalt des dritten Buches in der Überlieferung durch Bongars feststellen, das sich sonst stark an der Historia Damiatina des Oliver von Paderborn orientiert.338 Auffällige Ähnlichkeiten der zuvor verfassten Briefe Jacques de Vitrys mit Passagen des Dritten Buches lassen vermuten, dass er diese als Vorlage verwandte.339 Übereinstimmungen dieser Briefe wie auch des Textes wiederum mit der Historia Damiatina lassen nach Grossel in Anlehnung an Funk vermuten, dass Jacques die Historia Damiatina von Oliver erbat340 und in Hinblick auf eine spätere Umarbeitung kopierte bzw. abschreiben ließ, dabei aber zugleich veränderte: Namen und Bezeichnungen ergänzte, korrigierte und ins Französische übersetzte.341

338 Bei Martène hingegen folgen zwei Texte anonymer Autoren: 1. ‚Terra hierosolymitana in centro mundi‘, eine Reisebeschreibung von ca. 1185 (ediert von Sandoli unter dem Titel ‚De locis sanctis et populis et bestiis in Paelestina vitam degentibus‘); 2. die als Historia brevis bekannte Darstellung der Ereignisse zwischen 1187 und 1195, die letzten Ereignisse fallen aber ins Jahr 1228, überliefert bei Burchard von Ursperg, Chronicon. Ed. Abel/Weiland (1872), 359–364; dazu Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 25–27. Beide Texte finden sich gemeinsam überliefert in anderen Handschriften und sind daher vermutlich nicht erst von dem Kompilator der Martène-Version zusammengefügt worden, Thomas (Ed.)‚ Traktat (1865). 339 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 31–36; Zarncke, Historia (1875). 340 Oliver von Paderborn und Jacques de Vitry exzerpierten wiederum beide die Chronik Wilhelms von Tyrus „und ihre Werke stehen schon bald in den Augen der Leser einander so nahe, dass Bongars – wie vor ihm schon Gretser – aufgrund von bestimmten Handschriften, die ein mixtum compositum enthalten, in einer Sonderform der ersten Fassung der ‚Historia regum Terrae Sanctae‘ des Oliver das dritte, nicht vorhandene Buch der Historia des Jacques de Vitry vor sich zu haben wähnte und es als solches in den ‚Gesta Dei per Francos‘ veröffentlichte“, Hiestand, Oliverus (1987), 27. Ob Jacques die Historia Damiatina direkt von Oliver erhielt, ist durch die bloße Verwendung derselben nicht bewiesen. Oliver von Paderborn redigierte seine Historia Damiatina auf Grundlage zweier Briefe. Den ersten verfasste er kurz nach dem Fall des Kettenturmes am 24. August 1218, Adressat war das Domkapitel von Köln. Den zweiten Brief schrieb er wohl nach der Eroberung Damiettes am 5.  November 1219. Bei früheren Briefen Olivers hat Hiestand nachgewiesen, dass Abschriften für Jacques angefertigt wurden. So könnten die Briefe auch auf anderen Wegen in die Hände Jacques‘ gelangt sein, wenn sie überhaupt zum Bestand des dritten Buches zu rechnen sind. Oliver von Paderborn und Jacques de Vitry waren die wichtigsten Informanten des Papstes, Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 50. Aufgrund äußerst sparsamer Bezugnahmen aufeinander geht Hiestand jedoch von einem eher rivalisierenden Verhältnis der beiden Kreuzzugsprediger zueinander aus, Hiestand, Oliverus (1987), 28  f. 341 Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 41; ähnlich schon Funk, Jakob (1909), 162. Dafür spricht, dass die bei Bongars überlieferte Version der Historia Damiatina den von Hoogeweg verworfenen Manuskripten gleicht, und diese Manuskripte auf die gleiche Fassung zurückzuführen sind. Auffällige Abweichungen sind genauere Bezeichnungen aus der Champagne bzw. Frankreich stammender Kreuzfahrer, die Jacques de Vitry im Gegensatz zu Oliver besser bekannt waren, Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005), 42  f.

Rezeptionsformen 

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Oliver von Paderborn342 (* ca. 1170; † 9. August/18. September 1227 in Italien343) gehörte ebenso wie sein „Kollege“344 Jacques von Vitry zu den vom Papst „handverlesenen Klerikern“.345 Nach der langen Belagerung und Eroberung von Damiette 1218/1219346, an der auch Jacques von Vitry teilnahm, blieb Oliver nach dem Scheitern

342 Olivers Herkunft ist ungewiss, vermutet wird Westfalen oder das Rheinland, auch altfränkische Gebiete oder England sind dem Namen nach nicht auszuschließen, von den Brincken, Islam (1985), 87. 1196 ist er als Kanoniker und ab 1200 als Scholasticus der Paderborner Domschule nachweisbar, ebd., 87; Hoogeweg, Bischofswahl (1888), 109. Spätestens seit 1201 hatte er das Amt des Domscholasters (Magister) in Köln inne, das er mit Unterbrechungen ca. 25 Jahre behielt, ebd., 110. „Köln darf daher als sein primärer Standort vermerkt werden“, von den Brincken, Islam (1985), 88. Nach einem Studienaufenthalt 1205–1207/1208 in Paris, wurde er in Köln mehrfach direkt von Papst Innozenz III. mit Aufgaben bedacht, Hiestand, Oliverus (1987), 14  f.; Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), XVII–XXII. In Paris knüpfte Oliver mit einer Reihe von Personen persönliche Beziehungen, die ebenfalls stark im Kreuzzugsgeschehen engagiert waren, wie Robert de Courçon, Jacques de Vitry, Odo von Cheriton, Abt Heinrich von Heisterbach und Emo (später Abt von Wittewierum). Der Universität Paris (d.  h. den Magistern und Gelehrten) berichtete Oliver von seinen Erfolgen. Auch Jacques de Vitry hielt den Kontakt aufrecht, ihre Briefe wurden „in propatulo öffentlich vorgelesen“ und finden ihren Niederschlag teilweise in Werken der Hörer, Hiestand, Oliverus (1987), 15  f.; 22. 1213 betraute ihn der Papst mit der Kreuzzugspredigt in der Kirchenprovinz Köln, wo er in Lüttich, Namur, Brabant, Flandern, Geldern, Utrecht und Friesland mit nachhaltigem Erfolg für das Unternehmen warb, Hoogeweg, Bischofswahl (1888), 111. In einem Brief an den Grafen von Namur von 1214/1215 bezeichnete sich Oliver als päpstlicher Legat (apostolicae sedis legatus), doch ist von davon in dem Bestellungsschreiben Innozenz‘ von 1213 nicht die Rede, ebd., 7  f. und kann als Eigenzeugnis ausgeschlossen werden, ebd., 9. Auf dem Laterankonzil 1215 wurde Oliver zum „Prorektor für die Kreuzfahrer aus Norddeutschland bestellt“ und brach 1217 selbst ins Heilige Land auf, ebd., 2; Hoogeweg, Bischofswahl (1888), 113. Wieder in der Heimat wurde er 1223 Bischof von Paderborn, 1225 von Honorius III. zum Bischof von Sabina ernannt. Zugleich wirkte er weiter als Prediger für den Kreuzzug Friedrichs II., erhielt von diesem 1225 die Regalien. Er war aber nicht Kardinalbischof, wie in nahezu allen Lebensbeschreibungen Olivers zu lesen ist, Hiestand, Oliverus (1987), 25 Anm. 96. Zu Oliver, auch unter dem Namen Thomas Oliver bekannt siehe Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), IX–LII; Ders., Kreuzzug (1888); Ders., Kreuzzug (1887); von den Brincken, Nationes (1973); Lahrkamp, Magister (1962); Ders., Jerusalemfahrten (1956); Brandt/Hengst, Bischöfe (1984); Thorau, Oliver (2002); Pixton, Anwerbung (1978), Mayer, Geschichte (2005), 257; 260  f.; Weise, Domscholaster (1960); Bulst-Thiele, Oliver (1989); van Moolenbroek, Signs (1987). 343 Zuletzt ist er am 9. August 1227 in Anagni nachweisbar, Giese, Oliver (1999). 344 Hiestand, Oliverus (1987), 20. Im Leben Olivers und Jacques sind zahlreiche Parallelen festzustellen. Beide sind zwischen 1160–1170 geboren, studierten in Paris und wurden 1213/1214 von Innozenz mit der Kreuzzugspredigt beauftragt. Beide begaben sich selbst auf den Kreuzzug und wurden zu Bischöfen erhoben. Nach Schwierigkeiten, sich in ihren jeweiligen Bistümern (Paderborn und Akkon) durchzusetzen, kamen sie an die Kurie, ebd. 25  f. 345 Oliver galt als „virtuoser Redner“, Asbridge, Kreuzzüge (2011), 572; Mayer, Geschichte (2005), 256  f. Bei seinen Predigten ereigneten sich in Bedum, Surhuizen und Dokkum Kreuzeserscheinungen am Himmel, welche als Wunder gedeutet wurden und seinen Erfolg untermauerten, Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), 174. Olivers Predigten wurden als Modell (Exemplum) verwendet, wie ein Brief an Robert de Courçon belegt, dazu Hiestand, Oliverus (1987), 3. 346 Asbridge, Kreuzzüge (2011), 591–594; Hoogeweg, Kreuzzug (1888); Ders., Kreuzzug (1887). Am

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 Rezeption und Textgeschichte

des ägyptischen Feldzuges 1221 noch bis 1222 in Akkon. Mit seiner Historia Damiatina347 verfasste Oliver nach Burchard die erste genauere Beschreibung Ägyptens. Zur Abfassung lag ihm wahrscheinlich auch der Burchardbericht,348 sicher aber ebenfalls der Tractatus349 vor, denn die Historia Damiatina enthält eine Reihe ähnlicher Passagen, wenn auch kaum wörtliche Textstellen.350 Die Rezeption des Burchardberichtes im Kreis der wichtigsten und schillerndsten Personen im Fünften Kreuzzug erfolgte aufgrund des Bedarfs an authentischen Augenzeugenberichten über die Zielregionen bei einer bestimmten Gruppe von Rezipienten. Von politisch engagierten Akteuren im Orient wurde der Burchardbericht gemäß seiner ursprünglichen Intention gelesen und besaß noch erstaunlich lange eine Erkenntnisfunktion. Strategien, um den Text erst lesbar zu machen, waren in diesem Kreis kaum vonnöten. Diese Rezeptionsform zeugt von dem hohen Stellenwert, der dem Burchardbericht, aber auch ähnlich konzipierten Texten wie dem Tractatus und auch dem Fretellustext als verlässliche und wertvolle Informationsquellen noch 40 oder mehr Jahre nach ihrer Entstehungszeit beigemessen wurde. Der Burchardbericht und der Tractatus weisen in Aufbau und Rezeption gemeinsame Merkmale auf, welche die zu Beginn dieser Untersuchung aufgestellten Arbeits-

Erfolg der Belagerung hatte Oliver großen Anteil. Er konstruierte eine Belagerungsmaschine, welche erst die Eroberung der Stadt ermöglichte, von den Brincken, Islam (1985), 90  f. 347 Ausgaben: Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), 161–282; drei Redaktionen liegen vor: die erste reicht bis 1219; die zweite bis 1220, die dritte bis 1222; Grossel, Historia (2009). Oliver hat drei weitere Schriften und Briefe hinterlassen, welche alle im Zusammenhang mit dem Fünften Kreuzzug entstanden sind: die ‚Descriptio Sancte Terrae‘, die ‚Historia de ortu Jerusalem et eius variis eventibus‘ und die ‚Historia regum Terrae Sanctae‘, Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894); Oliver von Paderborn, Briefe. Ed. Röhricht (1891). U.  a. richtete Oliver zwei Briefe an Sultan al-Kamil, um ihn vom Christentum zu überzeugen. Während er seine Descriptio Sanctae Terrae aus Fretellus kompilierte, für die Historia de ortu Jerusalem et eius variis eventibus ebenfalls Fretellus, die Bibel und Petrus Comestor heranzog und die Historia regum Terrae Sanctae aus Kreuzzugschroniken kompilierte (von den Brincken nennt die Schriften Fulchers von Chartres, Wilhelms von Tyrus und dessen Fortsetzer, von den Brincken, Islam [1985], 89), entstand seine Historia Damiatina auf Grundlage von eigenen Briefen, in denen er Engelbert von Köln über die Lage in Ägypten unterrichtete. 348 Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), 221; 233  f.; 243; 262. Ähnlichkeiten bestehen auch in der Stadtbeschreibung von Tyrus, ebd., 103. Weniger Parallelen sind in der Darstellung der Muslime, 203–205, sowie in Bezug auf Matariya und den Balsamgarten auszumachen. Doch fällt auch bei Oliver die neutrale Darstellung der monotheistischen Religionen und ihres friedlichen Zusammenlebens auf. 349 In seiner Darstellung der Orientchristen differenziert Oliver genauer als der Tractatus und fügt der Aufzählung noch Nubier, Maroniten, Russen hinzu. Im Vordergrund stehen bei ihm nicht die äußere Erscheinung und Waffentauglichkeit, sondern sprachliche und dogmatische Kennzeichen, welche in Hinblick auf eine Konversion von Belang sind. Wörtliche Übernahmen sind insbesondere bei der Beschreibung der Georgier und Syrer festzustellen, Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), 233; 266. 350 Vgl. Berlière, Jacques (1910).

Überlegungen zur Textgeschichte 

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hypothesen zu Funktion und texttypologischen Merkmalen von Gesandtschaftsberichten attestieren: 1. Beide folgen einer strengen inhaltlichen Selektion, die auf einen zugrundliegenden Berichtsauftrag schließen lässt. 2. Das Interesse richtet sich auf aktuelle Informationen, heilsgeschichtliche oder historische Aspekten werden ausgeklammert. 3. Die Berichte enthalten keine brisanten Details und kaum konkrete Hinweise auf Personen. 4. Das Netzwerk, in dem diese Texte weitergegeben wurden, ist zunächst vermutlich auf Personen im politisch-diplomatischen Dienst beschränkt. 5. Da diese Berichte nur einen Sachverhalt darstellen und zudem recht kurz sind, sind sie in der Überlieferung meist mit Texten kompiliert, die den heilsgeschichtlichen und allegorischen Bezugsrahmen herstellen. Über die Schnittstellen ihrer Verwendung werden überdies persönlichen Beziehungen und Kommunikationswege fassbar. Zumindest verdichten sich die Hinweise auf eine engere Verbindung zwischen Wilbrand, Jacques, Oliver und vermutlich auch Thietmar, die alle dem gleichen Zirkel von politisch aktiven Funktionsträgern derselben Generation angehörten und aus dem Raum Westfalen/Köln stammten. Oder sollte es Zufall gewesen sein, dass sie alle auf ein nahezu identisches Quellenkorpus zurückgriffen?

VI.3 Überlegungen zur Textgeschichte Im Vergleich der Rezeptionsformen des Burchardberichtes werden die Unterschiede und jeweiligen Besonderheiten der Sinnzuschreibungen deutlich. Das tertium comparationis ist der relativ konstant bleibende Burchardtext. Da alle Überlieferungssymbiosen innerhalb einer Zeitspanne von ca. 10–20 Jahren (von ca. 1200–1220) zu verorten sind, sind sie als weitgehend synchrone Lesarten nicht auf allgemein zeitbedingte Veränderungen der Interpretationsgewohnheiten zurückzuführen, sondern auf milieuspezifische Besonderheiten (Interpretationsgemeinschaften) und konkrete Gebrauchsinteressen. Die größte Distanz zum ursprünglich intendierten Gehalt des Berichtes ist bei Arnold gegeben. Die größte Nähe zeigt sich in der Nebenüberlieferung bei Thietmar und Jacques de Vitry, bei denen einzelne Passagen Teil der eigenen Erfahrung werden und der Berichtsinhalt ins aktuelle Wissen überführt wird. In allen Fällen aber scheint der Aktualitäts- und Informationsgehalt des Textes Anlass der Rezeption gewesen zu sein, Inhalt und Herkunft des Textes wurden als vertrauenswürdig eingestuft, vielleicht auch deshalb inhaltlich kaum verändert.351 In Überlieferungssymbiosen überführt wurde der Text nicht durch einfache Schreiber, sondern von Fachleuten hohen oder höheren Ranges.

351 Siehe dazu Kapitel II.1.

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 Rezeption und Textgeschichte

Schlussfolgerungen auf die Herkunft der Vorlagen lässt der unterschiedliche Umgang mit der Textvorlage nicht zu.352 Im Zusammenhang mit der Mitüberlieferung und dem Kollationsbefund können aber zumindest für Arnold und Thietmar Vermutungen in Hinblick auf eine chronologische und geographische Einordnung der jeweiligen Vorlage angestellt werden. Woher Arnold überhaupt die Vorlagen für seine Chronik bezog, ist bislang nicht ermittelt. Insgesamt besteht im Bereich der historiographiegeschichtlichen Grundlagenforschung für die Chronik noch Klärungsbedarf.353 Der Entstehungszeitraum der Chronik354 – und damit die Zeitspanne, innerhalb derer Arnold den Burchardbericht wahrscheinlich erhielt – lässt sich nicht exakt eingrenzen. Vermutlich hat Arnold erst nach der Jahrhundertwende mit der Abfassung seines Werkes begonnen;355 fertiggestellt wurde es Bernd Ulrich Hucker zufolge in der Zeit von März bis August 1210.356 Es wird davon ausgegangen, dass Arnold die meisten Informationen mündlich erhalten hat und nicht auf andere Chroniken und Annalen zurückgreifen konnte.357 Dank seiner Lebensstationen Braunschweig, evtl. auch Hildesheim,358 und Lübeck verfügte Arnold über weitreichende Kontakte.359 Nachweislich verwandte er zur Abfassung 352 Schon die erhaltenen Handschriften geben selbst wenig Auskunft über ihre Herkunft, da die Abschriften zwar spätere Besitzvermerke aufweisen, die ursprüngliche Provenienz aber nicht nachweisbar ist. 353 Scior, Terra (2008), 150 Anm. 6. 354 Der ursprüngliche Titel – ob Historia oder Chronica – ist bislang nicht gesichert, Walther, Überlieferung (2008), 12. Den Namen Chronica Slavorum erhielt das Werk aufgrund der gemeinsamen Überlieferung mit Helmold, die schon vor 1231 einsetzte, Hucker, Historia (1988), 98–100; Walther, Überlieferung (2008), 17  f., siehe Stemma von Walther, Kapitel VIII.1.1. 355 Anregungen erhielt Arnold möglicherweise vorher, ein früherer Abfassungsbeginn ist u.  a. nach Grabkowsky jedoch unwahrscheinlich (frühestens 1192), Grabkowsky, Arnold (1993), 225  f.; RömerJohannsen vermutet den Beginn dagegen schon vor 1177, Römer-Johannsen, Braunschweig (1979), 10. Zu dieser Frage auch Damus, Slavenchronik (1872), 16; Scior, Eigenes (2002), 224 Anm. 10; Panzer, Chronik (2008), 51 Anm. 18. 356 Hucker begründet das Datum ante quem mit der fehlenden Erwähnung Philipps von Ratzeburg anlässlich der Kreuznahmen für den Livlandkreuzzug 1211/12, welche spätestens Anfang September erfolgt sein muss, Arnold, Chronica, V, 30. Ed. Lappenberg (1869), 212. Auch die bei der Fertigstellung der Chronik noch unentschiedene Bremer Bischofswahl wurde Ende des Jahres 1210 entschieden (ebd., VII, 19, 249), Hucker, Historia (1988), 111–115; ihm folgend auch Grabkowsky, Arnold (1993), 225. 357 So schon Gundlach, Heldenlieder (1899), 101  f. Eine größere Bibliothek stand Arnold in Lübeck nicht zur Verfügung, Grabkowsky, Arnold (1993), 224  f.; Freund, Kommunikation (2008), 91; Scior, Eigenes (2002), 226; Berg/Worstbrock, Arnold (1978), Sp. 474; Damus, Slavenchronik (1873), 17–43. 358 Freund, Kommunikation (2008), 100. 359 Das Lübecker Kloster St. Johannis war von Bischof Heinrich, dem vormaligen Abt von St. Aegidien, gegründet worden; der Konvent stammte aus dem Braunschweiger Aegidienkloster, Naß, Auctorkult (1990), 174; Scior, Eigenes (2002), 238; Lorentzen, Bischof (2001), 41–48. Bezeugt sind enge literarische Beziehungen zwischen St. Aegidien und St. Johannis, Walther, Verschriftlichung (1997), 7  f.; Herbst, Leben (1936), 151  f. Heinrich war auch an Arnolds Ernennung beteiligt, Reuter, Quellensammlung (1875), 260; Panzer, Chronik (2008), 51 Anm. 19. Eine Verbindung bestand außerdem zu Herzog Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg, dem jüngsten Sohn Heinrichs des Löwen, für den er

Überlegungen zur Textgeschichte 

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seiner Chronik aus Hildesheim stammendes Material, das um 1195 in der sogenannten Jüngeren Hildesheimer Briefsammlung zusammengestellt und redigiert wurde.360 Während Arnold sich für seine eigene Darstellung auf verschiedene Informationsquellen stützte,361 die er aber nicht nannte, sind eingeschobene fremde Berichte in den meisten Fällen dagegen als solche gekennzeichnet.362 Für die Herkunft dieser offiziellen Schreiben lässt sich grundsätzlich der Weg über Geistliche vermuten, die in Beziehung zur kaiserlichen Kapelle oder Kanzlei bzw. zum Hof Heinrichs des Löwen standen.363 Die Kommunikationswege sind freilich mannigfaltig, doch ist auch hier eine Verbindung zu Hildesheim naheliegend.364 Mitglieder des Hildesheimer Domkapitels waren reichspolitisch aktiv; auch verfügten sie über eine ansehnliche Bibliothek und standen in Kontakt mit der Universität von Paris, wo viele Domschüler ihre Studien fortsetzten.365 Eine Verbindungslinie bestand hier vermutlich schon

die Gregorius-Legende Hartmanns von Aue ins Lateinische übersetzte. Durch Wilhelms Vermittlung dürfte Arnold auch Kenntnis weiterer Geschichtswerke erlangt haben, zumindest von Lampert von Hersfeld und Wilhelm von Malmesbury, Freund, Kommunikation (2008), 95. Dass Arnold auch als Verfasser des Widmungsgedichtes im Evangeliar Heinrichs des Löwen anzusehen ist, so Victor, Widmungsgedicht (1985), 321–323, erscheint allerdings unwahrscheinlich, Schmidt, Widmungsgedicht (1989); Grabkowsky, Arnold (1993), 231; Walther, Verschriftlichung (1997), 4  f. 360 Jüngere Hildesheimer Briefsammlung. Ed. De Kegel (1995). Freund hat für die Darstellung des Mainzer Pfingstfestes die Verwendung verschiedener in der Hildesheimer Briefsammlung überlieferter Schreiben nachgewiesen, Freund, Kommunikation (2008), 96–103; Schütte bemerkt Berührungspunkte mit der Sammlung in der Darstellung des Sturzes Heinrichs des Löwen, Schütte, Staufer (2008), 144  f.; auch Ahlers, Welfen (1987), 129 vermutet hier eine Grundlage. 361 Arnold hat nach Freund für seine eigene Darstellung „Quellen nicht einfach wörtlich in seinen Text übernommen, sondern er hat sie umgestaltet, in eigene Worte gekleidet und damit den Inten­ tionen seines Werkes unterworfen“, Freund, Kommunikation (2008), 103. Zu den Quellen der Chronik siehe Hucker, Historia (1988), 98–119; Wattenbach/Schmale, Geschichtsquellen (1976), 439; für den Bericht Heinrichs des Löwen verwandte Arnold v.  a. die Sentenzen des Petrus Lombardus, Fried, ­Jerusalemfahrt (1998), 127  f. und die Dialoge Anselms von Havelberg, Lorentzen, Bischof (2001), 27  f.; Staats, Heinrich (1998), 11–13. 362 Gekennzeichnet als Übernahmen sind das Berufungsschreiben des Lübecker Domkapitels, Arnold, Chronica, I, 13. Ed. Lappenberg (1869), 125–127; der Brief Konrads an Hartbert, ebd., V, 19, 192– 196; der Brief Graf Balduins an Otto IV., ebd., VI, 19, 224–226; der Brief Balduins an die Christenheit, ebd., VI, 20, 226–230; ein Brief Innozenz‘ III., ebd., VII, 3, 231–233; ein weiterer Brief Innozenz‘ III., ebd., VII, 4, 233  f. und der Bericht Burchards/Gerhards. 363 Freund, Kommunikation (2008), 95. 364 Vgl. Freund, Kommunikation (2008), 99–103. Die enge Verbindung zur Hildesheimer Kirche wird an verschiedenen Stellen in der Chronik deutlich, ebd. 100  f. 365 Eine enge Verbindung bestand seit den Ottonen zwischen dem Hildesheimer Domkapitel und der Hofkapelle; Rainald von Dassel (Dompropst, dann Kanzler Barbarossas) und Konrad von Querfurt, Schüler der Domschule und wohl auch Domkanoniker, Wendenhorst, Konrad (1962), 184, später Kanzler unter Heinrich VI. und unter Phillip, erlangten besondere Bedeutung im Reich. Bischof Adelog (1170–1190) erhielt auf Veranlassung Barbarossas seinen Bischofsstuhl und begleitete diesen auch auf dem fünften Italienzug; eine Verbindung bestand ebenso zwischen Adelog und dem Reichslegaten Christian von Mainz, Goetting, Adelog (1984), 417; 424; 426. Zur Hildesheimer Domschule siehe

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 Rezeption und Textgeschichte

über Bischof Heinrich von Lübeck (1172–1182), zu dem Arnold in einem engen Verhältnis stand.366 Heinrich besaß ebenso Verbindungen zum Braunschweiger Blasiusstift und dem Welfenhof; zusammen mit Bischof Konrad I. (1164–1172) hatte er Heinrich den Löwen nach Jerusalem begleitet.367 Auffällig sind bei Arnold besonders die häufigen Erwähnungen Konrads von Querfurt (* um 1160; † 1202).368 Konrad erhielt seine Ausbildung ebenfalls in Hildesheim und trat früh in den Reichsdienst ein: 1188 ist er als Kapellan Barbarossas bezeugt, wurde 1195 Kanzler unter Heinrich  VI., dann unter Phillip. Von 1194–1199 war er Bischof von Hildesheim, später von Würzburg (1198–1202).369 Als Reichslegat für ganz Italien370 begleitete er Heinrich VI. 1996 nach Apulien, blieb aber mit dem Hildesheimer Domkapitel in Kontakt. Seinen Brief an den dortigen Dompropst und seinen ehemaligen Lehrer Hartbert371 über den Zustand Apuliens von 1196 überliefert einzig Arnold, andere Verbreitungswege dieses Schreibens sind nicht bekannt.372 Hermann, Ovid (1967); Seiters, Domschule (2001); Gallistl, Bibliothek (2010); Ders., Dombibliothek (1996).; Kruppa, Reform (2012), 48. Zur Verbindung mit Paris: Classen, Gerhoch (1960), 15  f.; Budinsky, Paris (1876/1970); Gallistl, Dombibliothek (1996), 65. 366 Arnold, Chronica, I, 5. Ed. Lappenberg (1869), 119  f.; Scior, Eigenes (2002), 224; 232  f. Heinrich stammte aus Brabant (Geburtsort war Arnold zufolge Brüssel, das Geburtsjahr ist ungewiss), hatte in Paris studiert und leitete zunächst die Hildesheimer Domschule, dann die des Braunschweiger Domstiftes St.  Blasius. 1162 wurde Heinrich zum Abt von St.  Aegidien erhoben. Zusammen mit Bischof Konrad I. von Lübeck begleitete er Heinrich den Löwen auf dessen Jerusalemfahrt, der ihn gezielt förderte und dessen Vertrauter er war; schließlich nutze Herzog Heinrich der Löwe St. Blasius und St. Aegidien als „zentrale Stütze für den Ausbau und die Absicherung seiner Landesherrschaft“. Am 24. Juni 1173 wurde Heinrich zum Bischof von Lübeck geweiht und gründete kurz darauf das Benediktinerkloster St. Johannis; dort scheint er auch seine letzte Lebenszeit verbracht zu haben und wurde daselbst bestattet. Zu Bischof Heinrich siehe Lorentzen, Bischof (2001); Ehlers, Fürst (1995), 13; Grabkowsky, Heinrich (1994); Dies., Arnold (1993), 213; Kintzinger, Bildung (1995), 199; Scior, Eigenes (2002), 232  f.; Panzer, Chronik (2008), 48 Anm. 13; zu St. Blasius: Döll, Kollegiatsstifte (1967). 367 Arnold, Chronica, I, 1. Ed. Lappenberg (1869), 116. 368 Zu Konrad siehe Goetting, Konrad (1984); Wendenhorst, Konrad (1962); Rudolph, Konrad (2003); Bach, Konrad (1988); Münster, Konrad (1890); Freund hält ihn für den Hauptinformanten Arnolds, Freund, Kommunikation (2008), 101. 369 Ein Zusammenhang zwischen Kanzler- und Bischofsamt ist nicht erwiesen, die Bischofsweihe empfing Konrad vermutlich erst 1196/97, Goetting, Konrad (1984), 464. Während er sich noch auf dem Kreuzzug befand, wurde er 1197/98 zum Bischof von Würzburg gewählt, verzichtete aber nicht auf das Hildesheimer Bischofsamt, was zur Exkommunikation durch Innozenz III. führte, Wendenhorst, Konrad (1962), 187–190. 370 Goetting, Konrad (1984), 462. 371 Zu Hartbert siehe Goetting, Hartbert (1984); Hartbert folgte Konrad im Bischofsamt 1199, nachdem dieser von seinem Amt suspendiert worden war, ebd., 467. 372 Arnold, Chronica, V, 19. Ed. Lappenberg (1869), 192–196; dazu Goetting, Konrad (1984), 457–477, bes. 462  f. Arnold leitet den Brief Konrads ohne feste Verbindung zur eigentlichen Handlung mit der Begründung der „Erbauung“ ein: Nec piguit ad edificationem aliorum hic ponere epistolam Conradi cancellarii (…). Später beschreibt er die von Konrad in Italien angehäuften Schätze, Arnold, Chronica, V, 26. Ed. Lappenberg (1869), 204, und überliefert ein in Straßburg entstandenes Schreiben Hein-

Überlegungen zur Textgeschichte 

 471

Belege für eine Identität Konrads mit dem gleichnamigen Lübecker Bischof Konrad II. (1182–1184) haben sich bislang nicht finden lassen,373 so dass mit diesem, ebenfalls ein ehemaliger kaiserlicher Kapellan, möglicherweise eine weitere Verbindungslinie zum kaiserlichen Hof bestand.374 Auch über den aus Bremen stammenden Bischof Dietrich (1186–1210) bestanden Beziehungen zum Hof, die Arnold eigens betonte.375 Während bei Arnold zumindest einige Daten vorliegen, die ihn innerhalb eines Netzwerkes von Personen verorten helfen, ist über Thietmar nichts weiter bekannt. Aus den bei Thietmar verwendeten Passagen ergibt sich zwar nur ein Fragment eines Burchardberichtes, doch ist dieser Textzustand älter als die Hyparchetypen, auf die einerseits Arnold, andererseits die Fretelluskompilation zurückgeht. Zeitlich ist er vor 1200 anzusetzen. Über die Verwendung des Burchardberichtes im Verein mit Fretellus und dem Innominatus V zeigt sich eine Verbindung mit Kreuzzugspredigern auf, denen Thietmar vermutlich angehörte. Dafür spricht der Zeitpunkt seiner Reise wie auch der Fokus seines Berichtes. Eine Verbindung Thietmars zu Norddeutschland bzw. in die nördlichen Diözesen des Erzbistums Köln ist nicht abwegig. Hierher stammte auch Oliver von Paderborn.376 Jacques de Vitry gehörte ebenso dem Erzbistum Köln an, er war Geistlicher in Lüttich, woher auch Heinrich von Lübeck stammte. Die richs VI. an seinen Kanzler, ebd., V, 25, 202. Ob Arnold und Konrad sich persönlich kannten, ist nicht sicher. Es bleibt die Frage, wie und wann Arnold in den Besitz der Informationen und Schriften Konrads kam, wenn sie denn von demselben stammten. 1199 verlor Konrad das Hildesheimer Bischofs­ amt, hielt sich 1200 aber dort auf, da er seine Suspension anfocht und auch weiterhin als Bischof von Hildesheim rekognoszierte, Wendenhorst, Konrad (1962), 191. Im Mai vertrieb er Plünderer aus dem Gebiet des Braunschweiger Aegidienklosters, Arnold, Chronica, VI, 4. Ed. Lappenberg (1869), 215. 1201 entzog Philipp ihm das Kanzleramt, am 3. Dezember 1202 wurde er ermordet. Die möglicherweise von Konrad gesammelten Briefe und Schriften dürfte Arnold erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts erhalten haben, vermutlich aber erst nach Konrads Ermordung und nicht durch diesen selbst. Angenommen werden kann, dass auch seine Schriften in Hildesheim gesammelt wurden. In welcher Form, als Abschrift oder Original, die Handschriften weitergegeben wurde, steht nur zu vermuten. 373 Die Identität mit Bischof Konrad II. von Lübeck hat Scheffer-Boichorst widerlegt, so Cohn, Kaiser (1867), 230–232, dagegen Cohn, ebd. 232; Wendenhorst, Konrad (1962), 185; Berg, Helmold (1976), 440.; Series, Ed. Weinfurter/Engels (1984), 67  f. 374 Über den Lübecker Bischof ist wenig bekannt, er wurde von Barbarossa in das Amt investiert, verließ Lübeck aber schon nach zwei Jahren, Biereye, Lübeck (1929), 310–313. Arnold schildert ihn positiv, Arnold, Chronica, III, 6. Ed. Lappenberg (1869), 148  f. Scior scheint von einer Identität mit Konrad von Querfurt auszugehen, da er Bischof Konrads Laufbahn mit der Konrads von Querfurt verbindet, Scior, Eigenes (2002), 233 Anm. 50; 235; 239 Anm. 79. 375 Arnold, Chronica, III, 14. Ed. Lappenberg (1869), 157  f; Series, Ed. Weinfurter/Engels (1984), 68  f.; Freytag, Nordosten (1969), 475; Scior, Eigenes (2002), 233–235; Biereye, Lübeck (1929), 313–333. Dietrich war Neffe Hartwichs von Bremen und durch dessen Einsatz investiert worden, später aber in Feindschaft zu Erzbischof Hartwig II. von Bremen und den Pfalzgrafen Heinrich geraten, Scior, Eigenes (2002), 234. Als Grund dafür betont Arnold die fides imperii Dietrichs, Arnold, Chronica, V, 11. Ed. Lappenberg (1869), 185. Beziehungen bestanden zwischen Lübeck und Bremen über den Handel der Stadt auch mit Köln, Berg, Helmold (1976), 441; verwandt war Dietrich mit Bischof Albert von Riga, Hucker, Politik (1987), 50. 376 Siehe Kapitel VI.2.3 Anm. 342.

472 

 Rezeption und Textgeschichte

Wege der am Kreuzzugsgeschehen Beteiligten kreuzten sich in Europa und im Orient, es handelte sich über eine zahlenmäßig überschaubare und gut vernetzte Elite, die Zugriff auf das gleiche Material hatte.377 Die Herkunft einer früheren gemeinsamen Textstufe verdichtet sich in den nördlichen Diözesen des Erzbistums Köln oder des Erzbistums Mainz (Hildesheim und Paderborn), deren Prediger aktiv in der Kreuzzugspredigt waren. Auch bei den viel später entstandenen Kurzfassungen verdichten sich die Hinweise auf eine Herkunft aus diesem Gebiet.378 Der soziale Umkreis des Publikums und damit des Textes liegt bei Personen, welche mit der kaiserlichen Kanzlei in Verbindung standen. Eine ursprünglich „offizielle“ Herkunft des Schriftstückes scheint zunächst dominant gewesen zu sein, da die Autorreferenz vollständig wiedergegeben und auf die Zuverlässigkeit des Inhalts vertraut wurde. Wo die Aktenstücke der kaiserlichen Kanzlei einst aufbewahrt wurden, ist unbekannt. Kaiserliche Notare oder Kapläne fertigten möglicherweise aber gezielt Abschriften von Aktenstücken an und gaben sie weiter. Frühere Abschriften und die Zirkulation des Burchardberichtes sind im Zusammenhang mit den Kreuzzügen vor 1200 durchaus denkbar. Schon 1199 sollte auf Veranlassung Innozenz  III.379 Informationsmaterial über Ägypten gesammelt werden, in diesem Zusammenhang wurde man eventuell auf Burchard aufmerksam. Im Zusammenhang mit dem Aufruf zur Informationssammlung steht auch der anonyme ‚Tractatus de locis et statu sancte terre iersolimitane‘, der ebenfalls erst nach dem Briefwechsel Innozenz‘ III. mit Haymarus publik geworden zu sein scheint. Der Brief Haymars an Innozenz III. gibt Aufschluss über das Vorgehen bei der Materialsammlung über den Orient: Hier wurden keine neuen Berichte verfasst, sondern vorhandenen Texte zusammengetragen und um das Nötigste ergänzt. Daraus erklärt sich auch die Unsicherheit bei der zeitlichen Einordnung. Als Bedarf angemeldet wurde, wurden sie aktualisiert. In der Erforschung mittelalterlicher Reiseberichte, speziell was den Sonderfall des Gesandtschaftsberichtes betrifft, besteht noch in vielerlei Hinsicht Klärungs­ bedarf. Die Erforschung der Herkunft des Innominatus V könnte weiteres Licht in das Dunkel der Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Orientberichte werfen, was Entstehungskontext, Aufbewahrung und Transmission solcher Texte angeht.

377 Wilbrand von Oldenburg war Reisebegleiter Hermanns von Salza, er folgte dann Oliver von Paderborn im Bischofsamt nach, der seinerseits Hermann wie auch den Kaiser beriet. 378 Ausgehend von der Verbindung Hildesheim-Paris oder der Herkunft aus der Kanzlei sind aber daneben auch ganz andere Verbreitungswege des Burchardberichtes denkbar. 379 Menzel, Kreuzzugsideologie (2000).

VII Ergebnis Das Beweisziel der quellenkritischen Untersuchung bestand darin, die im Prolog des Orientberichtes aufgestellten Behauptungen, dass es sich bei dem Text 1. um ein Produkt einer Gesandtschaftsreise handelt und 2. eigene Erfahrungen dargestellt sind, auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Beide Behauptungen lassen sich durch den Befund der Untersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigen. Die Prüfung der Historizität des Berichts in der Textanalyse hat einen engen Zeitbezug des Dargestellten zum angegebenen Berichtszeitraum 1175/1176 ergeben. Die enthaltenen Informationen konnten überwiegend nur innerhalb einer kurzen Zeitspanne nach der Herrschaftsübernahme Saladins, zwischen ca. 1170 und 1176, erworben werden und sind nicht in lateinischen Parallelquellen verbürgt. Im Vergleich mit der bis zu diesem Zeitpunkt vorhandenen literarischen Tradition und vor dem Hintergrund des anzunehmenden allgemein verfügbaren Wissensbestandes über Ägypten und Syrien sticht besonders die Neuartigkeit der überwiegend durch Autopsie gewonnenen Informationen hervor. Burchard erlangte seine Informationen hauptsächlich durch mündliche Vermittlung vor Ort, der Bericht zeugt von einem intensiven Austausch zwischen Muslimen und Christen. Als Informanten Burchards können Vertreter unterschiedlicher Kontaktsysteme bestimmt werden, mit denen er sich während der Reise austauschte und deren spezifische Beschreibungs- und Wissensformen in die Darstellung einflossen. Die spezifischen Informationen, die dieses auf den ersten Blick eher belanglose Dokument bereitstellt, treten erst im eingehenden und akribischen Vergleich mit muslimischen Parallel- und Vergleichsquellen zutage. Hier zeigt sich, wie ergiebig ein transkulturell und interdisziplinär orientierter Forschungsansatz sein kann, denn bislang wurde der Gehalt des Berichtes völlig verkannt. Die Differenzqualität dieses in verschiedenen Hinsichten außergewöhnlichen Schriftstückes wird durch die Verwendung als authentischer Augenzeugenbericht über Ägypten während des Fünften Kreuzzuges bestätigt. Die Zirkulation des Berichtes innerhalb einer politisch engagierten Elite von Orientfahrern legt zudem nahe, dass hier ein versierter und vertrauenswürdiger Beobachter die Feder führte. Im Vergleich mit zeitnahen lateinischen Quellen erweist sich der Bericht nicht nur als außergewöhnlich für seine Zeit, sondern stellt eine Ausnahme dar, denn er dokumentiert ein neues und ungekanntes Interesse am aktuellen Ägypten, das sonst erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts greifbar wird. Die Überlieferung und Verbreitung des Berichts dürfte in engem Zusammenhang mit dem Befehl Papst Innozenz‘ III. 1199 stehen, in Vorbereitung auf einen erneuten Kreuzzug Informationen über Ägypten zusammenzutragen. Welche Indizien weisen den Bericht nun dezidiert als ein Produkt einer Gesandtschaftsreise aus? In Burchards Darstellung werden historische, biblische und legendenhafte Elemente ausgespart. Die Selektion der Informationen bezieht sich auf aktuelles Wissen, das als Wissensform einer sehr spezifischen Praxis der gezielten Beobachtungen anhand vorgegebener Fragestellungen zugeordnet werden kann, wie

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 Ergebnis

sie für diplomatische Unternehmungen relevant war. Der Bericht transportierte allem Anschein nach keineswegs banales Wissen, sondern Spezialwissen, das gezielt und mit einem Beobachtungsauftrag erworben wurde. Darauf weisen v.  a. die genauen Vermessungen, die Kategorien der Beschreibung und das Aussparen persönlicher Erlebnisse hin, welche in sonst allen zum Vergleich herangezogenen Berichten (mit Ausnahme des Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane) Teil der Darstellung sind. In Hinblick auf die strenge Selektion der Beschreibungskategorien mutet die allgemein gehaltene Ankündigung quecumque igitur in mihi commissa legatione vidi vel veraciter percepi que habitabili nostre terre rara vel extranea videbantur per mare et per terram scripto commendavi wie ein Bescheidenheitstopos an. Mit Blick auf die Funktionsbestimmung und Zweckbedingtheit des Berichtes können damit texttypologische Merkmale festgehalten werden, die für eine Gattungsbestimmung des Berichtes als Gesandtschaftsbericht sprechen. Für das Verhältnis von Text und Autor lässt sich der Autor Burchard als Textproduzent und Textverantwortlicher annehmen. Der Entstehungskontext ist eng an einen diplomatischen Auftrag gekoppelt. Die Eigenart der dargelegten Informationen ist kaum auf einen anderen Reiseanlass zurückzuführen, denn der Darstellung liegt offenkundig ein auf politisch und strategisch relevante Sachverhalte gerichtetes Erkenntnisinteresse zugrunde. Ohne eine offizielle Legation wäre das Reisen im Landesinneren Ägyptens und Syriens auch kaum möglich gewesen. Als Instruktion für den Orientbericht ist neben der religiösen Situation das Festhalten von ausschließlich im modernen Sinne geographischen Fakten anzunehmen: Urbanisation, Infrastruktur, Befestigung, Versorgungslage, Wirtschaftszweige, insbesondere Landwirtschaft, Erfassen des Raumes. Bestechend ist die zugrundeliegende Systematik der Auflistung, die so sonst erst ab dem 13. Jahrhundert begegnet. Burchard war vermutlich eine Art wissenschaftlicher Spezialist, der hier eine bestimmte Aufgabe wahrnahm. Die Geographie war grundsätzlich nicht unpolitisch und Selbstzweck, sie empfing Impulse aus der politischen Situation. Kernaussage des Berichts in religiöser Hinsicht ist die eines modus vivendi von Christen und Muslimen ungeachtet aller Gegensätze und Spannungen. Erörtert werden theologische Unterschiede jenseits jeder Polemik und Verzerrung.1 Nachrichten über Beziehungen zwischen Christen und Muslimen sind in der lateinischen Literatur sonst spärlich. Selbst Wilhelm von Tyrus berichtet nur vereinzelt von musli-

1 Rudolf Hiestand warnt in Bezug auf die Kontakte Richard Löwenherz, Heinrichs der Champagne und Saladin wie auch der christlichen und muslimischen Ritter aber davor, „die grundliegenden Gegensätze zu übersehen. Der religiöse Graben zwischen den beiden Seiten und die sich daraus ableitenden unterschiedlichen politischen Konzeptionen blieben. Sie konnten zwar kurzfristig überdeckt werden, doch standen sie bei Bedarf jederzeit abrufbar bereit“, Hiestand, Singen (1995), 72.

Ergebnis 

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mischen Boten am Hof von Jerusalem.2 Vom gesellschaftlichen Umgang miteinander, dem Verhältnis der Koexistenz, lässt sich daraus kaum etwas Konkretes er­sehen.3 Angenommen werden kann, dass der Bericht in dieser Form verfasst wurde, Aussparungen oder Hinzufügungen sind nicht erkenntlich. Dass es sich lediglich um ein unfertiges Manuskript handelt, wie John Tolan vermutet, legt die strenge Selektion und Systematik nicht nahe.4 Welche Bedeutung der Bericht für den Auftraggeber hatte und ob Burchard der Hauptgesandte war, bleibt dabei offen. Auffällig ist bei Burchard das Fehlen jeglicher Hinweise auf direkte diplomatische Begegnungen und die explizite Darstellung von Kontakten zu Vertretern des ayyubidischen Reiches, schließlich demonstrierte die Behandlung der Gesandten die Ehrerweisung gegenüber dem Kaiser nach dem Prinzip der unmittelbaren Stellvertretung.5 Die Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten zählte zu den zentralen und repräsentativen Aufgaben des Herrschers, wobei dem reibungslosen Ablauf von Repräsentation und Kommunikation ein hoher Stellenwert zukam. Honor des Herrschers und dignitas des Reiches waren Leitmotive des Handelns und mussten sichtbar zum Ausdruck kommen. Dass grundsätzlich ein Interesse an der Darstellung der konkreten Gepflogenheiten und der Aufnahme der Gesandten bestand, ist mehrfach für die Gesandtschaften Barbarossas bezeugt.6 Obwohl diplomatische Berichte über diffizile politische Beziehungen generell nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und der repräsentative Aspekt innerhalb eines sehr beschränkten Rezipientenkreises wohl nicht im Vordergrund stand, irritiert die bewusste Ausblendung dieses äußerst wichtigen Aspekts auf den ersten Blick. Das, was hier zu fehlen scheint, spricht aber umso mehr für einen Berichtsauftrag. Läge dem Bericht kein Auftrag vor, wäre das Einflechten direkter Personen und politischer Belange eher wahrscheinlich und das Ausblenden unwahrscheinlich. Offensichtlich wurden alle Herrscher- und Personenbeschreibungen absichtlich ausgespart. Der Bericht verrät nichts über eine historiographische Inszenierung der Zusammenkunft, der Autor wollte sich nicht mit seiner Bildung profilieren. Was war der Grund für die strenge Selektion und die Verschriftlichung gerade dieser Informationen in dieser Form? Mitzudenken ist als komplementärer Bestandteil des Schriftstückes der mündliche Botenbericht, der all das enthalten haben dürfte, was hier tunlichst verschwiegen wurde.

2 Ebd., 63. 3 Ebd., 64–71 für die Zeit des dritten Kreuzzuges. 4 Tolan, Europe (2009), 108; siehe I.1 Anm. 8. 5 Ehre (honor) war „zentraler Bezugspunkt von Kommunikation und Interaktion der Gesandten“ und alle demonstrativen Verhaltensweisen im Umgang mit Gesandten galten als politische Aussagen, ­Görich, Sprache (2008), 39; Zotz, Hof (1999). 6 Görich, Sprache (2008).

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 Ergebnis

Eine Zweiteilung diplomatischer Botschaften in einen mündlichen und einen schriftlichen Teil scheint nicht unüblich gewesen zu sein.7 Für die Zeit Heinrichs II. von England hat Pierre Chaplais festgestellt: „By Henry  II’s time (…) there already was a well established tradition for short messages of a non-secret nature to be sent in writing, in the form of letters close, whereas intricate and confidential communications were delivered orally, through one or several envoys, who relayed their master’s words, in form or in substance, to those for whom they were intended. In practice, diplomatic messages were often mixed and delivered partly by word of mouth and partly by letter, the same envoy acting as a courier as well as a mouth-piece.”8 Ähnlich bestimmt Beate Körber das neuzeitliche Verhältnis von Brief und Mündlichkeit: „Das Verhältnis von Brief und Gespräch im 16. Jahrhundert kann man mit zwei antithetischen Sätzen zusammenfassen: Briefe enthielten hauptsächlich das öffentlich Maßgebliche oder Gemeinschaftsbezogene oder das, was der Absender glaubte, ungescheut einer größeren Gruppe von Menschen anvertrauen zu können. Mündlich dagegen wurde verhandelt, was als privat oder intim galt oder was geheim bleiben sollte.“9 Inwieweit diese Dichotomie für die Überbringung von Informationen einer Gesandtschaft zutrifft, kann aufgrund des Quellenmangels für die Zeit Burchards nicht entschieden werden, dürfte angesichts der Verwendung mündlicher „Briefe“ in der diplomatischen Praxis aber eine ähnliche Tendenz aufweisen.10 Dabei wurden nicht nur brisante Botschaften mündlich weitergegeben. Gesandtschaftsberichte enthielten im späten Mittelalter zwei Teile: Der erste hatte das diplomatische Geschehen zum Inhalt, der zweite entsprach einem intelligence-report mit Informationen über das besuchte Land, die nicht mit dem Zweck der Gesandtschaft in Verbindung standen.11 Auch ist das Verhältnis von Schriftlichkeit zur Mündlichkeit nicht einfach als das einer „Negativfolie“ zu betrachten, im dem Sinne, dass „alles Nichtschriftliche geheim war und alles Schriftliche öffentlich war. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Schriftlichkeit (…) einiges, aber nicht alles anvertraut wurde und sie teilweise mündlich ergänzt wurde. Ein gewisser Anteil an Schriftlichkeit, der Geheimnisse enthielt, ist mit Sicherheit auch vernichtet worden.“12 In seiner Funktion als Gesandtschaftsbericht, dem ein dezidierter Beobachtungsauftrag zugrunde lag, spiegelt der Orientbericht den Bedarf an praxisorientiertem, neuem Wissen über das expandierende Ayyubidenreich am staufischen Kaiserhof 7 Vgl. Aigle, Rédaction (2013), 16  f. 8 Chaplais, Practice (2003), 45. 9 Körber, Ort (1997), 257. 10 Chaplais, Practice (2003), 47. Vgl. den bei Rahewin überlieferten Brief der Gesandten Heinrichs II. von England an Friedrich I., Otto von Freising, Gesta, III, 7. Ed. Schmale (1986), 404–407. 11 Das von Chaplais angeführte Beispiel des Hugues de Lannoy von 1433 an den Herzog von Burgund stellt jedoch eine Ausnahme dar, oft wurden die Berichte später vernichtet oder gut geschützt aufbewahrt, Chaplais, Practice (2003), 246. Berichte sollten meist innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens nach Rückkehr des Gesandten vorgetragen bzw. übermittelt werden. 12 Jucker, Geheimnis (2010), 67.

Ergebnis 

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wider. In einer Phase sich wandelnder Herrschaftsverhältnisse im Mittelmeerraum richtete sich das Interesse des Auftraggebers auf landeskundliche und strategisch verwertbare Informationen sowie auf theologische Grundsätze des Islams und die islamische Auffassung christlicher Glaubensinhalte. Dem Bericht können nicht nur konkrete Informationen in Hinblick auf die Entstehungszeit des Textes entnommen werden, er dokumentiert zugleich den intensiven Austausch zwischen muslimischen und christlichen Funktionsträgern. Über bloße Begegnungen und Kontakte hinaus, die im Bericht selbst überhaupt nicht explizit werden, und jenseits religiöser oder kultureller Polemiken, zeugen die von Burchard vermittelten Nachrichten von gegenseitigem konkreten Interesse. Bleiben auch noch viele Details verborgen, sind doch die Konturen des staufisch-ayyubidischen Gesandtenaustausches deutlich zu erkennen. Der Bericht kann jetzt seinen festen Platz in der Geschichte einnehmen.

VIII Edition VIII.1 Textträger und Überlieferung Acht Handschriften des Burchardberichtes sind bekannt, ein Autograph oder autorisierter Text liegt nicht vor.1 Den nahezu vollständigen Text bieten drei Sonderüberlieferungen der Handschriften: V = Vat. Lat. 1058 (f. 108r–112v); W = Wien Cod. 362 (f. 36r–38v) und ein von Paul Lehmann 1938 entdecktes Handschriftenfragment der Universität München2 (= M). Den gesamten Text überliefert auch Arnold von Lübeck im siebten Buch seiner Chronik (= A). Daneben existiert eine stark gekürzte und bearbeitete Fassung des Berichts, welche in Verbindung mit einer Version der Peregrinatio des Magisters Thietmar3 in vier Handschriften greifbar ist: ba = Basel B X 35 (f. 19v–22v); be = Berlin theol. Lat. quart 141 (f. 22r–24r); mü = München 2° Cod. ms. 102 (f. 213v–215r) und ge = Gent Ms. N° 486 (f. 125r–128r). Der Burchardbericht fungiert hier als Appendix von Thietmars Peregrinatio und bildet mit dieser eine thematische Einheit. Von Interesse ist die Peregrinatio (1217) des Thietmar selbst, da dieser zur Abfassung zahlreiche Passagen des Burchardberichtes im Wortlaut oder leicht bearbeitet übernahm, freilich ohne seine Quelle anzugeben. Neben Thietmar diente Burchard weiteren mittelalterlichen Rezipienten als Vorlage und entfaltete in der ersten Hälfte des 13.  Jahrhunderts, v.  a. im Vorfeld des Fünften Kreuzzuges, eine gewisse Wirkung. Wörtliche und inhaltliche Übernahmen finden sich im dritten Buch der Historia orientalis des Jacques de Vitry,4 Ähnlichkeiten bestehen mit Teilen der Historia Damiatina des Oliverus von Paderborn.5 Ursprünglich aus Burchard stammende Passagen finden sich noch im 15. Jahrhundert bei Johannes Poloner.6

1 Eine Liste der Textzeugen findet sich bei Reinhold Röhricht, Röhricht, Bibliotheca (1890/1963), 39  f. Die dort auf Grundlage von Pertz, Berichte (1839), 174, als verloren angegebene Handschrift B X 35 ist allerdings vorhanden; dagegen enthält die Handschrift Gent 483 den Bericht nicht, es handelt sich um wohl um eine Verwechslung mit der Hs. 486, die bei Jules Baron de Genois in die Handschrift 486 und ein Supplement 486 a unterteilt ist. Nicht aufgeführt ist hier das erst 1938 von Paul Lehmann entdeckte Fragment einer Münchener Handschrift, Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 61. 2 Ebd., 61. 3 Dieser Reisebericht ist auch unter dem Titel Iter ad terram sanctam, Epistola oder liber peregrinationis bekannt. Zeitpunkt der Reise war 1217/1218; über Thietmar selbst ist nichts weiter bekannt, Worstbrock, Thietmarus (21995); Jahn, Thietmarus (2012); Pringle, Pilgrimage (2012), 27–29; zu Thietmar siehe Kapitel VI.2.3.1. 4 Incerti scriptoris narratio. Ed. Giles (1846), 61–76. Das Buch ist von Jacques de Vitry konzipiert, aber in den überlieferten Versionen wohl nicht von ihm verfasst. Gleichwohl fehlt eine kritische Edition dieses dritten Buches, siehe dazu besonders Jacques, Histoire. Ed. Grossel (2005); Tolan, Vitry (2012); Bird, Oliver (2012); Dies., Historia (2003) und Kapitel VI.2.3.2 5 Oliver von Paderborn, Schriften. Ed. Hoogeweg (1894), 161–282. 6 Johannes Poloner. Ed. Tobler (1874), 278  f.

Textträger und Überlieferung 

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Das Ziel der Edition besteht darin, den möglichst ursprünglichen Wortlaut sicherzustellen. Der Editionstext soll dem Archetyp, d.  h. „in der textkritischen Begrifflichkeit de(m) ältesten noch zu erschließenden Überlieferungszustand“ nahekommen.7 Dabei kann nicht von der Prämisse eines singulären Archetyps ausgegangen werden, von dem sich die folgende Überlieferung ableitet.8 Grundlage der Edition bilden die drei Sonderüberlieferungen und die Überlieferung bei Arnold, da nur sie den vollständigen Text bieten. Berücksichtigt werden aber für den Textvergleich auch die oftmals abweichenden Kurzfassungen und die entsprechenden Passagen bei Thietmar, um eine möglichst breite quantitative Basis für Rückschlüsse auf den Wortlaut potentieller Vorlagen zu erhalten. Soweit möglich werden die für die Edition herangezogenen Handschriften und die Umstände ihrer Entstehung im folgenden beschrieben und anschließend die Ergebnisse des Handschriftenvergleichs in Hinblick auf die Entscheidungen für die Textgestaltung der Edition dargestellt.

VIII.1.1 Primäre Überlieferung VIII.1.1.1 Arnold von Lübeck, Chronica Den historisch ältesten Textzeugen überliefert Arnold von Lübeck im VII. Buch seiner Chronik.9 Ein erstes Problem bei der Heranziehung dieses Textzeugen besteht in der Sicherstellung des Wortlautes bei Arnold selbst, da eine Urschrift der Chronik nicht mehr existiert. Das Handschriftenverhältnis der elf noch vorhandenen Exemplare ist kompliziert; die Handschriften gehören verschiedenen Redaktions- und Bearbeitungsstufen an10 und bis dato steht keine den heutigen Ansprüchen genügende kritische Textausgabe zur Verfügung.11 Die von Johann Martin Lappenberg 1869

7 Bein, Textkritik (2011), 107. 8 Ebd., 107–116. 9 Ausgaben: Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869, Nachdruck 1925), VII, 8, 235–241 und Arnold, Chronica. Ed. Pertz (1868). Die Schulausgabe von Pertz erschien ein Jahr vor der Folioausgabe, beruht jedoch auf dieser. Frühere Ausgaben: Helmold, Historiarum liber. Ed. Schorkel (1556); Chronica. Ed. Reineccius (1581); Scriptores rerum Germanicarum. Ed. Lindenbrog (1609), 274–277 (nur fünf Kapitel); Chronica Slavorum Helmoldi. Ed. Bangert (1659), 240–568; Arnoldus Lubecensis. Ed. Leibniz (1710). Deutsche Übersetzungen: Laurent, Arnold von Lübeck (1853); in zweiter Auflage nach Abgleich mit der Lappenbergschen Kapiteleinteilung von Wattenbach bearbeitet, Chronik, bearb. von Wattenbach (1896, 31940). Zur Einschätzung dieser Übersetzungen siehe Auge, Probleme (2008). 10 Walther, Überlieferung (2008), 10. 11 Angekündigt ist eine moderne Kommentierung und Übersetzung in der FSGA von Christian Lübke, Oliver Auge und Matthias Hardt auf Grundlage der bestehenden MGH-Ausgaben sowie eine kritische Edition von Helmut G. Walter, vgl. Auge, Probleme (2008), 25  f. Das von Hans-Joachim Freytag beabsichtigte Editionsprojekt ist nicht fertig gestellt worden, Baethgen, MGH/Bericht (1952), 4; Grundmann, MGH/Bericht (1960), 5; Fuhrmann, MGH/Bericht (1987), V. Das von Freytag zusammengestellte Material und seine Vorarbeiten sind einsehbar im Archiv der MGH, Bestand K 93.

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 Edition

in den MGH besorgte Edition12 liefert einen Hybridtext auf Grundlage der Ripener Abschrift der Chronik von 1579, welche zwar den ältesten Textzeugen kopiert,13 selbst aber zahlreiche Schreibfehler aufweist.14 Schon Ende des 19.  Jahrhunderts galt diese Edition als überholt, zumal sie auf fehlerhaften stemmatischen Vorannahmen beruht.15 Zudem entsprechen die Eingriffe und Emendationen des Editors nicht modernen editionswissenschaftlichen Methoden, so dass diese Edition für den Handschriftenvergleich nicht herangezogen werden kann.16 Basierend auf den Untersuchungen von Johannes Mey und Helmut G. Walther soll der noch aus dem späten 13.  Jahrhundert stammende Berliner (Havelberger) Codex17 als historisch älteste und zuverlässige Textgrundlage für den Orientbericht dienen. Walther zufolge liegt mit diesem Exemplar der Chronik die einzig erhaltene direkte Abschrift einer nur leicht veränderten zweiten Autorfassung vor.18 Alle wei-

12 Zur Entstehungsgeschichte der Edition siehe Lappenberg, Ausgabe (1838). Zu Lappenberg: Schamberg, Lappenberg (2014); Postel, Lappenberg (1976). 13 Den ältesten Text bieten die vom vermutlichen Original X1 kopierten Schauenburger Frag­mente, welche aber nur die Kapitel  III, 5–10; IV, 2 und V, 27 umfassen, Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), 106–109; Mey, Kritik (1912), 11; Walther, Überlieferung (2008), 13; Freytag, Nordosten (1969), 472 Anm. 2. Aufbewahrt werden die Fragmente in Prag und Brünn, Hucker, Historia (1988), 99. Die Schaumburger Handschrift war möglicherweise schon unvollständig, ebd., 117 Anm. 67. Die Annahmen einer schauenburgischen Provenienz ist nach Walther allerdings unwahrscheinlich, da der Besitz der Schauenburger nur für die zweite Hälfte des 16.  Jahrhunderts aussagekräftig ist; auch erscheint eine Widmung für Graf Adolf III. von Schauenburg aufgrund feindseliger Äußerungen nach Walther „höchst unwahrscheinlich“, Walther, Überlieferung (2008), 15. 14 Aufbewahrt wird die Ripener Abschrift in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen unter der Signa­tur GKS 2288, 4˚. Bei Lappenberg trägt die Handschrift die Sigle  I*. Die Abschrift dieses Ex­ emplars weist Lücken, zahlreiche Abschreibfehler und nachträgliche Einfügungen auf, Mey, Kritik (1912), 18–20; Hucker, Historia (1988), 117 Anm. 67. Fragmente und Abschrift „weichen wiederholt in den Formulierungen von denen der anderen Hss. ab“, Notizen von Freytag im MGH-Archiv, Mappe 3. Johannes Mey zufolge wies schon die Schauenburger Vorlage Fehler, Ungenauigkeiten und Auslassungen auf, war also sicher nicht das Original, Mey, Kritik (1912), 18–20. 15 Während Lappenberg die Handschriften in zwei Klassen einteilt (Arnold alleine und in Verbindung mit Helmold), kam Johannes Mey nach Untersuchung der Varianten zu einer Einteilung nach Fassungen bzw. Redaktionsstufen. Zuvor nahm schon Gundlach, Heldenlieder (1899), 108  f. eine erste Redaktionsstufe (allerdings nur bis zum fünften Buch) an. Als bester Codex galt Mey der verlorene Codex Ranzovianus, dessen Varianten nur noch aus der Edition Bangert bzw. aus dem Varianten­ apparat Lappenbergs ersichtlich sind, Mey, Kritik (1912), 14  f.; Steffenhagen, Codex (1884). Zur Überlieferungssituation Walther, Überlieferung (2008) und Helmold, Cronica. Ed. Schmeidler (1937), Einleitung XVIII–XXV. 16 Scior, Eigenes (2002), 226; Freund, Arnold (2008), 2. 17 Der einstige Havelberger Codex wird nach seinem aktuellen Standort in der Staatsbibliothek zu Berlin (Sign. Ms. lat. fol. 296) als Berliner Codex bezeichnet, so auch Walther, Überlieferung (2008), 14. 18 Schon Mey nimmt hier – basierend auf Gundlach, Heldenlieder (1899), 108  f. – ein Autorexemplar oder ein in Arnolds Auftrag verändertes Exemplar an, Mey, Kritik (1912), 79. Angenommen, es handelt sich um eine weitere Autorfassung, muss als terminus ante quem 1212, das wahrscheinliche Todes-

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teren Handschriften der Chronik entstammen späteren Redaktionsstufen, auch ist der Bericht nicht in allen enthalten.19 Der Vergleich des Wortlauts mit der Ripener Abschrift und den weiteren Textzeugen des Burchardberichtes ergab, dass der Berliner Codex in Hinblick auf Burchard in den meisten Fällen gute Lesarten bietet und dem Ripener Manuskript vorzuziehen ist.20 Aus diesem muss allerdings der Blattverlust von sechs Seiten der Berliner Handschrift — immerhin die Hälfte des Textes — ergänzt werden. Auch zum Vergleich der Lesarten wird das Ripener Manuskript als zweitbeste Textgrundlage herangezogen, denn freilich lassen die Abweichungen zwischen der Berliner und der Ripener Handschrift nicht immer auf den ursprünglich von Arnold niedergeschriebenen Wortlaut schließen.21 Im Variantenapparat werden daher beide Arnold-Lesarten mit den Siglen A(B) und A(R) aufgeführt.

jahr Arnolds, gelten. Ein „Zusammenhang mit der Herstellung eines oder mehrerer neuer Widmungs­ exemplare von Arnolds Werk im Lübecker Johanniskloster“ muss jedoch dahingestellt bleiben, Walther, Überlieferung (2008), 16. 19 Nicht enthalten ist der Bericht in den Handschriften Nr. 4 (Universitätsbibliothek Kopenhagen, Ms. Add. 50 I) und deren Abschrift Nr. 6 (Königliche Bibliothek Kopenhagen, Coll. Arnamagnaicus fol. no. 30); eine Lücke enthält hier auch Nr. 5 (Universitätsbibliothek Kopenhagen, Ms. Add. 50 II); Nummerierung nach Stemma bei Walther, Überlieferung (2008), 23. 20 Die Lesarten im Berliner A(B) und Ripener A(R) Manuskript weichen in 29 Fällen voneinander ab. V.  a. bei Zahlenangaben bietet die Berliner Handschrift die besseren Lesarten, z.  B. XX versus sex (Z. 32); sex vs. septem (Z. 42); duo milia vs. L (Z. 72); bedeutungsverändernd sind z.  B. non nisi vs. enim (Z. 99); passim vs. spissim (Z. 120); sale gummeo vs. sale gemmam (Z. 329). 21 Die Bestimmung dieser beiden Handschriften als beste Textgrundlage bezieht sich hier einzig auf den Burchardbericht; für die Qualität der Handschriften in Bezug auf die gesamte Chronik ist die Gesamtedition abzuwarten. Als vollständige Abschrift des verlorenen Archetypus der ersten Autorfassung ist aber nur das Ripener Manuskript zur Ergänzung der fehlenden Seiten verfügbar.

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Abb. 26: Stemma der Überlieferung der Chronik Arnolds von Lübeck, Forschungsstand von 2006, entnommen aus Walther, Überlieferung (2008), 23.

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Beschreibung der Handschriften: A(B) Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Ms. lat. fol. 29622 (ff. 115r–118r) Die Pergamenthandschrift des späten 13.  Jahrhunderts23 mit dem Titel Arnoldi Lubecensis Chronicon enthält ausschließlich die Chronik Arnolds. 1837 wurde sie im Archiv der Havelberger Kathedrale24 gefunden und kam vermutlich 1839 in den Besitz der königlichen Sammlung zu Berlin, wo die „verwahrloste Handschrift“25 neu gebunden, mit einem Einband aus dem 19. Jahrhundert versehen und restauriert wurde.26 Der Codex umfasst 126 Blätter (Format des Buchblocks: 26,5 cm x 16,5 cm; Schriftrahmen: 16/17  cm x 11/12  cm; Blätter wurden beschnitten). Die nach Rose ursprüngliche Lageneinteilung in Quaternionen ist nicht verifizierbar, da die Einzelblätter seit der Restaurierung in Falz auf Papierstege geklebt sind. Geschrieben ist auf dünnem, teilweise beschädigtem, perforiertem Pergament, in gut leserlicher abkürzungsreicher Schrift in gotischer Kursive (zwischen 25 bis 30 Zeilen pro Seite, Linien mit brauner Tinte gezogen, einspaltig). Satzanfänge sind rot, abwechselnd blaue und rote Anfangsbuchstaben mit Zierlinien in der Gegenfarbe bilden ein dekoratives Element.27 Die Handschrift enthält weder Bucheinteilung noch Kapitelzahlen, nur Buch VI und VII sind als solche gekennzeichnet; auf den Rectoseiten findet sich eine moderne Blattbezifferung.28 Geschrieben ist sie von einer Hand, weist wenig Verschreibungen und Korruptelen, auch keine Verbesserungen oder Ergänzungen am Rand auf; ungewöhnlich sind die mit Tinte gezogenen Hilfslinien. Es fehlen einige Blätter des ursprünglichen Manuskripts, darunter diejenigen, die Anfang und Schluss der Chronik enthielten.29

22 Beschreibungen der Handschrift: Pertz, Nachtrag (1843), 831; Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), 109  f.; Rose, Verzeichnis (1905), Nr. 865, 1020; Handschriftenkataloge Berlin; Mey, Kritik (1912), 12; Krämer, Handschriftenerbe (1989), 323; Hamm, Arnold (2009), 354  f. 23 So Mey, Kritik (1912); Hamm, Arnold (2009); Walther, Überlieferung (2008), 14; zuvor wurde sie ins 14. Jahrhundert datiert: Rose, Verzeichnis (1905), Nr. 865, 1020; Handschriftenkataloge Berlin; Freytag datiert „um 1400“, Freytag, Archivmaterial Mappe 7. 24 Hucker verweist auf die Verbindung der in Havelberg wie auch in Ratzeburg ansässigen Prämonstratenserkonvente, welche in beiden Städten die Funktion des Domkapitels wahrnahmen und Empfänger einer Arnoldhandschrift waren, Hucker, Historia (1988), 116 Anm. 65. Die Domkirche zu Ratzeburg erhielt ein Widmungsexemplar, das der ersten Fassung zugerechnet wird, Walther, Überlieferung (2008), 13. 25 Rose, Verzeichnis (1905), Nr. 865, 1020. 26 Mey, Kritik (1912), 12; Hamm, Arnold (2009), 354. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Codex nach Beuron ausgelagert, gelangte dann nach Tübingen, Freytag, Archivmaterial Mappe 7. 27 Vgl. Rose, Verzeichnis (1905), Nr. 865, 1020. 28 Reste älterer Blattzählung finden sich auf den Bll. 39–42 (= jetzt f. 30–33). 29 Von den ursprünglich 18 Quaternionen fehlt der gesamte erste Quaternio, insgesamt 18 Blätter. Textverlust besteht in den ersten fünf der vierbogigen Lagen und am Schluss, vorn fehlen neun Blätter und das ungezählte Anfangsblatt (die erste Lage und zwei Blätter der zweiten Lage). Die Chronik beginnt f. 1 (eigentlich f. 10) mit den Worten proclamavit ad ducem (…). In der Mitte fehlen zwei Blätter

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Das den Bericht enthaltende Kapitel beginnt ohne Überschrift30 auf fol. 115r, vierte Zeile mit einem Horazzitat.31 Der Bericht selbst wird in der dritten Person Singular eingeleitet: Anno dominice incarnationis MCLXXV dominus Fredericus Romanorum imperator et augustus misit dominum Gerardum argentinensem videdominum in Egyptum ad Saladinum regem Babylonie. Der Bericht endet auf Seite 118r, Zeile 7 mit dem Satz: infra VII uxores licet habere sed non ultra ascendere nisi in concubinis ut dictum est. Es folgt von 118r, Zeile 7 bis 118v, Zeile 6 ein vermutlich Arnold zuzuschreibender Anhang.32 Das Pergament des Burchardbericht ist an einigen Stellen beschädigt, verderbt und fleckig, Blatt 116 ist stark perforiert.33 Der Burchardbericht ist von Textverlust betroffen: Auf fol. 117v bricht der Text unten mit Sunt alia loca diversa ubi beata Virgo habitabat in Egypto a Christianis et Sarra] ab und setzt 118r mit missas a contractu nuptiarum providet wieder ein. Zwischen 117v und 118r fehlen drei Blätter, ursprünglich umfasste das Insert also zwölf Seiten.34 Die fehlenden Textteile der Berliner Handschrift werden aus der Ripener Handschrift A(R) Königliche Bibliothek Kopenhagen, GKS 2288, 4°35 (ff. 166v–173r) ergänzt. Diese trägt den Titel Chronica Arnoldi Abbatis quibus continuatur Chronica Helmboldi36 pastoris in Buzon diocesis Lubicensis und enthält ebenfalls nur die Chronik Arnolds. Die Papierhandschrift besteht aus 186 Blättern37 und ist aus 18 Faszikeln zusammengebunden, welche unterschiedlich aus je 6 bis 14 Blättern bestehen und jeweils

des Quaternions VI9 f. 31–36 (hinter f. 31). Nach f. 116 fehlen in den vorhandenen zehn Blättern weiterer zweier Lagen am Schluss von XVII die Blätter 2, 3, 4 und 8, von XVIII erstes und letztes Blatt. Es fehlt der Schluss des ans Ende hinter VII, 19 (und vor den Epilog) gestellten cap. 30 von liber V. Die Handschrift bricht f. 126b mit den Worten ab: (…) sed suscepte fidei sacra | (menta), Beschreibung auf Grundlage von Rose, Verzeichnis (1905), Nr. 865, 1020. 30 Lappenberg gibt die Überschrift De statu Egypti vel Babylonie an, Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), 235. Bei Bangert und Leibniz ist der Bericht mit Gerhardi, Friderici I. in Aegyptum & Syriam ad Saladinum legati, itinerarium überschrieben, Chronica Slavorum Helmoldi. Ed. Bangert (1659), 516; Arnoldus Lubecensis. Ed. Leibniz (1710), 731. 31 Horaz, Ars poetica v. 333. Ed. Schäfer (1972), 24. 32 Der Anhang ist in keiner anderen Handschrift bezeugt, auch passt er inhaltlich und stilistisch nicht zu dem Vorhergehenden, so dass schon Lehmann hier die Autorschaft Arnolds annahm, Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 71. Siehe dazu Kapitel VI.2.1. 33 Möglicherweise waren die fehlenden Seiten gänzlich unbrauchbar und wurden daher nicht mehr in die Neubindung eingefügt. 34 Der vermutete Blattverlust stimmt mit dem bei Rose genannten Fehlen der Blätter 2, 3 und 4 der Lage XVII überein, siehe Anm. 29. 35 Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), 106–109; aufgeführt ohne Beschreibung in Ilsøe, Kongelige Bibliotek Bd. I (1999), 389. 36 Das b wurde nachträglich durchgestrichen. 37 Nummeriert sind aber nur 183 Blätter, auch in der Burchardhandschrift wurde ein Blatt nicht mitgezählt.

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von einer anderen Hand geschrieben wurden38 (Format des Buchblocks: 20,5  cm x 15,5  cm x ca. 4  cm; Schriftrahmen: ca. 12  cm x ca. 17  cm, je nach Hand; Rand: ca. 3 cm). Das Manuskript ist mit Lederbändchen in ein Pergamentblatt aus dem 14. Jahrhundert eingebunden.39 Die Seiten sind einspaltig beschrieben, die Zeilenzahl der einzelnen Seiten variiert in der Chronik abhängig von der jeweiligen Hand zwischen 20–26 Zeilen, ebenso die Größe der Schrift. Die Blätter sind nachträglich mit Bleistift mit arabischen Ziffern nummeriert, ursprünglich dürfte eine im Abstand von jeweils zwölf Blättern erfolgte Lagenmarkierung am Seitenende mit roten Buchstaben sein.40 Bücher oder Kapitel sind nicht nummeriert;41 Kapitelüberschriften sind rot, ab f. 104 grün, wechselnd dann auch schwarz (braun) und am Ende der Chronik wieder rot gehalten.42 Der Burchardbericht trägt keine eigene Kapitelüberschrift, sondern ist dem rot eingeführten Kapitel De liberatione Brunonis archiepiscopi43 nach einer Freizeile angefügt. Er beginnt auf f. 166v mit den Worten anno dominice incarnationis millesimo centesimo septuagesimo quinto (…) und endet f. 173r infra septem uxores licet habere (…) ut dictum est. Dem Bericht folgt f. 174 das Kapitel De morte Yffridi & substitutione Philippi.44 Zwischen den Blättern mit den Nummern 171 und 172 wurde ein Blatt nicht mitgezählt, so dass der Bericht hier insgesamt 16 Seiten umfasst. Die Abschrift weist häufige Verbesserungen in Form von Durchstreichungen auf, einige Nachträge am Rand,45 ist aber vollständig. Von intendierten Veränderungen durch die Kopisten ist nicht auszugehen; ein Handwechsel erfolgt ab f. 168 mit dem durch den Buchstaben R gekennzeichneten Beginn einer neuen Lage. Auffällig sind die oft ausgeschriebenen Zahlenangaben und die häufige Ausschreibung des Diphthongs  –ae– im Vergleich zur monophthongierten Schreibweise –e– in den anderen Handschriften.

38 Vgl. auch Freytag, Archivmaterial Mappe 10. Achtzehn Schreiber waren an der Abschrift beteiligt, ein weiterer beschrieb das erste Blatt mit dem Titel. 39 Freytag hat der Handschrift eine Notiz vom 26. 2. 1954 zum Einband beigelegt: „Pergamentblatt, in das die Hs. eingebunden ist, trägt in sehr sorgfältiger Schrift des 14. Jh. das fast vollständige Missale des 3. Sonntags nach Pfingsten (cf. Missale Romanum, Regensburg 1862, S. 321  f.) (…)“, es folgen die enthaltenen Teile des Missales. 40 Das Brünner und das Prager Fragment der ‚Schauenburger‘ Vorlage weisen Freytag zufolge eine identische Lagenbezeichnung auf, Freytag, Archivmaterial Mappe 3. 41 Eine Bucheinteilung besteht nicht; Ausnahmen bilden die Angabe liber secundus (f. 40r), der hier mit dem Kapitel De principatu Bernardi ducis beginnt, welches bei Lappenberg das dritte Buch ist sowie liber quartus, liber quintus und lib. VI, wobei der Beginn des VI. Buches mit dem bei Lappenberg identisch ist. 42 Vgl. Freytag, Archivmaterial Mappe 10. 43 Dieses entspricht dem Kapitel  VII, 7 bei Lappenberg, Arnold, Chronica, VII, 7. Ed. Lappenberg (1869), 235. 44 Dieses entspricht dem Kapitel VII, 9 bei Lappenberg, ebd., 241. 45 Am Rand ergänzt wurde habens in quantitate (…) lignum balsami, f. 169v und et arborem (…) succidebant, f. 170r.

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Eine Notiz auf dem Deckblatt der Chronik gibt Aufschluss über den Entstehungskontext dieser Handschrift:46 1579 wurde sie im Auftrag Arild Huitfeldts47 (1546–1609) als Abschrift einer im Schloss Schaumburg aufbewahrten Pergamenthandschrift von Schülern der Ripener Domschule angefertigt.48 Huitfeld, Reichskanzler und Historiker mit weitreichenden Kontakten, trug seit den 1570er Jahren historisches Material zur dänischen Geschichte zusammen, welches er seinen eigenen Werken zugrunde­ legte.49 Gut denkbar ist, dass der Pastor, Büchersammler und spätere königliche Historiograph Anders Søren Vedel (1542–1616) den Auftrag vermittelte.50 Vedel besaß enge Verbindungen nach Ribe, wo er seit 1573 eine Stelle (Einkünfte) als Domkanoniker innehatte und sich 1581 niederließ.51 In die Königliche Sammlung52 gelangte der Codex 1721 unter Frederik  IV. durch den Ankauf der Privatsammlung von Christian Reitzer.53

46 Haec Chronica ex antiquo manuscripto excripserunt Scholastici Ripenses, mandatu nobilissimi amplissimique viri, Arnoldi Huitfeld, orantes ut ignoscat, sicubi aut antiquam illam Orthographiam, Monachis usitatam retinuerint, aut nexus istos literarum compendiaque scribendi, non satis assecuti sint. 1579. 47 Zu Huitfeld siehe Ilsøe, Huitfeldt (1980). 48 Zur Schauenburger Handschrift siehe Anm. 13. Die Grafen von Schauenburg waren von 1386 bis zum Vertrag von Ripen 1460 mit dem Herzogtum Südjütland/Schleswig belehnt, Hoffmann, Schleswig (1999), Sp. 1486; Kraack, Schauenburger (2008); Hammel-Kiesow/Pelc, Landesausbau (1996), 116–120. Zum Zeitpunkt der Abschrift lag die gedruckte Edition von Schorkel schon vor, siehe Anm. 9. 49 Huitfeldt verfasste ab 1580 selbst historische Werke auf Grundlage seiner Sammlung; veröffentlicht wurden neun Bände einer Dänischen Geschichte (1595–1603), neu aufgelegt 1652 als Danmarckis Rigis Krønicke. 50 1584 übernahm Vedel das Amt des königlichen Historiographen, Bricka, Vedel (1904), 297  f.; Jansen, Universität (1992), 52  f.; Grønbaek, Bibliotheken (1998), 25  f. Vedel hatte 1575 die Gesta Danorum des Saxo Grammaticus ins Dänische übersetzt; 1579 gab er auf Anraten Huitfelds als erster die Chronik Adams von Bremen heraus; ein anderes Exemplar der Chronik ließ auch Huitfeld abschreiben, Kristensen, Studien (1975), 61–75; 85; 100. Enge Verbindungen bestanden zu Rantzau, den Brüdern Cypraeus in Schleswig, Lindenbrog, Otto von Düring u.  a., ebd., 95; Vedel richtete in Ribe auch eine eigene Druckerei ein, Grønbaek, Bibliotheken (1998), 26. 51 Bricka, Vedel (1904), 295. 52 Die Sammlung wurde von Frederik III. (1648–1670) gegründet, hatte ihren Ursprung aber schon unter Christian IV. und Frederik II. Sie besteht zum größten Teil aus Erwerbungen von privaten Sammlern, Ilsøe, Kongelige Bibliotek Bd. I und Bd. II (1999), 685  f.; Grønbæk, Bibliothek (2003). 53 Ilsøe, Kongelige Bibliotek Bd. I (1999), 62–67. Christian Reitzer (1665–1736) war Rechtsprofessor und besaß eine Sammlung von 17000 Bänden; im handgeschriebenen Archivkatalog E 15 in sind die von Reitzer erworbenen Bestände aufgelistet, ebd. 313–402, mit einem Abdruck der im Archivkatalog E 15 aufgeführten Bücher; Manuskripte unter Appendix C, 365–402. Der Eintrag im Katalog lautet „2194: Arnoldi Abbatis Chronica, quibus continuantur Chronicon Helmoldi, asservata in Castro Scowenburg, et ex antiquo Manuscr [ipto] exscripta, mandato Arnoldi Huitfeld, per Scholasticos Ripenses, 1579. MS.“ Zu Reitzer siehe den Artikel von Müller, Reitzer (1983).

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Innere Merkmale der Arnoldüberlieferung Der durch Arnold überlieferte Burchardbericht weist im Vergleich mit den anderen Überlieferungen einige Besonderheiten auf, welche die Frage nach Texteingriffen durch Arnold tangieren. Zu Beginn und am Ende bestehen erhebliche Differenzen bezüglich der Textgrenze und des Wortlautes. So ist im ersten Satz des Berichtes bei Arnold die Erzählperspektive ausgetauscht, die Darstellung beginnt in der dritten Person Singular.54 Im Unterschied zu den anderen Textzeugen betitelt Arnold Barbarossa als Fredericus Romanorum imperator et augustus und verwendet damit die kanzleiübliche Bezeichnung der Zeit.55 Ebenso ist das Ziel der Reise (in Egyptum ad Salahadinum) präziser als in den anderen Textzeugen angegeben.56 Über die Berufsbezeichnung vicedominus hinaus versieht Arnold den Verfasser Burchard (Gerhard) mit dem Titel dominus.57 Auch die hier abweichende Namensform Gerhard ist in keinem anderen Textzeugen zu finden. Es kann sich dabei um einen Abschreibfehler durch Arnold selbst handeln,58 möglicherweise wies aber schon seine Vorlage diesen Namen auf, denn das Arnoldinsert liefert ansonsten eine recht zuverlässige Abschrift; ein Lesefehler gleich zu Beginn der Abschrift macht zumindest stutzig.59 Nach dem Einleitungssatz schaltet Arnold den Satz nunc igitur ipsius persona loquentem attendatis ein, bevor der Bericht in der ersten Person einsetzt. Während Arnold damit die wörtliche Wiedergabe seiner Vorlage ankündigt, ist die Textgrenze am Ende des Berichts nicht ohne weiteres erkennbar und erst im Vergleich mit den anderen Handschriften zu bestimmen. Dem in allen anderen Handschriften letzten oder vorletzten Satz des Berichtes infra VII uxores licet habere, sed non ultra ascendere nisi in concubinis ut dictum est folgt einzig in der Chronik Arnolds ein Abschnitt, der offenbar nicht von Burchard, sondern von Arnold selbst stammt. Der Anhang beginnt mit Quid inter ista considerandum (…) und endet mit Terra etiam (…) benedicta generavit.60

54 Anno dominice (…) misit dominum Gerardum anstelle von misit me. 55 Üblich war auch gloriosissimus, vgl. die Formulierung im Brief Konrads an Hartbert, Arnold, Chronica, V, 19. Ed. Lappenberg (1869), 193. In der Chronik wird Barbarossa sonst meist schlichter als ­imperator bzw. rex imperator oder dominus imperator bezeichnet, z.  B. ebd., IV, 8, 171. Fredericus wird in der Berliner Handschrift in italienisch beeinflusster Schreibweise wiedergegeben, in der Ripener Abschrift aber Frithericus geschrieben, was hier keinen Schluss auf die Schreibweise in Arnolds Vorlage zulässt. 56 In den Handschriften W, V und M findet sich lediglich die Angabe ad regem Babylonie. 57 (…) dominum Gerardum argentinensem videdominum. Der Terminus dominus als häufige Bezeichnung von Ministerialen kann auf Burchards soziale Stellung deuten, vgl. Schneidmüller, Herrschaft (2000), 55. 58 Vgl. die Lesung Gerhard für Burchard in der Urkunde Barbarossas vom 20. August 1178 in Lyon (DF. I. Nr. 757, 310) in: Cartulaire de Saint-André-le-Bas. Ed. Chevalier (1869) Nr. 89, 305. 59 Diesem Fehler kann zumindest kein Motiv unterstellt werden, vgl. Schubert, Typologie (2002), 130. 60 Es folgt die Überleitung zum nächsten Kapitel: Hec de statu gentilium sive ecclesie, quam inter ipsos mirabiliter Deus conservare dignatur, dicta sufficiant. Nunc ad ordinem historie prosequendum revertamur.

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Nicht auszuschließen ist, dass Arnold einen ursprünglichen Schlusssatz wegließ, um seinen Teil nahtlos anzufügen. Aufgrund der offenkundigen Textveränderungen zu Beginn und am Ende des Berichtes ist eine Bearbeitung auch des Berichtes insgesamt vermutet worden oder war zumindest nicht auszuschließen,61 zumal in der Forschung insgesamt Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit Arnolds bestehen.62 Berechtigte Skepsis betrifft insbesondere den Bericht über die Pilgerfahrt Heinrichs 1172,63 Konstrukt ist auch sein Bericht über die Geschehnisse in Chiavenna, die Arnold nördlich der Alpen stattfinden lässt.64 In der Darstellung des Mainzer Pfingstfestes von 1184 stellt Freund „erhebliche Ungereimtheiten und Widersprüche zum heute als gesichert geltenden Wissen über jene Zeit“ fest.65 Paul Lehmann bestätigt Arnold zwar „eine gute Wiedergabe des 61 Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 71; Scior, Eigenes (2002), 282; Ders., Mediteranean (2004), 112. 62 Scior, Terra (2008), 150; Ders., Eigenes (2002), 229; Berg, Helmold (1976), 102; 439  f.; Freund/ Schütte, Zusammenfassung (2008), 210; Goez, Leihezwang (1962), 229  f. Irrtümer Arnolds führt schon Gundlach auf, Gundlach, Heldenlieder (1899), 102–105; Freund schreibt diese u.  a. Arnolds „Fabulierlust“ zu, Freund, Kommunikation (2008), 103–111. Darüber hinaus steht Arnold unter Verdacht der Urkundenfälschung. Walther vermutet zumindest eine Verwicklung, wenn nicht Urheberschaft Arnolds an der Fälschungsaktion von 1188, bei der die Lübecker dem Kaiser ein Privileg mit angeblich von Heinrich dem Löwen verbrieften Rechten präsentierten, das Barbarossa bestätigte, Walther, Verschriftlichung (1997), 12  f.; Ders., Kaiser (1989). 63 Arnold, Chronica, I, 1–12. Ed. Lappenberg (1869), 115–125. Gegenstand der Kontroverse ist u.  a. die Frage, ob Arnold als Augenzeuge des Geschehens Informationen aus erster Hand vermittelt. Die Teilnahme Arnolds nehmen an u.  a. Joranson, Pilgrimage (1938), 150–155; Jordan, Heinrich (1979), 176; Grabkowsky, Arnold (1993), 229. Für unwahrscheinlich hält dies v.  a. Fried, Jerusalemfahrt (1998); vgl. auch Petersohn, Ostseeraum (1979), 112 Anm. 64; Herbst, Leben (1936), 139  f. Zweifel äußern schon Lappenberg, Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), 5 (Einleitung) und Wattenbach, Geschichtsquellen (1886), 344. Dagegen hebt Scior die religiös motivierte Darstellungsabsicht Arnolds hervor, die der Strukturierung und Ausgestaltung seiner Darstellung als Pilgerbericht zugrunde liege. Aufgrund des Konstruktionscharakters entspräche das gezeichnete Bild nicht einem realen Ablauf, die Frage nach Arnolds Augenzeugenschaft sei aber nicht einwandfrei zu beantworten, Scior, Eigenes (2002), 229 Anm. 32, v.  a. 291–309; vgl. auch Georgi, Lebensstationen (1999), 98. 64 Arnold, Chronica, II, 1. Ed. Lappenberg (1869), 128. Umstritten ist, ob 1176 überhaupt eine Begegnung von Barbarossa und Heinrich stattfand; Fried bezeichnet Arnolds Schilderung als „inversives Implantat“, Fried, Schleier (2004), 252–255. Die bei Arnold etablierte kausale Verknüpfung mit dem späteren Prozess gegen Heinrich und einer Absicht Barbarossas, Heinrich zu stürzen, ist aus der Rückschau konstruiert, Görich, Barbarossa (2011), 484; Schneidmüller, Innovationspotentiale (2009), 61; Weinfurter, Entmachtung (1995); Hechberger, Vorstellung (2003), 423; Ehlers, Heinrich (2008), 220–227; Althoff, Historiographie (1995), 166; Schütte, Staufer (2008), 133–140; Engels, Entmachtung (1988). 65 Freund, Kommunikation (2008), 86. Die Darstellung der Rangstreitigkeit zwischen dem Abt von Fulda und dem Erzbischof von Köln bei Arnold ist singulär (Arnold, Chronica, III, 9. Ed. Lappenberg [1869], 151–153) und Stephan Freund zufolge ein Konstrukt, da hier verschiedene Ereignisse vermengt werden, Freund, Kommunikation (2008), 109–111; dazu auch Görich, Barbarossa (2011), 512  f. Weitere Irrtümer bei Freund, Kommunikation (2008), 109 Anm. 124. Genealogische Fehler unterlaufen Arnold auch hinsichtlich Gertrud, der Mutter Heinrichs des Löwen und Stifterin des Braunschweiger Aegidi-

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Originalberichtes“, ist aber der Auffassung, „daß man Arnold in der Treue der Überlieferung des Burchardberichtes bislang überschätzt hat.“66 Auffällig sind im Unterschied zu anderen Handschriften der mehrfache Satzbeginn mit item sowie eine häufigere Verwendung von Partikeln.67 Abgesehen von Abweichungen, die als iterierende Varianten, Schreib- oder Lesefehler einzuordnen sind,68 bietet Arnold aber wenige Lesarten, welche nicht von anderen Handschriften gestützt werden.69 Die fremden Orts- und Eigennamen bieten im Vergleich mit den anderen Textzeugen eine gute Lesart.70 Auch die in der Überlieferung variierenden Jahresangaben sind größtenteils korrekt angegeben. Abgesehen vom Einleitungssatz weicht einzig der Satzanfang cumque requirerem quid de mulieribus istis contigat (…)71 von den Lesarten der anderen Handschriften ab, die diesen anekdotenhaften Einschub nicht so deutlich als Gesprächssituation wiedergeben.72 Insgesamt wirkt der Bericht kohärent und scheint weitgehend ohne Lese- und Abschreibfehler überliefert.73 Nicht ausgeschlossen bleibt, dass Arnold zur Erleichterung des Leseflusses und zur verstärkten Interaktion zwischen Sprecher und Adressaten gelegentlich Partikeln und einzelne Worte hinzufügte, diese Addenda besitzen jedoch kaum semantische Relevanz.74 Weitere willentliche Eingriffe in den Text konnten durch die Kollationieenklosters, dem er selbst angehört hatte, Arnold, Chronica, VI, 4. Ed. Lappenberg (1869), 215. Weitere Verwandtschaftsverhältnisse werden in Auswahl und nicht immer mit Namensnennung wiedergegeben, Schütte, Staufer (2008), 118 Anm. 15; 115–118. 66 Dieses Urteil macht Lehmann am veränderten Einleitungssatz und dem angehängten Schlussteil fest. Ausgangspunkt ist für ihn aber die nicht haltbare Annahme, dass die Wiener Handschrift den ursprünglichen Wortlaut bewahrt habe, so dass abweichende Lesarten bei Arnold als Bearbeitungen gelten müssen, Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 71. 67 Item in sechs Fällen; et und autem jeweils zwei Mal, vero drei Mal sowie scilicet und quantumcumque. 68 Zur Kategorisierung abweichender Lesarten siehe Bein, Fassungen (1999); Schubert, Typologie (2002); Pohlheim, Textfehler (1991); Stackmann, Texte (1964). 69 Auf Grundlage der Kollation sind als Worthinzufügung, abgesehen von den schon genannten Partikeln, anzunehmen u.  a. boves (Z. 226); cultellum aureum anstatt acutum (Z. 322); meretricum anstelle von sodomitarum (Z. 332). 70 Beispiele im Vergleich mit den Sonderüberlieferungen: Saydanaia, Alapie, Heyssessini, Tyberiam. Auch im Vergleich mit dem Wortlaut der Chronik findet sich für Saladin die bessere Schreibweise Salahadin vs. Salhadin, Arnold, Chronica, IV, 15. Ed. Lappenberg (1869), 177; die Assassinen bezeichnet Arnold selbst gar nicht als solche, ebd., IV, 16, 178. 71 Z. 162  f. 72 Arnold setzt in seiner Chronik häufig das Stilmittel der wörtlichen Rede ein, um die Dramatik der Handlung zu steigern, so dass die hier einzig bei Arnold zu findende Lesart auf ihn zurückgeführt werden kann. Ebenso verwendet er häufig Metaphern, um bestimmte Tendenzen zu verstärken, Panzer, Chronik (2008), 66–68. 73 Das Ende der Vorlage scheint jedoch defekt bzw. schwer lesbar (und abkürzungsreich) gewesen zu sein. 74 Ohne adverbiale und präpositionale Anschlüsse stünden die Sätze asyndetisch nebeneinander, wie aber in Heiliglandbeschreibung und anderen Texten häufig. Zur Einteilung, Definition und Funktion lateinischer Satzadverbien und Partikeln: Schrickx, Modalpartikeln (2011); Kroon, Discourse par-

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rung nicht bestätigt werden. Arnolds Absicht war allem Anschein nach, den Bericht als eigenständiges Dokument zu überliefern, dem Leser aber im Anschluss mittels Kommentar eine Verständnishilfe anzubieten. Aufgrund der Übereinstimmungen mit allen anderen Textzeugen kann die Arnoldversion des Burchardberichtes als recht zuverlässig beurteilt werden, was somit auch auf seine Vorlage zutreffen muss.75 VIII.1.1.2 V Rom, Bibl. Vaticana, Codex Vat. Lat. 1058, ff. 108r–112v Beschreibung der Handschrift76 Die in der Bibliothek des Vatikans77 aufbewahrte theologische Sammelhandschrift stammt ursprünglich aus dem deutschen Sprachraum78 und ist im letzten Viertel des 13.  Jahrhunderts entstanden.79 Am Rand des Buchblocks findet sich ein Besitzverticels (1995); Ders., Framework (1998); Pinkster, Adverbs (1972). In Anlehnung an das Diskursmodell von Kroon können drei Ebenen eines Sprechaktes unterschieden werden: Die Repräsentationsebene (semantische Ebene), die Präsentationsebene (rhetorische und diskursorganisatorische Ebene) und die Interaktionsebene (Interaktion zwischen Sprecher und Adressaten), Kroon, Discourse particles (1995), 58–96; Schrickx, Modalpartikeln (2011), 5–7. Partikeln und Konnektoren spielen für alle drei Ebenen eine Rolle. Die Partikel im Arnoldtext dienen hauptsächlich der Textorganisation, v.  a. item und et, um Texteinheiten parataktisch miteinander zu verbinden; ihre Funktion besteht darin, die Kohärenz des Textes zu verstärken und die Textadressaten indirekt einzubeziehen: item und et (additive Konnektoren); autem (adversativ); vero (dient als Commitment-Marker, der Sicherheit und Gewissheit ausdrückt); Funktion und Bedeutung können variieren, ebd., 9–24; 47–52; 53–59; Kroon, Discourse particles (1995), 80–89. 75 Dies muss nicht gleichermaßen auf die anderen Einschübe in der Chronik zutreffen; unsicher bleibt die Echtheit des bei einzig bei Arnold überlieferten Briefes Konrads von Querfurt, Arnold, Chronica, V, 19. Ed. Lappenberg (1869), 192–196; Scior, Eigenes (2002), 316 Anm. 431. Die Briefe Balduins stimmen aber ebenfalls weitgehend mit der Überlieferung überein, Arnold, Chronica. Ed. Lappenberg (1869), VI, 19 (an Otto IV.) und 20 (an alle Bischöfe und Fürsten des Reiches), 224–230; weitere Inserte (Briefe und Urkunden) sind aufgeführt bei Damus, Slavenchronik (1873), 17–36. 76 Beschreibung des Codex in: Bibliothecae, II, 1. Ed. Pelzer (1931), 603–612 und (auf dieser Grundlage) Beschreibung der Pius XII Memorial Library aus dem Zeitraum von 1951–1958 (Saint Louis Universität, USA), online. Auf den Codex im Zusammenhang mit anderen Schriften wird verwiesen bei: Baron, Hugues (1959), 257 (Verweis in: Bibliografia retrospettiva, Bd. II. Hrsg. von Buonocore [2011], 309); Oberleitner, Überlieferung (1969), 119; 267 und (1970), 275 (Verweis aus Bibliografia, Bd. II. Hrsg. von Buonocore. [1986], 1014); Erler, Geschichte (1986), 219; Lewis, Isabella (1990), 249 (Verweis aus Bibliografia. Hrsg. von Ceresa, [1998], 471); Hinnebusch, Manuscripts (1997), 160 (Verweis aus: Bibliografia. Hrsg. von Ceresa [2005], 602); Bethmann, Nachrichten (1872), 222  f. (Verweis aus Bibliografia retrospettiva, Bd.  I. Hrsg. von Buonocore [1994], 428). 77 Zur Bibliothek siehe Grafinger, Beiträge (1997); Fabian, Handbuch (1998) online, Vatikanische Bibliothek; Piazzoni/Jatta, Conoscere (2011); Stickler, Biblioteca (1986). 78 Angabe aus Rorgo Fretellus. Ed. Boeren (1980), 88; Hinweis auf einen deutschsprachigen Eintrag in Bibliothecae, II, 1. Ed. Pelzer (1931), 612. 79 In der Beschreibung der Pius XII Memorial Library (online) findet sich die Angabe des Zeitraumes zwischen 1274 und 1299, allerdings fehlt eine Begründung. Der Zeitpunkt post quem ergibt sich aus den im Codex enthaltenen Schriften, nicht aber ein genauerer Zeitpunkt ante quem.

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merk von Pius VI. und dem Kardinal Francesca Saverio de Zelada, aus dessen Sammlung der Codex anscheinend stammte.80 Die Pergamenthandschrift umfasst der Beschreibung August Pelzers zufolge 134 Blätter (Schriftraum: 14,3  cm x 10,9  cm, das Format des Buchblocks ist nicht angegeben).81 Nach Pelzer ist der Codex aus unterschiedlichen, ungewöhnlich dicken Lagen zusammengesetzt; das Lagenverhältnis lässt sich mit der Formel: VII28+V48+VIII64+V74+(X-9)94+VI106+VII134 zusammenfassen.82 Die Seiten des Codex sind ein- oder zweispaltig beschrieben; die Zeilenanzahl variiert zwischen 16–32 Zeilen pro Seite. An der Fertigstellung der Handschrift waren mehrere Hände beteiligt, geschrieben ist in gotischer Minuskel (textualis libraria und semitextualis libraria).83 Überschriften sind rot gehalten, es gibt wenig Korrekturen und Randbemerkungen, nachträgliche Foliierung. Auf f. 28v ist zur Illustration von Bonaventuras Traktat lignum vitae ein Diagramm des Lebensbaumes84 dargestellt; die Handschrift enthält sonst nur dekorative Initialen.85 Über die Provenienz der Handschrift ist nichts bekannt, die Einteilung der Faszikel deutet darauf hin, dass die Komposithandschrift aus einzelnen, eigenständigen Vorlagen kombiniert wurde, die eigens für diese Handschrift zusammengestellt bzw. ausgeliehen wurden. Die Handschrift enthält eine Vielzahl theologischer Schriften: Meditationen, Predigten, Abhandlungen, Gebete und Exzerpte aus größeren Werken, welche zumeist aus dem 12. und 13.  Jahrhundert stammen.86 Es handelt sich größtenteils um recht 80 In tegumenti lateribus scuta Pii VI et F. X. de Zelada card. bibliothecarii, Bibliothecae II, 1. Ed. Pelzer (1931), 612. Francesca Saverio de Zelada (1717–1801), Kardinalstaatssekretär unter Pius VI., hatte ab 1779 das Amt des Bibliothekars der Heiligen Römischen Kirche inne und sammelte selbst Handschriften, Bücher, Münzen, Medaillen und Kunstwerke. Seine bedeutende Privatbibliothek (6000 Bde.) überließ er nach seinem Tod der Vatikanischen Bibliothek, siehe Fabian, Handbuch (1998) online, Vatikanische Bibliothek Kap.  1.17; über Vorbesitzer des Codex ist nichts bekannt. Zu Zelada siehe ­Miranda, Zelada (online); Weber, Referendare Bd. 3 (2003/2004), 989; Del Re, Curia (1998), 90; Artikel Zelada, in: Dizionario di erudizione 103 (1861), 460–469. 81 Bibliothecae II, 1. Ed. Pelzer (1931), 603. Die Angaben der Handschriftenbeschreibung sind von Pelzer übernommen, da mir der Burchardbericht nur als Kopie vorlag. 82 Siehe Bibliothecae II, 1. Ed. Pelzer (1931), 612. 83 Beschreibung der Pius XII Memorial Library. Zum Vergleich der verwendeten Schriftarten siehe Bischoff, Paläographie (2009), 171–195; Foerster/Frenz, Paläographie (32004), 223–256; Stiennon, Paléographie (21991), 125–145; Abbildungen in: Arndt/Tangl, Schrifttafeln (1976), Abb. 22–26; 56b–62; 87 (gotische Minuskel); Abb. 28, 64; 66 (Textura), 27; 65; 67; 70; 88b; 95  f.; 101; 104–107 (gotische Kursive); 27; 29, 63; 68  f.; 92–95; 99a; 100–102 (Bastarda); Steffens, Paläographie (21929). 84 Bonaventuras ‚Lignum vitae‘ ist um 1260 entstanden, Darstellungen des Lignum sind ab ca. 1280 bekannt, Palmer/Rückert, Lignum (2009), 121  f.; Ligtenberg, Lignum (1928), Kemper, Kreuzigung (2006), 83–85. Abbildung und Edition ohne Verwendung des vat. Codex: Bonaventura, Lignum vitae. Ed. Collegium S. Bonaventura (1898), 68–87; Bonaventura, Decem opuscula. Ed. Collegium S. Bonaventura (1965), 155–206. 85 Bibliothecae II, 1. Ed. Pelzer (1931), 605; 612; Pius XII Memorial Library. 86 Inhaltsverzeichnis verkürzt und z.  T. verändert und ergänzt aus Bibliothecae II, 1. Ed. Pelzer (1931), 603–612 und Pius XII Memorial Library (daraus die Nummerierung; Titel und Autoren werden in der

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verbreitete Schriften bekannter Autoren, deren Verfasser jedoch nicht immer genannt werden; auch sind die Schriften teilweise nur in Auszügen wiedergegeben. Von den insgesamt 35 unterscheidbaren Bestandteilen umfassen die meisten nur wenige Seiten.87 Den Hauptgegenstand des Codex bilden mystische Texte, die Zusammenstellung und Anordnung der Schriften orientiert sich an der Stufenfolge mensch­ Handschrift selbst jedoch selten angegeben): 1. ff. 1r–23v: Auszüge aus Iohannis (abbatis Fiscamnensis) Meditationes et orations, ediert in: Augustinus, Opera. Ed. Migne (1865), 897–902; 909–936 und Joannes fiscamnensis abbas. Ed. Migne (1853), 448–454; 457–461; 2. ff. 23v–24r: Oracio (Ambrosius), stark abweichend von: B. Flaccus Albinus, Opera. Ed. Migne (1863), 1386; 3. ff. 24r–26r: Anselm von Canterbury, Meditationes 2, ediert in: B. Flaccus Albinus, Opera. Ed. Migne (1863), 722–725 und Joannes fiscamnensis abbas. Ed. Migne (1853), 463; 4. ff. 26r–41r: Bonaventura, ‚Lignum vitae‘ et annotations, ediert in: Bonaventura, Lignum vitae. Ed. Collegium S. Bonaventura (1898), 68–87; Bonaventura, Decem opuscula. Ed. Collegium S. Bonaventura (1965), 155–206; 5. ff. 41r–45v: ‚Vita beatae Virginis Mariae et Salvatoris rythmica‘, Excerpta, ediert in: Vita. Ed. Vögtlin (1888), 69–74; 193–196; 6. ff. 45v–48v: ‚De conformacione crucis materialis ad crucem Christiʻ; 7. f. 49r: ‚Gaude simplex innocentia‘ und Verse des Hildebertus Cenomanensis (De vanis invitatorum excusationibus; Versus de aetate sepis, canis, equi, viri), ediert in: Hildeberti, Opera. Ed. Migne (1854), 1277; 1391; 8. ff. 49r–55r: ‚De dilectione Dei quam exhibuit humane infirmitati‘ (theologica); ‚De poenis reproborum‘ (de iustitia); 9. ff. 55r–70r: Adam Teutonicus, ‚Summula metrice conscripta ex Summa Raimundi de Pennaforte‘; 10. ff. 70r–71v: Pseudo-Bernard von Clairvaux, ‚Carmen de corpore et sanguine Christi‘; 11. ff. 71v–73r: ‚Sciendum quod multa in comoda proveniunt ex peccato‘; 12. ff. 73v–75v: ‚Dictamen fratris Friderici de angelo et homine et de diversis eventibus eorum ex voluntate et permissione dei‘; 13. ff. 75v–76r: ‚De prelio facto in celo draco cum Mychahele‘; 14. ff. 76r–79v: ‚Dictamen fratris Friderici de nativitate beate Virginis Marie et Ihesu Christi domini nostri nativitate‘; 15. ff. 80r–94v: ‚Vita beatae Virginis Mariae et Salvatoris rythmica‘, Excerpta, ediert in: Vita. Ed. Vögtlin (1888), passim; 16. ff. 95r–101r: Excerpta ‚De paradiso, de iudicio futuro, de regione damnatorum‘; 17. f. 101r–v: Hymnus de Iesu Christo eiusque cruce; 18. ff. 102r–103v: ‚De (septem gradibus) contemplationis‘; 19. ff. 103v–104r: Bernardus Morlanensis, ‚Marialis prologus‘, ediert in: Hymnographi. Ed. Dreves (1907), 424; 20. f. 104r–v: ‚De propriis nominibus eorum quos precepit dominus eici de terra promissionis‘; 21. ff. 104v–105r: Philippus de Grevia, ‚De beata Virgine Maria‘, ediert in: Sequentiae. Ed. Dreves (1891), 89; Cantiones. Ed. Dreves (1895), 170; 22. ff. 105r– 106r: Hymnus ‚de Sancto Iohanne Baptista‘; 23. f. 106r–v: Adam von S. Victor, ‚Sequentia de Sancto Petro et de Sancto Paulo‘ ediert in: Ricardus, Opera. Ed. Migne (1855), 1495–1498; 24. f. 106v: Annotantur gaudia beatorum; 25. f. 107r–v: Isidor Hispalensis, ‚De regionibus Asiae, Europae, Lybiae‘ (Etymologiarum lib. XIV, 3–5), ediert in: Isidor, Opera. Ed. Migne (1830), 496–511 und Isidor, Etymologiarum. Ed. Lindsay (1911); 26. ff. 108r–112r: Burchard, ‚Chronica Burchardi‘; 27. f. 112r–119r: Fretellus (angegeben: Eugesippus), ‚Tractatus de distantiis locorum Terrae Sanctae‘, ediert in: Godefridi epistolae. Ed. Migne (1854), 1039–1052; 28. ff. 119v–120v: Bernard von Clairvaux, loci ex ‚Sermonibus selecti‘, ediert in: Bernardus, Opera. Ed. Migne (1862), 620  f; 429  f.; 691; 29. f. 120v: Sermo de sancto; 30. ff. 121r–125v: Epistola Iohannis Prespiteri, ediert in: Zarncke, Priester (1879), 909–924; Epistola. Ed. Wagner (2000); 31. ff. 125v–128r: Miraculum Sancti Thomae apostolic, ediert in: Zarncke, Priester (1879), 837–843; 32. f. 128r: Miraculum quod contigit in vigilia omnium sanctorum, ediert in: Klapper, Erzählungen (1914), 311; 33. ff. 128r–134r: Expositio libri Apokalipsis; 34. ff. 134r–135v: Bernard von Clairvaux, Sermo 66 ‚De diversis‘; ‚De octo beatudinibus oppositis totidem peccatis‘, ediert in: Bernardus, Opera. Ed. Migne (1862), 688; 35. f. 134v: De quattuor speciebus magni amoris; De Deo mirabili mercatore. 87 Umfangreicher sind die Auszüge aus Werken des Johannis abbatis Fiscamnensis (1), Bonaventuras (4), Adam Teutonici (9), die ‚Cronica Burcardi‘ (26 und 27) und der Abschnitt aus der Offenbarung des Johannes (33).

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licher Erkenntnis bis zur Vollendung.88 Der thematische Schwerpunkt der Sammlung liegt auf der Einsicht und Erkenntnis der göttlichen Offenbarung, auf Sündhaftigkeit und Erlösung in Hinblick auf das Jüngste Gericht und die Teilhabe an der Gottesherrschaft,89 wobei grob ein zweiteiliges Gliederungsschema erkennbar ist: Im ersten Teil der Handschrift stehen Meditationen, Gebete, Reflexionen über Sünde und Erlösung; der zweite Abschnitt umfasst Beschreibungen des Heiligen Landes (25–27), denen sich der Brief des Priesterkönigs Johannes und Auszüge aus der Apokalypse anschließen. Diese Darstellungen zeigen komplementär zur spirituellen Ebene die materielle Vielfalt der Schöpfung auf, da in der mittelalterlichen Vorstellung auch die unmittelbar erfahrbare Seinsebene in Beziehung zum göttlichen Wort steht und auf eigene Weise Erkenntnis vermittelt. In Verbindung mit dem sagenhaften Priesterkönig dient die konkrete Beschreibung Ägyptens und des Heiligen Landes in der Chronica Burcardi der Absicht, die Gottesherrschaft anzukündigen.90 Innere Merkmale des Burchardberichtes Der Burchardbericht folgt einem Auszug aus Isidors Beschreibung Asiens, Europas und Libyens und ist gleich zweimal mit dem Titel Cronica Brocardi/Chronica Burchardi überschrieben. Die erste Überschrift wurde möglicherweise nachträglich ergänzt, da sie über dem Schriftrahmen steht. Der Burchardbericht wurde hier mit dem Rorgo Fretellus zugeschriebenen ‚Liber locorum sanctorum Jerusalem‘ kompiliert, der als zweiter Teil der ‚Cronica Burchardi‘ den Burchardbericht (f. 112–119) fortführt.91 Für die Nutzer dieses Codex bilden beide Texte eine Werkeinheit, getrennt nur durch 88 Die Teilschriften legen eine Herkunft aus einem Zisterzienser- oder Franziskanerkloster nahe. Eine Anzahl von Schriften weist Nähe zu Franziskanern auf: Bonaventura (4), Pseudo-Bernhard (10), Dictamen eines Frater Fridericus (12 und 14); Thomas Gallus (18); Philipp von Grevia (21), der Brief des Priesterkönigs Johannes (30). 1245/46 erhielt der Franziskaner Johannes de Plano Carpini den Auftrag, Informationen über den Priesterkönig einzuholen. Auch der letzte Eintrag De Deo mirabili mercatore (35) kann mit einem gerade von Franziskanern unterstützten Verdienstgedanken in Verbindung gebracht werden, vgl. Hamm, Religiosität (2011), 311. 89 Die erste Schrift des Codex beginnt programmatisch mit dem Hohelied 1,1: Osculetur me osculo oris sui – Worte, mit denen zu Beginn die Versöhnung zwischen Gott und Mensch erbeten wird. Allegorisch wird diese Passage auf die mystische Liebe zwischen Christus und der Kirche oder eher noch des einzelnen Gläubigen bezogen. Gedeutet wird der Satz auch in Hinblick auf die Erfüllung der Schrift an der Synagoge, Stoll, Virtus (1988), 55; Döbler, Mystik (2013), 93; Schreiner, Kuß (1990). Der letzte Eintrag ist Bernhards Predigt über die acht Seligpreisungen (beatitudines) als Antithesen zu den Lastern, vgl. Stoll, Virtus (1988), 251–296, gefolgt von einem Nachtrag in Anlehnung an Augustinus. Ausgangs- und Endpunkt des Codex bildet die erlösende Liebe des Schöpfers und das Streben nach Erfüllung des Gesetzes, wobei das Gesetz nicht als „Forderung, sondern als Gabe ins Blickfeld der Auslegung“ geriet, ebd., 48; zur Mystik der Zeit siehe Ruh, Geschichte Bd. 1 (1990) und 3 (1996); McGinn, Mystik (1999); auch Aertsen/Speer, Geistesleben (2000). 90 Denn Anfang und Ende der Schöpfung sollten sich an diesem Ort vollziehen und so die Geschichte abschließen, Schein, Gateway (2005), 109–140. 91 Zu Fretellus und zur Kompilation siehe Kapitel VI.2.2

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einen Absatz, da der Fretellustext ohne Nennung des Verfassers und der Widmung direkt mit der Beschreibung Hebrons einsetzt. Der Burchardbericht beginnt f. 108r mit einer großen Initiale und dem Satz Anno incarnacionis domini MCLXXV Fridericus Romanorum imperator misit me burcardum ad regem babylonie und endet f. 112r mit dem Satz Qui vivunt et regunt cum diabolo in secula seculorum. Die Kollationierung hat gezeigt, dass es sich hier um eine Abschrift handelt, die zusammen mit den Münchener Fragmenten auf eine gemeinsame Vorlage zurückzuführen ist, da beide mit Fretellus kompiliert sind und sie übereinstimmende Varianten enthalten. Charakteristisch für den Vatikanischen (wie auch den Münchner und Wiener) Textzeugen Burchards ist der im Gegensatz zu Arnold verkürzte Einleitungssatz, der die bei Arnold genaueren Angaben zu Autor, Ziel und Auftrag der Reise nicht mitteilt. Das Textende dieser Version in Verballhornung der liturgischen Ewigkeitsformel92 hebt ironisch den religiösen Gegensatz zwischen Christen und Muslimen hervor und passt kaum zur Landesbeschreibung Burchards; anzunehmen ist daher, dass es nachträglich hinzugefügt wurde. Im Vergleich mit M, W und A weist der Text einige Varianten, Kürzungen und Auslassungen auf. Die Zahlenangaben dieser Handschrift stimmen selten mit den Lesarten der übrigen Handschriften überein;93 es fehlen einige Satzteile, die auch bei M nicht stehen94 und folglich auf einer gemeinsamen fehlerhaften Vorlage beruhen, teilweise stimmen sie mit der Handschrift W überein. Abgesehen von einigen Lücken ist die Vatikanische Handschrift aber ein guter Zeuge des Burchardberichtes.95 Eine nähere Angabe, wann der Burchardbericht in dieser Version (*VMW) entstand und wann er mit dem Fretellustext kompiliert wurde, ist kaum möglich.96 Unter Vorbehalt kann kann für die Zusammenführung beider Schriften um 1200 Jahrhundert angenommen werden, da der Aufruf Innozenz‘ III., aktuelle Informationen über diesen geographischen Raum zu sammeln, 1199 erging.97 92 Die Formel qui tecum vivit et regnat in unitate Spiritus Sancti Deus: per omnia secula seculorum. Amen/qui vivis et regnas in secula seculorum. Amen findet häufige Verwendung, z.  B. bei der Gabenbereitung, im Friedensgruß und in Gebeten. 93 Z.  B. Z. 7; Z. 9; Z. 26. 94 Z. B. Z. 10; Z. 54; Z. 81; Z. 93; Z. 101; Z. 197. 95 Lehmann kam ausgehend von der Annahme, dass W dem Originalbericht am nächsten käme, freilich zu einem anderen Urteil: „Auf jeden Fall sind die Münchener Fragmente und der Vaticanus keine in allem zuverlässigen Zeugen für den ursprünglichen Wortlaut Burchards“, Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 71. 96 Lehmann vermutet, dass ein Kompilator schon um 1200 beide Texte zusammenführte, nennt dafür aber keine Anhaltspunkte. Ausgangspunkt scheint die Annahme zu sein, dass Thietmar aus dieser Chronica schöpfte, da er sowohl Burchard als auch Fretellus kopierte, ebd., 70  f. Hinsichtlich der Übernahmen aus dem Burchardbericht konnte die Kollationierung diese Annahme jedoch nicht bestätigen, da Thietmar in etlichen Punkten von V abweicht, dafür aber mit A übereinstimmt. 97 Stoßrichtung des 1198 ausgerufenen Kreuzzuges sollte Ägypten sein, im Frühjahr 1213 rief er zu einem weiteren Kreuzzug auf, der 1217 realisiert wurde, Mayer, Kreuzzüge (1995), 99; Roscher, Innozenz (1969).

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VIII.1.1.3 M Münchener Fragment Die Münchener Fragmente einer Burchardhandschrift sind nur noch in der Abschrift Paul Lehmanns zugänglich (publiziert 1940), da sie im Zweiten Weltkrieg verbrannten. Erst 1938 hatte Lehmann die einzelnen Blätter unterschiedlichen Formats im Archiv der Universitätsbibliothek entdeckt.98 Die Pergamente waren in die Innendeckel zweier Bucheinbände geklebt99 und ergaben zusammen zwei aufeinanderfolgende Quaternionen. Die aufgefundenen zwei Lagen bildeten ursprünglich das Ende eines Codex kleinen Taschenformats; Format der Blätter ursprünglich ca. 12,1 × 14,5 cm; 24 Zeilen pro Seite von derselben Hand geschrieben; sorgfältige, abkürzungsreiche Schrift des 14.  Jahrhunderts aus Süddeutschland, einzelne rote Initialen zu Beginn von Abschnitten, rote Abschnittsüberschriften; Unterabschnitte durch rote C-Zeichen eingeleitet; Eigennamen rot unterstrichen. „Die Blätter 1, 3, 4, 11, 15 haben allerdings breite Streifen rechts (auf dem Rekto, bzw. links auf dem Verso) verloren und fast von jedem Blatt ist entweder der obere oder der untere schriftleere Rand und zuweilen eine Zeile oben bzw. unten abgeschnitten worden; das offenbar (wie fo. 15v) unbeschrieben gewesenene 16. Blatt fehlt ganz.“ „Fol. 15r unten in roter Schrift Verse, die am Schluß durch das Abschneiden eines Pergamentstreifens verstümmelt sind, aber ergänzt werden können mit Ausnahme des Schreibernamens: Cronica completa Brokardi pectora l …|scriptori parit Jacoboque priori. kart, | alter scribendo resedit.“100 Den Burchardbericht hat Lehmann mit Ergänzungen aus Arnold und dem Vatikanum mitgeteilt. Der Text der Münchener Lagen beginnt mit den Worten A ad regem Babilonie101 und endet mit nisi concubinis ut dictum est. Qui vivunt et regnant cum dyabolo in secula seculorum. Amen.102 Wie in V ist der Bericht mit dem ‚Liber locorum sanctorum terrae Jerusalem‘ des Rorgo Fretellus zu einer Cronica Brocardi kompiliert, doch wird der Fretellustext hier im Gegensatz zur Handschrift des Vatikans mit der Zwischenüberschrift Descripcio Ebron eingeleitet, ohne aber auf einen anderen Verfasser zu verweisen. Die Münchener Fragmente stehen der vatikanischen Handschrift am nächsten und unterscheiden sich qualitativ nicht sehr von dieser. Merkmale sind wie in V Kürzungen, Auslassungen und Varianten, im Vergleich schlechtere Lesarten der Zahlenangaben und Eigennamen. M ist keine Abschrift von V, was sich an einigen Lesarten zeigt, die M abweichend von V mit anderen Hand-

98 Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 63–69. 99 Ebd., 61. Ein Pergament und drei Doppelblätter stammten aus einem nicht bezeichneten Band, vier Doppelblätter waren im Innendeckel des Druckes Jur. can 683 in folio (Lectura indignis d. Abbatis Syculi Panormitani super III. decretalium etc., Lugduni 1512) eingearbeitet. 100 Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 61. 101 Ebd., 63. 102 Ebd., 69.

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schriften teilt.103 M ist insgesamt fehlerhafter als V. Aufgrund des Textverlustes, der oft nur Halbsätze übrigließ, kann diese Handschrift nur partiell in die Kollationierung einbezogen werden. VIII.1.1.4 W Wien, cod. 362, ff. 36r–38v Beschreibung der Handschrift104 Bei dem Pergamentcodex (Buchformat 34 × 25 cm) handelt es sich um eine Sammelhandschrift von theologischen und literarischen lateinischen Texten. Die Handschrift zählt 241 Blätter, zweispaltig beschrieben zu 45–47 Zeilen, Schriftspiegel 25 × 18,5 cm, sie enthält Initialen und eine Miniatur.105 Aus einer Schreibernotiz106 und einem Besitzeintrag107 auf f. 1v ist ersichtlich, dass die Handschrift auf Christan (auch Christian) von Lilienfeld zurückgeht, der sie teilweise auch selbst schrieb. Christan von Lilienfeld ist von 1326–1328 als Prior des niederösterreichischen Zisterzienserklosters Lilienfeld108 bezeugt, die Handschrift dürfte demnach dort entstanden sein.109 Als Datum ante quem der Abfassungszeit ergibt sich das Todesjahr Christans nach 1330.110 Eine Teilabschrift aus der Wiener Handschrift ist in der Untersuchung der Legende von Saidnaya von Paul Devos abgedruckt.111 103 Z.  B. latere (Z. 15); cultellum acutum (Z. 246). 104 Da der Burchardbericht auf Grundlage einer Reproduktion (Scan) konsultiert wurde, stammen die Angaben der Handschriftenbeschreibung aus Unterkircher, Handschriften (1969), 20  f.; Tabulae, hrsg. von der Academia Caesarea Vindobonensis (1864–1899), 54  f. 105 Unterkircher, Handschriften (1969), 20. Keine Angaben zu Lagen, Schrift und Wechsel von Schrei­ber­händen. 106 Hoc volumen frater christanus partim scripsit et partim ut scribetur de paupertate sua comparavit. Hoc qui a domo alienaverit aut volenter viciaverit anathema sit amen, zitiert aus ebd., 20  f. 107 Liber beate marie virginis in Lylinveld, zitiert aus ebd., 21. 108 Das Kloster wurde 1202 von dem Babenberger Herzog Leopold IV. als Tochterkloster von Stift Heiligenkreuz (bei Wien) gegründet und ausgestattet, Leopold fand hier auch seine letzte Ruhestätte. Das Stift gehörte damit der Filiation der Primarabtei Morimond an. 1217 brach Leopold von hier aus zum fünften Kreuzzug auf, bei seiner Rückkehr 1219 schenkte er dem Kloster eine Kreuzreliquie, die er in Byzanz erhalten hatte. Die Stiftskirche nach dem Bautyp Cîtaux II war bei ihrer Vollendung 1263 die größte Kirche Niederösterreichs; mit bis zu 100 Mönchen war Lilienfeld das größte Kloster Österreichs im Mittelalter, zum Kloster siehe Rabl, Zisterzienserstift (2011); Friedrich, Zisterzienserstift (2007); Mussbacher, Lilienfeld (2002); Ders., Lilienfeld (1976); Ders., Lilienfeld (1965); Oettinger, Entstehung (1953). 109 Rückert, Legitimation (2009); Knapp, Schrifttum (2005). 110 Am Ende des Kompendiums ist der pseudo-aristotelische ‚liber de pomo‘ eingefügt, in dem der Tod des Aristoteles geschildert wird. Erst der Geruch eines Apfels befähigt den bettlägerigen Philosophen, seinen versammelten Schülern die Inhalte seiner Philosophie als Vermächtnis mitzuteilen. Die Schrift hat das Schicksal der Seele nach dem Tod und die Unsterblichkeit der Seele zum Thema und kann als antik-mittelalterliche Sterbehilfe gelesen werden, vielleicht ist dies ein Indiz auf ein spätes Abfassungsdatum der Schrift. 111 Devos, Saidnaia (1947), 263–268. Der Abschnitt, der die Assassinen beschreibt ist ohne Kenntnis von Devos wiedergegeben bei Hellmuth, Assassinenlegende (1988), 119  f.

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Von Christan von Lilienfeld112 sind mehrere Dichtungen liturgischen, spirituellen und moralischen Inhalts erhalten;113 zudem hat er eine umfangreiche Sammlung von Marienlegenden in Anlehnung an die ‚Legenda Aurea‘ des Jakob von Voragine zusammengestellt bzw. verfasst114 und ist Autor eines ‚Speculum animalium‘ sowie eines ‚Speculum vegetabilium‘. Sein Interesse lag vornehmlich auf Lyrik, rhythmisierten Dichtungen und Hymnen zu den Marien- und Heiligenfesten, der Trinität und der „Diskrepanz von Seele und Fleisch“.115 Die Handschrift vereinigt rund 39 religiöse und literarische Schriften, teilweise unvollständig und in Auszügen.116 Auffällig ist die Anzahl von (apokryphen) Visionen, pseudepigraphischen und philosophischen Schriften, die nicht zum klassischen theologischen Kanon gehören117 sowie aus der Antike überlieferte Geschichten

112 Foidl, Christan (2011); Worstbrock, Lilienfeld (2004); Wagner, Christan (2002); Ders., Klagelied (1988); Despineux, Miracles (1989). 113 Werksammlung: Christani Campililiensis Opera. Ed. Zechmeister (1992); einzelne Werke: Christan von Lilienfeld. Ed. Dreves (1903); Wagner, Philologia (2005); Wagner, Lilienfeld (2002); Idung. Ed. Huygens (1972), 314. 114 ‚Exempla Beate Marie Virginis‘, Despineux, Miracles (1989). 115 Wagner, Christan (2002), Sp.1906. 116 Bestandtteile nach Tabulae, hrsg. von der Academia Caesarea Vindobonensis (1864–1899), 54  f.: 1. ff. 1r–2v; 238; 239v–241r: Versus proverbiales; 2. ff. 3r–7r: Historia Apolloni Tyrii; 3. ff. 7r–8v: Visio Pauli Apostoli apocrypha; 4. ff. 8v–18r: Dialogus lucis et tenebrarum; 5. ff. 18v–26v: Esdrae liber quartus; 6. ff. 27r–36r: Joannes de Plano Carpini, De ritibus Tartarorum; 7. ff. 36r–38v: Burchardus, De Sarracenis; 8. ff. 38v–40r: Historia de conjugio Joseph et Assenech sumpta ex sacra historia; 9. ff. 40r– 41r: Testamenta XII patriacharum; 10. ff. 41r–42r: De Secundo philosopho; 11. f. 42r–42v: Excerpta ex Ambrosii, Augustini et Chrysostomi libris de trinitate et de praedestinatione; 12. ff. 43r–58r: PseudoAristoteles, Secreta Secretorum cum epistola Philippi interpretis ad Guidonem Papam; 13. ff. 58v–62v: Summa de exteriore homine; 14. ff. 62v–68v: Summa de interiore homine; 15. ff. 68r–84v: ­Dialogus duorum monachorum, unius de ordine Cluniacensum et alterius de ordine Cisterciensium; 16. ff. 85r–119v: Tabula exemplorum secundum ordinem alphabeti ad omnem materiam; 17. ff. 119v–120v: S. Fulgentius, Episcopus Ruspensis, Orationes sacrae duae; 18. ff. 121r–132r: S. Bonaventura, Stimulus amoris; 19. f. 132r: Narratiunculae tres latinae; 20. ff. 132v–140v: De caritate, e libris patrum. (Initium et finis desunt); 21. ff. 140v–175v: S. Bonaventura, Breviloquium; 22. ff. 176r–181v: Evangelium Nicodemi; 23. ff. 181v–188v: Pharetra contra Judaeos, 24. ff. 189r–199r: Tractatus de beate Virgine Maria; 25. ff. 199r–207r: Tractatus de gloriosa virgine Maria super illo periodo Lucae: ‚Missus est ­Gabriel‘; 26. ff. 207r–213r: S. Augustinus Episcopus, Florigerus; 27. ff. 213r–222v: Tractatus de septem sacramentis; 28. ff. 223r–226r: Bernardus Abbas, ‚De templo quomodo aedificari debeat‘; 29. f. 226r–226v: De conflictu civitatis Babilonis et Jerusalem (Bernhard v. Clairvaux); 30. ff. 227r–228r: Bernardus, ‚De formula honestae vitae‘, 31. ff. 228r–229v: Excerpta ex Alano; 32. ff. 230r–231r: De convenientia evangelistarum; 38. ff. 231r–232r: De conflictu vitiorum et virtutum (Augustinus); 34. ff. 232r–235r: Visio cujusdam militis nomine Tundali de Hibernia; 35. ff. 235r–237r: Pseudo-Aristoteles, ‚De pomo‘; 36. f. 237r–237v: Visio cujusdam Nicolai; 37. f. 237v: Paraphrasis orationis dominicae; 38. f. 238r: Rhythmi de adulatore; 39. f. 239r: Musica coelestis i.  e. adumbratio universi. 117 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Offenbarung des Paulus (Visio Pauli Apostoli apocrypha), die Esra-Apokalypse, das Testament der zwölf Patriarchen, das Nicodemus-Evangelium und die Vision Tundals.

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nichtchristlichen Ursprungs, welche im 12. und 13. Jahrhundert kursierten: die ‚Historia Apolloni Tyrii‘,118 die ‚Historia de conjugio Joseph et Asseneth‘119 und der ‚Liber de pomo‘120. Aus der Auswahl und Anordnung der Schriften ist keine übergreifende Konzeption der Gesamthandschrift ersichtlich, doch sind die Schriften innerhalb der Sammlung meist thematisch zusammengefasst. Der Burchardbericht schließt an ‚De ritibus Tartarorum‘ des Joannes de Plano Carpini an, dessen Zweck und Inhalt mit dem Burchardbericht vergleichbar ist. Auch die vorhergehenden Schriften haben im weiteren Sinne die Auseinandersetzung mit Unglauben, Häresie und Sündhaftigkeit zum Thema.121 Die dem Bericht folgende Geschichte von Joseph und Asseneth (Asenath)122 steht aufgrund des Handlungsortes Ägypten mit dem Orientbericht in Verbindung.123 Innere Merkmale Der Burchardbericht beginnt, wie die Textzeugen V und M, auf f. 36r mit dem verkürzten Satz Anno incarnationis domini m c lxxv fridericus romanorum imperator misit me burchardum ad regem babylonie und endet f. 38v mit Qui vivunt et regnant cum dyabolo in secula s (eculorum). Explicit libellus de sarracenis. Der Bericht trägt hier den Titel De Sarracenis, der möglicherweise ebenso wie das explicit auf Christan zurückgeht. Die Abschrift weist im Vergleich mit A, V und M die meisten Korruptelen auf.124 Nicht auszuschließen ist, dass Christan von Lilienfeld selbst verantwortlich für verschiedene Abweichungen war, da er in anderen Fällen seine Vorlagen redigierte. Die von Myriam Despineux festgestellten redaktionellen Eingriffe im Marienmirakel des Jacques Vor118 Die ‚Historia Appolonii regis Tyri‘ ist ein antiker Roman, der besonders ab dem 12. Jahrhundert kursierte und in verschiedenen volkssprachlichen Bearbeitungen vorliegt, Historia. Ed. Schmeling (1988). 119 Burchard, Untersuchungen (1965); Fink, Joseph (2008). 120 Die pseudo-aristotelische Schrift ‚De pomo‘ wurde 1255 von Manfred (Sohn Friedrichs II.) oder in dessen Umkreis aus dem Hebräischen ins Lateinische übersetzt und gilt als einer der eigenartigsten Texte des mittelalterlichen ‚Corpus aristotelicum‘, Liber de Pomo. Ed. Acampora-Michel (2001); Beccarisi, Morte (2004). 121 Bei dem wahrscheinlich in Österreich entstandenen ‚Dialogus lucis et tenebrarum‘, von dem die Lilienfelder Handschrift eine sehr frühe Abschrift liefert, handelt es sich um ein Streitgespräch zwischen je einem Vertreter des Himmels und der Hölle über das Heilsgeschehen, Hartmann, Dialoge (2007), 233–241; 362–366. Die Esra-Apokalypse zitiert die Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Babylonier 587 v. Chr., vgl. 4 Esr 3, 1–2 im Anhang der Vulgata. Auch die wohl erst nach Mitte des 13. Jahrhunderts aus zwei Traktaten entstandene Bearbeitung ‚Pharetra contra Judaeos‘ (23) hat ein Religionsgespräch zum Inhalt, Hartmann, Dialoge (2007), 388–392; auch (29) und (38) haben den Konflikt zwischen Jerusalem und Babel zum Thema. 122 Fink, Joseph (2008), 226. Die Erzählung trägt auch bei Vinzenz von Beauvais den Titel historia, cap. 118, cap. 124; Burchard, Untersuchungen (1965). 123 Das darauf folgende Testament der zwölf Patriarchen wiederum zeigt Übereinstimmungen mit der Geschichte Josephs und Asenaths, Becker, Untersuchungen (1970); Jonge, Patriarchs (1991). 124 Z.  B. Z. 30; Z. 48; Z. 50; Z. 64; Z. 82; Z. 98; Z. 226.

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agine lassen diese Vermutung zu, da sie Veränderungen auf textueller, syntaktischer und lexikalischer Ebene aufweisen.125 In der Passage über die Assassinen wurde der Inzestvorwurf aufgehoben,126 was nicht unbedingt absichtlich geschehen sein muss. Die Hauptlast der Abweichungen ist aber mit einer verderbten Vorlage zu erklären und lässt eine höhere Anzahl von Zwischenhandschriften vermuten. Von allen vier vollständigen Überlieferungen ist diese Abschrift qualitativ am weitesten vom Archetyp entfernt, bewahrt teilweise aber auch gute Lesarten und Übereinstimmungen mit A. Aufgrund der zahlreichen Abweichungen hat Paul Lehmann die Wiener Handschrift hingegen als einzige Abschrift des Originalberichts eingeschätzt.127

VIII.1.2 Gekürzte Fassung im Anschluss an Thietmars Peregrinatio Vier Manuskripte überliefern eine stark gekürzte und teilweise veränderte Fassung des Burchardberichtes im Anschluss an den Pilgerbericht des Magister Thietmar. Thietmars Bericht einer 1217 unternommenen Pilgerfahrt ist nach Röhricht in 18 Handschriften im Zeitraum des 13. bis 15.  Jahrhunderts überliefert,128 deren Eigenarten, Abhängigkeitsverhältnis und jeweilige Qualität aber nicht geprüft ist.129 Maßgeblich ist noch immer die von J. C. M. Laurent 1852 (dann 1873) vorgelegte Edition.130 Laurent unterscheidet anhand der Überlieferung zwei Redaktionsstufen, bezog allerdings nur neun Handschriften in die Untersuchung ein: eine „ursprüngliche“ – vertreten einzig durch den codex in scrinio 143b der SUB Hamburg – und eine spätere, interpolierte Fassung, zu deren Textzeugen die Handschriften ba, ge, be und mü zählen. Eine weitere Handschrift (Breslau) siedelt er zwischen diesen Gruppen an.131 In der Forschung wird die spätere Fassung Thietmars durch die Betitelung mit dem Namen Thetmar von dem früheren Thietmar geschieden.132 Basiert schon die „Ursprungsfassung“ Thietmars zu Teilen auf dem Burchardbericht, wurden in der späteren Fassung

125 Despineux, Miracles (1989). 126 Aus scilicet matre et sorore wurde: sed non matre et sorore. 127 Seiner Meinung begann der „Originalbericht“ mit dem im Vergleich zu Arnold verkürzten Einleitungssatz wie ihn V, M und W überliefern. „Diese Urfassung liegt mit einigen Fehlern in dem früher nur erwähnten, niemals bei der Drucklegung durch die Forscher vor mir benutzten Vindobonensis 362 saec. XIV vor (…)“, Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 70. 128 Röhricht, Bibliotheca (1963), 47; siehe Kapitel VI.2.3.1. 129 Ebd. Der Text war demnach weit verbreitet; anders lautet das Urteil von Deluz: „Le texte de Thietmar est lui-même méconnu, à peu près jamais cité par ses contemporains ou successeurs, comme c’est habituel pour les récits de pèlerinage (…)“, Deluz, Thietmar (1997), 928. 130 Laurent, Thietmar (1857); weitere Ausgaben: Kapitel VI.2.3.1. Anm. 208. 131 Worstbrock, Thietmar (1995), 794. 132 Siehe dazu Kapitel VI.2.3.1.

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von unbekannter Hand weitere Passagen aus Burchard wörtlich interpoliert.133 Die Kurzfassung des Burchardberichts ist nur in Kombination mit dieser zweiten Re­dak­ tionsstufe überliefert. Augenscheinlich bemerkte der Schreiber oder sein Auftraggeber die weitgehenden Übereinstimmungen der Berichte Burchards und Thietmars, hielt jedoch Thietmar für die (Haupt-) Quelle Burchards und überlieferte entsprechend nur die Teile des Burchardberichtes, die er bei Thietmar nicht übernommen fand. Auf die vermeintlichen Übernahmen aus Thietmar wird mit Worten wie de illa regione et hominibus magister Thetmarus loquitur oder de illa civitate et de statu illius provincie magister Thetmarus exponit verwiesen. Die Kürzungen betreffen rund zwei Drittel des gesamten Berichtes: Es fehlen die Passagen über die Reisestation Libyen, die Beschreibungen Alexandrias, Nova Babylonias, Kairos und des Balsamgartens, der Nilebene, der Tiere und Bodenschätze, die Ausführungen über die religiösen Bräuche der Muslime und der Assassinen. Gemeinsam ist den Kurzfassungen die Angabe der Herkunft Burchards mit gentinensis anstelle von argentinensis. Häufige Schreibereingriffe: Kürzungen, Ergänzungen, Veränderungen, kennzeichnen diese Fassung. Passagen, die im Widerspruch zu Thietmar stehen, sind verändert. Zahlreiche Stellen sind willentlich auf der Wort- und Satzebene ergänzt und bearbeitet. In der Fehlannahme, dass Burchard aus Thietmar schöpfte, betonte der Kompilator besonders die Augenzeugenschaft Burchards, wobei die Verweise auf den eigenen Expertenstatus verstiegen und mokant wirken.134 Für welche Änderungen der Kompilator des Burchard-Thietmartextes verantwortlich war, bleibt letztlich ungewiss, da die dem Kompilator zur Verfügung stehende Vorlage nicht bekannt ist. Die Annahme Lehmanns, dass der Epitomator der Kurzfassungen auf die Ursprungsfassung zurückgegriffen habe, ließ sich nicht bestätigen.135 Die Kollationierung hat gezeigt, dass die Fassung auf einer Vorlage beruht, welche der Arnoldvorlage nahe steht, aber nicht mit dieser identisch ist. Ungewiss bleibt auch der Entstehungszeitpunkt der Fassung. Die älteste Handschrift ba stammt aus dem Anfang des 14. Jahrhundert, entstand also frühestens 80–100 Jahre nach Thietmars Peregrinatio, deren Zeitpunkt der Niederschrift ebensowenig gesichert ist.136

133 Vermutlich um 1300 wurde Thietmars Bericht von unbekannter Hand überarbeitet und durch Übernahmen aus weiteren Quellen ergänzt. Nur diese interpolierte Fassung wird zusammen mit dem Burchardbericht überliefert, Röhricht, Bibliotheca (1963), 47. 134 Z.  B. De illa regione et hominibus magister Thetmarus loquitur et expertus est sicut ego quod verum est; (…) ego testor verum esse; et ego scia esse vera. (…) et universa animalia que quondam vidi. 135 Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 73. 136 Forschungsgeschichtlich sind die gekürzten Fassungen die ersten bekannten Versionen des Burchardberichtes. Das Baseler Manuskript gilt als erste bekannte Handschrift des Burchardtextes und wird zuerst 1709 von Johann Albert Fabricius erwähnt, der den Bericht in das Jahr 1283 datiert. Jacobus Echard und Jacobus Quétif datieren Burchards Reise aufgrund der Angabe MCCXXV ins Jahr 1225, Fabricius, Supplementa (1709); Quétif/Echard, Scriptores (1719), Sp. 393  f.

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VIII.1.2.1 ba Baseler Handschrift: B X 35, ff. 19v–22v Beschreibung der Handschrift137 Der Pergamentcodex stammt aus der Kleinbaseler Kartause St.  Margarethental,138 deren Bestand von 2000 Bänden 1590 in die Universitätsbibliothek Basel überführt wurde.139 Als Donator der Handschrift wird der Prior Adolphus (1439–1449) genannt,140 der zur Zeit des Basler Konzils die Ausstattung des erst 1401 gegründeten Klosters durch zahlreiche Schenkungen und Stiftungen prominenter Ordensleute und Förderer erheblich vermehren konnte.141 Es handelt sich um eine Komposithandschrift, die aus fünf ursprünglich selbständigen Faszikeln unterschiedlicher Dicke zusammengefügt ist. Faszikel  IV geht auf das 13.  Jahrhundert zurück, die anderen Faszikel stammen aus dem 13. und 14. Jahrhundert.142 Der Codex umfasst 120 Blätter mit einem Vorsatzblatt aus Pergament und einem aus Papier; Buchformat ca. 14 × 9,5 cm; der Schriftspiegel variiert bei den einzelnen Faszikeln zwischen 11–12 × 7–8 cm,143 ungespalten; Bl. 41, 55, 62, 137 Beschreibungen: Meyer/Burckhardt, Handschriften (1966), 767–780; Gildemeister, Recensiones (1873), XVIIIf.; Schmidt, Zeit (1955), 59. Röhricht listet den Codex als nicht mehr vorhanden, Röhricht, Bibliotheca (1963), 39. 138 Schweizer, Kartause (1935); Bl. Ir enthält von der Hand des Priors Heinrich Arnoldi den Provenienzeintrag Liber Carthusiensium in Basilea minori In quo infra designata continentur, Meyer/Burckhardt, Handschriften (1966), 780. Zu Heinrich Arnold siehe Gilomen, Henricus (1982). 139 Meyer/Burckhardt, Handschriften (1960), XVI; Burckhardt, Wachstum (1960); Ders., Umkreis (1959). 140 Unten auf Bl.  1r findet sich von Prior Heinrich Arnoldi (1449–ca. 1487) der Eintrag: Istum tracatulum de terra sancta dedit Carthusiensibus in Basilea minori venerabilis pater dominus Adolphus eorum prior ex parte honorabilis viri domini Adolphi Braver quondam Magistri civium Colonie patris eius, weitere Besitzeinträge Meyer/Burckhardt, Handschriften (1966), 780. Der genannte Adolphus Brouwer stammte aus Köln und war 1439–1449 Prior der Baseler Kartause, Heinrich Arnoldi war sein Nachfolger, ebd., 383 (Hs. B IX 30). Heinrich Arnoldi hat die erworbenen Bücher in gesonderten Abteilungen aufgestellt, sein Nachfolger Jacob Loubers, von dem ein weiterer Vermerk stammt, baute die Bibliothek weiter aus, ebd., XV. 141 Die Kartause wurde zudem „im Falle einer drohenden Veräußerung (…) als Nachfolger in der Verwaltung“ des Bücherbesitzes des Dominikanerklosters bestimmt, ebd. 142 Ebd., 779  f. 143 Beschreibung ebd.: I) Bl. I, 1–28. Ungespalten. Schriftspiegel 11/11,5  × 7,2/7,4  cm. Quadrierung fein mit dunkler Tinte. 28 Zeilen auf mit Tinte gezogenen Linien. Geschmeidige Gotica 14. Jh., eine einzige Hand; einzelne Glossen am Rand etwas später, Bl. 26r nur oben beschrieben, Bl. 26v–28v leer. II) Bl. 29–40. Ungespalten. Schriftspiegel 11,2 × 7,2 cm, var., Bl. 40v frei ausgenützt. Quadrierung mit Tinte, oben teilweise mit Doppellinie. 33/34, Bl. 40r 22 freistehende Zeilen; Bl. 29r–40r Buchminuskel 14. Jahrhundert mit starken Abkürzungen, zahlreiche Marginalien von etwas feinerem Ductus; zwei weitere Hände: 1) Bl. 49r und (Inhaltsbeschreibung, II 2 d = Verse); 2) Bl. 40v ob. Rd. Im Übergang zur Buchkursive (Inhaltsbeschreibung, II 3). Außerdem Bl. 40v mit verschiedenen Probationes pennae 15. Jahrhundert. III) Bl. 41–62. Ungespalten. Zwei Hände: 1) Bl. 41r–57r. Schriftspiegel 11,5/12x7,7/8 cm. Quadrierung gekerbt. 25/33 freistehende Zeilen, Kurrente Buchschrift 14.  Jahrhundert, gegen den Schluss allmählich größer werdend. 2) Bl.  57v–62r. Schriftspiegel 11  × 7,8/8  cm, var. Quadrierung

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80, 120 und weitere weisen kleine Defekte auf. Die Handschrift besteht nach Meyer aus 15 Lagen144: I10 (1(=a)+1(=1)+4,+4), II8, III4, IV8, V12 (5, +5+2 (=38 und 39)), VI9 (4+5 aus 5+5, das zweitvorderste Blatt abgeschnitten), VII13 (5, +5+2 (= 60 und 61, welche einen Bogen bilden) +1 (=62)), VIII-X8, XI7 (1+3+3), XII-XIII8, XIV3 (2+1 aus 2+2, letztes Blatt abgeschnitten), XV8. Einige Faszikel enthalten kleine Verzierungen und einfache Federzeichnungen, Verzierungen sind aber insgesamt einfach. Der Codex ist in lederbezogene Holzdeckel eingeschlagen, eine Metallschließe ist abgerissen. Eine Pergamentetikette auf dem vorderen Deckel trägt die Legende Descriptio terre sancte cum aliis multis.145 Der Codex enthält 17 Teilschriften aus den Bereichen der Theologie, Grammatik, Astronomie und bündelt gelehrte Schriften unterschiedlicher Wissensbereiche zu Studienzwecken.146 Der erste Faszikel beginnt mit dem ‚Itinerarium in terram

leicht mit Tinte angedeutet. 24 nur gelegentlich auf sichtbarer Liniierung mit Tinte basierte Zeilen. Kalligraphisch gezierte Buchhandschrift mit starken Oberlängen, Ende 14. Jahrhundert, Bl. 57v untere Hälfte und Bl. 62v leer. IV) Bl. 63–112. Ungespalten. Zwei Hände: 1) Bl. 63v–86r Mitte. 11 × 7,3/7,5 cm. Quadrierung mit Tinte nur auf den ersten beiden Seiten. 22/24 auf mit Punctorium abgesteckten Linien stehenden Zeilen. Regelmäßige Buchschrift (Textualis) 13. Jahrhundert. 2) Bl. 86r untere Hälfte – 112r. Schriftspiegel 11,5 × 7,7 cm. Quadrierung oben und unten bis an den Rand mit Tinte. 21 Zeilen auf punktierten und mit Tinte fein gezogenen Linien. Regelmäßige große Buchschrift (Gotica) 13. Jahrhundert, Bl. 63r oben (Inhaltsbeschreibung; IV, 1). Bastarda 15. Jahrhundert, Bl. 112rv leer. V) Bl 113–129. Schriftspiegel 12–6,5  cm, var., keine genaue Quadrierung und dementsprechend unterschiedliche Zeilenlänge. 27/29 Zeilen mit Punktierung und nur schwach angetönter Liniierung mit Stift. Unbeholfene flachlaufende Buchschrift, ca. 1300, eine einzige Hand. 144 Meyer/Burckhardt, Handschriften (1966), 779. 145 Ebd., 780. 146 Der von Prior Heinrich Arnoldi geschriebene Conspectus listet 21 Titel auf, von denen 7 bis 11 gestrichen sind, da sie fehlen. Inhalt gekürzt wiedergegeben nach ebd., 767–779, Einteilung nach Faszikeln: I) 1. ff. 1r–19v: Magister Thetmar, Itineraria in terram sanctam; ff. 19v–22v: Burchard; 2. ff. 22v–26r: Varia theologica: miraculo duo; de VII inferni sigillis et cameris; de XV illis signis ante diem iudicii apparentibus; expositiuncula orationis dominicae; II) 1. ff. 29r–39r: Iohannes de Sacrobosco, Tractatus de sphaera (Text und Marginalia); 2. ff. 39v–40r: Miscellanea: Versus varii; quomodo atrolabio aut quadrante metiaris; de significatione puerorum quo die nascantur; versus de 4 complexionibus; 3. f. 40v: Rhythmus de incarnatione Christi secundum VII artes liberales compositus, qui non absque iure Alano ab Insulis ascribendus esse videtur; III) 1. ff. 41r–57r: Tractatus ad artem grammaticam spectantes: de accentibus; de arte distincte legendi; de arte bene et recte legendi; 2. f. 57v: Epistola de obsessa puella quam S. Benedictum Remigio Remorum epo misisse fingunt; 3. ff. 58r–61r: De recte legendo et accentuando: Lambertus Pultariensis, epistola ad Albericum abbatem; exempla recte accentuenda; 4. f. 61: Pseusdo-Ausonius, sententiae VII sapientium septenis versibus ennarate; 5. ff. 61v–62r: De Salomonis poenitenita excerpta; IV) 1. f. 63r: Gedicht ‚Ach Zeit, ach Zeit, ach edle Zeit‘; 2. ff. 63v–77r: Ambrosius Autpertus, de conflictu vitiorum et virtutum; 3. ff. 77v–85v: Sexti q. v. sententiae ex recensione Rufini; 4. ff. 85v–86r: Isidori synonymorum; 5. ff. 86r–112r: Hieronymus, epistola ad Eustochium de tuenda virginitate (ep. 22); V) ff. 113–120: Scintilarum quarundam libelli seu sententiarum et auctoritatum nescio cuius collectionis pars mutila.

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sanctam‘ des Magister Thetmarus,147 gefolgt von Burchards Orientbericht und Varia theologica. Woher der Codex und die einzelnen Teile ursprünglich stammen, war nicht zu ermitteln. Der Inhalt des Codex steht aber in enger Verbindung mit den geistlichen Tätigkeiten der Kartäuser, die auf „Pflege des Buchwesens, Schreibkultur und systematischen Ausbau ihrer Bibliothek“ ausgerichtet waren, was einen Grund für die Anschaffung darstellen könnte.148 Merkmale des Burchardberichtes Der Burchardbericht setzt f. 19v ein mit den Worten Magister Burchardus vicedominus gentinensis und endet f. 22v mit abivi vero per desertum octo dierum in Babyloniam sum reversus. Der Bericht stammt zusammen mit den anderen Teilen des ersten Faszikels aus dem 14. Jahrhundert. Mit den Handschriften mü und be basiert er auf einer gemeinsamen Vorlage, was sich an zahlreichen Abhängigkeiten festmachen lässt,149 ist allem Anschein nach aber keine direkte Vorlage für diese.150 Mit ge hat ba gemeinsame Abschnittsüberschriften.151 Gemeinsam ist den Handschriften ba, be und mü der Schlußsatz: Dictum est mihi veraciter quod in transmarinis partibus in terra sancta quidam nomine Iohannes Buddeus qui interfuit passionem domine nostri ihesum christi adhuc sit vivens et ultro vivere debeat ad novissimum diem. St. Genois hält den genannten Johannes Buddeus für eine Personifikation der Juden, da er von der ursprünglichen Lesart Judeus ausgeht. Der Hinweis auf die Anwesenheit bei der Passion Christi ist aber wohl nicht wörtlich zu verstehen.152 Nachweisbar ist im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts (1423) ein aus Münster oder Köln stammender Kleriker Johannes Budde am Dom St. Pauli in Münster,153 im Raum Osnabrück-Tecklenburg-Minden existierte ein bis ins 12. Jahrhundert nachweisbares Adelsgeschlecht diese Namens,154 Wappen von zwei weiteren Adelsgeschlechter Budde sind in Westfalen nachgewiesen.155 Da die Handschriften Thietmars im westfälischen Raum verbreitet waren und auch die Burchardhandschrift im Raum um Hildesheim bekannt gewesen sein dürfte, ist ein Bezug zu einem

147 Diese Version diente Titus Tobler als Vorlage, dessen Ausgabe aber „manche Ungenauigkeiten (namentlich Verlesungen) bietet“, Meyer/Burckhardt, Handschriften (1966), 768. 148 Ebd., XV; Schreiber, Quellen (1927). 149 Z.  B. Z. 21; 100; 177; 180; 188. 150 Z.  B. Z. 21; 180; 190. 151 Z.  B. Z. 41; 45. 152 Die übertrieben betonte Zeugenschaft, die ja in betontem Kontrast zu den aus Thietmar betonten Passagen steht, passt mit der Behauptung zusammen, am Leidensweg Christi teilgenommen zu haben. 153 Kohl, Domstift (1989), 73. Aufgeführt sind später weitere Vikare und Kleriker dieses Namens. 154 Kneschke, Adels-Lexicon (1860), 126. 155 von Spießen, Wappenbuch (1901–1903), Buch 2, Tafel 57. Bekannt sind weiterhin ein pommersches und ein aus Rügen stammendes Geschlecht Budde, Kneschke, Adels-Lexicon (1860), 126.

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 Edition

tatsächlichen Vertreter dieses Namens nicht abwegig, allerdings nicht zu dem oben genannten Kleriker, da die Vorlage für den Baseler Bericht früher entstanden ist. VIII.1.2.2 be Berliner Handschrift Staatsbibliothek Berlin, Theol. Lat. Quart. 141, ff. 43–47 Beschreibung der Handschrift156 Die umfangreiche Papierhandschrift stammt aus Norddeutschland und wurde 1828 von der Königlichen Bibliothek erworben.157 Die Handschrift umfasst 216 Blätter158 (Buchformat 21 × 14,5 cm). Zusammengestellt ist sie aus verschiedenen Faszikeln, die z.  T. aus anderen Handschriften übernommen sind. Die Lageneinteilung besteht nach Achten aus: V. VI. II-2. V. VI. VI-6. 2 VI76. IV+2. VI. VI-3107 VI-1118. IV-2124. III-2128. V-2136. IV. II148. VI. V-3167. II-I170. II-1. VI-1184. V-1193. III199. IV. IV+1. Die Seitenzählung ist fehlerhaft.159 Die Handschrift gliedert sich in zwei Hauptteile: Der erste ältere Teil, der auch den Burchardbericht enthält, ist um 1420 datiert (ff. 1–76), der zweite um 1450/1460 (ff. 77–216). Der Schriftraum des ersten Hauptteils misst 16,5  × 11  cm, ab f. 65 17  × 12,5  cm; 26–36 Zeilen pro Seite; Rubrikationen (außer ff. 65–76); geschrieben ist in Bastarda. Der Schriftraum des zweiten Hauptteiles wechselt, ff. 185 und 186, 194–196 sind zweispaltig beschrieben in Bastarda und Notulaschriften, Rubrikationen (außer ff. 125–130; 135v; 137–149; 183v-186r). Eingebunden ist das Buch in braunes Leder aus dem 15. Jahrhundert, die Schließe ist abgerissen, der Rücken wurde 1955 erneuert. Im ersten Hauptteil enthaltene Ablasstabellen für die Benediktinerabteien Corvey, Königslutter und Siegburg sowie paläographische Eigenheiten lassen eine Provenienz aus Corvey vermuten, worauf v.  a. der Hymnus Felix Saxonia hindeutet. Achten vermutet die Vorlagen dieses Teils aus den Kreisen des Deutschen Ordens und des Johanniterordens. Die Bestandteile des zweiten Hauptteils stammen überwiegend aus dem niederdeutschen und westfälischen Raum, „wurden wahrscheinlich in der Benediktinerabtei Abdinghof bei Paderborn zusammen mit dem 1.  Teil gesammelt und noch im 15. Jahrhundert zu einem Band vereinigt.“160 Der erste Hauptteil besteht aus 13 Teilschriften:161 Pilgerschriften, Heiliglandbeschreibungen, der Brief des Presbyters Johannes und Ablasstabellen. Der zweite

156 Beschreibung in: Achten, Handschriften (1979), 37–42. 157 Ebd., 37. 158 Das erste und letzte Blatt bestanden aus Pergament, sind aber aus der Handschrift gelöst und als Ms. theol. lat. Qu. 181 eingestellt worden, ebd., 37. 159 Sie springt von S. 361 auf S. 377, eine Lage fehlt, ebd. 160 Achten, Handschriften (1979), 37. 161 Inhalt gekürzt nach Achten, Nummerierung hinzugefügt: I.) ff. 1r–52r: Itineraria in terram sanctam. 1. ff. 1r–8v: De terra sancta (in anderer Fassung bei Tobler, Bibiographia (1867), 26); 2. ff. 8v–9r: Odoricus de Foro Julii, De machometo; 3. ff. 9r–22r: Magister Thetmarus, Peregrinatio ad terram sanctam; 4. ff. 22r–24r: Burchard, Itinerarium in terram sanctam; 5. ff. 25r–47r: Odoricus de Foro Julii,

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Teil versammelt 13 theologische Schriften, Bischofslisten, Predigten, aber auch eine Genealogie der Herzöge von Kleve.162 Der Burchardbericht setzt ein mit den Worten Anno incarnacionis dominice MCCXXV dominus fredericus gloriosissimus Romanorum Imperator misit me Borchardum vicedominum gentinensis in egyptum ad Salahadinum Regem Babilonie und endet mit Abivi vero per desertum octo dierum in Babiloniam sum reversus. VIII.1.2.3  mü Münchener Handschrift 2° Cod. ms. 102, ff. 213v–215r Beschreibung der Handschrift163 Die Münchener Papierhandschrift ist die zeitlich jüngste Abschrift der Thietmar-Burchard-Fassung. Auch hier handelt es sich um eine Komposithandschrift, bestehend aus vier Faszikeln, die zur gleichen Zeit entstanden sind. Datiert wird die Handschrift auf das Jahr 1463, vermutet wird aufgrund der frühen Verwendung des Papiers die Provenienz aus Basel (oder Luzern).164 Der Codex stammt aus dem Besitz Urban Klughkeimers165, der selbst die Inhaltsangabe im Vorderdeckel und f. 203rv (erstes Blatt der Thietmarhandschrift) schrieb, auf ihn geht auch die Foliierung zurück. Ein Titelschild Klugkheimers ist vom Vorderdeckel abgelöst und im Spiegel eingeklebt. 1502 machte Klugkheimer als erster Dekan der theologischen Fakultät Ingolstadt eine Bücherschenkung, zuvor war er Magister artium an der Universität Basel;166 Besitz-

Liber de terra sancta; 6. ff. 48: De provinciis ultra mare; 7. ff. 48v–52r: Johannes Presbyter, Epistola ad Emanuelem Papam; 8. ff. 53r–54v: Ablasstabellen für den Deutschorden und Johanniterorden; 9. ff. 55r–60r: Mirabilia urbis Romae et Chronicon de ecclesiis Romanus eorumque reliquiis et indulgentibus; 10. ff. 60r–62r: Pseudo-Clemens VI, Bulla „cum humana natura“; 11. ff. 62r–63v: Ablasstabellen für die Benediktinerkirche St. Vitus in Corvey mit der Hymne Felix Saxonia gaude per pignora sacra; Ablasstabellen für die Benediktinerabtei St. Peter und Paulus in Königslutter; und den Hauptaltar in Siegburg; 12. f. 64v: Liturgische Notizen in westfälischer Mundart; 13. ff. 65r–76r: Franco scholasticus de Meschede, Altercatio de utroque Johanne Baptista et Evangelista. 162 II.) 1. ff. 77r–86v: Tractatus Occupatio devotorum und drei Gebete; 2. ff. 87r–107r: Eberhardus Woltmann O. Praem, Epistola ad Johannem de Capestrano et declaratio de adoratione cruorum et imaginum; 3. ff. 108r–165r: Passione et vitae (14 Exzerpte); 4. f. 165: Genealogie der Herzöge von Kleve bis Herzog Adolf († 1448); 5. ff. 166r–167r: Bischofslisten von Köln und Paderborn; 6. ff. 168r–170r: Tractatus de peccatis; 7. ff. 171r–173v: Johannes de Rupecissa OFM, Vademecum in tribulatione (Exzerpte); 8. ff. 174–183r: Vitae et passiones (5 Exzerpte); 9. ff. 183v–184r: Bischofsliste der Diözese Bremen (bis 1072); 10. ff. 185r–186r: Fragment eines Breviers; 11. ff. 187v–197r: Sermones (4 Teile); 12. ff. 194ra–214vb: Vitae et passiones (6 Exzerpte); 13. ff. 215r–216v: zwei Briefe vom Kirchenkapitel von Le Mans an das Kapitel von Paderborn (1205 und 1243). 163 Entnommen aus Daniel/Kornrumpf/Schott, Handschriften (1974), 161–164. 164 Ebd., 162. 165 Magister Urban Klugkheimer war 1460–1463 in Basel, zu der Zeit war Henricus Arnoldi Prior des Kartäuserklosters und könnte die Vorlage des Faszikels geliefert haben. 166 Ruf, Bücherschenkung (1933).

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 Edition

vermerke der UB Ingolstadt (um 1600), von Oeggl und der UB Landshut zeigen Vorbesitzer an.167 Die Handschrift umfasst 218 Blätter (Buchformat: 31 × 21,5 cm; Schriftspiegel variiert zwischen 23/23,5  × 11,5/14,5  cm; Zeilenzahl zwischen 45 bis 70).168 Geschrieben ist in Bastarda von drei Haupthänden und weiteren Schreibern.169 Kapitelüberschriften sind rot gehalten, zu Beginn der Traktate stehen rote Lombarden mit Fleuronné; Abschnittsinitialen und Satzmajuskeln sind ebenfalls rot, im Faszikel IV aber grün.170 Der obere Rand ist von Feuchtigkeit verderbt. Der Einband besteht aus braunem Rindsleder mit zwei Schließen und weist Einzelstempel auf (Rosette, Eichel mit Blatt, Erdbeere mit Blatt). Der Codex enthält theologische Schriften;171 der letzte Faszikel stimmt inhaltlich mit dem ersten Faszikel der Baseler Handschrift überein, auch hier ist das letzte Blatt leer. Der Burchardbericht beginnt im Anschluss an Thietmar f. 213v: Anno incarnacionis dominice M c lxxv dominus Fridericus gloriosisimus Romanorum imperator misit me Burchardum vicedominum Gentinesis in Egyptum ad Salahadinum regem Babylonie und endet f. 215r abivi vero per desertum octo dierum in Babiloniam sum reversus. VIII.1.2.4 ge Genter Handschrift BHSL. HS. 0486, ff. 125r–128r Beschreibung der Handschrift172 Die Papierhandschrift aus dem 15. Jahrhundert im kleinen Oktavformat (Buchblock ca. 11 × 14,8 × 3,7 cm). Sie besteht aus 128 Blättern und ist aus Faszikeln von jeweils 12 Blättern zusammengesetzt. Der Einband besteht aus dunkelbraunem Leder, drei Umschlagseiten sind vorne aus Pergamentresten zusammengesetzt, die vermutlich aus dem 13.  Jahrhundert stammen und einer Bibelhandschrift größeren Formats

167 Ebd. 162. 168 Beschreibung aus Daniel/Kornrumpf/Schott, Handschriften (1974), 161, unterschieden nach Faszikeln: I) ff. 1–78, Schriftraum 23 × 14,5 cm, etwa 50 Zeilen; II) ff. 79–140, Schriftraum etwa 23 × 14 cm, zwischen 50 und 60 Zeilen außer 134r–137v (70 Zeilen); III) ff. 141–202, Schriftraum 23,5 × 14 cm, etwa 54–60 Zeilen; IV) ff. 203–217a, Schriftraum 23,5 × 11,5 cm, etwa 45–45 Zeilen. 169 A = 1r–78v; B = 79r–133v; 141r–161r; 164r–202r; C = 204r–217r. 170 Ebd. 171 I) 1. ff. 1r–7r: Figure ex veteri testamento vite Christi et Marie virginis; 2. ff. 9r–78v: Nicolaus de Hanapis, Exempla sacrae scripturae (Biblia pauperum); II) 1. ff. 79r–133v: Garnerius Lingonensis (de Rochefort), Allegoriae in universam sacram scripturam; 2. ff. 134r–137r: Johannes Turrecremata, de aqua benedicta; 3. ff. 37v–140r: declaratio quorundam terminorum theologiae; III) 1. ff. 141r–161r: Commentum in Thomae de Clivis tractatum de conceptibus (speculum loycale); 2. ff. 162r–202r: Armandus de bello visu, De declaratione difficilium dictorum et dictionum in theologia; IV) ff. 203r– 217r: Itineraria ad terram sanctam mit Anhängen: ff. 203r–213v: Thetmarus; ff. 213v–215r: Burchardus; ff. 215v–217r: Anhänge wie in der Baseler Handschrift B X 35. 172 St. Genois, Catalogue (1849–1852), Nr. 593, 406.

Textträger und Überlieferung 

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entnommen wurden. Die Blätter sind einspaltig beschrieben (Schriftspiegel ca. 7,5 × 10 cm), rote Initialen. Der Codex ist mit dem Titel Exempla sumpta ex vitis Sanctorum patrum173 versehen und enthält Auszüge diverses Exempelliteratur, ein Inhaltsverzeichnis existiert nicht.174 Die Schriften Thietmars und Burchards dieser Handschriften bilden nach St. Genois ein Supplement aus dem 14. Jahrhundert, das er mit der Nummer 486a versieht und das auch Röhricht so aufführt.175 Da sich Beschreibstoff, Tinte und Schrift nicht vom Rest der Handschrift unterscheiden, gibt es dafür aber keine Anhaltspunkte. Der Burchardtext ist mit roten Zwischenüberschriften und Rubrifizierung versehen, Schriftspiegel: 7 × 11,5 cm; geschrieben mit hellbrauner Tinte. Er beginnt im Anschluss an Thietmar f. 125r, Z. 8 Magister Burchardus vice-dompnus gentinensis ecclesie. Anno incarnationis dominice MCLXXV Dominus Fredericus gloriosissimus Romanorum imperator misit me Burchardum vicedompnum Gentinensem in egiptum ad Salahadinum regem Babylonie und endet f. 128r mit explicit modus bono de statu mundi. Im Vergleich mit den anderen Kurzfassungen weist die Genter Handschrift abweichende Varianten und Auslassungen auf und scheint unabhängig von einer Vorlage *ba/be/mü entstanden zu sein. Im Unterschied zu den anderen Kurzfassungen überliefert ge die Legende von Saidnaya nicht, sonderen bricht vorher ab.

VIII.1.3 Sekundäre Überlieferung t Thietmar, Peregrinatio Da Thietmar an vielen Stellen einen Wortlaut bewahrt, der nicht von vornherein als sekundär auszuschließen ist und Kontrollmöglichkeiten für die Sonderüberlieferungen bietet, werden Thietmars wörtliche Übernahmen aus dem Burchardbericht in den Textvergleich einbezogen. Problem ist bei der Heranziehung des Textzeugen die fehlende Edition und unzureichende Forschungslage, was Autor und Schrift betrifft.176 Mangels kritischer Edition werden die Passagen aus dem Codex in scrinio 143b der SUB Hamburg in der Edition von Laurent, Thietmar (1857) entnommen.177 Der Pergamentkodex im kleinen Quartformat stammt nach Laurent aus dem 11. Jahr-

173 Laurent gibt den Titel Excerpta desumpta ex vitis sanctorum patrum wider, Laurent, Thietmar (1857), 59. 174 1. ff. 1–11r: Primum igitur tamquam verum fundamentum virum (…); 2. ff. 11r–16v: ex libro secundo vita patrum; 3. ff. 17r–33r: Contra hereticos; 4. ff. 33v–84v: De Ysidoro; diverse Dialoge; 5. ff. 85r–91v: Geschichte des Macharius; 6. ff. 91v–98v: ex quinto libro vita patrum; 7. ff. 99r–100v: Stichwortverzeichnis; 8. ff. 101r–125r: Thetmar; 9. ff. 125r–126r: Burchard. 175 Röhricht, Bibliotheca (1963), 47. 176 Siehe Angaben unter 1. 2 177 Laurent, Thietmar (1857).

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 Edition

hundert (sic!) und umfaßt 14 Blätter.178 Die Initialen sind rot, der Text ist zweispaltig geschrieben, Laurent vermutet einen sächsischen Schreiber. Auf der zweiten Seite ist vermutlich im 15.  Jahrhundert Incipit historia de dispocione terre sancte aliqualiter experta hinzugeschrieben worden, um den Text einzuleiten. Der ältere Text beginnt mit den Worten Ego thi in remissionem peccatorum meorum (Seite 2). Der Codex endet mit einem medizinischen Rezept und den Worten bibe mane hora vesperarum et sera (S. 27).

VIII.2 Editorische Vorarbeiten VIII.2.1 Ergebnisse des Textvergleichs 1. Das Arnoldinserat A und die Kurzfassungen ba, ge, mü und be weisen eine Reihe gemeinsamer Lesarten auf, die in den anderen Handschriften nicht vorkommen, so dass angesichts dieser Übereinstimmungen von einem ursprünglich gemeinsamen Hyparchetyp *A/ba/ge/mü/be ausgegangen werden kann. Kennzeichnend für diese Gruppe ist der Einleitungssatz, der im Gegensatz zu den anderen Handschriften den Autor als vicedominus argentinensis bzw. gentinensis bestimmt und ferner die Angabe in egyptum ad Sahaladinum enthält. Die Annahme einer gemeinsamen Vorlage wird durch eine Reihe weiterer Übereinstimmungen gestützt.179 A kann als ursprüngliche Vorlage für die späteren Kurzfassungen ausgeschlossen werden, da schon die Namensform Gerhard in den Abschriften ba, ge, be und mü übernommen worden wäre. Übereinstimmungen von A bzw. ba, ge, be und mü mit Lesarten der anderen Handschriften weisen auf jeweils unabhängige Vorlagen *A sowie *ba/ge/be/mü hin.180 Die Kurzfassungen ihrerseits sind nahe verwandt, aber nicht direkt voneinander abhängig.181 Mit Hilfe der Kurzfassungen konnte aufgezeigt werden, dass die für Arnold charakteristisch erachteten Addenda größtenteils nicht auf Arnold selbst, sondern auf eine dahinterliegende Vorlage zurückgehen. Orthographische Unterschiede dieser Gruppe im Vergleich mit V, M und W legen eine Verbreitung im norddeutschen Raum nahe. 2. Die Handschriften V, M und W weisen signifikante Übereinstimmungen auf, welche eine gemeinsame Vorlage *VMW voraussetzen.182 Der erste Satz ist bei V, M 178 Ebd., 56. 179 Weitere Beispiele bindender Varianten, die nur die Handschriften A/ba/ge/mü/be aufweisen: per quatuor (Z. 9); ad viginti dietas (Z. 152); ad tria miliaria (Z. 200); in rure (Z. 201). 180 Weitere Unterschiede Übereinstimmungen der Kurzfassungen mit den anderen Handschriften, die Arnold nicht enthält: Pecuali (Z. 31); ignotus (Z. 172); inhabitatam (Z. 189); 370 (Z. 221); veni (Z. 248). 181 mü und be weisen gemeinsame Varianten und Kürzungen im Vgl. mit ba und ge auf: Dorsica (Z. 15); anzunehmen ist eine gemeinsame Vorlage *mü/be. Be enthält die falsche Jahresangabe MCCXXV, eine arabische Zahlenangabe (Z) und weitere Lesarten, die bei den übrigen nicht zu finden sind. Be ist wohl auch keine Abschrift von mü. 182 Übereinstimmungen u.  a.: Z. 51; Z. 65; Z. 130; Z. 152; Z. 201; Z. 230; Z. 257.

Editorische Vorarbeiten 

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und W identisch und überliefert nur die nötigsten Angaben: Es fehlen die Berufsbezeichnung Burchards, ein Epitheton Friedrich Barbarossas sowie die nähere Bestimmung des Reiseziels.183 Kennzeichnend für diese Gruppe sind insbesondere Kürzungen, Wortauslassungen und das Fehlen der Anschlusswörter item und autem. Der Schlusssatz ist in dieser Gruppe ebenfalls identisch. V und M enthalten zahlreiche bindende Varianten und sind auf eine gemeinsame Vorlage zurückzuführen,184 aber nicht voneinander abhängig. M scheint insgesamt fehlerhafter als V, weist an anderen Stellen aber auch gute Lesarten im Gegensatz zu V und W auf, die sich aus dem Vergleich mit A ergeben. W enthält oftmals ganz eigene Lesarten, die in keiner anderen Handschrift zu finden sind. Eine ganze Anzahl davon ist mit einer verderbten oder zumindest lexikalisch veränderten Vorlage zu erklären, unkonzentriertes Abschreiben darüber hinaus aber nicht auszuschließen. Daneben enthält W aber auch archetypische Varianten und auffallende Übereinstimmungen mit Arnold und den Kurzfassungen. Zahlreiche Übereinstimmungen von V, M und A weisen W aber als weiter entfernt vom Archetyp aus. 3. Thietmars Übernahmen weisen viele Übereinstimmungen mit den Vertretern beider Gruppen auf, sie enthalten aber auch eigene Lesarten, die von keiner Überlieferung bestätigt werden können. Aufgrund der Schnittmenge ist seine Vorlage als dritter Hyparchetyp *t neben *A/ba/ge/mü/be und *VMW anzusiedeln.185 Denkbar wäre auch, dass Thietmar Zugriff auf beide Vorlagen hatte und hier eine Kontamination vorliegt, doch ist dies aufgrund der weit überwiegenden Textidentität mit Vertretern beider Gruppen wenig wahrscheinlich.

VIII.2.2 Recensio Die Handschriften lassen sich zwei Überlieferungstraditionen zuordnen, welche auf die Hyparchetypen *A/ba/ge/mü/be und *VMW zurückzuführen sind. Magister Thietmar scheint eine weitere dritte Vorlage *t benutzt zu haben. Keine der Abschriften steht in direkter Abhängigkeit von einer anderen, jede stellt somit die letzte erhaltene Abschrift einer Überlieferungskette dar. Für eine kontaminierte Überlieferung liegen keine Indizien vor. Der Überlieferungsrang der Textzeugen und der jeweilige Bezug zum verlorenen Archetypus ist nicht eindeutig zu bestimmen, da alle Abschriften versionsübergreifende Übereinstimmungen aufweisen und im Vergleich gute und vermutlich beste 183 Z. 1–4. 184 Z.  B. Z. 6; Z. 71; Z. 81; Z. 101  f.; Z. 110; Z. 113; Z. 146. 185 Aufgrund der Anklänge bei Thietmar an Fretellus ging Lehmann davon aus, dass Thietmar von einer mit V oder M in Verbindung stehenden Handschrift abschrieb, Lehmann, Handschriftenbruchstücke (1940), 71. Dies erscheint nach dem Befund unwahrscheinlich, eher ist anzunehmen, dass Thietmar Fretellus und Burchard als Sonderüberlieferungen vorlagen.

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 Edition

Lesarten konserviert haben. Wer den Ursprungstext am besten bewahrt hat, ist mit der textkritischen Methode nur begrenzt bestimmbar.186 Recht gute Lesarten bieten die Arnoldhandschrift und der Vatikanische Codex.

VIII.2.3 Stemma Großbuchstaben stehen für die Überlieferung des gesamten Textes, Kleinbuchstaben für sekundäre Überlieferung und Kurzfassungen.

186 Vgl. Worstbrock, Überlieferungsrang (1998).

Editorisches Verfahren 

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VIII.3 Textkonstitution Grundsätzlich bieten sich drei Möglichkeiten zur historisch-kritischen Textherstellung an: die Auswahl einer Leithandschrift,187 die Auswahl einer Leithandschriftengruppe und die Konstruktion eines Hybridtextes auf Grundlage mehrerer Handschriften. Im vorliegenden Fall liefert keine der Handschriften einen so verlässlichen Text, dass dieser als Leithandschrift dienen könnte. Doch bestehen zahlreiche Übereinstimmungen über die Verwandtschaftsverhältnisse hinaus, so dass die ursprüngliche Lesart in den meisten Fällen identifiziert und ein ältester noch zu erschließenden Überlieferungszustand auf Grundlage der greifbaren Überlieferung konstruiert werden kann. Zu Grunde gelegt wurde der Text der Arnoldüberlieferung, er dient aber nicht als Leithandschrift. Varianten werden soweit möglich als historische Differenzen bewertet und hierarchisiert. Bei der Textkonstitution kann nicht mechanisch nach den häufigsten Übereinstimmungen vorgegangen werden. Z.  B. liegt der Entscheidung für das Wort igitur (Z. 4) der Befund: ergo in den Hs. V, M und W, ibi bei A, igitur bei ba/ge/mü/be zugrunde. Da ergo und igitur in der Abkürzung leicht zu verwechseln sind (go und igi oder auch nur gi), ist anzunehmen, dass in Arnolds Vorlage igi zu lesen war. Die Unterscheidung von drei sich nahestehenden Überlieferungstraditionen erlaubt Kontrollmöglichkeiten über die jeweilige Gruppe hinaus, wobei t eine Korrektivfunktion erfüllt. Der Anfangssatz wird aus Arnold und den Kurzfassungen übernommen, da die Handschriften V, M und W offenbar eine gekürzte Version bieten.

VIII.4 Editorisches Verfahren Für die Edition werden folgende Richtlinien zugrundegelegt:188 1. Der Text, die Lesarten im Apparat, sind recte, alle Zusätze und Bemerkungen der Herausgeberin sind kursiv gedruckt. Abbreviaturen werden im Text aufgelöst und erscheinen recte. Das Lemma steht vor eckiger Klammer. 2. Die mittelalterliche Schreibweise wird beibehalten. Es werden keine stillschweigenden orthographischen Veränderungen vorgenommen. 3. Graphische Varianten werden im Editionstext in folgenden Fällen vereinheitlicht: Zwischen u und v wird so ausgeglichen, dass u für den Vokal, v für den Konsonanten steht. Entsprechend hat i vokalische Geltung, während j nur für den Konsonanten steht. Das Graphem y als Allograph für i oder j wird beibehalten, wobei jedoch die überschriebenen Punkte oder Striche außer Acht bleiben. Die diakritischen Zeichen werden aufgelöst: Striche über dem u; hochgestellte Buchstaben. 187 Oder auch Paralleldruck der zwei besten Handschriften. 188 Die Richtlinien orientieren sich eng an Heinemeyer, Richtlinien (1978) sowie Conseils, Bd.  1 (2001).

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 Edition

4. Unsichere Lesungen werden im 1. Apparat notiert; die vielfach kaum zu unterscheidenden Grapheme (u) und (n); (m) und (in) oder (ni) werden sinngemäß gelesen. Tilgungen des Schreibers werden im Apparat vermerkt. Umstellungen der Wortfolge werden aber nicht im Apparat notiert. 5. In der Regel wird Kleinschreibung durchgeführt, aber mit folgenden Ausnahmen: Eine Majuskel zu Satzbeginn; Eigennamen werden durch große Anfangsbuchstaben kenntlich gemacht; Ortsnamen, ethnische und religiöse Gruppen wie Christen, Juden und Sarazenen, Gott, Maria und Heilige werden ebenfalls groß geschrieben. 6. Zahlen werden in lateinischer Schreibweise oder ausgeschrieben wie­ der­ ge­ geben,189 eine Ausnahme bildet die Jahreszahl 870 (Z. 221), da diese so in A (R) wiedergegeben ist. 7. Handschriftliche Ansätze zur Interpunktion fehlen weitgehend; vereinzelt begegnet die Virgel (/) oder ein Doppelpunkt. Die von der Herausgeberin eingeführte Interpunktion versteht sich als Gliederungshilfe, die der Verdeutlichung von gedanklichen Einheiten im syntaktischen Gefüge dienen soll. Ein Komma steht bei asyndetischer Reihung und bei Apostrophen, zwischen Haupt- und Nebensätzen. 8. Gleichwertige Varianten werden im Editionstext mit * gekennzeichnet. Im Text selbst wird in diesem Fall meist die Variante der Arnoldhandschrift gedruckt. 9. Da t nur Teile des Textes überliefert und als Korrektiv dient, werden die Varianten von t nur in den Fällen mit hab. t kenntlich gemacht, in denen t den Ausschlag für eine bestimmte Lesart gibt. 10. Der Apparat ist zweiteilig aufgebaut. Der erste textkritische Apparat notiert Abweichungen der Handschriften, unsichere Lesungen, Schreiberkorrekturen und paläographische Anmerkungen. Im Variantenapparat werden alle Varianten, auch die der sekundären Überlieferung angezeigt, um die jeweils zugrundeliegende Entscheidung sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Im Text erscheint die nach Abwägung wahrscheinlichste Variante. Der zweite kommentierende Apparat gibt sachdienliche Erläuterungen, geographische Hinweise, verzeichnet Vergleichsquellen, Referenzen und weiterführende Literatur. 11. Abkürzungen: add. addidit fort. fortasse i. m. in margine i. r. in rasura l. n. legi nequit om. omisit

189 Conseils (2001), 29  f.

Editorisches Verfahren 

praem. praemisit trai. traiecit v. l. varia lectio Erstellt wurde die Edition mit dem Classical Text Editor.190

190 Dank an Thomas Woelki für die Hilfsbereitschaft bei allen technischen Fragen.

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 Edition

VIII.5 Editionstext Anno incarnationis dominice MCLXXV dominus Fridericus Romanorum imperator et augustus misit me Burchardum Argentinensem vicedominum in Egyptum ad Salahadinum regem Babylonie1. Quecumque igitur in mihi commissa legatione vidi 5 5 vel veraciter percepi que habitabili nostre terre rara vel extranea videbantur per mare et per terram scripto commendavi. Apud Ianuam2 mare ascendi VIII idus septembris3. Inde vero navigans inter duas insulas scilicet Corsicam et Sardiniam transivi. Harum insularum una distat ab alia per *quatuor* miliaria4, utraque vero satis pulchra, per planum et montana 1010 disposita, superhabundans omni dono terre. In Corsica vero homines sunt utriusque sexus compositi, curiales, habiles, hospitales, viri militares et bellicosi. In Sardinia vero econtrario sunt homines incompositi, rusticani, silvani, tenaces, viri effeminati et deformes.5 In Sardinia lupi non habitant. Mare Sardinie inter cetera maria ferocissimum est et magis periculosum. Tenet etiam Sardinia in longum et in latum ex 1515 omni latere VI dietas et est terra infirmissima. Tenet etiam Corsica in longum et in

2 dominice] domini W, V | MCLXXV] MCCXXV be; MCXXV mü | dominus] om. V, M | Fridericus]

Fredericus A(B), ba, ge, be; Frihtericus A(R) 3 et augustus] gloriosissimus ba, ge, be, mü; om. V, W

Burchardum] Burcardum V; Borchardum be; dominum Gerardum A | Argentinensem] gentinensis ba, be, mü; gentinsis ge | Argentinensem … Egyptum] om. V, M, W

4 Salahadinum] om. V, M, W

Quecumque] quecunque A; quodcumque ba, be, mü | igitur] ergo V, M, W; ibi A | in] om. A, W

mihi] om. ba, ge, be, mü | commissa legatione] commissit W 5 nostre] nostro V, M, W | terre] om.

V, M, W, A(B) 6 et] vel ba, ge, be, mü; om. V, M, W | commendavi] commendabam V, M 7 ascendi] intravi V | VIII] VII V, M 8 scilicet] add. inter ba, ge, be, mü; om. W | Corsicam] Dorsicam be, mü;

Coriscam W | Sardiniam] Sardoniam V, M | transivi] pertransivi ba, ge, be, mü 9 *quatuor*] tria V,

M, W | montana] add. bene ba, ge, be, mü 10 omni … terre] om. V, M | dono] bono W, be | Corsica]

Dorsica be, mü

11 viri] om. V, W | et] om. V, W

12 vero] autem A | econtrario] econtraiso V; e

converso M; eque W | silvani] om. V | viri] om. V, W 13 et] om. V, W, ba, ge, be, mü | In Sardinia] et

ibi V, W | In … habitant] om. ba, ge, be, mü | Mare] praem. et merito quod ba, ge; et merito quia be,

mü | Sardinie] Sardanie V; Sardonie M

14 Sardinia] Sardania V; Sardonia M | in2] om. V, W, be

latum] altum be 14f. ex … latere] om. V 15 VI] tres V, M, ge | et1 … infirmissima] om. ba, ge, be, mü

etiam] autem A; om. V | Corsica] Corisca W; Dorsica be, mü | in2] om. V, W

1 Der rex Babylonie bezeichnet den Herrscher Ägyptens, Babylon ist Teil der heutigen Stadt Kairo. 2 Genua.

3 6. September 1175.

4 Die kürzeste Distanz zwischen Sardinien und Korsika beträgt 12 km, ein Meile misst ca. 3, 5 km.

5 Die gegensätzlichen Zuschreibungen beruhen auf der Einstellung der Genuesen gegenüber den

Bewohnern der Inseln, siehe dazu Kapitel III. 1. 1.

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latum tres dietas et est terra satis sana. Nisi quod per eam defluit amnis infirmissimus, quem si anima viva gustaverit, morietur, et aves si prope transvolant eam morientur. Per has duas insulas transiens Siciliam veni. Hec insula est terra sanissima, omni terrena fecunditate opulenta, plana montanis, vineis, pratis, pascuis, fontibus 2020 vivis, fluminibus iocundissimis, diversis generibus fructuum et herbarum perornata. Excipiens transitum maris in modum crucis, mercatoribus aptissima, sed paucis inhabitur hominibus. Tenet *etiam* in longitudine et latitudine ex omni latere VI dietas et plures continet civitates. Iuxta vero hanc insulam ex uno latere in opposito est quedam insula nomine 2525 Malta, distans a Sicilia per XX miliaria, a Sarracenis inhabitata et est sub dominio regis Sicilie.6 Verum non longe a Malta est alia insula nomine Panteleon7, quam Sarraceni inhabitant nulli *dominio* subiciuntur.8 Homines enim inculti sunt et silvani. Habitantes in cavernis terre, quibus si forte magnus exercitus supervenerit cum omni supellectili sua terre cavernas intrant, ut qui pugnando se defendere non 3030

16 latum] altum be | tres dietas] praem. simili M | est] om. A(B) | terra] om. M, W; add. illa ba, ge,

be, mü | Nisi quod] om. W | per eam] add. etiam W | defluit] fluit ba, ge, be, mü 17 viva] vivens ba, be, mü | morietur] praem. pro certo ba, ge, be, mü transierint M, W | eam] eum ba, ge, be, mü

17f. et … morientur] om. V

17 transvolant]

19 Siciliam] Syciliam M; Siliciam A(B); Cilitiam W;

Ciciliam ba, mü; Cyriham be; add. regionem ba, ge, be, mü

|

Hec] hac A(B); hinc ba, be, mü

20 fecunditate] fertilitate ba, ge, be, mü | plana] plano V, M; plena ge | pascuis] om. V | fontibus]

om. ba, ge, be, mü

21 vivis] om. V, W; rivis ba, ge; vinis be, mü

fructuum] add. arborum ba, be, mü; fructiferum arborum ge

|

iocundissimis] om. V, W

22 Excipiens … crucis] om. ba, ge, be,

mü | in] ad V, M | mercatoribus] praem. omnibus ba, ge, be, mü 23 inhabitur] inhabitata ba, ge, be,

mü | *etiam*] add. hec insula W; enim A; illa insula ba, ge, be, mü | ex … latere] om. W | latere] parte V

25 vero] om. V, W | ex … opposito] om. V 26 Malta] Maltha A(B), ge; Malcha A(R), ba, be,

mü | Sicilia] Cilicia W; Cicilie ba, mü; Cecilie be | XX] nonem V; sex A(R) 26f. dominio regis] rege

V, W 27 Verum] verumtamen A(B) | Malta] Malcha A; ab insula Malche ba; ab insula Malcha mü; ab insula ge; ab ista insula be | alia] om. V, M, W | nomine] om. A | Panteleon] Pameleon A(R), V, M, W | quam] add. etiam M

28 inhabitant] add. qui M | nulli *dominio*] nulli domino V; nulli

domine M; nullo domino W; nullius dominio ba, ge, mü; nullus dominio be | enim] add. illius terre

ba, be, mü; terre ge | inculti] stulti W 29 supervenerit] superveniret ba, ge; praem. ipsos ba, ge, be,



30 sua] om. V | sua terre] eorum ne eos spoliant W | cavernas] tavernas be | intrant]

subintrant M | qui] om. ba, be, mü | pugnando] propugnando A | se] si ge (trai.)

6 Malta wurde vom König von Sizilien als Lehen vergeben, siehe dazu Bresc, Malta (2002); Abulafia, Henry (1975).

7 Pantelleria.

8 Wer um 1175 die Schutzherrschaft über Pantelleria ausübte, Genuesen, Almohaden oder

Normannen, ist nicht gesichert, Dalli, Bridging (2008). Die Bemerkung bezieht sich möglicherweise

auf das religiöse Bekenntnis der Inselbewohner, die den Kharijiten (Ibaditen) angehörten, vgl. AlIdrisi, Nuzhat. Bd. 1 (2002), 305; siehe dazu Kapitel III. 1. 1.

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valent saltem fugiendo evadant. Hoc genus hominum magis vivit de pecuali quam de fructibus terre, quia granum non colligit nisi paucum. Inde procedens per VII dies, veni ad terram Barbaricam9 ab Arabitis10 inhabitatam, quod genus hominum sine domibus degit sub divo ubicunque terrarum habi3535 tat. Dicunt enim, quod pro tam brevi spatio vite sue domos edificare vel in eis habitare intuitu divine remunerationis obmittant. Terram parum colunt, sed de solo pecuali vivunt. Viri et mulieres fere nudi incedunt nisi quod vili panno sola pudibunda cooperiunt. Gens ea misserima est et omni bono privata, inermis et nuda, nigra, deformis et inde debilis.11 4040 In mari vero XLVII diebus navigando diversa genera piscium vidi. Vidi enim piscem magnum ut conicere potui, habentem in longitudine CCCXL ulnas.12 Vidi etiam pisces super mare volare, ad tractum unius arcus vel baliste. Tandem portum Alexandrie intravi in quo portu turris altissima de lapidibus erecta est,13 ut navigantibus portum indicet. Quia Egyptus terra plana est, et tota

31 valent] possint ba, ge, be, mü | vivit] vivunt V | pecuali] peculiali A, V, M

colligit] colit A; colunt W

32 quia] quod ge

33 VII] sex A(R), ba, ge, be, mü; VIII W | dies] dietas V, M, ge; dies vel

dietas ba, be, mü | ab Arabitis] a Barbaris W

34 quod] v. l. et per totam insulam illam regione

barbaria ba, mü; (...) barbaricam ge; (...) barbarina be | domibus] hominibus W | ubicunque] ubique V | ubicunque terrarum] om. ba, ge, be, mü

34f. habitat] habitet A; habitant V, M; om. ba,

ge, be, mü 35 – 39 Dicunt … debilis] deest ba, ge, be, mü 35 enim] etiam W | pro] om. V, M | vel] et

W | in eis] om. V, M 35f. habitare] inhabitare V, M 36 obmittant] omittant A(B) | parum] parvum

W 37 pecuali] peculiali A, V; peculiari M | vivunt] vivit V | sola] om. W 38 est et] om. V | et1] om. W 39 inde] om. V, W 40 In mari] praem. inde procedens navigando sine differentia ba, ge, be, mü

XLVII] XLVIII W | diversa] praem. hinc et inde ba, ge, be, mü 41 ut] et V; ita ut ba, ge; ita vel mü ut … potui] om. be | ulnas] add. inscriptio De piscibus marinis ba, ge

42 etiam] et A, W | pisces]

piscem magnum V, M; alium piscem W | volare] add. quasi ba, ge, be; add. quia mü | tractum] iactum W 43 portum] om. A(B) | Alexandrie] praem. ab W | quo] qua W | turris] add. nimis et be,



43 – 45 de … signifet] deest A(B)

44 Quia … est2] om. W

44f. Quia … signifet] om. V, M

44 Egyptus] Egypto be, mü 44f. tota nocte] singulis noctibus ba, ge, be; singulis mü

9 Der Terminus Barbaria bezeichnet die nordafrikanische Region der heutigen Länder Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen, vgl. Guglielmo Cassinese. Ed. Hall / Krueger / Reynolds (1938), Bd. 1,

No. 482, 191.

10 Gemeint sein können Araber oder auch die Almoraviden (al-murābitūn). 11 Schwarzafrikanische

Sklaven

aus

dem Niger

waren

das

wichtigste

Handelsgut

im

Transsaharahandel.

12 Denkbar ist eine ursprüngliche Angabe von ca. XL Ellen, was sich auf den Pottwal beziehen könnte, sofern es sich um eine realistische Angabe handelt.

13 Vgl. die Darstellung bei Nāsir-i Khosrou, Safarname. Ed. Najmabadi / Weber (1993), 83;

Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 46; Ibn Gubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 24; Behrens-Abouseif, Lighthouse (2006).

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nocte ignis in ea ardet, ut appropinquantibus ne pereant portum signifet.14 Alexan- 4545 dria est civitas egregia, edificiis, pomeriis et immensa multitudine perornata.15 A Sarracenis, Iudeis et Christianis inhabitata, sub dominio regis Babylonie constituta. Huius civitatis prima constitutio sicut in eius apparet vestigiis maxima fuit. Extendebatur enim in longum per IIIIor miliaria, in latum vero per unum miliare. Hanc brachium ex Eufrate deductum in uno tangebat latere et Mare Magnum firmabat in alio 5050 latere. Nunc eadem civitas ad mare contracta exstat, per magnum campum a brachio predicti Nili. Sciendum enim est quod Eufrates et Nilus una et eadem aqua est.16 In Alexandria omne genus hominum legem suam libere colit17. Hec civitas valde sana est et plurimos centenarios et senes in ea repperi. Civitas hec nili muro absque fossatis munitur. Sciendum etiam quod predictus portus solvit annuatim de 5555 pedagio L milia aureorum, qui faciunt plus quam VIII milia marcas puri argenti18. Hanc civitatem diversum genus hominum frequentat cum suis *mercatoribus*. Aquam dulcem hec civitas non habet, nisi quam per aqueductum supradicti Nili uno tempore anni in cisternis19 suis colligit.

45 appropinquantibus] appropiantibus W, ba, be, mü | portum signifet] significet A; portum indicet ba, ge, be, mü

45f. Alexandria] praem. inscriptio De Alexandria V, M; De civitate Alexandria ba, ge

46 pomeriis] om. V, M; marmoreis W | immensa] universa hominum V, M, W; hab. t

46f. A …

Christianis] Sarracenis et Iudeis W 47 Iudeis] Iudais V | dominio] domino A(R) 48 prima … sicut] v.

l. palatia constructa sunt ut W | maxima] magna atque pulcherrima W 49 enim] add. Alexandria

W | in2] per W | miliare] om. V, M, W 50 in1] ex W 50f. firmabat … latere] ex alio W 50f. in2 … latere] ex alio V, M

51 Nunc] hinc W; add. autem M | exstat] distat V, M, W; hab. t | campum]

spatio W 52 predicti] predicto A; om. W | enim] itaque M; autem W | est] om. W 53 legem suam]

om. W | colit] i. r. W

54 et1] etiam A | centenarios] centuriones V, M | in … repperi] nutrit V, M

55 munitur] cingitur W 56 pedagio] pedigerio V; pidigerio M | L] 2 A(B) | qui] que M | VIII] VII W

puri] om. V, M, W 57 *mercatoribus*] mercationibus A(B), V; l. n. W add. in ea 58 hec civitas] om. M | quam] om. W | supradicti] super dicti W; om. V, M

colligit] colligunt W

59 anni] om. W | suis] add. aquam W

14 Vgl. die Schilderung des Hafens bei Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 278 und Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 27. Ed. Huygens (1986), 902.

15 Vgl. Ibn Gubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 24.

16 Die Theorie, dass Nil und Euphrat derselbe Fluss seien, findet sich in der Antike bei Pausanias.

Corinth, II, 5. Ed. Taylor (2006), 94; Philostratus, Leben, l. I. 20. 2. Ed. Mumprecht (1983), 62f. und im Alexanderroman, Historia. Ed. Bergmeister (1975), 132f.

17 Vgl. Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 47.

18 Vgl. die Angabe bei Al-Maqrīzī, Bramoullé, Alexandrie (2011), 87.

19 Die Zisternen entstanden seit der Spätantike, größtenteils aber unter arabischer Herrschaft,

Hairy, Alexandrie (2009); vgl. Ibn Gubair, Tagebuch. Ed. Günther (1985), 24; Wilhelm von Tyrus,

Chronicon, 19, 27. Ed. Huygens (1986), 902.

518 

 Edition

In eadem urbe sunt plures ecclesie Christianorum. Inter quas est ecclesia beati Marci ewangeliste20 extra muros nove urbis supra mare sita. In qua vidi XVII monumenta ossibus et sanguine sanctorum martirum plena, sed nomina eorum sunt ignota. Vidi etiam capellam in qua idem ewangelista ewangelium conscripsit21, et ubi martyrium accepit, et locum sepulture sue, unde a Venetis furatus fuit.22 In illa 6565 ecclesia patriarcha eligitur, consecratur, et mortuus sepelitur. Habet enim illa Christianitas patriarcham, obedientem Grecorum ecclesie. Erat in eadem civitate aliquando palatium Pharaonis maximum, immensis columnis marmoreis elevatum, cuius nunc vestigia apparent.23 Vidi iuxta Alexandriam ubi Nilus per parvum spatium terre a proprio alveo 7070 educebatur in campum, et ibi sine omni labore vel ingenio humano stans per aliquod tempore in sal purissimum et optimum convertebatur.24 Solet etiam Nilus annuatim excrescere et totam Egyptum irrigare et fecundare quia rara est ibi pluvia. Incipit autem excrescere in medio iunio usque ad festum sancte crucis et exinde decrescere usque ad Epyphaniam Domini. Nota *quam cito* aqua in decrescendo 7575 transit, ubicunque terra apparet, ibi statim rusticus aratrum figit et semen mittit.25 In martio frumentum metunt. Terra illa non parit aliud frumentum nisi triticum et hordeum pulcherrimum. Omne genus leguminum a festo sancti Martini usque ad

6060

60 urbe] civitate W | est] om. A(B) | beati] sancti M, W 61 Marci] Marchi V | supra] super V, M XVII] XII V; XVIII M; XXVIII W; hab. t

62 sanctorum] om. A | martirum] om. W

63 conscripsit]

scripsit V, M, W 64 ubi] ibi V, W | accepit] excepit A; sumpsit W; hab. t | sue] eis W | unde … fuit] inde a Venetianis †furtive† sublatus est W 65 eligitur] add. et V, M, W | illa] om. V, M, W 66f. ali-

quando] om. W

68 nunc] adhuc M; om. A

69 Vidi] add. etiam M

70 educebatur] ducebatur W

campum] campo W | omni] om. V, M, W 71 tempore] tempus V, M | sal] salem W | purissimum et] per W | et optimum] om. V, M | convertebatur] convertitur V, M; constitutur W | etiam] enim A(R) 72 irrigare] rigare V, M | rara] raro M

73 excrescere] crescere V, M

74 decrescere] excrescere V

*quam cito*] quamdiu V, M, W; quidam cito A(R); hab. t 75 semen] sementem V, M 76 non] enim

A(R) | parit] producit W | nisi triticum] om. W 77 hordeum] ordeum A(B), V, W | pulcherrimum]

purissimum W | leguminum] leguminis A | sancti] beati W

20 Vgl. die Darstellung bei Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer (1898), 282. Die Markuskirche

brannte 1218 nieder.

21 Markus gilt als Gründer der Kirche in Ägypten. Vgl. Maçoudi, Livre. Ed. Carra de Vaux (1896),

219f. Die Behauptung, das Evangelium sei in Alexandria verfasst worden, ist in der lateinischen Tradition nicht verbreitet.

22 Die Translation der Gebeine soll 829 erfolgt sein, überliefert in der ‚Translatio Sancti Marci‘, Dennig-Zettler, Translatio (1991).

23 Vgl. die Darstellung bei Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 19, 22-28. Ed. Huygens (1986), 901-905.

24 Zur den in Frage kommenden Methoden der Salzgewinnung siehe Kapitel III. 1. 3.

25 Vgl. u. a. Isidor, Etymologiae, XIV, III (28) Ed. Lindsay (1911); Adamnanus, Locis 2, 30. Ed. Geyer

(1898), 280f.

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martium recens colligitur, similiter et fructus hortorum et herbarum. Oves et capre terre illius bis pariunt in anno,26 et ad minus geminum fetum proferunt. Audivi etiam quod asini ibi ab equis conciperent.27 Per totam Egyptum Christiani habitant 8080 in civitatibus et in villis, regi Babylonie solventes certum tributum. Et fere quelibet villa habet ecclesiam Christianorum. Ipsum autem genus hominum miserrimum est et misere vivit. Nota, ab Alexandria usque ad Novam Babyloniam28 tres esse dietas per terram, per aquam VII dietas in ascendendo. Sciendum est tres esse Babylonias, unam scili- 8585 cet super fluvium Chobar ubi regnabat Nabuchodonosor in qua fuit turris Babel.29 Et hec deserta dicitur et antiqua, distans a Nova Babylonia ultra triginta dietas. Fuit et alia Babylonia30 in Egypto supra Nilum sita in pede montis iuxta desertum, in qua regnabat Pharao, distans ab ista Nova Babylonia per VI miliaria, et hec quoque destructa est. Nova vero Babylonia supra Nilum sita est in plano, et fuit aliquando 9090 maxima civitas et adhuc satis egregia et populosa, omni bono terre *fecunda*. A solis mercatoribus inhabitata ad quam naves honerate speciebus de India spissim veniunt per Nilum31 et inde in Alexandriam ducuntur. Granum et legumen per vicos et plateas ubique servatur.

78 similiter] insuper W | hortorum] arborum et ortorum W

79 et] vel W | proferunt] pariunt in

anno W 80 asini] asine A | ibi] inibi M; om. V, W | conciperent] concipiantur V, M; concipiunt W

81 et … villis] om. V, M | certum] om. V, M

82 Ipsum autem] primum W | autem] om. V, M

82f. miserrimum … et] om. W 83 misere] miserrime V, W 84 Novam] nova A(B) | terram] add. et M

85 est] esse V; om. W

85f. scilicet] videlicet M; om. V, W

86 fluvium] flumen W | fuit] est W

87 dicitur] datur W | antiqua] antiquam V | Fuit et] om. A(B)

87f. et alia] etiam W

88 iuxta

desertum] ultra desertam W; om. V, M 89 regnabat] regnavit W | ista] illa V, M | Nova] om. V, M

VI] V V, M 90 destructa] deserta W | vero] om. V, M, W; hab. t | supra] super A(R), M 91 et2] om. A(B)

|

terre] terra ba, ge, mü, opulenta terra be

fertilissima ba, ge, be, mü, t | A] om. W

|

*fecunda*] opulenta W; feculenta V, M;

92 – 99 ad … tractus] deest ba, ge, be, mü

92 honerate]

inhonerato W | speciebus] spebus V | India spissim] dyaspasim W | spissim] passim A(R) 93 in]

om. W | ducuntur] ducitur W 93f. Granum … servatur] deest V, M

26 Vgl. Aristoteles, Tierkunde, VI, 19. Ed. Gohlke (1957), 281.

27 Es handelt sich um die in Europa seltenen Maulesel im Unterschied zu Maultieren, vgl. Abd al-

Latīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 140. 28 Fustat nahe Kairo.

29 Babylon am Euphrat.

30 Gemeint ist Memphis, vgl. Otto von Freising, Chronik, VII, 3. Ed. Lammers (2011), 504f.

31 Fustat war mit dem Roten Meer durch einen schon in der Römerzeit existenten Kanal verbunden.

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 Edition

A Nova Babylonia usque ad miliare unum in deserto sunt duo montes lapidibus marmoreis maximis et aliis quadris artificio erectis.32 Opus admirabile distantes ab invicem per tractum unius arcus quadrati eiusdem quantitatis scilicet latitudinis et altitudinis. Extenditur enim uterque in latitudinem ad tractum fortissimi arcus et in altum ad duos tractus. 100 Item iuxta Novam Babyloniam ad tertiam partem miliaris est alia civitas egregia 100 Chayr33 nuncupata, in qua nunc est sedes regalis, palatia regis, et principum et militum cohabitatio. Hec civitas militaris est prope Nilum sita34, cuius edificia non minus admiranda quam sumptuosa, muro clausa, pulcherrimis pomeriis circumsepta. In qua habitant Sarraceni, Iudei et Christiani. Quelibet natio suam legem 105 colit. In ea sunt plures ecclesie Christianorum.35 105 Ab hac civitate ad miliare unum est hortus balsami36, habens in quantitate fere dimidium mansum, et est lignum balsami ut lignum vitis triennis, folium vero tamquam trifolium parvum. Tempore autem maturitatis circa finem maii finditur cortex ligni secundum quod notum est operariis. Vinee illius guttatim gummi distillant que 110 in vasis vitreis colligitur, et per VI menses in stercore columbe reconditur et deco110 quitur et defecatur.37 Postea liquor a fece separatur. Hic hortus habet fontem unde

9595

95 montes] add. de W 96 maximis] om. V, M | quadris] quadratis A | erectis] erecti A | Opus] add.

enim A(R) | admirabile] mirabile V, M, W 97 per tractum] ad iactum W | et] om. W 98 uterque] utriusque V | tractum] iactum W | fortissimi] VIII W 98f. et … tractus] v. l. in altitudine duos arcus

iactus W 98 in2] om. A(B) 100 Item] om. W | Novam] om. ba, be, mü; add. istam ge | Babyloniam]

add. civitatem ba, be, mü | est alia] existit ba, be, mü 101 Chayr] Chair V; Cahyr W; Hare ba, ge, be,

mü | qua] quam W | regalis] om. W | palatia regis] palatii regum W; palatia regia ba, be, mü 101f. palatia … cohabitatio] deest V, M

102 militaris] miliaris A(R) | est] add. et W

103 minus]

nimis W | admiranda] add. sunt V; ammiranda A(B), W | muro clausa] murorum firmitate W 104 qua] quam V | natio] add. in ea V

105 In] praem. et V

106 Ab] praem. inscriptio De vinea

balsami W | miliare] miliarium V 106f. habens … balsami] om. A(B); i. m. A(R) 106 fere] om. V, M

107 ut] quasi V | vitis] om. A(B) | vero] eius V, M, W 107f. tamquam] quasi V, M 108 trifolium parvum] folium trifolii parvi V, M

|

maii] marcii M

|

finditur] fingitur A(B); funditur M

109 guttatim] guttarim V | gummi] gummam A; om. W | distillant] distillat V, M | que] quod V, M,

W 110 VI] VII V, M | reconditur et] om. W 111 Postea] praem. atque M | a fece] om. A(B)

32 Cheops- und Chephrenpyramide, vgl. Abd al-Latīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 173-

179.

33 Kairo.

34 Kairo ist mit dem Nil durch einen Kanal verbunden.

35 Zur Einwohnerschaft der Palaststadt siehe Kapitel III. 1. 4.

36 Der Balsamgarten nahe Matariya, vgl. die Beschreibung bei Abd al-Latīf al-Baġdādī, Relation.

Ed. de Sacy, (1810), 20; 87 und Abū l-Makārim, Zanetti, Matarieh (1983); erwähnt auch bei Otto von Freising, Chronik, VII, 3. Ed. Lammers. (2011), 504.

37 Vgl. Abd al-Latīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 21.

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irrigatur, quia ab alia aqua non potest irrigari. Nota quod nusquam terrarum nisi in hoc loco balsamum crescit.38 Ad hunc fontem beata Virgo cum Salvatore nostro Herodis persecutionem fugerat et ibi per aliquod tempus latitabat, lavans ad fontem illum pannos pueri, ut natura hominis requirebat.39 Quapropter usque in hodiernum 115 115 diem fons ille a Sarracenis in veneratione habetur, deferentes illuc cereos et incensum, quando se ibi lavant.40 In Epiphania vero maxima multitudo illuc confluit de omni confinio et lavat se cum aqua predicta. Credunt enim Sarraceni beatam Virginem per angelum concepisse Iesum Chri120 stum peperisse et post partum virginem permansisse.41 Hunc filium Virginis sanc- 120 tum prophetam fuisse dicunt, et a Deo mirabiliter cum anima et corpore in celum assumptum celebrantes et eius nativitatem.42 Sed negant eum esse filium Dei et baptizatum, crucifixum, mortuum et sepultum.43 Certant etiam se habere legem Christi et apostolorum, quia circumcisi sunt, nos vero minime. Credunt etiam apo125 125 stolos prophetas fuisse et plures martyres et confessores in veneratione habent.44 Item apud Cahyr est arbor palme antiquissima et altissima que se beate Virgini inclinavit quando cum Salvatore nostro transivit *illo*, et ab ea dactila collegit et iterum erigebatur.45 Hoc tunc temporis Sarraceni videntes beate Virgini invidebant

112 aqua] om. W 113 balsamum] balsamus V | hunc] add. quidem V, M | beata] beatam W | Virgo]

add. venit W | Salvatore nostro] filio suo V | nostro] mundi W 114 persecutionem] persecutionis

A(B) | fugerat] fugiens confugerat A(R); fugiens V, M | et] om. M 115 ut] sicut W | ut … requirebat]

om. V, M

116 veneratione] venerationem V | deferentes] deferentibus W

illuc] illic V | confluit] convenit V, W | de] praem. hominum V, W

117 quando] quia W

118 lavat se] fort. lavatur W

119 enim] autem A(R) | Sarraceni] add. in V 120 peperisse] om. V, W 120f. sanctum] om. V, M, W

121 fuisse] esse W 122 assumptum] add. fuisse V | celebrantes] credentes W | et1] om. V, W | esse]

om. V, W

123 Certant] credunt W, M

124 quia] et W

126 Item] om. W | Cahyr] cf. Z. 129.

antiquissima et] om. W 127 nostro] om. V; mundi W | *illo*] illic V, M; illuc W | ab ea] qua etiam M | ea] eo V | dactila] dactilia V; ductilia M 128 invidebant] invidentes V, M

38 Es handelt sich vermutlich um Bäume der Gattung Commiphora opobalsamum, deren Harz als

Mekkabalsam bekannt war.

39 Matariya war nach koptischer Tradition eine Station der Heiligen Familie auf ihrer Flucht nach

Ägypten. Tradiert wurde die Legende im Pseudo-Matthäusevangelium, dem arabischen Kindheitsevangelium und Marienerzählungen, Josua / Eißler, Kindheitsevangelium (2012); Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium (2012), dazu Kapitel III. 1. 5.

40 Matariya ist bis heute ein interreligiöser Wallfahrtsort, da Maria im Islam eine besondere Wert-

schätzung genießt.

41 Vgl. Koran Sure 19 : 16-22. 42 Vgl. Koran Sure 19 : 30. 43 Vgl. Koran Sure 19 : 35.

44 Vgl. Koran Suren 2 : 136; 2 : 285; 3 : 84. 45 Vgl. Koran Sure 19 : 23-25.

522 

130 130

135 135

140 140

145 145

 Edition

et arborem in duobus locis membratim succidebant. Nocte vero proxima arbor solidata fuit et erecta, et usque in hodiernum diem vulnera succisionis apparent. Hanc quoque arborem Sarraceni in veneratione habent, et candelis omni nocte illuminatur. Sunt alia loca diversa ubi beata Virgo habitabat in Egypto a Christianis et Sarracenis venerata. Nilus vel Eufrates est aqua maior Rheno, de paradiso exiens, cuius ortus ab hominibus ignoratur, nisi quantum scriptis didicimus, planum habens decursum aqua turbulenta, piscibus superabundans, sed non multum valent.46 Nutrit equos indomitos sub aqua latitantes et sepe foras egredientes. Nutrit etiam crocodillos infinitos, quod genus animalis ad modum lacerte formatum est, IIII habens pedes, crura curta et grossa. Caput eius quasi caput scrofe.47 Et animal illud crescit in longum et in latum, maximos habet dentes. Ad solem egreditur et animalia vel pueros, si invenit, occidit. Item in Egypto est quedam ecclesia Christianorum iuxta quam est puteus per totum annum siccus, nisi in annuali festo illius ecclesie. Tunc tribus diebus crescit aqua ad summum, ita quod omnes Christiani ad festum venientes aquam sufficienter inveniant. Finito vero festo, aqua ut ante evanescit.48 Item a Nova Babylonia ad VI dietas in deserto alumen tinctura fullonem, de quibusdam montanis exciditur et in usum regis colligitur. Item color Indicus in Egypto conficitur. Item plurimum genus avium in Egypto superabundat. Item per totam Egyptum neque aurum neque argentum neque aliquod genus metalli colligi-

129 et] om. V, M | et … succidebant] i. m. A(R) | membratim] om. V | succidebant] succiderunt V

proxima] prima A(R) | arbor] add. predicta M 130 vulnera] om. V, M, W | succisionis] succisiones V, M, W; add. eius V, M 131 veneratione] venerationem V 132 Sunt] add. et W; add. item M habitabat] habitavit W | a Christianis] om. V

134 vel] qui et M

136 aqua turbulenta] aquam

turbulentam V, M | superabundans] super habundat V, W | sed] om. V, W | valent] valentibus V, M, W | Nutrit] mittit W 136f. Nutrit … egredientes] deest M 137 etiam] insuper M; add. aqua illa W

crocodillos] hab. t; cocodrillos A(R), V, M, W

138 animalis] animalium A(R) | pedes] om. W

139 Caput … quasi] om. W | eius] om. V; vero M | illud] istud A(R) | crescit] om. W 140 in] om. W maximos] magnos V, M; longos et magnos W | habet] habens V, M, W 141 occidit] praem. interficit vel V 142 Item] om. W | quedam] quidem A(R) 142f. per … annum] toto anno A(R) 143 in] om. W

annuali] anniquiali A(R) 144 aqua] add. usque W | omnes] omnis W | ad2 … venientes] om. W 144f. sufficienter inveniant] sufficientem inveniunt W 145 vero] om. V, W | ut ante] om. W

146 Item] rursus M; om. W | VI] VII V, M | alumen] alumine A(R) 147 quibusdam] quibus ex A(R)

montanis] montibus W | Item] om. W | Indicus] iniquus W 148 Item1] et V; om. W | genus] genere M | in Egypto] om. V | superabundat] habundat V, M | Item2] om. W 149 neque3] nec W 46 Vgl. Abd al-Latīf al-Baġdādī, Relation. Ed. de Sacy, (1810), 146f. 47 Vgl. ebd., 141.

48 Es handelt sich um ein Nilometer, das vorzeitig den Wasserstand des Nils anzeigt; vgl. Koran

Sure 23 : 52.

Editionstext 

 523

tur, et tamen *auro* terra superabundat. Item Egyptus satis bonos nutrit equos. Item 150 150 49 50 in Egypto psitaci abundant, qui veniunt de Nubia. Distat autem Nubia a Babylonia per viginti dietas, et est terra christiana, habens regem, sed populus eius incultus est et terra silvestris. Item in Egypto nutriuntur pulli mille vel duo milia simul in furno51 per ignem absque gallina, et usus iste regis est. Egyptus est terra calidissima, raram habens pluviam. Item mons Synai distat a Babylonia per VII dietas in 155 155 deserto. Item credunt Sarraceni se habere paradisum in terra, in quem post hanc vitam sint transituri, in quo credunt esse IIII flumina, unum scilicet de vino, secundum de lacte, tertium de melle, et quartum de aqua. Et omne genus fructuum ibidem dicunt 160 nasci, et ibi pro velle comedent et bibent.52 Unusquisque eorum omni die pro volup- 160 tatis explecione nove53 virgini commiscetur, et si quis in proelio a Christiano moritur, cottidie in paradiso decem virginibus utitur.54 Sed quid de mulieribus istis contingat, que nunc sunt, vel quo deveniant virgines, que cottidie secundum eos corrumpuntur, mihi respondere ignorabant.

150 et] om. V, M, W | *auro*] omnibus his V, M; habens omnibus W; tota t | Item1] om. V, M, W

Item2] om. V, M, W

151 psitaci] zitazi V, M | autem] om. V, M, W

152 per viginti] per duas V, M,

duas W | sed] om. W | eius] om. V, M, W 153 est et] om. V, W | Item] om. W | nutriuntur pulli] om.

V | simul] om. V, M, W

154 iste] om. W

154f. calidissima] caldissima V

155 Item] om. W

155f. Item … deserto] v. l. Item deinde procendens per septem dietas in deserto et distat a Babylonia in Damascum per desertum viginti dietas ba, ge, be, mü 157 – 167 Item … coleretur] deest ba, ge, be, mü

sunt V, W | quo] qua W | scilicet] om. V, M comedent … bibent] bibunt et comedunt W

155 VII] sex W

157 Item] om. W

157 in quem] in quam A(R); ad quam W

|

158 sint]

160 et ibi] ibique M | velle] add. suo V, W

Unusquisque] praem. et V, M

|

pro2] per V

161 explecione] explemento A | nove] uni W | commiscetur] commisceri V; possit commisceri M

quis] add. eorum W

161f. moritur] interfectus fuerit V, M

162 cottidie … utitur] v. l. credit se in

paradiso decem virginibus debere abuti V, M | utitur] abutitur W | Sed] cumque requirerem A

istis] illis M, t 162f. contingat] continget V; contingit W 163 que1 … virgines] om. V, M 163f. corrumpuntur] corrumperentur A(B); corrumpentur A(R) 164 ignorabant] nesciebant V, M

49 Es sind vermutlich Halsbandsittiche, die an europäischen Höfen als Luxustiere hoch geschätzt waren.

50 Das Doppelkönigreich Nobadia-Makuria.

51 Vgl. Aristoteles, Tierkunde, VI, 2. Ed. Gohlke (1957), 244; Plinius, Naturkunde X, LXXVI. Ed. König (1986), 106f.

52 Vgl. Koran Sure 47 : 15.

53 Möglicherweise war hier ursprünglich eine kleinere Zahl zu lesen, z. B. IV.

54 Vgl. Koran Sure 56 : 11-24 sowie insbesondere die Dschihadliteratur des 12. Jahrhunderts, Cook,

Jihad (2005), 27-31; Eddé, Saladin (2008), 210.

524 

 Edition

Item Egyptus diverso genere avium abundat et diversis fructibus terre. Parum vini habent propter legis sue religionem, sed natura terre multum vini produceret, si coleretur. De Babylonia transivi in Damascum per desertum, et feci in deserto viginti dietas, quia non inveni terram cultam. Est autem desertum terra sabulosa, per planum 170 et montana disposita, nil prorsus germinans nisi humilia arbusta in paucis tamen 170 locis. Et terra illa est plurimum distemperata, in hieme nimis frigida, et in estate nimis calida. Transitus terre illius difficilimus et ignotus est, quia flantibus ventis strata sabulo ita infunditur, ut vix a quoquam sciatur, nisi a Bodovinis, qui sepius illuc transeunt, et alios transeuntes ducunt, sicut naucleri navigantes in mari. Nota, 175 desertum nutrit leones, strutiones, porcos silvestres, onagros, scilicet asinos silve175 stres, et lepores. Aqua rarissima ibi invenitur, nisi de quarto die in quartum vel in quintum diem. Item Mare Indicum ex uno latere tangit desertum et Mare Rubrum ex altero latere tangit desertum, iuxta quod duabus noctibus fui.55 Vidi etiam septuaginta duas palmas, ubi Moyses percusso silice aquas eduxit.56 Item a monte Sinai 165 165

165 Item] om. V, M, W | avium] super W 166 habent] om. A; habundat W | sue] om. W | natura

terre] terra eorum W

168f. De … dietas] et feci in deserto viginti et septem dietas ba, ge, be, mü

168 et … deserto] om. V, M, W 169 quia] et V, M; quod W, ba, | desertum terra] terra Babylonia ge,

be, mü; terra Babylonica ba 170 et] in W | nil] nihil W | humilia] humilima V, M, ba, ge, be, mü 171 hieme] add. enim ba, ge, be, mü | et] om. W

172 et ignotus] om. V | ignotus] incognitus A

quia] quod ba, ge 172f. quia … infunditur] om. V, M 173 strata] terra W | ita] om. W | infunditur] perfunditur ba, ge, be, mü | vix] add. via W | quoquam] quoque ge, be | sciatur] saciatur M

Bodovinis] Bedewinis V, M; Bodewiniis W; Boydewinis ba, mü; Boudewinis ge; Boydlwinis be

qui] quia V, M | sepius] sepe W 174 et alios] aliosque M | transeuntes] add. pro salario ba, ge, mü

sicut … mari] deest ba, ge, be, mü

|

naucleri] nauclearii A

|

Nota] add. quod ba, ge, be, mü

175 desertum] add. illud M; add. istud ba, ge, be, mü | porcos] add. boves A | scilicet] om. W

175f. scilicet … silvestres2] om. V, M; v. l. asinos et equos silvestres et universa animalia que quondam

vidi ba, ge, be, mü 176 rarissima] rarissime V, M, W | ibi] om. A, V 176f. quarto … diem] quinto die

in quintum vel de sexto in sextum ba, ge, be, mü 176 die] om. W | vel in] et A 177 diem] om. V, M,

ba, ge, be, mü | Item] om. V, M, W | Indicum] Indorum ba, ge, be, mü | tangit] transit W | et] item A

177f. et … desertum] om. W, ba, be, mü

duabus] quinque ba, ge, be, mü 179 Item] om. V, M, W

178 altero] alto V; uno A | tangit desertum] om. V

178f. Vidi … eduxit] deest ba, ge, be, mü

55 Es handelt sich vermutlich um Aylat am Persischen Golf.

56 Ex 15, 22-24; vgl. Antonini Placentii Itinerarium, 40. Ed. Geyer (1965), 150.

178 etiam] item A

Editionstext 

 525

per duas dietas transivi.57 Nota, amplitudinem et terminos deserti nemo hominum umquam cognovit, quia ad modum maris impervium est. Item postquam exivi desertum, inveni terram planam, aliquando a Christianis inhabitatam, sed modo vastatam et raro cultam, quia in marchia Christianorum et Sarracenorum sita est. In qua terra inveni antiquam civitatem, nomine Busserentinum58, aliquando a Christianis inhabitatam, maximam, marmore excisam decoratam, et ut in eius vestigiis apparet, aliquando pulcherrima et plurimum deliciosa fuit. Sed nunc a Sarracenis inhabitatur, in angustum redacta, ita quod quasi castrum solum remanserit in ea, quod valde munitum est. Inde tribus diebus usque Damascum perveni per terram cultam ex magna parte a Christianis inhabitatam, domino Damasci tributum persolventibus. Damascus est civitas nobilissima, duplici muro et plurimis turribus optime munita. Aquis decurrentibus, fontibus et aqueductibus extra et interius, per varia loca et per domos decorata et elegantissime edificiis constructa et populosa, viridariis sive pomeriis ex omni latere longe lateque circumsepta et deliciosissime perornata.59 Habet enim irrigum intra et extra pro voluntate hominum quasi ad modum 180 per] om. W | per … transivi] v. l. circa tres dietas affui secundum quod intellexi ba, ge, be, mü Nota] add. quod W, be; et nota quod ba, mü; et numquam ge | terminos] om. ba, be, mü | deserti] add. huius ba, ge, mü; add. illius be

181 modum maris] modus mare V; modum maius ge

impervium] pervium V; pervium non M; impromptu ba, ge; om. be 182 Item] om. V, M, W | exivi] transivi V, W | aliquando] aliquam V; olim ba, ge, be, mü 183 – 185 sed … maximam] deest V, M

183 modo] nunc A(R) 183f. vastatam … est] a Sarracenis devastatam ba, ge, be, mü 184 terra] om.

W 184f. Busserentinum] Buscretum W; Buseretinum ba, be; Buserentium ge, mü 185 maximam] om. W; magna edificia et honesta ba, ge, be, mü | marmore] add. in ba, ge, be, mü | excisam] exciso V, W; excise M 186 et ut] om. W | apparet] apparuit M | aliquando pulcherrima] om. ba, ge, be, mü | pulcherrima … deliciosa] eam pulcherrimam et delitiosam W 187 fuit] fuisse W; om. A inhabitatur] habitatur V, M | in … redacta] sed per omnia destructa ba, ge, be, mü | redacta] ducta

V, M | ita quod] om. V, M | quasi] quia V, M; om. W 187f. castrum] castris be 188 solum] om. V, M, W | remanserit] remansit V, M, ge, be, mü | quod … est] v. l. sed istud castrum valde est muro et turribus munitum ba, be, mü; om. ge | Inde] in V, M, W | diebus] add. deinde M 189 perveni] veni

ba, ge, be, mü | ex] et W | magna] maxima V, M, W | a Christianis] om. V, M | inhabitatam] om. A;

et habitatam V, M; add. et ba, ge, be, mü 190 persolventibus] persolventes V; persolventem M; solventibus W; solvens ba 191 est] om. V | turribus] add. ornata et W 192 – 196 Aquis … terreni]

192 decurrentibus] descrentibus V | aqueductibus] aqueductus W | extra] exterius V, M | extra et] ex utraque parte W 193 et1] om. A | per] om. V, M, W | domos] domus A elegantissime] elegantissima V; elegantissimimis M; elegantisse W | et3] om. A 194 sive] et W deest ba, ge, be, mü

deliciosissime] delicatissime W 195 intra] infra M | pro] per V

57 Der Terminus Sinai bezeichnete im muslimischen Verständnis nicht speziell den Mosesberg,

sondern die südliche Sinaihalbinsel, dazu Kapitel III. 1. 6. 58 Bosra.

59 Vgl. die Beschreibungen bei Ibn Hauqal und al-Idrisi, Glaube, Damaskus (2008), 188; Leder,

Damaskus (2005).

180 180

185 185

190 190

195 195

526 

 Edition

paradisi terreni. Et sunt in ea plures ecclesie Christianorum, et Christiani et multi Iudei.60 Et in confinio Damasci optimum crescit vinum. Et nota, quod Damascus sanissimia est civitas, multos senes nutrit homines. Damascus distat a Ierusalem per quinque dietas parvas et ab Accaron per quatuor dietas. 200 200 *A* Damasco ad *IIII* miliaria est locus quidam in montibus situs, qui Saydaneia vocatur et a Christianis inhabitatur. Et est ibi ecclesia in rupe sita, et in honore beate Virginis Marie dedicata, in qua moniales virgines duodecim et monachi octo assidue Deo et beate Virgini serviunt. In qua ecclesia vidi tabulam ligneam61 ad mensuram unius ulne longam et latam ad modum dimidie ulne. Retro altare in muro 205 sanctuarii in fenestra positam, et ferro laqueariter cancellatim firmatam. In qua 205 tabula effigies beate *Virginis Marie* aliquando depicta fuit, sed nunc, quod dictu mirabile est, pictura super lignum est incarnata et oleum odoriferum super odorem balsami incessanter ex ea manat. De quo oleo multi Christiani, Sarraceni et Iudei de diversis languoribus sepe liberantur. Et oleum illud nunquam minuitur, quantu210 mcumque inde accipiatur.62 *Nec* predicta tabula a *quoquam* tangi audetur, 210 videri autem omnibus hominibus conceditur. Oleum vero a Christiano religioso 196 et1] add. inhabitant W | multi] om. V, M, W 197 Iudei] add. Sarraceni W | Et1] om. V, M confinio] add. ipsius be, mü | Et2] etiam W | Et2 … quod] vero V, M | nota] notandum ge 198 civitas] add. et V, M, W | homines] om. V, M, W

199 parvas] om. V, M, W | et] om. W

Accaron] add. civitate ba, ge, be, mü | dietas2] om. V, M, W 200 *A* Damasco] item a Damasco A, ba, ge, be, mü | ad] per V; quasi W | *IIII*] tria A, ba, ge, be, mü | quidam] add. valde amenus ba, ge, be, mü

200f. Saydaneia] Saydanea ba, ge, be, mü; Sardenea V; Sardenica M; Sardonea W

201 inhabitatur] habitatur ba, mü; inhabitatus ge | ecclesia] add. honesta ba, ge, be, mü | rupe] in rure A; tamen in rure ba, ge, be, mü | et2] om. W, M 202 beate … Marie] gloriose Virginis A; beate Marie V, M, W

|

moniales … octo] moniales duodecim et virgines et monachi octo ba, be, mü

virgines] om. W 203 assidue … Virgini] om. V, W | Virgini] Marie ba, ge, mü 203 – 276 In … est] deest ge 203 vidi] add. per Dei gratiam ba, be, mü 204 ulne2] om. V, M, W 204f. in … positam] in muro

patens per fenestram V; in muro que patens videbantur per fenestram M; altare in muro servari in fenestram valde ornata positam ba, be, mü 205 laqueariter] laqueari V, M; laqueatam W 206 tabula] om. V, M, W | *Virginis Marie*] Virginis A; Marie V, M, be | aliquando] om. V, M, W

fuit] resplenduit M | nunc] om. W 207 super1] supra V 208 ex ea] om. V, M, W | manat] emanat

M | De … oleo] pro quo V; per quod M | Sarraceni … Iudei] et ceteri V, W; et homines ceteri M; Sarraceni et quocumque generis homini sint exceptis Iudeis, et infidelibus ba, be, mü 209 diversis] adversis V | liberantur] sanantur V, W; opressi sanantur M | Et … illud] nota, quia oleum illud A;

oleumque illud M; istud oleum ba, be, mü 210 accipiatur] accipitur V, M, W; ab imagine capiatur ba, be, mü | *Nec*] nunquam V, M; numquam tamen W | a *quoquam*] om. V, W; quocumque ba, be, mü

211 hominibus] om. V, M, W; peregrinis benigne ba, be, mü | vero] add. illud A; item M;

autem W | Christiano religioso] christiano religiose A; christianis religiose W; sacerdote religioso ba, be, mü 60 Benjamin von Tudela, Buch. Ed. Schmitz (1988), 23.

61 Die ölspendene Ikone Chaghoura.

62 Vgl. die Darstellung bei Abū l-Makārim, Troupeau, Eglises (2005), 576-578.

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 527

conservatur, augmentabitur, et pro quacunque re cum devotione et fide sincera sumptum fuerit, pro honore sancte Virginis cum misseque solempnitatibus indubitanter inpetrabitur. Ad illum locum in assumptione gloriose Virginis et in festo 215 nativitatis sue omnes Sarraceni illius provincie una cum Christianis causa orandi 215 confluunt, et Sarraceni ceremonalia sua illuc offerunt cum maxima devotione.63 Nota, hec tabula Constantinopoli primo facta et depicta fuit in honore beate Virginis. Inde a quodam patriarcha in Ierusalem perducta fuit. Tunc temporis quedam abbatissa supra dicti loci causa orationis Ierusalem descenderat, et impetrata tabula 220 a patriarcha Ierosolymitano, eam secum ad ecclesiam sibi commissam transportavit. 220 Fuit autem hoc incarnationis anno *870*. Sed postea per multa tempora cepit oleum sacrum ex ea manare. Nota, in terminis Damasci, Antiochie et Alapie est quoddam genus Sarracenorum in montanis, quod eorum vulgari Heyssessini vocatur et in romano segnors de montana.64 Hoc genus hominum sine lege vivit, carne quoque porcina vescitur 225 225 contra legem Sarracenorum et omni muliere abutitur indifferenter, scilicet matre et sorore.65 In montibus habitant, et sunt quasi inexpugnabiles, quia in munitissimis castris recipiuntur. Et terra eorum non multum fertilis est, nisi quod de peculio 212 conservatur] servatum V, M, W | conservatur augmentabitur] in honesto vase deaurato ibidem

in altari servatur ba, be, mü | re] infirmitate V, M | sincera] sumatur ba, be, mü 213 sancte] beate

214 inpetrabitur]

M | cum … solempnitatibus] om. ba, be, mü | misseque] missarum V, M, W

inpetrabit V, M | illum] hunc A | Virginis] add. Marie W 215 provincie] terre V, M

imagini ba, be, mü

214f. in2 … sue] nativitate V, M, W

216 Sarraceni] add. quoque M | maxima] magna W | devotione] add.

217 Nota] om. V, M, ba, be, mü | primo] om. V, M, W

218 Inde] add. et A

Ierusalem] Ierosolymam A; Iherosolimis ba, be, mü | perducta] transducta M 219 causa orationis]

causa orandi V; gracia orandi M; add. et peregrinatoris in ba | descenderat] praem. perducta W;

descendit V, M; peregrinavit ba, be, mü | impetrata] prefata M 220 Ierosolymitano] om. V, W; add.

domino ba, be, mü | sibi] suam ba, be, mü | transportavit] deportavit V, W; gaudens deportavit M

221 anno] add. dominice M, be, mü; add. domini W; add. domine ba | *870*] CCCLXX W, ba, be,

mü; C et LXXVIII M | postea … multa] multo W 221f. per … manare] paucis annis elapsis cepit ymago picta crescere et fortiter ex ea sacrum oleum emanare ba, be, mü 222 ex ea] om. W 223 et Alapie] a lapide W

223f. Sarracenorum] add. quod est W

224 eorum] om. W | Heyssessini] hesseffis V;

hessessis M; hesiffessini W | vocatur] vocantur A(R), V | romano] latino V, M

224f. segnors …

montana] degens de montana A(R); veteres promontani V, M; veteris de montani W vivunt V

226 scilicet] sed non W

quia] et V, M 228 Et] om. V, M

225 vivit]

227 In] add. hii M | montibus] montanis W | quasi] om. W

63 Hamilton, Lady (2000); Kedar, Convergences (2001).

64 Unter dem Namen Assassinen sind die syrischen Nizariten bekannt, deren Anführer Rašīd adDīn Sinān der „Alte vom Berge“ genannt wurde, Daftary, Rashid al-Din Sinān (2012); Lewis, Syria

(1971); Nowell, Man (1948).

65 Aus sunnitischer Perspektive galten sie als Häretiker. Ihnen wurde die Abschaffung der Scharia vorgeworfen, Daftary, Geschichte (2003), 160; Lewis, Kamāl al-Dīn (1966).

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230 230

235 235

240 240

245 245

 Edition

vivunt. Habent etiam inter se dominum, qui omnibus Sarracenis principibus prope et longe positis, nec non Christianis vicinis et magnatibus timorem maximum infert, quoniam eos miro modo occidere solet. Qua vero arte hoc fiat, sic accipe. Princeps ille plura et pulcherrima in montanis habet palatia, altissimis muris inclusa, ita quod non nisi parvum per ostium et diligentissime servatum pateat introitus.66 In quibus palatiis filios rusticorum suorum plurimos a cunabilis enutriri facit et diversis linguis imbui, scilicet latino, greco, romano, sarraceno et aliis quam plurimis. Quibus a magistris67 suis a primeva etate usque ad perfectionem virilem hoc predicatur, ut domino terre illius obediant in omnibus verbis et preceptis suis. Quod si fecerint, gaudia paradisi eis dabit tamquam potestatem habens super omnes Deos vivos. Instruuntur itaque, non posse salvari, si in aliquo voluntati principis terre resistant. Et nota, quod ex quo a cunabulis palatiis includuntur, praeter doctores et magistros suos neminem hominum unquam videbunt, nec aliam disciplinam capiunt, quousque ad presentiam principis evocentur ad interfidiendum aliquem. Tunc in presentia principis constituti, querit ab eis, si preceptis suis velint obedire, ut eis conferat paradisum.68 Qui ut instructi sunt, omni contradictione et ambiguitate remota, pedibus suis provoluti ferventi animo respondent, se fore obedientes in omnibus, que preceperit eis. Tunc princeps dat unicuique cultellum *acutum*, et quod voluerit, ad quemcumque principem interficiendum transmittit.69

229 vivunt] vivit A | principibus] princibus V 230 et1] vel V, M | positis] habitantibus V, M | nec …

magnatibus] om. V, M, W | timorem … infert] timetur V, M, W 231 eos] eosdam M | miro] mirabili

M | fiat] faciat V, M; facit W | sic] om. V, M 232 plura] pulchra W | in montanis] om. V, M, W | in-

clusa] clausa V, M, W 233 ostium] hostium V, M | servatum] seratum W 234 suorum plurimos] om.

W | enutriri] nutriri W | facit] faciat V | et] om. V; ac M 235 scilicet … plurimis] om. W | sarraceno] sarracenico M; add. sermo V, M | et … plurimis] om. V, M 236 primeva] prima M | etate] add. sua

V, M, W | virilem] viri V, M, W | hoc] add. ei W 237 in … suis] om. W | verbis … preceptis] om. V, M

238 dabit] sibi daturus M | omnes] om. A 239 itaque] etiam V, M, W | terre] om. V, M, W 240 Et]

om. A | ex quo] om. W | includuntur] includantur M 241 suos] add. ita ut W | hominum] om. V, M | videbunt] videant W | disciplinam] doctrinam W

241f. capiunt] capient V, M; capiant W

244f. et ambiguitate] om. V, M, W 246 unicuique] add. eorum W 246f. *acutum*] add. unum V;

aureum A 247 quod] om. V, M, W | interficiendum] om. W | transmittit] mittit V, W; emittit M

66 Wahrscheinlich die Festung Masyāf, Braune, Untersuchungen (1993), 302f.

67 Die dāʿīs, geistliche Führer zur Rekrutierung neuer Anhänger, Daftary, Dāʿī (2012).

68 Dies spielt auf die herausgehobene Stellung des Imams bei den Nizariten an, Lewis, Ismāʿīlites

(1969), 108.

69 Vgl. Wilhelm von Tyrus, Chronicon, 20, 29. Ed. Huygens (1986), 953.

Editionstext 

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Item a Damasco per Tyberiam usque Accaron sunt IV diete, et III usque Ierusalem, et a Ierusalem usque Aschalonam II diete. Hec civitas parva est et supra 250 mare sita. Muris et fossatis valde munita est et satis sana. Inde vero per desertum 250 octo dierum in Babyloniam reversus fui. In qua via stratam per miliare unum sale gemmam coopertam inveni et plurimos vidi onagros et boves silvestres. Nota, apud Ahir70 publicum prostibulum meretricum est. Mulieres Sarracenorum linteaminibus velate et cooperte incedunt, nunquam 255 templa eorum ingrediuntur. In maxima custodia eunuchorum mulieres habentur, 255 ita quod maiores domine nunquam domicilia sua egrediuntur, nisi per preceptum maritorum suorum. Et nota, quod non frater, non alius propinquus viri vel mulieris sine consensu viri ad mulierem audet ingredi.71 Viri quoque quinque vicibus infra diem et noctem ad templum vadunt orare et 260 loco campanarum precone utuntur, ad cuius vocationem sollempniter convenire 260 solent. Et nota, quod religiosi Sarraceni ad quamlibet horam se solent lavare cum aqua, incipientes a facie et a capite, lavantes manus, brachia, crura, pedes, pudibunda et anum, et postea vadunt orare, et nunquam orant sine venia. Credunt in Deum creatorem omnium, Mahometh prophetam dicunt esse sanctissimum et

248 Item … Tyberiam] deinde procedens ba

248f. Item … diete] v. l. Damascus distat ab Ierusalem

per quinque dietas parvas et ab Akcoron civitate per quatuor dietas ba, ge, be, mü

248 Tyberiam]

Dabariam V; Thabariam M; Taboream W | usque1] add. ad V | Accaron] Achon M | sunt] om. A, V,

ba, be, mü | IV diete] ivi A; veni deinde ba, be, mü | et] vel W | et … usque2] om. ba, be, mü | III] inde A 249 Ierusalem1] Ierosolymis A | et1] om. W, ba, be, mü | et a] ab A | II diete] dieta una W;

vero A; veni ba, be, mü | Hec] illa V, M | et2] om. A 250 fossatis] fossis A, ba, be, mü | est] om. V,

W | Inde vero] abivi ba, be, mü 251 dierum] per diete V; per dies M; diebus W 251f. In … Nota] deest

V, M

251 – 276 In … est] deest ba, be, mü

251 unum] magnum A | sale] sal W

252 gemmam]

gummeo A(B) | plurimos] plures W 253 Ahir] Chayr W | publicum … est] deest V | meretricum] sodomitarum M, W 254 et cooperte] om. W | nunquam] si umquam W 255 eorum] deorum V, M mulieres] om. V, M, W

256 ita quod] in qua W | sua] om. V, W | egrediuntur] egregiantur A, M

preceptum] precepta V, M 257 maritorum] dominorum V, M, W; hab. t | Et] om. A; etiam W | nota

quod] om. V, M | non1] nec V, M | non2] nec V, M | alius] add. quantumcumque A 258 viri] domini M | mulierem] add. suam M, t

259 ad templum] om. W

260 campanarum] campane V, M, W

260f. ad … solent1] deest V, M, W; hab. t 261 Et] om. M | nota quod] om. V, M, W | religiosi] add. et

W; add. vero t | se] add. lavant sive M pedes V, M, W; hab. t 263 A, M

264 in] om. A

|

et3]

262 a1 … et] om. V, M, W

262f. lavantes … anum] usque a

vero M | venia] add. ut dicunt V; ut dicitur M | Credunt] add. enim

Deum] dominum A

|

omnium] add. etiam W

|

esse] fuisse V, M

sanctissimum] om. V, M, W 70 El-Arish.

71 Strengere Restriktionen und Vorschriften zur Verschleierung der Frauen sind in der zweiten

Hälfte des 12. Jahrhunderts nachweisbar, Katz, Women (2014), 75f., Cortese / Calderini, Women (2006), 195f.

530 

 Edition

265 eorum legis auctorem,72 quem etiam frequentare solent prope et longe positi 265 Sarraceni cum maxima veneratione in peregrinationibus suis. Habent etiam alios quosdam sue legis auctores73 in veneratione. Unicuique Sarraceno licet ducere septem74 uxores legitime simul, et unicuique illarum divisim expensas condictas et promissas a contractu nuptiarum providet. 270 Insuper quotquot habuerit slavas vel servas, cum illis licenter peccat, quasi non 270 inde habeat peccatum. Quarum ancillarum si aliqua conceperit, statim a dominio domini libera erit. Et quemcunque filiorum suorum, sive Sarracenus de libera sive de ancilla heredem suum constituere poterit secundum velle suum.75 Multi tamen sunt Sarraceni adeo 275 religiosi, quod non nisi unam habent uxorem. Infra VII uxores licet habere, sed 275 non ultra ascendere, nisi in concubinis, ut dictum est.

265f. prope … veneratione] om. V, M, W 266 etiam] et A; insuper M 267 quosdam sue] om. V, M, W 268 simul] om. W | unicuique] cuilibet M 269 illarum] earum W | divisim] divisas W | promissas]

commissas V, M | nuptiarum] om. W 270 habuerit] habet W | slavas] sclavas V, M 271 habeat]

habeant W 272 a … domini] om. V, M | domini] add. sui W 273 suorum] om. W | sive1] om. W Sarracenus] om. V | sive2] vel W | de2] om. A(B); om. W 274 constituere] add. voluerit V | poterit] potest M | tamen] tantum A(R) 275 quod] qui V | nisi] add. tamen V; add. tantum M | habent] habeant W 276 ascendere] om. V, M | in] om. W | ut] sicut W | est] om. V

72 Koran Sure 37 : 35 und 47 : 19.

73 Gemeint sind wahrscheinlich die vier Imame der vier Rechtsschulen: Mālik, Abū Hanīfa, Ibn

Hanbal und aš-Šāfiʿī, Eddé, Saladin (2008), 435-449.

74 Laut Koran sind vier Frauen erlaubt, Koran Sure 4 : 3; möglich ist hier eine Verschreibung der lateinischen Zahl IIII.

75 Vgl. die Rechtslage der Umm al-walad’ (Mutter des Kindes), dazu Kapitel III. 2. 2.

Abkürzungsverzeichnis ABul AdG

AfB AfD AfU AHR AJS Reviews AK AnBoll. Annales HSS ASNSL BASOR BEO Bibl. d. lit. Ver. Stuttgart BIFAO BSG BSOAS CCCM CChr. SA CCSL CE CSEL DA DHGE DLL

DNP DVjs EHR EI EI2 EM

EMA FmSt FSGA GdV

The Art Bulletin Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesamtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters Archiv für Begriffsgeschichte Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde Archiv für Urkundenforschung The American Historical Review Association for Jewish Studies Archiv für Kulturgeschichte Analecta Bollandiana Annales Histoire, Sciences sociales Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Bulletin of the American Schools of Oriental Research Bulletin d’Études Orientales Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale Bulletin de la Société de géographie d’Egypte Bulletin of the School of Oriental and African Studies Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis Corpus Christianorum. Series Apocryphorum Corpus Christianorum. Series Latina Coptic Encyclopedia. Hrsg. von Aziz Suryal Atiya. New York 1991. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques. Hrsg. von Alfred Baudrillart/Albert Vogt/Urbain Rouziès. Paris 1912–2015. Wolfgang Achnitz (Hrsg.), Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittel­ alter – Autoren und Werke nach Themenkreisen und Gattungen. Berlin 2011–2012. Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hrsg. von Hubert Cancik/ Helmuth Schneider. Stuttgart/Weimar 1999–2017. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistes­ geschichte English Historical Review Enzyklopädie des Islam. Hrsg. von Martin T. Houtsma/T. W. Arnold/ R. Basset/R. Hartmann. Leiden 1913–1938. Encyclopedia of Islam. Hrsg. von Hamilton A. R. Gibb/Clifford E. Bosworth/Johannes H. Kramers u.  a. 2. Auflage Leiden 1960–2004. Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Kurt Ranke. Berlin 1977–2015. Europa im Mittelalter Frühmittelalterliche Studien Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters – Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit

532 

GRM GWU HJB HRG

 Abkürzungsverzeichnis

Germanisch-Romanische Monatsschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historisches Jahrbuch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg. von Albrecht Cordes/Hans-Peter Haverkamp/Heiner Lück/Dieter Werkmüller/Ruth Schmidt-Wiegand. Berlin 2008–2016. HThR The Harvard Theological Review HWP Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter/ Karlfried Gründer. Basel 1971–2007. HWRh Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gert Ueding, mitbegründet von Walter Jens, in Verbindung mit Wilfried Barner. Tübingen/ Berlin 1992–2015. HZ Historische Zeitschrift IASL Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur JAH The Journal of African History JAOS The Journal of the American Oriental Society JESHO Journal of the Economic and Social History of the Orient JKGV Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins JMedH Journal of Medieval History JMIS Journal of Medieval Iberian Studies KIP Der kleine Pauly. Hrsg. von Konrat Ziegler/Walther Sontheimer. Stuttgart 1964–1975. LMA Lexikon des Mittelalters. Hrsg. von Robert-Henri Bautier u.  a. München/Zürich 1980–1999. MA Le Moyen Age MDAIK Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts MEFR Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen Age, temps modernes MGH DD FI Friderici I. Diplomata MGH Script. Rer. Germ. N. S Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum Germanicarum, Nova series MGH SS Monumenta Germaniae Historica Scriptores (in Folio) MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung MlatJb Mittellateinisches Jahrbuch MLLK Ansgar Nünning (Hrsg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar 1998. MUB Mecklenburgisches Urkundenbuch NA Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde NdsJbLG Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte OrChr Oriens Christianus PL Patrologiae Cursus Completus. Series Latina PW Pauly-Wissowa. Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Hrsg. von Georg Wissowa/Wilhelm Kroll/Karl Mittelhaus. Stuttgart 1893–1978. QuFiAB Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken RAC Reallexikon für Antike und Christentum. Begründet von Franz Joseph Dölger. Hrsg. von Ernst Dassmann/Theodor Klauser. Stuttgart 1950–2015. REAug Revue d’études augustiniennes et patristiques

Abkürzungsverzeichnis 

RGA

RHC Or. RHE RHES Rhetorik und Stilistik

RLW

ROMM SE StMed TRE VL

VuF WestZ WUNT ZÄS ZDMG ZDPV ZfDA ZfG ZfHF ZGO ZHV ZNW ZRG ZVGA ZVLGA

 533

Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Begründet von Johannes Hoops. Hrsg. von Heinrich Beck/Heiko Steuer/Dieter Timpe. Berlin/New York 1973–2007. Recueil des historiens des croisades. Historiens Orientaux Revue d’histoire ecclésiastique Revue d’Histoire Économique et Sociale Ulla Fix/Andreas Gardt/Joachim Knape (Hrsg.), Rhetorik und Stilistik/ Rhetoric and Stylistics. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. An international Handbook of historical and systematic research. (HSK Handbücher zur Sprach- und Kommunika­ tionswissenschaft 31.1 und 31.2.) 2 Bde. Berlin/New York 2009. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Hrsg. von Klaus Weimar/Harald Fricke/Klaus Grubmüller/Jan-Dirk Müller. Berlin/New York 1997–2003. Revue de l’Occident Musulman et de la Méditerranée Sacris Erudiri. Jaarboek voor Godsdienstwetenschapen Studi medievali Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. von Gerhard Müller/Horst Balz/ Gerhard Krause. Berlin 1977–2004. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hrsg. von Wolfgang Stammler/Karl Langosch/Kurt Ruh. Berlin/New York 2 1978–2008. Vorträge und Forschungen Westfälische Zeitschrift/Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde

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Register Es sind aufgrund der Fülle nicht alle Namen und Orte verzeichnet. ʿAbd al-Laṭīf al-Baġdādī 100, 142, 144, 147  f., 154, 164, 166, 169–171, 175, 188  f., 192, 200, 307, 519  f., 522 Abd al-Mumin 83  f., 88 Abraham 175, 184, 233, 237, 241, 290, 324, 328, 337, 454 Abū l-Makārim 131, 171  f., 175, 181, 188, 205–207, 237, 242, 244  f., 247, 251  f., 256  f., 307, 449, 520, 526, 534 Abu Shama / Abu Šāma 106, 205, 293, 371 Abu Tahir Ismail 346 Abū Ḥanīfa 295, 530 Ägypten 1–3, 10, 17–19, 44–50, 68, 73, 75, 83–341, 347, 350, 357–372, 375–377, 381, 387, 401  f., 407, 420, 429–432, 440  f., 448, 452  f., 460, 462, 466, 472–474, 493 Aimery le Brun 248 Aimery von Limoges 132 Akkon 50, 70, 73, 91, 240, 258–262, 265, 308, 440, 446, 452, 458, 460, 465  f. al-Adid 105 Al-ʿĀdil 161, 342, 354 Alain de Lille 319 Alamut 269–273, 280–282, 285 Alaun 50, 73, 193–195, 197–199 Al-Bakri 85 Al-Balawi 98–100 Albericus Lanfrancus / Alberich 342, 347, 349 Albertus Magnus 319 al-Dschahiz 146 Aleppo 227–230, 255, 262, 270, 273, 277 Alexander der Große 89, 96, 112  f., 121, 133  f., 153, 166, 246, 313, 322  f. Alexander III. 75, 348, 353, 362–365, 367–369, 372, 375, 377  f., 380, 385, 395, 398  f., 422 Alexanderroman 111–113, 120, 134, 147, 201, 289, 319, 341, 517 Alexandria 50, 52, 68–71, 73, 87  f., 91, 96–98, 100–136, 138–140, 148–155, 161  f., 168  f., 171, 195, 198, 202  f., 207, 237  f., 261, 267, 307  f., 313, 321–323, 334, 376, 440, 453, 462, 500, 517–519 al-Gharnātī 100

Al-Idrisi, Abū Ğaʿfar al-Idrīsī 85  f., 90, 100, 139, 144, 150, 166, 168, 197, 216, 233, 235, 239, 515, 525 al-Khwarazmi 144, 146 Al-Kidr 238 al-Makhzumi 106, 108, 139, 197–199 Al-Maqrīzī 101  f., 105, 109, 118, 139, 152, 161, 166  f., 170, 182, 186–188, 204  f., 218  f., 517 Al-Masudi 98, 100, 125, 144, 146  f., 167, 207 Almohaden 80, 82  f., 87–89, 93, 515 Almoraviden 82–84, 89, 516 al-Muʿizz 156, 268  f. Al-Muqaddasī 100, 155, 225, 233 Al-Mustadi 106, 181, 230 Al-Mustaʿlī 268 Al-Mustansir 107, 156, 267–269 Al-Qurṭubī 171 Altes Testament 214–216, 324–330 al-Yaqubi 144 Amalrich von Jerusalem 103–106, 118  f., 135, 143, 158, 205, 231, 263, 273  f., 295, 308, 340, 354, 360, 366, 370, 372  f., 376  f., 379, 449, 457 Amalrich, Patriarch von Antiochia 435, 437  f. Amicitia 356  f., 359–361, 369 Ammianus Marcellinus 142, 163, 313–316, 318, 320–323 Annales Aquenses 351, 353 Anonymus de situ orbis 145 Antoninus Placentius 215  f. Araber 88  f., 96, 151  f., 197, 204, 211, 214, 217, 220, 233, 260, 265, 279, 303, 340, 427, 516 Arabiten 69, 89 Arculf 98, 110, 134, 148, 250, 312, 335 Aristoteles 4, 38, 43  f., 49, 54  f., 57, 60, 63, 142, 147, 166, 200  f., 316  f., 321, 324, 496  f., 519, 523 Armenier 88, 113, 132, 370, 456 Arnold von Harff 61, 171 Arnold von Lübeck 1, 7, 289, 338, 383, 388, 417, 478  f. Askalon 50, 258  f., 265, 333 aš-Šāfiʿī 295, 530 as-Sālih Ismā’īl 228

650 

 Register

Assassinen 263, 267–289, 294, 307, 354, 425, 431, 453, 456  f., 459, 462  f., 489, 496, 499  f., 527 Aṭ-Ṭabarī 233 Augustinus 45, 48, 55, 110, 319  f., 331, 337, 340, 424, 492  f., 497 Aylat 212, 214–219, 524 Ayyubiden 73, 101, 103, 108, 117  f., 152, 161, 186, 198, 207, 216, 220, 230, 262  f., 307, 309, 342–383, 448, 476 Balduin III. 103, 220, 231 Balduin IV. 143, 231, 263  f., 308, 377 Balsam / Balsamgarten 188–192, 243, 315, 453, 462, 466, 500, 520 Baumwolle 80, 83, 198 Beda Venerabilis 97  f., 110, 331  f., 462 Beduinen 89, 159, 197, 208–211, 220, 456–458 Beja 207 Benjamin von Tudela 53, 90, 100, 102, 107, 115, 122, 152, 154, 233  f., 236, 239, 240, 274–277, 279, 282, 386, 516  f. Bernhard / Bernardus (der Mönch) 125, 219, 312, 335 Bernhard von Clairvaux 174, 304, 493, 497 Bosra 50, 212, 214, 216  f., 219–222, 224–226, 228, 247, 254, 525 Burchard (Kaplan) 383–402 Burchard (Notar) 383–402 Burchard (Viztum) 383–402 Burchard von Monte Sion 174, 193, 312, 387  f., 439  f. Byzanz 48, 72, 75, 80, 96, 103  f., 110, 129, 132, 163, 165, 203, 230  f., 237, 313, 343  f., 348, 351, 353  f., 357–374, 377–379, 448, 496 Cap Corse 74, 77 Chaghoura 243  f., 250, 526 Christian von Buch 79, 348, 401 Cicero 43–45, 49, 51, 55, 57, 318–320, 324, 356 Constantinus Africanus 189 Damaskus 50, 52, 104  f., 161, 193, 208, 212, 217–242, 245, 252, 258–277, 285, 291, 293, 295, 371, 377  f., 441, 444–448, 453 daʿwa / dāʿīs 268–271, 279, 284–287 Dicuil 139, 143, 145, 163, 206, 335, 337 ḏimmis 83, 181, 207, 256 Dinar 58, 103, 105, 108  f., 186, 229, 263

Diodorus von Sizilien 313 Dioscorides 189  f., 192 Djerba 82, 84–86 Domina Anna 385  f. Eisen 70, 73, 80, 193, 199, 328, 375 el-Arisch 210, 218, 259, 266  f., 327, 333 Eugesippus 433  f., 436  f., 492 Euphrat 110–113, 144, 146, 154, 232, 317, 336, 517, 519 Eusebius 124–126, 233, 324, 433, 437  f., 441 Fatimiden 73, 80, 85, 88, 93, 96, 98, 102, 104, 106–108, 116–121, 123, 151  f., 155–162, 181, 186, 188, 192, 197, 204  f., 210  f., 216, 222, 265, 271  f., 276, 280, 291, 295, 337, 350  f., 374  f. Felix Fabri 61, 101, 121  f., 128, 156, 172, 174, 185, 188, 312 fidāʾīs 271  f., 279, 284–287 Foedus 356, 359 Friedrich I. Barbarossa 1, 3, 7  f., 44, 72, 74–76, 79–81, 94, 96, 173, 202, 228, 230, 264, 274, 346–402, 419, 471, 487  f., 509 Fulcher von Chartres 152, 215, 217 Fulko von Villaret 149 Funduk 72, 88, 90, 92, 102  f., 115, 119, 261, 265, 370 Fustat 97, 102–104, 136, 150, 152, 154–156, 158  f., 161–163, 165, 168, 193, 208, 212, 217  f., 224, 226, 258, 267, 295, 307, 519 Genua 50, 68–84, 93, 102  f., 108, 189, 199, 262, 267, 307, 347–349, 360, 365, 373–379, 514 George Sandys 171 Georgien 206, 369  f., 448 Gervasius von Tilbury 48, 75, 86, 91  f., 96, 111, 143, 149, 152, 232, 324 Getreide 73  f., 76, 83, 140, 155, 204, 214, 321  f. Ǧihād 83, 228, 293 Gihon / Geon 110–112, 316, 336 Gold 73, 85, 87, 101, 108–110, 137, 186  f., 199, 202  f., 229, 293, 322, 328 Gregor von Tours 97, 163, 337 Griechen 88, 102, 112, 118, 121–123, 127, 130, 133, 158, 183, 227, 233, 313, 315, 321, 323, 338, 351, 456

Register 

Guibert von Nogent 296, 305 Guy Chat 242  f., 247  f., 250, 252 Ḥasan-i Ṣabbāḥ 269–273 Hauran 220, 224  f. Heilige Familie 169, 175, 177, 180, 187 Heinrich der Löwe 366  f., 369  f., 381, 422, 470 Heinrich von Diez d. Ä. 355 Heliopolis 151, 153  f., 169, 172, 175, 322, 329, 333 Hermann von Kärnten 303, 319 Hermes 167, 318  f., 324 Herodot 142, 147, 163, 169, 313–321 Hieronymus 125, 173  f., 233, 312, 320, 331, 334, 339, 433  f., 437  f., 441, 502 Hildesheim 417, 430, 444, 458, 468–472, 503 Historia Peregrinorum 355, 357  f., 380, 382 Homer 312, 315, 318  f., 323 Homs 229, 240, 263 Honor 354, 475 Honorius Augustodunensis 91, 110  f., 206, 324, 332 Honorius III. 445–448, 452, 460, 465 Hugo von St. Victor 142, 147–149, 201, 321, 337 Hühnerbrutkästen / Kunstbrut 200 Ibn al-Faqhi 144 Ibn al-Muqaddam 228, 240 Ibn Battuta 98, 100, 111, 233 Ibn Ǧubair 69, 81, 91, 93, 100, 107, 115  f., 118, 121  f., 134, 162, 166, 207, 218, 233–239, 259–262, 264, 280, 282, 290, 307, 516  f. Ibn Ḥanbal 530 Ibn Ḥauqal 88, 152, 525 Ibn Mammâtî 106, 197  f. Ibn Riḍwān 155  f. Ibn Tulun 100, 119 Ibn ʿAsākir 236–238 Indigo 80, 197–199 Innozenz III. 455, 462, 469, 473 Isidor von Sevilla 59, 75, 91  f., 142, 145–148, 163, 189, 201, 313, 316, 318–324, 329, 337  f., 359, 492, 518 Iudex Bareso 75 Jacques de Vitry 1, 193, 206, 248, 282, 286, 289, 370, 407, 452, 456, 459–467, 471, 478 Jakob von Verona 182 Jakobiten 132, 183, 225  f., 233, 237, 243, 256

 651

Jerusalem 50, 73, 103–105, 109, 131–133, 162, 179, 209, 212, 215  f., 218  f., 228–232, 237, 240, 245, 248, 250, 257–265, 286, 308, 344, 355–357, 360, 365  f., 368–373, 377–380, 420, 435, 440–442, 446  f., 456  f., 459, 461  f., 470, 475 Jesus 175–181, 183–186, 192, 226  f., 306, 331, 333, 442 Johannes von Würzburg 51, 53, 132, 182, 438–440 Joseph 175–177, 180, 333 Josephus 233, 323  f., 331, 433 Juden 10, 50, 68, 78, 83, 87, 113, 118, 121  f., 135, 151, 159, 180, 198, 232, 237, 242, 251, 253  f., 257, 260, 300  f., 323, 331, 337, 386, 421, 426  f., 429, 442, 453, 456, 459, 503 Julius Honorius 163, 313 Kairo 50, 52, 102  f., 106, 129, 136, 149–169, 171, 185, 190, 195, 206, 212, 214, 218, 228, 241, 265, 267–269, 272, 295, 307, 333, 370, 448, 453, 462, 500, 514 Karawanenroute 153, 210, 214, 216, 218, 220, 240 Katharina von Alexandrien 126, 250, 448–452 Kerak 217, 219 Kharijiten 82, 84  f., 515 Kindheitsevangelium 176  f., 333, 521 Kölner Königschronik / Chronica Regia 342, 346, 351  f., 354  f., 362, 364, 366, 369, 372, 387, 389, 402 Konrad III. 173, 228, 259, 354, 395 Konrad von Montferrat 276 Konrad von Querfurt 428, 459, 469–471, 487, 490 Konrad von Worms 143, 369, 381, 469 Konstantinopel 96, 123, 129, 133, 206, 225  f., 245, 247, 250, 261, 355, 366, 420, 425 Konya 365, 369 Kopten 113, 121–123, 129  f., 132, 135, 140, 150  f., 161, 175, 181–183, 207, 227, 335, 337 Koran 85, 112  f., 167, 171, 176, 178–181, 183  f., 186, 192, 238, 253, 269, 290–294, 296–299, 302–304, 306, 521–523, 530 Korsika 50, 68–79, 84, 87, 90–94, 514 Krokodil 58, 146–148, 200, 316, 328, 334, 462 La devise des Chemins de Babiloine 142, 149 Laus urbium 51, 53, 61, 309

652 

 Register

Legenda aurea 172–174, 334, 450, 497 Lombardenbund 363, 365, 368, 374, 377  f., 399 Ludolf von Sucheim 242  f., 245 Ludwig VII. von Frankreich 264, 353, 364, 368 Ma‛ān 212 Macrobius 313, 319  f. Maghreb 83, 85, 87–90, 101, 118, 122, 159 Makuria 202–205, 523 Mālik 291, 295, 530 Malta 50, 58, 69, 82–84, 90, 94, 248, 515 Manuel I. 104  f., 132, 353, 356, 364–373, 377, 379  f. Mare Sardinie 69 Mareotis 96, 110, 138–140, 323 Maria 173  f., 176–180, 182–186, 192, 227, 243, 253  f., 306, 333, 353, 448 Maria Komnena 366 Markus, Evangelist 123–131, 135 Markuskirche (Alexandria) 123–127, 129  f., 135, 518 Maroniten 130, 132, 226  f., 323, 466 Martianus Capella 55, 145, 321, 337 Martin Sanuto Torselli 174 Maṣyāf 278  f., 528 Matariya 2, 134, 144, 168–193, 257  f., 306, 308, 333, 466, 520  f. Matdjar 197  f. Matthäus Platearius 189 Matthias Paris 232, 249 Maulesel 142, 519 Maultier 142, 177, 259, 519 Mekka 214, 217  f., 222, 240, 290  f., 443, 447 Melkiten 130, 132, 135, 150  f., 161, 207, 227, 233, 237, 242, 251 Memphis 134, 153  f., 168, 171, 322, 329, 519 Mesopotamien 109, 111, 153, 209, 226  f., 240, 260 Messina 81  f. Michael Wansleb 138 Miracula s. Marci 128  f. Mohammed 184, 220, 283, 290  f., 294, 296–299, 302–307, 448 Montebello, Vertrag von 362, 377, 398  f. Moses 172, 184, 203, 212, 214  f., 217, 254, 257, 319, 325–329, 427, 448 Myron 170  f., 176

Nāṣir-i Ḫusrau 155, 516 Nebbio 74 Nestorianer 130, 225  f., 237, 251, 456 Neu-Babylon / Nova Babylonia s. Fustat Nikolaus von Siegburg 387, 389 Nil 50, 58, 90, 101, 104  f., 110–113, 120, 136–155, 159, 168  f., 171, 179  f., 198, 201  f., 208, 211, 214, 232, 314–318, 321  f., 328, 331, 333, 336, 462, 517, 520, 522 Nilpferd 146  f., 316, 328 Nizariten 267–274, 276  f., 279–282, 284  f., 288  f., 294, 527 Normannen 80, 82–84, 87  f., 103, 348, 365  f., 368, 370  f., 376, 379, 515 Nubien 199, 202–208 Nūr ad-Dīn 103–106, 110, 205, 219  f., 228, 230  f., 234, 236, 240  f., 255, 263, 346, 353, 368, 370  f., 376  f. Oliver von Paderborn 1, 183, 312, 370, 407, 459–462, 465  f., 471  f., 478 Onager 142, 209 Origenes 123, 319, 331, 334, 337 Orosius 75, 139, 145, 313, 317, 320, 324, 339 Otto von Freising 91  f., 94, 111, 125  f., 134, 136, 152  f., 154, 171, 180, 182, 188, 202, 206, 275, 303, 306, 324, 332, 335, 340, 353  f., 370, 396, 423, 476, 519  f. Otto von St. Blasien 352–354 Pantelleria 50, 69, 82–86, 88, 90–92, 94, 307, 515 Papagei 201  f. Paradiesflüsse 110–113, 135, 146, 314, 336 Paschalis III. 348, 395, 397 Pausanias 112, 147, 317, 322, 517 Petrus Alphonsi 183, 303, 306 Petrus Diaconus 163, 337 Petrus Venerabilis 303  f. Pferd 73, 101, 136, 200, 328 Pharos 96–100, 114, 134, 163, 323 Philipp von Nablus 449 Philon von Byzanz 163, 165 Pilger aus Piacenza 125, 168 Pisa 68, 71–79, 82, 86, 88, 96, 102  f., 106, 131, 174, 198, 260, 262, 348, 365, 370  f., 373–375, 377, 379 Plinius 97, 116, 145, 147, 163, 176, 187, 189, 194, 200–202, 313–319, 322, 324, 454, 523

Register 

Pomponius Mela 313–318, 320 Prosper Alpin 182, 188–190 Pseudo-Matthäusevangelium 173  f., 177  f., 180, 333, 521 Ptolemaius / Ptolemäus 144, 146, 313–315, 317, 321, 324 Pyramiden von Gizeh 162, 164, 333, 337  f. Qilig-Arslan II. 352, 354, 359, 369, 380 Qulzum/Sues 212, 214  f. Raimund III. von Tripolis 229, 231, 260, 263  f. Rainald von Châtillon 218 Rainald von Dassel 79, 348, 400, 469 Rašīd ad-Dīn Sinān 273  f., 280, 282, 285, 527 Ratold von Verona 128, 202 Reichenau 128  f. Richard von Poitiers 205 Roger II. von Sizilien 80, 86  f., 93, 96 Roger von Wendover 248  f. Rolandslied 305 Rorgo Fretellus 432–442, 490, 493, 495 Rotes Meer 153 Rudolf von Straßburg 348, 401 Rufinus Aquilensis 189, 319  f., 324, 332, 334  f. Saidnaya 2, 10  f., 50, 181, 241–258, 308, 441, 443, 446  f., 450, 462  f., 496, 507 Salz 74, 136–140, 191, 193, 266  f. Samuel Kiechel 171 Sardinien 50, 68  f., 72–76, 78  f., 84, 87, 90  f., 94, 514 Šāwar 104  f., 162 Schiiten 85, 123, 269, 282, 286, 294 Seldschuken 214, 260, 269–272, 343, 345, 354, 359, 367–369, 373, 377  f. Shirkuh 104  f., 117, 219, 370, 517 Silbermark / marca argenti 58, 108  f. Simon Semeonis 119, 161 Sinai 50, 153, 186, 193, 199, 209–220, 238, 247, 256, 260, 265–267, 307, 314, 326, 440  f., 447–452, 457, 525 Sizilien 50, 57  f., 68–70, 72, 75, 79–84, 87  f., 90, 93, 100, 105, 110, 205, 268, 313, 344, 353, 363, 366–374, 378  f., 428, 515 Sklaven 73, 78, 87, 89  f., 203  f., 329, 516

 653

Solinus 145, 147  f., 201, 315  f., 319, 324 Stift St. Thomas in Straßburg 383, 394, 396  f. Strabon 97, 151, 163, 169, 187, 315, 321–323, 331 Straßburg 1, 46, 112, 119, 137, 144, 194, 208, 299, 348, 357, 383–386, 388, 391–401, 470 Straße von Messina 69  f., 81 Sunniten 84, 159, 282, 286, 294, 298 Suriani 130, 132, 227, 243 Synaxarion 170  f., 177, 179–181 Syrien 1  f., 48, 73, 91, 101  f., 106, 108  f., 128, 132, 168, 175, 208  f., 214, 217, 220–308, 347, 360, 365, 368, 371, 374, 377, 379, 381, 420, 440, 448, 452, 456, 459, 473  f. Tacitus 313, 322 Terra Barbarica 50, 69, 86  f., 89  f., 457 Thietmar 1, 5, 7, 53, 113, 183, 193, 210, 212, 217, 220, 233  f., 236, 239  f., 247, 249  f., 254  f., 312, 370, 389, 407, 443–459, 463, 467  f., 471, 478  f., 494, 499  f., 503, 505–507, 509 Thomas I. von Aquino, Graf von Acerra 168 Thomas von Cantimpré 142, 147  f., 202 Tiberias 50, 258–260, 446, 448 Tractatus de locis et statu sancte terre ierosolimitane 53, 89, 276  f., 282, 369, 432–438, 453–459, 462, 466, 472, 474 Tripolis (Libyen) 73, 84, 87–90 Tripolis (Grafschaft) 109, 229, 260, 263, 270, 274, 276, 359 Tunis 72, 84, 87  f. Turansha 117  f., 158, 198, 204 Venedig 48, 70, 72  f., 75, 79, 126–129, 188, 365–368, 374, 377–379, 399, 403, 452 Via Nova Traiana 214, 217, 219 Vincent de Beauvais 173, 249, 460, 462, 498 Viztum / vicedominus 1, 7, 66, 383  f., 386–401, 487, 503, 508 Walter von Compiegne 296, 305, 517 Waqf 106, 115, 117 Wilbrand von Oldenburg 1, 53, 456, 458, 472 Wilhelm von Boldensele 112, 174, 245, 312 Wilhelm von Malmesbury 306, 469 Wilhelm von Montferrat 264, 455

654 

 Register

Wilhelm von Tyrus 77  f., 98, 101, 103–105, 107, 119, 121, 125, 134–136, 143  f., 154, 157, 162, 215, 218, 220, 224, 228  f., 231  f., 263–266, 274, 276  f., 282  f., 286  f., 289, 294  f., 308  f., 354, 369, 474, 517  f., 528 Wilhelm II. von Sizilien 205, 368

Wilhelm VII. von Montferrat 264, 363, 373, 455, 457 Yāqūt al-Ḥamawī 170, 233 Zengiden 103, 219, 228–231, 233  f., 237, 263, 273  f., 370, 377