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German Pages 734 [735] Year 2021
Anton Graf Bossi-Fedrigotti
Christoph Penning
Anton Graf Bossi-Fedrigotti Karrieren eines Schriftstellers im „Dritten Reich“
Diese Arbeit ist als Dissertation am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück angenommen und begutachtet worden. Umschlagabbildung: Oben: Anton Graf Bossi-Fedrigotti als Offizier im Zweiten Weltkrieg. Foto: Richard Müller, Innsbruck. Aus: Kurt Ziesel (Hg.): Krieg und Dichtung. Soldaten werden Dichter – Dichter werden Soldaten. Ein Volksbuch. Leipzig: Luser 1940, S. 49, S. 473. Unten: ‚Erste Großdeutsche Buchwoche‘ in Innsbruck 1938. Foto aus dem Stadtarchiv Innsbruck. Zur Verfügung gestellt von Markus Wilhelm.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2021 Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Nora Krull, Hamburg Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-506-76049-4 (hardback) ISBN 978-3-657-76049-7 (e-book)
Inhalt 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Herkunft und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Frühe Kindheit zwischen Toblach, Innsbruck und Prag . . . . . . . . 2.3 Schulzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Erster Weltkrieg: ‚Fronterlebnis‘, Generation und soziales Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 11 19 28
3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland . . . . . . 3.1 Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark . . . . . . . . . . . . 3.2 Italienischer Militärdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 61 73 91
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Aktivist und Journalist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Treffen mit Hitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Annäherung an die NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 148 165
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat . . . . . . . 5.1 Ein Seitenwechsel – vom Volkstums- zum NS-Funktionär . . . . . . 5.2 Schriftstellerische Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 „Wären wir Deutsche doch allein an dieser Front“ – Standschütze Bruggler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Das „Schicksalsdokument eines tapferen Volkes!“ – Bruggler-Verfilmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Zeugen von „volkspolitischem Können“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Das Vermächtnis der letzten Tage (1937) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Schreibender Kulturfunktionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 171 199
225 236 243 253 272
6. Zweiter Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Reaktivierung und Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Im Westen: Kämpfender Dichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Auf dem Balkan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
303 303 310 348
38
199
vi
Inhalt
6.4 Im Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Von München über Warschau bis Orel – Mai bis Dezember 1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Die „loyalste Zusammenarbeit“ – Das AOK 2 und der SD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Winterkrieg und erneuter Vormarsch – Frühjahr bis Sommer 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Die Brigade Kaminski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5 Von Brjansk über Woronesh nach Tunis – Sommer 1942 bis März 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Afrika und Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit . . . 7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch . . . . . . 7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Zwischen Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Lebensabend und Nachwirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357 357 400 410 417 428 435 463 463 481 503 532 563
8. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbstständige Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unselbstständige Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Aufsätze und Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Beiträge Deutsches Soldatenjahrbuch 1956-1989 . . . . . . . . . . . 2.3 Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Drehbücher/Filmberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Hörspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Theaterinszenierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
595 605 659 663 667 667 669 669 672 674 679 702 702 703 703
Inhalt
Die Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) bei den oberen Kommandobehörden im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
vii 705 717 719 721
Kapitel 1
Einleitung Nur dann, wenn das Volk […] von jener inneren Bereitschaft erfüllt ist, die der Führer vom gesamten Volke zur Unterstützung seiner Aufbauwerkes fordert, vermag der Führer mit seinem Volke Grossdeutschland jene Stellung in der Welt zu erkämpfen[,] die Volk und Reich kraft seiner Werte und seiner Lage zukommt […]. Sinn und Verständnis für die Eigenart einer harten, durch und durch deutschen Bergbevölkerung, gepaart mit der leidenschaftlichen Hingabe an die Idee des Führers lassen dem Kulturreferenten des Gaues Tirol-Vorarlberg eine ebenso verantwortungsvolle, wie ungemein dankbare und glückliche Aufgabe im Dienste des nationalsozialistischen Reiches erwachsen.1
Mit einer engagierten Denkschrift, aus der diese Passagen stammen, bewarb sich der Südtiroler Anton Graf Bossi-Fedrigotti 1939 um einen kulturpolitischen Posten bei seinem Freund und Förderer Franz Hofer, dem NSDAP-Gauleiter von Tirol und Vorarlberg. Dem Bewerber war wohl bewusst, welche Aufgaben vor ihm lagen und er schien sich offenbar sicher, die ideologisch-kulturpolitischen Ziele des Nationalsozialismus aktiv und aus Überzeugung vertreten zu können. Voll des Dankes stellt er sich in den Dienst des NS-Regimes. Hofers Kulturbeauftragter in Innsbruck zu werden, war dabei nur eine von vielen Stationen und Aufgaben, die Bossi-Fedrigotti zeitlebens erlebte, erfüllte, erreichte und errang. Die Bewerbungsunterlagen dienten hier nur mehr als bloße Formalität, denn der künftige Referent war 1939 bereits ein bekannter südtirolisch-tirolischer Deutschtumsaktivist, Bestseller- und Drehbuchautor, NSDAP- und SA-Funktionär, ein alter Weggefährte Hofers, den der mit „ganz besonderem Nachdruck und Eifer“2 in seiner Nähe wissen wollte – und der wenig später noch Landesleiter der tirolischen Reichsschrifttumskammer und von 1939 bis 1945 Kriegsberichterstatter in Diensten des Auswärtigen Amtes werden sollte. Doch Bossi-Fedrigottis Laufbahn, sein Wirken und seine zahlreichen zwischen 1934 und seinem Tod 1990 erschienenen Texte sind bisher kaum, vor allem nicht zusammenhängend untersucht worden.3 Dabei 1 Entnahmen aus: Denkschrift Bossi-Fedrigottis (Bossi-Fedrigotti wird in den Fußnoten im Folgenden ‚BF‘ abgekürzt) v. Juni 1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 10ff. 2 Dr. Müller, Leiter Personalabteilung RMVP, an Goebbels v. 12.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 30ff. 3 Bisher sind lediglich zwei Aufsätze erschienen, die BFs Leben und Wirken skizzieren. Siehe Penning (2015), S. 45-77, u. Steurer/Steinacher (2011), S. 199-249.
2
1. Einleitung
nimmt er als Funktionär und Schriftsteller eine wichtige Position im kulturellliteraturpolitischen Gefüge des Gaues Tirol-Vorarlberg – und überhaupt auf dem deutsch-tirolisch-südtirolischen Buchmarkt ein. Das offenbart schon ein Blick in die Personenregister verschiedener NS- und Nachkriegsanthologien, vor allem jener aus den Alpenregionen, aber auch die Einschätzung des Literaturwissenschaftlers Hansjörg Waldner, der 1990 feststellte, Bossi habe als einer der „militantesten Südtirolvorkämpfer in Richtung Nationalsozialismus die großdeutsche Tendenz verstärkt“4. Als die Einstellungsunterlagen Goebbels zur Zustimmung vorgelegt wurden, betonte die Personalabteilung seines Ministeriums die „absolute Sicherheit“, dass Bossi sich an die „Richtlinien des Führers hält“5. Doch das bezog sich keineswegs nur auf die Qualitäten des Bewerbers im Allgemeinen, sondern auch auf seine weltanschauliche Verlässlichkeit hinsichtlich seiner Heimat Südtirol, die mitnichten – zumindest nie offiziell – zu Hitlers territorialen Zielen zählte. Was 1939 zum Zünglein an der Waage für Bossis Bewerbung wurde – sein Umgang mit Südtirol –, zog sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Als Mitglied des hochadlig-staatstragenden Milieus im k.u.k.habsburgischen Österreich wird er 1901 in Innsbruck geboren und wächst im südtirolischen Toblach auf. Doch bereits 1934 werden österreichische Sicherheitsbehörden über ihn schreiben, er sei als „fanatischer Feind Oesterreichs“6 bekannt. Das ist erklärungsbedürftig, für den Forscher, vor allem aber für den Leser, dem die zeithistorischen Kontexte zwischen Deutschland, Österreich und Südtirol/Italien kaum in ihrer Komplexität bekannt sein dürften. Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erlebt Bossi-Fedrigotti als jugendlicher Internatsschüler eines Elitegymnasiums und Sohn eines Standschützenoffiziers, wird jedoch 17-jährig nicht mehr eingezogen, ein bohrender „‚Stachel der verpaßten Chance der Bewährung‘“7. Von der Fronterfahrung ausgeschlossen zu bleiben, sollte ihn und viele junge Männer dieser Kriegsjugendgeneration noch Jahre und Jahrzehnte begleiten. Mit Enttäuschung und Ungläubigkeit erlebt er die Annexion seiner Heimat durch Italien – und wie er als ehemaliger Angehöriger der deutschsprachigen Oberschicht zum Mitglied einer unterdrückten Minderheit in der eigenen Heimat wird, wenngleich seine Familie ursprünglich aus Italien stammt. Auch das wirft Fragen hinsichtlich seiner Identität und Identifikation auf. Kindlich-jugendliche Sozialisation und 4 Waldner (1990), S. 66. 5 Entnahmen aus: Dr. Müller, Leiter Personalabteilung RMVP, an Goebbels v. 12.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 30ff. 6 Erlass der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im österreichischen Bundeskanzleramt v. 19.10.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 261.626-St.B./1934-22/in genere. 7 Wildt (2002), S. 848f.
1. Einleitung
3
Schulzeit, dann Krieg und ohnmächtig erlebte Kriegsfolgen: 1918 und 1919 sind entscheidende Bruchstellen des Lebens Bossi-Fedrigottis. Während er auf einem uckermärkischen Gut Anfang der 1920er-Jahre zum Landwirt ausgebildet wird, bewirkt die politische Lage im annektierten Südtirol bald auch wirtschaftliche Folgen für die ohnehin angespannte finanzielle Situation der Familie: Schloss und Flächen, seine engere Heimat, stehen zur Versteigerung und bieten keine Grundlage mehr für ein Leben als Gutsherr und Landwirt. Doch der junge Graf spürt die Folgen der Annexion noch stärker am eigenen Leibe, wird 1922 zum italienischen Wehrdienst einberufen und kehrt nach einigen Monaten in unsichere wirtschaftliche Verhältnisse zurück. 1927 entschließt er sich zu einer zweiten Dienstzeit, wird zum Reserveleutnant ausgebildet. Scheinbar schon weitgehend assimiliert und auch Parteimitglied der Faschisten geworden, flieht Bossi im Mai 1928 überstürzt aus Südtirol ins benachbarte Österreich, angeblich verfolgt aufgrund seines Deutschtumsbekenntnisses – was noch näher zu untersuchen sein wird. In Innsbruck knüpft er Kontakt zu Exil-Südtirolern, die politisch-kulturelle Volkstumsarbeit für ihre Heimat, vor allem aber für eine Rückgabe Südtirols an Österreich leisten. Schon bald entsendet man ihn nach Berlin, um dort für südtirolische Interessen zu werben. Bossi gelingt es, hier Fuß zu fassen, Kontakt zum VDA, zur Presse, zu Verantwortungsträgern, vor allem aber zur NSDAP aufzubauen, die unumwunden nach einem Bündnis mit Italien strebt und dafür offen Südtirol aus ihren territorialen Forderungen streicht – ein „zynischer Opportunismus“8, der erst 1943 mit dem Zusammenbruch des Faschismus sein Ende findet. Die Nähe zur NSDAP und wichtigen Funktionären, darunter Alfred Rosenberg und Hans Hinkel, für den er als Spitzel arbeitet, wird dem jungen Aktivisten bald zum Verhängnis. Doch nach dem 30. Januar 1933 bieten sich ihm plötzlich ungeahnte Möglichkeiten. Bossi wird NSDAP-Parteimitglied, arbeitet für Rosenbergs Außenpolitisches Amt und tritt der SA bei. Als dienstbeflissener Parteigenosse steigt er schnell auf. Von einem Filmproduzenten angeregt, verfasst er 1934 seinen ersten und erfolgreichsten Roman Standschütze Bruggler, der 1936 verfilmt wird und auf den bis 1990 neben vielen Aufsätzen und unzähligen Zeitungsartikeln mehr als 60 Bücher, darunter Romane, Reiseführer, Kriegsgeschichten, Kinder-, Jugendund Mädchenpferdetexte folgen. Besonders in Südtirol fanden (und finden) sich seine Texte wohl in beinahe jedem Bücherregal. Als einer der ersten Südtiroler wird Bossi-Fedrigotti 1939 in die Wehrmacht übernommen und kurz nach Kriegsbeginn als Vertreter des Auswärtigen 8 Jacobsen (1968), S. 11.
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1. Einleitung
Amtes ins Armeeoberkommando 2 versetzt, macht Bekanntschaft mit höchsten Diplomaten und Militärs – darunter auch einige später verurteilte Kriegsverbrecher –, mit der SS und dem SD und späteren BND-Agenten. Das Knüpfen von Beziehungen wurde im tendenziell mit der Dauer polykratischer werdenden Gefüge des NS-Staates sehr wichtig, besonders für diejenigen, die ihren erreichten Platz bewahren, vielleicht sogar die Hierarchie emporklettern, Karriere machen wollten.9 Bis 1945 bewegt Bossi sich in einem Gebiet zwischen Nordspanien und Woronesh, auf dem Balkan, in Tunis, Rom und schließlich wieder in Südtirol, wird mehrfach ausgezeichnet und überlebt einen Flugzeugabsturz. Seine Kriegsberichte landen auf den Schreibtischen von Ribbentrop und Hitler, bei SS-Chef Heinrich Himmler spricht er persönlich vor. Nach der Kriegsgefangenschaft gelingt es ihm, wieder Fuß im literarischen Milieu, aber auch im Fremdenverkehr und in der Presse Österreichs und Südtirols zu fassen. Seine Texte erscheinen im Standpunkt, im Weg, im Deutschen Soldatenkalender, im SPIEGEL wie auch in rechtsextremen Verlagen, nicht nur bei Andermann, Schild, Stocker und Schütz. 2014 wird einer seiner Texte nochmals aufgelegt, im Internet finden sich schon seit Jahren pdf-Scans seiner bis 1945 erschienenen Schriften. Der Historiker Gerald Steinacher schrieb 2014, in Südtirol verschwimmen die Grenzen zwischen „Patriotismus und Extremismus, zwischen Nationalismus und Faschismus“10 bis zum heutigen Tage. Noch längst nicht sei die Geschichte von Südtiroler Rechtsextremisten aufgearbeitet. Bossi-Fedrigottis Wirken und Schaffen ist bis heute präsent. Dabei war er zwar ein bekannter Schriftsteller, aber kein NS-Prominenter. Das ‚Dritte Reich‘ war über lange Strecken nicht an dauerhaften Terror und Unterdrückung der Bevölkerung gebunden. Der NS-Staat und sein Konzept der egalitären ‚Volksgemeinschaft‘ erfreuten sich in weiten Bevölkerungskreisen hoher Akzeptanz. Dementsprechend führt eine reine Elitenanalyse als Basis der Antwort darauf, wie es ‚dazu‘ kommen konnte, in die Irre.11 Die biografische Forschung vergangener Jahre und Jahrzehnte rückt (auch im Zusammenhang mit der Genozidforschung) zunehmend die vielen tausend „‚kleinen Schwungräder‘“12 in 9 10 11 12
Fischer (2016), S. 7. Steinacher (2014), S. 134. Frei (2016), S. 270. Steinacher (2014), S. 109, zitiert hier Paul, Gerhard u. Mallmann, Klaus-Michael: „Sozialisation, Milieu und Gewalt. Fortschritte und Probleme der neueren Täterforschung“. In: Paul, Gerhard u. Mallmann, Klaus-Michael (Hg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien. Darmstadt: WBG 2004, S. 1-32, hier S. 1. Siehe auch Mühlenfeld (2009), S. 527: Es werden „jüngst auch die ‚Propagandisten‘ als eine biografischen Zugängen werte Funktionselite des NS-Staates identifiziert“. Vgl. im Hinblick auf Funktionseliten, die das „Rückgrat nationalsozialistischer Herrschaft“ bildeten, Adam (2015), S. 145.
1. Einleitung
5
jedweder gesellschaftlichen Position und Stellung, die funktionierenden Stellglieder und bereitwilligen Helfer „mit ihren Fähigkeiten, ihrem Talent und ihrer Expertenschaft“13, ins Blickfeld der Wissenschaft, die das System stabilisierten und lange Zeit am Leben hielten. Das gilt auch für die Literaturwissenschaft, in der die starke Berücksichtigung biografischer Details lange Zeit „verpönt war und mit dem negativen Schlagwort ‚Biographismus‘ bedacht wurde“14. Biografie, Sozialisation, soziales Umfeld, Elternhaus, gesellschaftspolitische Situationen usf. bilden zusammen ein vages Konglomerat eines individuellen sozialen Handlungsrahmens, in dem Bossi sich bewegte – und aus dem heraus er auch Texte konstruierte. Es ist für den Biografen eine entscheidende Aufgabe, den für den Handelnden „situativ und historisch relevanten Rahmen möglichst umfassend zu rekonstruieren“15. Für „akteurszentrierte Fragestellungen“16 braucht es interdisziplinäre Ansätze, die sich bei Bossi-Fedrigotti biografisch, literatur- und geschichtswissenschaftlich anwenden lassen. Dessen Karriere im polykratischen NS-System, sein lebenslang wechselndes politisches und schriftstellerisches Engagement zwischen Deutschland, Österreich und Südtirol und sein offensichtlich großer Einfluss auf die ‚Südtirolthematik‘ werfen Fragen auf17: Welche Voraussetzungen brachte er mit, politisch, ideologisch, ästhetisch und kulturell, dass er sich anscheinend mühelos in die sich etablierenden Machtstrukturen eingliedern, seine Position festigen und seinen Zuständigkeitsradius ausbauen konnte? Wie lässt sich seine Entwicklung, sein Denken und Handeln „in Beziehung […] setzen zu den bewegenden Kräften und Tendenzen“18, zur gesellschaftlichen Mentalität und kollektiven Denkmustern jener Zeit? Lassen sich aus seinem Leben Paradigmen ableiten, die die Gesellschaft der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reiches‘ mitbestimmten? Welchen Anteil trägt er, einer der seinerzeit wohl bekanntesten Südtiroler, an Aufbau und Festigung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland, Österreich und seit 1943 in Südtirol? Welche Rolle spielten und spielen seine Texte, vor allem die literarischen, deren ideologisch-intentionale Wirkung und ihre Art der Vergangenheitsbewältigung für die Kriegs- und Nachkriegszeit, aber auch bis heute?19 Das gilt insbesondere für die bis 1945 erschienenen Publikationen: Der Dichter, ein Kämpfer mit der Feder in der Hand, sollte dem Volk helfen, die 13 14 15 16 17 18 19
Frei (2016), S. 270. Entnahmen aus: Gantert (2010), S. 167. Gudehus (2011), S. 26. Jureit (2005), S. 164f. Vgl. zum polykratischen NS-System Hüttenberger (1976), S. 417ff. Ullrich (2007), S. 2. Vgl. Marti (2014), S. 21.
6
1. Einleitung
eigenen Kräfte, die eigenen Ursprünge, vor allem ‚Blut‘ und Sprache, wirksam werden zu lassen.20 Hellmuth Langenbucher machte schon 1933 deutlich, dass Literatur fortan eine „politisch dienende Funktion“ für das nationalsozialistische System einzunehmen habe, deren „Grad der Erfüllung als Wertmaßstab für die Qualität eines literarischen Textes“21 dienen sollte. Und da die höchste ‚Rasse‘ angeblich auch den Anspruch höchster Anmut und Schönheit erfüllte, stellte sich auch kaum die Frage nach der spezifischen Ästhetik dessen, was die Schriftsteller produzierten.22 Wenn die Frage nach der Leistung und Funktion eines Textes auch an den materiellen und ideellen Bedürfnissen der Träger literarischer Kommunikation festgemacht werden kann, findet nicht nur der Aspekt der Genese und Wirkung literarischer Werke Berücksichtigung, sondern es wird auch das methodische Instrumentarium gewonnen, das die durch andere Interpretationen möglicherweise vernachlässigten gesellschaftlichen Gehalte in der ästhetischen Form der Werke freizulegen vermag.23
Dichtung wurde im NS-Jargon offiziell also nicht produziert, sie ‚entstand‘. Johannes Beer schrieb 1937 in Deutsche Dichtung seit hundert Jahren, Dichtung „wächst im Volke“. Sie sei ein „Stück Volksseele“24. Dabei ist die im ‚Dritten Reich‘ entstandene Literatur oftmals auf ins 19. Jahrhundert zurückreichende ideengeschichtliche Traditionen zurückzuführen.25 Allerdings: Wenn schon der Nationalsozialismus keine „scharf umrissene Größe“26 ist, kann das ebenso wenig für die Literatur dieser Zeit gelten, die sich immer auch mit der Ideologie wechselseitig veränderte und bedingte.27 Völkisch-nationalkonservative und nationalsozialistische Literatur war jahrzehntelang in ein „Knäuel von Unwissenheit, bewußter Vergesslichkeit, Reinigungszwängen, Verdrängungen, Berührungsängsten und reaktiven Aggressionskomplexen“ verstrickt, oft umgangen, verschwiegen, ausgeklammert. Das 20
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Lauf-Immesberger (1987), S. 159ff. Siehe auch Maderno, Alfred: „Dienst am Buch – Dienst am Volk“. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 27.10.1936 (o. Seitenangabe). Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1363, Opis 6, Akte 14, Bl. 218, L.E.: „Volk und Buch“. In: Berliner Morgenpost v. 27.10.1936 (o. Seitenangabe), ebd., Bl. 221, u. Lungershausen (2017), S. 45 u. 49, der sich hier auf Ziesel (1940) bezieht. Entnahmen aus: Barbian, Verordneter Kanon (2008), S. 68. Siehe auch Bracher (1979), S. 33. Vgl. Ketelsen (1976), S. 8. Amann (1996), S. 24. Entnahmen aus: Beer (1937), S. 2. Vgl. Amann (1996), S. 79. Vondung (1976), S. 44. Vgl. Schoeps (2000), S. 25f.
1. Einleitung
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ist umso erstaunlicher, da sie bis zum Ende des ‚Dritten Reichs‘ ihren Machtund Alleinvertretungsanspruch als die ‚wahre‘ deutsche Literatur immer stärker betonte. Nach 1945 also marginalisiert, erhielt ihr die zunehmende Beschäftigung mit der äußeren und inneren Emigrationsliteratur eine „Alibifunktion“28. Doch die der Zeit des Nationalsozialismus zuzuordnenden Texte sind Teil der deutschen Literaturgeschichte insgesamt, sie können daraus nicht sorgfältig verdrängt werden.29 Bilder, Motive und Propagandabotschaften entfalten manchmal „ihre eigentliche Wirkung erst Jahre oder gar Jahrzehnte später“30. Dabei hat Lesen nicht nur für den Einzelnen Folgen, „sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes“31. Will man wissen, welche Bücher für einen jeweiligen Zeitabschnitt typisch und damit für ihre Leser prägend waren, kommt man an einer Untersuchung der massenhaft verbreiteten Literatur nicht vorbei.32
Tatsächlich führt die Frage danach, was im ‚Dritten Reich‘ produziert und konsumiert wurde, in einen „Kernbereich der deutschen Mentalitätsgeschichte“33. Der Literaturwissenschaftler Klaus Amann hielt 1996 fest, dass in Bezug auf den Anteil österreichischer Schriftsteller an der nationalsozialistischen Literatur erhebliche individuelle Unterschiede vorliegen, sodass nur durch „Einzelanalysen“ die „notwendigen Differenzierungen“34 geschaffen werden können. Noch 2017 stellte eine Untersuchung fest, dass die Forschung zur literarischen Produktion im ‚Dritten Reich‘ weiter „voller blinder Flecken“35 ist. Bei der Analyse des ideologischen Gehalts der Schriften Bossi-Fedrigottis steht die Biografie des Verfassers nicht gleichrangig „neben den literarischen Texten als Gradmesser seiner Ideologie“36. Die Analyse des Lebens und Wirkens soll (und kann) nicht Hintergründe, Motive, Themen und Rezeption seiner Texte erklären, aber helfen, deren Intention zu identifizieren und deren Wirkung zu erfassen (die voneinander differieren können). Sofern sich in den 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Entnahmen aus: Ketelsen (1976), S. 1. Ebd., S. 7. Siehe auch Kiesel (2017), S. 33ff.: Inzwischen zeigen neuere Erscheinungen aber auch, dass die Zeit des Nationalsozialismus in literaturwissenschaftlicher Hinsicht nicht weiter als Stiefkind gilt. Adam (2010), S. 126. Siehe auch Klemperer (2015), S. 26 u. 110ff. Leitgeb (1994), S. 3. Adam (2016), S. 17. Adam (2010), S. 10. Amann (1996), S. 214. Lungershausen (2017), S. 11. Ebd., S. 34.
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1. Einleitung
Büchern und Aufsätzen biografische Aspekte widerzuspiegeln scheinen, sind sie gleichsam Ausdruck derjenigen Faktoren, die die Sozialisation des Autors beeinflusst haben. Gleichwohl werden allzu offensichtliche Lebensbezüge in den Texten nicht außer Acht gelassen. Die Textanalysen sind sowohl qualitative Untersuchungen mit quantitativem Anteil als auch „explorativ-interpretative Erschließung[en]“37. Aus der Beschäftigung mit Bossi-Fedrigottis Biografie lassen sich Erkenntnisse über menschliche „Verhaltensweisen und Interaktionen in unterschiedlichen Kontexten“, ihre „Prägung durch institutionelle Rahmenbedingungen“ und den „Prozess der Durchsetzung von politischen, kulturellen oder wissenschaftlichen Ideen“38 gewinnen. Dabei kann die vorliegende, erste detaillierte Biografie keine vollständige Erfassung aller das Leben und Wirken Anton Graf Bossi-Fedrigottis beeinflussenden Faktoren leisten, jedoch einen Beitrag zur Aufarbeitung der literatur- und kulturpolitischen, literatur- und geschichtswissenschaftlichen Entwicklungen vor, im und nach dem ‚Dritten Reich‘ liefern. Die Chronologie in den sechs Kapiteln – von Jugend und Kindheit über die Zwischenkriegszeit, die unmittelbare Zeit vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit – „wird dabei nicht selten von Vorausdeutungen und Rückblenden, Kontextualisierungen und Exkursen unterbrochen“39. Der biografische Ansatz der Studie legt den chronologischen Aufbau nahe.40 Die Kapitel, in denen unter anderem der Erste bzw. Zweite Weltkrieg in Deutschland, Österreich und Südtirol sowie die „literarische Auseinandersetzung hiermit eine große Rolle spielen“41, setzen zeitlich und inhaltlich den Rahmen der Studie. Dafür wurde erstmals eine umfangreiche Bibliografie zusammengetragen, die neben selbstständigen Publikationen, Romanen, Erzählungen und Kinderbüchern auch Aufsätze, Beiträge und Artikel umfasst, daneben Zeitungsartikel, die Bossi selbst schrieb, und solche, die ihn, sein Wirken und die Texte betreffen. Ferner finden sich erstmals zusammenhängend Daten zu Filmen, Drehbüchern und Hörspielen, Interviews, Theaterinszenierungen und Radiosendungen. Nur einige wenige Texte ließen sich unter seinem Pseudonym Toni 37 38 39 40
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Mayring (2002), S. 121. Entnahmen aus: Barbian, Einführung (2008), S. 9. Hüpping (2012), S. 16. Marti (2014), S. 18f.: Es wird gesucht nach den Besonderheiten einzelner Karrieren, „kollektiven Merkmalen in Bezug auf die Angehörigen verschiedener NS-Institutionen, milieu- und regionalspezifische Auffälligkeiten oder nach generationellen und sozialpsychologischen Charakteristika […]“. Hüpping (2012), S. 16.
1. Einleitung
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Herbstenburger ermitteln. Trotz intensiver Recherchen im In- und Ausland kann die umfassende Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die Aktenbestände zu Leben und Wirken Bossi-Fedrigottis, die vor allem in Deutschland, Österreich, Italien und Russland zusammengetragen und ausgewertet wurden, sind sehr umfangreich. Allen voran sind hier Personal-, Korrespondenz- und Kriegsberichterakten aus dem Bundesarchiv Berlin und Freiburg, dem Landesarchiv Berlin, dem Tiroler Landesarchiv, dem Staatsarchiv Bozen und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes zu nennen. Aber auch das Bundesarchiv in Ludwigsburg, das Institut für Zeitgeschichte München, das Österreichische Staatsarchiv, das Südtiroler Landesarchiv, die Stasi-Unterlagen-Behörde und das Sonderarchiv Moskau verfügen über Bestände, die Bossi betreffen, neben vielen weiteren Stadt-, Gemeinde- und Bibliotheksarchiven. Die Studie basiert auf einer Vielzahl bisher unveröffentlichter Dokumente, aus denen regelmäßig zitiert wird. Die Quellen begründen erst wesentlich die biografische Rekonstruktion, die Erhellung der Kontexte; sie erst ermöglichen es, das Handeln Bossi-Fedrigottis in den unzähligen verschiedenen Situationen einzuordnen, zu interpretieren und damit zu verstehen. Dabei sollen auch die vielen detaillierten Daten zu Personen in dessen Umfeld helfen. Die Aktenbestände und Quellen können keineswegs ein konzises Gesamtbild abgeben. Sie sind immer, auch je nach Provenienz – die nicht immer gesichert anzugeben ist –, Ausschnitte, Teile eines Ganzen, und müssen auch so untersucht und eingearbeitet werden. Gleichwohl bietet die verknüpfte Betrachtung dieser Dokumente die Möglichkeit, wissenschaftlich grundierte Erkenntnisse zu filtrieren und zu präsentieren. Der Nachlass Bossi-Fedrigottis, den die Familie besitzt, wurde dem Verfasser nicht zugänglich gemacht. Eine entsprechende (mehrmals vorgetragene) Anfrage ist seit 2016 unbeantwortet. Texte, die lediglich einmal angegeben werden, sind vollständig in den Fußnoten angeführt. Alle weiteren finden sich im Literaturverzeichnis, das nach Schriften bis und nach 1945, Internetquellen, Gesetzen und Verordnungen sowie Rezension aufgeteilt ist. Regelmäßig wird in den Fußnoten der zum Zwecke der Verschlankung gesetzte Terminus ‚Entnahmen aus‘ gesetzt, der darauf hinweist, dass die unmittelbar vor der direkten Entnahme aufgeführten Zitate auch aus dieser Quelle / diesem Text stammen. Der Untersuchung sind ein Abkürzungsverzeichnis, eine ausführliche Bibliografie und Quellenübersicht und eine Übersicht aller Daten zu den Vertretern des Auswärtigen Amts zwischen 1939 und 1945 als Forschungshilfe beigefügt. Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Studie allgemein die männliche Form für beide Geschlechter verwendet.
Kapitel 2
Kindheit und Jugend 2.1
Herkunft und Familie
Am 28. Februar 1864 brachte Philomena1, die Frau des wohlhabenden Gutsbesitzers, Politikers und Heraldikers Hugo von und zu Goldegg und Lindenburg2, auf dem Ansitz Prackenstein in Bozen ihre dritte Tochter Itha Maria Anna Amalia Franziska zur Welt, die Mutter Anton Graf Bossi-Fedrigottis.3 Das Mädchen wuchs auf dem heimischen Gut, in privaten Instituten und Klöstern der Herz-Jesu-Damen (Sacré-Coeur) in Graz und Riedenburg bei Bregenz auf. Schon im Alter von 13 Jahren begann sie, Märchen zu schreiben.4 Später erschienen unter ihrem Geburtsnamen und den Pseudonymen ‚J. v. Gartscha‘ 1 Philomena von und zu Goldegg und Lindenburg (1836-1918), geb. Edle Putzer von Reibegg (teilweise auch ‚von Putzer-Reybegg‘). Fragebogen Anton Bossi-Fedrigottis zur Feststellung ‚deutschblütiger Abstammung‘ im Rahmen seiner Einstellung als Beamter v. 01.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 8. Im Folgenden: Fragebogen zur Feststellung deutschblütiger Abstammung. 2 Reichsritter Hugo Philipp Ferdinand Wilhelm von und zu Goldegg und Lindenburg (18291904) war unter anderem Landtags- und Reichstagsabgeordneter. Siehe Österreichische Akademie der Wissenschaften (1959), S. 22 u. E-Mail Markus v. Norman (Enkel BFs) an CP v. 14.01.2010, der diese Informationen aus dem gräflichen Gotha, dem italienischen Adelslexikon Libro d’oro della nobiltà italiana und dem Familiendossier zusammengetragen und zur Verfügung gestellt hat. Neben der Korrespondenz mit M. v. Norman war der Versuch der Kontaktaufnahme zur Familie zwischen November 2014 und Februar 2016, um das (laut Norman) vorhandene Familienarchiv und den Nachlass BFs einsehen und möglicherweise auswerten zu können, nicht erfolgreich. Die letzte Rückmeldung seines Sohnes Peter Graf Bossi-Fedrigotti per E-Mail v. 21.02.2016 gab zu verstehen, dass für die Weitergabe von Informationen die Zustimmung der Familienmitglieder vorliegen müsse bzw. diese Gelegenheit bekommen sollten, sich äußern zu können. Die Rückmeldung sollte etwa zwei Monate später (April-Mai 2016) vorliegen, schrieb Graf Bossi-Fedrigotti. Dabei blieb es. Vgl. E-Mail Peter Graf Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld an CP v. 21.02.2016. Laut Urbach (2016), S. 39, ist das kein Einzelfall. Viele private Adelsarchive harren der Aufarbeitung, sind jedoch gesperrt. 3 Fragebogen zur Feststellung deutschblütiger Abstammung v. 01.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 8. Itha v. Goldegg hatte sechs Geschwister, siehe Todesanzeige ihres Vaters, Hugo v. Goldegg, in der Meraner Zeitung v. 14.12.1904, S. 7. Die Vorfahren ihrer Familie stammten überwiegend aus Tirol; der kroatische Urgroßvater, Joseph Philipp Freiherr von Vukassovich, war ein bekannter österreichischer Feldmarschall. Pallua-Gall, Julian: „Vukassovich, Joseph Philipp von“. In: Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften (1896), S. 375-377. 4 Biografische Angaben: Pataky (1898), S. 207, Degener (1935), S. 174 u. Giebisch (1985), S. 36. Die Kindheit und Jugend adliger Mädchen in einem ‚Kokon‘ aus elterlicher Fürsorge, isolierter
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2. Kindheit und Jugend
sowie ‚J. v. Gartscheid‘ Texte insbesondere katholischer Belletristik, darunter Aus Trotz (1896) und Das Märchen vom Glück. Roman aus der österreichischen Gesellschaft (1897)5 sowie die Novelle Was ist die Liebe (1899). Daneben übersetzte sie Schriften des französischen Schriftstellers René Bazin ins Deutsche.6 Das Lexikon deutscher Frauen der Feder verzeichnete 1898 sowohl sie als auch ihre Mutter Philomena (‚F. v. Lindenburg‘) mit Pseudonym.7 Etwas mehr als sieben Jahre später, am 3. August 1873, wurde Alfons Maria Liquori Graf Bossi-Fedrigotti di Campobove als Sohn des „OberstErblehenspostm[ei]st[e]r[s]“8 und „k. k. Lieutenant[s]“9 Peter Graf BossiFedrigotti und seiner Frau Elisa, geborene Salvioni, in Florenz geboren. Alfons war das vierte von fünf Geschwistern. Seine Mutter verlor der erst Vierjährige schon 1877.10 Wahrscheinlich ist er auf den Ländereien der Familie in Borgo Sacco (Rovereto, Trentino) aufgewachsen. Zunächst sei er Landwirt, später dann Kaufmann geworden, hielt sein Sohn Anton 1939 fest.11
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Erziehung und klerikaler Prägung war bereits seit dem Mittelalter verbreitet. Vgl. dazu Urbach (2016), S. 26f. 1897, 1917: 7.-8. Tsd., Bachem-Verl. Zur Einordnung ihrer Texte in den Bereich frommer katholischer Belletristik siehe Meissner (2009), S. 288 u. Brugier (1904), S. 714, der feststellt, die verheiratete Gräfin Bossi-Fedrigotti behandele „die gesellschaftlichen Probleme mit dem ganzen, niemals verzagenden Ernst katholischer Gesinnung […]“. ‚Gartscheid‘ ist die Bezeichnung eines alten Hofes/Herrenhauses in Lana (Südtirol), den die Familie offenbar besessen hatte. Zu Übersetzungen Bazins siehe Giebisch (1985), S. 36. Pataky (1898), S. 207. Als ‚Ph. von Goldegg‘ veröffentlichte Itha Marias Mutter unter anderem die Novellen Das Kind aus der Mühle und Gemütskrank? im sechsten Band der Reihe Roman- und Novellenschatz (1899) im Verlag Rudolf Abt München-Wien. Beitrag zur Familie Bossi-Fedrigotti. In: Ehrenkrook u. Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 53. Kneschke (1861), S. 215. k.k., kaiserlich-königlich, bezeichnete die staatlichen Behörden in der westlichen Reichshälfte Österreichs (im Gegensatz zur östlichen ungarischen Hälfte). K.u.k., kaiserlich und königlich, bezeichnet hingegen Behörden der gesamten Monarchie. Siehe Abkürzungsverzeichnis. Noch bevor BF zur Welt kam, verstarb der Großvater, Graf Peter, knapp vier Monate vor der Geburt des Enkels am 14. April 1901 70-jährig in Mailand. O. V.: „Sterbefall“. In: Reichspost v. 20.04.1901, S. 3. ‚di Campobove‘ ist die italienische Form von ‚von Ochsenfeld‘. Fragebogen zur Feststellung deutschblütiger Abstammung v. 01.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 8. Zu Alfons Bossi-Fedrigottis Geschwistern siehe Beitrag zur Familie BossiFedrigotti. In: Ehrenkrook/Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 53f.: Philipp August Friedrich (1869-1914, gefallen als k.u.k. Landesschützenmajor), Maria Antonietta (1870-unbek., verheiratet mit einem k.u.k. Hof-Rechnungsrat), Luisa Armandina Wilhelmine (1872-unbek., verheiratet mit einem k.u.k. Militär-Oberintendanten) u. Aida Johanna (1876-1952). Fragebogen zur Feststellung deutschblütiger Abstammung v. 01.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 8. Zur Familiengeschichte siehe auch Eintrag ‚Bossi-Fedrigotti‘ im Annuario della nobiltà italiana, Borella (2014), S. 403f.
2.1 Herkunft und Familie
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Anfang Dezember 1900 wusste die Meraner Zeitung zu berichten, dass auf „dem Schlosse Spauregg bei Meran […] die Verlobung der Schriftstellerin Itha v. Goldegg […] mit Graf Alfonso Bossi-Fedrigotti“12 stattgefunden habe. Knapp einen Monat später, am 9. Januar 1901, heirateten sie in der Pfarrkirche in Partschins.13 Noch kurz vor der Verlobung, Anfang Oktober, war Alfons von „Reisen aus Indien und Transvaal“14 zurückgekehrt. Dort hatten sich bereits seit Januar 1900 zwei Geschwister der Braut, Emma und Anton von und zu Goldegg, den gegen die Briten kämpfenden Buren im sogenannten ‚Zweiten Burenkrieg‘ angeschlossen. Nach der britischen Annexion Transvaals kehrten sie nach Europa zurück.15 Ordensfrau Emma von Goldegg16, vormalige Hofdame der Erzherzogin und späteren Königin von Bayern Marie Therese, habe sich im Auftrag des Roten Kreuzes um Verwundete gekümmert, Anton17 im Range eines „Commandanten des Deutsch-Österreichischen-Ungarischen Corps“18 unter Buren-General Louis Botha gedient. Zwischen der Verlobung und dem vorhergehenden Transvaal-Aufenthalt der Goldeggs sowie Alfons Bossi-Fedrigottis könnte ein Zusammenhang bestehen, was sich jedoch 12 13 14 15
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O. V.: „Tirolisches“. In: Meraner Zeitung v. 08.12.1900, S. 2. Davon berichtete auch O. V.: „Kleine Chronik“. In: Wiener Abendpost (Beilage zur Wiener Zeitung) v. 11.12.1900, S. 23. O. V.: „Local- und Provincial-Chronik“. In: Der Bote für Tirol v. 07.01.1901, S. 2. Siehe auch O. V.: „Tirolisches“. Meraner Zeitung v. 06.01.1901, S. 4. Region im Nordosten Südafrikas. O. V.: „Tirolisches“. In: Meraner Zeitung v. 08.12.1900, S. 2. O. V.: „Local- und Provincial-Chronik“. In: Der Bote für Tirol v. 07.01.1901, S. 2. Unter der Überschrift „Zu den Buren“ berichtete Der Burggräfler v. 24.01.1900, S. 6, über die Abreise von Emma und Anton von Goldegg. Zum Burenkrieg vgl. auch Fisch (1990), S. 212-217 u. Bossenbroek (2016). Ordensfrau Emma von und zu Goldegg und Lindenburg (1862-1946) sei zuvor „Hofdame Ihrer k. Hoheit der Frau Erzherzogin Marie Therese“ von Österreich-Este (1849-1919), von 1913 bis 1918 letzte Königin von Bayern, gewesen und habe sich in Transvaal „durch acht Monate in klösterlichen Hospitälern und bei dem deutschen Rothen [sic!] Kreuze der Verwundetenpflege“ gewidmet. Siehe O. V. „Aus Transvaal zurückgekehrt“. In: Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie v. 13.12.1900, S. 5. Dass sich adelige Damen als Krankenschwestern engagierten und damit auch das öffentliche Ansehen der Familie erhöhten, war besonders in Kriegszeiten keine Seltenheit. Siehe Urbach (2016), S. 89. Anton Ritter von und zu Goldegg und Lindenburg (unbek.-1926), Oberleutnant der k.u.k.Ulanen, diente unter Louis Botha (südafrikanischer Politiker und General) im Zweiten Burenkrieg (1899-1902, britischer Sieg über den Oranje-Freistaat und die Südafrikanische Republik (Transvaal)). Goldeggs Heimatregion war durch die Presse recht gut über den geschwisterlichen Einsatz an der Burenfront informiert. Siehe dazu u. a. den Gefechtsbericht Goldegg, Anton von: „Vom Burenkriege“. In: Meraner Zeitung v. 19.08.1900, S. 1-4, u. zu seiner Vorgeschichte in der k.u.k.-Kavallerie O. V.: „Zu den Buren“. In: Der Burggräfler v. 24.01.1900, S. 6. Auch Bossenbroek (2016), S. 393f., berichtet von der „Abteilung deutscher Freiwilliger unter dem Kommando des österreichischen Barons von Goldeck [sic!] […], die als Aufklärungstruppe für Louis Botha unterwegs“ war. Vgl. auch Fisch (1990), S. 213f. O. V.: „Aus Südafrika“. In: Der Burggräfler v. 24.10.1900, S. 6.
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2. Kindheit und Jugend
nicht belegen lässt.19 Zwischen 1915 und 1918 war der Graf der Presse nach zu urteilen beim Standschützenbataillon ‚Sillian‘ an der Tiroler Front eingesetzt, der Leutnant erhielt im Februar 1918 das „Goldene Verdienstkreuz mit Kriegsdekoration“20. Am 14. Februar 1940 verstarb er auf Schloss Pfeilerhof in Hausmannstätten bei Graz.21 Beide Eltern Anton Graf Bossi-Fedrigottis waren vielfältig in Südtirol engagiert: Seine Mutter kümmerte sich um Karitatives, um Spendensammlungen und Blumenschmuck für Festlichkeiten, sein Vater war Ehrenmitglied der örtlichen Schützen, zeitweise Obmann des Ortsverschönerungsvereins, Mitglied im österreichischen Flottenverein, betätigte sich in der Kriegswaisenfürsorge und investierte darüber hinaus in den Toblacher Fremdenverkehr.22 Der Schlossherr hatte allerdings an seinem Wohnsitz nicht jede Freiheit. Die Presse hatte ein aufmerksames Auge auf das adlige Herrschaftsverständnis in Toblach: Im April 1908 zeigte ein Wachtmeister Bossis Vater aufgrund eines aggressiven Hundes an – und der bemühte sich um die Versetzung des Gendarmerie-Mannes. So sehr man sich freute, daß Herr Graf sich in Toblach ansässig machte, wäre es wohl tief zu beklagen, wenn ein pflichteifriger, taktvoller Beamter wegen gräflichen, lästigen Hunden versetzt würde.23
Regelmäßig trafen sich Alfons Bossi-Fedrigotti und seine Frau mit der österreichischen Hoch- und Hofgesellschaft zu verschiedenen Gelegenheiten, das 19
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Ob BFs Vater Alfons seine Verlobte über ihre ihm nun möglicherweise bekannten Geschwister kennenlernte, muss ohne weitere Belege offen bleiben. Es ist zu vermuten, dass sich die Familien jedoch schon zuvor in Kreisen der adligen Hofgesellschaft begegnet sein dürften. O. V.: „Militärische Auszeichnungen“. In: Der Tiroler v. 14.02.1918, S. 2. Vgl. den Artikel O. V.: „Tiroler Heldentum im Film“. In: Völkischer Beobachter v. 21.03.1936, S. 8, in dem BF davon berichtet, dass sein Vater als Standschütze eingesetzt worden war. Siehe auch O. V.: „Der Graf bei der Erntesektion“. In: Arbeiter-Zeitung v. 12.01.1919, S. 6 u. Joly (1998), S. 379, der BFs Vaters auflistet. O. V.: Salzburg und Nachbargaue. Todesnachrichten“. In: Salzburger Volksblatt v. 17.02.1940, S. 5. Vgl. Beitrag zur Familie Bossi-Fedrigotti. In: Ehrenkrook u. Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 53 sowie E-Mail Markus v. Norman an CP v. 14.01.2010. Siehe u. a. O. V.: „Blumentag in Toblach“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 10.08.1912, S. 4 u. O. V.: „Ehrenmitglieder“. In: Ebd. 21.04.1911, S. 5, sowie O. V.: „Aus Stadt und Land“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 12.02.1912, S. 4. Zur Kriegswaisenfürsorge siehe O. V.: „Nachrichten aus Eisack und Pustertal“. In: Der Tiroler v. 14.07.1922, S. 4. O. V.: „Nachrichten aus Toblach“. In: Pustertaler Bote v. 10.04.1908, S. 2. Ob der Wachtmeister tatsächlich versetzt wurde und Alfons häufiger mit der österreichischen Staatsgewalt in Konflikt geriet, ist nicht bekannt.
2.1 Herkunft und Familie
15
Wiener Salonblatt verzeichnete ihren Aufenthaltsort zu vielerlei Anlässen.24 Beide Familien hatten bekannte Offiziere, Juristen, Schriftsteller und Politiker hervorgebracht, darunter auch Freiherr Dr. Wilhelm von Bossi-Fedrigotti (1823-1905), Landeshauptmann des Kronlandes Tirol von 1877 bis 1881.25 Zur Beerdigung des Großvaters Hugo von Goldegg 1904 übernahm sogar das Bozner Hausregiment der Kaiserjäger das Ehrengeleit.26 „Die Einbindung in das Militär“ war in diesem uralten, symbolisch aufgeladenen System „ein ganz wichtiger Faktor. Prestige spielte hier eine große Rolle“27. Noch bevor Anton geboren wurde stand fest, dass er bei beiden Familien verschiedene Gelegenheiten haben würde, Schriftstellerei, Militär, Politik und eine stark ritualisierte Gesellschaft aus nächster Nähe zu erleben. Familie wurde und wird im Adel „stets als Gemeinschaft der vergangenen, lebenden und kommenden Generationen verstanden“28. Die Erinnerung an die Vorfahren und ihre Verpflichtung für die Nachfahren bedingten daher das Leben junger Adliger oft symbolisiert mit dem Familienwappen.29 Die nachweisbare Geschichte der ursprünglich mailändisch-katholischen Patrizierfamilie Bossi begann mit dem 1434 verstorbenen Nicolo del Buoso, der „infolge politischer Wirren aus der Lombardei nach Tirol“30 gekommen war. Sein Sohn Fedrighello wurde 1461 von der Republik Venedig mit Ländereien in Sacco bei Rovereto belehnt. Durch Heirat mit einer Erbtochter der Fedrigotti entstand der heute bekannte Name.31 Im Laufe der Jahrhunderte gelangte die 24
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Siehe u. a. O. V.: „Letzte Nachrichten“. In: Wiener Salonblatt v. 07.08.1909, S. 11. Es kam auch vor, dass der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand zu Besuch auf der Herbstenburg erschien. Bossi-Fedrigotti: „Erinnerung an Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand“. In: Dolomiten v. 27.06.1964, S. 11. Das Wiener Salonblatt, bis 1918 „Österr.-Ungar. Adelsorgan“, nach dem Ersten Weltkrieg bald „Internationale Gesellschaftsrevue“, informierte die hohen und höchsten Kreise der österreichischen Gesellschaft zunächst wöchentlich, später zweiwöchentlich über neuesten Klatsch und Tratsch des Adels, über Reisen, familiäre Veränderungen und Bekanntmachungen des Kaiserhauses. Siehe u. a. Wiener Salonblatt v. 14.02.1914, S. 1 u. 01.02.1931, S. 1. Schober (1984), S. 530f. Siehe u. a. Bericht über die Beerdigung Hugo von Goldeggs in der Meraner Zeitung v. 21.12.1904, S. 3. Zum „Hausregiment“ vgl. auch Reut-Nicolussi (1928), S. 207. Aretin (1994), S. 33. Malinowski (2003), S. 49. Zum Wappen siehe E-Mail M. v. Norman an CP v. 18.01.2010. E-Mail M. v. Norman an CP v. 14.01.2010. Kneschke (1861), S. 215. Der vermerkt zur Familiengeschichte auch die Heirat Clothilde Gräfin Bossi-Fedrigottis (geb. 1836), der Schwester Peters (Großvater Anton BossiFedrigottis), 1855 mit Bernhard Freiherr von Eichthal, Spross einer wohlhabenden, früher jüdischen, später christlichen Bankiersfamilie aus Bayern. In der Generation rückte die
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2. Kindheit und Jugend
Abb. 1 Gräfliches erweitertes Wappen der Familie Bossi-Fedrigotti. Der Wahlspruch lautet ‚virtute et prudentia‘.
Familie durch Handels- und Postrechte, unter anderem für Schifffahrt auf der Etsch, zu Wohlstand – ein durchaus üblicher Dienst im Auftrage eines Fürsten neben anderen „Grundfaktoren adeliger Existenz in Europa“32 wie Militär und Politik. Das zeigt auch das österreichische Wappen von 1827: Unterhalb der vier gekrönten Helme und der Grafenkrone steht in je einem von vier Feldern ein aus Flammen aufsteigender Phönix, eine goldene Lyra (Symbol für Künstler/ Dichter), ein Merkurstab (Handel) und ein Ochse auf einem Feld (Stammwappen, Ochsenfeld), davor ein grünes Schild mit einem goldenen Posthorn. Der Wahlspruch lautet ‚virtute et prudentia‘ (Tugend und Klugheit).33 1592 wurden Wappen und Adel durch Erzherzog Ferdinand II. von Österreich bestätigt, 1717 folgte der Reichsadelsstand mit Namen ‚von Ochsenfeld‘, 1790 der Reichs- und bayerische Grafenstand, 1827 der österreichische Grafenstand sowie Titel ‚Herr und Landmann in Tirol‘ und zuletzt 1929/1932 die Anerkennung des Reichsgrafenstandes durch das Königreich Italien. Seit 1717 gehörten die Bossi-Fedrigotti damit zum unmittelbaren Hochadel des habsburgischen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.34 Andere
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Familie verwandtschaftlich sehr eng aneinander. Der Bruder von Bossis Großvater Peter, Ludwig (geb. 1842), heiratete 1884 seine Nichte, Amalie Freiin von Eichthal (geb. 1859), die Tochter seiner Schwester Clothilde. Vgl. E-Mail M. v. Norman an CP v. 14.01.2010. Aretin (1994), S. 33. Zum Wappen und den einzelnen heraldischen Bedeutungen Gall (1996), S. 1-31, 305 u. Kneschke (1854), S. 114f. Im Folgenden: HRRDN. Aretin (1994), S. 34: „Wer nach 1648 Sitz und Stimme am Reichstag hatte, gehörte zum hohen Adel. Das heißt, seine Nachkommenschaft war ebenbürtig mit allen deutschen Fürstenhäusern“. Auch Stekl (2004), S. 32, ordnet die Grafen dem Hochadel zu. Siehe auch Auflistung der Erhebungen: BF an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, Herrn Leopold, v. 18.02.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06,
2.1 Herkunft und Familie
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Familien (Auersperg, Starhemberg, Liechtenstein, usw.) stiegen bis zu Reichsfürsten auf, residierten in prunkvollen Palais und entwickelten dabei ein „bemerkenswertes Selbstwertgefühl“35 gegenüber dem Kaiser, der im Heiligen Römischen Reich und auch danach Habsburger war. Die erhaltenen Titel, Auszeichnungen und Privilegien steigerten jedoch auch die potentielle Fallhöhe der Protagonisten. Das Stammschloss der Bossi-Fedrigottis, die Herbstenburg in Toblach, erwarben um 1500 die Brüder Kaspar, Kämmerer und Hauptmann des habsburgischen römisch-deutschen Kaisers Maximilian I., und Christoph Herbst, die sie anschließend umbauten und ihr ihren Namen gaben.36 Etwa 1720 folgten den Herbsts die „Herren von Klebelsberg“, danach ging die Burg 1868 „durch Heirat“ an die „freiherrliche, später gräfliche Familie“37 BossiFedrigotti. Bis heute gilt die instandgesetzte Herbstenburg, auf dem Foto im Jahr 2015 zu sehen, als touristische Attraktion Toblachs.
Abb. 2 Die Herbstenburg in Toblach, Foto: CP.
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Nr. 9857, Bl. 22f., Bayerisches Hauptstaatsarchiv München an BF v. 10.03.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 27 u. Bundeskanzleramt Wien an BF v. 10.03.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 28. Aretin (1994), S. 35. Der Kaiser selbst war dort wiederholt Gast. 2009, 500 Jahre nach seinem nachweislichen Besuch, widmete man ihm neben der Burg eine überlebensgroße Bronzestatue, die an sein Wirken erinnern soll. Vgl. dazu u. a. das aktuelle regionale Tourismusheft Hochpustertaler Almanach. Sommer. Natur. Dolomiten 42 (2015), S. 50-56, das sich auf mehreren Seiten der Geschichte der Herbstenburg und dem Besuch des Kaisers sowie der Dolomitenfront 1915-1917 und dem dazu angebotenen touristischen Programm widmet. Zum 100-jährigen Gedenken der Kriegsereignisse wurde die Regionalgeschichte vor Ort multimedial in Szene gesetzt. Vgl. dazu ebd., S. 40-43. Die Burg befindet sich heute in Privatbesitz und ist nicht öffentlich zugänglich. Entnahmen aus: O. V.: „Heimatliches“. In. Bozner Nachrichten v. 05.12.1924, S. 4.
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2. Kindheit und Jugend
Anton Graf Bossi-Fedrigotti bedeutete sie offenbar mehr als nur eine Behausung. Neben seinem späteren Journalisten-Pseudonym ‚Toni Herbstenburger‘ zeigte sich das auch, als sie noch 1945 als Dienststelle für Bossis Propagandaeinheit infrage kam und dass sie nach Kriegsende anscheinend als Südtiroler Fluchtstation nach oder von Italien fungierte.38 Überhaupt erfuhr das beschauliche Toblach seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine erstaunliche Entwicklung, bedingt vor allem durch die touristische Erschließung des Pustertals. Der Alpintourismus und der damit einhergehende Hotelbau nahm seit den 1880er Jahren bis 1914, in Südtirol insgesamt, einen rasanten Anstieg, der dann durch den Krieg und direkten Beschuss ein jähes Ende nahm. Toblach kam in der Region ein besonderer Stellenwert zu: Besonders im Sommer kam die „geldkräftige Klientel in die hochgelegenen Luftkurorte“39, darunter auch Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, später Kaiser Friedrich III. Das 1243 m. ü. M. gelegene Dorf Toblach besitzt eine stattliche Pfarrkirche mit einem freistehenden Kampanile und die interessante aus dem 15. Jahrhundert stammende Herbstenburg, derzeit im Besitze des Grafen Bossi-Fedrigotti. Der nahe Wald und die angenehmen Lebensverhältnisse sowie die neue Bahnanbindung und die Dolomitenstraße nach Ampezzo40
hätten hervorragende touristische Möglichkeiten geboten. Die 1871 eröffnete ‚Pustertalbahn‘ eröffnete völlig neue Wege für den Fremdenverkehr. Schon 1877 entstand das ‚Grand Hotel Toblach‘, zunächst ‚Südbahnhotel‘, das heute als Kulturzentrum genutzt wird. Die Familie Bossi-Fedrigotti partizipierte am einträglichen Geschäft: Im November 1910 berichtete die Lienzer Zeitung vom Bau einer noblen Villenkolonie und eines Sanatoriums in Toblach durch Graf Alfons Bossi-Fedrigotti.41 Die Familie nutzte die Villen „mit prachtvoller Aussicht auf die Dolomiten“42 wohl vornehmlich für eigene Gäste, inserierten sie jedoch 1911 auch mehrfach als Feriendomizil im Pester Lloyd. Die Villen existieren bis heute, stehen zwar nicht unter Denkmalschutz, bilden aber ein erhaltenswürdiges Ensemble.43 Etwa zur gleichen Zeit wusste die Presse sogar 38 39 40 41 42 43
Foto der Herbstenburg: CP. Forcher (2015), S. 170. Bürger (1910), S. 22. O. V.: „Villenbauten in Toblach“ In: Lienzer Zeitung v. 05.11.1910, S. 3. Siehe auch O. V.: „Briefe“ In: Der Burggräfler v. 12.11.1910, S. 4. Vom Bau der Kolonie wird auch in Heiss (1999), S. 39, berichtet. O. V.: „Sommerwohnung“. In: Pester Lloyd v. 12.03.1911, S. 32. Die Kolonie besteht aus den Villen Kirchleiten, Haselberg und Lerschach. Zum Ensembleschutz und der Villengeschichte siehe Hofer, Ursula: „Die gräflich Bossi-Fedrigotti’sche
2.2 Frühe Kindheit zwischen Toblach, Innsbruck und Prag
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über die Gründung einer Aktiengesellschaft unter Führung des Grafen zum Bau eines neuen Grand-Hotels und Gesamtkosten von ca. 2.000.000 Kronen zu berichten.44 Die finanziellen Möglichkeiten der Familie schienen vier Jahre vor dem Ersten Weltkrieg und acht vor dem Zusammenbruch der Monarchie geordnet gewesen zu sein. 2.2
Frühe Kindheit zwischen Toblach, Innsbruck und Prag
Sieben Monate nach der Hochzeit seiner Eltern, am 6. August 1901, wurde Anton von Padua Maria Gabriel Josef Peter Alfons Lorenz Graf Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld in Mutters-Gärberbach bei Innsbruck geboren.45 Seine Eltern wählten eine traditionelle Namensgebung: ‚Anton‘ war in der BossiFedrigotti’schen Familie schon seit Jahrhunderten vorgekommen, wenn auch in anderen Formen und Übersetzungen.46 Bereits einen Tag später fand im Innsbrucker Stift Wilten die Taufe statt.47 Als Pate stand ihm der spätere General der Kavallerie, Feldmarschallleutnant Gabriel Graf Marenzi von Tagliuno und Talgate (1861-1934) zur Seite.48 Die frühen Jahre seiner Kindheit verlebte der Stammhalter „teils in Innsbruck, teils in Prag und teils auf dem väterlichen Gut Schloß Herbstenburg in Toblach, Südtirol“49. Es ist davon auszugehen, dass in der Erziehung Antons standesgemäß die „Einübung kollektiver, adelstypischer Verhaltensmuster“50 im Vordergrund stand, um verbindliche kulturelle Codes zu festigen. „Vor allem die Landbevölkerung […] war ja“, berichtete Bossi weit später in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag, „durchaus österreichisch
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Villenkolonie in Toblach“. In: Gemeinde Toblach (Hg.): Toblach Info. Gemeinde der drei Zinnen (2010), H. 3. O. V.: „Original-Correspondenzen“. In: Pustertaler Bote v. 14.04.1911, S. 2. Zwei Millionen Kronen von 1910/1911 entsprächen heute in etwa 17-20 Millionen Euro. Meldebestätigung/Meldeauskunft über Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Melde- und Einwohnerwesen der Stadt Innsbruck an CP v. 05.11.2009. Darunter Antoniolo (1693), Antonio (1589) und auch Anton (1797). Siehe Auszug aus dem ‚Archivio‘ der Familie Bossi-Fedrigotti (Sacco, Rovereto), das dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum seit Ende 2015 in Kopie vorliegt (Informationen durch Mag. R. Sila, Kustos der Bibliothek des Ferdinandeums), u. Kneschke (1861), S. 215. Auskunft Dr. Josef Franckenstein, Archiv der Diözese Innsbruck, an CP vom 17.11.2009. Taufbuch XIV., fol. 27, RZ 190. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Der zum Lebenslauf eingereichte Personalfragebogen ist zwar mit Datum 10.06.1938 unterschrieben, muss jedoch (wie der Lebenslauf) angesichts der dort eingetragenen Daten vom 10.06.1939 stammen. Entnahmen aus: Malinowski (2003), S. 73.
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2. Kindheit und Jugend
gesinnt und ich bin auch in dem Sinn von meinen Eltern erzogen worden“51. 1932, als er deutscher Staatsbürger werden wollte, vermerkte ein Beamter, Bossi habe in seinem Elternhaus er „eine deutsche Erziehung erhalten“52. Der Bezug auf ‚das Deutsche‘, auch das Verständnis, Deutsch zu sein, ist in der Sozialisation der Südtiroler, die noch zu Zeiten der k.u.k. Monarchie gelebt haben, aber auch in der ihrer Nachfahren ein besonderes Spezifikum, das sich aus der Geschichte und Entwicklung der Region weitgehend erschließt. Bis heute finden sich Verweise darauf, dass sich Teile der Südtiroler Bevölkerung als Deutsche verstehen. 1988 hielt Reinhold Messner fest, „‚daß für die Südtiroler, wenn sie naiv reden, das Großdeutsche Reich nie untergegangen ist.‘“53 Über Jahrhunderte bildete Tirol eines der Kronlande (Kernland) der österreichischen – und damit auch einer deutschsprachigen Monarchie, zumindest bis zum Untergang des HRRDN.54 Deutsch war, wer aus einem der deutschsprachigen Gebiete des Reiches stammte. Mit nur kleinen ladinischen Einsprengseln – Überreste der alten rätoromanischen Besiedlung – und wenigen italienischen Einwanderern war Südtirol zusammen mit Nordtirol und dem mehrheitlich italienischsprachigen Trentino innerhalb des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) und dann der Habsburger Monarchie Teil der Grafschaft Tirol. Somit war Südtirol weder ein von verschiedenen Staaten oder Bevölkerungsgruppen umkämpftes Gebiet noch Ergebnis einer Ansiedlung deutschsprachiger Siedler in der jüngeren Vergangenheit oder gar eine ‚Sprachinsel‘ in ‚fremdsprachiger Umgebung‘ […].55
Als Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug durch Europa begann, avancierte der Anführer der Tiroler Erhebung, ‚Sandwirt‘ Andreas Hofer, infolge der starken Gegenwehr zur nationalen Symbolfigur. „Aus der 1809er-Tradition ist in Tirol eine konservative, dabei wiederum stark katholisch geprägte Denk- und Lebensform des deutschen Patriotismus entwickelt worden […]“. Diese habe nach 1919, „die stärksten Kräfte zur Behauptung der 51 52
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„Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Verzeichnis zur Einbürgerung BFs, lfde. Nr. 33, v. 15.07.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 39. Diese Notiz des Sachbearbeiters der Polizei Berlin steht im Zusammenhang mit BFs Ziel, Deutscher/Preuße zu werden. Mehrfach erwähnte er hier, wie deutsch seine Familie sei und seine Erziehung war. Unter keinen Umständen wollte er für einen Italiener gehalten werden. O. V.: „Die Deutschen haben doch wirklich alles. In der Apartheid-Festung Südtirol fühlen sich die Italiener als Opfer“. DER SPIEGEL 44 v. 31.10.1988, S. 202-2011, hier S. 209. Vgl. u. a. Einleitungskapitel von Rudolf Lill in Corsini/Lill (1988), S. 13ff. Vgl. Casagrande (2015), S. 16 u. Cole (2000), S. 24ff. Casagrande (2015), S. 16.
2.2 Frühe Kindheit zwischen Toblach, Innsbruck und Prag
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eigenen nationalen Identität hervorgebracht“56. Doch erst als Österreich, später dann die kaiserliche und königliche Monarchie, als selbstständiges politisches Gebilde außerhalb eines gemeinsamen ‚Reiches aller Deutschen‘ Realität wurde, war auch denkbar, dass eine eigene österreichische Identität zur Ausbildung kommen konnte. Österreich-Ungarn entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem großen mitteleuropäischen Staat, der etliche Volksgruppen unterschiedlicher ethnischer Couleur unter sich vereinte. So hatte auch Bossi-Fedrigotti die Monarchie noch kennengelernt. Deutsch zu sein bedeutete dort Deutschösterreicher zu sein, aus den ehemaligen deutschsprachigen Ländern des HRRDN stammend, die jetzt in Österreich-Ungarn lagen und damit eine andere Kultur-, Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte besaßen, als andere Landesteile der k.u.k. Monarchie wie Serbien oder Ungarn. Die Steirer, Oberösterreicher, Salzburger, Kärntner, Niederösterreicher, Tiroler und Wiener – zusammen mit den Deutschböhmen und Deutschmähren – sahen ihre nationale Gemeinsamkeit in ihrem Deutschtum, nicht in ihrem Österreichertum, das erst als nächst höhere, auch die anderen Nationalitäten umfassende Gemeinschaft gesehen und gewertet wurde.57
Deutsch zu sein bedeutete so auch bewusste Abgrenzung und bisweilen kulturelle Überheblichkeit gegenüber anderen Volksgruppen – das galt ebenso für Südtirol.58 Die dortige deutsche Bevölkerung betrachtete sich vor und nach 1918 als den Italienern kulturell weit überlegen.59 Nach der nationalen Einigung Italiens 1870 trat der neue Staat gegenüber Regionen, in denen überwiegend Italiener unter ‚fremder‘ Herrschaft lebten, selbstbewusst auf.60 Die Risorgimento- und Irredentismus-Politik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, eine schützende Hand über alle unter fremder Herrschaft lebende Italiener halten zu wollen und diese Gebiete langfristig anzugliedern, führte zu einer starken nationalistischen Polarisierung der gemischtsprachigen Gesellschaft des südlichen Tirol, sprich des Trentino.61 Vor allem der aus Rovereto (Stammsitz der Bossi-Fedrigottis) stammende Trentiner Ettore Tolomei träumte von einem italianisierten Südtirol und setzte publizistisch alles daran, den Brenner als natürliche Völkergrenze zu manifestieren.62 Für ihn gab es 56 57 58 59 60 61 62
Entnahmen aus: Corsini/Lill (1988), S. 20. Fellner (1998), S. 401. Vgl. ebd. u. Stekl (2004), S. 115. Wedekind (2003), S. 28ff. Corsini/Lill (1988), S. 29ff. Vgl. Forcher (2014), S. 120. Steininger (2004), S. 22ff.
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2. Kindheit und Jugend
keinen Zweifel, dass Südtirol – gestützt auf die Theorie, dass die Wasserscheide am Alpenhauptkamm eine natürliche Grenze bildet – „rechtlich gesehen schon immer“63 Teil Italiens war. Für maßgebliche italienische Politiker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts war jedoch vor allem das Trentino interessant.64 Es überwog bei den Trentiner Irredentisten die Meinung, „dass eine Annexion deutscher Gebiete im Sinne derselben Prinzipien abgelehnt werden sollte, auf Grund derer sie den Anschluss ihres Landesteils an Italien verlangten“65. Den Irredentisten standen auf österreichischer und deutscher Seite vor allem Vereine und Verbände gegenüber, die die deutsche Prägung des Landes heraushoben und beförderten, in bewusster Abgrenzung zu einigen nach Autonomie oder Anschluss an Italien rufenden Trentinern.66 Darunter fanden sich vor allem sogenannte ‚Schutzvereine‘, insbesondere die um 1880 gegründeten, österreichischen Verbände ‚Deutscher Schulverein‘ und ‚Verein Südmark‘, die die deutschsprachigen Kindergärten und Schulen, überhaupt deutsche Kulturpolitik begünstigten.67 Beide waren mit allerlei Veranstaltungen, darunter „Tanzabende, Gedächtnisfeiern und Theateraufführungen“, „ständig bemüht“, bei Mitgliedern und Nichtmitgliedern „das Gefühl der nationalen Zugehörigkeit“ zu fördern. Dazu gaben sie verschiedene Publikationen heraus, die mitunter historisch verzerrend „glorreiche Episoden der deutschen Geschichte“ verherrlichten, kritische Landesgrenzen nach nationaler Zugehörigkeit proklamierten oder mithilfe des Dialekts als strukturbestimmendes Textmerkmal dörfliches und bäuerliches Leben als Brutstätte deutscher Heimatkultur überhöhten. Diese unmittelbar zweckgerichtete Ausprägung von Heimatliteratur über den „mit der Erdscholle“ verwachsenen Bauern sollte die 63
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Schreiber (2008), S. 360. Von Tolomei (1865-1952) stammen die seit 1923 gültigen, zum Teil erfundenen Übersetzungen Südtiroler Ortsnamen ins Italienische, außerdem ein umfassender Maßnahmenkatalog (aufgeführt bei Corsini/Lill (1988), S. 125f.) zur letztgültigen Italianisierung Südtirols, der jedoch nicht abschließend umgesetzt wurde. Als Vertreter einer Grenze am Alpenhauptkamm (Brenner) geht die heutige Grenze maßgeblich auf ihn zurück. In Südtirol bezeichnete man ihn auch als ‚Totengräber Südtirols‘. Im Rahmen der Südtiroler Umsiedlung ab 1939, der ‚Option‘, spielte Tolomei erneut eine wichtige Rolle. Steininger (2017), S. 28ff. u. 25f. Vgl. auch Corsini/Lill (1988), S. 33ff., 53 u. 117f. Zu nennen ist hier auch Cesare Battisti, ein aus Trient stammender Irredentist, Parlamentarier und glühender Verfechter der Trentino-Angliederung an Italien, besonders nach Kriegsbeginn 1914. Er kämpfte später auf italienischer Seite gegen Österreich und wurde 1916 von einem österreichischen Kriegsgericht „als Hochverräter zum Tode verurteilt“. Cali (2007), S. 101ff. Vgl. Forcher (2014), S. 125. Forcher (2014), S. 122. So verhielten sich die Italiener auch noch bis zum Abschluss der Pariser Friedensverträge 1919/1920. Vgl. Steininger (2004), S. 20ff. Steininger (2004), S. 33. Corsini/Lill (1988), S. 35. Hier sind ebenso die Alpenvereine zu nennen.
2.2 Frühe Kindheit zwischen Toblach, Innsbruck und Prag
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deutschnationale Identität verfestigen helfen. Dabei trat die regionale Identität nie in Widerstreit zur nationalen, „sondern ist eine Voraussetzung für sie“. Die entsprechend schreibenden Dichter wurden zu „Personifizierungen ihres Heimatlandes“. Autoren dieser Veröffentlichungen betonten, anhand „der Beherrschung eines Dialekts“ (als „Subidiom“), der als Pfand der immer wieder durch fremde Einflüsse sich verändernden hochdeutschen Sprache fungierte, würde „die Zugehörigkeit zu der deutschen Nation gemessen“ werden. Hochdeutsch könne man lernen, „aber einen Dialekt lernt man nie“. Bis 1914 hatten der Verein Südmark mehr als 350 Bibliotheken errichtet, in denen vor allem vereinszieladäquat „Vertreter der Heimatkunstbewegung“68 Platz fanden. Im Angesicht des erstarkenden italienischen Nationalstaates betonten die Südtiroler so ihre ‚Deutschheit‘ umso stärker.69 Bossis im adligen Elternhaus ritualisierte Prägung schuf trotz engen nachbarschaftlichen, dörflichen Zusammenlebens eine immer nach innen und außen sichtbare Abgrenzung zu ‚den anderen‘. Die herrschaftliche Kulisse des Schlosses mit seiner langen Geschichte ließ den jungen Grafen ohnehin anders aufwachsen als die übrigen Kinder im Dorf. Ihm mussten Schloss, Rittersäle, Ländereien, Wälder, großzügige Gartenanlagen, aber auch Stammbäume, Vorfahren, Titel, Wappen und Gräber früh „die persönliche Bindung an das Schicksal vergangener Generationen“ zeigen, „lange bevor sich der erwachsene Adlige zu dieser Verbindung“70 bekennen wollte oder konnte. Es ist davon auszugehen, dass die Standesunterschiede der Kinder im Dorf auch im Spiel wirksam blieben, eine „praktizierte Mischung aus physischer Nähe und auratischer Distanz zu ‚den Leuten‘“. Adelskinder waren oft schlicht „‚die vom Schloß‘“71. Durch seine Großmutter Elisa Salvioni, morganatische Tochter eines Herzogs von Savoyen-Carignan, war Bossi darüber hinaus mit dem italienischen Königshaus verwandt. Das ist auf den Klappentexten zweier im Stocker-Verlag erschienener, kriegsgeschichtlicher Arbeiten zu lesen, wie auch über den heroischen Tod früher Vorfahren als Offiziere in verschiedenen
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Entnahmen aus: Dedryvère (2009), S. 42ff., 45ff. u. 49. Darunter „Achleitner, Anzengruber, Gustav Frenssen, Max Geißler, Wilhelm Holzammer, Josef Perkonig, Wilhelm von Polenz, Peter Rosegger, Hermann Schmid, Hermann Sudermann,. Clara Viebig und Ernst Zahn“. Vgl. Corsini/Lill (1988), S. 28ff. u. 33. Italien erhob zunächst vor allem Ansprüche auf Trient und Triest, Gebiete mit mehrheitlich italienischsprachiger Bevölkerung unter der Herrschaft Österreichs. Entnahmen aus: Malinowski (2003), S. 51 u. 86: Junge Aristokraten wuchsen mehr oder weniger von selbst in die von Adligen gelebte Kultur hinein, ohne dass man sie ihnen noch hätte anerziehen müssen. Ebd., S. 111f.
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2. Kindheit und Jugend
Schlachten.72 Deren Gedenken, mit Bildern in Uniform und der Angabe des militärischen Ranges, wurde im Adel aufwändig betrieben und bedeutete manchem Clan eine wichtige, generationsübergreifende „Stilisierung der eigenen Opferleistungen“73. In der Annahme, dass die „Zugehörigkeit zu ökonomisch oder sozial bedingten Klassen […] versteckt oder offen zu relativ homogenen Bewußtseinsprägungen“74 führt, spielt Bossi-Fedrigottis familiäre, genealogische und später auch schulische Sozialisation hier eine nicht zu unterschätzende Rolle. So kann es möglich sein, konkrete Handlungssituationen biografisch zu untersuchen, indem versucht wird, die Metaebene (historische, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen) und den individuellen sozialen Handlungsrahmen zu rekonstruieren.75 Bossi-Fedrigotti war seit Geburt umgeben von adliger Gruppenmentalität und rituellem Standeshabitus, die jeweils durch Sozialisation und „Berufswege gefestigte Systeme von Wahrnehmungs- und Verhaltensdispositionen“ beschreiben und damit „bestimmte Gedanken und Handlungen nahelegen, andere blockieren bzw. ausschließen und somit ‚Handlungsspielräume‘ festlegen“76. Die allerdings sind veränderbar: Seine hochadlige Abstammung und Erziehung wird dazu geführt haben, dass sich bei ihm ein bestimmter Habitus manifestiert hatte, die Art der Kleidung, Bewegung, Sprache, Denkund Argumentationsmuster sowie Wahrnehmung inbegriffen. Ebenso wichtig waren religiöse und weltanschauliche Prägungen und Vorstellungen, „kraft derer die Erfahrungsdaten freigegeben, gebremst und sortiert werden“. Diese Faktoren beschreiben zusammen einen „Bewußtseinshaushalt“77, die 72
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77
Siehe Klappentexte der von BF im Stocker-Verlag erschienenen Kaiserjäger – Ruhm und Ende (1977) u. Die goldgestickte Kokarde (1973). Elisa Salvioni soll der unehelichen Verbindung ihrer Mutter, Maria Carolina Salvioni, geb. Bardelli, mit einem Herzog Eugen von Savoyen-Carignan entstammen, eines Bruders des ab 1861 regierenden Königs von Italien, Viktor Emanuel II. Da sich zur Abstammung Elisa Salvionis bisher keine weiteren Belege finden ließen, muss die Behauptung BFs und des Stocker-Verlags mit Vorbehalt betrachtet werden. Der Hinweis bei kriegs- und k.u.k.-geschichtlichen Texten auf den Nachkommen eines Königshauses konnte auf dem Buchmarkt von Vorteil sein – hier schrieb also ein ‚Insider‘. Ein Vorfahre soll als österreichischer General in der Schlacht bei Wagram 1809 gefallen sein. Siehe o. a. Klappentexte. Vgl. auch Malinowski (2003), S. 109 u. 216. Koselleck (1992), S. 328. Gudehus (2011), S. 31. Malinowski (2003), S. 41. Auch wenn die Mentalitätsfrage nicht zu einer Übergeneralisierung führen darf, hilft sie dabei, „kollektive Denkmuster und Bewusstseinsformen“ sichtbar werden zu lassen. Im Grunde kann sie nur Unterstützung bei der Annäherung an prägende Sozialisationsinstanzen bieten. Jureit (2005), S. 166ff. Entnahmen aus:. Koselleck (1992), S. 326f.
2.2 Frühe Kindheit zwischen Toblach, Innsbruck und Prag
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bestimmte soziale Rahmung individuellen Handelns, die auch Sprachgrenzen überwinden konnte (wie beispielsweise im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn denkbar). Sie waren erlernt, abgeschaut oder angeeignet worden und daher (obgleich Basis weiterer Entwicklungen,) auch veränderbar. Spätere Handlungen wurden davon beeinflusst und bedingten wiederum die Weiterentwicklung eigener Rahmungen.78 „Aus dieser Belastung“ seiner Kindheit, Jugend und Familiengeschichte stamme die Vorliebe „für kriegsgeschichtliche Arbeiten“79, wurde BossiFedrigotti auf den Klappentexten zitiert. Dass ihm das Sterben seiner Vorfahren auf dem Schlachtfeld erwähnenswert erschien, zeigt, dass die überzeitlich konstruierte Familiengeschichte inklusive ihres gewissen Opferkultes zu einem Teil seiner „raison d’etre“80 geworden war. Der junge Adlige, dem das Tiroler Bergland später oft als schriftstellerische Kulisse diente, hatte dank seiner vermutlich überwiegend dörflichen Kindheit zu Natur, zu Tier, Land und Wald, aber besonders zum Gebirge ein enges Verhältnis. Dabei war es (nicht nur) in Landadelskreisen nicht unüblich, im Gegensatz zur heilen und gesunden Kindheit in einer dörflich-ländlichen Umgebung kontrastreich Großstädte als krank, asphaltverseucht und das dort lebende Bürgertum als entwurzelt zu betrachten. Hier liegt auch ein zentraler Topos bürgerlicher Heimatliteratur begründet.81 Diese Perspektive verstärkte sich noch, wenn das eigene Gut verloren ging, wie bei den Bossis.82 Der Familiensitz war vielen Edelleuten eine Projektionsfläche kindlich-nostalgischer Sehnsüchte und romantisierender Erinnerungen. Er bildete gleichzeitig die geerbte, damit verpflichtende Besitzbasis freiheitlicher Adelsexistenz.83 Ging es verloren, fehlte ein elementarer Baustein im adligen Selbstverständnis. Nicht selten bestand in diesen Kreisen eine unmittelbare Verbindung zwischen dem eigenen sozialen Abstieg und dem Schreiben: gegen das im Überfluss lebende, kapitalistische Bürgertum und mythisch überhöht für Rückbesinnung, ländliche und natürliche Einkehr, schlichte und durchaus soldatische Kargheit.84 Hier bot sich eine besondere, „ideologisch-politische Anschlußfähigkeit“85, 78 79 80 81 82 83 84 85
Gudehus (2011), S. 27f., der sich hier auch auf Bourdieu bezieht. Siehe o. a. Klappentexte. Malinowski (2003), S. 97. Vgl. Dohnke (2001), S. 14ff. Die Herbstenburg wurde 1923/24 versteigert, blieb aber in der Verwandtschaft. Dazu mehr in Kap. 2. Malinowski (2003), S. 62f., 67ff. u. 102f. Der Landbesitz blieb auch nach 1918 das „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rückgrat des Adels“. Das gilt für Deutschland wie für Österreich gleichermaßen. Ebd., S. 283 u. Stekl (2004), S. 32. Ebd., S. 100f. Ebd., S. 69.
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2. Kindheit und Jugend
die an alte kaiserzeitliche Debatten über Agrarstaat versus Industriestaat anknüpfte und mühelos an aufkeimende völkisch-nationalkonservative Theorien andocken konnte. Bis in die frühen 1920er Jahre besaß Bossi-Fedrigottis Vater größere Ländereien, Felder, Wiesen und Wälder.86 Der Junge war damit aufgewachsen (zumal als Erstgeborener und einziges Kind), von seinem Vater in die künftigen Rollen als Schlossherr, Land- und Pferdewirt, möglicherweise Forstherr eingeführt zu werden. Überhaupt waren Pferde omnipräsent, auch sein Vater sei ein „begeisterter Pferdeliebhaber“87 gewesen. „Junge Adlige, gleich ob Königssöhne, Offizierstöchter oder Gutsbesitzerkinder“, lernten den „Umgang mit Pferden bereits als Kinder“, so höchstwahrscheinlich auch Graf BossiFedrigotti. Sie halfen bei schwerer Feldarbeit, beförderten den Gutsherrn über seine Ländereien, dienten als Sport-, Wett- und Jagdmittel und besaßen zudem neben aller praktischen Nutzung eine sehr hohe symbolische Bedeutung, indem sie ihre Reiter in jeder Hinsicht als standesgemäßes „Distinktionsmerkmal“ und unübertroffenes Requisit der „Inszenierung […] aristokratischer Überlegenheit“88 erhöhten. Wer oben im Sattel keine angemessene Kleidung, kein passendes Material oder einen unpassenden Reitstil offenbar werden ließ, geschweige denn sich nicht mit Standes- und Fachtermini unterhalten konnte, fiel schnell aus dem Rahmen.89 Für den Südtiroler Autor sollte diese in Adelskreisen überhöhte Beziehung nicht nur bei der Kavallerie (zu Beginn des Zweiten Weltkriegs), sondern auch für seine Romane und Jugendbücher wichtig werden. Bossi schrieb regelmäßig von ‚blonden‘, strammen Haflingern, ‚krüppeligen Bosniaken‘, zu schweren französischen Armee-, aber auch kenntnisreich von Schmuggler-, Berg- und Wehrmachtspferden (unter anderem in seinen Landser-Heften).90 Sie waren ihm wichtiges Zeichen seines aristokratischen und militärischen 86 87 88 89 90
O. V.: „Heimatliches“. In: Bozner Nachrichten v. 05.12.1924, S. 4. Hier wird von der Zwangsversteigerung der Bossi-Fedrigotti’schen Güter berichtet. Bossi-Fedrigotti: „Mit Pferd und Wagen über die Dolomitenstraße. Ein Erlebnis vor 55 Jahren“. In: Dolomiten v. 25.08.1965, S. 4. Entnahmen aus: Malinowski (2003), S. 64f. Ebd., S. 66f. Hier kam es mitunter auf kleinste Nuancen an. BF setzte in seinen KinderPferdebüchern nach 1945 oft auf Fachtermini aus dem Reitermilieu. Vgl. Bossi-Fedrigotti: „Ferien im Sattel … auch in Südtirol“. In: Dolomiten v. 20.08.1966, S. 9. Siehe u. a. BF an Rantzau, Inf.Abt. AA, v. 16.09.1941, PA AA, R 60705 (BF bittet um Pferde als Winterhilfe für die Ostfront); Bericht Nr. 8 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.07.1942, PA AA, R 60896 (schwere franz. Pferde überstünden den Vormarsch im Osten nicht), BF, Reims (1958), S. 4-24 (Kavalleriepferde); Ders. (1958), Woronesch, Vorwort; Ders. (1940), S. 23 (stramme Haflinger gegenüber kleinen bosnischen Pferden in der Wehrmacht 1940); Ders. (1951) (Schmugglerpferde im gesamten Text); außerdem die
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Selbstverständnisses, einer ideologisch aufgeladenen, naturnahen Verbindung mit der ‚Heimatscholle‘, vermeintliches Symbol der „Macht über die Schöpfung“91, und dienten ihm gleichzeitig als Projektionsfläche für die ‚Vorteile‘ reinrassiger Zucht.92 Als kleiner Junge schon hatte Bossi-Fedrigotti Gelegenheit, den Kontrast zwischen Landleben und Großstadt selbst zu spüren.93 Aus dem dörflichen Toblach ging die Familie 1902 berufsbedingt etwa sechs Jahre in das zu dieser Zeit österreichische Prag und wohnte dort im Stadtteil Smichow.94 Bossis Vater war hier „Oberinspektor der k.k. priv. Gesellschaft ‚Assicurazioni Generali‘“95, ein höherer Versicherungs-Privatbeamter, der mit der regionalen „Kontrolle der Agenten einer Versicherungsgesellschaft“96 betraut war – eine bürgerliche, für einen Grafen in der Monarchie erstaunliche Position, die einen gewissen sozialen Abstieg kennzeichnet. Als sich sein Sohn Anton 1931 um die preußische Staatsbürgerschaft bewarb, gab er an, die Familie habe bis 1905 in Prag gewohnt. Die Presse berichtete allerdings noch bis 1908, dass die Bossis zum Sommerurlaub aus der heute tschechischen Hauptstadt in Toblach eintrafen und sein Vater nach wie vor Generali-Oberinspektor war.97 Der bekam
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Mädchen-Pferdebücher Bleib im Sattel, Gundi! (1971), Gundi macht große Sprünge (1981), Aufgesessen, Gundi! (1989) usf. Kropp (2002), S. 183. Laut Kropp wurden beispielsweise Schimmel stilistisch durchaus als symbolische „Lichtgestalt“ genutzt, um auch Reiter oder dessen Handlungen zu erhellen und erheben. Siehe S. 185 u. vgl. S. 202f. Die Haflinger und ihre reinrassig weitergezüchteten Eigenschaften sind durchgehendes Motiv in BFs Bleib im Sattel, Gundi! (1971). Er befasste sich mit der Pferderasse auch in einem kurzen Aufsatz. Bossi-Fedrigotti: „Helfer des Bergbauern: das Haflinger Pferd“. In: Die Alpen. Ein Reader’s Digest Buch. Stuttgart: DAS BESTE (1972), S. 190-192. Richard Walther Darré, SS-General, ‚Reichsbauernführer‘ und einer der prominentesten nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologen, war diplomierter Pferdezüchter. Vgl. Malinowski (2003), S. 526. An diese etablierten Zuchtideen zur Formung des perfekten Lebewesens ließ sich allzu leicht anknüpfen. Zu diesem Kontrast in Adelskreisen siehe Malinowski (2003), S. 62f. Wiener Salonblatt v. 04.11.1906, S. 9. Siehe zum Prager Aufenthalt auch Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über BFs Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 1. Der Bote für Tirol v. 26.08.1903, S. 7, bestätigt den Wohnort: BFs Vater wird im Amtsblatt als in Prag wohnend angeführt, ebenso seine Mutter am 30.07.1905 in der Meraner Zeitung, S. 14. Auch Brugier (1904), S. 714, führt Gräfin Bossis Wohnort Prag auf. Hierbei handelt es sich um die bis heute existenten ‚Generali Versicherungen‘. Der Bote für Tirol v. 24.01.1908, S. 1. O. V.: „Inspektor“. In: Brockhaus’ Konversations-Lexikon. 14. Aufl. Leipzig: Brockhaus 1908, Bd. 9, S. 635f. Ebd. Das Wiener Salonblatt meldete jeweils am 02.06.1906, S. 7 u. 04.05.1907, S. 9, Graf Alfons und seine Frau Itha seien zum Sommerurlaub aus Prag in Toblach eingetroffen.
28
2. Kindheit und Jugend
im Oktober 1907 noch einen neuen Arbeitskollegen: Nach seinem Jurastudium heuerte Franz Kafka bis Juli 1908 bei der Assicurazioni Generali in Prag an.98 Möglicherweise sind sich beide dort begegnet. Die Familie schien häufig zwischen Innsbruck, Toblach und Prag gependelt zu sein. Im Januar 1903 wurden Alfons und seine Frau Itha nochmals Eltern. Der eineinhalb-jährige Anton bekam mit Elisabeth eine kleine Schwester.99 Doch das kleine Mädchen hatte offenbar schon bald mit einer langwierigen, schweren Erkrankung zu kämpfen. Vier Tage vor Heiligabend 1907 „verschied“ die junge „Komtesse“100. Es sind keine Dokumente bekannt, in denen BossiFedrigotti seine Schwester oder ihren Tod erwähnt. 2.3
Schulzeit
Wahrscheinlich von 1906 bis 1910 besuchte Bossi-Fedrigotti die Volksschule in Toblach.101 Anschließend wechselte er ins vorarlbergische Feldkirch. Hier hatten die Jesuiten 1856 das Staatsgymnasium übernommen, sich als Schutzpatronin die heilige Mutter Gottes gewählt und „das Konvikt der Himmelskönigin unter dem hoffnungsvollen Namen ‚Stella Matutina‘ [lat. Morgenstern]“ geweiht.102 Die Schule gehörte zu den bekanntesten Lehr- und Lernanstalten, „denen wohlhabende katholische Adelsfamilien ihre Söhne zur Ausformung des katholischen Adelshabitus anvertrauen“103. Für diese Familien war es üblich, 98 99 100
101
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103
Alt (2005), S. 170ff. Degener (1935), S. 174. O. V.: „Tirolisches“. In: Meraner Zeitung v. 25.12.1907, S. 13. Ebenso berichtete O. V.: „Wochen-Chronik“. In: Pustertaler Bote v. 27.12.1907, S. 3. Von BF selbst ließ sich keinerlei Anmerkung dazu finden. Als zu der Zeit Sechsjähriger dürfte er sich später an dieses womöglich einschneidende Ereignis erinnert haben. Allerdings sind im Archiv des Deutschsprachigen Schulsprengels Toblach keine Unterlagen dieser Jahre mehr vorhanden. Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über BFs Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 1 u. Verzeichnis zur Einbürgerung BFs, lfde. Nr. 33, v. 15.07.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 39. E-Mail Carla Fuchs, Deutschsprachiger Schulsprengel Toblach, an CP v. 13.01.2016. Stella Matutina (1931), S. 3. Der Eigenname der Schule wird nur bei der ersten Nennung von halben Anführungszeichen begleitet. Der Patronin wurde mit einem regelmäßigen Immakulata-Fest gedacht. Vgl. dazu Ebd., S. 320. BF nannte eine seiner Töchter 1953 katholisch-traditionell Maria Immakulata. Für einen Mann, der sich nach 1933 politisch opportun als ‚gottgläubig‘ bezeichnete, ist diese Namensgebung bemerkenswert. Vgl. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 1. Malinowski (2003), S. 85.
2.3 Schulzeit
29
ihre Kinder auf ausgesuchte Schulen und Internate zu schicken – auch noch im 20. Jahrhundert.104 Da bildete die Familie Bossi-Fedrigotti keine Ausnahme; sie war hier nicht unbekannt. Jesuitenpater Mauritius Graf Bossi-Fedrigotti105, Cousin Graf Alfons’, war von 1875-1880 ebenfalls Schüler gewesen.106 Eine liberale Ära österreichischer Politik seit 1861 führte schon 1868 zum Verlust der Lizenz als Staatsgymnasium.107 Die Jesuiten sahen sich aufgrund der engen Verzahnung von Konfession und staatlichem Schulangebot scharfer Kritik an ihrem Lehrsystem und der „ordensinternen Ausbildung der Professoren“108 ausgesetzt. Die Stella wurde zur Privatanstalt. Spätestens seit 1891, als sowohl die Matura sowie das deutsche Abitur abgelegt werden konnten, entwickelte sich „das renommierte Internat“109 zu einem internationalen Bildungszentrum. Um die Jahrhundertwende kamen 42% der Schüler aus Österreich 35% aus Deutschland, 10% aus der Schweiz und 12% aus anderen Ländern.110 Mit dem Stella-Matutina-Schulbesuch Leo Naphtas, einer der Hauptfiguren in Der Zauberberg (1924), setzte Thomas Mann der Lehranstalt darüber hinaus ein literarisches Denkmal: Das Institut war zugleich Pensionat, Mustergut, Sportakademie, Gelehrtenschule und Musentempel; denn beständig gab es Theater und Musik. Das Leben hier war herrschaftlich-klösterlich. Mit seiner Zucht und Eleganz, seiner heiteren Gedämpftheit, seiner Geistigkeit und Wohlgepflegtheit, der Genauigkeit seiner abwechslungsreichen Tageseinteilung schmeichelte es Leos tiefsten Instinkten.111
Mann beschrieb die Stella zwar erst Mitte der 1920er Jahre so. Doch auch 1911 schon dürfte sie für viele aristokratische Familien, die auf die Sicherung und generationsübergreifende Tradierung der kollektiv-kulturellen (Standes-) Identität bedacht waren, die ideale Lehranstalt gewesen sein. In der Reihe
104 105 106 107 108 109 110 111
Ebd., S. 73. Eigentlich Graf Friedrich Moritz Anton Johann Peter Maria Leopold Philipp Andreas Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld (1867-1931). Vgl. Stella Matutina (1931), S. 35 u. 455. Blöchlinger/Kopf/Profeld (2006), S. 11 u. 13ff. Blöchlinger (2006), S. 53. Malinowski (2003), S. 86. Ebd., S. 15. Mann (2004), S. 608. Siehe auch Löcher (2008), S. 287, der ebenfalls Bezug darauf nimmt.
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2. Kindheit und Jugend
exklusiver Schulen schien sie einen der obersten Ränge einzunehmen.112 Im Juni 1917 waren sogar das Kaiserpaar Karl und Zita zu Besuch.113 Im Vorarlberger Landesarchiv hat sich der Hauptkatalog der ‚Stella‘ erhalten, inklusive einer Zeugnis- und Notenübersicht aus dem Schuljahr 1915/16, in der Bossi-Fedrigotti erwähnt wird.114 Am 3. Januar 1911, nach dem Besuch der Volksschule in Toblach, wurde der Gutsbesitzersohn im Alter von 9 Jahren in Feldkirch eingeschult. Vermutlich bis zu den Sommerferien absolvierte er die Vorbereitungsklasse, „die entweder jüngeren oder fremdsprachigen Knaben vorbehalten war“115. Für 1911 und 1912 widersprechen sich die Angaben Blöchlingers, der das handschriftliche Verzeichnis der Aufnahmen und Austritte heranzog, und Dr. Hans Grubers vom Stadtarchiv Feldkirch, der die Jahresberichte der Schule heranzog116: Laut Blöchlinger kam Bossi im Herbst 1911 als Internatsschüler des ersten Pensionates nach einem halben Vorbereitungsjahr in die erste Klasse und lernte nun sieben Jahre bis Sommer 1918 bei den Jesuiten, wobei er jedoch zu diesem Zeitpunkt erst die sechste Klasse abschloss.117 Das hieße, Bossi hätte 112
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1934 zogen die deutschen Staatsangehörigen infolge der ‚1000-Mark-Sperre‘ mit ihren Lehrern ins Jesuitenkolleg St. Blasien nach Deutschland um, in dem die Stella-Tradition bis heute gepflegt wird. Blöchlinger (2006), S. 4. Das 1900 in Betrieb genommene Gebäude beherbergt inzwischen das Vorarlberger Landeskonservatorium. Die Archivalien zur Stella liegen heute weit verstreut. Zwischenzeitlich geschlossen, existierte die Schule bis 1979. Teile des Nachlasses befinden sich in der Stadtbibliothek Feldkirch, andere im Archiv der Schweizer Provinz der Gesellschaft Jesu und im Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten in München. Im Vorarlberger Landesarchiv hat sich der Hauptkatalog der Stella erhalten. E-Mail Dr. Esther Schmid Heer, Bibliothek und Archiv der Schweizer Jesuitenprovinz, an CP v. 20.01.2016. Weitere Unterlagen zu BFs Schulzeit in Feldkirch existieren dort nicht: „Es befindet sich bei uns in Zürich kein Schülerdossier von ihm und auch sonst konnte ich keine entsprechenden Unterlagen oder Hinweise finden“, schrieb Dr. Schmid Heer. Blöchlinger/Kopf/Profeld (2006), S. 65. Dr. Ulrich Nachbaur, Vorarlberger Landesarchiv, an CP v. 04.01.2016. Vorarlberger Landesarchiv, Landesschulrat für Vorarlberg, Hauptkatalog Privatgymnasium Stella Matutina in Feldkirch 1916. Das Schülerverzeichnis in der Stadtbibliothek Feldkirch sowie die Korrespondenz mit dem letzten Stella-Schulleiter Dr. Alex Blöchlinger SJ, Jahrgang 1924, gaben weiteren Aufschluss. Bis heute veröffentlicht er Texte zur Schulgeschichte. Siehe E-Mail Dr. Alex Blöchlinger SJ an CP v. 18.01.2016 u. Blöchlinger (2006), S. 53-57. Dr. Hans Gruber, Stadtarchiv Feldkirch, an CP v. 11.01.2016. Dr. Hans Gruber, Stadtarchiv Feldkirch, an CP v. 21.01.2016. Gemeint ist hier die 6. weiterführende Klasse. Dr. Alex Blöchlinger SJ an CP v. 15.01.2016 u. 18.01.2016. Siehe auch Stella Matutina, Schülerverzeichnis 1906-1956, Stadtbibliothek Feldkirch, VOR 525 ERZ 581 STELL *VER*, Eintrag 832, Anton Freiherr v. FedrigottiBossi. Sein Name scheint hier Schwierigkeiten bereitet zu haben. Das vermerkte Geburtsdatum, 06.08.1901, und Geburtsort Toblach lassen keinen Zweifel an der Identität.
2.3 Schulzeit
31
wahrscheinlich eine Klasse wiederholen müssen. Laut Gruber und den Jahresberichten der Stella im Stadtarchiv Feldkirch hatte der Schüler sowohl 1911/1912 als auch 1912/1913 die erste Klasse besucht, danach aufsteigend bis zur sechsten Klasse im Jahr 1918 – kein Wort oder Vermerk zu einem Vorbereitungsjahr. Gruber folgert daraus, dass der „Zögling“118 dieses bis Mitte 1912, also eineinhalb Jahre lang, absolvierte.119 Letzten Endes lässt sich nicht zweifelsfrei ermitteln, ob er einen langen Vorlauf benötigte oder die erste Klasse wiederholte. Aus seinen Zeugnissen geht hervor, dass Bossi die vierte Klasse zwischen 1915 und 1916 mit 33 Mitschülern besuchte. Am Ende des Schuljahres war er als einer von 22 im leistungsmäßigen Mittelfeld (‚geeignet‘) gelandet und wurde mit einem ‚gut‘ in Betragen, Religionslehre, Geografie, Geschichte, italienischer und deutscher Sprache versetzt.120 In Latein, Griechisch, Mathematik sowie Physik und Chemie erreichte er nur ein ‚genügend‘. Fehlstunden hatte er nicht aufzuweisen.121 Welche Sprachen er bereits im Elternhaus gelernt hatte, ist nicht bekannt. Allerdings gehörte das Beherrschen von Fremdsprachen im Hochadel allgemein zum guten Ton.122 Wahrscheinlich lernte er neben Deutsch (inkl. Pustertaler Regiolekt) der Familientradition folgend Italienisch und allem Anschein nach durch seine Mutter und die Erzieherin auf der Herbstenburg auch Französisch.123 Möglich wäre, dass er zudem durch verschiedene Aufenthalte in Prag Grundkenntnisse der tschechischen Sprache
118 119
120 121 122 123
Dr. Hans Gruber, Stadtarchiv Feldkirch, an CP v. 21.01.2016. Dieses Szenario scheint wahrscheinlich, wobei Blöchlinger schrieb, BF sei „mit Schulbeginn im Herbst 1911 in die erste Klasse“ eingetreten. Siehe E-Mail Dr. Alex Blöchlinger SJ an CP v. 18.01.2016. Mitte 1911 war er noch nicht 10 Jahre alt, das Mindestalter für den Eintritt in die Stella. Siehe E-Mail Dr. Hans Gruber, Stadtarchiv Feldkirch, an CP v. 11.01.2016. Das bestätigt Grubers Annahme einer eineinhalb-jährigen Vorbereitungsphase. Denkbar wäre auch, dass BF als ‚Sommerkind‘ (bzw. seine Eltern), wie es bis heute ist, die Wahl zwischen früher oder später Einschulung hatte. Diese Entnahme u. die darauffolgenden drei: Vorarlberger Landesarchiv, Landesschulrat für Vorarlberg, Hauptkatalog Privatgymnasium Stella Matutina in Feldkirch 1916. Skala: Vorzüglich geeignet, geeignet, im Allgemeinen geeignet, nicht geeignet. Jahreszeugnis BFs f. d. IV. Klasse 1915/1916, Vorarlberger Landesarchiv, Landesschulrat für Vorarlberg, Hauptkatalog Privatgymnasium Stella Matutina in Feldkirch 1916. Urbach (2016), S. 33ff. Davon berichtet BF in einem Zeitungsartikel. Bossi-Fedrigotti: „Erinnerung an Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand“. In: Dolomiten v. 27.06.1964, S. 11.
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2. Kindheit und Jugend
besaß, vielleicht auch durch „Tinka, unser böhmisches Stubenmädel“124 oder „František“125, den Kutscher. Nicht nur in seinem Elternhaus, sondern auch in der Schule kam Bossi mit Literatur und Geschichtsschreibung in Verbindung. In Deutsch und Italienisch wurde er von Pater Isidor Hopfner SJ (1858-1937) unterrichtet, der sich nach Theologiestudium und Priesterweihe 1884 den Jesuiten angeschlossen, daraufhin Germanistik in Prag studiert hatte, anschließend Deutsch und Italienisch an der Stella unterrichtete und als Schriftsteller in Erscheinung trat.126 Hopfner blieb als „Flurnamenforscher und Dichter in Erinnerung, v.a. als Texter des Volksliedes ‚Grüaß di Gott mi subers Ländle‘“127. In Geschichte und Geografie unterrichtete ihn Pater Josef Fischer SJ (18581944), der Philosophie und Theologie in Exaeten (Niederlande), Ditton Hall (Großbritannien) und Innsbruck sowie dort auch Geschichte und Geografie studiert hatte. Von 1896 bis 1934 lehrte er an der Stella Matutina. Zuvor hatte er schon eine weltgeschichtlich bedeutende Entdeckung gemacht: Bei kartografischen Forschungen im Schloss Wolfegg in Württemberg spürte Bossis späterer Lehrer die einzige bis heute erhaltene große Weltkarte des deutschen Kartografen Martin Waldseemüller von 1507 auf, inzwischen UNESCOWeltkulturerbe, auf der erstmals in Anlehnung an den Entdecker Amerigo Vespucci der zuvor entdeckte Kontinent den Namen ‚America‘ trägt.128
124
125 126 127 128
Ebd. Nach BFs italienischer Militärpersonalakte zu urteilen sprach er 1923 vier Sprachen: deutsch, italienisch, französisch und „cecoslovacca“ (tschechoslowakisch, höchstwahrscheinlich angelehnt an den tschechoslowakischen Staat, in dem BF einige Jahre gelebt hatte). „Lingue estere studiate e conoscuite“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Bossi-Fedrigotti: „Mit Pferd und Wagen über die Dolomitenstraße. Ein Erlebnis vor 55 Jahren“. In: Dolomiten v. 01.09.1965, S. 6. O. V.: „Hopfner, Isidor“. In: Österreichische Akademie der Wissenschaften (1959), S. 415 u. Vorarlberger Landesarchiv, Landesschulrat für Vorarlberg, Hauptkatalog Privatgymnasium Stella Matutina in Feldkirch 1916. E-Mail Dr. Ulrich Nachbaur, Vorarlberger Landesarchiv, an CP v. 04.01.2016. Vgl. Straßenberger, Georg: „Fischer, Josef“. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1961), Bd. 5, S. 194f. u. O. V.: „Fischer, P. Josef“. In: Österreichische Akademie der Wissenschaften (1957), S. 322. Die Karte blieb nicht Fischers einzige Entdeckung- Sie wurde Anfang der 2000er Jahre „for the price of $10 million“ als nationales Erbe an die Library of Congress in Washington verkauft und von Angela Merkel überreicht. Website der Library of Congress: „The Map That Named America“, https://www.loc.gov/loc/lcib/0309/maps.html [Zugriff: 13.01.2016]. Im Kriegsheft Warum schweigt Bunker 403? lässt Bossi zwei seiner Figuren die Stella besuchen. Sie erinnern sich an Fischer und ahmen ihn nach. Vgl. Bossi-Fedrigotti (1953), S. 27.
2.3 Schulzeit
33
Auch die Zusammensetzung der Schülerschaft unterstreicht den elitären Charakter des Gymnasiums: Neben Arthur Conan Doyle (Sherlock Holmes) und dem späteren Münsteraner Bischof Clemens August Kardinal Graf von Galen lernte hier unter anderem Kurt von Schuschnigg, der spätere österreichische Bundeskanzler129 – zwischen 1911 und 1915 sogar gleichzeitig mit dem vier Jahre jüngeren Bossi-Fedrigotti. Anlässlich der 75-Jahr-Feier schickte Schuschnigg der Stella 1931 einen Brief, in dem er die Erziehung und Prägung zwischen 1908 und 1915 beschrieb: Wir haben in der Stella gelernt, uns einzufügen, um einer größeren Gemeinschaft willen. Als man in der großen Welt, zumal in Intellektuellen-Kreisen, noch herzlich wenig von Demokratie und Gemeinschaftserziehung sprach und wusste, waren wir bereits zu echter demokratischer Führung erzogen […] Die Feldkircher Patres haben uns neben tief fundierter Religiosität auch ein hohes, geläutertes Vaterlandsbild mit auf den Weg ins Leben gegeben und den Willen und die moralische Kraft zur unbedingten Erfüllung der Pflicht.130
Schuschniggs Worte stehen im Zusammenhang mit seinem ständestaatlichdiktatorischen Engagement in den österreichischen 1930er Jahren. Bereits ein Jahr vor dem zitierten Brief hatte er die Gründung der ‚Ostmärkischen Sturmscharen‘ initiiert, eines katholisch-paramilitärischen Heimwehrverbandes junger Männer mit explizit österreichischem Selbstverständnis.131 Autoritäre Strukturen waren ihm also keineswegs fremd. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die Feldkircher Patres auch Bossi-Fedrigotti Humanismus, Glaube, Wertkonservatismus, Patriotismus, Differenzierung in politischen Dingen, aber auch treue Pflichterfüllung und Dienst an der Gemeinschaft vermittelt. Katholisch-monarchische Prägungen aus der Kindheit dürften durch das gehobene, adlig-bildungsbürgerliche Milieu die soziale Rahmung seines individuellen Handelns verstärkt und auch verändert haben. Für Schuschnigg bildeten diese Einflüsse, das zeigt seine Rede zum Schuljubiläum, wichtige Rahmenbedingungen seiner Sozialisation auf dem Weg ins Kanzleramt des österreichisch-katholisch-autoritären Ständestaats.132 Nach dem 129 130 131
132
Vgl. Löcher (2008), S. 226 u. 230f., zu Schuschnigg außerdem Gehler, Michael: „Schuschnigg, Kurt Alois Josef Johann (Edler v.)“. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (2007), Bd. 23, S. 766f. Brief Kurt von Schuschniggs anlässlich der 75-Jahr-Feier der Stella Matutina 1931, zitiert in: Löcher (2008), S. 278. Vgl. Gehler, Michael: „Schuschnigg, Kurt Alois Josef Johann (Edler v.)“. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (2007), Bd. 23, S. 766f. u. Stimmer (1997), S. 749f. Siehe ebenso Löcher (2008), S. 326ff. Schuschnigg besuchte die Stella regelmäßig, auch noch als Kanzler. Löcher (2008), S. 328ff.
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2. Kindheit und Jugend
‚Anschluss‘ 1938 als potentieller Gegner des NS-Regimes verfolgt, wurde er Ende April 1945 als einer von 131 prominenten Häftlingen der SS nach Jahren Konzentrationslager-Haft in Südtirol befreit.133 Am 18. Juni 1918 wurde der inzwischen 16-jährige Bossi „auf uns.[eren] Wunsch abgemeldet“134 und verließ die Stella. Blöchlinger vermutet, dass es sich dabei „um eine höfliche Form der Entlassung“ gehandelt haben dürfte, „aus schulischen oder Internatsgründen. Entsprechende Angaben fehlen leider“135. Dennoch sei sein Betragen in der Stella „sehr gut“136 gewesen. BossiFedrigotti führte den Schulwechsel später auf die politische Situation zum Ende des Ersten Weltkrieges zurück. Schon seit 1902, womöglich auch bereits früher, arbeitete Vater Alfons als angestellter Generali-Oberinspektor. Gleichzeitig bekleideten er und seine Frau Ehrenämter in Toblach, zeigten sich als Ortspatrone und ließen sich regelmäßig bei gesellschaftlichen Ereignissen blicken. Anfang 1917 und noch einmal im Februar 1918 wurden gegen Graf Alfons Bossi-Fedrigotti zwei verschiedene Wechselklagen vor dem Kreisgericht Bozen geltend gemacht, die Forderungen von Gläubigern in Höhe von einigen Tausend Kronen verbrieften und die der Graf, zu der Zeit an der Front, anscheinend zu begleichen nicht imstande war.137 Es scheint, als seien die Finanzen der Familie sehr knapp bemessen gewesen. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg meldete sich ein ehemaliger Bataillonskamerad bei der Wiener Arbeiter Zeitung, der zu berichten wusste, dass Graf Alfons keineswegs als kämpfender Standschütze an der Front, sondern, „weil Grafen nicht in die Feuerlinie gehören“, als Kommandant der „Anbau- und Erntesektion Sexten“ Dienst tat, wo er auch das „Strafrecht über die Mannschaft mit ausgiebiger Macht ausübte“. Graf Bossi war zuständig 133
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Richardi (2005) insgesamt, hier besonders S. 184ff. Neben Schuschnigg befanden sich hier noch die Familie Stauffenbergs und Goerdelers, Alexander von Falkenhausen, Franz Halder, Léon Blum, Fritz Thyssen, Hjalmar Schacht und noch viele weitere bekannte Namen. E-Mail Dr. Alex Blöchlinger SJ an CP v. 15.01.2016, der auch die Transkription von „uns.“ in „unseren“ bestätigte. E-Mail Alex Blöchlinger SJ an CP v. 18.01.2016. Neben finanziellen Problemen der Familie könnte auch die Nichtanerkennung österreichischer Schulabschlüsse in Italien nach der Annexion ein Grund für den Schulwechsel gewesen sein. Das scheint jedoch im Juni 1918 noch in allzu weiter Ferne. Dem Südtiroler Zeithistoriker Leopold Steurer nach zu urteilen könne man mit „99,9% Sicherheit davon ausgehen, dass eine solche Anerkennung nicht gegeben war“. E-Mail Leopold Steurer an CP v. 05.07.2017. Vgl. E-Mail Alex Blöchlinger SJ, Stella Matutina, an CP v. 12.06.2017. Klassenkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1918/19, Notenübersicht Anton Graf Bossi-Fedrigotti I. u. II. Semester. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 25.11.2015. O. V.: „Edikt“. In: Der Bote für Tirol v. 24.02.1917, S. 2, u. 30.01.1918, S. 4.
2.3 Schulzeit
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für die Auszahlung der Löhne an etwa 80 Soldaten, zog ihnen jedoch einen Teil ab, angeblich um Gemüse zu kaufen. Dem nachgegangen, entdeckten Untergebene, dass er neun Mann der Einheit zu privaten Erntearbeiten unentgeltlich auf Schloss Herbstenburg abgesandt hatte und die Erträge in die eigene Tasche wirtschaftete. Diese Machenschaften, die offenbar nicht die einzigen blieben, gelangten zwar bis vor das Feldgericht Pustertal in Bruneck, doch was „dann mit dem Akt geschehen, ist in Dunkel gehüllt worden“138. Vordergründig gelang es der Familie aber noch, den Schein hochadliger Repräsentation aufrecht zu halten, während der Vater im entfernten Prag einer bürgerlichen Beschäftigung nachging.139 Die wahrscheinlich üppige Mitgift der wohlhabenden Goldegg-Lindenburgs reichte offenbar nicht aus, um die Lage dauerhaft zu stabilisieren. Der Versuch, sich am Bau des Grandhotels zu beteiligen, scheint vor diesem Hintergrund als Versuch auf, sich finanziell abzusichern. Möglicherweise reichten die wirtschaftlichen Mittel der Familie so also nicht mehr aus, um ihrem Sohn den luxuriösen Schulbesuch zu finanzieren. Anschließend wechselte Bossi als Schüler der siebten Klasse auf das k.k. Staatsgymnasium Neustift, ein Augustiner-Kloster in Brixen, und bezog in der Nähe eine Wohnung in einer Villa. Das war wahrscheinlich nur möglich, da die Bossis entweder den Eigner kannten oder da Neustift ein tendenziell weitaus geringeres Schulgeld einforderte. Hier blieb der Sohn bis zum Ende des achten Schuljahres.140 In der siebten Klasse absolvierte er die Fächer Deutsch, Italienisch, Griechisch, Religion, Geschichte, Geographie und philosophische Propädeutik mit ‚gut. Zum Halbjahr hatte er in den letzten vier Fächern noch auf ‚sehr gut‘ gestanden.141 In Latein, Mathematik, Physik und Chemie erreichte er nur ein ‚genügend‘. Der Versetzung in die achte Klasse stand nichts im Wege.142 Während Bossis Familie in Toblach am Ende des Ersten Weltkriegs turbulente Zeiten durchmachte, ließen seine Leistungen im Laufe des 138 139 140 141 142
Entnahmen aus: O. V.: „Der Graf bei der Erntesektion“. In: Arbeiter-Zeitung v. 12.01.1919, S. 6. Dass die Familie Zimmer in ihren Gästevillen vermiete, spricht ebenfalls für eng bemessene Finanzen. Bis 1924/25 führten die Brixener Augustiner Chorherren das Staatsgymnasium. Siehe E-Mail Hubert Mock, Stadtarchiv Brixen, an CP v. 11.01.2016. Er wohnte in der Villa ‚Edelweiß‘. Siehe O. V.: „Aus Stadt und Land“. In: Der Tiroler v. 15.11.1919, S. 3. Klassenkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1918/19, Notenübersicht Anton Graf Bossi-Fedrigotti I. u. II. Semester. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 25.11.2015. BF hatte das erste Halbjahr am 18. Februar 1919 erfolgreich abgeschlossen. Hauptkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1918/19, Zeugnis Anton Graf BossiFedrigotti, S. 25. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 25.11.2015.
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2. Kindheit und Jugend
vergangenen Schuljahres nach. Unter dem Titel „Ein gräflicher Hamster verhaftet“ berichtete die Tages-Post am 27. Februar 1919, dass „Graf Alfons Fedrigotti […] auf seinem Ansitze in Toblach“ von den Italienern verhaftet worden sei, da er „große Lebensmittelvorräte aufgestapelt hatte, deren Herkunft fraglich“ war; er „wurde gefesselt nach Trient gebracht“143. Doch nicht nur das: Die Zeitung Der Tiroler berichtete Mitte November 1919, Anton sei aus seiner Wohnung in Brixen Villa Edelweis, abgängig. Jeder, der seinen Aufenthalt weiß, wird dringend gebeten, dieses sofort der Familie in Brixen oder Toblach anzuzeigen, da seine arme Mutter in schwerster Sorge um ihn ist. Man weiß nicht, wohin er sich gewandt hat. Er hatte nur seinen Identitätsschein bei sich, außerdem war er mit grauem Mantel und Sportmütze bekleidet. Er ist 18 Jahre alt und studiert die letzte Klasse Gymnasium. Er hat sein Rad und einen kleinen braunen Koffer bei sich. Jedermann wird gebeten, diesbezügliche Nachrichten sofort einzusenden.144
Der Tiroler Anzeiger wusste noch zu ergänzen, dass er infolge von „Familiendifferenzen“145 Reißaus genommen hatte. Offenbar kehrte er jedoch wieder nach Brixen zurück.146 Der Reifeprüfung unterzog ich mich dann am Staatsgymnasium in Brixen, mußte aber die Prüfung, infolge der veränderten politischen Verhältnisse, bereits unter italienischer Schulleitung machen.147
Wie die Südtiroler Gesellschaft insgesamt, so bekam auch das Kloster Neustift erste Versuche italienischer Einflussnahme zu spüren.148 Ab 1920 „fanden in den Schulen zunehmend politische Veranstaltungen“149 statt, denen die Bevölkerung äußerst kritisch gegenüberstand. Doch das Stift sei, wie BozenGries und Marienberg, eines der „Bollwerke des Deutschtums“150 gewesen und vor der vollständigen Italianisierung verschont geblieben, so Historiker Rudolf 143 144 145 146
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O. V.: „Ein gräflicher Hamster verhaftet“. In: Tages-Post v. 27.02.1919, S. 5. Siehe auch O. V.: „Der ‚Graf von Toblach‘ verhaftet“. In: Tiroler Anzeiger v. 25.02.1919, S. 3. O. V.: „Aus Stadt und Land“. In: Der Tiroler v. 15.11.1919, S. 3. Weitere Nachweise zu BFs Ausreißversuch sind nicht bekannt. O. V.: „Südtirol“. In: Tiroler Anzeiger v. 15.11.1919, S. 4. Das belegen das Zeugnis und die Zahlung der Schulgeldes durch seinen Vater Alfons für beide Schulhalbjahre an das Kloster Neustift. Siehe Hauptkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1919/20, Zeugnis Anton Graf Bossi-Fedrigotti, S. 15. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 25.11.2015. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Vgl. Parschalk (2003), S. 225ff. Ebd., S. 227. Corsini/Lill (1988), S. 181.
2.3 Schulzeit
37
Lill. Nach dem Ende des ersten Halbjahres 1919/20 mussten die Neustifter Chorherren die Schulnoten bereits mit römischen Ziffern angeben und damit die „neuen, von Trient gewünschten Änderungen“151 einführen. Die Matura konnte man offenbar weiter ablegen, doch Graf Bossi-Fedrigotti erreichte den Abschluss nicht: In philosophischer Propädeutik stand er im Sommer 1920 nur noch auf ‚genügend‘, allein in Mathematik war er mit ‚nicht genügend‘ durchgefallen. Sein Abschluss wäre noch in greifbarer Nähe gewesen, aber „der Schüler hat die Klasse nicht vollendet, indem er sich der WiederholungsPrüfung aus Mathematik nicht unterzog“152. Im Schuljahr 1920/21 taucht er in den Katalogen der Schule nicht mehr auf.153 Auch auf dem Vinzentinum, dem damaligen zweiten in Brixen befindlichen Gymnasium, legte er keine MaturaPrüfung ab.154 Die Absolvierung der vorhergehenden Klassenstufen brachte ihm auch keinen niedrigeren oder Zwischenabschluss ein.155 Wenn er sich zu 151
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E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 03.02.2017 u. Klassenkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1919/20, Schüler Nr. 16, v. Bossi-Fedrigotti, Graf Anton. 1925/26 wurde die Schule im „Zuge der Italianisierung des Schulwesens durch das faschistische Regime“ geschlossen, „an seine Stelle trat ab dem Schuljahr 1925/26 das ‚Regio Liceo-Ginnasio Dante Alighieri‘“. E-Mail Hubert Mock, Stadtarchiv Brixen, an CP v. 11.01.2016. Vgl. auch Corsini/Lill (1988), S. 95, die die zunehmende Unsicherheit im südtirolischen Schulbetrieb 1919/20 erwähnen. Vgl. auch Parschalk (2003), S. 228f. Die ab 1922/23 einsetzende ideologische Beeinflussung durch das neue faschistische Regime erlebte Bossi nicht mehr. Handschriftliche Notiz im Hauptkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1919/20, Zeugnis Anton Graf Bossi-Fedrigotti, S. 15. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 25.11.2015. Dieser Eintrag ist nicht mit einem Datum versehen. Analog zum Zeugnis der siebten Klasse, das von Juni 1919 stammt, ist anzunehmen, dass das der achten Klasse von Juni 1920 stammt. Das Halbjahr hatte er am 28.02.1920 noch erfolgreich abgeschlossen. Siehe dazu Klassenkatalog des Gymnasiums Kloster Neustift 1919/20, Schüler Nr. 16, v. Bossi-Fedrigotti, Graf Anton. Auch hier ist zu lesen: „Der Schüler hat die Klasse nicht vollendet“. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 27.11.2015. Die Augustiner Chorherren mussten das Gymnasium Neustift im April 1925 schließen. Parschalk (2003), S. 237 u. 350. E-Mail Petra Fink, Schulsekretariat Vinzentinum, an CP v. 05.01.2016 u. Dr. Hubert Mock, Stadtarchiv Brixen, an CP v. 11.01.2016. Als Bossi-Fedrigotti 1939 kulturpolitischer Mitarbeiter beim Gauleiter Tirol-Vorarlberg, Franz Hofer, werden sollte, schrieb der zur Einstellung an das Reichsministerium des Innern, BF habe „das Gymnasium mit Reifeprüfung“ besucht. Möglicherweise vermied er bewusst den Terminus ‚Abschluss‘. Schreiben des Landeshauptmanns von Tirol an das Reichsministerium des Innern v. 18.12.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 11. Alex Blöchlinger (Stella Matutina) und Ursula Stampfer (Kloster Neustift) bestätigten, dass es zu dieser Zeit keinen automatischen Abschluss bei Absolvierung einer der Matura vorhergehenden Klassenstufe gab. E-Mail Alex Blöchlinger SJ an CP v. 12.06.2017 u. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 10.06.2017. Nur in der italienischen Militärpersonalakte BFs wird erwähnt, er besitze einen österreichischen
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2. Kindheit und Jugend
seiner Schulzeit äußerte, schien es ihm offenbar angebracht, wie in der oben angeführten Äußerung, dieses Detail unerwähnt zu lassen und die Aufmerksamkeit auf die politischen Maßnahmen der Italiener zu lenken. Einige kleine Details zum Schulbesuch in Brixen lassen sich noch in dem Artikel „‚Kürzlich … Herr Offizier!…‘“ aus dem Deutscher Soldatenkalender von 1956 finden. Bossi schildert das Wiedersehen mit Dr. Bernhard Sauter, einem seiner damaligen Schulkameraden.156 Sich selbst bezeichnete der Graf als lustlosen Schüler, dem der hochgewachsene Sauter, mit dem er in der letzten Reihe saß, einige Male geholfen habe. Eine Schularbeit ohne die durch den langgekrümmten Rücken abgedeckte Beihilfe unseres ‚Leuchtturms‘ war ebenso undenkbar, wie ein Überklettern der Mauer zum bischöflichen Obstgarten ohne Inanspruchnahme seiner hochgebetteten Schultern möglich gewesen wäre.157
2.4
Erster Weltkrieg: ‚Fronterlebnis‘, Generation und soziales Umfeld
Nach dem tödlichen Attentat eines serbischen Nationalisten auf das österreichische Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und Sophie erklärte ÖsterreichUngarn Serbien nach einer langen Folge von Ereignissen am 28. Juli 1914 den Krieg. Durch die Wirkung verschiedener innereuropäischer Bündnissysteme und kriegsbedingter Entwicklungen entfaltete sich daraufhin der später so genannte Erste Weltkrieg. Die Unterstützung des Deutschen Reiches hatten sich die Österreicher bereits zuvor gesichert. Russland stand den Serben zur Seite.158 Italien erklärte sich trotz ‚Dreibund‘ mit Österreich und Deutschland
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Schulabschluss aus dem Jahre 1919. „Studi regolari compiuti – studi militari“ (Reguläre (Schul-)Studien – Militärische Studien). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Unter den Mitschülern BFs fand sich allerdings kein Bernhard Sauter. Vgl. E-Mail Ursula Stampfer, Kloster Neustift, an CP v. 29.05.2017, die die Klassenverzeichnisse Neustifts von 1919 und 1920 durchsah. Gleichwohl könnte diese Figur ein real existierendes Vorbild besitzen. BF: „‚Kürzlich … Herr Offizier!…‘“. In: Damerau (1956), S. 82-87, hier S. 82. In der im Landesarchiv Berlin befindlichen Mappe mit Dokumenten zu BFs Einbürgerung werden auch fünf Zeugnisse, darunter drei Schulzeugnisse und der Geburtsschein erwähnt, die sich dort heute jedoch nicht mehr befinden. Wahrscheinlich waren sie ihm zurückgegeben worden. Vgl. Dokumentenumschlag, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 9. Leonhard (2014), S. 9ff., 29ff. u. 84ff. Vgl. Clark (2013), S. 578ff. u. 601f. Zum Beistand Russlands vgl. S. 603ff., 613ff. u. 647ff.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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neutral. Im Juli und August 1914 keimte über alle beteiligten Länder hinweg eine in der Intensität ungekannte Kriegseuphorie auf, die in der neueren Geschichtswissenschaft jedoch auch regional differenziert betrachtet wird.159 Man hatte scheinbar nur darauf gewartet, endlich losschlagen zu können.160 Die Deutschen hatten zuletzt 1871 einen klassischen Landkrieg geführt und in der Folge die nationale Einheit gewonnen. Der Krieg dürfte bei der Bevölkerung also durchaus als erfolgversprechendes politisches Instrument gegolten haben. Österreicher und Deutsche rechneten mit einem schnellen Sieg.161 Die Kriegsbegeisterung schwappte schon bald auch auf das Feldkircher Jesuitengymnasium über: In die stillen Sommerferien drang lauter Kriegsruf. Der Beginn des Schuljahres und sein ganzer Verlauf stand unter dem Zeichen des Krieges. Das Schuljahr wurde wegen der Reiseschwierigkeiten einen Tag später als angekündigt […] am 17. Sept. mit einem feierlichen Heiliggeistamt eröffnet.162
Die Geschehnisse spiegelten sich stark in Veränderungen des Unterrichts wider: Die kriegerischen Ereignisse des Berichtsjahres blieben nicht ohne Einfluss auf die körperliche Erziehung. Alles Sinnen und Trachten der Schüler war auf das Militärische gerichtet. […] Vermehrte Marschübungen, häufigere Kriegsspiele, im Winter Bau von Schneeburgen und Schützengrabenanlagen, die verteidigt und erstürmt wurden, alles dies brachte den Schülern den Ernst der Gegenwart nahe und wies sie hin auf die Aufgabe, die die Zukunft ihnen stellte.163
Pflichterziehung und Vaterlandsbezug, Willen und Kraft, an die Schuschnigg sich in seinem zitierten Brief von 1931 erinnerte, erfuhren nun anscheinend ihre Erfüllung. Bald sank die Zahl der internationalen Schülerschaft infolge der Ereignisse von 430 auf 370.164 Einige Kandidaten legten noch eine ‚Kriegsmatura‘ ab, bevor sie von hier aus direkt in den Krieg zogen. Briefe eingerückter Schüler unterstrichen das Bild der militarisierten Schule: „Der Körper war abgehärtet und gewöhnt – ein glänzender Erfolg der Feldkircher körperlichen Erziehung“165. Jeder würde „der Stella dankbar sein, wenn Verweichlichung 159 160 161 162 163 164 165
Überegger (2007), S. 119 u. Peukert (1997), S. 34f. Vgl. u. a. Clark (2013), S. 613. Forcher (2014), S. 102f. Schorer (1915), S. 34. Löcher (2008), S. 291, zitiert hier Provinzarchiv Zürich (PAZ), Jahresbericht über die Klassen der ‚Deutschen Abtheilung‘ 1914/15, S. 31f. Ebd., S. 290f. Ebd., S. 296, zitiert hier PAZ, Aus der Stella Matutina 4 (1915), S. 17.
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2. Kindheit und Jugend
in Feldkirch nie geduldet wurde“166. Die Nebengebäude der Schule wurden schnell zu einem Lazarett umfunktioniert. Auch die Feierlichkeiten zum Namenstag des österreichischen Kaisers Anfang Oktober 1914 standen beinah ausschließlich unter den neuen Eindrücken: Die vorgetragenen Lieder, Gedichte und Märsche galten dem Kaiser und dem gewaltigen Existenzkampf der beiden Kaiserreiche, denen die Schüler dieser Anstalt fast zu gleicher Zahl angehörten. Zahlreiche verwundete Soldaten aus den Lazaretten der Stadt wohnten der Feier bei.167
Isidor Hopfner, Bossis Deutschlehrer, leitete 1914 die Dezemberausgabe der schuleigenen Publikation Aus der Stella Matutina mit dem Gedicht „Das Duett“ ein. Die vierte Strophe verdeutlicht die Zeichen der Zeit: Gab’s je reineren Klang? Tönte so frohen Muts, Scholl so siegesgewiß, jauchzte so opferfroh Je des Kriegers Fanfare Rollend über den Erdball hin!168
Bossi-Fedrigotti erlebte am Jesuiteninternat nicht nur Kriegsbegeisterung und -spiele, offizielle „Exerzierübungen für die Stellaner“, militärische Vorausbildung und erste Verwundete, sondern befasste sich auch im Deutschunterricht mit literarisch-hermeneutischer Kriegslegitimierung. Thema des Schuljahres 1916/1917, in dem der inzwischen 15-Jährige die 5. Klasse besuchte, waren „Pflug und Schwert“, 1917/1918 „‚Schön ist der Friede, doch auch der Krieg hat seine Ehre‘“ sowie „Der deutsche Soldat in ‚Minna von Barnhelm‘“169. Ob im Unterricht, in den Pausen, bei allen Feierlichkeiten und zu jeder anderen Gelegenheit: Während des Schuljahres war der Krieg für Bossi-Fedrigotti omnipräsent und die Frontbewährung erstrebenswertes Ziel aller Anstrengungen. Die Schüler waren aus den Ferien zur Stella zurückgekehrt, als der Krieg bereits ausgebrochen war. Das neue Schuljahr begann am 17. September 1914. In den Ferien, knapp einen Monat zuvor, waren in Toblach die zwei 1906 aufgestellten Regimenter Landesschützen zum Ausmarsch angetreten.170 Dieses 166 167 168 169 170
Stella Matutina (1931), S. 313. Ebd., S. 35. Hopfner, Isidor: „Das Duett“. In: Aus der Stella Matutina 3 (1914), Titelblatt. Entnahmen aus: Löcher (2008), S. 292ff. Gietl (2015), S. 4 u. Forcher (2014), S. 46. Die österreichische Armee hatte schon im ersten Kriegsmonat 1914 enorme Verluste hinnehmen müssen. Erfordernisse moderner Kriegsführung hatten sich bei den k.u.k. Generälen erst spät durchsetzen können: In dichten Reihen stürmten die Österreicher ohne Stahlhelme in hellen Uniformen gegen russische Maschinengewehre vor. Tiroler Kaiserjäger und Landesschützen hatten schnell „rund
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
41
Ereignis hat Bossi höchstwahrscheinlich persönlich miterlebt.171 Bei Beginn des Krieges knapp 13 Jahre alt, im November 1918 schließlich 17-jährig, wurde er nicht mehr zum Kriegsdienst herangezogen. Dabei hatte er seit seiner Kindheit „den Wunsch, Soldat zu werden“172. Dieses Motiv sollte sich einige Jahre später, nun wesentlich stärker ausgeprägt, bei Bossi wiederfinden. Dem Einsatz war er dabei offenbar nur knapp entgangen: „Ich bin damals im Jahr 1918 noch gemustert worden […]“173. Seinem Alter entsprechend wäre es möglich gewesen, dass er an der Tiroler Front, dem ‚Landlibell‘ folgend, als Standschütze eingesetzt worden wäre. Dabei handelte es sich um eine von 1511 bis 1918 gültige Vereinbarung, die alle Tiroler zwischen 16 und 50 Jahren dazu aufrief, ihre von Feinden bedrohte Heimat zu verteidigen.174 Als vierzehnjähriger Junge erlebte ich vom Jahre 1915 an den Krieg aus unmittelbarer Nähe in meinem Heimatorte. Während der Ferien hatte ich öfters Gelegenheit bis in die Stellungen hinauszukommen und so prägten sich bei mir jene Eindrücke aus der Tiroler Front und vom Zusammenbruch Österreich-Ungarns ein, die dann zur Niederschrift meiner Kriegs- und Nachkriegsromane führten.175
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zwei Drittel ihres Bestandes durch Tod, Verwundung, Krankheit oder Gefangenschaft eingebüßt“. Ebd., S. 72f. Sofern man BFs Die alte Fahne (1940) als teilautobiografischen Text versteht, erlebte er am 18. August den Aufmarsch der kaiserlichen Truppen in Toblach mit. Vgl. S. 7. BF an SS-Brigadeführer Stahlecker, Inf. Abt. AA, v. 16.05.1941, PA AA, R 60704. Einige Texte gehen darauf ein, dass BF doch noch als Soldat am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, so u. a. Langenbucher (1941), S. 601, Kutzbach (1950), S. 417 u. Theil (1983), S. 207. Diese Annahme wird vermutlich ohne weitere Überprüfung in Wolfram (2010), S. 291, und auch noch aktuell von Lungershausen (2017), S. 230, übernommen. Von einem Einsatz BFs an der Tiroler Front des Ersten Weltkrieges geht auch Franz Lennartz (1984), S. 230, fälschlicherweise aus. Vgl. auch Greinz, Hugo: „Bossi-Fedrigotti“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 04.08.1938, S. 3. Siehe auch Neitzel (2014), S. 23: „In Deutschland konnten sich im Laufe der 1920er Jahre die extrem nationalistischen Deutungen durchsetzen und damit auch die Vorstellung, dass der Weltkrieg deshalb verloren gegangen sei, weil man ihn nicht radikal genug geführt habe. Träger solcher Interpretationen waren vor allem die jungen Frontkämpfer und jene, die für den Fronteinsatz noch nicht alt genug gewesen waren. Aus beiden Kohorten rekrutierte sich der harte Kern der NS-Bewegung. Als Politiker, Militärs und Verwaltungsbeamte führten diese Männer wenige Jahre später ihren Krieg mit einer ganz anderen Radikalität und um ungleich radikalere Ziele“. „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Auch in seinem teilautobiografischen Die alte Fahne (1940) beschrieb er die Musterung 1918. Vgl. Bossi-Fedrigotti, Standschütze Bruggler (1934), S. 5. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton.
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2. Kindheit und Jugend
Anfang 1915 hatte das kleine Toblach bereits 17 Männer zu beklagen, „die Blut und Leben dem Vaterlande geopfert haben“. Im Ort befand sich ein „Genesungsheim für verwundete und kranke Krieger; fünfhundert sind untergebracht in der Kaserne, in Villa ‚Bristol‘ und in den Villen des Grafen BossiFedrigotti“176 – dem knapp 14-jährigen Familienspross dürfte das Lazarett gut bekannt gewesen sein. Im Laufe des Jahres wurde in London die geheime Vereinbarung getroffen, Südtirol (und weitere Gebiete) nach einem Sieg der Entente Italien zuzusprechen, um den neutralen Staat zum Kriegseintritt zu bewegen.177 Viele Österreicher hatten den südlichen Nachbarn auch schon zuvor misstrauisch beäugt.178 So stand Toblach seit Mai 1915 unter Beschuss italienischer Truppen – eine „scharfe Zäsur“179 in der Wahrnehmung der dortigen Bevölkerung. Wesentlich für die Kriegsbedeutung des kleinen Ortes war die Eisenbahn. Sie konnte nun dazu dienen, sowohl Truppen an die Front zu transportieren als auch dem Gegner zu helfen, schnell bis nach Wien oder Süddeutschland vorzudringen. Da die italienischen Geschosse gelegentlich den vor der Herbstenburg liegenden Friedhof trafen, musste auch die gräfliche Familie in der Angst leben, unmittelbar beschossen zu werden. „Wie dann mein Heimatdorf Kriegsgebiet wurde, blieb ich bei meiner Mutter daheim […]“180, erklärte Bossi später. Die Verteidigung übernahmen zunächst nur die Standschützen, deren „Ausmarsch […] im Jahre 1915“ zu seinen „größten Erlebnissen“181 zählte, und der sich auch sein Vater als Standschützenleutnant anschloss. Schon 1913 waren die Mitglieder der Schießstände, die Standschützen und Veteranenverbände, gesetzlich zu „‚landsturmpflichtigen Körperschaften‘“182 erklärt worden. Bei Kriegsbeginn wurden sie zunächst gemustert. Angesichts der desolaten Kriegslage Österreich-Ungarns traten schon bald weitere Jahrgänge zum regulären Kriegsdienst an, wodurch sich die Reihen der letzten 176
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Entnahmen aus: O. V.: „Briefe aus Nah und Fern“. In: Tiroler Volksbote v. 15.01.1915, S. 7 u. O. V.: „Nachrichen aus Tirol“. In: Bozner Zeitung v. 04.01.1915, S. 4. Der Volksbote war die bis 1918 meistgelesene Zeitung des Landes. Vgl. Forcher (2014), S. 111. Dass adlige Familien ihre Häuser und Schlösser für karitative Zwecke zur Verfügung stellten, war keine Seltenheit. Die Presse und dann auch die Bevölkerung in Deutschland forderten nach Kriegsbeginn 1914 schnell, dass auch die Adligen ihren Anteil zu leisten hätten. Die begriffen schnell: „je größer das eigene Krankenhaus, umso prestigeträchtiger für die Familie“. Urbach (2016), S. 89. Latour (1962), S. 10, Forcher (2014), S. 126f. u. Steininger (2004), S. 31. Überegger (2007), S. 119 u. 126ff. Ebd., S. 136. Bossi-Fedrigotti: „Anton Graf Bossi Fedrigotti“. In: Ziesel (1940), S. 72. Entnahmen aus: Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Forcher (2014), S. 155.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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Tiroler Landesverteidiger weiter lichteten und sowohl immer ältere als auch jüngere Männer sich als Standschützen eintragen ließen oder lassen mussten.183 Die Eintragung führte allerdings zu einer „Landsturmpflicht“ und konnte zur Folge haben, zum regulären Einsatz einberufen zu werden. So hielten sich manche zunächst noch mit ihrer Meldung zurück. Angesichts des Bündnisbruchs Italiens hatten es die „Propagandisten“ dann „leicht“184, für die Landesverteidigung zu werben.185 Als besonders heroisches und unbeugsames Vorbild nutzte man nun den ‚Volkshelden‘ Andreas Hofer (1767-1810), der, ursprünglich Wirt, Bauer und Händler, gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Volksvertreter im Passeiertal auftrat und 1809 den Aufstand der Tiroler gegen die Franzosen und Bayern am Berg Isel in Innsbruck anführte. Auch Bossi sollte sich später mehrfach literarisch mit ihm auseinandersetzen. Dem Historiker Laurence Cole nach zu urteilen lieferte die Geschichte Hofers und die des antinapoleonischen (und antibayerischen) Tiroler Aufstands später „den Stoff für den Mythos, auf dem die Deutschtiroler Massenidentität aufbaute“186. Diese konnte den Militärs bei Beginn des Weltkrieges 1914 von Nutzen sein. Hofer wurde vom Anführer einer Rebellen-Erhebung zum Volkshelden, Märtyrer, Nationalsymbol und Identitätsanker mystifiziert, vor allem durch seine Hinrichtung 1810 und die von Kaiserjägern initiierte Umbettung seiner Gebeine 1823 von Mantua nach Innsbruck.187 Schon unmittelbar nach seinem Tod avancierte er zum Dramenprotagonisten und Gedichts-Sujet. Doch erst seit etwa 1880 begann die eigentliche Verwandlung des Hofer-Bildes im öffentlichen Diskurs, „als die Interessen der katholisch-konservativen Eliten Tirols sich stärker mit denen der Zentralregierung in Wien deckten“ und gemeinsame nationalkonservative Vorbilder zunehmend Konjunktur hatten. Er diente fortan sowohl als Symbol für den katholisch-kaisertreuen, kämpferischen Österreicher als auch als Projektionsfläche für den lokalpatriotischen Tiroler, der seine Heimatregion vor dem intensiven Zugriff Wiens schützen wollte. Noch vor 1900 entstanden bereits zwei Hofer-Denkmäler, davon eines am Berg Isel bei Innsbruck. Hofers Aufstand geriet allerdings auch 183 184 185 186 187
Ebd, S. 157. Entnahmen aus: Ebd., S. 159. Vgl. Überegger (2007), S. 122 u. 129f. Cole (2000), S. 225. Vgl. Parschalk (2017), S. 303f. Ebd., S. 243ff. Überhaupt spielten die Tiroler Kaiserjäger bei der Metamorphose Hofers zum Helden eine entscheidende Rolle. Vgl. S. 265ff. Über Hofers Vorgeschichte ist recht wenig bekannt. Reale Ereignisse und militärisch notwendige Verteidigungsmaßnahmen konnten so leicht glorifiziert, idealisiert und politisiert werden. Vgl. auch Mertelseder/ Mazohl/Weber (2009), S. 151.
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2. Kindheit und Jugend
zunehmend im Interpretationsrahmen „der deutschen Befreiungskriege“ zu einem deutschen Kampf „gegen alles ‚Welsche‘“188 und Französische.189 Dass man auch gegen die Bayern gekämpft hatte, verblasste daneben. Zur 100-JahrFeier des Aufstands war sein Name bereits über alle politischen Parteien und Gruppen hinweg „‚ein Bekenntnis, ein Programm geworden‘“190. So konnten er und sein Freiheitskampf im Ersten Weltkrieg mit geringem Aufwand (vor allem ab 1915) „bis zum Überdruss strapaziert“191 werden, auch um die Tiroler „Wehrhaftigkeit“192 hervorzuheben. Mithilfe solcher Propagandamaßnahmen erhielten die Standschützen massiven Zulauf auch von sehr alten und sehr jungen Männern, die zum Teil unter 16 oder über 70 Jahre alt waren. Doch der oft „hervorgehobene Anteil der Standschützen, die das 19. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten“, betrug laut dem Historiker Michael Forcher, der eine Stichprobe in den originalen Bataillonsakten vornahm, nur „knappe 10%“193. Häufig wurden die insgesamt bis zu 20.000 Männer wohnortnah eingesetzt.194 Ihre Offiziere und Unteroffiziere wählten sie sich in alter Tradition selbst. Die Dienstränge deckten sich allerdings überwiegend mit deren gesellschaftlicher Stellung. Die Wahl fiel oft auf „anerkannte und in Führungspositionen bewährte Persönlichkeiten“195. Österreich-Ungarn versäumte es nicht, die Standschützen in ihrer Uniform bei Journalistenbesuchen vor der hübschen Dolomitenkulisse entsprechend in Szene zu setzen. „Auch davon rührt ein Gutteil des Standschützenmythos“196 – von Generalisierungen und Übersteigerungen bis hin zu Fehlinterpretationen. Wie schon Bossis Lehrer Hopfner mit seinem Gedicht zeigte, stimmten zahlreiche Schriftsteller, der Buchmarkt insgesamt, in den PropagandaKriegsgesang ein – auch in Tirol. 188 189 190 191 192 193 194 195 196
Entnahmen aus: Ebd., S. 226 u. 267. Zur Verwandlung der Wahrnehmung Hofers siehe auch Parschalk (2017), S. 305ff. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 139ff. Cole (2000), S. 227, zitiert hier von Reden, Kurt: „Die Kaiserfeste in Tirol. Andreas Hofer in den Volksschauspielen“. In: Neue Freie Presse. Abendblatt v. 26.08.1909, S. 1f. Vgl. auch Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 195ff. Forcher (2014), S. 275. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 205. 2009 widmete DIE ZEIT Hofer eine ganze Themenseite in der Rubrik ‚Zeitläufe‘. Sein Aufstand bewege „bis heute“. Mittermaier, Karl: „‚I wer enk nit verlass’n!‘“ In: DIE ZEIT v. 08.04.2009, S. 80. Entnahmen aus: Forcher (2014), S. 163. Ebd., S. 161. Ebd., S. 164. Diese Wahlen hatten ernste Spannungen mit dem regulären Militär zur Folge. Dort brauchte man auch nach Fortbildungen und Lehrgängen noch Jahre, um in diese Ränge befördert zu werden. Ebd., S. 169.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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Spricht man von Kriegsdichtung in Tirol, drängt sich ein Name auf: Bruder Willram, Pseudonym für den Geistlichen Anton Müller. Geboren 1870 in Bruneck aus armer Handwerkerfamilie, war er nach Studium in Brixen, Priesterweihe und kurzem Theologiestudium in Rom von 1904 bis 1933 Religionslehrer an der Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck. Er starb 1939, kirchlich und weltlich hochgeehrt (Päpstlicher Hausprälat, Ring des Landes Tirol). Seine Kriegslyrik, in zwei Sammlungen 1915 und 1917 veröffentlicht, berührt alle Themen der tirolischen (und österreichischen) Kriegsdichtung, ausgenommen Not und Zusammenbruch.197
Willram, ein Militarist und Rassist, „der während des Ersten Weltkrieges zu den schlimmsten Kriegsdichtern in Tirol gehörte“198, habe in seinen Textsammlungen aggressiv und pathetisch Themen wie Krieg, Heldentum, die Ablehnung der ‚fremden Moderne‘ und die ‚heilige Pflicht‘ zum Kämpfen aufgegriffen, Hohelieder auf Waffen, Tirol, kriegsdienende Priester und den Schutz der Heimat verfasst – und gleichzeitig Bezug auf Andreas Hofer und 1809 genommen. Sein Freundeskreis gründete schon 1924 den „‚Bruder-WillramBund‘“199, in dem Anton Graf Bossi-Fedrigotti später Mitglied wurde.200 Mehr als 60 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs erinnerte sich der Toblacher in einem ORF-Interview zu seinem 80. Geburtstag an die Tage des Kriegsbeginns: Während des Ersten Weltkrieges war ich lange Zeit Zuhause und war nach der Kriegserklärung Italiens in Toblach. Und ich hab damals als junger Bursch von 14 Jahren die ganzen Ereignisse miterlebt und mitempfunden und wir haben als junge Burschen natürlich viel mehr Eindrücke gesammelt als zum Beispiel die Soldaten. Wir haben also damals miterlebt, wie die Standschützen aufgerufen worden sind, wie die Standschützen an die Front gegangen sind bei uns im Pustertal und wie die ersten Kämpfe stattgefunden haben am Monte Piano im Drei-Zinnen-Gebiet und das sind alles Eindrücke gewesen, die man nie vergisst. Denn wir haben natürlich jedes Gespräch von Soldaten mitangehört und 197 198 199 200
Feichtinger (2013), S. 304. Vgl. auch Forcher (2014), S. 278. Schon im Ersten Weltkrieg erschienen später so genannte ‚Feldpostausgaben‘. Buchhandlungen in Frontnähe und Bücherwagen versorgten die Soldaten mit Lesestoff. Ebd., S. 305ff. Vgl. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 218ff. u. Riedmann (2001), S. 201. Ebd., S. 323, zitiert hier Dolomiten Nr. 59 v. 12.03.2001, S. 18. „Mitgliederbuch Bruder-Willram-Bund Innsbruck“. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliotheksbestand lin.m.Reg. A/5, 1/2 L. BF wird hier in zwei Mitgliedsbüchern unter der Nummer 286468 als Schriftsteller geführt. Als Adresse ist die Conradstraße, Hausnummer 4, in Innsbruck angegeben. Da er dort Mitte der 1960er Jahre wohnte, dürfte er zu diesem Zeitpunkt auch dem Bund beigetreten sein. Weitere Unterlagen zu Bossis Mitgliedschaft ließen sich nicht ermitteln. Vgl. E-Mail Peter Wackel, Einwohnermeldeamt Innsbruck, an CP 11.11.2010. In Bruneck gibt es bis heute die Kindertagesstätte ‚Bruder Willram‘ und die ‚Bruder-Willram-Straße‘.
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2. Kindheit und Jugend gesehen, wie drüben in den Stellungen geschossen worden ist und das sind Eindrücke, die wir nicht vergessen haben.201
„Also die Italiener hätten, wenn sie es gewusst hätten, dass es so dünn besetzt war, ohne große Schwierigkeiten einrücken können bei uns“. Angst habe die Bevölkerung nicht gehabt. Ich kann mich noch lebhaft erinnern, ich war bei meiner Mutter, dort sind die ersten Bayern gekommen vom deutschen Alpenkorps. […] Die Bevölkerung hat’s natürlich dann, wie das Militär gekommen ist, das deutsche Militär, da war eine absolute Beruhigung, weil wir gesagt haben, jetzt kommen die Italiener nicht mehr so leicht herein.202
Tatsächlich trafen schon im Mai 1915 deutsche Gebirgseinheiten ein, jedoch nur eine Division (ca. 26.000 Mann, überwiegend Bayern), die sich aufgrund des formal weiter herrschenden Friedens zwischen Deutschland und Italien zunächst zurückhielt.203 Schnell entwickelte sich ein gutes Verhältnis zwischen Tirolern und Bayern, die „‚Monate gemeinsamer Kämpfe hatten uns fester aneinandergekettet [sic!], als wir je hätten vermuten können‘“204. An der Spitze dreier Bataillone des bayerischen Infanterie-Leibregiments stand der Münchner Oberstleutnant Franz Xaver Ritter von Epp, später FreikorpsAnführer und Reichsstatthalter der NSDAP in Bayern.205 Einer seiner Untergebenen war Ferdinand Schörner, der noch im April 1945 als Generalfeldmarschall testamentarisch von Hitler zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt wurde und mit dem Bossi offenbar persönlich bekannt war.206 Mitte Mai 1915 „wurde sein Regiment in die Dolomiten verlegt, wo er zum Kompanieführer aufstieg […]“207. An der Gebirgsfront erreichte er einen wichtigen militärischen Erfolg, als er mit seiner Kompanie bereits am ersten Tag der Isonzoschlacht 1917 das stark von den Italienern befestigte Kolovrat-Gebirge überwand, wofür er die höchste preußische Tapferkeitsauszeichnung, den Pour 201 202 203 204 205 206
207
„Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Entnahmen aus: Ebd. Forcher (2014), S. 176ff. Ebd., S. 193. Ebd., S. 180. 1892 geboren und in München aufgewachsen, leistete Schörner von 1911 bis 1912 Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger und war 1913 schon Vizefeldwebel der Reserve. Bei Kriegsbeginn 1914 diente er als Leutnant unter Epp. Vor allem dessen „nationalkonservative Einstellung […] bildete die Grundlage für Schörners spätere nationalsozialistische Gesinnung“. Schönherr (1998), S. 498 u. 501. Steinkamp (2015), S. 507. Vgl. auch Schönherr (1998), S. 499.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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le mérite, erhielt.208 Neben den Deutschen waren bis Oktober 1915 auch einige tausend österreichische Soldaten in Toblach eingetroffen, dazu Arbeiter und Pferde.209 Durch Stellungen an den Gemeindegrenzen, italienischen Beschuss (bis September 1916 „pro Tag etwa 10 Granaten schwersten Kalibers“210) und die angerückte Entourage der k.u.k. Kriegsmaschine glich der kleine Ort nun einem Kriegsschauplatz. „Je nachdem, ob der Krieg aktiv mitgemacht oder ob er nur passiv erlebt wurde“, trennten „absolute Jahrgangsgrenzen“ die Generationen. Daher kann kein Zweifel darüber bestehen, dass „das Bewußtsein aller Zeitgenossen der Weltkriege von diesen geprägt worden ist“211. Das war schon den in der Zwischenkriegsphase Lebenden bewusst: Das für die seelische Formung unserer Generation zweifellos bedeutsamste generationsbildende Moment ist nun aber das in unserem Falle ganz einzigartige ‚Kraftfeld eines gemeinsamen starken Jugenderlebens‘ in Weltkrieg, Umsturz und Kulturkrise. Dies […] ist ein Ereignis von so einschneidender Bedeutung, daß es nicht nur umstürzend und verwirrend, sondern auch in stärkstem Maße generationsbildend und generationsscheidend gewirkt hat.212
Bestimmte Ereignisse werden von einer Generation bei annähernder Altersgleichheit und ähnlicher „sozio-kulturelle[r] Ausgangslage“213 „vergleichbar erfahren“ und „innerhalb der Gruppe in weitgehend verbindlichen Überzeugungen und Verhaltensmustern“214 verarbeitet. Der Blick auf die 208 209
210 211 212 213
214
Schönherr (1998), S. 500. Neben Epp und Schörner waren auch Erwin Rommel und Friedrich Paulus an diesem Frontabschnitt eingesetzt. Vgl. Forcher (2014), S. 180 u. 356ff. u. O. V.: „Das Eichenlaub für General Schörner“. In: Bozner Tagblatt v. 23.02.1944, S. 1. Gietl (2015), S. 5. Täglich wurden 5.000 Brote gebacken. In Lagerhallen stauten sich 2.200 Liter Wein und 400.000 Portionen Soldatenverpflegung. Im November 1917 endete die unmittelbare Frontstellung Toblachs nach der Niederlage Italiens „von Karfreit/ Kobarit/Caporetto“. Vgl. Forcher (2014), S. 96f. u. 215ff. Ebd., S. 5. Entnahmen aus: Koselleck (1992), S. 324 u. 327. Vgl. Gründel (1932), S. 13 u. Autsch (1999), S. 64f. Gründel (1932), S. 22. Kroener (1994), S. 224. Zur Ausgangslage zählen auch politische und weltanschauliche Makrobedingungen im Hinblick auf den gesellschaftlichen Handlungsrahmen und Mikrobedingungen bezogen auf das eigene Umfeld und die eigene Familie. Zur Altersgleichheit vgl. S. 228: „Geht man davon aus, daß der Sozialisationszeitpunkt und damit verbunden der spezifische Erlebnis- und Erfahrungshorizont einer herkunfts- wie ausbildungsmäßig einigermaßen homogenen Gruppe Einstellung und Verhalten ihrer Angehörigen maßgeblich beeinflußt, so kann das Lebensalter durchaus als Kriterium einer sozialen Binnendifferenzierung herangezogen werden“. Entnahmen aus: Kroener (1994), S. 224. Vgl. Gründel (1932), S. 7.
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2. Kindheit und Jugend
generationelle Prägung, eine Bündelung von „Individualerfahrungen“, kann helfen, „strukturelle Ausformungen eines ‚Zeitgeistes‘ einer Epoche – oder eben einer ‚Generation‘ – einigermaßen verbindlich“ zu fixieren, „um auf diese Weise Kollektivphänomene“215, auch Kriegsnarrative kenntlich zu machen.216 Jahrgang 1901, gehörte Bossi-Fedrigotti als einer der Älteren der sogenannten „Kriegsjugendgeneration“217 an, geboren zwischen 1900 und 1910, die im Normalfall den Weltkrieg und dessen Folgen bewusst wahrnahm, aber nicht mehr zum Kampfeinsatz kam.218 Anders als später Geborene erlebte er nicht nur vornehmlich negative Seiten des Krieges, sondern zuvor auch noch Euphorie, Siege und Hoffnungen. Die „Prägekraft“ dieser Phase konnte „verschieden dosiert [sein, je nachdem], ob die Kriegserfahrungen in früher Jugend, im heranwachsenden Alter oder im Zustand des Erwachsenseins oder im hohen Alter gemacht“219 wurden. Zwar noch gemustert, aber nicht mehr eingesetzt, stand Bossi unmittelbar auf der Schwelle zur „jungen Frontgeneration“220. Dass er auch in späten Lebensjahren noch auf die Musterung und sein Fronterleben hinwies, lässt darauf schließen, dass er sich selbst zeitlebens als Frontbewährten betrachtete; und da dies nicht den Tatsachen entsprach, akzentuierte er Fronteindrücke, die speziellen Tiroler Kriegsverhältnisse (Landlibell usw.) und die Musterung umso stärker. Er wollte dazugehören. Später rechtfertigten führende Nationalsozialisten ihren Herrschaftsanspruch mit der legitimierenden Teilnahme am Krieg. Aus den NichtTeilnehmern gingen allerdings die „radikalsten Parteifunktionäre“221 hervor. Zentral für das Erleben, Aufnehmen und Verarbeiten des Krieges waren in diesem Fall bewusstseinsprägende, sozialisierende Vorerfahrungen; sowohl Militär als auch generationsübergreifendes, adlig-kollektives Kriegs- und Krieger-Gedenken hatte Bossi in Kindheitstagen bereits kennengelernt. Außerdem trugen „Literatur, Kunst und Kino“222 ihren Teil bei. Die Berührung mit der Front des Weltkrieges hinterließ bei ihm tiefe Spuren und beeinflusste sein schriftstellerisches Wirken erheblich: Das Kriegserlebnis wurde „für die Vorlage verschiedener Themen, die ich später als Schriftsteller behandeln 215 216 217 218 219
220 221 222
Entnahmen aus: Ebd., S. 223. Vgl. dazu auch Todero (2015), S. 239. Vgl. Todero (2015), S. 240. Gründel (1932), S. 24. Penning (2015), S. 59. Vgl. zur Kriegsjugendgeneration auch Herbert (1996), S. 43. Entnahmen aus: Koselleck (1992), S. 327. Kroener (1994), S. 224, geht davon aus, dass es eine generationsbildende Phase zwischen dem 16. und 22. Lebensjahr gibt, womit die Definition einer bestimmten Generation eine spezifische Einschränkung erfährt. Die Entstehung dieser Einteilung führt er nicht weiter aus. Gründel (1932), S. 23. Römer (2017), S. 47. Todero (2015), S. 240.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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sollte, maßgebend […]“223. Statt Kindheitserinnerungen in „buntfarbig verschiedener Umwelt“, blieben für diese Generation die gleichen Kapitelüberschriften: Kriegsbegeisterung 1914; Siegesschulfeiern und Heeresberichte; […] Hunger, Not und Entbehrungen […]. Schließlich: Zusammenbruch der Welt der Väter […]; Umsturz […]; dann schwerer Berufs- und Lebenskampf gleich nach der Schulentlassung … usw.224
Für Bossi kommt hinzu, dass er den Krieg als Teil einer frontnahen „Grenzlandjugend“ erlebte. Bei dieser habe, nach Ernst Günther Gründel, das „Heimaterlebnis des Krieges bis zu besonderen Tiefen vordringen“ und erst Jahre später „dann eine tiefe, reine, jetzt erst ganz bewußte Liebe zu dieser Heimat“225 emporwachsen können. Ob das Ende des Weltkrieges als Untergang oder Aufbruch wahrgenommen wurde, konnte im Übrigen ebenfalls eine Generationenfrage sein.226 Oft bedeutete es für die älteren einen Weltuntergang, für die jüngeren das Ende der alten Welt.227 Für sie waren schon in jungen Jahren „Volk, Nation und die bösen Feinde […] aktivste Faktoren“ in der sonst „harmlosen Kindheit“228. Dem südtirolischen Germanisten und Historiker Josef Feichtinger nach zu urteilen ist Bossi durch dieses Erleben zum „Kriegstreiber auf Lebenszeit“229 geworden. Tatsächlich handeln viele seiner Texte vom Ersten Weltkrieg, dessen Folgen (insbesondere für Südtirol), von militärischen Einheiten und verlorener, bedrohter Heimat. „Als Sohn erbeingesessener Südtiroler Eltern“ sei er „frühzeitig mit dem Tiroler Wesen und den sich im Grenzland abspielenden Kämpfen des Weltkrieges vertraut“230 gewesen, bestätigte das Reichspropagandaamt Tirol-Vorarlberg im Juni 1939 dem Goebbels’schen Propagandaministerium. Franz Hofer, NSDAP-Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, beschrieb Bossis Prägung: Dem damals 14 jährigen Jungen bot sich daher die Gelegenheit, wiederholt bis in die österreichischen Stellungen zu gelangen, in denen die Tiroler Standschützen den Heimatboden gegen den Feind zäh und tapfer verteidigten. Die Eindrücke, 223 224 225 226 227 228 229 230
Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Entnahmen aus: Gründel (1932), S. 32. Vgl. dazu speziell für Tirol Überegger (2007), S. 135. Entnahmen aus: Ebd., S. 35. Für Österreich galt das gewissermaßen schon vorher, als Bollwerk wahlweise gegen die Osmanen oder Slawen – und das dadurch auch immer wieder bestärkte Sendungsgefühl der Deutschösterreicher. Fellner (1998), S. 402. Malinowski (2003), S. 220f. Ebd., S. 206, 219ff., 260f. u. 597ff. Vgl. Gründel (1932), S. 39. Entnahmen aus: Gründel (1932), S. 33. Feichtinger (2013), S. 396. Der Sozialisationseffekt trotz der Nicht-Teilnahme an den unmittelbaren Kämpfen ist bei BF nicht zu unterschätzen. Vgl. auch Römer (2017), S. 43. RPA Tirol-Vorarlberg an RMVP v. 20.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 21f.
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2. Kindheit und Jugend die sich hierbei dem Jungen einprägten, waren bestimmend für die weitere Entwicklung des jungen Mannes. Sie fanden ihren Niederschlag sowohl in seinem späteren politischen Wirken, wie in seinen Werken als Schriftsteller.231
In diesen Jahren erfuhren Österreich und Deutschland ihr engstes Zusammenstehen seit Jahrzehnten, die Erfüllung mancher pangermanischer Träume. Während des Waffenganges dürften deutschösterreichische Soldaten aufgrund gemeinsamer sprachlicher, kultureller und historischer Prägungen tendenziell einen engeren Bezug zu ihren deutschen Verbündeten als zu Soldaten anderssprachiger Landesteile gehabt haben. Im österreichischungarischen Vielvölkerstaat brodelte es zunehmend. Auch die Superioritätshaltung der Deutschösterreicher, über Jahrhunderte kolportiert und eingeübt, führte bis zuletzt zu Problemen mit anderssprachigen Gebieten des Staates und kulminierte schließlich im Weltkrieg, während verschiedene ethnische Gruppen noch Seite an Seite kämpften und einzelne k.u.k. Staatsgebiete gleichzeitig ihre Unabhängigkeit erklärten. Alte Gräben und nur oberflächlich verheilte Wunden rissen wieder auf, nationale Stereotype wurden verstärkt. In die Hochphase der gefühlten deutschen Vereinigung schlug die schmerzliche Niederlage ein, das Ende der Monarchie, Revolution und Unsicherheit. Am 3. November 1918 schloss Österreich-Ungarn den Waffenstillstand mit der Entente. Die Zeitungen berichteten schon kurz darauf in überheblicher, nationalistischer und kulturchauvinistischer Weise von wilden ‚Horden‘ zurückkehrender Soldaten, Brandschatzungen und Scharmützeln.232 „Angesichts des Zurückflutens des aufgelösten Heeres“ wurde auch Toblach und Umgebung „‚schwer in Mitleidenschaft gezogen […], indem disziplinlose tschechische, südslawische und ungarische Soldaten zahlreiche Häuser plünderten und ausraubten‘“233. Möglicherweise hatte Bossi solche Szenen miterlebt, von ihnen zumindest (auch aus solchen Zeitungsberichten) erfahren. Kriegsende und Versailler Vertrag von 1919 führten schon für das Deutsche Reich zu empfindlichem Gebiets-, Ansehens- und Bedeutungsverlust. Die Deutschösterreicher jedoch traf es härter, besonders die Tiroler, auch infolge des im September des Jahres geschlossenen Vertrages von St. Germain. Der große Staat, Österreich-Ungarn, existierte nicht mehr.234 Viele ehemals darin vereinten Volksgruppen erklärten ihre staatliche Unabhängigkeit. Einige
231 232 233 234
Antrag Franz Hofer an Reichsminister des Innern v. 30.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 1. Stein (2002), S. 36. Entnahmen aus: Feichtinger (2013), S. 354. Vgl. Steininger (2004), S. 15. Siehe dazu auch Germann (2011), S. 222f., Stein (2002), S. 32f. u. Forcher (2014), S. 410.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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besetzten zwischenzeitlich deutschsprachige Landesteile.235 Die meisten Deutschösterreicher, die bis dato führende Schicht, fanden sich nun in einem Restrumpfland wieder, politisch, wirtschaftlich, militärisch und geografisch weitgehend unbedeutend. Hier entstand die Erste Republik Österreichs.236 Den geplanten Staatsnamen, ‚Deutschösterreich‘, verboten die Alliierten. Die Forderung nach einem Anschluss an den Nachbarn im Norden indes blieb allgemeiner Konsens.237 „Eine deutschnationale Grundstimmung“ herrschte „in verschieden großem Ausmaß in allen Parteien vor“238. Mit dem Blick auf die Superiorität der Deutschösterreicher, die sie über einhundert Jahre und teilweise länger gezeigt hatten, bedeutete dieser Abstieg einen besonders demütigenden und schmerzlichen Fall. Für die Tiroler entwickelte sich die Talfahrt jedoch steiler. Südtirol wurde 1918 von italienischen Truppen besetzt und im Vertrag von Saint-Germain endgültig dem Königreich Italien zugesprochen.239 Am 6. September 1919 stimmte die österreichische Nationalversammlung in Wien dem „Diktat“ zu. „Die Tiroler Abgeordneten beteiligten sich zum Zeichen des Protestes nicht an der Abstimmung“240. Der Südtiroler Rechtsanwalt und Abgeordnete Eduard ReutNicolussi erhob in dieser Sitzung zum Abschied sein später vielfach zitiertes Wort: ‚Gegenüber diesem Vertrag haben wir mit jeder Fiber unseres Herzens, in Zorn und Schmerz nur ein Nein! Ein ewiges, unwiderrufliches Nein! (Stürmischer Beifall im ganzen Haus, in den auch die dichtgefüllten Galerien einstimmen). […] Es wird jetzt in Südtirol ein Verzweiflungskampf beginnen, um jeden Bauernhof, um jedes Stadthaus, um jeden Weingarten. Es wird ein Kampf sein mit allen Waffen des Geistes und mit allen Mitteln der Politik. Es wird ein Verzweiflungskampf deshalb, weil wir – eine Viertelmillion Deutscher – gegen vierzig Millionen Italiener stehen, wahrhaft ein ungleicher Kampf.‘241
Und „in der Tat zerschnitt ja die Brenner-Grenze eine in Jahrhunderten gewachsene historische, kulturelle und wirtschaftliche Einheit“242. Die Annexion trat am 10. Oktober 1920 in Kraft. Das vom damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson erklärte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ als „Grundlage künftiger 235 236 237 238 239 240 241 242
Stein (2002), S. 33f. Vgl. auch Stekl (2004), S. 101. Ebd., S. 43f. Vgl. ebd., S. 33 u. 44 u. Luther (2004), S. 24. Schreiber (2008), S. 69. Steininger (2004), S. 31. Vgl. Pallaver (2011), S. 13ff.Vgl. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 210. Entnahmen aus: Ebd., S. 36. Ebd., S. 36f., zitiert hier Reut-Nicolussi (1928), S. 30. Wedekind (2003), S. 38.
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2. Kindheit und Jugend
Friedensverhandlungen“243, an das sich die Südtiroler noch klammerten, kam hier nicht zum Zuge. „Die Bevölkerung […], in der k.u.k. Monarchie noch Teil der staatstragenden Nationalität der Deutschen“, sank durch die Abtrennung und Annexion „plötzlich in den Status einer kleinen ungeschützten Minderheit ab“244. Auf der Talsohle angekommen, bedeutete das besonders für die adligen Südtiroler, darunter auch die Grafen Bossi, nicht länger in ihrem „geschlossenen Ökosystem“245 bleiben zu können, wie ihre Standesgenossen im alten Österreich. Die Gefahr, die Balance zu verlieren und in wirtschaftliche Schieflage zu geraten, stieg. Die Südtiroler wurden (formal im Dezember 1920) zu italienischen Staatsbürgern.246 Damit änderte sich für die Menschen vor allem der je staatlich individuelle, gesellschaftliche Wertehorizont, den zuvor österreichisch geprägte Kirchen, Verbände, Gruppen und Parteien bestimmt hatten. Sie alle umgrenzten den „Raum des Bewußtseins“247. Für die Südtiroler herrschte nun der Kriegssieger, der (zwar zunächst noch nicht unmittelbar, doch infolge einer langen Reihe von Entwicklungen rund um die Friedensvertragsverhandlungen 1918-1920) ein Interesse daran entwickelte, aus Südtirol eine italienische Provinz zu machen – in Fortsetzung Tolomei’scher Politik. Der Adel in Deutschland wie in Österreich erlebte die Niederlage und das Ende der Monarchie als Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Viele hochadlige Großgrundbesitzer hatten sich bis 1918 an „einer gegenüber der Krone loyalen, zentralistischen Politik“ orientiert, „die das Deutschtum als Garant für den Zusammenhalt des Reiches betrachtete“248. Die deutsch-österreichische Allianz wurde dabei maßgeblich durch „eine Handvoll ‚großdeutsch‘ denkender Hochadliger“249 gestützt. Das war im eng mit den deutschen Häusern verbundenen, österreichischen Hochadel keine seltene Erscheinung. Doch der Kaiser als Spiegel, Projektionsfläche und Vorbild und mit ihm die zutiefst ritualisierte ständische Gesellschaft, waren nun quasi über Nacht verschwunden.250 Die Versorgung weiter (männlicher) Kreise durch den traditionellen Militärdienst fiel ersatzlos weg (auch wenn die Adligen in den Führungsriegen überrepräsentiert blieben). Nicht selten waren Familie und Besitz plötzlich von einer Staatsgrenze zerschnitten – viele Adlige in Nordwie Südtirol erlebten dieses Schicksal. Klöster und Stifte, prägend für den 243 244 245 246 247 248 249 250
Entnahmen aus: Steininger (2004), S. 31. Entnahmen aus: Heiss (1999), S. 59. Urbach (2016), S. 84. Parschalk (2003), S. 349. Koselleck (1992), S. 327. Entnahmen aus: Stekl (2004), S. 29. Urbach (2016), S. 54. Vgl. Steininger (2004), S. 17.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
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adligen Damennachwuchs, schlossen251; alles in allem fing sie nur das Netz des konservierten sozialen Milieus auf. Man traf allerdings „Vorkehrungen zur Erhaltung des ökonomischen, sozialen und symbolischen Kapitals“252. Die Bedeutung der „Zäsur von 1918/19“ ist daher „für die Sozialgeschichte des Adels kaum zu überschätzen“253. Zu unterscheiden sind in diesem Stand „mehrere nach rechtlichem, politischem und gesellschaftlichem Status variierende Gruppen“, in Österreich-Ungarn zusätzlich zu differenzieren durch die kulturell unterschiedlich geprägten Gebiete. Trotz freigebiger Nobilitierungspolitik (1701 bis 1918: „12.408 Standeserhöhungen“) hatte der österreichische Geburtsadel, etwa 300 bis 400 Fürsten- und Grafenfamilien (darunter auch die Bossi-Fedrigottis), seine vorrangige Stellung in Gesellschaft und bei Hof bis 1918 halten können. Durch den Erwerb der Landstandschaft in verschiedenen Ländern, durch Verheiratung, ihre Bindung an den Hof sowie eine gemeinsame, höfisch geprägte Kultur und spezifische, konservative Mentalität bildeten sie eine homogene soziale Gruppe, welche ihre gesellschaftliche Exklusivität bis zum Ende der Monarchie behielt.254
Der Adel – nach 1918 „politisch in sich aufgesplittert“ – war nicht bereit oder fähig, „von seinem Glauben an das ‚alte Recht‘ und an den Vorrang traditioneller Herrschaft Abschied zu nehmen“255. Da kam es manchen durchaus recht, dass politisch rechtsgerichtete Parteien bereits von einem neuen, elitären Führertum sprachen. Ehemals einflussreichen, nicht selten antidemokratisch eingestellten Familien, die sich naturgegeben zu Höherem berufen fühlten, dürfte diese Vorstellung geschmeichelt haben.256 Mit den Völkischen überschnitten sich im Adel bereits während des wilhelminischen Kaiserreichs partielle Interessen, schon bei latentem Antisemitismus wie auch bei militaristischen Tendenzen.257 Große nationalkonservative Agitationsverbände wie der 251 252 253 254 255 256 257
Malinowski (2003), S. 200f. u. 260f. Stekl (2004), S. 106. Er bezieht sich zur Einordnung soziologischer Erklärungsmuster regelmäßig auf Bourdieu. Entnahmen aus: Malinowski (2003), S. 597. Die häufig wohlhabenden, süddeutschen und österreichischen Hochadelsfamilien schafften es dennoch, ihren Lebensstandard mehr oder weniger zu halten. Stekl (2004), S. 15f. u. 102. Entnahmen aus: Ebd., S. 33. Malinowski (2003), S. 100f., 104ff. u. 115ff. Ebd., S. 101f. u. 187f. u. Seidl, Claudius: „Wir waren alle im Widerstand. Die Rolle des Adels im ‚Dritten Reich‘“. In: FAZ v. 20.07.2010. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/die-rolledes-adels-im-dritten-reich-wir-waren-alle-im-widerstand-11011821-p3.html?printPaged Article=true#pageIndex_3 [Zugriff: 20.02.2017]. Richard Walther Darré führte zum Adel
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2. Kindheit und Jugend
‚Flottenverein‘, in dessen österreichischem Ableger auch Bossi-Fedrigottis Vater 1911 Mitglied wurde, waren wichtige Wegbereiter einer „politischen Radikalisierung des Adels“258, die sich nach 1918 angesichts der Kriegsfolgen fortsetzte. Im Kaiserreich Österreich und den übrigen Gebieten des Deutschen Bundes, später dem Deutschen Reich, hatte sich der Adel seit etwa der ‚Revolution‘ von 1848 nach und nach vom aufstrebenden, bildungshungrigen Bürgertum abgewandt, ihnen das städtisch-gesellschaftliche Leben überlassen und sich aus den typischen Adelsdomänen des Militärs und Staatsdienstes auf Güter und Schlösser zurückgezogen.259 Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts galt Teilen des Adels und auch der ‚Neuen Rechten‘260 das „bildungsbürgerliche Instrumentarium“, auch die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs, häufig als obsolet: Entweder man besaß den „angeborenen Zugang zur Wahrheit“261, war in aristokratische Strukturen hineingeboren worden oder dort Teil der arischdeutschen, die Normen definierenden Herrenrasse, oder nicht.262 Durch
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(und seiner NS-Instrumentalisierung) aus: „Der Wesensinhalt des echten deutschen Adelsbegriffes im germanischen Sinne ist bewußt gezüchtetes Führertum auf Grund ausgelesener Erbmasse“. Darré (1930), S. 11. Der Eintritt Alfons’ in den Flottenverein ist verzeichnet in O. V.: „Letzte Nachrichten.“ In: Wiener Salonblatt v. 07.10.1911, S. 16. Auch im Deutschen Flottenverein waren katholische Mitglieder des Hochadels keine Seltenheit. Viele Mitglieder der großen Verbände waren Adlige. Vgl. Malinowski (2003), S. 177ff. Stekl (2004), S. 30f. „Zwischen 1848 und 1914 sank der Anteil von Hoch- und Altadel an der Spitze des Offizierkorps von 56 auf 14%“. Unter ‚Neuer Rechter‘, auch ‚konservative Revolution‘ (Breuer (1993), s. u.), werden seit der Endphase des Kaiserreichs existente, heterogene Strömungen zusammengefasst, in der sich je nach Forschungsstand Völkische, Nationalrevolutionäre, Jungkonservative, teilweise auch Bündische und die Landvolkbewegung wiederfinden. Bekannte Autoren waren u. a. Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Wilhelm Stapel, Ernst Niekisch uvm., in der späten Legitimierung auch Armin Mohler. Siehe Malinowski (2003), S. 175f. u. Breuer (1993), S. 1ff. Der fasst die konservative Revolution auch als „Ensemble von Orientierungsversuchen und Suchbewegungen in der Moderne“ zusammen, die „zwar dem von Aufklärung und Liberalismus geprägten mainstream [Hervorhebungen im Original] opponieren, dabei aber so tief von dem für die Moderne typischen Voluntarismus und Ästhetizismus durchdrungen“ waren, dass von Konservatismus keine Rede sein konnte. Breuer (1993), S. 5. Der gemeinsame Nenner der ‚Neuen Rechten‘ sei in der „Kombination von Apokalyptik, Gewaltbereitschaft und Männerbündlertum“ (zu der auch die SA zu zählen ist) zu suchen gewesen. Vgl. ebd., S. 47. Entnahmen aus: Malinowski (2003), S. 86. ‚Arisch‘ bezeichnet den Anfang des 18. Jahrhunderts aus dem indisch-iranischen Raum entlehnten Begriff für ‚Edler‘, ‚arya‘, der sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts stark verbreitete und, „‚zunächst nur als Bezeichnung einer [indogermanischen] Sprachgruppe gedacht gewesen‘“ war und aus der nun eine „‚volkliche Urrasse konstruiert‘“ wurde. Der Begriff ‚Arier‘ wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts Synonym für die weiße,
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
55
eigene Leistungen Teil der Gruppe zu werden, war nicht möglich. Aufklärung und Rationalität traten bei Adel und Rechten in den Hintergrund. Die Geburt, das Geschlecht, der Charakter, bedingt durch ‚artgleiches‘ Blut, bestimmte, wer dazu gehörte – ein trennscharfes ‚Wir‘ versus ‚Ihr‘.263 Die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) hatte bereits 1920 „demonstrativ einen Arierparagraphen für ihre Mitglieder“ eingeführt, nachdem Edelleuten zuvor seit Ende des 19. Jahrhunderts vorgeworfen worden war, sie hätten mit „rassisch unreinen“ Heiraten ihr „‚Zuchtideal‘“264 verloren. DAG-Ziel war es, aus „dem Adel einen rassereinen, schollenverbundenen und industriefeindlichen Kampfverband“265 zu formen. Bei Neurechten und ebenso bei wirtschaftlich schlecht bis mittelmäßig situierten Aristokraten galten ländliche Schlichtheit und Kargheit in einer „antimaterialistischen Symbolwelt“ zunehmend als romantisiertes Ideal reinen menschlichen Daseins – eine oft aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit geborene, vor allem im preußischen Kleinadel zur „Tugend verklärte Knappheit“266. Für beide Gruppen war wahrer Reichtum zwischen artgleicher Abstammung und aufrechter Haltung bereits in der Existenz des Gruppenmitglieds angelegt und damit schlicht vorhanden.267 Die gewisse Skepsis gegenüber allzu eifrigen Bildungsaufsteigern, gepaart mit der „Kultur der Kargheit“, bildeten einen beliebten Topos der Neuen Rechten und bedingte eine „destillierte ästhetische Opposition gegen den Bourgeois“, die an den „Großteil der kleinadligen Denk- und Sprachwelten anschlußfähig“268 war; dazu gehörten eine starke sprachliche Emotionalität, aufgeladene Metaphern von ‚Schlachten‘ gegen die Republik („Schützengrabenstil“269), Militär- und Reiterbilder sowie Pferdemetaphern und auch ein allgemein gefasster, sprachlicher Heroismus.270
263 264 265 266 267 268 269 270
„höchststehende, schöpferischste Rasse […], denen die Germanen am nächsten verwandt seien“, wenig später schon in krasser Abgrenzung zu den Juden. An der Spitze der Arier ordneten sich die Deutschen, darunter auch Hitler in Mein Kampf, selbst ein. SchmitzBerning (2007), S. 54ff. Vgl. Stekl (2004), S. 106. Entnahmen aus: Urbach (2016), S. 86. Vgl. Malinowski (2003), S. 109. Zur Deutschen Adelsgenossenschaft ebd., S. 145ff. u. zum ‚Arierparagraphen‘ S. 336ff. Malinowski (2003), S. 179. Vgl. auch S. 334: Die DAG organisierte darüber hinaus Tagungen ‚Jungadliger‘, auf denen sogar der einflussreiche Rassetheoretiker Hans F. K. Günther auftrat, um den Nachwuchs ideologisch zu schulen. Vgl. S. 371. Ebd., S. 93. Vgl. ebd., S. 93ff. Hierbei handelt es sich vor allem um eine im Kleinadel häufig anzutreffende Form aristokratischer Existenz. Entnahmen aus: Ebd., S. 95. Ebd., S. 597. Ebd., S. 498f. Vgl. Klemperer (2015), S. 11ff. Heroismus, so Klemperer, sei nach 1945 spezifisch nationalsozialistisch und militaristisch geprägt gewesen. Aus der Antike stammend
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2. Kindheit und Jugend
Daneben betonte man körperliche und charakterliche Härte, Zähigkeit und eine klaglose Haltung im beruflichen wie privaten Leben, wiederum als ritterliche Opposition zu bürgerlicher (oft mit städtisch-jüdischem Leben gleichgesetzter) Empfindsamkeit, Weichlichkeit, Dekadenz.271 Noch etwas verband den Adel mit den Völkischen (und später mit den Nationalsozialisten): Seit der russischen Märzrevolution 1917 gewann der Antibolschewismus an Bedeutung, besonders nach der Absetzung und Ermordung des Zaren. Die davon ausgehende Strahlwirkung versetzte viele mitteleuropäische Adlige in Angst und Schrecken.272 Mit dem Rückzug ins Heimatlich-Ländliche und dessen Überbetonung, mit antisemitischen, antibolschewistischen und biologistisch-blutbestimmten Tendenzen, der Idealisierung natürlichen Führertums und mit militaristischen Vorstellungen waren schon weit vor 1933 die Grundlagen dafür gelegt, dass sich einige Aristokraten nach dem kriegsbedingten Verlust der wichtigsten „ideologischen und politischen Orientierung“ den Nationalsozialisten, auch an prominenter Stelle, anschließen würden. Das galt auch für adlige Schriftsteller: Für manche in diesem Sinne sozialisierte, auch generationell geprägte Autoren, war die Hürde zur Andienung und Anpassung der eigenen Produktion an nationalsozialistisch-ideologische Stoffe möglicherweise nicht allzu hoch. Der Historiker Stephan Malinowski bemüht für das Maß der Anpassung eine Metapher des Soziologen Theodor Geiger: Die Haut als Mentalität behielt man bei, der Mantel als Ideologie war wechselbar. Fatal wirkte der Adel nicht dort, wo er seine alten ideologischen Kleider auftrug, sondern dort, wo auf die ‚Haut‘ des Herrschafts-Habitus die ‚Gewänder‘ der Neuen Rechten gestreift wurden.273
Für den österreichischen Adel kamen mit dem Ende der Monarchie noch einige Spezifika dazu. In der Ersten Republik, die er „mit meist unverhüllter Ablehnung“ betrachtete, trat er als quasi-ständische Korporation […] nur als ‚Vereinigung katholischer Edelleute‘ an die Öffentlichkeit […], die mehrere karitative Aktionen und publizistische Aktionen setzte. In politischer Hinsicht entwickelte sie ein zunehmendes Naheverhältnis zu den Christlichsozialen, empfahl die Unterstützung entpolitisierter
271 272 273
habe er ursprünglich Taten eines Heros zum Wohle der Gemeinschaft bzw. der Menschheit beschrieben. Ebd., S. 98ff. Urbach (2016), S. 159ff. Zur Angst vor dem Bolschewismus, die Adel und NSDAP näher zueinander brachte, vgl. auch S. 213f. Malinowski (2003), S. 298.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
57
Heimwehren und plädierte für eine harmonisierende Durchdringung der Gesellschaft durch beispielhafte Pflichterfüllung im jeweiligen individuellen Tätigkeitsbereich.274
Jahrhundertelang gelebte konservative, katholisch geprägte Werte sollten eine gewisse Stabilisierung herbeiführen und den Staat retten, allerdings nicht uneigennützig, wie Restaurationsversuche im Ständestaat zeigten.275 Die Entwicklung ist im Vergleich zu Deutschland durchaus divergent. In Österreich überwog das klerikale Element, später eine Grundlage des antibolschewistischen, „paternalistisch grundiertem“276 Austrofaschismus. Besonders schmerzlich aber wog das „Gesetz vom 3. April 1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden“277. Seit dessen Inkrafttreten ist das Führen von Adelstiteln in Österreich verboten; in Deutschland sind sie in der Weimarer Republik Bestandteil des Nachnamens geworden.278 Nicht einmal mehr der Titel wies nun auf die hochwohlgeborene Vorgeschichte hin; aber auch das rüttelte freilich nicht daran, dass der Adel faktisch eine soziale Elite blieb.279 Das Gesetz führte bis in jüngste Vergangenheit immer wieder zu Initiativen, die Titel wieder zu legitimieren. Bossi-Fedrigottis Enkel, Markus Norman-Audenhove bzw. Markus Graf von Norman und von Audenhove, Freiherr Achaz, Jäger von Waldau, spielte hier Anfang der 2000er Jahre eine aktive Rolle, mit der sich sogar das österreichische Parlament auseinandersetzte.280 Es blieb dabei: Bis heute darf der ehemalige Titel in Österreich nicht im Namen geführt werden. 274 275 276 277 278 279 280
Stekl (2004), S. 33 u. 106. Ebd. u. S. 116f. Rüdiger Fürst Starhemberg, Führer der paramilitärischen Heimwehr, soll einer Restauration der Habsburger positiv gegenüber gestanden haben. Der ‚Anschluss‘ Österreichs an Deutschland im März 1938 setzte solchen Plänen ein Ende. Ebd., S. 118. „Gesetz vom 3. April 1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden“. In: Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, 71. Stück, 211/1919, S. 514f. Vgl. zum ‚Habsburger Gesetz‘ Stein (2002), S. 41, Aretin (1994), S. 40 u. Malinowski (2003), S. 202. Vor allem als Distinktionsmerkmal blieb der Titel als Namensbestandteil in Deutschland erhalten. Vgl. Aretin (1994), S. 35 u. Stein (2002), S. 41. BFs Enkel Markus Norman war 2004/2005 an der Gründung des Vereins ‚Vereinigung der Edelleute Österreichs (V.E.Ö.)‘ beteiligt, der es sich zum Ziel setzte, die ehemaligen Adelstitel als Namensbestandteile in Österreich führen zu dürfen: „Es ist doch traurig, dass ich nicht meinen ganzen Namen führen darf, den jeder meiner Vorfahren seit Jahrhunderten getragen hat, sagt der Volksschullehrer Thomas Norman-Audenhove. Sein Bruder Markus geht einen Schritt weiter: Das Tragen seines richtigen Namens ist ein Menschenrecht, behauptet der Jus-Student, und wird jedem EU-Bürger in den restlichen EU-Mitgliedsstaaten gesetzlich gewährt. Das lassen wir uns nicht nehmen. Wir
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2. Kindheit und Jugend
Den 1919/20 zu Italienern gewordenen Südtiroler Edelleuten war es, wie Bossi-Fedrigottis Papiere aus den 1920er Jahren zeigen, im Königreich Italien grundsätzlich weiterhin möglich, die Adelstitel zu führen, jedoch nur in der ungeliebten italienischen Übersetzung: Conte Antonio Bossi-Fedrigotti di Campobove.281 Wie wichtig ihm das Führen seines vollständigen deutschen Namens war, sollte sich Anfang der 1930er Jahre zeigen. Bossi-Fedrigotti nahm das Ende des Ersten Weltkrieges mit allen Folgen höchstwahrscheinlich als größte Demütigung und Ungerechtigkeit seines Lebens wahr. Neben wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Familie, dem unmittelbaren Kriegserleben und der Sozialisierung als Jugendlicher an der Front, dem teilzerstörten Heimatdorf und dem Verlust der Monarchie, in der er in prägenden Jugendjahren aufgewachsen, ständisch abgesichert und sozialisiert worden war, wurde seine (bis zuletzt verteidigte), stark deutschösterreichisch geprägte Heimat einer kulturell anders geprägten Nation zugeschlagen, die schon weit vorher territoriale Ansprüche erhoben hatte und nun die Beute einstrich. Die neuen Herren machten keinen Hehl aus dem Ziel der Entnationalisierung Südtirols. Die Annexion verkraftete Bossi zeitlebens nicht.282 Der Umgang der neuen Machthaber mit den Südtirolern trug sicherlich dazu bei. Möglicherweise hätte Bossi in Italien ein Leben ohne besondere Repressalien führen, auch seinen Titel in italienischer Übersetzung weiterführen können. Mussolini hatte den anderen europäischen Ländern gezeigt, wie es möglich war, den Adel in ein autokratisches System zu integrieren.283
281 282
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werden so lange kämpfen, bis man im EU-Land Österreich seine Titel wieder offiziell verwenden darf“. Siehe Sylvia Steinitz: „Aristokratie: Die Blaublutgruppe“. In: profil. Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs v. 07.11.2005. http://www.profil.at/home/ aristokratie-die-blaublutgruppe-125324 [Zugriff: 07.01.2017]. Dieser Artikel und die Vereinsgründung waren darüber hinaus Anlass für eine parlamentarische Anfrage (3742/ J XXII. GP) von SPÖ-Abgeordneten an die österreichische Bundesinnenministerin Ende 2005. Siehe https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXII/J/J_03742/imfname_054561. pdf [Zugriff: 07.01.2017]. Weitere Informationen zum Verein und Markus Normans Tätigkeit liegen nicht vor. Passaporto per l’estero (Pass für das Ausland) v. 15.09.1925, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Für viele Adlige bedeutete die Aberkennung der Titel einen „partiellen Identitätsverlust“. Stekl (2004), S. 106. Das zeigt BF auch in seinem ORF-Radiointerview. In Südtirol und dem Trentino sind ihm vor allem Spuren deutscher und österreichischer Prägung wichtig. Die alten Menschen hegten nach seiner Aussage gute Erinnerungen an Österreich-Ungarn. Vor allem seien die später Italien zugeschlagenen Landstriche zu der Zeit staatlich und amtlich besser organisiert gewesen. „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Urbach (2016), S. 11.
2.4 Erster Weltkrieg: Front, Generation und soziales Umfeld
59
Zwar gehörte Bossi zur ehemals herrschenden deutschen Schicht in Südtirol, die die Italiener mit allen Mitteln entmachten wollten. Doch die Vorgeschichte seiner Familie hätte er leicht nutzen können, um sich als Landsmann zu präsentieren, insbesondere da er (wenn auch nur entfernt) allem Anschein nach mit dem italienischen Königshaus verwandt war.
Kapitel 3
Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland 3.1
Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark
Anders als viele erstgeborene Söhne Adliger rückte Bossi-Fedrigotti zunächst nicht in den Staatsdienst oder zum Militär ein.1 Diese Erb-Systematik war durch das Ende des Kaiserreiches und die Annexion Südtirols ohnehin in Schräglage geraten. Militärdienst hätte für ihn nämlich nun bedeutet, in der italienischen Armee zu dienen. Doch zunächst sollte er als einziges Kind offenbar die Nachfolge seines Vaters in der Verwaltung des Besitzes antreten. Die Beherrschung landwirtschaftlicher Kenntnisse sollte dem zugutekommen. Ohne Schulabschluss begann Bossi-Fedrigotti also im Sommer 1920 eine Ausbildung als landwirtschaftlicher Volontär auf dem uckermärkischen Gut HansKarl Friedrich von Arnims in Züsedom, Kreis Prenzlau.2 Aus Bossis Zeit in der Uckermark ist wenig bekannt, lediglich, dass er währenddessen Verbindungen zur „Schwarzen Reichswehr“3 und den Völkischen 1 Vgl. Malinowski (2003), S. 39. 2 Hans-Karl Friedrich von Arnim, geb. 25.11.1885 in Züsedom, gest. auf der Flucht in Güstrow/Mecklenburg am 29.04.1945. Arnim war 1920 Besitzer des Guts Züsedom. Vgl. E-Mail Jasper von Arnim an CP v. 27.04.2015. Der kleine Ort gehörte bis 1952 zunächst zu Preußen, dann zu Brandenburg und ist heute Teil der Gemeinde Rollwitz (Amt Uecker-Randow-Tal) in Mecklenburg-Vorpommern. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5, Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über BFs Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 1 u. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Das Gut Züsedom bestand aus einem Gutshaus, Nebengütern und 1.500 Hektar Land. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Besitz enteignet, zum Teil abgerissen und dem Verfall preisgegeben. Der Sohn des ehemaligen Besitzers, Claus von Arnim (geb. 1928), erhielt die Ländereien im Rahmen des Entschädigungsgesetzes nach der Wiedervereinigung zurück. Vgl. E-Mail Jasper von Arnim an CP v. 27.04.2015 u. Lehmann, Manfred: „Der Engel aus Sande. Claus von Arnim hilft der Heimat“. In: Wilhelmshavener Zeitung v. 27.07.2013, S. 12. Die heute zuständige Einwohnermeldestelle im Amt Uecker-Randow-Tal meldete sich zur Anfrage des genauen Meldezeitraums BFs nach mehrfachen Anfragen nicht zurück. 3 Die ‚Schwarze Reichswehr‘ waren paramilitärische, antirepublikanische Verbände in der jungen Weimarer Republik, eine Art ‚Untergrundarmee‘, die enge Verbindungen zur Reichswehr hatte, von dieser unterstützt wurde und sich aus ehemaligen Freikorpskämpfern zusammensetzte. Vgl. Hürter (2006), http://www.sehepunkte.de/2006/11/9365.html [Zugriff: 07.08.2011].
62
3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
geknüpft haben will.4 Auf dem Gut sei es üblich gewesen, dass Volontäre für zwei bis drei Jahre tätig gewesen seien, so der Sohn Hans-Karls, Claus von Arnim. Zur Zeit seiner Geburt (1928) seien jedoch keine Volontäre mehr in Züsedom eingestellt worden.5 In Adelskreisen, die in wirtschaftliche Schieflage geraten waren, kam es nicht selten vor, dass Söhne während der Ausbildung von anderen, wohlhabenderen aristokratischen Familien versorgt wurden.6 Möglicherweise hatten die Bossi-Fedrigottis mit den Arnims eine entsprechende Vereinbarung getroffen. 1931 wusste der Amtsvorsteher von Züsedom zu bestätigen, dass der junge Graf zwischen 1920 und 1922 dort gelebt hatte.7 Bossis neue Verbindungen, die er in dieser Zeit nach eigenen Angaben geknüpft hatte, könnten im Zusammenhang mit einer Teilnahme am KappLüttwitz-Ludendorff-Putsch im März 1920 stehen. In der Zeitung Der Montag erschien am 23. März 1936 ein Artikel mit der Behauptung, Bossi-Fedrigotti habe „in den Reihen des Bataillons Hoffmann […] beim Kapp-Putsch“8 gekämpft. Dazu waren jedoch keine weiteren Hinweise zu ermitteln. Die Mitgliedschaft in einem Freikorps gehörte allerdings „für viele Adlige nach dem
4 Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 15. 5 Telefonat Claus v. Arnim mit CP v. 02.07.2015. Auf die Frage hin, ob er etwas von Verbindungen der Familie oder des Guts zu Völkischen oder Verbänden der ‚Schwarzen Reichswehr‘ wusste oder gehört hatte, gab er zu verstehen, dass sein Vater Hans-Karl immer ein sehr vorsichtiger Mensch gewesen sei, auf keinen Fall ‚Nazi‘. Der habe sich nie einer politischen Richtung besonders angenähert. 6 Malinowski (2003), S. 272. 7 Claus von Arnim hielt es für ausgeschlossen, dass noch auf anderem Wege etwas über BFs Zeit in Züsedom herauszufinden wäre. Der Name des Südtirolers sagte ihm nichts. Telefonat Claus v. Arnim mit CP v. 02.07.2015. Die Bestätigung des Amtsvorstehers stammt aus den Unterlagen des Landesarchivs Berlin über die Einbürgerung Bossis 1932. Der Amtsvorsteher von Züsedom an Landratsamt Prenzlau v. 07.07.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Auch die Anfrage bei den zuständigen Einwohnermeldeämtern half nicht weiter. Mehrere Anfragen wurden nicht beantwortet. Exakte Angaben fehlen daher. 8 Miltner, Heinrich: „Filmkrieg in Schnee und Eis. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ in den bayerischen Alpen ein Filmheld wird“. In: Der Montag v. 23.03.1936, S. 7. In dem Artikel geht es um die Verfilmung seines Romans Standschütze Bruggler, die später noch behandelt wird. Siehe zum Putsch Könnemann/Schulze (2002), Erger (1967), Gordon (1959), S. 96-145, u. O. V.: „Kapp, Wolfgang“. In: Klee (2015), S. 299. Eine ähnliche Formulierung findet sich in der Berliner Börsen-Zeitung, Abendausgabe, v. 24.10.1936. Auch dort wird Bossis Teilnahme am Putsch im Zusammenhang mit einem Bericht über die Verfilmung seines Romans fast wortgleich erwähnt. Möglicherweise hatte der Verfasser hier die Daten des Montag-Artikels von Ende März 1936 übernommen. O. V.: „Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf BossiFedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘“. In: Berliner Börsen-Zeitung v. 24.10.1936, S. 10.
3.1 Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark
63
Krieg zum guten Ton“9. Für sie reproduzierten sich hier der Mythos des adligen Kriegers und die „Kultur des militärischen Töten[s] und Getötetwerdens“10, der die Welt des Militärs und des soeben erst überstandenen Krieges in die neue Republik hinüberretten half. Die Freikorps reizten offenbar junge Männer, die im Ersten Weltkrieg nicht mehr zum Einsatz gekommen waren.11 Sie erhielten hier in besonderem Maße Gelegenheit, losgelöst von Regeln und Konventionen, sich noch einschlägig engagieren zu können – für Bossi-Fedrigotti, der sich wiederholt enttäuscht über seinen Nicht-Einsatz äußerte und damit vom „legitimierenden Mythos der Fronterfahrung ausgeschlossen“12 blieb, möglicherweise ganz besonders.13 Diese Art ‚Minderwertigkeitskomplex‘ der Kriegsjugendgeneration scheint typisch gewesen zu sein. Bossi ist hier bei weitem nicht der einzige Fall.14 Unter den Putschisten in Berlin kämpfte allerdings kein Bataillon Hoffmann, in dem er hätte dienen können. Lediglich zuvor hatte es eines mit Namen ‚Hofmann‘ im Freikorps Epp gegeben.15 Schon seit Anfang 1919 wurden sporadisch vom preußischen Innenministerium gebilligte, reaktionäre Land- und Volkswehren ‚zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung‘ aufgestellt (zu denen Arbeiter und 9 10 11 12 13 14 15
Urbach (2016), S. 186. Malinowski (2003), S. 216. Hier bietet sich wiederum der Bezug zur adligen HeldenStilisierung gefallener Vorfahren an. Römer (2017), S. 44: „Die Freikorps wirkten wie eine weitere Sozialisationsinstanz, in der sich politische Gewalt und völkische Gesinnung gegenseitig bedingten“. Peukert (1997), S. 30. Vgl. Urbach (2016), S. 187f. Dass er nicht mehr im Krieg eingesetzt wurde, thematisiert er unter anderem im teilautobiografischen Text Die alte Fahne (1940). Sein Protagonist Toni habe sich dadurch „nicht mehr vollwertig“ gefühlt. Siehe S. 11. Davon berichtet auch Römer (2017), S. 48. Hans Georg Hofmann (1873-1942), kriegsgedienter Major, hatte sich dem Freikorps Anfang 1919 angeschlossen und kämpfte mit den Einheiten im April und Mai 1919 bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik und im Juni des Jahres bei den ‚Hamburger Sülzeunruhen‘. „September 1919 Kommandeur des Reichswehr-Bataillons III, 20. Bayerisches Inf.-Regt. in Passau“. Nur insofern war ein Bataillon Hof(f)mann in diesem Zeitraum auszumachen. Andere bekannte Hoffmanns in diesen Zusammenhängen sind der bayerische SPD-Ministerpräsident (1919/20), Johannes Hoffmann (1867-1930, siehe Gordon (1959), S. 53-55), General Heinrich von Hofmann, als Kommandeur der GardeKavallerie-Schützen-Division dem späteren Putschisten General Lüttwitz unterstellt (siehe Gordon (1959), S. 68, 103f., 267f. u. 414 u. Erger (1967), S. 36ff., außerdem gab es einen General Hermann von Hofmann) sowie General Max Hoffmann, im Ersten Weltkrieg Chef des Stabes im Oberkommando Ost und 1919 Führer einer Grenzschutzbrigade in der Nähe Posens (siehe Erger (1967), S. 35, 39 u. 273). Letzterer scheint tatsächlich in den Reihen um Lüttwitz am Putsch beteiligt gewesen zu sein. Aber auch hier war nicht zu erfahren, welche Einheiten er wann befehligt haben könnte. Zu dieser Zeit war BF allerdings noch Schüler in Brixen.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Gewerkschafter keinen Zutritt hatten). Außerdem waren große Waffenbestände des Heeres seit Kriegsende sukzessive in Bauernhöfen und Gütern versickert.16 Von diesen gut ausgerüsteten Wehren war der Weg zum Stahlhelm und später in die SA nicht mehr weit.17 Vor allem auf dem Land traute man der revolutionärunsicheren Situation in der jungen Republik nicht. Gleichgesinnte fanden sich schnell zusammen, besonders in Pommern, wo die „Selbstschutzbewegung […] seit jeher Hochburg eines agrarisch-mittelständischen Konservatismus“ war, dessen „Bastionen auch nach dem November 1918 noch relativ unversehrt bis weit in die Provinzialverwaltung und die militärischen Kommandobehörden hineinragten“18. Als Interessenvertretung und de facto-Sammelbecken antirevolutionärer und antikommunistischer Gruppen gründete sich hier der ‚Pommersche Landbund‘. Er hatte besonderen Anteil daran, ein zunehmend radikaleres, restaurativ-nationalkonservatives Milieu – mit wohlwollender Zustimmung von Großgrundbesitz, Militär und Verwaltung – zu etablieren. Schon bald waren Putschpläne nur noch offene Geheimnisse.19 Mithilfe des Freikorps ‚Marinebrigade Ehrhardt‘, General Ludendorffs und Weiterer versuchten der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp und General Walther von Lüttwitz am 13. März 1920, die Berliner Regierung zu stürzen. Die reaktionären Pommern und ihre Wehren stellten sich unmittelbar hinter die Putschisten, um dem „‚unheilvollen Treiben‘ der sozialdemokratisch geführten“20 Regierung ein Ende zu machen. Der Umsturz brach nach wenigen Tagen zusammen. Dass sich viele Aufständische, auch aus den Wehren, danach auf adlige Güter in Pommern retteten und dort untertauchten, ist historisch nachgewiesen.21 Dabei kam der „so verzweigten wie einflußreichen Familie derer v. Arnim“22, die Besitzungen sowohl in Brandenburg als auch in Pommern hatte und bei der Bossi wenig später zu arbeiten begann, eine besondere Rolle zu. Die Arnims hielten nicht viel von Bürgerwehren, sondern heuerten selbst Söldner, ehemalige ‚Baltikumkämpfer‘ und andere Freikorpsangehörige an, die ab Anfang März 1920 als „Stamm ‚zuverlässiger und arbeitsfreudiger‘
16 17 18 19 20 21 22
Flemming (1979), S. 14 u. Malinowski (2003), S. 213f. Vgl. Peukert (1997), S. 78ff. Malinowski (2003), S. 214. Entnahmen aus: Flemming (1979), S. 18. Ebd., S. 19. Vgl. Peukert (1997), S. 61: „Die Jahre 1920 bis 1923 gehören zu den hektischsten, ereignisreichsten der Weimarer Republik“. Ebd., S. 18. Vgl. Könnemann/Schulze (2002), S. 441, 463, 671 und 871. Flemming (1979), S. 26.
3.1 Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark
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Hilfskräfte“23, getarnt als Landarbeiter, militärischen Übungen auf den Gütern frönten, möglicherweise auch auf Züsedom.24 Dennoch: Ohne weitergehende Hinweise muss Bossi-Fedrigottis Teilnahme am Putsch als zweifelhaft gelten. Seine Noten des zweiten Schulhalbjahres vom Sommer 1920 lassen annehmen, dass er sich bis dahin in Brixen und nicht in Berlin aufhielt. Gleichwohl wäre es möglich, dass seine landwirtschaftliche Ausbildung damit im Zusammenhang stand, zumal die Arnims gezielt ehemalige Freikorps-Kämpfer aufnahmen. Wo genau sich der junge Südtiroler in diesen Märztagen aufhielt, kann nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen werden. So oder so tauchte der kaiser- und vaterlandstreu aufgewachsene, ‚deutsch erzogene‘ Graf für zwei Jahre unmittelbar nach diesen Ereignissen beim Rittmeister a. D. von Arnim in das reaktionär-nationalkonservative Milieu ostelbischer Großgrundbesitzer in Pommern ein. Diese neue Perspektive trug wahrscheinlich dazu bei, nach dem Zusammenbruch der Monarchien bei Bossi antirepublikanisches, antikommunistisches und nationalistisches Gedankengut zu verstärken, das er aus seinem adlig-südtirolischen Milieu und seiner Kriegs- und Revolutionsprägung kannte. Während der Südtiroler für zwei Jahre nach Norddeutschland ging, taumelte Italien in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in eine unruhige Zukunft.25 Der Staat wurde von „heftigen sozialen Tumulten“26, Inflation, Arbeitslosigkeit und Protesten gegen die für unfähig gehaltene Führungsschicht des Staates und den von ihr ‚verstümmelten Sieg‘ erschüttert. Ähnlich der deutschen ‚Dolchstoßlegende‘ entwickelte sich ein „Mythos der kommunistischen Angriffe auf die Veteranen und Kriegsversehrten“, den italienische Offiziere zur „Rechtfertigung ihrer Hinwendung zum Faschismus und ihrer Rolle im Bürgerkrieg 1919-1920 schufen“27. Die politischen Lager standen sich äußerst feindselig gegenüber. Staatsoberhaupt blieb jedoch, anders als in Deutschland und Österreich, ein Monarch, der savoyische König von Italien.
23 24
25 26 27
Ebd., S. 23. Vgl. Malinowski (2003), S. 215. Ebd., S. 26f. Der Kreis Prenzlau, zu dem Züsedom 1920 gehörte, war im Land Brandenburg der einzige, in dem im Frühjahr 1920 ein eigenständiger Tarifvertrag zwischen Arbeitgebern und einer geschlossenen kommunistischen Landarbeiterorganisation geschlossen wurde. Hier mag der Gegensatz von Großgrundbesitz und Kommunisten noch stärker gewesen sein, als in anderen Landesteilen. Dietze (1922), S. 163. Vgl. dazu Woller (2010), S. 77f. Schmid (2004), S. 17. Entnahmen aus: Guerrazzi (2011), S. 367, bezogen auf die Untersuchung von Abhörprotokollen italienischer Offiziere in Wilton Park, einem britischen Internierungslager.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland Der Krieg hatte die politische, soziale und ökonomische Krise des liberalen Italien erheblich verschärft. Das gesellschaftliche Klima war viel stärker als zuvor von Unzufriedenheit und Gewaltbereitschaft geprägt. Davon profitierten die Faschisten.28
Der italienische Staat vermochte nicht, die eh schon brodelnden Unruhen zu beenden, besonders nicht nach der Wahl im Mai 1921 und neuerdings elf im Parlament vertretenen Parteien, zu denen nun auch Mussolinis Faschisten mit 35 Abgeordneten gehörten. Nach verschiedenen Kurz- und Übergangsregierungen ernannte König Viktor Emanuel III. im Oktober 1922 Benito Mussolini nach dessen ‚Marsch auf Rom‘ (der im Grunde genommen eine nicht ausgeführte Inszenierung war, dennoch aber hohen Druck auf den König auslöste) zum Regierungschef, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden.29 „Der Faschismus verstand es, diesem Durcheinander Einhalt zu gebieten […]“30. Ohne geeinigte Opposition erreichten die Faschisten 1924 die absolute Mehrheit im Parlament.31 Bis zu Mussolinis Machtübernahme besaßen die Stimmen, die in Italien die Rückgabe des deutschsprachigen Teils Südtirols (vom Brenner bis zur Sprachgrenze an der Salurner Klause) an Österreich forderten, weiter gewissen Einfluss. Dass die Brennergrenze Fakt bleiben würde, stand noch nicht fest. Die Übergangszeit vom Kriegsende bis zur Machtübernahme der Faschisten kennzeichnete in Südtirol eine diffizile Entwicklung von Wiederanschlussplänen an Österreich bis zu starken Autonomieforderungen mit ‚Los von Trient‘-Rufen vor dem Andreas-Hofer-Denkmal in Meran 1920. Nach der in Kraft getretenen Annexion waren schon bald erste Veränderungen erkennbar. Die Südtiroler wurden beinah hermetisch abgeriegelt.32 Kontakte zu anderen Teilen Tirols wurden unterbunden, die Grenze zu Nordtirol für Personen und Waren geschlossen, „der Postverkehr über den Brenner eingestellt, österreichisches Geld“33 durfte nicht mehr eingeführt werden. Einige tausend Menschen mussten auswandern, da sie nicht in Südtirol geboren worden waren. Faschistische Schlägertrupps überfielen 1921 einen Trachtenumzug in Bozen, es gab bis zu 50 Verletzte und einen Toten. Dieser Tag, an dem sich die Bevölkerung (Nord-)Tirols bei einer (österreichweiten) Volksabstimmung mit
28 29 30 31 32 33
Hürter/Rusconi, Einleitung (2007), S. 8. Schmid (2004), S. 19. Vgl. Woller (2010), S. 93. Guerrazzi (2011), S. 384. Woller (2010), S. 98f. Steininger (2004), S. 19, 34ff. u. 43ff. Schreiber (2008), S. 355f.
3.1 Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark
67
98,5% für den Anschluss an Deutschland aussprach, ist in Südtirol bis heute als ‚Blutsonntag‘ bekannt.34 Darüber hinaus wurde die Presse einer strengen Zensur unterworfen.35 Alle deutschen Zeitungen seien „den Italienern verhaßt“ gewesen, denn die Südtiroler hätten „aus diesem täglich redenden Munde die Wahrheit über die Dinge in der Welt“ erfahren „und die Welt […] daraus die Wahrheit über die Dinge in Südtirol“36. In der Folge waren unter anderem die Bozner Nachrichten, der Tiroler, die Meraner Zeitung und der Burggräfler immer stärker Ziel italienischer Repressionsmaßnahmen, bis vorübergehend gar keine Zeitung mehr in Südtirol erschien.37 Ab 1926 etablierten die Faschisten mit der Alpenzeitung ein eigenes deutschsprachiges Blatt.38 Ihre Wirkung und Verbreitung blieb gering und ihre Beiträge, im Grunde „präparierte Nachrichten“, unterschieden sich nicht wesentlich von denen der „offiziellen faschistischen Blätter“39. Südtirol spielte in Mussolinis „Denken eine große Rolle. In dieser deutschsprachigen Provinz Italiens“ wollte er sich besonders als „Schöpfer eines neuen, starken Italien beweisen“40. Nach seiner Machtübernahme begann er, die Südtiroler und ihr Land zu ‚italianisieren‘. Tolomeis radikale Ideen gewannen an Zuspruch.41 Möglichst viel südtirolischer Grundbesitz sollte angekauft, faschistische Denkmäler zur Verherrlichung des Sieges und Erniedrigung der Besiegten errichtet, die ländlich geprägte Region industrialisiert und italienische Industriearbeiter angeworben werden, um damit eine starke Veränderung der Sozialstruktur des Landes zu erreichen. Brutale Unterdrückungsmaßnahmen sollten aus der deutschsprachigen Region eine italienische formen. Später wurde auch der Gebrauch des Namens Tirol verboten. „Auch alle Ableitungen oder Verbindungen mit diesem Wort, wie ‚Tiroler‘, ‚Südtiroler‘, ‚Deutsch-Südtiroler‘“42, durften nicht mehr verwendet werden. Ortsnamen und Landesbezeichnungen wurden in der Folge getilgt, nur noch italienische Lehrer eingestellt, der Deutschunterricht verboten und sogar manchmal deutschsprachige Grabinschriften ausgemeißelt.43 Als sichtbares 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Steininger (2004), S. 25. Ebd., S. 19 u. Parteli (1988), S. 225ff. Entnahmen aus: Reut-Nicolussi (1928), S. 164. Ebd., S. 167f. Vgl. Steininger (2004), S. 19 u. Steininger (2017), S. 44ff. Steininger (2017), S. 44ff. Vgl. O. V.: „Deutschland und Mussolini“. In: Salzburger Chronik v. 03.05.1928, S. 2 u. Parteli (1988), S. 234. Entnahmen aus: Parteli (1988), S. 238. Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 359. Ebd., S. 361. Steininger (2017), S. 39. Vgl. ebd., S. 39 u. 46ff.
68
3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Monument der Italianisierung errichteten die Faschisten in Bozen ihr ‚Siegesdenkmal‘, das dort bis heute steht.44 Dabei wählten die neuen Machthaber ganz bewusst einen bedeutungsreichen Standort: gut sichtbar gegenüber der Talferbrücke, exakt an der Stelle, wo der Rohbau des Denkmals für die im Weltkrieg gefallenen Tiroler Kaiserjäger bereits stand. Das noch nicht fertiggestellte, österreichische Denkmal wurde gesprengt, „eine weitere Demütigung für Südtiroler, Österreicher und Deutsche“45. Bis heute erregt das Denkmal, vor allem aber die überhebliche und kulturchauvinistische Inschrift, die Gemüter vieler Südtiroler: „HIC PATRIAE FINES SISTE SIGNA HINC CETEROS EXCOLUIMUS LINGUA LEGIBUS ARTIBUS“, was mit „Hier sind die Grenzen des Vaterlandes. Setze die Feldzeichen. Von hier aus brachten wir den anderen Sprache, Gesetze und Künste“46 übersetzt werden kann. Die Italiener verwendeten große Anstrengungen darauf, die deutsche Sprache als stärkstes identitätsstiftendes Element zu beseitigen. Viele Südtiroler Kinder waren bald nicht mehr in der Lage, „korrekt Hochdeutsch in Wort und Schrift zu verwenden“47. Italienisch wurde einzige Amtssprache in Südtirol.48 Eine ganze Generation lief offenbar Gefahr, „langsam zu halben Analphabeten“ zu werden.49 In ländlichen Gebieten war die Situation „besonders schlimm“50. In Kellern, auf Dachböden und Hinterhöfen entstanden geheime ‚Katakombenschulen‘, in denen weiter Deutsch unterrichtet wurde. Der Sprachunterricht avancierte zum Symbol der Auflehnung gegen die Maßnahmen der neuen Machthaber.51 Jetzt galt es den verantwortlichen 44 45 46
47 48 49 50 51
Bis zur vorübergehenden de-facto-Angliederung Südtirols an das Deutsche Reich ab September 1943 in der ‚Operationszone Alpenvorland‘ bestanden noch einige weitere solcher Denkmäler. Danach wurden einige abgetragen. Steininger (2017), S. 64ff. Ebd., S. 59. Ebd., S. 60f. Seit 2014 befindet sich in den Gewölben unterhalb des Denkmals eine Ausstellung (‚BZ ’18-’45‘) zur wechselhaften Geschichte und Bedeutung des Ortes. Die Ausstellung endete mit dem Ausfüllen eines Fragebogens, was künftig nach Ansicht der Besucher mit dem Denkmal und vor allem der Inschrift passieren solle: Keine Änderung, Entfernung der Inschrift oder Abriss. Tolomei forderte sogar im gleichen Kontext die Entfernung des Walther-von-der-Vogelweide-Denkmals in Bozen. 1935 wurde es in einen nahe gelegenen Park versetzt und 1981 wieder an seinem ursprünglichen Standort auf dem ‚Waltherplatz‘ aufgestellt. Schreiber (2008), S. 362f. Steininger (2017), S. 42f. Villgrater (1984), S. 38f. Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 362f. Kanonikus Michael Gamper (1885-1956, Domherr in Bozen und einer der wichtigsten Südtirol-Aktivisten), vormals Chefredakteur der zwischenzeitlich verbotenen Zeitung Volksbote, initiierte durch verschiedene Aufrufe und Artikel das Deutschlehren im Untergrund, mit Unterstützung u. a. von Eduard Reut-Nicolussi. Steininger (2017), S. 50f. Vgl.
3.1 Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark
69
Zeitgenossen erst recht, „deutsche Art und deutsches Wort für Kind und Enkel zu erhalten!“52 Diese Verlagerung führte auch dazu, dass die Kinder kaum Italienisch lernten. Nördlich des Brenners wussten Deutsche und Österreicher bald sehr genau über die Ereignisse in Italien Bescheid. Zunehmend solidarisierten sie sich mit den Südtirolern.53 Die Untergrundschulen erhielten unter anderem finanzielle und materielle Hilfe in Form von Unterrichtsbüchern aus Deutschland, auch mit Unterstützung deutschnationaler Studenten aus Innsbruck. Das bewirkte in Zeiten großer Bedrohung mutmaßlich über mehr als zehn Jahre hinweg auch das Einsickern von Elementen völkisch-nationalen Gedankengutes in den Geheimunterricht des ganzen Landes.54 Die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität war so durchweg eng an völkisch-nationale Tendenzen gebunden. Noch bis 1933/34 wurden die Schulen durch den ‚Verein für das Deutschtum im Ausland‘ (VDA) finanziert und so de facto auch durch die deutsche Regierung gefördert.55 1908 benannte sich der 1881 gegründete ‚Allgemeine Deutsche Schulverein‘ (ADSV) in ‚Verein für das Deutschtum im Ausland‘ (VDA) um. Ihm ging es vornehmlich um die Bewahrung deutscher kultureller Identität in außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs liegenden Gebieten mehrheitlich deutscher Sprache und Kultur. Im Zentrum stand die „Errichtung deutscher Schulen und Bibliotheken im Ausland“56. Darüber hinaus wurden Bücher beschafft und Lehrer vermittelt. Der Gesamtverband gliederte sich in zwölf Abteilungen, darunter auch ‚Propaganda und Organisation‘, in der unter anderem Werbevorträge (beispielsweise für Schüler) geplant und durchgeführt wurden. Nach der Jahrhundertwende näherte sich der Verein schrittweise Positionen des
52 53 54
55 56
auch Villgrater (1984), S. 95ff.: Gamper unterhielt enge Verbindungen auch zum VDA. Vgl. Nachruf der Verlagsanstalt ‚Athesia‘ auf Gamper in Dolomiten v. 26.04.1956, S. 3. Stellungnahme der Südtiroler Abgeordneten Dr. Reut-Nicolussi, Dr. von Walther, Graf Toggenburg u. Dr. Karl Tinzl. „Die Italianisierung unserer Volksschulen“. In: Der Landsmann v. 27.10.1923, S. 1. Steininger (2017), S. 53. Steininger (2017), S. 51f. Einige dieser Studenten sollen in den frühen 1930er Jahren dem im Untergrund gegen die Italiener agierenden ‚Völkischen Kampfring Südtirols‘ (VKS) angehört haben. Vgl. auch Villgrater (1984), S. 130f.: Vor allem Schreiben, Lesen und ‚Heimatkunde‘/Geschichte wurden unterrichtet. In der Interpretation der Landesgeschichte und der Sprache und so mithin auch der kollektiven Identität der Gruppe trat so ganz besonders der Unterschied zwischen ‚dem Eigenem‘ und ‚dem Fremden‘ hervor. Siehe S. 147ff., 152f. u. 255ff. sowie Steurer (1980), S. 83ff. Corsini/Lill (1988), S. 208 u. Villgrater (1984), S. 130 u. 255ff. Die mitunter großzügigen finanziellen Hilfen kamen u. a. vom AA aus Berlin, teilweise durch Außenminister Gustav Stresemann selbst initiiert. Prehn (1997), S. 1.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
nationalistischen Alldeutschen Verbands an. Während des Ersten Weltkrieges, als der VDA begann, sich auch mit Kriegszielen zu befassen, verschärften sich nationalkonservative Standpunkte weiter. Durch die Kriegsniederlage Deutschlands, das erhebliche Teile seines Territoriums verlor, und ÖsterreichUngarns, das zu existieren aufhörte, potenzierte sich das Bezugsgebiet des VDA um ein vielfaches. Millionen Deutscher und Österreicher lebten nach dem Inkrafttreten der Friedensverträge (Versailles, St. Germain usw.) künftig als Minderheiten in Nachbarländern. Die Konzentration der VDA-Arbeit verschob sich fortan zügig von kultureller und wirtschaftlicher Hilfsleistung hin zu einer Revisions-, Selbstbestimmungsund ‚Anschluss‘-Agitation. Die Wahrung allgemeiner deutscher Interessen, die „‚Einheit des deutschen Volkes‘ über die Staatsgrenzen hinweg zu fördern und wachzuhalten“57, rückte in den Vordergrund. Die Weimarer Regierung, der man vorwarf, sich feige dem Versailler Vertrag und aller seiner Folgen zu beugen, setzte man öffentlich unter Dauerbeschuss.58 Spätestens 1926 war der VDA mit einer Mitgliedszahl jenseits der zwei Millionen zu einer Massenorganisation geworden.59 Seiner Entwicklung entsprechend interpretierte der VDA auch die italienischen Schritte gegen die Südtiroler Schulen: ‚Warum richtet sich wohl der Hauptangriff der Gegner des Deutschtums in den abgetretenen Gebieten (so z. B. Polen oder Südtirol) immer wieder gegen die deutsche Schule? – Die Antwort kann nur die sein: Weil die deutsche Schule im Auslande eine Bastion des Deutschtums in der Welt ist!‘60
Währenddessen mussten die Südtiroler in den ersten Jahren nach der Annexion „erkennen, dass Österreich viel zu schwach“ war, „um wirkungsvoll helfen zu können“61. Machtpolitisch war vom extrem dezimierten Rest der Donaumonarchie keine Bereitschaft zu erwarten, Südtirol-Rückgabeforderungen zu stellen oder außenpolitischen Druck auszuüben.62 Südtirol als ehemaliges (Teil-)Kronland Österreich-Ungarns war trotz Annexion und des Beginns gewaltsamer Italianisierung nach wie vor ein
57 58 59 60 61 62
Villgrater (1984), S. 256. Prehn (1997), S. 1f. Ebd., S. 50. Hervorhebung im Original. Prehn (1997), S. 57f., zitiert hier Flugblatt Nr. 1 der Serie Ringendes Deutschtum in BArch R 8043, Nr. 1372, Bl. 506. Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 366. Latour (1962), S. 14. Vgl. Wedekind (2003), S. 30.
3.1 Landwirtschaftliche Ausbildung in der Uckermark
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Gebiet mehrheitlich deutscher Sprache und Kultur geblieben.63 Das Alleinstellungsmerkmal der Südtiroler als Minderheit war die kulturelle deutschösterreichische Identität.64 Die deutschsprachige Bevölkerung, erheblich unter Druck gesetzt, grenzte sich fortan (wesentlich stärker noch als zu Zeiten des italienischen Irredentismus der Vorkriegszeit) ab und zog sich in den geschützten Raum ländlich-traditioneller, deutscher Identität zurück. Diese Flucht aus dem (schon vorher) Konservativen ins geschützte Provinzielle („in ein sog. Ghetto“65) und die gleichzeitige Übersteigerung des ‚eigenen‘ Deutschseins angesichts einer unsicheren Zukunft, sind wesentliche Faktoren im Verständnis der Südtiroler Geschichte – und damit auch der Geschichte deutscher kollektiv-kultureller Identität, wie auch der eng damit zusammenhängenden literarischen Produktion, Distribution und Rezeption in und über Südtirol seit 1918 und mindestens bis 1945. Die Südtiroler Dichtung habe sich nach 1918 gewandelt, so der Innsbrucker Germanist Eugen Thurnher, sie sei „nicht mehr freies Spiel der Phantasie, sondern Waffe im Kampf um das eigene Selbst“ gewesen und der Dichter zum „Vorkämpfer des sittlichen Selbstverständnisses“66 geworden. Flucht und Übersteigerung sind auch wesentlich für das Verständnis, weshalb das kleine Südtirol nach der Annäherung Österreichs an Italien spätestens um 1930 hilfesuchend nach Deutschland blickte.67 Als Deutschland am 10. September 1926 dem Völkerbund beitrat, weckte das in Südtirol die Hoffnung, der große Bruder im Norden könne nun wieder „für die unterdrückten deutschen Minoritäten in den bisherigen Feindstaaten tätig“ sein. Deutschsüdtirol, so die Zeitung Südtiroler Heimat am 1. Oktober 1926, ist zweifellos das Land, in dem es den unter Fremdherrschaft gekommenen deutschen Volksgenossen am schlechtesten geht. Deshalb sieht man im Geburtslande Andreas Hofers voll Hoffnung auf das große Deutsche Reich, welches darangeht, die alte Großmachtgeltung wiederzuerlangen.
63 64 65 66
67
Ebd., S. 11ff. Selbst deutsche Grabinschriften mussten teilweise ausgemeißelt und italianisiert werden. Vgl. S. 13. Vgl. auch Corsini/Lill (1988), S. 29, 119f. u. Parschalk (2003), S. 55ff. Parschalk (2003), S. 250, der sich hier auch auf Im Kampf gegen Rom. Bürger, Minderheiten und Autonomien in Italien (1968) des Südtiroler Journalisten und Historikers Claus (ehemals Klaus) Gatterer bezieht. Siehe auch S. 324f. Vgl. Waldner (1990), S. 28f. Thurnher (1966), S. 80. Thurnher (1920-2007) promovierte 1941 an der LudwigMaximilians-Universität München und arbeitete dort anschließend bis Kriegsende 1945, anschließend bis 1991 an der Universität Innsbruck. Sein Dichtung in Südtirol ist über weite Passagen als undifferenziert zu bezeichnen. Zur Annäherung Österreichs an Italien um 1930 vgl. Corsini/Lill (1988), S. 178f.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Noch kurzfristig, so glaubte man, verstärke Italien nun seine gesamten Repressionsmaßnahmen, bevor „das mächtige Reich des Nordens […] Zeit findet, sich der Aermsten aller Unterdrueckten anzunehmen“68. Auch die Südtiroler Schriftsteller stimmten in den provinziellen Rückzug mit ein. Sie beschäftigten sich nun stärker als zuvor mit heimat- und landbezogenen Themen, aber vor allem mit pangermanischen, ‚großdeutschen‘ Phantasien. Das Landleben und die Natur, in die sich die Südtiroler zunehmend zurückzogen, wurden synonym zu „‚deutsch‘ und ‚frei‘“, im Gegensatz zur „‚welschen‘, ‚besetzten‘ Stadt“69, die damit als angeblich fremd und südländisch definiert wurde. Deutlicher als zuvor waren nun das Deutsche als Muttersprache und der Dialekt übersteigerter Ausdruck politischer Positionsbestimmung, wurden sich die Südtiroler ganz besonders ihrer deutschsprachigen Kultur und Heimat bewusst, die sie bisher weitgehend selbstverständlich gelebt hatten. Bossis offenbar erster Aufsatz, „Monte Piano“70, zeigte das überdeutlich. Er veröffentlichte ihn bereits 1921, als er sich in Züsedom befand, in der jährlich in München erscheinenden Deutschen Alpenzeitung. Der Name des in den Sextener Dolomiten gelegenen Monte Piano, unweit Toblachs, klinge ihm noch aus der „ruhmvollen Verteidigung unserer Bergheimat“ nach. Ohne Kampf habe man ihn dem Gegner überlassen müssen – mithin ein Tiroler Narrativ und Parallele zur Dolchstoßlegende in Deutschland. Nun beschleiche „Wehmut […] den deutschen Wanderer, der heute im zweiten Jahre der ‚Erlösung‘“ den Boden des nur scheinbar „freien Südtirols“ betrete. Schwere Kämpfe hätten dort oben stattgefunden, überall sichtbar durch die noch frischen Spuren, mit Tiroler Adlern bemalten Tafeln und die Soldatenfriedhöfe, auf dem auch Galizier und Tschechen „fern von der Heimat“ liegen. In den Stellungen auf dem Pianoplateau findet Bossi Überreste italienischer Soldaten. Die Tricolore weht auf deutscher Tirolererde, aber keiner der vielen italienischen Besucher, Soldat wie Zivilist, greift nach einer Schaufel, um die Kämpfer für sein Vaterland würdig zu bestatten.
68
69 70
Entnahmen aus: O. V.: „Die Frage Südtirols auf der Tagung des Alldeutschen Verbandes in Bayreuth“. In: Südtiroler Heimat v. 01.10.1926, S. 7f. Vgl. Forcher (2014), S. 418f. Deutsche Zeitungen befassten sich spätestens ab 1925 intensiv mit den Entnationalisierungsmaßnahmen der Italiener in Südtirol, unter anderem das Berliner Tageblatt und die Kölnische Zeitung. Damm (2013), S. 188ff. Entnahmen aus: Parschalk (2003), S. 325. Bossi-Fedrigotti: „Monte Piano“. In: Deutsche Alpenzeitung 17 (1921), S. 262-264. Die nächsten nachgewiesenen Veröffentlichungen als Zeitungsartikel stammen erst wieder aus dem Jahr 1929/30.
3.2 Italienischer Militärdienst
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Der Autor schildert die Italiener als Sieger ohne Anstand. Sie hätten den Tirolern, „derbe Soldaten“ mit „knochige[n] Tirolerhände[n]“, außerdem nie auch nur einen Graben abgenommen. Deshalb bliebe der Monte Piano einer der „Stätten ruhmreicher Österreicher Geschichte“. Für die Tiroler gebe es als Österreicher allerdings nur das „‚Freie deutsche Tirol!‘“ Uraltes deutsches Land! – Stumm und einsam liegen sie da, als trauerten sie um den Verlust einstiger Größe. Sie trauern mit, mit dem Volke, das da unten sicht sehnt, wieder nach alten deutschen Weisen, das die Hoffnung nicht aufgibt, einst wieder vereint zu sein mit dem großen deutschen Volke.
Bossis höchstwahrscheinlich erster Aufsatz zeugt von gebrochenem Stolz, von Wut und Trauer um die Kriegsniederlage 1918 mit all ihren Folgen, vor allem der italienischen Annektierung Südtirols, der damit verbundenen, gefühlten Heimatlosigkeit der deutschsprachigen Tiroler und der aufkeimenden Sehnsucht nach einer pangermanisch-großdeutschen Vereinigung, die nun erwachsen müsse. Seine Hoffnung richtet sich auf das große, starke Deutschland. Er schreibt von österreichischer Geschichte, die jedoch laut Bossi unzweifelhaft ein Teil der deutschen ist. Die Tschechen und Galizier sind, wie die naturharten Tiroler, die „Wackeren“71, Helden des gemeinsamen Gebirgskampfes. In dichotomischer Gegenüberstellung scheinen die südländisch-weichen Italiener hingegen unwürdige, unverdiente Sieger zu sein, in der unwirtlichen Gebirgsgegend von Natur aus nichts verloren zu haben. Sie gehören nicht nach und zu Südtirol, im Gegensatz zu den deutschösterreichischen Tirolern. 3.2
Italienischer Militärdienst
Wenige Wochen nach Mussolinis Machtübernahme wurde Bossi, der soeben seine landwirtschaftliche Ausbildung abgeschlossen hatte, zum Zwangsdienste im italienischen Heer einberufen […]. Er musste diesem Befehl Folge leisten, da seine Eltern in Toblach Besitzungen hatten. Vom 8. Januar 1923 bis zum 8. September 1923 diente der Unterzeichnete als Reiter und Korporal im
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Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Monte Piano“. In: Deutsche Alpenzeitung 17, H. 11 (1921), S. 262ff. Weitere Texte BFs aus diesem Kontext sind nicht bekannt. Sein nächster Zeitungsartikel datiert von Juli 1930. Siehe auch den Hinweis auf die Veröffentlichung, „Alpine, Sport-, Turn- und Wetterberichte“. In: Salzburger Volksblatt v. 04.11.1921, S. 5.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland 14. leichten Reiterregiment in Florenz. Während dieser Zeit machte er auch die Kampfhandlungen seiner (der 4.) Eskadron in Nordafrika mit.72
Ab 1922 wurden die Südtiroler erstmals zum italienischen Heer herangezogen. Das hing offenbar auch davon ab, ob die Eltern schon die italienische Staatsbürgerschaft besaßen, wodurch ihre Söhne wehrpflichtig wurden. Viele zögerten die entsprechenden Erklärungen daher so weit wie möglich hinaus.73 Nach Bossi-Fedrigottis (dezidiert italienkritischer) Erinnerung aus den frühen 1930er Jahren hingen eines Tages „in den Südtiroler Dörfern und Städten die Einberufungsbefehle und riefen die jungen Südtiroler ins neue Feldgrau und bisher feindliche Besatzungsheer“. Dabei hatte die Bevölkerung „nach der Besitzergreifung durch Italien auf eine militärische Ruhepause gehofft“, die laut Bossi auch für zehn Jahre versprochen, aber nicht eingehalten worden war. So hoben die Musterungskommissionen in Südtirol ab 1922 bis zu „97 Prozent Stellungspflichtiger“74 aus, denen die neuen italienischen Kameraden anscheinend häufig feindlich, überheblich und herabwürdigend begegneten, besonders, wenn der Erste Weltkrieg zum Thema wurde. Es ist allerdings entgegen Bossis Darstellung davon auszugehen, dass auch die Südtiroler, ohnmächtig und mit gebrochenem Stolz, ihren ehemaligen Feinden zunächst wenig freundlich begegneten. Davon berichtete auch der Südtiroler Volksbote 1922: „Die zur Musterung erscheinenden Burschen fühlen ganz allgemein den inneren Widerspruch, der zwischen einem Tiroler und einem italienischen Soldaten besteht“, wenn sie mit Trauerflor statt Blumen am Hut erschienen. Aus dem Pustertal hatte man der Zeitung gemeldet, dass „seit den Novembertagen des Jahres 1918“ nie „unserer Bevölkerung die italienische Herrschaft
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74
Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. BF spricht von sich hier in der dritten Person. Zu seinen Einsatzzeiten vgl. auch Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über BFs Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 1 u. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 1. Sein Lebenslauf von 1938 ergänzt Details: Er sei zusammen mit seinen „übrigen Landsleuten gleichen Alters“ eingezogen worden. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Parschalk (2003), S. 51 u. O. V.: „Die Rekrutenaushebung in Südtirol“. In: Der Burggräfler v. 12.10.1921, S. 1: Der italienische König habe „das Gesetzesdekret über die Rekrutierung in den neuen Provinzen“ unterzeichnet. „Damit ist die allgemeine Wehrpflicht auch der Südtiroler im italienischen Heere in das Stadium der Durchführung getreten“. Vgl. auch O. V.: „Kleine politische Nachrichten“. In: Volksrecht v. 14.10.1921, S. 4. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Die Südtiroler im italienischen Heer (1932), S. 61. Diesen Prozentsatz bestätigt auch ein zeitgenössischer Zeitungsartikel: O. V.: „Die Militäraushebung der Südtiroler“. In: Volksbote v. 01.06.1922, S. 2f.
3.2 Italienischer Militärdienst
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so drückend erschienen“ war. Es sei eine „Unnatürlichkeit, die unsere jungen Leute in das italienische Militär zwingt“75. Zu Beginn der ersten Musterungswelle im Januar 1922 wurde Bossi bei den italienischen Militärbehörden als Wehrpflichtiger aktenkundig.76 Der junge Graf sollte zunächst eingezogen werden, wurde allerdings zurückgestellt, „perchè residente all’estero“77. Knapp ein Jahr später, kurz nach seiner Rückkehr aus der Uckermark, war es dann schließlich doch so weit.78 Die italienischen Militärdokumente beschreiben einen physisch gesunden, jungen Mann von mittlerer Statur (1,73m Körpergröße), mit kastanienbraunem, glattem Haar, grauen Augen, ovalem Kinn, gesundem Gebiss und Teint.79 Um die wehrpflichtigen Südtiroler, darunter auch Bossi, so schnell wie möglich zu assimilieren, verteilte sie das Militär zunächst auf verschiedene Regionen und Einheiten, fasste sie jedoch später aus praktischen Gründen wieder zusammen, unter anderem in Florenz.80 Hier entstand „eine ausgesprochen deutsche Garnison“81, in dessen 14. „Regg. Cavalleggeri Alessandria“82 (14. Kavallerie-Regiment ‚Alexandria‘) Bossi schon wenige Tage 75 76 77 78
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Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Die Südtiroler im italienischen Heer (1932), S. 61. Die Personalunterlagen haben sich im Staatsarchiv Bozen erhalten. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Sinngemäß übersetzt: „da er im Ausland lebte“. „Foglio matricolare e caratteristico“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Ebd. Vgl. O. V.: „Die Rekrutierung in den neuen Provinzen“. In: Der Tiroler v. 29.12.1921, S. 2. Hier wird auch direkt Bezug auf die 1901 Geborenen genommen. Sofern sie in Österreich keinen Militärdienst geleistet hatten, mussten auch sie (wie die Jahrgänge 1902 und 1903) mit dem Jahrgang 1904 einrücken. Vgl. auch O. V.: „Beginn der Rekrutierung in Südtirol“. In: Der Tiroler v. 21.04.1922, S. 1 u. O. V.: „Die Militäraushebung der Südtiroler“. In: Volksbote v. 01.06.1922, S. 2f. Ebd. Zu den Hintergründen der Verteilung aufs ganze Land vgl. O. V.: „Südtiroler Tagesfragen und Neuigkeiten. Der rechte Weg“. In: Südtiroler Landeszeitung v. 22.11.1921, S. 3: „Es gibt in der italienischen öffentlichen Meinung eine starke Strömung, die glaubt, daß die jungen Südtiroler bei Ansicht des Golfes von Neapel, des Kolosseums oder des Mailänder Domes ihre Gefühle ändern könnten. Das sind psychologische Irrtümer […]. Lasset die Aelpler in ihrem Elemente […], macht aus ihnen Alpini […]“. Bossi-Fedrigotti, Die Südtiroler im italienischen Heer (1932), S. 62. Viele Südtiroler im italienischen Militär hatten offenbar mit großen sprachlichen Problemen zu kämpfen, wovon Heeres-Sprachführer aus den frühen 1920er Jahren „für Soldaten deutscher Zunge“ zeugen. Parschalk (2003), S. 52. „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
nach dem Einrücken versetzt wurde und bis September des Jahres blieb.83 Die Einheit hatte noch im November 1918 in Trento und Rovereto, dem Stammsitz der Bossi-Fedrigotti, gegen Österreich und Deutschland gekämpft.84 In einem solchen Regiment waren Auseinandersetzungen zwischen Siegern und Besiegten vorprogrammiert. Angesichts irredentistischer Rückgabeforderungen an Österreich-Ungarn und einer damit einhergehenden Konfrontation seit der nationalen Einigung um 1870 hatten sich die Italiener zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend den Franzosen angenähert. Kolonialpolitisch einigten sie sich darauf, Italien das (weitgehend) osmanisch beherrschte Libyen zu überlassen, ein bis dahin nicht zusammenhängendes Gebilde aus den Regionen Tripolitanien, Cyrenaika und Fessan. 1911 erklärte Italien dem Osmanischen Reich den Krieg, das 1912 Tripolitanien und Cyrenaika abtreten musste.85 Die Italiener beherrschten rasch die gesamte libysche Küste – im Hinterland jedoch standen sie vor massivem Widerstand der Bevölkerung. Im Ersten Weltkrieg gingen große Teile Libyens wieder verloren; bis 1921 gelang es nicht, die Verhältnisse zu beruhigen und die Gebiete erneut zu erobern.86 Erst mit Mussolinis Machtantritt verschärfte sich der „kolonialpolitische Kurs“ mit „Militäroperationen gegen arabische Widerständler in Libyen“87 massiv. So zogen die Italiener 1923 „Truppen zu Spezialformationen“ zusammen und schickten sie „als Verstärkung der Kolonialtruppen“88 in den Einsatz, darunter auch Bossis 14. Florentinisches Reiterregiment, das so an „operazioni contro i ribelli in Cirenaica“89 (Libyen) beteiligt war.90 Auf diesem Kriegsschauplatz 83 84 85 86 87 88 89 90
Die italienische Wehrpflicht umfasste zu diesem Zeitpunkt exakt acht Monate. O. V.: „Die Militäraushebung der Südtiroler“. In: Volksbote v. 01.06.1922, S. 2f. Das in Florenz stationierte 14. Kavallerieregiment ‚Alexandria‘ wurde 1850 aufgestellt, nahm unter anderem 1918 an den Kämpfen in Norditalien teil und wurde 1979 aufgelöst. http:// www.museocavalleria.it/ScuolaeReggimenti/Linea/Alessandria.htm [Zugriff: 06.06.2017]. Mattioli (2004), S. 207ff. Lill (2016), S. 396. Entnahmen aus: Schmidt (2004), S. 18. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Die Südtiroler im italienischen Heer (1932), S. 62. Sinngemäß übersetzt: „an Operationen gegen die Rebellen in Cyrenaika“. http://www. tempiocavalleriaitaliana.it/scheda.asp?ID=167&QSIDCat=2 [Zugriff: 06.06.2017]. In der Personalakte findet sich kein Nachweis eines Einsatzes in Nordafrika – vermutlich auch, da Bossi nicht aus dieser Einheit kommandiert oder versetzt wurde. Details können sich so nur aus militärgeschichtlichen Einsatzberichten oder Selbstzeugnissen ergeben. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Hellmuth Langenbucher gab in seiner Anthologie Volkhafte Dichtung der Zeit (1941), S. 601, an, BF habe am „Feldzug im italienischen Heer nach Nordafrika“ teilgenommen. Diese Angabe bezieht sich wahrscheinlich auf Auskünfte durch BF selbst.
3.2 Italienischer Militärdienst
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schreckten die Italiener nicht vor brutalen Internierungslagern, Giftgaseinsatz und Massenmord zurück.91 Tripolitanien war bereits 1925, Cyrenaika erst 1931/32 erneut besetzt. Bis zu 15% der Bevölkerung, rund 100.000 Libyer, kamen ums Leben.92 Nach Ableistung der Wehrpflicht entlassen, versetzte das italienische Militär den Südtiroler in einen zeitlich unbegrenzten Reservistenstatus und ordnete ihn dem Militärbezirk Bozen, später infolge neuer territorialer Einteilungen Belluno zu.93 Entgegen seiner eingangs zitierten Angaben wurde er während dieser Dienstzeit jedoch nicht zum Korporal befördert.94 Nun spätestens wäre Bossi in der Lage gewesen, seine landwirtschaftliche Ausbildung zu nutzen und das heimische Gut zu bewirtschaften. Doch in der Zwischenzeit hatte sich die wankende finanzielle Situation seines Vaters rapide verschlechtert. 1920 meldete er einen Holzhandel mit Sägewerk in Bozen an, für den er zuvor einen Kredit bei der Tiroler Vereinsbank aufgenommen hatte.95 Das 1905 gegründete Institut, ehemals Brixner Bank, war im Ersten Weltkrieg an der Zeichnung von österreichischen Kriegsanleihen beteiligt und verzeichnete im Oktober 1922 Anleihe-Forderungen von mehr als 20 Millionen Lire. Diese Summe einberechnet, hatte die Bank im Oktober 1922 ein Vermögen von knapp 7 Millionen. Doch die Chancen standen gering, diese Beträge nach dem verlorenen Krieg von Banken und der Bevölkerung zurückzuerhalten.96 Zudem wurden Güter und Waren, die die Bank vor 1918 angekauft hatte und 91 92
93 94 95 96
Mattioli (2004), S. 204f. u. 210ff. Dass BF an diesem Feldzug tatsächlich teilnahm, ergibt sich nur aus seinen eigenen Aufzeichnungen. In der Militärakte findet sich kein Nachweis dazu. Vgl. ebd. u. Woller (2010), S. 132ff. Vgl. Brogini Künzi (2006), S. 146ff. Im Zweiten Weltkrieg erinnerte sich BF später an seine Dienstzeit in Libyen: „Die Unterhaltung mit den Spahis über ihre Pferde weckte in mir lebhafte Erinnerungen an meine Einsatzzeit unter den Italienern in Lybien [sic!] im Jahre 1923“. Bericht Nr. 34 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/Ao v. 09.08.1940, PA AA, R 60702. „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. „Foglio matricolare e caratteristico“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. O. V.: „Eintragung einer Einzelfirma“ v. 09.06.1920. In: Fogli Annunzi Legali Prefettura Trento v. 07.07.1920, S. 16. „Bericht des Ausgleichverwalters zur Ausgleichstagsatzung am 8. Jänner 1922: an das kgl. Tribunal für Zivil- und Strafsachen in Bozen“, S. 17. Südtiroler Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann Bozen. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Medium/Seite/19676/4 [Zugriff: 19.06.2017]. Teile der Bevölkerung hatten hier beinah ihr gesamtes Vermögen investiert. Vgl. Parschalk (2003), S. 14, 47ff. u. Steurer (1980), S. 120f.
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die von den Italienern inzwischen beschlagnahmt worden waren, nicht zurückerstattet. Viele Menschen sahen sich nun durch die Forderung, die Anleihen zu bedienen, unter erheblichen finanziellen Druck gesetzt. Daraufhin war im Juni 1922 in Rom ein Moratorium erlassen worden, „demzufolge die gerichtliche Eintreibung von Forderungen aus Kriegsanleihe-Belehnungen für unzulässig erklärt wurde“. Das schützte nun zwar die Bevölkerung vor der totalen Überschuldung und Verarmung, die Tiroler Vereinsbank jedoch musste neben anderen 1921 „mit zehn Filialen in das Ausgleichsverfahren“ treten, „das weiterhin zum Konkurs führte“97. So waren die Menschen schließlich doch betroffen; viele verloren große Teile ihrer Ersparnisse und glitten selbst in die Insolvenz.98 Die Annexion und dessen finanzielle und gesetzliche Folgen hatten so unmittelbaren Einfluss auf den Konkurs. Zum Ruin der Bank trugen in erheblichem Maße unvorsichtige Kreditvergaben bei, unter anderem durch den Filialleiter Artur Schwetz in Bruneck. Der hatte Alfons Graf Bossi-Fedrigotti zwischen Mai 1920 und August 1921 rund 650.000 Lire gewährt, die nicht mit der Direktion abgestimmt und so nicht ordnungsgemäß bewilligt worden waren.99 Der Ausgleichsverwalter der Bank befasste sich im Oktober 1922 ausführlich mit der Verbindung zwischen Schwetz und Bossis Vater Alfons: Eine nähere Untersuchung ergab, dass ein grosser Teil der Bewegung auf dem Konto Bossi-Fedrigotti fingiert war. Noch Ende Juli 1921 hatte die Schuld des Genannten eine buchmässige Höhe von L. 440.000.– […]. Man einigte sich mit dem Schuldner auf die hypothekarische Sicherstellung auf seinem Realbesitz […]. Um die Höhe des Saldos dieses Kontos zu verschleiern, hat Herr Schwetz verschiedene Einlagen von Spareinlegern und Kommittenten nicht verbucht und diese mit mehrfachen Ausgaben an Kreditsuchende kompensiert. Zur Zeit des Revisionen anfangs August bestanden an solchen nichtverbuchten Einlagen in der Filiale rund L. 120.000.–, deren Ausgaben grösstenteils zu Lasten des Kontos Bossi-Fedrigotti in gleicher Höhe gegenüberstanden. Ferner hat Herr Schwetz vornehmlich auf dem Konto Bossi-Fedrigotti von Zeit zu Zeit, besonders gegen den Monats-Schluss, um den bei der Rohbilanz auszuweisenden Saldo des Kontos möglichst niedrig zu halten, seinen gesamten Scheck- oder Wechselbestand dem Konto Bossi-Fedrigotti gutgeschrieben, 97 98 99
Entnahmen aus: Herre (1927), S. 239. Reut-Nicolussi (1928), S. 108. „Bericht des Ausgleichverwalters zur Ausgleichstagsatzung am 8. Jänner 1922: an das kgl. Tribunal für Zivil- und Strafsachen in Bozen“, S. 5. Südtiroler Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann Bozen. http://digital.tessmann.it/tessmannDigital/Medium/Seite/19676/4 [Zugriff: 19.06.2017]. Offenbar hatten zwischen 1919 und Frühjahr 1921 keine Revisionen stattgefunden. Vgl. S. 11.
3.2 Italienischer Militärdienst
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und in den ersten Tagen des nächsten Monats demselben wieder in Form von Behebungen, oder Überweisungen belastet. Diese Manipulationen hat Herr Schwetz schon seit dem Herbste 1920 praktiziert. Die Nachbuchungen bezw. Richtigstellungen der verschiedenen umgebuchten Belege oder fingierten Posten ergaben, dass das Konto Bossi-Fedrigotti nicht den oben angegebenen Saldo, sondern einen solchen von weit über L. 850.000.– aufwies. Eine unverantwortliche Irreführung der Direktion bestand somit darin, dass Herr Schwetz es zugelassen hat, dass sich die Tiroler Volksbank mit dem Grafen Bossi-Fedrigotti auf einen Saldo von etwa L. 440.000.– geeinigt und hierfür die Sicherstellungen beschafft hätte, trotzdem er wusste, dass Bossi-Fedrigotti mehr als das Doppelte schuldig war. Um die Manipulationen auf dem Konto Bossi-Fedrigotti zu verschleiern, wurden mehrfach fingierte Konten eröffnet, z. B. unter dem Namen Johann Rutter, Toblach, Mitzi Lackner, Toblach, die effektiv den Grafen Bossi-Fedrigotti betrafen. Ferner hat Herr Schwetz den grössten Teil der Quittungen für Zahlungen an den Grafen Bossi-Fedrigotti selbst unterschrieben, anstatt, wie es ordnungsgemäss hätte sein sollen, dieselben vom Grafen persönlich unterschreiben zu lassen.100
Durch Schwetz’ Irreführungen hatte sich die Bank mit einer deutlich geringeren Sicherstellung zufrieden gegeben als eigentlich erforderlich gewesen wäre. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Bossis Vater Alfons von diesen Manipulationen nichts wusste, zumal ihm höchstwahrscheinlich eine wesentlich höhere Kreditsumme zur Verfügung stand.101 Neben diesen Entwicklungen ergriffen die Italianisierungsmaßnahmen bald den Bankensektor insgesamt. Eines der Ziele des inzwischen zum Senator ernannten Tolomei war die „Beseitigung deutscher Banken“ und gleichzeitig die „Errichtung einer italienischen Bodenkreditbank“102. Dazu war 1921 die ‚Ente di Rinascita Agraria per le Tre Venezie‘ (ERA) entstanden, die den Südtirolern Grund und Häuser zum Zwecke des Verkaufes an Italiener abnehmen sollte.103 „Dies war der Versuch einer ‚Eroberung des Bodens‘“104, der allerdings 100 101 102 103
104
Ebd. Ebd. Der Ausgleichsverwalter hielt schließlich fest, dass mit regelmäßigen Revisionen, auch im Konto Bossi-Fedrigotti, eine solche Entwicklung hätte verhindert werden können. Entnahmen aus: Corsini/Lill (1988), S. 126. Zwischen 1926 und 1928 gelangte so die Landwirtschaftliche Zentralkasse in Bozen mit ihren 136 Raiffeisenbanken unter italienische Verwaltung. „Ein Jahr später musste die Kasse wegen Zahlungsunfähigkeit ihre Schalter schließen“. Steininger (2017), S. 57. Auch die Abschaffung des Tiroler Höferechts mit der ehemals österreichischen Erbfolgeregelung sollte zur Auflösung alter Strukturen beitragen und die großen Ländereien zerteilen helfen. Steininger (2017), S. 57.
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bis 1948 wenig erfolgreich blieb, da sich die Bevölkerung untereinander finanziell organisierte.105 Der Konkurs der Tiroler Vereinsbank zeigte schnell unmittelbare Auswirkungen auf die Bossi-Fedrigottis. Im April 1923 berichteten die Bozner Nachrichten von einem Ausgleichsverfahren über das Vermögen „des Alfons Graf Bossi-Fedrigotti, Grundbesitzer in Toblach, registriert unter der Firma ‚Alfons Graf Bossi-Fedrigotti, Holzhandlung und Sägewerk in Toblach‘“106. Bereits Mitte September 1923 eröffnete das königliche „Tribunal für Zivil- und Strafsachen in Bozen“ den Konkurs, „nun, nachdem der Schuldner seinen Ausgleichsantrag zurückgezogen hat […]“107. Auch sein Privatvermögen, die Ländereien, das Schloss und die Villen im Dorf waren betroffen.108 Im Dezember 1924 kam die Herbstenburg „samt Güter-Komplex“109 zur Versteigerung. Die Liegenschaften wurden in 36 Komplexe zerlegt, die einzeln zur Versteigerung gelangen. Den ersten Komplex bildet das alte, durch den seinerzeitigen Aufenthalt des Kaisers Max beim Ritter Herbst bekannt gewordene Schloß Herbstenburg in Toblach, das mit anschließendem Garten und Park auf 190.000 Lire geschätzt ist, dann gelangen in drei Partien die drei Fremdenvillen zur Versteigerung und in weiteren Partien die Alpen und Felder. Die Gesamtschätzung erreicht rund dreiviertel Millionen Lire und bleibt wenig unter dem Schuldenstande. Schließlich kommen nach der Versteigerung der Realitäten auch noch zahlreiche Einrichtungen des Schlosses, des Wirtschaftsgebäudes und der Villen zum Verkaufe, jedoch ohne die wertvollen Altertümer im Schlosse.110
Dem Ausgang der Auktion habe man „mit großem Interesse und besonderer Spannung“111 entgegengesehen. Mitte des Monats wurde die 105 106 107 108 109 110
111
Ebd., S. 58. O. V.: „Volkswirtschaft“. In: Bozner Nachrichten v. 23.04.1923, S. 10. Siehe dazu auch O. V.: „Aus dem italienisch gewordenen Pustertale“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 04.05.1923, S. 6. Bossi-Fedrigottis Schuldenstand habe zwei Millionen Lire betragen. Entnahmen aus: O. V. : „Wirtschaftliche Nachrichten.“ In: Der Tiroler v. 13.09.1923, S. 4. Ebd. Zu den Villen vgl. Hofer (2010), S. 17. O. V.: „Heimatliches“. In: Bozner Nachrichten v. 05.12.1924, S. 4. Ebd. 1910/1911, als BFs Vater sich an einem Hotelbau beteiligen wollte, entsprachen zwei Millionen Kronen ca. heutigen 10-12 Millionen Euro. Zwischen 1914 und 1918 sank der Wert der Krone erheblich. Österreich-Ungarn hatte die Inflation durch Kriegsanleihen und Darlehen der Notenbank beschleunigt. Im April und Dezember 1919 wurden Kronen zu Lira in Südtirol im Kurs 100 / 60 (1914 noch 100 : 105!) gewechselt. Vgl. Parschalk (2003), S. 349 u. Steurer (1980), S. 121. Der hier geschätzte Wert von 750.000 Lire entsprach also annähernd einem Kronen-Wert in Höhe von 1,25 Millionen und demnach etwa heutigen zwei bis drei Millionen Euro. Ebd.
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Versteigerung der Herbstenburg und des dazugehörigen großen Besitzes […] nach fünftägiger Dauer in Toblach beendet. Die Herbstenburg, das Hauptobjekt, kaufte Frau Gräfin Bossi-Fedrigotti um 146.000 Lire, dazu ein kleineres Grundstück neben dem Schlosse. […] Die zahlreichen schönen Gründe erreichten ausnahmslos hohe Preise.112
Zur ohnehin unsicheren finanziellen Familiensituation der Bossi-Fedrigottis vor 1918 trat nun also einerseits die Wirkung neuer italienischer Gesetze, die den Konkurs einiger Banken und ihrer Schuldner bedingten, und andererseits undurchsichtige und riskante Kreditnahmen durch Bossis Vater. Nachdem sein Sohn vom Militärdienst zurückkehrt war, erlebte er so den „wirtschaftlichen Zusammenbruch des väterlichen Besitzes“113. Doch nicht nur das: Mit dem Gut, das zwar die Mutter kaufte, aber vor allem mit den Ländereien gingen nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch eine soziale und kulturelle Existenzgrundlage verloren, außerdem der potentielle „Rückfallposten“114 für junge und in Schwierigkeiten geratene Familienmitglieder. Bossi, der schon die Abtretung und Italianisierung Südtirols erlebte, ohne dagegen gekämpft haben zu können, dürfte das als weitere Erniedrigung wahrgenommen haben. Erst 1929 wurde „der Konkurs des Conti Bossi-Fedrigotti Alfonso, Besitzer in Dobbiaco […] nach Verteilung des Massevermögens aufgehoben“115. Bossis Ausbildung, die der Verwaltung des heimischen Guts hatte dienen sollen, war insofern erst einmal nutzlos geworden. Weitgehend perspektivlos wurde er „in der Folge dann im Verkehrsdienst eines großen Fremdenhotels“116
112
113
114 115 116
O. V.: „Heimatliches“. In: Bozner Nachrichten v. 18.12.1924, S. 4. Am 24.06.1932 berichtete schließlich die Alpenzeitung von der bevorstehenden erneuten Versteigerung des Schlosses Herbstenburg. Scheinbar hatten sich die finanziellen Verhältnisse bis dorthin nicht gebessert. O. V.: „Auszüge aus dem Amtsblatt“. In: Alpenzeitung v. 24.06.1932, S. 8. Das Schloss wurde von BFs Tante Emma von Sayn-Wittgenstein-Goldegg gekauft und blieb in der Familie. Siehe O. V.: „Auszug aus dem Amtsblatt“. In: Volksbote v. 11.08.1932, S. 13. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton u. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Die Familie BFs versäumte es nicht, den Konkursverwaltern vorzuwerfen, sie würden bewusst ein ‚altes Tiroler Geschlecht‘ auslöschen und den Italienern preisgeben. Siehe Polaczek, R.: „Das Schicksal deutscher Schlösser in Südtirol“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 12.12.1924, S. 4 u. O. V.: „Das Schicksal deutscher Schlösser in Südtirol“. In: Ebd. v. 24.12.1924, S. 7. Malinowski (2003), S. 284. O. V.: „Auszüge aus dem Amtsblatt“. In: Alpenzeitung v. 01.11.1929, S. 5. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton.
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seiner Heimat tätig, begleitete Reisen als „sogenannter Hessenfahrer“117 und finanzierte seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Im Februar 1924 ging er für vier Monate nach Berlin-Schöneberg, um „im Kaufmannsberufe (bei der Mex G.m.b.H.)“118 zu arbeiten. Möglicherweise hatte er die Stadt bereits während seiner Ausbildung in der Uckermark oder auf verschiedenen Reisen kennengelernt. Von Juni bis September des Jahres hielt er sich dann im schweizerischen Charl auf, vermutlich ebenfalls berufsbedingt. Seine Stellensuche scheint ihn jedenfalls weit herumgeführt zu haben. Über die Zeit zwischen September 1924 und 1926 liegen nur sehr wenige Daten vor. Bossi befand sich anscheinend sowohl auf dem „väterlichen Gut“ als auch in Berlin auf „Stellungssuche, als d. väterliche Gut versteigert wurde“119. Zwischenzeitlich habe ihn sein Vater „nach Hause gerufen“, um „bei der Liquidierung des Besitzes“ zu helfen. Schließlich widmete er sich „dann der automobilistischen Tätigkeit in Brescia und Bozen“120. Die unmittelbaren Kriegs- und Annexionsfolgen beeinflussten Bossis Leben noch acht Jahre nach Kriegsende unmittelbar. Es schien sich kein Weg aus dem unsteten Berufsleben heraus eröffnet zu haben. Der finanzielle Ruin seiner Familie wurde ihm und seinem sozialen Umfeld dauerhaft vor Augen geführt. Im Herbst des Jahres 1926 ergab sich schließlich doch eine neue Aufgabe. Bossi wurde laut Inkrafttreten des Dekrets der fascistischen [sic!] Regierung über den Pflichtbesuch der Reserveoffiziersschule durch Abiturienten neuerdings eingezogen. Er diente als Reserveoffiziersschüler auf der Bersaglieri-Offiziersschule zu Rom, als Sergeant beim 2. Bersagliereiregiment zu Rom und endlich als Leutnant der Reserve im 4. Bersaglieriregiment zu Turin und an der italienisch-französischen Grenze.121 117 118
119 120 121
Der Begriff scheint darauf hinzudeuten, dass von diesem Hotel aus regelmäßige Reisen nach Hessen angeboten wurden. Hinweise dazu ließen sich nicht ermitteln. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Nähere Angaben zur Firma waren auch mithilfe des Berliner Adressbuchs von 1924 nicht zu ermitteln. https://digital.zlb.de/viewer/image/10089470_1924/1/LOG_0003/ [Zugriff: 10.07.2017]. Entnahmen aus: Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. Entnahmen aus: Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Die Angaben sind die einzigen Belege zu dieser Zeitspanne, die ermittelt werden konnten. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Hier gibt er an, vom 01.09.1927 bis 01.10.1928 nochmals in italienischen Militärdiensten gestanden zu haben. Seit Mai 1928 befand er sich allerdings schon nicht mehr auf italienischem Staatsgebiet. Die Gau-Personalakte Tirol-Vorarlberg, die sich im Tiroler Landesarchiv befindet, gibt die exakten Daten an. Personalkarte, TLA, ATLReg., Präs. I,
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Spätestens seit 1925 rüstete Mussolini auf. Eine stärkere Armee sollte den alten, wiederaufgenommenen Anspruch Italiens auf eine Vormachtstellung im Mittelmeerraum unterstreichen (‚mare nostrum‘) und gleichzeitig die Situation in Südtirol mithilfe einer „Konzentration auf die Nordgrenze“ beruhigen, deutete sich doch immer wieder ein möglicher Anschluss „Oesterreichs an Deutschland“122 an. Nach Ministerrat und Abgeordnetenhaus befasste sich auch der italienische Senat mit den Gesetzentwürfen über die „Neuordnung des Heeres“123 und genehmigte sie abschließend am 11. März 1926.124 Für die elitären Bersaglieri, eine traditionsreiche, leichte Infanterieeinheit (dt.: ‚Scheibenschützen‘), waren künftig zwölf Regimenter (mit je drei Bataillonen) vorgesehen, die als „radfahrende […] Formationen organisiert“125 wurden. In die in Rom gelegene Reserveoffizierschule dieser Truppe rückte Bossi am 1. September 1926 zu seinem zweiten Militärdienst mit einer Verpflichtung für mindestens drei Dienstjahre („con la ferma di tre anni“) „per frequentare il corso Allievi Ufficiali di Complemento“126 (Reserveoffizieranwärter) ein. Zeitlebens betonte er, diese zweite Dienstleistung zwangsweise absolviert zu haben. Allerdings regelte das Gesetz Nr. 396 über die italienische Heeresreform („Ordinamento del Regio esercito“127) keinen Pflichtbesuch der
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Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Auch in einem Lebenslauf von 1938 gibt er an, wieder eingezogen worden zu sein. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Entnahmen aus: Hagenbuch (1926), S. 554. O. V.: „Rundschau in der Welt. Italien“. In: Volksbote v. 11.03.1926, S. 1. Ebd. u. O. V.: „Die Heeresreform im Senat“. In: Alpenzeitung v. 10.03.1926, S. 1. Durch Veröffentlichung am 15. des Monats im Gesetzesblatt des Königreichs Italien wurden die Beschlüsse rechtsgültig. „Ordinamento del Regio esercito“ n. 396 v. 11.03.1926. Gazzetta Ufficiale del Regno d’Italia Numero 61 v. 15.03.1926, S. 1122-1128. Die Höchststärke für einen Krieg betrug künftig bis zu 7,5 Millionen Mann. Hagenbuch (1926), S. 554. Hagenbuch (1926), S. 556. Vgl. auch O. V.: „Aus dem Reiche Mussolinis“. In: Salzburger Volksblatt v. 04.01.1926, S. 1. Vgl. zur Geschichte der Einheit „I Bersaglieri“ auf der Website des italienischen Verteidigungsministeriums / des italienischen Heeres: http://www. esercito.difesa.it/organizzazione/armi-e-corpi/Fanteria/Le-Specialita/I-Bersaglieri [Zugriff: 13.07.2017]. In Rom befindet sich zudem ein eigenes Bersaglieri-Museum: „Museo di Storico dei Bersaglieri“. Zum Teil wurden die Bersaglieri auch schon vor dem Ersten Weltkrieg als Radfahrer eingesetzt. Vgl. dazu Sweet (1980), S. 21f.: „The bersaglieri and the alpine [Hervorhebungen im Original] were special types of infantry with distinctive training and uniforms“. Sinngemäß übersetzt: „um einen Reserveoffizierkurs zu besuchen“. Entnahmen aus: „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. „Legge 11 marzo 1926, n. 396. Ordinamento del Regio esercito“. In: Gazzetta Ufficiale del Regno Italia v. 15.03.1926, S. 1122-1128.
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Reserveoffizierschulen, geschweige denn einen zu rekrutierenden Personenkreis.128 Auch die deutsch- und italienischsprachigen Zeitungen Südtirols zwischen 1925 und Anfang 1926 berichteten darüber nichts. Anfang der 1930er Jahre behauptete die 1926 gegründete Alpenzeitung, ein staatlich-faschistisch gelenktes und zu diesem Zeitpunkt einziges deutschsprachiges Organ Südtirols, die Mussolini-Regierung habe „bereits seit dem Jahre 1923 den Pflichtbesuch der Reserveoffiziersanwärterkurse eingeführt, um so eine möglichst große Zahl von Offizieren heranzubilden“129. Doch auch dazu ist keine entsprechende gesetzliche Regelung aufzufinden. Im September 1924 meldeten die Bozner Nachrichten die Eröffnung verschiedener Reserveoffiziersschulen und vermerkten, „die Verpflichtung für Maturanten zum Besuche einer Reserveoffiziersschule“ bestünde „für heuer [dieses Jahr] noch nicht, doch wird uns von informierter Seite berichtet, daß es im Interesse jedes Einzelnen liegt, diese Kurse zu absolvieren“130. Auch im Juni 1925 scheint der Besuch noch freiwillig gewesen zu sein.131 Als im März 1926 die Wehrpflichtigen des Jahrganges 1906 einberufen werden sollten, konnten diese die „Einteilung in einen Reserveoffizierskurs“132 beantragen. Für einen Pflichtbesuch andererseits spricht, dass Ende 1925 und Anfang 1926 neben den neuen Wehrpflichtigen auch die „Ex-Oesterreicher und nun italienischen Staatsbürger der Altersklassen 1900 usw.“133 eingezogen worden sein sollen, die noch in Österreich zurückgestellt worden waren und keinen Militärdienst geleistet hatten. Doch diese Regelung wurde schon Ende März 1926 wieder aufgehoben.134 Im März 1927 berichtete die Zeitung Dolomiten (die seit Ende 1926 wieder erschien) dann über die „Einberufung des Jahrganges 1907“: „Wie bekannt, beginnt mit dem Jahrgang 1907 die Pflicht des Besuches der Reserveoffizierskurse für alle jene, welche die dafür vorgeschriebenen 128
129 130 131 132 133 134
Die Durchsicht der italienischen Dekrete der Jahre 1925 und 1926 (weit über 100) brachte dazu keine neuen Erkenntnisse. Vgl. die Gesetzessammlungen der Gazzetta Ufficiale: http://augusto.agid.gov.it/#giorno=1&mese=1&anno=1926 [Zugriff: 13.07.2017]. Auch in Rochat/Massobrio (1978), S. 219ff., u. Ilari (1990), S. 7-109, ist dazu nichts vermerkt. O. V.: „Die Sitzung der Kammer“. In: Alpenzeitung v. 27.11.1931, S. 1. Andere südtirolischdeutschsprachige Blätter, die über eine solche Pflicht hätten berichten können, erschienen 1926 schon nicht mehr. Entnahmen aus: O. V.: „Eröffnung der Reserveoffiziersschulen“. In: Bozner Nachrichten v. 09.09.1924, S. 4. O. V.: „Heimatliches. Zulassung zu den Ergänzungs-Offiziers-Kursen“. In: Bozner Nachrichten v. 06.06.1925, S. 3. R.B. (Verfasser): „Die Einberufung der Altersklasse 1906 und bei ihr eingeteilten Jahrgänge zur militärischen Dienstleistung [Fortsetzung]“. In: Alpenzeitung v. 28.03.1926, S. 2. Ebd. O. V.: „Aus Stadt und Land“. In: Alpenzeitung v. 30.03.1926, S. 3.
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Studientitel haben“135. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Bossi jedoch bereits bei den Bersaglieri. Für eine neuerliche Verpflichtung spricht auch, dass er den italienischen Behörden 1947, als er vorübergehend wieder in Toblach wohnte und es ihm hätte möglicherweise nützlich sein können, sich 1926 freiwillig zur italienischen Reserveoffizierausbildung gemeldet zu haben, angab, ins Militär zurückgerufen („richiamato“136) worden zu sein.137 Bereits drei Monate später, Mitte Dezember 1926, wurde Bossi zum Korporal (Gefreiter) und im März 1927 zum Sergente (Unteroffizier) befördert. Gleichzeitig versetzte man ihn zum 2. Bersaglieri-Regiment.138 Nach der Ernennung zum „sottotenente di complemento“139 (Leutnant der Reserve) wechselte er zum 4. Regiment (26. Bataillon, 3. Kompanie) nach Turin.140 Das nebenstehende Foto zeigt Bossi in der Leutnants-Uniform des 4. BersaglieriRegiments (im Mützenkranz befindet sich eine ‚4‘).141 In einem Leserbrief an den Berliner Lokalanzeiger im November 1930 wird er später behaupten, als 135
136 137
138 139 140
141
O. V.: „Einberufung des Jahrganges 1907“. In: Dolomiten v. 16.03.1927, S. 2. Offenbar begann also 1927 eine Pflicht zum Besuch der Reserveoffizierschulen. Das könnte auch erklären, weshalb BF nur wenige Jahre nach seinem zweiten Dienst, als er bereits nicht mehr in Italien weilte, sich aber aufgrund der nur wenigen dazwischenliegenden Jahre im Grunde noch hätte erinnern müssen, angab, vom 01.09.1927 (!) bis 01.10.1928, also ein Jahr später, gedient zu haben. Vgl. seine Angaben im Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über seinen Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 1. BF an „Comando del Distretto Militare Bolzano“ v. 30.07.1947. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Die Frage, ob BF seine zweite Dienstzeit freiwillig oder als Pflicht ableistete, wird sich möglicherweise nicht abschließend klären lassen. Auch die italienische Militärpersonalakte gibt dazu keinen weiteren Aufschluss. Bei der Recherche zu dieser Frage waren Harald Toniatti, Direktor des Staatsarchivs Bozen, Dott. Matteo Pardo, Wissenschaftsattaché der italienischen Botschaft in Berlin, Thomas Casagrande, Politologe und Historiker und Leopold Steurer besonders hilfsbereit. Siehe E-Mails Harald Toniatti an CP v. 10.07. u. 13.07.2017, Matteo Pardo an CP v. 11.07.2017, Thomas Casagrande an CP v. 12.07.2017 u. Leopold Steurer an CP v. 13.07.2017 u. 22.07.2017. „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Ebd. Ebd. u. „Note caratteristiche 4. Regg[imen]to Bersaglieri Anno 1927“ (Personaldatenblatt) v. September 1927. Im Grunde genommen ist der Dienstgrad eines ‚sottotenente‘ mit ‚Unterleutnant‘ zu übersetzen. Das deutsche Pendant im Vergleich der Dienstränge ist jedoch der Leutnant. Fotografie aus: „Note Caratteristiche“. Ebd.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Abb. 3 ‚Antonio Bossi-Fedrigotti‘ als italienischer Bersaglieri-Soldat.
Reserveoffizier des italienischen Heeres mit den italienischen Truppen in Afrika gekämpft und als Zeichner in besonderer Dienstverwendung einen Einblick in die Stellung des italienischen Generalstabes […] gewonnen […]142
zu haben. Demnach wäre das schon sein zweiter Einsatz in Afrika gewesen, was die Bozner Militärakten allerdings nicht bestätigen.143 Höchstwahrscheinlich vermengte er hier seinen Einsatz in Afrika 1923 mit der Reserveoffizierausbildung. Angesichts der 1930 kaum erst verstrichenen zweiten Dienstzeit könnte der im Artikel angeführte dortige Einsatz als Reserveoffizier dazu gedient haben, seinen Schilderungen Nachdruck zu verleihen. Aus den letzten Monaten seiner zweiten Dienstzeit hat sich ein privates Detail im Wiener Salonblatt von September 1927 erhalten: Zu Turin verlobten sich Mitte des Vormonates Donna Vittoria Introini und der kgl. Ital. Lt. im BersaglieriRgt. Nr. 4 Graf Anton Bossi-Fedrigotti v. Ochsenfeld, 142 143
O. V.: „Ein Südtiroler züchtigt den Mussolini-Rauch deutscher Stahlhelmer“. In: Salzburger Wacht v. 28.11.1930, S. 2. Auch zum Einsatz des 2. oder 4. Bersaglieri-Regiments in Afrika ließen sich keine Hinweise ermitteln. Ein zweiter Einsatz lässt sich bisweilen nicht zweifelsohne ausschließen. In einem Zeitungsartikel führte er seinen Einsatz als Reserveoffizier in Afrika nochmals an: Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelmzeichen für Mussolini“. In: Südtiroler Heimat v. 01.12.1930, S. 4.
3.2 Italienischer Militärdienst
87
einziger Sohn des Herrn auf Herbstenburg Grafen Alfons und der Gräfin Itha Bossi-Fedrigotti geb. v. u. z. Goldegg u. Lindenburg.144
Bevor er erneut aus dem Dienst entlassen wurde, leistete er Anfang September 1927 in Turin noch seinen Treueeid.145 Im Zuge seines Dienstzeitendes erhielt Bossi eine Beurteilung durch seinen Kompaniechef. Der Reserveleutnant habe seit dem 21. Juli 1927 in dessen Einheit gedient, sei in gesunder und robuster Verfassung, darüber hinaus ein hervorragender Radfahrer, stets diszipliniert, ein guter Kamerad, gegenüber Untergebenen freundlich und bestimmt und „disciplinato e deferente con i superiosi“146 (diszipliniert und respektvoll gegenüber Vorgesetzten) gewesen. Er habe eine gute allgemeine und militärische Bildung, zeige sich intelligent und fleißig. In Übungen habe er Initiative bewiesen, eine hohe Verbundenheit mit der Einheit gezeigt und sei so in hervorragender Weise als Zugführer geeignet gewesen. Der Bataillonskommandeur bestätigte die Beurteilung und nannte den Südtiroler „un elemento prezioso per la specialità bersaglieri“147 (einen wertvollen Gewinn für die Bersaglieri-Spezialeinheit). Am 30. September 1927 entließ ihn das Militär offiziell in den Reservistenstatus, ordnete ihn als solchen dem Militärbezirk Belluno zu und vermerkte als künftigen Wohnort wieder das Familienschloss.148 Die Unterlagen belegen 144
145 146 147 148
O. V.: „Vermählungen und Verlobungen“. In: Wiener Salonblatt v. 04.09.1927, S. 6. Über Verlobung und Verlobte ließen sich keine weiteren Hinweise ermitteln. BF hat sich in keinem bekannten Text oder Dokument damit auseinandergesetzt. Auch intensive Recherchen zur Familie und zu V. Introini ergaben keine weiteren Hinweise. Offenbar wurde die Verbindung wieder gelöst. Vgl. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Aus dem Antrag stammen die exakten Daten, die zu diesem Zeitungseintrag passen: Er sei „Leutnant der Reserve im 4. Bersaglieriregiment zu Turin“ gewesen. Erklärung BFs über Ableistung des Treueeides v. 01.09.1927. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Dienstliche Beurteilung des ‚Comandante la Compagnia‘ v. 27.09.1927. Ebd. Dienstliche Beurteilung des ‚Comandante del Battaglione‘ v. 30.09.1927. Ebd. Der Regimentskommandeur bestätigte die beiden vorhergehenden Beurteilungen am 15. Oktober 1927. Dienstliche Beurteilung des ‚Comandante des Reggimento‘ v. 15.10.1927. Ebd. „Foglio matricolare e caratteristico“ u. Erklärung BFs zu seinem Wohnsitz (Toblach) nach dem Dienstzeitende v. 30.09.1927. Ebd. BF leistete 13 Monate Militärdienst zwischen 1926 und 1927. Zur Dauer ließen sich keine gesetzlichen Regelungen oder Anhaltspunkte in der Militärakte finden. Die neuen Gesetze stellten die Militärbezirkskommandos den Gemeinden Ende März 1926 zu. Darin war nun auch die Rede davon, dass alle vor 1904 Geborenen und zum Militärdienst Tauglichen „12 Monate präsent dienen“ sollten. O. V.: „Die Einberufung der Altersklasse 1906 und bei ihr eingeteilten Jahrgänge zur militärischen Dienstleistung“. In: Alpenzeitung v. 27.03.1926, S. 4. Offenbar kam es aber
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
kein unregelmäßiges Dienstzeitende. Bossi musste sich anscheinend zu einer Mindestdienstzeit von drei Jahren verpflichten, davon jedoch nur 13 Monate Präsenzmilitärdienst ableisten und der Rest in Beurlaubung verbringen: „Tale inviato in congedo per aver ultimato gli obblighi di servizio“149. Er schrieb später, dass es ihm „als einzigem männlichen Mitglied in unserer Familie, nach dem Weltkrieg verwehrt gewesen [war], Berufsoffizier zu werden“150. Damit nahm er wohl weniger Bezug auf Italien als auf Österreich. Seine Militärlaufbahn in Italien allerdings zeigt, dass ihm hier allem Anschein nach eine weitergehende militärische Offizierkarriere offen gestanden haben könnte, auch wenn er zuletzt lediglich Reserveoffizier geworden war. Die vorliegenden Dokumente und Belege weisen eher auf einen freiwilligen zweiten Dienst hin. Das bestätigte auch der Südtiroler Historiker Leopold Steurer nach Sichtung des ‚foglio matricolare‘, der dazu Rücksprache mit dem Meraner Militärhistoriker Giorgio Dotti hielt.151 Daneben notierte die italienische politische Polizei, die Bossi seit 1931 observierte und bis 1937 ein detailliertes Dossier zu seinem Wirken anfertigte, das sich im Archivio centrale dello Stato in Rom erhalten hat, im Frühjahr 1931, Bossi habe sich aus wirtschaftlicher Not und Bedrängung heraus zur Offizierausbildung beworben und nach Lybien geschickt werden wollen – was freilich nicht gelang.152 1925 und 1926 waren für Bossi offenbar perspektivlose Jahre. Gleichzeitig bemühte sich der faschistische Staat mit allerlei rücksichtslosen Maßnahmen um eine allumfassende Assimilierung der Südtiroler. Der zweite Militärdienst eröffnete möglicherweise neue Perspektiven, Verdienstmöglichkeiten und
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150 151
152
auch vor, dass Dienstzeiten bei einzigen Söhnen „des lebenden Vaters“ verkürzt wurden, auch bei Reserveoffizieranwärtern. O. V.: „Aus Stadt und Land“. In: Der Tiroler v. 19.09.1925, S. 3 u. O. V.: „Abgekürzte Militärdienstzeit“. In: Volksbote v. 19.11.1925, S. 10. Sinngemäß übersetzt: „Überstellung in die Beurlaubung für den Abschluss der Dienstverpflichtungen“. „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. BF an SS-Brigadeführer Stahlecker, Inf. Abt. AA, v. 16.05.1941, PA AA, R 60704. Steurer schrieb, auch für Dotti sei „ganz einwandfrei klar, dass BF von sich aus um diese Wiedereingliederung ins Heer (riassumendolo = ihn wieder eingliedernd, wieder aufnehmend) angesucht hat und dass keinerlei Vorschrift dazu“ bestanden habe. E-Mail Leopold Steurer an CP v. 22.07.2017. Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“. Die Akte aus dem römischen Staatsarchiv ist gestützt auf vertrauliche Informationen und Observierungen aus Berlin, Innsbruck, München und Zürich und belegt u. a. die exakten Adressen BFs und seine Arbeit für österreichische und deutsche Zeitungen. Ein Dokument aus Zürich vom 10.02.1933 bezeichnet BF als „capo del movimento antiitaliano“ (Führer/Chef der antiitalienischen Bewegung). Siehe ebd.
3.2 Italienischer Militärdienst
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die Gelegenheit, beruflich von Südtirol fernbleiben zu können. Schnell stieg Bossi zum Leutnant auf, zeigte sich dienstbeflissen und erhielt ausgezeichnete Beurteilungen. Die Fotografie unterschrieb er mutmaßlich freiwillig als ‚Antonio‘. Diese Belege weisen eher nicht auf eine Zwangsverpflichtung hin. Den Höhepunkt seiner bereits fortgeschrittenen Assimilierung in Italien bildete wohl die Verlobung mit einer Italienerin. Als 1926 und 1927 der Gipfel der Italianisierungsmaßnahmen erreicht war, hatten bereits viele Südtiroler ihre Stellen im Staatsdienst verloren.153 Verschärfte Einstellungsvoraussetzungen führten dazu, dass deutschsprachige Bewerber kaum noch als Beamte oder überhaupt in öffentlichen Stellen arbeiten konnten.154 Nicht so Bossi-Fedrigotti: Unmittelbar nach seiner zweiten Dienstzeit blieb er in italienischen Staatsdiensten und wurde „Sekretär der Fremdenverkehrskommission Toblach-Südtirol“. Er arbeitete für die „Gemeinde und [den] Fremdenverkehrsverband Toblach (Dobbiaco)“ und damit, so spezifizierte er selbst, als Beamter für eine „ital. Behörde“155. Nach 1919 hofften die touristisch versierten Südtiroler auf einen Wiederaufschwung des Fremdenverkehrs und eine Besserung der wirtschaftlichen Lage. Zunächst hatten „die Kriegsereignisse und die […] Brennergrenze“ den „Strom wohlhabender Urlaubsgäste aus dem Norden versiegen“ lassen. Ohne dass staatsrechtliche Grundfragen geklärt waren, gab es „keine für den Fremdenverkehr zuständige Organisation […]“. Verschiedene Eigeninitiativen zur Wiederbelebung des Fremdenverkehrs verliefen im Sand. Erst im Mai 1923 wurden „durch Verordnung des Präfekten alle Fremdenverkehrsorganisationen dem staatlichen ENIT (Ente Nazionale Industrie Turistiche) unterstellt“156. Dem Provinzialausschuss in Trient unterstanden zwölf Lokalausschüsse, denen sich in einer Art Zunftzwang alle im Tourismus Tätigen anschließen mussten. Als die Gästezahlen langsam wieder stiegen, boten sich in diesem Segment neue Arbeitsplätze, sowohl vor Ort als auch in der übergeordneten Verwaltung, doch vor allem für Italiener. 153 154 155
156
Parteli (1988), S. 138. Schreiber (2008), S. 365f. u. Steininger (2004), S. 42. Denkbar wäre, dass dieser Posten im Zusammenhang mit der Ableistung der Reservistenverpflichtung gestanden haben könnte. Dazu gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt. Dagegen spräche auch, dass er nie eine entsprechende Pflicht zur Annahme dieser Stelle erwähnte, während er das von seinem zweiten Militärdienst wiederholt behauptete. Entnahmen aus: Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. BF vermerkte in verschiedenen Dokumenten verschiedene Einsatzorte, darunter Toblach, Bozen oder alternativ „im Oberen Pustertale“. Siehe Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Entnahmen aus: Parschalk (2003), S. 184 u. 187.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Sofern Bossi sich um den Posten im Fremdenverkehr selbst beworben hatte, scheint es, als hätten die italienischen Behörden ihn zur Hochphase der Italianisierungsmaßnahmen möglicherweise nicht (oder nach Militärdienst, Verlobung und hervorragenden Beurteilungen nicht mehr) als Teil der deutschen Volksgruppe wahrgenommen. Möglicherweise erkannten sie auch, dass hier – angesichts der ursprünglich italienischen Familiengeschichte – ein Beispiel für eine potentiell gelungene Assimilierung vorlag. Dass er den Job in dieser Zeit in Südtirol bekleidete, lässt auch eher den Rückschluss auf eine freiwillige zweite Dienstzeit zu. Die Gegebenheiten deuten darauf hin, dass Bossi es verstand, sich vor dem Hintergrund einer (auch finanziell) unsicheren Zukunft den neuen Gegebenheiten anzupassen. Als Mitarbeiter der Kommission unterstand er „direkt dem fascistischen [sic!] Vizepräfekten Grafen Amigoni und dem ausserordentlichen fascistischen Parteisekretär für Südtirol Giarratana“157. Schließlich wurde er auch Mitglied der faschistischen Partei, was nach seiner eigenen Schilderung „über ihn als Beamten zwangsweise verfügt“ worden war. Das „Tragen des fascistischen Parteiabzeichens“ und den Beitritt zur „fascistischen Miliz“158 will er verweigert und sich gleichzeitig bereits „politisch […] als Ausschußmitglied in den bekanntesten Volkstumsverbänden“159 seiner Heimat engagiert haben. Doch auch diese Behauptungen müssen nach bisherigen Erkenntnissen als zweifelhaft gelten, auch wenn sie letzten Endes nicht zu widerlegen sind.160 Auch die Akte der italienischen politischen Polizei vermerkt, er habe sich nach seinem Dienstende beim Militär den Faschisten angeschlossen.161 Die Personalabteilung des Propagandaministeriums in Berlin schrieb dreizehn Jahre später, Bossi sei gar Offizier der faschistischen Miliz gewesen.162 Partei-
157 158 159 160
161 162
Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5 u. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton. Entnahmen aus: Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Diese Angaben stammen aus dem Einbürgerungsantrag in Deutschland 1931. Es scheint, BF verdrehte die Tatsachen nach seiner Flucht, um den Berliner Behörden bessere Argumente (eines schutzbedürftigen Südtirolers) für die Einbürgerung zu liefern. Dazu mehr in Kapitel III. Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“. Dr. Müller, Leiter Personalabteilung RMVP, an Goebbels v. 12.07.1939, BArch R 9361-II/ 102614, Bl. 30ff.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
91
mitglieder mussten ab Oktober 1926 einen Eid ablegen, so möglicherweise auch er: ‚Ich schwöre, dass ich den Befehlen des Duce, ohne zu diskutieren, nachkommen werde und dass ich mit all meinen Kräften und wenn es nötig ist, mit meinem Blute, der Sache der faschistischen Revolution dienen werde.‘163
Noch im Januar 1928 beteiligte sich „Graf Antonio Fedrigotti für den [Sport] Club ‚Alta Pusteria‘“164 neben anderen bekannten Persönlichkeiten Toblachs (u. a. des ‚Podesta‘ und militärischer Vertreter) als Rennleiter an einer SkiVeranstaltung. Er zeigte sich also auch öffentlich mit Vertretern des faschistischen Staates. 3.3
Flucht über Österreich nach Deutschland
Im Mai 1928 seien die italienischen Behörden „aufgrund einer Anzeige“ darauf gekommen, dass Bossi „Mitglied des Andreas Hoferbundes war und in der volksdeutschen Bewegung arbeitete“165. Allerdings stammt auch diese Behauptung aus einer Zeit, in der er sich darum bemühte, als verfolgter Südtiroler zu gelten, der sich für das ‚Deutschtum‘ seiner Heimat eingesetzt haben wollte. Nach eigenen Angaben hätten seine Weigerungen, öffentlich als Faschist aufzutreten, dazu geführt, „als politisch verdächtig“ insgesamt drei Mal angezeigt worden zu sein. Tatsächlich jedoch trat er in der Öffentlichkeit mit Vertretern des Regimes auf und galt der faschistischen Alpenzeitung offenbar als nennenswerte öffentliche Person. Kurz darauf sei er von einem czechischen [sic!] Diener namens Rudolf Zelinka, der ihn bestohlen hatte, aus Rache des Verkehrs mit österreichischen und deutschen Behörden bezichtigt und von diesem Diener bei den Fascisten angezeigt166
163 164 165 166
Parschalk (2003), S. 254, zitiert hier O. V.: „Der neue Faschisten-Eid“. In: Tiroler Anzeiger v. 12.10.1926, S. 2. O. V.: „Ausscheidungsrennen um die Meisterschaft des Valle Pusteria in Dobbiaco“. In: Alpenzeitung v. 19.01.1928, S. 3. Entnahmen aus: Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Entnahmen aus: Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Zu keiner der von ihm angeführten Anzeigen ließen sich weiterführende Hinweise ermitteln. Auch in der Militärakte ist dazu nichts vermerkt.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
worden. Deshalb und weil er „als deutschgesinnter Südtiroler mit den italienischen Behörden in Konflikt geraten“167 sei, habe er sich „nur durch die Flucht“168 der drohenden Verhaftung entziehen können. Der Unterzeichnete, die Folgen der fascistischen Anzeige wohl kennend, musste seine Heimat, am 8. Mai 1928 fluchtartig verlassen und nach Oesterreich fliehen. Acht Tage nach seiner Flucht erschienen bei seiner Mutter italienische Gendarmen und Fascisten in Stärke von 6 Mann, um den politischen Schwerverbrecher zu verhaften.169
Doch der war längst in Österreich angekommen. Offenbar völlig überstürzt lieh Bossi von einem Freunde ein Fahrrad, um über die Grenze bei Innichen zu kommen. Von Lienz aus verständigte Graf Fedrigotti seinen Freund, wo das Rad bei der Grenze stünde und versprach außerdem, den Betrag zu ersetzen, falls dasselbe beschlagnahmt werden sollte. Tatsächlich wurde das Rad zwar beschlagnahmt, aber einen Tag später dem Eigentümer wieder ausgefolgt […].170
Es ist eher unwahrscheinlich, dass er aufgrund einer Anzeige plötzlich hat fliehen müssen, auch wenn es grundsätzlich nicht auszuschließen ist. Bis kurz vor der Flucht beteiligte Bossi sich am öffentlichen Leben und arbeitete als 167
168
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Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II an Preußisches Ministerium des Innern v. 28.05.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 34. Bemerkenswert ist seine Behauptung, in Deutschtumsverbänden bereits Ende September 1927 aktiv geworden zu sein, während er seinen Namen noch in der italienischen Form mit ‚Antonio‘ schrieb. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Möglicherweise stand die Lösung seiner Verlobung im Zusammenhang mit der Flucht. Dazu liegen jedoch keine weiteren Erkenntnisse vor. Dr. Karl Mischler vom Österreichisch-Deutschen Volksbund bestätigte dem Polizeipräsidium Berlin (allerdings wieder im Zuge von BFs Einbürgerung!), dass die Familie „aus politischen Gründen aus dem heutigen Italien fortmußte. Es besteht für die Familie keinerlei Möglichkeit, sich jemald [sic!] wieder in Südtirol ansässig zu machen“. Empfehlungsschreiben Dr. Karl Mischlers (ÖsterreichischDeutscher Volksbund) zum Einbürgerungsantrag BFs an das Polizeipräsidium Berlin v. 17.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 6. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Vgl. auch BF an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, v. 18.02.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 22. Seitdem hätten die Italiener seiner Mutter offenbar auch ihren Pass verweigert, um den Sohn zur Rückkehr zu zwingen. O. V.: „Ein Südtiroler züchtigt den Mussolini-Rauch deutscher Stahlhelmer“. In: Salzburger Wacht v. 28.11.1930, S. 2. Die italienische politische Polizei widersprach dieser Darstellung jedoch in einem internen Dossier. Siehe Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“. O. V.: „Gewissenlose Journalistik“. In: Südtiroler Heimat v. 15.04.1931, S. 4.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
93
Beamter in italienischen Diensten, während die Italianisierung und Unterdrückung der Südtiroler stetig voranschritt. Wahrscheinlicher ist, wie schon Leopold Steurer und Gerald Steinacher vermuteten, dass Bossi vor seinen bzw. den Gläubigern seines Vaters floh.171 Das Konkursverfahren seines Vater lief noch bis 1929. Möglicherweise waren die Privatfinanzen des Sohnes Teil der väterlichen Konkursmasse. Die Italiener waren schnell über die Flucht („Emigrato clandestino Austria“172) informiert. Schon am 25. Mai 1928 gab der Provinzverband der faschistischen Partei öffentlich bekannt, das „Verbandsdirektorium […] in seiner gestrigen Sitzung in Gegenwart sämtlicher Mitglieder“ habe den Beschluss gefasst, „den Fascisten Grafen Antonio Bossi-Fedrigotti von San Candido aus der Partei auszustoßen“173. Sogleich befasste sich auch die italienische Justiz mit der seit 1926 illegalen Ausreise.174 Am 30. Mai 1928 wurde Bossi beim Bezirksgericht Monguelfo (Welsberg) angezeigt wegen illegalen Übertretens der italienischösterreichischen Grenze bei Prato alla Drava (Winnebach bei Innichen).175 Nur knapp einen Monat später verurteilte ihn das Gericht in Abwesenheit „alla pena di mesi sei di arresto“176 (zu einer 6-monatigen Haftstrafe) und zur Übernahme der Prozesskosten und „Spesen für die Ausstellung des Urteils“177. Doch 171 172
173
174 175 176 177
Steurer/Steinacher (2011), S. 204, die sich auf einen Brief Paul Baron von Sternbachs beziehen, der in Kap. III näher behandelt wird. Sinngemäß übersetzt: „Illegale Auswanderung nach Österreich“. „Notiz Comandante distremiles belluno“ v. ca. 1930 (o. D.). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. San Candido / Innichen ist ein Nachbarort Toblachs. Möglicherweise gab es nur dort eine Ortsgruppe der Partei. O. V.: „Federazione Provinciale Fascista. Mitteilungen“. In: Alpenzeitung v. 25.05.1928, S. 5. Am gleichen Tag brachte auch die Zeitung La provincia di Bolzano Meldungen des Provinzverbandes der faschistischen Partei: „la radiazone [die Entfernung] del conte Antonio Bossi-Fedrigotti“ aus der faschistischen Partei Innichen (San Candido) sei beschlossen worden. „Federazione Provinciale Fascista. Comunicato“. In: La Provincia di Bolzano v. 25.05.1928, S. 2. Die ‚Provincia‘ bestand von 1927 bis 1943 und war das erste italienischsprachige Blatt Südtirols. Zur Einordnung beider Zeitungen als faschistische Blätter vgl. auch Gatterer (2015), S. 28 u. Parteli (1988), S. 236. Steurer/Steinacher (2011), S. 205. „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. „Sentenza di Condanna per Contravenzione“ v. 30.06.1928. Ebd. E-Mail Leopold Steurer an CP v. 22.07.2017. BF schrieb dazu später selbst: „Er wurde in contumatiam vom Gericht Monguelfo (Welsberg) zu 6 Monaten Kerker verurteilt (No. 187/28 Reg. Gen. Rep. 377 No. 296/28 Reg. Sent., anno 6, 12. Juli 1928), während die fascistische Behörde sich das Strafmass der politischen Bestrafung bis zu seiner Ergreifung
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Bossi gab später an, als „Südtiroler Flüchtling“178 und deshalb aus „politischen Gründen“179 zu sechs Monaten Haft verurteilt worden zu sein. Dem Schuldspruch folgten schon bald auch militärische Konsequenzen. Anfang September 1928 suspendierte ihn das italienische Heer auf unbestimmte Zeit.180 Das gab er auch viele Jahre später in Deutschland freimütig an. Nicht jedoch, was ihm höchstwahrscheinlich neben der Suspendierung ebenfalls bekannt geworden sein dürfte: Am 24. Oktober 1929 degradierte ihn das Militär infolge der Verurteilung zum untersten Dienstgrad eines einfachen ‚Soldaten‘.181 Das bedeutete jedoch nicht, dass Bossi aus der Reserve entlassen worden wäre; das italienische Militär verzeichnete ihn weiter als Dienstpflichtigen.182 In Österreich angekommen, führte Bossis Weg zielstrebig nach Wien. Dort verdiente er sich seinen Lebensunterhalt zunächst „als Chauffeur in der Molkerei des Grafen Czernin“, später von Frühjahr bis August 1929 „als Monteur und Einfahrer der Automobilfabrik Steyr in Oberösterreich und Wien“183. Das dürfte für ihn „selbst unter den ökonomisch schwierigen Ver-
178 179 180 181
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vorbehielt“. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 03006, Nr. 9857, Bl. 3-5. Fragebogen zur Feststellung deutschblütiger Abstammung v. 01.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 8. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. Vgl. auch Erklärung BFs über Strafen v. 01.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Ebd. „Seiner militärischen Chargen als Leutnant der Reserve des italienischen Heeres wurde der Unterzeichnete [nach der Flucht] suspendiert“. Ministero della Guerra, Direzione Generale Personale Ufficiali-Divisione DisciplinaSezione 3, an Comando del Corpo d’Armata Territoriale di Udine (u. a.) v. 15.11.1929. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Die Degradierung scheint auch der Grund zu sein, weshalb die Akte sich überhaupt heute im Bozner Staatsarchiv befindet. Im Normalfall werden Militärunterlagen in Italien nicht an Staatsarchive abgegeben, mit Ausnahme der Militärmatrikelblätter bis zum Dienstgrad der Unteroffiziere. Alle anderen Akten werden im italienischen Militärarchiv verwahrt (Tel. Auskunft Harald Toniattis, Archivio di Stato di Bolzano / Staatsarchiv Bozen, v. 26.02.2016). Als einfacher Soldat war seine Akte nun nicht mehr in Rom aufzubewahren, sondern wurde in den 1970er Jahren an das Staatsarchiv abgegeben. Das machte das Militär noch bis 1969, als BF aufgrund der Altersgrenze offiziell aus der Reserve entlassen wurde. „Elenco delle variazioni matricolari verificatesi nel servizio“ v. 11.06.1969 u. Distretto Militare Bolzano, Sezione Matricola Ufficiali, an Sezione Matricola Truppa, Centro Documentale, v. 14.06.1969. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Entnahmen aus: Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Vgl. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Unter ‚Einfahrer‘ ist ein Testfahrer zu verstehen.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
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hältnissen der damaligen Zeit betrachtet, […] alles andere als eine herzeigbare Visitenkarte“184 gewesen sein. In soziokultureller Hinsicht lässt sich nicht genau sagen, wie viele Adlige zu dieser Zeit (in welchem Bereich) tatsächlich berufstätig waren. Schätzungen für Deutschland des Jahres 1932 belaufen sich auf 121 von 3.633 Grafen (und 384 von 5.834 Freiherren), demnach 1 bis 3,5% der Gruppe. Tendenziell übten weniger titulierte als untitulierte Adlige einen Beruf aus, auch als kleinste Glieder der Industrie-, Wirtschafts- und Dienstleistungsketten.185 Zu Österreich liegen keine entsprechenden Zahlen vor, die Anteile dürften hier jedoch annähernd ähnlich sein – möglicherweise aufgrund der durchschnittlich besseren wirtschaftlichen Lage österreichischer Adliger nach 1918 auch noch etwas vorteilhafter. Bossi-Fedrigotti gehörte somit zu einer sehr kleinen Gruppe (ehemals) österreichischer, titulierter und berufstätiger Adliger. Ende der 1920er Jahre war er so am unteren Rand der sozialen Hierarchie angekommen, ein geflüchteter Adelsproletarier ohne eigene Mittel, grundbesitzlos und dazu wahrscheinlich verschuldet.186
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In einem Personalfragebogen von 1938 gab Bossi später zur Zeit in Wien an, sein Arbeitgeber sei „Baron Malberg“ gewesen, inzwischen beim „Konstruktionsbüro Dr. PorscheFallersleben“. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. Das Archiv der heutigen Porsche AG verwahrt keine Unterlagen zu oder über BF. E-Mail Sarah Pelters, Porsche-Museum und historische Öffentlichkeitsarbeit, an CP v. 07.08.2017. Im gleichen Zeitraum allerdings, zwischen Anfang 1929 und 1930, arbeitete Ferdinand Porsche (1875-1951), Automobilpionier und späterer Gründer der Porsche AG in StuttgartZuffenhausen, als technischer Vorstand bei den Steyr-Werken in Wien. 1930 gründete er sein Konstruktionsbüro. Zunächst bürgten Mitarbeiter für die Finanzen des jungen Unternehmens, darunter auch Hans Baron Veyder-Malberg, der seit Mitte der 1920er Jahre als technischer Konsulent (Berater) bei Steyr gearbeitet hatte, dort Porsche kennenlernte und in dessen neuer Firma am 30. Januar 1933 Geschäftsführer wurde. Buchenau, Martin W. u. Schneider, Mark. C.: „Geniale Ideen, wenig Geld“. In: Handelsblatt v. 24.07.2009, http:// www.handelsblatt.com/unternehmen/management/ferdinand-porsche-geniale-ideenwenig-geld/3226028.html [Zugriff: 18.07.2017]. Vgl. Pfundner (2007), S. 75 u. zu VeyderMalberg S. 99. Mit der Automobilbranche hatte BF offenbar schon zwischen 1924 und 1926 zu tun. Steurer/Steinacher (2011), S. 204. Malinowski (2003), S. 269ff. Er nimmt die Zahlen aus zwei Publikationen Helene Prinzessin von Isenburgs, die Angaben aus dem ‚Gotha‘ ausgewertet hatte, und verweist auf (nach wie vor) notwendige regionale Studien zu adliger Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen. Zum Begriff des Adelsproletariats siehe Malinowski (2003), S. 37 u. 266ff. Er fasst unter dieser Kategorie jene Adligen, die sich nicht auf materieller Sicherheit ausruhen und ihren rituellen und ideologischen Standeshabitus pflegen konnten, sondern die auf Arbeit beispielsweise in mittelständischen Unternehmen angewiesen waren und höchstens noch die Seitenflügel schlichter Gutshäuser, eher kleine Stadträume bewohnten, ohne jedoch ihr gehobenes Selbstverständnis zu verlieren. Die genaue Größe des Anteils Verarmender
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Von den österreichischen Behörden wurde ihm bereits am 1. Juni 1928 unter Nr. 282 nach den geltenden Vorschriften ein Identitätsund Reiseausweis ausgestellt […], weil der Genannte in glaubwürdiger Weise dargetan hatte, daß ihm als politischen Flüchtling von seinem Heimatstaate ein Reisepaß nicht ausgestellt werde. […] Die Beibringung einer sogenannten Konsulatsauskunft konnte Bossi-Fedrigotti mit Rücksicht auf seinen Flüchtlingscharakter nicht aufgetragen werden. Der Genannte, gegen den in staatsbürgerlicher und sittlicher Beziehung Nachteiliges nicht vorlag, wurde übrigens von dem hier bekannten Führer des Südtiroler Volksschutzes P. Adolf Jnnerkofler [sic!] identifiziert und an die Bundespolizeidirektion gewiesen.187
Unmittelbar nach der Flucht hatte Bossi die politische Narratio seiner Fluchtumstände offenbar bereits verinnerlicht. Sich selbst bezeichnete er rückblickend seit Mai 1928 [als] staatenlos, d. h. die Polizeidirektion Wien hat ihm, nachdem sie seine Angaben genauestens geprüft und für wahr befunden hatte, einen österreichischen Ausländerpass No. 000282 ausgestellt […].188
Doch tatsächlich besaß Bossi weiter die italienische Staatsbürgerschaft, seit September 1925 einen italienischen Reisepass („Passaporto per l’estero“189, gültig für Österreich und Deutschland) und seit März 1928 einen Personalausweis („Carta d’identità“190) seiner Heimatgemeinde Dobbiaco/Toblach. Die legte er den Österreichern jedoch anscheinend nicht vor. Die Angabe der Staatenlosigkeit als verfolgter Flüchtling half ihm, seiner Narratio Nachdruck zu verleihen.191 Die österreichischen Behörden hatten regelmäßig mit
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unter dem gesamten Adel lässt sich laut Malinowski (2003), S. 262, nicht endgültig klären. Davon, dass BF trotz seiner Situation einen gewissen adligen Habitus behielt bzw. behalten wollte, ist nichts bekannt. Bundespolizeidirektion Wien an Polizeipräsidium Berlin v. 14.05.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 10a. Ob BF Innerkofler über seine Vorgeschichte in Italien informierte, ist nicht bekannt. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Passaporto per l’estero (Pass für das Ausland) v. 15.09.1925, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Comune di Dobbiaco, Carta d’identita’ No. 979 del Signor Conte Antonio Bossi Fedrigotti v. 16.03.1928, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Diese Taktik bzw. Narratio erkannten auch die Italiener: „[…] il Fedrigotti assunse l’aria del perseguitato politico ed ora […]“. Siehe Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“. Die nebenstehende Fotografie stammt aus dem österreichischen Identitäts- und Reiseausweis.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
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Abb. 4 Passbild aus dem österreichischen Identitätsund Reiseausweis.
südtirolischen Flüchtlingen zu tun, die allerdings seit Mai 1928 in Südtirol und ihrem jeweiligen Zielland intensiv durch Agenten der italienischen politischen Geheimpolizei OVRA (bzw. des „‚Servizio Investigazione Politica‘“192) observiert wurden – wie auch Bossi.193 Den Geflohenen gelang es meist schnell, sich über Bekannte und Verwandte Unterkunft und Arbeit zu organisieren. Möglicherweise hatte Pater Adolf Innerkofler Bossi auch geraten, als Flüchtling bei den Behörden vorstellig zu werden. Der Geistliche wurde zu einer zentralen Person in Bossis Leben. Er entwickelte sich zu seinem Mentor, half dem Flüchtigen, in Österreich Fuß zu fassen und brachte ihn in Kontakt zu den dort aktiven Deutschtumsverbänden. Innerkofler, 1872 im südtirolischen Sexten geboren, trat früh einem katholischen Orden bei, wurde 1896 zum
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Österreichischer Identitäts- und Reiseausweis BFs, S. 4ff., Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, S. 12ff. Steurer (2003), S. 77. Gehler, Biographie (2007), S. 63. Nordtirol hatte Mitte der 1920er Jahre schon viele „Flüchtlinge aus Südtirol aufgenommen, darunter von der Entnationalisierung betroffene Lehrer, öffentliche Angestellte, Beamte und Eisenbahner, die ihre Stellen und Südtirol verloren hatten und durch Italiener ersetzt worden waren“. Zur OVRA und der Observierung der Südtiroler siehe Steurer (2003), S. 77ff. Auch BF war den Agenten bestens bekannt. Die Informanten waren jederzeit gut über die Behandlung der Südtirolfrage in Österreich und Deutschland, und insbesondere auch in den Volkstums- und Deutschtumsverbänden informiert. Ebd., S. 82ff. u. Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Priester geweiht und wirkte daraufhin als Lehrer an Ordensschulen, als Missionsprediger und Schriftsteller.194 Er veröffentlichte neben theologischer Literatur auch Feuilletonromane.195 1911 kam er nach Wien und im Herbst 1914 begann er, „Kriegspredigten“196 zu halten. Das Kriegsende 1918 war auch für ihn eine prägende Zeitenwende; danach setzte er sich zeitlebens öffentlich gegen die Annexion Südtirols zu Wehr, so unter anderem in hunderten Vorträgen. Anlässlich einer Kundgebung des Andreas-Hofer-Bundes für Tirol (AHB), dessen Wiener Ortsgruppenvorsitzender er seit 1925 war, gab er zu verstehen, dass „das deutsche Volk Südtirol“ nie vergessen werde. „Hinter Südtirol steht nicht nur Oesterreich, sondern das ganze deutsche Volk“197. Angesichts eines geplanten Treffens des deutschen Außenministers mit Mussolini forderte er sogar, Stresemann mit Südtirolern in Verbindung zu bringen, damit er „richtig informiert“198 sei. Schon früh erklärte Innerkofler die Südtiroler Frage zu einer deutschen. Mitte April 1926 berichtete die Presse über dessen Einsatz „mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit […] für die Interessen seiner gequälten Heimat“. Er habe wortgewandt „für das Deutschtum seines Volkes“199 geworben. Mitte September 1927 veröffentlichte er den Artikel „Um die verlorene Heimat“:
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Österreichische Akademie der Wissenschaften (1965), S. 36. ‚Pater Adolf Innerkofler CSsR‘ war Ordensmitglied (Redemptorist) bei der römisch-katholischen Kongregation des Heiligsten Erlösers (Congregatio Sanctissimi Redemptoris, CSsR). Vgl. O. V.: „Kirchliches“. In: Reichspost v. 24.10.1912, S. 10 u. O. V.: „Piusverein“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 21.12.1909, S. 8. Hier ist eine Verbindung zu BFs Mutter möglich. Beide waren katholische Schriftsteller, Innerkofler sogar Vizeobmann, später Obmann des Verbandes katholischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen Oesterreich. O. V.: „Katholische Schriftsteller und Schririftstellerinnen Oesterreichs, sammelt euch!“ In: Salzburger Chronik v. 29.05.1924, S. 4. Vgl. O. V.: „Tagesbericht“. In: Reichspost v. 04.09.1926, S. 4. Innerkofler, P. Adolf: „Die Brüder von Kirchschlag. 85. Folge“. In: Reichspost v. 13.06.1918, S. 14. O. V.: „Große kirchlich-patriotische Kundgebungen in Ottakring“. In: Reichspost v. 30.09.1914, S. 5. Entnahmen aus: O. V.: „Südtirols Marthyrium“. In: Reichspost v. 20.12.1926, S. 2. Vgl. O. V.: „Vereinsnachrichten“. In: Reichspost v. 18.02.1926, S. 10 u. Fotografie mit Bildunterschrift zu einer Ansprache Innerkoflers vor der Karlskirche in Wien. In: Das interessante Blatt v. 22.04.1926, S. 5. Vgl. O. V.: „Gedächtnisfeier für Südtirol“ In: Tages-Post v. 21.04.1925, S. 7. O. V.: „Wiener Kundgebung für Noldin“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 03.02.1927, S. 1. Stresemann war nicht nur einmal Empfänger Innerkofler’scher Ansprachen. Vgl. Innerkofler, P. Adolf: „Südtiroler ‚Hilferuf‘ an Marx und Stresemann“. In: Salzburger Chronik v. 15.11.1927, S. 1. Entnahmen aus: O. V.: „Kirchliche Nachrichten“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 12.04.1926, S. 7. Vgl. O. V.: „Tagesnachrichten“. In: Wiener Zeitung v. 11.04.1926, S. 3 u. O. V.: „Die Leiden der Deutschen in Südtirol“. In: Arbeiter-Zeitung v. 16.11.1926, S. 3.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
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Das Einzige, was wir also für Südtirol tun können ist, den Gedanken der nationalen Einheit wachzuhalten, die innere Widerstandskraft des verdrängten Brudervolkes durch regste Anteilnahme an seinem grausamen Schicksal zu stärken und in allen Einzelfällen, wo deutsche Stammesbrüder zufolge ihres Festhaltens an ihrer nationalen Überzeugung der wirtschaftlichen Verelendung preisgegeben sind, wirksame Hilfe zu bringen. Jede nationale Bewegung muß letzten Endes darangehen, nicht nur ideell, sondern auch materiell zu helfen. Und dies will der Andreas-Hofer-Bund […].
Um finanzielle Hilfe bieten zu können, gebe der Bund daher „eigene Werbebriefe ‚Verlorene Heimat‘“ heraus. Das Reinerträgnis fließe „dem Südtiroler Volksschutz zu […]“. Der Pater forderte hier schließlich noch öffentlich dazu auf, in den AHB einzutreten, denn „kein Volksstamm auf der ganzen Welt wird so bedrückt, wie der über tausendjährige Volksschlag der DeutschSüdtiroler“200. Je energischer sich die Italiener um eine allumfassende Italianisierung bemühten, desto stärker schien Innerkofler sich engagiert und damit auch die ‚Deutschheit‘ der Südtiroler betont zu haben. Verschiedene Deutschtumsverbände und deren wichtigste Funktionäre traten im Zusammenhang mit dem Pater und der Südtirol-Frage Ende der 1920er Jahre immer wieder in Erscheinung, darunter der Südtiroler Volksschutz (SV), der AHB, der Deutsche Schulverein Südmark (DSS), die Arbeitsstelle für Südtirol (AS) und deren Vorreiter: neben Innerkofler vor allem Ernst Mumelter und Eduard Reut-Nicolussi. Bossi wurde nach seiner Flucht offenbar innerhalb weniger Wochen Teil dieses Netzwerks, lernte dessen Protagonisten kennen und wurde in der Folge für deren Verbände tätig. Innerkofler kann hier als wichtigster Mittelsmann gelten.201 Bossi schrieb: „In Wien arbeitete ich dann beim Südtiroler Volksschutz, dann beim Andreas Hoferbund und im Schulverein Südmark“202. Im Laufe des Jahres 1929 bestätigten sowohl
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Entnahmen aus: Innerkofler, P. Adolf: „Um die verlorene Heimat“. In: Salzburger Chronik v. 12.09.1927, S. 3f. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch Personalkartei BFs, ebd., die die Mitarbeit BFs im AHB und im Deutschen Schulverein Südmark vermerkt. Um seiner Fluchtgeschichte Nachdruck zu verleihen, könnte sich BF ganz besonders bei den Deutschtumsverbänden engagiert haben. 1928/29 schaltete sich der italienische Agent Helmut Hütter in die Verbindungen zwischen Innerkofler, Mumelter und Reut ein, jedoch waren die Südtiroler vor seiner möglichen Spitzeltätigkeit gewarnt worden. Möglicherweise war auch BF Hütter begegnet. Steurer (2003), S. 97ff. Ebd.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Mumelter für die AS-Zeitschrift Der Südtiroler als auch der Pater in Funktion als Obmann der Wiener AHB-Ortsgruppe Bossis Mitarbeit.203 Schon im August 1919 war der AHB als Nachfolger des ‚Bundes Heimat‘ entstanden, der wiederum nur wenige Monate zuvor aus dem 1905 gegründeten ‚Tiroler Volksbund‘ hervorgegangen war.204 Der Name war bewusst gewählt worden – denn wieder stand ein Teil Tirols unter Besetzung, wogegen nun der Kampf aufgenommen werden sollte.205 Schnell wurden Ortsvereine sowohl in Österreich als auch in Deutschland und den USA gegründet. Als klar wurde, dass der südliche Teil Tirols endgültig abgetrennt werden würde, was der Verband ursprünglich hatte verhindern wollen, veränderten sich die Ziele hin zum ‚Schutz des deutschen und ladinischen Volkstums‘. Der Tiroler Landtagsabgeordnete Walter [sic!] Pembaur erklärte die Gründung des AHB mit der ‚geschaffenen Knechtschaft Deutsch-Südtirols‘.206
Der Bund, „ohne Zweifel der militanteste Verein im Bereich der Südtirolarbeit“207, veranstaltete (Propaganda-)Werbeveranstaltungen, Vortragsabende, gab später Andreas-Hofer-Plakate für den Anschluss Österreichs (inkl. Südtirols bis zur Salurner Klause) an Deutschland heraus und übte scharfe Kritik nicht nur an Mussolini und Italien, sondern auch an der angeblich zu laschen
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207
Bescheinigung Ernst Mumelters (Zeitschrift „Der Südtiroler“) v. 26.08.1929, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 7 u. Bescheinigung Pater Adolf Innerkoflers (Südtiroler Volksschutz u. Andreas-Hofer-Bund für Tirol) v. 09.08.1929, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 8. Gehler, Selbstbestimmung (1999), S. 705 u. Steininger (2004), S. 125. Vgl. auch Mertelseder/ Mazohl/Weber (2009), S. 213ff. u. Pircher (1998), S. 152. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 213. Steininger (2004), S. 125, zitiert hier Haas, Hildegard: Das Südtirolproblem in Nordtirol von 1918-1938. Innsbruck: Diss. 1984, S. 81. Walther Pembaur (1886-1948), Dr. phil. u. Dr. jur., Schriftsteller und Politiker (Abgeordneter der ‚Großdeutschen Partei‘ im Tiroler Landtag, Gemeinderatsherr in Innsbruck), hatte maßgeblichen Anteil an der Unterwanderung Österreichs durch Nationalsozialisten in der Mitte der 1930er Jahre. 1939 schrieb er: „Ich hatte für den Gedanken des Zusammenschlusses aller Deutschen in einem Reich […] gearbeitet in Hunderten von Vorträgen […]“. Pembaur (1939), S. 9. Als Leiter des Volkspolitischen Referats, Bindeglied zwischen Schuschnigg-Regierung und Nationalsozialisten, um nach dem Juliabkommen zwischen Deutschland und dem ständestaatlichen Österreich 1936/37 Untergrund-Nationalsozialisten in Verantwortung zu bringen, war es Pembaurs „erstes Bestreben, mit nationalsozialistischen Kreisen in Fühlung zu kommen“. Ebd., S. 30. Vgl. Garscha (1988), S. 56, Pircher (1998), S. 153f., Arnberger/DÖW, Originaldokumente (1988), S. 127-135 u. Haas (1988), S. 4f., außerdem O. V.: „Dr. Pembaur Leiter des ‚volkspolitischen Referates‘“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 18.06.1937, S. 1. Pircher (1998), S. 152.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
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und zu unentschlossenen österreichischen Regierung.208 „Seine Aktivitäten hatten eindeutig irredentistischen Charakter und trugen dazu bei, daß Italien noch weniger bereit war, den Südtirolern Sonderrechte einzuräumen“209. Italien erließ sogar Einreiseverbote für AHB-Mitglieder.210 Die näherten sich so zunehmend deutschen Agitationsverbänden an. Dem aufkeimenden Nationalsozialismus stand der Bund zunächst (auch aufgrund von Hitlers Südtirolpolitik) skeptisch gegenüber. Mitgründer des AHB und späterer Weggefährte Bossis war Eduard ReutNicolussi (auch Reuth-Nikolussi), einer der wichtigsten Südtirol-Protagonisten des 20. Jahrhunderts und spätestens nach dem Ersten Weltkrieg der „sicherlich populärste Politiker Südtirols“211. Am 22. Juni 1888 in „der deutschen Sprachinsel Lusern in Welschtirol [Trentino] am Rande der Sieben Gemeinden“212 geboren, diente Reut, der schon als Kind „Grenzlanderfahrungen“ machte und dessen „Deutschbewusstsein“ mitten „in italienischer Umgebung“213 besonders gestärkt wurde, nach Schulbesuchen in Trient, Jurastudium in Innsbruck (als Mitglied der katholischen CV-Verbindung ‚Austria‘) und anschließender Promotion von Januar 1915 bis Kriegsende 1918 zuletzt als Landsturmoberleutnant bei den Tiroler Kaiserjägern.214 „Die Bindung zu Katholizismus und Deutschtum sollten Reuts zukünftiges Denken und Handeln prägen“215. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss er sich dem ‚Bund Heimat‘ an, wurde Abgeordneter des Tiroler Landtages in Innsbruck und bei der verfassungsgebenden Versammlung 1919 in Österreich, wo er seine bereits zitierte, berühmte Abschiedsrede im Namen der Südtiroler hielt.216
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Parschalk (2017), S. 307. Dieser Verband ist nicht zu verwechseln mit dem 1939 entstandenen, gleichnamigen, der nach Bekanntwerden der ‚Option‘ versuchte, die Abwanderung der Südtiroler zu verhindern. Vgl. Pircher (1998), S. 156 u. Gehler, Biographie (2007), S. 50f. Steininger (2004), S. 125. Erst nach der Annäherung Österreichs an Italien um 1930 milderte er seine radikalen Positionen ab. Den Nazis näherte sich der AHB erst um 1935 an. Dennoch lösten sie ihn nach dem ‚Anschluss‘ auf. Steininger (2004), S. 126. Gehler (2003), S. 460f. Vgl. Steurer (1980), S. 28 u. Gehler, Biographie (2007), S. 40ff. Den Namen ‚Reut(h)‘ wählte er später selbst als „Zeichen der österreichischen Zugehörigkeit“, ebenso wie das ‚k‘ in ‚Nikolussi‘.Schmid (2004), S. 13. Zu Reuts Rolle bei der Gründung des AHB siehe Ebd., S. 35. Ebd., S. 31 u. 33. Entnahmen aus: Gehler, Biographie (2007), S.20. Schmid (2004), S. 13. Reut war Träger des goldenen Verdienstabzeichens. Vgl. Gehler (2004), S. 33 u. Gehler, Biographie (2007), S. 17ff. Gehler (2004), S. 33. Vgl. Gehler, Biographie (2007), S. 17. Ebd., S. 33ff. u. Schmid (2004), S. 13.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Als feststand, dass Südtirol von Italien annektiert werden würde, gab es für ihn nur mehr die Forderung, „‚mit aller Kraft nach dem Anschluss an das deutsche Vaterland zu streben“217. Nach Jahren des öffentlichen Engagements für die Deutschen in Südtirol entschlossen sich die italienischen Behörden 1927, Reuts Kanzlei (und u. a. auch die Paul Baron Sternbachs218) zu schließen. Diese Kanzleien hatten eine wichtige Rolle für die Zusammenarbeit zwischen den Abgeordneten und der Südtiroler Bevölkerung gespielt. Die Begründung klang simpel: ‚Italienfeindliche Propaganda‘.219
Vor seiner drohenden Verbannung floh Reut nach Innsbruck und leitete von dort aus fortan den Münchner Ableger des AHB.220 Auch gegen ihn erließen die Italiener einen Haftbefehl aufgrund des „Verbrechen[s] der unbefugten Grenzüberschreitung“221. 1928 veröffentlichte er seine politische Schrift Tirol unterm Beil, eine Abrechnung mit den neuen Machthabern in Bozen und Trient, die ganz unter dem Eindruck der Hochphase italienischer Unterdrückung in Südtirol
217 218
219 220 221
Ebd., S. 35. Schon 1921 zog er als Südtiroler Abgeordneter ins römische Parlament ein. Dabei erreichte er im Wahlbezirk Bozen mit 47.140 Wahlberechtigten (von denen 41.023 wählen gingen) 36.666 Stimmen. Vgl. Schmid (2004), S. 13. Paul Anton Maria Reichsfreiherr von Sternbach (1869-1948) war ein einflussreicher südtirolischer Politiker, Jurist und Beamter. Nach Jurastudium und Promotion in Innsbruck leistete er zunächst Verwaltungsdienst, von 1902 bis 1916 war er Landtagsabgeordneter in Tirol. Im Ersten Weltkrieg diente er, zuletzt als Hauptmann, unter anderem an der Dolomitenfront. 1919 war Sternbach Teil der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain und engagierte sich nach der Annexion „auf internationaler Ebene in der Südtirolfrage“. Von 1924 bis 1929 saß er für den Deutschen Verband im italienischen Parlament und besaß bald ausgezeichnete Kontakte in die deutsche Politik. Aufgrund seines Engagements von den Italienern zwar kurzzeitig verbannt, gehörte er jedoch eher der gemäßigten Fraktion der Südtirol-Aktivisten an, was ihn in starke Konflikte mit den radikaleren Engagierten brachte. Die Option 1939 lehnte er ab. 1943 von den Nationalsozialisten verhaftet, überlebte er den Krieg und setzte sich bis zum seinem Tod weiter für die Einheit des Landes Tirol ein. Roilo (2010), S. 232f. u. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 184f. u. 1469. Vgl. Arbeitsstelle für Südtirol in Innsbruck: „Zur Konfinierung des Baron Sternbach“. BArch NS 43/424. Er hatte als Rechtsanwalt zwei Hilfslehrerinnen verteidigt, die im Geheimen den verbotenen Deutschunterricht erteilt hatten. Steininger (2017), S. 55. Vgl. Steininger (2004), S. 99. Corsini/Lill (1988), S. 175, Gehler (2004), S. 37, Gehler, Biographie (2007), S. 64 u. Steurer (1980), S. 18. O. V.: „‚Verbrechen der unbefugten Grenzüberschreitung‘“. In: Arbeiter-Zeitung v. 29.11.1927, S. 2.
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stand.222 Kulturell, sprachlich und künstlerisch gehöre ganz Tirol seit tausend Jahren zum deutschen Kulturkreis: So war das deutsche Südtirol das Herz, die Seele des Landes Tirol geworden. Hier liegt der durch deutsche Kaiser geschaffene Fürstenhof des Bistums Brixen, hier stehen die Stammschlösser der deutschen Grafengeschlechter, unter deren Herrschaft Tirol bis zu den Habsburgern war […].
Seit 1915 sei in Tirol nur verteidigt, niemand angegriffen und dennoch aufopferungsvoll für die Monarchie gekämpft worden. Populäre Schuldtheorien, alle außer den Deutschen hätten sich im k.u.k.-Staat vom Kaiser abgewandt, kolportierte er im Kapitel ‚Die Wiedergeburt der Ostmark‘ in essayistischer Form. Ganz bewusst betonte Reut das ‚Deutsche‘ der Tiroler, das, was nach 1918 blieb, und bezog sich auf das 1806 untergegangene „Reich der deutschen Nation“223, um die besondere kulturelle Unzertrennlichkeit deutlich zu machen. Man könne das Land „nicht zerschneiden, zu klar und sauber liegt dieser deutsche Volksboden da“. Doch „nach Tische“224 sprachen die Sieger anders. Unter den Zeichen der Zeit grenzte Reut alles Deutsche überdeutlich vom Italienischen ab und stilisierte dabei zugleich den besonderen Frontkampfmythos des Hochgebirges. Wenn auch tendenziell unter dem Vorzeichen seines Einsatzes für (volksdeutsche) Minderheiten225, trug er mit der überdeutlichen Polemik dennoch seinen Teil dazu bei, die Südtiroler, wenn sie sich durch das starke Engagement radikaler Verbände nicht ohnehin schon dahin orientiert hatten, aufnahmebereit für nationalkonservative, auch radikale völkische Positionen zu machen, die hier anknüpfen konnten. Den Ende der 1920er Jahren auf ein Bündnis mit Italien fixierten Nationalsozialisten waren Reuts Engagement, auch seine Vorträge in Deutschland, Frankreich, England
222
223 224 225
Er widmete sie den „den gefangenen Brüdern“ in Südtirol. Reut-Nicolussi (1928), Vorblatt. Reut wurde dadurch zum italienischen „‚Todfeind Nr. 1‘“. 1939 wurde der Druck des Buches durch die NS-Machthaber eingestellt und die restlichen Exemplare zerstört. Gehler, Biographie (2007), S. 69. Ebd., S. 11ff. u. 17. Entnahmen aus: Ebd., S. 12f. Vgl. Gehler, Biographie (2007), S. 33. Ihm war offenbar vor allem daran gelegen, den Schutz des Südtiroler Deutschtums als volksdeutsche Minderheit zu gewährleisten, die sich jedoch auch mit anderen europäischen bzw. internationalen Minderheiten solidarisieren hätte können. Das stand einer genuin völkischen Perspektive (aus Reuts Sicht) entgegen. Nach Michael Gehler zu urteilen, kann Reut aus weltanschaulicher Sicht eher als „großdeutsch-liberal“ oder „volksdeutsch“ mit starker tirolischer Einfärbung bezeichnet werden. Vgl. S. 34.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
und Amerika, ein Dorn im Auge.226 Prinzipientreu blieb er seinen SüdtirolZielen durch verschiedene politische Systeme hindurch jedoch weitgehend verbunden.227 Obgleich durch seine Herkunft und Sozialisation groß- und gesamtdeutschen Ideen verhaftet, blieb er der NSDAP fern, stellte die Sache Südtirols nicht zurück und hielt auch im Wesentlichen an demokratiepolitischen Grundsätzen fest.228
In Innsbruck schlossen sich 1925 im Einvernehmen und mit finanzieller Hilfe des Berliner AA, um effizienter zu sein und auch propagandistisch geschlossener auftreten zu können, die „verschiedenen Vereine und der AHB“ dann […] zur ‚Arbeitsstelle für Südtirol‘ (AS) zusammen. Geleitet wurde diese Zentrale seit 1925/26 von Ernst Mumelter […]. Die Gelder kamen aus Deutschland, vom Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA).229
Letzterer widmete sich in Südtirol vor allem kultureller Arbeit und „überließ die gezielte Propagandatätigkeit dem AHB in Deutschland und Österreich wie der AS in Innsbruck“230. Die entwickelte sich so rasch zur wichtigsten „Propagandastelle der Südtiroler Emigration“231, die Nachrichten „aus Südtirol sammelte und an die deutsche Presse weitergab“232, mit dem Ziel, die deutsche Öffentlichkeit in Sachen Südtirol „aufzustacheln“233. Doch angesichts der radikalen Revisions-Töne des VDA-Landesverbandes Bayern (und mir ihm vor allem Reut-Nicolussi, der der Kopf hinter Mumelter war) hielt die gute Verbindung nach Berlin nicht allzu lange. „Damit war praktisch ein 226
227 228 229 230 231 232 233
Gehler (2004), S. 39. Im Anschluss an seine Habilitation 1934 zwischenzeitlich als „außerordentlicher […] Professor des Völkerrechts“ in Innsbruck tätig, sah Reut-Nicolussi durch den ‚Anschluss‘ Österreichs 1938 endlich ‚Großdeutschland‘ verwirklicht. Doch für Südtirol stellten sich keine von ihm erwarteten Entwicklungen ein. Durch seine kompromisslose Haltung in der Südtirol-Frage kam er notwendigerweise in Konflikt mit dem Ständestaat, Italien und dem NS-Regime. Corsini/Lill (1988), S. 183 u. Gehler (2004), S. 43, 55 u. 115. Gehler, Biographie (2007), S. 33ff. Gehler (2004), S. 117. Entnahmen aus: Steininger (2004), S. 127. Auch hier war Reut-Nicolussi führend beteiligt, außerdem Sternbach. Steurer (1980), S. 92, Gehler (2004), S. 37 u. Gehler, Biographie (2007), S. 52. Gehler, Biographie (2007), S. 53. Villgrater (1984), S. 263. Vgl. Pircher (1998), S. 151, der den DSS, den AHB und die AS zu den wichtigsten Südtirol-Agitationsverbänden zählte, die die öffentliche Meinung durch ihre Arbeit in hohem Maße beeinflussten. Vgl. auch Gehler, Biographie (2007), S. 51ff. Gehler, Biographie (2007), S. 52. Ebd., S. 53.
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Monopol des VDA-Bayern auf die politische Ausrichtung der Arbeitsstelle gegeben“234. Dem VDA-Bundesverband und ihrem Financier, dem AA, missfiel auch die offensive NS-Gegnerschaft der AS (und des dahinter stehenden AHB) bis 1933 zusehends. Danach, als die Nationalsozialisten die Oberhand über die Finanzierung gewannen, schwenkte auch die AS stark auf deren Kurs ein.235 Mumelter, 1879 geboren, war vom k. k. Bezirkskommissar und Statthaltereisekretär 1919 zum Bezirkshauptmann von Bozen aufgestiegen.236 Doch schon am 6. März 1920 berichtete Der Tiroler über sein Entlassungsgesuch, dem auch unmittelbar stattgegeben wurde.237 Wie Innerkofler engagierte er sich bereits früh in Sachen Südtirol. Schon seit 1921 trat er in der Presse als Engagierter des ‚Deutschen Verbandes‘ (DV), dessen Sekretär er später wurde, in der Südtirol-Frage hervor.238 Er habe sich darum gekümmert, „allen Bewohnern des deutschen Landesteiles in der Wahrung ihrer Interessen an die Hand zu gehen und sie zu vertreten“239. Auch in Südtirol hielt er Vorträge zum Thema Deutschtum. Im Oktober 1926 hatte er sich dahingehend geäußert, dass die Geschichte Südtirols „den Italienern nicht den leisesten Anspruch auf dieses seit 1400 Jahren deutsche Gebiet“240 zuerkenne. Seit 1923 erschien in Innsbruck das Publikationsorgan Südtirol (ab 1. Januar 1928 Der Südtiroler), „Kampforgan der Deutschsüdtiroler“241, zu dem sich die AS 234
235 236 237 238
239 240 241
Steurer (1980), S. 116. Die Bayern, Hauptfinancier der AS, wollten das Trentino in ein künftiges ‚großdeutsches Reich‘ eingeschlossen wissen. Die Südtiroler opponierten unmittelbar dagegen. Die AS war so teilweise kaum arbeitsfähig. Ebd., S. 117. Zu Restitutionsforderungen Südtirols von Seiten des AHB in München vgl. Gehler (2004), S. 37. Pircher (1998), S. 179. O. V.: „Aus Stadt und Land“. In: Der Tiroler v. 01.07.1919, S. 2. O. V.: „Aus dem Staatsdienst geschieden“. In: Der Tiroler v. 06.03.1920, S. 4. Auch Der Burggräfler v. 09.03.1920, S. 2, u. die Meraner Zeitung v. 11.03.1920, S. 3, berichteten von Mumelters Entpflichtung. Siehe u. a. Abdruck einer Erklärung Mumelters als Sekretär des ‚Deutschen Verbandes‘ Südtirol. „Südtiroler Tagesfragen u. Neuigkeiten“. In: Südtiroler Landeszeitung v. 19.02.1921, S. 2f. Vgl. Steininger (2004), S. 127. Der ‚Deutsche Verband‘ entstand 1919 als Zusammenschluss der beiden stärksten Parteien Südtirols, der Tiroler Volkspartei und der Freiheitlichen Partei, um „in Rom geschlossen auftreten“ zu können. Zu einer ihrer ersten Forderungen zählte auch die nach der „Befreiung vom Militärdienst für Südtiroler Jungmänner“. Der DV stellte schnell sehr weitreichende Autonomieforderungen an Rom: Reut-Nicolussi unterstützte den Verband in dieser Hinsicht. Ebd., S. 43ff. Ebd., S. 3. O. V.: „Die Frage Südtirols auf der Tagung des Alldeutschen Verbandes in Bayreuth“. In: Südtiroler Heimat v. 01.10.1926, S. 7. Erik von Witzleben (VDA-Bayern) an DSS (Wien) v. 05.12.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 442.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
erst 1928 öffentlich bekannte. Hier schrieben unter anderem Ernst Mumelter und Eduard Reut-Nicolussi. „Mit Tarnüberschriften versehen […] wurde die Zeitschrift über den Brenner geschmuggelt“242. Das Blatt war unverkennbar ein Sprachrohr enttäuschter, nationalistischer Südtiroler, die sich gegen die italienische Herrschaft wehrten. Nach Hitlers Machtübernahme der Nähe zu Nationalsozialisten verdächtigt, verbot die österreichische Regierung es im Mai 1935.243 Kurz darauf erschien in Vaduz erstmals die Südtiroler Heimat, das inoffizielle Nachfolgeorgan. Zur Blattgestaltung gehörte das in jeder Ausgabe auf der Titelseite abgedruckte Bild ‚Das zerrissene Tirol‘ (siehe Abbildung), auf dem die alten Umrisse des Landes von der Grenze zu Deutschland bis an den Gardasee zu erkennen sind, nun durchtrennt durch die Brennergrenze.244
Abb. 5 „Die Zerreißung Tirols“. Eine populäre Darstellung nach 1918/19.
Wenig später, seit Anfang der 1930er Jahre, publizierte auch Bossi hier.245 Für eine weitere Konzentration der Südtirol-Arbeit 242 243 244 245
Steininger (2004), S. 128. Pircher (1998), S. 171. Diese Aufnahme stammt aus: Der Südtiroler v. 01.03.1932, S. 1. Auf Bossis Beiträge geht Kap. III näher ein. Zunehmend, vor allem seit 1932/33, lehnte auch die AS den Nationalsozialismus ab, sicherlich weniger aufgrund weltanschaulicher Divergenzen, sondern eher infolge von Hitlers Südtirolverzicht. Der Verband näherte sich „wieder der österreichischen Regierung“ an. Die allerdings blieb kritisch distanziert, wissend um die Finanzierung durch den VDA. Nach dem ‚Anschluss‘ wurde auch die AS aufgelöst. Steininger (2014), S. 127.
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schlossen sich die größten Schutzvereine Österreichs, der Deutsche Schulverein [Wien] und der Verein Südmark, im März 1925 zum Deutschen Schulverein Südmark (DSS) zusammen, der besonders intensiv Südtirol betreute.246
Vorübergehend bestand Ende der 1920er Jahre eine Personalunion zwischen dem Obmann des AHB und dem Leiter des Kreises Tirol im DSS.247 Allerdings war für den DSS „die politische Haltung und Agitation“ des AHB „zu radikal“, während dem AHB der DSS „bereits zu sehr nationalsozialistisch unterwandert war“248. Als österreichischer Teilverband firmierte der DSS unter dem offiziellen Namen „Deutscher Schulverein Südmark, Verband Österreich des VDA“249. So war Bossi 1928/29 mit der Arbeit für den DSS im Grunde auch bereits für den VDA tätig. Sein Hauptsitz befand sich in Wien, wo die örtliche Gliederung rund 60.000 Mitglieder umfasste.250 Auch hier entfaltete sich eine rege öffentliche Agitation unter anderem mit Vorträgen und der Förderung wissenschaftlicher Publikationen über Südtirol.251 Die österreichischitalienische Annäherung um 1930 und die in diesem Zusammenhang gefallene Aussage des damaligen österreichischen Kanzlers Ignaz Seipel, Südtirol sei eine „inneritalienische Angelegenheit“, kommentierte der DSS mit der Feststellung, dass das „Schicksal ‚Deutsch-Südtirols‘ eine ‚deutsche Frage‘ bleibe“252. Schließlich gründete Pater Innerkofler 1927 seinen eng mit dem AHB verbundenen SV als weiteren Agitationsverband für die „politische, finanzielle und kulturelle Unterstützung seiner unterdrückten Landsleute“253. Der stand allerdings nicht nur, wie andere Gruppen, ausschließlich auf Seiten nationalistischer, nationalkonservativer Parteien, sondern hatte auch engen 246
247 248 249 250 251 252 253
Steininger (2004), S. 127. Der spätere Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, Franz Hofer, erwähnte 1939 BFs Mitarbeit im DSS. Antrag Franz Hofer an Reichsminister des Innern v. 30.10.1939, ZA VI 0443 A 02, Bl. 2. Vgl. Personalkartei BFs, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. In diesem Zeitraum erfolgte auch der überregionale Zusammenschluss mit dem deutschen ‚Verein für das Deutschtum im Ausland‘. O. V.: „Denket daran!“ In: Niederösterreichischer Grenzbote v. 14.02.1926, S. 2. Beinah alle Agitationsverbände waren entweder personell oder institutionell eng miteinander verflochten. Es kam vor, dass man, in Anwesenheit Reut-Nicolussis, eine Ortsgruppe des Vereins Südmark Ende der 1920er Jahre auf einer Versammlung in „Andreas-HoferOrtsgruppe des D.S.S.“ umbenannte. O. V.: „Versammlung des Andreas-Hofer-Bundes in Inzing“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 11.04.1928, S. 5. Pircher (1998), S. 155. Entnahmen aus: Ebd. Prehn (1997), S. 36. O. V., Deutscher Schulverein (1993), S. 22. Steininger (2004), S. 127. Entnahmen aus: Ebd., S. 127. Steurer/Steinacher (2011), S. 205.
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„Kontakt mit sozialdemokratischen Kreisen“254 – was der Bundesleitung des AHB und den anderen Verbänden nicht selten ein Dorn im Auge war. Innerkofler loszuwerden, gelang ihnen allerdings nicht.255 Der SV sammelte Spenden und organisierte Vorträge. Einmal jährlich erschien der AndreasHofer-Kalender (Südtiroler Jahrbuch) mit verschiedenen Beiträgen wie „Südtirols Leid“, die überwiegend die Unterdrückungssituation thematisierten.256 Später wurde auch Bossi hier als Autor tätig.257 Die Ideologie der meisten dieser Verbände „bestand aus einem Gemisch von deutschnationalem, völkischem und nationalsozialistischem Gedankengut“258 von Anti-Versailles-, antikommunistischen und antisemitischen Positionen über Demokratiefeindlichkeit und ‚Kriegsschuldlüge‘ bis hin zum Traum von einer egalisierenden Volksgemeinschaft, deutschem kulturellen oder gar rassistischen Chauvinismus und pangermanischen Standpunkten.259 In je unterschiedlicher Intensität hatten die Verbände und ihre Akteure unmittelbaren Anteil am „Untergang der parlamentarischen Demokratie und am Aufstieg bzw. der Machtergreifung des Nationalsozialismus“260. Mitte der 1920er Jahre hatten sie sich auch gemeinsam für die Schulbuchversorgung der Katakombenschulen eingesetzt: In Österreich sorgten der AHB und der Deutsche Schulverein Südmark für die Lehrmittelbelieferung Südtirols, in Deutschland hauptsächlich der VDA-Bayern und der DSB [Deutscher Schutzbund] in Berlin.261 254 255 256
257 258 259 260 261
Pircher (1998), S. 154. Ebd. O. V.: „Kalender“. In: Allgemeiner Tiroler Anzeiger v. 15.11.1929, S. 11. Der Gründer hatte sich im Laufe der Jahre immer weiter aus der Verbandsarbeit zurückgezogen. 1936 wurde der SV aufgelöst. O. V.: „Der ‚Südtiroler Volksschutz‘ behördlich aufgelöst“. In: Alpenzeitung v. 06.09.1936, S. 1. Vgl. Steininger (2004), S. 129. Anfang der 1930er Jahre lagerte Innerkofler die Spendensammlung an ein Unternehmen aus und beteiligte es dafür am Reingewinn, wofür er in der Öffentlichkeit harsche Kritik einstecken musste, nicht nur von der Alpenzeitung, sondern auch von der Südtiroler Heimat. Möglicherweise waren hier Gelder bei den Verbandsleitern versickert. Siehe Südtiroler Ausschuß auf freiem Boden u. Hauptleitung des Andreas Hofer-Bundes u. Arbeitsstelle für Südtirol u. Deutscher Schulverein u. Bund der Tiroler in Wien: „Warnung“. In: Südtiroler Heimat v. 01.05.1933, S. 8. Vgl. O. V.: „Tagesneuigkeiten“. In: Salzburger Volksblatt v. 07.09.1936, S. 4. Sein bereits zitierter Artikel „Die Südtiroler im italienischen Heer“ erschien im Südtiroler Jahrbuch 1932 (S. 61-63), außerdem „Warum Italien Deutsch-Südtirol niemals entnationalisieren wird“ (S. 71-73). Steurer (1980), S. 83. Ebd. Vgl. Pircher (1998), S. 153 u. 158f. Zum DSB vgl. Luther (2004), S. 45ff. Ebd. Villgrater (1984), S. 147. Vgl. Pircher (1998), S. 157.
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Die Verflechtung der Verbände und ihrer prominenten Vertreter wurde nicht selten offenbar. Im März 1929 ergaben die von Mussolini angeordneten Wahlen im Rahmen einer Volksabstimmung eine Zustimmung von 98,33% für die einzige zugelassene Liste der faschistischen Partei.262 Im Salzburger Volksblatt erschien daraufhin eine „Erklärung des Deutschtums Südtirols zu den Wahlen“: Die bekanntesten Südtiroler Führer, die aus ihrer Heimat vertrieben worden sind, und zwar der ehemalige Abgeordnete Dr. Reut-Nicolussi, Oberlehrer R. Riedl263, Pater Innerkofler und der letzte freigewählte deutsche Bürgermeister von St. Leonhard im Passeier, Josef Pixner, sowie Bezirkshauptmann Ernst Mumelter
gaben zu verstehen, dass die Wahlergebnisse als Täuschung gelten mussten. Kein deutscher Abgeordneter sei in das Parlament eingezogen, womit das „Bild der Unterdrückung in unserer Heimat vollständig geworden“264 sei. In vielerlei Hinsicht können die Jahre 1925 bis 1928 so als Kulminationspunkte der Südtiroler Frage zwischen Italien, Österreich und Deutschland gelten.265 Die Italianisierungsmaßnahmen bewegten sich auf ihren Höhepunkt zu. Auch dadurch bedingt nahmen neu gegründete oder zusammengeschlossene Deutschtumsverbände (und mit ihnen auch ReutNicolussi, Gamper, Mumelter usw.) immer radikalere Positionen ein und befeuerten so auch (eingeleitet durch die AS) die Berichterstattung in der österreichischen und vor allem der deutschen Presse. Das wiederum hatte Falschmeldungen und daraufhin Boykotte italienischer Waren in Deutschland und Österreich zur Folge.266 Nur durch energisches Einschreiten vor allem des AA, das allerdings mit Unterstützung des VDA eine doppelschneidige Taktik anwendete, ließ sich die Situation zwischen Berlin und Rom beruhigen. Doch infolge der Ereignisse waren die Fronten zwischen den Vertretern eines radikalen, revisionistischen und eines gemäßigten Weges in der Südtirolpolitik trennscharf hervorgetreten.267 Auf der einen Seite standen die 262 263
264 265 266 267
Procacci (1989), S. 361f. Vgl. auch Winkler (2011), S. 440ff. Mit Riedl hat BF wahrscheinlich auch nach 1945 noch Kontakt bis in die 1970er Jahre gehabt. 1973 habe er noch Prof. Dr. Riedl gebeten, sein Die goldgestickte Kokarde (1973) in der Zeitung Dolomiten zu rezensieren. Es könnte sich um den ehemaligen Lehrer gehandelt haben. Siehe BF an Haider, Studio Tirol des ORF, v. 02.12.1973, Autographensammlung der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Entnahmen aus: O. V.: „Erklärung des Deutschtums Südtirols zu den Wahlen“. In: Salzburger Volksblatt v. 29.03.1929, S. 1. Vgl. Steurer (1980), S. 102f. „Bis zum Herbst 1925 war die Haltung Berlins und der deutschen Presse“ zu dieser Frage „von einer auffallenden Zurückhaltung gewesen“. Pircher (1998), S. 162ff. Ebd., S. 102ff.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
Deutschtumsverbände (hier besonders die Münchner Gruppe des AHB und der VDA-Landesverband Bayern), ihre Funktionäre „und Propagandisten“268, denen sich der perspektivlose Bossi in der aufgewiegelten Hochphase an beinah allen Stellen anschloss, auf der anderen Seite vor allem Sternbach und das AA.269 Beide Seiten führten 1925/26 um die „politische Linie“ der AS einen „heftigen Kampf“270. Um die widerstreitenden Interessen in geordnete Bahnen zu lenken, schickte Berlin im Februar 1926 Legationsrat Hans Saller „von der Presseabteilung des AA“ als Konsul nach Innsbruck und stellte ihm Felix Kraus zur Seite, „Vertreter des Deutschen Schutzbundes“ und „Korrespondent der Münchner Neuesten Nachrichten“271. Dem gelang es recht bald, sich intensiv in die Seilschaften der Deutschtumsverbände einzufädeln: „Saller und Kraus wurden in der Folge zu Hauptfiguren der Südtirolpolitik Berlins“272. Währenddessen hatten die weitreichenden Wellen der Presseberichte über Südtirol auch Hitler und die NSDAP nicht unberührt gelassen. Sie war die Partei, die im Deutschen Reich offensiv nationalistische Ziele benannte und einen Staat forderte, der den vorgeblichen Volks- und Kulturgrenzen entsprach.273 Südtirolische Hoffnungen auf Verbesserung oder Veränderung der Lage richteten sich also besonders auf die Nationalsozialisten.274 Als diese im Februar 1920 ihr Parteiprogramm veröffentlicht hatten, fanden sich dort unmissverständliche Forderungen nach Zusammenschluss aller Deutschen und Aufhebung der Verträge von Versailles und St. Germain. Auch Hitler selbst geriet Südtirol in der Frühzeit der Partei nicht aus dem Blick. Er war im habsburgischen Österreich aufgewachsen und hatte wie selbstverständlich Südtirol als Teil des Landes wahrgenommen.275 Insofern war ihm die Südtiroler Frage möglicherweise näher, als von einem späteren deutschen Kanzler zu erwarten gewesen wäre. 1920 noch hatte er dem Weimarer Außenminister Simons „internationalistische Gesinnung“ vorgeworfen, weil der den „Verbleib Südtirols bei Italien als unvermeidlich bezeichnet hatte“276. Im Laufe der darauffolgenden Jahre legte er jedoch eine Kehrtwende hin. Noch kurz vor Mussolinis ‚Marsch auf Rom‘ 1922 soll ein Gespräch zwischen 268 269 270 271 272 273 274 275 276
Ebd., S. 108. Gehler (2004), S. 37. Villgrater (1984), S. 98f. Vgl. Pircher (1998), S. 152 u. Gehler, Biographie (2007), S. 64ff. Entnahmen aus: Steurer (1980), S. 108. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Ebd. Vgl. Parschalk (2003), S. 328, Gehler, Biographie (2007), S. 52f. u. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 342. Ebd. Penning (2015), S. 53 u. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 185. Vgl. Latour (1962), S. 15. Vgl. auch Wedekind (2003), S. 30 u. S. 33. Urbach (2016), S. 208. Entnahmen aus: Corsini/Lill (1988), S. 210.
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
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Hitlers frühem Anhänger Karl Lüdecke und Mussolini auf Vermittlung Erich Ludendorffs stattgefunden haben.277 Als Lüdecke den späteren ‚Duce‘ auf Südtirol ansprach, habe der abgewiegelt und klargestellt, dass es keine Diskussion über eine Grenzrevidierung gebe. Lüdecke berichtete wenig später Hitler. Dem Opfer Südtirol stimmte er [Hitler] zu, wenn man damit Mussolinis Freundschaft gewinnen könne, nachdem Lüdecke ihn von dessen unnachgiebiger Haltung in dieser Frage überzeugt hatte. […] Die italienische Allianz sollte Eckstein seiner Politik werden. Sie würde dreifache Vorteile bieten: Sie bedrohte Frankreich in der Flanke; sie konnte das Sammelbecken aller revisionistischen Nationen werden und Deutschland eine ruhige Zeit des Wiederaufbaus nach einem nationalsozialistischen Siege gewährleisten.278
1926 erschien dann als Teilvorabdruck des zweiten Teils von Mein Kampf sein Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnisproblem.279 Südtirol sei nur deshalb so präsent, weil es „der ‚deutschen‘ Presse wieder einmal“ gelungen sei, sich in „Nebensächlichkeiten zu verstricken“280. Dabei stellten die Südtiroler „nur einen Bruchteil des verlorenen deutschen Menschenmaterials“281 dar. Hitlers Essay war auch der Versuch, durch den Vergleich mit anderen annektierten Gebieten der Südtirol-Frage die Bedeutung zu nehmen, die sie in der öffentlichen Diskussion Mitte bis Ende der 1920er Jahre einnahm. Dabei sprach er auch der Öffentlichkeit und den Südtirol-Aktivisten ihren Willen ab, sich für das „Schicksal des Deutschtums“ eingesetzt zu haben, sondern attestierte ihnen Hass „gegen die augenblickliche italienische Regierung“282 und auf Mussolini. Durchgehend relativierte er die Unterdrückungsmaßnahmen, um gleichzeitig Mussolini und den Faschisten als künftigen Bündnispartnern zu huldigen.283 „Wenn wir […] Ausschau halten wollen nach europäischen Bundesgenossen, so bleiben praktisch zwei Staaten übrig: England und Italien“284. Hitlers später immer wieder kolportierte Position, zum Wohle von 60 Millionen Deutschen könne nicht allen geholfen und müsse manches geopfert werden, konstruierte er hier. Im deutschen Volk habe es außerdem für die Rückeroberung Südtirols 277 278 279 280 281 282 283 284
Vgl. Pese (1955), S. 116ff. Ebd., S. 118. Vgl. Plöckinger (2006), S. 95, 178, 334, Pese (1955), S. 125f., Wedekind (2003), S. 39 u. Schieder (2017), S. 36. Entnahmen aus: Hitler (1926), S. 6. Ebd. Ebd., S. 7. Wäre Mussolini Jude oder Freimaurer gewesen, so Hitler, hätte sich die Presse nicht in diesem Maße mit der Unterdrückung der Deutschen in Südtirol befasst. Ebd. Ebd., S. 23.
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3. Zwischenkriegszeit in Südtirol, Österreich und Deutschland
nicht genügend „flammende Nationalbegeisterung“285 gegeben. Schuld an der Situation seien die destruktiven „Kreise“286 früherer Jahre gewesen, die auch das katastrophale Kriegsende für Deutschland und Österreich zu verantworten hätten und die nun wieder verhinderten, dass man sich aller unterdrückten Deutschen annehmen könne. Dazu zählte er neben außenpolitischen Erbfeinden und „habsburgische[n] Legitimisten“287 vor allem das internationalistische, weltbürgerlich-pazifistische „Finanzjudentum“288. Die Juden, so Hitler, führten nun als Hintermänner der hetzenden Presse „mit außerordentlicher Geschicklichkeit“289 Südtirol ins Feld, um gegen die ‚nationale Erhebung‘ Deutschlands hinterhältig anzukämpfen, während er selbst zwischen 1914 und 1918 als Soldat auch für die Freiheit Südtirols gekämpft habe. Die Freiheit, sich überhaupt um Südtirol zu kümmern zu können, sei in Deutschland erst wieder erreicht, wenn die NSDAP die Macht errungen habe.290 Im Grunde ist diese Schrift nicht als Auseinandersetzung mit der SüdtirolFrage zu betrachten, sondern als (in diesem Zeitraum thematisch öffentlichkeitswirksames) außenpolitisches Programm und diplomatisches Angebot Richtung Italien; gleichzeitig ist es der oft benannte, offene ‚Verzicht‘ auf Südtirol.291 Dahinter steckte auch eine deutliche Abgrenzung gegenüber der traditionellen, auf Revision drängenden Rechten. Den südtirolischen Zeitgenossen, die aus der Geschichte des Umgangs mit der Südtirol-Frage in Deutschland häufig Hoffnung schöpften, hätte schon hier bewusst werden können, dass die Hitler’sche Volkstumspolitik dort ein Ende finden sollte, wo machtpolitische Erwägungen im Vordergrund standen. Eine Diplomatie hat dafür zu sorgen, daß ein Volk nicht heroisch zugrunde geht, sondern praktisch erhalten wird. Jeder Weg, der hiezu [sic!] führt, ist dann zweckmäßig und sein Nichtbegehen muß als pflichtvergessenes Verbrechen bezeichnet werden.292 285 286 287 288 289 290 291 292
Ebd., S. 34. Ebd., S. 9. Ebd., S. 33. Ebd., S. 26. Ebd., S. 30. Ebd., S. 12f. Vgl. Plöckinger (2006), S. 95, 178 u. 334. Vgl. auch Pese (1955), S. 125f. u. Wedekind (2003), S. 39. Schon 1922 hatten Münchner Zeitungen von solchen Äußerungen Hitlers berichtet. Corsini/Lill (1988), S. 211 u. 217. Hitler (1926), S. 18. 1929 hatte sich Hitler in München wegen Käuflichkeit vor Gericht verantworten müssen. Man warf ihm vor, gegen Geld Südtirol ‚verraten‘ zu wollen. O. V.: „Hitler für die Preisgabe Südtirols!“ In: Tiroler Anzeiger v. 10.05.1929, S. 3. Das unterstreicht nochmals die Annahme, dass den meisten Zeitgenossen Hitlers Verzicht auf Südtirol
3.3 Flucht über Österreich nach Deutschland
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Für ihn und die NSDAP war die Südtiroler Frage „ein Problem, das nur im Rahmen der für Deutschland möglichen europäischen Bündnispolitik die richtige Lösung finden“293 können sollte. Daran geglaubt jedoch hatten scheinbar die wenigsten. Derweil sollte Bossi-Fedrigottis Aufenthalt in Wien, überhaupt in Österreich, nur eine Zwischenstation bleiben. Schon im Herbst des Jahres 1929 wurde er „vom Südtiroler Volksschutz zur Arbeit für Südtirol nach Berlin geschickt“294.
293 294
nicht gewahr wurde und darüber hinaus, dass das Thema imstande war, Hitler und die NSDAP in Bedrängnis zu bringen. Anfang der 1930er Jahre waren sich die Nationalsozialisten darüber im Klaren, dass im Hinblick auf Südtirol entsprechende Gegenpropaganda geleistet werden musste. Vgl. auch Gehler, Biographie (2007), S. 75. Ebd., S. 8. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton.
Kapitel 4
Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten? 4.1
Aktivist und Journalist
Schon Mitte der 1920er Jahre hatte Bossi sich zeitweise zur Arbeitssuche in Berlin befunden. Nun kehrte er dorthin auf Wunsch des SV mit zwei Empfehlungsschreiben im Gepäck zurück, die ihm höchstwahrscheinlich kurz vor Abreise aus Wien ausgestellt worden waren.1 Als „geborener und vertriebener“ Südtiroler, so Pater Innerkofler für den AHB, sei er, einer der „besten Mitarbeiter“2, um Pressearbeit im Hinblick auf Südtirol zu leisten. Bossi tauchte in dieser Zeit in das bunte Berlin der Weimarer Republik am Ende der 1920er Jahre ein. Mit ihrer spezifischen Modernität und ihren spannungsgeladenen Krisen verstand die Weimarer Zeit es, dauerhaft „am Abgrund“3 zu balancieren und gleichzeitig den bis heute nachwirkenden Mythos der kulturell vielfältigen, freien, besonders an den Brennpunkten der gesellschaftlichen Großstadt-Realität hektischen, Goldenen Zwanziger hervorzubringen. Die Epoche der ‚Neuen Sachlichkeit‘ mit ihren schlichten, klaren Formen bahnte sich ihren Weg. Film und Rundfunk liefen dem Buch den Rang als ein Mittel zur Massenbeeinflussung ab. Doch gegen Ende der 1920er Jahre, als die Weltwirtschaftskrise der ‚Neuen Sachlichkeit‘ die Grundlage zu entziehen begann, polarisierte sich die Kulturszene zunehmend.4 Radikale Stimmen gewannen an Einfluss. Das Ende Weimars prägte so, besonders auf dem Literaturmarkt, eine „Wende zur Kriegsverherrlichung“, 1 Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. 2 Entnahmen aus: Tätigkeitsbescheinigung des Andreas-Hofer-Bundes für Tirol (Pater Adolf Innerkofler) für BF v. 09.08.1929, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Siehe auch die gleichlautende Tätigkeitsbescheinigung der Zeitschrift Der Südtiroler für BF v. 26.08.1929, ebd. 3 Entnahmen aus: Peukert (1997), S. 10. Siehe dazu auch Kiesel (2017), S. 134ff.: „Im Bewußtsein vieler Zeitgenossen stand Berlin für Dekadenz und Zersetzung, Nihilismus und Kulturbolschewismus, Sittenlosigkeit und Ganoventum“. 4 Ebd., S. 171ff. Ins Zentrum beispielsweise journalistischer Tätigkeit rückte besonders die Reportage, „auch sie eine Stilform, die höchste Authentizität anstrebte, gleichzeitig aber den formalen Geltungsanspruch“ nicht aufgab. 1929 erschien Döblins Berlin Alexanderplatz, das von „Kollage und Montage bis zur Filmsprache neue Formen integrierte“. Erst ab 1923 nahm der Rundfunk „seinen regelmäßigen Sendebetrieb“ auf. Vgl. auch Barbian (2010), S. 14f. u. Kiesel (2017), S. 66ff.
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die die „faschistische Mentalität und Propaganda massenhaft“5 vorbereitet und verbreitet habe. Verschiedene Anthologien belegen „Kanonisierungsprozesse“6, die zeigen, wie schnell sich neben Texten der ‚Neuen Sachlichkeit‘ und Arbeiterdichtung Kriegs- und Nachkriegsromane im Gefüge der Gegenwartsliteratur etablierten. Trotz seiner Arbeitsempfehlungen betätigte Bossi sich in diesen wirren Jahren zunächst nicht als Journalist, sondern als Vortragsredner des SV, bis der „in Preußen zeitweise seine Arbeit einstellte“7. Es sei zunächst nicht gelungen, den SV in Berlin zu gründen, geschweige denn eine Zweigstelle zu errichten.8 Gleichwohl hatten SV und AHB ihren wichtigsten Gegner bereits ausgemacht: Besonders gegenüber der Hitler-Partei betonte der AHB seine nationale Gesinnung, zum einen, weil sein Bemühen im Südtirol natürlich auch von einer nationalen Grundlage ausging, zum anderen, um der NSDAP vor Augen zu führen, daß sie ihre nationale Verpflichtung vernachlässige.9
Aufmerksam beobachtete der Bund, dass das NS-Parteiprogramm nach Mussolinis Machtübernahme seit 1929 statt Südtirol die Rückgabe ElsaßLothringens forderte.10 Die NSDAP war inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tirol zu einer großen politischen Partei geworden, spätestens seit sie durch den Einsatz Franz Hofers, eines 30-jährigen Radiohändlers aus 5
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Entnahmen aus: Ebd., S. 175. Vgl. Baron/Müller (1989), S. 15f. Die Reaktionen auf die Verfilmung von Remarques Im Westen nichts Neues zeigten bereits, dass rechtsradikale Gruppen an Selbstbewusstsein gewonnen hatten. Die Uraufführung 1930 musste mancherorts angesichts von Störungen durch Nazis untersagt werden, die die „Ehre des deutschen Frontkämpfers beschmutzt“ sahen. Außenpolitisch schlug das Deutsche Reich nach Gustav Stresemanns Tod 1929 konfrontativere Töne an. Ebd., S. 202. Zur Radikalisierung des Buchmarkts und dem „war fiction boom“ vgl. Lungershausen (2017), S. 3. Lungershausen (2017), S. 14f., zitiert hier Mahrholz, Werner [Lungershausen führt ihn fälschlicherweise als ‚Wilhelm‘ an]: Deutsche Literatur der Gegenwart. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Berlin: Sieben-Stäbe 1932. Entnahmen aus: Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Pircher (1998), S. 177. Innerkoflers Engagement war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Er war ihnen schon früh aufgefallen, so auch im Mai 1929, als die NSDAP in Wien Gegenveranstaltungen zu Vorträgen Mumelters und Innerkoflers organisierte. Innerkofler, Adolf: „Hitlerkomödie in Wien“. In: Tiroler Anzeiger v. 10.05.1929, S. 3. Der Pater hatte ebenfalls eine Einladung der „Hitlerleute“ bekommen, doch er habe „auf Grund der Unbedeutendheit der Hitlerei“ abgelehnt. Vgl. dazu besonders Schieder (2017), S. 29ff. u. 34f.
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Innsbruck, „geeint und schlagkräftig organisiert“11 war. Von Januar 1931 bis Juni 1933 steigerte die Tiroler NSDAP ihre Mitgliederzahl von 350 auf rund 3.000, was die Konfrontationen mit dem AHB verstärkte. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, heuerte Bossi im März 1930 zunächst als Angestellter im Reisebüro der Verlagsfirma Rudolf Mosses „ausländischer Korrespondent“12 und Reiseleiter für Gesellschaftsreisen an. Im Tourismus hatte er bereits Erfahrungen gesammelt. Der Verlag konnte ihn brauchen, besaß er doch ein weltweites Netz von Korrespondenten und erschloss damit der Leserschaft „wichtige Schauplätze des Auslands“13. Mosse bestätigte, dass Herr Anton Graf Bossi-Fedrigotti, geb.6.8.101 [sic!] in Innsbruck-Tirol, kath., […] seit 1.März 1930 bei uns als Korrespondent beschäftigt ist und ein Monatsgehalt von M 170.- bezieht.14
Ende der 1920er Jahre, nach Börsencrash, Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit, drängten die „geburtenstarken Vorkriegsjahrgänge“15 auf den Arbeitsmarkt. Die Generation der um 1900 Geborenen, zu der auch Bossi gehört, sah sich besonders schlechten Berufsperspektiven gegenüber.16 Viele junge Menschen erlebten soziales Elend, Verunsicherung und den „Zusammenbruch der eigenen biographischen Perspektive“17 während ihrer prägenden Jahre. Mit einem durchschnittlichen Jahresverdienst bei einem renommierten Verlagshaus zu arbeiten, so wie Bossi, war also keineswegs selbstverständlich.18 Nach den Jahren prekärer wirtschaftlicher Verhältnisse fasste er erstmals finanziell Fuß. 11 12 13 14
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Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 36. Vgl. auch S. 33f.: „Bis Ende der 1920er Jahre spielt die NSDAP in Tirol eine unbedeutende Rolle. Sie ist völlig zerstritten. Die erste Ortsgruppe wird im Herbst 1919 in Innsbruck gegründet“. Vgl. Falch (2002), S. 10. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Schilling (2011), S. 214. Arbeitsbestätigung BFs als Korrespondent bei Firma Rudolf Mosse, Berlin, v. 16.03.1931. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 13. Bei Mosse hatte sich nur wenige Jahre zuvor vergeblich auch Joseph Goebbels um Anstellung beworben. Adam (2010), S. 127. Peukert (1997), S. 20. Ebd. S. 92f. u. 246ff. Entnahmen aus: Ebd., S. 246f. Ebd., S. 246ff. 1930 betrug der durchschnittliche Jahresverdienst RM 2.074. Siehe BGBl. I/12 (2002), S. 869ff., SGB VI, Anlage 1 Durchschnittsentgelt in Euro/DM/RM. BF kam mit dieser Anstellung auf RM 2.040, mögliche Zulagen oder Sonderleistungen nicht eingerechnet.
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Mit Industrialisierung, Modernisierung und Anonymisierung der Arbeitswelt gingen allerdings auch Veränderungen der gesellschaftlichen Sozialstruktur und der Lebensweise großer Teile der Bevölkerung einher.19 Schon 1925 lebte jeder „dritte Deutsche in einer Großstadt“. Daher deckten „Agrarromantik und Großstadtkritik […] wirkliche Problemzonen der industriegesellschaftlichen Modernisierung auf“. Beide näherten sich zunehmend kulturkritisch-radikalen, völkischen Positionen an.20 Dem Historiker Detlev Peukert zufolge kann von einer „krisenhaften Modernisierung in der Zwischenkriegszeit“21 gesprochen werden. Die Topoi des mythisch überhöhten Landlebens und der kranken Stadt lernte Bossi nicht erst in Berlin kennen. Doch hier könnten sie sich angesichts seiner Eindrücke aus Südtirol (mit seiner stark landbezogenen, sich durch Irredentismus, Annexion und Unterdrückung ins Heimatlich-Ländliche abwendenden Bevölkerung) und seiner Sozialisation mit dem hektischen Eindruck Berlins verbunden haben. Die radikalen Deutschtumsverbände, für die er arbeitete, dürften diesen Eindruck noch verstärkt haben. Ideengeschichtlich verbanden sich seit Ende der 1920er Jahre Antimarxismus, Antiliberalismus und Antisemitismus mit einer „nationalistischaggressive[n] Interpretation der Weltkriegserfahrungen, der Freikorpseinsätze und der angestrebten Liquidierung der ‚Schmach von Versailles‘“ zu einer explosiven Mischung. Besonders viele junge Menschen sehnten sich (mit steigender Radikalität) einen revolutionären Neuanfang herbei, gleichzeitig national und sozial, nach innen stärkend und vereinend, nach außen Weimar und Versailles selbstbewusst bekämpfend. Ein „völkisch mystifizierter“22 Jugend- und Führerkult gewann an Zuspruch. „Formierte Massen“ beherrschten dabei auch schon im Laufe der 1920er Jahre das Bild öffentlicher Veranstaltungen: Kolonnen, Kundgebungen, große Sportveranstaltungen usw.23 „Nicht selten verbanden sich rationelle Funktion und Serialität mit der totalitären Inszenierung von Massen“24. Die hier anknüpfenden ‚Bewegungen‘ machten diese „Ornamentalisierung und Formierung der Massen zu ihrer 19 20 21 22 23 24
Zur Problematisierung des Begriff der ‚Moderne‘ siehe Ebd., S. 87f. Vgl. dazu auch „Verstädterung“ in Schmitz-Berning (2007), S. 636f. Entnahmen aus: Peukert (1997), S. 22f. Ein weiteres Drittel lebte in anderen Städten, das letzte auf dem Land. Entnahmen aus: Ebd., S. 83. Für Österreich gilt das gleiche. Vgl. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 214. Peukert (1997), S. 164. „Standardisierung des Einzelelementes, die Uniformierung der beteiligten Menschen oder die Rückführung der elementaren Baukörper auf möglichst reine, oft kubische Formen“ beherrschten währenddessen die zeitgenössische Architektur.
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Kennmarke“25. Überhaupt konnten solch große Menschenmengen erst durch den technischen Fortschritt dieser Jahre (Radio, Lautsprechertechnik, Verkehrstransportmittel, usw.) erreicht werden. Das veränderte die Möglichkeiten eines jeden, sich Informationen zu beschaffen und so auch stärker denn je beeinflusst zu werden. Zeitgleich organisierte Hitler die NSDAP nach seiner Festungshaft neu. Der Auftritt seiner Partei, führerorientiert, uniformiert, medienaffin, mit Versammlungen als Gemisch aus „sakraler Veranstaltung und Militärparade“ und einem ideologischen Konglomerat verschiedener, größtenteils bereits vorher vorhandener Positionen vor allem gegen das (angeblich semitische, liberale, marxistische) ‚System‘, verschmolz zu einem unermüdlichen Organisationsaktivismus, der das eigentliche Identitätsmerkmal der NSDAP ausmachte. Bewegung in Permanenz, Bewegung um ihrer selbst willen, Bewegung als ständiger Beweis vorwärtsdrängender Dynamik: das war das Credo der NSDAP.26
Junge, perspektivlose Menschen zog der Wunsch nach einem erlösenden Ausweg aus Misere und Krise an, der Reiz des kraftvoll Vorwärtsdrängenden, das Unverständnis und der Frust über die Kluft zwischen städtischer und ländlicher Realität, möglicherweise auch die Vorstellung einer egalisierenden Volksgemeinschaft.27 1930, als die NSDAP massenhaft Mitglieder gewann, waren mehr als 30% von ihnen unter 30 Jahren alt.28 Im Parteienvergleich war sie tatsächlich die „Bewegung der ‚Jungen‘“ und wenig später im Grunde die erste „klassenübergreifende deutsche Integrationspartei […] als totalitäre Volkspartei“29. Diese gesellschaftlichen Realitäten fanden sich in Berlin wie in einem Brennglas wieder.
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Ebd. Vgl. Römer (2017), S. 29. Ebd., S. 232. Siehe auch Barbian (2010), S. 14f. Doch „biografische Karrieremuster“ hatten sich bei Menschen in jungen Lebensjahren noch nicht herausgebildet und vielen fehlten möglicherweise so auch Erfahrungen des eigenen sozialen Auf- oder Abstiegs. Ebd., S. 235. Vgl. ebd., S. 234ff. Ähnliche Altersstrukturen bestätigt auch Römer (2017), S. 42, für die Wiesbadener Ortsgruppe. Vgl. zum Anwachsen der NSDAP um 1929/1930 auch Schilling (2011), S. 75ff. Entnahmen aus: Ebd., S. 235. Am 14. September 1930 brachten die Reichstagswahlen der NSDAP 18% der Stimmen ein. Siehe S. 253.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ? Zweifelsohne war Berlin nicht irgendeine deutsche Stadt im Jahr 1929. Jede neue Weiterentwicklung konnte in Berlin in Echtzeit mitverfolgt werden, was sie zugleich zur kosmopolitischsten Metropole Deutschlands machte.30
Im Rahmen seiner Anstellung arbeitete Bossi jedoch nicht durchgehend in Berlin. Seine Korrespondenten-Tätigkeit führte ihn immer wieder über einige Wochen und Monate herum. Das zeigt sein österreichischer Identitäts- und Reiseausweis, den er bis Ende 1932 besaß. Die darin befindlichen Grenzstempel belegen Dienstreisen nach Ungarn, Danzig, in die Tschechoslowakei und die Schweiz.31 Den Deutschtumsverbänden blieb er in Berlin treu. Ab 1930 wurde er in diesem Zusammenhang auch schließlich journalistisch tätig und verband so immer stärker Ehrenamt mit Beruf. Die Bescheinigung des Südtiroler dürfte ihm dabei geholfen haben, vor allem, da die Volkstumsverbände es schafften, Südtirol immer wieder zum tagesaktuellen Pressethema zu machen. Für Fragen dieser Couleur war Bossi also prädestiniert. Zeitungen gehörten bis kurz vor der Weltwirtschaftskrise in Berlin „zum Leben dazu wie das tägliche Brot. […] Zeitungen zu jeder Zeit, das war das Credo der großstädtischen Presse“32. Doch die Phase der „traditionsreichen Berliner Zeitungen“ und des freien Meinungsaustausches war mit dem Erstarken der Nationalsozialisten und dem Einsetzen der Krise schon bald vorbei. Später geriet von den großen Häusern […] der Mosse-Verlag in die wohl ärgste Bedrängnis. Der Herausgeber von so etablierten Zeitungen wie dem Berliner Tageblatt […] stand bereits ohne Zutun der Nationalsozialisten 1933 vor dem Bankrott.33 30 31 32
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Schilling (2011), S. 32. Österreichischer Identitäts- und Reiseausweis BFs, S. 4ff., Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, S. 12ff. Der Ausweis war gültig für Deutschland, die Tschechoslowakei, Brasilien und Ungarn. Schilling (2011), S. 21f.: „Die hohe Nachfrage nach Zeitungen in Berlin ging einher mit einer entfesselten Kreativität der Medienakteure. […] Meinungsstark und wortgewaltig äußerte sich Tag für Tag ein Heer von Journalisten zu Wort. Sie fütterten eine Maschinerie, die in Berlin tagsüber ein Feuerwerk neuer Zeitungen auf die Öffentlichkeit niedergehen ließ“. Entnahmen aus: Ebd., S. 24 u. 27. Die drei Großverlage dieser Zeit in Berlin waren Mosse, Ullstein und Scherl/Hugenberg. 1932 gab es hier (ohne Vororte) 76 Zeitungen (in Deutschland insgesamt 4.700), wovon 18 parteipolitisch dem rechten, 20 dem linken Spektrum zuzuordnen waren. Deutsches Institut für Zeitungskunde (1932), S. 33 u. 43. Im Juni 1935 sollte Viktor Klemperer festhalten: „Seit dem 1. Juni lesen wir keine Zeitung mehr. […]. Es ist ja doch alles die gleiche Lüge“. Nur wenig später habe er „doch wieder nach monatelanger Pause eine Zeitung (‚Dresdner NN‘) abonniert. Mir wird beim Lesen
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Einer der ersten bekannten Zeitungsartikel Bossis (nach dem von 1921) erschien am 27. Juli 1930 im deutschnationalen Salzburger Volksblatt.34 Zu jedem in Tempelhof eintreffenden Flugzeug einer Europa-Rundflugreise sei die jeweilige Nationalhymne gespielt worden. Nach dem Engländer landete der Deutsche: „Hoch geht die deutsche Flagge! Das Deutschlandlied peitscht die Menge auf“. Später traf auch ein Österreicher ein – beim anschließenden Pressefoto waren „die Deutschen allein. In ihrer Mitte, Arm in Arm, der ‚Österreicher‘“35. Implizit deutet er mit dieser Beschreibung die mehr als freundschaftliche Verbindung zwischen Deutschen und Österreichern an, wobei er ‚Österreicher‘ offenbar nicht als angemessenen Begriff einer nationalen Identität betrachtete. Wenige Monate später, im November 1930, erschien zunächst ein Artikel Bossis im Salzburger Volksblatt und drei Tage später ein Leserbrief an den Berliner Lokal-Anzeiger36 des „Pressezar[en]“37 Alfred Hugenberg. Unmittelbar
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jedesmal übel; aber die Spannung ist jetzt zu groß, man muß wenigstens wissen, was gelogen wird“. Klemperer (1999), Bd. 1, S. 36 u. 53. Das Salzburger Volksblatt (1870-1942, 1950-1979) war eine „national-liberale, großdeutsche Tageszeitung“, die lange Zeit den dortigen Zeitungsmarkt dominierte. Schausberger (2017), S. 318. Sie entwickelte sich nach 1933, spätestens aber nach März 1938, zum „NSOrgan“ und druckte u. a. Erklärungen des Salzburger Gauleiters zum Umgang mit Juden. Leo (2012), S. 232. Vgl. S. 174. Bereits wenige Tage vor dem ‚Anschluss‘ gab die Zeitung mit Blick auf die Steiermark zu verstehen, dass das Tragen des Hakenkreuzes und der Hitlergruß jedem privat erlaubt sei. O. V.: „Dr. Seyß-Inquart in Graz“. In: Salzburger Volksblatt v. 03.03.1938, S. 2. Am 20.06.1931 (S. 8f.) veröffentlichte BF dort in seiner Funktion als Korrespondent auch einen Reisebericht aus Liechtenstein, der mit der Sehnsucht des Autors nach Deutschland, ein „heißes Gefühl“, endet. Bossi-Fedrigotti, Anton: „Fahrt durch Liechtenstein“. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Finale des Europa-Fluges“. In: Salzburger Volksblatt v. 30.07.1930, S. 5. Der Berliner Lokal-Anzeiger, national-konservativ, zwischenzeitlich Parteiorgan der DNVP, war die auflagenstärkste Zeitung des Scherl/Hugenberg-Verlages. Schilling (2011), S. 178ff. Ebd., S. 27. Alfred Hugenberg (1865-1951), promovierter Jurist, war ein einflussreicher deutschnational-völkischer Publizist und Wirtschaftsfunktionär, der unter Hitler kurzzeitig Ernährungs- und Landwirtschaftsminister war, seit Juni 1933 jedoch keine Ämter mehr bekleidete. „Die deutschnationale und auch antisemitische Propaganda gegen die Weimarer Republik wurde mit Hilfe von Hugenbergs Medienunternehmungen breit gestreut, die er seit dem Ersten Weltkrieg unter anderem mit dem Kauf verschiedener Anzeigen- und Nachrichtenbüros, Tageszeitungen, des Scherl-Verlages und des Filmunternehmens UfA (1927) systematisch ausbaute“. Hofmeister, Björn: „Hugenberg, Alfred“. In: Benz (2009), S. 387f. Mit seinem Medienkonzern herrschte er „nicht nur über die unmittelbar angeschlossenen Zeitungen“, sondern vervielfältigte auch seinen „Meinungseinfluß durch eigene Nachrichtenagenturen und durch den Vertrieb von fertigen Zeitungsteilen über Materndienste an die formell weiter selbstständige Provinzpresse“. Peukert (1997),
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zuvor hatte eine Delegation des deutschen Frontsoldatenbundes ‚Stahlhelm‘ Rom besucht, Mussolini ein Verbandszeichen überreicht und sich öffentlich mit den Faschisten gezeigt. Verärgert über diese Verbrüderungsgesten ließ Bossi, der sich selbst als „Vertreter der Südtiroler Arbeitsstelle in Innsbruck und als Ausschußmitglied des Andreas-Hofer-Bundes für Tirol“ vorstellte, im Namen der Verbände wissen, dass selbst die Aussicht darauf, seine „alte Mutter nie wiederzusehen“, ihn nicht dazu bringen könnte, seine „deutsche Gesinnung vor einem Italiener zu beugen“38. Die Delegation jedoch habe vor Mussolini, dem „Unterdrücker des Deutschtums“ in Südtirol, „gekatzbuckelt“39, ihm „speichelleckend zu Füßen“ gestanden. Er könne zwar verstehen, dass Deutschland einzig in einer Annäherung an Italien die Möglichkeit sehe, Frankreich die Stirn zu bieten. Doch dazu gebe schließlich „andere Mittel und Wege, als sich […] lächerlich zu machen“. Diese „derartige Anbiederung“ zeige ihm, dass es „oft nichts Dümmeres“ gebe, als „gerade den Norddeutschen“. Dem sei nicht zu helfen, von Politik „keene Ahnung nich“40. Für die Italiener hatte Bossi nichts als Geringschätzung übrig: Als „Reserveoffizier des italienischen Heeres“ könne man sich „über den Wert eines deutschen militärischen Bündnisses mit Italien zum allermindesten seine eigenen Gedanken machen“. Es sei unverständlich, dass deutsche Frontkämpfer Mussolini Ehre erwiesen, während in Südtirol „die Inschriften auf den Gräbern der gefallenen Tiroler (Meran) überstrichen“41 würden. Mit dieser Reaktion schien Bossi einen Nerv getroffen zu haben. Verschiedene Blätter griffen den Artikel auf und zitierten ihn, darunter die Salzburger Wacht und Der Südtiroler.
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S. 173 u. Schilling (2011), S. 27f. 1928 bezogen bereits 1.600 Zeitungen, seinerzeit etwa die Hälfte aller deutschen Blätter, „ihre Nachrichten von Hugenbergs [rechtskonservativer] ‚Telegraphen-Union‘“. Ebd., S. 28. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelmzeichen für Mussolini“. In: Berliner LokalAnzeiger v. 23.11.1930, 3. Beiblatt. Vgl. O. V.: „Ein Südtiroler züchtigt den Mussolini-Rauch deutscher Stahlhelmer“. In: Salzburger Wacht v. 28.11.1930, S. 2 u. Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelmzeichen für Mussolini“. In: Der Südtiroler v. 01.12.1930, S. 4. Entnahmen aus: O. V.: „Ein Südtiroler züchtigt den Mussolini-Rausch deutscher Stahlhelmer“. In: Salzburger Wacht v. 28.11.1930, S. 2. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelm ohne Kopf“. In: Salzburger Volksblatt v. 20.11.1930, S. 10. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelmzeichen für Mussolini“. In: Berliner LokalAnzeiger v. 23.11.1930, 3. Beiblatt. Nur eine Woche später erschien im Berliner LokalAnzeiger der Leserbrief eines ‚v. B.‘, der den Artikel Bossis „als Norddeutscher auf das wärmste“ unterstützte. Er könne alle Ausführungen BF aus Kenntnis der Südtiroler Situation bestätigen. Vorbedingung einer Verständigung mit Italien müssten gute Bedingungen für dort lebende Deutsche sein. v. B.: „Deutschland und der Stahlhelm“. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 30.11.1930, 5. Beiblatt.
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Nur eine Woche später veröffentlichte er den Artikel „Das Gold der deutschen Frauen“42, in dem er von Erlebnissen in einem abgelegenen ungarischen Dorf berichtete.43 Seine Begleiterin, eine „waschechte Berlinerin“, „die so blond und so hübsch war“, habe dort mit ihren „netten Blauaugen über dem Stupsnäschen“ und mit noch „nie erlebter Keckheit“ großes Aufsehen erregt. Er stellt sie als Deutsche mit prototypischer Haarfarbe heraus. In den Augen der Ungarn habe der Autor gar „einen eigentümlichen Glanz“ entdeckt, wie an der Gebirgsfront des Ersten Weltkrieges, „wenn die Honved sturmbereit, das Messer im Mund, aus den Gräben sprang“44. Schon in seinen frühen Texten und Artikeln nimmt Bossi schwermütig und schwelgend Bezug auf das untergegangene Habsburgerreich. In Ungarn treffe sich die „mannbare Jugend“ des Dorfes selbstverständlich weiterhin jeden Sonntag zur militärischen Ausbildung und fröne königlich-ungarischer Landwehr-Traditionen. Zum Abschied erbaten sich die Gastgeber lediglich „ein paar […] Goldhaare zum Andenken an die deutschen Frauen“45. Da die Zeichnungen des Artikels von Liselotte Bruder-Splittgerber stammen, die er außerdem zwei Monate später heiraten sollte, ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich bei der hier überschwänglich beschriebenen blonden Berlinern um die künftige Gräfin Bossi handelt. Insofern ist der Text einerseits als Reisebericht, andererseits auch als eine Art Liebeserklärung zu verstehen. Am 28. Dezember 1930 unterstützte sie ihn nochmals mit Zeichnungen zu seinem (ganzseitigen) Artikel „Skibuben“46, in dem er von einem Skirennen im „deutschen Südtirol“ berichtete, bei dem die stärksten Jungen sich nach dem Sturz eines ihrer „Kameraden“47 gegenseitig halfen, statt den sicheren Sieg herauszufahren. Diese Geschichte diente ihm vor allem als Kulisse, um der Berliner (und deutschen) Öffentlichkeit erneut 42
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Bossi-Fedrigotti: „Das Gold der deutschen Frauen“. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 30.11.1930, 2. Beiblatt. In diesen Jahren soll BF auch unter dem Pseudonym ‚Toni Herbstenburger‘ publiziert haben. Dazu ließen sich jedoch keine entsprechenden Artikel ermitteln. Vgl. Steurer/Steinacher (2011), S. 206. u. Keipert/Grupp (2000), S. 236. Zum Nachweis seines Pseudonyms siehe Eymer (1997), S. 38 u. Weigand (1994), S. 50. Tatsächlich besaß BF für diesen Zeitraum Reisegenehmigungen für Ungarn und die Tschechoslowakei, die er sich im August und September 1930 bei den entsprechenden Konsulaten in Berlin hatte ausstellen lassen. Österreichischer Identitäts- und Reiseausweis. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, S. 12f. Honved steht für Magyar Királyi Honvédség, die könglich-ungarische Landwehr 1867-1918. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Das Gold der deutschen Frauen“. In: Berliner LokalAnzeiger v. 30.11.1930, 2. Beiblatt. Bossi-Fedrigotti: „Skibuben“. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 28.12.1930, o. S. Es ist davon auszugehen, dass Bruder-Splittgerber noch weitere Artikel BFs gestalterisch untermalte. Diese Geschichte erinnert an den kurzen Zeitungsartikel der Alpenpost über BFs Teilnahme als Juror an einem Skirennen in der Nähe Toblachs. Entnahmen aus: Ebd.
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vom deutschen Charakter Südtirols zu referieren – wie schon in der Deutschen Alpenzeitung von 1921. Das Südtiroler Deutschtum, dessen Unterdrückung, die phänotypisch offensichtlichen Eigenschaften der unbedingt treuen, aufrechten Deutschen und das ehrenhaft untergegangene, wehrhafte Habsburgerreich beherrschten seine frühen publizistischen Arbeiten in Berlin. Immer wieder spickte er sie mit Details seiner Biografie, aus der Vergangenheit in Südtirol und der Arbeit als Korrespondent. Im März 1931 schrieb er über den italienischen General Andrea Graziani, der einer der schärfsten Unterdrücker Südtirols gewesen sei und sich dahingehend geäußert habe, dass sich kluge Südtiroler den Italienern anschlössen. Nur leider hatte er eines vergessen, der kluge Italiener. Daß wir Südtiroler außer der Klugheit, die uns Vorteile versprach, noch ein anderes Gefühl im Herzen tragen: die Treue zum deutschen Volke!48
Der Artikel zeigt, mit welcher Argumentationslinie Bossi bereits früh versuchte, für die Südtiroler einzutreten. Die ethnische Volkszugehörigkeit, nicht explizit Sprache und Kultur, fungiert als wichtigstes Abgrenzungskriterium. Neben dem Südtiroler und dem Berliner Lokal-Anzeiger schrieb der Südtiroler auch eine dreiteilige Serie zur „Wehrgeschichte Tirols“49 für die Beilage Wehr und Vaterland der Deutschen Zeitung50. Außerdem erschienen seine Texte in der Deutschen Tageszeitung51, ein ebenfalls militant-nationalistisches Blatt. Hier veröffentlichte Bossi im Oktober 1931 den Artikel „Deutsche Bauern 48 49 50
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Bossi-Fedrigotti: „General Andrea Graziani“. In: Der Südtiroler v. 15.03.1931, S. 5. Bossi-Fedrigotti: „Wehrgeschichte Tirols“. In: Deutsche Zeitung v. 20.06., 04. u. 18.07.1931, o. S. Die Deutsche Zeitung (1896-1934, Auflage 1929: 24.500, zwölfmal pro Woche, je sechs Ausgaben morgens und abends) war eine „vaterländisch-nationale Kampfzeitung“, antisemitisch, militaristisch und agrarisch, die als Sprachrohr „einer ganzen Reihe von rechtsgerichteten Gruppen“ diente, darunter ‚Der Stahlhelm‘, Wehrwolf (‚Bund deutscher Männer und Frontkrieger‘), Alldeutscher Verband u. der DNVP. Sie erschien in der Neudeutschen Verlagsgesellschaft. Als Absatzgebiet verstand sie neben dem Reichsgebiet auch „besetzte Teile“, ehemalige Kolonien und das Ausland. Die Zeitung bezeichnete sich selbst als Kampfblatt. Die Vermittlung deutschnationaler und militaristischer Politthemen erreichte sie u. a. durch die Beilage „Wehr und Vaterland“, die in der Morgenausgabe an Samstagen erschien. Schilling (2011), S. 295ff. u. Deutsches Institut für Zeitungskunde (1932), S. 113. Die Deutsche Tageszeitung (1894-1934, Auflage 1929: 25.000), vom ‚Bund der Landwirte‘ mitgegründet, „agrarisch-nationale, rechtsgerichtete Tendenz“, erschien als Morgen- und Abendausgabe insgesamt zwölfmal wöchentlich im Hugenberg-Verlag und beinhaltete regelmäßig die Beilage Das Deutschtum im Ausland, in der auch BF Artikel veröffentlichte. Schilling (2011), S. 276ff., 282, 532 u. Deutsches Institut für Zeitungskunde (1932), S. 113.
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in Südtirol“52 in der „absolut exklusiv[en]“ Beilage Das Deutschtum im Ausland. Diese stellte mit ihrer Konzentration auf die Auslandsdeutschen ein „Unikum in der Berliner Zeitungslandschaft“ dar. Hier habe sich „deutsches ‚Weltgeltungs-Bewusstsein‘ ausgedrückt“53. Bossi thematisiert den besonderen Kampf der Grenzlanddeutschen. „Notzeit der Heimat“ sei doppelte Notzeit der Grenzmarken. Wohl dem Volke, das Bauernhöfe, das ein festes Bauerntum als natürlichen Grenzwall seiner nationalen Gemeinschaft anderen Nationen entgegenstellen kann.
Sein Text beinhaltet bereits deutliche Anzeichen einer sprachlich-ideologischen Radikalisierung und völkischen Übersteigerung als Angehöriger der an der Grenze lebenden, deutschsprachigen Südtiroler. Der Begriff des Bauern hat dabei, so definierte einst ‚Reichsbauernführer‘ Richard Walther Darré, seine Wurzel im germanischen Mythos von der Heiligkeit des Blutes und der Aufgabe des Bauern, dieses Blut durch Dienst an seinem Geschlecht rein und gesund auf der ihm anvertrauten Scholle zu bewahren und zu sichern.54
Grund und Bewohner gehen eine überhöhte Verbindung als angeblich ‚natürliche‘ Schicksalsgemeinschaft ein.55 Nicht nur die Bevölkerung ist deutsch, vor allem auch der Boden. Organische Basis dieser Verbindung ist der Bauer als Besteller und Versorger, als derjenige, der am engsten mit dem fruchtbaren Boden verbunden ist, der mit und von ihm lebt, durch ihn zäh geworden ist. Der Bauer sei (auch als Wahrer aller Traditionen) Verteidiger aller Deutschen an der Grenze; die Bergbevölkerung insgesamt durch Jahrhunderte abgehärtet. Ein solcherart geschütztes Volk könne sich immer gegen das „Eindringen fremder, zersetzender Kräfte“ wehren. Als „Grenzmark“ widersetze sich Südtirol dem faschistisch-geeinten, italienischen Aggressor, der von einer beneidenswerten, wahrhaften „Führerhand“56 geleitet werde. Bossi sehnte sich offenbar nach einem ähnlich starken ‚Führer‘ für alle Deutschen. Grenzlandkampf und unbeugsame Bauern bilden hier das vom Autor konstruierte, typische Bild des Südtirolers. Mit diesem Artikel trug er, schon bevor Südtirol stärker zum 52 53 54 55 56
Bossi-Fedrigotti: „Deutsche Bauern in Süd-Tirol“. In: Deutsche Tageszeitung v. 19.10.1931, 2. Beiblatt (Beilage: Das Deutschtum im Ausland). Entnahmen aus: Schilling (2011), S. 283. Schmitz-Berning (2007), S. 84ff., zitiert hier Darré, Richard Walther: „Das Ziel. 1932“. In: Darré (1940), S. 338f. Ebd., S. 110ff. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Deutsche Bauern in Süd-Tirol“. In: Deutsche Tageszeitung v. 19.10.1931, 2. Beiblatt (Beilage: Das Deutschtum im Ausland).
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Wahlkampfgegenstand wurde, seinen Teil dazu bei, der deutschen Bevölkerung mithilfe völkischer Ideologeme eine spezifische Sicht auf sein Heimatland zu eröffnen, fremde ‚Zersetzer‘ zu identifizieren und zu stigmatisieren und einen starken (Volks-)Führer herbeizuschreiben. Der ebenfalls in der Deutschen Tageszeitung erschienene Artikel „Ringendes Deutschtum in Osttirol“ zeigt zudem: Bossi befasste sich als volkstumspolitischer Tagespublizist nicht nur mit dem südlichen, sondern auch dem östlichen Tirol. Der Vertrag von St. Germain legte 1919 fest, dass der osttirolische Bezirk Lienz sechs Gemeinden an Italien abtreten musste. Die Osttiroler, so Bossi, hätten sich seit dem 8. Jahrhundert zu „Schildträgern des tirolischen Wehrbewußtseins“ entwickelt. Dort habe sich ein besonders „hochgewachsene[r]“ Gebirgsstamm ausgeprägt. Der Autor verknüpft hier durchgehend volkstumspolitische Botschaften mit seiner Arbeit als ReiseKorrespondent, wirbt für Fahrten durch verschiedene Täler und berichtet gleichzeitig von der „Not der Gebirgsbauern“57. Bemerkenswert ist der 1932 zunächst in der Deutschen Zeitung, kurz darauf im Südtiroler Jahrbuch erschiene Aufsatz Bossis „Die Südtiroler im italienischen Heer“58. Er ist keine schlichte Dokumentation, sondern ein rassistisches und mit Nationalstereotypen gespicktes Plädoyer für das ‚Deutschtum‘ Südtirols und gegen den Kampf der deutschstämmigen Südtiroler im fremden italienischen Heer. Tirol sei in Jahrhunderten fremder Herrschaft immer wieder „zum Schildträger wiedererwachender deutscher Freiheit“ geworden. Nach der Einverleibung Südtirols, hätte das „kräftige, hochgewachsene Menschenmaterial der Bergessöhne […] die feindlichen Militärs gelockt“. Militant-bildhafte Formulierungen finden sich in Bossis Texten in gleicher Weise immer wieder. Inzwischen waren nicht mehr nur die Osttiroler hochgewachsene Schildträger, sondern alle Tiroler. Das zeigt die Beliebigkeit dieser Zuschreibung, solang es nur (Grenzland-)Deutsche waren, die Bossi so stilisierte. Schon 1929 hatte Richard Walther Darré die ‚nordische Rasse‘ an ihrem „langköpfigen, hochgewachsenen“59 Erscheinungsbild identifiziert. Mit ihm befand sich Bossi hier auf einer Linie. Offenbar in Gegensatz zu den anderen italienischen Soldaten leisteten die Südtiroler diszipliniert ihren Dienst mit einer „verbissenen Pünktlichkeit und […] Drill“, ließen sich nicht zu „Dienstverweigerungen noch […] Disziplinlosigkeiten“ hinreißen. Sie schienen Kriegernaturen gewesen zu sein, auch ohne militärische Ausbildung. Es sei tragisch anzusehen, wie Gruppen „blonder, italienischer Soldaten“ sonntäglich 57 58 59
Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Ringendes Deutschtum in Osttirol“. In: Deutsche Tageszeitung v. 20.02.1932, 2. Beiblatt (Beilage: Das Deutschtum im Ausland). Bossi-Fedrigotti, Die Südtiroler im italienischen Heer (1932), S. 61. Darré (1937), S. 12.
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die Kirchen in Rom besuchten und sich dabei in „urtirolisch-deutschem Dialekt“ unterhalten; „Arme Jungens!“ Bossi zieht zwischen Italienern und Südtirolern, aufgrund angeblich angeborener Eigenschaften blonde, große und wehrhafte Prototypen ihres Volkes, eine rassische Trennlinie. So den typischen Südtiroler beschrieben, nahm er sich als Mann kastanienbraunen Haares offenbar selbst davon aus.60 Die Jungen dienten fremden Fahnen und einer „im tiefsten Innern gehaßten Macht“, während ihnen der Gebrauch der deutschen Sprache verboten gewesen sei. In Einsätzen hätten die Südtiroler letztlich „für einen fremden Siegerstaat kämpfen und fallen“ müssen. Der Tod kennt ja keinen Unterschied. Und so trifft so manche Araberkugel in ein Tirolerherz, dessen Schlag einem anderen, dem eigenen Volke gegolten hat. […] Tapfer war der Deutsche ja immer, wenn er sich für fremde Herren schlug. Wann aber werden endlich alle Deutschen der Welt sich für Deutschland schlagen dürfen!61
Kann man dieser Argumentation nicht folgen, so Bossi, steht man wahrscheinlich auf dem „eigentümlichen Standpunkt des ‚Berliner Tageblattes‘ vom 11.1.32“, worin er „als Italiener angekratzt“62 sei. Das demokratische Blatt hatte die Gelegenheit genutzt und Bossis Artikel, „ein kräftig alldeutsch Wörtlein“, scharfzüngig-sarkastisch rezensiert. Das „ganze Arsenal des Nationalitätenhasses ward eingesetzt“. Passend, dass der Autor, der derart geringschätzig über die Italiener schreibe, „den urdeutschen Namen Anton Graf Bossi-Fedrigotti“ trage. Dass sich die Deutschen immer tapfer für fremde Herren schlugen, „eine kuriose Feststellung! So etwas, in aller Naivität dahergeredet, so etwas freut einen denn ja auch“. Merkwürdig sei es dann schon, so umschreibt es der Rezensent, dass sich deutsche Nationalisten über die Auswüchse des italienischen Nationalismus erbosten – und das in einem Blatt, in dem Italien sonst „als hehres Vorbild“ gepriesen würde. Es sei absurd, 60
61 62
Seine Statur und Erscheinung beschreiben u. a. die Pässe: Passaporto per l’estero (Pass für das Ausland) v. 15.09.1925, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857 u. Comune di Dobbiaco, Carta d’identita’ No. 979 del Signor Conte Antonio Bossi Fedrigotti v. 16.03.1928, ebd. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Die Südtiroler im italienischen Heer (1932), S. 61ff. Entnahmen aus: BF an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, Herrn Leopold, v. 18.02.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 22f. Siehe O. V.: „Erbfeind Italien“. In: Berliner Tageblatt v. 11.01.1932, o. S. Das Berliner Tageblatt (1872-1939, Auflage 1929: 137.000, So. 250.000), bildungsbürgerlich, modern, „liberal-demokratisch“, war Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre eine der wichtigsten deutschen Zeitungen. Schilling (2011), S. 214ff. u. 532. Das Blatt habe Italien seit etwa 1918 mit zunehmender, „zurückhaltender Skepsis“ betrachtet, vor allem seit Mussolinis Machtübernahme. Schwarz (1968), S. 269.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ? dass der Träger eines italienischen Namens, obendrein italienischer Staatsbürger und Soldat (dazu mit Leib und Seele Soldat!), die Fahne hasst und verachtet, der er Treue geschworen hat, und den Staat, dem er zugehört: nur deshalb, weil dieser Staat nationalistisch ist, und weil er selbst Nationalist ist.63
In einer der größten deutschen Zeitungen derart diskreditiert zu werden, dürfte Bossi zwar zutiefst konsterniert, seinen Bekanntheitsgrad in journalistischen und völkisch-nationalistischen Kreisen aber gleichwohl um ein Vielfaches erhöht haben. Im gleichen Jahrgang des Südtiroler Jahrbuchs erschien noch ein weiterer Artikel Bossis, der die zunehmende Radikalität seiner Texte zeigt. Hier wird das Volk zum Organismus. Da Ereignisse in anderen Grenzregionen „den ganzen Eiter an den offenen Wunden des ohnhin [sic!] schon so kranken deutschen Körpers zutage treten lassen“, versuche er zu trösten und zu motivieren. Der Erfolg des Auslandsdeutschtums „im Verteidigungskampfe seiner kulturellen Rechte“ sei der nationalen Unterstützung des Mutterlandes gutzuschreiben, die geeint, als volksnationales Ganzes, jenes Mark in die zahllosen Kanäle des Auslandsdeutschtums sickern läßt, daß die Knochen steif hält‘.
Erst mit Bismarck hätte sich ein Nationalstolz Deutschlands entwickelt, über das die Welt hergefallen sei, um ein „wundes, tiefblutendes Etwas“ zurückzulassen. Schon das Landlibell beweise den kriegerischen Charakter des mehr als 1000 Jahre alten, tirolischen Kämpfervolkes. Ein deutscher Stamm […] wehrt sich. […] Er wehrt sich mit der Mark seiner Nation […], das er seit Jahrhunderten als etwas Selbstverständliches genährt und hochgezüchtet hat. […] Dies nationale Bewußtsein, dieses Überheblichkeitsgefühl, ein besserer Stamm als die neuen Herren zu sein, ist auch der Markstein des Tiroles Verteidigungskampfes ohne Waffen. Der deutsche Bauer des Südens wird niemals den heutigen Herrn als seinen kulturell und militärisch höherstehenden Feind ansehen, sondern es immer als ein Herabsteigen seiner eigenen Person bezeichnen, die dem anderen die Hand reicht.
Die Gebirgswelt bedeute außerdem Kampf. „Und Kampf der Berge bedingt ein hartes Kämpfervolk“. Deutsch ist das Gebet in der Bauernstube. Deutsch die Knödel, die die Mutter ihm auf den Tisch setzte; und aus Liebe für Italien verzichtet kein Tiroler Bub auf seine Speckknödel in der Suppe, deutsch spricht der Vater von der Feldarbeit, 63
Entnahmen aus: O. V.: „Erbfeind Italien“. In: Berliner Tageblatt v. 11.01.1932, o. S.
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und nach überlieferter altdeutscher Art muß der Bub den harten, schweren Bergboden bearbeiten […].
Italien wisse um diese „ungeheure ernste Wahrheit“ (um die nationale Bedeutung der Knödel), und versuche deshalb, das „erwachende Deutschland“ zu sabotieren. Von Deutschtums-Propaganda derart beseelt, versteigt sich der Autor in nationale Absurditäten. In Südtirol trete Parteipolitik in den Hintergrund: „Sozialdemokraten plus Tiroler Volkspartei plus Großdeutsche ist gleich Deutsche“64, was an die Kriegsmotivations-und Propagandarede Kaiser Wilhelms II. am 4. August 1914 vor dem Reichstag erinnert, keine Parteien mehr, nur Deutsche zu kennen.65 Dieser Text zeigt, dass Bossi im Laufe seiner verbandlichen und journalistischagitatorischen Jahre Termini und Erklärungsansätze adaptierte, die zusammen ein eigenartiges Konglomerat des Südtirol-Aktionismus ergeben. Er verordnete sich damit inhaltlich überwiegend auf der politischen Linie der revisionistischen Deutschtumsverbände. Um ein Großdeutschland zu erreichen, in dem Südtirol aufgehen sollte, schrieb er zunächst noch von der Wahrung kultureller Rechte, vermengte sie jedoch schon mit biologistischen ‚Argumenten‘ über das Mark eines (zu züchtenden) Volkes als Stamm und Körper, als krankender, weil durch fremde Völker an den Rändern bedrohter Organismus66; Termini, die offenbar vor allem die Unterdrückungssituation hervorheben sollten. Nation und Volk müssten eins sein.67 Durch die ‚Aufzucht‘ im Gebirge hart und stark gemacht, seien die deutschen Tiroler (und vor allem Südtiroler!) der bessere, mit einem gerechtfertigten Überlegenheitsgefühl gegenüber den Fremden ausgestattete Stamm. Was diesen Stamm bedroht, muss beseitigt werden, im Inneren und Äußeren. Mit diesen Konstruktionen leistete Bossi 64 65
66
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Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Warum Italien Deutsch-Südtirol niemals entnationalisieren wird (1932). Vgl. Wippermann (1976), S. 197. Rede Kaiser Wilhelms II. vor dem Reichstag. „Verhandlungen des Reichstags. Dreizehnte Legislaturperiode. Zweite Session. 1914. Eröffnungssitzung im Weißen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin am Dienstag, den 4. August 1914“, http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb00003402_00012.html [Zugriff: 03.12.2017]. Dazu Schmitz-Berning (2007), S. 642ff., nach den von ihr ausgewerteten, zeitgenössischen Texten das ‚Volk‘ eine „durch Rasse und gemeinsamen Volksboden geprägte naturhafte Gemeinschaft von gemeinsamer Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur“ ist, die „einer starken Führung und steter Erziehung und Ausrichtung bedarf“. Hervorhebungen im Original. Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch war das Volk keine Summe von Menschen, sondern ein „lebendiges Ganzes“. Siehe auch Vondung (1976), S. 47 u. Wippermann (1976), S. 187. Der so kontruierte Aufbau des Textes erinnert an Franz Schauweckers Aufbruch der Nation (1929). Nähere Zusammenhänge dazu konnten jedoch nicht festgestellt werden.
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auch Vorarbeit als einer derjenigen, durch deren schriftstellerisches Wirken später Mord und Verbrechen infolge eines organischen Volksverständnisses als ein „natürlicher Stoffwechselprozess“ dargestellt werden konnten. „Die Sprache verrät die Komplizen hinter den Schreibtischen“68. Doch national seien die Tiroler nicht aufgrund der Politik einer Partei, sondern aufgrund ihres Wesens einer natürlichen Gemeinschaft. Dieses Rezept könne er den Deutschen „zur Nachahmung empfehlen“69. Das erinnert an Wilhelms Stapels „Volk und Volkstum“ und dessen Propagierung, das deutsche Volk als „lebendiges Wesen“ und „Idee eines Göttlichen“ zu verstehen. Handlungen Volksangehöriger seien so kein Ausdruck des Wollens, sondern des Seins; sie können sich aus ihrem Wesen heraus nur so verhalten. „Nicht wir machen, sondern ein Unbekanntes macht durch uns Geschichte“70. Bossi war offenbar vornehmlich daran gelegen, mithilfe kultureller und völkischbiologistisch-chauvinistischer Termini seinen Teil beizutragen, Südtirol in jedem Falle in ‚Großdeutschland‘ aufgehen zu sehen. Im März 1932 erschien in der Vorarlberger Landes-Zeitung sein Korrespondenten-Bericht „Polnisches im deutschen Danzig“. Die peniblen polnischen Grenzkontrollen habe er als Zumutung empfunden, die Abtrennung der deutschen Stadt vom Reich sei ungerecht und unverhältnismäßig. Sie müsse „dem Deutschtum erhalten bleiben […]“71. Unabhängig davon, ob es um Südtirol, Osttirol, Ostpreußen oder Danzig ging: Bossis Thema waren die aus seiner Sicht stets von allen Seiten bedrohten, zutiefst ungerecht behandelten, vom ‚Schicksal‘ getroffenen und deshalb zum Zusammenzurücken verpflichteten Grenzdeutschen. Sie seien authentischere Deutsche als die, die in Deutschland lebten, „frei von Überlagerungen der westeuropäischen Moderne“, und hätten damit zum „Nukleus“ einer reinen „nationalen Wiedergeburt“ werden können. Zur Propagierung solcher Interpretationsmuster, die zum „Promotor und Ideenlieferanten eines in Deutschland […] jäh zur Geltung gelangenden Ethnonationalismus“72 wurden, trug Bossi seit 1931 mehrstimmig bei. Er schrieb sozusagen aus der Opposition und rebellierte gegen „das Leiden, […] die Not wie gegen den Feind“73. Der Südtiroler publizierte in diesen Jahren und 68 69 70 71
72 73
Entnahmen aus: Amann (1996), S. 81. Bossi-Fedrigotti, Warum Italien Deutsch-Südtirol niemals entnationalisieren wird (1932). Entnahmen aus: Stapel (1922), S. 81f. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Polnisches im deutschen Danzig“. In: Vorarlberger Landes-Zeitung v. 18.03.1932, S. 10. Vom 22. Mai 1932 findet sich ein Grenzkontrollstempel des Danziger Deutschen Generalkonsulats in BFs Reisepass. Für den Zeitraum vor und nach Mai 1932 jedoch nicht. Österreichischer Identitäts- und Reiseausweis S. 4, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, S. 25f. Entnahmen aus: Oberkrome (1997), S. 107. Schnell (1998), S. 106.
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Monaten jedoch nicht nur in nationalistischen Zeitungen, sondern auch in der modern-frivolen Revue des Monats, einem bekannten Magazin der Weimarer Zeit, das seit 1926 erschien. Herausgeber war Hubert Miketta, der zeitgleich Chefredakteur von DAS MAGAZIN war, für das Bossis künftige Ehefrau als Pressezeichnerin arbeitete.74 In den frühen 1930er Jahren hatte Bossi nicht nur beruflich und ehrenamtlich Fuß gefasst in der „‚Zeitungsstadt Berlin‘“75, Anfang Januar 1931 stellte er einen Antrag auf Einbürgerung in Preußen. Dafür musste er seine ‚Deutschstämmigkeit‘ nachweisen. Er sei zwar „dem Namen nach“ Italiener, seine Familie jedoch bereits seit 600 Jahren ansässig in Südtirol. Seine deutsche Abstammung stehe außer Zweifel. Außerdem habe er sich stets als „Vorkämpfer für die Freiheit und das Deutschtum seines geliebten Tirolerlandes“76 eingesetzt, das könnten Andreas Thaler77 und Sektionsrat Dr. Wasserbeck78 bestätigen. Der italienische Pass und weitere Dokumente lägen im österreichischen Bundesministerium für Inneres.79 Am 22. Januar 1931 wollte er Liselotte Bruder-Splittgerber heiraten, weshalb er darum bat, sein „Gesuch […] besonders berücksichtigen zu wollen“80. 74
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Im Dezember 1931 erschien hier eine kleine, heitere Liebes- und Eifersuchtsgeschichte BFs, (Bossi-Fedrigotti: „Wenn das Telephonfräulein …“. In: Revue des Monats 6 (1931/32), H. 2, S. 63-65 u. 106). Das Magazin widmete sich besonders der Film- und Autowelt, zeigte außerdem weibliche Aktdarstellungen und bediente so „im besonderen Maße die Bedürfnisse der männlichen Leserschaft“. Das moderne Auftreten war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, „sie wurde noch 1933 eingestellt“. O. V.: „Revue des Monats“. Kurzporträt im Rahmen digitalisierter Magazine: http://magazine.illustrierte-presse.de/diezeitschriften/kurzportraets/revue-des-monats/ [Zugriff: 03.01.2017]. Schilling (2011), S. 24. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. BF spricht von sich hier durchgängig in der dritten Person. Andreas Thaler (1883-1939), Landwirt u. Politiker, 1926-1929 u. 1930-1931 österreichischer Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft. http://www.parlament.gv.at/WWER/ PAD_01343/index.shtml [Zugriff: 29.04.2015]. BF schrieb im Antrag fälschlicherweise „J. Thaler“. Gemeint ist vermutlich Dr. Ernst Wasserbeck, Pressechef der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, der am 14. Juni 1933 in Berlin auf Veranlassung Görings verhaftet worden war, um „eine Gegenmaßnahme für die Inhaftierung Dr. [Theodor] Habichts in Österreich [zu] treffen“. Siehe dazu O. V.: „Ausland. Deutsch-österreichischer Konflikt. Göring bricht das Völkerrecht“. In: Liechtensteiner Volksblatt v. 17.06.1933, S. 3. Vgl. Einbürgerungsantrag BFs v. 06.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 3-5. In der Akte befindet sich noch der Umschlag, in dem BFs Dokumente aufbewahrt wurden. Sie hätten weiteren Aufschluss über seine Lebensjahre bis 1931 geben können, sind ihm jedoch vermutlich wieder ausgehändigt worden. Ebd. Mit der in der darauffolgenden Zeit bewiesenen Geduld und bedächtigen Gründlichkeit preußischer Behörden hatte er vermutlich eher nicht gerechnet. Seine Einbürgerungsurkunde datiert vom 27. Dezember 1932. Bis dorthin füllte sich seine Akte im Polizeipräsidium mit etwa einhundert Schriftstücken.
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Im Polizeipräsidium traf das Schreiben am 21. Januar mit einer beiliegenden Empfehlung ein. Dr. Karl Mischler vom Österreichisch-Deutschen Volksbund unterstützte den Antrag „des Staatenlosen“ und stellte heraus, dass dessen Familie, die zu den ältesten deutschen Familien in Südtirol gehört, wo sie seit Jahrhunderten ihren Besitz hat, aus politischen Gründen aus dem heutigen Italien fortmußte. Es besteht für die Familie keinerlei Möglichkeit, sich jemald [sic!] wieder in Südtirol ansässig zu machen. Wir befürworten daher die Aufnahme des Herrn Grafen Fredigotti wärmstens. Er ist in jeder Beziehung als deutschstämmig anzusehen.81
Ein Bericht des Wiener Salonblatts über seine Hochzeit mit Liselotte BruderSplittgerber zeigte, dass der Publizist Ende Januar 1931 offenbar längst zu einem bekannten Mann in Berlin geworden war. Das Brautpaar habe sich über eine gut gefüllte Gästeliste mit einer großen „Anzahl Prominenter der Berliner Presse- und Journalistenwelt“ freuen können. Die Trauung in der St. LudwigsKirche in Berlin-Wilmersdorf nahm P. Adolf Innerkofler vor, der in seiner Ansprache besonders seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß er dem Vertreter der Südtiroler Bewegung in Deutschland persönlich die Grüße seiner Wiener Freunde überbringen durfte.82
Trauzeugen seien die Eltern des Brautpaares und Liselottes Onkel Hans Kraemer gewesen. Neben den Eltern, Verwandten und Freunden fand sich auch Bossis entfernter Cousin Reinhard Freiherr von Godin ein.83 81
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Entnahmen aus: Empfehlungsschreiben Dr. Karl Mischlers (Deutsch-Österreichischer Volksbund) zum Einbürgerungsantrag BFs an das Polizeipräsidium Berlin v. 17.01.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 6. „Der Österreichisch-Deutsche Volksbund war eine Massenorganisation, die für den Anschluss ‚Deutschösterreichs‘ an das Deutsche Reich eintrat“. U. a. Reut-Nicolussi war hier Mitglied. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 385, Fn. 75. Entnahmen aus: O. V.: „Letzte Nachrichten“. In: Wiener Salonblatt v. 01.02.1931, S. 12. Nicht nur in diesem Fall traute ein in der Südtirol-Arbeit aktiver Geistlicher seine Mitstreiter, Kanonikus Gamper war Traupriester Reut-Nicolussis und seiner Frau Grete. Gehler, Biographie (2007), S. 86. Von BFs Hochzeit berichteten neben dem Wiener Salonblatt auch das Neue Wiener Journal (v. 14.01.1931, S. 9, „Aus der Gesellschaft“), der Tiroler Anzeiger (v. 13.01.1931, S. 8), das Salzburger Volkblatt (v. 15.01.1931, S. 7) u. die Reichspost (v. 14.01.1931, S. 5). Gäste waren die Familien Bossi-Fedrigotti, Bruder-Splittgerber, Kraemer und Godin, außerdem u. a. Hans Nandelstaedt (besaß von 1931 bis zur Enteignung 1948 das Kino ‚U.T. Lichtspiele‘ in Neustrelitz, siehe Olschewski (2014), S. 245f.), zwei Herren v. Teuber, Herr u. Frau Dr. Weinand, Gustav Graf von Goetzen. Reinhard Ludwig Bernhard Freiherr
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Der erhaltene Personalausweis („Paßersatz“, siehe Foto) der Gräfin zeigt eine junge blonde Frau mit einem ovalen Gesicht, blauen Augen und nach unten gerichtetem, schüchtern-unsicheren Blick; „Gestalt: klein“84.
Abb. 6
Liselotte Bruder-Splittgerber, die spätere Gräfin Bossi.
Abb. 7
Die frisch vermählte Gräfin Bossi-Fedrigotti.
Liselotte Anna Margarete Bruder-Splittgerber wurde am 21. September 1908 als Tochter des Ingenieurs Erich Bruder-Splittgerber und seiner Frau Anna,
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von Godin (1884-1964) arbeitete bis 1945 als Rechtsanwalt in Berlin und anschließend in München. BF erwähnt die Verwandtschaft in einer Korrespondenz mit Franz-Josef Strauß v. 27.10.1970, ACSP Bestand NL Strauß PV 6033. Strauß und Godin kannten sich offenbar. Vgl. Ballerstedt (1954), S. 370ff., wonach Godin 1943 ein Gnadenverfahren für den in monarchistischen Widerstandskreisen tätigen, ihm befreundeten Österreicher Wilhelm Ritter von Hebra einleitete, der zum Tode verurteilt worden war. Godin soll angeblich aufgrund seines Engagements für Hebra ebenfalls vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden sein. Zur Vollstreckung kam es nicht mehr. Ballerstedt nimmt diese Angaben aus einer Korrespondenz mit dem Sohn Godins, Hans. Vgl. zu Hebra Stuiber (2004), S. 51f. Der Cousin Reinhards, Michael Freiherr von Godin (1896-1982), seit 1920 Polizist in bayerischen Diensten, befehligte die Polizeieinheit, die den Hitler-Putsch an der Münchner Feldherrnhalle zurückschlug. Daraufhin von 1933-1934 ‚Schutzhaft‘ im KZ Dachau, 1938 Emigration, 1945 Rückkehr und bis 1959 Präsident der bayerischen Landespolizei. Siehe „Godin, Michael Paul Ludwig Richard Frhr. von“. In: Röder (1980), S. 228. Personalausweis Liselotte Gräfin Bossi-Fedrigottis, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857.
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geborene Kraemer aus Stolp in Pommern, im preußischen Stettin geboren.85 Sie wurde evangelisch getauft. In den frühen 1930er Jahren veröffentlichte sie im Weimarer Lebensart-Blatt DAS MAGAZIN Skizzen, Portraits, Bildgeschichten und Karikaturen von bekannten Persönlichkeiten des Kulturlebens der 30er und 40er Jahre, darunter Marlene Dietrich, Hans Albers, Fritz Kortner und Rosa Valetti.86 Das brachte ihr 1932 ein Künstlerportrait mit Foto ein, auf dem sie sich kurz nach der Hochzeit als soziale Aufsteigerin mit Pelzmantel und strengem, nach oben gerichteten Blick präsentierte. Es schien ihr offenbar wichtig, ihren neuen gesellschaftlichen Status öffentlich zu zeigen. Aus der freundlich-unschuldig wirkenden, jungen Frau von Anfang 1931 war eine vornehm-distanzierte, elegante Dame geworden. Die junge Gräfin sei eine der fähigsten und „zukunftsreichsten Karikaturistinnen“87 des Blatts. Bossi besaß zu dieser Zeit nach wie vor die italienische Staatsbürgerschaft, doch das konnten die preußischen Behörden zum Zeitpunkt der Hochzeit noch nicht nachweisen. Deutsche Frauen, die einen Ausländer heirateten, nahmen automatisch dessen Staatsbürgerschaft an. Das galt auch, wenn sie dadurch staatenlos wurden, wie der Personalausweis Gräfin Bossis zeigt.88 Doch formaljuristisch war seine Frau wahrscheinlich Italienerin geworden.89 85 86 87
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Siehe „Anzeige über Verheiratung“ BFs mit L. Bruder-Splittgerber, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 9 u. BFs „Fragebogen zur Feststellung deutschblütiger Abstammung“. Ebd., Bl. 8. O. V.: „Eine Frau karikiert Berliner Schauspieler“. In: DAS MAGAZIN 9 (1932), H. 98, S. 46-48. Foto auf S. 46. Ebd. Verschiedene Arbeiten der Gräfin finden sich in den digitalisierten Beständen (von DAS MAGAZIN) der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB). Siehe http://magazine.illustrierte-presse.de/recherche/ [Zugriff: 03.01.2017]. Im April 1931, drei Monate nach der Hochzeit, erschien noch eine Bildgeschichte unter ihrem Geburtsnamen Bruder-Splittgerber. Siehe DAS MAGAZIN 7 (1930/31), H. 80, S. 5787-5789. Diese Regelung galt bis zum 23.05.1949: „Staatsangehörigkeit: unbekannt“. Das Dokument ist außerdem von der Abteilung „Fremdenamt“ des Berliner Polizeipräsidiums ausgestellt worden. Siehe Personalausweis Liselotte Gräfin Bossi-Fedrigotti, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Vgl. Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz v. 22.07.1913, §17 Nr. 6: „Die Staatsangehörigkeit geht verloren bei einer Deutschen durch Eheschließung mit dem Angehörigen eines anderen Bundesstaats oder mit einem Ausländer“. Dieser Teil des Gesetzes war zum Zeitpunkt der Heirat gültig. Geändert wurde er erst am 23.05.1949 mit Einführung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Verlust der Staatsangehörigkeit nur bei nicht eintretender Staatenlosigkeit), außer Kraft gesetzt am 01. April 1953. Vgl. http://www.verfassungen.de/de/de67-18/rustag13.htm [Zugriff: 22.04.2015]. Zu einem entsprechenden Staatsangehörigkeitsgesetz Italiens aus den 1930er Jahren ließen sich keine Hinweise ermitteln. In der Berliner Akte Bossis befinden sich heute auch sein italienischer Personalausweis und Reisepass. Höchstwahrscheinlich gelangten sie erst später aus Österreich nach Deutschland.
4.1 Aktivist und Journalist
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Bevor es anschließend für das junge Paar auf eine dreiwöchige Hochzeitsreise nach Wengen bei Bern ging, tafelte die Hochzeitsgesellschaft standesgemäß „im altbekannten“90 Hotel Prinz Albrecht in der Prinz-Albrecht-Straße 9 in Berlin, in der Weimarer Zeit eine der „exquisiteren Adressen“. Es eröffnete bereits 1888 (zunächst bis zur Jahrhundertwende ‚Hotel Römerbad‘) und entwickelte sich ab 1934 mit dem Einzug verschiedener SS-Ämter zum „‚SSHaus‘“91. Dort, südlich des alten Regierungsviertels, etablierte sich nach 1933 das eigentliche Schaltzentrum der NS-Herrschaft. Das Quartier rund um die Ecke Wilhelmstraße / Prinz-Albrecht-Straße war für die Nationalsozialisten keine unbekannte Gegend und das Hotel vor 1933 mehrfach Treffpunkt für NSDAP-Größen.92 „Noch während der ‚Kampfzeit‘“ hatte die NS-Zeitung Der Angriff Joesph Goebbels‘ in der nahen Wilhelmstraße ein eigenes Gebäude gekauft.93 Rund drei Wochen nach der Hochzeit zog Bossi bei der Familie seiner Frau am Berliner Hohenzollerndamm 9 ein.94 Mitte März 1931 bat die Berliner Polizei den Südtiroler um nähere Angaben zu seinem Einbürgerungsgesuch. Laut Unterlagen hielt Sachbearbeiter Polizeiobermeister Wilte dessen Einbürgerung für wünschenswert. Er sei weder „fremdstämmig oder deutscher Abstammung“, sondern „Österr. Abstammung“. Er stehe in gutem Rufe und engagiere sich im VDA, der „in besonderem Maße deutschen Interessen“ diene. Seine wirtschaftliche Lage als angestellter 90
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O. V.: „Letzte Nachrichten“. In: Wiener Salonblatt v. 01.02.1931, S. 12. Die Hochzeitsreise bestätigt auch die Einreisegenehmigung der Schweiz bis zum 15.02.1931 in BFs Reisepass. Als Reisegrund gab er allerdings berufliche Tätigkeit an. Siehe österreichischer Identitätsund Reiseausweis S. 4, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, S. 25f. Entnahmen aus: Buchholtz (2004), S. 1107-1117. Im Hotel zogen der ‚Persönliche Stab Reichsführer-SS‘ mit Diensträumen Himmlers, das SS-Hauptamt und -Personalhauptamt sowie kleinere Verwaltungsteile ein. Im Prinz-Albrecht-Palais, direkt nebenan, wurde Heydrich zeitgleich mit dem Sicherheitsdienst der SS (‚SD‘) untergebracht. Die Gestapo belegte die benachbarte ehemalige Kunstgewerbeschule. Das Hotel wurde auch u. a. im Wiener Salonblatt mehrfach als Ort fürstlicher Tafeln und als Unterkunft adliger BerlinBesucher erwähnt. Siehe u. a. Wiener Salonblatt v. 02.08.1913, S. 6, sowie Prager Tagblatt u. Bregenzer/Vorarlberger Tagblatt vom gleichen Tag (jeweils S. 2). Siehe u. a. O. V.: „Hitlers tagt nur in Luxushotels“. In: Arbeiter-Zeitung (Wien) v. 20.05.1932, S. 3. Hitler habe sich geweigert, zur Begleitung der ersten NSDAP-Fraktionssitzung das preußische Landtagsgebäude zu betreten. Hitler sei mit der Fraktion ins Hotel Prinz Albrecht ausgewichen. Buchholtz (2004), S. 1110. ‚Kampfzeit‘ ist der NS-Propagandabegriff für die Zeit zwischen der Gründung der NSDAP 1919/1920 und der Machtübernahme Hitlers als Reichskanzler am 30. Januar 1933. Siehe Pollmeier, Heiko: „Kampfzeit“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 594. Anfrage des Polizeipräsidiums Berlin an das Einwohnermeldeamt Berlin v. 21.02.1932 u. Antwort des Einwohnermeldeamts v. 25.02.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 45.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Journalist sei gesichert. Es sei dem Polizeiamt Wilmersdorf allerdings nicht bekannt geworden, ob der „Antragsteller im Deutschtum“ bisher „vollkommen aufgegangen“. Bossis Wirken in Südtiroler Kreisen war offenbar noch nicht bis dorthin vorgedrungen. Er bestätigte zwei Dienstzeiten in Italien, ohne darauf näher einzugehen. Den an dieser Stelle vorgedruckten Passus „in meiner Heimat“95 strich er. Italien galt ihm keinesfalls als Heimat. Wenig später schon bestätigte die Reichsstelle für das Auswanderungswesen, dass der Journalist „diesseitigen Erachtens […] als deutschstämmig anzusehen“96 sei. Das Reichsjustizministerium meldete keine Vorstrafen.97 Nun hätte der formale Einbürgerungsvorgang abgeschlossen werden können. Das Polizeipräsidium war sich jedoch offenbar unklar über die künftige Namensform und forderte damit die ganze Leistungsfähigkeit preußischer Bürokratie heraus. Bis zur Feststellung, dass Anton Graf Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld unter diesem Namen Preuße werden konnte, vergingen weitere zehn Monate. Zunächst wurde das Justizministerium um Prüfung gebeten; es nahm den gräflichen Gotha von 1929 zu Hilfe: Gegen die Annahme, dass er vor Erlass des österreichischen Gesetzes vom 3. April 1919 zur Führung dieses Namens berechtigt war, dürften keine Bedenken bestehen, falls er die entsprechenden Adelsbriefe vorlegt. Wegen der Frage, ob der Antragsteller, der auf Grund der Bestimmungen des Vertrages von SaintGermain die italienische Staatsangehörigkeit erworben hat, etwa in Italien zur Weiterführung der früheren Adelsbezeichnung berechtigt ist, verweise ich auf den Erlass vom 7. August 1929 – III Sta Bucovich – (I 5 B 2536).98 95 96
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Entnahmen aus: Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über BFs Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 1. Vgl. Identitäts- und Reiseausweis, ebd. Polizeipräsidium Berlin an Reichsstelle für das Auswanderungswesen v. 23.05.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 11 u. Reichsstelle für das Auswanderungswesen an Polizeipräsidium Berlin v. 12.06.1931, ebd., Bl. 12. „Deutschstämmig“ ist im Originaldokument doppelt unterstrichen. Amtsvorsteher von Züsedom an Landrat in Prenzlau v. 07.07.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 16. Auszug auf dem Strafregister des Reichsjustizministeriums zu Berlin v. 22.06.1931 (Datum abgeleitet aus Rückseite von Bl. 14b), ebd., Bl. 14a. Siehe auch Bezirksamt Wilmersdorf an Polizeipräsidium Berlin v. 01.09.1931, ebd., Bl. 19. Auch das Bezirksamt sollte gemäß §8 Abs. 2 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22.07.1913 Stellung nehmen: „Ein Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, kann von dem Bundesstaat, in dessen Gebiete die Niederlassung erfolgt ist, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er einen unbescholtenen Lebenswandel geführt hat“. Siehe http://www.verfassungen.de/de/de67-18/rustag13.htm [Zugriff am 22.04.2015]. Hausinterne Anweisung an die Kanzlei des Polizeipräsidiums Berlin v. 09.09.1931, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 20. Die Schließung des preußischen
4.1 Aktivist und Journalist
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Bossi bat nun seinen Onkel, das Familienoberhaupt in Rovereto, ihm die italienische Genehmigung zur Führung des Adelstitels oder einen Abdruck des aktuellen italienischen Adelsverzeichnisses zuzusenden. Diese Papiere lägen „noch unerledigt in Rom“, schrieb Ferdinand Graf Bossi-Fedrigotti. Auch ohne sie versuchte Bossi nachzuweisen, dass er Namen und Titel zu Recht trug. Die Familie sei laut dem Dekret der italienischen Praefektur in Trient vom 2. August 1929, zur Führung des italienisch übersetzten Adelsprädikates ‚de Campobove‘ (an Stelle des früheren österreichischen Bossi Fedrigotti von ‚Ochsenfeld‘) gezwungen worden, was also voraussetzt, dass die Eintragung der Familie in das italienische libro d’oro erfolgt sein muss, auch wenn die diesbezüglichen Urkunden noch immer in Rom lagern. Wer die italienische Verwaltungskunst kennt, weiss, mit welchem Tempo derartige Angelegenheiten erledigt zu werden pflegen.
Außerdem mutmaßte er, durch seine Flucht nun benachteiligt zu werden, weshalb es sehr gut möglich ist, dass die italienischen Behörden, aus Schikane gegen mich, die Eintragung meiner Person in das libro d’oro unterliessen. […] Dass auf eine Anfrage meinerseits bei der hiesigen Gesandtschaft, wie bei dem Uficio Araldico in Rom eine Antwort erscheint, glaube ich nicht gut annehmen zu können.
Die Dokumente auf direktem Wege aus Italien zu erhalten, sei „bei der Beliebtheit“, der er sich in Italien zu erfreuen glaubte, „so ziemlich ausgeschlossen“99. Er könne jedoch nicht verstehen, dass er, der „als Südtiroler […] wegen seiner deutschen Gesinnung ausserhalb des italienischen Gebietes leben“ müsse, einen Nachweis aus Italien zu erbringen habe, führe er doch „einen von deutschen Fürsten verliehenen Adelstitel“. Außerdem seien seine Eltern ‚Conte‘ und ‚Contessa‘. Deshalb habe der „einzige Sohn ein Anrecht auf diesen Titel“. Außerdem bescheinige der „österreichische Taufschein […] klar u. deutlich“
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Heroldsamtes nach 1918 öffnete Betrügereien von „Scheinadel, Hochstapelei und Namensschwindel Tür und Tor“. Malinowski (2003), S. 202. Solche Prüfungen könnten also von diesen Vorgängen beeinflusst worden sein, um wirklich sicherzugehen, dass die Führung des Namens berechtigt war. Der Preußische Minister des Innern an Polizeipräsidium Berlin v. 12.11.1931, ebd., Bl. 21. Handschriftlich wurde ergänzt: „Baron von Bucovich hat bisher die Genehmigung der italienischen Behörden nicht darbringen können“. Der Vorgang „Staatsangehörigkeitssache Baron Mario von Bucovich“ ist im Landesarchiv Berlin, Bestand A Pr. Br. Rep. 030, zu finden. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: BF an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, Herrn Leopold, v. 18.02.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 22f.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
seinen „Titel“100. Gleichwohl wandten sich die preußischen Behörden an das italienische Generalkonsulat in Berlin. Das Antwortschreiben führte keinen Titel auf und widersprach der Angabe Bossis, staatenlos zu sein: „Herr Antonio Bossi-Fedrigotti, Sohn des Alfonso“, würde „in Italien (Gemeinde Dobbiaco) als italienischer Staatsangehöriger geführt“101. Auch in Italien, das zeigt sein Pass, durfte er seinen Titel führen. Dass dieser in der Antwort des Konsulats fehlte, könnte, wie Bossi es wiederholt formulierte, als ‚Schikane‘ verstanden werden.102 Damit war jedoch für die deutschen Behörden der formale Beweis erbracht, dass er nicht staatenlos war – ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass er sich vor allem als politischer Flüchtling ausgab, um seine Fluchtgründe zu verschleiern und auf diesem Wege österreichische und deutsche Aufenthaltsberechtigungen zu erhalten. Doch auch so hielten ihn die Behörden offenbar für „deutschstämmig“. Er habe „während seines Aufenthaltes im Auslande stets eine deutsche Gesinnung bewiesen“ und betätige sich „in hervorragender Weise für das Deutschtum Südtirols“103. Das RMI hatte schließlich keine Bedenken, „[…] Anton Graf Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld unter dieser Namensform“104 einzubürgern. 100
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Entnahmen aus: Ebd. Beglaubigungen und Übersetzungen der Reisepässe von Alfons Graf Bossi-Fedrigotti und Itha Gräfin Bossi-Fedrigotti v. 22.04.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 30f. Die Beglaubigungen stellte BFs Cousin Reinhard Freiherr von Godin aus. Als weitere Referenz gab er den Reichstagsabgeordneten Abel an. Gemeint ist wahrscheinlich August Abel (1887-1962), in den 1930er Jahren „freier Schriftsteller und Mitarbeiter zahlreicher deutscher Blätter der politischen Rechten“, engagiert im nationalistischen und antisemitischen „Jungdeutschen Orden“, von September 1930 bis Juli 1932 Reichstagsabgeordneter der Deutschen Staatspartei, Verfasser politischer Schriften wie „Hitlers außenpolitische Katastrophe“ (1932). 1934 Emigration nach Afrika, 1939 vorübergeh. Internierung, 1941 Ausbürgerung aus Deutschland, 1948 Rückkehr, Tätigkeit als Journalist. Best, Heinrich u. Schröder, Wilhelm H.: Die Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung und der Deutschen Reichstage 1919-1933 (BIORABWEIMAR), http://zhsf.gesis.org/ParlamentarierPortal/biorabwr_db/biorabwr_db.php? id=10 [Zugriff: 28.04.2015]. Entnahmen aus: Italienisches Generalkonsulat Berlin an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II v. 18.03.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 25. Als BF 1939 in die Wehrmacht übernommen werden sollte, benötigte das zuständige Wehrbezirkskommando vom Polizeipräsidium einen Nachweis über die italienische Ausbürgerung des Reservisten. Er sei zwar Preuße geworden, schrieb die Polizei, aus den Akten gehe jedoch nicht hervor, „dass der Genannte aus dem italienischen Staatsverband entlassen worden“ sei. Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, an Wehrbezirkskommando Bln. IX v. 09.05.1939, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Einen solchen Nachweis konnte er wahrscheinlich nicht erbringen. Entnahmen aus: Verzeichnis zur Einbürgerung BFs, lfde. Nr. 33, v. 15.07.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 39. Der Preußische Minister des Innern, Kanzlei, an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, v. 27.06.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 33. Erst am 30. Dezember 1932 erhielten Bossi u. seine Frau die Urkunden und waren „damit Deutsche geworden“.
4.1 Aktivist und Journalist
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In Berlin und in Deutschland insgesamt gab es durch ihn zwar einen öffentlich agierenden Vertreter des vor allem „im süddeutschen Raum stark vertretenen“105 AHB und des SV, darüber hinaus aber keinen spezifischen Südtirol-Verband. Im Nachgang eines Vortrages Innerkoflers im Frühjahr 1931 nahm Bossi daher Planungen für einen solchen Verband als „Zweigstelle des ‚Südtiroler Volksschutzes‘“106 auf, um die Volkstumsarbeit für Südtirol in Deutschland zu bündeln. Wichtige Wegbereiter waren außerdem Prof. Paul Herre und der Redakteur Ferdinand Wessiak.107 Am 25. März fand in Berlin „vor einem zahlreich erschienenen Publikum und Pressevertretern“ die Gründungsversammlung der Gesellschaft der Freunde Südtirols (GdFS) statt, auf der Bossi zu ihrem ersten Präsidenten gewählt wurde.108 Er habe zu diesem Anlass „ein ausführliches Bild über die politische Lage Südtirols unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Freundschaftsvertrages zwischen Italien und Österreich“ gegeben. Die Gesellschaft sollte sich aus einem Kreis von Journalisten, Schriftstellern und Politikern zusammensetzen, die sich verpflichten, regelmäßige politische Aufsätze oder rein belletristische Arbeiten über Südtirol zu veröffentlichen.109
Vor allem aber sollte sie „dem Südtiroler Deutschtum in Wort und Schrift […] dienen“110. Dazu zählte auch, mit einem „Südtiroler Reisedienst“111 touristisches Interesse zu wecken. Man wollte „der südtiroler [sic!] deutschen Bevölkerung
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Formblatt zur Aushändigung der Einbürgerungsurkunde v. 27.12.1932, ebd. Vgl. auch Bericht des 152. Polizeireviers (Polizeiamt Wilmersdorf) über BFs Einbürgerungsantrag v. 16.03.1931, ebd., Bl. 1-2. Pircher (1998), S. 152. O. V.: „Kurze Nachrichten“. In: Vorarlberger Landeszeitung v. 02.03.1931, S. 2. Vgl. Keipert/Grupp (2000), S. 236, Widmoser (1982), S. 293 u. Steurer (1980), S. 169. Paul Herre (1876-1962), deutscher Historiker, veröffentlichte 1927 Die Südtiroler Frage. Entstehung und Entwicklung eines Europäischen Problems der Kriegs- und Nachkriegszeit. Vgl. Korrespondenz mit Reut-Nicolussi, u. a. Reut-Nicolussi an Herre v. 19.10.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 279. Ferdinand Wessiak war aus der Steiermark nach Berlin gekommen und gründete nach 1945 den ‚Friedensverlag‘ in Salzburg, der jedoch nur bis 1955 bestand. Weitere Informationen waren nicht zu ermitteln. Steurer (1980), S. 169 u. Holl (1997), S. 679. Vgl. „Statuten der ‚Gesellschaft der Freunde Südtirols‘“, §1, S. 3. BArch R 43-I/82, Bl. 186-191. Entnahmen aus: O. V.: „Eine Gesellschaft der Freunde Südtirols in Berlin“. In: Südtiroler Heimat v. 01.04.1931, S. 2. O. V.: „Gesellschaft der Freunde Südtirols in Berlin gegründet“. In: Vorarlberger LandesZeitung v. 28.03.1931, S. 16. Erich Mair an Reut-Nicolussi v. 02.07.1931. In: Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 236f. Mair veröffentlichte 1947 Die Psychologie der nationalen Minderheit in Innsbruck. Er bat Reut, er möge sich bei ihm bekannten Stellen für die Übernahme der offenen Beträge der GdFS einsetzen, um die Gründung einer Nachfolgegesellschaft nicht zu hindern.
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durch die Zuführung möglichst vieler reichsdeutschen [sic!] Besucher wirksam“112 helfen. Hier verband Bossi also erneut Mosse-Anstellung mit SüdtirolArbeit. „Zahlreiche Eintragungen zum Beitritt“ hätten der Gesellschaft „einen guten Auftakt“113 gegeben. Doch sie litt unter mangelnder Anerkennung wichtiger Stellen der Südtiroler Volkstumsarbeit.114 Die Südtiroler rund um die AS versuchten mehrfach, Innerkofler ruhigzustellen, dessen SV durch Geldsammlungen (deren Verwendung nicht ganz geklärt wurde) in Kritik geraten war.115 Vor allem aber wurde der einflussreiche Südtiroler Paul Baron Sternbach auf den neuen Berliner Verband und Bossi, der ihm nicht unbekannt war, aufmerksam. Er warnte den Innsbrucker AA-Konsul Hans Saller vor ihm, der mit seinem neuen Verein ebenfalls Sammlungen vornehme116: Die Persönlichkeit des Grafen Fedrigotti, wie auch die seines Vaters bietet aber nach meinen genauen Kenntnissen des Vorlebens, der Familien- und Vermögensverhältnisse der beiden genannten keinerlei Gewähr für deren einwandfreies Wirken auf dem so schwierigen und heiklen Gebiete des Schutzes für unser bedrängtes Deutschtum.
In Südtirol stehe man „einer Tätigkeit dieser Herren für unsere Sache aus den besagten Gründen sehr skeptisch“ gegenüber. Früher oder später könnten Situationen „zutage treten“, die den mit Bossi „zusammenwirkenden Herren kaum sehr angenehm sein dürften“. Sternbach dürfte nicht nur auf die finanziellen Probleme der Familie angespielt haben, sondern auch auf das Engagement Bossis in der faschistischen Verwaltung und auf das argwöhnische Augenmerk der Italiener auf ihren in Deutschland sehr aktiven Gegner. Daneben war Sternbach offenbar 1923/24 persönlich am Versuch beteiligt, den Bossi-Fedrigotti’schen Besitz zu erhalten – was auch seine 112 113 114 115
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Ferdinand Wessiak, Geschäftsführer GdFS, an Reichskanzler v. Papen v. 09.08.1932, BArch R 43-I/82, Bl. 184. Dieses Ziel ist auch in den „Statuten der ‚Gesellschaft der Freunde Südtirols‘“, §18, S. 7, wiederzufinden. BArch R 43-I/82, Bl. 186-191. Entnahmen aus: O. V.: „Eine Gesellschaft der Freunde Südtirols in Berlin“. In: Südtiroler Heimat v. 01.04.1931, S. 2. Vgl. Steurer (1980), S. 169. Doch der Pater, „dieses köstliche Original“, ließ sich auch nach mehrjährigen Versuchen, „ihn zu einer rationalen Arbeitsmethode zu bestimmen“, nicht beeinflussen. Er hielt Vorträge auch bei Sozialdemokraten und Marxisten. Leider habe er sich auch „in der Wahl seiner Mitarbeiter recht oft vergriffen“ und sei auch dadurch „in Konflikte geraten“. ReutNicolussi an Karl G. Hugelmann v. 11.08.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 250f. Geldsammlungen durch die GdFS müssen insofern als bemerkenswert gelten, da ihre Statuten hierzu eindeutige Regelungen trafen: §16, S. 6, „die Eintreibung von Geldern durch Sammeltätigkeit irgend welcher [sic!] Art“ wurde ausschlossen. BArch R 43-I/82, Bl. 186-191.
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Detailkenntnisse erklären könnte.117 Sternbach bat Saller, diese Informationen an „die zuständigen Kreise“ weiterzuleiten und unauffällig dafür Sorge zu tragen, „das fernere Auftreten Fedrigottis in der deutschen Öffentlichkeit […] hintanzuhalten“118. Bereits am 1. Juli 1931 erklärte Bossi auf einer GdFS-Vorstandssitzung seinen Rücktritt und legte das Amt Prof. Herre nahe. Doch der lehnte ab und setzte sich für eine Auflösung „mit sofortiger Wirkung“ ein. Nach langer Diskussion wurde diese einstimmig beschlossen und außerdem besprochen, dass es eine „neue Organisation in neuer Form und neuer Gestalt in absehbarer Zeit“119 geben solle. Da Bossi zu Beginn der Sitzung von der Gründung einer Berliner Zweigstelle des Tiroler Landesverkehrsverbandes berichtet hatte, beschloss man, den ‚Südtiroler Reisedienst‘ künftig dort anzugliedern.120 Er und Wessiak wurden beauftragt, die Abwicklung des Vereins zu übernehmen. Sie hatten sich, so stellten die anwesenden Mitglieder fest, in lobenswerter Weise engagiert und auch dafür gesorgt, dass im Schaufenster des Berliner Verlagshauses Scherl Werbung mit dem Titel „Reist nach Südtirol – in deutsches 117 118
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Zur Andeutung von Sternbachs Rolle siehe Polaczek, R.: „Das Schicksal deutscher Schlösser in Südtirol“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 12.12.1924, S. 4f. Entnahmen aus: Paul Baron Sternbach an Hans Saller v. 02.06.1931. PA AA, R 72888. Auch zuvor hatte Sternbach schon eine Unterstützung der GdFS abgelehnt. Steurer (1980), S. 184. Seine zeitgenössische Einschätzung zur Persönlichkeit BFs unterstützt die Vermutung, dass der seine zweite Dienstzeit tatsächlich freiwillig leistete und vor Gläubigern floh. Auch die italienische Presse habe BF mehrfach beschuldigt, aufgrund hoher Schulden aus Südtirol geflüchtet zu sein. Doch demgegenüber, so ein Artikel im Südtiroler, sei Bossi in Wahrheit „heute noch Gläubiger der Gemeinde Toblach […], die ihm einen Teil des Gehaltes noch schuldet“. O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.03.1932, S. 3. Leopold Steurer unterstützt die Einschätzung Sternbachs: „Ich würde mich da ganz auf das Urteil von Baron St. verlassen. Die Biographie von BF legt das wohl auch nahe“. E-Mail Leopold Steurer an CP v. 16.07.2017. Vgl. Steurer/Steinacher (2011), S. 204. Sternbach informierte Berlin und Innsbruck nicht nur über BF, sondern auch über den Südtiroler, den er nicht für zielführend in der Südtiroler Sache hielt. Insgesamt sei die Arbeit der Süd- und Nordtiroler zu „geräuschvoll“ gewesen, um wirksam etwas für Südtirol bewegen zu können. Erik von Witzleben an Reut-Nicolussi v. 06.11.1929. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 184. Entnahmen aus: Erich Mair an Reut-Nicolussi v. 02.07.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 236f. Derweil sei Reut statt Auflösung eine Umformung der GdFS lieber gewesen, da ihm der „Bestand einer solchen Gesellschaft“ in Berlin „sehr wertvoll“ erschien. Ohne sie lag wieder mehr Verantwortung auf einzeln handelnden Personen, so auch auf BF. Reut-Nicolussi an Erich Mair v. 12.08.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 254. Siehe auch Erich Mair an Reut-Nicolussi v. 02.07.1931. In: Ebd., S. 237. Den Reisedienst betrieb Wessiak offenbar verantwortlich weiter, möglicherweise auch BF. Reut-Nicolussi an Tiroler Reisebüro (Berlin) v. 08.10.1931, wo auch von einer Zuschrift der Firma Mosse die Rede ist. Ebd., S. 273.
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Land“121 gemacht wurde. Die Mitgliedsbeiträge wurden erstattet, die offen gebliebenen RM 400 zum Teil durch Wessiak und Bossi gedeckt. In der Sitzung sprach man sich zwar dafür aus, ihm die entstandenen Auslagen zu erstatten – doch er lehnte ab.122 Bis August 1932 war allerdings die Abwicklung offenbar noch nicht allzu weit vorangeschritten, sodass weiterhin Kosten aus der „täglichen Korrespondenz und den Werbemassnahmen“ entstanden. Auch im Namen Bossis schrieb Wessiak deshalb einen Bittbrief an Reichskanzler von Papen, um für die GdFS, die „frei von allen parteipolitischen oder konfessionellen Bindungen nur im nationalpolitischen Sinne“123 arbeite, einen regelmäßigen staatlichen Zuschuss zu bekommen. Doch Papen hegte die Absicht, „dem Antrage […] nicht zu entsprechen“. Ihm sei bekannt, „daß die Führer der Südtiroler Deutschen“ der GdFS „aus sachlichen und persönlichen Gründen ablehnend“124 gegenüber stünden. Auch wenn es neben AHB und GdFS zeitweilig keine weiteren einschlägigen Verbände in Deutschland gab, war das „Problem Südtirol“ immer „Teil der großen Arbeit der großen Verbände, insbesondere des ‚Vereins für das Deutschtum im Ausland‘“125. Als DSS-Engagierter war Bossi bereits angeschlossenes VDA-Mitglied.126 In Berlin brachten es seine Volkstumsarbeit aber auch seine journalistische Tätigkeit mit sich, dass er um 1930/1931 schnell weitere Kontakte im VDA knüpfte.127
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Ebd., S. 238. Ebd. Offenbar besaß BF inzwischen wieder finanzielle Mittel, um hier auszuhelfen. Im Übrigen gründete sich schon kurz nach Kriegsende 1945 eine neue GdFS, die dem (ebenfalls neu gegründeten) VDA 1960 als „korporatives Mitglied beitrat“. Verbindungen bestanden hier anscheinend auch zum „Kulturwerk Südtirol“. Ob BF hier möglicherweise eine Rolle spielte, ist nicht bekannt. Barbian (2014), S. 335. Entnahmen aus: Ferdinand Wessiak, Geschäftsführer GdFS, an Reichskanzler v. Papen v. 09.08.1932, BArch R 43-I/82, Bl. 184. Die beinah gleiche Formulierung zur Unabhängigkeit findet sich in den „Statuten der ‚Gesellschaft der Freunde Südtirols‘“, §4, S. 3. Ebd., Bl. 186-191. Entnahmen aus: Plank, Staatssekretär der Reichskanzlei, an AA v. 13.08.1932. BArch R 43-I/82, Bl. 192. Entnahmen aus: Pircher (1998), S. 152. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch Personalkartei BFs, ebd., die die Mitarbeit im Deutschen Schulverein Südmark bestätigt. „Der Antragsteller ist Mitglied des Vereins für das Deutschtum im Ausland und betätigt sich in hervorragender Weise für das Deutschtum Südtirols“. Verzeichnis zur Einbürgerung BFs, lfd. Nr. 33, v. 15.07.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 39.
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Ende der 1920er Jahre hatten sich Aufgaben und Tätigkeitsfelder des VDA zunehmend verändert. Nicht mehr nur kulturelles Interesse sollte vertreten, sondern Deutschtumspolitik in jedweder Hinsicht betrieben werden. Der Verband war zum Teil in die Nähe völkisch-nationalistischer Gruppen gerückt. In diesem Zusammenhang erfuhr hier auch der Begriff Grenzland eine besondere Aufwertung als Terminus technicus für die am Rande der deutschsprachigen Länder gelegenen Gebiete, „‚wo Angriffe fremder Rassen die Tore durchstoßen‘“128. Auch die ‚Wiederkehr‘ Südtirols spielte eine wichtige Rolle. Die starke Konzentration des VDA auf den besonderen Kampf der Grenzlanddeutschen gegen fremde Einflüsse (und damit die aktive Unterstützung völkischer Tendenzen in diesen Gruppen), die Betonung großdeutscher (Revisions-) Ziele und deren massenhafte Propagierung vor allem in der Schule trugen zweifellos sowohl zur Politisierung und ideologischen Radikalisierung vieler Deutschsprachiger als auch zur Destabilisierung der Weimarer Demokratie bei. Die an der Grenze im Ausland lebenden Deutschen, „‚ihrer völkischen Willensäußerung‘“ enteignet, waren in der Wahrnehmung des VDA ein bedeutender Gefahrenherd für den Frieden in der Welt. Die Lösung, an der der Verband seit Beginn gearbeitet habe, sei die allseitige Erziehung zu „überparteilichem, großdeutschem Denken“. Da dem Reichsdeutschen das Erlebnis der staatlich nicht geschützten Volksgemeinschaft und der Volksgrenze fehle, könne und müsse der Grenz- bzw. Auslandsdeutsche zum Erzieher des Reichsdeutschen werden. Dazu befähige ihn […] stärkeres Bewußtsein der eigenen Kultur- und Volksart […] und die entscheidende geistige und sittliche Kraft zur Umsetzung des VolksgemeinschaftsIdeals […].129
Nicht der Staat könne eine fremde Bedrohung bekämpfen, nur der Wille des Volkes als rassebiologisch definierte, „unaufhebbare, natürliche Gemeinschaft“130. Davon war zunehmend auch der VDA überzeugt. In diesem Zusammenhang musste der Südtiroler Bossi-Fedrigotti, der seine deutschsprachigen Landsleute als Minderheit in seiner Heimat erlebte, als idealer Grenzlandakteur gelten, der die Dringlichkeit bei der Abwehr ‚der Fremden‘ authentisch vermitteln konnte. Publizistisch hatte er die ersten Zeichen dafür bereits gesetzt. Der VDA konnte ihn also brauchen und setzte ihn fortan als Redner ein.
128 129 130
Prehn (1997), S. 30, zitiert hier Grothe (1921), S. 39f. Entnahmen aus: Prehn (1997), S. 31 u. 109. Stapel (1922), S. 84. Vgl. Stapel (1936), S. 8f.
144
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Im Herbst und Winter 1931 war der „redegewandte Graf“131 im Rahmen einer groß angelegten Vortragsreise zum Thema ‚Italien und Südtirol‘ für die Deutschtumsverbände und den VDA im ganzen Land unterwegs. Ausgerichtet wurden die Veranstaltungen vom nationalliberal-militaristischen ‚Jungdeutschen Orden‘.132 Bossi habe die Zuhörer mit seinen Ausführungen zwar stets „zu fesseln“133 vermocht, doch gab es auch kritische Stimmen. Ende November 1931 berichtete er Reut-Nicolussi aus Schmalkalden: Diese Vortragsreise stösst auf erhebliche Widerstände der ‚Nazis‘. In Gotha erklärten mir 17jährige Gymnasiasten (Nationalsozialisten): ‚Es seien alles süsse Mätzchen, die man über Südtirol erzählt. Sie seien besser informiert (!!!), dass es den Südtirolern ganz gut gehe.‘ In Bad Salzungen streikte die V.D.A.-Jugend (alles Nat.Soz.), weil sie, wie sie ihrem Professor erklärten, ‚genau darüber informiert seien‘, dass Mussolini die Südtiroler gut behandle.134
Bossis Vorträge sorgten für einigen Wirbel. Die zunehmende Nähe des VDA zur NSDAP führte zu der paradoxen Situation, dass VDA-Mitglieder (die der NSDAP nahe standen) Hitlers Südtirolpolitik auf diesen Veranstaltungen öffentlich unterstützten, während sie Bossi als VDA-Redner bekämpfte. Die jungen Verbands- und Parteimitglieder waren offenkundig hinreichend informiert und instruiert worden. So sah sich Bossi bisweilen weltanschaulich geprägtem, bündnisstrategischem Vorwissen gegenübergestellt – und musste sich, wollte er authentisch aus Südtirol berichten, der NS-Südtirolpolitik korrigierend entgegenstellen. In Schulen hielt der VDA gezielt Veranstaltungen ab und nutzte besonders den Deutschunterricht, um die Grenzlandarbeit in einen „‚Kampf um das deutsche Volkstum‘“135 einzubetten. Bossi muss immer deutlicher bewusst geworden sein, dass sein Engagement für das 131 132
133 134
135
O. V.: „Kundgebungen für Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 15.11.1931, S. 7. Der ‚Jungdeutsche Orden‘ war aus einem Freikorps hervorgegangenen, wurde 1930 Teil der Deutschen Staatspartei und löste sich kurz vor der Liquidierung durch die Nationalsozialisten 1933 selbst auf. Botsch, Gideon u. Kopke, Christoph: „Jungdeutscher Orden“. In: Benz (2012), S. 343f. u. Koch, Rainer: „Deutsche Demokratische Partei (DDP)“. In: Wende (1981), S. 86ff. Vgl. O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Südtiroler Heimat v. 01.12.1931, S. 3. Zwischen dem 15.11. und 01.12.1931 hielt BF für den Orden Vorträge in Friedrichsroda, Gotha, Ohrdruf, Eisenach, Bad Salzungen, Schmalkalden, Bad Liebenstein, Herges-Vogtei, Sonneberg, Thomar, Schleusingen, Suhl, Meiningen u. Römhild. O. V.: „Kundgebungen für Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 15.11.1931, S. 7. O. V.: „Kundgebungen für Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 15.11.1931, S. 7. BF an Reut-Nicolussi v. 20.11.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 305. Dabei handelt es sich um den ersten bekannten Brief BFs an Reut. Die Form der Mitteilung lässt darauf schließen, dass sich beide schon länger kannten, wahrscheinlich seit BFs Zeit in Wien. Siehe auch O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.12.1931, S. 3. Prehn (1997), S. 54.
4.1 Aktivist und Journalist
145
südtirolische Deutschtum (und für eine mögliche ‚Wiederkehr‘ in ein pangermanisches Großdeutschland) nationalsozialistisch-bündnispragmatischen Vorstellungen diametral widersprach. Viele NSDAP-Mitglieder, die die Vorträge besuchten, hätten allerdings durchaus „Interesse an Südtirol allgemein“ gezeigt. Tirol sei „den Deutschen doch noch Herzenssache“ und man könne daher „dem unermüdlich Vortragenden“ für seine „eifrige Werbearbeit für Südtirol nur herzlichen Dank“136 sagen. Derart engagiert, entwickelte sich Bossi zunehmend zu einem Sprachrohr enttäuschter, nationalistischer Südtiroler. Ihm war es in diesen Monaten maßgeblich zu danken, dass das Thema Südtirol weiter aktiv eine Rolle in der deutschen Presse spielte. Vor allem er habe „den Reichsdeutschen in geradezu herzerquickender Art“137 dargelegt, wie der Faschismus die Deutschen Südtirols bedrohte. Anscheinend geriet er so auch immer stärker ins Fadenkreuz der Italiener, die bald „seine Tätigkeit absolut ausgeschaltet wissen“138 wollten. „Begreiflich“, dass sein Engagement in Italien „unangenehm empfunden“ wurde. Daher hätte die italienische Presse ihn mehrfach verleumdet und (offenbar in Kenntnis der tatsächlichen Fluchtumstände) beschuldigt, aufgrund hoher Schulden aus Südtirol geflüchtet zu sein. Doch Der Südtiroler hielt dagegen: „Diese Nachricht“ sei völlig unrichtig und bezieht sich auf einen Anverwandten des Grafen Fedrigotti, während der junge Vortragende aus freien Stücken Südtirol verlassen hat und heute noch Gläubiger der Gemeinde Toblach ist […].139
Die italienische politische Polizei allerdings hatte in einem internen Dokument schon im März 1931 notiert, Bossi sei vor Gläubigern geflohen, darunter sogar einer seiner Bediensteten, den er unter einem Vorwand bestohlen habe.140
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139 140
Entnahmen aus: O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 15.12.1931, S. 4. O. V.: „Das ‚neue‘ Italien. Kleine Ouverture“. In: Südtiroler Heimat v. 15.04.1932, S. 7. Gamper (Bozen) an Reut-Nicolussi (Innsbruck) v. 19.12.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 329. Gamper berichtete hier verschlüsselt von BF, dem „schmalkaldischen Grafen“, und schrieb über „unsere Freunde“, die BFs Engagement eingedämmt wissen wollten. Hier kommen nur die Faschisten näher in Betracht. Es ist unwahrscheinlich, dass Gamper nähere Informationen über die Stimmung in der NSDAP BF gegenüber besaß. Als Bozner kannte er aber die italienische Perspektive. Entnahmen aus: O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.03.1932, S. 3. Siehe Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“.
146
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Anscheinend fand Bossi zusehends Gefallen an der Arbeit im VDA und versuchte, hier auch beruflich Fuß zu fassen. Hans Steinacher141, der spätere Reichsleiter des VDA tauschte sich mit regelmäßig mit Felix Kraus über volkstumspolitische Fragen aus, besonders über Südtirol. Ende Januar 1932 bat er diesen um „Nachricht, was Du vom Grafen Posse-Fredigotti hälst [sic!], der sich hier verschiedentlich in Angelegenheiten des V.D.A. um eine Stellung bemüht“142. Kraus antwortete umgehend und unterstützte die Einschätzung Sternbachs und die angeblich italienischen Anschuldigungen gegen Bossi in jeder Hinsicht: Graf Bossi Fedrigotti ist mit grösster Vorsicht zu behandeln! S [Sternbach] hat sowohl an die zuständige Abt. [des AA] als kürzlich erst […] ausführliche Berichte über ihn erstattet und vor ihm s e h r gewarnt. Er hatte selbst zugegeben, dass er vorübergehend dem Faschio von Bruneck oder Innichen […] angehört hat. Gegen ihn laufen die übelsten Geld- und Wechselklagen in Südtirol. Ebenso ist auch sein Vater bekannt, dass er überall Geld zu bekommen sucht. In S.T. wird er restlos abgelehnt […]. Ich kann nur raten dass der V.D.A. seine Finger von dem Mann lässt, es fällt den Faschisten nicht schwer, gegen ihn Material zu publizieren – und wir haben an solchen Existenzen in der S.T. Arbeit schon genug!143 141
142 143
Hans Steinacher (1892-1971), Kärntner Volkstumsfunktionär, arbeitete zunächst als Volksschullehrer und kam schon früh in Kärnten u. Südtirol mit der übersteigerten, deutschen Abgrenzung zu benachbarten, ‚fremden‘ Völkern in Berührung. Im Ersten Weltkrieg zuletzt Oberleutnant, war er zu der Überzeugung gelangt, dass „nur die Deutschen wirklich zuverlässig seien, während die anderen, vorwiegend Tschechen und Serben, scharf überwacht werden mußten“. Nach 1918 Propagandist im ‚Kärntner Abwehrkampf‘ und 1921 erfolgreich in gleicher Position zur Volksabstimmung in Oberschlesien. Anschließend Studium und Promotion, seit September 1932 jüngstes Mitglied des Hauptvorstands, ab April 1933 Bundesleiter (zunächst ‚Reichsführer‘) des VDA. 1937 von seinem Posten abberufen, im Zweiten Weltkrieg zuletzt Oberstleutnant. Nach Kriegsgefangenschaft u. a. stellvertretender Obmann der ÖVP in Kärnten. Jacobsen (1970), S. 11-29. Vgl. Gradwohl-Schlacher (1998), S. 332, Gradwohl-Schlacher (2011), S. 246-251 u. Prehn (1997), S. 108. Steurer (1980), S. 88, bezeichnete Steinacher als einen derjenigen Volkstumspolitiker, „die dem NS-Regime in der Phase seiner verdeckten Aggressionsabsichten als notwendige Abschirmung und Absicherung nach außen dienten und in der Periode der offenen Expansion ab 1937/38 überflüssig und ersetzbar und daher auf ein Abstellgeleise geschoben wurden“. Solcherart aus der Verantwortung gezogene Funktionäre hätten es, so Steurer, nach 1945 verstanden, sich ohne eine selbstkritische Betrachtung des eigenen Anteils an der NS-Zeit von Vorläufern und Handlangern „zu Opfern“ zu stilisieren. „Das Abstellgleis verklärt sich zum Widerstandsnest […]“. Ebd., zitiert hier Jaworski, Rudolf: Vorposten oder Minderheit? Der sudetendeutsche Volkstumskampf in den Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und der ČSR. Stuttgart: DVA 1977, S. 176f. Vgl. Luther (2004), S. 64ff. Hans Steinacher an Felix Kraus v. 20.01.1932. BArch N1185/45. Felix Kraus an Hans Steinacher v. 24.01.1932. BArch N 1184/45. Hervorhebung im Original. Dass BF in Südtirol offenbar keine Sympathie entgegenschlug, vermerkte auch das
4.1 Aktivist und Journalist
147
Dessen und des Widerstands maßgebender Südtirol-Kreise ungeachtet setzte Bossi im Frühling und Sommer 1932 seine Vortragsreisen fort, die „eine bessere Aufklärung bilden als das geschriebene Wort es je vermag“. In Chemnitz meldete sich dabei offenbar ein Faschist zu Wort, der „merkwürdigerweise von Nationalsozialisten zum Rednerpult begleitet wurde“. Bossi habe aber mit „Leichtigkeit alle Anwürfe“144 widerlegen können. Reut hielt diese von der NSDAP initiierte Gegenrede für den niederschmetternden „Gipfelpunkt“145 der Beziehung NSDAP–Südtirol. Im Juli des Jahres hielt Bossi seine Vorträge auch in rheinländischen Schulen, „und es ist begreiflich, daß die begeisterte Jugend an seinen Worten hing“146. Im August und September wurden seine Vorträge erstmals unter dem Titel ‚Die Gemeinsamkeit auslandsdeutscher Not im Süden und Osten‘ auch im Norddeutschen Rundfunk gesendet. Die Zeitung Der Südtiroler freute sich über die Sendungen, „da nirgends besser […] die öffentliche Meinung zugunsten und zuungunsten einer Sache beeinflusst werden“147 könne. Allein zwischen dem 8. und 20. August hielt Bossi 34 Vorträge an Hamburger Schulen, zwischen Oktober und November innerhalb Deutschlands nochmals 53, bis Weihnachten weitere 40 und fungierte 1933 offenbar sogar als Hauptredner einer Kundgebung in Gladbeck mit 35.000 Besuchern.148 Ende 1932 bestätigte der VDA dann auch offiziell, dass Herr Anton Graf Bossi-Fedrigotti in keinem Angestelltenverhältnis zu dem Verein für das Deutschtum im Ausland steht, aber seit dem 1. Juni d. Js. für uns Werbevorträge hält und ein durchschnittliches monatliches Honorar von 200250.-M erhält.149
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149
Dossier der politischen Polizei in Italien. Siehe Archivio centrale dello Stato, Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“. Entnahmen aus: O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 15.03.1932, S. 3. Vgl. O. V.: „Vereinsnachrichten“. In: Reichspost v. 16.03.1932, S. 9. Im Sommer 1932 hielt Bossi Vorträge im Rheinland. Reut-Nicolussi an Jessberger v. 22.03.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 396. O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.07.1932, S. 4. O. V.: „Rundfunkvorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.09.1932, S. 4. Siehe auch O. V.: „Gemeinsamkeit auslandsdeutscher Not im Süden und Osten“ [mit Auszuügen aus dem Vortrag]. In: Innsbrucker Nachrichten v. 20.08.1932, S. 3. O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.12.1932, S. 5. Auch im Februar 1933 ging die Vortragsreise weiter: Es folgten nochmals 33 Vorträge an Hamburger Schulen. O. V.: „Vorträge über Südtirol“. In: Der Südtiroler v. 01.03.1933, S. 7. Zur Ansprache in Gladbeck siehe Aschenauer (1981), S. 141. Bescheinigung des Vereins für das Deutschtum im Ausland v. 16.12.1932, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857, Bl. 44.
148
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
In dieser Phase wurde er jedoch, trotz energischer Gegenwehr Felix Kraus’ gegenüber Vorstand Steinacher, auch hauptamtlicher „Südtirol-Sachbearbeiter im VDA“150, nach eigenen Angaben „Beauftragter für Fragen des Etschlandes“151 in der Reichsleitung und blieb dort bis Sommer 1933. Seine unermüdliche Arbeit lohnte sich für ihn auch finanziell und brachte ihm einen einigermaßen sicheren Posten ein. 4.2
Das Treffen mit Hitler
Die eifrigen Südtirol-Bemühungen Eduard Reut-Nicolussis waren in Deutschland seit 1919 „gut bekannt“. Das AA rechnete mit seinen kritischen Standpunkten, vor allem, da er zunehmend zu einem „wichtigeren südtirolpolitischen Faktor auf internationaler Ebene“ avancierte. Für Reut war die Haltung Deutschlands „in der Südtirolfrage […] von eminent wichtiger Bedeutung. Er beobachtete sie stets wachsam und kritisch“152. Insofern war er sich auch schon früh im Klaren, dass Hitler auf ein Bündnis mit Italien zusteuerte und dafür bereit schien, Südtirol außer Acht zu lassen. Zwischen 1930 und 1932 versuchte Reut, durch regen Briefverkehr mit VDAFunktionären und „auf dem Wege über gute Freunde, Hitler zu einem Widerruf“153 und die NSDAP zu einer positiven Südtirol-Stellungnahme zu bringen. Was sich „in der letzten Zeit Hitler und die Nationalsozialistische Parteileitung in der Südtiroler Frage geleistet“ hatten, schrieb er im August 1931, übersteigt „jedes erträgliche Mass [sic!]“154. Reut bereitete sich auf eine offene Konfrontation vor. Er wollte zwar vorher jede Möglichkeit „zur Beilegung“ 150
151
152 153
154
Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch „Personalkarte für Anton Graf Bossi-Fedrigotti“, ebd., Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f., Hinkel an BF v. 13.04.1933, ebd., Bl. 4 u. Vorschlag zur Ernennung zum ORR v. 20.12.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 13. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. Eine Arbeitsbescheinigung des VDA zu diesem Posten war nicht zu ermitteln. Nach anderen Angaben sei er „Bearbeiter von Volkstumsfragen in der Bundesleitung des VDA“ geworden. Vorschlag zur Ernennung BFs zum Beamten v. 18.12.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 36f. Entnahmen aus: Gehler, Biographie (2007), S. 51. Reut-Nicolussi an Antonie Ketels v. 14.08.1931. Ebd., S. 258. In diesem Brief äußerte sich Reut auch dahingehend, Hitler u. die NSDAP hätten möglicherweise Bestechungsgelder aus Italien angenommen. Vgl. auch Reut-Nicolussi an Ritter von Epp v. 21.08.1931, den er eindringlich um ein Treffen bat, um eine Aussprache zu erreichen. Ebd., S. 261f. Anscheinend hatte sich Epp am 24. August 1931 offen dafür gezeigt. Reut-Nicolussi an Franz Stumpf v. 25.08.1931 u. an Ernst Mumelter v. 25.08.1931. Ebd., S. 267f. Reut-Nicolussi an Erich Mair v. 12.08.1931.Ebd., S. 254.
4.2 Das Treffen mit Hitler
149
genutzt haben; sei jedoch eine Kursänderung der NSDAP nicht zu erreichen, dann müsse nach seiner Beurteilung der Gesamtlage […] unbedingt eine klare Kampfansage an Hitler erfolgen. Diese müsste von uns, d.h. von Südtiroler-Seite aus, geschehen, weil wir gegen den Verdacht, nur aus parteipolitischen Gründen gegen die Nationalsozialisten zu hetzen, gefeit sind und eine unbestreitbare Kompetenz zur Aufnahme des Fehdehandschuhs besitzen. Ich bin selbst bereit, mich in den Dienst dieses Kampfes zu stellen […].155
Bis dahin bemühte sich auch der AHB aus „Rücksicht auf die Nationalsozialisten in den eigene Reihen“ um eine „friedliche Beilegung des ständig schwelenden Konflikts“156. Eine Aussprache mit Hitler sollte die Fronten klären. Doch auch über Vermittlung des frühen Tiroler NSDAP-Gauleiters Rudolf Riedl und auf Drängen Reut-Nicolussis gelang keine Verständigung, obwohl er Ritter von Epp und (über den bayrischen VDA-Landesvorsitzenden Baron Erik von Witzleben157) Rudolf Heß dazu gebracht hatte, Hitler seinen Aussprachewunsch zuzuleiten.158 Gegen Jahresende 1931 verschärfte sich die Stimmung zwischen Südtirolern und NSDAP. Für Reut diente Bossi bereits angeführter Bericht aus Schmalkalden hier als sprechendes Beispiel. Dem Grafen attestierte er, mit seinen unzähligen Vorträgen zum offensichtlich drohenden Kampf mit der NSDAP „in der letzten Zeit […] wichtige Beiträge“159 geliefert zu haben. Auch der AHB hätte die Kontaktversuche mit den Nazis inzwischen für gescheitert erklärt.160 Besonders besorgt war Reut über die Gründung von NSDAP-Ortsgruppen in 155 156 157
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159 160
Reut-Nicolussi an Gamper v. 23.08.1931. Ebd., S. 263. Entnahmen aus: Pircher (1998), S. 177. Job Wilhelm Karl Erik von Witzleben (1884-1958) war ein preußischer Großgrundbesitzer, im Ersten Weltkrieg zuletzt Hauptmann und in den frühen 1930er Jahren Vorsitzender des VDA-Landesverbandes Bayern. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 245ff., Steurer (1980), S. 98 u. 113, u. O. V.: „Bekenntnis zum Führer“. In: taz v. 08.03.2005, S. 4. Reut und Witzleben hatten bereits seit Jahren regen Briefverkehr. Reut-Nicolussi an Witzleben v. 11.08.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 245. Auf „das wärmste befürwortet“, gab Witzleben die Bitte Reuts weiter und bürgte zudem dafür, dass der Hitlers Vertrauen „in keiner Weise täuschen“ werde. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Erik von Witzleben an Rudolf Heß v. 21.10.1931. Ebd., S. 282. Brückner, „Adjutant des Führers“, antwortete Witzleben, Hitler sei zwar sehr beschäftigt, aber schon bald könne er mit Heß eine Besprechung beim ‚Führer‘ ermöglichen. Wilhelm Brückner an VDA-Landesverband Bayern v. 11.12.1931. Ebd., S. 321. Reut-Nicolussi an BF v. 07.01.1932. Ebd., S. 341. „Bericht von Eduard Reut-Nicolussi“ (Dez. 1931). Ebd., S. 313ff. Gamper nahm ebenfalls Bezug den „schmalkaldischen Grafen“ BF. Gamper an Reut-Nicolussi v. 19.12.1931. Ebd., S. 328.
150
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Südtirol, „einer besonders arglistigen Fessel für das um die nationalen Ideale kämpfende Südtiroler Deutschtum“161. Der VDA war über die aufgewiegelte Situation durch verschiedene Kanäle jederzeit gut informiert und hielt es zunehmend für angebracht, „eine unmittelbare Fühlungnahme“162 mit der NSDAP in die Wege zu leiten. Um eine erste Besprechung vorzubereiten, trafen sich um den Jahreswechsel 1931/32 Friedrich Carl Badendieck163, Presseleiter des VDA-Berlin, und Bossi mit den NSVertretern Hans Hinkel164 (zu dieser Zeit Leiter des Berliner Presseamtes 161
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Reut-Nicolussi an Karl C. v. Loesch (Deutscher Schutzbund) v. 12.12.1931. Ebd., S. 323. Wenige NSDAP-Ortsgruppen entstanden 1931/32, doch konnten ihnen nur ‚Reichsdeutsche‘, Österreicher und Sudetendeutsche beitreten. Dennoch erregten sie „schon viel Ärgernis und Verwirrung“. Gamper an ‚Herrn Hofrat‘ v. 14.01.1932. Ebd., S. 347. Vgl. ebd., S. 344, der sich auf Steurer (1980), S. 171f. u. 185 sowie Lun (2004), S. 31, bezieht. Badendieck, Friedrich Carl: „Bericht V.D.A.“ v. 27.01.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 353. Unter anderem hätten „bestimmte Erklärungen der nationalsozialistischen Partei, Zwischenfälle in innenpolitisch abgestimmten Versammlungen und in Südtirol selbst das Auftreten nationalsozialistischer Parteigruppen ungünstig gewirkt“. Friedrich Carl (‚Friedl‘) Badendieck (1892-1987), Journalist, 1923-1937 ‚Hauptschriftleiter‘ des VDA (und damit Mitarbeiter Hans Steinachers), nach 1945 Arbeit in der Pressestelle der CDU. B. schmückte sich in einem an BF gesendeten, für Hinkel vorgesehenen Lebenslauf mit scharfem „Vorgehen gegen jüdische Geisteshaltung“, wurde in einer „Kleinen Anfrage“ der Grünen-Abgeordneten Annelie Buntenbach von April 1996 (an die Bundesregierung zu deren Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten VDA) als „Propagandist des Antisemitismus“ bezeichnet. Siehe zur „Kleinen Anfrage“ http://dipbt.bundestag. de/doc/btd/13/045/1304519.pdf [Zugriff: 29.12.2016] u. zum Lebenslauf Badendiecks von 1912 bis 1933 RKK-Personalakte BFs, BArch R 9361-V/14885, Bl. 34-36. BF verwandte sich bei Hinkel für Badendieck, da der eine Stelle im RMVP übernehmen sollte und befürwortende Schreiben sammelte. Vgl. Steurer (1980), S. 84 u. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 1452. In einem Lebenslauf von 1939 brüstete sich Badendieck damit, als VDA-Funktionär gemeinsam mit BF eine so gute Verbindung zur NSDAP gehalten zu haben, dass sie „regelmäßig durch die Partei“ überlassene „Eintrittskarten für die grossen Sportpalastkundgebungen an durchreisende Auslandsdeutsche“ vermittelten. Lebenslauf Friedrich Carl Badendieck v. 09.05.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 34-36. Siehe auch Badendieck, Carl Friedrich: „Bericht V.D.A.“ v. 27.01.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 35 u. Goldendach/Minow (1994), S. 509. Hans Hinkel (1901-1960), NS-Medien- und Filmfunktionär, trat nach dem Ersten Weltkrieg dem ‚Freikorps Oberland‘ u. 1921 der NSDAP bei. Beteiligung am Hitlerputsch 1923 in München. In Alfred Rosenbergs Kampfbund für deutsche Kultur (KfdK) avancierte er bis 1930 zum Gauführer Berlin u. Landesführer Preußen, wurde außerdem für die NSDAP Mitglied des Reichstages, wenig später Schriftleiter (Chefredakteur) der Berliner Ausgabe des Völkischen Beobachters u. Geschäftsführer der Zeitung Der Angriff. 1931 SS-Beitritt, seit 1943 SS-Gruppenführer u. NSDAP-Gaupressewart Groß-Berlin. Hinkel wurde im Mai 1935 Geschäftsführer (Reichskulturwalter), im April 1941 Generalsekretär u. im Juni 1944 Vizepräsident der RKK, außerdem Reichsfilmintendant im RMVP. Schon seinen Zeitgenossen galt er als „graue Eminenz der RSK“. 1945 wurde Hinkel interniert u. 1947 an
4.2 Das Treffen mit Hitler
151
der NSDAP, Verlagsleiter des Angriff und Berliner Vertreter des Völkischen Beobachters) und Arno Schickedanz165 (ebenfalls Berliner VB). Sie dürften sich aus dem Berliner Pressemilieu, über Volkstumsarbeit und daher auch über den VDA gekannt haben. Nach „eingehender und positiver Erörterung des Südtiroler Problems“ setzte man eine zweite Besprechung für den 24. Januar 1932 an. Dort kamen noch „Studienrat Rumpf“ vom VDA-Hauptvorstand und Alfred Rosenberg hinzu, der wichtigste NS-Außenpolitiker und „Hauptschriftleiter“ des Völkischen Beobachters. Bossi war demzufolge in der Vorbereitung des Treffens mit Hitler der einzige beteiligte Südtiroler. Die NS-Vertreter erwarteten erst eine Besserung der Lage in Südtirol, sobald Deutschland und Italien enger aneinanderrückten; das unterschied sich kaum von Hitlers Standpunkt. Die NSDAP wollte nicht weiter öffentlich mit diesem Problem konfrontiert werden, das sei auch für die „Südtiroler Interessen nicht dienlich“166. Doch die Parteileute erkannten, wohl auch um die Volkstumsfunktionäre zu beschwichtigen, ihre Region „selbstverständlich […] als einen Bestandteil des deutschen Volksgebietes“ an. Sie wünschten sich eine Erklärung aus einschlägigen Kreisen, dass Südtirol „nicht als Mittel zu innenpolitischen Zwecken gebraucht“ werden wolle. Auch der VDA hege kein Interesse, das Thema zu Lasten dieses Landes auf der innenpolitischen Agenda zu sehen. Kein Verständnis hätten die Funktionäre für die dortige Verbrüderung von Nationalsozialisten und Faschisten gezeigt. Die NS-Vertreter stimmten
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Polen aufgrund des Raubes von polnischem Kulturgut ausgeliefert. 1951 kehrte er zurück, durchlief die Entnazifizierung als Mitläufer u. starb 1960 in Göttingen. Düsterberg (2015), S. 124f., Klee (2009), S. 225, Kühnert (2015), S. 24 u. Kimmel, Elke: „Hinkel, Hans“. In: Benz (2009), S. 363. Arno Schickedanz (1892-1945), „Schulfreund Rosenbergs“ aus Riga, Kriegsfreiwilliger und Freikorps-Kämpfer im Baltikum, schloss sich früh der NSDAP an, nahm 1923 am Hitlerputsch in München teil und wurde schon vor 1930 als Redakteur beim Völkischen Beobachter tätig. Er veröffentlichte zudem stark antisemitische und rassistische Schriften. Zwischen 1933 und 1943 war er „Stabsleiter im Aussenpolitischen Amt der NSDAP“, dort außerdem Personalleiter, später in gleicher Position in Rosenbergs Ostministerium, zuletzt „Generalkommissar für das Kaukasusgebiet“. Klee (2015), S. 533. Vgl. Schickedanz, Arno: „Richtlinien für die Einrichtung des Aussenpolitischen Amts der N.S.D.A.P.“ v. 01.04.1933, BArch NS 43/49, Bl. 11f. u. Korrespondenzen des APA mit d. ‚Amt für den 9. November‘ (München). Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 519 (NSDAP), Opis 4, Akte 26, Bl. 134. Schickedanz hatte für seinen Dienstherrn kurz vor Kriegsende noch einen Plan entworfen, kostbarste „Beutegüter so gut zu verstecken, daß sie einer Nachkriegsregierung bei Friedensverhandlungen als Faustpfand dienen“ hätten können. Janßen, Karl-Heinz: „Großfahndung nach dem Bernsteinzimmer“. In: DIE ZEIT v. 16.11.1984, o. S. http://www. zeit.de/1984/47/grossfahndung-nach-dem-bernsteinzimmer/seite-4 [Zugriff: 04.09.2017]. Entnahmen aus: Badendieck, Carl Friedrich: „Bericht V.D.A.“ v. 27.01.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 353. Zu Rumpf waren keine weiteren Angaben zu ermitteln. Vgl. zu diesem Treffen auch Steurer (1975), S. 288.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
zu, eine „dementsprechende Weisung“ sollte an die NSDAP-Ortsgruppen ergehen. Rosenberg versprach, alle Gauleiter bei einem der nächsten Treffen zu sensibilisieren. Hitlers bisherige Äußerungen zum Thema bezeichnete er als „wenig glücklich“. Zuletzt bat die NS-Gruppe darum, „Nachrichten über etwaige Unstimmigkeiten“ in dieser Frage „auf möglichst schnellem Wege und vor der Veröffentlichung in der Presse“ an Hinkel weiterzuleiten, der daraufhin Rosenberg verständigen sollte, „um Abhilfe zu schaffen“167 – tendenziell vor allem, damit die Partei nicht weiter öffentlich in Bedrängnis geriet. Damit konnten Bossi und Hinkel ihre geheime Verbindung aufnehmen, die zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führte und für Bossi besonders nach 1933 lohnend werden sollte. Einige NS-Funktionsträger schenkten entgegen der offiziell vertretenen Parteilinie Hitlers Südtirol weiter Aufmerksamkeit, das war hier deutlich geworden. Möglicherweise hatte der NSDAP-Führer dieses taktische Vorgehen auch gebilligt, um die umtriebigen Aktivisten im engeren und weiteren Fahrwasser des VDA ruhigzustellen. Diese Besprechung zeigte, welch große Bedeutung diese Thematik für die NSDAP in den frühen 1930er Jahren bis zur Machtübernahme hatte. Rosenberg, Hinkel und Schickedanz waren sich dieses wunden Punktes der Partei bewusst. Reut erfuhr vom geschäftsführenden Vorsitzenden des VDA, Hans Seebohm, von den Ergebnissen und auch, dass ursprünglich eine Zusammenkunft mit Göring geplant gewesen war, zwischenzeitlich jedoch „Graf Bossi-Fedrigotti“ mit Hinkel „Fühlung genommen“168 hatte, der dann Rosenberg einschaltete. Nur zwei Tage nach der Besprechung, am 26. Januar 1932, traf sich Gerhard Köpke, Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, mit dem italienischen Botschafter Orsini Baroni. Italien reagiere sehr empfindlich auf antifaschistische Aktionen in Deutschland, so Baroni. Insbesondere mit den Vorträgen des Pater Innerkofler über Südtirol [entstehe] eine neue Beunruhigung. Dazu sei in letzter Zeit der Graf Bossi-Fedrigotti gekommen, der sich am Kurfürstendamm eine dauernde Wohnung genommen habe und anscheinend beabsichtige, das Südtiroler Problem in einer ganzen Reihe von Vorträgen sozusagen dauernd in Bearbeitung zu nehmen. Wohin solle das führen? Mussolini sei in diesem Punkt ganz besonders empfindlich. Es sei ihm nicht klar zu machen, daß nach Lage der deutschen Gesetzgebung keine
167 168
Entnahmen aus: Ebd., S. 355. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Hans Seebohm an Reut-Nicolussi v. 30.01.1932. Ebd., S. 357.
4.2 Das Treffen mit Hitler
153
energischen Maßnahmen gegen diese dauernden Störenfriede der freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern möglich seien.169
Bereits bis in höchste Kreise belastete das Engagement Bossis das Verhältnis zwischen Italien und Deutschland. An seinem neuen Wirkungsort waren seine Vorträge gemäß Weimarer Reichsverfassung über das Recht der freien Meinungsäußerung geschützt.170 Derweil hatten Hinkel und Schickedanz die vertraulichen Informationen des Treffens nicht nur bei sich behalten. Trotz des ausgehandelten „Burgfrieden[s]“171 zwischen VDA und NSDAP stellte der Völkische Beobachter Ende Januar 1932 in einer kurzen, prominent auf der Titelseite publizierten Meldung („Die Südtiroler treu zu Adolf Hitler“), allerdings ohne Namen zu nennen, Bossi und Badendieck, „die Führer der Südtiroler Verbände“, als NSDAP-Sympathisanten dar, die sich gegen Innerkoflers Anti-Hitler-Vorträge gewandt hätten. Sie forderten, so der VB, das Thema aus der deutschen Innenpolitik herauszuhalten. Sie hätten erkannt, dass nur Hitlers Kurs gegen den 169
170
171
„Aufzeichnung“ d. Ministerialdirektors Köpke v. 26.01.1932, BArch R 43-I/82. In derselben Akte findet sich eine Aufzeichnung der Reichskanzlei zum Besuch des italienischen Außenministers Grandi vom Oktober 1931. Auf S. 19 wird der Reichskanzler darüber informiert, dass die italienische Politik in Südtirol eine „latente, aber nicht zu unterschätzende Belastung des deutsch-italienischen Verhältnisses bildet“. „Aufzeichnung“ v. 18.10.1931, ebd. Innerkofler hielt 1931/32 enge Verbindungen in alle Richtungen, auch zum Wiener NSDAP-Gauleiter Alfred Frauenfeld. Zu ihm habe er „keine direkten Beziehungen“ gepflegt, „wohl aber indirekt durch einige Funktionäre des Vereines ‚Südtiroler Volksschutz‘“. Außerdem sei eine seiner Reden ausführlich in einer sozialdemokratischen Zeitung besprochen worden, ein nach einem Briefpartner Reuts „schlechter Dienst für Südtirol“ und Beleg dafür, dass die Südtiroler Frage innenpolitisch zu einem wichtigen Faktor in Deutschland geworden sei. Reut-Nicolussi an Karl Milius v. 16.11.1931 u. Innerkofler an Reut-Nicolussi v. 17.12.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 302 u. 325, Karl Bell (Kassel) an Reut-Nicolussi v. 20.01.1932. Ebd., S. 349. In einem späteren Brief schrieb Bell, dass sich die Sozialdemokraten bisher wenig für die Südtirol-Arbeit interessiert, sie sogar bekämpft hätten, und sich nun nur auf sie bezogen, um den Nationalsozialisten zu schaden (!). Karl Bell an Reut-Nicolussi v. 02.02.1932. Ebd., S. 358f. Vgl. Schieder (2017), S. 29ff. Vgl. „Die Verfassung des Deutsches Reiches (Weimarer Reichsverfassung, WRV)“ v. 11.08.1919. Zweiter Hauptteil: Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen. Erster Abschnitt: Die Einzelperson. Artikel 118: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern“. RGBl. Nr. 152, S. 1383ff. Köpke habe dem Botschafter gegenüber sein Bedauern ausgedrückt und klargestellt, dass ihm diese Aktionen „genau so peinlich und unbequem“ seien. Sie seien auch vor allem gegen Hitler und nicht gegen Italien gerichtet. „Aufzeichnung“ d. Ministerialdirektors Köpke v. 26.01.1932, BArch R 43-I/82. Pircher (1998), S. 178.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
„Gerichtsvollzieher Frankreich“172 über ein Bündnis mit Italien zum Erfolg führen könne. Der VB hatte nun einerseits die Öffentlichkeit südtirolischer Zustimmung zu Hitlers Politik versichert und andererseits die einschlägigen Engagierten mithilfe Bossis in ihrer Uneinigkeit vorgeführt. Diese Meldung setzte die Deutschtumsverbände unter enormen Druck. Sie mussten mitansehen, wie ihr Drohgerüst gegen die NSDAP durch angebliche Aussagen eines Mannes plötzlich zusammenzubrechen drohte. Der AHB sah sich genötigt, Stellung zu nehmen: 1. In Berlin bestehen keine Südtiroler Verbände, daher auch keine Führer solcher Verbände. 2. Kein Südtiroler Führer ist zu einer solchen Erklärung ermächtigt worden und kein Südtiroler Führer hat eine solche abgegeben. 3. Sollte sich diese Meldung auf eine Besprechung beziehen, die kürzlich mit dem Südtiroler Graf Bossi-Fedrigotti stattfand, so hat uns Graf Bossi-Fedrigotti ausdrücklich ermächtigt mitzuteilen, daß er eine solche oder ähnliche Erklärung nicht abgegeben hat.173
Durch seine Nähe zu einflussreichen Nationalsozialisten geriet Bossi hier erstmals in Bedrängnis und musste vom AHB sogar namentlich in der Zeitung genannt werden, obwohl der VB gar nicht konkret geworden war. Während seine Worte ihre eigene Dynamik entfalteten und die Nationalsozialisten sie zu nutzen wussten, befand er sich auf Vortragsreise. Verärgert wollte er Hinkel zur Rede stellen, musste aber seine Frau Liselotte bitten, das Gespräch zu führen und ein Protokoll darüber anzufertigen. Das schickte er Reut angehängt an einen Brief.174 Hinkel habe sich erfreut gezeigt, dass Bossi seine vertrauliche Verbindung zu ihm genutzt und ihn verabredungsgemäß über Vorträge Innerkoflers informiert habe, die die Stimmung zwischen Südtirolern und NSDAP hätten trüben können.175 Damit zeigte Bossi, dass ihm erstmals die 172
173 174
175
Entnahmen aus: O. V.: „Die Südtiroler treu zu Adolf Hitler“. In: Völkischer Beobachter v. 30.01.1932, S. 1. Möglicherweise hätte der VB unmittelbar weiter über diese Informationen berichtet, wäre seine Herausgabe nicht vom 31.01. bis 07.02 verboten. Siehe dazu Eigenmeldung in: Völkischer Beobachter v. 09.02.1932, S. 5. O. V.: „Südtirol und die Nationalsozialisten“. In: Reichspost v. 12.02.1932, S. 5. Vgl. gleichlautenden Artikel in: Innsbrucker Nachrichten v. 10.02.1932, S. 6. Der Historiker Michael Gehler nahm die Aufzeichnung in seine Dokumentenedition auf, allerdings ohne Angaben zu Verfasser, Datum und Adressat. Erst durch den Inhalt und die angeführten Anmerkungen „Lilos“ (für Liselotte) ergibt sich, dass es sich hierbei um das Protokoll des Gesprächs zwischen Gräfin Bossi-Fedrigotti und Hinkel handelt. [BossiFedrigotti, Liselotte Gräfin:] „Bericht (1932). Besuch bei Hinkel“. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 359f. Vgl. O. V.: „Südtirol und die Nationalsozialisten“. In: Reichspost v. 12.02.1932, S. 5.
4.2 Das Treffen mit Hitler
155
neue Verbindung zu Hinkel wichtiger war als die zu seinem Förderer und Mentor Innerkofler. Er wollte seine neue Aufgabe anscheinend dienstbeflissen erfüllen und als vertrauensvoller Kontakt gelten. Ihr Mann, so Gräfin Bossi gegenüber Hinkel, sei allerdings über die Entstellung seiner Worte in der Presse „sehr böse gewesen“. Diese ganze Angelegenheit hindere das „Fortkommen“ in der Südtiroler Sache nun schon im „Anfangsstadium“. Hinkel sei selbst sehr verärgert gewesen und die Angelegenheit ein großes Missverständnis. Gräfin Bossi hielt dessen Beteuerungen allerdings für „faul“. Für ihren Mann vermerkte sie: „Man sieht daraus nur, dass Vorsicht am Platze ist“. Zuletzt habe Hinkel bedauert, dass Bossi nicht selbst zum Gespräch gekommen sei, „es hätte sich sonst so wundervoll jetzt eine Besprechung mit A.H. [Adolf Hitler] herbeiführen lassen. Sie alle hätten das sehr bedauert“176. Nur zwei Tage nach dem VB-Artikel erschien im Südtiroler „entgegen dem ausdrücklichen Wunsch“177 des VDA der Artikel „Tirol und Hitler. Gemeinsames und Trennendes“178. AHB und AS bezogen darin gemeinsam Stellung gegen die nationalsozialistische Südtirol-Politik, listeten alle Äußerungen der NSDAP und Hitlers zu diesem Thema auf und kommentierten sie. Das fiel „alles andere als günstig“179 aus. Der VDA, vor allem dessen Vorsitzender Otto Geßler, ehemaliger Reichswehrminister, sah den Burgfrieden in Gefahr. Auf Initiative Reuts verbreitete der Innsbrucker AHB trotzdem „10.000 Sonderdrucke des Artikels“180. Der VDA entzog dem AHB daraufhin seine (vor allem finanzielle) Unterstützung.181 176
177 178 179 180 181
Entnahmen aus: [Bossi-Fedrigotti, Liselotte Gräfin:] „Bericht (1932). Besuch bei Hinkel“. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 359f. Es sei im Grunde nur soweit gekommen, da Hans Frank in der Vorbereitung des Klagenfurter Prozesses von Hinkel wissen wollte, ob er bedenkenlos Reut-Nicolussi als Zeugen laden könnte. Auf Basis der Verabredung vom 24. Januar zwischen VDA, Bossi und NSDAP, habe Hinkel Franks Sekretärin „nur zur persönlichen Orientierung“ über die Stimmung der Südtiroler berichtet und einer Vorladung Reuts als Zeugen nichts entgegenzusetzen gehabt. Wenige Tage später habe Hinkel „zu seinem Entsetzen“ feststellen müssen, dass der Völkische Beobachter über das vertrauliche Treffen berichtete und Der Angriff das kurz darauf aufgriff. Anscheinend, so Hinkel, hatte die Sekretärin Franks die Vertraulichkeit nicht übermittelt, womit die Informationen eine gewisse Eigendynamik entfalteten. Der Angriff, 1929 gegründet, „Berliner Kampfzeitung“ der NSDAP, war ein aggressives, antisemitisches, demokratieund republikfeindliches, zweimal wöchentlich, später täglich erscheinendes Blatt. Schilling (2011), S. 93ff. Pircher (1998), S. 178. O. V.: „Tirol und Hitler. Gemeinsames und Trennendes“. In: Der Südtiroler v. 01.02.1932, S. 1ff. Gehler, Biographie (2007), S. 76. Ebd., S. 76. Pircher (1998), S. 178.
156
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Etwa einen Monat nach der Besprechung kam es in Klagenfurt zu einem Prozess über den „Vorwurf des ‚Südtirol-Verrats‘“182 zwischen einem Christlichsozialen und einem Nationalsozialisten. Der Richter gab dabei eine Aussage Hans Franks bekannt, Hitlers Anwalt und späterer NS-Generalgouverneur Polens, der Südtiroler Bossi habe anlässlich des Treffens mit Rosenberg, Hinkel und Schickedanz erklärt, „daß die Politik Hitlers bezüglich Südtirol(s) von den Südtirolern sehr wohl verstanden werde“. Reut, der hier als Zeuge auftrat, entgegnete, dass „von einer derartigen Billigung der nationalsozialistischen Haltung mit keinem Worte die Rede“183 gewesen sei. Nur einen Tag später belehrte Reut Bossi: An diesem Beispiel sei ersichtlich, „wie leicht mit irgendwelchen Äusserungen, die möglicherweise Weise [sic!] einen ganz anderen Sinn hatten, von nationalsozialistischer Seite Missbrauch getrieben wird“184. In einer Phase, in der die NSDAP (auch angesichts der späteren Reichspräsidentenwahlen) dauerhaft aufgrund der Südtiroler Frage in Bedrängnis geriet und daher keine Gelegenheit auslassen würde, die engagiertesten Südtirol-Akteure und Journalisten auf Distanz zu halten, begab sich Bossi, der mehr oder weniger selbsternannte „Führer der Südtiroler in Berlin“185 und in Augen der NSDAP unangenehm-umtriebige Vortragsredner, sprichwörtlich in die Höhle der Löwen.186 Das geheime Treffen erlaubte der NSDAP, die dort gemachten Aussagen der Volkstumsvertreter nach Gutdünken zu interpretieren und auszuschlachten. Einmal in die Welt gesetzt, ließen sich solche Behauptungen nur noch schwierig widerlegen. Möglicherweise in der Hoffnung, eine wichtigere Rolle in der Südtirol-Politik einzunehmen, hatte sich Bossi bei der vertraulichen Vermittlung dieser Treffen in den Vordergrund begeben. Das wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Ohnehin lief die „Südtiroler Arbeit“ dieser Monate „zu 90% unterirdisch“ und beförderte so „natürlich Intrigen ausserordentlich [sic!]“187. Die Nationalsozialisten übten den Südtirolern gegenüber eine „unerklärliche und verhängnisvolle Zurückhaltung“188. 182 183
184 185 186 187 188
Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 371, Fn. 74. Entnahmen aus: „Zeugenaussage Reut-Nicolussis“ v. 20.02.1932. Ebd., S. 368. Auf den Prozess und den Artikel „Tiroler und Hitler“ aus Der Südtiroler ging der Tiroler Anzeiger in einem großflächigen Artikel einige Wochen später ein: O. V.: „Dr. Reut-Nikolussi über das Thema ‚Hitler und Südtirol‘“. In: Tiroler Anzeiger v. 19.04.2017, S. 3f. Reut-Nicolussi an BF v. 21.02.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 370. „Zeugenaussage Reut-Nicolussis“ v. 20.02.1932. Ebd., S. 368. Zum Druck, den die öffentliche Behandlung der Südtirolfrage auch bei Hitler persönlich auslöste, vgl. Schieder (2017), S. 40f. Entnahmen aus: Reut-Nicolussi an Fritz Dörrenhaus v. 11.03.1932. Ebd., S. 380. Reut-Nicolussi an Holtz [?] v. 14.03.1932. Ebd., S. 382. Felix Kraus hielt diese Annäherungen durch direkte Gespräche mit den Bevollmächtigten beider Seiten im Gegensatz zu manchen Südtirol-Aktivisten, die weiter auf extreme Konfrontation setzten, für „eine
4.2 Das Treffen mit Hitler
157
In seinem Antwortschreiben an Reut betonte Bossi, er habe „Zeugen zur Unterredung mit Rosenberg-Hinkel gebeten, um gerade irgendwelchen Irrtümern aus dem Wege zu gehen“. Es wäre ihm „gar nicht eingefallen, in Punkto S.T. [Südtirol] jemals eine derartige Erklärung abzugeben“, da er „ganz unmöglich ‚im Namen S.T.‘ sprechen“ könnte. Die Ausschlachtung seiner Worte sei ein großes Missverständnis; im Gegenteil habe er während der Besprechung Rosenberg auf den Zahn gefühlt, da der Südtirol in einem Interview in London als „Bagatelle“189 bezeichnet haben soll – was der sofort leugnete. Resigniert stellte Bossi fest, dass seine Äußerungen von den Nationalsozialisten propagandistisch entstellt und „streng vertrauliche Besprechungen in die Presse gebracht“ worden seien. „Aber, es wird ja immer noch von diesen Herren jedes Wort für ihre Zwecke verdreht“. Bossi vermutete dahinter nicht nur Rosenberg, Hinkel und Schickedanz, sondern auch NS-Sympathisanten auf seiner Seite. Reut gegenüber behauptete er, Badendieck sei „stark Nationalsozialist“ und habe vertrauliche Informationen weitergeleitet. Doch habe er die Beobachtung gemacht, „die Nazis recht hübsch auf den Leim bringen“190 zu können. Das widersprüchliche Verhalten hoher NS-Funktionäre zur Südtiroler Frage schien einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation zu bieten.191 Die Südtiroler wollten die NSDAP mit ihren sich widersprechenden Aussagen konfrontieren, sie unter Druck setzen. Möglicherweise war doch noch etwas für Südtirol zu erreichen.192 Wenig später führte Bossi ein Telefonat mit Hinkel. Es habe „von Naziseite der Wunsch“ bestanden, im März „eine Unterredung zwischen Hitler u. den S.T. in München“ zu führen. Bossi warb bei Reut für das Treffen: So könne man sich im „braunen Hause endgültig darüber die Wahrheit sagen, wie man das Naziauftreten in S.T. findet“. Und die Öffentlichkeit müsse davon nichts erfahren. Abschließend bat er Reut, bald „ein klares ‚Ja‘ oder ‚Nein‘“ mitzuteilen, ob seine „Arbeit von den wirklich kompetenten S.T. Stellen gewünscht“
189 190 191
192
im Interesse Südtirols begonnene ernste Arbeit“, die schon einiges habe klären können. Felix Kraus an Fritz Dörrenhaus v. 17.03.1932. Ebd., S. 386ff. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: BF an Reut-Nicolussi v. 24.02.1932. Ebd., S. 374f. Ebd. So äußerte sich der Wiener NSDAP-Gauleiter Frauenfeld Mitte März 1932 in einem Gespräch mit Reut noch dahingehend, dass die derzeitige, offizielle nationalsozialistische Südtirol-Politik „lediglich taktischer Natur“ sei. Ein nationalsozialistisches Deutschland würde die „Südtirolerfrage aus der Eigengesetzlichkeit seiner nationalen Idee im gesamtdeutschen Sinne behandeln müssen“. Frauenfeld gegenüber stellte Reut bereits Forderungen auf, die er wenig später auch Hitler gegenüber formulieren wird. „Bericht von Eduard Reut-Nicolussi“ v. 17.03.1932. Ebd., S. 389f. Entnahmen aus: Reut-Nicolussi an BF v. 03.03.1932. Ebd., S. 378.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
sei. Angesichts widersprüchlicher Reaktionen müsse er „endlich wissen […], ob und wie man zu arbeiten hat“193. Doch im Grunde genommen wäre diese Klarstellung zu diesem Zeitpunkt schon zu spät gewesen. Längst stand der Südtiroler zwischen den verbands- und parteipolitischen Fronten der Südtiroler Frage. Am 19. März 1932 informierte er Reut, dass Hitler sie am 31. März in München erwartete.194 Obwohl Reut es auf verschiedenen Wegen versucht hatte: Nicht er, sondern Bossi mit seiner Verbindung zu Hinkel vermittelte die Zusammenkunft. Dessen Rolle als Verbindungsmann war Felix Kraus und Hans Steinacher nicht unentdeckt geblieben. Sie hielten ihn für unfähig, die Tragweite der Hitler-Aussprache und möglicher Folgen endgültiger Aussagen zu Südtirol überhaupt erkannt zu haben. Bossi war ein neuer Akteur zwischen Südtirolern/VDA und NSDAP, dessen Umtriebigkeit neues Konfliktpotenzial bot, ohne dass Kraus und Steinacher mit ihrem Einfluss auf den VDA und andere Verbände aus dem Hintergrund hätten kontrollierend oder entschärfend eingreifen können.195 In dieser Phase ereignete sich in München Folgendes: Um kurz vor 10 Uhr am Morgen des 31. März, dem Donnerstag nach Ostern 1932, versammeln sich im Münchner Hotel Schottenhammel, Luitpoldstraße 13, einige der wichtigsten Funktionäre der Südtiroler Volkstumsarbeit: Politiker und Jurist Eduard ReutNicolussi, Bezirkshauptmann a. D. Ernst Mumelter, VDA-Bayern-Funktionär Oberstleutnant Stock, Journalist Alfred Strobel196 und Verbindungsmann 193 194 195
196
Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: BF an Reut-Nicolussi v. 19.03.1932. Ebd., S. 393. Das Braune Haus war die Münchner Parteizentrale der NSDAP in der Brienner Straße 45. Vgl. dazu Schmitz-Berning (2007), S. 127f. BF an Reut-Nicolussi v. 19.03.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 393. Das bewerte Kraus auch selbst so. Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.04.1932, S. 3. BArch N1184/45. Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.03.1932. BArch N1184/45. Reut hielten sie inzwischen längst für eine Gefahr in der Verhandlung über die Südtiroler Frage. Der habe auch zuletzt „keine Unterstützung und Rückendeckung mehr aus Südtirol“ gehabt. Nur ein persönliches Treffen mit Hitler schien einen Ausweg zu bedeuten. Gehler, Biographie (2007), S. 77. Alfred Strobel (1897-1976), Journalist aus Innsbruck, arbeitete bei verschiedenen Zeitungen zu kulturellen und politischen Themen (vor allem Südtirol), darunter Tiroler Tageszeitung, Dolomiten und Innsbrucker Nachrichten, bei der er als Kulturredakteur tätig wurde. „Daneben wirkte er im deutschen ‚Verein für das Deutschtum im Ausland‘ mit, vor allem in Bezug auf Südtirol“. Vor 1933 arbeitete er u. a. als Innsbrucker Auslandsvertreter der Hugenberg’schen Telegraphen-Union. Strobel war von „vermutl. 1933 bis 1944“ Leiter des Deutschen Kulturdienstes, Publikationsorgan des Deutschen Nachrichtenbüros (DNB, ‚NS-Presseagentur‘ beim RMVP) in Berlin. Nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft wieder Arbeit im journalistischen Bereich: 1955 Leiter d. Kulturredaktion
4.2 Das Treffen mit Hitler
159
Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Reut, der Leiter der Delegation, ist an diesem Morgen wohl kaum begeistert. Wenn es nach ihm ginge, fände das Gespräch mit Hitler unter vier Augen statt. Doch darauf hatten die Nationalsozialisten nicht reagiert und Verbindungsmann Bossi eine Absage erteilt. Plötzlich war die Delegation dann doppelt so groß geworden. Mumelter wollte Reut noch als Zeugen mitnehmen, Strobel und Stock allerdings nicht, nicht einmal den gräflichen Mittelsmann, obwohl Hitler ihn und Reut namentlich eingeladen hatte. Bossi hatte kurz zuvor mit Strobel über das geplante Treffen geplaudert. Strobel berichtete Friedl Badendieck, der sofort zu erkennen schien: Da musste jemand von der VDA-Hauptleitung dabei sein. Schließlich hatte die einen großen Anteil daran, dass das Treffen nun überhaupt stattfand. Reut allerdings war fest davon überzeugt, dass vor allem seine umtriebigen Korrespondenzen ihm den Weg nach München geebnet hatten. Auf der Zugfahrt dorthin erfuhr er: Für die Hauptleitung des VDA aus Berlin sollte Strobel hinzukommen. Das schien Reut gar nicht zu passen. Ohnehin war VDA war nicht gleich VDA. Viele seiner Hauptfunktionäre, so glaubte er, hatten keine Ahnung von den Südtiroler Verhältnissen. Die Münchner VDA-Männer wären ihm da offenbar schon lieber gewesen. Bis zum Morgen des Treffens setzte er daher alle Hebel in Bewegung, um Berliner und Münchner VDA, der sich zuständig fühlte, gegeneinander aufzubringen – mit Erfolg. Zu den vier Herren kam vom VDABayern noch Oberstleutnant Stock hinzu. Hinkel, neben Bossi Vermittler der Aussprache, hatte vorgeschlagen, sich zunächst im Hotel zu treffen und gemeinsam zum Braunen Haus, der Münchner NSDAP-Parteizentrale, hinüberzugehen. So harrten die fünf Herren zunächst ungeduldig und nervös der nächsten Stunden. Die Gelegenheit ließ Reut nicht verstreichen: Er würde zunächst mit Mumelter zum Treffen vorgehen, schlug er vor, um den Nazis noch einmal ein Gespräch im kleinen Kreise nahezulegen. Strobel könne möglicherweise nachkommen. Doch der erkannte das Manöver: Er habe Auftrag teilzunehmen, darüber gäbe es keine weitere Diskussion. Nachdem lange Minuten verstrichen waren, erschien statt Hinkel Rudolf Heß der ‚Stellvertreter des Führers‘. Die Verabredung müsse später beginnen, um 16 Uhr. Reut witterte eine letzte Chance, mit Hitler über Heß Vermittlung doch noch ein Mann-zu-Mann-Gespräch führen zu können. Doch der ließ ihn abblitzen: Das würde Hitler mit demjenigen, der sich als der Tiroler Tageszeitung, wodurch er „von diesem Zeitpunkt an das kulturelle Klima in Tirol wesentlich“ mitbestimmte. 1966 Prof. h.c., 1972 Verdienstkreuz des Landes Tirol. Schneider, Ursula A: „Alfred Strobel“. In: Lexikon Literatur in Tirol. Internetpräsenz des Forschungsinstituts Brenner-Archiv an der Universität Innsbruck. https://orawww.uibk. ac.at/apex/uprod/f?p=TLL:2:0::::P2_ID:1506 [Zugriff: 29.12.2016]. Vgl. Deutsches Institut für Zeitungskunde (1932), S. 391.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
einer seiner schärfsten Gegner gezeigt hatte, sicher nicht machen. Energisch widersprach Reut und schlug vor, neben ihm nur Mumelter mitzunehmen. Die anderen Männer ließen sich allerdings nicht so leicht abwimmeln, denn jeder hatte gute Gründe, dabei zu sein. Heß musste klar werden: Die Männer waren sich nicht einig. Hitler musste das wissen. Der würde es dann leicht haben, sie abzuwimmeln. Wenig später, die Turmuhren der nahen Münchner Theatinerkirche schlagen gerade 16 Uhr, betreten die fünf die nationalsozialistische Parteizentrale in der Brienner Straße 45. An regungslosen Wachen und neben den von Standarten der SA geschmückten Seiten der Treppe vorbei erscheint an der oberen Brüstung die nationalsozialistische Führungsriege: Heinrich Himmler, Ernst Röhm, Wilhelm Frick, Hans Frank, Alfred Rosenberg, Sepp Dietrich, Ernst Hanfstaengl und Hitlers Adjutant Wilhelm Brückner. Hinkel lässt sich nicht blicken. Nach der Begrüßung öffnet Heß die Türen zu Hitlers Arbeitszimmer. Im saalähnlichen Raum erblicken sie eine Büste Friedrichs des Großen und einen mächtigen Schreibtisch, darauf nur eine Reihe geordneter Bleistifte. Hinter seinem Schreibtisch erhebt sich Hitler und begrüßt jeden der Herren mit Handschlag. Nachdem halbkreisförmig Stühle um den Tisch herangeschoben werden, setzt Hitler sich und fragt die Männer, was sie vorzubringen haben. Reut legt die Forderungen der Südtiroler dar: Die Region muss wieder ins NS-Parteiprogramm aufgenommen werden, die NSDAP soll ihre guten Italien-Beziehungen zur Verbesserung der Situation in Südtirol nutzen, die dort gegründeten Ortsgruppen (zur Verhinderung einer Verbrüderung mit den Faschisten) sollen aufgelöst und die Südtiroler in der NS-Presse mit anderen unterdrückten Volksdeutschen in den Nachbarländern gleichgestellt werden. Mittelsmann Bossi steuert offenbar keine Beiträge zum Gespräch bei, seine Aufgabe ist mit Betreten des Braunen Hauses bereits weitgehend erledigt. Doch ist er sich wahrscheinlich im Klaren, dass vor allem seine Verbindungen die Türen des Braunen Hauses für die Südtiroler öffneten.197 197
Penning (2015), S. 45ff. Die Begebenheit ist mithilfe verschiedener Belege nacherzählt, u. a. mit dem Originalprotokoll des Treffens. Ein Exemplar befindet sich im PA AA (Dokument 40 „Generalkonsul Saller (Innsbruck) an das Auswärtige Amt“, Bericht Nr. 250, u. Abschrift „Vertrauliche Aussprache im Braunen Haus, München, am 31. März 1932“, Anlage zu Bericht Nr. 250. In: ADAP (1983), Serie B, Bd. XX, S. 86-90) und eines im Nachlass Reuts mit dem gleichen Titel („Bericht von Eduard Reut-Nicolussi“ v. 31.03.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 400ff.). Vgl. dazu Steininger (1997), S. 140f. Viele weitere Details liefert ein Briefwechsel zwischen Felix Kraus und Hans Steinacher (BArch N1184/45), die beide sehr gut über die laufenden Ereignisse informiert waren (hier vor allem Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.04.1932. BArch N1184/45). Außerdem wurden Aufzeichnungen BFs aus seinem Artikel „Die Südtiroler bei Hitler“ herangezogen (BossiFedrigotti (1976), S. 1887); zudem Corsini/Lill (1988), S. 7 (Vorwort: „ein wichtiges Gespräch
4.2 Das Treffen mit Hitler
161
Hitler ging, beinah wie erwartet, kaum auf die Forderungen ein, auf die Südtiroler Frage überhaupt nicht. Ihm schien es zunächst notwendig, dass Deutschland zu Macht und Ansehen gelange, damit auch den Grenzgebieten geholfen werden kann. […] Er wünsche eine Entgiftung der Südtirolerfrage, die heute parteipolitisch ausgenützt werde, und sprach von einer krankhaft übersteigerten Bedeutung der Südtirolerfrage.198
Er betonte, Südtirol solle dahingegen „eine Brücke der Verständigung werden zwischen dem deutschen und italienischen Volke“199. Er hielt stundenlang eine Volksversammlungsrede mit höchstem Stimmaufwand und grössten [sic!] Gesten und zeigte, dass er dem Problem überhaupt ganz fern sei. Ihn beherrscht nur die Machtergreifungs-Frage. Alles was ihm dafür hinderlich erscheint wird abgelehnt oder bekämpft.
Strobel habe den Eindruck gehabt, dass „trotz der undurchsichtigen Mienen der Herren“ des Stabes um Hitler „diese die Ergüsse doch nur als Theaterdonner empfänden“200. So geriet das Treffen zu einer schauspielerischen Darbietung des ‚Führers‘. Vor allem rühmte er sich außenpolitischer Besonnenheit: „Ich bin […] der einzige grosse [sic!] deutsche Politiker, der niemals die Grenzen des Deutschen Reiches überschritten hat“. Irgendwann einmal könne er möglicherweise etwas für die Südtiroler bewirken: Seit dem Zusammenbruch sind 13 Jahre vergangen: Geben Sie mir 13 Jahre Zeit und Sie werden sehen, was ich tun kann. Das Buch der Geschichte wird es erweisen, dass ich im Rechte war.201
198 199 200 201
Hitlers mit Südtiroler Politikern“), 214 u. 233ff., Gehler (2004), S. 39ff., u. Gehler, Biographie (2007), S. 77ff. Himmler war laut BFs Artikel lediglich im Braunen Haus, nicht jedoch bei der Besprechung anwesend (ebenso wie Wilhelm Frick, Sepp Dietrich und Ernst Hanfstaengl). In einem Gedächtnisprotokoll führte BF Himmler später als Teilnehmer auf. „Kurzes Gedächtnisprotokoll über die Zusammenkunft von Vertretern der Südtiroler und Adolf Hitler und den Parteiführern der NSDAP in München am Donnerstag nach Ostern im März 1932“ v. 1975. Südtiroler Landesarchiv, Bestand Union für Südtirol (UFS), Nr. 48. Strobel erinnerte sich in einem Brief an BF Jahrzehnte später nicht an Himmler, und auch das Originalprotokoll weiß davon nichts zu berichten. Strobel an BF v. 06.03.1974, Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. BF u. Strobel erinnerten sich später, dass statt Oberstleutnant Stock Erik von Witzleben teilgenommen hatte. Das Protokoll nennt ihn allerdings nicht, jedoch Steurer (1980), S. 178f. Ebd., S. 402. Ebd. Entnahmen aus: Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.04.1932, BArch N 1184/45. „Bericht von Eduard Reut-Nicolussi“ v. 31.03.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 403.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Doch nach 13 Jahren lag Europa in Trümmern und das ‚Dritte Reich‘ Ende März 1945 in seinen letzten Zügen. Die Zusammenkunft endete um 18:45 Uhr, nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden. „Ohne irgendeine Annäherung“202 ging man auseinander, versprach sich lediglich, in Verbindung zu bleiben und war sich einig, das Treffen geheim zu halten.203 Anscheinend hatte weder „die eine oder andere Seite“ ein Interesse daran, „daß etwas von diesem Ereignis und seinem brisanten Ablauf an die Öffentlichkeit“204 gelangte. Dessen ungeachtet hatte Bossi es geschafft, neben dem direkten Draht zu Hinkel, nun Verbindungen bis in höchste NSKreise zu knüpfen. Enttäuscht hatte Reut endgültig Gewissheit, dass bei Hitler hinsichtlich Südtirol nichts zu erreichen war.205 Indes waren nicht alle Teilnehmer der nationalsozialistischen Führungsriege mit dem Verlauf des Abends einverstanden. Es habe völlig überrascht, dass Rosenberg beim Abschiede dem Grafen und Str. [Strobel] sehr freundlich die Hand schüttelte und sagte: Nun wir hören doch bald wieder voneinander, wir bleiben doch in Verbindung! Hier klafft also ganz augenscheinlich auch der Riss im braunen Hause.206
Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Bossi dieses ‚Risses‘. Doch nicht Rosenberg, sondern Himmler und Frank hätten ihn im Vorzimmer zu Hitlers Arbeitszimmer beiseite genommen und betont, dass „die Südtiroler Frage eines Tages eine für die Volksgruppe erträgliche Lösung finden würde“207. Beide setzten 202 203
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206 207
Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.04.1932, BArch N 1184/45. Zu Rosenbergs Betrachtung der Südtiroler Frage vgl. Wedekind (2003), S. 40. Ebd. u. Bossi-Fedrigotti (1976), S. 1888. Tatsächlich schien über dieses Treffen größere Verschwiegenheit bewahrt worden zu sein, als über das erste in Berlin. Am 19. April 1932, knapp drei Wochen nach der Aussprache, nahm der Tiroler Anzeiger noch Bezug auf das Problem Südtirol–NSDAP und führte veraltete Tatsachen an. Alle Schritte, Hitler zu einem Treffen zu bewegen, wurden „bis zur Stunde abgelehnt“. O. V.: „Dr. Reut-Nikolussi über das Thema ‚Hitler und Südtirol‘“. In: Tiroler Anzeiger v. 19.04.2017, S. 3f. Entnahmen aus: Strobel an BF v. 06.03.1974, Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Gehler, Biographie (2007), S. 78. Es ist unklar, ob Reut tatsächlich davon ausgegangen war, Hitler umstimmen zu können oder auch nur ansatzweise ein Entgegenkommen zu erreichen. Möglicherweise wollte er sich vor allem vergewissern, dass Hitlers Standpunkt unumstößlich war, um seinen Konfrontationskurs der NSDAP gegenüber fortsetzen zu können. Vgl. auch Steininger (2004), S. 141ff., u. Felix Kraus an Hans Steinacher v. 25.03.1932, BArch N1184/45. Kraus vermutet, dass Reut sowohl eine Zu- als auch Absage an Südtirol für sich genutzt hätte, unabhängig davon, wie das Gespräch verlaufen wäre. Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.04.1932, BArch N 1184/45. Bossi-Fedrigotti (1976), S. 1888.
4.2 Das Treffen mit Hitler
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sich auch in den darauffolgenden Jahren immer wieder mit dem Thema Südtirol auseinander.208 Nachdem sie die Parteizentrale verlassen hatte, kehrte die Delegation noch einmal ins Hotel zurück, um dort ein vertrauliches Protokoll anzufertigen. Jeder Teilnehmer erhielt einen Abzug.209 Davon überstand mindestens einer die Wirren der Kriegs- und Nachkriegsjahre im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts.210 Die Provenienz des Dokuments zeigt, dass nicht alle Teilnehmer die Aufzeichnung so geheim behandelten, wie vereinbart. Mumelter leitete dem deutschen Generalkonsul in Innsbruck, Hans Saller (für den Felix Kraus arbeitete), innerhalb von drei Tagen nach dem Treffen eine Abschrift des Protokolls zu. Saller schickte es, dessen Inhalt von „ganz besonderem Interesse“211 sei, am 4. April weiter ins AA nach Berlin.212 Die handschriftlichen 208
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Frank war aufgrund der nationalsozialistischen Südtirolpolitik 1926 zeitweise sogar aus der NSDAP ausgetreten und hielt im Juli 1931 eine Rede in Innsbruck, in der er „für Südtirol“ eingetreten sein soll, was die Parteileitung schnell dementierte. Vgl. Steurer (1980), S. 170f. u. Schieder (2017), S. 34. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Hitler und wichtigen Parteiführern in der Südtiroler Frage führten allerdings nicht dazu, dass das Land als Ziel nationalsozialistischer Außenpolitik ins Visier genommen wurde. Möglicherweise bereiten sie allerdings den Weg zur ‚Option‘ vor, die in Kap. IV näher betrachtet wird. Kleßmann (1971), S. 249, u. Geschäftsführender Ausschuß des Deutschen Schutzbundes an NSDAP-Parteileitung (München) v. 09.11.1931. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 299. Strobel an BF v. 06.03.1974, Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Strobel bat BF um einen Abzug des Protokolls, da er seines verloren hatte. Von der Delegation waren nur mehr sie übrig geblieben. Auch Reut schien sein Protokoll nicht mehr zu besitzen, er bat Strobel 1952 um eine Kopie. Die Exemplare Mumelters und Stocks waren nicht aufzufinden. Strobel vermutete, dass Reut wahrscheinlich nicht versucht habe, Bossi um sein Exemplar zu bitten. Sein Brief an BF ist jedoch offenbar nie beim Empfänger angekommen, der Umschlag trägt den ‚Zurück‘-Stempel. Möglicherweise hatte Strobel noch die neue Adresse BFs herausgefunden, denn der verfasste offenbar kurz darauf das bereits erwähnte Gedächtnisprotokoll. In einem Brief an Johannes Schauff, ein ‚Südtirol-Aktivist‘ nach 1945 (der später noch Erwähnung findet), erwähnte BF, das Dokument sei 1975 auf Initiative Strobels entstanden. Siehe BF an Johannes Schauff v. 07.09.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 194, u. „Kurzes Gedächtnisprotokoll über die Zusammenkunft von Vertretern der Südtiroler und Adolf Hitler und den Parteiführern der NSDAP in München am Donnerstag nach Ostern im März 1932“ v. 1975. Südtiroler Landesarchiv, Bestand Union für Südtirol (UFS), Nr. 48. Weshalb Reut Strobel 1952 um sein Exemplar bat, wenn sich eines in seinen Unterlagen befand, war nicht feststellbar. Möglicherweise war es Reut gelungen, über das AA eine Kopie des Originals zu erhalten, das Mumelter Saller geschickt hatte. Dokument 40 „Generalkonsul Saller (Innsbruck) an das Auswärtige Amt“, Bericht Nr. 250, u. Abschrift „Vertrauliche Aussprache im Braunen Haus, München, am 31. März 1932“, Anlage zu Bericht Nr. 250. In: ADAP (1983), Serie B, Bd. XX, S. 86-90, hier S. 86. Reut, Strobel und BF hatten nicht ahnen können, dass in den Akten des AA ein Exemplar erhalten blieb, als sie nach 1945 auf die Suche danach gingen. Mumelter hatte ihnen
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Randbemerkungen zeigen: Auch Reichskanzler Brüning und Gerhard Köpke hatten es in Händen.213 Mumelter hatte das höchstwahrscheinlich einkalkuliert. Das Dokument zog weite Kreise und ließ Bossis Vermittlungstätigkeit zwischen VDA und NSDAP nun spätestens auch höchsten deutschen Regierungskreisen bekannt werden. Doch auch der Südtiroler selbst hielt nicht mit Informationen zurück. Am 2. April 1932 berichtete er „sehr anschaulich“214 von den noch frischen Eindrücken in einer VDA-Besprechung in Berlin. Hier lernte Bossi auch Hans Steinacher persönlich kennen. Die Ergebnislosigkeit des Treffens hatte wahrscheinlich zur Folge, dass Hitler nicht noch einmal zu einer solchen Aussprache bereit war. Insofern konnte er überzeugt sein, den Südtirolern und Volkstumsfunktionären seinen eindeutigen und endgültigen Standpunkt dargelegt zu haben. Bossi hatte also auch maßgeblichen Anteil daran, dass Hitler Gelegenheit bekam, seine Südtirol-Politik noch fester zu zurren, ohne dass die Gesprächspartner etwas ausrichten konnten. „Ich halte diese Unterredung für die weitere Entwicklung in jedem Falle für einen Fehlgriff des Grafen“215, schrieb Kraus am Tag des Treffens an Steinacher. Bossi habe zwar „nicht sehen können“, dass hier vor allem Reut probierte, seine kompromisslose Sicht der Dinge durchzusetzen, gleichwohl habe der Graf der Südtiroler Sache „damit einen schlechten Dienst geleistet“. Doch verbunden müsse man ihm sein „für die Herstellung der dauernden Fühlungnahme Rosenberg-VDA Berlin“216.
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sicher nichts von der Weiterleitung berichtet, zumal sich 1932 offenbar alle Teilnehmer über die Vertraulichkeit des Dokuments einig waren. Dokument 40 „Generalkonsul Saller (Innsbruck) an das Auswärtige Amt“, Bericht Nr. 250, u. Abschrift „Vertrauliche Aussprache im Braunen Haus, München, am 31. März 1932“, Anlage zu Bericht Nr. 250. In: ADAP (1983), Serie B, Bd. XX, S. 86-90. Die „Präsidialkanzler Brüning, Papen und Schleicher“ versuchten schon zwischen 1930 und 1932 „die NSDAP zu instrumentalisieren, zu ‚zähmen‘ […]“. Peukert (1997), S. 256. Auch für Brüning, der sich fortgesetzter Angriffe des VB ausgesetzt sah, dürfte das Thema Südtirol interessant gewesen sein, zumal es eine Angriffsfläche gegen die Nationalsozialisten bot. Der VB bezeichnete außerdem die Münchner Neuesten Nachrichten, für die Felix Kraus arbeitete, als „Brüning-Organ“. O. V.: „Dr. Frick verklagt das Münchner Brüning-Organ“. In: Völkischer Beobachter v. 09.02.1932, S. 5. Hans Steinacher an Felix Kraus v. 02.04.1932. BArch N1184/45. 1935 kam es nochmals zu geheimen Besprechungen betreffend Südtirol, an denen auch Rosenberg wieder teilnahm, BF allerdings nicht mehr. Dafür nahm allerdings der Südtirol-Experte Rudolf (Rolf) Hillebrand (1900-1943) teil, der Mitarbeiter im Referat Österreich der Abteilung ‚Grenze-Ausland‘ in der Reichsjugendführung war, außerdem „inzwischen ins Abseits gestellte österreichische NS-Prominenz, darunter Theo Habicht und der Tiroler Gauleiter Franz Hofer“. Hillebrand war später u. a. Bundesgeschäftsführer des VDA und starb bei einem Bombenangriff auf Berlin. Wedekind (2003), S. 40 u. 235. Vgl. Lun (2004), S. 564. Felix Kraus an Hans Steinacher v. 31.03.1932, Ebd. Entnahmen aus: Felix Kraus an Hans Steinacher v. 03.04.1932, Ebd.
4.3 Annäherung an die NSDAP
165
Es ist anzunehmen, dass Reut Bossi, der in der Südtiroler Sache mitreden wollte, nur als nützliche Marionette auf seinem Weg ins Braune Haus betrachtete. Er unterschätzte dabei, dass der sich als exponierter Südtiroler nun weiter in die Nähe Hinkels und Rosenbergs begeben, dass er mächtige Männer kennengelernt hatte, mit denen er künftig Geheimnisse (und das Wissen um manchen ‚Riss‘ im Braunen Haus) teilte. Wozu brauchten die Nationalsozialisten noch einen ihnen gesonnenen Reut, wenn sie Bossi in Berlin wussten, der sich zwar auch noch öffentlich gegen den ‚Verrat‘ der Nazis an Südtirol zur Wehr setzte, aber den sie durch die Hinkel-Verbindung und das arrangierte Treffen bereits mit dünnen Fäden an sich gebunden hatten? Er schien das perfekte Bindeglied zwischen Südtiroler Volkstumsverbänden, VDA und NSDAP zu werden; das brauchte die ‚Bewegung‘ auch dringend, um die Angriffe der Presse und politischer Gegner in Sachen Südtirol verstummen zu lassen. Reut war sich wahrscheinlich nicht wirklich bewusst, dass die Nationalsozialisten so bald ihren ‚eigenen‘ Alibi-Südtiroler hatten, der ihnen als (zunächst manipuliertes) Sprachrohr der Freundschaft und des Verständnisses Südtirol–NSDAP genügte und dem sie schon einmal nützliche Worte in den Mund gelegt hatten. Bossi konnte allerdings nicht ahnen, dass sich das Eigenleben seiner Worte trotz Gegendarstellungen jetzt erst zu entfalten begann. 4.3
Annäherung an die NSDAP
Seit Februar 1932 schon steckte die NSDAP im Reichspräsidentenwahlkampf. Gegen den Amtsinhaber Hindenburg traten am 13. März neben Hitler noch Ernst Thälmann (KPD), Theodor Duesterberg (Stahlhelm) und Gustav A. Winter (Inflationsgeschädigte) an. Hindenburg erreichte 49,6%, Hitler 30,1%, Thälmann 13,2%, Duesterberg 6,8% und Winter 0,3%. Da kein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten hatte, war für den 10. April 1932 der zweite Wahlgang angesetzt worden, zu dem Duesterberg und Winter nicht mehr antraten.217 Daraufhin schöpften die Parteien nochmals alle Möglichkeiten des Wahlkampfes aus. Die NSDAP veröffentlichte in diesem Zuge Anfang April 1932 in einer Auflage von 600.000 Exemplaren ein kleines Propagandaheftchen von Rudolf Heß mit dem Titel Tatsachen und Lügen um Hitler, Stückpreis 10 Pfennig.218 217 218
Statistisches Reichsamt (1932), S. 546ff. Insgesamt entstanden in dieser Reihe zwischen 1932 und 1933 22 verschiedene Ausgaben (alle in hunderttausendfacher Auflage), die eine breite NS-Themenpalette abdeckten:
166
4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Unter der Überschrift ‚Antworten auf die verbreitetsten Lügen‘ stand eine höchst aktuelle und in der deutschen Presse sehr präsente an erster (!) Stelle: „Hitler hat Südtirol verraten!“219 Die NSDAP wollte populäre, gegen Hitler ins Feld geführte Argumente entkräften. Ihr war unverkennbar bewusst, dass Hitlers Verzichtpolitik gegenüber Südtirol Gegnern bereits seit 1926 eine breite Angriffsfläche bot.220 Die Reichspropagandaleitung versuchte, diese ‚Lüge‘ unmittelbar zu entkräften: Die Antwort hätte „ein Südtiroler selbst“ gegeben: Graf Fedrigotti, ein Führer der Südtiroler Heimatverbände, Mitglied des Andreas-Hofer-Bundes, wandte sich Ende Januar ds. Js. an den nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Hinkel in Berlin anläßlich der Rede des Pater Innerkofler in einer Berliner Reichsbannerkundgebung221 mit dem Thema ‚Hitlers Verrat an Südtirol‘. Er erklärte, die Südtiroler Heimatverbände lehnten es ab, daß man die Südtiroler Frage zur parteipolitischen Hetze gegen den Nationalsozialismus benutze. Er zeigte Hinkel Telegramme, die er aus Innsbruck usw. als Antwort auf seine Anfragen erhalten hatte, und in denen die Führer von Südtiroler Heimatverbänden sich scharf gegen das Verhalten Innerkoflers in Berlin wandten. Auch die Südtiroler wüßten, daß außenpolitisch für Deutschland nur die Linie Berlin-Rom-London in Frage käme, und daß Hitler daraus
219 220
221
von ‚Landvolk‘ (Darré) und Redenaufzeichnungen (Goebbels) bis hin zu Geschlechter-, Arbeits- und Wirtschaftsfragen sowie Hitlerportraits. Untertitel des Hefts: „Kampfschrift. Broschürenreihe der Reichspropagandaleitung der N.S.D.A.P.“ Auf das Erscheinungsjahr 1932 deuten einige Hinweise: Zum einen beginnt das Einleitungskapitel ‚Der Führer als Mensch‘ damit, dass „heute im Vordergrund des Kampfes um die Macht in Deutschland […] Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg und der […] Mann aus dem Volke und Frontsoldat Adolf Hitler“ stünden, hinter denen „in zwei mächtigen Säulen das deutsche Volk“ marschiere. Das Heft ist also höchstwahrscheinlich im März in Vorbereitung des zweiten Wahlganges der Reichspräsidentenwahl im April 1932 entstanden. Heß (1932), S. 3 u. 24-32. Außerdem deutet ein Brief eines Pfarrers Wegener v. 27.03.1932 darauf hin. Ebd., S. 13. Der Völkische Beobachter warb schon am 22.02.1932 für die neue „Broschürenreihe“, am 13.04.1932 auch explizit für die neuen Hefte, die „in den letzten Wochen verlegt und verfaßt“ wurden, darunter auch Tatsachen und Lügen um Hitler. O. V.: „Welche neuen Schriften stehen dir im Wahlkampf zur Verfügung?“ In: Völkischer Beobachter v. 13.04.1932, S. 4. Heß (1932), S. 9. Vgl. Schieder (2017), S. 35. Aber nicht nur die Verzichtspolitik, sondern auch die angebliche Finanzierung seiner Partei durch Mussolini war Thema. Im Frühjahr 1929 stand Hitler in München vor Gericht, da er „für italienisches Geld Südtirol verraten“ haben sollte. Hitler wurde zwar freigesprochen. Spätestens jetzt musste der Öffentlichkeit aber klar geworden sein, dass Südtirol keine Revisions-Hilfe von Hitler zu erwarten hatte. O. V.: „Hitler für die Preisgabe Südtirol!“ In: Tiroler Anzeiger v. 10.05.1929, S. 3. Vgl. O. V.: „Das Urteil im Hitler-Prozess“. In: Tiroler Anzeiger v. 15.05.1929, S. 10. Das Reichsbanner war eine sozialdemokratische, militante Aktionstruppe zum Schutz eigener Versammlungen und Veranstaltungen. Schilde, Kurt: „Reichsbanner Schwarz-RotGold“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 665.
4.3 Annäherung an die NSDAP
167
die Konsequenzen für seine Haltung Italien gegenüber ziehen müsse. Sie müßten auch anerkennen, daß Mussolini als erster in so freundlicher Form gegen die Reparationen Stellung genommen habe. Sie wünschten lediglich, daß Südtirol nicht vergessen würde. Hitler vergißt die Südtiroler gewiß nicht. Ist er doch selbst im Grenzland geboren und aufgewachsen. Er ist aber überzeugt, daß seine Auffassung, wonach es die Mission der Südtiroler ist, eine Brücke zu Italien zu bilden und seine daraus sich ergebenden Haltung ihnen mehr nutzt, als die groß organisierte Hetze der Presse in Deutschland gegen das faschistische Italien, unter Mißbrauch der Südtiroler.222
Nun war Bossi in einer hunderttausendfach verbreiteten NSDAP-Broschüre schlagartig und noch deutlicher als durch die Artikel im Völkischen Beobachter und im Angriff zum Befürworter Hitler’scher Südtirolpolitik geworden. Inzwischen war er mit ähnlichem Wortlaut auch in der Münchner Zeitung Fridericus223 zitiert worden. Der Briefwechsel mit Reut, seine Intervention bei Hinkel und dessen Entschuldigung gegenüber Gräfin Bossi, auch das Treffen mit Hitler hatten nicht dazu geführt, die Verdrehung seiner Worte durch die Nationalsozialisten zu stoppen.224 Bewusst wird er hier als Gegenpart Innerkoflers dargestellt, als einer, der in den Augen der NSDAP Vernunft angenommen hatte. Ungehalten reagierte prompt auch Reut, dem nun bewusst wurde, welche Entwicklung eintreten würde: Diese fortgesetzte Ausschlachtung ihrer Worte durch die Nationalsozialisten wächst sich zu einer sehr unangenehmen Angelegenheit aus. Ich bitte Sie, mir gefälligst mitzuteilen, ob der ‚Fridericus‘ ihre Berichtigung gebracht hat. […] Wie gedenken Sie sich nun aber gegen den neuen Missbrauch ihrer Äusserungen zur Wehr zu setzen?
Angesichts des „vollständigen Misserfolges in München“ dürften die Südtiroler den Nazis keine „Möglichkeit bieten“, sich für deren Haltung ihrem „Lande gegenüber ein Alibi zu verschaffen“225. Bekannt geworden durch unzählige Vorträge (für SV, AHB und VDA), durch die Gründung einer Südtirol-Gesellschaft, als VDA-Beauftragter für Fragen des ‚Etschlandes‘, durch Zeitungsartikel als politischer Journalist und Verbindungen zu wichtigsten Volkstumsfunktionären, Presse- und Parteivertretern, schien 222 223 224 225
Hervorhebungen im Original. Entnahmen aus: Heß (1932), S. 11f. „Fridericus: Kampfzeitung, rechts-konservativ, deutsch-völkisch, vaterländisch, antisemitisch, Gründer und Chefredakteur war Friedrich C. Holtz, erschien einmal pro Woche“. Schilling (2011), S. 310f. Dabei steht allerdings nicht fest, ob BF sich nicht tatsächlich in der Art beschwichtigend, wie es die NSDAP hier nutzte, während des Treffens mit Hinkel geäußert hatte. Reut-Nicolussi an BF v. 14.04.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 407.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Bossi in Sachen Südtirol im Berlin der späten Weimarer Zeit in aller Munde gewesen zu sein. Doch nicht nur das: Er trug auch den schmückenden Namen einer hochadligen, in Österreich weitverzweigten Familie, einen, dem die zumeist im Kaiserreich sozialisierten Menschen tendenziell ‚alte Größe‘ zugetraut haben könnten, der dem Namen nach eine gewisse Autorität ausstrahlte.226 Auch das könnte ein Grund gewesen sein, dass die NSDAP Bossi für ihre Kampagne vereinnahmte. Einen klangvollen Namen nutzte man gern für die Propaganda.227 Knapp zehn Monate vor Hitlers ‚Machtergreifung‘ nahm Bossi so eine bedeutende Rolle in dessen vorläufiger Machtfestigung ein. Auch wenn Hitler im zweiten Wahlgang nur 36,8% erreichte, hatte auch die aufwändige Propaganda zur Folge, dass die NSDAP zwischen den Wahlen etwa 6%, mehr als zwei Millionen Stimmen, hinzugewann.228 Selbst wenn Bossi die Manipulierung seiner Worte nicht gewollt hätte, dienten sie schließlich dazu, einen der wichtigsten Vorbehalte gegenüber Hitler, den ‚Verrat‘ an Südtirol, prominent zu entkräften. Der Einfluss dieser ‚entlarvten Lüge‘ auf das Wahlergebnis lässt sich zwar nicht quantifizieren. Doch all jene, die Hitler seiner Position zu Südtirol wegen nicht hatten wählen wollen, dürfte diese Positionsbestimmung eines bekannten Südtirolers beeindruckt haben, zumal sich Hitler angesichts der Südtirolfrage mehrfach so unter Druck gesetzt sah, dass er seine „faschismusfreundliche Linie“229 öffentlich begründen musste. Die Bedeutung dieses Konflikts für die deutsche politische Landschaft zeigte sich darüber hinaus nochmals im Reichstagswahlkampf im Oktober/November 1932. Die SPD gab Wahlplakate heraus, die den ‚Verrat‘ angeprangerten und auch das Zentrum nahm das Thema auf.230 Die öffentlichen Angriffe des AHB und Reuts auf die Nationalsozialisten setzten sich nach der Aussprache Ende März 1932 schon bald fort. Doch vielen inzwischen der NSDAP beigetretenen Mitgliedern des AHB – und auch des VDA – missfiel das zusehends. Walther Pembaur, Teil der AHB-Leitung, schlug der Tiroler NSDAP daraufhin im Oktober 1932 einen neuen Burgfrieden vor, „aufgrund dessen sich der AHB verpflichten sollte, die Vergangenheit ruhen 226 227 228 229 230
Urbach (2016), S. 19, 207f. u. 424. Vgl. Malinowski (2003), S. 45. Ebd., S. 208. Doch Hitler betrachtete die österreichischen Aristokraten angeblich insgesamt als „degeneriert, entnationalisiert und unfähig für Führungspositionen“. Zwischenzeitlich nützlich konnten sie dennoch sein. Stekl (2004), S. 120. Statistisches Reichsamt (1932), S. 546f. Hindenburg erhielt 53,1% der Stimmen und blieb Reichspräsident. Vgl. Peukert (1997), S. 258. Schieder (2017), S. 40. Vgl. Schieder (2017), S. 35 u. Steurer (2003), S. 104f. BArch, Plak 002-020-098 / Grafiker: Karl Geiss.
4.3 Annäherung an die NSDAP
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Abb. 8 Südtirol spielte eine wichtige Rolle im Reichstagswahlkampf 1932.
zu lassen und Angriffe auf die NSDAP zu unterlassen“231. Nun hätte eine neue Phase der friedlichen Zusammenarbeit beginnen können. Doch Ende Oktober nahmen, wohl relativ unbedacht, 30 NSDAP-Vertreter aus Deutschland – etwa die Hälfte in Uniform – an Festlichkeiten am faschistischen Bozener Siegesdenkmal aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der Machtübernahme Mussolinis teil. Das Monument war an dem Ort des bei Kriegsende 1918 noch nicht fertiggestellten und später von den Faschisten zerstörten Ehrenmals für die gefallenen Tiroler Kaiserjäger, das im kollektiven Südtiroler Gedächtnis einen hohen Stellenwert einnahm, gebaut worden. Deren Aufschrei sowohl gegen das Siegesdenkmal als auch gegen die Teilnahme der Nazis am Jubiläumsfest war groß.232 Die Printmedien suchten die Gemüter zu beruhigen: „Die norddeutschen Nationalsozialisten hätten von der Bedeutung des Monuments nichts gewusst“233. Neben Reut, der mithilfe dieses Vorfalls einen neuerlichen Bruch zwischen AHB und NSDAP heraufbeschwören wollte, bezog auch Bossi
231 232 233
Gehler, Biographie (2007), S. 79. Vgl. Stellungnahme des AHB zu diesem Vorfall. In: Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 432f. Das teilten die Innsbrucker Nachrichten nach dem Zwischenfall mit. Ebd., S. 434, Fn. 92.
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4. Funktionär in Berlin: Zwischen den Fronten ?
Stellung.234 Er sei zwar nicht „Wortführer der Tiroler und auch nicht Vertreter der Südtiroler“, forderte von Hitler aber dennoch Konsequenzen: […] und nun bringen es deutsche vaterländisch und nationalsozialistisch gesinnte Männer über sich, […] mit den erbitterten Gegnern des Südtiroler Deutschtums eine Feier zu begehen, deren symbolische Bedeutung wegen der Bedeutung des Ortes diesen dummen Jungen eine Ohrfeige verabreichen musste [sic!], die in ihrer Wirkung einen dauernden Schandfleck auf der NSDAP bedeuten würde, wenn Sie hier nicht rasch und rücksichtslos durchgreifen. […]. Ich hoffe, sehr verehrter Herr Hitler, dass Sie den Glauben von Millionen Deutscher nicht enttäuschen werden und dem Andenken des deutschen Soldaten durch eine rücksichtslose Massregelung jener dummen Jungen Genugtuung verschaffen werden!235
Mit diesem emotionsgeladenen Schreiben versuchte Bossi offensichtlich, an Hitler als den Soldaten des Ersten Weltkrieges zu appellieren, der die Teilnahme seiner Parteigenossen bei den Festlichkeiten gleichsam für eine Art ‚Schändung‘ halten musste. Dass er sich direkt an den NSDAP-Führer wandte (bzw. wenden wollte), zeigt auch, dass er sich in der Hierarchie der Funktionäre einen bedeutungsvollen Platz verschafft zu haben glaubte und ihm Hitler so möglicherweise Gehör geschenkt hätte. Bossi besaß bereits beste Verbindungen zur NSDAP und war ihr (im Hinblick auf seine Südtiroler Arbeit) gefährlich nahe gekommen. In einem Wechselspiel zwischen notwendiger Distanz und nützlicher Nähe ist dieser Brief – drei Monate vor der Machtübernahme – gewissermaßen als Höhepunkt seiner Antipathien gegen die nationalsozialistische Südtirol-Politik zu verstehen.
234 235
Pircher (1998), S. 178f. Vgl. Gehler, Biographie (2007), S. 81. Entnahmen aus: BF an Hitler v. 02.11.1932. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 434. Allerdings war nicht festzustellen, ob der Südtiroler den Brief tatsächlich abgeschickt hat. Auch die Korrespondenz mit dem Historiker Henrik Eberle, der die im Moskauer Sonderarchiv (RGVA) befindlichen Briefe aus der Reichskanzlei und der privaten Kanzlei Hitlers in Briefe an Hitler ausgewertet hat, brachte keine Erkenntnisse. Vgl. E-Mail Henrik Eberle an CP v. 20.10.2010.
Kapitel 5
Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat 5.1
Ein Seitenwechsel – vom Volkstums- zum NS-Funktionär
Am 30 Januar 1933, knapp drei Monate nach Bossis wütendem Brief, ernannte Reichspräsident Hindenburg einen Mann zum Reichskanzler, der „sich als den von Vorsehung auserwählten Erlöser der Deutschen und damit zugleich der germanischen Rasse“ betrachtete. Binnen Monaten gelang es Adolf Hitler, mithilfe seiner Truppen und Formationen, mit Erlassen und Anordnungen, Terror und Verfolgung, die angeschlagene Weimarer Demokratie in eine totale Diktatur umzuwandeln. Anders als im faschistischen Italien besaß die nationalsozialistische Ideologie ihren Mittelpunkt im „tödlichen Haß auf die Juden“, verknüpft mit der von ihr so gesehenen Umzingelung Deutschlands in Form westlicher Plutokratien und östlichem Bolschewismus. Die Kehrseite des Kampfes gegen die Juden „war der Kampf für das rassisch reine deutsche Großreich der Zukunft“1. Diese Ideen waren keinesfalls neu. Unzählige Verbände, Vereinigungen und Parteien hatten seit Jahrzehnten für ein künftiges Großdeutschland unter Einschluss aller Deutschen gestritten – und mit ihnen ihre Blätter und Zeitungen als ideelle Sprachrohre, bis in die letzten Tage der Weimarer Republik hinein. Hier hatten Hitler und die NSDAP mühelos anschließen können. In der Öffentlichkeit hatte Bossi der NSDAP mit Vorträgen und Artikeln zwischen 1931 und 1933 sowohl die Stirn geboten als auch ihr zugearbeitet. NS-Sympathisanten dürfte er (infolge der Erwähnungen in NS-Presse und der Propaganda) als parteinaher Südtiroler gegolten haben, wenngleich die Parteioberen besser wussten, dass sie ihn als Alibi-Südtiroler für ihre Zwecke eingespannt hatten. In Südtiroler Kreisen musste er spätestens seit seinen VB-Artikeln und Tatsachen und Lügen um Hitler als Verräter gegolten haben. AS, Reut, Sternbach und Kraus behandelten ihn mit Vorsicht. Es scheint, dass er keinen wirksamen Weg fand, die Umdeutung seiner Worte zu verhindern. Damit und auch mit seinem Draht zu Hinkel, der für die NSDAP unvorteilhafte Artikel und Ereignisse zum (omnipräsenten) Thema Südtirol unterband, hatte er in volkstumspolitischer Hinsicht durchaus Anteil an der Machtübernahme 1 Entnahmen aus: Winkler (2011), S. 667ff.
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der Nationalsozialisten. Das ist nicht unbedingt unmittelbar zu erkennen, erhellt sich jedoch durch den Blick auf die verbandlichen und thematischen Schwerpunkte und Verwicklungen des NS-Kernthemas ‚Volkstumspolitik‘. Bossi hatte sich in den vielstimmigen Kanon der großdeutschen Volkstumskünder während der sich politisch, gesellschaftlich und sozial zunehmend koinfliktträchtigen, späten Weimarer Jahre sowohl verbandlich als auch journalistisch eingereiht. Sein starkes Südtirol-Engagement, zunehmend publizistisch auch mit völkisch-biologistischen Argumenten, hatte ihn in Verbindung mit wichtigen NS-Funktionären gebracht. Bis zum 30. Januar 1933 führte das zu einer zwiespältigen Situation. Auch unmittelbar danach dürfte er mehr denn je zwischen den Fronten gestanden haben. Die vielfältige Berliner Zeitungskultur, in der der Südtiroler sich bewegte, erlebte nach Hitlers Machtübernahme bald ihre „vollständige Zerstörung“2. Die Volkstumsverbände, für die Bossi sich engagierte, hätten sich angesichts des Wahlerfolgs einer Partei, die Landesgrenzen anhand vorgeblich existenter Volkstumsgrenzen forderte, am Ziel ihrer Träume wähnen können. Doch Deutschland hatte zwar einen nationalen Weg gewählt, allerdings mit einer Partei, die auf Südtirol verzichten wollte. Gleichzeitig nahmen die Karrieren der NS-Kontaktleute Bossis ungeahnte Fahrt auf, entwickelten sich Rosenberg und Hinkel zu führenden Männern im Staat. Rosenberg wurde in den ersten Wochen zum Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP (APA), wenig später schon zum ‚Reichsleiter‘ im Ministerrang ernannt und avancierte zum wohl wichtigsten intellektuellen Ideologen des Nationalsozialismus.3 Hinkel wurde Staatskommissar und als ‚Reichskulturwalter‘ zu einem der Geschäftsführer der neuen Reichskulturkammer (RKK) unter Führung des Propagandaministers.4 Für Bossi hatte sich damit die realpolitische Situation schlagartig geändert. Er hatte nicht mehr nur Kontakt zu wichtigsten Männern der ‚nationalen Opposition‘, sondern zur realen Macht. Das galt für das nationalsozialistische Deutschland mit jedem Monat Hitler’scher Herrschaft umso stärker, besaßen 2 Entnahmen aus: Schilling (2011), S. 42. 3 Zum Begriff des ‚Reichsleiters‘ siehe Dörner, Bernward: „Reichsleiter“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 745. Roseberg gab der NSDAP und „ihren führenden Funktionären stets das Gefühl […], ihre ideologischen Grundsätze beruhten nicht auf Idiosynkrasien, Machtphantasien und Hassgefühlen, sondern seien im Gegenteil tiefenpsychologisch hergeleitet und wissenschaftlich grundiert. Rosenberg selbst war davon zweifellos überzeugt“. Er glaubte bis zuletzt, „was er predigte, und unter Einsatz neuer, radikaler Methoden praktizierte“. Daher trifft der Begriff „‚Überzeugungstäter‘ so vorbehaltlos“ auf ihn zu. Entnahmen aus: Matthäus/Bajohr (2015), S. 20f. 4 Vgl. Jensen, Uffa: „Reichskulturkammer“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 743ff.
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doch die Funktionäre „in keiner anderen Diktatur in Europa“ so große „Handlungsspielräume“ wie hier, die sie effektvoll auszunutzen verstanden und damit die „Wirkungsmacht der Diktatur“5 entscheidend ausprägten.6 Hitlers Südtirol-Verzicht war allen Beteiligten bis 1933 überdeutlich bewusst geworden. Doch Bossi hatte auch erfahren, dass Rosenberg, Frank und Himmler zwischenzeitlich von dieser Position abwichen.7 Deren Treueversicherungen für Südtirol stammten noch aus einer Zeit, als der ‚Führer‘ keine reale Gestaltungsmacht besaß. Wer also schließlich nach der Machtübernahme den letzten Ton in der Südtirol-Politik angeben würde, stand für Bossi, möglicherweise auch für andere Südtirol-Aktivisten, bis 1933 noch nicht endgültig fest. Gleichzeitig eröffneten sich in den neuen Institutionen und Ministerien ungeahnte Wirkungs- und Berufsaussichten, besonders für Männer, die sich mit Volkstumspolitik, dem Vorrang der Deutschen und der Überwindung von Weimar, Versailles und St. Germain auskannten – und die sich in diesem Feld möglicherweise bereits einen Namen gemacht hatten. Vor der NS-Machtübernahme musste Bossi der Instrumentalisierung seiner Worte mehr oder weniger hilflos zusehen, doch nach dem 30. Januar 1933 boten diese Passagen die Möglichkeit, ganz vorne und von Beginn an mitzuwirken – vorausgesetzt man entschied sich für die Linie der neuen Machthaber. Die Türen standen auch für jemanden wie ihn, der der NSDAP durchaus in aller Öffentlichkeit Probleme bereitet hatte, weit offen. Im Frühjahr 1933 setzte Bossi seine Vortragstätigkeit zunächst fort. Dem ‚Bureau de la presse étrangère‘ im französischen Außenministerium blieb das nicht verborgen. Aus dem Neuen Wiener Tagblatt habe man entnommen, dass Bossi auf Initiative der Österreichischen Gesandtschaft in Berlin am 11. März im Haus der deutschen Presse einen Vortrag zum Thema „‚le soldat allemand d’Autriche hier et aujourd’hui‘“ gehalten habe. Um die Einheit der ganzen Nation zu erreichen, so Bossi, dürfe nicht aus dem Blickfeld geraten, dass viele feste Säulen nötig sein werden, „pour supporter le puissant édifice de la GrandeAllemagne“8. Eine wichtige, südöstliche Säule sollte die straff zu entwickelnde, 5 Entnahmen aus : Römer (2017), S. 32. 6 Entnahmen aus: Ebd., S. 78. In der NSDAP standen Personen überwiegend über den Strukturen, sodass die Verantwortungsträger stets Seilschaften bildeten, um in der Partei „bestehen zu können“. 7 Vgl. Klünemann, Clemens: „Kalkül und Sentimentalität“. In: SZ v. 12.02.2018, S. 13. Siehe auch Steurer (1980), S. 178f. 8 Entnahmen aus: „Bulletin périodique de la presse autrichienne du 9 février au 31 mars 1933“ v. 11.04.1933, S. 8. France, Ministère de la guerre / Ministère des Affaires Étrangères, Bureau de la presse étrangère. Bibliotheque nationale de France (BnF, Gallica), http://gallica.bnf. fr/services/engine/search/ [Zugriff: 01.01.2017]. „Pour realiser l’unité de toute la nation, il ne faut pas perdre de vue qu’il faudra beaucoup de colonnes solides pour supporter le puissant
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österreichische Armee sein. Das Salzburger Volksblatt berichtete, Bossi habe die Leistungen der österreichischen Soldaten im Weltkrieg als „Treuhänder der gesamten Nation“ hervorgehoben. „Mit berechtigter Entrüstung“ wandte er sich „gegen das Zerrbild, das in Film und Operetten vom österreichischen Offizierkorps und Soldatentum entworfen wurde“. Der „packende Vortrag“9 sei von zahlreichen Besuchern der Reichswehr begleitet worden. Das einzig gültige Ordnungsprinzip sei auf Dauer eine Nation, die alle Deutschen umfasse. Mit Vorträgen solcher Art – ausgerechnet in der österreichischen Gesandtschaft in Berlin – unterstützte Bossi sowohl großdeutsche Österreicher als auch radikalere Stimmen in der NSDAP, die bald nach der Machtübernahme in Deutschland bereits den Umschwung in Österreich prophezeiten – und aktiv planten. Bossi war bereits (spätestens) zu diesem Zeitpunkt ein ungeduldiger Künder Großdeutschlands geworden. Währenddessen bahnte sich der Wahlkampf für die österreichischen Gemeinderatsergänzungswahlen am 25. April 1933 an, den die NSDAP brutal und aggressiv führte10, als die Neueste Zeitung11 (Abendausgabe der Innsbrucker Nachrichten) am 14. April eine Aufsehen erregende Bekanntmachung brachte: Anton Graf Bossi Fedrigotti, der in den letzten Jahren im Deutschen Reiche hunderte von Vorträgen über das Südtiroler Deutschtum gehalten hat, richtete an die Gauleitung der NSDAP in Tirol folgendes Schreiben: Ich erkläre hiermit meinen Eintritt in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Gau Tirol. Diesen Schritt begründe ich mit der Auffassung, dass es Pflicht jedes um die Verwirklichung der grossdeutschen Idee kämpfenden Österreichers ist, gerade dort für die Partei und ihren Führer einzutreten, wo beiden noch wegen der Südtirolerfrage grosse Hindernisse in den Weg gelegt
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édifice de la Grande-Allemagne. L’une d’elles, au sud-est, sera le dévelopement de l’armée autrichienne. L’une d’elles, au sud-est, sera le dévelopement de l’armée autrichienne“. (Um die Einheit der Nation zu erreichen, darf der Blick nicht davor verschlossen werden, dass viele feste Säulen nötig sein werden, um das mächtige Bauwerk Großdeutschland zu unterstützen. Eine von ihnen, im Südosten, wird die Entwicklung der österreichischen Armee sein). Tatsächlich hatte BF den Vortrag am 09.03.1933 gehalten. Siehe O. V: „Der österreichische Soldat“. In: Salzburger Volksblatt v. 13.03.1933, S. 4. Entnahmen aus: O. V.: „Der österreichische Soldat“. In: Salzburger Volksblatt v. 13.03.1933, S. 4. Schreiber (2008), S. 36. Die Neueste Zeitung war die Abendausgabe der Innsbrucker Nachrichten. Beide galten als großdeutsch. Falch (2002), S. 10f. Gleichzeitig, von November bis Juni 1933, erschien in Innsbruck die NS-Zeitung Der rote Adler. Höchstwahrscheinlich hat auch BF hier publiziert, doch finden sich „namentlich gekennzeichnete Artikel […] fast nie“. Siehe ebd., S. 11. Nach dem ‚Anschluss‘ 1938 wurde das Blatt eingestellt. Die „NS-freundlichen Innsbrucker Nachrichten und in Vorarlberg das Vorarlberger Tagblatt“ übernahmen dessen Funktion. Ebd., S. 31. Dabei kam es auch vor, dass der Rote Adler als Beilage zur Neuesten Zeitung erschien.
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werden. Durch meinen jahrelangen Kampf um Südtirol und gerade durch meine oftmaligen und ausgiebigen Unterhaltungen mit führenden Persönlichkeiten der NSDAP über die Südtirolerfrage musste ich zu dem entscheidenden Entschlusse kommen, mich gerade in Tirol als einfacher Mitkämpfer der NSDAP eintragen zu lassen. Ich zeichne mit Heil Hitler! Anton Graf Bossi Fedrigotti12
Vor dem Hintergrund des Beschwerdebriefes an Hitler, seiner wenige Monate alten Vermutung, die Nationalsozialisten in der Südtiroler Sache ‚auf den Leim‘ bringen zu können, und des Problems, einen Missbrauch seiner Worte zu verhindern, stellt diese Bekanntmachung tatsächlich eine Sensation dar. Hitlers Südtirolverzicht hemmte die Nationalsozialisten in Tirol und Innsbruck stark.13 Sie galten als „‚Südtirolverräter‘“14. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung, eine Woche vor den auch für Innsbruck wichtigen Wahlen, erscheint so kaum als zufällig gewählt. Die Nationalsozialisten erreichten 41,1%, ein enormer Erfolg.15 Sie wurde zur stärksten Kraft und Bossi so zum Freund des Tiroler Gauleiters Hofer.16 Tatsächlich bestätigte der einige Jahre später die höchst willkommene Wirkung des Zeitungsartikels. Er selbst habe die Beitrittserklärung Bossis am 1. April 1933 in Empfang genommen. Dieser Schritt sei „für die NSDAP im Gau Tirol-Vorarlberg von grosser propagandistischer Bedeutung“ gewesen, insbesondere von „Südtirols Vertreter in der Reichsleitung des VDA“17, bei der gegen die NSDAP in Tirol vorherrschenden Stimmung und nach der missglückten Kranzniederlegung in Bozen. Bossi trat also mit seinem Beitritt paradoxerweise einer (besonders auch vonseiten des VDA geübten) Kritik entgegen, die er selbst noch wenige Wochen zuvor emotional und scharf gegenüber Hitler persönlich forciert hatte. Er sei den Tirolern als Vorkämpfer des Deutschtums in Südtirol bekannt gewesen. Man war sich daher einig, seinen 12 13 14 15 16
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O. V.: „Graf Bossi-Fedrigotti und der Nationalsozialismus“ [Abdruck der Eintrittserklärung BFs an die Gauleitung der NSDAP in Tirol]. In: Innsbrucker Nachrichten – Neueste Zeitung v. 14.04.1933, S. 4. Steurer/Steinacher (2011), S. 211. Hofer an Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich der NSDAP v. 21.11.1936, BArch R 9361-II/102614. Falch (2002), S. 9 u. 28. Website des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DOEW): http://de.doew.braintrust.at/m9sm101.html [Zugriff: 26.09.2011] u. Schreiber (2008), S.36. Siehe zum Beginn des guten Verhältnisses Hofer-BF durch seinen Parteibeitritt auch Steurer/Steinacher (2011), S. 211. Eidesstattliche Erklärung des ehem. Gauamtsleiter des Gaues Tirol, Othmar Hattis, v. 05.01.1937, BArch R 9361-II/102614.
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Beitritt in der Presse „gross aufgemacht“ bekanntzugeben, was daraufhin in „Tirol viel beachtet und besprochen“18 worden sei. Mit Datum vom 1. Mai 1933 und der Mitgliedsnummer 1.875.708 wurde Bossi Parteimitglied der NSDAP.19 Südtirols Zukunft schien ihm offensichtlich sehr wichtig, der Erfolg der NSDAP, vornehmlich beides in Kombination, erst einmal jedoch wichtiger. Er hatte möglicherweise erkannt, auf welcher Seite größere Vorteile zu erwarten waren, den bereits geebneten, kurzen Weg zum Seitenwechsel genutzt und sich damit auch für mehr Verantwortung in NSKreisen empfohlen. In den Reihen der neuen Machthaber war er so in den ersten, wichtigen Wochen des Staatsaufbaus der möglicherweise einflussreichste Südtiroler und bestimmte den Umgang des NS-Regimes mit Südtirol, immer im weiteren und engeren Rahmen der von Hitler gesetzten Grenzen, an wichtigsten Stellen mit.20
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Entnahmen aus: Hofer an Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich der NSDAP v. 21.11.1936, BArch R 9361-II/102614. BArch, NSDAP-Gaukartei Bossi-Fedrigotti, Anton Graf, o. D. Vermerkt sind Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Beruf („Schriftsteller“), Eintrittsdatum („1.5.33“), Wohnung („Berlin-Wilmersdorf“), Ortsgruppe („Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich […] 27.4.1937“). Siehe auch NSDAP-Mitgliedkarteikarte vom 09.12.1936, BArch R 9361-II/102614, Vorblatt/Einlegekarte u. Vorschlag zur Ernennung zum ORR v. 20.12.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 13f. Über BFs Beitritt war auch Reut schnell informiert. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 495. Seine Bedeutung als Südtiroler Sprachrohr könnte abgeflaut sein, als er sich immer stärker auf die Schriftstellerei konzentrierte. Auch der Meraner Rudolf (Rolf) Hillebrand (1900-1943) hatte einigen Einfluss auf die NS-Südtirolpolitik nach 1933. Wedekind (2003), S. 40, 235 u. Lun (2004), S. 564. Möglicherweise haben Hillebrand und BF auch zusammengearbeitet, sich zumindest gekannt. Davon zeugen italienische Geheimdienstberichte über Südtirol, die der italienische Historiker Roberto Canosa auswertete. Hier finden sich auch Nachweise über Verbindungen des APA, des VDA, Hillebrands (bei Canosa ‚Hildebrandt‘) und BFs. Auch nennt er ein Treffen Hans Steinachers (bei Canosa ‚Harold Steinacker‘, der zwar auch existierte, jedoch nicht Führer des VDA war) in der Woche vor Ostern 1936 mit Reut-Nicolussi und BF, der für das APA und den VDA in München gewesen sein soll. Angesichts der strukturellen Ähnlichkeiten dieses angeblichen Treffens mit dem Treffen bei Hitler 1932 vor Ostern mit Reut in München und der fehlerhaften Arbeitsweise Canosas, könnte es sich auch um eine Verwechslung handeln. Canosa (2000), S. 223 u. 225f. Hitler hatte schon vor 1933 „gute Erfahrungen“ mit Adligen gemacht. Urbach (2016), S. 19ff., 207 u. Winkler (2003), o. S. Der „typische“ adlige Nationalsozialist kam „aus dem ostelbischen Kleinadel, war männlich, jung, protestantisch, mit militärischer Vorprägung und ohne eigenen Grundbesitz“. Dieser Typ stand nicht selten einem auf kulturelle Leistungen zentrierten, klerusnahen, katholisch-süddeutschen Adel gegenüber, der der NS-Ideologie reservierter gegenüberstand. Siehe Malinowski (2003), S. 105f. u. 360ff. Zwei führende Vertreter der Katholiken waren Franz Graf von Galen und Alois Fürst zu
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Seine Parteinahme wollte Bossi gleichwohl keineswegs als Attest sehen, der Südtirolpolitik Hitlers fortan uneingeschränkt zuzustimmen. Ende April 1933 schrieb er Mumelter, die zuständigen Ämter „für die Südtiroler Angelegenheiten“ seien noch nicht abschließend eingerichtet. Alle außenpolitischen Fragen, „auch wenn sie ins Kulturelle schlagen“, würden von dieser Woche an vom außenpolitischen Amt der NSDAP bearbeitet, dessen Vorstand Pg. A. Rosenberg ist. In diesem AA – NSDAP wird eine Abteilung Österreich (Osten, Südosten-Süden) eingerichtet, für die auch [sic!] Südtiroler Angelegenheiten zuständig sind.
Bossi machte Mumelter klar, dass er künftig in vorderster Linie des NS-Staates für Südtirol Verantwortung übernehmen wollte. Nach eigenen Angaben hatte er künftig „über die Angelegenheit S.T.“ im „neuen AA“21 zu berichten, beauftragt durch den Vorstand der Abteilung, Dr. Schneider, einer der „treibende[n] Kräfte“22. Das APA war nur knapp drei Wochen zuvor, am 1. April 1933, in Berlin gegründet worden, residierte zunächst im Hotel Adlon und sollte als „inoffizielle Konkurrenzinstanz“23 schnell nach der Machtübernahme nationalsozialistische Vorstellungen deutscher Außenpolitik in bewusster Abgrenzung zum moderat-diplomatischen Korps des AA positionieren und dabei, auch um den Modus des Aufbruchs zu wahren, „möglichst keinerlei bürokratischen
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22 23
Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, beide ehemalige Schüler der ‚Stella‘. Siehe S. 294ff., 310ff., 367ff. u. Aretin (1994), S. 36. Entnahmen aus: BF an Mumelter v. 24.04.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 498f. In dem (unvollständigen) Bestand BArch NS 43/49 (Personal APA) findet sich kein Nachweis BFs. Die Übersicht Nr. 15 in Jacobsen (1968), S. 634, die den Planungsstand des APAPersonals im Jahr 1933 (offenbar vor der Errichtung des Amtes) dokumentiert und sich dabei auf Akten des PA AA bezieht, listet BF nicht auf. Die dort angegebene strukturelle Aufstellung des APA stimmt darüber hinaus nicht mit dem Geschäftsverteilungsplan des APA aus PA AA, Wien geheim 54, überein, der anscheinend (bezogen auf die ebenfalls darin befindlichen Dokumente) von August 1933 stammt. BF war möglicherweise erst relativ spontan zum Amt dazu gestoßen. Siehe Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Ebenfalls nicht als Mitarbeiter genannt wird beispielsweise der Schriftsteller Hans Emil Dits, der 1932/33 eine ganz ähnliche Laufbahn wie BF einschlug und (anscheinend) sowohl beim APA als auch bei der Landesleitung Österreich der NSDAP anheuerte. Gradwohl-Schlacher, Dits, Hans Emil (2011), S. 108ff. Jacobsen (1968), S. 55. Dr. Herbert Schneider, Zahnarzt und Mitarbeiter Alfred Rosenbergs, wird in der Einleitung zur Gesamtedition der Tagebücher Joseph Goebbels’ erwähnt. Fröhlich (2008), S. 97f. Matthäus/Bajohr (2015), S. 13 u. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 14.
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Charakter tragen“24. Die gesamte diplomatische Vertretung Deutschlands sollte im Laufe der kommenden Monate und Jahre ausgewechselt werden. Das APA sollte fortan alle außenpolitischen Avancen der NSDAP bündeln, Reformvorschläge für das AA erarbeiten, Vertreter des Auslands über die „Bewegung“25 informieren sowie das Bild des ‚Führers‘ im Ausland überwachen. Ganz besonders befasste es sich mit den Volksdeutschen, unter anderem aus dem Sudeten-, Memel- und Banatgebiet. Unterabteilungen und Referate konzentrierten sich auf „Oesterreichische Aussenpolitik“26, Italien und (in der Abteilung ‚Grenzland‘/‚Grenzorganisation‘) das italienische Grenzgebiet. Hier erhielt Bossi Gelegenheit, sich in einem Parteiamt sowohl mit Südtirol als auch anderen Grenzgebieten zu befassen.27 Neben Rosenberg traf er hier auch Arno Schickedanz wieder, Parteimitglied seit 1922, der gleich zum Leiter des APA-Personalamtes ernannt wurde.28 Doch insgesamt schien Rosenberg sich kaum Gedanken darüber gemacht zu haben, „nach welcher Methode, nach welchem personellen Ausleseverfahren“ das Amt entstehen sollte. Vorgesehen waren zunächst nur 48 Mitarbeiter. Bossi gehörte zu den wenigen Männern der ersten Stunde, in denen das APA streng genommen kaum etwas anderes war als eine merkwürdige Ansammlung von verschworenen Antibolschewisten, von schwärmerischen Weltverbesserern, dogmatisch gebundenen, halbgebildeten Ideologen, quasi-Poeten, verkrachten 24 25 26 27
28
„Richtlinien für die Einrichtung des Aussenpolitischen Amts der N.S.D.A.P.“ v. 01.04.1933, BArch NS 43/49, Bl. 11f. „Aufgaben des Aussenpolitisches Amtes der NSDAP“. v. 01.04.1933, BArch NS 43/49, Bl. 13ff. Organisationsschema Außenpolitisches Amt der NSDAP, PA AA, Wien geheim 54. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 519 (NSDAP), Opis 5, Akte 40 (und ff.). Hierin finden sich Tätigkeitsübersichten des APA aus den Jahren 1933 und 1934. BFs Mitarbeit im APA bestätigen auch Akten des österreichischen Bundeskanzleramts von 1934, die sich mit dieser Verbindung beschäftigten, um Verbote seiner Texte einzuleiten. Erlass der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im österreichischen Bundeskanzleramt v. 19.10.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 261.626-St.B./1934-22/in genere. Auch eine von ihm verfasste Kurzbiografie aus den 1970er Jahren vermerkt die Mitarbeit im APA erst ab 1934. Sein Brief an Mumelter belegt sein Mitwirken jedoch schon wenige Tage bzw. Wochen nach Gründung des Amtes. Vgl. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Bereits in einer im Januar 1934 von Rosenberg verfassten kurzen Amtsgeschichte des APA wird dargestellt, dass das Interesse des Auslandes an der NS-Machtübernahme groß gewesen sei. Pressevorträge von Rosenberg, Röhm, Frick, Ley, Darré usw. seien organisiert worden, um ein „tieferes Verständnis für die Beweggründe der nationalsozialistischen Revolution“ zu erhalten. „Der Chef des Amtes: Das Außenpolitische Amt der N.S.D.A.P.“ BArch NS 43/49. Vgl. Jacobsen (1968), S. 46ff.
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Existenzen, Ehrgeizlingen, aber auch von jugendlichen Idealisten und überzeugten Nationalsozialisten […].29
Gegenüber Mumelter kündigte er vollmundig an, sie könnten schon bald bei Rosenberg vorsprechen – der sei vororientiert und so sei „ein direktes Arbeiten gewährleistet“30. Möglicherweise ging Bossi tatsächlich davon aus, sich als NSDAP-Mitglied, Rosenbergs Mitarbeiter und prominenter Südtiroler neue Verhandlungsmöglichkeiten über seine Heimat eröffnet zu haben.31 Im neuen RMVP sei Hinkel außerdem künftig „zuständig für Kulturpropaganda für S.T.“, ansonsten habe das Ministerium „praktisch mit dem Ausland[s]deutschtum soweit nichts zu tun“. Die Verbindung Hinkel-Rosenberg-Schickedanz-Bossi konnte also weiter aktiv bleiben. Außerdem sei zum ersten Mal „im deutschen Rundfunk am Tage von Potsdam das ‚Südtiroler Trutzlied‘ feierlich gesungen“ und das Hörspiel ‚Andreas Hofer‘ gesendet worden. Euphorisiert von der Aufbruchstimmung der ersten Wochen gab er Mumelter zu verstehen: „Südtirol wird nicht vergessen!“32 Er sei „sehr froh“, unter der neuen Regierung die Möglichkeit zu erhalten, für sein „Heimatland nach wie vor weiter zu wirken“. Er versicherte Mumelter, „stets und in erster Linie Südtiroler“ zu sein und zu bleiben, auch wenn seine Arbeit zuletzt „durch böswillige Verleumdung u. persönliche Anwürfe erschwert“33 worden sei. Reuts Korrespondenzpartner Fritz Dörrenhaus34 stellte im Mai 1933 mit Blick auf Bossi, der im VDA und 29 30 31 32
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Entnahmen aus: Jacobsen (1968), S. 51, 55 u. 64. BF an Mumelter v. 24.04.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 498f. Überhaupt schien Rosenberg in bestimmten Zusammenhängen offen für Kritik. Das könnte BF bestärkt haben, hier weiter aktiv für Südtirol einzutreten. Siehe Jacobsen (1968), S. 50. Entnahmen aus: BF an Mumelter v. 24.04.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 498f. In den neuen Dienststellen Rosenbergs habe BF auch den völkischen Publizisten Franz Lüdtke (1882-1945) kennengelernt, der als Volkstumsfunktionär wenig später half, den ‚Deutschen Ostmarkenverein‘ im ‚Bund Deutscher Osten‘, dessen Reichsführer er dann wurde, gleichzuschalten. Klee (2009), S. 381. Vgl. Thoma, Sebastian: „Deutscher Ostmarkenverein“. In: Benz (2012), S. 179f. Für Reut war mit dem 30. Januar 1933 hingegen eine Entwicklung eingetreten, die für Südtirol schlimmstes bedeuten musste. Aufmerksam beobachtete er, dass volksdeutsche Themen, vor allem aber „das Problem Südtirol bei der Behandlung der Grenz- und Ausland(s)deutschenfragen überhaupt nicht mehr erwähnt“ wurde. Reut-Nicolussi an Erich Mair v. 03.03.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 477. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Ebd. Er bat Mumelter, ihn bei seiner Arbeit in Berlin zu unterstützen und solchen Verleumdungen entgegenzutreten. Dörrenhaus war Kölner Geographie-Professor und Vorstand der Gesellschaft für Erkunde. Er publizierte vor und nach 1945 Texte über Südtirol, u. a. Deutsches Land an der Etsch (1933, hg. v. Deutschen u. Österreichischen Alpenverein), Wo der Norden dem Süden
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in der „Presseabteilung der NSDAP eine gute Position“ erlangt habe, fest, dass der „Sturm, der über Deutschland hinweggezogen“ sei, aus seiner Sicht „erfreulicherweise die vorhandenen Sympathien für Südtirol nicht beeinträchtigt“ habe. Bossi habe Dörrenhaus geschrieben, bei den Nationalsozialisten herrsche „weitgehendes Verständnis“35 für die Sorgen der Südtiroler. Unabhängig davon, ob er tatsächlich von einer Kursänderung der NSDAP gegenüber Südtirol ausging oder vor allem seine wirtschaftlichen und Karriereabsichten verfolgte: Bossi war nach der ‚Machtergreifung‘ mittendrin im Berlin des Frühjahrs 1933, während des Aufstiegs und der Festigung der nationalsozialistischen Herrschaft und des APA. Doch schon beim Treffen mit Hitler hatte er seine Möglichkeiten überschätzt und dazu beigetragen, dass der Gelegenheit bekam, sich gegenüber vermeintlich vertretungsberechtigten Südtirolern klar gegen deren Forderungen auszusprechen. Möglicherweise ohne dass er es plante oder wahrhaben wollte, trug Bossi mit dem schließlich endgültigen Verlassen der Opposition und seinem Andienen an die NSDAP einen erheblichen Teil zu dem bei, was er ursprünglich hatte verhindern wollen: dass die Südtirolpolitik Hitlers weiter zementiert wurde. Der VDA, berichtete Bossi Mumelter, stand vor einer grundlegenden „Neuformung“36. Die neuen Machthaber setzten zur „Zentralisierung der Staatsmacht“37 an, schalteten den „politischen und organisatorischen Pluralismus“ der Weimarer Republik sukzessive aus und den überwiegenden Großteil der Vereine und Verbände innerhalb kurzer Zeit gleich.38 Denken und Handeln sollten ideologisch angepasst, die Vereinigungen an NS-Organisationen angeschlossen und nach dem Führerprinzip gegliedert werden. Die Führung des VDA begrüßte die Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst mehrheitlich, konnte sie doch darauf hoffen, nun weitaus mehr Unterstützung der volkstumspolitischen Arbeit zu erhalten. Gleichwohl zeigten verschiedene Divergenzen, dass die Schnittmenge zwischen Verein und NSDAP nicht kongruent war. Die NS-Führung vergaß nicht, dass der VDA während der Weimarer Zeit eng mit verhassten Vertretern der demokratischen Regierungen zusammengearbeitet hatte und solch ‚belastete‘ Mittelsmänner dort nach wie
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begegnet. Südtirol (1959) u. 1930 „Hände weg von Südtirol! Eine Verwahrung wider die nationalsozialistische Verzichtspolitik“. In: Der Zwiespruch 12 (1930), o. S. Siehe Volgger (1997), S. 288. Entnahmen aus: Dörrenhaus an Reut-Nicolussi v. 12.05.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 506f. BF an Mumelter v. 24.04.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 498f. Pätzold, Kurt: „Gleichschaltung“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 538f. Entnahmen aus: Schmitz-Berning (2007), S. 277-280. Vgl. Barbian (2010), S. 15f.
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vor wirkten.39 So gelang es auch nur wenigen VDA-Funktionären, leitende Positionen im neuen Herrschaftsgefüge einzunehmen. Im Laufe des Frühjahrs 1933 geriet der VDA zunehmend zwischen die Fronten verschiedener Interessenssphären, darunter auch APA und Hitlerjugend. Ideologische Differenzen zwischen der VDA-Führung und den „nationalsozialistischen ‚Weltanschauungskämpfern‘ wie Himmler, Heydrich und Rosenberg“ traten erst allmählich zutage. Rassenpolitischen Zielsetzungen beispielsweise stand der VDA mehrheitlich reserviert gegenüber. Bis zum 30. Januar 1933 und noch kurz darüber hinaus forderte er die „Herausgabe“40 Südtirols, musste dann aber einlenken und dieses Ziel der Bündnisstrategie des neuen Reichskanzlers opfern, um nicht gänzlich an Einfluss zu verlieren.41 Wie Bossi, Beauftragter für Fragen des Etschlandes in der Reichsleitung des VDA, darauf reagierte, ist nicht bekannt. Am 30. März 1933 fand eine Tagung der deutschen Volksgruppen in Berlin statt, bei der die leitenden VDA-Funktionäre Geßler und Seebohm zunehmend unter Druck gerieten.42 Sie galten der NSDAP als unliebsame Aktivisten des Weimarer ‚Systems‘. Zu gleicher Zeit oblag Bossi die Aufgabe, als NS-Spitzel Hinkel persönlich Bericht über die weltanschauliche Zuverlässigkeit der VDA-Führung zu erstatten.43 Am 15. April 1933 berichtete er diensteifrig, eine „genaue Prüfung der Verhältnisse“ des VDA vorgenommen zu haben. Eindringlich schilderte er die Krise des zutiefst zerrütteten Verbandes, dessen Vorsitzender Geßler eine Annäherung an die neuen Machthaber boykottierte. Hitler war über den VDA „tatsächlich irregeführt worden“, so Bossi. Es schien daher „unbedingt notwendig“, dass bereits am 19. April, „nötigenfalls durch die SA, eine Gleichschaltung des VDA vorgenommen“44 würde. Sich einer kriminalistischen Diktion bedienend, schilderte Bossi den 39 40 41
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Prehn (1997), S. 109ff. Entnahmen aus: Ebd. Das bewahrte den Verband und seine Arbeitsfelder nicht davor, langfristig vollständig von volkstumspolitischen Stellen des nationalsozialistischen Behördenapparats vereinnahmt zu werden. Siehe auch Boehm/von Loesch (1936), Bildteil, Bild 3: Dort ist ein Foto der Königsberger Pfingsttagung des VDA von Juni 1935 unter dem Motto „Volkstum kennt keinen Verzicht“ zu sehen. Das galt nicht für Südtirol. Vgl. Luther (2004), S. 61f. Erich Mair an Reut-Nicolussi v. 30.03.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 493f. Zu Geßler und seiner Rolle im VDA siehe Prehn (1997), S. 47ff. u. Luther (2004), S. 68ff. Hinkel an BF v. 13.04.1933, BArch R 9361-V/14885, Bl. 4. Aus dem Antwortbrief BFs (BF an Hinkel, Bericht über den VDA v. 15.04.1933, ebd., Bl. 6) geht hervor, dass er regelmäßig an den Hauptvorstandssitzungen des VDA teilnahm. Siehe auch Antrag Hofer an RMI auf Anstellung BFs als Beamter auf Lebenszeit v. 31.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Entnahmen aus: BF an Hinkel v. 15.04.1933, BArch R 9361-V/14885, Bl. 14.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
„Tatbestand“: Die VDA-Jugend, Studenten, die meisten Landesverbände und alle „national aktiven Kreise“ stünden „in schärfster Opposition“ zur Verbandsführung. Der Landesverband Ostpreußen habe bereits begonnen, einzelne Vorstandsmitglieder, darunter „Chefredakteur Wyrgatsch, den jüdischen Hauptschriftleiter des sozialdemokratischen Volksblattes [und] den Rabbiner von Königsberg“ zu entfernen. Die volksdeutsche Arbeit sei schwer gefährdet, „wenn nicht die völlige Gleichschaltung […] sichtbar erfolge“. Er sei erstaunt, dass es die VDA-Führung „nicht für angebracht“ hielt, sich mit den „Kräften des neuen Deutschland“45 zu verständigen. Bossi, der erst kurz zuvor öffentlich die Seite gewechselt hatte, nutzte erneut seine Verbindung zu Hinkel und forderte offene Bekenntnisse des VDA zum Nationalsozialismus. Vom Eindruck der Machtergreifungswochen beflügelt und sich in verantwortungsvoller Position wähnend, hatte er die Zeichen der neuen Zeit offenbar bereits so verinnerlicht, dass er auch als Vorstandsmitglied des VDA nicht davor zurückschreckte, einzelne Kollegen gegenüber Hinkel zu diffamieren und sie damit auch der Willkür des Regimes auszusetzen. Der NS-Spion konnte außerdem von einem geplanten, freiwilligen Führungswechsel im VDA berichten. Lediglich Gessler hätte sich noch nicht zurückgezogen; er besaß anscheinend noch Hitlers „volles Vertrauen“. Doch schließlich bat er nach einer Sitzung am 11. April um 14 Tage Zeit, um das Verhältnis Reichskanzler-VDA zu klären und den Verband anschließend tatsächlich umzugestalten. Allerdings war, so Bossi, ein „sofortiges Eingreifen“ notwendig. Das Ausland dürfe aber keinesfalls bemerken, dass der VDA so zum „Regierungsapparat“46 werden würde. Unaufgefordert übermittelte er umfassende Vorschläge über die „Neuorganisation des VDA“, damit der wieder „aktionsfähig“47 werde. Mit diesem Terminus „des stürmischen Vorwärtsdrängens“48 befand Bossi sich auch sprachlich auf der Ebene des sich entwickelnden, nationalsozialistischen ‚Organismus‘. Führer des VDA sollte künftig nur sein, wer auf dem „Boden der nationalen Erneuerungsbewegung“ stand. Der Geschäftsführung des
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Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: BF an Hinkel, Bericht über den VDA, v. 15.04.1933, BArch R 9361-V/14885, Bl. 6. Entnahmen aus: Ebd., Bl. 9f. (S. 5f.). Hans Steinachers Ansicht nach hatte „Gessler sich für die Führung des VDA nicht bewährt“. Der sei ein „scharmanter [sic!] Unterhalter“, wisse aber nichts von aktuellen „Sorgen- und Lebensfragen“. Siehe Bl. 11 (S. 7). Entnahmen aus: Ebd., S. 14. ‚Aktion‘ bezeichnete Viktor Klemperer als eines der „unverdeutschten und unentbehrlichen“ Fremdwörter in der Sprache des ‚Dritten Reiches‘. Klemperer (2015), S. 82. Klemperer (2015), S. 81f.
5.1 Ein Seitenwechsel – vom Volkstums- zum NS-Funktionär
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Hauptvorstandes sollten „massgebende Berliner Vertreter der nationalen Bewegung“ angehören, soweit diese volksdeutsch interessiert sind (z.B. Krüger, Deutsche Studentenschaft, Pg. Motz, Propagandaministerium, Pg. Kommissar Hinkel, Pg. Alfred Rosenberg, Pg. Baldur v. Schirach, Pg. v. Korsell usw.).49
Eine Kopie des Berichts und der Vorschläge ging „laut Vereinbarung ebenfalls zu Händen“50 Rosenbergs. Bossi beließ es also nicht nur dabei, als Spitzel Informationen zu liefern, er wollte selbst ins Geschehen eingreifen und empfahl sich der NS-Führung als loyaler, weltanschaulich-zuverlässiger Vertrauensmann, der gehorsam auch frühere Weggefährten ausspähte. Innerhalb weniger Monate hatte er sich vom missbräuchlich eingespannten, umtriebigen Volkstumskämpfer zum eifrigen NS-Adlatus entwickelt. Sein Brief an Mumelter vom 24. April zeigt, dass er wichtige Beiträge zur Umgestaltung des VDA geliefert zu haben glaubte. Nach den von Geßler erbetenen 14 Tagen, am 30. April 1933, ließ sich Hans Steinacher in Anwesenheit Rosenbergs zum Reichsführer des VDA wählen, während gleichzeitig beinah die gesamte Führungsriege ausgetauscht und damit die Umstellung auf das Führerprinzip des inzwischen umbenannten ‚Volksbundes für das Deutschtum im Ausland‘ eingeleitet wurde.51 Laut Rudolf Aschenauer habe Bossi (möglicherweise als Angehöriger des Wahlausschusses) persönlich in dieser Versammlung Steinacher zur Wahl vorgeschlagen.52 Die 49 50
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Entnahmen aus: BF an Hinkel, Vorschläge über die Neuorganisation des VDA v. 15.04.1933, BArch R 9361-V/14885, Bl. 12f. BF an Hinkel v. 15.04.1933, BArch R 9361-V/14885, Bl. 14. Aus einem Briefwechsel mit Badendieck von Mai 1939 geht hervor, dass der offenbar auch an den Vorschlägen zur Neugestaltung beteiligt war. Siehe Lebenslauf Badendieck v. 09.05.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 34-36. Jacobsen (1968), S. 768f. Der Posten wurde später in ‚Bundesleiter des VDA‘ umbenannt. Siehe auch Prehn (1997), S. 108 u. Erich Mair an Reut-Nicolussi v. 30.03.1933. Gehler, Dokumentenedition (2007), S. 493f. Nach Luther (2004), S. 69, sei unklar, ob Geßler oder Seebohm Rosenberg zu dieser Hauptausschusssitzung eingeladen hatten. Steinacher habe in seinem Tagebuch geschrieben, dass Rosenbergs Teilnahme für alle überraschend gewesen sei. Hier liegt die Vermutung nah, dass es BFs Bericht an Hinkel und Rosenberg gewesen sein könnte, der den dazu veranlasste, an der Versammlung teilzunehmen. Aschenauer (1981), S. 138 u. 157. Weitere Belege dazu ließen sich nicht ermitteln. Der Jurist Rudolf Aschenauer (1913-1983) war bereits in den 1930er-Jahren VDA-Mitglied, nach 1945 Strafverteidiger bei verschiedenen Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen (er vertrat unter anderem den SS-Einsatzgruppenführer Otto Ohlendorf), Herausgeber der Memoiren Adolf Eichmanns und später Vorsitzender der ‚Stillen Hilfe‘, einer Organisation, die unter anderem NS-Täter in Gefangenschaft unterstützte. Siehe Schröm/ Röpke (2001), S. 79.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
„relative Unabhängigkeit“53 des VDA war so zwar zunächst gesichert, doch die NSDAP hatte den Verband nur aus außenpolitisch-taktischen Gründen nicht sofort umfassend gleichgeschaltet.54 Bossis Brief, der Bericht, die Vorschläge und sein mögliches Eingreifen auf der Versammlung dürften erheblich dazu beigetragen haben, den Druck auf die bereits bröckelnde VDA-Führung zu erhöhen. Als neuer Leiter sorgte Steinacher dafür, dass Südtirol nicht offiziell, aber über kulturelle Hilfsmittel außerordentlich stark gefördert wurde und zwischen 1933 und 1937 eine Verdopplung seiner Subventionen erfuhr.55 Das stieß der NS-Führung zunehmend übel auf. Die Parteispitze verlangte allerdings nie von Steinacher, „die Betreuung Südtirols aufzugeben“56. Sofern es verdeckt möglich war, wurde das offenbar geduldet – was die taktische Verschlagenheit der Verantwortlichen offenbart. Bossi blieb indes nur bis Sommer 1933 auf seinem Posten in der VDA-Verbandsführung.57 Doch seine guten Kontakte bewahrte er. Noch im Herbst 1935 berichtete er Hinkel, Steinacher habe sich ihm gegenüber um Hinkels „Protektorat über den VDA bemüht“. Jetzt auf einmal! Ich habe aber […] abgewinkt. Solltest Du allerdings ein Interesse habe [sic!], Deinen Einfluss auf den VDA bei gleichzeitiger Ausschaltung von dessen augenblicklichen Führern, im Sinne der NSDAP geltend machen zu wollen, so sage es mir, dann könnte man gleichzeitig mit der RJF [Reichsjugendführung], RIM [Reichsinnenministerium], Jung, Schubert und Krebs und Bohle 53 54
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Jacobsen (1970), S. 21. Der VDA wurde später Heß untergeordnet und spätestens ab 1936 demontiert. Siehe Gradwohl-Schlacher (2011), S. 249. Villgrater (1984), S. 259ff., bezeichnete es als „taktische Zwangslage“, dass der VDA das Auslandsdeutschtum halboffiziell enger an Deutschland band, ohne dass der NS-Staat damit in unmittelbaren Zusammenhang gebracht wurde. Insofern war der VDA so lange ein Mittel zum Zweck, bis die Nationalsozialisten es sich leisten konnte, die Volkstumspolitik selbst in die Hand zu nehmen, was mit Gründung der ‚Volksdeutschen Mittelstelle‘ auch geschah. Sie übernahm im Februar 1939 „endgültig die ‚Volkstumsarbeit‘ des VDA“. Nach Steinachers Entlassung 1937 versiegten auch die großen Geldströme nach Südtirol. Siehe Steurer (1980), S. 80f., Barbian (2014), S. 89 u. Devantier, Sven: Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs. Volksdeutsche Mittelstelle. Bestand R 59. Berlin-Lichterfelde 2011, S. 5. Hier findet sich der Hinweis, dass die Personalkarteien der ‚VoMi‘ und des VDA verbrannt sind, möglicherweise auch Unterlagen BFs. Im Bestand R8056 (VDA) finden sich keine weiteren Personalunterlagen. Villgrater (1984), S. 259. Vor allem Steinachers „Südtirol-Politik erweckte Hitlers Missfallen“. Siehe Gradwohl-Schlacher (2011), S. 249. Jacobsen (1968), S. 249, Fn. 18. Steinachers Abberufung steht so auch im unmittelbaren Zusammenhang mit der politischen Entwicklung zwischen Italien und Deutschland und dem Hinweis Mussolinis von 1937, den Deutschen in Österreich und der Tschechoslowakei freie Hand zu lassen, wenn Südtirol eine inneritalienische Angelegenheit bliebe. Ebd., S. 250. Personalkarte für BF, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton.
5.1 Ein Seitenwechsel – vom Volkstums- zum NS-Funktionär
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eine grosszügige Säuberungsaktion durchführen. Der Führer hat über den VDA (Führung) getobt! Heil Hitler! Dein Bossi.58
Auch noch knapp zwei Jahre nach seiner Spionage-Tätigkeit war Bossi der auffällig gut vernetzte Maulwurf des VDA geblieben, der sich dank seiner vertrauensvoll-gefestigten Zusammenarbeit mit Hinkel sogar dazu aufschwang, euphemistisch ‚großzügige Säuberungen‘ vorzuschlagen, die im NSJargon auf einer Skala zwischen Zwangsausgrenzung bis hin zum Mord verschiedene Bedeutungen annehmen konnten.59 Spätestens seit Anfang 1934 allerdings wurde der VDA „von vier Seiten ‚beschossen‘“60, ein typisches Kennzeichen der polykratischen Struktur des NS-Staates, in der viele Verantwortungsträger und Verbände um die Vorherrschaft auf ihrem jeweiligen Gebiet und die Gunst Hitlers kämpften.61 Bossi hatte seinen Teil zur ‚Frontlage‘ des VDA beigetragen, den „mancher Kritiker und rassisch Verfolgter des Dritten Reiches“ bis dahin noch als „eine Art Hort der ‚inneren Emigration‘“62 betrachtete. Dem Verband standen die Auslandsorganisation der NSDAP (A.O.), das RMI, die HJ, aber auch bereits einige Gauleiter und Theo Habicht gegenüber. Nach Bossis Brief an Hinkel zu urteilen, hatte sich das bis Oktober 1935 nicht grundlegend verändert. Zu Bossis opportunistischem Richtungsumschwung passte, dass er nach dem internen VDA-Seitenwechsel vom österreichischen NSDAP-Landesinspekteur Theo Habicht am 1. Juni 1933 als „Chef vom Dienst“63 (zunächst ehrenamtlich) 58
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Entnahmen aus: BF an Hinkel v. 15.10.1935, BArch R 9361-V/14885, Bl. 15. Wahrscheinlich bezog sich BF hier auf folgende Personen (bis auf Jung, zu dem nicht ermittelt werden konnte, um wen es sich handelt): Hans Krebs (1889-1947), sudetendeutscher NSFunktionär wie auch Leo Schubert (1885-1968) sowie Ernst Wilhelm Bohle (1903-1960), ab Mai 1933 (Rang eines Gauleiters) Chef der Auslandsorganisation der NSDAP (A.O.), später SS-Obergruppenführer. Siehe Klee (2015), S. 61f. u. 337, Jacobsen (1968), S. 201f. u. 711f. u. „Lebensbeschreibungen“ deutscher Reichstagsabgeordneter, hier: Schubert, Leo, http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00000147/image_301 [Zugriff: 03.10.2017]. Siehe auch Aschenauer (1981), S. 163. Zum Terminus der ‚Säuberungen‘ im Zusammenhang mit Ausgrenzung und Mord (u. a. zum ‚Röhm-Putsch‘) siehe Wehler (2010), S. 636ff., Kershaw (2010), S. 74 u. Dornheim (1998), S. 243. BF nutzte den Begriff später erneut im Zusammenhang mit der Liquidierung unliebsamer Kommunisten und Rotarmisten nach der Einnahme von Mogilew. Siehe Bericht Nr. 7 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 25.07.1941, PA AA, R 60704. Jacobsen (1968), S. 200. Hüttenberger (1976), S. 417ff. Siehe auch Longerich (1987), S. 14f. Jacobsen (1968), S. 199. Personalkarte, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Übersendung von Parteidienstzeiten, Gaupersonalamtsleiter T-V an Reichstatthalter T-V v. 03.10.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 68 u. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. Bei der Dienststelle handelte es sich um die Vertretung
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
in die Landesleitung Österreich der NSDAP berufen wurde.64 Hier gehörte es unter anderem zu seinen Aufgaben, Anträge auf Mitgliedschaft in der NSDAP anzunehmen.65 Habicht scharte eifrig eine Auslese von Getreuen“ um sich, „auf die er sich verlassen konnte“. Spätestens seit 1933 war er auch offiziell „‚Führer der österreichischen Nationalsozialisten‘“66, beauftragt, aus verschiedenen Parteiströmungen eine Einheit zu formen. Bossi arbeitete mit ihm offenbar sehr eng zusammen, möglicherweise sogar als dessen Sekretär.67 Er habe ihm „in jeder Beziehung werktätige Unterstützung angedeihen lassen“68. Wie Gauleiter Hofer dürfte es auch Habicht sehr recht gewesen sein, dass Bossi sich als altösterreichisch-südtirolischer Adliger für die NSDAP engagierte, mit Volkstumsarbeit auskannte und inzwischen mit wichtigen Verantwortungsträgern in Kontakt stand. Bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein sollten beide engen Kontakt halten. Das Büro der Landesleitung Österreich der NSDAP befand sich offenbar zeitweise im Berliner Hotel Adlon; davon berichtete der Leitartikel der Tiroler Anzeiger noch im Juli 1934 – und von den beiden Vorständen des Büros, die zusammen 16 Mitarbeiter führten: Dr. Fritz Rigele (Bevollmächtigter der Landesleitung Österreich und Schwager von Hermann Göring)
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der Landesleitung Österreich in Berlin. Wie bereits beschrieben, weist BFs Biografie an dieser Stelle eine hohe Ähnlichkeit mit der des Schriftstellers Hans Emil Dits auf. Siehe Gradwohl-Schlacher, Dits, Hans Emil (2011), S. 108ff. Theo Habicht (1898-1944) war ein aus Hessen stammender NSDAP-Funktionär, der sich nach kaufmännischer Lehre und dreijährigem Kriegsdienst (1915-1918, zuletzt als Leutnant) 1919 einem Freikorps in Berlin anschloss – „eine düstere, aber auch eine heroische und prägende Zeit“. 1926 trat er der NSDAP bei u. stieg vom Stadtratsmitglied bis zum Provinziallandtagsabgeordneten Hessen-Nassau (1930/31) auf. 1927 gründete er seine Zeitung Nassauer Beobachter, fungierte als Herausgeber sowie Redakteur, später auch beim Nassauer Tageblatt. Beide wurden schnell zu wirkungsvollen NSSprachrohren. 1931 zog er in den Reichstag ein. Im gleichen Jahr beauftragte Hitler ihn mit der „Reorganisation der NSDAP in Österreich als Landesgeschäftsführer“. Im August 1932 wurde er dort Landesinspekteur der NSDAP. Römer (2017), S. 11ff., 17 u. 75 (zitiert hier „Unterredung des Min.Dir. Köpke mit dem österreichischen Gesandten“ v. 23.02.1934, PA AA, R 73477). Römer beschreibt Habicht als narzisstischen, kampffixierten Mann, der sich selbst für eine historische Figur hielt. Siehe S. 13f., O. V.: „Rund um die Anleihe. Zurückweisung der Angriffe des Abgeordneten Kunschak gegen das Deutsche Reich“. In: Tages-Post v. 01.08.1932, S. 7 u. Keipert/Grupp (2005), S. 153. Behal (2009), S. 190. Entnahmen aus: Römer (2017), S. 17 u. 75, zitiert hier „Unterredung des Min.Dir. Köpke mit dem österreichischen Gesandten“ v. 23.02.1934, PA AA, R 73477. Anonyme Anzeige gegen BF, eingegangen am 16.10.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 261.626-St.B./1934-22/in genere. Hausinterne Mitteilung an die Kanzlei der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt Wien v. 18.12.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 339.858-St.B./193422/in genere.
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und Bossi, „gehört zur Habicht-Clique“69. Nach Rigeles Beurlaubung (offenbar Juni/Juli 1934) habe der die Leitung dann vollständig übernommen.70 Regelmäßig besuchte er Habicht und stand offenbar auch in engem Kontakt mit dem AA, das versuchte, diplomatische Schwierigkeiten auf kurzem Dienstweg zu verhindern. Als Bossi sich im Juni 1934 in München aufhielt, erhielt er einen Auftrag des Amts, einer Meldung über einen Sprengstofftransport nachzugehen und diesen zu verhindern. Die geheime Lieferung war offenbar von der Obersten SA-Führung bzw. der Landesleitung Österreich der NSDAP in München, möglicherweise also von Habicht, auf den Weg geschickt worden.71 Mit dessen Dienstantritt hatte sich der Ton der nationalsozialistischen Agitation in Österreich verschärft. Er war maßgeblich verantwortlich dafür, dass sich der Nachbarstaat nicht, wie von Hitler ursprünglich geplant, ‚von innen‘ zu einem deutschen Vasallen entwickelte, sondern sich zunehmend auf Konfrontationskurs zur NSDAP befand. Seit Januar 1933 strotzten Habicht und seine Leute ohnehin vor Selbstbewusstsein, steigerten ihre brutales und terroristisches Vorgehen und planten schon bald einen Umsturz.72 Wien ließ sich das nicht bieten, trat der NSDAP gegenüber entschieden und unnachgiebig auf. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich verschlechterten sich. Berlin, vom harschen Vorgehen gegen österreichische NS-Führer alarmiert, antwortete mit der „Einführung hoher Gebühren für den Touristenverkehr nach Österreich (1000 RM für Ausreise)“73, die sogenannte ‚Tausendmarksperre‘. Österreichs Kanzler Dollfuß führte daraufhin den Visumszwang für Deutsche ein und verbot die NSDAP am 19. Juni 1933.74 Habicht forderte daraufhin vom Radiosender seines Zufluchtsortes München aus zum „Sturz des österreichischen Bundeskanzlers“75 auf. Es zeigte sich allerdings bald, dass das Ausland nicht ohne Weiteres bei einem ‚Anschluss‘ Österreichs an Deutschland zusehen würde. Das
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O. V.: „Habicht und die Legion“. In: Tiroler Anzeiger v. 07.07.1934, S. 1. Siehe dazu auch O. V.: „Berliner Mitteilungen“. In: Kleine Volks-Zeitung v. 29.06.1934, S. 1. Holzmann (2018), S. 138. Auch im Artikel in der Kleinen Volks-Zeitung v. 29.06.1934 wird die Übernahme erwähnt. Dr. Hüffer, AA, an Ministerialdirektor Köpke, AA, v. 23.06.1934. PA AA, R 30398a, Geheimakten 58/5II, Österreich Pol 29, Dok. E453468. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Sprengstofftransport nach Österreich. Siehe auch Telegramm Rieth, AA, an Dr. Hüffer, AA, v. 22.06.1934, ebd., Dok. E453467. Römer (2017), S. 114ff. u. Schafranek (2011), S. 17f. Jacobsen (1968), S. 406. Vgl. Schafranek (2011), S. 29. Römer (2017), S. 116f. Vgl. auch Amann (1996), S. 82f. Entnahmen aus: Jacobsen (1968), S. 406. Siehe auch Rintelen, Anton: „Die Gründe der Erhebung am 25. Juli 1934“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 07.05.1941, S. 3.
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„Eingreifen Englands, Frankreichs und Italiens“76 führte dazu, dass Hitler die österreichischen NS-Führer mäßigen musste. Etliche Nationalsozialisten, darunter vor allem junge Männer, flüchteten über die Grenze nach Bayern.77 Die Agitation in Österreich verlagerte sich in den Untergrund. Dabei spielte auch das APA eine wichtige Rolle und organisierte gegen den Nachbarn gerichtete „Intrigen auf wirtschaftlichem Gebiet“78. Gleichzeitig entwickelte sich VDA-Reichsführer Steinacher zu einem der wichtigsten „Drahtzieher und Financiers“ der illegalen österreichischen NSDAP. Wenig später gelang es ihm, als Verbindungsmänner „im VDA angestellte, gebürtige Österreicher“79 einzusetzen. Eine Sonderausgabe der Wiener Reichspost portraitierte im August 1933 die wichtigsten Personen der geheimen NS-Untergrundarbeit. Die Zeitung legte eine „Verschwörung gegen Oesterreich“ offen, in der auch Bossi als Kurier und Netzwerker eine Rolle spielte. Seit Monaten hätten die Nationalsozialisten Presse, Verkehr und Wirtschaft sabotiert. Dazu seien auch Tarnbüros in Wien eingerichtet worden, die unmittelbaren Kontakt mit dem APA in Berlin hätten. Die Verbindung gehe schon daraus hervor, dass „in diesem Amte ein Bruder des Dr. Herbert Schneider namens Emil Schneider tätig“80 gewesen sei. Dokumente hätten gezeigt, dass sich in Bayern „illegale Formationen aus österreichischen Flüchtlingen“ für einen Umsturz formierten, ihnen voran Habicht, SA-Führer Hermann Reschny und Emil Schneider.81 Das APA, das sich in dieser 76
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Jacobsen (1968), S. 407f. Ausweis für Hitlers unstete Österreich-Politik in den ersten Monaten seiner Kanzlerschaft ist auch die Ernennung Habichts zum seinem „Sonderbeauftragten für Österreich“ im Frühjahr 1933 – und, dass er Erwin Schneider, den „österreichischen Vertreter des APA“, bis zu dessen Beurlaubung „im Sommer 1933 in sein Vertrauen zog“. Vgl. Römer (2017), S. 114. Bundeskommissariat für Heimatdienst (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Julirevolte. Wien: Selbstverlag 1934, S. 8. PA AA, Wien geheim 54. O. V.: „Die braune Gefahr“. In: Arbeiter-Zeitung v. 15.08.1933, S. 1f. BF könnte möglicherweise einer dieser Österreicher gewesen sein. Gradwohl-Schlacher (2011), S. 249. Steinacher vertrat allerdings eher den Gedanken, ein pangermanisches Großdeutschland mithilfe einer „friedlichen Volkstumspolitik“ statt einer „aktiven Revisionspolitik“ zu erreichen. Villgrater (1984), S. 259. Entnahmen aus: „Beilage. Text der Extra-Ausgabe der ‚Reichspost‘ von Montag, 14. August. Die Verschwörung gegen Oesterreich. Dokumente und Akten“. Reichspost v. 14.08.1933, S. 1 u. 4 der Beilage. Auch die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung v. 15.08.1933, S. 1, griff die Affäre unter dem Titel „Nazideutschlands geheime Wühlarbeit“ auf. Die aufgedeckten Dokumente seien „mehr als eine Sensation“. BF wird auch in dem Artikel ebenso wie in dem in der Reichspost genannt. Hermann Reschny (1898-1971), SA-Obergruppenführer, wurde in Wien geboren, diente während des Ersten Weltkrieges in der k.u.k.-Armee, trat schon 1921 der SA bei und wurde 1926 von Hitler zum Führer der österreichischen NSDAP ernannt. Ab Juli 1932 war er Führer der SA-Gruppe Österreich, seit 1933 MdR, nach dem Verbot der NSDAP
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Situation, auch durch die personellen Seilschaften, als Vermittlungsinstitution in Position gebracht hatte, brauchte Nachrichtenkuriere, die ein passendes Netzwerk besaßen und mit den ‚illegalen Formationen‘ in Bayern in Kontakt waren. Die Reichspost zitierte aus Briefen zwischen den Schneider-Brüdern, also zwischen den österreichischen NS-Truppen und dem APA: Gestern hatte Graf Bossi in VDA-Angelegenheit in München zu tun und hat dabei auch in meinem Auftrag die Landesleitung [Österreich der NSDAP] besucht. Er sagte, es wäre ein glänzender Eindruck gewesen, ihm wäre es wie nach Grillparzer – in deinem Lager ist Österreich – vorgekommen. Prachtvolle Burschen kommen in Scharen mit Rekrutensträußchen auf dem Hut angerückt – Kerle aus den Alpenländern, alle in tadelloser Form. Es ist schon eine hübsche Anzahl, der es an nichts fehlt, beisammen. Auch ich [E. Schneider] habe bisher 60 in Berlin gesammelt und sie hinuntergeschafft, alle Österreicher, um keinen außenpolitischen Verwicklungen entgegenzugehen im Falle des Ernstes.82
Damit zeigt sich, dass Bossi offenbar bereits früh auch an Umsturzplänen beteiligt war, zumindest von ihnen und der Aufgabe der geflüchteten Truppen in Bayern wusste. Sein Aufgabenbereich erstreckte sich nicht nur auf Berlin. Er stand zwar nicht in der ersten Reihe der illegalen österreichischen Nazis, war jedoch wichtiger und erneut durch den VDA getarnter Vermittler. Das zeigt die übergroße Nähe des Steinacher-VDA zur NSDAP und dem APA und die unmittelbare Verwicklung der hier wirkenden Funktionäre. Bossi kann als personifizierter Beleg dieses Netzwerks gelten. Der aufgedeckte SchneiderBriefwechsel war der nationalsozialistischen Führung in Berlin höchst unangenehm. Propagandaminister Goebbels, der damit auch über Bossis Rolle informiert gewesen sein dürfte, notierte am 25. August 1933: „Ich erläutere Gefahren von Rosenbergs Amt [APA]. Chef [Hitler] erkennt die auch. Verheerender Brief eines gewissen Schneider nach Berlin. Kompromittiert uns alle“83. Wenig später sprach Bossi in einer Rede vor österreichischen SA-Mitgliedern erneut davon, in ihrem ‚Lager sei Österreich‘. Die Textstelle stammt aus dem Gedicht ‚Feldmarschall Radetzky‘ von Franz Grillparzer und rühmt dessen militärische Erfolge. Es scheint, Bossi bezog sich in Verkehrung der historischen
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in Österreich bis zum ‚Anschluss‘ 1938 Führer der ‚Österreichischen Legion der SA‘. Im Zweiten Weltkrieg zuletzt Hauptmann, wurde er 1948 in Österreich zu 16 Jahren „schweren Kerkers“ verurteilt. Schafranek (2011), S. 443f. „Beilage. Text der Extra-Ausgabe der ‚Reichspost‘ von Montag, 14. August. Die Verschwörung gegen Oesterreich. Dokumente und Akten“. Reichspost v. 14.08.1933, S. 1 der Beilage. Fröhlich (2006), S. 253.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Ereignisse auf diese Passage, um die illegalen österreichischen NS-Aktiven von der Legitimität ihres Weges zu überzeugen und deren Ungeduld hinsichtlich des erwünschten ‚Anschlusses‘ zu zügeln. Radetzkys historische Leistung kann als einer der Wendepunkte zum Erhalt der europäischen Großmacht Österreich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Symbol für die Existenz des österreichischen Staates außerhalb eines gemeinsamen Deutschlands gelten: Man dürfe bei ihm keine wie auch immer geartete ‚großdeutsche‘ Sentimentalität erblicken. Denn seine militärischen Erfolge im Feldzug von 1848 erst haben die Voraussetzung zur restaurativen Niederschlagung der Erhebungen gegen das Erzhaus geschaffen – und damit jeglicher ‚großdeutschen‘ Perspektive die Basis entzogen.84
Solange ein eigenständiges Österreich besteht, würde man „auch einen Radetzky feiern“85. Bossis mehrfach bemüther Grillparzer-Bezug kann insofern nur als populistische Parole gelten, die darüber hinaus geringe Fähigkeiten der Reflexion zeitgenössischer historischer Zusammenhänge offenbart. Er instrumentalisierte Elemente der kulturell-kollektiven Identität Österreichs für die Motivation illegaler NS-Kräfte. Wahre Österreicher, so vermittelte er, hätten sich längst der NSDAP angeschlossen. Das war auch den österreichischen Sicherheitsbehörden früh bewusst geworden: Bossi war ihnen „dafür bekannt“, „dass er gegen Oesterreich eine absolut feindliche Stellung“ einnahm; er sei „fanatischer Feind Oesterreichs“86. Mitte August 1933 informierte der deutsche Gesandte in Wien, Kurt Rieth, den Berliner AA-Staatssekretär von Bülow, dass es schon seit Ende Juli streng geheime Gerüchte über eine in Bayern befindliche SA-Truppe aus Österreichern gebe, die bereits am 6. September „gegebenenfalls in Österreich verwendet werden“ sollte. Junge Österreicher überschritten seit Längerem die Grenze zu Bayern, um sich der bewaffneten Truppe anzuschließen. Das könne sich, so Rieth, sehr negativ auf die deutsche Österreich-Außenpolitik auch in Form ausländischer Interventionen niederschlagen. Habicht habe allerdings
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Birk (2009), S. 34 u. S. 37. Ebd., S. 31, zitiert hier Heller von Hellwald, Friedrich: Kurzer Lebensabriss des k. k. österreichischen Feldmarschalls Joseph Grafen von Radetzky. Nach authentischen Quellen. Wien: Sommer (1858), S. 339. Entnahmen aus: Erlass der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im österreichischen Bundeskanzleramt v. 19.10.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 261.626-St.B./193422/in genere.
5.1 Ein Seitenwechsel – vom Volkstums- zum NS-Funktionär
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beteuert, es gehe nur darum, dass die jungen Männer nicht „mittellos im Lande herumziehen“87. Während sich die Stimmung zwischen Deutschland und Österreich verschärfte, besuchte Bossi als Funktionär der österreichischen NSDAPLandesleitung Ende Oktober 1933 den „rechtsstehenden“88, mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Grüssauer Abt Albert Schmitt. Der hatte Kontakt auch zu Göring und sich von diesem bereits verschiedene Schritte zur „Entpolitisierung des Klerus“89 gewünscht. Der ihm ebenfalls bekannte deutsche Vizekanzler Franz von Papen bemühte sich ab Frühjahr 1933 darum, die katholische Kirche davon zu überzeugen, dass sie und die NSDAP gemeinsame Grundsätze verträten. Papen hatte schließlich zentralen, Schmitt einigen Anteil an der Entstehung des im Juli 1933 unterzeichneten Reichskonkordats. Es regelte das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche, garantierte ihr einen gewissen Schutz und Freiheiten, beschränkte jedoch die Kirchenarbeit auf „religiöse, kulturelle und karitative Zwecke“90. Geistliche und Ordensleute mussten sich fortan jeder politischen Betätigung enthalten. Der NSDAP war bewusst, dass man auch mit der katholischen Kirche in Österreich behutsam umgehen musste, wollte man die vielerorts streng religiösen Österreicher für sich gewinnen.91 Viele habe das Verhältnis der deutschen Regierung zum Katholizismus von einer Annäherung an die NSDAP abgehalten. Die Propaganda sei unter dem Credo „‚Man muss die Herzen gewinnen‘“ zu führen. Hohe deutsche Stellen sollten österreichische Errungenschaften in Kunst, Wissenschaft und Technik, außerdem die „Tapferkeit der deutschen Regimenter des alten Heeres“92 hervorheben. 87 88 89
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Entnahmen aus: Dokument 407 „Der Gesandte in Wien Rieth an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow“ v. 17.08.1933. ADAP (1971), Serie C, Bd. 1, Teil 2, S. 754-757. Malinowski (2003), S. 481. Lob (2000), S. 194ff. Schmitt sah in Papen offenbar den Politiker, der „die ‚Rechte‘“ zusammengebracht hatte. Der Abt sah es gegenüber Göring (und auch Papen) als notwendig an, den zweifellos vorhandenen Einfluss katholischer Geistlicher, auch gerade gegen die neuen NS-Machthaber, durch eine (gesetzliche) Regelung zu minimieren. Siehe auch Möckelmann (2016), S. 291ff., der das entsprechende Kapitel auch „Brückenschlag von Kreuz zu Hakenkreuz“ nannte. Kreuter, Maria-Luise: „Reichskonkordat“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 742. Bis heute scheint umstritten, ob mithilfe des Konkordats die Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz erkauft wurde. Das Konkordat wurde nach der Unterzeichnung am 10.09.1933 ratifiziert. Möckelmann (2016), S. 305. Entnahmen aus: „Memorandum zur Frage der Propaganda in Österreich“ v. (vermutl.) Herbst 1933, PA AA, Wien geheim 54. Siehe auch Malinowski (2003), S. 514. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: „Memorandum zur Frage der Propaganda in Österreich“ v. (vermutl.) Herbst 1933, PA AA, Wien geheim 54. Im Zusammenhang mit den übrigen in der Akte befindlichen Schriftstücken liegt nah, dass dieses Dokument im
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Daraufhin stellte Papen, möglicherweise auf Anregung Habichts, den Kontakt Schmitts mit Bossi als Vertreter der österreichischen NSDAP her. Der bat Schmitt am 21. Oktober, eine Broschüre über „‚die Stellung des deutschen Katholizismus nach dem Konkordat‘“ zu verfassen. Bossi und die österreichische NSDAP hielten das für notwendig, da ‚auch heute noch in Oesterreich der Kampf gegen den grossdeutschen Gedanken mit dem Argument geführt wird, dass die katholische Kirche in Deutschland nicht in genügendem Maße in ihren Auswirkungsmöglichkeiten gesichert sei‘.93
Knapp eine Woche später erschienen Bossi, Fritz Rigele und Dr. Karl Megerle94 („im Sonderauftrag für Österreich dem Propagandaministerium“95 zugeteilter Redakteur) bei Abt Schmitt zur einer persönlichen Besprechung. Zwar wurde die Broschüre fertiggestellt, doch Schmitt fiel nur noch die Aufgabe zu, den Entwurf zu kritisieren. Inwieweit und mit welchem Inhalt das Dokument zum Einsatz kam, ist nicht bekannt.96
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Zusammenhang mit den Enthüllungen der Reichspost steht. Hitler musste sich schon im Reichspräsidentenwahlkampf 1932 in Tatsachen und Lügen um Hitler gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, er sei ein „Feind der katholischen Religion“. „Wenn ein katholischer Geistlicher Hitler wählt, kann jeder gute Katholik, ohne in Gewissenskonflikte zu geraten, dies auch!“ Heß (1932), S. 13f. Lob (2000), S. 198f., zitiert hier einen Brief BFs an Abt Schmitt v. 21.10.1933. Eine solche Broschüre hielt Papen für geeignet, um sie „für die Katholiken im Saargebiet zu verwenden“, deren Entscheidungsfindung bei einer nahenden Abstimmung beeinflusst werden sollte. Der Briefwechsel BFs mit Schmitt ist derzeit nicht einsehbar. Er befindet sich im Archiv des ehemaligen Klosters Grüssau/Wimpfen, das heute im Freiburger Diözesanarchiv seiner Aufarbeitung harrt. „Da scheint nicht viel zu passieren“, schrieb (der inzwischen emeritierte) Abt Franziskus Heereman von der Abtei Neuburg. Siehe E-Mails Abt Franziskus Heereman an CP v. 09.09.2014 u. v. 23.11.2017. Woher Papen u. BF sich kannten, ist ungewiss. Karl Megerle (1894-1972), war ein aus Württemberg stammender Journalist, der nach Studium und geschichtswissenschaftlicher Promotion u. a. mit dem späteren RMVPStaatssekretär Walther Funk bei der Berliner Börsen-Zeitung tätig wurde. Seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied, arbeitete er seit Herbst 1934 in der Abteilung VII (Abwehr, Ausland) des RMVP als Propaganda-Referent, seit 1939 als „Ständiger Beauftragter des Reichsaußenministers für Fragen der Propaganda“ im AA u. nach 1945 wieder als Journalist. Siehe Klee (2009), S. 361, Lembke (2016), S. 160, Amann (1988), S. 102ff., Amann (1996), S. 120-127 u. Hermann (2011), S. 83. Lob (2000), S. 199. Ebd. Siehe auch Steinsträsser (2009), S. 147, die vermutete, dass dem aus Südtirol stammenden Grüssauer Pater Nikolaus von Lutterotti der Besuch der Delegation und der Name BFs nicht unentdeckt geblieben sein dürften. Sie nimmt an, dass Lutterotti u. BF sich persönlich, „gewiss aber vom Namen her“, kannten.
5.1 Ein Seitenwechsel – vom Volkstums- zum NS-Funktionär
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Derweil reduzierte sich die Zahl der aus Österreich flüchtenden Nationalsozialisten nicht. Auf deutscher Seite kümmerte sich die ‚Österreichische Legion der SA‘ um sie, die später zeitweise bis zu 10.000 Männer umfasste und an deren Aufstellung Habicht 1933 maßgeblich beteiligt war.97 Die österreichische SA hatte bis zum Parteiverbot noch den Rang einer ‚Gruppe‘ inne, danach war sie mit ihrem nach Deutschland verlegten Organisationsstab zur SA-Obergruppe VIII heraufgestuft, im März 1934 zur Obergruppe XI umbenannt worden und existierte in dieser Form bis Oktober dieses Jahres.98 Die Legionäre und die noch in Österreich befindlichen illegalen SA-Truppen (bis Juli 1934) bildeten Teile dieser Gruppe. Abgesehen von wenigen Sudetendeutschen, „einigen Südtiroler Deserteuren“ und kommandierten SA-Führern aus dem Reich bestand die Legion ausschließlich aus österreichischen Nationalsozialisten. Den Hass gegen das Dollfuß-Regime und maßlose Illusionen gegenüber dem ‚Aufbauwerk‘ im nationalsozialistischen Deutschland – diese beiden Elemente trugen tausende ‚einfacher‘ Legionäre in ihrem ideologischen Handgepäck, als sie nach der Illegalisierung der NSDAP ins Deutsche Reich flüchteten und der Österreichischen Legion beitragen.
Über 80% der Legionäre waren unter 30 Jahre alt, anteilig etwa gleich viele Mitglieder der SA und der NSDAP. Von diesen knapp 14.000 SA-Männern waren allein 1933 36% in die SA, von den rund 11.200 Parteimitgliedern 32% in die NSDAP eingetreten. Bis November 1933 wurden die Aufnahmen in die Legion hinsichtlich der Personalien und des Vorwirkens oft nicht überprüft. Um „‚unerwünschte Elemente‘“ fernzuhalten, richtete die Landesleitung Österreich seitdem Kontrollstellen in München und Berlin ein. Auf Vorschlag Heydrichs wurde dafür die Dienststelle eines „‚Österreichischen Sonderbeauftragten der Obersten SA-Führung‘“ geschaffen, dessen Personal hilfspolizeiliche Befugnisse erhielt. In einem bürokratischen „Wildwuchs“ entstand hier eine 97 98
Schafranek (2011), S. 22. Der Legions-Begriff wurde offiziell erst nach dem ‚Anschluss‘ 1938 verwendet. Siehe zur Entwicklung der Legion auch Holzmann (2018), S. 91ff. Die SA gliederte sich aufsteigend: Schar, Trupp, Sturm, Sturmbann, Standarte, Untergruppe, Gruppe (Obergruppe), Oberste SA-Führung. Schafranek (2011), S. 11. Die Gruppe bzw. Obergruppe Österreich innerhalb der SA umfasste jedoch nur einen „Bruchteil jener Mitgliederzahlen […], den viele ‚reichsdeutsche‘ SA-Gruppen oder Obergruppen bis 1934“ erreichten. Ebd., S. 13, Fn. 11. Vgl. „SA-Hilfswerklager, Beurteilung der am Gaskurse im HWL Fichtenhain teilgenommen habenden SA-Führer“ v. 18.10.1935 sowie einige weitere Dokumente in: BArch NS 23/167 u. NS 23/515, die die verschiedenen Bezeichnungen der österreichischen SA aufführen.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat Mini-Institution (mit eigenem Stempel und Briefkopf) mit der Bezeichnung ‚Der Beauftragte des österreichischen Sonderbeauftragten des Obersten SA-Führers Groß-Berlin‘ [sic!], die eine Art Verbindungsstelle zwischen dem in Berlin ansässigen Teil der NSDAP-Landesleitung und der SA-Obergruppe VIII bzw. XI darstellte.99
Die passende Besetzung musste der Sonderbeauftragte offenbar nicht lange suchen: Wahrscheinlich auf Vorschlag Habichts wurde am 14. November 1933 der SA Sturmführer der Obergruppe VIII Anton Graf Bossi-Fedrigotti […] zum Beauftragten des österreichischen Sonderbevollmächtigten des Obersten SAFührers mit dem Wirkungsbereich GROSS-BERLIN ernannt.100
Der war, obschon augenblicklich Sturmführer, erst fünf Tage zuvor Mitglied der Österreichischen Legion geworden und sollte seinen Dienstherrn künftig unterstützen, „das Ansehen der SA. in den Dienst des nationalsozialistischen Staatsaufbaus zu stellen“101. Dabei zählte es zu seinen Aufgaben, als Berliner Meldestelle für reisende Legionäre zu dienen, deren Bewegungen streng kontrolliert wurden.102 Bossi kam weitere Bedeutung bei der Konsolidierung des NS-Systems zu: Er wechselte in eine hauptamtliche Partei-Tätigkeit und arbeitete zeitgleich als NS-Landesleitungs-‚Chef vom Dienst‘ und als Beauftragter. Sein SA-Büro befand sich in der Wilhelmstraße 70a – dem Hotel 99
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Entnahmen aus: Schafranek (2011), S. 19, 37, 48 u. 71ff. Der auch von ihm bereits mit einem ‚sic‘ versehene Fehler bezieht sich auf die Titulatur, die korrekt folgendermaßen anzugeben gewesen wäre: ‚Der Beauftragte des Österreichischen Sonderbeauftragten der Obersten SA-Führung Groß-Berlin‘. Leiter der neuen Dienststelle wurde SA-Oberführer Löwe-Langer, Stellvertreter Dr. Hans Röhrich. Der Sonderbeauftragte war gleichzeitig Personalchef und Adjutant der österreichischen SA-Obergruppe, außerdem bayerischer Flüchtlingskommissar. Über die Einsetzung der neuen Beauftragten berichtete auch die Presse. Siehe dazu O. V.: „Nationalsozialistische Bevollmächtigte bei preußischen Behörden“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 08.11.1933, S. 2. Siehe außerdem Holzmann (2018), S. 131f. Ausweis der Ernennung BFs zum Beauftragten des österreichischen Sonderbevollmächtigten des Obersten SA-Führers v. Ende November 1933, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Hier zeigt sich auch, dass BF die falsche Titulatur bereits aus dem Ernennungsausweis entnahm. „Niederschrift über die am 20. Oktober 1933 stattgefundene Besprechung über die Verhältnisse der Sonderbevollmächtigten und Sonderbeauftragten“. BArch NS 23/210. Rein hierarchisch konnte die Oberste SA-Führung Sonderbevollmächtigte ernennen, die Sonderbeauftragte heranziehen konnten, die wiederum Beauftragte ernannten. Siehe „Bestellung und Aufgabe der Sonderbevollmächtigten und Sonderbeauftragten des Obersten SA-Führers“ v. Okt. 1933. Ebd. SA-Obergruppe VIII (Österreich): „Obergruppenbefehl Nr. 15“ v. 14.03.1934. BArch R 187/415. Siehe auch Holzmann (2018), S. 135.
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Adlon.103 Von hieraus dirigierte er also beide Aufgabenbereiche. Sein Parteiengagement hatte sich nun spätestens auch finanziell zu rentieren begonnen. Beide Posten füllte er bis Anfang August 1934 aus.104 Das Reichspropagandaamt Tirol sollte einige Jahre später feststellen, Bossi habe sich in diesen Jahren „begeistert der SA“105 gewidmet. Daneben hatte er sich Anfang November 1933 auch dem ‚Kampfring der Deutschösterreicher im Reich‘ angeschlossen und zählte zu einem der rund 40 prominenten Unterzeichnern des Gründungsaufrufes.106 Der Kampfring war eine Art Nebenorganisation der österreichischen NSDAP-Landesleitung, hatte sich „ganz der großdeutschen Idee und dem Anschlussgedanken verschrieben“107 und zielte darauf ab, den Sturz des Ständestaats zu beschleunigen. Der fortgesetzte Terror der NSDAP in Österreich führte 1933/34 dazu, dass sich das Land im Kampf um seine Eigenständigkeit nach neuen Verbündeten umsah.108 Bereits einige Jahre zuvor hatte der frühere Kanzler, Prälat Ignaz Seipel, eine ideengeschichtliche Entwicklung geprägt, die sich an einer übernationalen, antimarxistischen Europa-Ordnung unter christlich (-katholischer) Führung Österreichs orientierte.109 Dieser Ideen und des Plans eines der NS-Bewegung entgegenwirkenden, autoritären Regimes besann sich die österreichische Führung, je größer der Druck wurde. Mussolini, der daran interessiert war, das NS-Regime nicht bis zum Brenner vordringen zu lassen, 103 104
105 106 107 108 109
Ebd. Übersendung von Parteidienstzeiten BFs, Gaupersonalamtsleiter T-V an Reichstatthalter T-V v. 03.10.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 68. Der Rang eines SA-Sturmführers war mit dem eines Leutnants vergleichbar. Die Österreicher waren auch über diese Tätigkeit BFs (neben dem Reichspost-Artikel) gut informiert: „Er soll derzeit eine führende Rolle bei der ‚österreichischen Legion‘ in Bayern bekleiden“. Hausinterne Mitteilung an die Kanzlei der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Bundeskanzleramt Wien v. 18.12.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 339.858-St.B./1934-22/in genere. Siehe auch Holzmann (2018), S. 150. Hier lernte BF offenbar auch den österreichischen Schriftsteller Otto Gallian (18961940 (Sedan), Der österreichische Soldat im Weltkrieg (1933)) kennen, der zwischen 1936 und 1938 Leiter verschiedener Lager des HWNW wurde. Für diesen bürgte Bossi 1935 auch bei der Aufnahme in den ‚Reichsverband Deutscher Schriftsteller‘. Siehe dazu Gradwohl-Schlacher (2018), S. 255ff. RPA T-V an RMVP v. 20.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 21f. O. V.: „Der Kampfring der Oesterreicher im Deutschen Reich“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 08.11.1933, S. 2. Heinzel (2016), S. 78. Nach dem Juliputsch 1934 musste sich der Kampfring in dieser Form auflösen. Siehe Garscha (2014), S. 104f. Jagschitz (1983), S. 498, Schausberger (1988), S. 4 u. Haas (1988), S. 2. Ebd., Kriechbaumer (1988), S. 22ff., Schmidt-Dengler (1983), S. 644 u. Haas (1988), S. 3.
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bot sich als neuer Verbündeter an, sofern Österreich bereit war, die Sozialdemokratische Partei zu verbieten.110 Daraufhin schaltete Kanzler Dollfuß im Februar 1934 eine der wenigen starken politischen Kräfte aus, die ihm gegen die Nationalsozialisten noch zur Seite hätte stehen können.111 Ermächtigungsgesetze, die die Ausschaltung des Parlaments besiegelten, nicht wiederbesetzte Stellen am Verfassungsgerichtshof und die Verfassungsänderungen im April und Mai 1934 hatten schließlich den austrofaschistisch-katholischen Ständestaat entstehen lassen, in dem die ‚Vaterländische Front‘ als Einheitspartei die Staatsgeschicke lenken sollte.112 Österreich, künftig nicht nur geographisch in einer „Zange zwischen Rom und Berlin“113, besann sich auf Seipels Anspruch, der zweite, „bessere deutsche Staat“114 angesichts nationalsozialistischer Barbarei zu sein. Über Südtirol ging diese Identitätsfindung hinweg, die allmähliche „politische Rechtsverschiebung“ in Deutschland und Österreich jedoch nicht.115 Eine „radikalere antiitalienische Opposition“116 gewann besonders 1933 an Boden. Nur wenige Wochen nach der Konsolidierung des Ständestaats sah die deutsche SA unruhigen Zeiten entgegen. Durch Ernst Röhm als Chef des Stabes der SA war die Organisation seit 1930 von 70.000 auf bis zu 4,5 Millionen Mitgliedern 1934 angewachsen. Doch die weitgehende Eigendynamik seines Vorgehens, seine starke personelle Macht und die zunehmende Opposition der SA zur Reichswehr, die Hitler an sich gebunden wissen wollte, missfielen dem ‚Führer‘ und anderen prominenten Nationalsozialisten.
110 111 112 113 114 115 116
Schausberger (1988), S. 5f. u. Steininger (2004), S. 123 u. Lill (2016), S. 421f. Garscha (1988), S. 55. Jagschitz (1983), S. 498ff. Siehe auch Aicher, Martina: „Vaterländische Front (Österreich)“. In: Benz (2012), S. 618-621 u. Schafranek (2011), S. 147. Gehler (2004), S. 43. Vgl. Schreiber (2008), S. 366. Kriechbaumer (1988), S. 23f. Vgl. Jarka (1981), S. 509 u. Amann (1990), S. 62ff. Vgl. Corsini/Lill (1988), S. 203: „Deutscher, nicht österreichischer Patriotismus bildete die Grundlage“ neuen oppositionellen Denkens in Südtirol. Entnahmen aus: Corsini/Lill (1988), S. 203. Nach dem Verbot des ‚Deutschen Verbandes‘, der offiziellen Südtiroler Interessenvertretung, organisierten sich bereits unter völkischen Vorzeichen verschiedene Jugendgruppen im ‚Gau-Jugend-Ring‘ (GJR). Bis 1933 gelang es nicht, die politische Führungsrolle nicht übernehmen, erst als Hitler 1933 in Deutschland die Macht übernahm und der GJR sich zu einem Ableger der NSDAP entwickelte. Seit Mitte 1933 im Selbstverständnis bereits eine Bewegung, nannte man sich zunächst ‚Südtiroler Heimatfront‘ und ab 1934 ‚Völkischer Kampfring Südtirols‘ (VKS). „Es ging um die ‚Durchdringung des Südtiroler Volkes mit der nationalsozialistischen Weltanschauung‘“. Steininger (2017), S. 74ff. Vgl. Corsini/Lill (1988), S. 206ff.
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Unter dem Vorwand, mit dem Ausland konspiriert und Umsturzpläne gehegt zu haben, wurden vom 30.6.-2.7.1934 mindestens 85 SA-Führer und Regime-Gegner von der SS ermordet117,
darunter auch Röhm. In den darauffolgenden Wochen wurden – meist willkürlich – SA-Formationen misstrauisch nach ‚Putsch‘-Unterstützern überprüft. Denunziationen waren an der Tagesordnung. Die Ereignisse führten auch dazu, dass die SA empfindlich auf ihr Ansehen achtete. Am 20. Juli 1934 schickte Bossi als ‚Beauftragter des österreichischen Sonderbeauftragten‘ ein erregtes Schreiben an den SA-Oberführer Graf Kirchbach.118 Ein Gestapo-Beamter hatte sich einem seiner Untergebenen gegenüber geweigert, beschlagnahmte Akten zu überreichen und noch einen saloppen Kommentar zum Zustand der SA nach dem ‚Röhm-Putsch‘ hinzugefügt. Die Reaktion des Mannes, den Bossi namentlich nannte, sei „eine Beleidigung nicht nur der höheren Führer der SA, sondern der gesamten SA und im besonderen [sic!] der österreichischen SA“. Er forderte, „schärfstens vorzugehen und eine strenge Bestrafung“ einzuleiten, denn solche Bemerkungen „verwunden und beleidigen unsere Kameraden“119. Möglicherweise war das nicht der einzige Fall, in dem Bossi half, kritische Kommentatoren zur Rechenschaft zu ziehen. In seiner Personalakte aus dem Tiroler Landesarchiv befand sich offenbar einst auch sein SA-Ausweis, der als Aufgabe „SD-Beratung“120 vermerkte. Es könnte also zu seinen Aufgaben gehört haben, dem Sicherheitsdienst der SS auffällige Personen in den eigenen Reihen zu melden. Im Frühsommer 1934 erreichte der NS-Terror in Österreich seinen Höhepunkt. Die Wiener Polizei zählte „innerhalb von rund zwei Monaten 155 Anschläge“121. Am 25. Juli 1934 schließlich überfiel ein verkleidetes SS-Kommando das 117 118 119 120
121
Nebelin, Manfred: „Röhm-Putsch“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 767ff. Vgl. Klemperer (2015), S. 282f. Hans Hugo Graf von Kirchbach (1887-1972) war seit 1931 Mitglied der NSDAP und SA, bis August 1934 „nach Reschny der zweite Mann in der Legion“ und Stabsführer im Rang eines SA-Oberführers. Schafranek (2011), S. 32 u. 420. Entnahmen aus: Der Beauftragte des österreichischen Sonderbeauftragten des Obersten SA-Führers Groß-Berlin, Bossi-Fedrigotti, an SA-Obergruppe XI (Gruppe Österreich), Oberführer Graf Kirchbach, v. 20.07.1934. BArch NS 23/210. „Verzeichnis der aus dem Personalakt des Anton Bossi-Fedrigotti entnommenen und an Dr. Schreckenthal übermittelten Dokumente“. Dabei handelt es sich um eine handschriftliche Auflistung von Dokumenten, die für die spätere Laufbahn BFs wichtig wurden und deshalb an andere Ämter weitergeleitet wurden. Wo sich der SA-Ausweis heute möglicherweise befindet, ist ungewiss. Er ist in diesem Verzeichnis mit der Aufgabe „SDBeratung“ angeführt. TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Römer (2017), S. 116.
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österreichische Bundeskanzleramt und schoss Dollfuß nieder, der eigentlich als Geisel hatte herhalten sollen, aber Stunden darauf starb.122 Der Umsturzversuch, an dessen Planung und Ausführung Habicht umfassenden Anteil hatte, war verraten worden, sodass sich die NS-Untergrundformationen in beinah allen Teilen Österreichs mit starker Gegenwehr konfrontiert sahen. Außerdem verlegte Mussolini Divisionen an die Brennergrenze. Die Österreichische Legion, kurzzeitig bereits ausgerückt, musste wieder in ihre Kasernen zurückkehren.123 Spätestens am 30. Juli war der Putsch endgültig niedergeschlagen. Goebbels sprach noch weitaus später von der „‚Habichtkatastrophe‘“: Hunderte von Toten. Habicht endgültig aus bei Hitler. Göring und ich geben ihm den Rest. Legion aufgelöst. Ebenso Landesinspektion. In Österreich größtes Durcheinander. Wutanfälle gegen Italien. […] Habicht gehört an die Wand.124
Tatsächlich bewogen die Ereignisse Hitler, auf weitere Gewalt gegenüber Österreich zunächst zu verzichten und die Legion endgültig von der Grenze abzuziehen – sie jedoch nur scheinbar aufzugeben. Auch die Landesleitung Österreich der NSDAP verlor ihren Status und war auf Befehl Hitlers „sofort aufzulösen“. Für deren Angehörige wurde „entsprechend gesorgt“. Hierin ist auch der Grund für das Dienstende Bossi-Fedrigottis als Chef vom Dienst Anfang August 1934 zu betrachten. Die Abwicklung und simultan verlaufende „Organisation des Hilfswerks für Österreichische Flüchtlinge […]“125 übernahm die SS. 122 123 124
125
Ebd., S. 39 u. 118. Schafranek (2011), S. 153ff. Entnahmen aus: Römer (2017), S. 40, zitiert hier Fröhlich, Die Tagebücher von Joseph Goebbels (2005), Eintrag v. 30.07.1934. Offiziell interpretierte die NSDAP die Ereignisse als „Notwehr des von seiner verfassungswidrigen Regierung in seiner nationalen und sozialen Empfindung schwer getroffenen Volkes“. Rintelen, Anton: „Die Gründe der Erhebung am 25. Juli 1934“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 07.05.1941, S. 3. Das miserable Führungsverhalten der österreichischen SA-Führer und der misslungene Putsch hätten darüber hinaus zu einer „Schädigung des Ansehens der Österreicher im Reich“ geführt. „Die zuerst mit offenen Armen aufgenommenen Österreicher sind heute durch das Auftreten ihrer Führer in Misskredit gebracht worden, und mit ihnen auch Österreich überhaupt“. „Stellungnahme der österr. SA gegenüber den ehemaligen Führern“ v. 1934. BArch NS 23/1070. Entnahmen aus: „Anordnung“ v. 03.08.1934, BArch NS 8/177, Bl. 155. Obwohl Hitler angeordnet hatte, sich nicht weiter in innerösterreichische Angelegenheiten einzumischen, blieb Reschny aktiv und hinderte die „Überführung“ der Mitglieder der österreichischen Legion „in andere Formationen bezw. in Zivilberufe“. Aufzeichnung Gesandter v. Altenburg f. Ministerialdirektor Köpke v. 29.11.1934, PA AA, Wien geheim 54. Vgl. Amann (1996), S. 115ff.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
5.2
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Schriftstellerische Anfänge
„Wären wir Deutsche doch allein an dieser Front“126 – Standschütze Bruggler Seit Mitte der 1920er Jahre stieg die Zahl der Publikationen, die den vergangenen Krieg verherrlichten, stark an.127 Worte waren zwar bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg schon „als Waffen ins Feld der Literatur“ geführt worden. Doch im ‚Dritten Reich‘ sollten Kriegsbücher schließlich zum „Paradesujet sondergleichen“ aufsteigen. Der NSDAP kam die Entwicklung also gerade recht, besonders ab Januar 1933, als sie schließlich, „ihrem Selbstverständnis zufolge in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges geboren“128, kulturpolitische Gestaltungsmacht besaß und sich im Rahmen des institutionellen Staatsumbaus anschickte, auch den Buchmarkt und die Bedingungen literarischer Produktion umzugestalten. Die Handlungen und Handelnden der kriegszentrierten Neuerscheinungen boten so auch einen Faktor ideengeschichtlicher Wegbereitung für den Nationalsozialismus. Texte sollten fortan vor allem Mittel zum Zweck sein, Propaganda transportieren, den weltanschaulichen Führungsanspruch legitimieren (oder ihn zumindest nicht negieren) und gleichzeitig, gut vermarktet, finanzielle Einkünfte generieren.129 5.2.1
An die Stelle des ‚individualistischen‘ Prinzips sollte das völkische treten, an die Stelle eines weitgehend staatsfreien Kulturlebens eines, das der Sphäre des Staates eingeordnet war, an die Stelle des freien künstlerischen Schaffens der Dienst an der ‚Volksgemeinschaft‘ […].130
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Bossi-Fedrigotti (1934), S. 114. Ketelsen (1976), S. 69ff. Er geht hier auch auf eine von ihm so bezeichnete ‚Bürgerkriegsliteratur‘ ein, deren Texte dazu dienten die auf der Straße ausgetragenen Auseinandersetzungen „zum nationalen Entscheidungskampf“ zu stilisieren, während die rettenden Nationalsozialisten gegen alle ‚Roten‘ antraten. Entnahmen aus: Lungershausen (2017), S. 1f., 3 u. 8. Siehe auch Adam (2010), S. 137, Ketelsen (1976), S. 79f., Prümm (1976), S. 138 u. Wippermann (1976), S. 183. Adam (2010), S. 118 u. 216. Vgl. Barbian (2010), S. 22, Amann (1996), S. 78ff., Wippermann (1976), S. 184 u. Wittmann (2015), S. 296. Dahm (1986), S. 56. Vgl. Düsterberg (2015), S. 119 u. Vallery (1983), S. 152f. Siehe auch Amann (1996), S. 82f.: Diese Auswirkungen der NS-Machtübernahme auf den Literaturbetrieb erstreckten sich auch auf Österreich; 90% der von dort stammenden Schriftsteller publizierten auf dem deutschen Buchmarkt. Zum ihrem Anteil siehe auch Hall (1990), S. 166.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Der mit staatspolitischer Bedeutung aufgeladene Literaturapparat und die Schriftsteller erfuhren eine enorme Prestigesteigerung. Es stellte sich jedoch noch die Frage, welche von ihnen bereit waren – je nach dem Maß der „Begabung und […] Bereitschaft“ – sich als „literarische Parteiideologen einspannen zu lassen“131. Geltungsdrang und materielle Träume ließen sich plötzlich leichter bedienen und erfüllen, vorausgesetzt man war bereit, sich in den Dienst zu stellen oder zu arrangieren. Viele Autoren und Verlage entdeckten entsprechend ihre „nationalsozialistische Ader“132. Offizielle Buchpolitik und tatsächlicher Lesekonsum unterschieden sich allerdings durchaus.133 Neben weltanschaulicher Beeinflussung waren Unterhaltung und Zerstreuung zentral.134 Um im NS-Staat zu veröffentlichen, war man nicht gezwungen, „Völkisches, Chauvinistisches, gar Rassistisches und Antisemitisches zu schreiben“135. Bossi-Fedrigotti hatte, besonders seit er in Berlin lebte, stets der Spott der ehemaligen deutschen Verbündeten über die Unzuverlässigkeit der österreichischen Weltkriegssoldaten geärgert, die „Ueberheblichkeit bestimmter Kreise und das Gerede vom ‚Kamerad Schnürschuh‘“136. Häme und Spott rekurrierten dabei auf Kriegserzählungen und die Schulddebatte nach 1918.137 Das österreichische Heer hatte tatsächlich einige Rückschläge erlitten und 131 132 133
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Entnahmen aus: Amann (1996), S. 103. Siehe auch S. 116ff. Entnahmen aus: Adam (2010), S. 128. Schütz (2015), S. 95 u. 98. Man könne, so Schütz, von bilateralen „Annäherungs- und Adaptionsschritte[n]“ sprechen: Autoren und Leser näherten sich den Forderungen des Regimes an, „die Parteieinstanzen ließen sich aus pragmatischen oder taktischen Gründen auf die Bedürfnisse der Buchwirtschaft und der Leser ein“. Barbian (2010), S. 16 u. 482f., Adam (2010), S. 85ff. u. Schütz (2015), S. 96ff. Schütz (2015), S. 98 u. 101. Der Nationalsozialismus habe dann auf eine „Riege jüngerer Autoren“ bauen können, „die sich nur mehr als Künder und Sänger des einen, wahren Führers und nationalsozialistischen Glaubens verstanden. Geboren meist in den Jahren unmittelbar nach 1900, oft nicht mehr Kriegsteilnehmern, öfters aber dann in Freikorps, priesen sie den Nationalsozialismus, Volk und Nation, Krieg, Bauern- und Soldatentum in Sprechchören und Liedern, Oden und Hymnen, Tragödien und Epen“. Vgl. dazu auch Düsterberg (2018), S. 55: Man hatte es möglicherweise „leichter, wenn man weltanschauliche Gemeinsamkeiten mit dem Regime ‚entdeckte‘“. Entnahmen aus: O. V.: „Anton Graf Fedrigotti 65 Jahre. Er schrieb das Hohelied der Standschützen“. In: Dolomiten v. 06.08.1966, S. 13. Vgl. Waldner (1990), S. 35. Schon im Mai 1914 hatte der deutsche Botschafter in Wien notiert, ob es Sinn mache, sich „so fest an dieses in allen Fugen krachende Staatengebilde […] anzuschließen und die mühsame Arbeit weiter zu leisten, es mit fortzuschleppen‘“. Urbach (2016), S. 81, zitiert hier Botschafter Heinrich v. Tschirschkys an AA-Staatssekretär Gottlieb v. Jagow v. 22.05.1914. In: Mommsen, Hans: War der Kaiser an allem schuld? Wilhelm II. und die preußisch-deutschen Machteliten. Berlin: Propyläen 2002, S. 384. Kurz vor Kriegsende 1918 wuchs die Anzahl der „Desertionen im k. u. k.-Heer beunruhigend und betrug
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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auf die deutschen Verbündeten zurückgreifen müssen. Das in Deutschland populäre Dolchstoßlegenden-Motiv der ‚im Felde unbesiegten‘ Armee konnten die Österreicher nicht ohne Weiteres für sich in Anspruch nehmen.138 Bossi allerdings hatte die Front in Südtirol erlebt, wo die Kämpfe als unmittelbare Bedrohung wahrgenommen wurden, und es gelang, mit vergleichsweise geringen Ressourcen das Land zu verteidigen. Spott und Geringschätzung der k.u.k.-Soldaten dürften so kaum mit seinen Erinnerungen und Erfahrungen übereingestimmt haben. Diese Widersprüche boten Anlass, Erfahrungen und Erlebnisse zu Papier zu bringen. Im Frühjahr 1934 erschien im Berliner ‚Zeitgeschichte‘-Verlag von Wilhelm Andermann Bossis erster Roman Standschütze Bruggler, der schnell zum „Tiroler ‚Hausbuch‘“139 avancierte. In einem Radiointerview zu seinem 80. Geburtstag gab der Autor Auskunft zur Vorgeschichte. In Norddeutschland habe er oft festgestellt, dass sie dort einen vollkommen falschen Eindruck von der Leistung des österreichischen Soldaten gehabt haben. Und das hat mich geärgert. Und da hab’ ich mich hingesetzt, und hab’ gedacht, ich muss einmal alles niederschreiben, was wir damals als junge Burschen erlebt haben in unserem Dorf, das ja auch beschossen worden ist von der italienischen Artillerie – wir sind ja mitten im Frontgebiet gelegen – und da hab ich dann eben alles niedergeschrieben. […] Und da sind natürlich auch die Gestalten, die bei uns im Dorf bekannt waren, […] natürlich auch in meinem Roman irgendwie wiedererschienen und genannt worden und ich hab diese Typen dann auch beschrieben als Standschützen.140
An die zentrale Rolle des Filmproduzenten Peter Ostermayr, der „volkstümliche Filme für die UfA“ drehte, erinnerte er sich allerdings weniger genau. In diesem
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230.000 Mann“, etwa 5% des Personalbestandes. Stein (2002), S. 32 u. 37. Siehe ebenso Forcher (2014), S. 378ff. Siehe zur ‚Dolchstoßlegende‘ und dem Topos der angeblich unbesiegten Armee Leonhard (2014), S. 578, 594, 880, 916 u. 933. Riedmann (2001), S. 200. Bruggler erschien offenbar im März oder April 1934, das legt ein Verlagshinweis in Der Südtiroler v. 01.05.1934 nahe. O. V.: „Das deutsche Buch“. In: Der Südtiroler v. 01.05.1934, S. 7. Im Zeitgeschichte-, nach 1945 Wilhelm-Andermann-Verlag erschien „gesinnungsstarke Belletristik in hohen Auflagen“ (Wittmann (2015), S. 329), darunter auch die Millionenauflagen Karl Aloys Schenzingers u. fünf Texte BFs: Standschütze Bruggler (1934), Das Vermächtnis der letzten Tage (1937), Wir kommen, Kameraden! (1938), Christian, der Grenzgänger (1951) u. (als Lizenzausgabe 1960) Die beiden Teraldi (1951). Siehe auch O. V.: „Schenzinger. Berichten, was los ist“. In: DER SPIEGEL v. 23.05.1951, S. 32f. Siehe Barbian (2010), S. 408. „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Siehe auch Ziesel (1940), S. 72.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Fall wurde nämlich eine Filmidee „zum Anreger des Buches“141. Bei einer Beratung mit Ostermayr über neue Filmstoffe habe Bossi Aufzeichnungen aus seiner Jugend über Erlebnisse bei den Standschützen erwähnt, die 1931/32 entstanden sein sollen. Der Filmproduzent erbat sich daraufhin das Manuskript. Als er es gelesen hatte, sei ihm klar geworden, dass „dieser Stoff einen prachtvollen Film abgeben würde“142. Er überredete Bossi „zur raschen Vollendung seines ersten Buches“143. Standschütze Bruggler handelt von dem erst 16-jährigen Priesteranwärter Anton (Toni) Bruggler, der im Mai 1915, nachdem Italien Österreich den Krieg erklärt hatte, in Erfüllung des ‚Landlibells‘ rekrutiert, einer Standschützenkompanie zugeteilt, an die heimatnahe Front versetzt, verwundet und in ein Pflegeheim nach Brixen, der Stadt seines Priesterseminars, verlegt wird. Dort verliebt er sich in die preußische Offizierswitwe Hella von Teuff, Leiterin des Heims, die in ihrem Haus als Krankenschwester Dienst leistet. Nach seiner Genesung wieder an der Front, muss Bruggler erkennen, dass die Tiroler die einzigen sind, die ihre Heimat mit allen Mitteln verteidigen, während andere ethnische Soldatengruppen kaum eine Motivation zum Abwehrkampf zu
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O. V.: „Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf Bossi-Fedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘“. In: Berliner Börsen-Zeitung v. 24.10.1936, S. 10. Vgl. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘. Welturaufführung im Ufa-Palast“. In: Koelnische Zeitung v. 03.09.1936, o. S. H.H.: „Standschützen auf der Wacht“. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 05.03.1936, o. S. Entnahmen aus: O. V.: „Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf Bossi-Fedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘“. In: Berliner Börsen-Zeitung v. 24.10.1936, S. 10. Vgl. Heil de Brentani, Mario: „Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ wurde“. In: Die Mitteldeutsche v. 05.04.1936, o. S. u. Alexander (1995), S. 239. Peter Ostermayr (1882-1967), Filmpionier und –produzent, gründete schon 1909 die „Münchner Kunstfilm Peter Ostermayr“, aus der später die Münchener Lichtspielkunst GmbH (Emelka) hervorging. Ostermayr diente im Ersten Weltkrieg 1915 als „Soldat des bayerischen Leibinfanterieregimentes“ in den Dolomiten. Möglicherweise hatte BF ihn dort kennengelernt. Der Romanhintergrund lag ihm also keineswegs fern und so habe er sich „dafür sofort begeistert und dann gesagt: Da is’ a Stoff, das ist das, was ich machen will“. Siehe „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Ostermayr besaß Exklusivrechte zur Verfilmung der Stoffe Ludwig Ganghofers, sodass er „zum Initiator des Heimatfilmgenres“ avancierte. Von 1934 bis 1941 war er „Vertragsproduzent für die UfA“. Nach 1945 zunächst ohne Arbeitserlaubnis, stieg er 1950 wieder ins Filmgeschäft ein und wurde kurz darauf Ehrenpräsident der aus seiner Emelka hervorgegangenen, bis heute bestehenden „Bavaria-Filmkunst“. Jacobsen, Wolfgang: „Ostermayr, Peter“. In: Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1999), S. 620f. Siehe auch Alexander (1995), S. 251.
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zeigen scheinen. Schließlich fällt er, mit der silbernen Tapferkeitsmedaille zweiter Klasse ausgezeichnet, in einem Gefecht.144 „Aus dieser, in seiner Art vom übrigen Fronterlebnis des Weltkrieges vielfach ganz verschiedenen Welt“ spreche „der junge Tiroler Schütze nun zum deutschen Menschen der Nachkriegszeit“ (6), schreibt Autor Bossi in seinem Vorwort.145 Er teilt die Menschen auf diese Weise schon zu Beginn in zwei Kategorien: die Deutschen und die Anderen. Außerdem erläutert er die historische Situation Tirols im Ersten Weltkrieg, das Landlibell und die gestalterische Rahmung der Handlung, indem er die „Freiheit des Schriftstellers“ für sich reklamiert, gleichzeitig aber auf „echte, dem Inhalt zugrunde liegende Tatsachen“ (6) verweist. Damit bedient sich sein Roman „bestimmter Fiktionssignale“, verzichtet aber dennoch nicht auf den „authentifizierenden Gestus eines ‚eigenen Erlebnisses‘“146. Der Autor gewinnt so zwei „Rückzugsräume: die Fiktion, wo ihn der Vorwurf erzählerischer Ungenauigkeit nicht erreicht, und die Authentizität, wo ästhetische Kriterien keine Geltung haben“147. Bei Bruggler handelt es sich allerdings nicht um einen autobiografischen Roman, wenngleich Bossi entsprechende Elemente einzuflechten wusste, wie den Vor- und Spitznamen seines Protagonisten, der als Ich-Erzähler berichtet und Erlebnisse in einem Tagebuch und in Briefen an seine Verehrte festhält.148 Dessen Äußerungen werden nicht näher erläutert oder kommentiert, vielmehr die Motive und sich entwickelnden Gedanken des Protagonisten ungefiltert und unreflektiert wiedergegeben.149 Die Handlung einleitend steht Brugglers Mutter in der Tür und hält „ihre von der Arbeit geröteten groben Hände“ (7) vor sich. Häufig werden die Tugenden der starken, tapferen, aufrechten und tief mit ihrem „Hoamatl“ 144 145
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Vgl. zur folgenden Analyse Penning (2015), S. 59-66. Zur Übersichtlichkeit werden die Seitenziffern der angeführten Textstellen dieser und weiterer Publikationen BFs stets hinter den unmittelbaren Entnahmen vermerkt. Habitzel (1990), S. 14, geht (wie andere) fälschlicherweise davon aus, dass BF eigene Fronterfahrungen in Bruggler verarbeitete. Entnahmen aus: Lungershausen (2017), S. 32. Vgl. dazu auch Prümm (1976), S. 141, der diesen Anspruch als typisches Kriterium eines Weltkriegsromans identifizierte. Das gilt auch für viele andere Texte BFs, wobei er nie wieder so deutlich reale Hintergründe einleitet. Siehe Lungershausen (2017), S. 94, der darauf hinweist, dass die stetige Abnahme solcher ‚Echtheitserklärungen‘ als Rechtfertigungsbelege in Kriegsprosatexten nach 1932 darauf schließen lässt, dass sich das Genre allmählich „im nationalsozialistischen Literatursystem“ etablierte. Siehe auch S. 95. Vgl. beispielsweise Korrespondenz zwischen Alfred Strobel u. BF zwischen September 1966 und März 1974. Brenner-Archiv, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 1-15. Vgl. auch Waldner (1990), S. 66. Siehe außerdem Prümm (1976), S. 143: „Die Reduktion der Erzählperspektive wird zum wesentlichen Mittel der Idealisierung […]“.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
(304) verwurzelten Tiroler Bergbauern hervorgehoben: „Ich drücke und biege die Finger des Verwundeten. Was das für harte, knochige Bauernhände sind!“ (92). Bei anderer Gelegenheit berichtet er von der uralten Verwurzelung dieser „harten Bergbauern“ (82) in ihrer Heimat: „Wir leben bald seit tausend Jahren auf unseren Höfen“ (31, 11). Der Roman lebt vom „Mythos des von Natur aus kräftigen und mit Siegesbewußtsein ausgestatteten Tiroler Kämpfers“. Der Gebirgskampf scheint so hart, „daß es dieser Naturen bedarf“150. Mit solchen Symbolen „rassischer und agrarischer Identität“ gespickt, offenbaren die ersten Seiten bereits Blut-und-Boden-Topoi, die gleichzeitig als „Anschauungs- und Verständigungsformen literarischer VolksGemeinschaft“151 dienen. Durch die Natur als harte und widerstandsfähige Bauern auf ihren Erbhöfen152 geprägt und vermeintlich für die Besiedelung genau dieses Gebietes vom Schicksal auserkoren, wird mit der Betonung des Tiroler Bauerntums und der mehr als tausendjährigen Verwurzelung mit dem Land eine mythisch überhöhte Verbindung zwischen dem Territorium und den darauf lebenden Menschen erzeugt, zwischen Blut und Boden.153 Bauern stellen nur eine Art Verwalter des Volkseigentums zum Nutzen der reinzuhaltenden Volksgemeinschaft dar. Indem die Tiroler mit dem Land mehr als nur materiell verbunden sind, ergibt sich für sie die natürliche Aufgabe, es selbstverständlich mit dem Leben zu verteidigen.154 Für die Frauen gilt, sich im Krieg um die „Haltung des Hofes“ (10) zu sorgen. Auch wenn sie für schwere Feldarbeiten nicht geschaffen scheinen, mühen sie sich mit „wirklicher selbstloser Opferwilligkeit“, um das „Besitztum des Volkes“ (108) zu erhalten – typische Kennzeichen von Frauen in nationalsozialistisch beeinflusster Literatur im „Dienst an der Scholle“155. Angelehnt an den katholischen Marienkult wird ihre Rolle so auch prototypisch verklärt. Die historisch belegte, schlechte Versorgungslage der Bevölkerung wird währenddessen weitestgehend verschwiegen.
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Entnahmen aus: Ebd., S. 72. Vgl. Graeb-Könneker (2001), S. 146f., der sich auf Kurt Melchers Grundelemente der Bauerndichtung (1936) bezieht, u. Siegl (2013), S. 136. Schnell (1998), S. 110. Vgl. Schmitz-Berning (2007), S. 84f. Zum Begriff der ‚Erbhöfe‘ siehe Schmitz-Berning (2007), S. 84f u. 110ff. Vgl. Darré (1940), S. 338f. Vgl. zum Bauernmotiv Vallery (1983), S. 147f. u. Graeb-Könneker (2001), S. 146ff., zitiert hier Melcher, Kurt: „Grundelemente der Bauerndichtung“. In: Dienst am deutschen Schrifttum 20 (1936), S. 2f. Siehe auch Ketelsen (1976), S. 76f. Waldner (1990), S. 68. Vgl. Riedmann (2001), S. 218, Wippermann (1976), S. 186 u. Siegl (2013), S. 116ff. Grenz (1997), S. 223.
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Für die Südtiroler scheint die althergebrachte Weltordnung und ihr stabiles Dorf- und Landschaftsleben in einer „idealtypischen Überhöhung“156 das Maß aller Dinge.157 Alles, was diese Ordnung bedroht, muss abgewehrt oder beseitigt werden. Die „Verteidigung der Heimat“ ist damit gleichbedeutend mit Verteidigung des agraridyllischen, auf christlichkonservativer Kulturgrundlage ruhenden Siedlungsraumes, in dem die Dorfgemeinschaft zu einer die Heimat verteidigenden Kampfgemeinschaft stilisiert ist.158
Das Leben unter Fremdherrschaft gilt als Schmach und führt zwingend zum Schlechten, denn das ‚Eigene‘ ist dem ‚Anderen‘ immer überlegen.159 Bruggler und seine Kameraden ziehen zur Verteidigung, vor allem aber für die Bewahrung der eigenen Kultur, der Identität und ethnischen Zugehörigkeit zum ‚Deutschtum‘ in den Krieg. Dabei werden die Frontkameraden zunehmend zu einer Art Ersatzfamilie.160 Man kämpft, damit „das Land deutsch erhalten bleibt“ (335). Das „Sterb’n fürs […] Tiroler Landl“ (83) bedeutet durchweg ein „stilles selbstverständliches Heldentum […], wovon einmal wenig gesprochen werden wird – die Selbstverständlichkeit, mit der […] hier oben in [den] Bergen verblutet“ (86) wird. So gewiss, wie sie ihr Land verteidigen, fallen die Jungen und Männer auch als pseudoreligiöse „Blutopfer“ für ihre Heimat: „A Standschütz’noberjaga hat koa Furcht vor’m Sterb’n“ (191).161 Die Totgeweihten sehen den Sinn ihres Sterbens in der Opfergabe für ihre Gemeinschaft, die mehr zählt als das Individuum. Nach einem Streit zwischen Hauptmann „Theißen Anderl“ und einem ungarischen Oberstleutnant wird ein serbischer Maschinengewehrzug von der Front abgezogen; die Deutsch-Österreicher freuen sich: „Was hätten wir auch mit diesen Kerlen hier heroben anfangen sollen? Wo wir Deutsche allein 156 157
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Riedmann (2001), S. 213 u. 221ff. Cole (2000), S. 273: „Die epischen Darstellungen des bäuerlichen Lebens stellten das Dorf ins Zentrum der Gesellschaft; Höfe und Gastschänken waren zugleich Arenen und Modell der sozialen Interaktion. Staat und Regierung kamen nur als Abstraktionen vor; die im Dorf dargestellte Wirklichkeit konstruierte eine nostalgische und utopische Gegenwelt zu modernen Lebensformen“. Entnahmen aus: Riedmann (2001), S. 203. Hierzu zählen auch die Frauen, siehe Grenz (1997), S. 223. Dieses „Superioritätsgefühl des (‚rand‘)deutschen Nationalismus, bereits in der Vorkriegszeit nicht allein kulturell, sondern zunehmend ‚rassisch‘ definiert“, sei später durch die gewaltsame Italianisierung „zutiefst […] verletzt und zugleich weiter radikalisiert“ worden. Wedekind (2003), S. 28. Vgl. Prümm (1976), S. 146. Vgl. Vallery (1983), S. 149.
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sind, können wir sicher sein“ (37). Hier tritt die zentrale Aussage des Textes hervor: Trotz des gemeinsamen Kampfes mit anderen ethnischen Gruppen ist nur auf die Deutsch-Österreicher Verlass: „Müss’n wir Deutschösterreicher denn alles, alles allein tragen!“ (318, 67f, 163). Im Umkehrschluss erscheinen andere Volksgruppen als unzuverlässig, ängstlich und potentiell illoyal.162 Die Serben sind feige; auch die „Polacken“ (99) „fürchten sich und müssen immer bewacht werden“ (57). Die Tschechen sind „Viehcher“ [sic!] (67) mit „dicken fleischigen Fingern“ (113); das rumänische „G’sindel“ (159, 162) ist nicht vertrauenswürdig und die Welsch-Tiroler gelten als wankelmütig. Die von Natur aus wie „Bären“ (326) starken, aber unwilligen Ruthenen – „die sich halt doch als Russen“ (326) verstehen – verunglimpft der Text als Deserteure, die man während eines Gefechts „mit einem hochgeschwungenen Eispickel“ (394) wie Vieh vorantreiben muss. Tatsächlich wurden die Ruthenen im Feldzug „ohnehin samt und sonders als russophil eingestuft und von vornherein der Kollaboration mit und der Spionage für den Feind verdächtigt“163. Offenbar unter Berücksichtigung der außenpolitischen Lage im Jahr 1934 werden lediglich die Italiener nicht allzu verächtlich charakterisiert. Die Alpini sind zwar tapfere Gegner, aber keine Individuen, sondern „Zahl und abstraktes Ziel von Kugeln und Granaten“164. Die Erfahrung im Kampf resultiert in der Erkenntnis Brugglers, dass Österreich-Ungarn keinen Bestand haben kann (67). Die Männer kämpfen nicht mehr für „Gott, Kaiser und Vaterland“ (98), sondern gegen „die im eigenen Waffenrock“ (318, 325), die die Monarchie und die Front von innen heraus demontieren. Die Konstruktion des gegen die Feinde im Inneren und Äußeren zusammenstehenden deutschen Volkes dient als „rassehygienisches und bevölkerungspolitisches Propagandainstrument“165. Auch die deutschen Verbündeten spielen eine Rolle. Bruggler spricht durchgängig von den eleganten, anständigen „deutschen Herren“ (88); sie sind Waffenbrüder und verhindern, dass Tirol nicht „verloren werd“ (96). Als Bruggler von der Unterstützung der
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Vgl. Prümm (1976), S. 149f.: „In allen rechten Frontromanen schirmen rigide Feindbilder die kriegerische Aktivität vor moralischen Selbstzweifeln ab. Der Feind ist immer das Andere“, die „eingeimpften Vorurteile werden voll bestätigt, gegenteilige Informationen abgewehrt, und so ist jeder Gegner ein uniformiertes Klischee. Er ist feige, unterliegt selbst bei hundertfacher Überlegenheit […]“. Forcher (2014), S. 76. Entnahmen aus: Riedmann (2001), S. 212. Vondung (1976), S. 47 u. Prümm (1976), S. 152.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Bayern hört, wird es ihm „mit einem Male […] so leicht, so sicher zumute“ (68, 85, 417).166 Die von ihm verehrte Heimleiterin Hella von Teuff („deutsche Überfrau“167) stellt sich tapfer einem herrischen tschechischen Stabsarzt entgegen (112f.), wird als aristokratische Verkörperung von Anstand und Tugend charakterisiert (136), hat aber noch mehr zu bieten: „Überdies ist sie sehr schön. Blondes Haar und blaue Augen!“ (135). „So stelle ich mir das Ideal einer deutschen Frau vor, ja, ganz so, wie Frau Hella es ist“ (210). Überhaupt weiß Bossi durch Teuff eine erotisch-gefährliche Versuchung für Bruggler und einen gewissen adligen Standesdünkel einzuflechten, wenn er konstatiert: „Bauernmensch bleibt Bauernmensch und Herrenmensch Herrenmensch (310)!“ In der Tiroler Kriegsliteratur ist sie als starke, dominante Frau allerdings ein Unikum, was Bossi mit ihrer schweren Prüfung durch den Tod des Mannes, der ‚Opferung‘ ihres Hauses und durch ihren Stand erklärt.168 Der Autor scheint in seiner Jugend tatsächlich solche Lazarette kennengelernt zu haben. Im Januar 1915 berichtete der Tiroler Volksbote von einem Toblacher „Genesungsheim für verwundete und kranke Krieger“. 500 seien „untergebracht in der Kaserne, in Villa ‚Bristol‘ und in den Villen des Grafen Bossi-Fedrigotti“169. Diese Einrichtungen könnten Vorlagen für die Konstruktion Teuffs und ihres Heims gewesen sein. Durch den Austausch mit ihr und durch die Fronterfahrung vollzieht sich in Bruggler eine innere Wandlung: „Glauben wir denn nicht mehr an unseren Staat, glauben wir nur mehr an unser Volkstum?“ (91, 389, 405, 417). Teuff, Tochter aus preußisch-protestantischem Haus, motiviert ihn gegen den Willen seiner katholisch-patriarchalischen Mutter, sich von seinem Berufswunsch zu distanzieren.170 Durch sie muss er erkennen: Es ist das Verhalten der ‚Fremden‘ in der eigenen Armee, das die Leistung der deutschösterreichischen Soldaten diskreditiert; immer müssen erst die Deutschen kommen, „um die Karre wieder flott zu machen“ (305). Hierbei handelt es sich um einen gängigen Topos der Tiroler Weltkriegsromane und um eines der zentralen Motive der literarischen Produktion Bossis: Das Bild vom unzuverlässigen deutschösterreichischen 166
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Nach eigenen Angaben BFs aus seinem ORF-Interview hätten die Deutschen tatsächlich zu einer Beruhigung der Bevölkerung und der Standschützen geführt. Zur Funktion der deutschen Unterstützer an diesen Fronten vgl. Riedmann (2001), S. 228f. u. Voigt (2014), S. 118ff. Waldner (1990), S. 80. Riedmann (2001), S. 224. O. V.: „Genesungsheim für verwundete und kranke Krieger“. In: Tiroler Volksbote v. 15.01.1915, S. 7. Vgl. Riedmann (2001), S. 224f.: „In ihrer kaschierten Eifersucht ist sie eine ambivalente Gestalt, ihre Fürsorge für den Unterjäger nicht ohne Eigennutz, und als Protestantin kann sie nur daraus auf sein, den Theologiestudenten von seiner Berufung abzubringen“.
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Soldaten sollte getilgt werden.171 Insbesondere in seinen bis 1945 erschienenen Texten spielt der sich heroisch bewährende Österreicher (oder der, der es gar nicht erst nötig hat, da er selbstverständlich tapfer ist) immer wieder eine wichtige Rolle.172 Diese „völkische Kriegsliteratur“ war in den Augen vieler zeitgenössischer Schriftsteller immer zuerst großdeutsche Bekenntnisliteratur, die gleichzeitig unter Hinweis auf den hohen Blutzoll österreichischer Regimenter den österreichischen Minderwertigkeitskomplex erfolgreich bearbeiten half.173
Scheinbar sträubt sich Bruggler anfangs noch, die Unterschiede zwischen den Völkern und die Vorrangstellung der deutschen gegenüber „den slawischen und übrigen Soldaten“ (211) anzuerkennen (164, 329, 100).174 Doch seine Erfahrungen an der Front lassen ihm keine andere Wahl. Der Kampf dient hier als Kulisse für die Veränderung der Persönlichkeit: „Und dann, wenn es zu Ende war und ich wieder herauskam aus diesem Spielplatz des Todes? Wollte ich dann wirklich Priester werden?“ (193). Er begreift seinen Auftrag, der mehr ist als bloße soldatische Pflichterfüllung: „Der Zweck dieses Kämpfens war der einfachste Selbsterhaltungstrieb unseres Volkes, seine Heimat, seine Höfe deutsch zu erhalten“ (390). Seit der Begegnung mit seinem italienischen Freund Rico Teroldi, der in österreichischen Reihen kämpft, spricht Bruggler nur noch von „Blutsverwandtschaft“ und „Menschen des gleichen Blutes“ (340f.).175 An der Tiroler Front des Ersten Weltkrieges scheint das Bewusstsein für das ‚deutsche Volkstum‘ zu erwachen176: 171 172
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175 176
Riedmann (1991), S. 101f., Riedmann (2001), S. 229 u. Amann (1996), S. 88. Diese Funktion habe auch die Verfilmung des Romans gehabt. Vgl. Alexander (1995), S. 240 u. Schmidl (2002), S. 49. Das Motiv findet sich u. a. in Spionage und Verrat in den Karpathenkämpfen des Weltkrieges (1935, S. 43ff.), Wir kommen, Kameraden! (1938, im gesamten Text), Vormarschtage (1941, S. 15f.). Langenbucher (1941) schildert dieses Motiv auf S. 541, ebenso Stein (2002), S. 32 u. 37. Entnahmen aus: Amann (1996), S. 89. In Deutsches Grenzland (1936) versuchte Johann von Leers, den Gegensatz SlawenDeutsche damit zu erklären, dass sich die Slawen im 19. Jahrhundert mithilfe einer ursprungsfremden „Lehre französischer Prägung“ gegen die ihnen freundlich gesinnten Deutschen gewandt hätten. So erkläre sich der Pangermanismus lediglich aus dem aggressiven Panslawismus, den die Franzosen, die eigentlichen Feinde, heraufbeschworen hätten. Siehe von Leers, Johann: „Slawen und Deutsche“. In: Boehm/von Loesch (1936), S. 25-34, hier S. 27. In österreichischen Reihen kämpfende Italiener aus dem Trentino waren keine Seltenheit. Vgl. Forcher (2014), S. 171. Siehe Vondung (1976), S. 47.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
209
Wir sind nichts anderes, als, wie man so sagt, Treuhänder der großen Nation von der Nordsee bis zur Etsch und weil wir das sind, gehen uns Tschechen, Polen, Ruthenen und Slowaken nichts an, sondern nur wir gehen uns selbst etwas an und wenn wir kämpfen, hat’s kämpfen [sic!] nur dann einen Sinn, wenn wir für’s Deutsche kämpfen. Denn deutsch für alle Deutschen muß das Landl bleiben, ja deutsch und nichts anderes! (335).
Bei Bossi fungiert das künftige großdeutsche Reich, nach dem sich Bruggler und seine Kameraden sehnen, als narrativer Fluchtpunkt.177 Aus der „Tragödie des alten Österreich“ steigt der „Glaube an ein neues Deutschland“178 hervor. Der Krieg als „unvermeidbares Naturereignis“179 bewirkt eine Stählung der „Jahrzehnte im voraus gereiften Menschen“ (235), eine Mannwerdung durch das Erleben des Kampfes: „Wie braun und kräftig Sie inzwischen geworden sind“, schreibt Teuff an Bruggler, „sie sehen jetzt richtig männlich aus“ (232, 311).180 Überdies haben die Männer hauptsächlich „Jäger, Bergsteiger, Bauern und Krieger“181 zu sein. Die Soldaten verrohen im Laufe der Handlung zunehmend: „In mir ist es wie Fieber. Ist das denn Mordlust?“ (175, 298).182 Bruggler, der nachdenkliche Priesteranwärter, wird zum grausamen, entschlossenen Kämpfer: „Ja, Rache und Vergeltung muß sein – auch heute am heiligen Christabend!“ (293).183 Die Entmenschlichung der Feinde ermöglicht es ihm und den „vierzehnjährigen Jungschützen“ (36) in detailliert geschilderter Brutalität, reinen Gewissens „hinein in dieses lebendige Etwas da vorn“ (299) zu schießen.184 Das positiv konnotierte Sterben für das Vaterland hat zuletzt noch einen weiteren, größeren Sinn: Der Krieg „bringt durch die Gemeinsamkeit des Todes die Menschen einander so nahe, daß diese Blutskameradschaft eine neue bessere Ära für die Lebenden nach sich ziehen“ (201) muss. In diesem Sinne bedeutet Kampf den Aufbruch in ein neues Zeitalter der durch „Blutopfer“ konstituierten völkischen Gemeinschaft. „Blutorgie und Opfertod“ sind
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Lungershausen (2017), S. 221. Entnahmen aus: Mulot (1938), S. 84. Hartungen (1995), S. 93. Vgl. Prümm (1976), S. 146f. u. Riedmann (2001), S. 216: BF ist bei der Propagierung dieser Kriegsinterpretation kein Einzelfall – es betrifft ebenso andere Tiroler Kriegsliteraturautoren wie Trenker und Springenschmid. Vgl. zur ‚Mannwerdung‘ Riedmann (2001), S. 216. Allzu oft sei diese junge Frontkämpfergeneration gefühllos, abgehärtet und mit „schroffe[r] Kälte“ aus dem Krieg zurückgekehrt. Herbert (1996), S. 44. Waldner (1990), S. 71. Vgl. zum ‚Mordrausch‘ Prümm (1976), S. 148f. Siehe dazu ebd., S. 154: „Die kriegerische Aktivität entspringt meist einem primitiven Racheimpuls“. Siehe zur Entmenschlichung der Feinde auch Jaroslawski/Steinlein (1976), S. 319.
210
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
„virtuelle Perspektiven des Aufbruchs“185. Das überlegene Volk wird letztlich siegen und die Überlebenden bilden den Grundstock einer neuen Volksgemeinschaft, die durch die natürliche Auslese des Krieges entstanden ist: in Dichtung gegossener Sozialdarwinismus und typisches Motiv der NS-Literatur.186 Als Träger dieses Kampfes fungieren dabei vor allem die Bauern, deren verwurzelte Stärke und Verschmelzung mit dem Volksboden Garant für die Sicherung des Lebensraums, des ‚Hoamatls‘ sind.187 Diese neue Gemeinschaft „transportiert die Mahnung der Verstorbenen als Gedächtnis, welches der Gegenwart aufgegeben, ja auferlegt ist“ und lässt so das anzustrebende nationalsozialistische Reich als notwendige historische Konsequenz erscheinen.188 In Standschütze Bruggler vereinen sich so Elemente einer volkhaften, heldischen und nationalsozialistischen Weihedichtung.189 Außerdem rückten nicht nur alle Deutschen näher aneinander, sondern sie wussten in den Tirolern, Deutsche in „reinster, unverfälschter Form“190, ihren kämpferischsten Außenposten. Der Hochgebirgskrieg rückt die Tiroler (sowie ihre „Urheimat und Überheimat“191) hier in die Mitte der tapferen Deutschen. Toni Bruggler besitzt kein unmittelbares historisches Vorbild, aber er verkörpere ein Schicksal, wie es „überall bei uns bei den Standschützen gewesen ist. Es ist eine Person, die man in vielen Südtiroler Burschen damals wiedererkennen konnte“. Die Figuren seien ohne jede politisch-ideologische Botschaft so beschrieben, wie sie wirklich waren, ohne sie zu beschönigen. Ich habe die Schwierigkeiten und die Fürchterlichkeiten des Gebirgskriegs herausgeholt und die großen Leistungen des einzelnen Mannes ohne eine patriotische Begeisterung – wenn man das so ausdrücken kann – sondern ganz einfach, er hat sich hingestellt, hat
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188 189 190 191
Entnahmen aus: Schnell (1998), S. 105f. Vgl. Riedmann (2001), S. 228. Ebd., S. 109 u. Riedmann (1991), S. 24 u. 216: „Krieg macht die Volksgemeinschaft zur Schicksals- und Kampfgemeinschaft“. Siehe auch Vondung (1976), S. 49. Vgl. Graeb-Könneker (2001), S. 146ff., zitiert hier Melcher, Kurt: „Grundelemente der Bauerndichtung“. In: Dienst am deutschen Schrifttum 20 (1936), S. 2f. Siehe auch Schoeps (2000), S. 101f.: An Bauernromanen (und ihren Motiven) reizten die Nationalsozialisten deren „Volksverbundenheit, Blut-und-Bodenthematik, Flucht aus den Problemen der Industriegesellschaft und Sehnsucht nach dem einfachen Leben“. Schnell (1998), S. 110 u. 119. Vgl. Riedmann (2001), S. 216, Koselleck (1992), S. 335 u. Prümm (1976), S. 142f. Vondung (1976), S. 46ff. Grüning (1992), S. 58. Riedmann (2001), S. 217. Roli (2004), S. 292, attestierte BF ingesamt, ‚Heimat‘ als „schnulziges, vollkommen realitätsfernes Dorfidyll“ propagiert zu haben. Bei seinen Texten handele es sich daher zu Recht um ‚Heimatkunst‘.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
211
seine Pflicht getan, ob er’s gewollt hat oder nicht, er musste und hat eben mit dieser Pflichterfüllung das geleistet, was geleistet werden musste.192
Doch Standschütze Bruggler geht weit darüber hinaus: Er wertet Menschen völkisch-rassistisch herab, entmenschlicht Gegner in den eigenen Reihen durch Tiervergleiche, stilisiert einen jungen Priesteranwärter zum opferbereiten „Stück des wurzelzähen, berg- und heimattreuen Tiroler Stammes“193, verknüpft den harten Arbeitsalltag der Bergbevölkerung mit natürlicher Wehrkraft, bedient und bestätigt Stereotype und instrumentalisiert die Landesgeschichte und Bevölkerung Südtirols für ideologische Zwecke.194 Der Roman, vom Verlag bewusst für Jungen im Alter von 12 bis 14 Jahren empfohlen, überhöht die ‚Waffenbrüderschaft‘ Deu tschlands und Österreichs im Hinblick auf einen ‚Anschluss‘, propagiert die so entstehende großdeutsche Volksgemeinschaft, den Heldentod und besonders den Krieg.195 Dieser Text sollte nicht der letzte sein, den Bossi für Heranwachsende konzipierte, gemessen an entsprechenden Gestaltungs- und Verlagshinweisen.196 Von zwölf seiner bis 1945 erschienenen Texte wurden mindestens sechs mit Altersempfehlungen herausgegeben, einer für Jungen von 12 bis 14, vier für Jungen ab 10 und eines für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren.197 192 193 194
195 196
197
Entnahmen aus: „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Mulot (1938), S. 83. Vgl. Wippermann (1976), S. 197: „Historische Romane können immer dann als spezifisch nationalsozialistisch angesehen werden, wenn in ihnen rasseideologische Komponenten […] zu finden sind“. Es komme auch darauf an, „ob diese Ideologeme nur allein oder gebündelt anzutreffen sind. Neben dem Moment der Quantität muß dann aber auch das der Radikalität beachtet werden“. Zum Vergleich politischer und weltanschaulicher Feinde mit Tieren (u. Ungeziefer) siehe Vallery (1983), S. 146. Siehe auch Steurer (2000), S. 50: „In der Tat war auch in Südtirol der Phantasie dieser braunen Deutobolde kaum Grenzen gesetzt, wenn es darum ging, in allen Bereichen der Südtiroler Volkskultur die arisch-germanischen Ursprünge zu entdecken […]“. BF, befand auch Langer (1937), S. 44, bediente sich des „Geschichtlichen als Ausdrucksmittels [sic!] für die Gegenwart“. Lungershausen (2017), S. 66, hebt zur Kriegsprosa hervor, dass die schreibenden Weltkriegsteilnehmer sich tendenziell überwiegend auch an ihresgleichen gewendet haben wollten. Das ist hinsichtlich BFs nur in eingeschränkter Hinsicht zutreffend. Lungershausen (2017), S. 66. Standschütze Bruggler (1934, Jungen von 12-14 J.), Die Tiroler Kaiserjäger am Col Di Lana (1934, Jungen ab 10 J.), Andreas Hofer, Sandwirt von Passeier (1935, Jungen u. Mädchen ab 10 J.), Spionage und Verrat in den Karpathenkämpfen des Weltkrieges (1935, Jungen ab 10 J.), Überläufer und Verräter an der Karpathenfront des Weltkrieges (Jungen ab 10 J.) u. Die weiße Wand (1937, Jungen ab 10 J.). Keine unmittelbare Angabe ist zu finden bei Tirol bleibt
212
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Bruggler ist als Roman, der von der Erinnerung über die Erhebung der Gegenwart zur Propagierung einer ‚goldenen Zukunft‘ der Jugend im Nationalsozialismus weist, kein Einzelfall. 17,6% der vom Literaturwissenschaftlicher Gerrit Lungershausen erhobenen Kriegsprosatexte (insg. 188) richteten sich explizit an Jugendliche und boten durch ihren „abenteuerliche[n] Charakter“ einen beliebten und „geeigneten Lesestoff“, der gleichsam als „Erziehungsmaßnahme zur Wehrertüchtigung“198 diente. Kriegsbücher galten als „zutiefst geeignet“ zur „charakterlichen Ausbildung von Jugendlichen“199. Es erscheint kaum verwunderlich, wenn solche Texte ebenfalls in der Schule gelesen wurden. Dabei war die Wirkmächtigkeit ideologisch belasteter Bossi-Texte für die intendierte junge Leserschaft möglicherweise nicht auf den ersten Blick zu erkennen, was diese umso gefährlicher macht. Nicht selten wurde die Propaganda „subtil eingeflochten“200. Es seien die Alltagskleinigkeiten, auch Schul- und Kinderbücher gewesen, die „unauffällig politische Ideen in die Köpfe und Herzen […] der Kinder pflanzten“201. Protagonisten sollten den „Einsatz von Willen, Leib und Leben“ symbolisieren, ein Beispiel der „Bewährung in Not und Widrigkeit, das Schaubild und Vorbild völkischer Tugenden“202. Toni Bruggler passte hier genau ins Schema. Die Wirkung der Texte hängt nicht zuletzt von der Lesesozialisation ab. Neuere Untersuchungen halten fest, dass sich Kinder bis zum elften Lebensjahr beim kindlichen Lustlesen mit den „Helden und Heldinnen von Geschichten“ identifizieren können, die schwierige Situationen erfolgreich durchstehen.203
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Tirol (1935), Das Vermächtnis der letzten Tage (1937), Wir kommen, Kameraden! (1938), Österreichs Blutweg (1939), Die alte Fahne (1940) u. Vormarschtage (1941). Entnahmen aus: Lungershausen (2017), S. 219. Vgl. S. 75. Ebd., S. 76, der sich hier auf Heinrichs, Karl: „Das Fronterlebnis im deutschen Schrifttum. Eine lehrkundliche Betrachtung“. In: Deutsches Bildungswesen. Erziehungswissenschaftliche Monatsschrift des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (Hauptamt für Erzieher) für das gesamte Reichsgebiet 3 (1935), S. 537-546, bezieht. Adam (2010), S. 177. Merkel/Dittrich, Einführung (2011), S. 10. Siehe dazu auch Jaroslawski/Steinlein (1976), S. 305. Entnahmen aus: Aley (1969), S. 132f., zitiert hier Prestel (1935), S. 19. o „Ohne idealisierte Leitbilder wie den bewunderungswürdigen, mit hervorragenden Charaktereigenschaften ausgestatteten Helden nordischer Prägung, den selbstbewußten, reinrassigen, schneidigen Fliegerhauptmann, den opferbereiten, bis in den Tod treuen Kämpfer für die Volksgemeinschaft konnte die nationalsozialistische Propaganda nicht auskommen“. Siehe ebd., S. 197. Für Richard Walther Darré war die nordische Rasse die eines „friedlichen Bauerntums“ und „kriegerischen Heldentums“. Darré (1937), S. 11. Leubner/Saupe/Richter (2012), S. 77. Siehe auch Garbe/Holle/Jesch (2009), S. 204f. u. Eggert/Garbe (2003), S. 64f.
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Zwischen dem 11. und 13. Lebensjahr liege aufgrund der einsetzenden Pubertät und des „Übergang[s] von der Familie in die Gesellschaft“204 ein Umbruch. Anregungen zu neuen Lesestoffen kämen vermehrt von Freunden oder aus der Schule.205 In diesen prägenden Jahren festige sich, was später vermehrt (oder überhaupt) gelesen wird – und „prägende Leseerlebnisse“ binden sich an „biographische und geschichtliche Kontexte“. Die von Bossi transportierten Themen, Motive und Ideologeme trafen also auf junge Menschen an einem entscheidenden Punkt ihrer Lese- und Literatursozialisation – und die fanden das geförderte Schrifttum überall wieder: in Buchhandlungen, Bibliotheken und im Unterricht.206 Standschütze Bruggler propagierte 1934 den Heldentod junger Männer im Kampf um Großdeutschland für 12-14-jährige Jungen, die zu Beginn des Krieges 1939 schließlich 17 bis 19 Jahre alt sein sollten und zum Kriegsdienst herangezogen wurden. Ihre prägenden Jahre hatten sie in vielerlei Hinsicht im nationalsozialistischen Deutschland verbracht. Zu Kriegsbeginn bot sich eine Möglichkeit, bereits vor Jahren Gelesenes, das nun nah an der Lebensrealität zu liegen schien, zu erinnern und es, sich selbst und die eigenen Handlungen in Beziehung zu den Ereignissen zu setzen. Ob sich die jungen Soldaten bewusst wurden, wie die frühere Lektüre und die mögliche Sinnkonstitution wirken konnten, ist kaum einzuschätzen: „Die Bedeutung der Lektüre […] wird in ihrem lebensgeschichtlichen Status erst nachträglich evident“, abhängig davon, welcher „reflexive wie emotionale Spielraum“ des Lesers dem „intentionalen Muster“207 des Textes gegenüber stand. Doch könnte, nach Viktor Klemperer, manche verschluckte, literarische Arsendosis, auch die Brugglers, nun ihre „Giftwirkung“208 gezeigt haben. Das wird auch durch eine Erinnerung des Germanisten Manfred Majstrak (1925-2012) beglaubigt. Geprägt durch elterliche Erzählungen von der im Felde siegreichen deutschen Armee, bezeichnete er sich retrospektiv als aufnahmebereit für weitverbreitete Kriegsdarstellungen und Geschichtsdeutungen, die seinerzeit nicht „einer gewissen historischen Logik“ entbehrt hätten. Lehrer hatten spannende Kriegsheldengeschichten erzählt, die eine vorbildhafte Anziehungskraft auf die Jungen ausübten. Als Bruggler erschien, war Majstrak 204 205
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Eggert/Garbe (2003), S. 116. Auch Bibliotheken und Buchhandlungen sind Akteure im Prozess der literarischen Neufindung zu Beginn und im Verlauf der Pubertät. Garbe/Holle/Jesch (2009), S. 205f. Vgl. auch Adam (2010), S. 61: Die individuelle Wahlfreiheit im Hinblick auf das Lesen der Jugend war allerdings schon durch die massive Verbotspolitik der NS-Kulturpolitik nicht mehr denkbar. Vgl. Jaroslawski/Steinlein (1976), S. 306ff. Entnahmen aus: Eggert/Garbe (2003), S.59ff. u. 72. Klemperer (2015), S. 26 u. 110ff.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
neun Jahre alt. Er und seine Altersgenossen hätten „die blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs“ in ihrer „Phantasie zusammen mit den Helden der Kriegsbücher“ gekämpft. Beumelburgs ‚Sperrfeuer um Deutschland‘, Trenkers ‚Berge in Flammen‘, BossiFedrigottis ‚Standschütze Bruggler‘, Zöberleins ‚Glaube an Deutschland‘, Jüngers ‚In Stahlgewittern‘ wurden von uns […] verschlungen. […] Sich für das Vaterland zu opfern, wie diese Männer es vorgelebt hatten, wurde uns mit der ständigen Darbietung solchen Gesinnungsgutes und der Heroisierung ihrer Taten fast zur Selbstverständlichkeit.209
Majstrak stammte aus Dortmund. Das zeigt auch: Die Verbreitung und Wirkung von Standschütze Bruggler hat sich keinesfalls nur auf Süddeutschland und die ‚Ostmark‘ beschränkt. Es galt offenbar als ein Jugend-Standardwerk über Krieg, Abenteuer, Bewährung und Verpflichtung. Der Text reiht sich hier zwischen Trenkers Tiroler Kriegsliteratur, Jüngers soldatischem Nationalismus und Zöberleins nationalsozialistisch getränktem Propagandabuch ein. Gleichwohl hatte das vermehrte Aufkommen von Kriegserinnerungsliteratur auch zur Folge, dass verschüttete, traumatische Erinnerungen (als „papierne Denkmäler“210) wieder an die Oberfläche gespült und am Arbeitsplatz oder der Familie thematisiert wurden. Diese Wirkung ist (besonders für Tiroler Veteranen) auch von Bruggler anzunehmen.211 Bossis erster Roman erfuhr eine enorme Verbreitung und avancierte zu einem der Bestseller des ‚Dritten Reiches‘.212 Gleich einer „volksdeutsche[n] Predigt“ habe der Text mit seiner Authentizität und dem „wuchtigen, männlichen Kriegertum“ den besten deutschen Kriegsbüchern „ernstlich den Rang“ streitig machen können. Über sich hinausgewachsen, so die Kreuzzeitung (Neue preußische Zeitung), habe der Roman das Zeug, in die Geschichte einzugehen.213 Schon im ersten Jahr erreichte er eine Auflage von mindestens 40.000 209
210 211 212 213
Masjtrak (2010), S. 176f. Abgesehen von einzelnen Nachweisen ist es schwierig bis gar nicht möglich, weder aus heutiger noch aus damaliger Sicht, herauszufinden, welche Wirkung diese Texte beim jugendlichen Leser, neben allen anderen Prägungen in diesem Alter, hatten. Aley (1969), S. 207ff. Lungershausen (2017), S. 66. Ebd., S. 67ff. Adam (2010), S. 12, 85ff. u. 302, der die Mindestgrenze zur Einordnung als ‚Bestseller‘ bei 100.000 Exemplaren setzte. Entnahmen aus: O. V.: „Das deutsche Buch. Anton Graf Bossi-Fedrigotti: ‚Standschütze Bruggler‘“. In: Der Südtiroler v. 01.05.1934, S. 7. Weiterführende Belege zu den angeführten Artikeln konnten nicht eruiert werden. Vgl. Dörrer, Anton: „Eigenleben des Südtirolers Nachkriegsschrifttums“. In: Der Südtiroler v. 01.01.1935, S. 8. Zu Dörrers Biografie siehe auch Waldner (1990), S. 14ff.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Exemplaren und wurde in der nationalsozialistischen Bücherkunde als „Sinnbild“214 der Hitlerjugend gefeiert.215 Bossi und sein Text waren in aller Munde. Verschiedene ‚Reichssender‘ strahlten 1934/35 je 15- bis 30-minütige BrugglerLesungen aus.216 Gleichzeitig spielte der Roman in mehrfacher Hinsicht eine Rolle in Österreich. Infolge des Juli-Putsches und einer neuen Fluchtwelle illegaler Nationalsozialisten füllte sich das im Oktober 1933 südlich Wiens eingerichtete ‚Anhaltelager‘ Wöllersdorf innerhalb weniger Wochen mit über 4.200 NS-Anhängern.217 Karl Megerle, mit dem Bossi schon Abt Schmitt besucht hatte, kam als RMVP-Propagandareferent für Österreich die Aufgabe zu, die Versorgung des BDM und der HJ mit tausenden propagandistisch geeigneten Büchern sicherzustellen. Ihm gelang ein besonderes „Husarenstückchen“218, als er 50 Exemplare Brugglers, „‚geheftet und ohne Umschlag‘“219, in das Lager Wöllersdorf und andere schmuggelte. „Gab es für einen, der wegen seines Kampfes für das ‚Deutsche‘ im Gefängnis saß, eine passendere Lektüre?“220 Eine Buchbesprechung in den offiziellen Militärwissenschaftlichen Mitteilungen des österreichischen Verteidigungsministeriums zeigt, dass man sich dort bei der Bewertung Brugglers keinesfalls einig war. „Aus dem Zwiespalt völkischer Vermengung“ lege der Text offen, dass „kostbares deutsches Blut“ nur für das „grosse deutsche Vaterland“221 fließen dürfe. Aus „vaterlandstreuen Kreisen“ wurde unmittelbar Befremden geäußert, eine solch erstaunliche
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Lungershausen (2017), S. 75. Die Bücherkunde war Zeitschrift des Amtes Rosenberg, ‚Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP‘. Hinter ihr stand die „quantitativ größte Kontrollinstitution […] mit bis zu 1400 Zensoren für Belletristik und über 1200 für Fachschrifttum“. Schütz (2015), S. 97. Nur die Sendenachweise sind erhalten, keine Tondokumente. Reichssender Leipzig: Sendung ‚Aus neuen Romanen‘. Lesung aus Standschütze Bruggler am 10.05.1934, 14:1014:25 Uhr; Reichssender München: Sendung ‚Lesestunde‘ u. d. T. „Deutscher Glaub’ in Österreich. Standschütze Bruggler“. Lesung aus dem Text am 08.06.1934, 14:20-14:50 Uhr; Reichssender Köln: Sendung ‚Die Welt im Buch‘. Rezension zum Text u. d. T. „Neue Kriegsromane von alten Fronten“ am 23.01.1935, 17:30-17:45 Uhr. E-Mail Andreas Dan, Deutsches Rundfunkarchiv, an CP v. 26.01.2010. Siehe auch Adam (2010), S. 316: „Es gab eine Fülle von Sendeformaten im Radio, die sich mit Literatur und Buchbesprechungen befassten“. Jagschitz (1975), S. 149. Siehe dazu auch Bade (1935), S. 19. Amann (1988), S. 103. Amann (1996), S. 127, zitiert hier Akten des PA AA, Deutsche Gesandtschaft Wien, Bd. 511, ohne diese im Detail nachzuweisen. Amann (1988), S. 103. Vgl. Amann (1996), S. 127ff. Geiger [o. Vorn.]: „Buchbesprechung Standschütze Bruggler“. In: Militärwissenschaftliche Mitteilungen 66 (1935), H. 4, S. 312-313. Abschrift in: ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 362.841-St.B./1935-22/in genere.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Perspektive, die keinesfalls „wünschenswert“222 erschien, in einem offiziellen Periodikum zu finden. Von der „gegenwärtigen politischen Einstellung“ Bossis habe man keine Kenntnis gehabt, gaben die Behörden später zu verstehen. Ziel der NS-Literaturpolitik war allerdings auch, über die Grenzen hinaus jene anzusprechen, die im Ausland für „Vorposten des Deutschtums“223 gehalten wurden. Die Auslands- und Grenzdeutschen seien „stolz auf ihren Eigenwert“ gewesen, hätten ihn eifersüchtig bewacht und ihr „deutschvölkisches Empfinden in bewußter Abwehr fremder Einflüsse“ ausgeprägt. An ihre Dichtung könne man „nicht allein und nicht in erster Linie den ästhetischen Maßstab“ anlegen, sondern müsse sich „des biologischen“224 bedienen. Sie erlebten täglich die Einwirkung des Mutterlandes und des fremden Landes, stehen immer zwischen beiden […]. Daß unsere sogenannten volksdeutschen Dichter zum großen Teil Grenzdeutsche sind, ist sicherlich kein Zufall.225
Ihre Texte könnten so als besondere Ausprägung deutschvölkischer Gesinnung gelten, konzentriert auf Treue zur „Urheimat“, „Reinhalten der Rasse“ und den festen Glauben an die „Sendung des deutschen Volkes“226. Die schnell steigende Auflagenhöhe Brugglers korrelierte 1936/37 vermutlich mit der Verfilmung (bis 64. Tsd.), 1938/39 mit den Folgewirkungen des ‚Anschlusses‘ Österreichs (bis 75. Tsd.) und ab 1939/40 mit dem Beginn des Krieges (bis 95. Tsd.).227 1942 waren bereits 125.000 Exemplare erreicht und bis Kriegsende noch eine 17. und 18., möglicherweise auch 19. Auflage, erschienen, 222 223
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Entnahmen aus: Der Sicherheitsdirektor des Bundes für das Land Steiermark an Bundeskanzleramt Wien v. 03.10.1935, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 362.841-St.B./1935-22/in genere. Entnahmen aus: „Alfred Rosenberg eröffnet Arbeitstagung der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“. In: Völkischer Beobachter v. 08.03.1935, BArch NS 15/333. Vgl. O. V.: „Deutsche Kultur-Lenkung. Alfred Rosenberg über die ‚Sichtung‘ des deutschen Schrifttums“. In: Berliner Tageblatt v. 09.03.1935, BArch NS 15/169. Schneider (1936), S. 7. Vgl. dazu auch Vallery (1983), S. 146. Ebd., S. 14f. Allerdings werde der auf Abgrenzung bedachte Deutsche leicht „zu einem allzu starren Hüter des Herkommens, der lieber versteinert, als sich eine Auffrischung mit artfremdem Blut und Geist zu gestatten“. Auf literarischem Feld zeige sich das in geringer Produktion und „in dem Gepräge einer hausbackenen ‚Heimatdichtung‘, die über die Grenzen der Dorfgemeinde nicht hinwegblickt und weit hinter der Zeit zurückgeblieben zu sein scheint“. Entnahmen aus: Ebd., S. 17f. Vgl. Schnell (1998), S. 108f. Bruggler wurde als ‚ostmarkdeutscher‘ Text nach 1938 für Volksbüchereien empfohlen, denn „Deutsch, bewußt deutsch“ seien „die Gegenwartsdichter der nun mit dem Kernreich wiedervereinigten Ostmark allezeit gewesen […]“. Marschall (1938), S. 330. Auch insofern wurde Bossi Teil der auf die ideologische „Durchdringung“ ausgerichteten nationalsozialistischen Literaturpolitik. Barbian (2010), S. 355.
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außerdem 1943 eine „Einmalige Sonderausgabe der Zentrale der Frontbuchhandlungen Paris“228 und schließlich eine Neuauflage 1972. Im 2.500 Texte umfassenden Schrifttums-Verzeichnis der Zentrale der Frontbuchhandlungen wurde Bruggler bereits seit 1941 empfohlen.229 Die Soldaten wurden über Frontbuchhandlungen ‚systemkonform‘ versorgt. Hinkel schrieb 1941, die „kulturelle Betreuung des Soldaten“ sei im „nationalsozialistischen Grossdeutschland ein wesentlicher Bestandteil moderner Kriegs- und Menschenführung“230. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurde dazu die Zentrale der Frontbuchhandlungen gegründet. Es sei für jeden Verleger eine Ehre gewesen, für eine solche Publikation ausgewählt zu werden.231 Dabei habe der ZeitgeschichteVerlag Andermanns die Kaufkraft der Frontbuchhandlungen esbesonders zu nutzen gewusst. Er einigte sich mit der Zentrale in Paris auf die Lieferung einer 18 bis 20 Texte umfassenden Romanreihe. Dabei habe es sich „durchweg um gute Autoren“232 gehandelt. Das Papier kam aus den Beständen des Militärbefehlshabers Frankreich, gedruckt wurde in Paris, im Falle Brugglers unter der Genehmigungsnummer 20105 bei der Druckerei Crété. Die tatsächlich erreichte Stückzahl des Romans dürfte insgesamt 200.000 überschritten haben. Das bildet zunächst nicht unbedingt die tatsächliche Nachfrage ab, doch sofern diese auf ein „manifestes wirtschaftliches Interesse“ traf und der Text ins „Konzept der großen nationalsozialistischen Linien“ 228
229 230 231
232
Weigand (2010), S. 3: „Der Erste, vor allem aber der Zweite Weltkrieg, war auch für viele deutsche Verlage ein einträgliches Geschäft. Millionenfach wurden Feldpostausgaben, Tornisterliteratur und vieles andere mehr an die, an vielen Fronten kämpfenden deutschen Soldaten gebracht: Romane, Gedicht- und Liedersammlungen, Sachbücher“. Im Zusammenhang mit der Betreuung der Truppen bei der 253. ID berichtet auch Rass (2003), S. 314ff., von solchen Ausgaben und ihrem Zerstreuungs-, gleichzeitig aber auch Ideologisierungsauftrag. Möglichkeiten, Kriegsbücher in Reihen zu produzieren, gab es nach 1939 genug: Kriegsbücherei der deutschen Jugend (Steiniger), Soldatenbücherei des OKW, VB-Feldpost (Eher), Soldaten – Kameraden (Eher), Tornisterschriften (OKW/ Bibliographisches Institut Leipzig) oder verschiedene Feldpostausgaben (versch. Verlage), um nur einige zu nennen. „Heimatverbundenheit spielte bei der Auswahl der als Frontlektüre vorgesehenen Titel eine große Rolle. Die Heimat galt es zu beschützen, eine wichtige Motivation für den Soldaten, der sein Leben dafür einsetzen musste“. Weigand (2010), S. 7-25, 27 u. Barbian (2010), S. 365f.: Die Zentrale der Frontbuchhandlungen wurde zu einer „marktbeherrschenden Macht im deutschen Buchhandel“. Siehe auch Adam (2010), S. 301 u. Hinze (1999), S. 3ff. u. 29f. Zentrale der Frontbuchhandlungen (1941), S. 12. Siehe auch Hinze (1999), S. 29f. Hinkel, Hans: „Der Einsatz unserer Kunst im Krieg“, BArch R56-I/104, Bl. 67-71. Weigand (2010), S. 28, unter Bezug auf einen Aufruf im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Siehe auch Adam (2010), S. 297 u. Barbian (2010), S. 364ff. Siehe auch S. 189f.: Schließlich existierten bis zu 300 feste Frontbuchhandlungen und zu Büchereien umgebaute Omnibusse. Hinze (1999), S. 29.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
passte, stand einem „Verkaufserfolg nichts mehr im Wege“233. Da auch Leihbüchereien sich zunehmender Beliebtheit erfreuten, ist die Zahl der tatsächlichen Bruggler-Leser kaum festzustellen.234 1944 beschrieb ein Bericht über die Innsbrucker Stadtbibliothek, Bossis Bände habe „jeder einmal nach Hause genommen“235. Schrifttumspolitisch wurde Bossis erstem Roman besondere Aufmerksamkeit zuteil. Schnell nahm man ihn offenbar in das zweite Hundert der Reihe „100 Bücher der Bewegung“236 auf – mutmaßlich ein Versuch des Eher-Verlags, „eine Art Kanon der nationalsozialistischen Literatur“237 aufzubauen, über den wenig bekannt zu sein scheint. Es dürfte sich bei der Reihe allerdings um das von Rosenbergs Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums im Eher-Verlag herausgegebene Heft Die zweiten hundert Bücher für nationalsozialistische Büchereien (1935, Nr. 2 von 6) handeln, in der Bruggler in der Kategorie ‚Krieg und Nachkrieg‘ aufgenommen wurde.238 Der Kanzlei Hitlers war die Aufstellung eines gewissen Kanons möglicherweise tatsächlich gelungen, sofern man den von der literaturwissenschaftlichen und -historischen Forschung bisher offenbar vernachlässigten Büchereikatalog der ParteiKanzlei in der Berliner Voßstraße als eine Form der Kanonisierung betrachtet, der zuletzt knapp 1.200 Texte in 20 Kategorien verzeichnete, unter ‚Romane‘ auch Standschütze Bruggler.239 Doch nicht nur dort, sondern auch in der kleinen privaten Bücherei Hitlers auf dem Obersalzberg dürfte sich ein Exemplar befunden haben. Die britische 233 234 235 236
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Adam (2010), S. 294: „Dies sind – kurz gesagt – vielleicht die wichtigsten ‚Geheimnisse‘ der Bestseller im Dritten Reich!“ Schneider (2004), S. 97. Zu den Leihbüchereien siehe auch Wulf (1963), S. 209. O. V.: „14.000 Bände und 3.000 Leser“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 14.12.1944, S. 3. Miltner, Heinrich: „Filmkrieg in Schnee und Eis. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ in den bayerischen Alpen ein Filmheld wird“. In: Der Montag v. 23.03.1936, S. 7 u. O. V.: „Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf Bossi-Fedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘“. In: Berliner Börsen-Zeitung v. 24.10.1936, S. 10. E-Mail Jan-Pieter Barbian an CP v. 06.02.2017. Er vermutet, Hellmuth Langenbucher, „Literaturpapst der NS-Zeit“, könnte hier eine Rolle gespielt haben. Aufschluss hätten möglicherweise noch die Aktenbestände des Eher-Verlags und der Gruppe Buchhandel in der RSK geben können, doch beide sind bei Luftangriffen vernichtet worden. Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums (1935), S. 8. Vgl. Strothmann (1960), S. 241f., der Bruggler hier aufführt, u. Barbian (1995), S. 812. „Katalog der Bücherei der Kanzlei des Führers der NSDAP“. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1355 („Kanzlei des Führers der NSDAP“), Opis 4, Akte 47, Bl. 6 u. 81. Zu Bouhler siehe Klee (2015), S. 67f. Barbian (1995), S. 81ff., schreibt zwar von Parteibüchereien, an deren Aufbau zunächst Rosenberg maßgeblich beteiligt war, nennt diese spezifische Bücherei jedoch nicht.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Historikerin Elizabeth Wiskemann, die schon 1949 eine Publikation zur Achse Berlin-Rom herausgab, hatte in Gesprächen mit dem italienischen Gesandten Graf Magistrati herausgefunden, dass dieser bei einem Besuch des Obersalzberges mit dem italienischen Außenminister Graf Ciano 1935/36 Gelegenheit bekommen hatte, in der „small personal library“ Hitlers zu stöbern. Dort hätten sich einige Bände zum Thema Deutschtum befunden. Magistrati, als italienischer Diplomat aufmerksam hinsichtlich der Südtiroler, machte „the interesting discovery“, hier, entgegen Hitlers offiziellem Desinteresse, auch die Texte „of their leaders, Reut-Nikolussi and Bossi Fedrigotti“240, zu finden. Als besondere Form der Förderung und Anerkennung gelten kann auch dessen Aufnahme in Das Buch, ein Schwert des Geistes. Erste Grundliste für den Deutschen Leihbuchhandel241, ein „Gradmesser“242 offizieller staatlicher Wertschätzung, in die von der Reichsjugendführung herausgegebene, jährlich erscheinende Empfehlungsliste Das Buch der Jugend (1934, 1935, 1936, 1937 u. 1938) in den Deutsch-Kanon der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA, ‚Napola‘) von 1939 und in die von den Städtischen Büchereien in Wien 1944 herausgegebene Empfehlungsliste Romane und Erzählungen (mit insgesamt 1.000 Titeln) gelten.243 Die sogenannten ‚Napolas‘ waren nationalsozialistische Parteiinternate, an denen die ‚Jungmannen‘ weltanschaulichgeistig und vormilitärisch-körperlich geschult wurden, um eine Hitler und dem NS-Staat bedingungslos ergebene Jugend zu erziehen.244 Das Fach Deutsch zielte darauf ab, Werte und Vorbilder deutschen Volkstums zu verinnerlichen. Die „rassisch bedingte germanisch-deutsche Wertwelt“ sei die Grundlage des Deutschunterrichts,
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Entnahmen aus: Wiskemann (1949), S. 74. Die Autorin benennt hier nicht, um welche Texte Reuts und BFs es sich handelte, doch angesichts des Zeitpunkts 1935/36 und der Verbreitung Brugglers dürfte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um (unter anderen) diesen Roman gehandelt haben. Von dieser Liste, die in Zusammenarbeit von Dienststelle Rosenberg (Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums) und RSK erschien, entstanden insgesamt drei Ausgaben (1940, 1941 u. 1943). In der ersten und dritten Ausgabe waren etwa 5.000 Titel verzeichnet (davon 170 von österreichischen Autoren), in der zweiten etwas weniger. Amann (1996), S. 209f. BF wurde hier mit zwei Titeln empfohlen. Vgl. Strothmann (1960), S. 241f. Amann (1996), S. 209. Pajak/Simon (2007), S. 25 u. zu den Empfehlungslisten Amann (1996), S. 210f. Weiß, Hermann: „Nationalpolitische Erziehungsanstalten“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 655ff. Siehe auch Rohn, Hendryk: „Nationalpolitische Erziehungsanstalten“. In: Benz (2012), S. 423ff.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat aus der und mit der das deutsche Lebenserlebnis und -schicksal in der Vergangenheit und Gegenwart lebendig gemacht werden muß, um diese Werte im Sinne der ‚germanischen Revolution‘ des Nationalsozialismus für die Zukunft rein erhalten und steigern zu können.
Er diene der „Weckung, Erwerbung und Festigung dieser rassenseelischen Werte“ und sei daher mehr als alle anderen Fächer Weltanschauungsunterricht. In strenger Auswahl sollten die „erregendsten Werke“ die Schüler in eine „bestimmte Willensrichtung“245 führen. In der Kategorie ‚Der deutsche Soldat‘ reiht sich Bruggler neben Texten Schauweckers und Beumelburgs ein.246 Auch der (Süd-) Tiroler Karl Springenschmid findet sich hier wieder, der forderte, dass Tirol dem „großen Reich aller Deutschen“247 entgegenwachsen müsse. Bossi und er hatten den Ersten Weltkrieg gleichermaßen aus dem historischen Zusammenhang herausgetrennt und in den ideologischen der 1930er Jahre gebracht, sodass „eine dem Kriegsgeschehen fremde Bewußtseinslage“ Einzug hielt und die Figuren Träger ideologischer Überzeugungen wurden, die in dieser Zusammenstellung kein historisches Pendant besitzen. Das kann auch als Eskapismus, zurück in idealisierte, aus der Erinnerung heraus glorifizierte Zeiten Südtirols vor der italienischen Besatzung, verstanden werden.248 Im Vergleich mit Springenschmid sei Bossi bei der Beurteilung ‚Fremder‘ allerdings „rigoroser“249 gewesen. 245 246 247
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Entnahmen aus: „Arbeitsplan für den Deutschunterricht an den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“. Pajak/Simon (2007), S. 2ff. Ebd., S. 25. Ziesel (1940), S. 357f. Die „Kraft seines Dichtertums“ habe im Bauerntum und dem Fronterleben gelegen. Gerstner/Schworm (1939), S. 515. Karl Springenschmid (1897-1981), war ein aus Innsbruck stammender, erfolgreicher Schriftsteller, der im Ersten Weltkrieg diente, Mitte der 1930er Jahre NS-Gauamtsleiter in Salzburg und Hauptverantwortlicher der Bücherverbrennung in Salzburg am 30.04.1938 wurde. Er publizierte u. a., wie auch BF, in Der Südtiroler. Nach 1945 arbeitete er als Lehrer und wurde beim ‚Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes‘ aktiv. Klee (2009), S. 522. Siehe auch Ziesel (1940), S. 357f., Steurer (1982), S. 26-33 u. Springenschmid, Karl: „Der Sepp. Der Lebensroman Sepp Innerkoflers“ [Feuilletonroman]. In: Der Südtiroler v. 15.04.1935, S. 2. 1971 schrieb Springenschmid in seinem Text Schicksal Südtirol (Stocker): „Bergbauer in Südtirol, das bedeutet: harte Arbeit, einfaches, entsagungsvolles Leben. Dieses kinderreiche, bodenverwurzelte Bergbauerntum gibt dem Lande hervorragende Menschen“. Springenschmid (1971), S. 80. Vgl. Ketelsen (1976), S. 73. Im Grunde ist es, wenn man um die Kriegsrahmung der BrugglerHandlung weiß, keine Flucht in ehemals bessere Zeiten. Doch durch die Konstruktionen BFs, diese Kampfphase als Fundament der nun angebrochenen, neuen Zeit zu erkennen, als Bedingung der endlich eingetretenen Erfüllung, kann die Kriegsphase in Südtirol doch als ‚gute alte Zeit‘ dienen. Entnahmen aus: Riedmann (2001), S. 205, 227 u. 235. Vgl. dazu auch Ketelsen (1976), S. 62ff.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Die Tiroler Autoren zeichneten um die Jahrhundertwende das Bild eines überwiegend von Bauern besiedelten Grenzlandes „innigster Naturnähe, Erdund Gottverbundenheit“250. Das zeigt sich auch in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg, den viele als unmittelbare Bedrohung wahrnahmen und dessen Folgen und Wirkungen sie oft literarisch idealisierten und mythisierten. Tiroler Kriegstexte tragen „Grundzüge der Bauern- und Grenzlandliteratur“251, ein insgesamt typischer Topos österreichischer Schriftsteller der 1930er Jahre.252 Diese Literatur war Heimat-, Landschafts-, Natur-, Liebes-, Konfessions-, Bergsteiger- und Fremdenverkehrsschrifttum mit historischen, politischen, ideologischen und völkischen Schwerpunkten.253
Im Deutschland und Österreich der 1920er Jahre hatte ein „mächtiger Strom“254 der Heimatliteratur eingesetzt, geprägt von idyllisch-agrarromantischen, kulturpessimistischen, mythisch-archaischen Sozialstrukturen, Antisemitismus und Nationalismus. Diese Flucht aus der Realität der sich schnell verändernden industriellen Gesellschaft, aus sozialen und politischen Konflikten, hinein in Fiktionen von „stabilen, überschaubaren Ordnungen vorindustrieller Zeit und bäuerlicher Existenz“255 bot der NS-Kulturpolitik breite Möglichkeiten, Texte für ihre Zwecke einzuspannen und den Schriftstellern Gelegenheit, sich so in den Dienst zu stellen oder stellen zu lassen. Im NS-Staat überwiegend unter dem Blut-und-Boden-Sammelbegriff summiert, handelt es sich bei Heimatliteratur dieser Jahre oft um eine „literarische Tarnform, die die Propagierung völkischer Ideale auch ohne den gefährlichen tagespolitischen Bezug erlaubte“256. Das patriarchalische Tirol sei darüber hinaus seit je her „bester Nährboden“257 des römisch-katholischen Glaubens gewesen, der bei Bossi zum naturgegebenen Anstand der tirolisch-pragmatischen Deutschtumshüter mutiert. Die Texte beinahe aller Tiroler zeigen Akademiker (und Städter) als die blassen, bebrillten Weltfremden, die sich in einer Bewährungsprobe die 250 251 252 253 254 255 256 257
Dörrer, Anton: „Eigenleben des Südtiroler Nachkriegsschrifttums“. In: Der Südtiroler v. 01.12.1934, S. 8. Riedmann (2001), S. 200. Vgl. auch S. 216. Die oft volkstümlichen Texte überschritten die Millionengrenze weit. Amann (1996), S. 11f. u. 92f. Vgl. Amann (1990), S. 66f. Vgl. zur Entstehung der Tiroler Bauernliteratur seit etwa 1820/30 Grüning (1992), S. 54ff. Entnahmen aus: Riedmann (2001), S. 200. Vgl. Cole (2000), S. 274. Amann (1996), S. 84ff. Vondung (1976), S. 44ff. u. 54. Vgl. Wippermann (1976), S. 185 u. Düsterberg (2018), S. 55ff. Amann (1996), S. 84ff. Siehe dazu auch Ketelsen (1976), S. 75. Riedmann (2001), S. 224. Vgl. Grüning (1992), S. 57.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Anerkennung der Kameraden erkämpfen. Sie müssen die Verbindung zum ‚lebendigen Volksboden‘ erst wieder spüren und erlernen, ganz im Gegensatz zu den sich seit Jahrhunderten bewährenden Bauern. „Der Gegensatz Stadt – Provinz, bodenständig – artfremd“ wurde seit 1933, auch in Österreich, „zur literarischen Scheidemünze“258 der Literaturgeschichte. Schließlich schweißt der Krieg die (deutschen) Kameraden eng zusammen, was ohne Kampf nicht möglich gewesen wäre. Die ‚Waffenbrüderschaft‘ ist typisches Motiv österreichischer Kriegsliteratur dieser Jahre.259 Kurz vor und nach der Annexion Österreichs rechtfertigte diese den vorangegangenen und kommenden Krieg, um die Österreicher als „anschlußwürdig“260 darzustellen. Dazu hob man das wenige Vorhandene umso stärker hervor, vor allem die Texte Bossis, Springenschmids, Brehms und Tumlers. Die von ihnen gestaltete, empfindliche Heimatlandschaft wird oft vor der als Schlachtfeld dienenden, „imposanten Alpenkulisse“ inszeniert. Die Aktionen wirken schemenhaft, Details mythisiert und heroisiert, die Figuren durch „gängige Typologien“ dichotom und ohne wirklichen Entwicklungsspielraum festgelegt. Realistische Tiroler Kriegsromane ohne Glorifizierung und Idealisierung habe es nicht gegeben. Der Bauer/Kämpfer/Standschütze/ Kaiserjäger besitze stets ein kantiges, zerfurchtes Gesicht, einen entschlossenen Blick und ist von starkem, sehnigen Körperbau. Jeder ist ein treffsicherer Schütze (Jäger), ein tüchtiger Bergsteiger und ein Naturbursch, also prädestiniert zum Krieger in Feld und Eis.261
Die Presse erscheint in den Tiroler Kriegsromanen als Zunft, die nichts über die wahren Verhältnisse an der Front weiß.262 Bossi, obwohl selbst Journalist, lässt auch Toni Bruggler einstimmen: Frei am Seil hängend Keile in den Felswänden ‚versteifen‘, das ist eine Arbeit, die ich einmal unsern Zeitungsschreibern, die immer nur von der ‚Ruhe an der Front‘ zu melden wissen, für ein paar Tage wünschen möchte. Ich glaube, das würde ihre ‚Ruhe‘ ziemlich kurieren (204). 258 259 260 261 262
Entnahmen aus: Amann (1996), S. 83. Siehe dazu auch Vallery (1983), S. 147 u. Kiesel (2017), S. 130ff. Ebd., S. 88. Darauf geht auch Seidl (1943), S. 232f., ein. Vgl. Riedmann (2001), S. 220. Amann (1988), S. 73 u. Amann (1996), S. 89. Zu nennen sind auch Fritz Weber, Bodo Kaltenboeck, Robert Mimra, Kornel Abel und Walter Neuwirth. Zu Kaltenboeck vgl. Schafranek (2011), S. 418f. Entnahmen aus: Riedmann (2001), S. 200 u. 219. Ebd., S. 220 u. Lungershausen (2017), S. 143.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
223
Bossi war nicht der einzige deutschsprachige Südtiroler, dessen Texte auf dem deutschen Buchmarkt erfolgreich wurden. Zu nennen sind auch Luis Trenker, Joseph Georg Oberkofler oder Franz Tumler.263 Ihre Texte verband vor allem die Hoffnung auf Großdeutschland, durch die sie intensiv „zur Ideologisierung der (Südtiroler) Gesellschaft“264 beitrugen. Stattlich war die „Reihe der Sänger“, die binnen kurzer Zeit die gesamte deutsche Welt durch ihre Lieder aufhorchen ließen. Sänger, alle dem geheiligten Boden Südtirols entwachsen, deren Gesänge wunderbar klares Abbild ihrer Scholle sind. Wer kennt sie nicht in deutschen Lande? Reut-Nikolussi, Luis Trenker, Bossi-Fedrigotti, Springenschmid […] Sie predigen, mahnen, rütteln auf. Werden zu Kündern deutscher Volksgemeinschaft.265
In Die zeitgenössische Literatur Südtirols (1992) stellte Hans-Georg Grüning heraus, dass die dortige deutschsprachige Literatur ihren Bezugsraum vor allem in Nordtirol und Österreich besaß. Das brachte besondere Entstehungsbedingungen in Bezug auf die Konstruktion der eigenen Identität durch Ethnie, Sprache und Kultur hervor, bei denen in Südtirol besonders der literarisch oft verarbeitete ‚Nationalheld‘ Andreas Hofer hervorzuheben ist, verstärkt durch das gemeinsame Erleben der Abtrennung 1919 und die massiven Italianisierungsmaßnahmen. 263
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Joseph Georg Oberkofler (1889-1962) war ein erfolgreicher Südtiroler Schriftsteller und promovierter Jurist, der den Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger erlebte u. den ‚Anschluss‘ literarisch propagierte (Bekenntnisbuch österreichischer Dichter (1938)). In seinen Texten habe die „österreichische Blut-und-Boden-Literatur ihren Höhepunkt“ erreicht. Klee (2009), S. 397. Siehe auch Oberkofler, Elmar: „‚Nie stirbt das Land …‘“.. In: Dolomiten v. 16.04.1969, S. 3. u. Wöß, Franz Max: „J.G. Oberkofler und die jüngere Dichtung“. In: Der Südtiroler v. 15.04.1932, S. 8. Vgl. Grüning (1992), S. 59f. Riedmann (2001), S. 200ff., Amann (1997), S. 39 u. 44 u. Langenbucher (1941), S. 539. Franz Tumler (1912-1998) war ein aus der Nähe Bozens stammender Schriftsteller u. NSDAPsowie SA-Mitglied, der die Annexion Österreichs ebenfalls propagandistisch unterstützte. Klee (2009), S. 561. Hinzuzufügen sind u. a. Josef Wenter, Maria Veronika Rubatscher, Hubert Mumelter, Karl Paulin, Gertrud Fussenegger ‚Bruder Willram‘, Anton von Mörl (auch hier Standschützen) u. Josef Weingartner. Siehe Wöß, Franz Max: „Deutsche Dichtung in Südtirol“. In: Südtiroler Heimat v. 15.07.1936, S. 7 (Teil 1), v. 01.08.1936, S. 7 (Teil 2), v. 15.08.1936, S. 7 (Teil 3), Thurnher (1966), S. 82ff. u. Dörrer, Anton: „Eigenleben des Südtiroler Nachkriegsschrifttums“. In: Der Südtiroler v. 01.12.1934, S. 8 (Teil 1), v. 15.12.1934, S. 8 (Teil 2), v. 01.01.1935, S. 8 (Teil 3), v. 01.02.1935, S. 8 (Teil 4), u. v. 13.03.1935, S. 8 (Teil 5). Vgl. Grüning (1992), S. 66ff. Entnahmen aus: Mimra, Robert: „‚Heimat in Not‘. Ein neuer Südtiroler Roman“. In: Salzburger Volksblatt v. 18.01.1937, S. 5. Mimra (1896-1954) war Offizier im Ersten Weltkrieg und verarbeitete seine Kriegserlebnisse in mehreren Romanen. Siehe Weichselbaum (2014), S. 462. Vgl. Vallery (1983), S. 148.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Als Südtiroler Literatur (bzw. die Provenienz beschreibend „‚Literatur in Südtirol‘, ‚Literatur aus Südtirol‘“) kann gelten, was von Autoren verfasst wurde, die von dort stammen, dort noch, inzwischen, wieder oder nicht mehr leben, „affektiv“266 damit verbunden waren und/oder sind. Die Autoren der Zwischen- und Nachkriegszeit allerdings hätten sich selten als Produzenten eigenständiger Südtiroler Literatur empfunden, um so den Nabel zum deutschsprachigen Kulturraum nicht zu durchtrennen.267 Als besonders im 20. Jahrhundert entstandenen und in den 1930er Jahren ausformulierten stereotypischen Topos südtirolischer Texte könne man den „des die Heimat und Berge liebenden und sie verteidigenden ‚kernigen‘ Volks von Bergbauern und Bergsteigern“268 erkennen, der entsprechend touristisch in Szene gesetzt wurde. Hellmuth Langenbucher (und auch Heinz Kindermann) stellte Bruggler gemeinsam mit Trenkers Berge in Flammen, Springenschmids Saat in der Nacht (1936) und Gisbert W. Kühne-Hellmessens Kaiserjäger, ausharren! (1936) in eine Reihe „ergreifende[r] Zeugnisse für die Heimattreue der Südtiroler“269, die gleichzeitig das Schicksal des Volkes über das der Individuen stellen. Südtiroler Schriftsteller waren „nie zuvor (und nie wieder seither)“ auf dem deutschen Buchmarkt „so erfolgreich und so präsent“270 wie im ‚Dritten Reich‘. Was sich in diesen Jahren an stereotypen Bildern festigte, wirkt touristisch für das mit Heimat, Tradition, Idylle und Landschaft werbende Südtirol (und Tirol) bis heute und muss auch in Verbindung mit einer nach 1945 lange (und zum Teil bis heute) währenden Unabhängigkeitsbewegung gesehen werden, die anscheinend nach wie vor stark im Schützenmilieu fußt und sich, verpackt in Heimat- und Trachtenliebe, teilweise am rechten Rand der Südtiroler Gesellschaft bewegt.271 Insofern haben die zu jener Zeit wirkenden Autoren, unter ihnen Bossi in vorderster Reihe, einen bedeutenden Anteil an der Propagierung und Instrumentalisierung ihrer Heimat als bäuerlichste, bodenständigste, völkischste, damit urdeutscheste aller Landschaften. 266 267 268 269 270 271
Entnahmen aus: Grüning (1992), S. 7. Siehe auch S. 20ff. u. Waldner (1990), S. 14f. Grüning (1992), S. 8. Erst seit den 1960er Jahren habe sich das Bewusstsein für eine spezifisch südtirolische Literatur entwickelt, basierend auf der Erkenntnis der besonders vielfältigen ethno-kulturellen Stellung der Region. Vgl. auch Kiesel (2017), S. 315ff. Grüning (1992), S. 11. Vgl. S. 55. Siehe auch Siegl (2013), S. 136f. u. Amann (1997), S. 33, der sich hier auf Gatterer (2015) bezieht. Langenbucher (1941), S. 538f. Vgl. Grüning (1992), S. 11 u. Waldner (1990), S. 17. Entnahmen aus: Amann (1997), S. 32. Vgl. Waldner (1990), S. 15f. u. 29, der sich hier auf Gatterer (1968) bezieht und von einer ‚Südtirolmode‘ in diesen Jahren schreibt, von der auch BF beflügelt worden sei. Siehe u. a. Francechini, Christoph: „Rechter Schützenrock“ v. 04.01.2017. https://www. salto.bz/de/article/02012017/der-schuetzenrock [Zugriff: 17.01.2018].
5.2 Schriftstellerische Anfänge
225
Das „Schicksalsdokument eines tapferen Volkes!“272 – Bruggler-Verfilmung Die Verbreitung und Wirkung des Romans kann allerdings nicht ohne die Verfilmung betrachtet werden, die „natürlich propagandistisch mitgespielt“273 hat und Bossis Bekanntheitsgrad ab 1935 in die Höhe schnellen ließ. Schon im und nach dem Ersten Weltkrieg hatten Filme der Bevölkerung die Kämpfe als sinnhaften Prozess und „Bewährungsfeld für das Individuum“274 gezeigt. Die Verstaatlichung dieser Industrie war Goebbels nach 1933 ein besonderes Anliegen; sie bot ungeahnte Möglichkeiten, Propaganda breitenwirksam zu streuen.275 Er verstand die „politische Bedeutung des Films“ aber auch in einem „über die Funktion des Vehikels für explizite Botschaften hinausgehenden Sinn“, wodurch ihm Unterhaltung als Notwendigkeit galt und solche Filme gerade durch ihre Ideologielosigkeit weltanschauliche Prägung besaßen. „Homogenisierung, Konzentration und Kontrolle“276 waren an der Tagesordnung. Literatur bot seit je her Filmstoffe. Diese sollten das „geschriebene und gesprochene Wort wirkungsvoll“277 unterstützten. Nach 1933 wurde das Zusammenspiel stetig professionalisiert. Da bei Bruggler die Filmidee letztlich den Text beeinflusste, liegt die Vermutung nahe, dass sich Bossi bei der Textgestaltung schon von szenischen Vorstellungen leiten ließ.278 Ende August 1935 bestätigte Hinkel, dass ihm der Roman, den er „bereits seit seinem Erscheinen“ besaß, „ausgezeichnet“ gefallen hatte. 5.2.2
Ohne Ihnen zu schmeicheln, möchte ich Ihnen sagen, dass Sie m.E. mit diesem Werk eines der besten Kriegsbücher geschrieben haben. Sollte Ihnen nunmehr die Verfilmung möglich sein, so seien Sie meiner Hilfe in jeder Weise versichert. Nehmen Sie den kameradschaftlichen Rat, für die Gestaltung diesen [sic!] grossen Stoffes nur einwandfreie und künstlerisch berufene Filmleute 272 273 274 275 276
277 278
O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘. Welturaufführung im Ufa-Palast“. In: Koelnische Zeitung v. 03.09.1936, o. S. „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Kleinhans (2014), S. 37. Vgl. Drewniak (1987), S. 357. Schoeps (2000), S. 197ff. u. Lowry (1991), S. 4. Entnahmen aus: Rother (2015), S. 233ff. Das betraf alle „mit Produktion und Distribution von Filmen verbundenen Funktionen“: Darsteller, Regisseure, Autoren, Komponisten, Kameraleute, Produzenten, Verleiher, Kinobesitzer, Hersteller von Werbefilmen, Inhaber von Agenturen, usf. 1927 gab es 96 Filmhersteller in Deutschland, 1938 nur noch 30. Die Ufa, Tobis, Bavaria und Terra beherrschten die Filmwelt 1935/36 und besaßen einen 80-prozentigen Anteil an neuen Streifen. Vgl. Schoeps (2000), S. 198ff. Reichsjugendführung der NSDAP (1938), S. 21. Adam (2010), S. 316. Vgl. O. V.: „Ein volksdeutscher Film: ‚Standschütze Bruggler‘“. In: Deutsches Adelsblatt v. 19.09.1936, o. S.
226
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat anzusetzen, denn Sie wissen ja selbst zur Genüge, dass man hierfür nicht den üblichen Typ des Spielfilm-Regisseurs brauchen kann.279
Bereits im Oktober 1934 war eine anonyme Anzeige „von sehr beachtenswerter Seite“280 bei den österreichischen Sicherheitsbehörden eingegangen, in Tirol und Kärnten werde ein Propagandafilm produziert, dessen Drehbuch Bossi verfasst habe. Der halte sich „unter falschem Namen und falschem Pass, wahrscheinlich auf ‚Herrn von Stein‘ lautend“281, in Österreich auf. Doch die Behörden konnten ihm nichts nachweisen. Tatsächlich erst im Winter 1935 nahmen die konkreten Filmplanungen Ostermayrs im Auftrag der Ufa Gestalt an.282 Seine Firma kam auf Hinkels Angebot zurück: Es war gelungen, die Filmarbeiten „unter tätiger Mitwirkung“283 des Autors zu beginnen. Hinkel schrieb Bossi, er wolle weiterhin „gern helfen, um unserer gemeinsamen Sache zu dienen“284. Ostermayr bot Hinkel an, das fertige Drehbuch zuzusenden und bat ihn um Erlaubnis, etwa 300 Tiroler Angehörige der österreichischen Legion der SA als Hilfsmannschaften der Reichsfachschaft Film zu überstellen.285 279 280 281
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Entnahmen aus: Hinkel an BF v. 29.08.1935, BArch R 9361-V/14885, Bl. 16. Erlass der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im österreichischen Bundeskanzleramt v. 19.10.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 261.626-St.B./1934-22/in genere. Anonyme Anzeige gegen BF, eingegangen am 16.10.1934, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 261.626-St.B./1934-22/in genere. Siehe auch Bundespolizeidirektion Wien an Bundeskanzleramt Wien v. 06.01.1935, ebd. Es wäre möglich, dass BF sich dort bereits auf der Suche nach geeigneten Drehorten befand. Peukert (1997), S. 172 u. Alexander (1995), S. 239. Ostermayr an Hinkel v. 18.12.1935, BArch R 9361-V/14885, Bl. 28. Entwürfe eines neuen Films mussten zu dieser Zeit bereits dem Reichsfilmdramaturgen vorgelegt werden, um zu verhindern, „daß Stoffe behandelt werden, die dem Geist der Zeit zuwiderlaufen“. Diese Hürde hatte Bruggler überwunden. Lichtspielgesetz v. 16.02.1934, RGBl. I, Nr. 17 (1934), S. 95. Hinkel an BF v. 07.02.1936, BArch R 9361-V/14885, Bl. 24. „Lieber Bossi, vielen Dank für die Übersendung des Manuskripts […]. Ich wünsche Dir und dem Werk, dass der Film künstlerisch in jeder Weise Deinem Buch gleichkommt“. Hinkel an BF v. 07.02.1936, BArch R 9361-V/14885, Bl. 24. Siehe auch Ostermayr an Hinkel v. 01.02.1936, ebd., Bl. 26f. In der ehemaligen ‚Landesbilddokumentation Tirol‘, die sich heute als Dauerleihgabe in den Tiroler Landesmuseen in Innsbruck befindet, existiert ein Filmkonvolut mit umfangreichem Material. Die Fotografien, so Alexander (1995), S. 239 u. 251, zeigen auch Angehörige der österreichischen Legion bei den Aufnahmen. Leider ist der Zugang zum Bestand wegen Umzugs in ein neues Depot nicht möglich. E-Mail Dr. Claudia Sporer-Heis an CP v. 27.01.2017. Nach der Annexion Österreichs gab Peter Ostermayr auch offen in der Presse zu, Männer der Österreichischen Legion zu den Filmarbeiten herangezogen zu haben. O. V.: „Von Frau Hitt zu Frau Sixta“ [Erinnerungen an Filmproduktionen]. In: Das kleine Volksblatt v. 28.06.1938, S. 5.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Als Drehort wurde das Wendelsteingebirge in den bayerischen Alpen erkoren. Regie führte Werner Klingler.286 Der habe dafür gesorgt, dass sich im Film „nichts bewege, was ihm nicht blut- und stammesmäßig verbunden“287 sei. Den Soldatendarstellern, den „zähen und kernigen Söhnen“288 aller BergGaue, gelang nur unter großem Aufwand der Transport des Equipments und der Darsteller in die Höhen. Die Schauspieler erlebten einen beinahe echten Militärdienst und seien so innerhalb weniger Tage zu wahren Standschützen geworden.289 Mit Flugzeugen habe Ostermayr „etwa hundert Darsteller […] zu Probeaufnahmen“290 kommen lassen. Der erst 18-jährige Ludwig Kerscher spielte schließlich Bruggler, Franziska Kinz dessen Mutter, Eduard Köck ‚Theißen Anderl‘ und Lola Chlud Hella von Teuff.291 Die Ufa frohlockte, der Film werde ein Hohelied auf die „gewaltige Bergwelt und die menschliche Tapferkeit“292. Klingler und Bossi hätten eine „treue Kameradschaft“293 gezeigt, die sie auf alle Mitwirkenden übertrugen. Der habe dabei nicht „hinter dem Schreibtisch sitzenbleiben“294 können. Er berichtete Hinkel Mitte Februar 1936 über den Stand der Dreharbeiten:
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Klingler hatte zuvor mit Luis Trenker an verschiedenen Filmprojekten gearbeitet. Der spielte, anders als von Lungershausen (2017), S. 230, beschrieben, hier allerdings nicht mit. Lungershausens kurze BF-Biografie führt wiederholt unzureichend recherchierte Angaben auf. Dr. W.Z.: „Standschütze Bruggler. Film-Uraufführung im Münchner Ufa-Palast“. In: Koelnische Volkszeitung v. 03.09.1936, o. S. Miltner, Heinrich: „Filmkrieg in Schnee und Eis. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ in den bayerischen Alpen ein Filmheld wird“. In: Der Montag v. 23.03.1936, S. 7. Heil de Brentani, Mario: „Ein Leben für Tirol! Plauderei mit Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Vogtlaendischer Anzeiger v. 05.09.1936, o. S. Angeblich halfen nicht nur SA-Truppen, sondern auch Wehrmachtseinheiten. Siehe H.H. [unbekannt]: „Standschützen auf der Wacht“. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 15.03.1936, S. 7 u. Bossi-Fedrigotti: „‚Das Wunder‘“. In: Berliner Börsen-Zeitung v. 07.11.1936, o. S. Miltner, Heinrich: „Filmkrieg in Schnee und Eis. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ in den bayerischen Alpen ein Filmheld wird“. In: Der Montag v. 23.03.1936, S. 7. Kerscher stammte „aus der Truppe des bekannten Münchner Volksschauspielers Weiß Ferdl“. Alexander (1995), S. 239. Franziska Kinz hatte bereits in Hitlerjunge Quex mitgespielt. In weiteren Rollen waren Beppo Brehm, Friedrich Ulmer, Gustl Gstettenbauer und Viktor Gehring zu sehen. Ebd. u. Wolfram (2009), S. 298f. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘ hat Aufnahmen begonnen“. In: „UfA-Nachrichten fürs Ausland“. Bestand Landesbilddokumentation Tirol. Heil de Brentani, Mario: „Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ wurde“. In: Licht, Bild und Bühne v. 13.03.1936, o. S. Entnahmen aus: O. V.: „Tiroler Heldentum im Film“. In: Völkischer Beobachter v. 21.03.1936, S. 8.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat Lieber Hans, […] Wir sitzen also seit 4 Tagen hier und sammeln unsere Schäflein. Die Kinz als Brugglermutter ist engagiert, sie ist begeistert von der Rolle und verspricht, die Rolle als nationale (Tiroler) aufgabe [sic!] anzusehen. […] Gestern hat es dann noch eine Aufregung gegeben. Lehmann von der Ufa hat plötzlich angerufen und angeordnet, daß alles zu stoppen sei, da er erfahren habe, man habe im Propagandaministerium schwere polizeiliche Bedenken geäussert. […] Vielleicht hörst Du einmal, wer da wieder dazwischen gemischt hat und wenn der Minister verständigt wird, so tue, bitte das du und nicht irgendeiner, der dem Minister mitteilt: Grosse Sache – Krieg gegen Italien, Südtirol usw. sondern, daß es nur lediglich eine Wiedergabe der Leistungen beider Teile sein soll. Es ist scheusslich, daß jede Arbeit immer so unsicher gemacht wird. Du kannst Dir ja denken, wie ich mit den Ufaleuten [sic!] dies habe murksen müssen!
Außerdem war das Projekt durch Tierschutzbestimmungen beeinträchtigt worden. Es gab Ärger wegen 1 Bock u. 3 schäbigen Gaissen [sic!]. Es ist z.K. [zum Kotzen]! Kannst Du nicht Wagner oder Epp einen Wink geben, daß wir schließlich ja auch gerade dem bayr. Alpenkorps ein Denkmal setzen wollen. […] Wenigstens ist das Reichsheer mit allem einverstanden. […] Heil Hitler dein Bossi.295
Die Dreharbeiten belasteten tatsächlich die deutsch-italienischen Verhältnisse. Botschafter Attolico hatte sich Ende März 1936 bei Reichsaußenminister von Neurath beschwert, vor allem über die Mitwirkung deutschen Militärs: „Graf Bossi sei ein italienischer Renegat, und sein Roman habe eine antiitalienische Tendenz“296. Neurath erwiderte, ihn nicht zu kennen und verwies an das RMVP.297 1981 befragt, ob sein „Thema der damaligen Ideologie“ entsprochen habe, antwortete Bossi: „Nein. Natürlich offiziell durfte das gar nicht verlautbart werden“. Er erinnerte sich gut daran, dass die Italiener seinerzeit verlangt hätten, den Film zu verbieten. So sei die Auflage erlassen worden, ihn „als Autor des Films, als Drehbuchautor“ nicht zu nennen, sondern nur den
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Entnahmen aus: BF an Hinkel v. 14.02.1936, BArch R 9361-V/14885, Bl. 25. BF hatte offenbar ein Problem mit der Unterscheidung von „ß“ und „ss“, was sich bei diesem Dokument stark zeigt. Dokument 209: „Aufzeichnung des Reichsministers des Auswärtigen Freiherrn von Neurath“ v. 25.03.1936. ADAP (1977), Serie C, Bd. 5, Teil 1, S. 268. Siehe auch PA AA, R 32266. Dass das Militär solche Dreharbeiten unterstützte, war keine Seltenheit. Siehe Drewniak (1987), S. 357f. Ebd. Von Reichskriegsminister Blomberg habe er außerdem eine Erklärung erbeten, dass der Einsatz der Soldaten nicht offiziell genehmigt worden war.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
229
Roman. Die Proteste der Italiener seien vom RMVP und vor allem von „Göring auch zurückgewiesen worden“298. Der Film versteht es, stärker als die Textvorlage, eine spezifische Schlichtheit als „ästhetisches Programm“299 zu vermitteln, um Authentizität zu suggerieren. Viele Szenen scheinen allerdings überzeichnet, um einen eindringlichen und erhebenenden Eindruck zu vermitteln. Der Anschlussgedanke dominiert die gesamte Handlung als Grundtendenz. Im Vordergrund steht auch hier die Tilgung des Bildes vom unzuverlässigen österreichischen Soldaten. Die deutsche Hilfe nimmt im Vergleich zum Text eine ungleich stärkere Rolle ein, was zwar die politische Botschaft der ‚Waffenbrüderschaft‘ eindrucksvoll unterstreicht, jedoch auch einen Gutteil der zuvor erreichten Tilgung wieder zurücknimmt. Der Feind wird – ohne exakte historische Entsprechung didaktisch reduziert – ausschließlich gemeinsam bezwungen.300 Ein bedeutender Unterschied zeigt sich am Ende: Bruggler, der sich in beinahe jeder Szene, auch im Kampf, lächelnd und fröhlich zeigt, dem der Krieg und die Bewährung Spaß zu machen scheinen, wird mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet, stirbt jedoch nicht. Strahlend scheint er bereit zum nächsten Einsatz auf Leib und Leben. Durch Bewährung, Auszeichnung und den mimisch auf der Leinwand wahrnehmbaren Stolz des fröhlichen Kämpfers wird Bruggler (noch wesentlich eindringlicher als in der Textvorlage) als Filmprotagonist noch weitaus wirkungsvoller zum Symbol und Vorbild für opferungsbereite Kinder und Jugendliche. Die Schlusssequenz zeigt im Stechschritt vorbeimarschierende, alte Standschützen – und damit unumwunden den Übergang der alten Tiroler, ihrer Traditionen und Werte ins neue nationalsozialistische Deutschland.301 Es erscheint kaum verwunderlich, dass die Uraufführung des Films im Münchner Ufa-Palast am 28. August 1936 – „zu besonders glücklich gewählter Zeit“302 – stattfand, dem Tag der Öffnung der deutsch-österreichischen Grenze infolge des ‚Juliabkommens‘ 1936 und neuer Annäherungen mit Österreich und Italien.303 Die Vorstellung besuchten auch Ufa-Direktor Grieving, der 298 299 300 301 302
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„Entnahmen aus: „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Lungershausen (2017), S. 112f. Vgl. Voigt (2014), S. 143ff. Ebd., S. 143. Entnahmen aus: Linde, H.S.: „Standschütze Bruggler. Ein Film der Heimattreue und Wehrhaftigkeit“. In: National-Zeitung v. 05.09.1936, o. S. Noch Ende Februar 1933 hatte Hitler in einem Interview mit einer ungarischen Zeitung über die Waffenbrüderschaft der Deutschen mit den Ungarn im Ersten Weltkrieg gesprochen. Jacobsen (1968), S. 765. Wilms (2017), S. 70 u. Alexander (1995), S. 240. Italien hatte 1935 das Königreich Abessinien angegriffen und näherte sich infolge der darauf einsetzenden, internationalen Isolierung
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
stellvertretende Gauleiter Nippold und Vertreter von Staat und Wehrmacht. Abschließend bedankten sich die Schauspieler und Drehbuchautor Bossi auf der Bühne.304 An der österreichischen Premiere in Innsbruck nahmen außerdem der deutsche Generalkonsul Saller, in Wien Botschafter Franz von Papen teil.305 Insgesamt sei der Film in Österreich sehr positiv besprochen worden. Dass er noch vor Berlin in Innsbruck lief, verstand die deutsche Presse als „verdiente Huldigung an die österreichische Armee“ und das „heldenmütige Tiroler Bauerntum“306. In der Schweiz erschien der Film erst ab Februar 1937 unter dem Titel „Toni, der Held der Dolomiten“307. Als Vorprogramm der Berliner Uraufführung schließlich diente „ein Film der Reichsführung der SS. über Ausgrabungen alter Germanensiedlungen“308. Im Anschluss nahmen Bossi und seine Frau auf Einladung des Ufa-Direktors noch an einem Empfang teil.309 Sie hatten sich mithilfe Ostermayrs, des Romans, aber insbesondere des Films die Türen zu vornehmen Berliner Kreisen geöffnet und erhielten hier Gelegenheit, weitere Kontakte zu knüpfen.
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dem Deutschen Reich an. Österreichs Sicherheitsbündnis mit Italien geriet ins Wanken. Mussolini wandte sich an den österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg und forderte ihn auf, sich mit Deutschland zu verständigen, um eine gütliche Vereinbarung zu erzielen. Daraus ging das ‚Juliabkommen‘ von 1936 zur ‚Befriedung‘ zwischen dem österreichischen Ständestaat und dem Deutschen Reich mit weitreichenden Zugeständnissen an die Nationalsozialisten hervor. Auch wenn sich Österreich in dieser Zeit äußerlich als souveräner Staat präsentierte, de facto war es mit zunehmend schweigender Zustimmung der Bevölkerung von Nationalsozialisten unterwandert. Schausberger (1988), S. 5f. Siehe auch Amann (1996), S. 133ff., Steurer (1975), S. 293, Haas (1988), S. 4ff. u. den Wortlaut des Abkommens in Arnberger/DÖW (1988), S. 97. O. V.: „Erfolgreiche Uraufführung des ‚Standschützen Bruggler‘ in München“. In: FilmKurier v. 29.08.1936, o. S. Vgl. O. V.: „Ein Funkgespräch“. In: Licht, Bild und Bühne v. 07.09.1936, o. S. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘“. In: Oberschlesischer Kurier v. 23.10.1936, o. S. u. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘ in Innsbruck“. In: Licht, Bild und Bühne v. 22.10.1936, o. S. O. V.: „Standschütze Bruggler. Ein herrlicher Film von soldatischer Kameradschaft im Hochgebirge“. In: Muenstersche Zeitung v. 01.11.1936, o. S. Entnahmen aus: O. V.: „Standschütze Bruggler“. In: Allgemeine Zeitung (Chemnitz) v. 15.11.1936, o. S. Vgl. Alexander (1995), S. 241. O. V.: „Der Film“. In: Salzburger Volksblatt v. 20.02.1937, S. 9f. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘“. In: B. Z. am Mittag v. 13.11.1936, o. S. Einladungskarte für „Graf Anton Bossi-Fedrigotti und Frau“ zum Empfang am 12.11.1936. Tiroler Landesbilddokumentation, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Das Material ist infolge eines Umzugs derzeit nicht zugänglich. Zur Verfügung gestellt wurde es (34 Berichte u. Artikel zur Vorgeschichte, 24 zur Uraufführung in München, 61 zu anderen Vorführungen) dankenswerterweise von Dr. Helmuth Alexander.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Bei Hinkel, den Bossi inzwischen „Lieber Freund“ nannte, bedankte er sich überschwänglich.310 Die Filmprüfstelle zeichnete Standschütze Bruggler mit den Prädikaten ‚volksbildend‘, ‚künstlerisch wertvoll‘ und (eines der höchsten) ‚staatspolitisch wertvoll‘ aus311; eine Auszeichnung, die eine weitgehende Steuerbefreiung nach sich zog und die offenbar nur jenen Filmen vorbehalten war, die „im Auftrag oder mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung“312 Goebbels‘ oder der Reichspropagandaleitung veranlasst worden waren. Wer ideologisch angepasste Stoffe produzierte, wurde dafür unmittelbar finanziell belohnt. In Österreich erhielt Bruggler sogar das höchste Prädikat „kulturell wertvoll“313. Dabei habe man von Bossi und seinem Roman im Ständestaat eigentlich nichts wissen dürfen, am Film aber „nicht gut vorübergehen“ können. Man zeigte ihn „nach Entfernung aller Szenen und Gespräche, die dem österreichischen Zuschauer hätten gefährlich werden können“314. Bemerkenswert ist eine Filmkritik, die in der Wiener Zeitung Christlicher Ständestaat erschien. Bisher seien aus Deutschland etliche Versuche unternommen worden, „neudeutsches Ideengut einzuschmuggeln, ein paar Tropfen Blut- oder Rassenmystik in eine vermeintlich wohlige Handlung zu träufeln“. Ganz anders Bruggler: ein in sich geschlossener, angenehmer und taktvoller Film, abgesehen vom Roman des „nicht ganz eindeutigen“315 Schriftstellers. Der Wert der Films habe im technisch-realistischen Nachbau 310 311
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Entnahmen aus: BF an Hinkel v. 06.11.1936, BArch R 9361-V/14885, Bl. 33. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘ ausgezeichnet“. In: Film-Kurier v. 22.08.1936, S. 1 u. [Randnotiz]. In: Berliner Lokal-Anzeiger v. 20.10.1936. Vgl. Riedmann (2001), S. 234. 1933/34 hatten die Novelle des Vergnügungssteuergesetzes und das Lichtspielgesetz die Filmbewertung durch die (nunmehr nur noch in Berlin befindliche) Filmprüfstelle geregelt. Lichtspielgesetz v. 16.02.1934, RGBl. I, Nr. 17, S. 95 u. Verordnung über die Vergnügungssteuer v. 22.12.1933, RGBl. I, Nr. 5, S. 35. § 2 der Verordnung über die Vergnügungssteuer v. 22.12.1933, RGBl. I, Nr. 5, S. 35. Seit der 5. Verordnung zur Durchführung des Lichtspielgesetzes v. 05.11.1934 galt dieses Prädikat nach „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“ als zweithöchstes. Siehe (auch zur Steuerbefreiung) RGBl. I, Nr. 125, S. 1105f. Tatsächlich sei der Film als einer der ersten „von der Propagandastelle der NSDAP“ produziert worden. Hartungen (1995), S. 93. Siehe auch Drewniak (1987), S. 360 u. Alexander (1995), S. 239. O. V.: „Kulturell wertvoller Film“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 20.10.1936, o. S. Walter (2008), S. 41: Die Filmprüfung in Österreich übernahm seit 1930 eine Kommission des „Lichtbild- und Filmdienstes des Bundesministeriums für Unterricht“. ‚Kulturell wertvoll‘ war die höchste von fünf Kategorien. Entnahmen aus: Greinz, Hugo: „Bossi-Fedrigotti“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 04.08.1938, S. 2f. Entnahmen aus: O. V.: „‚Der Ufa-Film ‚Standschütze Bruggler‘ – Eine angenehme Überraschung“. In: Christlicher Ständestaat v. 01.11.1936, o. S.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
des Hochgebirgskrieges und der „liebe- und humorvollen Ausarbeitung des soldatischen Menschentums dieser heimattreuen Bauern“ gelegen. Männliche Kraft und die „Herbheit einer naturstarken Rasse“316 hätten seine Authentizität geprägt. Er sei ohne Schwulst und Sentimentalität, ein hartes und hellklingendes Lied, in das Mut und Opfertum, Not und Frömmigkeit eines Volkes hineinklingen werden und das verlorene Lachen eines kleinen Buben, der für Tirol in den Tod ging.317
Die Ehrenrettung der deutschösterreichisch-tirolischen Soldaten gelang. Der gesamtösterreichische Soldat habe versagt, nicht aber „diese Tiroler Standschützen“318, die gegen die Feinde in den eigenen Reihen kämpften. Tragisch sei, dass der untergegangene Staat nicht nur „Menschen eines Blutes und einer Sprache“319 vereint habe. Die Alpini seien als ritterliche Soldaten im Kampf gegen die „hochgewachsenen, hellhaarigen Söhne der italienischen Alpen“320 dargestellt. Ostermayr selbst bekannte, es sei ein „herrlicher Filmstoff geworden“321. Und auch Zuschauer bestätigten: „In uns ist ein Hochgefühl“322. In vielerlei Hinsicht ist Bruggler dem ebenfalls in Südtirol spielenden und die ‚Waffenbrüderschaft‘ propagierenden Kriegsfilm Luis Trenkers, Berge in Flammen (1931), ähnlich.323 Trenker hatte neben Bossi wichtigen Anteil daran, 316 317 318 319 320 321 322 323
Entnahmen aus: O. V.: „Standschütze Bruggler. Festliche Uraufführung im Ufa-Palast“. In: Münchner Telegramm Zeitung – Abendblatt v. 29.08.1936, o. S. Heil de Brentani, Mario: „Ein Leben für Tirol. ‚Standschütze Bruggler‘ wird verfilmt!“ In: Reclams Universum v. 23.04.1936, o. S. Entnahmen aus: O. V.: „Münchner Filmzeitung. Standschütze Bruggler“. In: Münchner Zeitung v. 29.08.1936, o. S. Hervorhebungen im Original. Heil de Brentani, Mario: „Ein Leben für Tirol! Plauderei mit Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Vogtlaendischer Anzeiger v. 05.09.1936, o. S. Entnahmen aus: Heil de Brentani, Mario: „Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ wurde“. In: Licht, Bild und Bühne v. 13.03.1936, o. S. O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘. Welturaufführung im Ufa-Palast“. In: Koelnische Zeitung v. 03.09.1936, o. S. H.H. [Verf. unbek.]: „Standschütze Bruggler“. In: Die Bewegung. Zeitung der deutschen Studenten v. 16.09.1936, o. S. Luis Trenker (1892-1990), aus Südtirol stammender Schauspieler und „Blut-undBoden-Regisseur“, veröffentlichte verschiedene erfolgreiche Heimat- und Bergfilme. 1934 erreichte die Gesamtauflage seiner Texte 385.000 Exemplare. Er vermittelte auch pangermanische, militaristische und völkische Standpunkte. Einige seiner seit 1931 erschienenen Texte waren wichtige Vorläufer einer ganzen Reihe Bücher und Filme über den Bergkrieg 1915-1918. Trenker optierte 1940 für die dt. Staatsbürgerschaft u. wurde nach 1945 als Berg- und Heimatfilmschauspieler berühmt. Klee (2009), S. 556f. Siehe auch Wilms (2017), S. 65ff., Schilling (2011), S. 24, Thurnher (1966), S. 83, Grüning (1992), S. 68, u. Amann (1996), S. 80.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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dass Südtirol in der deutschen Öffentlichkeit präsent blieb, trat jedoch nicht in gleichem Maße einschlägig parteipolitisch dafür ein. Both films succeeded in keeping the formerly German territory on the mental map of all those who harbored revanchist tendencies, thereby turning mountain film into a continuation (or expansion) of politics through cinematic means.324
Beide stehen in der Tradition klassischer Bergfilme der Weimarer Zeit, gleichzeitig jedoch im „Vorfeld bzw. im Fahrwasser der nationalsozialistischen Ideologie“325 und sind Versuche „to renationalize the South Tyrol territory as a traditionally German living space“326. Sie verklären Bergsteigen und Klettern zur besten militärischen Einsatzvorbereitung.327 Heimat wird gleichermaßen mithilfe archetypischer Gegensätze von Heimat und Ferne sowie Tradition und Veränderung konstruiert. Die Kriegshandlungen in Bruggler seien im Vergleich allerdings „meisterhaft, viel, viel besser“328. Der Film diente politischen Interessen des NS-Staates nicht nur bei der Grenzöffnung 1936, sondern auch 1938. Er und seine literarische Vorlage waren wie gemacht, um als zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Wiedervereinigungspropaganda zu fungieren und den Einmarsch der Wehrmacht in Österreich breitenwirksam zu legitimieren.329 Seit der Uraufführung lief er bis 1945 immer wieder in verschiedenen Kinos, ab 1938 vor allem auch in einer mobilen Variante mithilfe eines Tonwagens der Gaufilmstellen – und wurde so im Grunde nie abgesetzt.330 Die NSDAP im Kreis Dornbirn 324 325 326
327 328 329 330
Wilms (2017), S. 75. Riedmann (2001), S. 235. Vgl. Voigt (2014), S. 114. Wilms (2017), S. 63. „We find symptomatic elements of that genre in both films – shots of billowing clouds, snow-covered peaks, climbing and skiing, and a world framed by the dichotomies of struggle and redemption. Second, with their repeated emphasis on fighting, courage, comradeship, and duty for the nation, both films are clearly linked to war cinema. Third, there is the connection of the future Heimatfilm […] of the 1950s“. Der Kameramann von Standschütze Bruggler, Sepp Allgeier, war ein früher Assistent von Franck und arbeite später für Leni Riefenstahl. Siehe S. 64. Er bildet so auch eine belegbare Verbindung zwischen frühen Bergfilmen, Bruggler und nach nationalsozialistischästhetischen Ansprüchen gestalteten Riefenstahl-Filmen (wie der zur Olympiade 1936 in Berlin). Vgl. Jaroslawski/Steinlein (1976), S. 315f. H.H. [Verf. unbek.]: „Standschütze Bruggler“. In: Die Bewegung. Zeitung der deutschen Studenten v. 16.09.1936, o. S. Vgl. Wilms (2017), S. 62. Greinz, Hugo: „Bossi-Fedrigotti“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 04.08.1938, S. 3. Vgl. Lantschner, Fritz: „Tirol und der großdeutsche Gedanke“. In: Neues Wiener Abendblatt v. 18.06.1938, S. 7, Alexander (1995), S. 242 u. Voigt (2014), S. 144. Siehe u. a. O. V.: „Erste Filmvorführung der NS-Gaufilmstelle – Standschütze Bruggler“. In: Innviertler Heimatblatt v. 25.08.1938, S. 11. Hier halfen BDM-Mädchen beim
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(Vorarlberg) meldete Mitte November 1938, dass große Teile der Bevölkerung so erstmals einen „guten deutschen Film nationalsozialistischer Prägung“331 gesehen hätten. Darüber hinaus diente der Film im September 1939 zur Propagierung der Waffenbrüderschaft vor dem Krieg und ab September 1944 (als er erneut in die Kinos gebracht wurde) zur Ausrufung des ‚Volkssturmes‘, um die Mobilisierung aller nicht an der Front kämpfender Männer zwischen 16 und 60 Jahren zum Endkampf „ideell zu untermauern und historisch zu legitimieren“332. Gauleiter Hofer setzte sich in seinem Machtbereich allerdings schlicht über diese Bezeichnung hinweg und nannte den Volkssturm in Südtirol „Standschützenbataillone“333. Die Wiederaufführung Brugglers kam so im Verständnis der Machthaber einer „‚Auszeichnung, einer auszeichnenden Hervorhebung‘“334 gleich. In den späteren Alpen- und Donau-Reichsgauen und der Operationszone Alpenvorland (Südtirol) fiel das auf fruchtbarsten Boden. Am 23. Dezember 1944 informierte das Bozner Tagblatt, Bruggler liefe derzeit im Lichtspielhaus Meran in einem Programm mit dem Standschützen-Farbfilm Wehrbereit allezeit, einer Propaganda-Dokumentation des 6. Innsbrucker Landesschießens 1943.335 Der zeigte, passend zur Bruggler’schen Aufopferungsmotivation, „bei schönstem Wetter unter blauem Himmel […] den Einmarsch der Parteiformationen, mit den hell leuchtenden Hakenkreuzfahnen“, des Militärs und der Standschützen in ihren „farbenprächtigen Trachten“ vor der Hofburg. Sie alle – und auch die zehnjährigen Hitlerjungen – bewiesen freudig ihren „Wehrwillen“. Unmissverständlich wurde der Schulterschluss zwischen Standschützen, Wehrmacht und NS-Organisationen propagiert. Der Wille und der freudige Einsatz des Standschützen Bruggler muß auch heute Symbol sein für die Standschützen des jetzigen Krieges, denn was diese damals unter den schwierigsten und unmöglichsten Verhältnissen leisten konnten, das
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Kartenvorverkauf und Lautsprecherwagen fuhren durch die Ortschaften, um auf die Vorführung hinzuweisen. Vgl. O. V.: „Korrespondenzen“ [Aufführung Bruggler durch die Gaufilmstelle]. In: Salzburger Volksblatt v. 17.10.1938, S. 11. Für die NSDAP-Ortsgruppe Marzg war die Vorführung des Films „ein glänzender Erfolg“. O. V.: „Korrespondenzen“. In. Ebd. v. 18.10.1938, S. 8. O. V.: „Nachrichten aus dem Gau“. In: Vorarlberger Tagblatt v. 15.11.1938, S. 8. Alexander (1995), S. 242. Vgl. Theil (1983), S. 313 u. zum Volkssturm Schmitz-Berning (2007), S. 673f. Für insgesamt 38 „‚Reprisenfilme soldatischen und nationalen Inhalts‘“ ordnete das RMVP im Oktober 1944 an, sie „mit Vorrang“ wieder in den Kinos zu zeigen, darunter auch Bruggler. Albrecht (1969), S. 119. Seidler (1989), S. 113. Auf S. 114 findet sich auch eine Abbildung eines StandschützenVolkssturm-Aufnähers. Albrecht (1969), S. 120, zitiert hier Film-Nachrichten v. 11.11.1944. Siehe auch ebd., S. 357. Alt (2011), S. 267. Siehe dazu und zur Ausrufung des Volkssturms in Südtirol (als Standschützenbataillone) auch Wedekind (2003), S. 296.
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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werden auch die heute aufgestellten Bataillone auf sich nehmen können und sie werden auch diesmal die ihnen gestellten Aufgaben bestimmt erfüllen.336
Ab Ende Dezember lief das Programm in Bozen und anschließend in allen Kinos der Gegend: im Januar in Gossensaß, Schlanders und Mals, im Februar in Sterzing, im März in Kaltern, Ritten und Neumarkt und im April 1945 in Salurn.337 In Kastelruth diente Bruggler sogar als Hauptbeitrag zur Eröffnung des neuen Kinos.338 Zwischen dem 11. April und dem 1. Mai 1945, also bis zum Tag vor der deutschen Kapitulation in Italien, wurde der Streifen noch mit einem Tonfilmwagen auch in kleinsten Orten Südtirols vorgeführt, um für den ‚Endkampf‘ zu werben, am 12. April auch noch in Toblach.339 Gewissermaßen als Begleitmaterial lieferte Bossi noch im Februar 1945 einen Artikel zur publizistischen Verflechtung des tirolischen Abwehreinsatzes mit dem nationalsozialistischen Endkampf: Eine Radioansprache zum Aufruf des ‚Volkssturmes‘ lauschend, ergreift die in einer Gaststube sitzenden Männer, die in gleicher Konstellation schon 1915 dort saßen, nun wieder das Gefühl „selbstgewählter Pflichterfüllung“. Damals hörten sie dem Kaiser zu, nun dem Reichsführer-SS Himmler, „grösster Sohn seines Volkes“. Er ruft sie zu den Waffen, weil die „Sprache ihres eigenen Blutes“ es gebietet. Die Männer scheinen nur darauf gewartet zu haben, um, wie 1915, treu zu folgen. Zuletzt singen sie, „hoch aufgerichtet mit zum deutschen Gruss erhobener Hand“, das
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Entnahmen aus: Runge, Franz: „Meraner Lichtspiele“. In: Bozner Tagblatt v. 23.12.1944, S. 7. Wehrbereit allezeit gilt heute als einziger erhaltener NSDAP-Parteifarbtonfilm. Der stellvertretende Reichsfilmintendant Kurt Parbel genehmigte im August 1944 noch die Anfertigung von fünf Kopien zu Propagandazwecken „für den Standschützenverband Tirol“. Alt (2011), S. 268. Siehe Lichtspieltheater-Anzeigen im Bozner Tagblatt v. 19.12.1944, S. 4; 03.01.1945, S. 4; 05.01.1945, S. 8; 24.01.1945, S. 4; 27.01.1945, S. 8; 07.02.1945, S. 4; 03.0.4.1945, S. 2; usw. Außerdem zeigte man den Film seit Dezember 1944 auch wieder in Wien, Mariabrunn, usw. Siehe Tonfilm-Theater-Anzeigen der Kleine Wiener Kriegszeitung v. 15.12.1944, S. 8; 24.02.1945, S. 4; 02.03.1945, S. 4; 06.03.1945, S. 4; 24.03.1945, S. 4. O. V.: „Aus der Provinz Bozen“. In: Bozner Tagblatt v. 08.02.1945, S. 3. Lichtspieltheater- und Tonfilmwagen-Anzeigen im Bozner Tagblatt v. 10.04.1945, S. 2 u. 17.04.1945, S. 2. Siehe auch O. V.: „Aus der Provinz Bozen“. In: Bozner Tagblatt v. 30.04.1945, S. 2. Schon 1939 hatte sich die Tonfilmwagen-Methode in Tirol-Vorarlberg als besonders wirksam erwiesen. Sie brachte außergewöhnlich viele Menschen „in den Tälern oft unter schwierigsten Wegverhältnissen“ zusammen. Diese sahen oft erstmals einen Film. Entnahmen aus: Bericht ORR v. Wilucki an RMVP, Direktor Abt. II, v. 14.01.1939, BArch R 55/1211, Bl. 7-10. Siehe auch Wedekind (2003), S. 278, der Bruggler als Erzeugnis eines Südtirolers hier jedoch nicht erwähnt.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Deutschlandlied als „Bekenntnis tiefsten und andächtigsten Glaubens“ und rufen: „Heil, wir Standschützen von 1944. Wir grüssen den Führer!“340 Jede nur greifbare Möglichkeit wurde in Südtirol genutzt, um die Menschen zu Kampf und Heldentod zu motivieren, oftmals mit Unterstützung des regional-bezogenen Schaffens ihres Landsmannes Bossi-Fedrigotti. Besonders Bruggler, ob als Buch oder als Film, half „beim sinnlosen Verheizen von Kindern und Greisen“ und bei der „Legitimation eines verbrecherischen Krieges unter dem verlogenen Aspekt der Notwehr“341. So ordnete der Alliierte Kontrollrat auch schon 1945 an, die Vorführung des Films zu verbieten.342 5.2.3 Zeugen von „volkspolitischem Können“343 Bis Kriegsbeginn 1939 erschienen neun weitere Texte Bossis, illustriert unter anderem auch von seiner Frau.344 Bis Ende 1935 waren es schon sechs in drei Verlagen, zwei in einschlägig bekannten NS-nahen Häusern (Andermann und Bruckmann) und vier im bis heute unter der Marke ‚Schneiderbuch‘ bekannten Leipziger Jugendbuchverlag Franz Schneiders, der sich nach der
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Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Standschützen von 1915 – Standschützen von 1945“. In: Bozner Tagblatt v. 23.02.1945, S. 3. Über diesen Artikel BFs und die Umwidmung der Standschützen berichtete noch im August 2017 das südtirolische Nachrichtenportal ‚salto.bz‘. Gasser, Lisa Maria: „Mit Hakenkreuz gegen Faschistenbeil. Welche Rolle spielte das Schützenwesen während der NS-Zeit in Südtirol? Eine Spurensuche in zwei Teilen“. https://www.salto.bz/it/article/28082017/aufarbeitung-2 [Zugriff: 12.12.17]. Auch zwei andere Artikel BFs von Februar 1945 stimmen in diese Instrumentalisierung ein: Bossi-Fedrigotti: „Der Fennerjäger erste Tat“. In: Ebd. v. 17.02.1945, S. 4 u. Bossi-Fedrigotti: „Höllenstein … Heldental der Standschützen“. In: Ebd. v. 24.02.1945, S. 4. Siehe auch: O. V.: „Am Südwall des Reiches da stehen wir!“ In: Ebd. v. 19.10.1944, S. 3. Vgl. Schreiber (2008), S. 152. Nach der Entstehung der ‚Operationszone Alpenvorland‘ 1943 nutzten die Nationalsozialisten die Zeitungs-Infrastruktur der Dolomiten, um das Bozner Tagblatt zu produzieren. Nach 1945 übernahm die 1946 gegründete Bozner Zeitung, ein italienisch beeinflusstes Blatt, große Teile der Mitarbeiterschaft des Bozner Tagblatts. Sie stellte ihren Betrieb jedoch 1947 schon wieder ein. Viele Mitarbeiter landeten später bei der wiedererstandenen Zeitung Dolomiten. Dort publizierte auch BF ab den 1950er Jahren (wieder). Trafojer (2003), S. 163 u. 180f. Vgl. Waldner (1990), S. 15. Entnahmen aus: Alexander (1995), S. 242. Ebd., S. 243 u. Odenwald (2006), S. 329. RPA T-V an RMVP v. 20.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 21f. BFs Texte wurden illustriert von: Gräfin Bossi-Fedrigotti (Andreas Hofer (1935) u. Spionage und Verrat (1935)), Carl Benedek (Andreas Hofer (1955) u. Christian, der Grenzgänger (1951)), Willy Goerzen (Die weiße Wand (1937)), Dietrich Gräff (Das Mädchen Sandra (1964)) u. Helga Wahle (Lotti geht nicht zum Film (1958), Mannequin auf Probe (1958), Margot zwischen Licht und Schatten (1958), alle vier Marietta-Bände (1961) u. Marima tanzt vor (1957).
5.2 Schriftstellerische Anfänge
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Machtübernahme 1933 sukzessive den neuen Herren annäherte und zu dessen „Hausautoren“345 Bossi wurde. Dort erschien 1934 Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana, das vom Einsatz einer Kaiserjäger-Kompanie im Ersten Weltkrieg handelt.346 Gleich Bruggler tragen die Tiroler „Runen der schweren Gebirgsbauernarbeit“ und ein „wetterharte[s] Kämpferantlitz“ (7), beweisen die Zuverlässigkeit der Deutschösterreicher und besondere Frontkameradschaft, kämpfen gegen tapfere Italiener und werden, wie der siebzehnjährige Protagonist Hans Bacher, durch den schicksalhaft hereinbrechenden Krieg zum Manne gestählt. „Herrgottswinkel, das Hoferbild und der Stutzen“ symbolisieren „Glauben, Vaterlandsliebe und Wehrhaftigkeitsgefühl“ (51), das ihnen „im Blute“ (52) liegt.347 Im „Endkampf“ (42) sind die Männer bereit, „lieber in die Luft gesprengt zu werden, als einen Fuß breit“ (48) dem Feinde zu überlassen. „Heil Tirol“ (63) brüllend werden sie zu Rächern ihrer Blutsbrüder. Schließlich fällt Bacher „unter einem Bajonettstich in die Kehle“. Sein Tod ist nicht vergebens; er hört noch die heraneilenden Österreicher (64). Die letzten Seiten bilden ein heraustrennbares Werbefaltwerbeblatt, um die eigene Adresse und die der Freunde, „aber bitte nur bis zu 16 Jahren“, anzugeben. Pro Anschrift erhielt der Absender „2 Pfennige und die Portoauslagen“. Auch so gelang es Verlagen, die Auflagen zu steigern. Tiroler Kaiserjäger erreichte zuletzt (1942) 45.000 Exemplare, seit 1934 in Das Buch der Jugend für Kinder ab 10 Jahren empfohlen von der NS-Reichsjugendführung.348 Die Jugend und junge Armee müsse von solch „prachtvoll geschriebenen Kriegsbüchern“349 begeistert sein, hielt ein 345
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O. V.: „Graf Bossi Fedrigotti 75“. In: Dolomiten v. 07.08.1976, S. 7. Wahrscheinlich vermittelte BF seiner Frau den Kontakt zum Zeitgeschichte-Verlag. Für diesen illustrierte sie 1937 den Roman Die Schwestern aus Memel von Ilse Schreiber. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch im Verlagsprogramm des Franz Schneider-Verlages (1913 gegründet) sichtbar. „Zunehmend häufiger“ fanden sich „politisch eindeutig klassifizierbare Titel“. Nach 1945 blieben viele belastete Autoren hier weiter aktiv. Haberland, Detlef: „Kurze Geschichte des Franz Schneider Verlages“. Oldenburgische Bibliotheksgesellschaft: http://www.lb-oldenburg.de/uberlbo/bibliotheksgesellschaft/buch_des_monats_ archiv/2013/buch_des_monats2013_4.htm [Zugriff: 12.11.2017]. Die Illustrationen des 64-seitigen Texts stammen von Alois Kolb (1875-1942), einem österreichisch-deutschen Maler und Radierer, später Professor in Leipzig, der sich auch volkstümlichen Themen widmete. Österreichische Akademie der Wissenschaften (1966), S. 74. Vgl. zum Motiv der Wehrhaftigkeit Wulf (1963), S. 370: Jede „volkhafte Dichtung“ trage „wehrhaften Charakter“, diene „bewußt und unbewußt der Arterhaltung“. Siehe auch Jaroslawski/Steinlein (1976), S. 316. Reichsjugendführung (1934), S. 25. Bossi-Fedrigotti, Andreas Hofer, Sandwirt von Passeier (1935), Verlagswerbeseiten (110f.). Außerdem seien Rezension in den Münchner Neuesten Nachrichten v. 20.12.1934 u. im
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Rezensent fest. Aus seinem Text las Bossi im Mai, August und September 1937 bei Radio Wien, Franz Haas im August („Jugendstunde“350) bei Radio Linz.351 Der 1935 ebenfalls bei Schneider (für Kinder ab 10 Jahren) erschienene Andreas Hofer, Sandwirt von Passeier zählte bis 1943 acht Auflagen mit 40.000 Exemplaren. Bis 1945 spielte Hofer in drei selbstständigen Publikationen Bossis eine stärkere Rolle, außerdem in Aufsätzen und Zeitungsartikeln.352 Der Autor ist für dessen Dienstbarmachung „besonders […] zu erwähnen“353, er wurde prominenter Vertreter der nationalsozialistischen Vereinnahmung Hofers als „Symbol deutscher Kraft und Stärke“354. Nach 1933 konnte an dessen Rolle in der Propaganda des Ersten Weltkrieges leicht angeknüpft werden; die Stilisierung geeigneter Figuren zu vorbildlichen ‚Volksführern‘ war durchaus erwünscht.355 Bossis Jugendbuch zeigt die sich 1809 gegen die französischen und bayrischen Besatzer und die Bayern wehrenden Tiroler. Der tragische Kampf der scheinbar blutsverwandten (11, 30f., 84) Deutschen, „Bergessöhne gegen Bergessöhne“ (31), bestimmt den Text. Blind folgen die mit Gesichtern „alter wetterharter Bauern“ (17) gezeichneten Tiroler ihrem „Führer“ (21) Andreas Hofer, den die Soldaten mit „Heil Hofer!“ (74) grüßen – eine Formel, die historisch „in keinster [sic!] Weise belegt ist“356. ‚Heil Tirol‘ und ‚Heil Hofer‘, außerdem die Wetterhärte der Tiroler, belegen erneut die geschichtsklitternde Argumentation Bossi-Fedrigotti’scher Inszenierungen.357 Bei den Südtirolern, Angehörige „uralten deutschen Stammes“ (37), marschieren die „Buben ihren Vätern und Brüdern“ (58) voran. Von einer Geschützsalve getroffen, brechen die Kleinen nieder, doch die überlebenden Kinder stürmen „furchtlos weiter, nur wilder und trotziger“ (59). Auf das Wort des Kaisers können sich die Tiroler nicht verlassen. So gilt der Kampf der „Freiheit der Deutschen in den Bergen“ als „Fackel“ (79) für das gesamte Volk. Hofer wird schließlich hingerichtet, lebt
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Salzburger Volksblatt v. 03.10.1934 veröffentlicht worden. Siehe auch Greinz, Hugo: „BossiFedrigotti“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 04.08.1938, S. 3. „Das Rundfunk-Programm“. In: Linzer Volksblatt (Abendausgabe) v. 25.08.1937, S. 3. „Europäisches Sendeprogramm 2. bis 8. Mai 1937“. In: Radio Wien v. 30.04.1937, S. 30 u. O. V.: „Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana. Jugendstunde am Montag, 30. August, 15,15 Uhr“. In: ebd. v. 27.08.1937, S. 7. Siehe auch Kurzwellenprogramm v. 12.-18.09.1937, ebd. v. 10.09.1937 [drei Lesungen]. Andreas Hofer, Sandwirt von Passeier (1935), Tirol bleibt Tirol (1935), Österreichs Blutweg (1939). Kern (2006), S. 110. Siehe auch Habitzel (1990), S. 8 u. 10f. Parschalk (2017), S. 307. Vgl. Kern (2006), S. 141f. u. Cole (2000), S. 272. Aley (1969), S. 137ff. Voigt (2014), S. 111. Lungershausen (2017), S. 42.
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aber als „lebendige Heldengestalt der deutschen Nation“ (109) weiter. Als 1942 die achte Ausgabe von Das Buch der Jugend, eine Empfehlungsliste der Reichsjugendführung, erschien, wurden angesichts der „Notwendigkeit der Papierersparnis“ nur noch die „unentbehrlichsten“358 Texte aus vergangenen Jahren wieder aufgenommen; Bossis Andreas Hofer war darunter. Von „Ostfriesland bis nach Siebenbürgen und von der Kurischen Nehrung bis in die Täler des Jura, jedes Kind einen Namen kennt: Andreas Hofer!“359 So paraphrasiert Bossi eine ähnliche Intention seines pseudohistorischen Tirol bleibt Tirol. Der tausendjährige Befreiungskampf eines Volkes (1935).360 Der Text handelt von der unumstößlich-natürlichen ‚Deutschheit‘ Tirols und besonders Südtirols.361 Die Kapitel scheinen willkürlich um dieses stilisierte Glaubensbekenntnis herum konstruiert zu sein. Bossi gestaltet ein „deutsches Jahrtausend“ (18), erkämpft und beschützt von blonden, opferbereiten, wehrwilligen Bergbauern als Außenposten und Grenzwächter Deutschlands, denen „deutsches Blut“ (34, 87, 274) ihre selbstverständliche Aufgabe auferlegt (15, 76ff., 83, 130, 219, 230f.) und die überwiegend im Dialekt sprechen. Zur Beweisführung bemüht der Autor in auffälliger Geschichtsklitterung Germanengötter und -herzöge, die Grafen von Tirol, Volksrebellen, Kaiser und Weltkriegssoldaten. Sie alle sind „Blutzeugen“ (206, 213) der deutschen Tiroler Geschichte, kämpfen und siegen stets gegen fremde Völker, vor allem Italiener (bzw. zuvor Römer) und Franzosen (9ff., 78f., 146, 223).362 Bossi zeigt den „Kameraden Schnürschuh“ (231) erneut als heldenmutigsten k.u.k.-Kämpfer, der sich „für das Deutschland von morgen“ opfert. So soll er „vom Reich verstanden und erkannt“ (231, 253) werden. ‚Das Reich‘, für die Tiroler das Deutsche und das ‚Dritte Reich‘, ist Bezugspunkt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (52, 109f., 126, 130), auch für die Standschützen von 1915 (237) – ein typisches Merkmal nationalsozialistischer Dichtung.363 Alle Epochen sind durch die Bergfeuer in der Sonnwendnacht verbunden, „tausendjährige Freiheitszeichen der Deutschen“ (8, 13, 24). 358 359 360 361 362 363
Entnahmen aus: Reichsjugendführung (1941), S. 3. Das Verzeichnis sei der „maßgebliche Buchberater für alle Angehörigen der Hitler-Jugend“ gewesen. Bossi-Fedrigotti, Tirol bleibt Tirol (1935), S. 137. Die Hofer-Textstellen in diesem Text finden sich auf den Seiten 37, 130ff., 137, 139 u. 183. Diese Botschaft transportiert BF so häufig, dass die entsprechenden Textstellen nicht im Fließtext angegeben werden sollen: 8, 10, 12, 19, 31, 34, 49, 52f, 76, 87, 93, 100, 109f., 121, 146, 210, 253 u. 274. Vgl. Wilms (2017), S. 72. Vgl. dazu auch eine Rezension des Textes: O. V.: Anton Graf Bossi-Fedrigotti, Tirol bleibt Tirol. In: Österreichische Touristenzeitung v. 15.01.1938, S. 23. Es zeige sich das „volksdeutsche Empfinden und Bekennen des allzeit getreuen Tiroler Volkes“. Schnell (1998), S. 116, Vallery (1983), S. 150 u. Amann (1996), S. 90f., der das hier speziell auf österreichische Texte bezieht.
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Eine nicht unwesentliche Rolle nimmt Michael Gaismair ein, Anführer zur Zeit der Bauernkriege. Seine Gegenspieler sind die österreichischen und spanischen Habsburger, die sich mit der katholische Kirche, den Jesuiten und einem Juden, „Michael Gabriel Salamanca“ (90), gegen die Bevölkerung verschworen haben (210).364 Der dient dem Autor als Projektionsfläche antisemitischer Stereotype. Er ist ein internationalistischer, habgieriger, feiger, gerissener, intriganter „Geldverleiher“ (90), den „alle hassen“ (91). Als Schuldeneintreiber des Kaisers ist er der „Ausbeuter“ des Volkes. Bauern und Adel stehen im Kampf gegen ihn zusammen. Salamanca rückt ihnen auch „wegen Aufbegehrens und Bekenntnis zur deutschen Lehre“ (92) zu Leibe. Um seine Charakterisierung zu vervollständigen, nimmt Bossi ein nicht belegtes Zitat zu Hilfe, wonach Salamanca „‚ein stinkendt, ketzerisch […] Jud und Pöswicht‘“ (92) war. Der Autor versucht, Authentizität zu erzeugen und erhält gleichzeitig Gelegenheit, keine Verantwortung für solche Passagen übernehmen zu müssen, indem er alte Quellen bemüht. Salamanca erscheint deshalb als Ausbeuter, weil er Jude ist, es liegt ihm gleichsam im Blute (90-96). Mit dem geldgierigen, listigen und gerissenen Mann bediente Bossi das „klassische Feindbild“365 des rücksichtslosen, unehrlichen, betrügerischen, jüdischen Geschäftsmannes.366 Er lässt den aufrichtigen, stolzen Deutschen gegen den zutiefst abwertend charakterisierten Juden antreten; damit bewegte er sich ganz auf der Linie nationalsozialistisch-antijüdischen Rassenhasses.367 364
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Gabriel von Salamanca-Ortenburg (?-1539) war ein jüdischer, aus Spanien stammender Vertrauter des österreichisch-spanischen Erzherzogs Ferdinand, dessen Generalschatzmeister und Hofkanzler (u. a. auch „Kanzler von Tirol“) er wurde. Als dem späteren Kaiser treu verpflichteten Mann (und als sein Gläubiger) wurde er zum Eintreiben der Schulden eingesetzt, wodurch er mit den Ständen in Konflikt geriet. Kohler (2003), S. 73f. u. Schlitter [o. Vornamen]: „Ortenburg, Gabriel Graf v“.. In: Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften (1887), S. 437f. Siehe auch Habitzel (1990), S. 24, u. Cole (1996), S. 199. Kwiet, Konrad: „Itzig“. In: Benz (2010), S. 139ff. Siehe hier Schmitz-Berning (2007), S. 34-39, Schoeps (2000), S. 30f., Klemperer (2015), S. 151f., Aly (2011), S. 233ff. u. Wyrwa, Ulrich: „Moderner Antisemitismus“. In: Benz (2010), S. 209-213. Die Nationalsozialisten fügten verschiedene antijüdische Strömungen zusammen, die sich über Jahrhunderte entwickelt hatten und die auf weit verbreitete Vorurteile, Neid und Missgunst referierten. Zu den hier bedienten Stereotypen siehe: Hillgruber (1972), S. 135ff. u. Hartmann/Vordermayer/Plöckinger/Töppel (2016), S. 216, Wetzel, Juliane: „Verschwörungstheorien“ In: Benz (2010), S. 334-337, Lange, Matthew: „Goldene Internationale“. In: Ebd., S. 111ff., Lange, Matthew: „Bankjuden“. In: Ebd., S. 40f. u. Pufelska, Agnieszka: „Aufklärung“. In: ebd., S. 34ff. Sie bezieht sich hier auf auf den frühantisemistischen Kant, der die Juden aufgrund einer „Gemütsschwäche der Seele“, „spezifisch jüdisches Charaktermerkmal“, als „‚Nation von Betrügern‘“ bezeichnete. Vgl. Stekl (2004), S. 122, Habitzel (1990), S. 24. Schnell (1998), S. 115. Ähnlich literarisch-aggressive „Antisemitismen“ finden sich in der deutschen Literaturgeschichte schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
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Tirol bleibt Tirol erschien im Verlag des frühen Münchner Hitler-Unterstützers Hugo Bruckmann, der gut mit Hinkel bekannt war und ihn im November 1934 davon überzeugte, gegen Honorar seinen Einfluss für den Verlag geltend zu machen.368 Hinkels Tätigkeit reichte von der Kontaktaufnahme mit dem Autor über die Ausarbeitung eines Buchkonzepts, Vorschläge für den ungefähren Umfang und Ladenpreis bis hin zur Vereinbarung von Tantiemen und Autorenhonorar.
Tirol bleibt Tirol war „Frucht der Zusammenarbeit“369 zwischen Bruckmann und Hinkel, der inhaltliche Details schließlich mit Bossi absprach. Grundlage des Textes sollte die Geschichte des Tiroler ‚Volkstumskampfes‘ sein, die Schilderung vor dem Hintergrund der eigenen Erlebnisse des Verfassers „lebendig und plastisch“, ausgehend von der deutschen bzw. bayrischen Siedlung, dem Bauernkampf gegen den Adel usw. bis in die letzte Vergangenheit (Abbruch des Denkmals Walthers von der Vogelweide). […] Die Gesamtentwicklung soll rein vom Volkstum her gesehen werden.370
Der Bildteil sollte sich auf die „völkische Bewegung“371 beschränken. Bossi versprach, die Vorlage innerhalb von vier Monaten druckfertig abzuliefern.372 Er erhielt einen Vorschuss von RM 500, weitere 500 bei Ablieferung und schließlich Tantiemen in Höhe von 10% der verkauften Exemplare. Bruckmann
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erfuhren jedoch nach 1933 im Zuge der allumfassenden nationalsozialistischen Judenhetze eine starke Radikalisierung, in die auch BF hier einstimmt. Vgl. Klemperer (1999), Bd. 1940/41, S. 60f.: „der Jude, der Engländer – nichts als Kollektiva, kein Individuum gilt“. Im Verlag publizierte Ende des 19. Jahrhundert auch Houston Stewart Chamberlain, einflussreicher Rassetheoretiker. Kühnert (2015), S. 16f. Vgl. Barbian (2010), S. 407 u. Wittmann (2015), S. 341: Bruckmann profitierte von der NS-Machtübernahme. Er und seine Frau besaßen seit Juli 1932 Parteibücher mit zweistelligen Mitgliedsnummern. Der Verleger pflegte Beziehungen bis in „höchste Staats- und Parteikreise“ und verstand es, aus seinen Verbindungen wirtschaftliches Kapital zu generieren. Kühnert (2015), S. 16, 19 u. 21f., zitiert hier Akten des BArch. Der Bestand konnte nicht lokalisiert werden, befindet sich aber möglicherweise in den Akten des Büros Hinkel (BArch R56-I). Kopien stellte Kühnert zur Verfügung (gekennzeichnet als ‚Bestand Kühnert‘). E-Mail Kühnert an CP v. 17.12.2017. Entnahmen aus: Kühnert (2015), S. 33. Neben BF betreute Hinkel Wulf Bley u. Inge Wessel, Schwester Horst Wessels. Siehe S. 45. Entnahmen aus: Hinkel an Bruckmann v. 03.04.1935, S. 3. Bestand Kühnert. Der Ladenpreis sollte nicht mehr „M 4.80“ betragen, Titel und Bildanteil wurden festgelegt. Bruckmann an Hinkel v. 06.04.1935. Bestand Kühnert. Bruckmann an Hinkel v. 05.06.1935. Spruchkammerakte Hugo Bruckmann. Staatsarchiv München, SpKa Karton 205, Bruckmann Hugo. Bestand Kühnert.
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stimmte zu, sofern sich der Inhalt an der Linie deutscher Außenpolitik orientierte. Außerdem warnte er, dass das Buch im Hauptabsatzgebiet Österreich „nicht verboten wird“373. Doch bereits kurz nachdem es in Deutschland erhältlich war, ordneten die österreichischen Behörden im Dezember 1935 an, die Verbreitung wegen „getarnter Propaganda“ für die NSDAP schnellstmöglich „zu inhibieren“. Ohne es „geradezu auszusprechen sind die Tendenzen des Buches ‚großdeutsch‘“, war der Autor „als Nat.Soz. bekannt“374. Außerdem habe die italienische Gesandtschaft in Wien gebeten, den Verkauf des Textes in Österreich von vornherein nicht zuzulassen. Nur drei Tage später trat das Verbot in Kraft.375 Das konnte Bruckmann keineswegs gefallen haben, in wirtschaftlicher Hinsicht schon gar nicht. Auch deshalb kann davon ausgegangen werden, dass Tirol bleibt Tirol nur eine Auflage erlebte. 1935 erschienen zwei weitere Jugendbücher Bossis im Schneider-Verlag: Von Spionage und Verrat in den Karpathenkämpfen des Weltkrieges erschienen lediglich 5.000 Exemplare. Es ist bis auf den Titel identisch mit Überläufer und Verräter an der Karpathenfront des Weltkrieges, das bis 1939 eine Stückzahl von 14.000 in fünf Auflagen erreichte.376 Der teilweise autobiografisch gezeichnete Protagonist Leutnant von Maurach, Schüler der großen „Erziehungsanstalt in Feldkirch“ (28), ist ein wagemutiger und anständiger Held, der eigenhändig einen Wolf tötet, seinen (deutschösterreichischen) Männern als geborener Führer beispielhaft vorangeht und mit ihnen an der Front tschechische und ruthenische Spione und Deserteure entdeckt, die einen geheimen Verbindungsdienst zu den Russen eingerichtet haben. Dabei begehen nicht Individuen Verrat, sondern die ethnischen Gruppen pauschal. „Viele Slawen wollten eben nicht auf der deutschen Seite kämpfen. Für sie waren die Russen ihre Brüder“ (45). Lediglich die Ungarn und Kroaten sind treu. So müssen „die Siebenbürger Sachsen und die anderen Deutschen in Österreich […] täglich bluten und verbluten“ (43). Doch die Männer sind sich schnell einig: Da helfen nur ein „paar Erschießungen“ (43). Dem intendierten jungen Leser wird Mord als angemessene Handlungsoption präsentiert. 373 374 375 376
Bruckmann an Hinkel v. 06.04.1935. Bestand Kühnert. Entnahmen aus: Protokoll inkl. dienstliches Formblatt, Bundeskanzleramt Wien, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Staatspolizeiliches Büro, v. 18.12.1935, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 380.017-St.B./1935-22/in genere. Anzeiger für den Buch-, Kunst- und Musikalienhandel v. 21.12.1935, S. 1. Siehe auch O. V.: „Warnung vor Verkauf etc. von Druckschriften die eine Förderung verbotener Parteien beinhalten“. In: Ebd. v. 18.01.1936, S. 4. Zu den Hintergründen dieses Titelwechsels waren keine Hinweise zu ermitteln. Spionage und Verrat wurde offenbar positiv im Berliner Lokalanzeiger v. 26.04.1935, in der Dortmunder Zeitung v. 17.03.1935 u. in den Hamburger Nachrichten v. 13.05.1935 rezensiert. Bossi-Fedrigotti, Andreas Hofer, Sandwirt von Passeier (1935), Verlagswerbeseiten (110f.).
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Bossi lässt Maurach sinnieren, wie schwierig es ist, Verbündete und Feinde zu unterscheiden. Man muss die „Spuren der Karpathenpatrouillen beriechen“, um den Gestank der russischen Juchten vom Geruch des schlechten Leders zu unterscheiden, welches unsere jüdischen Kriegsschieber unseren armen Infanteristen und Honveds liefern (18).377
Den einzigen Abschnitt, in dem Juden eine Rolle spielen, nutzt Bossi, um sie als unehrliche, übelriechende Betrüger zu stigmatisieren. Hier zeigen sich an anderer Stelle bereits untersuchte Vorurteile erneut. Die Passage über das von Juden gehandelte, schlechte Leder, hat auf die weitere Handlung keinerlei Einfluss. Sie soll die Juden als geldgierige Hintergrund-Drahtzieher zeigen, die auch einen Anteil an der Niederlage tragen – ein wirtschaftlicher Dolchstoß in den Rücken der Armee. Dabei hatten jüdisch-böhmische Lederfabrikanten offenbar bereits im 19. Jahrhundert der „vaterländischen Industrie zur größten Ehre“378 verholfen. Diese Szene kann so vor allem als Ausdruck ideologischintentionaler Botschaften des Autors gelten. Die Deutschösterreicher wollen schließlich lieber todesmutig „im Hurrasturm“ sterben, als aufgrund eines „bis ins kleinste organisierten Verrätersystems“ (52). Sie wünschen sich ein Wiedersehen in einem „deutschen Österreich“ (80). Sie können sich nur „in der Deutschen Nation verwirklichen“379. Im März 1936 wurde Überläufer und Verräter in der Tschechoslowakei verboten.380 5.2.4 Das Vermächtnis der letzten Tage (1937) Diesen Wunsch hegt auch der sudetendeutsche Baron Franz von Koresch, Protagonist des zweiten Romans Bossis, Das Vermächtnis der letzten Tage (1937)381: „Und zu denen, die nach Deutschland schauen, gehöre auch ich (274)!“ 377
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Juchte (Jufte) bezeichnet mit Birkenteeröl eingeriebenes Leder. Nicht selten scheinen pauschal gebrandmarkte Gegner in rechten Frontromanen zu stinken wie „Urwaldtiere im Käfig“. Prümm (1976), S. 149, zitiert hier Wehner, Josef Magnus: Sieben vor Verdun. Ein Kriegsroman. München: Müller 1930. Wertheimer (1842), S. 61. Vgl. auch Sulzgruber, Werner: Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in der Wiener Neustadt. http://david.juden.at/kulturzeitschrift/66-70/68sulzgruber.htm [Zugriff: 13.11.2017]. Joseph Ritter von Wertheimer war ein nobilitierter jüdischer Philanthrop. Waldner (1990), S. 34: „Nur wer in diesem Sinn schrieb, konnte von der nationalsozialistischen Kritik positiv bewertet werden“. O. V.: „Verbotene Bücher in der Tschechoslowakei“. In: Salzburger Volksblatt v. 14.03.1936, S. 6. Die entsprechenden Textstellen werden direkt mit den Entnahmen und Verweisen gekennzeichnet. Sofern es zu viele Passagen für den Fließtext sind, finden sich die
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Kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges wird er zu den k.u.k.-Dragonern einberufen und erlebt den Rückzug vom Balkan über Italien und Südtirol nach Österreich. Pferde sind ihm und den Kameraden von Beginn an stets personifizierte Gefährten, im Krieg wie auch im adlig-zivilen Leben treu und gehorsam.382 Koresch liegt der Umgang mit ihnen „im Blut“ (106). Zwischen hochdekorierten Soldaten, gezeichnet von „Runen“ (6), fühlt er sich nicht vollwertig, ist zumindest aber keiner der „Daheimgebliebenen“ (7, 10f.).383 Die Fronterfahrung stellt sich als abenteuerliches Erlebnis dar, das eine ihm unbekannte Kameradschaft zeitigt und Kriegsbegeisterung auslöst (8, 32f., 38f.). Es dient ihm schließlich als „Orientierungspunkt politischer Zielvorstellungen“384. Gleichzeitig kämpft sein Vater, „dieser glänzende Offizier und tadellose Kavalier“ (14), als österreichischer General in vorderster Linie. Als das bereits von den Italienern besetzte Trient ihnen den Weg nach Österreich versperrt, setzen die Männer, Tschechen, Slowaken, Ungarn, Polen und Deutsche, zu einem wilden ‚Husarenritt‘ an, um die Stadt, „den Säbel fest in der Faust“ (36), im Handstreich zu durchqueren. Sie erleben ein letztes Mal den Zusammenhalt der Völker Habsburgs. Besonders Koreschs Vorgesetzter und Vorbild, Oberleutnant Graf Prackenstein, tritt als heroischer Führer auf, der seine Truppen umsichtig, aber mit starker Hand zu lenken weiß, der grundsätzlich nie irrt und noch am Kriegsende auf eine deutsche Vereinigung mit den bayerischen ‚Waffenbrüdern‘ hofft (28f., 32, 51), die auch schon vom „Schlamassel da beim Kamerad Schnürschuh“ (54) gehört haben. Den Ritt überwunden, fordern verschiedene Stimmen eine Aufteilung der Einheit in die verschiedenen ethnischen Gruppen (48ff.). Besonders die Tschechen und Ungarn wollen in ihre Heimat zurück, in der separatistische Nationalbestrebungen aufkeimen. Die Deutschösterreicher wissen, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen und sie „ihre Ehre nicht mehr dem Kaiser von Österreich, sondern dem deutschen Soldatentum retten“ (36, 55, 78) können. Hauptsache, dass
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Nachweise in den Fußnoten. Als Sudetendeutsche wurden deutschsprachige Bewohner tschechischer (tschechoslowakischer) Grenzgebiete bezeichnet (Deutschböhmen, Deutschmährer, Deutschschlesier). Siehe zu Pferden S. 8ff., 19f., 30ff., 73, 96, 160 u. 318f. Wie Karl Prümm feststellte, wurden solche ‚Drückeberger‘, aber auch Feiglinge, Deserteure, Befehlsverweigerer und Pazifisten in rechten Frontromanen von der Zugehörigkeit zur Gruppe (sprich Kameradschaft) „rigoros ausgeschlossen“. Prümm (1976), S. 150. Ebd., S. 138.
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wir jetzt endlich einmal selbst deutsche Soldaten sind! […] Jetzt reiten sie nur mehr fürs deutsche Volk! Sie reiten für ein neues Vaterland! […] Ein Licht bricht jäh aus diesem ganzen Dunkel, der Marschtritt Hunderttausender dröhnt plötzlich auf (52).
Die Männer spüren eine „Vision“, das Heer eines „einzigen großen Volkes (53)!“ Als Koresch rätselt, ob er nun Tscheche geworden ist, weiß ihn sein egerländischer Kamerad Klinger (mit „Sudetenbauerngesicht“) zu beschwichtigen: So oder so bleiben sie „doch Deutsche“ (15), über die „Stimme des Blutes“ (58) untrennbar miteinander verbunden. Prackenstein und Koresch besitzen helle Augen und blondes Haar, sie sind aufrecht, selbstlos und entschlossen (46, 369), außerdem von der Natur zu Führern bestimmt (148ff., 222).385 Auch ihre Kameraden zeigen „harte deutsche Bauerngesichter“, ganz im Gegensatz zu den „hartknochigen Slawengesichter[n]“ (177). Auf dem heimischen Schloss erkennt Koresch, dass er und seine Familie den neuen Machthabern ausgeliefert sind, sie kurz vor dem Bankrott stehen und Grundbesitz an die Tschechen verkaufen müssen. Doch er will nicht als Verräter am Land gelten. Den Tschechen, die kollektiv Schuld an der Situation der Sudetendeutschen sind und mit den Franzosen unter einer Decke stecken, widmet Bossi besondere Aufmerksamkeit (15, 143). Sie scheinen zum Dienen geboren (148, 199, 306ff.); die von ihnen „mit dicken feindlichen Buchstaben“ (247) übermalten deutschen Ämterbezeichnungen kann Koresch kaum ertragen. Der als prototypischer Tscheche skizzierte Schlossverwalter Smrdal ist ein „kleiner untersetzter, dickleibiger“ Mann mit grünlichen, bösen „Glotzaugen“ (185, 181), einem „hartknochigen slawischen Gesicht“ (88) und einer „fette[n], kriecherische[n] Stimme“, ein charakterloser, unterwürfiger Bittsteller, zum Verräter geboren. Er soll offenbar als Rasse-Repräsentant fungieren, denn allen Tschechen des Textes haften „Verschlagenheit, Hinterhältigkeit und Niedertracht“ (216, siehe auch 142, 181f., 185, 255) an; sie verhindern, dass Koresch seinen „Heimatboden“ (216) erhalten kann. Einen beschreibt Bossi als grobschlächtigen, gewalttätigen Aufrührer mit einer „dicken Narbe“ (145), der ein „gemeines Gesicht“ und zwei „grobe, pockennarbige Fäuste“ (149) besitzt. Koreschs Onkel entdeckt in Prag außerdem ein paar kaufmännisch geschickte, „galizische Juden in schmutzigen Kaftanen und mit schmierigen Bärten“ (201). Wie schon in anderen Texten Bossis haben auch diese Passagen keine Funktion für die weitere Handlung. Sie bedienen mutmaßlich dem Leser bekannte, antisemitische Stereotype scheinbar beiläufig und werden nicht weiter erläutert. 385
Vgl. Schoeps (2000), S. 75.
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Als Koreschs Vater infolge eines – durch den Besuch tschechischer Legionäre ausgelösten – Herzinfarkts stirbt, wird der Untergang der Donaumonarchie offensichtlich.386 Die Legionäre wollten die tschechische Fahne auf seinem Schloss sehen. Doch das lässt der Schlossherr tatsächlich nur über seine Leiche zu.387 Der Staatszusammenbruch zeigt die „eiternden Wunden“ (32). Dem habsburgischen Gebilde mit „einer bestimmten Gesellschaftsclique“ (85) und dem schwachen Kaiser Karl an der Spitze habe die „lebendige Kraft eines Volkstums“ (57, 310) gefehlt. Seine Mutter fragt sich, woher „diese Liebe zu den Deutschen“ kommt, weiß jedoch selbst zu antworten: „Es ist wohl das Blut!“ (275). Koresch trifft kurz darauf seine Jugendbekanntschaft Lori von Hohendorff wieder. Sie nähern sich an, kämpfen allerdings mit der starren Standesetikette des altösterreichischen Adels, die auch nach 1918 nichts ihrer einengenden Wirkung verloren hat (93). Überhaupt entwirft Bossi ein sehr kritisches Bild des Standes, in dem er aufwuchs und sozialisiert wurde. Er überzeichnet aristokratische Tanten, die nur zu tratschen wissen, adlige Geistliche und geldgierige Verwandte, die Koresch stets als Relikte vergangener Zeiten wahrnimmt, von denen er sich aber bis zum Schluss kaum lösen kann. Seine Eltern, katholischmonarchische Repräsentanten des k.u.k.-Adels, können und wollen nicht von ihren althergebrachten Rechten lassen (130, 160). Sie sind Prototypen, frönen noch im Angesicht des Untergangs den „Réunions der katholischen Edelleute“ (67), bleiben bei ihren oft auf Französisch geführten Gesprächen über Tee, Pferde, Ländereien und Hochzeiten und erkennen dabei nicht die Zeichen der „neuen Zeiten“ (128), ganz im Gegensatz zu Koresch (63ff., 78, 84f., 168). Ihn scheint das Kriegserlebnis stark verändert und im „Kern zum Manne“ (231) geformt zu haben. Über seine Mutter lässt Bossi ihn sinnieren: Sie gebrauchen so furchtbar viele Worte und reden von Tradition und Pflichten und Rücksichten, von Althergebrachtem und von dem, was sich für das Volk gehört und was sich in der Welt schickt! Daß aber einer einmal zuhören würde, was dieses Volk, das wenig redet und dem sie ihre übergeordnete Stellung verdanken, spricht, wenn sie einmal von ihrem Piedestal der Überheblichkeit zur Wirklichkeit herabsteigen würden und sich einmal fragen würden, was sich denn für sie gehört, dann würde ihnen 386 387
Siehe u. a. S. 11ff., 14, 19, 23f., 32, 36, 46ff., 57, 130, 310. Überhaupt ist die Fahne wieder ein symbolisches Motiv des Autors. Siehe S. 150ff. u. 414. Klemperer (1999), Bd. 1937-39, S. 34, vermerkte dazu: „Der ewige Alarm, die ewigen Phrasen, das ewige Fahnenhängen, bald als Triumph, bald als Trauer – das alles macht apathisch. Und jeder fühlt sich ausgeliefert, und jeder weiß, er wird belogen, und jedem ist vorgeschrieben, was er zu fühlen hat“.
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plötzlich ein Licht aufgehen, daß sie in dieser Welt höchst überflüssig sind, und nur der ein Recht hat, von den Dingen zu reden, die sie so gerne im Munde führen, der das tut, was das Volk tut, – der kämpft (331f.).
Diese milieukritischen Einblicke dienen Bossi als Bühne, um den intendierten Leser gezielt auf die Erfordernisse der neuen Zeit einzuschwören, darauf, dass künftig das Volk, Abstammung und Blut die neuen Ordnungsprinzipien sein werden. Koreschs Mutter hält das für einen unstandesgemäßen „Zug nach unten“ (128). Je kritischer Bossi den Adel, dessen Leben und Gewohnheiten skizziert, desto energischer muss sein Romanheld erkennen, dass nur die neue deutsche Volksgemeinschaft in einem großdeutschen Reich die Lösung für die Zukunft sein kann (120, 128, 332, 338f.), erwachsen aus dem erlebten „Frontkollektiv mit seinen sozialen und heroischen Normen, seinen autoritären Strukturen, seinen herausragenden Führern und seiner willigen Gefolgschaft“388. Koreschs spätere Frau Lori, zunächst noch stark den Konventionen verhaftet, erlebt durch seine Haltung eine Wandlung und wird zur treuen Gefährtin (134, 279). Resigniert plant Koresch, für eine landwirtschaftliche Ausbildung nach Deutschland zu gehen. Er hat Angst davor, dass mit jedem „Quadratmeter dieses Bodens, den wir verlieren, […] Deutschland verloren geht“ (288, 191). Doch eines Tages erhält er einen Brief mit einem Zeitungsartikel über seinen ehemaligen Vorgesetzten Prackenstein. Der ist inzwischen „Unterführer einer bayerischen Freikorpsabteilung“. Nun hatte er also nur mehr deutsche Soldaten unter sich. Männer, mit denen er hundertmal wiederholen konnte, was er in Trient getan hatte. Die nicht nur mehr die Anhänglichkeit an seine Person und die Verpflichtung gegenüber einer Truppe zusammenhielt, sondern die es um einer Idee willen taten, um Deutschlands willen! (222f.).
Koresch reizt es, sich ihm wieder anzuschließen (225f., 232f., 239). Nicht mehr vornehmlich zur Ausbildung, sondern um im Freikorps zu kämpfen, will er nun nach Deutschland. Doch die Tschechen beschatten ihn und halten seinen Pass zurück. Er wird schließlich noch zur tschechischen Armee einberufen, kommt selbstverständlich seiner Pflicht nach, wird bei einem Scharmützel an der Grenze zu Ungarn verletzt und dort in ein Lazarett verlegt (292, 303, 305). Die tschechischen Behörden bezichtigen ihn umgehend, desertiert zu sein (371). 388
Prümm (1976), S. 156.
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Schließlich fahren Koresch und Lori nach München, wo sie Prackenstein treffen wollen, geraten jedoch in einen Schusswechsel zwischen Polizei, Nationalsozialisten („Windjackenmänner[n]“ (413)) und Kommunisten, bei dem Lori erschossen wird. Als „Presseberichterstatter“ (409) lässt Koresch sich daraufhin in München nieder. Eines Tages erhält er Besuch von einem der Nationalsozialisten, zu dem er seit dem Tod Loris Kontakt hielt („eine schlichte, ernste Kameradschaft“ (413)) und den er zu einem Aufmarsch begleitet. Begeistert und geradezu euphorisch gibt er sich in der Abschlussszene den Eindrücken hin: Die Pfeifen eines Spielmannzuges klingen auf, Gleichschritt dröhnt auf dem Pflaster heran, und plötzlich fühlt Koresch, wie ihn etwas über den Köpfen der Menge fesselt, wie es ihn festhält und den Blick gewaltsam an sich zieht. Eine Fahne! Eine rote Fahne mit einem schneeweißen Feld und darinnen – das Hakenkreuz! Unwillkürlich reißt er den Hut vom Kopf, bleibt stehen und starrt noch immer gebannt auf die Fahne. Er weiß nicht, was ihn auf einmal bewegt. Ist es der Rhythmus der dröhnenden Marschtritte, ist es das Schlagen der Trommeln, oder ist es die aufpeitschende Melodie der Pfeifen, die ihn mitreißt. Er fühlt nur die geheimnisvolle Kraft, die von dieser Fahne ausgeht, die den Soldaten in ihm wieder wachruft, – die Gehorsam erzwingt und Opfer voraussetzt, – die herrisch flattert und trotzdem die Herzen zwingt, daß sie sie lieben. […] ‚Heil!‘ Hat er es gerufen? […] Ein jähes Gefühl der Freude belebt ihn, ein Gefühl der Befreiung, eine Sehnsucht zu leben, zu marschieren, mitzumarschieren hat ihn erfaßt. […] Seit damals hat er sich danach gesehnt, wieder mitmarschieren zu können, wieder dabei sein zu dürfen, wieder einer von denen zu sein, die einer Fahne folgten, die vorwärts wies, die das Vermächtnis trug – der letzten Tage! (414f.).
Plötzlich entdeckt er seinen Vorgesetzten Prackenstein und den alten Kameraden Klinger. Völlig überwältigt „strafft sich Koresch, […] ein Rechtsschwenktmarsch“, und schon ist er im Gleischritt. Er fasst die Hand seines Kameraden und „läßt sie lang nicht los!“ (416). Mit seinem zweiten Roman verfasste Bossi in mancher Hinsicht eher eine Autobiografie mit fiktionalen Anteilen. Das zeigt sich beim Adel, dem Frontkämpfervater, den Pferden, aber auch bei der finanziell unsicheren Situation der Familie, die wenig erfolgreich mit Holz zu handeln beginnt (76); außerdem bei der Feststellung, dass die Mutter (wie die Bossis, die das Schloss kaufte)
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noch ein gewisses Vermögen besitzt, beim Vorhaben, als „landwirtschaftlicher Volontär“ nach Pommern zur Familie „Arnim“ (68, 84) zu gehen, beim Gedanken Koreschs, „vielleicht auch als Journalist“ (280, 379), später als Korrespondent zu arbeiten und noch bei vielen weiteren Details: Der Kutscher heißt auch František (126, 246), die Großmutter Loris ist (wie die Bossis, Elisa Salvioni) „illegitime Tochter“ (98) einer Italienerin mit einem Mitglied des Kaiserhauses und Koresch wird von einem Gericht „in contumacia“ (375, 411) verurteilt und degradiert. Doch ein entscheidendes Detail veränderte der Autor: Im Gegensatz zu ihm selbst dient Koresch an der Front. Er lässt ihn das tun, was ihm versagt blieb. Das Vermächtnis der letzten Tage erreichte bis 1940 sieben Auflagen mit knapp 60.000 Exemplaren. Es stellte die Beziehung zwischen dem „großen Vaterlande“ und den Sudetendeutschen her, um damit „zur Erfüllung unserer hohen völkischen Pflicht“389 beizutragen, so eine Anthologie von 1937. Der Text wurde in Das Buch – ein Schwert des Geistes. Erste Grundliste für den Deutschen Leihbuchhandel aufgenommen, geeignet für „alle Leser“. Koresch kämpfe gegen „Standesvorurteile und Tschechenterror“ und setze sich für die „Verwirklichung des großdeutschen Gedankens“390 ein. Bei Inhalt und Textgestaltung knüpfte Bossi an sein bisheriges Schaffen an. Es geht ihm, anscheinend eine Erkenntnis aus dem Untergang ÖsterreichUngarns, um die Inszenierung (volks-)deutscher, rassisch begründeter Identität. Das Ziel jeder Anstrengung kann nur das neue, großdeutsche Vaterland sein, das ‚Reich‘. Kein Weg geht daran vorbei, der Krieg bringt diese einzige „mögliche Folgerung“ (58) hervor. Das Zeichen und gläubige Symbol des Anbruchs der neuen Zeit ist der Aufmarsch der Nationalsozialisten in München, dem sich Koresch vollkommen hingibt.391 Er scheint endlich angekommen, heimgekehrt zu sein. Die auf ihn einwirkenden, spirituellen Sinneseindrücke, die flatternde Hakenkreuzfahne, die tönenden Instrumente und der zackige Gleischritt sind auf verschiedenen Ebenen wirkende Massensymbole, „Anschauungs- und Verständigungsformen literarischer VolksGemeinschaft“392, die Koresch in ihren Bann ziehen, ihn überwältigen. Sofort verfällt er in militärische Sprechweisen, spürt die Pflicht zum Gehorsam und zum Opfer, reiht sich ein, wird Teil des Ganzen, aufgenommen von der 389 390 391 392
Beer (1937), S. 16. Entnahmen aus: Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Abteilung Schrifttum (1940), Sp. 12. Siehe Schnell (1995), S. 108. Ebd., S. 107-110.
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wogenden Masse.393 Deutlicher als in Standschütze Bruggler beschreibt Bossi den Übergang ins nationalsozialistische Deutschland, indem dessen Symbole unzweifelhaft dinglich und in ihrer suggestiven Wirkung eine wichtige Rolle spielen. Ende Januar 1937 befand sich ein Exemplar des Romans zur Rezension auf dem Postweg an die Wiener Neuesten Nachrichten, wurde jedoch vom Zoll einbehalten.394 Die österreichischen Behörden stellten kurz darauf einen Verbotsantrag, der Mitte April 1937 rechtskräftig wurde395: Das Buch ist in der in der nat.soz. Literatur üblichen Einstellung zu dem Problem der Deutschen in der österr.-ungar. Monarchie, zu den Habsburgern etc. verfasst, wobei mit Angriffen nicht gespart wird. […] Die letzten Seiten des Buches sind auch als Propaganda für die NSDAP. anzusehen.396
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Ebd., S. 111. Vgl. Ketelsen (1976), S. 63: Koresch erlebt das Absolute, Ursprüngliche, Vollendete. Akten des Bundeskanzleramts Österreich, Schreiben v. 17. Oktober 1935. ÖStA/AdR, 02/ BKA/SR, Zl. 302.174-St.B./1935. Das Juliabkommen 1936 hatte auch die Lockerung bisher bestehender Verbote in Österreich bewirken sollen. Doch die Österreicher gingen im zuständigen bilateralen Kulturausschuss nicht darauf ein. Barbian (2010), S. 137f., Amann (1996), S. 148ff. u. Hall (1990), S. 174f. „Verbreitungsverbot nach dem Gesetz BGBl. Nr. 214/35. An alle Herren Sicherheitsdirektoren, alle Bundespolizeibehörden, alle Landesgendarmeriekommandos und die Gendarmeriezentralschule in Mödling. Das Bundeskanzleramt hat auf Grund des §1 des Gesetzes BGBl. 214/35 die Verbreitung des Buches ‚Das Vermächtnis der letzten Tage‘ von Anton Graf Bossi-Fedrigotti, Verlag ‚Zeitgeschichte‘ […] verboten“. Runderlass des Bundeskanzleramtes Wien, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, zum Verbot von Bossi-Fedrigottis „Das Vermächtnis der letzten Tage“ v. 13.04.1937, ÖStA/AdR, 02/ BKA/SR, Zl. 317.924-St.B./1937-16/2. Bundeskanzleramt Wien, Verbotsantrag für BFs „Das Vermächtnis der letzten Tage“, ÖStA/AdR, 02/BKA/SR, Zl. 310.761-St.B./1937-16/2. Unterzeichnet ist der Antrag von Dr. Rossmanith, wahrscheinlich Dr. Josef Rossmanith (geb. 1904, Ministerialoberkommissär im Bundeskanzleramt, GÖS, St.B.), der am 12.03.1938, unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘, verhaftet wurde und in Dachau sowie in Flossenbürg inhaftiert wurde. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, DOEW, http://www.doew.at/erinnern/ fotos-und-dokumente/1938-1945/der-erste-dachau-transport-aus-wien-1-april-1938/ rossmanith-auch-roszmanith-josef-dr [Zugriff: 31.05.2015]. Siehe auch Bundesgesetz zum Schutze des Ansehens Österreichs, Bundesgesetzblatt 1935, Stück 60, Nr. 214: „Enthält ein Druckwerk über Begebenheiten aus der Geschichte Österreichs Behauptungen oder bildliche Darstellungen, die sich als Beschimpfung, Verspottung oder wegen ihrer Wahrheitswidrigkeit als Schmähung Österreichs darstellen […], so kann das Bundeskanzleramt die Verbreitung dieses Druckwerkes verbieten“.
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Die Südtiroler Behörden waren schneller: Hier wurde der Text bereits Anfang Februar 1937 verboten und beschlagnahmt.397 Der selbstverständliche Heldentod aus treuer Pflicht, die zerfallende habsburgische Monarchie, die Hoffnung auf ein künftiges Großdeutschland als sakral-erlösendes Reich, völkisch-rassistische Stereotype, antisemitische und antislawische Verunglimpfungen, nationalistische Dichotomien, natürliches Führertum, adlig-heroische Kämpfer, furchtlose, durch ihr Blut verbundene Deutsche: Bossi blieb seinen Textgestaltungsgewohnheiten – neben der Ehrenrettung deutschösterreichischer Soldaten und vielen typischen Merkmalen von NS-Romanen – treu.398 Wenn die NSDAP-Migliedschaft eines Autors oder seine öffentliche Stellungnahme zur ‚Bewegung‘ allein bereits ein Kriterium nationalsozialistischer Literatur bieten kann – womit hier also auch Bossi inbegriffen ist –, können es die von ihm eingesetzten völkischen, nationalsozialistischen und heimatlich-nationalkonservativen Gestaltungsmittel gleichermaßen.399 Seine Texte beziehen sich, je später sie nach 1933 (bis 1945) erscheinen, immer offener explizit auf eine politische Erlösung durch die ‚Machtergreifung‘, auf Hakenkreuzfahnen als unverkennbare Symbole; sie verknüpfen aristokratisch-monarchische Vergangenheit mit nationalsozialistischem Aufbruch und Erfüllung in der neuen Zeit. Diese Textpassagen stehen den früheren, teilweise eher impliziten Konstruktionen in ihrer intentionalen Wirkung jedoch in nichts nach. Vielvölkerstaaten wie das Habsburgerreich gelten als zu überwindendes Übel.400 Stets treten die selben Gruppen gegeneinander an, bahnt sich 397 398
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O. V.: „Wo bleibt das Kulturabkommen?“ In: Südtiroler Heimat v. 01.02.1937, S. 1. Siehe auch O. V.: „Aus Südtirol“. In: Salzburger Volksblatt v. 31.03.1937, S. 7. Siehe Schnell (1998), S. 111: „In der Bejahung des Opfers, in der Kultivierung des Todes für den Führer enthüllt sich der letzte Sinn des Zitats ‚unsichtbarer Massen‘ in nationalsozialistischer Dichtung“. Auch in BFs Texten opfern sich die Helden für ihren jeweiligen Führer und damit implizit für ihr Volk – und den kommenden ‚Führer‘ Hitler. Vgl. zum Habsburg-Motiv Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 222, Kiesel (2017), S. 68f. u. Habitzel (1990), S. 15, zu häufigen Themen von NS-Romanen Schoeps (2000), S. 75ff. u. Vallery (1983), S. 146ff. (sakrales Vokabular: S. 150f.) u. zum Heroismus in diesen Texten Vondung (1976), S. 48. Siehe auch Vgl. O. V.: „‚Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf Bossi-Fedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘“.In: Berliner Börsen-Zeitung v. 24.10.1936, S. 10. Vgl. Vondung (1976), S. 45. Vgl. Heger (1971), S. 164, der BF zuspricht, er habe sich der multiethnischen Probleme der letzten Habsburger-Jahre „auch wissenschaftlich“ angenähert und in Standschütze Bruggler und anderen Texten dazu „packend und historisch getreu“ erzählt. Grüning (1992), S. 65f., hält fest, dass BF Vertreter einer noch stark nachwirkenden Erinnerung an die habsburgische Zeit ist.
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die bereits dämmernde völkische Revolution (durch zunächst einzelne, erleuchtete Helden) ihren Weg, sind die deutschösterreichisch-südtirolischen Grenzwächter „Vorkämpfer des Reichsgedankens“401, auserkoren, ihr Wesen, ihre Art, ihr Blut als Gipfel menschlicher Schöpfung im Kampf gegen verräterische, russophile Slawen, erbfeindliche Romanen (‚Welsche‘) und gierig-manipulativ-übelriechende Juden zu verteidigen.402 Dieses „Aggressionspotentials der inneren und äußeren Feindbilder“, wie sie von solchen Texten produziert wurden, „des Rassismus als Motivation völkischer Sendung“403, bedurfte die NSDAP als herrschende ‚Bewegung‘. Die (häufig adligen) Protagonisten, die im Krieg zu Kameraden und Männern werden, sind (als Träger solcher Ideen) aus ihrem zeithistorischen Kontext gelöst, Väter sind überwiegend (und zum Teil gefallene) Kriegsveteranen, Mütter stets besorgt und letztlich doch stolz auf ihre sterbenden Helden; Söhne erkennen die Geschichte des Vaters als Mahnung und völkisch geprägte Weisung für die Zukunft, Töchter kommen höchstens als Heiratsmaterial zur späteren völkischen Formung und Fortpflanzung vor. So dient Bossi stets Vergangenes als verklärte „Requisitenkammer“404 zur mahnenden Erinnerung und Erklärung der Gegenwart sowie zur Hoffnung auf die Zukunft.405 Insofern sind seine bis 1945 erschienenen Romane und Erzählungen auch keine Reproduktion von bereits Vorhandenem. Sie sind zugespitzte Neukompositionen im Hinblick auf ihren (teilweise offensichtlichen) Auftragscharakter, die damit einhergehenden, handlungsimmanenten Intentionen, die spezifisch südtirolischen Perspektiven des heimatlich-bäuerlichen, pangermanischen, völkischen Kampfes der Deutschen und den explizit intendierten, kindlich bis jugendlichen Leser – gespickt von autobiografischen Details zur Authentifizierung und Rückversicherung.406 Diese Wirkung strahlten die Texte Mitte bis Ende der 401 402 403 404 405 406
Schoeps (2000), S. 75. Vgl. Prümm (1976), S. 158. Vgl. zum Motiv des tschechischen ‚Verräters‘ auch Waldner (1990), S. 34. Prümm (1976), S. 156. Amann (1996), S. 91, der sich auf Langenbucher bezieht und feststellt, dass es darum ging, in der Vergangenheit politische und charakterliche Sinnbilder zu finden, die sich „auf die nationalsozialistische Gegenwart beziehen ließen“. Vgl. Schnell (1998), S. 107f. Die Texte stehen in direktem Zusammenhang mit BFs Kriegserlebnis als Jugendlicher und handeln überwiegend in dieser Zeit. Das bestätigte der Schriftsteller auch selbst: „Da meine Heimat unmittelbares Kriegsgebiet war, erlebte ich als Junge während der Ferienzeiten den Krieg in nächster Nähe, was für die Vorlage verschiedener Themen, die ich später als Schriftsteller behandeln sollte, maßgebend wurde“. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Vgl. Alexander (1995), S. 239 u. Amann (1996), S. 90f., der auch anderen österreichischen Schriftstellern bescheinigt, ihren historischen Texten und Handlungen einen ‚großdeutschen Mantel‘ übergeworfen zu haben.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
253
1930er Jahre in einer Phase aus, in der der ‚Anschluss‘ Österreichs vorbereitet wurde, in der Südtirol noch kurz zuvor hochaktuelles Wahlkampfthema in Politik und Presse gewesen und die Bevölkerung sich der Brisanz des Thema wahrscheinlich bewusst, dementsprechend sensibilisiert und aufnahmebereit für Neuigkeiten aus dem ‚deutschen‘ Südtirol war, während sie hilfesuchend nach Deutschland blickte. Da die Handlungen überwiegend vor dem geografischen und bevölkerungspolitischen Hintergrund Südtirols spielen, wird die Region zum Vorzeigegrenzland stilisiert, zum besonders wehrbereiten Urdeutschland, das noch weit vor anderen Regionen erkennen musste, dass die Zukunft der durch ihr Blut verbundenen Deutschen nur in einem vereinigten Großdeutschland liegen kann. Die ideologische Wirkung Bossi-Fedrigotti’scher Konstruktionen dürfte angesichts dieser Zusammenhänge für (wohl überwiegend junge) Leser aus Tirol und Südtirol, die viele Details ihrer regionalen Lebensrealität und in beinah jedem Dialog ihren Dialekt als Ausdruck von Volkstümlichkeit und Identität wiedererkennen konnten, noch weitaus stärker gewesen sein, als für andere.407 Der Historiker Immanuel Voigt behauptet, Bossi habe in seinen Texten stets „bewusst die Südtirolerfrage“408 vernachlässigt. Tatsächlich behandelte Bossi diese Frage immer, jedoch vor allem implizit, text- und handlungsimmanent und nicht auf der Ebene einer politischen Forderung, sofern man seine retrospektiven Konstruktionen nicht grundsätzlich als Versuch der nachhaltigen Forderung nach einem deutschen Südtirol verstehen will. Indem Bossi vor allem historische Momente als Vorlagen nutzte, kam er nicht in Versuchung, aktuelle politische Entwicklungen kommentieren oder kritisieren zu müssen – und konnte gleichzeitig das Deutschtum Südtirols und den tapferen Kampf der Südtiroler im Ersten Weltkrieg an der Seite der Deutschen betonen, ohne die Italiener zu kompromittieren.409 5.3
Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
Parallel zu seinen schriftstellerischen Erfolgen arbeitete Bossi weiterhin als Funktionär für NSDAP und SA. In den Lagern der österreichischen Legion waren nach dem gescheiterten Juliputsch 1934 Desertionen und Gewaltexzesse
407 408 409
Zum Dialekt in Südtiroler Literatur vgl. Grüning (1992), S. 56. Voigt (2014), S. 112. Vgl. ebd.
254
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
an der Tagesordnung.410 Stimmung und Verhältnisse waren „geradezu katastrophal“411. Die Männer hatten jedes Vertrauen in ihre Führung verloren. Um Disziplin und Ordnung wieder herzustellen, wurde angeordnet, die österreichische SA in kleine Lager aufzuteilen.412 Die Flüchtlingsfürsorge für Österreicher gliederte sich seitdem in drei Gruppen: Das NSDAPFlüchtlingshilfswerk, aus Tarnungsgründen ‚Hilfswerk für Flüchtlinge und Hinterbliebene‘ genannt, das ‚Hilfswerk Nordwest‘ (HWNW) und die „SSSammelstelle“413 mit Sitz in München. Von der Grenze ging es für die Geflohenen zunächst in das Überprüfungslager Graßlfing, wo man sie in personeller, parteipolitischer, wirtschaftlicher und polizeilicher Hinsicht durchleuchtete. Diejenigen, die als Flüchtlinge anerkannt wurden, unter 35 Jahre alt und bereits in Österreich Mitglied der SA waren, wurden an die in Neu-Aubing befindliche SA-Sammelstelle (mit einer Zweigstelle in Berlin) überwiesen, die am 4. Februar 1935 unter der Leitung von SA-Oberführer LöweLanger (Sitz München) ihre Tätigkeit aufnahm.
Von dort aus erfolgte die Verteilung in die Lager Deggingen und Bad Aibling, in denen die Männer eine dreimonatige „‚SA-mäßige Ausbildung‘“414 erhielten. Das HWNW, in deren Lagern die Flüchtenden schließlich untergebracht wurden, war seit Februar 1935 zunächst schlicht Tarnbezeichnung für die Österreichische Legion.415 Diese Lager sollten bis 1938 ein kleiner „Staat im 410 411
412 413 414 415
Grenzjägersturm Bad Aibling an Hitler v. 29.10.1934, BArch NS 23/1070 u. „Stellungnahme der österr. SA gegenüber den ehemaligen Führern“ v. 1934. BArch NS 23/1070. „Bericht über die derzeit in den österreichischen SA Hilfswerklagern und bei der Gruppe Österreich obwaltenden Verhältnisse und Stimmungen“ v. 10.11.1934, BArch NS 23/1070. Siehe auch „Stimmung in den österr. SA-Hilfswerklagern“ v. 19.08.1934, Der österreichische Sonderbeauftragte der Obersten SA-Führung an die Bayerische Politische Polizei. Ebd. Schafranek (2011), S. 159. Ebd., S. 77. Entnahmen aus: Schafranek (2011), S. 78ff. Zu Löwe-Langer siehe ebd., S. 428f. Von Januar 1935 bis Dezember 1938 war er Führer der SA-Sammelstelle des HWNW. Schafranek (2011), S. 70. Im Frühjahr 1935 existierten insgesamt 70 SA-Hilfswerklager mit 17.000 Mann Belegung. Im Oktober des Jahres waren es nur noch 58. Sie dienten auch dazu, die dort befindlichen SA-Männer beruflich zu schulen. Die zuständigen Führer hatten dazu „rege Verbindung mit den Arbeitsämtern und der Industrie“ herzustellen. „Punkte für die Gruppenführerbesprechung am 15.10.35“. BArch NS 23/167. Vgl. Bericht des österreichischen Sonderbeauftragten des Obersten SA-Führers an die Oberste SAFührung, Brigadeführer Marxer, v. 31.08.1934, BArch NS 23/1070: „Die einzelnen SAHilfswerklager sind vollständig militärisch aufgezogen, wie auch die Ausbildung nach rein militärischen Grundsätzen erfolgt, ohne dass aber der rein militärische Geist Gut der SA-Männer geworden wäre“.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
255
Staat“416 bleiben. Alle ehemals der SA-Obergruppe XI unterstellten Einheiten wurden hier zusammengefasst.417 Die Berliner SA-Sammelstelle befand sich in der Feldjägerkorpskaserne in der Kleinen Alexanderstraße. Sie war von Februar 1935 bis Februar 1936 Bossis Dienstsitz, sowohl als Beauftragter des österreichischen SA-Sonderbeauftragten als auch neuerdings als solcher der SA-Sammelstelle Berlin des HWNW.418 Nach eigenen Angaben wurde er allerdings nicht als Beauftragter, wie im Ernennungsschreiben belegt, sondern als „Führer“419 der Dienststelle tätig. Das war auch dem AA Mitte Februar 1935 bekannt geworden, das detailliert über Bossis Parteilaufbahn im Bilde war. Dementsprechend hielt es in einem internen Papier fest, es erscheine nicht als „zweckmäßig“, dass Bossi als Leiter der SA-Sammelstelle tätig werde. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass diese Besetzung für außenpolitische Schwierigkeiten mit Österreich sorgen könne, da so der Eindruck entstehe, die 1934 aufgelöste Landesleitung Österreich der NSDAP und auch die Österreichische Legion bestünden weiter, nur in anderem Gewand – was schließlich auch in Teilen zutraf. Das AA schlug vor, er solle an „weniger sichtbarer“420 Stelle eingesetzt werden. Doch das hielt den SA-Stabschef Viktor Lutze SA nicht davon ab, den Posten wie geplant zu besetzen. Zu Bossis Aufgaben zählten (wie zuvor) die „Erfassung, Betreuung und Unterstützung aus Österreich geflüchteter Parteigenossen“421. Ende 1935 wurde er offenbar zum Obersturmführer befördert, allerdings schon im Februar 1936 für drei Monate beurlaubt.422 Er selbst 416 417 418
419 420 421 422
Entnahmen aus: Ebd., S. 83. Das HWNW bestand aus einem Stab mit Sammelstelle (München, dann Bad Godesberg), verschiedenen Ausbildungseinheiten, sechs Standarten und zwei selbstständigen Sturmbannen. Übersendung von Parteidienstzeiten, Gaupersonalamtsleiter Tirol und Vorarlberg an Reichstatthalter Tirol und Vorarlberg v. 03.10.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 68. Siehe auch Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2 u. Ernennung BFs zum Beauftragten der SA-Sammelstelle in Berlin v. 15.03.1935, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Vgl. Schafranek (2011), S. 80. Im Oktober 1937 arbeiteten in dieser Dienststelle 25 hauptamtliche SA-Führer und 206 Mannschaften. Sie war damit nur unwesentlich kleiner als die Sammelstelle in Neu-Aubing. Schafranek (2011), S. 320. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch Ernennung BFs zum „Beauftragten der SA.Sammelstelle [sic!] in Berlin“ v. 15.03.1935 mit Wirkung v. 01.02.1935. Ebd. Entnahmen aus: Aufzeichnung des AA v. 15.02.1935. NARA T-120/R. 2890, E455047. Steurer/Steinacher (2011), S. 214. Die Beurlaubung wurde in der SA-Sammelstelle Neuaubing ausgestellt. Ob BF zwischenzeitlich seinen Dienstort von Berlin dorthin verlegt hatte oder diese Dienststelle seine personalführende Einheit war, ist nicht bekannt. „SA-Urlaubsschein“ für „Ostuf.“ BF v. 27.01.1936, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Aus den im Österreichischen Staatsarchiv befindlichen Personalunterlagen und Stammlisten zur
256
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
schrieb, „über eigenen Wunsch“ sich ganz seinem „Beruf als Schriftsteller“423 gewidmet zu haben. Im Mai 1936 versetzte man ihn zum Stab des HWNW als „ehrenamtlicher z.b.V. Führer“424. 1935/36 erhielten die in Deutschland lebenden, österreichischen Parteimitglieder Gelegenheit, ihre Mitgliedschaft neu zu beantragen. Nach dem Verbot hatte der illegale österreichische Parteizweig offenbar große Probleme, auf Mitgliedschaftsunterlagen zuzugreifen. Viele Dokumente waren verlorengegangen. Zuständig für die Neuaufnahme war die Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich. Diesen Anlass wusste Bossi zu nutzen und wandte sich unmittelbar mit der Bitte an Hinkel, ihm schriftlich zu bestätigen, dass Du meine Arbeit seit 1931 kennst und dass ich als Vertreter der Südtiroler trotz der Gegensätzlichkeiten, die mir durch Reut-Nicolussi und Gen. darob [generell deswegen] entstanden, die Südtl. Angelegenheiten im Sinne der Bewegung zu bearbeiten suchte.425
1931/32 hatte er noch alle Mühe, die Manipulation seiner Worte durch die Nazis zu verhindern und schließlich 1933 öffentlich erklärt, für Südtirol vor allem als NSDAP-Mitglied wirken zu wollen. Was ihm seinerzeit zutiefst unangenehm war, diente ihm jetzt zur Behauptung, sich stets für die NS-Bewegung eingesetzt zu haben. Seit 1933 hatte sich die Verbindung mit Hinkel zu einer sehr fruchtbaren Zusammenarbeit entwickelt. Bossis Arbeit für die „nationalsozialistische Bewegung“ sei ihm bereits „seit 1931 bekannt“, bestätigte Hinkel. Seine Neuaufnahme in die Partei befürwortete er „wärmstens“. Als „Vertreter des Deutschtums in Südtirol“ habe Bossi jederzeit „im Sinne unserer Bewegung“426 gearbeitet. Im November 1936 schaltete sich auch Gauleiter Hofer ein. Er erinnerte sich an die propagandistische Wirkung des Parteibeitritts Bossis, dessen Status als
423 424 425 426
Österreichischen Legion geht nicht hervor, dass BF Mitglied der ÖL war. Siehe E-Mail Hana Keller, ÖStA, an CP v. 28.12.2017 u. Stefan Mach, ÖStA, an CP v. 15.01.2018. Entnahmen aus: Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Mitteilung des Beauftragten für Berlin der SA-Sammelstelle an Bossi-Fedrigotti v. 12.05.1936, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Vgl. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. BF an Hinkel v. 15.10.1935, BArch R 9361-V/14885, Bl. 15. Entnahmen aus: Hinkel an BF v. 17.10.1935, BArch R 9361-V/14885, Bl. 18.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
257
„Vorkämpfer“427 des Südtiroler Deutschtums, und bat, „ihm eine seinem Eintrittsdatum 1.4.1933 entsprechende Mitgliedsnummer zuzuerkennen“428. Nun erst nahm das Verfahren Fahrt auf. Bossi sollte zunächst als Mitgliedschaftsanwärter gelistet werden. Daraufhin schickte er dem stellvertretenden Tiroler Gauleiter Parson das Tatsachen und Lügen um Hitler-Heft, um seine frühe Tätigkeit für die NSDAP zu belegen, für das er sich einst hatte gegenüber Reut-Nicolussi rechtfertigen müssen. Offenbar war ihm die Broschüre ganz besonders wichtig: „Darf ich bitten, dass das Heftchen […] nicht verloren geht“429. Dass er nach der Machtübernahme eine blitzartige opportunistische Wende hingelegt hatte, wussten zu diesem Zeitpunkt nur einige wenige Südtiroler und die Führungsriege der NSDAP um Hitler, Heß, Rosenberg, Hinkel und Schickedanz. Nach drei Jahren NS-Herrschaft und für ihn damit verbundenen persönlichen und finanziellen Erfolgen gab es für Bossi offenbar keinen Grund, die Behauptungen des Heftchens zu bestreiten. Im Gegenteil: Für ihn waren sie, nicht nur was die Parteimitgliedschaft anging, nun sprichwörtlich Gold wert.430 Schließlich bestätigte auch die Mitgliederstelle der österreichischen NSDAP sein Wirken als „führender Vertrauensmann der Süd-Tiroler“431. Anfang Dezember 1936 erhielt er, vor allem aufgrund der Stellungnahme Hofers, seine neue Mitgliedskarte mit Eintrittsdatum 1. Mai 1933 und der Nummer 1.875.708.432 Bossi bedankte sich überschwänglich bei der Gauleitung: 427 428 429 430
431 432
Vgl. Mühlenfeld (2009), S. 533. Entnahmen aus: Hofer an Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich der NSDAP v. 21.11.1936, BArch R 9361-II/102614. Einschreiben BF an Parson, Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich der NSDAP, v. 28.11.1936, BArch R 9361-II/102614. Siehe auch Leiter der Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich der NSDAP an BF v. 02.12.1936, ebd., u. BF an Parson v. 17.12.1936, ebd. Auch der ehemalige Gauamtsleiter Othmar Hattis bestätigte BFs Beitritt: „Der Beitritt erfolgte kurz vor unsrer [sic!] Gemeinderatswahl in Innsbruck, die am 25.IV.1933 stattfand, und war auch in den ‚Innsbrucker Nachrichten‘ veröffentlicht“. Die Veröffentlichung habe größtes „Aufsehen“ erregt. Eidesstattliche Erklärung des ehem. Gauamtsleiter des Gaues Tirol v. 05.01.1937, BArch R 9361-II/102614. Nicht nur für BF erwiesen sich die Treffen mit NS-Führern als Karrierefaktor. Badendieck bat BF Mitte 1939 um Zeugnisse gemeinsamen Wirkens. „Wertvoll wäre mir […] noch eine kurze Bescheinigung über die zusammen mit Dir durchgeführte Fühlungnahme mit der Partei […], u. a. mit Rosenberg, Hinckel [sic!] usw.“ Badendieck an BF v. 09.05.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 32. Er notierte auch: „Wiederaufnahme der persönlichen Verbindung zwecks Neugestaltung des VDA im Sinne der Bewegung mit Rosenberg, Hinckel, von Kursell, Kube, Brückner“. Lebenslauf Friedrich Carl Badendieck v. 09.05.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 34-36. Abwicklungsstelle der NSDAP Landesleitung Österreich an Reichsleitung der NSDAP v. 07.01.1937, BArch R 9361-II/102614. NSDAP-Mitgliedkarteikarte v. 09.12.1936, BArch R 9361-II/102614, Vorblatt/Einlegekarte. Siehe auch Parteikanzlei der NSDAP an Flüchtlingshilfswerk der NSDAP,
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat Sie wissen gar nicht, was Sie mir damit für eine Freude gemacht haben, denn es war nicht schön durch Jahre ohne Nummer herumlaufen zu müssen, während man doch das Bewusstsein gehabt hat, für die Partei immer seine Pflicht getan zu haben.433
Kurz darauf wurde er der Ortsgruppe seines Wohnortes Berlin-Wilmersdorf zugeordnet.434 Die dortige NSDAP-Gauleitung besaß allerdings noch ein Schreiben von Anfang 1933, offenbar, weil der seinerzeit in Berlin wohnhafte Bossi damals öffentlich seinen NSDAP-Beitritt behauptet und die Gauleitung daraufhin Nachforschungen in Gang gesetzt hatte. Im April 1933 vermerkte sie: ‚Wie uns mitgeteilt wurde, will sich ein ehemaliger italienischer Offizier, Bossi Friederipotti [sic!] um die Aufnahme in die Partei bewerben. Auf Anordnung von Herrn Hess soll diesem Gesuchen nicht stattgegeben werden […]‘.
Daher habe man seinerzeit eine „Warnkarte“ erstellt und bat nun angesichts der Neuaufnahme „um Kenntnis- und Stellungnahme“435. Das zeigt einmal mehr, dass Bossi in den Jahren 1931/32 keineswegs nur im Sinne der NSDAP gewirkt hatte. Sein Beitritt barg 1933 außenpolitische Sprengkraft. Heß’ Stab bestätigte die Korrektheit des Schreibens; die Beurteilung „wird seinerzeit aus allgemeinen grundsätzlichen politischen Erwägungen heraus einem ehemaligen italienischen Offizier“ gegenüber entstanden sein. Die Mitarbeiter wussten offenbar nichts vom Treffen mit Hitler und anderen Verbindungen. Inzwischen waren vier Jahre vergangen, Bossi Deutscher und aktives Parteimitglied. Daher hatte Heß „gegen eine Belassung Bossis in der Partei keine Bedenken“436. Trotz einiger Verbote seiner Texte in Österreich und der angespannten politischen Lage gelang es ihm, als Korrespondent für österreichische Zeitungen zu arbeiten. So nahm er Mitte 1935 als Vertreter der Auslandspresse für das Salzburger Volksblatt und die Innsbrucker Nachrichten an einem großen Empfangsabend des APA im Hotel Adlon anlässlich eines Vortrags des
433 434 435 436
Aufnahmebestätigung BFs, v. 31.03.1937, ebd., Parson an BF v. 05.02.1937 u. v. 19.04.1937, ebd., Reichsleitung der NSDAP an Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich der NSDAP v. 27.01.1937, ebd. BF an Parson v. 08.02.1937, BArch R 9361-II/102614. NSDAP-Flüchtlingshilfswerk, stellv. Gauleiter Parson, an BF v. 26.04.1937, BArch R 9361-II/102614. Entnahmen aus: NSDAP-Gauleitung Berlin an Reichsschatzmeister der NSDAP v. 29.05.1937, BArch R 9361-II/102614. Entnahmen aus: Stab Stellvertreter des Führers an Reichsschatzmeister NSDAP v. 24.08.1937, BArch R 9361-II/102614. Vgl. Parteikanzlei NSDAP an Gauschatzmeister Berlin v. 13.09.1937, ebd.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
259
Reichsjugendführers zum Thema ‚Aufbau der Jugend im Dritten Reich‘ teil.437 Solche Veranstaltungen waren zentrales Instrument des APA und Rosenbergs, die ausländischen Vertreter mit den „‚Errungenschaften‘ des Dritten Reiches“ vertraut zu machen. Zu diesem Zweck wurden u. a. sog. ‚Bierabende‘ veranstaltet, zu denen die Vertreter der ausländischen Presse, Diplomaten und Gäste (die Teilnehmerzahlen schwankten zwischen 300-400) eingeladen wurden. Jedes Mal referierte ein prominenter Nationalsozialist über sein spezielles Fachgebiet.438
Als Parteifunktionär und -journalist hielt Bossi auch so Kontakt zu führenden Nationalsozialisten.439 Dazu dienten ihm außerdem Dichterwochen und -treffen sowie Lesungen. Anfang Oktober 1936 nahm er am „Ersten Deutschen Kriegsdichtertreffen“ im Rahmen der 6. Berliner Dichterwoche unter dem Motto „Wehrhafte Dichtung der Zeit“440 teil. Angesichts einer Voraufführung des Bruggler-Films stand er im Rampenlicht und berichtete von der Filmentstehung.441 Von dort aus sendeten die Teilnehmer, die am 6. Oktober von Rosenberg und Goebbels persönlich empfangen worden waren, Hitler per Telegramm ein „Gelöbnis unwandelbarer Treue“442, besuchten die Eröffnung des Winterhilfswerks und anschließend das RMVP. 437
438 439
440 441 442
Neben ihm erschienen zahlreiche Gäste aus aller Welt, Staatssekretäre aus fast allen Reichsministerien, Reichswehrminister von Blomberg und Alfred Rosenberg. Für Österreich waren außerdem vor Ort: Gesandter Tauschitz, Legationsrat Seemann, Presseattaché Dr. Schier, Sommert von der Deutsch-Österreichischen Tageszeitung, Penkala vom Neuen Wiener Tagblatt, Dr. Wegner von der Neuen Freien Presse aus Wien, Rauw (Reichenberger Zeitung, Volkszeitung, Luxemburger Zeitung u. Grazer Tageblatt) und Winternitz (Reichspost). „Einladungsliste – Ausländer“ zum Vortragsabend des APA der NSDAP v. 02.05.1935. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 519 (NSDAP), Opis 4, Akte 41 (APA), Bl. 66. In der Akte befinden sich zu dem Abend noch verschiedene Fotografien, die Bossi zwar nicht zeigen, jedoch Rosenberg, Blomberg und andere. Entnahmen aus: Jacobsen (1968), S. 72. Zu Schirachs Vortrag erschien kurz darauf tatsächlich ein kurzer Artikel, jedoch ohne Verweis auf den Korrespondenten (Bossi-Fedrigotti: „Totalität für die Jugenderziehung“. In: Salzburger Volksblatt v. 04.05.1935, S. 1). Schirach habe eine „nationalsozialistische Kampfansage gegen die katholische Jugend Deutschlands“ erteilt. Entnahmen aus: „Eingeladene Kriegsdichter zum Treffen in Berlin in der Zeit vom 05.-10. Okt. 1936“ v. 08.09.1936, BArch NS 15/85, Bl. 46. Herden (1991), S. 110. Siehe auch Amann, Anschluß (1988), S. 183 u. BArch NS 15/85. Siehe auch O. V.: „Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf Bossi-Fedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘“. In: Berliner Börsen-Zeitung v. 24.10.1936, S. 10. „Telegramm der deutschen Kriegsdichter an den Führer“. In: Stang, Walter (Hg.): Kulturdienst der NS-Kulturgemeinde, Abteilung Schrifttum, v. 07.10.1936. BArch NS 15/85, Bl. 55.
260
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Zwischen 1936 und 1942 hielt Bossi mehrmals Dichterlesungen für die NS-Kulturgemeinde.443 Die erhaltenen Vorschlagslisten sind ein „zuverlässiger Indikator“, welche Schriftsteller die nationalsozialistische Kulturpolitik „unter das Volk“444 bringen wollte. Die Zahl dieser Veranstaltungen war zwischen Herbst 1936 und Frühjahr 1937 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 45% gestiegen; Autoren seien kaum noch zum Schreiben gekommen.445 Bossi führte insgesamt neun Lesungen durch und stand auch für den Winter 1937/38 wieder zur Verfügung.446 „Anregungen für die Dichterlesungen“ der NS-Kulturgemeinde forderten gezielt dazu auf, ihn im Rahmen des Einsatzes „grenz- und auslandsdeutscher Dichter“447 als einzigen Tiroler besonders zu berücksichtigen. Der thematische Rahmen sollte sich an den Berliner Dichterwochen orientieren – die im März 1937 fand unter dem Motto „Volksdeutsche Dichtung der Zeit“448 statt. Hier trug Bossi erneut aus seinen Texten vor. Es sei deutlich geworden, dass er in der „stillen und hartnäckigen Selbstbehauptung“ der Deutsch-Österreicher, vor allem aber der Tiroler, „in dem bunten Nationalitätengemisch der alten österreichischen Armee die Verpflichtung für die Zukunft erkannt“449 habe, nämlich unmissverständlich vom Kampf seines Volkstums um Existenz oder Niedergang zu künden. Gemeinsam mit Gottfried Rothacker, Erwin Wittstock, Robert Hohlbaum, Bruno Brehm, Karl Heinrich Waggerl und Heinrich Zillich nahm er hier auch an einem persönlichen Empfang bei Goebbels teil450 (Namen von rechts, Bossi siebter):
443 444 445 446
447 448
449 450
Amann (1996), S. 219, listet die Nennung seines Namens auf der Vorschlagsliste für Dichterlesungen für die Jahre 1938/39, 39/40, 40/41 u. 41/42 auf. Entnahmen aus: Amann (1996), S. 212. Barbian (2010), S. 397. „Anregungen für die Dichterlesungen des Winters 1937/38“. BArch NS 15/85, Bl. 73ff. Insgesamt nahmen sechs Österreicher teil: BF (9x), Brehm (17x), Hohlbaum (19x), Jelusich (2x), Waggerl (13x) u. Weinheber (16x). Vgl. Amann (1988), S. 45, Amann (1996), S. 56 u. Barbian (2010), S. 396f. Entnahmen aus: „Anregungen für die Dichterlesungen des Winters 1937/38“. BArch NS 15/85, Bl. 75. Vgl. Barbian (1995), S. 423ff. „Aufstellung der bisher durchgeführten Dichterwochen“ v. April 1937, BArch NS 15/85, Bl. 70f. u. O. V.: „Auslanddeutsche Dichter in Berlin“. In: Deutsche Zeitung. Organ für die deutsche Minderheit in Dravabanat 19 (62. Jg., 1937) v. 11.03.1937, S. 3. Siehe auch Amann, Anschluß (1988), S. 182f. Entnahmen aus: O. V.: „Auslanddeutsche Dichter in Berlin“. In: Deutsche Zeitung. Organ für die deutsche Minderheit in Dravabanat 19 (62. Jg., 1937) v. 11.03.1937, S. 3. O. V.: „Dr. Goebbels empfängt grenz- und auslandsdeutsche Dichter“. In: Deutsche Allgemeine Zeitung v. 05.03.1937 (o. Seitenangabe). Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1363, Opis 6, Akte 15, Bl. 220. Siehe dort auch die Artikel aus den Zeitungen Der Angriff,
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
Abb. 9
261
Bossi trifft Goebbels im Zuge der Berliner Dichterwoche 1937.
In Südtirol führten derweil die starken Entnationalisierungsmaßnahmen der Italiener, das Desinteresse der Österreicher, das zunehmend selbstbewusste außenpolitische Auftreten Deutschlands und die dortige, intensive literarische Beschäftigung verschiedener Schriftsteller und Filmemacher mit dieser Region (darunter Bossi an prominenter Position) zu einer starken Nationalisierungswelle mit sehnsüchtigem Blick nach Deutschland.451 In Österreich hingegen gelang es der NSDAP 1937/38, beinah das gesamte institutionelle Wesen des Landes zu unterwandern. Gemäßigte NSDAP-Aktivisten favorisierten einen „evolutionären Kurs“452, um Österreich bald von innen heraus mit Deutschland zu vereinigen.453
451 452 453
Berliner Börsenzeitung u. Berliner Nachtausgabe v. 05.03.1937, Blätter 221-223. Die Akte umfasst insgesamt einige Hundert Zeitungsausschnitte zu kulturpolitischen Anlässen. Vgl. Schreiber (2008), S. 366f. u. Amann (1996), S. 125ff. Davon berichtet auch Steininger (2017), S. 76. Siehe auch Volksbund für das Deutschtum im Ausland: „Denkschrift über die Lage in Südtirol im März 1936“, BArch R 43-II/1449, Bl. 34-40. Schausberger (1988), S. 12. Ebd. Siehe auch Garscha (1988), S. 58 u. Jagschitz (1983), S. 510f.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
In diese Hoffnungen stimmten auch verschiedene Publikationen ein, wie das Anfang November 1937 erschiene Jahrbuch Deutscher Wille. Aufbau und Wehr 1938.454 Das Vorwort trug Bossi bei: Durch die Tat des Führers, die Deutschland seine Wehrkraft wiedergab, ist jener Garant des Friedens erstanden, den wir Deutsche von draußen für die Sicherung unseres eigenen Brauchtums, für die Entwicklung des Reiches und für das ungestörte Nebeneinander der Völker so sehnlich herbeiwünschen!455
Bossi hatte sich mit seinen bis 1937 erschienenen Texten und dem BrugglerFilm einer größeren Öffentlichkeit als Militärkenner und noch im Frühjahr des Jahres durch seine Teilnahme an der 7. Berliner Dichterwoche als grenzdeutscher Schriftsteller empfohlen. Beide Aspekte fließen in seinem Vorwort zusammen.456 Dem Dichter geht es um die Form, die Bewegung, das starke und erfolgreiche Vorwärtsdrängen. Die „Bevorzugung der Tat“ versinnbildlicht „gewissermaßen die Position eines jungen Stürmers und Drängers“457. Hitler stellt sich als Umsetzer dar, der im Kontrast zu redenden, diskutierenden Intellektuellen handelt.458 Mit seiner ‚Tat‘,die Ausführung des Volkswillens,
454
455 456 457 458
Deutscher Wille. Aufbau und Wehr wurde von der ‚Vereinigung Deutscher Wille e. V.‘ herausgegeben. Die gesellschaftsübergreifende Vereinigung (Mitglieder u. a.: Max Planck u. Carl Bosch, Hans Hinkel, v. Schirach, v. Tschammer und Osten usf.) hatte es sich zum Ziel gesetzt, „eigene ‚Wehrschriften‘ in hoher Auflage zu vertreiben und in Vorträgen zur ‚Stärkung des Wehrgedankens‘ beizutragen“. Hachtmann (2007), S. 486. Bossi-Fedrigotti, Vorwort (1937), o. S. Er erhielt hier Gelegenheit, einer erlesenen Auswahl von Beiträgern des nationalsozialistischen literarischen Systems voranzustehen, darunter Hans Zöberlein und Eberhard Wolfgang Möller. Er könnte sich damit konkret auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht von 1935 bezogen haben, möglicherweise aber auch auf den Eingriff Deutschlands in den spanischen Bürgerkrieg (Gernika-Lumo, April 1937). Entnahmen aus: Lungershausen (2017), S. 143. Zum nationalsozialistischen Feindbild des Intellektuellen vgl. Klemperer (1999), Bd. 1933/34, S. 142ff. u. Bd. 1940/41, S. 119. Der Terminus von der ‚Tat des Führers‘ findet sich nicht nur in BFs Vorwort, sondern auch in der nationalsozialistischen Rechtsprechung wieder. Nach der Mordwelle im Zuge des ‚Röhm-Putsches‘ rechtfertigte der NS-Jurist Carl Schmitt das Vorgehen als ‚Staatsnotwehr‘: „‚In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit“. Gruchmann (2002), S. 453, zitiert hier Schmitt, Carl: „Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934“. In: DJZ v. 01.08.1934, Sp. 945ff. Mit Blick auf die deutsche Ostexpansion benutzte er diesen Terminus nochmals, um auszudrücken, dass Hitler ein „‚machtvolles Reich‘“ erschaffen habe. Majer/Höhne (2014), S. 197. Auch Ildefons Herwegen, Abt des Benediktiner-Konvents von Maria Laach, soll sich dahingehend geäußert haben, „Volk und Staat“ seien wieder „eins geworden durch die Tat des Führers Adolf Hitler“. O. V.: „Führers Prälaten“. In: DER SPIEGEL v. 24.05.1961, S. 33ff.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
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kanalisiert und fördert er als „Schöpfer der Bewegung“ die „Sehnsüchte der Massen“459. Als sich die politische Situation Österreichs wegen der Konfrontation mit der Untergrund-NSDAP bis Februar 1938 immer weiter verschärfte, versuchte Kanzler Schuschnigg die Lage durch einen Besuch bei Hitler in Berchtesgaden zu beruhigen. Der ‚Führer‘ unterbreitete ihm ein Ultimatum und forderte, die NSDAP an der Macht in Österreich zu beteiligen, sonst sei der Einmarsch deutscher Truppen nicht mehr aufzuhalten.460 Schuschnigg gab nach und unterzeichnete am 15. Februar das Berchtesgadener Abkommen, die wichtigste Grundlage für die unmittelbar bevorstehende Annexion. Arthur Seyß-Inquart wurde im Zuge einer (von Hitler angemahnten) Regierungsumbildung zum Innenminister ernannt.461 Schuschnigg war sich bewusst, dass kaum noch ein Ausweg bestand. Das belegen Fotografien seines Briefwechsels mit dem Innsbrucker Hofrat und Sicherheitsdirektor Anton von Mörl vom 19. Februar 1938, die im Moskauer Sonderarchiv verwahrt werden. Für alle Oesterreicher gelte das zwingende Gebot, den Kopf hochzubehalten“, denn die „schönsten Deklamationen nützen nichts dagegen, dass es gegen Bombenflugzeuge und Panzerdivisionen leider keine Argumente gibt“. Nach seiner Überzeugung habe man nicht das Recht, für einen vorderhand aussichtslosen Waffengang auch nur einen Landsmann zu riskieren. Abgesehen davon, dass nachträgliche internationale Proteste nichts mehr nützen, wenn unser Vaterland einmal vorläufig radiert sein sollte, was allerdings nicht sagt, dass nicht auch dann seine Zukunft wieder neue Wege gehen könnte. Nur ist es sehr schwer, sich aus Trümmern wieder zu erheben. […] Ich bin überzeugt, dass die Zeit für uns arbeitet; ich bin allerdings auch überzeugt, dass eine wirkliche Arbeit im Lande nicht möglich ist, wenn nicht irgendein normales Verhältnis mit dem grossen deutschen Nachbarn, der nun einmal da ist und so ist, wie er ist, gesichert werden kann.462
459 460 461
462
Entnahmen aus: Hertz (2014), S. 116. Vgl. Haas (1988), S. 12f. u. Schausberger (1988), S. 13. Zum Treffen in Berchtesgaden vgl. auch Walzl (1992), S. 44ff. Arthur Seyß-Inquart (1892-1946) war ein aus Österreich stammender Rechtsanwalt, der 1931 der NSDAP beitrat und 1936 zum Staatsrat ernannt wurde. Im März 1938 wurde er Mitglied der SS, in der er bis zum Obergruppenführer aufstieg. 1939 avancierte er zum HSSPF in Krakau, 1940 zum Reichskommissar Niederlande, verantwortlich für Deportationen. Er wurde 1946 in Nürnberg hingerichtet. Klee (2015), S. 580. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Schuschnigg an v. Mörl v. 19.02.1938. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1357 (AA), Opis 2, Akte 11, Bl. 163-168.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Am 4. März schließlich überbrachte Wilhelm Keppler, seit September 1937 Österreich-Beauftragter Hitlers, Schuschnigg die Forderung, die NSDAP vollständig zu legalisieren.463 Der entschloss sich, eine Volksbefragung für den 13. März anzusetzen, um den Österreichern und der Welt vor Augen zu führen, dass die Bevölkerung keinen ‚Anschluss‘ an Nazi-Deutschland wollte.464 Hitler befahl daraufhin dem Armeeoberkommando 8 in Bayern die Teilmobilmachung. Der Einmarsch in Österreich sollte unter größtmöglicher Vorsicht und friedlich ablaufen, nur bei Gegenwehr mit Waffengewalt reagiert werden. Schuschnigg sagte die Volksabstimmung ab und trat am Abend des 11. März 1938 zurück.465 Seyß-Inquart gab über Rundfunk bekannt, als Minister weiter im Amt zu bleiben, woraufhin Nationalsozialisten innerhalb kürzester Zeit alle zentralen Positionen im Staat übernehmen konnten.466 Der österreichische Bundespräsident Miklas ernannte Seyß-Inquart kurz darauf zum Bundeskanzler.467 Angesichts des laufenden innerstaatlichen Umsturzes versuchte dieser noch, den Einmarsch der Wehrmacht zu verhindern, doch vergebens. Die Pläne des Bundesheeres für den Fall deutschen Eindringens blieben derweil „in den Schubladen des Ministeriums liegen“468. Nun schien auch die Stunde der österreichischen SA zu schlagen. Schon 1936 waren im HWNW alte Hoffnungen aufgekeimt, doch noch an einem Einmarsch in Österreich beteiligt zu werden. Tatsächlich war das Thema noch einige Stunden vor dem Überschreiten der deutsch-österreichischen Grenze Gegenstand eines Telefonats zwischen Göring und Odilo Globocnik.469 Die Verantwortlichen waren sich einig, die ehemaligen Legionäre noch nicht in Österreich einzusetzen. Am Morgen des 12. März marschierte die Wehrmacht in Österreich ein. Der Schlusspunkt der Annexion wurde schließlich durch ein Gesetz nach Entwurf Hitlers gesetzt, welches die „Wiedervereinigung“470 besiegeln sollte. Miklas weigerte sich zu unterschreiben und trat zurück, sodass 463 464 465 466 467 468 469
470
Schausberger (1988), S. 15. Siehe zu Keppler auch Schafranek (2011), S. 320f. Garscha (1988), S. 57f. Schausberger (1988), S. 16f. Garscha (1988), S. 58f., Karner (1988), S. 468 u. Haas (1988), S. 16f., der die Ereignisse rund um den ‚Anschluss‘ sehr detailliert beschreibt. Vgl. Schausberger (1988), S. 17f. Vgl. rund um diese Ereignisse auch Walzl (1992), S. 52f. Haas (1988), S. 7. Odilo Globocnik (1904-1945) war ein aus Triest stammender Bauunternehmer, der 1931 der NSDAP und 1934 der SS beitrat und hier bis zum Obergruppenführer aufstieg. 1933 war er stellv. Gauleiter Wiens, 1936 Stabsleiter der Landesleitung Österreich, später MdR u. Gauleiter Wiens. Nach Kriegsbeginn fungierte er als SS- und Polizeiführer in Lublin (Polen) und war hier für die Durchführung der ‚Endlösung‘ in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka verantwortlich. Ab 1943 war er HSSPF der Operationszone Adriatisches Küstenland. Er starb durch Suizid am 31.05.1945. Klee (2015), S. 87. Schausberger (1988), S. 17f.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
265
Seyß-Inquart das Amt übernahm und unterzeichnete. Damit hörte ein mehr oder weniger eigenständiges Österreich bis 1945 offiziell auf zu existieren. Trotz des persönlichen Einsatzes Reschnys bei Hitler war es letztlich nicht gelungen, das HWNW, das seit dem 13. März wieder unter seinem „alten Namen“471 ‚Österreichische Legion‘ auftrat, unmittelbar am ‚Anschluss‘ zu beteiligen. Im Gegensatz zur Wehrmacht mussten die Aktiven aus zahlreichen Lagern und die beurlaubten Reservisten zunächst mobilisiert werden. Erst am 18. März meldeten sich einige Formationen marschbereit, darunter 2.100 Männer der Legions-Jägerbrigade 3 im württembergischen Deggingen. Unter ihnen befand sich seit dem 15. März auch Bossi-Fedrigotti, der bis zum 28. April 1938 erneut hauptamtlich für die SA tätig und in diesem Zuge offenbar zum SA-Sturmbannführer „z.V.“472 befördert wurde – auf dem nebenstehenden Foto aus Die Mannschaft (1938) ist er noch als Obersturmführer zu sehen.473
Abb. 10 Bossi als SA-Obersturmführer der Österreichischen Legion.
471 472 473
Schafranek (2011), S. 353. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. Dabei handelt es sich um den höchsten Dienstgrad, den BF in der SA erreichte. Übersendung von Parteidienstzeiten, Gaupersonalamtsleiter T-V an Reichstatthalter T-V v. 03.10.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 68 u. Mitteilung d. Reichsstatthalters T-V,
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Doch die Legion musste weiter der Dinge harren. Zu groß waren die Bedenken, dass sich der aufgestaute Frust vieler Jahre spontan entladen würde. Erst Ende März überquerte sie die Grenze und beging am 2. April den ‚Tag der Legion‘ vor der Wiener Hofburg. Höchstwahrscheinlich erlebte Bossi diese Ereignisse mit.474 Die Wehrmachtpropaganda wusste die Annexion umgehend zu deuten. Am Abend des 11. März sei die fast unerträglich gewordene politische Spannung gewichen. Das deutsche Volk und die marschierenden Truppen wussten, dass der 12. März ein Siegesmarsch der großdeutschen Idee werden würde.475
Die Innsbrucker Bevölkerung habe sehnsüchtig auf die Ankunft der Deutschen gewartet und die österreichischen Offiziere seien überaus zuvorkommend gewesen. Mit wehenden Fahnen zog das stolze Regiment in einem wahren Triumphzug ein. Die Musik schwenkte am Landhaus zum Vorbeimarsch aus und unter den Klängen des Kaiserjägermarsches zog Einheit auf Einheit vorüber. […] Jeder wollte diesen Tag und diese Stunden bis zum letzten erleben, denn vielleicht waren und sind es die schönsten des Lebens gewesen.476
Schon hier ist die manipulative Verquickung österreichischer Geschichte und Tradition mit der deutschen militärischen Annexion zu erkennen, die
474
475 476
Dr. Schreiber an RMI v. 10.12.1941, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 70. Zu den Formationen in Deggingen siehe Schafranek (2011), S. 354. Weitere Informationen zu BFs Aufgaben in der Brigade ließen sich nicht ermitteln. Foto: HahnButry (1938), S. 65. Es zeigt BF als Obersturmführer des Hilfswerks „Nord-West“, erkennbar am rechten Kragenspiegel und dem Edelweiß an der Schaftmütze. Ein weiteres Foto von ihm als SA-Sturmbannführer befindet sich in der Personalakte des TLA: Personalakte Bossi-Fedrigottis, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Schafranek (2011), S. 357ff. Aus der zunächst wieder offiziell zur SA-Gruppe erhobenen österreichischen Formation wurden schon nach kurzer Zeit drei eigenständige Teile: Gruppe Südmark, Alpenland u. Donau. Den einzigen erwähnenswerten Einsatz absolvierte die Legion schließlich bei der propagandistischen Vorbereitung der nachträglichen Volksabstimmung über den ‚Anschluss‘ am 10. April, bei der die 3. Brigade in Wien verblieb und nur sporadisch nach Niederösterreich und ins Burgenland entsandt wurde. (Sieges-)Bericht „Der Einmarschtag in Innsbruck 12. März 1938“. BArch RH 53-18/115. Schmidl (2002), S. 45f. In Innsbruck war Oberstleutnant Ferdinand Schörner mit seinem Gebirgsjägerregiment 98 einmarschiert. Doch dort machte er, der für den Einsatz gegen die Italiener an der Südtiroler Front einst den Orden Pour le Mérite erhalten hatte, zunächst nicht Halt, sondern fuhr mit seinem Wagen noch weiter bis zur Brennergrenze, um dort in einem symbolischen Akt zur Bekräftigung der neuen Nachbarschaft dem italienischen Grenzposten die Hand zu schütteln. Ebd.
5.3 Zwischen Parteiengagement und Schriftstellerei
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der NS-Staat schließlich auf jeden Bereich des alltäglichen Lebens innerhalb kürzester Zeit auszuweiten verstand. Angliederung und Gleichschaltung waren von langer Hand geplant: Viktor Klemperer erblickte keine „acht Tage nach dem Einmarsch in Österreich“ in einem Schaufenster die neue großdeutsche Landkarte. „Sie muß lange vor der Affäre gedruckt worden sein“477. Als die deutschen Truppen Innsbruck erreicht hatten, sprach sich dort eilig die Fama herum, die Wehrmacht marschiere in Kürze weiter nach Südtirol, Italien hätte es sogar freiwillig abgetreten. Das waren keineswegs nur unvorsichtig geäußerte Gerüchte. Was sich in diesen Stunden in Innsbruck abspielte, war „blitzschnell Thema auf der Ebene höchster zwischenstaatlicher Politik“478. NS-Formationen und bayerische Gebirgsjäger hätten ‚Eins, zwei, drei, Tirol ist frei‘ gesungen und viele Südtiroler sich jenseits des Brenners bereits begeistert von den Entwicklungen im Norden gezeigt. „Jubel, Hochgefühl, Hoffnungen und Erwartungen“479 waren grenzenlos. Künftig wehte die Hakenkreuzflagge am Brenner und die Bevölkerung bezog sich mehr denn je in das „gen Süden strahlende „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“480 ein. Doch Hitler blieb dabei, den Brenner als Grenze anzuerkennen.481 Südtirol sollte jetzt erst recht auf dem „Altar der Achsenpolitik“482 geopfert werden. Rudolf Heß setzte im Juni 1938 alle Parteidienststellen in Kenntnis, dass jede Propaganda für Südtirol den Parteiausschluss und strafrechtliche Konsequenzen nach sich zöge.483 Die Italiener visierten nunmehr eine Umsiedlung als endgültige Lösung der Südtiroler Frage an. Neidvoll verglichen sie ihre über Jahrzehnte geführten, äußerst verlustreichen Kämpfe im Norden Afrikas mit der deutschen Annexion eines „hochkultivierten Landes, mitten in Europa, mit 6 ½ Millionen Menschen, ausgezeichneten Soldaten, Bodenschätzen usw. in drei Tagen, ohne 477 478
479
480 481 482 483
Klemperer (1999), Bd. 3, S. 76. Gehler (2002), S. 214, 218 u. „Bericht, mit dem Vermerk von Mackensen ‚mir heute Abend vom italienischen Botschafter übergeben‘, 28.3.1938, Amtliche Übersetzung [Anfang April 1938]“. PA AA, R 103305. Vollständige Abschrift in: ebd., S. 234ff. Die kurze Episode der Südtirol-Anschlusshoffnungen in Innsbruck wertet Gehler als Beleg dafür, dass Lokalund Regionalgeschichte ein wichtiges, nicht zu unterschätzenden Stellglied in einem interdependenten Zusammenspiel aller auf die Zeitgeschichte wirkenden und sie ausprägenden Faktoren ist. Steininger (2017), S. 76f. Siehe auch Gatterer (1968), S. 567: „Die meisten Südtiroler trugen nun nicht mehr Österreich, sondern ‚das Reich im Herzen‘, schwankend zwischen einer Vergangenheit, die für immer untergegangen schien, und einer Zukunft, die durch ihre Größe anziehend wirkte“. Hervorhebung im Original. Gatterer (1968), S. 571. Schreiber (2008), S. 368. Gatterer (1968), S. 573. Parteli (1988), S. 330, zitiert hier O. V.: „Zwischen Hitler und Mussolini“. In: Dolomiten v. 22.08.1961, o. S.
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Kosten und Opfer“484. Den ihnen „bekannten und berühmten“ Bossi hatten sie Ende März 1938 mehrfach in Gesellschaft bayerischer Polizeioffiziere in Innsbruck aufgespürt; für sie der Beweis, dass „unter der Hand“ deutsche Propaganda in Südtirol „begünstigt und unterhalten“485 werden sollte. In den aufgeregten Wochen des ‚Anschlusses‘ musste Bossis Wirken, schon seine Anwesenheit, besonders provozierend auf die Italiener wirken. Er hatte sich zwar bereits einige Jahre für die NSDAP engagiert, doch seine Texte und der Film spielten in Südtirol, dessen deutschen Charakter der Autor immer wieder hervorhob. Schon im April 1938 wurde Österreich in sieben Reichsgaue aufgeteilt und Nordtirol mit Vorarlberg zusammengelegt. Hofer kehrte zurück und begann, die Geschicke als Gauleiter und Reichsstatthalter, „als eine Art Landeshauptmann“, von Innsbruck aus zu gestalten. Er setzte alles daran, „Schlüsselstellen“486 des Staates, der Wirtschaft und Gesellschaft mit ihm ergebenen Parteigenossen zu besetzen. Die Tiroler NSDAP wuchs von knapp 4.100 im November 1938 auf über 73.000 Mitglieder im Mai 1943. Der Nationalsozialismus brach „massiv in alle gesellschaftlichen Schichten“487 ein. In kulturpolitischer Hinsicht vollzog sich dort nun all das, was in Deutschland in jahrelangen Gleichschaltungsprozessen geschah, innerhalb weniger Wochen und Monate. Der „kulturelle Anschluss“488 war durch verschiedene Verbände und Ausschüsse im Grunde genommen bereits lange vorbereitet worden. Nach März 1938 wurde die ‚heimgekehrte Ostmark‘ schnell als „Bollwerk des Reiches“ bezeichnet, das als völkischer Grenzwächter seit Jahrhunderten den Schutz deutschen Landes gewährleistet habe. Nun konnte auch öffentlich betont werden, dass der „Ostmarkdeutsche“ die Aufgabe besitze, „Mehrer und Künder deutschen Volksbodens“489 zu sein. Vereine und Verbände wurden aufgelöst, Oppositionelle verfolgt, Institutionen arisiert und angegliedert. Das betraf auch die Schriftsteller: Nach dem ‚Anschluss‘ stellten 1958 Personen einen Antrag auf Mitgliedschaft in der RSK.490. Allerdings 484 485 486 487 488 489 490
„Beilage zum ‚Bericht über die Stimmung in Südtirol‘ von Otto Bene, deutsches Generalkonsulat Mailand, an das Auswärtige Amt, 21.4.1938“. PA AA, R 103305. Vollständige Abschrift in: Gehler (2002), S. 241ff. „Bericht, mit dem Vermerk von Mackensen ‚mir heute Abend vom italienischen Botschafter übergeben‘, 28.3.1938, Amtliche Übersetzung [Anfang April 1938]“. PA AA, R 103305. Vollständige Abschrift in: Gehler (2002), S. 234ff., hier S. 236. Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 68 u. 72f. Beimrohr (2004), S. 104f. Hall (1990), S. 176. Entnahmen aus: Kremser (1939), S. 20f. Barbian (2010), S. 199. Einige von ihnen sollten mit ihren Publikationen später das Sechsfache eines Oberbefehlshabers des Heeres verdienen. Siehe Amann (1996), S. 203.
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wurden offenbar nur etwa 50 von ihnen (darunter verortete Klaus Amann auch Bossi) wirklich erfolgreiche „Literaturprotegés“491, die sich an beinahe allen literaturpolitischen Stellen wiederfanden, ob als Preisträger, AnthologieBeiträger, bei Dichter- und Buchwochen oder in verschiedenen Empfehlungslisten. Doch selbst aus dieser kleinen Gruppe stach Bossi hervor: Er war zwar geborener Österreicher und befasste sich vornehmlich mit regionalbezogenen Themen, besaß aber seit den 1920er Jahren einen italienischen, seit 1932 einen deutschen Pass und betrachtete sich selbst auch als Deutschen, höchstens noch als Altösterreicher, am ehesten aber als deutschen Südtiroler oder südtirolischen Deutschen.492 Das zeigt auch die Argumentationsstruktur vieler seiner Texte. Seit der Annexion beteiligte er sich noch stärker daran, zu ‚mehren und zu künden‘. In dem Porträt „Bossi-Fedrigotti“ hielt Feuilletonist Hugo Greinz im August 1938 fest, dass man vom „jungen Grafen“ in Österreich zwischen 1934 und 1938 nichts wissen durfte. „Seine Bücher waren verboten, und er war selbst auch derart verboten, daß ihm nichts andres übrigblieb, als über die Grenze zu wandern“. Jede seiner Hauptfiguren werde durch die Erlebnisse „bewußter Deutscher“, so wie der Autor selbst. Seine Texte seien Bekenntnisse zum „ewigen Deutschland“. Das sollte auch für Die weiße Wand (1937) gelten, „ein kleines friedlich [sic!] Nachspiel zum ‚Standschützen Bruggler‘“493. Das ist allerdings eine eher verklärende Einschätzung des Textes, der bis 1940 11.000 Exemplare erreichte. Die zwei jungen Protagonisten der kurzen Erzählung sind in Blut-und-Boden-Manier Ausprägungen ihrer Heimat in Phänotyp und Charakter (6), werden (mit den übrigen Handelnden) als hochgewachsen, mit kantigem „Berglergesicht“ (5), beschrieben.494 Tragische Vorbilder sind ihre als Standschützen gefallenen Brüder, deren Grab sie bei einer Kletteraktion finden. Nur unter größter Gefahr kehren sie wieder heil zurück, den Tod immer als Herausforderung im Blick (24f., 26). Die Handlung schließt mit dem Aufruf, die gefallenen Soldaten als heldenhafte Kameraden zu würdigen (63). 491 492
493
494
Amann (1996), S. 213. Amann bezog sich bei der Einordung BFs als Österreicher möglicherweise auf eine Einschätzung des österreichischen Germanisten Walter Weiss: Merkmale zur Einordung als Österreicher seien „etwa: literarische Beziehung (z.B. motivisch-thematisch) auf das neue oder das alte Österreich – der Autor lebt im neuen Österreich bzw. hat im alten Österreich gelebt – Geburtsort im neuen oder im alten Österreich – deutsche Sprache, allenfalls mit österreichischen Regionalismen“. Weiss (1972), S. 440f. Entnahmen aus: Greinz, Hugo: „Bossi-Fedrigotti“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 04.08.1938, S. 2f. Greinz (1873-1946) war schon um die Jahrhundertwende als deutschnationaler Publizist bekannt, weshalb er auch 1899 schon aus dem österr. Staatsdienst entlassen wurde. Siehe u. a. Österreichische Akademie der Wissenschaften (1957), S. 56f. Vgl. Ketelsen (1976), S. 76f.
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Vor allem auf Bossis literarische Hofer-Stilisierung konnte das Regime nach März 1938 problemlos Rückgriff nehmen. Damit hatte er die Annexion in einem besonderen Maße literarisch vorbereitet und forciert. Viele Österreicher fanden die Nationalfigur Hofer unmittelbar in der neuen Zeit wieder. Dessen letzter Kampf sei für das deutsche Volk zu einer „weiterschwelenden Flamme“ geworden. Der „Bauernführer“ hielt auch als Toter „getreuliche Wacht“, bis das „Großdeutsche Reich Adolf Hitlers das Vermächtnis aller großen deutschen Freiheitshelden antrat“495. Die bedeutsamste Rolle bei der Vereinnahmung Hofers nahm Bossi aber wohl ein, als er 1939, neben dem Gauleiter stehend, zur 130-jährigen Wiederkehr des Aufstands von 1809 eine Rede vor dem HoferDenkmal am Innsbrucker Bergisel im Rahmen einer „nationalsozialistischen Feierstunde“ hielt: Heute aber, da sich zum erstenmal das herrliche Siegeszeichen des Hakenkreuzes über dem Sarkophage Andreas Hofers erhebt, ‚ist es Zeit‘, daß Großdeutschlands Andreas Hofer von dem einzelnen Volksgenossen nie mehr anders gesehen wird, als jener Mann, der als der schlichte einfache Sohn eines Volkes, von Habsburg verlassen, mit seinem Volke allein den Kampf gegen Frankreich und seine Vasallen aufnahm, bis er sich selbst und sein Volk der Bresche, die er dem deutschen Freiheitsgedanken schlug, zum Opfer darbrachte.
Sein Kampf sei „für uns Gefolgsmänner Adolf Hitlers“ die Entfachung eines Brandes, der durch all die Jahre hindurch loderte und am 30. Jänner 1933, am 13. März 1938 […] zum gewaltigen Feuerrad emporwuchs, aus dem siegreich das alte Germanenzeichen des Hakenkreuzes ein geeintes Großdeutschland überstrahlte.496
Er stilisierte Hofer zum Symbol des Aufbruches, zur sakralen Lichtgestalt, ein pharaonengleich im Sarkophag mahnender Übervater und gleichzeitig einer aus dem Volk.497 Das Feuer dient Bossi als übermächtiges Element „natur-
495 496
497
Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Andreas Hofer (1939), S. 129f. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Andreas Hofer – der deutsche Kämpfer!“ In: Innsbrucker Nachrichten v. 21.02.1939, S. 4. Siehe auch O. V.: „Von Habsburg verlassen – allein im Kampf gegen Frankreich“. In: Völkischer Beobachter v. 21.02.1939, S. 2. Auch hier wird BF namentlich genannt. Auch im Ständestaat hatte es Hofer-Feiern am Denkmal gegeben, doch die Reden nach dem ‚Anschluss‘ standen denen der Vorjahre „diametral entgegen“. Die Auslegung Hofers und des Jahres 1809 als Bekenntnis der Tiroler zu Österreich änderte sich schlagartig.Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 222. Vgl. insbesondere zur Sakralität der NS-Sprache nach der Annexion Österreichs Klemperer (1999), Bd. 1937-19, S. 77f., Vallery (1983), S. 150f. u. Vondung (1976), S. 49ff.
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hafte[r] Qualität“, das seinen Ausführungen „Geschichtsmächtigkeit“498 verleiht, verzehrt, aber dem Beherrschenden Macht verleiht, Licht und Wärme spendet, den Weg weist, durch seine elementare Kraft die Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits bildet. Damit stand der Südtiroler den Ausführungen Gauleiter Hofers in nichts nach, der seinem Namensvetter bescheinigte, „erst durch den N a t i o n a l s o z i a l i s m u s seine gerechte Würdigung gefunden“499 zu haben. Nach der Annexion stellte sich auch die Frage nach dem Weiterbestehen der Tiroler Standschützen. Gauleiter Hofer vereinnahmte das Schützenwesen sofort für seine Zwecke und berief sich darauf, dass die Tiroler ihre Traditionsverbände nicht in NS-Organisationen überführen wollten. Die Standschützen seien zwischenzeitlich „die einzig Wehrfähigen“500 gewesen. Alle Schützenverbände sollten zu einem Dachverband zusammengeschlossen werden, eine „Hilfsorganisation der NSDAP“, über die die Menschen „leichter anzusprechen“501 waren und deren Leitung Hofer selbst als Landesoberstschützenmeister übernahm. Der Vorsitzende des örtlichen Standschützen-Verbandes war stets der jeweilige NSDAP-Ortsgruppenleiter.502 Wenn heute neben den Politischen Leitern, neben den Gliederungen der NSDAP unsere Standschützen in ihren alten Trachten marschieren, wenn der Schützenhauptmann stolz seinen Säbel vor seinem Gauleiter und Landesoberstschützenmeister senkt, wenn die Musikkapellen wieder mit unseren alten schönen Märschen vorbeiziehen und so dem Wehrwillen und der Lebensfreude unseres Stammes Ausdruck geben, dann wissen wir, daß es gelungen ist, dieses alte, stolze Tirolertum in die große deutsche Gemeinschaft einzugliedern, ja es vor dem drohenden Zerfall zu retten […].503
498 499
500 501 502 503
Entnahmen aus: Schnell (1998), S. 106 u. 109f. Hervorhebungen im Original. Schaub, Willy: „Nationalsozialistisches Bekenntnis. Zur Ehrung Andreas Hofers durch den Gauleiter“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 21.02.1939, S. 4. In diesen Tagen berichteten etliche Zeitungen von BFs Gedenkrede: O. V.: „Gedenkrede für Andreas Hofer“. In: Das kleine Volksblatt v. 21.02.1939, S. 10, O. V.: „Andreas HoferGedenkfeier auf dem Berg Isel“. In: Bludenzer Anzeiger v. 25.02.1939, S. 1f., O. V.: „‚Im Zeichen des Stolzes, nicht der Trauer‘“. In: Salzburger Volksblatt v. 21.02.1939, S. 7, usf. Partei-Kanzlei der NSDAP an Stab Stellvertreter des Führers v. 24.08.1938. BArch NS 6/380. Bericht über die Dienstreise d. ORR v. Wilucki z. RPA Tirol-Vorarlberg v. 17.12.1941, BArch R 55/1211, Bl. 128ff. Vgl. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 225 u. Schreiber (2008), S. 151. Mahnert (1940), S. 5. Diese Publikation wurde dankenswerterweise von Markus Wilhelm, dietiwag.org, zur Verfügung gestellt. Klaus Mahnert war Gauinspekteur von Tirol-Vorarlberg.
272
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Für die Nationalsozialisten war der Standschützenmythos eine „wichtige Bestätigung ihrer ideologischen Grundsätze“504. Die weit verbreiteten Schießstände dienten auch der aktiven Wehr- und Militärerziehung.505 Am Hochgebirge faszinierte die NS-Führer dabei das besonders anschauliche Panorama eines „von Natur aus wehrfähigen, urwüchsigen deutschen Gebirgsstammes“506, der auch ohne intensive militärische Ausbildung in der Lage war, einem übermächtigen Gegner lange Paroli bieten zu können. Lebenslange Wehrpflicht, ‚natürliche‘ Wehrkraft und gelebte ‚Jeder-an-seinem-Platz‘Volksgemeinschaft ließen Mythos und Realität scheinbar verschmelzen.507 5.4
Schreibender Kulturfunktionär
Die Annexion Österreichs entwickelte sich für Bossi in vielerlei Hinsicht zu einem karrierefördernden Ereignis. 1938 war ihm und seiner Familie auch in privater Hinsicht ein besonderes Jahr. Die kleine Familie – am 1. September 1938 wurde Tochter Astrid Dagmar Liselotte geboren – kaufte ein Haus in der Dühringzeile508 2 in Berlin-Schlachtensee.509 Die Familie zog 504 505 506 507
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509
Hartungen (1995), S. 92. Mertelseder/Mazohl/Weber (2009), S. 224f. Vgl. Schreiber (2008), S. 151. Hartungen (1995), S. 92. Ebd. Während die Nationalsozialisten sich den Gedanken eines wehrfähigen tirolischen Naturstammes mit selbstverständlicher Wehrpflicht aneigneten, betrachtete das Ausland die Standschützen mit ihrer demokratischen Wahlverfassung (als die Formationen zwischenzeitlich aufgelöst und neu gegründet worden waren) durchaus als etwas, das mit dem „Nationalsozialismus unvereinbar“ gewesen sein musste. O. V.: „Tiroler Standschützen aufgelöst“. In: National-Zeitung Basel v. 31.07.1939, BArch NS 43/424. Bis 1937 ‚Heinrichstraße‘ (Prinz Heinrich von Preußen), 1937-1947 ‚Dühringzeile‘ (Karl Eugen Dühring, 1833-1921, „Lehrer, Privatgelehrter, Antisemit“), seitdem ‚Eiderstedter Weg‘. Siehe Schröder (2012), S. 122f. Das Haus war 1910 von Emilie Winkelmann für den Bankbeamten Bruno Gumpel errichtet worden, dessen Erben das Haus bis 1936 gehörte. Winkelmann war die erste freiberufliche Architektin Deutschlands. Siehe https:// deu.archinform.net/arch/3129.htm [Zugriff: 04.03.2018]. Gumpel war nach Schröder (2012), S. 123, Bankbeamter, Kaufmann und Prokurist. Warum die Erben Gumpels das Haus 1936 verkauften / verließen, ob es sich möglicherweise um eine Enteignung handelte, ist nicht bekannt. Zumindest zwischen 1923 und 1931 bewohnte eine jüdische Familie das Haus, die Löwensons, die im Jüdischen Adressbuch für Gross-Berlin von 1931 genannt werden: Zentral- und Landesbibliothek Berlin, http://digital.zlb.de/viewer/fulltext/1931001_1931/374/ [Zugriff: 13.10.2016]. Zu den Angaben der Straßen- und Hausgeschichte siehe Schröder (2012), S. 122f. BF wird hier als Eigebntümer nur von 1938 bis 1943 genannt, er gibt diese Adresse aber noch 1957 als Wohnort im Antrag auf Kriegsgefangenenentschädigung beim Bezirksamt BerlinZehlendorf an, möglicherweise, da er von dort zum Kriegseinsatz eingezogen wurde
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
273
in eine disparate Nachbarschaft aus „Tätern und Mitläufern“510: Zum einen höchste NS-Repräsentanten, SS-Brigadeführer Gerhard Bommel (Nr. 9a), SSGruppenführer Karl Zech (35a), mehrere Generäle und die Eltern Hjalmar Schachts (Nr. 27), in der Nähe noch Reinhard Heydrich; zum anderen vom Regime Verfolgte und schließlich Ermordete: Schräg gegenüber der gräflichen Familie Siegfried Brünn, jüdischer Bankdirektor, und seine Frau (Nr. 5, 1941 nach Haifa emigriert), Margarete Schoenlank (1942 ins KZ Riga deportiert), Kurt Alexander (1943 Auschwitz), Therese Schreiber (Nr. 19, 1942 Theresienstadt) sowie Gertrud und Margarethe Kaulitz, die in ihrem Haus Nr. 33b viele Juden versteckten und ihnen so „eine rettende Insel“511 boten.512 Zwischen 1938 und 1939 publizierte Bossi weiterhin als freier Schriftsteller. Im Zeitgeschichte-Verlag erschien Wir kommen, Kameraden! (1938), worin der österreichische Oberleutnant Anderegg dem preußischen Rittmeister Frieben mit einer handvoll Tiroler Landesschützen (alle tragen „scharfgeschnittene Berglergesichter“ (18)) das Leben rettet.513 Frieben ist ein aus Prenzlau/Uckermark stammender ernster Mann mit „hellen Soldatenaugen“ (93ff., 102), der sein Schicksal „auf preußische Weise in die Hand“ (83) nimmt. Anderegg erscheinen die Deutschen als eine „einzige große Familie“. Wehmütig muss er erkennen, „wie viel leichter es doch diese reichsdeutschen Herren inmitten ihrer geschlossenen Volkgrenzen haben“ (121). In Österreich ist die „Haltung der Nordslawen, dann der Serben und der Romanen“ nicht sicher, oft ist deren Gegner an der Front „von gleichem Blut“ (127f.). So müssen die Deutschösterreicher 1916 für andere (ver-) bluten, während deutsche Truppen Anderegg einen ‚Kameraden Schnürschuh‘ nennen (161f.). Aus dem Erlebnis „all der
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und dort bis Kriegsende gemeldet war. Siehe Antrag Bossi-Fedrigottis auf Gewährung einer Entschädigung nach §3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes v. 13.04.1957, Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Schröder widmet BF (S. 123) zwischen den Hauserläuterungen einen umrahmten Abschnitt mit biografischen Angaben, der sich weitgehend aus Klee (2009), S. 64, speist und offenbar die Bedeutung des Schriftstellers hervorheben soll. Zur Geburt der Tochter siehe Personalkarte BFs, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton. Jordan (2015), S. 12. Jordan, Dirk: „Stille Heldinnen in der NS-Zeit: Die Schwestern Kaulitz“. In: Der Tagesspiegel v. 10.06.2013, http://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/steglitz-zehlendorf/zehlendorferheimatgeschichte-teil-1-der-serie-stille-heldinnen-in-der-ns-zeit-die-schwestern-kaulitz/ 8259076.html [Zugriff: 13.10.2016]. Schröder (2012), S. 123ff. Diese nachbarschaftlichen Verhältnisse in Vorbedingung und Wirkung dieser Jahre noch eingehender zu untersuchen, bleibt ein spannendes Desiderat. Vgl. Langer (1937), S. 45: „Von der menschlichen und soldatischen Kameradschaft zwischen Binnendeutschen und Ostmärkern, gestaltet an persönlichen Schicksalen, kündet ‚Wir kommen, Kameraden!‘“
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Blutopfer seines Volkes“ wächst „die Pflicht gegenüber der deutschen Nation“ (149f.). Frieben hilft Anderegg schließlich an der Front, fällt und opfert sich für die großdeutsche Aufgabe der Zukunft (207ff.). Angesichts der Annexion zeigt dieser Text die völkisch grundierte ‚Waffenbrüderschaft‘ deutlicher als zuvor.514 Bis 1940 erreichte der Roman 60.000 Exemplare. Österreichs Blutweg. Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland (1939, Verlag ‚Die Wehrmacht‘) scheint einer der Texte zu sein, die ab 1939 verstärkt eingeworben wurden, um die Verbundenheit aller Deutschen abschließend zu untermauern und die Bevölkerung auf kommende Ereignisse einzuschwören.515 Obwohl nur eine Auflage erschien, wurde es mit der Aufnahme in Das Buch ein Schwert des Geistes besonders gefördert.516 Der völkisch durchsetzte Text ist eine ähnlich episodenhafte, anti-historische Darstellung wie Tirol bleibt Tirol, die die österreichische Geschichte in den Dienst des nationalsozialistischen Regimes stellt und daran die ‚Heimkehr‘ Österreichs sowie des Sudetenlands anknüpft. Vergangene Machtkämpfe hätten „schier unerschöpfliche Ströme besten, deutschen Blutes“ (169) gefordert. Überwältigt schildert Bossi die ‚Anschluss‘-Kundgebung Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März 1938, als Tausende deutscher und österreichischer Soldaten in Anwesenheit des ‚Führers‘ und im Angesicht leuchtender Hakenkreuzfahnen zu Waffenträgern „der großdeutschen Wehrmacht“ (7) verschmolzen. Die 1871 errichteten Grenzen sind Pfähle im „lebendigen Fleische des Volkskörpers“, Wunden, von denen sich ein Krankheitsherd ausbreitete, der „allmählich die Zufuhr frischen Blutes aus dem Kraftquellen des Körpers“ (254) verhinderte, während slawische Völker sich zur „Vernichtung des Deutschtums“ (257) die Hände reichten.517 Nach 1918 hätten tausende Deutschösterreicher in fremden Armeen dienen müssen, sich innerlich bereits Hitler zuwendend. Doch schon bald brach das Siegeszeichen des Hakenkreuzes leuchtend durch das Dunkel der ihre Heimat verdüsternden Wolken. […] Das Morgenrot brach an. Das Blutopfer der Jahrhunderte […] hatte in der Tat Adolf Hitlers vom 13. Oktober 1938 seinen Sinn und seine Erfüllung gefunden! (287)
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O. V.: „Neue Bücher und Zeitschriften“. In: Salzburger Volksblatt v. 08.11.1938, S. 12. Der Text war als eine Art Feuilletonroman bereits 1937 in der Zeitschrift Die Wehrmacht des Reichskriegsministeriums erschienen. Siehe Ausgabe 1 (1937), H. 27. Aley (1969), S. 139ff. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Abteilung Schrifttum (1940), Sp. 12. Zu den offenkundig biologistischen Termini siehe auch Vallery (1983), S. 146.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
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Eine Rezension in den Innsbrucker Nachrichten befand, Bossi habe hier versucht, „der ostmärkischen Geschichte der letzten 250 Jahre die einzig richtige Voraussetzung zu geben: Boden, Blut, Rasse“518. Als „ostmärkische[n] Dichter“ kündigte ihn auch der Völkische Beobachter für eine im Dezember 1938 geplante Lesung im Rahmen des „‚Veranstaltungsringes der HJ‘“519 in Ostpreußen an. 1938/39 beteiligte er sich außerdem mit je einem Aufsatz an fünf Anthologien: Kindermanns Rufe über Grenzen und Heimkehr ins Reich, Ziesels Stimmen der Ostmark und Erwin H. Rainalters Die Ostmark erzählt (später umbenannt in Der große Bogen).520 Rainalter nach zu urteilen, waren Dorf und Gebirge „schöpferischer und fruchtbarer denn je“, die Großstadt „kein Magnet mehr“. Die jungen Schriftsteller blieben „auf dem Boden, der sie schuf und der sie nährt“ (6). So zeige auch Bossi Tirols „ungebrochene Schöpferkraft“ (7). Sein „Prinz Eugenius“-Aufsatz erweckt den Eindruck, beim Kampf der HRRDN-Truppen gegen die türkischen Besatzer vor Belgrad 1717 habe es sich um einen Kreuzzug gehandelt, der nur gewonnen werden konnte, weil die deutschen ‚Stämme‘ des Reiches zusammenstanden.521 In den späten 1930er Jahren schloss Bossi sich außerdem der ‚Mannschaft‘ an, einer Frontdichterkameradschaft um den Schriftsteller Jürgen Hahn-Butry, die 518 519 520
521
Dr. Sch. [Verf. unbekannt]: „‚Österreichs Blutweg‘“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 17.06.1939, S. 7. O. V: „Kleine Umschau“. In: Völkischer Beobachter v. 06.12.1938, S. 6. Er beteiligte sich mit mit „Standschützen“ an Rufe über Grenzen. Antlitz und Lebensraum der Grenz- und Auslandsdeutschen in ihrer Dichtung (13. Tsd.), Heimkehr ins Reich. Großdeutsche Dichtung aus Ostmark und Sudetenland 1866-1938 (beide von Heinz Kindermann) und Stimmen der Ostmark. Eine Feierabendfolge (Kurt Ziesel) sowie mit „Prinz Eugenius vor Belgrad“ an Die Ostmark erzählt. Ein Sammelbuch junger deutscher Dichtung (Erwin H. Rainalter, bis 1942 29. Tsd.), das nach vier von acht Auflagen in Der große Bogen. Junge deutsche Dichtung aus den Donau- und Alpenländern umbenannt wurde. Zu Heinz Kindermann, einem der einflussreichsten NS-Germanisten, siehe Barbian, Verordneter Kanon (2008), S. 70ff.: Kindermann u. Hellmuth Langenbucher betrachteten Schriftsteller vor allem als Teil des blutlich definierenten Volkes. Kindermann ging näher auf die Grenz- und Auslandsdichter ein und nutzte deren Texte zur Propagierung der NS-Expansionspolitik. 1937 schrieb er in Dichtung und Volkheit. Grundzüge einer neuen Literaturwissenschaft: „‚Wahrhafte Dichtung ist völkischen Ursprungs und wird deshalb vom Volk oder zumindest von wichtigen Vertretern des Volkes wieder ‚adoptiert‘ oder besser: rückgenommen in seinen Blutkreislauf. Schrifttum, das sich national indifferent oder bewusst international erweist, ist für den Blutkreislauf der Nation bedeutungslos oder schädlich‘“. Zu Rufe über Grenzen siehe Amann (1990), S. 66. Die Umbenennung hängt wohl damit zusammen, dass im April 1942 auf Wunsch Hitlers statt ‚Ostmark‘ nun der Begriff ‚Alpen- und Donau-Reichsgaue‘ verwendet wurde. Ebd., S. 72. Bossi-Fedrigotti, Prinz Eugenius vor Belgrad (1939), S. 87-114. Vgl. zum Kreuzzug-Motiv in der Sprache des NS-Regimes Klemperer (2015), S. 133. Der ‚Prinz-Eugenius‘-Aufsatz erschien 1939 in Der große Bogen, 1940 in Die Ostmark erzählt und 1969 in unveränderter Form im Herzhaften Hauskalender 1969. Siehe Bibliografie.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
1937 der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV) angegliedert wurde.522 Hahn-Butry gab 1937/38 die vierbändige Anthologie Die Mannschaft. Frontsoldaten erzählen vom Front-Alltag heraus, an der sich Bossi mit „Standschütze Hans Fuchs“ beteiligte.523 Darin berichtet er von einem StellaMitschüler, den die Schulkameraden schon 1915 mit „Heil Fuchs!“524 in den Standschützeneinsatz entlassen hätten. Mit „Oberleutnant Torquati“ beteiligte er sich außerdem an Frontsoldaten wollen den Frieden (1937).525 Torquati sei Verwandter der Mutter gewesen, Ort der Handlung ist die Herbstenburg. Die Beiträge und ihr „schlichter Berichtston“ sollten gezielt Authentizität suggerieren, die Ereignisse gleichzeitig aber auch „heroisch mythisiert“526 werden. Höhepunkt der ‚Mannschaft‘ ist wohl das Jahr 1938, als ihr die Stadt Guben und der Schirmherr Alfred Rosenberg persönlich beim ‚Ersten Reichsfrontdichtertreffen‘ das Schloss Buderose als ‚Haus der deutschen Frontdichter‘ übergaben.527 Die Gubener Zeitung druckte die Unterschriften der Teilnehmer ab, darunter auch die Bossis.528 Reichskriegsopferführer Oberlindober umriss die Aufgabe der Autoren: „Eure Werke sollen späteren Geschlechtern das Heldenepos des kämpferischen deutschen Soldaten überliefern“529. Doch die ‚Mannschaft‘ versank bereits bis September 1939 beinah gänzlich in der Bedeutungslosigkeit.530
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Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2, worin BF sich selbst als Mitglied zu erkennen gibt. Zur ‚Mannschaft‘ siehe Klünemann (2011), S. 82. Eine Mitgliederliste ist nicht überliefert. Die Namen der Publikationsbeiträger könnten eine solche ersetzen. In der Anfangsphase traf Hahn-Butry sich regelmäßig u. a. mit Mario Heil de Brentani, der einige Jahre später einer der intensivsten Berichterstatter zur BrugglerVerfilmung wurde. Plath (2004), S. 34 u. 37f. Der zum ‚Führer‘ der ‚Mannschaft‘ ernannte Otto Paust überreichte Hitler zu seinem Geburtstag 1937 228 signierte Weltkriegsbücher, darunter möglicherweise auch eines von BF. Siehe auch Pfeifer (2015), S. 198f. u. Lungershausen (2017), S. 64. Offenbar orientierte sich BF mit diesem Beitrag an einer realen Person. Zumindest unterrichtete 1950/51 ein Hans Fuchs Geographie, Mathematik und Turnen an der Stella Matutina. Löcher (2008), S. 377. Weitere Hinweise waren nicht zu ermitteln. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, Standschütze Hans Fuchs (1938), S. 63f.. Bossi-Fedrigotti, Oberleutnant Torquati (1937), S. 81-100. Plath (2004), S. 34. Klünemann (2011), S. 86 u. Lungershausen (2017), S. 62. O. V.: „Die Frontdichter grüßen Guben!“ In: Gubener Zeitung v. 14.06.1938. Plath (2004), S. 34, geht fälschlicherweise davon aus, dass alle Beiträger der ‚Mannschafts‘-Publikationen „im Krieg verschiedene Dienstgrade“ getragen hatten, was auf BF nicht zutrifft. Ebd., S. 39 unter Verweis auf die Frankfurter Oder-Zeitung v. 15.06.1938. Plath (2004), S. 42.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
Abb. 11
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‚Schrifttum der Jugend‘ bei der ‚Ersten Großdeutschen Buchwoche‘ in Innsbruck 1938.
Abb. 12 Bossis Andreas Hofer, präsentiert auf dem Büchertisch.
Im Herbst 1938 fand schließlich die ‚Erste Großdeutsche Buchwoche‘ mit einer großen Eröffnungskundgebung in Weimar statt. Ihr folgten Ausstellungen in öffentlichen Gebäuden vieler Städte Deutschlands, des Sudetenlands und der annektierten ‚Ostmark‘, auch in Innsbruck.531 Dort entstand dieses Foto, das 531
Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass BF hier teilgenommen haben könnte. Barbian (1995), S. 636. 1939 wurde die Woche des deutschen Buches wegen des Kriegsbeginns
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
beim ‚Schrifttum der Jugend‘ zwei aufgerichtete Reihen Bücher zeigt, darunter (untere Reihe, drittes von rechts) auch Bossis Andreas Hofer (1935).532 Es ist davon auszugehen, dass in diesem Rahmen für weitere Texte des Südtirolers geworben wurde. Eine weitere Aufnahme zeigt Bossis Tirol bleibt Tirol (1935) neben Baldur von Schirachs Das Lied der Getreuen (1938). Auch an der Gleichschaltung der Schullektüre nach 1933 partizipierte Bossi.533 Der Schaffung eines ideologisch angepassten Lektürekanons kam „paradigmatischer Wert“ zu, da sich durch Deutschlehrpläne Wertvorstellungen des Regimes effektiver als in allen anderen Fächern manifestieren ließen. Auswahlkriterium der Texte war der „Aspekt der politischen Verwertbarkeit“534. Der Reichslehrplan 1938 forderte für das Fach Deutsch „rassische Erziehung und die Heranbildung des kämpferischen, heroischen Menschen“535. Vor allem die Lesebücher boten dazu adäquate Möglichkeiten.536 Neuerscheinungen zeigten eine „deutliche Überbetonung“ von Gegenwartstexten, die überwiegend „Grundelemente der nationalsozialistischen Ideologie“537 widerspiegelten. Doch zwischen 1933 und 1938 änderte sich auch das, was gelesen werden sollte; die Propaganda wurde „subtiler“538. Zur Frage, was im NS-
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538
abgesagt, 1940 bis 1942 daraus die „‚Herbstveranstaltungen für das deutsche Schrifttum‘“ gemacht. Barbian (2010), S. 329f. Siehe auch Van Linthout (2012), S. 175f. Plakat: Online Archive of California (OAC). UC Berkeley, Bancroft Library: http://cdn.calisphere.org/ data/28722/19/bk0007t7919/files/bk0007t7919-FID4.jpg [Zugriff: 04.03.2018]. Für den Hinweis auf die Fotos und die Genehmigung, sie zu nutzen, danke ich dem Publizisten Markus Wilhelm (dietiwag.org). Es stammt aus einer im Winter 2017/2018 ins Stadtarchiv Innsbruck aufgenommenen Bilderserie der Buchwoche, die nun aufgearbeitet wird. Quellenangabe (derzeit): Stadtarchiv Innsbruck. Siehe auch http://www. dietiwag.org/index.php?id=5860. Schütz (2015), S. 92 u. 96f. Entnahmen aus: Lauf-Immesberger (1987), S. 14f. u. 65. Siehe dazu auch Hegele (1996), S. 70ff. u. Strothmann (1960), S. 152f. Lauf-Immesberger (1987), S. 55. Vgl. S. 70. Lauf-Immesberger (1987), S. 71 u. 153. Beteiligt war bei der Genehmigung auch Bouhlers Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des NS-Schrifttums. Entnahmen aus: Lauf-Immesberger (1987), S. 82 u. 203, auch zu den Topoi der neu aufgenommenen Texte: Organische Volksgemeinschaft auf ‚Blutsbasis‘, Rassenlehre, Antisemitismus, Führerprinzip, Reich und Sendung, ‚Raumnot‘, Heldenmut, Kampf und Bewährung, Arbeiter und Arbeit, Bauerntum, Sieg und sakraler Kult. Vgl. Hegele (1996), S. 74f. Lauf-Immesberger (1987), S. 70. Der Reichslehrplan für die vierte Klasse sah zum Thema ‚Der kämpferische Mensch‘ Lehransätze von „Feldherrn und Soldaten / Freiheitskämpfe“ über „Deutsche Kämpfe um eigenen Boden und eigenes Recht“ bis hin zu „Kampf des Menschen mit der Natur: Luft, Meer, Hochgebirge, Urwald, Wüste, Eis“ vor. In der fünften Klasse ging es zudem um Volksgemeinschaft, „Heimat und Fremde“, „Dorf – Stadt – Großstadt“ und um Helden. Siehe ebd., S. 166.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
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Deutschunterricht gelesen wurde, wertete die Literaturwissenschaftlerin Karin Lauf-Immesberger unter anderem 106 von 117 in der Zeit erschienene Lesebücher höherer Schulen aus. Bossi ist in acht (fünf für Jungen und drei für Mädchen) davon mit je einem Text und insgesamt 43 Seiten vertreten, knapp hinter Goebbels (83 S.) und Trenker (64 S.), knapp vor Schenzinger (42 S.) und Göring (40 S.).539 Standschütze Bruggler spielte schon in der ersten Klasse eine Rolle. Der NSLB forderte für das „Märchenalter, 7.-9. Lebensjahr“, auch Texte „kinderund volksnaher Dichter“, die die Schüler „erstmalig zum Erlebnis deutschen Wesens“ führen sollten. Durch die passende Schullektüre würden außerdem auch die Eltern geschult und „ausgerichtet“540. Bruggler-Textauszüge wurden unter dem Titel „Der kleine Standschütz“ in der ersten und vierten Klasse genutzt.541 Bossis Aufsatz „Lawinen“542, ein Auszug aus Kaiserjäger (1934), erschien in Hirts Deutsches Lesebuch (1939) für Jungen und „Die beiden Ausreißer“543 in der Mädchenausgabe des Deutschen Lesebuches für höhere Schulen (1942). Der Beitrag handelt von hungernden Soldaten an der Gebirgsfront, die ihr Leben riskieren, um ihre Kameraden zu versorgen – eines der oft wiederkehrenden Motive in NS-Romanen.544 Mit dem 1939 in Saat in die Zeit. Ein Lesewerk für höhere Schulen erschienenen Beitrag „Ablösung“ idealisiert Bossi nicht nur das Sterben junger Männer für das Vaterland, sondern auch ein militaristisches Männlichkeitsbild in einem Umfeld aus Kameradschaft im Krieg.545 In „Das Bauernmädel aus Buchenstein“ im Deutschen Lesebuch für Mädchen (1939) konstruiert er das Heldenepos einer Magd, die Franzosen im Kampf mit einer Heugabel ersticht. Auch junge Mädchen sollten auf die Verteidigung ihrer Heimat eingeschworen werden, den Jungen in nichts 539 540
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Lauf-Immesberger (1987), S. 27, 358ff. u. 381. Die exakten Angaben der Lesebücher, in denen BF vertreten ist, konkretisierte Karin Lauf-Immesberger dankenswerterweise in einer E-Mail an CP v. 23.11.2016. Entnahmen aus: Reichsverwaltung des NSLB (1939), S. 29f. Vgl. Grothe, Heinz: „Leier und Schwert. Dichter unter den Waffen“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 17.06.1941, 4. Grothe führt BF hier als einen der Dichter an, die „dem Krieg und seiner Problemwelt jene Überhöhung gegeben, die ihn für die nachwachsenden Generationen sichtbar machte“. „Der kleine Standschütz“ erschien in Ewiges Volk. Ein Lesebuch für höhere Schulen (1939, Jungen), Deutsches Lesebuch für Jungen (1939) und Deutsches Lesebuch für Mädchen (1939). Siehe Förster (1939), Meinshausen (1939) u. Sablotny/Schmudde (1939). Eilemann (1939). Kallbach (1942). Schoeps (2000), S. 75. 1937 war der Text schon einmal in August Friedrich Velmedes Kriegsdichter erzählen erschienen. Velmede (1937), S. 28-43. Im Vorwort wünschte seinerzeit Generalfeldmarschall von Blomberg, dass die durch die Beiträge motivierte Jugend „den Kämpfern des großen Krieges“ nacheifere „im Dienst für Deutschland“. Siehe S. 6. Bossi-Fedrigotti, Ablösung (1939), S. 222 (Auszug aus Kaiserjäger).
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
nachstehend.546 Der Text war 1936 bereits in der Märzausgabe der Führerinnenblätter Bund Deutscher Mädel, herausgegeben von der Reichsjugendführung der NSDAP, abgedruckt worden.547 Der NSLB befand 1939, dass Kinder ab einem Alter von 10 Jahren nach dem „Weltkriegsbuch“ fragen. Diese Phase werde „vorbereitet“548 durch Texte wie Bossis Kaiserjäger – für den NSLB ein Paradebeispiel für die „Reifezeit, 12.-15. Lebensjahr“549. So könne aus dem Erleben des Weltkrieges „die seelische Verfassung und Haltung wachsen, aus der der Nationalsozialismus seine Kräfte zieht“550. Kaiserjäger wurde im Januar 1935 erstmals im „Verzeichnis der zur Beschaffung für Schulbüchereien […] geeigneten Bücher und Schriften“551 für Leser zwischen 12 und 16 Jahren empfohlen und fand 1939 auch Eingang in eine Empfehlungsliste des REM zum Aufbau der Schülerbüchereien an Volksschulen.552 1935 und 1937 kamen Spionage und Verrat (1935), Andreas Hofer (1935) und Die weiße Wand (1937) hinzu.553
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Bossi-Fedrigotti, „Bauernmädel“ (1939), S. 76ff. Der Text erschien 1943 auch unter der Kategorie „Hoch klingt das Lied vom braven Mann“ in Arbeitsgemeinschaft donauund alpenländischer Erzieher (Hg.): Deutsches Lesebuch für Hauptschulen. 3. Teil für die 3. Klasse. Wien: Deutscher Schulverlag 1943, S. 76-78. Siehe Bossi-Fedrigotti: „Das Bauernmädel aus Buchenstein“. In: Reichsjugendführung der NSDAP (Hg.): Führerinnenblätter Bund Deutscher Mädel. Ausgabe BDM. Heft März. Berlin: Eigenverl. 1936. Entnahmen aus: Reichsverwaltung des NSLB (1939), S. 35ff. Vgl. Prümm (1976), S. 139. Reichswaltung des NSLB (1939), S. 41. Entnahmen aus: Reichswaltung des NSLB (1939), S. 41. Am 20. Februar 1934 erschien das „Verzeichnis“ erstmalig im Zentralblatt für die gesamte Unterrichts-Verwaltung in Preußen. Seit 1935 veröffentlichte das REM die Listen neu erschienener, geeigneter Texte im Nachfolgeorgan Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Man kann auch hier von gezielter, politisch motivierter Förderung der Themen und Autoren sprechen. Aley (1969), S. 51, „Grundliste für Schülerbüchereien der Volksschulen“ v. 29.01.1937. In: Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (1937), S. 48ff. u. „Verzeichnis der zur Beschaffung für Schulbüchereien (Lehrer- und Schülerbüchereien) geeigneten Bücher und Schriften“. Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung v. 20.01.1935, S. 35, Nr. 826. Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung, DigiZeitschriften. Das deutsche digitale Zeitschriftenarchiv, https://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PI D=ZDB991084217_0001|LOG_0055&physid=PHYS_0049#navi [Zugriff: 11.10.2016]. Für Spionage und Verrat siehe ebd. v. 05.05.1935, S. 175 (Nr. 996), für Andreas Hofer ebd. v. 20.04.1936, S. 184 (Nr. 1440) u. für Die weiße Wand ebd. v. 20.06.1937, S. 285 (Nr. 2249). In das „Verzeichnis der empfohlenen Klassenlesestoffe“ (das zusammen mit dem Schulbücherei-Verzeichnis seit 1939 veröffentlicht wurde), die außerhalb des Lehrplans gelesen werden konnten, wurde kein Text BFs aufgenommen. Siehe auch Strothmann (1960), S. 150: Zwischen 1937 und 1941 wurden in „Deutschland 55.000 neue Schülerbüchereien eingerichtet“.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
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Neben Buchmarkt und Rundfunk bot auch die „expandierende Filmbranche“554 seit Mitte der 1930er Jahre zusätzliche Verdienstmöglichkeiten. Von 10.118 Schriftstellern, die 1942 Mitglied der RSK waren, verdingten sich hier 874 regelmäßig, auch als Drehbuchautoren. Seit der Bruggler-Verfilmung 1935/36 verfügte Bossi über gute Kontakte, die er anscheinend zu nutzen wusste. 1937 schrieb er das Drehbuch für den Ganghofer-Bergfilm Gewitter im Mai, der von Ostermayr produziert wurde.555 Bis 1945 erschienen zwölf GanghoferFilme (oder waren in Vorbereitung), „ein Boom, der sich im Deutschland der fünfziger Jahre mit einer Welle von Heimatfilmen fortsetzte“556. Propagandaminister Goebbels hielt allerdings wenig von den Filmen. Ende Dezember 1937 schrieb er: „‚Gewitter im Mai‘, ein Ganghoferfilm, wie alle diese Filme. Aber sie machen gute Kasse“557. Nachdem Goebbels die RSK-Autoren angeregt hatte, geeignete Filmstoffe einzureichen, übermittelte auch Bossi Vorschläge.558 In der RKK-Zentrale traf so das Manuskript von Der Karpfenteich (1937) ein, das er und der Schauspieler Arthur Ritter von Klein-Ehrenwalten verfasst hatten.559 Der Film sollte von dem hoch gelegenen Ort Siebenquell und einem weiter unten liegenden handeln, die durch einen Staudamm miteinander verbunden sind. Doch der zeigt inzwischen Risse, die der rücksichtslose, dickliche Bürgermeister 554 555
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Barbian (2010), S. 402. Die Außenaufnahmen hätten in Oberbayern stattgefunden, die Atelieraufnahmen bei der Ufa in Berlin-Tempelhof. Österreichische Film-Zeitung v. 22.10.1937, S. 3. Auch in der Zeitschrift Der gute Film erschien eine Rezension: „Gute Unterhaltung für ländliche Kreise“. O. V.: „Gewitter im Mai“. In: Der gute Film, Folge 238 (1937), S. 8. Darüber hinaus scheint BF auch Anfang 1939 noch an einem „Hochgebirgstruppenfilm ‚Soldaten der Berge‘“ beteiligt gewesen zu sein. Hier hatte er sich anscheinend auch beim Skilaufen während der Außenaufnahmen verletzte. Siehe BF an Polizeipräsidium Berlin bez. Aufnahme als Reserveoffizier v. 15.04.1939, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Zu diesem Filmprojekt waren keine weiteren Hinweise zu ermitteln. Adam (2010), S. 205. Fröhlich (2000), S. 63. Der Film durchlief die Zensur am 22.12.1937, wurde am 31.03.1938 uraufgeführt, kostete RM 393.000 und spielte etwa RM 700.000 ein. Es blieb ein Reingewinn von ca. RM 91.000. Für Bruggler liegen solche Zahlen nicht vor. Albrecht (1969), S. 348 u. 424. 1987 wurde Gewitter im Mai noch einmal mit neuem Drehbuch verfilmt. Die könnten jedoch auch auf eigene Initiative hin entstanden sein. Dass Goebbels die Schriftsteller dazu anregte, belegt BArch R 56-V/23, „Exposé für antienglische Filme und Hörspiele, Sonderauftrag von Goebbels“, hier Bl. 2, Zusammenstellung der eingereichten Filmstoffe. Siehe dazu auch Düsterberg (2004), S. 258f. Arthur Ritter von Klein-Ehrenwalten war Darsteller in BFs Standschütze Bruggler, woher sich beide aller Wahrscheinlichkeit nach kannten. Siehe Vorspann des Filmes. KleinEhrenwalten arbeitete schon in der Weimarer Republik als Schauspieler im Filmgeschäft, 1928 in Der alte Fritz u. 1929 (u. a.) in Erpresser, Das Land ohne Frauen und Napoleon auf St. Helena. Gandert (1993), S. 158, 367 u. 487.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
lediglich kaschieren lässt (7). Durch den Damm war einst ein Karpfenteich entstanden, allerdings auch ein stinkender Sumpf, der die Menschen krank macht (20). Am lukrativen Fischereibetrieb partizipieren beinah alle Personen des unteren Ortes, der Bürgermeister, Gemeinderäte und der Pfarrer. Sie, die dicken Karpfen, wollen möglichst großen Profit erzielen und zahlen den Teicharbeitern einen Hungerlohn. Im Gegensatz dazu steht Siebenquell, wo die Luft rein ist, die Menschen entschlossen, gesund und schön sind, wie der Unternehmer von Rittner, ein „Mann der Tat, […] Typ alter Kämpfer“ (5, 13, 39). Als die Teicharbeiter aufbegehren, heuert der Bürgermeister eine billige Arbeiterschar aus Russland an, darunter auch Dimoff, „Typ internationaler Gauner“, der schon wenig später die 15-jährige, blonde Bedienung des Wirtshauses belästigt (18). Mit ihm „entquellen“ die neuen Arbeiter einem Viehwagen, „Männer und Weiber, Typ Sachsengänger, zerlumpt, gemein, östlich, verdreckt, Bündel in Händen und auf dem Rücken […]“ (11, 58).560 Betrunken belagern sie den Ort. Der Film soll sie als „slavische Typen“ (59) zeigen. Vorarbeiter Jekusch, „ein Subjekt, Mischung von Kroat und Tscheche“ (12), ist großflächig mit „Stern, a Sichl und an Hammer“ tätowiert und scheint bolschewistischer Agent zu sein (59, 88). Später heiratet er ein aus dem Dorf stammendes, wohlhabendes Mädchen und flieht nach der Hochzeit mit ihrem Geld. Der Lehrer der in Siebenquell gelegenen Jungenschule, Manfred Dressel, erzieht die Schüler mit harter Hand (22) und ist zum „Jugendführer geboren“ (83). Ihnen vermittelt er, man könne zwar die Wurzeln eines Baumes freilegen, „unseres Volkes Stamm aber können Menschen nie entwurzeln“. Dem heiligen Boden entspringen die „Quellen aller Kraft“ (34). Diese seien tatsächlich unterirdisch gestaut, könnten aber bald wieder „hell sprudeln“ und dann als „Wildbäche zu Tal brausen, dort Sumpf und Schlamm aufwirbeln, gesunden Boden freilegen“ und als „Strom unaufhaltsam der Urväter Weg zum Meer finden“ (34). Rittner beschließt später, die Quellen wirklich freizulegen. Er will „für jene Jugend“ arbeiten, „die dort oben in Siebenquell heranwächst und im ganzen Deutschen Reich“ (53) noch „unter fremdes Joch gebeugt“ (70f.) lebt. 560
Als Sachsengängerei wurde die infolge schlechter Bodenerträge, niedriger Arbeitslöhne u. anhaltender Arbeitslosigkeit (u. persönlicher Motive) „alljährlich im Frühjahr erfolgende Abwanderung“ meist unverheirateter Arbeiter (u. darunter meist Mädchen) aus den östlichen Provinzen Preußens zur Getreide- u. Rübenernte nach Sachsen, Hannover, Anhalt u. Braunschweig bezeichnet. Akkordarbeit und hohe Löhne dienten dazu, die Personen, die oft primitiv untergebracht wurden, und ihre Familien über den Winter zu versorgen. Die Sachsengängerei habe für die Arbeiter eine „gewisse günstige“ Wirkung gehabt u. diese eine „höhere Kultur“ kennenlernen lassen. O. V.: „Sachsengängerei“. In: Brockhaus (1895), S. 159.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
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Als Schüler Peter von einer Sprengung mitgerissen wird, eilt ihm Dressel zu Hilfe (42f.). Den Jungen festhaltend, strebt er „aufwärts, eine mächtige Blutspur hinter sich lassend“ (42). Für eine Bluttransfusion bieten sich Dressel und Rittner an, doch es braucht „jüngeres Blut“ (46). Drei Jungen melden sich freiwillig. Sie stehen breitbeinig Mann neben Mann. In den wie aus Holz geschnitzten Gesichtern – harte, über Peters Lager hinsichtende Augen. Dieselben Gesichter, vom Stahlhelm beschattet, die Augen haben noch immer den gleichen Ausdruck, aber was sie sehen, ist nicht mehr der Peter – einen Kameraden sehen sie in der Front, im Gelände vor sich – im Stacheldraht hängend – schreit er – wie Männer schreien, um Hilfe – Granateneinschläge. Die Muskeln im Antlitz der Männer straffen sich. ‚S’ist doch unser Kamerad!‘ […] Und nun mit phonetischer Steigerung: ‚S’ist doch unser Kamerad!‘ ‚S’ist doch unser Kamerad!‘ Jetzt springen die Männer vor, Einschläge um sie herum – Maschinengewehrfeuer. Sie müssen sich niederwerfen. Kriechen vor, während das Grauen sie umtobt, den Kopf aus der Ackerkrume, keuchen sie durch die Zähne: ‚S’ist doch unser Kamerad!‘ […] Die Köpfe der Drei beugen sich über den Verwundeten, aber sie tragen keine Stahlhelme mehr und statt über den Verwundeten, beugen sie sich jetzt über die Jungen, die, bittend zu ihnen aufsehend, sagen: ‚S’ist doch unser Kamerad!‘ (46f.)
Dressel sieht in dieser symbolisch höchst aufgeladenen Szene plötzlich nicht mehr die drei, sondern „es sind dreihundert, dreitausend, unübersehbar wird die Zahl der Jungen, die er da visionär stehen sieht“ (47).561 Die Mädchen stehen ihnen bei, sie „gehören zueinander, dass sie voneinander lernen, jetzt in Spiel und Unterricht, später im Kampf ums Dasein als Kameraden“ (80). Bei einer Versammlung finden sich alle Bewohner und die ausländischen Arbeiter ein. „Rittner hält dabei Umschau und grüsst Kameraden, deren deutsche Köpfe in scharfem Kontrast zu verkommen aussehenden Visagen stehen“. Es sollen „Köpfe, Gesichter, Mienen, Visagen“ zu erkennen sein, dann Dressels „helles Jungengesicht“ (86). Doch als Unruhe ausbricht und er sich 561
Sarkowicz/Mentzer (2011), S. 33, befinden dazu: „Denn nur, wer sein Leben für Deutschland eingesetzt hatte, war auch berechtigt, künftig dessen politische Geschicke zu bestimmen. Das wurde zum oft pathetisch vorgetragenen Vermächtnis der gefallenen Soldaten erklärt“.
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dunklen Gestalten entgegenstellt, wird er erdolcht. In „blühender Jugend freiwillig, im Kampf um die Zukunft seines Volkes“ (96), opfert er sein Leben. Das wird auch den Kindern vermittelt, die die Beerdigung miterleben: „Vergesst auch das Beispiel nicht, wenn eine Zeit käme, wo das Vaterland solche Opfer von Euch fordern würde“. Noch während der Satz ausgesprochen wird, scheint plötzlich der „Horizont in intensivster Helle“ auf, sodass „die Köpfe einen Augenblick wie umloht [sic!] sind von gleissendem Licht. Dann folgt ein Donnerschlag, der hundertfaches Echo auslöst“ (98). Ein Russe nutzt während der Bestattung die Gelegenheit, die unterirdischen Öltanks des Werks anzuzünden (96). Durch die Explosionen, zeitgleich zum Begräbnis-Donner, sprudelt das Quellwasser hervor und bahnt sich seinen Weg zum Damm. Dort treffen sich alle Handelnden wieder: Oberhalb Rittner und die ‚Guten‘, unterhalb der Bürgermeister, die alte Obrigkeit und die fremden Arbeiter (100ff.). Die natürliche Urkraft des Wassers lässt den sumpfigen Teich überlaufen. Der morsche Damm und mit ihm alles Alte und Unreine, der untere Ort und seine Protagonisten, werden hinweggespült. Der Fluss legt sich am Ende wieder in sein gerechtes, angestammtes Bett (105). Die Autoren des Karpfenteiches bedienten sich reichlich der Instrumente völkisch-nationalsozialistischer Gestaltung.562 Aus dem Manuskript entstand allerdings nie ein Film. Die Personen des unteren Ortes stellen das internationalisierte und korrupte System der Weimarer Republik dar. Möglicherweise hatten die Autoren die Absicht, ausschließlich sie im Dialekt miteinander sprechen zu lassen, um die Antiquiertheit der Handelnden zu belegen. Das liefe allerdings Bossis üblichen Textgestaltungsmethoden zuwider. In Siebenquell wird ausnahmslos hochdeutsch gesprochen. Dessen Bewohner sind die tatkräftigen Vertreter des neuen Volkes, charakterisiert in scharfem Kontrast zu den russischen Verbrechern und den rassistisch-vertierten ‚Sachsengängern‘, die als amorphe Masse das Dorf belagern (18). Rittner scheint Sinnbild neuen Unternehmergeistes im Sinne der NS-Ideologie zu sein, dem die Volksgemeinschaft wichtiger als der Profit ist (13).563 Auch die Mädchen werden auf ihre Rolle an der ‚Heimatfront‘ vorbereitet – der Soldat und die Frau im Haus kämpfen gleichermaßen (83f.).564 Höhepunkt pauschaler Stigmatisierungen ist die Szene im Wirtshaus, als neben dreckigen, fremden ‚Visagen‘ lichttechnisch erleuchtete „deutsche Köpfe“ und „Manfreds helles Jungengesicht“ (86) gezeigt werden sollen. Die Blutspende-Szene offenbart gleich mehrere Ansätze völkisch-nationalsozialistischer und militaristischer Topoi. Voller 562 563 564
BArch R56-I/204. In der Akte befindet sich lediglich der Entwurf. Vgl. zur Rolle der Wirtschaft ab 1933 Benz/Graml/Weiß (2007), S. 116ff. Dreßen, Willi: „Heimatfront“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 505f.
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überschwänglichem Pathos retten die Jungen ihrem Schul-, im Grunde aber ihrem künftigen Kriegskameraden, mit ihrem Blut das Leben.565 Die Jugend steht so in Verbindung mit den Weltkriegssoldaten, Kriegstod und Opfer sind ihre Pflicht. Auch als Goebbels 1939/40 Exposés „für antienglische Filme und Hörspiele“566 einforderte, sendete Bossi einen Entwurf567: Es sollte um „Englands unheilvolle Rolle“ gehen, die nach dem ersten grossen deutschen Siege über die französische Hegemonie in Europa durch Prinz Eugen, dem [sic!] Reichsfeldmarschall, die Annullierung des Westfälischen Friedens verhindert.
Das Zusammenrücken Frankreichs und Deutschlands würde durch die hinterhältigen Engländer verhindert. Einen alternativen Vorschlag schickte Bossi zusätzlich mit: In einem deutsch-französischen Sportlager entwickelt sich eine Jugendfreundschaft, doch die „verkalkten Vertreter der engl. Gesellschaft, der jüdischen Finanz und des absterbenden Liberalismus unterminieren“568 diese Verständigung. Das antisemitische ‚Geldjuden‘-Stereotyp setzte er dabei nicht zum ersten Mal ein. Die Korrespondenzen über diese „reichswichtige Dienstsache“569 führte RSK-Präsident Hanns Johst zum Teil persönlich mit den ausgewählten Autoren. Bossis Vorschläge können, auch wenn sie nicht umgesetzt wurden, als Versuch gewertet werden, Material einzusenden, das er selbst als ideologisch adäquat verstand – und das Erfolg versprach. Im März und April 1938 hatte er den nationalsozialistischen Aufbau der ‚Ostmark‘ persönlich miterlebt und sich hauptamtlich für die SA in Innsbruck aufgehalten. So dürfte er regelmäßig seinem alten Bekannten, Gauleiter Franz Hofer, begegnet sein, der in den ersten Wochen alle Hebel in Bewegung setzte, 565 566 567
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Jensen, Uffa: „Blut (B.), Blutfahne (Bf.), Blutopfer, Blutorden“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 399. Entnahmen aus: Titel der Akte BArch R 56-V/23, „Exposé für antienglische Filme und Hörspiele, Sonderauftrag von Goebbels“. Vgl. Drewniak (1987), S. 332f. Seinem Entwurf legte BF auch eine Auflistung seines bisherigen Schaffens bei. In einer knappen Beurteilung wird aufgeführt, dass er sich auch mit Artikeln in der Zeitung Hitler-Jugend (wahrscheinlich Die HJ – das Kampfblatt der Hitler-Jugend, später Junge Welt – die Reichszeitschrift der Hitler-Jugend) in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. „Zusammenstellung“. BArch R 56-V/23. Entnahmen aus: Filmentwürfe BFs v. 26.01.1940. BArch R 56-V/23, Bl. 157-160. Siehe dazu auch Siegl (2013), S. 123 u. Düsterberg (2004), S. 258f.: Goebbels hatte den Sonderauftrag erteilt, „eine systematische antienglische Hörspiel- und Filmproduktion zu initiieren und zu planen“. Drewniak (1987), S. 332.
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um seinen Machtbereich auszubauen und der bald „wie ein Fürst“570 regierte. Seit dem 25. Mai 1938 war er offiziell wieder Gauleiter von Tirol und Vorarlberg und wurde zum Landeshauptmann von Tirol ernannt, am 1. April 1940 schließlich (als die beiden Gaue zum Reichsgau umformiert wurden) zum Reichsstatthalter Tirol-Vorarlberg.571 Ihm war daran gelegen, früher oder später Tirol mit Südtirol zu vereinen. Doch zunächst arbeitete er „in der vom Führer befohlenen Richtung“572. Regionale Traditionen vereinnahmte er regelrecht. Die Wege Bossis und Hofers hatten sich seit 1933 bereits mehrfach gekreuzt, bei der Gemeinderatswahl 1933 und 1936/37 bei der Neuaufnahme in die NSDAP ohnehin. Der überwältigende Sieg bei den Wahlen 1933 hatte auch zum Einzug Hofers in die Innsbrucker Stadtregierung geführt. Bossi half so bei Weitem nicht nur der NSDAP, sondern Hofer persönlich.573 Die Annexion setzte für den Gauleiter auch hinsichtlich kulturpolitischer Gestaltungsmöglichkeiten ungeahnte Möglichkeiten frei. Er war daran interessiert, Schlüsselstellen des Staates, der Wirtschaft und Gesellschaft mit ihm gesonnenen, loyalen Parteigenossen zu besetzen.574 „Wenn man einen mächtigen Gauleiter auf seiner Seite hatte, gelangte man leichter auf begehrte Posten“575. In einem „Personenverbandsstaat wie dem NS-System“ waren persönliche Verbindungen und alte Seilschaften daher gleichzeitig Instrument und Voraussetzung dafür, „überhaupt in Machtpositionen“576 zu gelangen. Im Frühjahr und Sommer 1938 schien sich Bossi mit Hofer über künftige Wirkungsmöglichkeiten besprochen zu haben. Sein Lebenslauf und seine Sozialisation, ganz abgesehen von dessen Loyalität, schienen Hofer wahrscheinlich passgenau, um ein kulturpolitisches Amt in seinem ‚Grenzgau‘ zu übernehmen. Zwischen Februar und März 1939 schlug der Gauleiter der NS-Parteileitung schließlich vor, Bossi ab April des Jahres als Leiter des Tiroler Volkskunstmuseums in Innsbruck einzusetzen. Heß, Stellvertreter des ‚Führers‘, hatte keine Bedenken. Er bat jedoch, Bossi „noch einmal nachdrücklichst zu ermahnen, sich hinsichtlich des Problems Südtirol unbedingt an die vom 570 571 572 573 574 575 576
Schreiber (2008), S. 68. Ebd., S. 86. Salzburg, Tirol und Vorarlberg bildeten bis 1932 den NSDAP-‚Westgau‘. Nach der Gründung einer eigenen Salzburger Gliederung im Sommer 1932 verblieb der Gau Tirol-Vorarlberg. Aktennotiz d. SS-Gruppenführers Wolff über ein Telefonat mit SS-Standartenführer Likus v. 05.04.1939, BArch NS19/2070, Bl. 5. Siehe auch Niederschrift über die Besprechung der Südtiroler Frage v. 23.06.39, BArch R 186/33. Siehe zu Hofers Aufstieg Albrich (2006), S. 31. Schreiber (2008), S. 72f. Römer (2017), S. 82. Entnahmen aus: Römer (2017), S. 80.
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Führer gewiesene Richtung zu halten“577. Heß war nach wie vor gut über politische Fallstricke, die dem Regime in diesem Fall hätten gefährlich werden können, informiert. Er war einer der wenigen, der um die problematische Vorgeschichte der NSDAP mit Südtirol vor 1933 und die Rolle Bossis wusste. Doch angesichts dessen Verdiensten um die NSDAP hatte er zuvor auch schon der Mitgliedschaft zugestimmt. Mithilfe Hofers gelang es Bossi, sich bei verschiedenen Dienststellen, die für seine kulturpolitische Karriere wichtig werden sollten, als ‚alter Kämpfer‘ in Position zu bringen: Da er sich „verschiedentlich öffentlich im Rahmen des Südtirolerfragenkomplexes für die Auffassung des Führers“ eingesetzt habe, sei er „noch während der Kampfzeit VDA-Verbindungsmann zur NSDAP“578 geworden. So wurde ihm später „als altem Kämpfer die Dienstzeit in der SA vom 1.6.1933-11.3.1938 […] auf das Besoldungsdienstalter“579 angerechnet. Obwohl Bossi die formalen Kriterien für diese Anerkennung nicht erfüllte, wusste er sich als treuer Unterstützer der NSDAP, besonders in Sachen Südtirol, zu stilisieren.580 Doch Hofer dürfte von Bossis opportunistischen Wechselsprüngen und seiner vage konstruierten Narratio gewusst haben, erhielt nun jedoch Gelegenheit, seinem persönlich verbundenen Parteikameraden, der sich im entscheidenden Moment auf die erfolgreiche Seite der NS-Machthaber geschlagen hatte, seinen Dank zu erweisen und ihn gleichzeitig näher an sich zu binden. Im Mai 1939 schrieb Bossi seinem „Freund“ Hinkel, dass Hofer ihn 577 578
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Stab Stellvertreter des Führers an Gauleiter Hofer v. 05.04.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 44. Vgl. NSDAP-Gauleitung Berlin an Reichsschatzmeister der NSDAP v. 29.05.1937, BArch R 9361-II/102614. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Hofer ergänzte beinah wortgleich: „Eifrig trat er noch in der Kampfzeit der Bewegung im Altreich für jene Auffassung ein, die der Führer in diesem ganzen Fragenkomplex vertrat“. Antrag Gauleiter Hofers an den RMI auf Anstellung BFs als Beamter auf Lebenszeit v. 31.10.1939, ebd.. In einem handgeschriebenen Lebenslauf für seine Personalakte überspannte er den Bogen seiner Geschichte noch weiter: „Seit 1931 arbeitete ich, ohne, als nichtdeutscher Staatsbürger Parteigenosse zu sein, für ein Verständnis meiner Landsleute für die außenpolitische Zielsetzung des Führers in den Fragen meiner Heimat“. Lebenslauf BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 3f. Dr. Schuler, Reichsstatthalterei T-V, an RMI, Ref. P5, v. 03.12.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 67. Siehe auch Römer (2017), S. 62: „Die Nationalsozialisten taten so, als ob die Agitation als Parteifunktionär der NSDAP ein Dienst am Staat im Interesse der Allgemeinheit gewesen wäre […]“. Nach Recherchen Cornelia Schmitz-Bernings sind als ‚alte Kämpfer‘ „‚Angehörige der SA., der SS. und des Stahlhelms‘“ zu betrachten, die schon vor dem 30.01.1933 Mitglieder dieser Organisationen wurden, außerdem Parteimitglieder mit den Mitgliedsnummern 1 bis 300.000. Schmitz-Berning (2007), S. 26. Nach Weiß, Hermann: „Alte Kämpfer“. In: Benz (2007), S. 398f., galt diese Bezeichnung nur für die Nummern 1 bis 100.000 (Träger des ‚Goldenen Parteiabzeichens‘ der NSDAP).
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als „Gaukulturwalter“581 angefordert habe und er gänzlich nach Tirol übersiedeln wolle. Der Gauleiter setzte alle Mittel in Bewegung, Bossi an beinah jeder kultur- und schrifttumspolitisch-leitenden Stelle seines Herrschaftsbereiches in Verantwortung zu bringen.582 Mitte Juni 1939 meldete der RKK-Leiter Tirol-Vorarlberg, der gleichzeitig ‚Landeskulturwalter‘ war, dem RSKPräsidenten Hanns Johst, dass „an Stelle des abgelehnten […] Karl Paulin“583 Bossi zugesagt habe, das Amt des RSK-Landesleiters zu übernehmen. Johst war mit dem Vorschlag „sehr einverstanden“584. Im „Kompetenz-Wirrwarr“585 der NS-Literaturpolitik seit 1933 spielten RMVP, RKK und RSK, in der Fläche von 31 Landesleitern geführt, eine wichtige Rolle.586 Zum erlesenen Kreis ihrer Mitglieder durfte nur gehören, wer sich aus der rassischen Gemeinschaft heraus seinem Volke verbunden und verpflichtet fühlt, […] mit seiner so tiefgreifenden und folgenschweren Arbeit, 581
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Entnahmen aus: BF an Hinkel v. 09.05.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 37. Tatsächlich führte ihn das Innsbrucker Adressbuch von 1940 (trotz seines Hauses in Berlin) als Gauhauptstellenleiter am Rennweg 19: „Adreßbuch der Gau-Hauptstadt Innsbruck für das Jahr 1940. Auf Grund amtlicher Unterlagen zusammengestellt“, S. 92. https://www. findbuch.at/de/adressbuch-innsbruck-1940.html [Zugriff: 25.03.2018]. Gauinspekteur Mahnert, Kanzlei des Gauleiters, an RR Protz, RMVP, v. 06.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 43: „Der Gauleiter legt jedoch größten Wert darauf, daß Pg. Bossi in sämtlichen Kulturfragen des Gaues eingeschaltet wird und hat ihn daher zum Leiter der Kulturstelle vorgeschlagen“. Landeskulturwalter T-V an Präsident der RSK v. 14.06.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 29. Siehe auch Hoernig, RKK, an Präsident der RSK v. 13.06.1939, ebd., Bl. 30, Landeskulturwalter T-V an Präsident der RKK v. 27.06.1939, ebd., Bl. 17 u. Landesleitung Schrifttum T-V an RSK Landesleitung Österreich, Wien, v. 15.06.1939, BArch R 56-V/1287, Bl. 21. Hanns Johst an Frl. Schneider (RSK) v. 24.06.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 21. Adam (2010), S. 19, Düsterberg (2015), S. 128, Ketelsen (1976), S. 82f. u. Barbian (2010), S. 85 sowie S. 477ff. Erste Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes v. 22.09.1933, BArch R 55/20762: „Wer bei der Erzeugung, der Wiedergabe, der geistigen oder technischen Verbreitung, dem Absatz oder der Vermittlung des Absatzes von Kulturgut mitwirkt, muß Mitglied der Einzelkammer sein, die für seine Tätigkeit zuständig ist“. Vgl. Dienstliche Anweisung des Präsidenten der RSK v. 04.06.1938, BArch R 56-V/53, Bl. 1ff. Vgl. Matthäus/ Bajohr (2015), Eintrag v. 05.06.1934, S. 133. Siehe auch Düsterberg (2015), S. 117f. u. Wulf (1963), S. 195f. Auch die ‚Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums‘, die ‚Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums‘ u. das Oberkommando der Wehrmacht mischten hier mit. Die RSK war eine aus verschiedenen Berufsfachgruppen zusammengesetzte Körperschaft des öffentlichen Rechts, in der Schriftsteller, Buchhändler, Buchvertreter und Bibliothekare Mitglied wurden; 1942 zählte sie bereits 10.118 Schriftsteller. Siehe ebd., S. 118f., Barbian (2010), S. 100, 107, 193, 218ff. u. 418 sowie Amann (1996), S. 100ff.
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wie sie das geistige und kulturelle Schaffen darstellt, einen Einfluss auf das innere Leben der Nation auszuüben.587
Spätestens Mitte Juli konnte der Dienstbetrieb aufgenommen werden. Die RKK im Gau hoffte auf eine Zusammenarbeit zum „Wohle des deutschen Schrifttums“588. Doch obwohl Bossi offenbar schon seit dem 1. Juni als RSKLandesleiter amtierte, war er offiziell nur „vorbehaltlich der Zustimmung“589 Goebbels’ tätig, der diese aber schließlich erteilte. Die RSK führte Bossi unter der Mitgliedsnummer 3580. Als der „Personal-Nachweis“590 1939 erstellt wurde, war er bereits Landesleiter – und blieb es wohl bis Kriegsende 1945.591 Bisher vor allem ehrenamtlich aktiv, fasste er auch haupberuflich Fuß im kulturpolitischen Betrieb Innsbrucks. Im Juni 1939, gleichzeitig zum inoffiziellen Dienstbeginn als Landesleiter, beantragte Hofer beim RMVP, Bossi zum (angestellten) Kulturreferenten im Reichspropagandaamt TirolVorarlberg zu ernennen.592 Das Ministerium forderte neben Personalunterlagen eine Denkschrift zur Frage an, worin die kulturpolitischen Aufgaben der Reichspropagandaämter und der Propagandaleitung im Gau bestanden und wie diese zu lösen seien.593 Bossi reagierte unmittelbar: Die Reichspropagandaämter müssten den kulturellen Besitz betreuen und ausschöpfen und die „Förderung und Heranziehung neuer schöpferischer Kräfte“ sicherzustellen, die seit 1933 durch den Nationalsozialismus erst „zur Entfaltung gefunden“ hätten. Es gehe um die „geistige Mobilmachung des gesamtes Volkes“. Nur dann, wenn das Volk, dank der Aufklärungsarbeit der Reichspropagandaämter von jener inneren Bereitschaft erfüllt ist, die der Führer vom gesamten Volke zur Unterstützung seiner Aufbauwerkes fordert, vermag der Führer mit 587 588 589 590 591
592 593
Entnahmen aus: Barbian (2010), S. 197f., zitiert hier ein Schreiben aus DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe II 1935/1936. Landeskulturwalter T-V an BF v. 28.09.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 19. RSK, Abteilung I, an Landesleitung RSK Gau Wien v. 11.07.1939, BArch R 56-V/1287, Bl. 19. Siehe auch Landeskulturwalter T-V an RKK, Hauptgeschäftsführer Schmidt, v. 12.07.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 23. „Personal-Nachweis“ der RSK. BArch R 9361-V/14885, Bl. 1. Wann genau BF der Kammer beitrat, war nicht festzustellen. RKK, Hauptgeschäftsführer Schmidt, an BF v. 25.09.1939, BArch R 56-V/1287, Bl. 8 u. Besetzung der Landesleitung der RSK Gau T-V v. 31.08.1944, ebd., Bl. 1. BFs Tätigkeit als Landesleiter belegt auch O. V.: „Die kulturellen Organisationen in der Ostmark“. In: Ostmark-Jahrbuch 1940, S. 184. Hofer an RMVP v. 15.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 42. Vgl. Fernschreiben RMVP an RPA T-V v. 15.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 14. In einem Fernschreiben wurde BF u. a. als „graf zossi-federigotti“ bezeichnet. Siehe RMVP an RPA T-V v. 17.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 15.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat seinem Volke Grossdeutschland jene Stellung in der Welt zu erkämpfen [,] die Volk und Reich kraft seiner Werte und seiner Lage zukommt.
Der Gau Tirol-Vorarlberg bilde durch seine „kämpferische Tradition“ eine der wichtigsten Stellungen und ermögliche „eine noch grössere nationalsozialistische Überlieferung“ für die Nachkommen. Hier könne der Beweis deutschen Opferwillens außerhalb der Reichsgrenzen erbracht werden. Die Geschichte der Region müsse deshalb „im Sinne der vom Führer gewünschten Ausrichtung“ genutzt werden. Auch auf Südtirol kam er zu sprechen, wahrscheinlich, um möglichen Vorbehalten vorbeugend entgegenzutreten. Gefordert sei ein kompromissloser Kampf gegen alle jene unterirdischen Mächte, die unter dem Hinweis auf das Vorhandensein jenes Problems (Südtirol) Uneinigkeit und Unsicherheit in die Bevölkerung zu tragen versuchen.
In der katholischen Kirche sah Bossi den „Hauptvertreter“ dieser Mächte, weshalb die Unterbindung ihres Einflusses Kernaufgabe der Propaganda im Gau sein müsse, ebenso wie die „restlose Ausschöpfung aller Brauchtumswerte durch den Nationalsozialismus“ und die „weltanschauliche Ausrichtung des Standschützenwesens“. An verschiedenen Stellen bringt er sich gegenüber der Kirche in Stellung, entweder solcherart oder (wie in Tirol bleibt Tirol) textimmanent. Kein Wunder: „In Südtirol […] beherrschte die katholische Presse die öffentliche Meinung“594. Tirol als Grenzgau, so Bossi weiter, stelle die „Visitenkarte des nationalsozialistischen Kulturschaffens“ gegenüber dem faschistischen Italien dar. Sinn und Verständnis für die Eigenart einer harten, durch und durch deutschen Bergbevölkerung, gepaart mit der leidenschaftlichen Hingabe an die Idee des Führers lassen dem Kulturreferenten des Gaues Tirol-Vorarlberg eine ebenso verantwortungsvolle, wie ungemein dankbare und glückliche Aufgabe im Dienste des nationalsozialistischen Reiches erwachsen.595
Offenbar zeigte das Motivationsschreiben bald Wirkung. Bossi teilte Hinkel, der bei der Stellenvermittlung geholfen hatte, mit, die Position „wohl in absehbarer Zeit“596 annehmen zu können. Inzwischen setzte sich neben Hinkel und Gauleiter Hofer auch das RPA Tirol-Vorarlberg für ihn ein: Der ‚Bewegung‘ 594 595 596
Waldner (1990), S. 29. Entnahmen aus: Denkschrift BFs v. Juni 1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 10ff. Entnahmen aus: BF an Hinkel v. 17.06.1939, BArch R 9361-V/14885, Bl. 31. BF bat Hinkel hier darum, dass der sich weiter für ihn verwenden möge. Für Juli 1939 schlug er ein Treffen in Berlin vor.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
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habe Bossi sich „voll und ganz zur Verfügung“ gestellt. Er könne die „besten Empfehlungen“597 vorlegen. Seinen durchschnittlichen Monatsverdienst vor der Einstellung gab er mit „rund RM. 1000“598 an; eine enorme Entwicklung, gemessen am Gehalt von 1930 in Höhe von RM 170, wahrscheinlich angereichert durch Tantiemen der Texte und Filme. Die Parteistatistische Erhebung der NSDAP vom 27. Juni 1939 führt Bossi bereits als Gauhauptstellenleiter für Kultur (Kulturreferent) in der Reichspropagandaleitung Tirol-Vorarlberg (Gaupropagandaleitung).599 Doch im RMVP war die Entscheidung noch nicht gefallen: Wegen seines Talents, „grossen Könnens“ und Taktgefühls gegenüber Italien könne er, urteilte ein Referent, eingestellt werden, hätte aber einen Eid abzulegen, seine Arbeit „nicht über die Südgrenze hinauszuführen“. Der Leiter der RMVP-Abteilung Propaganda warnte grundsätzlich, ausgerechnet Bossi im „italien. Grenzgau“ einzusetzen, einen „Desertör [sic!] bei unsern Achsenpartnern“600. Um sicherzugehen, legte die Tiroler Gauleitung nach: Es sei „die absolute Sicherheit gegeben“, dass sich „Pg. Bossi an die Richtlinien des Führers hält“601. Sein Engagement für den Südtiroler Volksschutz, den Andreas-Hofer-Bund und den VDA wurde als Parteiengagement gewertet.602 Wie schon bei der Stilisierung zum ‚alten Kämpfer‘ instrumentalisierte die Gauleitung Bossis Zeit als SüdtirolAktivist auch hier für ihre und seine Zwecke. Am 12. Juli 1939 wurde Goebbels die Angelegenheit mit dem Vermerk vorgelegt, es handele sich um einen „mit ganz besonderem Nachdruck und Eifer geltend gemachten Wunsch des Gauleiters“. Der habe das auch „in 597 598 599
600
601 602
Entnahmen aus: RPA T-V an RMVP v. 20.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 21f. Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 2. BArch, Parteistatistische Erhebung 1939, Graf Bossi-Fedrigotti, Anton, v. 27.06.1939. Der hauptamtliche Leiter des RPA T-V war Gaupropagandaleiter und im Gau T-V Landeskulturwalter (Landesleiter der RKK). Diese Verbindung galt in ähnlicher Weise für die untergeordneten Referenten im RPA, wie auch für den hauptamtlichen Kulturreferenten des RPA, der somit ehrenamtlich Gauhauptstellenleiter (Abteilungsleiter) für Kultur und (höchstwahrscheinlich erst nach 1939) Kulturabteilungsleiter in der Gebietsführung der HJ wurde. Das Gaupropagandaamt ist somit der Ableger des RPA im jeweiligen Gau. Siehe Bericht über Dienstreise des RR. Dr. Schäffer zum RPA Innsbruck am 7.12.1943 v. 17.12.1943, BArch R 55/1212, Bl. 116ff. RMVP, Ref. Pro/1, an Abteilung Personal „über Leiter Pro“ (rückseitige Notiz) v. 28.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 23. Siehe auch RMVP, Abteilungsleiter Propaganda, an Abteilungsleiter Personal v. 05.07.1939, ebd., Bl. 24. Der Leiter ‚Pro‘ stimmte schließlich zu, daraufhin auch der RKK-Hauptgeschäftsführer Schmidt. RKK-Hauptgeschäftsführer Schmidt an RMVP, Abteilungsleiter Personal, v. 06.07.1939, ebd., Bl. 25. Gauinspekteur Mahnert, Kanzlei des Gauleiters, an RR Protz, RMVP, v. 06.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 43. Anordnung eines Fernschreibens zur Personaleinstellung v. 10.07.1939, RMVP an RPL T-V, BArch R 9361-II/102614, Bl. 27.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
telefonischen Vorstellungen wiederholt zum Ausdruck“ gebracht. Bossi mache „einen ausgezeichneten Eindruck“. Das, was jedoch zu Bedenken Anlass geben könnte und weshalb sich auch von vornherein der Gauleiter Hofer so stark einsetzt ist die Tatsache, dass Graf Bossi Fedrigotti Südtiroler ist und darüber hinaus sich wenigstens früher anscheinend mit Italien in Konflikt gesetzt hat.603
Währenddessen regelte die Gauleitung schon Bossis Besoldung. Hier war man sich sicher: Der neue Mitarbeiter „wird die gesamte Verwaltung des Landes auf dem kulturellen Gebiete – also insbesondere die Leitung der Landesmuseen – übernehmen“604. Rückwirkend zum 1. Juni 1939 wurde sein Gehalt gleich bzw. etwas höher gegenüber dem Verdienst eines Oberregierungsrats berechnet. Außerdem erhielt er eine Entschädigung für die dienstliche Nutzung seines Privatwagens. Doch Mitte Juli teilte das RMVP in einem Erlass mit, Goebbels habe, „obwohl ihm die besonderen Gründe des Gauleiters Hofer vorgetragen worden sind“605, entschieden, dass Bossi nicht als Kulturreferent eingestellt werden dürfe. Nachdem Hofer sich schon mehrfach in außergewöhnlichem Maße, schriftlich mit mehrseitigen Briefen und auch telefonisch, für seinen Protegé bei Goebbels eingesetzt hatte, blieb ihm nun nur noch ein persönliches Gespräch mit dem Propagandaminister, das auch Wirkung zeigte: Es gelang ihm, Goebbels umzustimmen.606 Bossi sei für die „unpopulärsten Maßnahmen“ eingesetzt worden, wie die „den italienischen Wünschen entsprechende Abänderung des Andreas-Hofer-Grabes usw.“, die er mit der „peinlichsten Gewissenheit [sic!]“ erledigt habe. Selbst der italienische Generalkonsul habe seine „Bewunderung und Anerkennung“ ausgesprochen, dass gerade Bossi an solch „exponierter Stelle für die Beseitigung aller der deutsch-italienischen Freundschaft abträglichen Überbleibsel“ tätig sei. Hofer dankte Goebbels, dass der ihm einen der „wertvollsten Mitarbeiter gesichert“607 habe. Am 6. September schließlich leistete Bossi sein Gelöbnis: „Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein und meine 603 604 605 606 607
Entnahmen aus: RMVP, Abteilungsleiter Personal, an Goebbels v. 12.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 30ff. Entnahmen aus: Vermerk Gauleitung T-V für Hofrat Dr. Schreiber v. 13.07.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Erlass des RMVP v. 25.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 46. Siehe auch Vermerk des MR Dr. Naumann für den Leiter Pers. RMVP v. 19.07.1939, ebd., Bl. 45. Vgl. Fernschreiben RMVP an RPA T-V v. 15.07.1939, ebd., Bl. 36. Fernschreiben RMVP an RPA T-V v. 28.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 51. Entnahmen aus: Hofer an Goebbels v. 28.07.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 53f.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
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Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen“608. Er erhielt einen unbefristeten Dienstvertrag als Angestellter.609 Gleichzeitig übernahm er damit einen Sitz in der Gauarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung.610 Inzwischen war Hofers Protegé gleichzeitig Leiter des Tiroler Volkskunstmuseums, Landesleiter der RSK und Kulturreferent im Reichspropagandaamt. Doch Hofer verfügte noch über eine zweite Behörde – nicht in seiner Funktion als Gauleiter, sondern als Reichsstatthalter und Landeshauptmann –, in der Bossi nun Abteilungsleiter für Kultur werden sollte. So schnell allerdings war diese Stellenbesetzung nicht zu regeln. Daher verfügte Hofer zunächst Anfang November 1939 rückwirkend zum 1. Juni dessen Übernahme in eine zweite, unbefristete Anstellung als Kulturreferent.611 Seitdem erhielt er in seiner Doppelfunktion auch zwei Gehälter. Das war ihm auch selbst bewusst: Er bat darum, das „Verhältnis zum RPA in eindeutiger Weise“ zu klären, um nicht „eines Tages als doppelter Gehaltsempfänger“612 zu gelten. Intern waren sich die Behörden in Innsbruck einig: Ende November 1939 meldete die Behörde des Landeshauptmanns dem RPA, es sei bekannt, dass Bossi sowohl Angestellter des RPA als auch des Reichsstatthalters sei und man bereits eine Übernahme als „Beamter des höheren Dienstes“ beantragt habe. Daher müsse nun die Anstellung beim RPA gelöst werden, damit Bossi „nicht hauptamtlich […] von zwei Dienststellen Gehalt empfängt“613. Doch Hofer verfolgte offenbar andere Ziele: Nach seinem Wunsch sollte sein Mitarbeiter zwar künftig auf einer Planstelle als Oberregierungsrat Abteilungsleiter für Kultur in der Landeshauptmannschaft und Reichsstatthalterei werden, jedoch die Anstellung als RPA-Kulturreferent „im Interesse der Zusammenfassung
608 609 610 611
612 613
Gelöbnis BFs v. 06.09.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 66. Siehe auch Hauptgeschäftsführer Schmidt (RKK) an BF v. 25.09.1939, BArch R 56-V/1287, Bl. 8. Dienstvertrag BFs als Angestellter beim RPA T-V v. 06.09.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 64. RR Jung an Hofer v. 07.09.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch Reg.Präs. Dr. Koch (Innsbruck) an Gauvolksbildungswart Dr. Sofka v. 30.09.1939, Ebd. Übernahme BFs als angestellter Kulturreferent beim Landeshauptmann von Tirol v. 01.11.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch Aktenvermerk Gauleiter Hofer an RR Jung v. 10.07.1939, ebd. Als Kulturreferent beim RPA wurde BF in die Vergütungsgruppe III Tarifordnung A-Ostmark eingeordnet, für den zusätzlichen Referentenposten in die Vergütungsgruppe TO-A Ostmark II. BF an Reg.Präs. Dr. Koch (Innsbruck) v. 12.11.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Entnahmen aus: Landeshauptmann von Tirol an RPA Innsbruck v. 21.11.1939, BArch R 9361-II/102614.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
der kulturellen Aufgaben auf allen Sektoren des parteimässigen [sic!], staatlichen und gaueigenen Lebens“614 behalten. Hofer hatte die Verbeamtung Bossis persönlich beim RMI beantragt und wiederholt dessen besonderes Wirken betont.615 Der sei zum „Berichterstatter über Werden und Sieg der nationalen Revolution“, sein Glaubensbekenntnis der Kampf um die „Erhaltung der deutschen Scholle des deutschen Lebensraumes“ geworden. Bossi habe sich zu einem „Verfechter natsoz. Weltanschauung“616 entwickelt, seinem Volk stets als völkischer Vorkämpfer, Werberedner und „fesselnder“617 Schriftsteller gedient und sich damit eine gesicherte Existenz als Beamter verdient. Bei „natsoz. bewährten Anwärtern mit guter dienstlicher Beschreibung und guter Prüfung“, hielt Hofers persönlicher Referent fest, hätte die Zeit bis zur Ernennung auf zwei Jahre herabgesetzt werden können; Abweichungen seien allerdings nur vom RMI oder vom ‚Führer‘ zu entscheiden. Bossi hatte jedoch nur eine Militärdienstzeit von einem Jahr und neun Monaten sowie eine hauptamtliche Parteidienstzeit vorzuweisen, außerdem keine „sonst für den höheren Dienst vorgeschriebene Hochschulbildung“. So sei für ihn der Grundbezug in Höhe von „mtl. RM 558.40“618 vorgesehen. Die notwendige „deutschblütige Abstammung“619 war schon geklärt. 614 615
616 617 618
619
Reichspropagandaamt T-V an RMVP v. 19.12.1939, BArch R 9361-II/102614. Antrag Gauleiter Hofers an RMI auf Anstellung BFs als Beamter auf Lebenszeit v. 31.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch gleicher Antrag in BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 2. Dass verdiente Parteimitglieder nach dem Anschluss 1938 einen gesicherten Posten im Beamtenapparat des Staates erhielten, war keine Seltenheit. Dabei besetzten diese Personen zum Teil Ämter, aus denen missliebige Beamte herausgedrängt worden waren, und teils solche, die neu geschaffen wurden. Stiefel (1981), S. 125ff. BF stellte auch formal selbst einen Antrag auf Ernennung: Antrag BFs auf Übernahme in den höheren Dienst bei der Behörde des Landeshauptmannes von Tirol v. 01.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Landeshauptmann von Tirol an RMI v. 18.12.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 11. Siehe auch Reg.Präs. Dr. Koch (Innsbruck) an RMI v. 18.12.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 35. Antrag Gauleiter Hofers an RMI auf Anstellung BFs als Beamter auf Lebenszeit v. 31.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Entnahmen aus: Vermerk für RR Jung bez. Ernennung BF zum Beamten, zur Anstellung als Vertragsangestellter und zur Erstattung von Kosten bei der dienstlichen Nutzung des privaten Fahrzeugs v. ca. Mitte 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton. Antrag Hofer an RMI v. 30.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 4. Hofer drängte auf eilige Entscheidung, um die Versorgung der Familie BFs sicherzustellen. Siehe auch Vermerk für RR Jung v. 29.06.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton.
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Anfang August 1939 hing er allerdings aufgrund der verwobenen Dienststellen finanziell immer noch „in der Luft“. Ich kann aber nicht mehr warten, bis die Herren endlich so weit sind, bis bei ihrer Langsamkeit mein letzter Rest von Buchersparnissen aufgebraucht ist. Seien Sie mir nicht böse, lieber Gauleiter, wenn ich das schreibe, aber bei aller Bereitschaft, – von nichts kann eben der Schornstein auch nicht rauchen!620
Er müsse sonst bei seinen Verlegern anfragen, auch um die ab November fällige Miete für eine Innsbrucker Villa zu finanzieren. Der Reichsstatthalterei teilte er außerdem vorsorglich mit, „später für die kulturellen Arbeiten“621 eine Sekretärin zu benötigen. Im Januar 1940 schließlich leitete das RMI Bossis Ernennung ein. Die Berufung auf Lebenszeit sollte jedoch erst nach fünf Dienstjahren erfolgen.622 Das entsprach allerdings erneut nicht der Vorstellung Hofers, Bossis Auskommen langfristig zu sichern. Mithilfe des RMI versuchte er, eine Ausnahme von den ‚Reichsgrundsätzen über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten‘ zu erwirken. Das Gesetz regelte, dass Personen, die sich um die NSDAP und „vor dem 30. Januar 1933 um die nationalsozialistische Bewegung besonders verdient gemacht“623 hatten, bevorzugt angestellt oder befördert werden konnten. Mit diesem Vorgehen hatte sich der NS-Staat eine Möglichkeit für alle ‚verdienten Kämpfer‘ bewahrt, denen es unter Aushebelung der gesetzlichen Verfahrungsgrundsätze ein Auskommen im Staate zu beschaffen galt. Dazu musste allerdings eine Erklärung von Heß eingeholt werden, ob die Verdienste eine bevorzugte Behandlung rechtfertigten. Das RMI leitete die Causa an das Reichsfinanzministerium (RMF) weiter und betonte, der Südtiroler sei „wegen seiner Verdienste um die Erhaltung des Südtiroler Deutschtums in ganz besonderem Maße geeignet und würdig“624. 620 621 622
623 624
Entnahmen aus: BF an Hofer v. 05.08.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton. BF an Reg.Präs. Dr. Koch (Innsbruck) v. 12.11.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Vermerk RMI v. Januar 1940 (o. D.), BArch ZA VI 0443 A 02 Bl. 12. Siehe auch Vorschlag zur Ernennung zum ORR v. 20.12.1939, ebd., Bl. 13, Landeshauptmann von Tirol an RMI, Abt. II a Ö, v. 18.12.1939, ebd., Bl. 11, Aktennotiz v. 25.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Reg.Präs. Dr. Koch (Innsbruck) an BF (Feldpostnr. 31059) v. 17.11.1939, ebd. u. Dr. Schütze, RMI, Abt. IIa, an Landeshauptmann von Tirol v. 08.12.1939, ebd., Bl. 33. ‚Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten‘, §17, Abs. 4, RGBl. I. Nr. 97 (1936), S. 893. RMI, Abt. II a Ö, an RMF v. Februar 1940 (o. D), BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 19.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Inzwischen wollte auch das RMVP, bei dem Bossi im Februar 1940 nach wie vor angestellt war, bei der Beamtenernennung beteiligt werden.625 In der Annahme, dass das nicht mehr allzu lang auf sich warten lassen konnte, kündigte der Südtiroler seinen Referentenjob beim RPA und das RMVP stellte die Gehaltszahlung zu Ende August 1940 ein626. Offenbar mangels Ersatz musste er diese Stelle daraufhin allerdings ehrenamtlich weiterführen.627 Im Frühjahr 1941 war die Angelegenheit immer noch nicht abgeschlossen. Hofer hatte sich inzwischen bereits zum fünften Mal persönlich an die verantwortlichen Stellen gewandt, sogar Fahrten nach Berlin auf sich genommen.628 Bossi sollte später erklären, sich dadurch „persönlich“629 an ihn gebunden zu fühlen. Im März 1941 wurde die Ernennung zum „Leiter der Unterabteilung II d (Kultur- und Gemeinschaftspflege)“630 endgültig in die Wege geleitet und Bossi schließlich zuständig für allgemeine Kulturfragen, Brauchtumspflege, das Standschützenwesen und das Landestheater, außerdem für Natur- und Heimatschutz, Denkmalpflege und die Volksbüchereien.631 Auch Heß und das RMVP stimmten zu. Das RMF genehmigte die Ausnahme von den Reichsgrundsätzen für Beamte, um Bossi sogleich auf Lebenszeit zu berufen.632 Am 10. Juli 1941
625 626
627 628 629 630 631
632
RMVP, Dr. Greiner, an RMI v. 02.02.1940, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton, Bl. 42. Siehe gleiches Dokument in BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 20 u. BArch R 9361-II/102614. Leiter des RPA T-V an RMVP v. 06.03.1940, BArch R 9361-II/102614. Siehe auch Aktennotiz Reg.Präs. Dr. Koch (Innsbruck) v. 30.03.1940, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 39. Mitte Juli 1940 rief Hofer sein Ansinnen gegenüber dem RMI nochmals in Erinnerung. Hofer an RMI, Abt. II a Ö, v. 17.07.1940, ebd., Bl. 29 u. Vermerk RMI, ROI Langer, v. 25.07.1940, ebd., Bl. 30. RMVP, Dr. Müller, an RMI, Abt. II a Ö, v. 30.08.1940, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 31 u. „Aktenvermerk an den Gauleiter und Reichsstatthalter“ v. 02.09.1940, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 48. Hofer an RMI, Abt. II a Ö, v. 25.09.1940, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 34 u. Hofer an RMI v. 06.01.1941, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 51. Vermerk Ministerialrat Dr. Tittel (RMI) v. 10.11.1942, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 79. RMI an RMVP v. 30.03.1941, BArch R 9361-II/102614. Siehe auch RMI, Abt. IIaÖ, Dr. von Helms, an Hofer v. 30.03.1941, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 52. O. V.: Reichsgau Tirol-Vorarlberg. Die NSDAP.-Gauleitung Tirol-Vorarlberg. https://www. findbuch.at/tl_files/data/adressbuecher/1942_dr_om_ab/16__Tirol_und_Vorarlberg_ NSDAP,_staatliche_Verwaltung,_Gemeindeverzeichnis_und_Sehenswuerdigkeiten. pdf [Zugriff: 25.03.2018]. In diesem Organigramm der Gauleitung im Reichsgau T-V wird BFs Posten als Leiter der Unterabteilung IIc geführt. IId ist hier die Leitung des Reichsgauarchivs. Der Stellvertreter des Führers an RMI v. 15.04.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 40 u. RMF an RMI v. 24.04.1941, ebd., Bl. 42 u. RMVP an RMI v. 24.05.1941, ebd., Bl. 47.
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setzte Hitler schließlich seine Unterschrift unter die Ernennungsurkunde.633 Hofer teilte Bossi mit: Ich freue mich, dass es nunmehr nach jahrelangem Bemühen gelungen ist, Ihre Position auch rechtlich in jeder Form zu untermauern. Ich hoffe, daß Sie nunmehr recht bald und gesund zurückkommen, um mir auf Ihrem Sektor bei der reichlich bemessenen Arbeit zu helfen. Heil Hitler! Ihr Hofer.634
Lediglich die Frage der doppelten Vergütung war nun noch zu klären. Die Sachlage schien klar: Bossi hatte „tatsächlich in der Zeit vom 1. Juni 1939 bis 31. August 1940 zwei Vergütungen nach der Tarifordnung A“635 und somit über RM 1.000,- im Monat erhalten, zusätzlich zu rückwirkenden Zahlungen. Schnell waren sich die Sachbearbeiter einig, dass es sich um einen unzulässigen Vorgang handelte.636 Doch erst im März 1942 bat das RMI die Innsbrucker Reichsstatthalterei, zu prüfen, ob die Beträge inzwischen zurückgefordert worden waren.637 Das RMVP hatte inzwischen festgehalten, dass das „Schwergewicht“ der Tätigkeiten Bossis „zweifellos“638 dort gelegen habe, die Dienstbezüge also zu Recht gezahlt wurden. Bei der Reichsstatthalterei hätte er nur nebenamtlich tätig werden dürfen und so unrechtmäßig Bezüge in Höhe von RM 6.608,57 erhalten.639 Innsbruck behauptete, man war „immer der Meinung“640, Bossi sei im RPA nur ehrenamtlich tätig gewesen. Hofer war schnell bereit, „wenigstens die Abschreibung eines Teiles“641 zu erreichen. Erneut wurde er für seinen Schützling tätig und hob dessen unverzichtbare Rolle hervor. Er habe Bossi „in vollem 633
634 635 636 637 638 639 640 641
Abschrift der Ernennungsurkunde Bossi-Fedrigottis zum Oberregierungsrat v. 10.07.41, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 62 u. TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 63. Vgl. Erlass des RMI zur Bekanntgabe der Ernennung v. 25.07.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 63. Hofer an BF v. 20.08.1941, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 66. Siehe auch Rantzau, Inf.Abt. AA, an BF v. 01.08.1941, PA AA, R 60704. Behörde des Reichsstatthalters T-V an RMI v. 10.06.1941, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 56. RA Langer an ORR Laurin v. 02.10.1941, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 66. RMI, Dr. von Helms, an Reichsstatthalterei T-V v. 10.03.1942, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 75. Entnahmen aus: Vermerk des RMVP, Personalabteilung, v. 21.04.1942, BArch R 9361-II/ 102614. RMVP, Abt. Pers. an RPA T-V v. 21.04.1942, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton, Bl. 80. Reichsstatthalterei T-V an RMI, Ref. P5, v. 19.05.1942, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 73. Dr. Schuler an BF v. 19.05.1942, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 84.
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5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Bewusstsein“ die zweite Anstellung angeboten und größten Wert darauf legen müssen, einen so „namhaften Schriftsteller und mit seinem Tiroler Heimatboden so verwurzelten Mann“ gewinnen zu können. Eine Rückzahlung sei mit dessen „Ehrauffassung nicht vereinbar“642. Wenige Tage später beantragte Bossi formal, die Rückzahlung abzuwenden. Er habe Hofer seinerzeit zu verstehen gegeben, dass ihm die doppelte Vergütung „zweifelhaft erscheine“643. Der hatte jedoch vorgeschlagen, die Stellen zu koppeln. Mit der Gewissheit, dass Hofer in dieser Angelegenheit hinter ihm stand, wollte Bossi die doppelten Zahlungen „völlig durch die vorgesetzten Behörden genehmigt und geregelt“644 wissen. Hofer bat RMI-Staatssekretär Stuckart schließlich persönlich, die Erstattung abzuwenden. Anscheinend hatte er sich in der Aufbauphase seiner Ämter bewusst über geltendes Recht hinweggesetzt und suchte das mit dem Verweis auf überdurchschnittliches Parteiengagement zu rechtfertigen. Im Dezember 1942 gab das RMI bekannt, von der Rückforderung abzusehen; ein „außerordentliches Entgegenkommen“, das nur durch die „besonderen Umstände des Falls und die Persönlichkeit des Beamten vertretbar“645 sei. Im Januar 1943 informierte Hofer Bossi, dass seine Bemühungen „von Erfolg gekrönt waren“646. Während Bossi seine Existenz weitgehend absicherte, verdichteten sich bezüglich der Zukunft seiner Heimat Mitte 1939 Anzeichen für eine mögliche Übereinkunft Deutschlands und Italiens. Allerdings sollte eine Erörterung der Frage in der Öffentlichkeit weiterhin „auf jeden Fall“647 unterbleiben. Bedeutenden Anteil an neuen Verhandlungen über Südtirol hatte der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der Bossi schon 1932 zu verstehen gegeben hatte, dass es eines Tages eine Lösung für die Südtiroler geben müsse. Noch hieß es intern, Himmler und Hofer seien von Hitler beauftragt worden, die „Ausbürgerung
642 643 644 645 646 647
Entnahmen aus: Hofer an RMI v. 23.10.1942, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 77 u. Hofer an Stuckart, Staatssekretär RMI, v. 23.10.1942, ebd., Bl. 76. Schließlich müsse man die Entscheidung „einem in der Front stehenden bewährten Soldtane [sic!]“ zustellen. Vermerk RMI, Ministerialrat Dr. Tittel, v. 10.11.1942, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 79. Antrag BFs an Hofer v. 01.11.1942, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 81. RMI, Dr. von Helms, an Hofer v. 10.12.1942, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton, Bl. 94. Hofer an BF v. 04.01.1943, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 96. Entnahmen aus: Anordnung Nr. 45/39, Einbürgerung und Ansiedlung von Südtirolern im Reich v. 27.02.1939, BArch R 186/4. Siehe auch SS-Standartenführer Rudolf Likus an SSGruppenführer Karl Wolff v. 04.04.1939, BArch NS19/2070, Bl. 2.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
299
von 30.000 Volksdeutschen in Südtirol“648 vorzubereiten. Ende Mai 1939 hielt Himmler in einer Aufzeichnung fest, Hitler habe „unwiderruflich klar ausgesprochen, daß Südtirol als volksdeutsches Territorium aufgegeben ist“. Das hieß allerdings nicht, auf die Bevölkerung zu verzichten. Deutschland schafft irgendwo auf seinem Machtgebiet, z.B. im Osten, Raum für 200 000 Menschen in Städten und Dörfern. Diese Landschaft ist möglichst in einem rein fremdstämmigen Gebiet zu wählen und wird von allen Bewohnern geräumt. Im Einvernehmen mit Italien werden die 200 000 Deutsche ihr Hab und Gut in Südtirol verkaufen und nach dieser Landschaft umgesiedelt. Dies ist das strategische Endziel.
Dafür sei insbesondere Mähren vorzusehen, das so „einen wertvollen Zuwachs von 200 000 gutrassigen, sehr bewußt deutschen und kämpferischen Volkselementen bekäme“649. Am 23. Juni 1939 schließlich fand im Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin die entscheidende Besprechung über die Südtirolfrage statt. Die Beschlüsse waren in weniger als zwei Stunden gefasst.650 Himmler umriss die Aufgabe der „Rück- und Auswanderung der in Südtirol lebenden Deutschen“. Alle Ansprüche auf Südtirol seien „tatsächlich aus dem deutschen Gedankengut gestrichen“. Innerhalb von vier Wochen sollten alle ‚Reichsdeutschen‘ aus Südtirol, daraufhin die volksdeutschen Südtiroler ohne Bodenbesitz und schließlich diejenigen auswandern, die „bodengebunden“ waren. Als Südtiroler sollte man sich entweder für die Auswanderung und die deutsche Staatsbürgerschaft, oder aber für das Verbleiben und ein Leben als italienischer Bürger entscheiden – die später so genannte ‚Option‘. Die Italiener bezeichneten den
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Aufzeichnung d. SS-Standartenführers Likus über ein Telefonat mit SS-Gruppenführer Wolff v. 04.04.1939, BArch NS19/2070, Bl. 3f. Entnahmen aus: Aufzeichnungen Himmlers betreffend Südtirolerfrage v. 30.05.1939, BArch NS19/2070, Bl. 14ff. Niederschrift über die Besprechung der Südtiroler Frage v. 23.06.39, BArch R 186/33. Von deutscher Seite nahmen unter anderem Himmler, SS-Obergruppenführer Werner Lorenz (Volksdeutsche Mittelstelle), die SS-Gruppenführer Karl Wolff und Reinhard Heydrich, die SS-Führer Greifelt, Dr. Behrends und Ruberg teil, außerdem AA-Staatssekretär von Weizsäcker, Gauleiter Ernst Wilhelm Bohle und der Mailänder Generalkonsul Otto Bene. Mit der italienischen Delegation erschienen unter anderem Botschafter Attolico und der Präfekt von Bozen, Mastromattei. Zur Volksdeutschen Mittelstelle siehe Anordnung des RFSS über den Aufbau der Volkstumsarbeit der NSDAP und eine Abgrenzung der Zuständigkeit der Hauptämter der SS v. 28.11.1941, BArch R 186/1, Bl. 210ff.
300
5. Neue Perspektiven: Aufstieg und Kulturpolitik im NS-Staat
Plan als einen „Akt höchster politischer Weisheit“651. Himmler informierte Hitler, der mit dem Vorgehen einverstanden war.652 Bis zum 31. Dezember 1939 erhielten die Südtiroler Gelegenheit, sich angeblich „frei und unbeeinflusst“653, aber endgültig, zwischen Deutschland und Italien zu entscheiden. Südtiroler Kinder sollten endlich wieder „stolz als Deutsche unter deutschen Menschen aufwachen“654. Doch die Bevölkerung war tief gespalten. Bereits bis Anfang Januar 1940 optierten 185.000 Menschen für Deutschland, darunter auch fast alle Dichter.655 Bis Februar 1943 waren schließlich schon 35% der Bevölkerung (83.338 Personen) abgewandert. Angesichts der Kriegsereignisse nahm die Zahl danach spürbar ab.656 Die Notwendigkeit, eine Entscheidung als Optant oder ‚Dableiber‘ zu fällen, zerrüttete das Verhältnis vieler Südtiroler untereinander über Jahrzehnte, teilweise bis heute.657 Ein Südtiroler sei entweder ‚Verräter an deutschem Boden‘ oder der „Kollaborateur, der das eigene Volk verrät“658, gewesen. Bei Bossi, der den ‚deutschen Boden‘ Südtirols und die damit untrennbar verwurzelte Bevölkerung unentwegt propagiert hatte, dürfte die ‚Option‘ keineswegs Genugtuung ausgelöst haben: „For pan-German men like Fedrigotti, who had worked hard to return South Tyrol to Greater Germany, it was the ultimate disappointment“659. Er hatte seine ‚Option‘ bereits 1931/32 vollzogen, war geflüchtet und Deutscher geworden. Im August 1941 fragte das italienische 651 652
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Entnahmen aus: Niederschrift über die Besprechung der Südtiroler Frage v. 23.06.39, BArch R 186/33. Erläuterungen Himmlers zur Besprechung der Südtiroler Frage v. 25.06.1939, BArch NS19/2070, Bl. 32-35. Siehe auch Sonderbericht Charles Tower, Radio London, v. 05.07.1939, BArch NS 32/424. Im Anschluss an diesen Bericht brachte die Presse europaweit Meldungen über das Abkommen, u. a. Misch, Carl: „Das Denkmal am Brenner“. In: Pariser Tageszeitung v. 06.07.1939, BArch NS 43/424, Bl. 85 u. O. V.: „Abwanderung Südtiroler-Deutscher hat begonnen“. In: National-Zeitung Basel v. 13.07.1939, ebd. Entnahmen aus: O. V.: „Umsiedlung der Deutschen aus Südtirol“. In: Völkischer Beobachter v. 23.10.1939, o. S., BArch R 186/4. Siehe Richtlinien für die Rückwanderung der Reichsdeutschen und Abwanderung der Volksdeutschen aus dem Alto Adige in das Deutsche Reich v. 21.10.1939, BArch R 186/4. Siehe auch Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung deutschen Volkstums v. 07.10.1939, BArch R 186/2. Mahnert (1940), S. 6. O. V.: „Heimkehr der Deutschen aus Südtirol ins Reich“. In: Völkischer Beobachter v. 11.01.1940, o. S., BArch R 186/4 u. Waldner (1990), S. 16. Kleiner Umsiedlungsspiegel v. Februar 1943, herausgegeben vom Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, Stabshauptamt, BArch R 186/1. Dazu kam, dass die Italiener angesichts dieses massiven Aderlasses das Abkommen nicht mehr mit der ursprünglichen Verbindlichkeit unterstützten. Schreiber (2008), S. 372. Vgl. Schreiber (2008), S. 372. Amann (1997), S. 28. Vgl. S. 34f. Wilms (2017), S. 75.
5.4 Schreibender Kulturfunktionär
301
Militär gleichwohl beim Toblacher Bürgermeister an, ob und wie Bossi optiert hatte. Der notierte: „non lo optato in questo Comune“660. In den Optionsverhandlungen spielte er allerdings eine (wenn auch passive) Rolle. Im November 1939 traf sich SS-Gruppenführer Wolff mit einem italienischen Staatssekretär, um Details zu klären. Erläuterungen legten fest, dass sich Auswanderungswillige „zum Deutschen Volk gehörig“661 fühlen mussten. Das traf auch auf Familien mit einem italienisch klingenden Namen zu. Doch der Bozner Präfekt hatte angeordnet, solche Personen von der ‚Option‘ auszunehmen, obwohl sie sich zum Teil „seit Generationen als dem Deutschtum zugehörig“ fühlten und Deutsch ihre Muttersprache war. „Nach dieser Ansicht“, so Wolff, „wären deutsche südtiroler Vorkämpfer wie Graf Bossi-Fedrigotti, Reut-Nicolussi […] und andere keine Deutschen!“662 Auch höchsten SS-Führern diente Bossi als treffendes Beispiel des dauerhaften Problems, wer zum Südtiroler Deutschtum zu zählen war. Für Wolff war die Frage in diesem Fall anscheinend überflüssig. Als schließlich die ersten Anthologien, wie Kurt Pichlers Lebendiges Tirol. Ein Dichterbuch (1940), die „heimgekehrten“ Südtiroler begrüßten, sollte Bossi dabei entsprechend „besonderen Raum“663 einnehmen. Sein Beitrag kam jedoch nicht rechtzeitig vor der Drucklegung an, verriet Pichler. Seit November 1939 war er an der Front.
660
661 662 663
Sinngemäß übersetzt: „hat nicht in dieser Gemeinde optiert“. Comando del Distretto Militare di Bolzano an Signor Podestà del Comune di Dobbiaco v. 20.08.1941. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Siehe auch Distretto Militare di Bolzano, Ufficio Reclutamento, an Comune di Dobbiaco v. 27.10.1951, ebd u. Distretto Militare di Bolzano, Sezione Matricola Ufficiali, an Comune Dobbiaco, Ufficio Anagrafe v. 30.01.1959, ebd. Erläuterungen zu den Richtlinien für die Rückwanderung der Reichsdeutschen und Abwanderung der Volksdeutschen aus dem Alto Adige in das Deutsche Reich v. 17.11.1939, BArch R 186/4. Entnahmen aus: Memorandum über die deutsch-italienischen Verhandlungen in der Frage der ‚Südtiroler Umsiedlung‘ und über die bei der bisherigen Durchführung hervorgetretenen Schwierigkeiten v. 09.12.1939, BArch NS 19/2070, Bl. 218-249, hier Bl. 241. Entnahmen aus: Pichler, Kurt: „Erdnahe Tiroler Dichtung der Gegenwart. Ein Vorwort“. In: Pichler (1940), S. 7-17, hier S. 7. Vgl. S. 16f. u. Waldner (1990), S. 16.
Kapitel 6
Zweiter Weltkrieg 6.1
Reaktivierung und Einberufung
Als Bossi im Herbst 1939 schließlich zur Wehrmacht einberufen wurde, hatte er seine neuen kulturpolitischen Posten erst wenige Wochen ausgefüllt, konnte sie also auf unbestimmte Zeit zunächst nur pro forma besetzen. Das galt auch für die von ihm erst 1941 übernommene Stelle als Kultur-Unterabteilungsleiter und seine Zuständigkeit beispielsweise für das Tiroler Standschützenwesen. Der Gau organisierte die Aufgabenverteilung in der Zwischenzeit provisorisch.1 Unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ waren vermehrt Zeitungsartikel erschienen, die die deutsch-österreichische Brüderschaft unterstrichen. Die österreichische Armee sei ohnehin eine deutsche gewesen. Besonders dem Klischee vom „‚Kamerad Schnürschuh‘“2 sollte, nun auch offiziell, entgegengewirkt werden. Die Tiroler hätten sich sowieso besonderen Respekt der Reichsdeutschen erkämpft.3 Eigentlich sei der Erste Weltkrieg ein großdeutscher Krieg um „‚Volk und Heimat‘“ gewesen, womit es auch eine „‚Gemeinschaft der Besiegten‘“4 gebe. Diese nützlichen Strategien halfen den Österreichern, schnell über die Annektierung hinwegzusehen und sich in der neuen Gemeinschaft aufgehoben zu fühlen. 1 Bericht über die Dienstreise des ORR v. Wilucki zum RPA T-V v. 17.12.1941, BArch R 55/1211, Bl. 128ff.: „Der Kulturreferent, Pg. Engel, vertritt während der Kriegszeit den Hauptstellenleiter Kultur des Gaupropagandaamtes“. Siehe auch Bericht über Dienstreise des RR. Dr. Schäffer zum RPA Innsbruck am 7.12.1943 v. 17.12.1943, BArch R 55/1212, Bl. 116ff. Zu dieser Zeit war Karl Margreiter Gaupropagandaleiter und damit gleichzeitig Landeskulturwalter. Als im September 1943 Südtirol unter Hofers Obhut kam, reichte Margreiters Machtbereich bis über Bozen hinaus. Siehe Wedekind (2003), S. 270. 2 Grischany (2015), S. 104f. Die wohl endgültige Aufhebung dieses Klischees kann man im militärischen Erfolg Deutschlands bei den Kämpfen um Narvik sehen, bei denen ‚ostmärkische‘ Einheiten stark beteiligt waren, was als große Genugtuung empfunden wurden. Ebd, S. 121f. Gemeinsame Siege halfen beim Zusammenschmelzen. Auch BF muss sich mehr denn je aufgehoben gefühlt haben in der Wehrmacht. Außerdem hätten sich österreichischen Soldaten, die „sich häufig aus dem Ersten Weltkrieg kannten“, „gegenseitig um Interventionen“ gebeten, damit sie „in derselben Einheit dienen“ konnten. Grischany (2015), S. 125. Hartmann (2009), S. 100, hingegen hält fest, dass österreichische Soldaten zunächst allerdings durchaus einer ehrverletzenden Behandlung durch ‚reichsdeutsche‘ Kameraden ausgesetzt waren. 3 Vgl. Riedmann (2001), S. 229. Siehe auch Stolz (1943), S. 92. 4 Grischany (2015), S. 105.
304
6. Zweiter Weltkrieg
Nach der massiven Aufstockung des deutschen Heeres zwischen 1935 und 1939, der Schaffung der Luftwaffe und Wiedereinführung der Wehrpflicht war der Bedarf an militärischem Führungspersonal groß. Diese Nachfrage bedienten Hitler und die NS-Führung mit dem Ziel, ein „Volksheer“ zu schaffen, die „soziale Öffnung der neuen Wehrmacht“5 voranzutreiben. In diesem Zuge wurden tausende Unteroffiziere zu Offizieren befördert, Beamte eingegliedert und 1938 auch 1.600 Offiziere des österreichischen Bundesheeres übernommen.6 Die Sozialstruktur der Wehrmacht veränderte sich dadurch massiv, was jedoch gewollt war. Der ‚politische Soldat‘ rückte in den Vordergrund, Nähe zur Partei und ihren Organisation und Glaube an die neue Führung, ihre Ziele und die ‚gemeinsame Sendung‘ vorausgesetzt. Mit Beförderungen, höherer Anerkennung und sozialem Aufstieg schaffte sich der NS-Staat eine motivierte und treue Gefolgschaft innerhalb der Wehrmacht.7 Insgesamt sollten schließlich rund 1,3 Millionen Österreicher in der Wehrmacht dienen, die tatsächlich wie „eine Art ‚melting pot‘“ wirkte. Gemeinsame Kampfeinsätze halfen, „zweifellos vorhandene Animositäten und Vorurteile“ rasch abzubauen. Eine österreichische Identität wurde, so Sönke Neitzel und Harald Welzer, „falls sie 1938 überhaupt existierte, binnen weniger Jahre aufgelöst. Übrig blieben nur regionale Zugehörigkeiten etwa als Kärntner oder Tiroler“8. Schließlich eröffnete die Überführung in die Wehrmacht vielen Österreichern ungeahnte Berufsaussichten in einer militärischen Supermacht, die einen gewissen Reiz mit sich gebracht haben dürften.9 Im April 1939 hatte Bossi offenbar den Entschluss gefasst, mit seinem in der italienischen Armee erworbenen Dienstgrad als Leutnant der Reserve in die Wehrmacht übernommen zu werden und zu diesem Zweck eine Auswahlwehrübung abzuleisten. Das Wehrbezirkskommando Berlin (IX) forderte dazu einen Nachweis, dass der Südtiroler keine italienische Staatsangehörigkeit mehr besaß und so auch in keinem italienischen Wehrdienstverhältnis
5 Beide Entnahmen aus: Förster (2007), S. 98f. Siehe dazu auch Rass (2003), S. 205ff. 6 Siehe dazu auch Stein (2002), S. 127ff. Bundesheer und Reichswehr durchliefen in den 1920er und frühen 1930er Jahren unterschiedliche Entwicklungen, auch wenn sie sich durch das gemeinsame Kämpfen im Ersten Weltkrieg nie ganz fremd wurden. 1938 betrug die Größe des Bundesheeres 61.000 Mann, „Mobilmachungsstärke“ 127.000. Ebd., S. 44 u. 55. 7 Förster (2007), S. 98ff. Siehe auch Stumpf (2015), S. 502f. 8 Entnahmen aus: Neitzel/Welzer (2011), S. 19. Siehe auch Germann (2011), S. 217ff. u. 226f. 9 Grischany (2015), S. 140.
6.1 Reaktivierung und Einberufung
305
mehr stand.10 Beinah gleichzeitig führte ihn die Militärbehörde bereits als „Leutn.d.Res.a.D.“11 Die Angelegenheit wurde offenbar in Windeseile in die Wege geleitet. Bossi schrieb dazu, es auf „persönlichen Wunsch des Führers […] über Oberst Schmundt“ erreicht zu haben, dass er als „erster Südtiroler und ehemaliger italienischer Muß-Reserveoffizier in die Wehrmacht übernommen wurde“12. Tatsächlich bestätigte das Wehrbezirkskommando Anfang Mai nochmals, dass auf „Befehl des Führers“ die „Angelegenheit zwecks Übernahme als Res.Offz. der Deutschen Wehrmacht beschleunigt“13 werden sollte. Möglicherweise sollte Bossi, wie schon beim Parteieintritt 1933, angesichts des nahenden Krieges als Vorbild für andere (ehemalige, südtirolische) Österreicher (und vielleicht auch schriftstellerisch-kulturpolitisch Engagierte) dienen, sich freiwillig als Reservist zur Wehrmacht zu melden – und dabei den in einer anderen Armee erworbenen Dienstgrad zu behalten. Dass die maßgebliche Korrespondenz dazu am 15. April begann, lässt den Schluss zu, dass es sich bei der Übernahme Bossis in die Wehrmacht keinesfalls um einen zufällig ausgewählten Zeitpunkt handelt. Nur einen Tag zuvor hatte Gauleiter Hofer Himmler geschrieben, dass Hitler die ‚Option‘ als seine endgültige Lösung der Südtiroler Frage festgelegt hatte und dass bereits die ersten 30.000 Südtiroler eingebürgert werden sollten; weitere zehntausende standen bereit.14 Der von der NS-Führung erhoffte Zuzug von Südtirolern bot ein riesiges neues Soldatenreservoir, das 10 11 12
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BF an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, v. 15.04.1939, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Bescheinigung des WBK Bln. IX v. 15.04.1939, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Entnahmen aus: BF an SS-Brigadeführer Stahlecker, Inf. Abt. AA, v. 16.05.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 29.04.1941, ebd. Gemeint ist Rudolf Schmundt (1896-1944), der ab 1939 Chefadjutant der Wehrmacht bei Hitler und ab 1942 gleichzeitig Chef des Heerespersonalwesens war. Beim Attentat vom 20.07.1944 schwer verletzt, starb er einige Monate später an den Folgen. Klee (2015), S. 551. Woher BF Schmundt möglicherweise kannte, war nicht herauszufinden. Aus den Lebensläufen ergeben sich keine unmittelbaren Überschneidungspunkte. Entnahmen aus: WBK Bln. IX Berlin-Wilmersdorf an Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, v. 05.05.1939, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Das Polizeipräsidium Berlin bestätigte BFs preußische Staatsangehörigkeit wenige Tage später, meldete aber, dass der offenbar nach wie vor auch italienischer Staatsangehöriger sei. Polizeipräsidium Berlin, Abteilung II, an WBK Bln. IX v. 09.05.1939, ebd. Ob das WBK tatsächlich aufgrund einer direkten Anweisung Hitlers oder aber einer Behauptung BFs den Vorgang beschleunigen wollte, ist nicht bekannt. Auch die Angabe, erster Südtiroler in der Wehrmacht gewesen zu sein, kann bisher nicht belegt werden. Hofer an Himmler betreffend Einbürgerung von Südtirolern v. 14.04.1939, BArch NS19/2070, Bl. 9-13. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die Eingliederung BFs im Zusammenhang mit Hitlers 50. Geburtstag am 20.04.1939 stand. Zu diesem Tag wurden
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6. Zweiter Weltkrieg
es schnellstens zu erschließen galt. Nicht wenige dieser Männer hatten, wie Bossi, im italienischen Militär gedient. Der scheint somit als prominenter Südtiroler (erneut) ein nützliches Aushängeschild für den Staat gewesen zu sein, um den einwandernden Südtiroler Männern den Dienst im deutschen Militär schmackhaft zu machen. Tatsächlich bestätigte Bossi seinen Vorbildcharakter für die Übernahme der Südtiroler in einem Briefwechsel knapp 35 Jahre später: „Ich hatte diese Ausbildungsform vorbereitet“15. Zwischen dem 17. Juli und dem 13. August 1939 wurde Bossi von seiner Innsbrucker Dienststelle schließlich beurlaubt, um als Reserveleutnant der Wehrmacht erstmals eine einmonatige Übung beim Kavallerieregiment Nr. 9 abzuleisten.16 Nur zwölf Tage später erhielt er bereits seinen Beorderungsbefehl für den Berliner „Wehrkreis III. als Leutnant der Reserve […], Kav. Reg. 9“17 zum 1. September 1939. Doch erst am 1. Oktober erfolgte die offizielle Einberufung zur Wehrmacht. Am 22. Oktober rückte er nach eigenen Angaben „ins Feld“18, in die „Westwalllinie“19 ab. Reserveoffiziere wie er stellten im Zweiten Weltkrieg auch als Mittler zwischen Bevölkerung und Militär „den größten Anteil
15 16 17
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19
einige Sonderbeförderungen in der Wehrmacht vorgenommen. Siehe Förster (2007), S. 103. BF an Johannes Schauff v. 07.09.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 194. Urlaubsliste, R 9361-II/102614 u. Bl. 62, „Urlaub zur Ableistung einer militärischen Übung“ v. 11.08.1939. Siehe auch Personalkarte, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton. Anstellung / Beorderung BFs als Leutnant d.R. beim Kav.Reg. 9 v. 25.08.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Im August 1942 sollte BF beim Vormarsch zufällig einen seiner Kameraden vom 4. Schwadron des Kavallerieregiments 9, Hauptwachtmeister Pumpa, wiedertreffen. Siehe Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.07.1942, PA AA, R 60706. Lebenslauf BFs v. Ende 1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe auch Personalfragebogen BFs v. 10.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 1. Seine Militärpapiere verwahrten derweil die WBKs Berlin und Innsbruck. Dort sollen sich auch seine italienischen Militärpapiere befunden haben. Mitteilung BFs v. 01.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Das BArch besitzt zum WBK der Stadt keine Überlieferung. Aus dem WBK Innsbruck gibt es wenige überlieferte Akten, in denen BF jedoch nicht erwähnt wird. Zur Überlieferung von Akten des WBK Linz vermerkt das Oberösterreichische Landesarchiv auf seiner Website: „Aus Vermerken (mit roter Tinte) ist zu entnehmen, dass im April 1945 die Akten planmäßig vernichtet wurden“. Es ist anzunehmen, dass es den Personalakten der WBKs Berlin und Innsbruck ähnlich erging. Internetpräsenz des Oberösterreichischen Landesarchivs (OÖLA) zum WBK Linz, http://www.landesarchiv-ooe.at/xchg/hs.xsl/1031_DEU_HTML.htm [Zugriff: 25.11.2015]. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 06.12.1940, PA AA, R 60702. Siehe auch Antwortschreiben des Landeskulturwalters der RKK im Gau Tirol-Vorarlberg an den Präsidenten der RSK v. 29.11.1939, BArch R 56-V/1287. Seinen Arbeitgeber bat er, sein Gehalt für die Zeit seines Kriegsdienstes an seine Sekretärin im RPA Innsbruck, Grete Passer, auszuzahlen. BF an
6.1 Reaktivierung und Einberufung
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der militärischen Elite“. Die deutschen Truppen lebten „entscheidend aus der Leistungsbereitschaft dieser Gruppe“20. Inzwischen wohnhaft in Innsbruck, wurde Bossi zur 5. Kompanie des schweren Gebirgsjägerersatzbataillons 136 einberufen, jedoch sogleich als Ordonnanz beim Stab des übergeordneten Gebirgsjägerregiments 136 der 2. Gebirgsdivision (Feldpostnummer 30.696) eingesetzt.21 Im Zuge der Mobilmachung war sein Kavallerieregiment schon Ende August 1939 aufgelöst worden. Die 2. Gebirgsdivision war im April 1938 aus der 6. Division des österreichischen Bundesheeres hervorgegangen. Hier sammelten sich also viele ehemalige Österreicher, insbesondere aber Tiroler.22 Das nebenstehende Foto zeigt Bossi als Leutnant zu Beginn des Krieges.23 Bereits Mitte November 1939 schien Bossi von den Eindrücken des Krieges offenbar stark euphorisiert. Er habe sich zwar „Hals über Kopf“ als Transportführer einer Ersatzeinheit auf den Weg machen müssen, es sei ihm aber dennoch gut gegangen: Wir ersehnen nur den Augenblick, da der Führer uns befiehlt, den Engländern die Nase zu stäuben. Da ich viele alte Kameraden um mich habe, macht der Dienst viel Freude. An Tirol und die dort zurückgebliebenen Kameraden denken wir oft. Wir hoffen nur, daß die Heimat solchen Geist hat, wie die Front. […] Auf ein frohes Wiedersehen in einem siegreichen Deutschland.24
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Hofrat Dr. Schreiber v. 29.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Kroener (1994), S. 221. Das Verhältnis von aktiven zu Reserveoffizieren betrug bis 1941/42 1:6, 1943 1:3,5. Die Wehrmacht bemühte sich auch, insbesondere junge Reserveoffiziere für einen Laufbahnwechsel in den aktiven Truppendienst zu begeistern. „Hauptleute über 30 Jahre […] waren allerdings nicht erwünscht“, worunter somit auch BF fiel. Förster (2007), S. 120. Mitteilung für BF v. 25.10.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Siehe zur Einheit auch Antrag BFs auf Gewährung einer Entschädigung nach §3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes v. 13.04.1957, Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Im Grunde genommen war das GJEB 136 der ‚Division 188‘ zugeordnet, das den Ersatz für die 2. Gebirgsdivision stellte. Nach dem Polenfeldzug war die Division zunächst als Verfügungstruppe der 16. Armee und damit der Heeresgruppe A am Niederrhein untergeordnet. Ihr war u. a. das Gebirgsjägerregiment 136 (Innsbruck) mit dem Gebirgsjägerbataillon 136 unterstellt. Tessin (1973), S. 101f. Auf BFs Erkennungsmarke wurde die Nummer -105- 5./ G. J. E. B. 136 gestanzt: 5. Kompanie des schweren Gebirgsjägerersatzbataillons 136. Siehe D. Foth-Müller, Deutsche Dienststelle, an CP v. 20.09.2016. Personalakte BFs, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Entnahmen aus: BF an Reg. Präs. Dr. Koch (Innsbruck) v. 12.11.1939, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton.
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6. Zweiter Weltkrieg
Abb. 13 Mitte 1939: Bossi-Fedrigotti als Wehrmachtsoffizier.
Für Bossi schien die lang ersehnte Stunde der Bewährung endlich gekommen zu sein. Sehnsucht, kämpferischer Frontgeist und Siegesgedanken beherrschten die ersten Wochen seines Einsatzes. Mitte Januar 1940 wurde er dem Stab des 2. Bataillons im Gebirgsjägerregiment 140 zugeteilt.25 Seit der Mobilmachung war diese Einheit jedoch schon dem Gebirgsjägerregiment 136 untergeordnet, an das es im April 1940 endgültig angegliedert wurde und auch erst dann seine Bezeichnung verlor.26 Bossi war also de facto bei der gleichen Einheit geblieben. Über seinen Dienstposten als Ordonnanzoffizier war er allerdings offenbar keineswegs glücklich: Knapp zwei Jahre später resümierte er, über seine „Befriedigung mit der Tätigkeit eines Bataillons-Adjutanten an der Front […] kein Wort“ verlieren zu müssen. Doch dann sei plötzlich „aus heiterem 25
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Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Das II. Bataillon des Gebirgsjäger-Regiments 140 bestand aus den ehemaligen Tiroler Landesschützen. Die Einheit führte offenbar parallel zur deutschen auch ihre alte österreichische Fahne. Schmidl (2002), S. 50. Tessin (1973), S. 101f.
6.1 Reaktivierung und Einberufung
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Himmel“ ein Befehl eingetroffen, wonach ihn sein alter Bekannter Theo Habicht, inzwischen Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, zum „Vertreter des Auswärtigen Amtes kommandieren ließ“. Sein Regimentskommandeur habe ihn zwar zunächst nicht gehen lassen wollen, ein zweiter Befehl dann aber „keinen Aufschub mehr möglich“27 gemacht. Bereits vor der Kommandierung dachte Bossi intensiv über seine künftigen Wirkmöglichkeiten nach. Den bereits angeführten antienglischen Filmentwurf leitete er, der sich nun bereits als Legationsrat I. Klasse bezeichnete, der RKK knapp fünf Tage vor dem Dienstbeginn als VAA zu.28 Er bat an, den neuen Dienstposten für die Interessen der RSK zu nutzen und schien sich sicher, künftig große Möglichkeiten zu besitzen, dem „einen oder anderen Kameraden Einblick in das Erlebnis der Front von der vordersten Linie bis zum Betrieb eines AOK zu geben“29. So wurde Bossi bereits vor seinem ersten Einsatz als Kriegsberichter zum Unterstützer ‚dichtender Kämpfer‘. Ende Januar 1940 nahm er laut Neuem Wiener Tagblatt offenbar noch im Berliner „Hause des Großdeutschen Rundfunks“, gemeinsam mit 50 Kollegen, an einer „Tagung der deutschen Dichter und Schriftsteller mit den führenden Männern des Großdeutschen Rundfunks“ und einem anschließenden Empfang bei Goebbels teil. Man habe in dieser „Stunde der Bewährung alle Kräfte des deutschen Schrifttums für den uns aufgezwungenen Kampf im Rundfunk“30 einsetzen wollen. Allerdings war Bossi zu diesem Zeitpunkt bereits Soldat. In den Unterlagen finden sich keine Hinweise auf eine Beurlaubung oder Dienstreise.
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Entnahmen aus: BF an SS-Brigadeführer Stahlecker, Inf. Abt. AA, v. 16.05.1941, PA AA, R 60704. BFs Dienstbeginn im AA ist angesichts seiner adeligen Herkunft keine Seltenheit. Das Amt war bis 1933 und auch noch 1939 zu großen Teilen adelig geprägt. So passte BF durchaus ins Bild: Spross einer hochadeligen Familie, Vorfahren in Staat und Militär und militärische Vorbildung: „[…] der Besitz des Reserveoffizierpatents [galt] als selbstverständliche Zugangsvoraussetzung“. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 32f. Tatsächlich führte BF den Titel eines Legationsrats I. Klasse für die Dauer seines VAAEinsatzes nur als formale Titulatur. Er habe für „besondere Zwecke diese Bezeichnung notwendig“ gehabt. Vermerk an MR Dr. Otter v. 27.02. u. 01.03.1940, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 21 u. 23. Siehe auch RR Jung an Hofer v. 22.02.1940, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 43 u. Aktennotiz Reg. Präs. Dr. Koch (Innsbruck) v. 30.03.1940, ebd., Bl. 39. BF an RKK v. 26.01.1940. BArch R 56-V/23. Entnahmen aus: O. V.: „Das deutsche Schrifttum im Rundfunk“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 23.01.1940, S. 3. Die gleiche Informationsgrundlage dürfte der Artikel O. V.: „Dr. Goebbels vor den Dichtern“. In: Kleine Volks-Zeitung v. 23.01.1940, S. 3, u. O. V.: „Mobilisierung der geistigen Kräfte“. In: Völkischer Beobachter v. 23.01.1940, S. 1, gehabt haben.
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6. Zweiter Weltkrieg
Im Westen: Kämpfender Dichter
Am 30. Januar 1940 übernahm Leutnant Bossi offiziell die Dienstgeschäfte als Vertreter des Auswärtigen Amtes (VAA) beim Armeeoberkommando (AOK) 2, das sich zu dieser Zeit im Bonner Hotel Königshof befand.31 Bereits einen Tag später meldete er dem AA, die Geschäfte von Legationsrat Dr. Max Schäfer-Rümelin übernommen und sich beim Oberbefehlshaber der Armee (OB, Maximilian Freiherr von Weichs) und dessen Chef des Stabes vorgestellt zu haben.32 Schäfer-Rümelin stellte ihn den Leitern und Mitarbeitern der Abteilung Ic/AO (Abteilung für Feindnachrichten im AOK) vor. Alles in allem ergab sich für Bossi ein „erfreuliches Bild“. Man handelte anscheinend nicht streng nach Dienstvorschrift, sondern legte diese pragmatisch aus. Der VAA war „vollkommen […] in den Apparat des Ic“ integriert. So ergab sich die Möglichkeit, einen allgemeinen Überblick zu erhalten, was ihm für die künftigen Berichte durchaus zugutekam.33 31
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Vermerk v. 29.01.1940, PA AA, R 70603. Am 20.10.1939, nach Beendigung des Polenfeldzuges, wurde die 8. Armee an die deutsche Westgrenze verlegt und in 2. Armee umbenannt. Tessin (1973), S. 83. Siehe auch Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Das Wehrmachtsschriftgut bei der ‚Deutschen Dienststelle‘ gibt erst für März 1940, als die Stellung der VAAs geklärt war, zeitverzögert BFs Versetzung zum AOK 8 an. Dementsprechend wurde ihm eine neue Erkennungsmarke mit der Nummer -33- A. O. K. 8 überreicht. Einige der Daten der Dienststelle entstammen s. g. Erkennungsmarkenlisten. Die Einträge mit Datum können, so D. Foth-Müller, bis zu drei Monate vor oder nach dem tatsächlichen Versetzungs- oder Kommandierungsdatum liegen. Während BFs Dienst beim AOK 2 wurde die Armee von folgenden Personen geführt: 20.10.1939-11.11.1941 Generalfeldmarschall Maximilian Freiherr von Weichs (dann erkrankt), 11.11.1941-15.01.1942 Generaloberst Rudolf Schmidt (beauftragt aufgrund Krankheit Weichs’), 15.01.1942-15.07.1942 erneut von Weichs (ab diesem Tag Unterstellung unter die Heeresgruppe Süd), 15.07.1942-03.02.1943 Generaloberst Hans von Salmuth u. v. 03.02.1943-09.03.1945 General Walter Weiß. Siehe Stahl, Weichs (2015), S. 574-553 u. Stahl, Schmidt (2015), S. 493. Viele Dokumente des AOK 2 befinden sich im BArch in Freiburg. Jedoch existieren auch Bestände im Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (CAMO) und im Moskauer Sonderarchiv des Russischen Militärarchivs (RGVA). Das Sonderarchiv verwahrt bis heute einige hundert Akten vornehmlich deutscher Provenienz. Siehe u. a. E-Mail Matthias Uhl, Deutsches Historisches Institut (DHI) Moskau, an CP v. 25.06.2016. Max Schäfer-Rümelin (1889-1966), im Ersten Weltkrieg Hauptmann und Generalstabsoffizier, studierte nach 1918 Jura und trat 1921 dem Auswärtigen Dienst, 1935 außerdem der NSDAP bei. Ab 1938 war er Legationsrat I. Klasse und offenbar nur sehr kurz als VAA beim AOK 2 (bzw. vorher AOK 8). Keipert/Grupp (2000), S. 38f. Entnahmen aus: Bericht Nr. 1(a) des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 31.01.1940, PA AA, R 60703.
6.2 Im Westen: Kämpfender Dichter
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Theo Habicht, der Bossi diesen Posten angetragen hatte, war Mitte November 1939 als Unterstaatssekretär und stellvertretender Leiter der Politischen Abteilung in den Auswärtigen Dienst übernommen worden. Seine Zuständigkeit erstreckte sich als Propagandaspezialist auch auf die Informationsabteilung und das Referat Rundfunk der Kulturpolitischen Abteilung.34 Er war einer „jener nationalsozialistischen Quereinsteiger, die Ribbentrop ins Haus holte, um die Nazifizierung des Amts voranzutreiben“. Habicht verstand es, „früheren Weggefährten neue Posten zu verschaffen“. Unmittelbar nach Dienstantritt kümmerte er sich um die Stellenbesetzung der zwölf VAAs, die erst kurz zuvor der Wehrmacht unterstellt worden waren. Auf die offenen Stellen beförderte er vor allem „alte Mitstreiter aus der österreichischen NS-Bewegung“35, darunter neben Bossi auch den ehemaligen Wiener Gauleiter Alfred Frauenfeld. Habicht habe für den Einsatz als VAA regelrecht geworben: Man sitze nicht nur herum, sondern versehe bedeutende Aufgaben. Die Art dieser Stellenbesetzung zeigt, „wie die Seilschaften im NS-System funktionierten – zumal sich den VAAs dadurch neue Karrieremöglichkeiten eröffneten“36, wie Felix Römer festhielt. Das gilt in diesem Sinne auch für Bossi. Römer nennt den Posten des VAA eine „bequeme Stelle“37. Da die Dienstposten erst 1939/40 geschaffen wurden, war es den Stelleninhabern in besonderem Maße möglich, sich etliche Aufgaben je nach persönlichem Belieben selbst heranzuziehen.
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Die Informationsabteilung (Inf. Abt.) wurde im August 1939 gegründet und diente der Beschaffung von Informationen über die Stimmung des feindlichen Auslandes und der Beeinflussung der dortigen öffentlichen Meinung „im deutschen Sinne. Die Dienststelle wuchs rasch auf rund 260 Angehörige“. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 142. u. Brakelmann (2013), S. 155. Die Abteilung sei mit zunehmender Kriegsdauer „geradezu ein Sammelbecken für verschiedene propagandistische Kompetenzen“ geworden. Longerich (1987), S. 52ff. Entnahmen aus: Römer (2017), S. 76 u. 83. Siehe auch S. 85: Habicht pflegte und nutzte seine guten Verbindungen weiter intensiv, u. a. zu Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im RMI, zu NS-General Walter Model und Leopold Gutterer, Staatssekretär im RMVP, als er 1940 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Er fiel am 31. Januar 1944 als Hauptmann in Newel (Russland). Biografische Daten aus Keipert/Grupp (2005), S. 153f. u. Klee (2015), S. 215. Aus der Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg hat Habicht Tagebücher im Umfang von 1.500 Seiten hinterlassen, die vor einiger Zeit wiederentdeckt und von Felix Römer ausgewertet wurden. Siehe Korrespondenz Felix Römer mit CP u. http://www.geschichte. uni-mainz.de/neuestegeschichte/850.php [Zugriff: 14.01.2017]. Zu Stuckart siehe Wegehaupt, Phillip: „Stuckart, Wilhelm“. In: Benz (2009), S. 809ff. Entnahmen aus: Römer (2017), S. 84. Römer (2017), S. 148.
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Die offizielle Dienstanweisung für die VAAs von April 1940 sah vor, dass zu jedem AOK (auch Panzer-AOK) ein Vertreter hinzukam, der über einen Gehilfen, eine Schreibkraft und einen Dienstwagen mit Fahrer und AA-Kennzeichen verfügte. Rein formal ließen sich die Männer vom AA beurlauben und gleichzeitig vom Oberkommando des Heeres (OKH) zum Stab des jeweiligen AOK „als Offiziere d. B., z. V. oder a. D.“ mit Trageerlaubnis der Heeresuniform einberufen – „Diplomaten in Wehrmachtsuniform“38. Sie erhielten ihre Anweisungen jedoch ausschließlich vom AA, das damit über eigene Frontbeobachter verfügte. Die VAAs sollten für die Auslandspropaganda geeignetes Material aus dem Frontbereich an den (vorgesetzten) VAA beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) nach Berlin weiterleiten. Dazu zählten Meldungen über Gräuel, Gefangenenaussagen, Schilderungen der Kämpfe deutscher Einheiten und feindlicher Propagandamittel sowie -methoden.39 Wie sie dieses Material beschafften, war ihnen weitgehend selbst überlassen. Die Mittel der Propagandakompanien (PK) vor Ort sollten allerdings genutzt und eine enge Verbindung zu ihnen hergestellt werden.40 Offiziell regelten die PKs die gesamte Kriegsberichterstattung; die VAAs hingegen schrieben ihre eigenen Berichte, die ursprünglich nicht dazu gedacht waren, zur Propaganda herangezogen zu werden. Angesichts der Fülle an Informationen wurden sie schließlich doch genutzt, auch je nach Spielraum und Interesse des jeweiligen VAA.41 Fotos, die auch Bossi immer wieder ans AA 38 39
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Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 208. „Regelung der Tätigkeit der Vertreter des Auswärtigen Amtes bei den AOK“, in: „Dienstanweisung für die Vertreter des Auswärtigen Amtes bei den Armee-Oberkommandos“. PA AA, Paris 2402. Offenbar hatte sich bis August 1940 in der Informationsabteilung eine neue Unterabteilung (Inf. IX) gegründet, dessen Aufgabe „‚Bekämpfung der feindlichen Greuelpropaganda‘“ war. BFs (auch spätere) Berichte dürften hier weiterverarbeitet worden sein. Longerich (1987), S. 51. Siehe auch S. 76: Vor allem das Aufzeigen von „Regelverletzungen der Kriegsgegner“ und das Sammeln von Beweisen ihrer Kriegsschuld gehörte hinsichtlich der Rechtfertigung des eigenen Vorgehens zu den zentralen Aufgaben deutscher Siegespropaganda. Siehe auch Buchbender (1978), S. 151ff.: Die VAAs hätten Ribbentrop als „erstklassiges Informationsinstrument“ gedient. Zu Beginn des Ostfeldzuges standen in den PKs etwa 3.500 Mann zur Verfügung, darunter Wort-, Bild-, Film- und Rundfunkberichter sowie Kriegsmaler. Die Personalauswahl traf das RMVP. Militärisch waren sie dem jeweiligen AOK oder der HG unterstellt. Siehe Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 196, Buchbender (1978), S. 19f. u. 26. u. BoecklKlamper (2015), S. 27 u. 30ff. Viktor Klemperer schrieb dazu 1940/41: „Neulich hieß es in einem Artikel, die PK-Leute (ich glaube: Propaganda-Kompanie?) seien nicht Kaffeehausliteraten wie die einstigen Kriegsberichterstatter, sondern echte Soldaten“. Klemperer (1999), Bd. 4, S. 71f. Boeckl-Klamper (2015), S. 30. Seit Mitte September 1941 trugen die Berichte BFs, die ins OKW gelangten, regelmäßig den Stempel ‚Zu Propagandazwecken geeignet‘. Siehe
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sendete, dienten ebenso wie Filme als besondere Propagandawaffe, sowohl bei der Kriegsdokumentation als auch bei der Illustrierung rassenideologischer Schulungen.42 Die Propaganda-Einheiten, die sich zunächst der kontrollierten Kriegsberichterstattung, später immer stärker der Frontpropaganda widmeten, unterstanden seit ihrer Entstehung 1938 der Abteilung Wehrmachtpropaganda im OKW (OKW/WPr.), die von Hasso von Wedel geleitet wurde und eng mit dem RMVP zusammenarbeitete.43 Sie kümmerte sich um „alle Fragen der Propaganda“, sofern sie das OKW oder die Wehrmacht betrafen, die „Steuerung der geistigen Betreuung“44 der Truppen, die militärische Zensur und die Betreuung ausländischer Berichterstatter.45
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Bericht Nr. 19 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 18.09.1941, PA AA, R 60705. Taugliche Passagen wurden sogar in separaten Dokumenten zusammengefasst. Boeckl-Klamper (2015), S. 31f. Die PK-Fotos waren ideologisch zweckgerichtet angefertigt worden, bildeten also nicht einfach eine objektive ‚Wahrheit‘ ab. Jede PK musste pro Woche „mindestens eine Bilderserie von sechs bis zehn Aufnahmen und 50 Einzelaufnahmen abliefern“. Grundsätzlich war jede Fotografie mit einer Notiz versehen, aus der der Fotograf, Ort, Zeit und die Motive zu erkennen waren. Wenn die Bilder freigegeben werden sollten, durchliefen sie einen Zensurprozess bei der Wehrmacht und beim RMVP. Nicht selten legte Goebbels selbst fest, welche Aufnahmen, extrem dichotom gegenübergestellt, veröffentlicht wurden: Diskriminierende, manipulative Schock-Bilder als Beispiel angeblich vertierten Lebens in der Roten Armee und der Sowjetunion inkl. verschärfender, einordnender Bildunterschriften im Gegensatz zu entschlossen dreinblickenden, sauberen und gut ausgerüsteten Soldaten der Wehrmacht. Ebd., S. 33ff. Hasso von Wedel (1898-1961) diente im Ersten Weltkrieg, als Berufsoffizier in der Reichswehr und in der Wehrmacht (neben anderen Verwendungen) seit April 1939 als Chef der „neugebildeten Abteilung für Wehrmachtpropaganda im OKW“. 1943 wurde er zum Generalmajor befördert. Klee (2009), S. 584f. u. Moll (2001), S. 129. Siehe zu den Aufgaben und der Unterstellung der PK bei den AOKs auch Wedel (1962), S. 20ff. u. Longerich (1987), S. 118. Zum Aufbau der Abteilung OKW/WPr. siehe „Geschäftsverteilungsplan der Abteilung für Wehrmacht-Propaganda im Oberkommando der Wehrmacht“ v. April 1939. BArch, RW 5/240, Bl. 3ff. Hier wird auch Major (bis Kriegsende: Oberst) Rolf Kratzer aufgeführt, der stellvertretende Leiter der Abteilung, mit dem BF später noch einigen Kontakt haben sollte. Siehe Moll (2001), S. 117ff., u. zu den Aufgaben der PKs BoecklKlamper (2015), S. 27 u. 30f. Die wichtigsten weitere Institutionen der Propagandaarbeit im Osten waren das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und das RMVP. Goebbels’ Ministerium hatte auf die inhaltliche Ausgestaltung keinen Einfluss, kümmerte sich aber um die technische Umsetzung der Propaganda: Produktion von Plakaten, Rundfunksendungen, Filmen usw. (Generalreferat unter Eberhard Taubert, später Abteilung Ost). Schramm (1961-1969), Bd. I, Teilbd. 2, S. 883. Siehe auch Longerich (1987), S. 177ff. u. Barbian (2010), S. 187f. In der Abteilung erschien die Zeitschrift Die Wehrmacht. Außerdem waren OKW/WPr. die Feldbüchereien unterstellt. Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 197. An den in der Abteilung geführten, „inhaltlichen Debatten beteiligte sich – bis Mitte 1942 – auch das Auswärtige Amt, vertreten
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Die Qualität der VAA-Berichte, aber auch Stil, Ton und Ausdifferenzierung, waren „natürlich ganz vom persönlichen Profil des jeweiligen VAA abhängig“46. Des Weiteren betreuten die Männer ausländische Kriegsberichter, berieten die AOKs bei Maßnahmen der „aktiven Feindpropaganda“ und unterrichteten sie und die Stäbe regelmäßig über die aktuelle außenpolitische Lage. Gelegentlich sollten sie auch Kontakt zu höheren Führungsebenen, zu den Generalkommandos, Heeresgruppen und deren Kommandeuren aufnehmen. Zu anderen Aufgaben waren sie von den AOKs „nicht heranzuziehen“47. Nach zwei Jahren im VAA-Dienst schilderte Bossi allerdings, sich außerdem um Presseübersichten aus verschiedenen Ländern, „Verhandlungen mit und Weiterleitung von polit. Persönlichkeiten“ und um „polit. Wünsche bekämpfter Völker“48 gekümmert zu haben, vor allem aber um die Akten- und Dokumentensicherstellung in eroberten Städten. Als das OKW im April 1941 Richtlinien „für die Prüfung und Sichtung erbeuteter Akten und Dokumente“ herausgab, wurde hier auch explizit die Zuständigkeit des AA benannt. Es ging um Dokumente, die über „Neutralitätsverletzungen durch Feindstaaten
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durch Georg Wilhelm Großkopf“. Georg Wilhelm Großkopf (1884-1942) war seit 1906 mit Unterbrechungen im Auswärtigen Dienst beschäftigt, befasste sich in der AA-Abteilung Deutschland auch mit ‚Ostfragen‘ und war seit Oktober 1939 Vortragender Legationsrat. Als solcher war es ihm möglich, zu speziellen Themen direkt bei Hitler vorzusprechen. Keipert/Grupp (2005), S. 114f. Hürter (2003), S. 368. Hürter hielt fest, dass die Berichte der VAAs für die Geschichtsforschung bisher weitgehend unbeachtet blieben, obwohl sie das große Potential hätten, eine „bemerkenswerte Ergänzung“ zu den bisher vorliegenden, weitgehend ausgewerteten militärischen Unterlagen zu bieten. Siehe auch Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 214: Das AA war durch die VAA-Berichte „außerordentlich gut über die Auswirkungen der brutalen deutschen Besatzungspolitik vor allem in Ost- und Südosteuropa unterrichtet“. Entnahmen aus: „Dienstanweisung für die Vertreter des Auswärtigen Amtes bei den Armee-Oberkommandos“ v. 10.04.1940, PA AA, R 60711 u. PA AA, Paris 2402. Siehe auch Erlass des OKH v. 13.02.1942 bez. Dienstanweisung der Vertreter des Auswärtigen Amts bei den Armeeoberkommandos, PA AA, R 60711 u. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 208: „In allen deutschen Besatzungs- und Operationsgebieten, von Afrika bis Norwegen, vom Atlantik bis zum Kaukasus, waren Abgesandte der Wilhelmstraße dem jeweiligen Armeeoberkommando (AOK) zugeteilt. Ihre genaue Zahl ist schwer zu bestimmen. Zum einen war die Dauer der Einsätze an die Dauer der Militärverwaltung geknüpft, zum anderen wechselten Ämterbezeichnungen häufig; auch konnte ein Vertreter des Amtes nacheinander bei mehreren Dienststellen einer oder verschiedener Militärverwaltungen eingesetzt sein. Im Juli 1942 waren 15 Vertreter des Auswärtigen Amtes verschiedenen Armee- und Panzerarmee-Oberkommandos zugeordnet. Ihre Zahl lag aber mit Sicherheit deutlich höher“. BF an AOK 2, Abt. Ic/AO, v. 12.02.1942, PA AA, R 60711. Siehe auch Erlässe, Teil II der Dienstanweisung für VAAs, o. D., ebd. Datum scheint der 12.02.1942 zu sein. Das ergibt sich aus verschiedenen Schriftstücken von Februar 1942 in R 60711.
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gegenüber bisher neutralen Staaten“ berichten, über Völkerrechtsbrüche, Verstrickung der Feindpropaganda mit „staatsfeindlichen Elementen und Kreisen innerhalb Deutschlands“, „Verbindung mit dem Weltjudentum“49, um Kriegsvorbereitungen und Geheimverträge. Bossi ergänzte später selbst Reisen der „Frontdichter (Mannschaft) zu einer kämpfenden Armee“50. Die AOKs waren als Kommandobehörden die „Schaltzentralen“51 des Heeres, befehligten durchschnittlich 200.000 Soldaten und überwachten die „hunderttausenden Zivilisten und zehntausenden Kriegsgefangenen“. Ein AOK glich „einem kleinen Ministerium“ mit einigen hundert Angehörigen. Es war dennoch überaus mobil und wechselte mitunter oft seinen Standort. Besonders für ehrgeizige Offiziere boten sich hier attraktive Dienstposten. Man konnte „unmittelbar am Kriegsgeschehen teilnehmen und dennoch die Gesamtlage im Auge behalten“52. Dem ersten Generalstabsoffizier eines AOK, dem Ia, assistierte der dritte, Ic, Leiter der Unterabteilung für Feindnachrichten. Der ihm unterstellte Abwehroffizier (Ic/AO; manchmal war der Ic gleichzeitig auch AO) war zuständig für Spionage- und Sabotageabwehr, Propaganda, Presse, Zensur und politische Fragen. Bossis Dienststelle als VAA war hier angesiedelt. Mit dieser Abteilung verlegte er den Standort, mit ihr wurde er untergebracht, von hier erhielt er weitere Anweisungen und arbeitete dem Abteilungsleiter zu. Neben ihm fanden sich hier außerdem verschiedene Dolmetscher, Zensur- und
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Entnahmen aus: OKW, „Richtlinien für die Prüfung und Sichtung erbeuteter Akten NACH AUSSENPOLTISCHEN BELANGEN“ v. 22.04.1941, PA AA, R 60709. Hervorhebung im Original. Erlässe, Teil II der Dienstanweisung für VAAs, o. D., PA AA, R 60711. Römer (2008), S. 27. Die Heeresstruktur im maßgeblichen Zeitraum des Einsatzes BFs gestaltete sich folgendermaßen: OKW-OKH-Heeresgruppe-Armee-ArmeekorpsDivision-Brigade-Regiment-Bataillon-Kompanie-Gruppe. Das AOK 2 war überwiegend der HG Mitte unterstellt, zwischenzeitlich auch der HG Süd, die ab dem 07.07.1942 als HG B firmierte. Stahl, Weichs (2015), S. 549. Insgesamt sind die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft aber gering, „wenn es um die Geschichte eines einzelnen Armeeoberkommandos geht, obwohl die Armeen neben den Heeresgruppen die größten und mit Abstand wichtigsten Formationen der Wehrmacht waren“. Hartmann/Hürter/Jureit, Ergebnisse und Kontroversen der Forschung (2005), S. 25. Entnahmen aus: Hürter (2001), S. 379ff. Der Arbeitsalltag der Ic-Abteilungen war „straff und ausgefüllt. […]. Das Arbeitstempo musste dabei mit der Rasanz des modernen Krieges Schritt halten“. Die Informationen aus Meldungen unterstellter Verbände, aus Vernehmungen und Rapporten von Nachbareinheiten wurden in Form einer Morgenund Abendmeldung an die vorgesetzte Kommandobehörde zusammengefasst, wertend selektiert und weitergeleitet. Römer (2008), S. 322f. Vgl. auch Neitzel (2012), S. 223.
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Ordonnanzoffiziere.53 Nach innen hin sorgten die Ic-Soldaten für die „‚weltanschauliche Erziehung‘“54 der Truppe. Zu Bossis ersten Aufgaben als VAA gehörte, sich zunächst einen Eindruck von der Region zu machen, in der er nun seinen Dienst versah. Das AOK hatte nämlich in der Vorbereitung des Westfeldzuges ein strategisches Interesse daran, zu erfahren, welche Bewegungen sich jenseits der Grenzen zu Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Frankreich zeigten.55 Bossi unternahm dazu beinah täglich Reisen an die nahe Grenze, sprach mit der Bevölkerung und deutschen Soldaten und berichtete detailliert. Schon Anfang Februar 1940 seien in Eupen-Malmedy erste Anzeichen eines nahenden deutschen Einmarsches zu spüren gewesen. Belgische Stellen befänden sich in einem Status nervöser Unsicherheit, der Grenzübertritt sei bereits erschwert, Volksdeutsche würden jenseits der Grenze zum Militärdienst einberufen. In diesem eigentlich nur „abgetrennten Gebiet“ sei die Bevölkerung „Vorkäpfer [sic!] des Deutschtums“56. Schon kurz darauf berichtete er Habicht, wie sich die VAA-Dienststelle im AOK-Apparat eingebettet hatte. Die Stellung stehe und falle mit der „Qualität des Informationsmaterials, das wir dem 1C, OB und Chef täglich vorlegen“. Es gehe vor allem darum, schnell zu sein. Gerade im Stab des AOK 2, nahe der Grenze, war es möglich, täglich den ausländischen Rundfunk abzuhören und die Zeitungen aller westlichen Nachbarländer zu studieren. Das Material des VAA müsse daher „einen OB fesseln können. […] Je interessanter wir dem Chef vor Allem aber dem 1C vortragen können, desto fruchtbringender wird auch unser Einsatz sein“57. 53
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Römer (2008), S. 319: „Die Ic-Abteilung eines AOK bestand planmäßig aus dem Ic/A.O. und dem Abteilungsleiter, dem O3, dem O6, zwei Dolmetschern und der Gruppe des A.O., dem der O7 und drei Zensuroffiziere zugeteilt waren“. Oft schwankte der Personalumfang stark. Die meisten Ordonnanzen waren Reserveoffiziere meist älteren Lebensalters, von denen ein beträchtlicher Teil aus dem gehobenem Bürgertum und Adel stammte. Ebd., S. 320. Römer (2008), S. 509, zitiert hier BArch RH 26-255/139, Anl. 5. Zum Terminus ‚Feldzug‘ schrieb Felix Römer, der Begriff sei zwar zeitgenössisch, man komme aber manchmal nicht um das Nutzen solcher Termini herum. „Texte, die .den Begriff ‚Feldzug‘ problematisieren, sind mir nicht bekannt“. Siehe E-Mail Felix Römer an CP v. 08.11.2018. Bericht Nr. 3 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 04.02.1940, PA AA, R 60703. Schon diese ersten Berichte und Dokumente zeigen Sichtvermerke, die erkennen lassen, dass die Akten stets Habicht zur Kenntnis vorgelegt wurden. Gelegentlich schrieben sich beide auch direkt über den Dienstweg. Entnahmen aus: BF an Unterstaatssekretär Habicht v. 06.02.1940, PA AA, R 60703.
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Bei einer seiner Fahrten besuchte er auch österreichische Truppen und unterbreitete Habicht einen Vorschlag für literarische Propaganda: Anfang Februar 1940 meldete die Presse, dass Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg, ein bekannter österreichischer Politiker und Funktionär des Ständestaats (der sich spätestens nach der Annexion Österreichs Hitler zuwandte), in die französische Armee aufgenommen worden war, um auf Seiten der Alliierten gegen NSDeutschland zu kämpfen.58 Bossi befand, Starhemberg habe den Deutschen damit einen „ganz unschätzbaren Wert“ erwiesen. Dessen Seitenwechsel sei bei den Soldaten „wie eine Bombe eingeschlagen“. Er schlug vor, Karl Megerle, mit dem er 1933 schon Abt Schmitt in Grüssau besucht hatte, solle eine „bissige Glosse“ schreiben und Starhemberg als Verräter an der Geschichte brandmarken. „Auch Bruno Brehm könnte da etwas Gutes schreiben. Das Material sollte dann reichlich unter unsere ostmärkischen Divisionen von den Prop. Kpn. verteilt werden“59. Bossi hatte Brehm, einer der „Kriegsautoren par excellence“60, 1937 beim Goebbels-Empfang im RMVP kennengelernt. Ihr „volksdeutsches Schicksal“ als ehemalige Bürger der Donaumonarchie habe sie miteinander verbunden. Brehm sei ihm sogar stets ein „geistiger Führer“ gewesen; seine großdeutschen Ideen waren „uns Kameraden aus der volksdeutschen und SA-Front ernsteste Voraussagen“. Als der schließlich 1940/41 wieder Soldat wurde, habe er die Rotarmisten als „Bestie“ beschrieben und laut Bossi damit Millionen deutscher Soldaten „aus dem Herzen“ gesprochen. Er wünschte Brehm 1942 zu dessen 50. Geburtstag, als Soldat und auch „als Ratgeber und Freund im Tornister der Frontsoldaten“ das deutsche Schicksal auf dem „Marsche“61 in die Zukunft begleiten zu können. 58 59
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O. V.: „Der Verräter“. In: Hamburger Fremdenblatt v. 01.02.1940, o. S. Entnahmen aus: BF an Unterstaatssekretär Habicht v. 06.02.1940, PA AA, R 60703. BF berichtet hier außerdem davon, Südtiroler Freiwillige in Innsbruck und Hall getroffen zu haben. Diese „reichen in ihrem soldatischen Können nicht an unsere Leute heran. […] Dabei gehören diese Südtiroler zu den besten ital. Soldaten!“ „Den V.B. [Völkischen Beobachter] werden sie hoffentlich inzwischen laufend und nicht allzu spät erhalten!“, schrieb Konsul v. Tucher zu BFs Presseversorgung. Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, an BF v. 14.06.1940, PA AA, R 60703. Theodor Freiherr Tucher von Simmelsdorf (1888-1967), Jurist, hatte im Ersten Weltkrieg gedient und trat schon 1918 in den Auswärtigen Dienst ein. Von Oktober 1939 bis zum 15.07.1940 arbeitete er als Konsul kommissarisch in der Informationsabteilung des AA. Als solcher nahm er Berichte BFs unmittelbar entgegen. Sein Nachfolger war Josias von Rantzau. Keipert/Grupp (2000), S. 80f. Hervorhebung im Original. Lungershausen (2017), S. 117. Vgl. Marschall (1938), S. 323: Brehm war einer der völkischen „Programmautoren Deutschösterreichs“. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Stets Kamerad unter Kämpfern“. In: Schremmer (1942), S. 329ff. Vgl. Waldner (1990), S. 35f.
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In den kommenden Wochen unternahm Bossi nicht nur Fahrten ins Grenzgebiet, sondern prüfte auch Propagandamaterial für die „Zersetzung feindlicher Truppen“62 – und befasste sich immer wieder ausgiebig mit der Situation der Volksdeutschen hinter den Grenzen, die, so Bossi, Hoffnung auf eine Befreiung durch Hitler gehabt hätten.63 Auch noch im Ostfeldzug schrieb er aus Baranowicze und Stolpce: „Die wolgadeutschen Soldaten sprechen ein unverfälschtes Hessisch und machen rassisch einen ganz guten Eindruck“. Es war Bossi daneben zunehmend wichtig, nicht als Beamter, der sich den Feldzug nur ansah, sondern als vollwertiges Mitglied einer militärischen Einheit anerkannt zu werden.64 Daher bemühte er sich, aus „Prestigegründen“65 stets dem Armeehauptquartier zugeordnet zu sein und die feldgraue Uniform tragen zu dürfen. Sofern das nicht möglich sei, schlug er vor, die VAAs sollten, „soweit wir nicht Offiziere sind, SS-Führer“66 werden, die man kommandieren könne. Diese und weitere Fragen wurden offenbar auch Ende März 1940 bei einer VAA-Tagung mit Habicht in Berlin besprochen, zu der auch Bossi anreiste: „Schattenfroh und ich freuen uns sehr auf die Besprechungen in Berlin“67. Anfang April verschärfte sich die Lage an der deutschen Westgrenze. Bossi wusste von Sprengvorbereitungen in luxemburgischen Bahntunneln, von Sperrzonen mit Drahtverhauen und Minenstreifen zu berichten. Mitte April
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Inf. Nr. 1352 von BF an AA, Inf. Abt., Konsul v. Tucher, v. 14.02.1940, PA AA, R 60703. Bericht Nr. 4 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 15.03.1940, PA AA, R 60703. Zu der Passage aus Baranowicze und Stolpce siehe Bericht Nr. 3 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.07.1941, BArch RH 20-2/1111. „Auszug aus einem Bericht des Legationsrates Graf Bossi“ v. 27.02.1940, PA AA, R 60703. Siehe auch „Aus dem Bericht eines rheinischen Industriellen […]“ v. 02.03.1940, ebd. Während er sich in seinem neuen Wirkungsbereich entfaltete, verstarb sein Vater am 14. Februar 1940 in Hausmannstätten bei Graz. E-Mail Markus v. Norman (Enkel BFs) an CP v. 14.01.2010. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 06.03.1940, PA AA, R 60703. BF an Habicht v. 12.03.1940, PA AA, R 60703. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 15.03.1940, PA AA, R 60703. Legationsrat (später Generalkonsul) Franz Schattenfroh (1898-1974) war von 1940 bis 1943 VAA beim AOK 4, „NSDAP seit 1922, Landesrat für Wien“. Hürter (2003), S. 369. Seit 1926 war er Mitglied der NSDAP-Landesleitung Österreich, ab 1940 SA-Gruppenführer. Auch Schattenfroh berichtete von Feind- und eigener Propaganda. Diese, vor allem die gegen die Engländer, sei zu plump. „Das glaubt kein Mensch, weder Deutsche noch Franzosen“. Bericht Nr. 51 des VAA beim AOK 4, Abt. Ic, Legationsrat Rittmeister Schattenfroh, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 22.08.1940. PA AA, Paris 1293. Im Dezember 1941 trafen sich BF und Schattenfroh nochmals auf einer Reise zu einer VAA-Tagung von der Front über Warschau nach Berlin im Hotel Pologna Warschau. Siehe Fernschreiben Schattenfroh, VAA beim AOK 4, an BF v. 06.12.1941, PA AA, R 60714. Zu seiner Vita vgl. auch Keipert/Grupp (2000), S. 46f.
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breiteten sich auch in Holland „Unruhe und Nervosität“68 aus. Parallel hielt der VAA außenpolitischen Unterricht für Untergebene und Vorträge für das AOK.69 „Wir marschieren bald!“70, schrieb Bossi am 10. Mai 1940, dem Tag des Beginns des Westfeldzuges, den er im AOK hautnah miterlebte. Während die Armee bereits vordrang, befanden sich Stab und Kommando jedoch stets einige Kilometer hinter der Front. Zunächst wurde das AOK am 15. Mai von Bonn nach Bitburg vorverlegt.71 Von dort aus unternahm Bossi eine Dienstfahrt mit dem Ic-Offizier, Major i. G. Josef Irkens, durch Luxemburg bis nach Bastogne (Belgien) und Bouillon an der belgisch-französischen Grenze.72 In Luxemburg und Belgien waren einige Zerstörungen sichtbar, doch die Bevölkerung ging offenbar weitgehend einem normalen Tagesablauf nach. „Antideutsche Hetzpropaganda“ habe bewirkt, dass die Menschen zunächst panikartig geflohen 68
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Interne Meldung des AA über Unruhe in Holland v. 15.04.1940, PA AA, R 60703. Diese Vorkehrungen der Nachbarländer hängen mutmaßlich auch mit einem Zwischenfall zu Beginn des Jahres 1940 zusammen: „Ein Kurieroffizier der Luftwaffe flog am 10. Januar 1940 bei Nacht verbotener Weise mit wichtigen Akten, aus denen der geplante Aufmarsch nach Schlieffen ersichtlich war, über die belgische Grenze und mußte auf belgischem Gebiet notlanden“. Guderian (1951), S. 80. Vgl. Meldung des Ic/AO der Heeresgruppe A aus Luxemburg v. 19.04.1940, PA AA, 60703, BFs „Meldung aus milit. Spannungsberichten“ v. 23.04.1940, ebd. u. „Auszugsmeldungen aus militärischen Spannungsberichten“ v. 30.04.1940, ebd. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 04.04.1940, PA AA, R 60703 u. Vermerk Konsul v. Tuchers v. 10.04.1940, ebd. Er sollte u. a. einen Vortrag zur außenpolitischen Lage mit Fokus auf das „Balkanproblem“ halten. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 06.04.1940, ebd. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AAr, v. 10.05.1940, PA AA, R 60703. Vgl. zum Vormarsch der 2. Armee Tessin (1973), S. 86. Ab dem 10.05.1940 begann BF mit der Nummerierung der Berichte wieder von vorn. Panzergeneral Guderian erinnerte sich 1951 folgendermaßen an den unmittelbaren Zeitraum vor dem Angriff im Westen: „Am 09.05.1940, nachmittags um 13,30 Uhr, wurden wir alarmiert. Um 16 Uhr verließ ich Koblenz und erreichte gegen Abend den Gefechtsstand des Korps, den Sonnenhof bei Bitburg. Die Truppen stellten sich, wie befohlen, längs der Grenze zwischen Vianden und Echternach bereit“. Guderian (1951), S. 88. Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.05.1940, PA AA, R 60703. Siehe auch Meldung BFs v. 15.05.1940, ebd. u. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 15.05.1940, BArch RH 20-2/998. „Oberst a.D. Josef Irkens, geb. 19.9.01 in Lippstadt/W., war vom 5.2.40-23.10.41 Ic beim Armeeoberkommando 2“. Bundesarchiv Zentralnachweisstelle Kornelimünster an Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg v. 11.02.1969, BArch B 162/28356. Siehe auch „Stellenbesetzung der Armeeoberkommandos“ v. 01.07.1940, CAMO, Bestand 500, Findbuch 12451, Akte 654, Bl. 15. Digitalisiert unter http://wwii.germandocsinrussia.org [Zugriff: 15.06.2016].
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seien. Allerdings habe das Auftreten der Soldaten „die Panik vor den Hitlernazis sichtlich ausgeschaltet“73. Der Deutsche benahm sich, seinen Berichten nach zu urteilen, stets einwandfrei und war „noch immer der gleiche gutmütige Mensch, wie er es 1914 war“74. Sofern Bossis Berichte nun Frankreich betrafen, wurden sie auch in der Deutschen Botschaft Paris gelesen und archiviert.75 Da der Feldzug schnell voranschritt, wurde auch das AOK 2 schon am 17. Mai nach Bouillon ins Schloss Amerois verlegt.76 Dort habe Bossi „durch Zufall“ die Familie des „belg. Rexistenfuehrers Degrelle“, dessen Vater und Bruder (beide Eduard) ausfindig gemacht.77 Deren Haltung sei „durchaus deutschfreundlich“ gewesen. Der Bruder Degrelle rechnete mir sogar vor, wie berechtigt Deutschland in seinem Kampf um seinen Lebensraum […] sei. […] Ich erachte es als richtig die Familie Degrelle in Bouillon im Auge zu behalten und ihr zu helfen, soweit dies den Zwecken des Reiches zutraeglich sein kann.78
Während die Wehrmacht immer schneller vordrang, ahnte Bossi schon, welchen Vorwurf man den Deutschen irgendwann einmal machen würde. Die 73 74 75 76
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Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 16.05.1940, PA AA, R 60703. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic(AO v. 24.05.1940, PA AA, R 60703. Siehe verschiedene Berichte BFs in PA AA, Paris 1293, u. a. Bericht Nr. 33 v. 26.07.1940 u. Nr. 34 v. 09.08.1940. In den Akten der 2. Armee hat sich sogar noch die Zimmerbelegung im Schloss Amerois erhalten. Bossi wohnte hier im zweiten Obergeschoss, direkt gegenüber von Irkens. „Unterbringungsübersicht des Stabes“ im Schloss Amerois, BArch RH 20-2/1028. Vgl. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 17.05.1940, BArch RH 20-2/998. Léon Degrelle (1906-1994), Politiker, zuletzt SS-Standartenführer, gründete 1930 die Christkönigsbewegung (Rexisten) in Belgien, die sich ausgehend von einem militanten, kirchlichen Ursprung zu einer nationalistischen, später faschistischen und mit den NS-Besatzern kollaborierenden Organisation entwickelte. Bei Beginn des Westfeldzuges wurde Degrelle zunächst in den Westen Frankreichs deportiert, nach Drängen der (kollaborierenden) belgischen Exil-Regierung jedoch entlassen und kehrte nach Belgien zurück. Im Juni 1943 wurde er SS-Führer der SS-Sturmbrigade (später Division) Wallonien (‚Wallonie‘), einer Einheit freiwilliger Wallonen, unter denen sich auch viele junge Rexisten befanden. Degrelle wurde im Dezember 1945 in Belgien zum Tode verurteilt, lebte jedoch nach seiner Flucht vor der Gefangenschaft bis zu seinem Tod 1994 in Spanien. Siehe Dreßen, Willi: „Rexisten“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 764f. sowie S. 906 u. Seidler (1995), S. 166-173. Degrelles Bruder Èdouard wurde am 08.07.1944 durch Widerstandskämpfer erschossen: „[…] le 8 juillet 1944, […] Degrelle Édouard, chef de section rexiste pour Bouillon, est abattu dans son officine par quatre membres du groupe IV, secteur 7 de la zone V de l’Armée secrete. Il était pro-allemand et faisait beaucoup de propagande pour le système nazi“. Siehe Préaux (2007), S. 49. Bis August 1944 fielen 740 Rexisten Attentaten zum Opfer. Siehe dazu Seidler (1995), S. 170. Entnahmen aus: Fernschreiben BF an AA v. 18.05.1940, PA AA, R 60703.
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Armee habe derzeit „andere Sorgen“, als sich um „rückwärtige Einrichtungsangelegenheiten“, wie die Versorgung der französischen Kriegsgefangenen, zu kümmern. Es kam vor, so Bossi, dass diese „mehrere Tage nicht verpflegt“ werden konnten. Das sei durch den schnellen Vormarsch nun einmal so. „Dies für eventuelle Anklagen gegen die Behandlung der Kriegsgefangenen durch die Deutschen!“79 Bossi kümmert sich hier weniger um die Situation der Kriegsgefangenen, als vielmehr um das Bild der Deutschen in der (internationalen) Öffentlichkeit. Am 22. Mai befand sich das AOK bereits in Hirson. Bossi berichtete dem AA, einem französischen Kriegsgefangenen verdeutlicht zu haben, dass Deutschland ganz sicher nur Gebiete annektieren werde, in denen Deutsche lebten. Möglicherweise war er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch davon überzeugt. Dem Krieg schien er im Angesicht der Siege offenbar ganz verfallen: Die Soldaten zeigten eine „unerhörte deutsche Kühnheit“ und „verblüffende Frechheit, […] Tapferkeit und geniale Führung“. Als er abends von einer Fahrt an die Front zurück zum AOK kam, wurde ihm berichtet, dass Reichsaußenminister von Ribbentrop in der Nähe zu Besuch gewesen war und nach ihm gefragt hatte. Bossi versprach, der Minister könne bei einem nochmaligen Besuch eine „durchaus interessante Fahrt mit vielen Eindrücken durch das Kampfgebiet“80 machen. Im Laufe der dann folgenden Tage unternahm der VAA verschiedene Erkundungsfahrten mit dem Ic und kümmerte sich darum, mit aktuellem Propagandamaterial versorgt zu werden, unter anderem mit PropagandaMinen für die PK 670.81 Bei einer Fahrt zu verschiedenen Schauplätzen des Ersten Weltkrieges habe er in alten Unterständen, die nun wieder genutzt 79 80
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Bericht Nr. 4 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 18.05.1940, PA AA, R 60703. Entnahmen aus: Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic(AO v. 24.05.1940, PA AA, R 60703. Immer wieder erwähnt Bossi im laufenden Feldzug, Fotos mit einer Kamera festgehalten zu haben, so auch in einem Bericht aus Hirson. Doch in den Akten des PA AA sind diese nicht mehr auffindbar. Ob BF tatsächlich Gelegenheit hatte, eine Fahrt mit Ribbentrop zu absolvieren, ist nicht bekannt. Er berichtete später nicht mehr davon. Die Berichte, die der VAA nach Berlin schickte, diktierte er dabei oftmals nur. Sein Schreiber sei ein „orthografisches Monstrum“, weshalb BF „immer wie ein Schulmeister“ habe korrigieren müssen. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 25.05.1940, PA AA, R 60703. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 30.05.1940, BArch RH 20-2/998. 30.05.1940, Erkundungsfahrt mit dem Ic: Bosmont, La Neuville Bosmont, Cuisieux, Pierrepent, Ne De de Liesse, Coury les Eppes, Festieux, Arsanay, St. Thomas, Sésonnie, Nizy de Comte, Sévigny, Hannogne, Laon, Marle, Busigny. Siehe zu den Propaganda-Minen BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 02.06.1940, PA AA, R 60703. Die PK 670 produzierte für den Bereich der 2. Armee später zwei deutschsprachige Zeitungen mit einer Auflage von 73.000 und eine russischsprachige mit 32.000 Exemplaren. Barkhausen (1982), S. 232.
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wurden, sogar Knochenteile Gefallener entdeckt.82 Er ging nun auch immer häufiger mit den angreifenden Soldaten vor, um Material sicherzustellen.83 Dabei kam es auch vor, dass er das unmittelbare Geschehen in seine Berichte einfließen ließ: „Ich muss unterbrechen--- Fliegerangriff! – Der Spaß hat nur ganz kurz gedauert“84. Sein Auto diente ihm dabei als mobiler Schreibtisch. Dem AA gab er Anfang Juni 1940 eine kurze Zwischenbilanz, die auch zeigt, dass er sich an seinem Platz wohl fühlte: Persönlich geht es uns gut. Ich selber bin VAA und Offizier zugleich, was mir manchen Einblick gewährt, besonders, da ich das Kriegstagebuch des IC mitschreibe. So bin ich in Allem immer auf dem Laufenden […]. Da ich auch als Ordonnanzoffizier aushelfe (es muss ja jeder helfen, damit der Laden klappt und das tut auch jeder gerne!) kann ich sehr viel Wertvolles für die VAA-Berichte aus dem Militärischen auswerten […]. Unsere Prop.Komp. ist gut. […] Wir sind alle guten Mutes, trotz manchen ernsten Tages, aber dann gerade erst recht!85
Schon wenige Tage später standen die Truppen vor Reims.86 Bossi war sich inzwischen sicher, dass der Feldzug nicht mehr „schiefgehen“ könne: „Es ist ein Dröhnen, Heulen und Krachen, das die ganze grandiose Musik des Krieges ausprägt“87. Der Bericht vor Reims ist ein Loblied auf die Leistung der Wehrmacht, zeigt Bossis Kriegseuphorie und seine Identifizierung mit den 82
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Bericht Nr. 14 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.06.1940, PA AA, R 60703. Von dieser Erkundungstour ist auch im KTB Abt. Ic/AO AOK 2 v. 05.06.1940 zu lesen, siehe BArch RH 20-2/998. Dieses Gebiet um den ‚Chemin des Dames‘ war auch für andere Kriegsberichter wichtig: „Und wieder stürmten deutsche Soldaten über den Chemin des Dames, 23 Jahre später. Größer und unvermittelter spürte ich noch nie den Zusammenhang zwischen dem Großen Krieg und der Entscheidungsschlacht, in der wir jetzt stehen […]. „Am Chemin des Dames … PK.-Bericht von Kriegsberichter K.G. v. Stackelberg“, PK 666, v. 13.06.1940, BArch RH 24-3/31, Bl. 46. Karl-Georg von Stackelberg (1913-1980) war nach 1945 erfolgreicher Meinungsforscher und gründete 1945 das Institut ‚Emnid‘. Neun Texte des Schriftstellers und Propagandisten wurden nach Kriegsende auf die ‚Liste der auszusondernden Literatur‘ in der sowjetischen Besatzungszone gesetzt. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 07.06.1940, PA AA, R 60703. Das AOK 2 wurde in diesen Tagen von Amerois über Signy le Petite und Busigny nach Bosmont vorverlegt. Bericht Nr. 19 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 11.06.1940, PA AA, R 60702. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 07.06.1940, PA AA, R 60703. Bericht Nr. 17 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.06.1940, PA AA, R 60703. Auch andere Einheiten, und mit ihnen Kriegsberichter, machten sich auf den Weg nach Reims: „Um Reims, die Stadt der Krönungen und der Jeanne d’Arc, zu halten, rafft der Gegner noch einmal alles zusammen. Doch mit jeder Stunde wächst die Kraft unseres Einsatzes“. „Und wieder Rückzug und Flucht. Kein Poilu mehr an der mittleren Aisne […]“. Kriegsbericht Uffz. Wilhelm Fr. Droste, PK 666, v. 14.06.1940, BArch RH 24-3/31, Bl. 30ff. Entnahmen aus: Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.06.1940, PA AA, R 60702.
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„kriegerischen Tugenden der Wehrmacht“88. Es sei ein „ganz eigenes Gefühl“ gewesen, als „mitten im Dröhnen der Batterien […] das Deutschlandlied und Horst Wessellied [sic!]“89 im Radio erklang. Gefechtsbeschreibungen wechseln sich mit denen romantischer Abendstimmungen an Frankreichs Flüssen ab. Das Land könne den Angriffen aber keine „gleiche gesunde Volkskraft“ entgegensetzen. Als er einigen kriegsgefangenen Franzosen begegnet, entdeckt er darunter auch volksdeutsche Elsässer. Sofort ist ihm klar, dass sie „die geistige Führung ihrer franz. Kameraden“90 zu haben scheinen. Tatsächlich setzte Bossi seinen Plan in die Tat um, betrat mit einer kleinen Einheit von 13 Soldaten das weiträumig umgangene Reims und erlebte hier seine erste unmittelbare Feindberührung, gemeinsam mit dem hinzugeeilten PK-Leutnant Günther Heysing, „Berichterstatter des Oberbefehlshabers des Heeres (Berichterstatter-Sonderstaffel O.B.d.H.)“91. Doch Heysing fuhr mit seinem Fahrrad offenbar zu weit allein vor und wurde beschossen, woraufhin Bossi mit einigen Soldaten hinterhereilte. In einem Hauseingang entdeckten sie französische Soldaten, beschossen und bewarfen sie mit Handgranaten. 88 89 90 91
Römer (2011), S. 81. Bericht Nr. 19 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 11.06.1940, PA AA, R 60702. Entnahmen aus: Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.06.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.06.1940, PA AA, R 60702. Heysing (1911-?) verarbeitete seine Erlebnisse unter anderem in Sturmangriff. So kämpfte der deutsche Infanterist von 1940 (1942) und trat nach 1945 als Verleger und PK-Veteran ins Licht der Öffentlichkeit. Als Alleinverleger gab er Die Wildente heraus, ein Blatt zur Unterhaltung ehemaliger PK-Soldaten, in dem er revisionistische bis antikommunistische und verklärende Artikel präsentierte. Seine Berichter-Fähigkeiten wurden nach dem Ende des Nazi-Regimes weiter intensiv in Anspruch genommen. Vgl. auch Brüdigam (1965), S. 182. Beiträger zu Heysings Wildente waren mitunter ehemalige Propagandisten, darunter Ernst Jünger und Henri Nannen. „Kriegsberichter. Hoch die Löffel“. (ohne Verf.) In: DER SPIEGEL 25 (1965) v. 16.06.1965, S. 70ff., Sommer, Theo: „Und es gab doch Dossiers. Gehlens große Unwahrheit – Eine Akte widerlegt den General“. In: DIE ZEIT v. 22.11.1974, http://www.zeit.de/1974/48/und-es-gab-doch-dossiers [Zugriff: 27.10.2015] sowie Schueler, Hans: „Straußens dunkle Quellen“. In: DIE ZEIT v. 21.02.1975, http://www. zeit.de/1975/09/straussens-dunkle-quellen [Zugriff: 27.10.2015]. Besonders spannend wird es, wenn es um Heysings Tätigkeit als ‚Agent 12619‘ für die Organisation Gehlen geht, den BND-Vorgänger unter Leitung des ehemaligen Chefs der Abteilung Fremde Heere Ost, Reinhard Gehlen. Heysing war zwischen 1959 und 1973 für den Geheimdienst tätig und spionierte unter anderem bei der ZEIT in Hamburg. Er fertigte insgesamt mehr als 2.000 Berichte, vor allem Auftragsarbeiten, über Personen und Medien der deutschen Öffentlichkeit an. Als die Eschenburg-Kommission 1974 ihre Untersuchungsergebnisse zur Guillaume-Affäre vorlegte, wurde dabei auch durch Heysings Berichte bekannt, dass die Organisation Gehlen offenbar über ihren Auftrag hinaus im Inland spioniert hatte. Siehe zu der kleinen Einheit, die Reims betrat, auch Tätigkeitsbericht des Ic/AO v. 14.03.1940, BArch RH 20-2/997, S. 28.
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„Kurzes Feuergefecht. Franzosen ziehen sich durchs Hinterhaus zurück“92. Schnell besetzten die Männer daraufhin das Rathaus. Am nächsten Tag traf das Wachbataillon ein. Die Fahne auf dem Rathaus von Reims von der Präfektur wurde auf Befehl des General Schmidt-Lange dem V.A.A. überlassen, da der Trupp CurdesV.A.A. das Recht erworben hatte, die Besetzung von Reims für sich in Anspruch zu nehmen. Die Fahnen wurden dem Ic/A.O. des A.O.K. 2 übergeben.93
Die Gegend um Reims, so Bossi, habe einen „fast deutschen sauberen Anstrich“94 besessen. Aus Epernay konnte er vom Fund einer wertvollen Verleihungsurkunde des italienischen Kriegskreuzes an die Stadt für die Opfer der Kämpfe gegen die Deutschen im Ersten Weltkrieg berichten. Er nahm sie an sich und wollte sie dem Regimentskommandeur eines italienischen Bersaglieri-Regiments überreichen, das in Kürze in seiner Nähe eingesetzt werden sollte. „Allerdings ist es auch ein Treppenwitz, dass ausgerechnet der VAA, der Bersaglierioffizier war, dieses Dokument in dem verlassenen Rathaus aufgreifen muss“. Seit Reims bat Bossi das AA immer wieder, sich um die in den Orten zurückgebliebenen Kunstschätze zu kümmern, die vor den marodierenden Franzosen nicht sicher seien. Denn im Gegensatz zum sauberen und anständigen Wehrmachtssoldaten hätten die „alles geradezu schweinemässig durchwühlt“ und nicht einmal „Damendessus [sic!]“95 unberührt gelassen. Sowieso seien vor allem die französischen und englischen Plutokraten Schuld an der schlimmen Lage der Zivilbevölkerung. Der Eindruck der Front und der Kriegszerstörungen bewirkte bei Bossi eine zunehmende Missachtung der Franzosen, die anscheinend keinen Respekt vor Mensch und Tier, vor Eigentum und Unversehrtheit gehabt hätten, wie Tiere lebten und sich so auch verhielten. Bilder der Verwüstungen schickte der VAA direkt an Oberstleutnant von Wedel in der
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BF, Meldung v. 11.06.1940, 18:30 Uhr, PA AA, R 60702. Siehe auch Fernschreiben BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 13.06.1940, PA AA, R 60703. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.06.1940, PA AA, R 60702. Erst Ende 1942 bat Bossi das AA, ihm die „Trikolore, Beutestück aus dem Frankreichfeldzug“, auszuhändigen. Dort war sie jedoch nicht mehr auffindbar. Notiz für BF o. D., PA AA, R 60707, letztes Blatt der Akte. Bericht Nr. 22 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 16.06.1940, PA AA, R 60702. Seine Tour (offenbar von Reims aus) ging über Ay an der Marne, Mareuil, Epernay, Plivot, Chalons, Jalons-Conde nach Aulnay d’Aitre. Entnahmen aus: Ebd.
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Abteilung OKW/WPr. und bemühte sich, völkerrechtswidriges Verhalten der Franzosen auftragsgemäß zu dokumentieren.96 Während des Vormarsches gelang es der 2. Armee auch, einen kriegsgefangenen deutschen Leutnant zu befreien. Der berichtete, die Franzosen beschuldigten die Deutschen, „brutal einen großen Teil der Welt beherrschen zu wollen“. Außerdem seien sie davon überzeugt, die „deutsche Literatur sei im Augenblick arm an schöpferischen Kräften“97. Schriftsteller Bossi notierte das ohne weiteren Kommentar. Das AOK 2 war bis Mitte Juni 1940 von Troyes über Saint-Florentin, Auxerre und Clamency nach La Charité vorverlegt worden. Bossi hatte inzwischen so viel erlebt, dass „die Berichte für den angesammelten Stoff“98 nicht mehr ausreichten. Am 20. Juni meldete er außerdem, für seinen Einsatz in Reims das Eiserne Kreuz II. Klasse erhalten zu haben. Nur einen Tag später gelang es ihm, bei La Charité einen mit französischen Geheimakten gefüllten Eisenbahnwaggon zu finden und das Material, das die „ganzen militärischen und außenpolitischen Vorbereitungen der Westmächte für diesen Krieg“ beinhaltet habe, zu konfiszieren. Es hätten sich „belastende Nachweise ihrer Kriegsabsichten“99 96 97 98 99
Bericht Nr. 23 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 17.06.1940, PA AA, R 60702 u. Bericht Nr. 24 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 18.06.1940, ebd. Protokoll des Leutnants Dr. Bornscheuer v. 18.06.1940, PA AA, R 60702. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 20.06.1940, PA AA, R 60702. Entnahmen aus: Bericht Nr. 26 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 21.06.1940, PA AA, R 60702. Die Männer, die diesen Fund gemacht hatten, Major Irkens, Major Kaffke (Abwehroffizier) und Dr. Neinhaus (Rittmeister d.R. u. Oberbürgermeister von Heidelberg), außerdem vier weitere Offiziere, hatten Auszeichnungen dafür erhalten, jedoch keine formale Anerkennung durch das AA. BF schlug daraufhin vor, ihnen ein von Ribbentrop unterzeichnetes Schriftstück als Ausdruck der Anerkennung zu schicken. BF an Gesandter Altenburg, persönlicher Referent des RAM, v. 23.01.1941, PA AA, R 60704. Josias von Rantzau (1903-1950) schrieb BF: „Neben den Verdiensten dieser Offiziere spräche hierfür auch die Überlegung, dass zweifellos durch die Absendung dieser Dankschreiben LR. Graf Bossi seine Stellung beim AOK weiter verbessern könnte“. Rantzau, Inf. Abt. AA, an SS-Oberführer Stahlecker u. Gesandter Altenburg, persönlicher Referent des RAM, v. 04.02.1941, PA AA, R 60704. Rantzau hatte Jura und Staatswissenschaften studiert und war 1928 in den Auswärtigen Dienst eingetreten. Ab dem 07.06.1940 arbeitete er als Leiter des Referats II (Frontpropaganda und Nachrichtendienst) in der Informationsabteilung des AA. Er war maßgeblich für die Betreuung der VAAs bei den AOKs zuständig. 1940 hatte Rantzau dem späteren Widerständler Adam von Trott zu Solz eine Position als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Inf. Abt. verschafft. Auch mit dem Widerständler Hans Bernd von Haeften war er gut bekannt (siehe dazu Krusenstjern (2013), S. 171 u. Brakelmann (2013), S. 151ff. Zu Haeften siehe Keipert/Grupp (2000), S. 160f. Im April 1943 wurde Rantzau nach Bukarest versetzt. Hier lernte er den britischen Schriftsteller Patrick Leigh Fermor (1915-2011) kennen, den er bei sich wohnen ließ. Nach
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gefunden. Die Deutschen wurden nicht müde, Material zur eigenen Entlastung zu sammeln. Die Unterlagen gingen per Sonderflug zum OKH, Abteilung Fremde Heere. Am 22. Juni 1940 schließlich wurde im Eisenbahnwaggon von Compiègne der Waffenstillstand unterzeichnet.100 Bei Beendigung des Westfeldzuges blieb Bossi zunächst als VAA bei seinem AOK. Für die militärischen Kommandobehörden gab es auch in den Tagen unmittelbar danach genügend Aufgaben zu erfüllen, beispielsweise die Koordination des zurückebbenden Flüchtlingsstroms gen Frankreichs Norden. Bossi wies in seinen Berichten auf die angebliche französische Verantwortungslosigkeit hin, diese Ströme erst ausgelöst zu haben; dass Deutschland Frankreich angegriffen hatte, erwähnte er nicht. Im Gegenteil: Er schrieb, die Deutschen sorgten nun dafür, dass die Flüchtlinge zumindest Brot hätten: Diese Unterstützung der armen Bevölkerung, die kopflos nach Süden gejagt wurde von seiten [sic!] der deutschen Armee bedeutet einen neuen Ehrenpunkt deutscher Großzügigkeit, wenn man an die Absicht derjenigen denkt, die diese Flüchtlingsströme verschuldet haben und die die deutschen Frauen und Kinder verhungern lassen wollten.101
Bei einer Siegesansprache des Ic, Major Irkens, sinnierte Bossi in einem Hochgefühl über die Heimat, die vor der „Gefahr im Westen“ behütet worden wäre, und vom „Führer, dem wir alles verdanken“. Diensteifrig setzte er sich auch mit deutschen Emigranten auseinander, die in Frankreich aufgegriffen wurden. Er besaß offenbar keine Bedenken, diese Menschen den deutschen polizeilichen Behörden auszuliefern: Unsere Feldpolizei hat in unserem Gebiete inzwischen auch gute Funde getan. Eine Liste von 200 deutschen Emigranten, die zum Teil von den franz. Politikern recht nett beleuchtet sind, gaben reiche Aufschlüsse über die Tätigkeit dieser Herren. […] Von den Deutschen könnte ich noch bemerken, daß sich unter den Personen, deren Identitätskarten gefunden wurden, etliche steckbrieflich verfolgte Genossen befanden. Das Material geht der zuständigen STAPO-Stelle zu.102
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Fermors Erinnerung war Rantzau seinerzeit „deeply troubled by the rise of Nazism“ (Cooper (2012), S. 87). Das würde zu seinem Kontakt zu bekannten Widerständlern passen. Von Bukarest aus gelangte Rantzau 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft, in der er vermutlich 1950 verstarb. Keipert/Grupp (2000), S. 570f. Siehe dazu auch Abetz (1951), S. 124. Mitte Juli begleitete BF Irkens zu einer SchlachtfeldReise mit dem bulgarischen General Schekoff. Dabei sahen sie sich auch Compiègne an. Bericht Nr. 31 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 20.07.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 27 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.06.1940, PA AA, R 60702. Entnahmen aus: Bericht Nr. 28 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 25.06.1940, PA AA, R 60702.
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Bei seinen neuen Aufgaben kam es außerdem vor, dass Bossi interessante Kontrakte unterbreitet wurden, so vom ehemaligen französischen Premierminister Flandin, dem man zu verstehen gegeben habe, „von seinem Angebot Gebrauch“103 zu machen. Um welches es sich dabei konkret handelte, ist nicht bekannt. Anfang Juli 1940 erhielt der Südtiroler Gelegenheit, eine Reise zum AA nach Berlin zu unternehmen. Von der Rückfahrt über das Rheinland, Holland und Belgien zurück nach Paris notierte er, dass eine einflussreiche frankophile Bevölkerungsschicht langsam wieder Fuß in Belgien fasste. „Der Kampf gegen diese Schicht muß von unserer Seite brutal und rücksichtlos durchgeführt werden“104. Auch in Frankreich hetze eine deutschfeindliche Schicht die eigentlich gutgläubige Bevölkerung immer wieder auf. Etwa zur gleichen Zeit datiert Bossis erster (nachweisbarer) Kontakt zu Otto Abetz, den Hitler zum politischen Berater des Militärbefehlshabers Frankreich und im August 1940 zum deutschen Botschafter in Paris ernannt hatte.105 Abetz baute sich schnell ein Netz mit Kontakten zu allen wichtigen deutschen Dienststellen auf, auch zu den AOKs. Bezüglich außenpolitischer Belange fand er in Bossi auch einen direkten AA-Ansprechpartner im AOK 2. Zunächst tauschten sie sich vor allem über Materialzuteilungen im Umfeld der Waffenstillstandsverhandlungen aus.106 Daneben stellte Bossi in Paris Kontakt zu General Ferdinand Schörner her. Beide scheinen sich schon zuvor gekannt zu haben, möglicherweise bereits aus dem Ersten Weltkrieg, als Schörner an der Dolomitenfront diente, oder aus Innsbruck im März/April 1938, als der dort mit seinen Gebirgseinheiten einrückte oder aber durch Bossis frühere Stellung als Ordonanzoffizier eines
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Bericht Nr. 29 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 26.06.1940, PA AA, R 60702. PierreEtienne Flandin (1889-1958) war 1934-35 Premierminister und 1940-1941, bereits im Vichy-Regime, Außenminister Frankreichs. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand er wegen Kollaboration mit den Deutschen vor Gericht, wurde jedoch freigesprochen. http://www. bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/10a/adr/adrag/kap1_6/para2_75.html [Zugriff: 15.03.2016]. Bericht Nr. 30 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 16.07.1940, PA AA, R 60702. Otto Abetz (1903-1958), zunächst Zeichen- und Biologielehrer in Karlsruhe, trat 1931 der NSDAP bei und wurde 1934 Frankreich-Referent der Reichsjugendführung. Ab 1935 arbeitete er in der Dienststelle Ribbentrop. Im August 1940 wurde er zum Deutschen Botschafter in Paris ernannt. Abetz war führend und zu weiten Teilen in die Deportation der französischen Juden verstrickt. 1949 wurde er in Paris zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 1954 jedoch schon entlassen. Er starb 1958 bei einem Autounfall. Klee (2015), S. 9 u. siehe auch Rahn (1949), S. 145. Kramarz, Abt. Pol I M AA, an Abetz v. 20.07.1940, PA AA, R 60702.
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Gebirgsregiments.107 Anscheinend hatten sich beide über eine Zusammenarbeit ausgetauscht: Lieber Graf Bossi! Eben in Fahrt in ‚anderer‘ Richtung, wohin können Sie sich denken, erhalte ich Ihre lieben Zeilen. Sollten Sie Anschluß an meine Division finden – es bräuchte nur einer rechtmäßigen Überweisung durch die zuständigen Dienststellen – so biete ich Ihnen hiermit ausdrücklich die Stellung eines 1. Ord.-Offizier oder Dolmetschers bei der 6. Gebirgsdivision an. In begreiflicher Eile einstweilen mit allen guten Wünschen und Grüßen, Heil Hitler, stets Ihr Schörner.108
Es ist anzunehmen, dass Schörner dieses Angebot kaum persönlich unterbreitet hätte, wenn sich beide nicht schon eine Weile gekannt hätten. Bossi dachte intensiv über darüber nach: Mein alter Freund Schörner, der Erstürmer des Monte Matajur zusammen mit Rommel, der bisher Kommandeur des Geb.Jäg.Regts. 98 war und jene berühmt gewordene Polenjagd nach Lemberg durchführte, macht mir heute ein sehr verlockendes Angebot. Vielleicht wäre es nicht uninteressant, wenn ich auch als V.A.A., falls meine Armee weiter Besatzungsarmee bleibt, was zu erwarten ist, beurlaubt werde und einstweilen, bei der 6. Geb. Div. (es ist dies die 2. Tiroler Division!) Dienst tue. Ich würde auch von dort gerne für das A.A. meine Berichte machen. Nur das Herumsitzen und den Frieden der Stäbe genießen, ist nicht unbedingt während des Krieges ausfüllend.
Bossi wurde es als VAA in den Wochen nach dem Sieg über Frankreich offenbar schnell langweilig, man erlebe eine „recht faule Zeit“. Es verlangte ihn nach neuen Aufgaben, möglicherweise auch danach, sich weiter beweisen zu können und nicht als ‚Etappenhengst‘ zu gelten. Der Dienst als VAA sei inzwischen „ziemlich nebengeleisig [sic!]“. Er bat darum, ihn bei neuen Kriegsaufgaben nicht zu vergessen, würde auch „Zaungast z.B. nach Gibraltar“109 gehen. Stab und Etappe wirkten schon in etlichen rechten Frontromanen der Weimarer 107
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Im Juli 1941 schrieb BF, er habe am Korpsgefechtsstand den kommandierenden General und seinen Stab getroffen, „alles Herren, die mich zufälligerweise aus Bayern und aus der Ostmark kannten, was zur Folge hatte, dass ich recht herzlich aufgenommen wurde […]“. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704. Solcherart könnte auch die Bekanntschaft und Begegnung mit Schörner gewesen sein. Schörner an BF v. 22.07.1940, PA AA, R 60702. Entnahmen aus: BF an Habicht, AA, v. 31.07.1940, PA AA, R 60702. Nach Beginn des Balkanfeldzuges im Frühjahr 1941 schrieb ihm Rantzau aus dem AA: „Ihre Befürchtung, nichts Interessantes mehr zu erleben, der Sie in Ihrem letzten Brief an mich Ausdruck gaben, ist ja, wie aus Ihrer Berichterstattung hervorgeht, nicht eingetroffen“. Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 01.08.1941, PA AA, R 60704.
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Republik und der NS-Zeit als „Negativklischees“. Von den dort eingesetzten Soldaten hob sich der „männliche Aktionismus der Front umso deutlicher“ ab, denn hinter der Front arbeiteten nur die „ängstlichen Naturen“110. Diese Stereotype hatte Bossi, der seine Erfüllung im Fronteinsatz gekommen sah, offenbar verinnerlicht. Als Besatzungssoldat in der französischen Hauptstadt knüpfte er immer wieder Kontakt zu den Einheimischen. Mehrfach berichtete er in diesem Zusammenhang vom angeblichen Antisemitismus der Franzosen, habe mehrfach gehört, dass die „jüdische Propaganda und die Freimaurer“111 Schuld am Krieg seien. Außerdem habe ein französischer Reserveoffizier geäußert, die deutschen Waffen hätten es nun erst ermöglicht, dass Frankreich sich frei machen könne von „dem ganzen Geschmeiße der Judenschaft und der Interessenpolitiker“112. Von Paris aus ergaben sich mehrfach Gelegenheiten, Erkundungsfahrten bis an die Demarkationslinie zu unternehmen.113 Auch hier begegneten ihm wieder einige Elsässer. Der Übergang zwischen besetzter und unbesetzter Zone sei zwar gesperrt gewesen, doch Bossi, „in Volkstumsfragen etwas versiert“, stellte fest, dass auch „gesunde, deutschstämmige elsässische Bauernburschen, die kaum französisch können und aus dem franz. Heeresdienst entlassen wurden“, nicht passieren konnten, während „mickrige und durchaus rassenmäßig nicht einwandfreie Angehörige der belgischen Intelligenzschicht“114 die Linie überschreiten durften. Auf ihn sei ein Trupp junger französischer Soldaten am Grenzübergang zumarschiert: Sie kamen lachend und fröhlich. Als man ihnen aber bedeutete, daß sie anhalten müßten, um ihre Papiere kontrollieren zu lassen, riefen sie sofort im unverfälschten elsässer [sic!] Dialekt: ‚Wir sind Elsässer‘! Daraufhin bedeutete ihnen ein Unteroffizier, daß sie als Elsäßer nicht durchgelassen würden. Da riefen sie ungläubig: ‚Aber wir haben Ihnen doch gerade gesagt, daß wir Elsässer sind!‘ Und auf die Antwort, daß eben gerade Elsässer nicht durch dürften, rief ein großer blonder Bursche: ‚Wir sind doch Deutsche!!‘
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Entnahmen aus: Prümm (1976), S. 151. Bericht Nr. 29 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 26.06.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 32 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1940, PA AA, R 60702. Am 26.07.1940 berichtete er beispielsweise von einer Fahrt von Livry bei Paris über Moulins, Bourges, Melun, Sens, Joigny, Auxerre, Clamecy, Brinon, St. Saulge, La Machine, Decize nach Moulins. Bericht Nr. 33 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 26.07.1940, PA AA, R 60702. Entnahmen aus: Bericht Nr. 33 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 26.07.1940, PA AA, R 60702.
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Daraufhin hätten sich die jungen Männer zurückgezogen. Mit „niedergeschlagenen Mienen“ sahen „diese jungen deutschen Bauernburschen zu den deutschen Soldaten“ herüber. Ich sehe sie noch vor mir, alles große starke Gestalten, mit blondem Haar und offenen, gutmütigen Gesichtern. […] Unwillkürlich kam mir der Gedanke auf, daß man mit dieser Jugend schon etwas anfangen könnte, wenn man sie in der Heimat richtig anfäßt und sie gesinnungsmäßig lenkt. Ist doch der deutsche Kern unverfälscht vorhanden. […] Ich glaube nicht, daß wir viel überflüssiges deutsches Volkstum haben, daß wir es uns erlauben könnten, auf wirklich wertvolle Teile des deutschen elsässischen Bauerntums zu verzichten.
Man könne sehr genau unterscheiden, „wer aus seinem gesunden deutschen Volkstum heraus deutscher Bauer aus dem Elsaß ist und wer jetzt plötzlich sein Herz als Deutscher entdeckt hat“. Deshalb schlug Bossi vor, eine VolkstumsDienststelle zu errichten, in der man „gutes Siedlermaterial von den Zweckdeutschen absieben [sic!]“ könnte. Mit diesen Betrügern müsse man, so der VAA, „vollkommen berechtigt, kurzen Prozeß“ machen. In diesem Bericht von Ende Juli 1940 postulierte Bossi offen eine rasseideologische Trennung zwischen blonden, großen, starken elsässischen Volksdeutschen und minderwertigen, ‚mickrigen‘ Belgiern (und auch Franzosen) – zudem noch solche, die der sogenannten Intelligenzschicht, einer von der NS-Führung und -Propaganda verhassten Gruppe, angehörten. Es sei schwer, so Bossi in biologistischem Duktus, das französische Volk wieder zu einen „und einer gesunden Entwicklung zuzuführen. Hier ist der Kern angefault und der allmähliche Verfall erkennbar“115. Das Determinans ‚Bauer‘ will die angeblich besondere Stärke, Naturverbundenheit und Gesundheit der Männer hervorheben und verschmilzt hier mit dem Verständnis dessen, wer Deutscher sein soll. Wer die Privilegien dieser Gruppe unberechtigt genießen will, und dabei erwischt wird, für den forderte Bossi kurzen Prozess, sprich den Tod. Anfang August 1940 berichtete der VAA in einem 17-seitigen Schreiben von einer über 2.000 Kilometer langen Reise durch Frankreich und Nordspanien. Aus Bordeaux schilderte er die vorbildliche Organisation durch die deutschen Truppen: Allein Standorte von 31 Bordellen für alle Dienstgrade bis zum Feldwebel inklusive der Öffnungszeiten wurden auf der Rückseite der Aufenthaltsbestätigung angezeigt, die man beim Betreten der Stadt bekam. Außerdem erhielten die Soldaten „anregende Anweisungen über die Handhebung der 115
Entnahmen aus: Bericht Nr. 33 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 26.07.1940, PA AA, R 60702.
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notwendigen Schutzmittel. Man sieht, die deutsche Ordnung treibt sogar in Südfrankreich vorbildliche Blüten!“ In Biarritz, an der Atlantikküste, schwelgte Bossi eines Abends in seinen Eindrücken: Sitzt man jedoch spät abends am Balkon seines Hotelzimmers und blickt auf die See hinaus, so packt es einen doch, wenn man den ostpreußischen Trompeter […] den Zapfenstreich blasen hört und man sich dabei vergegenwärtigt, daß es nur einmal in der deutschen Geschichte eine Zeit gegeben hat, wo deutsche Reiter an den Pyrenäen standen und kämpften. Die ganze Größe des deutschen Geschehens von heute wird in solchen Augenblicken in einem wach.
Zwar war der Grenzübertritt nach Spanien nicht jedem erlaubt, doch der VAA und seine Begleiter fuhren hinüber und nahmen bei St. Sebastian ein Bad im Meer – und fanden sich plötzlich „zwischen Spaniern, Franzosen, Engländern und Amerikanern“ wieder. Auch französische Juden, die emigriert waren, fehlten durchaus nicht. Als wir dann später im Continental aßen, hatten wir uns in eine Hochburg Israels begeben. Man sah allerdings auch ebensoviele [sic!] Arier, darunter auch einige spaniendeutsche Badegäste. Die Judenschaft betrachtete uns mit einer gewissen Scheu und ging uns merklich aus dem Wege.
Über die Spanier hatte der VAA nur zu berichten, dass diese bis zu einem gewissen Grade immer „schmutzig und primitiv“ blieben. Die spanischen Soldaten setzten sich aber immerhin „aus gutem Menschenmaterial“116 zusammen. Ende August befasste sich Bossi intensiv mit seiner geplanten Versetzung. Rantzau teilte ihm mit, das OKW habe zugestimmt, er könnte mit einer „kurzfristigen Versetzung rechnen“117. Gleichzeitig gab er dem AA zu verstehen, dass sein Dienstwagen dringend repariert werden musste. Nur fünf Tage später verunglückte sein Fahrer, NSKK-Mann Geier, mit diesem Wagen auf einer
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Bericht Nr. 34 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.08.1940, PA AA, R 60702. Die Reise führte von Livry bei Paris aus bis an die spanisch-französische Grenze: Livry-OrléansTours-Poitiers-Angouleme-Bordeaux [hier kam er beim AOK 7 unter, Fernschreiben Abt. Ic/AO, AOK 2, an Abt. Ic/AO, AOK 7, v. 31.07.1940, BArch RH 20-2/1042]-BayonneBiarritz-Errenteria-San Sebastian-Bilbao-Pamplona-Vitoria-St. Jean de Luz, Royan, La Rochelle-Saumur-Tours-Orléans-Livry Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 24.08.1940, PA AA, R 60702.
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Kurierfahrt von der Deutschen Botschaft Paris zum AOK tödlich.118 Der Unfall beschäftigte Bossi offenbar noch lange: Im November des Jahres berichtete er von der Grabpflege in Livry. Im Frühjahr 1942 unterstützte er die Mutter Geiers dabei, dass dessen Bruder nicht mehr an der Front eingesetzt wurde.119 Er schien sich der Familie und dem Andenken Geiers, seines Mitarbeiters, persönlich verpflichtet gefühlt zu haben. Im August 1940 hatte Bossi offenbar begonnen (da sich die Versetzung über das OKW doch nicht ergab) zunächst den Militärbefehlshaber Frankreich (zu Beginn noch als ‚Chef der Militärverwaltung in Frankreich‘ firmierend), später dann auch die Deutsche Botschaft in Paris mit seiner Arbeitskraft zu unterstützen. In beiden Behörden begann Mitte August 1940 auch Rudolf Rahn als zweiter Botschaftsrat und Propagandaleiter des Militärbefehlshabers – und ab November 1940 in gleicher Funktion auch in der Botschaft.120 Ihn unterstützte Bossi fortan vorübergehend als Referatsleiter „Theater, Konzerte, Varieté“121 in Abetz’ Dienststelle. Die Verbindung zu Rahn wurde für ihn zu einer der wichtigsten der gesamten Kriegszeit. Auf beinahe allen Schauplätzen sollten sie sich noch wiedersehen. Die Deutsche Botschaft Paris lud für den Abend des 3. September 1940 zu einem Abendessen anlässlich des Besuches Generalfeldmarschalls von Brauchitsch ein. In dessen militärischer Entourage befand sich auch der Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Halder, mit seinem Adjutanten 118
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Das Fahrzeug wurde vollkommen zerstört, „da von LKW gerammt und geschleift“. Das AA stiftete einen Kranz zur Beerdigung und kümmerte sich um einen Fahrzeugersatz. „Wagen war bisher Leg. Sekr. von Künsberg zugeteilt. Künsberg hat sein Einverständnis gegeben, dass sie ihn von jetzt an benutzen“. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 03.09.1940, PA AA, R 60702, Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 04.09.1940, ebd. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 14.02.1942, PA AA, R 60705 u. Notiz für BF bez. Grabpflege E. Geyer v. 05.11.1940, PA AA, R 60709. Rahn (1949), S. 144. Siehe auch Klee (2015), S. 477 u. „Entstehungsgeschichte der Dienststelle“, Akten der Abt. IVa (Intendant) des Militärbefehlshabers Frankreich, BArch RW 35/94. Rudolf Rahn (1900-1975) war ein aus Ulm stammender, promovierter Staatswissenschaftler, der 1928 als Attaché dem Auswärtigen Dienst und 1933 der NSDAP beitrat. Im Mai 1939 wurde er stellvertretender Leiter der Informationsabteilung im AA. Ab 1942 arbeitete er kurzzeitig in Tunis, ab August 1943 als Gesandter in Italien. Von 1945 bis 1947 war er interniert. Später arbeitete er als Geschäftsführer bei Coca-Cola in Essen. Klee (2015), S. 477, Keipert/Grupp (2000), S. 557ff., Abetz (1951), S. 151 u. Klinkhammer (1991), S. 144. „Arbeitsverteilungsplan der Dienststelle des Bevollmächtigten des Auswärtigen Amts beim Militärbefehlshaber in Frankreich“ v. 01.10.1940, PA AA, Paris 1377. Vgl. Rantzau, Inf. Abt. AA, an Gesandtschaftsrat Krümmer v. 16.10.1940, PA AA, R 60702. Siehe auch Engel (2003), S. 124.
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Major Reinhard Gehlen, dem späteren Chef der Abteilung ‚Fremde Heere Ost‘. Neben Abetz nahmen aus den Reihen der Botschaft auch Rahn und „Leg. Rat Graf Bossy-Fedrigotto“122 teil, der, zwar zeremoniell-protokollarisch am weitesten von der Mitte entfernt, jedoch von allen sichtbar, an der Stirnseite der großen Tafel saß. Das kulturelle Rahmenprogramm des Abends bildeten Tänze des Ballettcorps der Nationaloper Paris.123 Diese Zusammenkunft dürfte möglicherweise auch dazu gedient haben, um über aktuelle Anliegen zwischen Diplomaten, Militär und Militärverwaltung zu sprechen: Nur zwei Wochen zuvor, am 17. August, hatten Botschaft und Militärverwaltungsstab massive antisemitische Maßnahmen besprochen – noch bevor sich die SS vor Ort damit auseinandergesetzt hatte. Juden sollten das besetzte Gebiet nicht mehr betreten, ferner aus der Region vertrieben und enteignet werden.124 Hitler stimmte diesen Vorschlägen am 26. August zu, Brauchitsch Mitte September. Der Gesellschaftsabend mit ihm, Abetz, Gehlen und Bossi fand während der Abstimmungsphase über das weitere antijüdische Vorgehen statt.125 Diese Gelegenheit war nicht die einzige, bei der Bossi an erlauchten Gesellschaften teilnahm. Seine Position als Mitarbeiter Rahns dürfte ihn kaum auf die Gästeliste gebracht haben, vielmehr sein diplomatischer VAA-Dienstrang als Legationsrat und sein wohlklingender Grafentitel, der den erlesenen Runden möglicherweise einen gewissen Glanz verleihen sollte. Erstaunlich ist mithin, dass er auch einen Platz am Tisch einnahm, als Mitte September 1940 der italienische Kolonialminister mit großem Gefolge zu Besuch kam. Bis Kriegsbeginn hatten die NS-Dienststellen genau darauf geachtet, dass der Südtiroler Bossi nicht die Gelegenheit bekam, mit den Italienern in Kontakt zu geraten. Nun, nachdem er sich anscheinend längst mit den herrschenden 122
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Handschriftlich wurde BFs Nachname noch korrigiert. „Abendessen am Dienstag, dem [sic!] 3. September 1940“. PA AA, Paris 1101a. Wenige Blätter später findet sich die Sitzung für diesen Abend, die nur mit „Brauchitsch“ bezeichnet ist und den Platz jedes einzelnen Teilnehmers verzeichnet. Siehe Begleitprogramm des Abendessens. PA AA, Paris 1101a. Herbert (1995), S. 431f.: Die Verwaltung des „Militärbefehlshabers signalisierte […] die Bereitschaft zu scharfen antijüdischen Maßnahmen zu einem Zeitpunkt“, als weder die SS-Befehlshaber in Paris noch das RSHA in Berlin „irgendwelche Interventionen in diese Richtung unternommen“ hatten. Ebd., S. 432ff. Siehe besonders S. 434: „Der unterschiedlich stark ausgeprägte, teilweise scharfe, meist aber eher desinteressiert-traditionelle Antisemitismus der Konservativen kam hier mit der völkisch-radikalen Haltung, wie sie von den Mitarbeitern des BdS [Befehlshaber Sipo/SD] […] vertreten wurde, zur Deckung, weil man davon überzeugt war, mit den Juden auch die schärfsten Gegner der deutschen Besatzung zu treffen, so daß hier ‚Sicherheitsaspekte‘ und nicht ‚ideologische‘ Motive im Vordergrund zu stehen scheinen“.
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Verhältnissen (in Deutschland und Südtirol) abgefunden hatte, nach dem siegreichen Ende des Westfeldzuges und an einer gänzlich anderen Dienststelle, war es offenbar ohne Weiteres möglich, dass er sich als VAA mit einer großen italienischen Delegation zum Essen einfand, dort möglicherweise sogar als Übersetzer fungierte. Zwischen ihm und Botschafter Abetz saßen drei Italiener, außerdem, das zeigt die erhaltene Sitzordnung, „Reichsleiter General Ritter von Epp“126 und der Chef der Militärverwaltungsbezirks Paris, SS-Brigadeführer Harald Turner. Auch beim Besuch Baldur von Schirachs und Artur Axmanns am 12. November war er geladener Gast neben dem Militärbefehlshaber Frankreich General von Stülpnagel.127 Bossi erhielt in dieser vorübergehenden Verwendung vielfach Gelegenheit, mit wichtigen Militärs, Politikern und NS-Verantwortungsträgern nicht nur sprichwörtlich an einem Tisch zu sitzen, zu essen, sich zu unterhalten und sich kennenzulernen. Als sich die Angelegenheiten der 2. Armee als Besatzungsverband einigermaßen geregelt hatten, marschierte diese Mitte Oktober aus Frankreich ab. Das AOK 2 wurde nach Nürnberg verlegt. Da dort jedoch noch keine neuen Aufgaben für Bossi anfielen, bat er, vorübergehend vom OKW beurlaubt zu werden, um weiter in Paris arbeiten zu können. Graf Bossi hat in den letzten Monaten Herrn Vortragenden Legationsrat Rahn bei seiner Arbeit in Paris unterstützt. Sowohl V.L.R. Rahn wie Graf Bossi halten es für zweckmäßig, ihre gemeinsame Tätigkeit auch weiterhin fortzusetzen. Demgemäss darf vorgeschlagen werden, Graf Bossi auch nach der bevorstehenden Verlegung des A.O.K. 2 in Paris zu belassen.
Ihn zeitweilig in einem „deutschen Truppenkontingent in Afrika“ einzusetzen, wo er mit italienischen Soldaten hätte zusammenarbeiten müssen, kam, so Rantzau, wegen seiner „Südtiroler Abstammung und seiner bekannten Haltung in der Südtiroler Frage nicht in Betracht“128. Angesichts der Abendessen mit 126 127
128
„Abendessen Ital. Kolonialminister 12.9.40“. PA AA, Paris 1101a. „Abendessen für Reichsleiter von Schirach am Dienstag, dem [sic!] 12.11“. PA AA, Paris 1101a. Siehe auch Tischordnung v. 18.10.1940. PA AA, Paris 1101a. Am 31.10.1940 nahm BF nochmals an einem Essen mit Italienern teil, am 08.11.1940 mit dem spanischen Botschafter. Entnahmen aus: Rantzau, Inf. Abt. AA, an Gesandtschaftsrat Krümmer v. 16.10.1940, PA AA, R 60702. Siehe auch BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.10.1940, ebd., Gesandtschaftsrat Krümmer, AA, an Bevollmächtigten des AA beim Militärbefehlshaber in Frankreich v. 22.10.1940, ebd. u. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 29.04.1941, PA AA, R 60704. Im Oktober 1940 fand in Brüssel ein Treffen der VAAs statt. Ob BF hieran teilnahm, konnte nicht festgestellt werden. Fernschreiben Oberfeldwebel Klenert, Dienststelle VAA beim AOK 1, an Generalkonsul Dr. Lierau, Deutsche Botschaft Paris, v. 18.10.1940. PA AA, Paris 1293.
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italienischen Funktionsträgern zeigt diese Einschätzung erneut Bossis zwiespältigen Status. Anfang Dezember 1940 war inzwischen scheinbar geklärt, wie es mit der 2. Armee und damit auch dem VAA weitergehen sollte. Rantzau lud die Legationsräte Bossi, Hellenthal und Buscher zu einer VAA-Tagung in Berlin.129 Noch bevor Bossi seine Rückreise antreten konnte, wurde Rahn in Paris mitgeteilt, dass sein vorübergehender Referatsleiter dringend zu seinem AOK zurückzukehren habe.130 Den Ortswechsel nutzte Bossi, um einen dreiwöchigen Weihnachtsurlaub zu beantragen, denn er wollte sein „kleines, zweieinhalbjähriges Töchterchen gerne einmal zu Weihnachten erleben“131 und seine 79-jährige Mutter besuchen. Vom 21. Dezember 1940 bis zum 5. Januar 1941 verbrachte er mit seiner Familie die Feiertage.132 Das Jahr 1940 nutzte Bossi allerdings auch, um die von ihm anscheinend verinnerlichte Verschmelzung des kämpfenden Dichters und dichtenden Kämpfers mit Leben – oder besser gesagt Texten – zu füllen. Das Medium Buch blieb nach Beginn des Krieges wegen seiner „leichten Handlichkeit“ der wichtigste Träger, um die „geistige Haltung des deutschen Volkes in seiner Tiefe zu beeinflussen’“133. Schon mit seinem frühen Vorschlag an die RSK, seinen VAA-Posten und die Erlebnisse im frontnahen AOK für literarische Erzeugnisse der dichtenden Kameraden nutzen zu können, hatte er zu erkennen gegeben, möglicherweise auch selbst solche Publikationen veröffentlichen zu wollen. Tatsächlich standen Bossi nach dem siegreichen, überaus euphorisierenden Westfeldzug große Text- und Berichtbestände zur Verfügung. Schon der Ausgang des Feldzuges schien bestens dafür geeignet, ihn aus deutscher Sicht literarisch zu verarbeiten.134
129 130 131 132 133 134
In die Zeit ab Oktober 1940 fällt auch ein Schreiben auf Initiative Abetz’ an das AA, in dem er forderte, „ein ‚Kollektivausbürgerungsverfahren‘ für deutsche Juden im besetzten Frankreich einzuleiten“, eines der ersten Schreiben dieser Art überhaupt. Abetz war, während BF in dieser Dienststelle arbeitete, an der Vorbereitung der ersten Deportationen maßgeblich beteiligt. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 180, mit Verweis auf ein Schreiben Abetz’ an das AA v. 01.10.1940, PA AA, R 29588. Rantzau, Inf. Abt. AA, an Dienststelle des Bevollmächtigten des AA beim Militärbefehlshaber in Frankreich v. 27.11.1940, PA AA, R 60702. Gesandter Altenburg, persönlicher Referent des RAM, an Legationsrat Rahn, Deutsche Botschaft in Paris, v. 05.12.1940, PA AA, R 60702. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 06.12.1940, PA AA, R 60702. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 13.12.1940, PA AA, R 60702. Dokument auch in PA AA, R 60709 vorhanden. Barbian (2010), S. 371, zitiert hier O. V.: „Schrifttum und Buchhandel im Kriege“. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel v. 23.04.1940, S. 148-152. Siehe dazu auch Hartmann (2009), S. 101: Die aus dem Sieg in Frankreich mitgenommene Kriegseuphorie wirkte an mancher Stelle durchaus bis 1944/45.
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Die Anthologie Krieg und Dichtung. Soldaten werden Dichter – Dichter werden Soldaten (1940) des Österreichers Kurt Ziesel kam ihm da möglicherweise gerade recht. So wie die meisten Weltkriegsdichter mit den „besten Kräften der jungen deutschen Dichtung“ an der Front stünden, so „stehen sie auch in diesem Buche nebeneinander“135. Bossi beteiligte sich mit zwei Aufsätzen, „Das Heldenlied vom Col di Lana“, ein paraphrasierter und erweiterter Auszug aus seinem Kaiserjäger am Col di Lana (1934), und „Die alte Fahne“, der textgleich zusammen mit „Die Schauspielerin“ in einem kleinen Aufsatzband Die alte Fahne (1940, NS-Gauverlag Tirol und Vorarlberg, Reihe der ‚EdelweißBücher‘) erschien.136 Beide Erzählungen sind inhaltlich miteinander verknüpft, handeln von Erlebnissen eines Reserveleutnants zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und tragen starke autobiografische Züge. Protagonist Toni beschreibt aus der IchPerspektive den Weg aus seinem Heimatdorf bis zum Einsatz in der Wehrmacht. Er war der Jüngste in einer Gruppe von vier Freunden (Franz, Maxl, Karli und Toni, die „Oberdorf-‚Banda‘“ (5)), die stets eine sehr enge Verbindung zu „den Soldaten unserer Grenzgarnison“ (6) hielten. Oft folgten sie den Einheiten in die Berge und hätten, jauchzend „vor Begeisterung“, Schießübungen und Trompetensignale miterlebt (6f.). „Unvergeßlich für jeden von uns blieb aber ein Tag! Das war der 18. August 1914“ (7f.), als der Erste Weltkrieg begann und die Männer unter „dem dröhnenden Gerassel der Trommeln“ (8) zur Musterung marschierten. Vor der Gebirgskulisse glitzerten tausend Bajonette der „feldgraue[n] Masse“ (8), jeder Eindruck schien übermächtig, begeisternd und gleichzeitig einschüchternd. Die einzige filigrane, zarte Erscheinung, geschützt und behütet, war die nun herangetragene, zerschlissene und durchschossene, „altehrwürdige Regimentsfahne“ (8), Zeichen des Stolzes, der Tradition und unausgesprochener, „unlösbarer Verpflichtung“ (9), für sein Land in den Krieg zu ziehen, ihr „die Treue bis in den Tod zu halten“ (9), so wie es schon tausende Tiroler vor 1914 mit dieser Fahne voran getan hatten. Und mit uns blickten all die hundert Frauen und Mädels, die dem Ausmarsch der Ihrigen beiwohnten, stumm und ehrfürchtig nach dieser Fahne. […] Wir Jungens aber starrten und starrten. Unwillkürlich spürten wir, daß auch uns diese Fahne zu rufen, uns zu verpflichten und an sich zu binden schien, obwohl wir noch gar keine Soldaten waren. 135 136
Ziesel (1940), Klappentext. Der NS-Gauverlag und Druckerei Tirol (ehemals Wagnersche Universitäts-Buchdruckerei / Universitätsverlag Wagner) unterhielt mit dem Gauverlag der Bayerischen Ostmark die vergleichsweise „umfangreichste belletristische Buchproduktion“ aller Regionen. Strothmann (1960), S. 366. Das Haus verlegte „nahezu die gesamte Tiroler NS-Presse“. Wedekind (2003), S. 270.
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Dass es so kommen würde, stand außer Frage. Als die Soldaten ihren Eid im Angesichte der Fahne leisten, schwören die Freunde mit, denn die Fahne könnte auch sie „einst rufen“ (10). Doch Toni wird bewusst, dass ihn sein junges Alter möglicherweise davon abhalten könnte, noch Soldat zu werden. ‚Du, Toni? Du bischt doch viel zu jung, als daß du dran denken kannst, je no’ ins Feld z’kommen! […] Derweil ischt der Krieg längst aus!‘ […] Dieses Wort traf mich wie ein Schlag (11).
Dieses Szenario erscheint ihm „undenkbar, ja ausgeschlossen“ (11). Er ahnt, dass ihm die Verpflichtung versagt bleiben könnte, er kam „sich ja nicht mehr vollwertig vor“ (11). Nach und nach werden seine Freunde eingezogen, noch Anfang 1918 der zweitjüngste der Gruppe, Karli, der stolz das „Edelweiß des Heimatregiments“ (12) trägt. Franz fällt, Maxl kommt schwer erkrankt zurück. Tod und Verletzung stehen ihm unmittelbar vor Augen, doch auch jetzt noch wartet Toni „in stiller Begeisterung“ (12) auf den Tag, auf die Erfüllung seines Eids. Und dann endlich der längstersehnte [sic!] Tag! Ich hatte mich freiwillig gemeldet und kam zugleich mit einem nachgemusterten Jahrgang zur Stellung. Am 1. November 1918 sollte ich einrücken (12).
Im Dienstzimmer seines künftigen Kommandeurs entdeckt Toni die Regimentsfahne und betrachtet sie „voller Ehrfurcht“ (12). Der Anblick des zerschlissenen, „schwer und müde“ (13) hängenden Fahne scheint ihm ein Symbol zu sein. Wenige Wochen darauf „zerfiel Österreich-Ungarn, schloß das Deutsche Reich seinen demütigendsten [sic!] Waffenstillstand“ (13). Der Text überspringt die darauf folgenden 21 Jahre des „Kampfes, aber auch des Glaubens“ (13). Immer wieder habe Toni belastet, „außerhalb der großen Gemeinschaft der Frontkämpfer“ (13) geblieben zu sein. Doch dann brachen aber unsere Herzen auf, als dann der unbekannte Soldat des großen Krieges, der Sohn unserer ostmärkischen Heimat, Adolf Hitler, jedem Deutschen das Recht, die Waffen zu tragen, wiedergab. Wie jubelte diese Ostmark, als der eherne Schritt deutscher Soldaten in Wien die Überlieferung der deutschen ostmärkischen Regimenter übernahm. Wieder rauschten die alten Fahnen, neigten sich dankbar und stolz die ehrwürdigen Standarten vor den Symbolen des größeren Soldatentums, das nunmehr für ewig den deutschen Sinn dieser Feldzeichen in seine Obhut nahm.
Toni habe längst das „Wissen von der großen Einheit aller Deutschen“ (14) erlangt. Es seien „herrliche, unvergeßliche Tage“ (14) bei einer norddeutschen Reitergarnison gefolgt. Noch voller Euphorie, abenteuerlustig und gestählt in der „harten Schule deutschen Soldatentums“ (15), kam der
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6. Zweiter Weltkrieg Herbst 1939, rief uns der Führer! Und diesmal traten wir alle an. Auch die Jugend trat an, nicht so wie damals Anno vierzehn, wie sie nur begeistert und sehnsüchtig beiseite gestanden war. Heute trug auch sie ihre große verantwortliche Aufgabe (15).
Vom jüngsten bis zum ältesten sollten alle Deutschen auf den neuen Krieg eingeschworen werden. Bossi übernahm die Aufgabe, mithilfe des halbfiktiven Toni der Jugend ihre Bestimmung, ihren Platz im kämpfenden Volk zu verdeutlichen. Der Protagonist erhält schließlich eine Beorderung zu den Tiroler Gebirgsjägern. Das Tragen des Edelweißes erfüllt ihn mit Stolz (16). Als ihn sein Kommandeur zu sich in sein Büro einlädt, entdeckt Toni dort plötzlich neben der grünen „Jägerfahne des Bataillons mit den stolzen Hoheitszeichen der großdeutschen Wehrmacht“ (17) die alte Tiroler Regimentsfahne, auf die er 1914 als Jugendlicher seinen kindlichen Eid geleistet hat. Die Gebirgsjäger führten die Tradition mit dieser Fahne fort, versichert der Kommandeur. Sie sei, „als unser Führer die Ostmark befreite“, von ehemaligen Tiroler Soldaten wiedergebracht worden, „zum heiligen Symbol dafür, daß ihre Söhne mit der gleichen Treue der großdeutschen Fahne folgen sollten“ (18). Toni wird klar, er muss seinen Eid nun „auf ihre Nachfolgerin noch verpflichtender, mit noch heißerem Herzen“ (18) leisten. Das Leben der Gebirgssoldaten gehöre ihr, der neuen Fahne, „wie wir alle dem Führer gehören, der uns Soldaten diese Fahne gab“ (19). Mit diesem Text propagiert Bossi, mitten im Zweiten Weltkrieg und in einer Hochphase kriegerischer Euphorie, die deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft noch stärker, die untrennbare Verbindung zwischen Wehrmacht und Tiroler Soldaten, die so in den Dienst der deutschen Kriegspropaganda gestellt werden – und instrumentalisiert dafür erneut Stationen seiner eigenen Vita und der Geschichte seiner Tiroler Heimat. Die Jungen finden in seinem kurzen Band nur Erfüllung, wenn sie ihre heilige Verpflichtung, die ihnen die Fahne auferlegt, annehmen, für das großdeutsche Vaterland furchtlos in den Krieg ziehen und ihr Leben opfern. Bossi boten sich als Kind tatsächlich schon einige Gelegenheiten, die Fahnensymbolik kennenzulernen; beispielsweise, als Anfang August 1911 das 14. Infanterieregiment in Toblach einkehrte, „wo unter den Klängen der Volkshymne die Fahne im Schlosse des Herrn Grafen BossiFedrigotti abgegeben wurde“137. Das Motiv der Fahne, in anderen Texten auch der Hakenkreuzfahne, dient Bossi als sakrales Massensymbol „naturhafte[r]
137
O. V.: „Militärisches“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 10.08.1911, S. 5.
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Qualität“, stellt die „Verfestigung und Verdinglichung des Windes“138 dar. Ihre Bedeutung ist längst über das Materielle hinausgegangen, sie ist Zeichen der Ehre und Tradition, archaisches Truppenelement sich gegenüberstehender, feindlicher Einheiten, kollektives Erkennungszeichen, für das man kämpfte oder mit dem man unterging – und das die Jugend selbstverständlich zu verpflichten scheint. Dass allerdings „die Nazis die Überlieferung der deutsch-österreichischen Regimenter übernommen hätten, ist Schwindel“, so der Südtiroler Germanist Josef Feichtinger, bezogen auf Die alte Fahne; „dass sich die ‚alten Fahnen dankbar neigten‘, ist Speichelleckerei“139. In den 1930er Jahren hatte das NSRegime „mit seiner großdeutschen Vision“ die Spannungen von klein- und großdeutscher Lösung zunächst zugedeckt. In Die alte Fahne habe Bossi diesen Konflikt ausgegraben, um ihm für Zeit und Ewigkeit das Lebenslicht auszublasen, der vom deutschen Militär strapazierten österreichischen Soldatenseele Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen und sie auf den Zweiten Weltkrieg einzustimmen.140
In der zweiten Erzählung, Die Schauspielerin, ist der Protagonist Reserveleutnant Ehrenberg Teil eines an der Westfront stationierten Bataillons. Die „ostmärkischen“ Soldaten einer Gebirgsjägerkompanie mit ihren „hellen, klaren Gebirgleraugen“ (24) hätten sich in Polen wacker geschlagen.141 Nach einem anstrengenden Marschtag organisiert Ehrenberg, der sich mit Film und Propaganda auszukennen scheint, entgegen dem Willen der anderen Vorgesetzten eine Propagandakompanie mit Vorführequipment. Innerhalb kürzester Zeit baut sie eine Scheune zum Kino um, das aber sehr eng ist, sodass „Offiziere wie Männer“, „Volksgenossen aus allen Schichten ihrer alten Heimat und aus dem Altreich“ (32), beisammen stehen. Wie gebannt sitzen die „rauen Soldatengestalten“ (31) vor der Leinwand. „Eine freundliche, ja fröhliche Stimmung nahm immer mehr von diesen kriegserprobten Gebirgsjägern Besitz“ (32). Als der Kommandeur hinterher auf den „großen Wert solcher Vorführungen für den Frontsoldaten“ (34) hinweist, gibt sich Ehrenberg als Mitglied „der einschlägigen staatlichen Kammern“ (35) zu erkennen. Einem 138 139
140 141
Entnahmen aus: Schnell (1998), S. 109f. Entnahmen aus: Feichtinger (2013), S. 396ff. Vermutlich habe, so Feichtinger, das prägende Aufmarscherlebnis am 18. August 1914 „den jungen adeligen Gutsbesitzer zum Kriegstreiber auf Lebenszeit“ werden lassen. „Der Text ist ein Dokument: Militarismus – die Geisteskrankheit einer Epoche“. Entnahmen aus: Riedmann (2001), S. 230. Siehe dazu auch Günther (1937), S. 25.
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skeptischen Kameraden vermittelt er schließlich den Kontakt zur Schauspielerin der gezeigten Films. Die Erzählung verfolgt verschiedene Intentionen: Zum einen will sie die Wirkung von Film und Propaganda, der „kulturellen Betreuung“ (29) als Teil der Kriegführung, „Bindeglied zwischen der Front und der Heimat“ (43), verdeutlichen. Das sollte dazu dienen, die Soldaten vom harten Kriegsalltag abzulenken und ihre Moral zu heben. Zum anderen zeigt sie den selbstsicheren Stolz des Autors in der Figur Ehrenbergs, mit seinem schriftstellerischen Schaffen und Wirken an interessante Kontakte gelangt zu sein, sich einer gewissen Bekanntheit erfreuen zu dürfen. Beide Texte stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampf und Krieg: In ihnen verarbeitet Bossi einerseits seine Kriegserlebnisse, auf die er anhand seiner Berichte offenbar jederzeit zugreifen konnte, andererseits idealisiert er die Ereignisse, um mit ihrer Hilfe das neue Großdeutsche Reich, die Verbindung von Deutschen und Österreichern, im Angesicht von Kampf, Leid und Tod weiter und stärker zu festigen. Schon im Sommer 1940 berichtete das Neue Wiener Tagblatt, dass Bossi die Erweiterung der Wiener Stadtbibliothek mit der Schenkung des Manuskripts unterstützte.142 Der Band erlebte bis 1944 schließlich fünf Auflagen mit wahrscheinlich rund 50.000 Exemplaren. Im „Windschatten“ des Standschütze Bruggler-Erfolgs ließ sich Die alte Fahne, wie die 1941 ebenfalls im Innsbrucker NS-Gauverlag erschiene ‚EdelweißBücher‘-Erzählung Vormarschtage, „gut verkaufen“143. Bossis zweiter und letzter zur Kriegszeit erschienener Band wurde bis 1944 in vier Auflagen publiziert und beinhaltet zwei kurze Erzählungen. „An der Aisne“ handelt von den Erlebnissen eines Oberleutnants und seiner Einheit beim Vormarsch in Frankreich und der Überquerung eines Flusses, ‚Reims‘ vom Vordringen auf die Stadt und ihre Eroberung. Die namenlosen Figuren treten nur mit ihren militärischen Diensträngen auf; im Zentrum stehen nicht sie, sondern ihre Haltung als militärische Vorbilder. Ihre Handlungen scheinen beispielhaft für 142
143
Neues Wiener Tagblatt Sonntagsbeilage v. 14.07.1940, S. 11. Das Manuskript befindet sich noch heute im Handschriftenbestand der Wienbibliothek im Rathaus. Siehe Teilkatalog Handschriften und Nachlässe unter http://www.wienbibliothek.at/bestaendesammlungen/handschriftensammlung [Zugriff: 31.12.2016]. Solche Schenkungen kamen offenbar nicht selten vor. BF hatte schon 1938 der Stadtbibliothek München das Manuskript von Tirol bleibt Tirol übereignet, nachdem Dr. Hermann Sauter vom Kulturamt der Stadt entsprechend angefragt hatte. BF an Sauter, Kulturamt München, v. 20.05.1938, Stadtbibliothek München ‚Monacensia‘. Siehe E-Mail Manfred Forster, ‚Monacensia‘, an CP v. 12.01.2010. Entnahmen aus: Bauer (2009), S. 101. Bauer verfasste eine fiktionale Reise des VerlagsUrvaters Michael Wagner, der sich der späteren Geschichte des Hauses stellt und so die Texte BFs, „einer der Tiroler Bestsellerautoren“, aus der Zeit des NS-Gauverlags entdeckt.
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das Verhalten aller Wehrmachtssoldaten zu sein: anständig und ritterlich, aufrecht und entschlossen, schneidig und todesmutig (42). Mithilfe des Personalpronomens ‚wir‘ bietet der Autor den Rezipienten durchgehend Gelegenheit, die Handlung als Teil einer Aufklärungseinheit der Wehrmacht mitzuerleben und sich mit den Figuren zu identifizieren. Vormarschtage kommt verhältnismäßig schlicht daher, verzichtet soldatisch karg, „‚mit der Zucht der dichterischen Sprache und der Gradheit weltanschaulicher Haltung‘“144, auf Details, spart jedoch nicht mit heroisierenden, zuweilen monumental anmutenden Termini von „lodernden Feuerzungen“ (9) über Männer mit „unübertreffbarem Schneid“ (23) bis hin zu „vorwärtsstürmenden, durch kein Hindernis aufzuhaltenden deutschen Soldaten“ (30). Die Konzentration liegt auf Passagen, die das Wirken der Personen und den Krieg weltanschaulich einordnen. An Soldatenfriedhöfen, „Stätten deutschen Heldentums“ (10), sehnt sich die kämpfende Jugend danach, „das Vermächtnis der [gefallenen] Weltkriegsteilnehmer zu erfüllen“ (18, 21) und Frankreich zu besiegen.145 Die Wehrmacht dringt übermächtig vor, behandelt jedoch die (oft hinterlistigen) Franzosen gut (42f.). Dennoch säumen die Gegner, an „einer Stelle reihenweise niedergemäht, […] immer wieder den Wegrand“ (38). Der Krieg musste verlorengehen und eine Zeit politischer Unsicherheit folgen, um die nationale Selbstfindung aller Deutschen erst möglich zu machen, die nun durch den neuen, gemeinsamen Kampf besiegelt wird (15f., 19). Insbesondere die Österreicher und die seit 1918 nicht mehr zu deren Staatsgebiet gehörenden Volksdeutschen hätten seinerzeit nur „für die großdeutsche Erfüllung gekämpft“. Bossi dichtet ihnen ein tragisches Schicksal als Spielball politischer Entwicklungen an. Daher sei es eine „Schicksal gewollte Fügung“ (15), dass endlich wieder alle Deutschen Seite an Seite in den Krieg ziehen. Bossi nutzt auch diesen Text, um die besondere Tapferkeit und Treue der ehemaligen habsburgischen Soldaten zu betonen (15f.). Um dem Feind die Stadt Reims nicht in die Hände fallen zu lassen, scheinen die Franzosen zuletzt Sprengungen in die Wege zu leiten. Doch die Wehrmachtsmänner können die Kulturzerstörung aufhalten und das Erbe so für die nächsten Generationen retten (44ff.). Bossi verfasste Vormarschtage wahrscheinlich unmittelbar nach dem Ende des Westfeldzuges, als die Erinnerung noch nicht allzu sehr hatte verblassen können und ihm seine dienstlichen Berichte noch vorlagen. Solche Originale schienen (trotz oder gerade wegen ihres spezifischen Auftragscharakters) 144 145
Schnell (1998), S. 113, zitiert hier Schumann, Gerhard: Fahne und Stern. Gedichte. München: Langen-Müller 1934. Vgl. Sarkowicz/Mentzer (2011), S. 33.
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das ideale Rohmaterial zu sein, um zur „publizistischen Heroisierung des deutschen Angriffskrieges“146 beizutragen. Schriftsteller sollten schon während der Feldzüge vom Erfolg des nationalsozialistischen Angriffs- und Eroberungskrieges künden und ihn literarisch verarbeiten. Bossi war angesichts seiner Vita, seines Selbstverständnisses und seines Aufgabenbereichs im Krieg dafür bestens geeignet.147 Zu Beginn des Kapitels „An der Aisne“ beschreibt Bossi die Kriegsentwicklung an der Westfront und nutzt dazu vielfach militärische Metaphorik, die sich im gesamten Text wiederfindet148: Die Wehrmacht sei in „Vorbereitung des Todesstoßes“, das „atemberaubende Vorwärtsdringen“ in einem „Zusammenspiel aller Räder und Rädchen eines gewaltigen Uhrwerks“ nicht aufzuhalten. Am „blutgedüngten Ufer“ der Somme wolle man französische Linien „durchbrechen“ und die feindliche Armee „endgültig ausschalten“. Das Gebiet erlebe zum zweiten Mal nach 1914-1918 den „unheimlichen Rhythmus einer Kampfmaschinerie“ (7f.). Orte wie Craonne und Neufchâtel spielen eine Rolle, die Bossi größtenteils in genau dieser Reihenfolge schon im Vormarsch 1940 erreichte (7ff.).149 Regelmäßig hatte er als VAA davon berichtet, dass französische Soldaten gegen ihre Landsleute oder deren Überzeugung und Willen kämpften.150 Auch in Vormarschtage legen sie die „kaum errichteten Heimstätten der bereits im Weltkriege so schwer heimgesuchten Bauernfamilien von neuem in Schutt“ (8f.). Die Gegend ist das „von tausend Weltkriegsnarben zerfurchte, mit dichtem jungem Unterholz überwucherte Kampfgebiet des Chemin des Dames“, ein „Hügelgelände“, gezeichnet von den „nur schlecht überwachsenen Trichterfeldern“ (7f.). Im Kriegsbericht Nr. 14 vom 6. Juni 1940 schrieb der VAA: Besucht wurden der ehemalige Eckpfeiler des Chemin des Dames, die Höhen oberhalb Craonne […]. Die Ortschaften, die nach dem Kriege wieder völlig neu aufgebaut worden waren, sind z.Z. von der Zivilbevölkerung vollkommen verlassen. […] Das ehemalige Kampfgebiet des großen Krieges am Chemin de Dames [sic!] zeigt noch heute auf Schritt und Tritt ein vollkommen zerwühltes, nur von Niederholz überwuchertes Hügelgelände.151
146 147 148 149 150 151
Sarkowicz/Mentzer (2011), S. 5. Auch hier betätigt sich ein Kriegsberichterstatter (LotherGünter Buchheim) publizistisch. Adam (2010), S. 137f. u. Schütz (2015), S. 97. Vgl. Schnell (1998), S. 111ff. Bericht Nr. 14 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.06.1940, PA AA, R 60703 u. Bericht Nr. 19 v. 11.06.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 16 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.06.1940, PA AA, R 60703. Bericht Nr. 14 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.06.1940, PA AA, R 60703.
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Im Text tritt nun ein Oberleutnant auf, Ordonnanzoffizier eines Abteilungsstabes, der die Franzosen jenseits der Aisne beobachtet. Neben ihm heben Soldaten einen Stollen für einen Beobachtungsstand aus. Doch auf einmal schien es, als habe einer der Spaten etwas Hartes, Sprödes getroffen. Irgendein Gegenstand wurde von dem gleichen Spaten erfaßt, vorsichtig hochgehoben und, wie dem Oberleutnant schien, nur zögernd über den Wall geschüttet. […] „Liegen denn hier noch die Gebeine Gefallener aus dem Weltkrieg?“ fragte der Oberleutnant betroffen. „Ja, wir haben schon den ganzen Nachmittag eine Reihe von Skeletten ausgegraben’, gab der bayerische Unteroffizier zur Antwort. […] „Es sind Franzosen!“ (10).
Der Vergleich mit dem VAA-Bericht vom 6. Juni 1940 offenbart in Prosa gegossene Kriegsbeobachtungen: Die B-Stellen unserer eigenen Truppen sind teilweise noch in den alten Unterständen der ehemaligen vorgeschobenen franz. Stellungen eingebaut. Durch das Ausbuddeln des Bodens durch diese B-Stellen wurden teilweise nicht allzu-wenig Knochenreste von Menschengerippen mit ausgegraben. So fand ich in einem einzigen Unterstand die Skelette (Schädel-, Rippen- und Beinknochen) von 5 Gefallenen. Die Franzosen scheinen also in diesem Gebiet die Durchkämmung des Schlachtfeldes nach Leichen nur oberflächlich vorgenommen zu haben.152
Der Oberleutnant kommt mit einem Wachtmeister ins Gespräch, der als Sudetendeutscher schon einmal in österreichischen Diensten an dieser Stelle eingesetzt war. Diese Passage nutzt der Autor, um zu verdeutlichen, dass dieser Mann auch schon zwanzig Jahre zuvor statt für die verräterischen Habsburger „nur für die großdeutsche Erfüllung“ gekämpft habe, darauf wartend, es den „Waffenbrüdern aus dem Reiche“ irgendwann zu beweisen, dass sie doch „Kerle waren“ (16). Der Wachtmeister will die Gebeine schließlich selbst bestatten. „Eine stille Ehrfurcht“ bewegt den Oberleutnant plötzlich. Eine innere Stimme sagte ihm deutlich, dass sich die Jugend, die in diesem Feldzug doch das Vermächtnis der Weltkriegsteilnehmer zu erfüllen trachtete, hier nicht verdrängen durfte. Lag doch ein tiefer Sinn in der Absicht dieses Mannes, daß er, der alle Furchtbarkeit des großen Krieges an dieser Stelle kennengelernt hatte, auch diejenigen zur letzte Ruhe betten wollte, die einmal – ganz gleich,
152
Ebd.
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6. Zweiter Weltkrieg ob Freund oder Feind – Kameraden im Leiden und Opfern jener furchtbaren Schlachten gewesen waren.
Die Jugend, „der das Morgen gehörte“, habe durch die „Kraft ihres Sieges dem Opfer der deutschen Toten einen herrlichen Sinn wiedergegeben“, die „lähmende Erinnerung an die niederdrückende Schwere eines jahrelangen, entscheidungslosen Ausharrens“ abgestreift und sich entschieden, im „Vorwärtsstürmen zu siegen“ (18f.). Als der Wachtmeister schließlich fällt, wird er neben den jungen Kameraden bestattet die das Vermächtnis der älteren erfüllt zu haben scheinen (21). Die Deutschen gehen in dieser Textpassage besonders ritterlich und anständig vor. Doch es wird nicht erwähnt, dass sie es in Wirklichkeit waren, die mit ihrem Einmarsch damals den Tod brachten und nun wieder bringen. Auf die großen Ereignisse, die über die Soldaten hereinbrechen, hat man keinen Einfluss. Der Krieg schwebt als unwettergleiches Naturereignis über den vom Schicksal gebeutelten Menschen, er ist „eine immer vorhandene, unerklärte Tatsache, in der es der Wehrmacht darum geht, sich militärisch richtig zu verhalten“153. Dahinter steckt mutmaßlich noch eine weitere Intention: Wenn Krieg ein schicksalhaft über die Menschen hereinbrechendes Ereignis ist und am Ende sowieso der gemeinsame Tod steht, dann erübrigt sich auch die Frage nach der Schuld des einen und dem Opfer des anderen.154 Bossi bereitet den Leser mithilfe von Spannungsmomenten darauf vor, sich mit den Soldaten zu identifizieren. Selten handeln und töten dabei Menschen, sondern schuldunfähige Maschinen. Immer näher rücken die Truppen an die Aisne heran. Eine „unsichtbare, den Atem jedes einzelnen beklemmende ungeheure Spannung schien die Tausende, die jetzt antraten, in ihrem Bann zu halten“. Die Landschaft liegt „wie gedrückt im ersten Zwielicht des Morgengrauens“ da. Sie scheint zu ahnen, dass die „unerbittliche Hand des Krieges nur zu bald wieder ihr Eingeweide zerfleischen“ und ihre „Äcker zerwühlen“ wird. Die Soldaten beider Seiten scheinen nichts gegen den Krieg tun zu können, es gibt kein Entrinnen. Und dann kommt, „auf die Minute pünktlich“, der Angriff: „Aufdröhnend, fauchend, mit teuflischem Zischen ihre Vernichtung in die französischen Stellungen jagend, eröffneten die deutschen Batterien ihr Tagwerk“. Von Minute zu Minute steigert sich der Kampflärm zu einer „gewaltigen Symphonie des Kriegsgetöses“ (23). Der Autor vergleicht den Lärm des Kampfes mit dem detaillierten und geordneten Zusammenwirken der 153 154
Geiger (1974), S. 41. Ebd., S. 100. Sowohl Geiger als auch Schnell (1998, S. 113) gehen weiter auf die in diesem Auszug liegende Suggestion ein.
6.2 Im Westen: Kämpfender Dichter
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Instrumente. Das Töten nimmt orchestralen Charakter an. Am 10. Juni 1940 befand sich Bossi exakt an der Stelle, von der er den Oberleutnant berichten lässt: „Es ist ein Dröhnen, Heulen und Krachen, das die ganze grandiose Musik des Krieges ausprägt“155. Die Handlung des zweiten Teils, „Reims“, setzt einen Tag später ein. Einer deutschen Einheit gelingt es, nachdem ‚Stukas‘ stundenlang bombardiert haben, in das französische Fort Brimont einzudringen.156 Dort trifft sie, wie Bossi laut Bericht vom 10. Juni 1940, auf eine Gruppe französischer Soldaten, die ihre Pferde während des Angriffs nicht in Sicherheit gebracht hat.157 Einige sind tot und liegen zerfetzt am Boden (41). Obwohl es deutsche Waffen gewesen sind, die das angerichtet haben, lässt der Autor die Reiter wie Barbaren dastehen, die sich nicht um das Wohl der ihnen anvertrauten Lebewesen kümmern. Kurz darauf überschreitet die deutsche Gruppe eine kleine Anhöhe. Und nun bot sich den Blicken plötzlich ein unerwartetes, in seiner Wirkung ebenso unvergeßliches, wie unheimliches Bild. Die Krönungsstadt Frankreichs, Reims, breitete sich weit in der Ebene […] aus (43)
Auch hier liegt die Erzählung nah an den Kriegsberichten, denn es war tatsächlich der VAA, der „Reims zuerst betrat“158. Der Weitermarsch ging nun auf der geraden Straße Neufchatel-Reims weiter. Die Straße war völlig leer. Als wir auf die Höhe kamen, die die Sicht auf Reims freigab, lag die große Stadt still und in einer eigenartigen Stimmung vor uns.159
Die Deutschen seien gekommen, um die Kulturdenkmäler Reims’ zu retten, während die Franzosen selbst Brände in der Stadt legten. „Die Welt sollte dann
155 156
157 158 159
Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.06.1940, PA AA, R 60702. Vgl. Geiger (1974), S. 80. Die Luftwaffe spielt auch in BFs Kriegsberichten eine wichtige Rolle: „Es ist ein überwältigendes Bild, das deutsche Heer hier zu sehen […]. Über diesem Bild aber, das majestätische Dröhnen unserer Luftwaffe, die geradezu überwältigend zuerst mit ihren Bombenstaffeln eine große Schleife über den franz. Linien zieht und dann, wie im Manöver nochmals anfliegt und nun Bombenlage um Bombenlage auf die Stellungen und Batterien […] ausschüttet“. Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.06.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.06.1940, PA AA, R 60702. Vgl. BossiFedrigotti, Vormarschtage (1941), S. 41. Bericht Nr. 24 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 18.06.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.06.1940, PA AA, R 60702.
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6. Zweiter Weltkrieg
wahrscheinlich wieder eine Flut von Berichten über die deutsche Barbarei erhalten“ (44). Kurz vor der Stadt treffen die Soldaten einen deutschen MG-Zug, so, wie Bossi selbst im Sommer 1940. „Ein vorgeschickter Radfahrerspähtrupp sei zwischen den ersten Häusern angeschossen worden“ (44).160 Von der Idee beseelt, die Kulturstätten der Stadt zu retten, wollen die Männer nun erst recht vordringen. An einer Straßensperre angelangt, hören sie „eine gewaltige Detonation“ (42) aus dem Stadtinneren.161 Da zeigte sich zur Linken ein Kaserneneingang. ‚Caserne Colbert‘ stand in großen Lettern über der Einfahrt. […] Gänge, Stuben und Kanzleien lagen verlassen. Ein Teil der Unterkünfte zeigte deutliche Spuren, daß die Kaserne in Hast geräumt worden war (46).
In dieser Szene weicht die Erzählung von der Vorlage ab – offenbar immer dann, wenn Spannung erzeugt werden soll: Ein kurzer Aufenthalt, und dann näherte sich der Trupp dem großen Gebäudekomplex der Kaserne Colbert. Diese wurde zuerst untersucht, es stellte sich jedoch heraus, daß die Kaserne planmäßig geräumt worden war, sogar die Bänke waren auf die Tische gestellt worden.162
Alles ist planmäßig geräumt worden. Der Autor dramatisiert, um den Eindruck zu erzeugen, die Deutschen seien schneller vorgedrungen und die Franzosen panisch geflohen. Durch den direkten Vergleich mit den Berichten lässt sich der Erzähler, der durchgehend in der dritten Person Plural berichtet, zunehmend als literarisches Alter Ego Bossi-Fedrigottis identifizieren. Kurz darauf taucht ein Leutnant „einer höheren Kommandostelle“ (47) auf, der sich mithilfe eines Rades zu schnell voraus in die Stadt begibt. Das waren Schüsse! Gleich darauf schlug der laute Knall einer Detonation an unser Ohr. Handgranaten! Im Nu fuhren wir herum. Wo war der Leutnant? […] Das war da vorne. War der Leutnant da allein vorgefahren und in eine Falle geraten? Natürlich! Laut klangen jetzt seine Rufe. Im Sturmschritt ging es sogleich den ersten Straßenzug aufwärts. […] Als wir aber nach der Stelle kamen, wo der Leutnant angeschossen worden war, fanden wir ihn, die Pistole im Anschlag, im Schutt eines großen gesprengten Bahnüberganges (48).
160 161 162
Ebd., wo es heißt, „vorgehende Radfahrer“ eines Bataillons seien „in der Stadt beschossen worden“. Vgl. ebd.: „eine gewaltige Explosion“. Ebd.
6.2 Im Westen: Kämpfender Dichter
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Diese Szene ist beinah deckungsgleich mit dem Kriegsrapport: Weiter vorne ertönten „plötzlich Schüsse“. Leutnant Heysing war nämlich vorausgefahren und hatte nicht darauf geachtet, mit dem übrigen Trupp Sichtverbindung zu halten. Durch die Schüsse alarmiert, eilte [sic!] nun der V.A.A. und der Gefr. Sturm voraus […]. Als der V.A.A. mit dem Gefr. Sturm auf die Höhe des Straßenstückes herankam, wo die Schüsse gefallen waren, fand er den Ltn. Heysing in Deckung der gesprengten Brücke über die Bahngeleise […].163
Der namenslose Leutnant ist die literarische Verkörperung Günter Heysings, den Bossi tatsächlich und in dieser Situation kennenlernte. Als die Gruppe am Reimser Place de la République ankommt, findet sie eine große Straßensperre vor, „an die vierzig Straßenbahnwagen“ (50).164 Kurze Zeit später stürmt sie das Rathaus und holt die französischen Flagge ein (51). Bericht Nr. 20 offenbart, wie Bossi Vormarschtage in weiten Teilen beinah wortgetreu den Rapporten nachzeichnete: Ein Protokoll über die Besetzung liegt abschriftlich diesem Bericht bei, ein Original wurde dem Kriegstagebuch in der Abteilung Ic, AOK 2 beigefügt, das andere Original befindet sich in den Händen des VAA.165
Die Analyse zeigt: Vom Autor sind Ähnlichkeiten bewusst und eng an den Kriegsberichten entlang konstruiert; Details, Motivationen, Intentionen und weltanschauliche Erklärungsversuche werden ergänzt. Der Krieg und seine Akteure werden verherrlicht, heroisiert und verklärt, gefallene Weltkriegssoldaten sind mahnende Vorbilder. Wieder erscheint das typische Motiv Bossis, dass die morsche Monarchie der Habsburger hat untergehen müssen, den Weg nach Großdeutschland freizumachen. Der Band bemüht sich schließlich vor allem darum, die Leistungen der Österreicher als großdeutsche Soldaten bei der Eroberung Europas herauszustellen. Eine Rezension im März 1942 hielt fest, das „Edelweißbüchlein“ werde jedem Leser „noch lange in dankbarem Gedenken der Leistungen und Opfer der Frontsoldaten des Weltkrieges und des gegenwärtigen Freiheitskampfes in
163 164 165
Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.06.1940, PA AA, R 60702. Vgl. ebd. Auch hier: französische Flugzeuge, Straßenbahnwagen als Barrikade, usw. Ebd.
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6. Zweiter Weltkrieg
Erinnerung bleiben“166. Nach 1945 landete Vormarschtage in der sowjetischen Besatzungszone auf der ‚Liste der auszusondernden Literatur‘.167 6.3
Auf dem Balkan
Schon unmittelbar nach seiner Rückkehr zum AOK, das sich seit etwa Januar 1941 im Münchener Hotel Leinfelder befand, leitete Rantzau Bossi Informationsmaterial über den Balkan, die Türkei, Irak und Ägypten zu.168 Das Material war zur „Orientierung des Stabes“169 gedacht. Bis zum Beginn des Balkanfeldzuges am 6. April 1941 war Bossi mit der Informationsbeschaffung befasst. Nach einer VAA-Tagung Ende März in Berlin wurde ihm noch ein Gehilfe und ein Kübelwagen zugeteilt. Bossi ahnte offenbar, dass die kommenden Aufgaben nicht ohne Hilfe zu bewältigen waren.170 Neben Wochenberichten mit Übersichten aus der Auslandspresse hielt er regelmäßig kurze Vorträge beim OB von Weichs „über die außenpolitische Lage unter besonderer Berücksichtigung Rußlands, der Türkei, Griechenlands, Jugoslawiens und Japans“. Außerdem habe AA-Staatssekretär Woermann einen Vortrag gehalten, worüber Bossi wiederum dem Chef des Stabes referierte; Inhalt „streng geheim“171. Ab dem 30. März befand sich der VAA dann offenbar in unmittelbarer Vorbereitung des Balkanfeldzuges. Sein Aufgabengebiet sollte sich „innerhalb der allernächsten Zeit auf ein Gelände erstrecken, das zwischen Hochgebirge und Ebene weite Flächen umfaßt“. Es sei daher notwendig, sofort Verbindungen aufzunehmen, die er während seiner Tätigkeit für den VDA und als „Spezialist für die ehemalige österreichische Militärgrenze“172 gemacht hatte. Das AA 166 167 168 169 170 171
172
Fink, Hermann: „Neues Schrifttum“. In: Innsbrucker Nachrichten v. 03.03.1942, S. 5. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone (1946), Nr. 1320. Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 15.01.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 13.01.1941, PA AA, R 60709. Rantzau, Inf. Abt. AA, an Inf. Abt. Referat VI v. 10.01.1941, PA AA, R 60704. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 11.03.1941, PA AA, R 60704 u. BF an Personalabteilung AA v. 12.03.1941, PA AA, R 60709. Entnahmen aus: „VAA Tätigkeitsbericht für K.T.B. für die Zeit 16.-23.3.1941“ v. 24.03.1941, PA AA, R 60709. Siehe auch BF an NSKK-Oberführer Bürk, Fahrbereitschaft AA, v. 18.03.1941, ebd. u. „VAA Tätigkeitsbericht für K.T.B. für die Zeit 24.-31.3.1941“ v. 31.03.1941, ebd. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 30.03.1941, PA AA, R 60704. Am 31. März nahm er noch an einer Besprechung mit dem Ic/AO über Propaganda gemäß den Richtlinien des OKW teil. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 31.03.1941, BArch RH 20-2/999.
6.3 Auf dem Balkan
349
war sich dieser für einen Feldzug auf dem Balkan vorteilhaften Verbindungen durchaus bewusst. Bossi sei überaus qualifiziert und besitze aufgrund seiner schriftstellerischen Beschäftigung mit der Region „genaue Vorkenntnisse über den Balkan“173. Tatsächlich dienten, als die Wehrmacht am 6. April zum Vormarsch auf Belgrad ansetzte, „überproportional viele Österreicher“ in den deutschen Reihen. Das war kein Zufall, hatte Hitler doch sicher gehen wollen, dass hier nur Männer zu Werk gingen, die sich seiner Meinung nach mit Serbien auskannten, nämlich Österreicher. Der Einmarsch in Länder, die sie als mitschuldig am Untergang der habsburgischen Monarchie betrachteten, half ihnen, sich stark mit den deutschen Kriegszielen zu identifizieren: Der Balkan nimmt in der österreichischen Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts einen zentralen Platz ein, gehörte „wirtschaftlich, kulturell und politisch zum ‚natürlichen Einflußgebiet der Monarchie‘“174. Im gemeinsamen Waffengang mit den Deutschen konnten die Österreicher so sinnbildlich Rache an ihren ‚Verrätern‘ üben und an Fronten Siege erfechten, die ihren Vorfahren versagt geblieben waren.175 Hier trafen frühere österreichische Soldaten aber auch auf Kameraden aus dem Ersten Weltkrieg: „Vor allem die ehemaligen Soldaten und Unteroffiziere des österr.-ungarischen Heeres sind es, die unseren Soldaten behilflich sind“176, schrieb Bossi im April 1941.177 Während sich verschiedene deutsche Dienststellen auf den Einmarsch in Jugoslawien vorbereiteten, führte Bossi Besprechungen mit „volksdeutschen 173
174 175 176 177
Entnahmen aus: „Entwurf für die Vorlage der Berichterstattung von Leg.Rat Graf BossiFedrigotti, Verbindungsoffizier des A.A. beim A.O.K. 2 über den Balkan-Feldzug“ o. D., PA AA, R 60707. Das Dokument liegt der Akte zuvor. Es ist anzunehmen, dass es für eine Vorlage beim Staatssekretär oder dem RAM gedacht war. Entnahmen aus: Manoschek (1996), S. 142ff. Siehe dazu auch Förster (2007), S. 66 u. Stahl, Weichs (2015), S. 548. Grischany (2015), S. 126f. Wenn im deutschen Rundfunk vom Balkanfeldzug berichtet wurde, kündigte der ‚Prinz-Eugen-Marsch‘ die Meldungen an. Siehe S. 139 u. Manoschek (1996), S. 144. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.04.1941, PA AA, R 60704. An der Universität Wien hatten sich bis Kriegsende 1918 und wieder seit 1931/38 Wissenschaftler in einer ‚Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft‘ der kulturellen Abhängigkeit der Balkanstaaten vom deutschsprachigen Raum sowie der Lage der deutschen Minderheiten in den jeweiligen Staaten gewidmet. Hier entstanden Volkstumskarten, die detailliert jüdische Bevölkerungspopulationen aufzeigten. Die Wissenschaftler arbeiteten später für das Sonderkommando Künsberg des AA und trafen so auch mit BF zusammen. Auf dem Balkan erbeutetes Material diente später der „SS und der Wehrmacht als wichtige Quellen zur ethnografischen ‚Flurbereinigung‘“. Svatek (2010), S. 115 u. 133.
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6. Zweiter Weltkrieg
Führern“178 über V-Leute in der grenznahen Untersteiermark. Wie schon zuvor bei den Elsässern widmete er sich in diesen Tagen besonders der Situation der Volksdeutschen jenseits der Grenze. Wenige Tage vor dem Einmarsch flüchteten bereits Massen von ihnen Richtung Reichsgebiet, so der VAA, da sie von „Greueltaten [sic!] der Serben im Gebiet des Banats“179 gehört hatten. Kurz vor dem Grenzübertritt der 2. Armee nahm Bossi täglich an Besprechungen im Stab des AOK teil, darunter auch mit dem SD-Führer Dr. Wilhelm Fuchs über die künftige Zusammenarbeit mit der Abteilung Ic/AO beim AOK 2.180 Beide Stellen einigten sich schnell, ein wichtiges Detail auch für den noch entfernten Feldzug im Osten: „Führer des S.D. soll laufend Ic/A.O. über seine Absichten und durchgeführten Maßnahmen ins Bild setzen“181. Am 9. April schließlich besetzte ein deutscher Spähtrupp Marburg an der Drau – die 2. Armee begann vorzurücken; schon am Nachmittag traf Bossi volksdeutsche Kontaktleute.182 Das südsteirische Land habe schnell „vollkommen im Zeichen der Wiedervereinigung mit dem Reich“183 gestanden, überall war Hakenkreuzschmuck zu sehen. Die Bevölkerung und die jugoslawischen Soldaten, die zurückkehrten, grüßten schon mit ‚Heil Hitler‘. Die außenpolitischen Ereignisse verselbstständigten sich indes in Windeseile. Schon am 10. April rief „unter deutscher Anleitung“184 der ehemalige k.u.k.Oberstleutnant Slavko Kvaternik in Agram (heute Zagreb) den ‚Unabhängigen Staat Kroatien‘ aus.185 Gleichzeitig kehrte dessen Vertrauter Ante Pavelić, 178 179 180
181 182 183 184 185
„VAA Beitrag zum K.T.B. 3.4.41“ v. 03.04.1941, PA AA, R 60709. Vgl. „VAA K.T.B.= Beitrag“ v. 08.04.1941, PA AA, R 60709. Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 03.04.1941, PA AA, R 60707. Siehe auch „VAA K.T.B. 5.4.1941“ v. 05.04.1941, PA AA, R 60709 u. „K.T.B.-Beitrag vom 5.4.-8.4.1941“ v. 08.04.1941, ebd. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 06.04.1941, BArch RH 20-2/999 u. „VAA K.T.B. vom 7.4.1941“ v. 07.04.1941, PA AA, R 60709. In diesen Tagen war BF außerdem offenbar kurz zu den verbündeten Italienern kommandiert worden. Immer wieder wurden seine Fähigkeiten als Dolmetscher genutzt. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.04.1941, PA AA, R 60704. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 07.04.1941, BArch RH 20-2/999. Siehe auch. „VAA K.T.B. vom 6.4.1941“ v. 06.04.1941, PA AA, R 60709. Bericht Nr. 3 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.04.1941, PA AA, R 60707. Siehe auch „Ausweis“ für Dienstfahrt BFs v. 08.04.1941, PA AA, R 60709. „VAA K.T.B. = Beitrag“ v. 13.04.1941, PA AA, R 60709. Hillgruber (1969), S. 303. Vgl. „VAA K.T.B. = Beitrag“ v. 11.04.1941, PA AA, R 60709. Slavko Kvaternik (1878-1947) war ein österreichisch-kroatischer Soldat, der sich nach 1918 schnell der kroatischen Nationalbewegung anschloss und so den Ustascha-Führer Ante Pavelić kennenlernte. Während der sich im italienischen Exil befand, organisierte Kvaternik die Gruppe weiter und rief im Namen Pavelićs am 10.04.1941 den unabhängigen kroatischen Staat aus. Nach 1945 wurde Kvaternik in Jugoslawien zum Tode verurteilt und hingerichtet. Siehe Österreichische Akademie der Wissenschaften (1969), S. 383f.
6.3 Auf dem Balkan
351
Führer der faschistisch-kroatischen Ustascha-Bewegung, aus dem Exil zurück.186 Über Bossi war das AA unmittelbar über die Vorgänge informiert. Wer das Ruder übernehmen würde, stand offenbar in den ersten Stunden noch nicht fest: Bitte sofortige Anweisung, welche Stellungnahme gegenueber kroatischer Nationalzewegung [sic!] erwuenscht erscheint. Wesentlich ist, ob KvaternikGruppe oder Pavelic-Gruppe von unserer Seite gefoerdert werden soll.187
Bossi verständigte sich auch mit seinem OB über das weitere außenpolitische Vorgehen und über die Anerkennung aufkommender separatistischer Bestrebungen in Slowenien.188 Er war durch seinen Draht zum AA unmittelbar in die staatspolitischen Ereignisse involviert und verhandelte zwischen Berlin, AOK und politischen Vertretern vor Ort.189 „Infolge starker dienstlicher Beanspruchung im Rahmen der Behandlung verschiedener Fragen über die Errichtung des kroatischen Staates“190 war es ihm zwischenzeitlich nicht einmal möglich, seine laufenden Berichte fertigzustellen. Am 15. April schließlich
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Ante Pavelić (1889-1959), promovierter Jurist, war ein rechtsnationaler kroatischer Politiker, der sich von 1929 bis 1940 im italienischen Exil befand. Dort gründete er als Führer die faschistische „‚Ustaša – kroatische Freiheitsbewegung‘“. Nach dem Beginn des deutschen Balkanfeldzuges erhielt Pavelić Gelegenheit, den von seinem Vertrauten Kvaternik ausgerufenen unabhängigen kroatischen Staat zu übernehmen. Später war Pavelić maßgeblich an der Deportation der Juden aus seinem Herrschaftsbereich beteiligt. Nach 1945 floh er über Österreich, Südtirol und Norditalien nach Südamerika. Sundhaussen, Holm: „Pavelić, Ante“. In: Benz (2009), S. 619ff. Zur ‚Ustascha‘ siehe auch Sundhaussen, Holm: „Ustaše“. In: Benz (2012), S. 617f. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 12.04.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Aufzeichnung BFs über Verhandlungen zwischen Slowenen und Wehrmacht/AA-Stellen v. 12.04.1941, PA AA, R 60707. „VAA K.T.B. = Beitrag“ v. 13.04.1941, PA AA, R 60709. Siehe auch Fernschreiben BF an 1. Gebirgs-Division, Abt. Ic, v. 14.04.1941, PA AA, R 60707, „VAA K.T.B.- Beitrag“ v. 14.04.1941, PA AA, R 60709 u. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 14.04.1941, PA AA, R 60704. Wenige Tage später besprach sich BF u. a. mit „General Glaise-Horstenau über die Wünsche der Kroaten“. Siehe „VAA K.T.B.-Beitrag“ v. 16.04.1941, PA AA, R 60709. Edmund Glaise von Horstenau (1882-1946) war ein österreichischer Historiker und Militär, im Ersten Weltkrieg zuletzt Major, der 1935 Direktor des Kriegsarchivs in Wien wurde. Nach dem Juliabkommen 1936 fungierte er als Minister ohne Aufgabenbereich im österreichischen Kabinett. Im Zweiten Weltkrieg diente er ab April 1941 als deutscher Bevollmächtigter General in Zagreb/Agram. Von den Verhältnissen auf dem Balkan soll er „mehr als alle anderen deutschen und österreichischen Generale“ verstanden haben. Stein (2002), S. 230ff. Siehe auch S. 243. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.04.1941, PA AA, R 60704.
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6. Zweiter Weltkrieg
holte die 2. Armee den „Kroatenführer Pavelić“191 bei ihrem Vormarsch in Zagreb ein. An den Gesprächen zwischen dem AOK und den Kroaten nahm Bossi als Vertreter des AA wieder unmittelbar teil, so unter anderem am 14. April im Zagreber Hotel ‚Explanade‘ zusammen mit einigen Ic-Kollegen, um wirtschaftliche und organisatorische Fragen für das rückwärtige Heeresgebiet zu regeln.192 Pavelić wurde schließlich kroatischer Regierungschef, Kvaternik sein Stellvertreter und gleichzeitig Feldmarschall des Kroatischen Heeres. Das AOK 2 befand sich am 17. April 1941 schließlich mit Teilen sowohl in Agram als auch bereits in Belgrad.193 Bossi nutzte diese schon recht sicheren militärischen Verhältnisse – am 18. April trat bereits der Waffenstillstand mit Jugoslawien in Kraft – und unternahm eine viertägige Reise nach Bosnien, um dort am letzten serbischen Regierungssitz nach Akten zu forschen und die Situation der Volksdeutschen vor Ort zu eruieren.194 Den umfassenden Bericht seiner Reise schickte er einige Tage später an „General von Glaise-Horstenau zur Vorlage beim Führer“195. Besonders die kroatischen Muslime seien den Deutschen gegenüber freundlich gesonnen. „Heute, an Führers Geburtstag, werden die Muselmanen in allen Moscheen Gottesdienste für den Führer abhalten“196. Aus Sarajevo wusste Bossi zu berichten, dass die Stadt „seit 22 Jahren zum ersten Mal wieder die Klänge des Prinz-Eugen-Marsches“ hörte. Dort würden außerdem noch etwa 9.000 Juden leben. Da die Juden und Muselmanen einander spinnefeind sind, konnte man am 20. April bereits Dutzende von Mahamedanern [sic!] beobachten, die mit ausserordentlichen [sic!] Fleiß das Kupferdach der großen Synagoge abmontierten.
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Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 15.04.1941, PA AA, R 60704. Vgl. „VAA K.T.B.-Beitrag“ v. 15.04.1941, PA AA, R 60709. Neben Major i. G. Friedrich-Wilhelm von Mellenthin (zu dieser Zeit Chef des Stabes) nahmen hier teil: Oberstleutnant Reichert, Major Salzer, Major Putz, Hauptleute Mittenzwey, Süßmilch und Maurer sowie BF. Aktennotiz AOK 2 Abt. Ic/AO v. 14.04.1941, CAMO, Bestand 500, Findbuch 12472, Akte 27, Bl. 24. http://wwii.germandocsinrussia. org/pages/568003/zooms/8 [Zugriff: 07.08.2018]. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 25.04.1941, PA AA, R 60704. Fernschreiben u. Fernschreiben 2 BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.04.1941, PA AA, R 60704. Siehe zum Waffenstillstand KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 18.04.1941, BArch RH 20-2/999. „VAA K.T.B.- Beitrag“ v. 27.04.1941, PA AA, R 60709. Bericht Nr. 5 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 19.04.1941, PA AA, R 60707. Mit den Einschätzungen BFs zum Verhältnis Muslime-NSDAP befasste sich auch David Motadel, Islam and Nazi Germany’s War (2014), S. 178, 213 u. 420, demnach BFs Berichte vom Balkan auch in PA AA, R 60681 u. R 27363 zu finden sind.
6.3 Auf dem Balkan
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Als dann allerdings beobachtet wurde, daß das Kupfer zu den Händlern des Basar wanderte, wurde diesem Eifer Einhalt geboten.197
Die deutschen Besatzer sahen dieser Aktion tatenlos zu. Zu verschiedenen Anlässen war die ethnische Verteilung der Volksgruppen in Jugoslawien im AOK 2 Thema, so auch am 26. April während einer Ic-Besprechung. Bossi stellte hier eine „Übersicht über die Volksstämme in Jugoslawien“198 vor. Auch SS-Sturmbannführer Weinmann vom SD war anwesend, der nach dem Balkanfeldzug ‚Beauftragter für das Umsiedlungswesen beim Militärbefehlshaber in Serbien‘ wurde, zuständig für Deportationen und Zwangsumsiedlungen.199 Mit ihm arbeitete Bossi im April 1941 regelmäßig zusammen.200 Die Abteilung Ic und der SD schienen ihre Zusammenarbeit weiter auszubauen – unübersehbare Vorzeichen für den kommenden Ostfeldzug. Nach den zunächst aufregenden Vormarschtagen setzte für Bossi offenbar bald wieder der ihn langweilende Stabsalltag einer Besatzungsarmee ein. Schon am 29. April bat er Rantzau in einem ausführlichen Brief um seine Ablösung als VAA. Er habe ohnehin bei seiner Einberufung zur Wehrmacht die Absicht gehabt, sich seinem „Berufe als Militärschriftsteller in noch ausgedehnterem Maße als bisher zu widmen und womöglich ganz zur Wehrmacht überzutreten“201. Beide Möglichkeiten boten sich nun offenbar. Die zwischenzeitlich im NS-Gauverlag erschienenen Texte (und deren Entstehungskontext) könnten ihn in seinen Plänen bestärkt haben. Im AA schrillten daraufhin die Alarmglocken. SS-Brigadeführer Walter Stahlecker, der zu dieser Zeit seinen Dienst in der Informationsabteilung versah und später die Einsatzgruppe A des SD im Ostfeldzug führte, antwortete Bossi
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200 201
Entnahmen aus: Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 21.04.1941, PA AA, R 60707. Vgl. Motadel (2014), S. 213f. u. zu den weiteren Eindrücken aus Bosnien „VAA K.T.BBeitrag“ v. 25.04.1941, PA AA, R 60709. In den darauffolgenden Tagen schickte BF einige Berichte ans AA, in dem er von einer gezielten Nationalisierungspolitik der Ungarn im Norden Jugoslawiens sprach. Die Ungarn schienen den günstigen Zeitpunkt nutzen zu wollen. Siehe u. a. Fernschreiben 1 BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.04.1941, PA AA, R 60704 u. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 04.05.1941, ebd. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 26.04.1941, BArch RH 20-2/999. Ernst Weinmann (1907-1947), Zahnarzt, trat 1927 der NSDAP und SA bei. Von 1939 bis 1945 war er Oberbürgermeister von Tübingen. Ab 1936 im SD, wechselte er erst 1938 offiziell von der SA zur SS und avancierte dort bis 1944 zum SS-Obersturmbannführer. Nach dem Krieg an Jugoslawien ausgeliefert, wurde er dort Ende Dezember 1946 zum Tode verurteilt und Ende Januar 1947 hingerichtet. Siehe Klee (2015), S. 663. Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 30.04.1941, PA AA, R 60707. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 29.04.1941, PA AA, R 60704.
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6. Zweiter Weltkrieg
ausführlich.202 Er zeigte sich betroffen, betonte, er habe die Zusammenarbeit als „ganz besonders harmonisch“ empfunden. Bossis Berichte hätten nicht nur die Informationsabteilung, sondern auch die politische Abteilung, den Rundfunk und das für Volkstumsfragen zuständige Referat „stärkstens interessiert“ und „überall dankbarste Anerkennung“ gefunden. „Ich beabsichtige jetzt eine Sondervorlage Ihrer Berichte an den Herrn Reichsaussenminister“203, schrieb Stahlecker. Das könnte einerseits für die Mustergültigkeit der Kriegsberichte sprechen, scheint aber auch ein taktisches Manöver Stahleckers zur Personalmotivierung gewesen zu sein. Doch noch ließ Bossi sich nicht von einem Plan abbringen. Er kam in einem weiteren Brief auf persönliche Gründe zu sprechen, habe seit seiner Kindheit den Wunsch gehabt, Soldat zu werden: Mir ist es als einzigem männlichen Mitglied in unserer Familie, nach dem Weltkrieg verwehrt gewesen, Berufsoffizier zu werden. Aus meiner Liebe zum Soldatenberuf gerade habe ich mich auch als politischer Mitarbeiter in Volkstumsfragen jederzeit als Verfechter soldatischer Ideen betätigt und dies hauptsächlich dann auch als Schriftsteller getan.
Es sei zu Beginn des Krieges nicht leicht gewesen, sich „gegen den Willen und die Bemühungen meines guten Freundes, des Gauleiters Hofer, doch vor der UK-Stellung zu retten und buchstäblich ins Feld zu ‚entwischen‘“. Um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, betonte er, seinen VAA-Dienst seit Februar 1940 „schlecht und recht abgewickelt“ zu haben. „Sie wissen selbst, lieber Pg. Stahlecker, daß VAA beim Heer draußen nicht Fisch und nicht Fleisch ist“. Man müsse stets „zwei Herren“ dienen. Abschließend schlug er einen Kompromiss vor: Das AA sollte ihn als VAA zu einer Einheit nach
202
203
Walter Stahlecker (1900-1942) studierte Jura und schloss sich spätestens 1933 der NSDAP an. Im Juni 1939 stieg er zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei des SD (Sipo/SD) in Böhmen und Mähren auf. Nach Beginn des Ostfeldzuges führte er die Einsatzgruppe A im Baltikum und Nordrussland. Stahlecker ist verantwortlich für verschiedene Judenmassaker und meldete seinen Vorgesetzten schon im Oktober 1941 135.567 ermordete Menschen. Im März 1942 ermordeten ihn sowjetische Partisanen in Riga. Klee (2015), S. 595. Siehe auch Hürter (2001), S. 387 u. Streim (1981), S. 84. Stahlecker ist auch derjenige, der die bekannt gewordene Darstellung der mit Särgen gekennzeichneten ‚Judenfreiheit‘ des Baltikums anfertigte. Siehe dazu Mallmann u. a. (2011), S. 16. Im AA sah man ihn offenbar als „jungen, aggressiven SS-Brigadeführer“ mit Schaftstiefeln und Schäferhund. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 300. Entnahmen aus: SS-Brigadeführer Stahlecker, Inf. Abt. AA, an BF v. 10.05.1941, PA AA, R 60704.
6.3 Auf dem Balkan
355
Afrika oder zu Panzereinheiten in den Irak versetzen; diesen Dienst könne er sich anrechnen lassen. Sein Entschluss, zur Wehrmacht zu wechseln, stünde „unwiderruflich“204 fest. Da die weiteren Schritte bei der geplanten Versetzung offenbar noch einige Tage in Anspruch nahmen, begleitete Bossi zunächst seinen OB Mitte Mai für eine Woche als Dolmetscher bei einem Besuch der nah gelegenen 2. italienischen Armee.205 In seinem Bericht hielt der VAA sich mit Kritik an den Verbündeten nicht zurück. Er wolle sich zwar nicht weiter über Aussehen und Auftreten italienischer Soldaten „auslassen“, habe nur feststellen müssen, dass sich hinsichtlich der Disziplin und der „soldatischen Haltung des einzelnen Mannes, seitdem ich aus Südtirol im Jahre 1928 fort bin, nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewendet hat“206. Noch am gleichen Tag setzte er ein Fernschreiben an Rantzau auf und versuchte, der Versetzung Vorschub zu leisten. Er bat um einen „Einsatz in Syrien – Irak auf Grund Kenntnis […] franzoesischer Verhaeltnisse durch Arbeit in Botschaft Paris“207. Doch auf diese Idee war er möglicherweise nicht ohne einen Hinweisgeber gekommen: Schon seit dem 6. Mai befand sich Rudolf Rahn, Weggefährte aus der Pariser Kulturpropaganda-Arbeit, für den „Ankauf franz. Waffen zur Ausrüstung der irak. Armee“208 in Syrien. Es liegt auf der Hand, dass sich beide diesbezüglich verständigt haben dürften. Tatsächlich sah es zunächst so aus, dass das AA die Idee unterstützte. Rantzau teilte Bossi mit, der solle „betreffend Syrien […] mit möglichst grosser Beschleunigung zu Besprechung nach Berlin“209 kommen. Bereits zwei Tage später, am Abend des 19. Mai, erreichte er die Hauptstadt und blieb dort „bis zur Entscheidung seiner Abkommandierung“210. Die Angelegenheit zog sich allerdings weiter hin. 204
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209 210
Entnahmen aus: BF an SS-Brigadeführer Stahlecker, Inf. Abt. AA, v. 16.05.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 10.05.1941, PA AA, R 60704. Auch Rantzau drückte hier sein Bedauern darüber aus, dann nicht mehr mit BF zusammenarbeiten zu können. Tätigkeitsbericht VAA v. 18.05.1941, PA AA, R 60709. Siehe auch Meldung des AOK 2 v. 16.05.1941 u. v. 18.05.1941, ebd. Entnahmen aus: Bericht Nr. 14 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 16.05.1941, PA AA, R 60707. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.05.1941, PA AA, R 60704. Keipert/Grupp (2005), S. 558. Von dieser Episode berichtete Rahn 1950 auch in der NSEmigrantenzeitschrift Der Weg, die in Buenos Aires erschien. Rahn, Rudolf: „Arabischer Waffenhandel“. In: Der Weg. Monatshefte zur Kulturpflege und zum Aufbau 4/9 (1950), S. 817-821. Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 17.05.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 18.05.1941, BArch RH 20-2/999. Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an AOK 2, Abt. Ic, v. 20.05.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Telegramm BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 19.05.1941, ebd. Die Besprechung fand offenbar unter sechs Augen statt, neben BF und Rantzau kam Stahlecker hinzu.
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6. Zweiter Weltkrieg
Bereits am 26. Mai fragte der VAA bei seinem AOK an, wie lange die Abteilung noch an ihrem bisherigen Standort bleibe.211 Zwar hieß es im AA noch, der VAA bleibe nur bis zum Zeitpunkt seiner Kommandierung beim AOK, doch die Ereignisse der kommenden Wochen und Monate sollten vorerst dafür sorgen, dass eine Entscheidung über Bossis weitere Verwendung zurückgestellt wurde.212 Die Zeit, bis er am 8. Juni schließlich wieder bei seiner Dienststelle in Belgrad eintraf, nutzte er, um den Einsatz auf dem Balkan Revue passieren zu lassen und einen Abschlussbericht zu verfassen.213 Gleichzeitig nutzte auch das AA die Gelegenheit, die Ankündigung Stahleckers in die Tat umzusetzen und damit auch den möglichen Verbleib Bossis beim AA in die Wege zu leiten. Am 31. Mai wurden Reichsaußenminister Ribbentrop „weisungsgemäß“ einige Rapporte Bossis vom Balkan vorgelegt, darunter der Schlussbericht und Aufzeichnungen über Volksdeutsche, die dem AA „als besonders kennzeichnend für die Arbeit der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“214 galten. Das war nicht die einzige Gelegenheit, zu der Ribbentrop Bossis mustergültige Texte vorgelegt wurden. Anfang September 1942 verfasste das AA eine Vortragsnotiz für den Außenminister zum Thema „VAA’s bei den Armeeoberkommandos“; Hitler und seine Entourage hatten sich offenbar verschiedentlich „im negativen Sinne“ über die VAAs geäußert. Das AA hielt fest, bisher möglicherweise zu zurückhaltend bei der Weiterleitung von Dokumenten gewesen zu sein. Eine Aufstellung der VAA-Aufgaben und die Vorlage beispielhafter Berichte, auch solche von Bossi, sollte die Führung umstimmen und betonen, dass es statt eines „Riesenapparat[s]“ nur wenige Männer waren, die eine „für die Auslandspropaganda sehr wichtige Funktion“215 ausübten. Am 13. Juni verdichteten sich die Zeichen, dass die 2. Armee möglicherweise bald wieder würde in Marsch gesetzt.216 Major Irkens kam von Terminen in „Berlin, München und Breslau“ zurück und informierte seine Abteilung in 211 212 213 214 215 216
Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an AOK 2, Abt. Ic, v. 26.05.1941, PA AA, R 60704. Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an AOK 2, Abt. Ic, v. 28.05.1941, PA AA, R 60704. Schlussbericht BFs v. 30.05.1941, PA AA, R 60707. Siehe auch Aufzeichnung BFs v. 29.05.1941, ebd. Vorlage für den Reichsaußenminister v. 31.05.1941, PA AA, R 60707. Entnahmen aus: Vortragsnotiz Luther für Ribbentrop v. 08.09.1942, PA AA, R 27651. Siehe auch Klee (2015), S. 252. „V.A.A. Tätigkeitsbericht vom 9.6. bis 17.6.1941“ v. 17.06.1941, PA AA, R 60709. Am 13.06. stand eine Fahrt als Begleitoffizier mit dem stellv. OB u. dem Chef d. Generalstabes auf dem Plan: Orsova, Turn Severin, Negotin, Bor, Zajecar, Boljevac, Cuprija, Kragujevac u. Belgrad.
6.4 Im Osten
357
einer Besprechung am 15. Juni, auch den inzwischen zurückgekehrten Bossi.217 Während das AOK seinen Standort nun ins Hotel Majestic nach München verlegte, machte sich der VAA am 17. Juni auf den Weg nach Berlin: „Besprechungen und Entgegennahme von Weisungen bzgl. des bevorstehenden Feldzuges gegen Sowjetrußland und Rückkehr zum A.H.Qu. nach München“218. 6.4
Im Osten
6.4.1 Von München über Warschau bis Orel – Mai bis Dezember 1941 Die Oktoberrevolution 1917 habe, so Propagandaminister Goebbels 1942, „tatsächlich die Welt erschüttert“. Es müsse daher Aufgabe der Deutschen sein, „diese Ergebnisse zu annullieren. Das ist der geistige und weltanschauliche Sinn unseres Waffenganges mit der Sowjetunion“219. Der NS-Staat hatte sich auf vielen Ebenen seit 1933 bemüht und es auch weitgehend erreicht, ideologische Grundlagen zu schaffen, anhand derer die Soldaten, oft überzeugt von der Legitimität ihres Handelns, bei der Eroberung des ‚Lebensraums im Osten‘ und der rassisch-weltanschaulichen Vernichtung des Erzfeindes, des ‚jüdischen Bolschewismus‘, agierten.220 Der Feldzug, den die deutschen Einheiten seit dem 22. Juni 1941 gegen die Sowjetunion führten, unterschied sich in vielerlei Hinsicht von den Kämpfen im Westen und auf dem Balkan. Dort sah man sich tendenziell einem militärischen Gegner gegenüber – im Osten allerdings einem weltanschaulichen, im Endkampf um die Vorherrschaft der Rassen.221 Die harte 217
218 219
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221
KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 13.06.1941, BArch RH 20-2/999. Es ist denkbar, dass Irkens hier bereits von den völkerrechtswidrigen Befehlen hörte, die den Krieg im Osten prägen sollten. Dafür gibt es jedoch bisweilen keine Belege. Siehe auch KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 15.06.1941, ebd. „V.A.A. Tätigkeitsbericht vom 18.6. bis 22.6.1941“ v. 22.06.1941, PA AA, R 60709. Siehe zum Standort des AOK Vernehmung Rudolf Beyrer v. 24.10.1972, BArch B 162/28358. Goebbels (1942) / Fröhlich (1995), S. 137. 1940 klang das in der offiziellen Diplomatie noch anders. Siehe dazu auch „Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Führer und dem Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare und Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Molotow, am 12. November 1940“, Hillgruber (1969), S. 166-176, hier S. 167f. u. „Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Führer und dem Duce in Florenz im Palazzo Vecchio am 28. Oktober 1940“, ebd., S. 150-165, hier S. 158. Siehe dazu auch Römer (2008), S. 513: „Die heftigen Aversionen gegenüber dem Bolschewismus, die die Befehlshaber mit vielen subalternen Offizieren und Mannschaften teilten, wurzelten […] auch in der politischen Kultur der Zwischenkriegszeit und basierten auf prägenden kollektivbiographischen Erfahrungen“. BF schreibt regelmäßig vom anständigen, ‚ritterlichen‘ Verhalten deutscher Soldaten, unter anderem in den Westfeldzug-Berichten Nr. 22 (16.06.1940), 23 (17.06.1940), 24
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6. Zweiter Weltkrieg
Gegenwehr der Rotarmisten machte ideologisch aufgeladene „Deutungsangebote“222 im Vergleich zum ‚Spaziergang‘ im Westen plausibel. Doch „was man bei den Franzosen als Tapferkeit angesehen hätte, legte man den Rotarmisten als Heimtücke aus“223. Die deutsche Führung kalkulierte außerdem mit der Vertreibung, Versklavung und der Ermordung großer Bevölkerungsteile der Sowjetunion. Neben der Vernichtung der Juden, der „Gewinnung von Kolonialraum für deutsche Siedler“, der Sicherung eines Kontinentaleuropas unter deutscher Herrschaft und der materiellen Versorgung der Bevölkerung kann die „Dezimierung der slawischen Rasse und Unterwerfung“224 als eines der wichtigsten deutschen Ziele betrachtet werden. Verschiedene Erlasse und Richtlinien bereiteten einen barbarischen Rassenkrieg vor, in dem erheblicher Spielraum zwischen offiziellen Vorgaben und subjektivem Handlungsrahmen des Einzelnen bestand.225 Im Kampf gegen die Sowjetunion müsse das Heer „‚vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken‘ – der militärische Gegner sei ‚vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad‘“226, so Hitler. Die Fronteinheiten meldeten schließlich mehrfach Fälle des Missbrauchs der weißen Fahne durch die Rote Armee bis hin zur Simulation des eigenen Todes, um aus dem Hinterhalt anzugreifen. Das führte bei den deutschen Soldaten zu Pauschalurteilen gegenüber allen Rotarmisten: In einer für sie feindlichen Umgebung bot sich ihnen hier, ideologisch instruiert, durch verschiedene Merkblätter und Befehle scheinbar legitimiert, angesichts ungeahnter Weiten und widriger Wetterbedingungen, Nachschubproblemen und hohen eigenen Verlusten, die Gelegenheit, skrupellos und brutal vorzugehen.227 Das Kriegsrecht einzuhalten wurde, wenn überhaupt, zweitrangig. Zu den vorbereitenden Dokumenten zählte neben den „Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Barbarossa“ von März 1941, Grundlage der mordenden Einsatzgruppen und -kommandos der SS, vor allem der
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(18.06.1940), 25 (20.06.1940), 27 (24.06.1940), 29 (26.06.1940, alle in PA AA, R 60702) und dann erst wieder am 19.10.1943 aus Italien. Bericht Rittmeister Legationsrat BossiFedrigotti zur Stimmung der italienischen Bevölkerung v. 19.10.1943, PA AA, Büro des Staatssekretärs, Italien, R 29644. Römer (2008), S. 228. Römer (2017), S. 250. Entnahmen aus: Hillgruber (1972), S. 140. Römer (2010), S. 244f. u. 248. Siehe auch Römer (2008), S. 66ff. Äußerungen Hitlers in seiner Rede vor Heeresgruppen- und Armeeführern der Osttruppen in der Reichskanzlei v. 30.03.1941. Römer (2008), S. 68, zitiert hier Halder (1963), S. 336f. Vgl. ebd. Zu ‚hintertückischem‘ Verhalten siehe auch Hürter (2016), S. 43, Brief des Generals Heinrici an seine Familie v. 23.06.1941, bereits einen Tag nach Beginn des Ostfeldzuges.
6.4 Im Osten
359
Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1941, der die Militärjustiz gegenüber der Zivilbevölkerung außer Kraft setzte. Nicht mehr Kriegsgerichte entschieden über die Behandlung Verdächtiger, sondern die Offiziere und Soldaten direkt vor Ort. Gleichzeitig wurden Straftaten Wehrmachtsangehöriger gegenüber der Zivilbevölkerung nicht mehr zwingend verfolgt. Inbegriffen waren auch Kollektivmaßnahmen, falls einzelne Täter nicht zu ermitteln waren. Selbst der Verdacht reichte, um Menschen zu erschießen.228 Sechs Tage nach dem Erlass erschienen die „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland“, die „rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden“229 forderten. Das AOK 2 traf nach dem Beginn des Feldzuges zunächst am 25. Juni von München aus in Posen ein, wo der Ic sogleich eine Besprechung mit dem Chef der zugeteilten Propagandakompanie (PK) 698 abhielt. Der VAA befasste sich erst einmal mit der Abgrenzung des eigenen Aufgabenbereichs; anscheinend sollte auch alles außenpolitisch wichtige Aktenmaterial nur noch der ‚Gruppe Künsberg‘ zugeleitet werden.230 Resigniert stellte Bossi fest, dass die „Dienststelle des VAA bald der eines Schlachtenbummlers gleichzustellen ist, der als Autoreisender zwischen den kämpfenden Truppen seine Berichte macht“. Er habe keine Lust, sein „Leben als Soldat einzusetzen“, ohne zu wissen, welche Befehle auszuführen seien. Sollte sich das nicht schnellstens klären, müsse er „nunmehr endgültig um […] Beurlaubung von der Dienststellung eines V.A.A.“231 bitten. Tatsächlich begleitete ihn diese Angelegenheit noch bis in seine letzten VAA-Tage: Verschiedene Institutionen und Ämter beanspruchten das gestohlene Material, Akten, Karten und Dokumente, für sich, so nicht nur das AA und die Gruppe (später SS-Sonderkommando) Künsberg, sondern auch das OKW, die Abteilung Fremde Heere Ost, das OKH, die Geheime Feldpolizei und die Einsatzkommandos des SD.232 228 229 230
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232
Ueberschär (2011), S. 252f. u. Römer (2008), S. 71f. Entnahmen aus: „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Rußland“. BArch RH 3/203. In Posen fand am 24.06. sogleich eine Besprechung über den gemeinsamen Einsatz zwischen Major Irkens und Hauptmann Schminke, dem Kompaniechef der PK 698, statt. Die Propaganda schien detailliert geplant worden zu sein. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 23.24.06. u. v. 25.06.1941, BArch RH 20-2/1775. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.06.1941, PA AA, R 60704. Mitte Juli 1941 hatte sich das offenbar geklärt. BF bedankte sich bei Rantzau, dass die Stellung des VAA hinsichtlich Beuteakten nun geklärt war. Siehe BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 19.07.1941, ebd. Krug v. Nidda, AA, an Unterstaatssekretär Luther, AA, v. 16.07.1941, PA AA, R 60704. Dieses Dokument findet sich auch in R 27555. Siehe auch Vorlage Schnellbrief AA an SSBrigadeführer Müller, Chef Sipo/SD, v. Mitte Juli 1941 (ohne Datum), PA AA, R 60704.
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6. Zweiter Weltkrieg
Am 27. Juni erreichte das AOK 2 Warschau.233 Von dort aus unternahm Bossi zwei Tage später in Begleitung des Chefs des Generalstabs und des Ic einen Flug von Warschau ostwärts über Siedlce, den Fluss Bug und Brest-Litowsk, den Besuch eines ehemaligen russischen Flugplatzes inbegriffen. Dort fiel ihm Propagandamaterial in die Hand, „ganz auf die einfache Gedankenwelt des russischen Soldaten abgestellt“. Der könne nur mit „primitiven Mitteln“ wie einer Lebensgarantie oder guter Verpflegung zum Überlaufen gebracht werden. Die Rotarmisten seien außerdem „durchaus in der Hand der Kommissare“234. Dass der VAA bereits einen Tag nach seinem Eintreffen im Osten explizit von diesen Politsoldaten berichtete, könnte ein Beleg dafür sein, dass ihm der sogenannte Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 („‚Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare‘“235) bereits früh bekannt war. Auch der war Teil der „rassenideologischen Vernichtungspolitik“236 und beeinflusste das weitere Berichten und Handeln Bossis. Gegenstand der Richtlinie waren alle Politsoldaten der Sowjetarmee, wobei Kommissare dem Begriff nach im Grunde nur ab der Regimentsebene aufwärts eingesetzt wurden; unterhalb hießen sie ‚Politruks‘.237 Laut eines erbeuteten sowjetischen Dokuments (und der Übersetzung durch die Wehrmacht) fungierten sie als „moralische Leiter“ ihrer Einheit, als Vertreter der kommunistischen Partei. Sie hatten sogenannte Feiglinge und Deserteure zu melden, sollten die „Truppen zum Kampf gegen die Feinde“ begeistern und dafür mit gutem Beispiel vorangehen. Ferner galt, die Soldaten 233
234 235
236
237
KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 27.06.1941, BArch RH 20-2/1775. BF bat Rantzau außerdem, ihm etwas Material nachzusenden: Ein Gummiwaschbecken, eine Thermosflasche und einen leichten Schlafsack. „Die genannten Gegenstände werden dringend benötigt, da wir in freien Feldlagern untergebracht sind und unter den primitivsten Verhältnissen Quartier beziehen müssen“. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 29.06.1941, PA AA, R 60704. Entnahmen aus: Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 29.06.1941, PA AA, R 60704. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 75, zitiert hier Begleitschreiben des OKW zum Kommissarbefehl v. 06.06.1941, Ueberschär/Wette (2011), S. 259f. Hitler hatte seine Oberbefehlshaber bereits am 30.03.1941 in der Reichskanzlei zu den geplanten Richtlinien instruiert. „Die Umsetzung der Kommissarrichtlinien begann bereits, als die Waffen noch schwiegen“. Römer (2010), S. 246 Römer (2010), S. 245. Innerhalb von zwei Wochen war der Befehl „auf dem Dienstweg vom OKW über die Fronstäbe bis zu den Landsern“ übermittelt worden, also noch bevor die Wehrmacht die Grenze zur Sowjetunion übertrat. Römer (2008), S. 11. Wie andere Ic-Offiziere hatte auch BFs Vorgesetzter Irkens höchstwahrscheinlich an verschiedenen Ic-Besprechungen vom 10. bis 11. Juni in Allenstein und Warschau teilgenommen. Hier wurde über den Kriegsgerichtsbarkeitserlass und den Kommissarbefehl gesprochen. Römer (2008), S. 82ff. u. 334. Römer (2008), S. 277 u. 489. Eine Richtlinie des OKW legte im August 1941 jedoch fest, dass beide für die deutschen Truppen als Kommissare galten.
6.4 Im Osten
361
zur „Tapferkeit, zur Unerschrockenheit, zur Kaltblütigkeit, zur selbstständigen Initiative, zum Mut, zur Todesverachtung und zur uneingeschränkten Kampfbereitschaft“238 zu erziehen. Die Politsoldaten besaßen also aus deutscher Sicht (und wohl auch tatsächlich, aber erst später) das Potential, eine noch stärkere Gegenwehr zu evozieren. Sie galten der NS- und weitgehend auch der militärischen Führung als Verkörperung des „jüdisch-bolschewistischen Untermenschen“. Die zähe, angeblich heimtückische Kampfweise der Rotarmisten führte man auf ‚Verhetzung‘ und ‚Terror‘ durch die Politoffiziere zurück. Viele gaben den Kommissaren daher sogar die Schuld an den beispiellosen deutschen Verlusten, da man die Ursache des heftigen gegnerischen Widerstands, den man als sinnlos und illegitim abqualifizierte, in den Propagandalügen und drakonischen Gewaltmethoden der Politoffiziere erblickte. Nicht zuletzt vermutete man die Kommissare auch bei allen sowjetischen Völkerrechtsverletzungen als ‚treibende Elemente‘.239
Der Kommissarbefehl konstatierte, dass im Kampf gegen den bolschewistischen Feind mit einem Verhalten nach den „Grundsätzen der Menschlichkeit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen“ sei. Von allen sowjetischen Politsoldaten erwartete man eine „haßerfüllte, grausame und unmenschliche“ Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen. Die Kommissare, „Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden“, seien, „wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen“240. Das galt sowohl 238
239 240
Entnahmen aus: „Satzung betr. die Kriegskommissare in der Roten Armee“ v. 15.08.1941, Übersetzung, PA AA, R 60705. Das russischsprachige Original zur vergleichenden Übersetzung ist in der Akte nicht enthalten. Die Übersetzung wurde an das OKH, Abteilung Fremde Heere Ost, weitergeleitet. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.08.1941, PA AA, R 60705. Entnahmen aus: Römer (2010), S. 244f. u. 252. Siehe dazu auch Hürter (2016), S. 50f, Brief des Generals Heinrici an seine Frau v. 20.07.1941, in dem er die Kommissare für den verzweifelten Widerstand verantwortlich macht. Entnahmen aus: „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“ v. 06.06.1941. In: Ueberschär/Wette (2011), S. 259f. Vgl. Römer (2008), S. 316 u. Römer (2010), S. 252: Die akribische Durchführung des Befehls kann im Laufe des Ostfeldzugs auch als eine Art „Ersatzhandlung“ gegolten haben, als Möglichkeit, durch harten Widerstand aufgestauten Frust mit einer „Kanalisierung der Affekte“ abzubauen. Siehe auch S. 249f., 408ff. u. Römer (2014), S. 100: Exekutionen seien von beinah allen Einheiten, die an der Ostfront kämpften, durchgeführt worden. Es handele sich um 4.000 bekannte Meldungen, die Dunkelziffer liege aber eher bei 10.000. Römer nimmt hier Bezug auf die Auswertung von Verhör- und Abhördokumenten aus dem US-Lager Fort Hunt (Washington), die bestätigen, dass die schriftliche Überlieferung nicht unbedingt die mündlich berichtete Realität abbildet. Während der einjährigen Geltungsdauer des Befehls wurden etwa 3.430 Kommissare nachweislich ermordet, davon über 2.200 im Frontbereich.
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für die Bereiche der SS als auch die der Wehrmacht. Zweifellos leisteten damit vor allem die militärischen Fronttruppen einen „essentiellen Tatbeitrag“ zur Ausführung eines verbrecherischen Befehls, zu „offenkundigen, systematischen Rechtsbrüchen“, auch wenn die Begegnung mit einem Kommissar ein „eher seltenes Ereignis“241 blieb. Die Exekutionen sollten außerdem nicht direkt vor der Truppe, sondern unauffällig durchgeführt werden – die Sorge um die Kampfmoral der Soldaten war schon hier zu spüren.242 Waren die Aufgabenbereiche der SS und der Wehrmacht bis zum Ostkrieg noch relativ klar voneinander getrennt, überkreuzten sich nun stärker als je zuvor militärischaggressives Vorgehen und völkisch-rassistische Ideologie.243 Anhand von Feindberichten und Vernehmungsprotokollen hatten die deutschen Einheiten tatsächlich unmittelbare Informationen, die das erwartete Verhalten der Kommissare zu bestätigen schienen.244 Für sie legitimierte das die eigene Grausamkeit und Brutalität im Vernichtungskrieg. Diesen oftmals „dämonisierenden“245 Vorstellungen und ihren Belegen kam entscheidende Bedeutung bei der Handlungsentscheidung der Stäbe und ihrer einzelnen Mitarbeiter zu. Mit zunehmender Dauer des Feldzuges häuften sich Bossis Berichte über die Sowjet-Kommissare und deren Behandlung. Zwischenzeitlich sei deren Gewicht angeblich zu einem „Scheindasein herabgesunken“246. Wenig später 241
242 243
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245 246
Entnahmen aus: Römer (2010), S. 243, 248 u. 251. Siehe auch S. 376: „Das Einbringen von Gefangenen bildete […] die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Vernichtungspolitik überhaupt realisiert werden konnte […]“. Nicht selten kam es vor, dass die Richtlinien sogar noch radikaler ausgeführt wurden, als gefordert worden war. Kritik daran kam nur selten vor, doch wenn, dann wurden die Zuständigkeiten oft weitergereicht. Siehe ebd., S. 246f. u. Römer (2008), S. 428. Die Beteiligung des deutschen Militärs an diesen systematischen Rechtsbrüchen sei ein in der „deutschen Militärgeschichte beispielloser Vorgang“. An der Rechtswidrigkeit des Befehls habe schon aus „zeitgenössischer Perspektive kaum ein Zweifel bestehen“ können. Die Kommissare erfüllten „einwandfrei alle Anforderungen“ der Haager Landkriegsordnung. Ebd., S. 12. Römer (2008), S. 85. Hillgruber (1972), S. 138 u. 143ff. Siehe auch Römer (2010), S. 253: „In kaum einem Bereich aber wirkte die Wehrmacht so unmittelbar, aktiv und umfassend an der Realisierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik mit wie bei der Umsetzung des Kommissarbefehls“. Die wenigen Quellen über die Rote Armee zeigen, dass die deutschen Vermutungen nicht immer haltlos waren. Auch scheinen Vernehmungen immer wieder bestätigt zu haben, dass die Kommissare, die tatsächlich wenig zu verlieren hatten, die Truppen vorantrieben. Von solchen Vernehmungen berichtet u. a. auch General Heinrici, zu diesem Zeitpunkt kommandierender General des 43. Armeekorps, in einem Brief an seine Frau v. 03.08.1941, Hürter (2016), S. 54. Römer (2008), S. 24. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, PA AA, R 60704.
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hätten sie wieder große Machtbefugnisse besessen.247 Sich widersprechende Verhöre ergaben, dass viele Soldaten ihren Kommissar nicht einmal gesehen hatten, keineswegs alle Kommissare Juden seien und diese sich sogar durchaus „in einem deutschfreundlichen Sinne“248 äußerten. Eine der wichtigsten Quellengrundlagen zur Ausführung des Kommissarbefehls bilden die Akten der Ic-Abteilungen, denn dort lag die „dienstliche Zuständigkeit“249 für dessen Weiterreichung – und für die Meldung der erfolgreichen Umsetzung. Die alle zehn Tage abzusetzenden Erschießungsberichte können teils als authentisch und realistisch gelten, wurden bisweilen aber auch in einer Art Tarnvokabular verfasst, bis hin zu euphemistischen Wendungen ‚guter Behandlung‘. Tarnen und Täuschen war an der Tagesordnung, je nach Stil des Ic-Offiziers und seiner Abteilung.250 Überhaupt oblag die Leitung der „bürokratischen Abwicklung der Vernichtungspolitik an der Ostfront“ den Ic-Abteilungen. Außerdem fungierten sie hier wieder als „Verbindungsstellen zu den Kommandos der Einsatzgruppen des SD“, verfügten als AOK über eine circa hundert Mann umfassende, „hochmobile Einheit“ der Geheimen Feldpolizei (GFP), der voll motorisierten „‚Gestapo der Wehrmacht‘“251, und 247 248 249 250
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Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704. Vernehmung eines russischen Arztes v. 14.07.1941, PA AA, R 60704. Entnahmen aus: Römer (2010), S. 256. Wenn in den Dokumenten der AOKs gemäßigte Formulierungen verwendet wurden, galt das nicht unbedingt für die Berichte untergebener Einheiten, die Anlass zur Meldung der jeweils höheren Ebene gegeben hatten. Siehe Römer (2008), S. 43ff.: „Von der euphemistischen Verklärung oder sprachlichen Verschlüsselung der Berichterstattung über die Vernichtungspolitik war es kein weiter Weg mehr zur vollständigen Unterdrückung solcher Nachrichten in den Akten“. Siehe auch S. 233: Die Meldungen im Zusammenhang des Kommissarbefehls sind „nicht immer auf den ersten Blick als solche zu erkennen“, auch wenn die Rapporte in den Richtlinien dienstlich befohlen worden waren. Felix Römer führte dazu verschiedene Termini auf, die in den Berichten von Erschießungen verwendet wurden: erledigt, liquidiert, umgelegt, unschädlich gemacht, auf der Flucht erschossen, angetroffen, festgestellt, gesondert abgeschoben, behandelt, gut behandelt, usw. Siehe S. 339 u. zum Meldeturnus S. 334. Einigermaßen vollständige Sammelmeldungen über die Exekutionen der Kommissare liegen vom AOK zumindest bis Herbst 1941 vor. Ebd., S. 366 u. 381f. Die Termine der unterstellten Einheiten zur Meldung der Erschießungszahlen waren beim AOK 2 jeder 10. und 24. des Monats. Siehe S. 336, zitiert hier „Fernmündliche Anweisung des AOK 2 Abt Ic“, BArch 24-53/146. Hauptmann Süßmilch, Angehöriger der Abt. Ic/AO beim AOK 2, erinnerte beispielsweise die Abt. Ic des. LIII. AK an „Termin politische Kommissare“ zur Meldung ans AOK. Ebd., zitiert hier BArch RH 24-53/147. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 318 u. 326, zitiert hier BArch RH 22/199, S. 26. Die GFP war größtenteils aus Angehörigen der Sicherheitspolizei rekrutiert. „Ihr Alltag war ausgefüllt mit ‚Befriedungsaktionen‘ jeder Art, Streifen, Personenkontrollen, Razzien und ‚Säuberungen‘ in Ortschaften, Fahndungen und Selektionen in Gefangenenlagern und
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steuerten diese auch. Sofern die GFP Entscheidungen über Exekutionen nicht eigenständig traf, erstatte sie dem SD oder der Ic-Abteilung Meldung, damit dort über Leben und Tod entschieden wurde. So kam es vor, dass die Abteilungsoffiziere immer wieder auch persönlich Exekutionen anordneten. Es war keine Seltenheit, dass auch die VAA-Offiziere Morde der SS-Einheiten so unmittelbar mitbekamen.252 Das kann so auch für Bossi gelten, vor allem, da er auch zeitweise das Kriegstagebuch der Abteilung führte, das etliche Exekutionen vermerkt.253 Überhaupt war der „Mittelabschnitt der Ostfront“ der Schauplatz, an dem die meisten Kommissarexekutionen stattfanden. Von den insgesamt 268 Kommissarerschießungen, die das AOK 2 im Jahr 1941 meldete, entfielen die meisten, nämlich 171 Exekutionen, auf die Anfangsphase des Feldzugs im Juni und Juli 1941.254
Im August waren es 84 Erschießungen, im September 13. Da den Ic-Abteilungen auch die Gefangenen im Bereich der Armee, die sich in Lagern und
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nicht zuletzt auch mit der Vernehmung von Festgenommenen […]“. Ebd., S. 327 u. 464. Viele GFP-Einheiten „wirkten aktiv an der Erfassung der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten mit und trugen damit zum arbeitsteiligen Prozess der Judenvernichtung bei. […] Festgenommene Juden übergab die GFP in der Regel unmittelbar an die Kommandos der Einsatzgruppen, zu denen die GFP-Gruppen für gewöhnlich ‚dauernde Fühlung‘ hielten“. Ebd., S. 328, zitiert hier BArch RH 21-1/470, S. 4. Siehe auch Pohl (2005), S. 111f. Die beim AOK 2 tätige GFP-Gruppe 612 beteiligte sich nachweislich aktiv am Mord an den Kommissaren. Siehe u. a. Römer (2008), S. 327 u. 433, zitiert hier BArch RH 24-48/208, Anl. 92, S. 464, mit Verweis auf KTB 9.Pz.Div., Abt. Ic, BArch RH 27-9/81, S. 24f. u. 27f., u. Römer (2017), S. 229. Siehe Frauenfeld, Reu’, S. 202ff. Siehe u. a. Römer (2010), S. 255 u. Römer (2008), S. 608, bezogen auf Ic-Morgenmeldung des Höheren Kommandos XXXV v. 24.07.1941, BArch RH 20-2/1100, ebd., S. 49, bezogen auf BArch RH 24-53/146 u. Kriegstagebuch AOK 2 Abt. Ic v. 25.07.1941 (Belynitschi), BArch RH 20-2/1775, S. 127: „Kommandos der G.F.P. Gruppe 612 durchsuchen den Raum von Dewinitza, 55 km. westl. Belynitschi und die Gegend um Chrapy nach russischen Banden und Kommissaren“. Die Zahlen gemeldeter Erschießungen erscheinen realistisch. „Die Stäbe verfolgten für gewöhnlich nicht die Absicht, ihre Erschießungszahlen zu manipulieren […]“. Römer (2008), S. 348. Bei exorbitant hohen Zahlen fragte die vorgesetzte Stelle gelegentlich auch noch einmal nach. Fehler in den Meldungen waren natürlich nicht ausgeschlossen. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 382f. u. 390. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zahlen des AOK 2 auch so hoch sind, weil hier auch Zahlen der 4. Armee eingerechnet sind, über die das AOK 2 Anfang Juli 1941 den Befehl übernahm. Ebd., S. 391. Siehe auch S. 549: „Und auch das AOK 2, das sich im September 1941 gegen die Erschießungen wandte, hatte im Vergleich zu den übrigens Infanteriearmeen des Ostheeres weit überdurchschnittliche Exekutionszahlen erzielt“.
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Gefangenensammelstellen befanden, unterstanden, wurden die hier eingesetzten Offiziere auch dort bei ‚Aussonderungen‘ aktiv, tatkräftig von „Ordonnanzoffizieren, Dolmetscheroffizieren und Sonderführern“255 unterstützt. Nicht selten wurden die Gefangenen auch gefoltert. Die Verhöre, die auch Bossi durchführte, dienten unter anderem dazu, beiläufig Politsoldaten zu entdecken und sie der SS oder GFP zuzuleiten. Sowohl bei der Verbreitung der Kommissarrichtlinien als auch bei der praktischen Umsetzung offenbarte sich ein breites Verhaltensspektrum, das von der bewussten Umgehung des Kommissarbefehls über seine buchstabengetreue Umsetzung bis hin zur eigenständigen Radikalisierung der Vernichtungspolitik reichte.256
Der Kriegstagebuch-Eintrag des AOK 2 für den 12. August 1941 vermerkte für den Aufgabenbereich des VAA lapidar verschiedene Gefangenenvernehmungen „sowie auf der Fahrt nach dort Niederkämpfung eines russischen Kommissars“257. Einen Tag später konkretisierte Bossi die Situation: Die Politsoldaten wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung. Der VAA nahm selbst an der Niederkämpfung einiger Stellungen teil, in denen sich noch russ. Truppen nach dem Durchbruch durch die deutsche Infanterie hielten. In einer Schützenstellung verteidigte sich ein Kommissar bis zur letzten Patrone.
Angesichts einiger Erfahrungen mit fanatischen Kommissaren sei es „begreiflich“, wenn die Soldaten „mit einer außerordentlichen Erbitterung kämpfen und nur ungern, polit. Motiven folgend, mehr Gefangene am Leben lassen, als sie am Leben lassen möchten“258. Diese Situation zeigt, dass sich Bossi, offenbar von der Legitimität seiner Handlung überzeugt, persönlich am ideologisch motivierten Kampf gegen die 255
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Ebd., S. 464, mit Verweis auf KTB 9.Pz.Div., Abt. Ic, BArch RH 27-9/81, S. 24f u. 27f. Gefangenenvernehmungen, wie sie schon in der Dienstanweisung für die VAAs aufschienen, stellten eine der Hauptaufgaben der Abteilung Ic dar. Die Offiziere der Abteilung ließen sich Kriegsgefangene zum Verhör kommen, fuhren aber auch selbst in die Gefangenensammelstellen und Lager. Ebd., S. 323. Es „gehörten ‚strenge Behandlung und Repressalien‘, sprich Folter, […] zum handwerklichen Repertoire der Vernehmungsoffiziere in den Ic-Abteilungen“. Ebd., S. 324, zitiert hier einen Erfahrungsbericht der 257. Inf. Div., Abt. Ic, v. Winter 1941, BArch RH 26-257/37. Anl. 68. Römer (2008), S. 428. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 12.08.1941, BArch RH 20-2/1775. Entnahmen aus: Bericht Nr. 10 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.08.1941, BArch RH 20-2/1111.
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Kommissare beteiligte – und diese Szene und seine Beteiligung darüber hinaus für geeignet hielt, sie so im offiziellen Kriegstagebuch festzuhalten. Offenbar war es ihm wichtig, mit seiner Unterstützung zum frontnahen Kampf und der Exekution des Erzfeindes beigetragen zu haben.259 „In dem Bezugssystem, in dem die Truppen an der Ostfront agierten“, so Felix Römer, „konnten sie Kriegsverbrechen begehen, ohne sich als Verbrecher zu fühlen“260; das kann möglicherweise auch für Bossi gelten. Die Historikerin Ulrike Jureit schrieb zum individuellen Handlungsrahmen eines Menschen: Handlung ist zunächst einmal Bewegung, und zwar Bewegung, die von einer inneren Erfahrung begleitet wird. Die Bewegung erlebt der Einzelne als Verwirklichung einer Möglichkeit unter anderen. Handlungsspielraum ist daher Bewegungsspielraum. Hierin liegt der Kern menschlicher Freiheit. Frei ist ein Handelnder, wenn er auch hätte anders handeln können.261
Seine Wortwahl, den Kommissar selbst ‚niedergekämpft‘ zu haben, kann dabei, so Römer, als einer der typischen Euphemismen gelten, die in den deutschen Akten immer wieder vorkommen, wenn es um Kommissare, Partisanen etc. geht. Das ist natürlich letztlich nicht verifizierbar, doch ist das ein ganz typischer Duktus, der auch dann vorkam, wenn es um Abfrage von Exekutionsziffern ging.262
Bossi nutzte auch seine Aufgaben gemäß Dienstanweisung, um über das Verhalten der Politsoldaten zu berichten. Ende Juli 1941 fand er zwölf tote Rotarmisten, die „von russischen Kommissaren wegen Besitzes deutscher Flugzettel […] erschossen worden waren“263. Er selbst habe beobachtet, wie 259
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Auch Josef Schlemann, VAA beim AOK 9, schrieb schon Ende Juni 1941 über die „gründliche Erledigung“ des Kommissarbefehls. Hürter (2003), S. 370, zitiert hier Schlemann an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 27.06.1941, PA AA, R 60760. Ob sich auch die anderen VAA an diesen Verbrechen beteiligt haben, ist nicht bekannt. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 504ff. u. 525ff. Jureit (2005), S. 168. Siehe auch Wette (1996), S. 70. „Zur Erklärung der Frage, was diese Männer dazu trieb, Mord und Totschlag zu ihrem alltäglichen Handwerk zu machen, muß also ein ganzes Bündel von Faktoren herangezogen werden: Befehlsabhängigkeit, Autoritätsgläubigkeit, Anpassungsbereitschaft und Karrierismus, Brutalisierung durch den Krieg, Gruppenzwänge und nicht zuletzt die rassistische Indoktrination […]“. E-Mail Felix Römer an CP v. 10.07.2016. Schon der spätere Generalfeldmarschall von Brauchitsch hatte in einer Information des AOK 6 vor dem Feldzug gefordert, die Truppe müsse lernen, „feindselige Zivilisten und Kommissare selbst niederzukämpfen“. Richter (2005), S. 60f., zitiert hier BArch RH 20-6/96, Informationen der Abt. Ic/AO d. AOK 6 v. 16.06.1941. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 24.07.1941, PA AA, R 60704.
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diese ihre Soldaten angewiesen hatten, als Zivilisten verkleidet „getarnt weiterzukämpfen“264. Angsterfüllte sowjetische Offiziere, die im Anschluss an Verhöre fragten, ob ihnen der Tod bevorstünde, lachten die Ic-Offiziere aus und erklärten ihnen „Einiges über die verlogene Propaganda der Kommissare“265. Außerdem hätten Bossi und seine Ic-Kameraden in einem KommissarVorratslager, das die hungernden Rotarmisten bei Androhung der Todesstrafe nicht betreten durften, „etliche Kisten mit Keks, Fett, Butter, Zucker, Kerzen, Seife, Gries und Grütze“266 gefunden. Bei diesen Passagen schien es sich für den VAA um selbsterfüllende Prophezeiungen zu handeln. Man erwartete dieses Verhalten von den Kommissaren – und es schien sich zu bestätigen. Damit vergewisserten sich die Männer auch immer wieder selbst, dass der Kampf gegen die Politsoldaten in dieser grausamen Form gerechtfertigt war. Doch die deutschen Einheiten wurden sich zunehmend bewusst, dass der willkürliche Mord und die Verrohung der Soldaten negative Rückwirkungen auf die Disziplin der Truppe haben könnten. Die Sorge der Kommandeure kreiste „mehr um die eigenen Truppen als um die Opfer“267. Tatsächlich stärkte dies den Widerstand der Roten Armee beträchtlich. Ende August 1941 sendete Bossi eine „sehr ernst zu nehmende Meldung“ nach Berlin: Die Russen wollten offenbar als „Gegenrepressalie gegen die Nichtgefangennahme von Kommissaren“ deutsche Offiziere in Gefangenschaft erschießen. Nun schlug das Vorgehen der deutschen Truppen in unmittelbare aktive Gegenwehr um. Es stelle sich die Frage, so Bossi, ob ein toter Kommissar dem Sterbenmüssen eines gefangenen deutschen Offiziers gleichzusetzen ist. Vorläufig ist diese Meldung ganz streng vertraulich! Es gibt ja, als GEKdos [Geheime Kommandosache], eine bestimmte Weisung bezügl. der Kommissare!268 264 265 266 267
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Bericht Nr. 8 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 01.08.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Hartmann (2009), S. 527. Bericht Nr. 12 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic./AO v. 24.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Hartmann (2009), S. 486. Römer (2010), S. 243 u. 247f. Siehe dazu auch Streit (1980), S. 83ff. u. Buchbender (1978), S. 160ff. Davon berichtete auch General Wilhelm Ritter von Thoma, der in englischer Gefangenschaft abgehört wurde, bei einem Gespräch mit General Ludwig Crüwell Anfang Dezember 1942. Da die Kommissare nichts mehr zu verlieren hatten, vermieden sie die Gefangennahme um jeden Preis. Vernommene Russen hätten das ebenso bestätigt. Sie hätten sogar die entsprechenden deutschen Befehle gefunden. Neitzel (2012), S. 225. Weitere Berichte über die Kenntnis und auch Ausführung des Kommissarbefehls finden sich auf den Seiten 232, 238 u. 262. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Hartmann (2009), S. 490. Erschießungen deutscher Kriegsgefangener waren keine
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Hier wird unmissverständlich klar, dass dem VAA Bossi der Kommissarbefehl, dessen Inhalt und Ausführung bekannt war. Möglicherweise hatte er davon schon bei der Ic-Besprechung im Juni, oder aber erst Anfang Juli erfahren.269 Als deutsche Behörden schließlich 1972 ermittelten, ob und wie der Kommissarbefehl in der 2. Armee weitergereicht wurde, gab der ehemalige Chef des Stabes, Gustav Harteneck, im Zuge einer Vernehmung zu Protokoll, er habe von „Vollzugsmeldungen auf Grund des Kommissarbefehls“ nichts gewusst und sich auch nicht denken können, „daß er von Soldaten, die dem AOK unterstanden, durchgeführt wurde“. Eine Zusammenarbeit mit „höherstehenden SS-Dienststellen“ war ihm darüber hinaus „unbekannt“270. Bossi hielt im März 1942 fest, es sei unmöglich, daß ich Geheimbefehle, die besonders die Aktivpropaganda in den Feind und die Bevölkerung betreffen, nicht erführe. Unsere Armee betrachtet den VAA als Offizier, der verantwortlich mitarbeitet und der gerade durch seine Arbeit politische Wünsche der Truppe über das Amt besonders nach oben vorbringt.271
Schon Ende Juli allerdings wurden die noch vorhandenen Ausfertigungen des Befehls auf Initiative des OKH vernichtet, unter anderem auch, damit sie nicht Feindtruppen in die Hände fielen.272 Doch die Richtlinien besaßen weiter Gültigkeit. Bossi bekundete in dem Brief zwar seinen Unmut, doch wohl vor allem, um die Erschießung der eigenen Soldaten zu verhindern. Bis er von diesen
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Seltenheit. Zum Teil gab es Aussagen entkommener Deutscher, Gräber wurden ausgehoben und Leichen obduziert oder sowjetische Kriegsgefangene gaben es bei Vernehmungen zu Protokoll. Römer (2008), S. 230f. Siehe auch Heer (2012), S. 42. Rantzau schrieb BF im Januar 1942, er solle keinen Bezug mehr „auf geheime Weisungen des OKW“ nehmen. So etwas könne schwerwiegende Folgen nach sich ziehen und das OKW dazu bewegen, „den VAA.s die Geheimbefehle der höchsten Kommandostellen“ nicht mehr vorzulegen. Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 06.02.1942, PA AA, R 60712. Hier war man sich also anscheinend durchaus bewusst, dass es sich um geheim zu haltende Angelegenheiten handelte. Der Formulierung nach zu urteilen, lagen BF noch weitere Geheimbefehle, möglicherweise auch Richtlinien vor. Römer (2008), S. 115, unter Verweis auf Besprechungspunkte des O7 v. 05.07.1941, BArch RH 20-2/1090, Anl. 186. 100% der AOK-Stäbe haben den Befehl laut der Untersuchungen Römers weitergegeben. Ebd., S. 578. Entnahmen aus: Vernehmung Gustav Philipp Harteneck v. 11.08.1972, BArch B 162/28357. Harteneck (1892-1984) studierte zunächst Medizin, meldete sich 1914 als Kriegsfreiwilliger und war bis 1918 zum Leutnant befördert worden. Danach diente er in der Reichswehr und der Wehrmacht. Von Oktober 1941 bis November 1943 war Harteneck Chef des Generalstabes der 2. Armee. Radke (1977), S. 12. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 04.03.1942, PA AA, R 60712. Römer (2008), S. 48.
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Neuigkeiten erfuhr, hatte er sich schließlich selbst an Maßnahmen gegen die Kommissare beteiligt.273 Dass wohl tatsächlich deutsche Offiziere als Gegenrepressalie erschossen werden sollten, bestätigten gefangene Soldaten in einem Gespräch im Mai 1945 im US-Verhörlager Fort Hunt bei Washington, das heimlich abgehört wurde: ‚Dann haben sie auch […] jeden, den sie als Kommissar erkannten, erschossen. Man hat sich da auf die Anzeigen der Mannschaften verlassen. Dann hat ja auch der Russe gesagt, so lange wie das geschieht wird jeder deutsche Offizier erschossen.‘274
Im AA löste der Bericht Bossis einigen Wirbel aus. Anscheinend waren hier längst nicht alle Mitarbeiter über die Exekutionen der Kommissare informiert. Rantzau leitete die Passage über die Erschießungen an Generalkonsul Wüster, Leiter der Informationsabteilung, weiter.275 Der vermerkte handschriftlich neben dem Text, „Kommissar ist nach Kriegsrecht doch Soldat“, und weiter unten: „OKW sollte doch einmal offiziell an das AA treten, damit ein Weg gefunden wird, diese Schweinerei abzustellen“276. Auch in den darauffolgenden Wochen berichtete Bossi weiter vom Wirken und Verhalten der Kommissare. Es sei „eindeutig feststellbar“ gewesen, daß unsere bisherige Propaganda nicht ausreichte, um die Macht der Kommissare zu brechen“277. Deren Einfluss sei derart hoch gewesen, dass es notwendig 273
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Zu diesen Berichten führen Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 210, BF als kritische Stimme aus den Reihen der VAA an. Der habe gemahnt, dass die „seit Wochen praktizierte Ermordung der politischen Kommissare der Roten Armee durch die Wehrmacht zur Folge haben könnte, dass gefangen genommene deutsche Offiziere bald dasselbe Schicksal erwarte“. Römer (2014), S. 95, zitiert hier Room Conversation, Sandrart – Nieschling, 19.05.1945, NARA, RG 165, Entry 179, Box 535. Siehe ebenso Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 206f. Walther Wüster (1901-1949) wechselte 1935 nach einer Tätigkeit als Ingenieur bei den Junkers-Flugzeugwerken und dem NSDAP-Parteibeitritt 1931 als Referent ins RMVP. Seit 1938 war er Gaubeauftragter der Dienststelle Ribbentrop. 1940 wechselte er als Generalkonsul in den Auswärtigen Dienst und war von April 1941 bis November 1943 Leiter der Informationsabteilung im AA. Keipert/Grupp (2014), S. 337f. Hausinterner Weiterleitungsvermerk Rantzau an versch. Stellen des AA v. 01.09.1941, PA AA, R 60704. Die Frage, ob es nicht von Vorteil gewesen wäre, solche Anweisungen wie den Kommissarbefehl auszusetzen, um den massiven Widerstand erlahmen zu lassen, stellte sich nicht nur BF. Auch Werner Otto von Hentig, VAA beim AOK 11, formulierte solche Ansätze in seinen Berichten. Der vermerkte nach der Besetzung der Krim auch die erstaunlichen Verteidigungsleistungen der Sowjets, auch der politischen Soldaten. Hürter (2003), S. 362. Bericht Nr. 13 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 02.09.1941, PA AA, R 60704.
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erschien, die „ganze Kraft der Propaganda in die Verbreiterung des Gegensatzes Kommandeur und Rotarmist einerseits – Kommissar andererseits anzusetzen“278. Noch im Juli 1942 schrieb er von einer kleinen sowjetischen Restgruppe, die noch Widerstand leiste, bis diese mit ihrem „Führer, meistens einem Kommissar, eben niedergemacht wird“279. Allerdings legten verschiedene Wehrmachtseinheiten bereits Anfang September 1941 Denkschriften und Protestnoten bei ihren vorgesetzten Dienststellen gegen den Kommissarbefehl und seine Auswirkungen vor. Am 9. September reihte sich hier auch das AOK 2 mit einem Schreiben an die Heeresgruppe Mitte ein.280 Nach wiederholten Forderungen, den Befehl aufzuheben, gab Hitler im Juni 1942 schließlich nach. Strategische Erwägungen zwangen ihn beinah dazu: Die Richtlinien hatten den Widerstand der Roten Armee immer weiter verstärkt; man hoffte, dass der nun abebben würde. Bossis Kommentar von Juli 1942 zeigte allerdings, dass dadurch das gefestigte Feindbild keineswegs verschwand. Es waren keine „humanitären Zweifel an der Vernichtungspolitik“, die zu einem Umdenken führten, sondern die „operative Entwicklung an der Ostfront“281. Die Vernichtungspolitik erwies sich als schwere Hypothek, die den Zielen der Wehrmacht weit mehr Schaden als Nutzen einbrachte, von den humanitären und moralischen Kosten ganz abgesehen.282
Bis Mitte Juli 1941 war das AOK 2 inzwischen von Warschau über Posen, BrestLitowsk, Slonim, Baranowicze, Stolpce und Kojdanow, den Worten des VAA nach „auf napoleonischen Wegen nach Moskau“283, bis Minsk vorgerückt. 278 279 280 281 282
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Bericht Nr. 15 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.09.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 8 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.07.1942, PA AA, R 60896. Siehe auch „Kurzmeldung (aus Tagesmeldung AOK.2 – Ic/A.O.) vom 12.8.42“, PA AA, R 60712. Streim (1981), S. 57, unter Verweis auf Akten der Dokumentenserie in den Nachfolgeverfahren der Hauptkriegsverbrecherprozesse in Nürnberg, Dok. NOKW – 1905. Siehe auch Römer (2008), S. 532, zitiert hier BArch RH 20-2/1092, Anl. 461. Römer (2008), S. 531. Auch General Ritter von Thoma berichtete in englischer Kriegsgefangenschaft von der Aufhebung. Siehe Neitzel (2012), S. 244. Römer (2010), S. 253. Im Oktober 1942 gab das Präsidium des Obersten Rates der UdSSR offenbar einen Befehl heraus, die Institution der Kommissare abzuschaffen und die erfahrenen Kommissare und Politruks in militärische Positionen zu überführen. Durch die harten Kämpfe mit den Deutschen hätten die russischen Offiziere ihre Pflicht und Ergebenheit bewiesen. Gleichzeitig seien die meisten Kommissare und Politruks nun kriegserfahren. Übersetzung „Befehl des Präsidiums des Obersten Rates der UdSSR über Herstellung der einheitlichen Führung und die Abschaffung des Instituts der Kriegskommissare innerhalb der Roten Armee“ v. 09.10.1942, PA AA, R 60712. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 08.07.1941, PA AA, R 60704. Dabei war es den Soldaten des Stabes oft aus militärischen Geheimhaltungsgründen nicht erlaubt, über ihren Standort zu sprechen. BF bat Rantzau daher, seine Frau nun nach Bekanntgabe
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Wenig später sprach auch Hitler gegenüber dem kroatischen Feldmarschall Kvaternik davon, dass „das Schicksal Napoleons […] diesmal nicht ihn, sondern Stalin treffen“284 werde. Der schnelle Vormarsch, massenweise Kriegsgefangene und zerstörtes Feindgerät ließen in Bossi alte Euphorie neu aufkeimen: „Operativ ist dieser Feldzug ohnehin zu Ende. Was für meine Armee bleibt, sind Aufräumungsarbeiten größeren oder kleineren Stils“, ohne „viel vom Einsatz zu erleben“285. Auch Hitler soll sich Mitte Juli ähnlich zur Frontlage geäußert haben; Generaloberst Halder, Chef des Generalstabes des Heeres, schätzte die weitere Dauer des Feldzuges am 3. Juli auf zwei Wochen.286 Diesen Eindruck hatte also bei weitem nicht nur Bossi. Das bewog ihn nun erneut, auf seine Versetzung zur Abteilung OKW/WPr. zu drängen.287 Die Lage an der Ostfront allerdings sollte sich bald ändern: Schon am 30. Juli erkannte der VAA, dass wohl doch noch „viele, viele Nüsse zu knacken“ waren. Das wusste er sogleich argumentativ für sich zu nutzen: Alle zur Verfügung stehenden Offiziere müssten nun im Feld eingesetzt werden – um später Führungskräfte des Volkes zu sein: Wenn wir uns in diesen entscheidenden und wirklich sehr schweren Kämpfen des Ostens nicht persönlich als Führer bewähren und einsetzen, schaffen wir nicht die Voraussetzung, dass unser Volk die Krise, die jetzt kommen muss, stark genug übersteht.288
Während die Versetzung abermals Thema wurde, erhielt Bossi seine Ernennungsurkunde zum Oberregierungsrat und war – höchstwahrscheinlich zunächst zufriedengestellt – „von Herzen gern bereit, […] den VAA-Dienst solange als möglich zu versehen“289.
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des Standorts zu informieren. „Sie möchte so furchtbar gerne einmal wissen, wo ganz ungefähr ich stecke!“ Siehe zur Marschroute auch KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 07.07.1941, BArch RH 20-2/1775. BF meldete außerdem den Fund eines russischen Befehls, den er auf direktem Wege an „O.K.W., Abtlg. Fremde Heere Ost“ weiterleitete. Major Reinhard Gehlen, den Leiter der Abteilung, hatte er bereits bei Abendempfängen der Deutschen Botschaft in Paris kennengelernt. Vermerk BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 08.07.1941, PA AA, R 60704. „Unterredung des Führers mit Marschall Kvaternik im Führerhauptquartier am 21. Juli 1941“, Hillgruber (1969), S. 304-311, hier S. 304. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 13.07.1941, PA AA, R 60704. Hillgruber (1972), S. 140. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 13.07.1941, PA AA, R 60704. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 30.07.1941, PA AA, R 60704. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 04.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 02.08.1941, ebd.
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Wenige Tage, bevor die 2. Armee auf dem Weg von Minsk kommend, über Talachin, Golowtschin und Belynitschi, Mogilew belagerte, berichtete er erneut von sowjetischen Völkerrechtsverletzungen (eingeschlagene Schädel, Raub, ausgestochene Augen290) und machte dem AA Vorschläge für Propaganda. Ein nach seiner Meinung wirkungsvolles Thema (für alle Soldaten und auch alle Gefangenen) war die Landzuteilung an die Bauern, sprich Auflösung der Kollektivwirtschaften in der Kolchose; es sollte fortan eines der wichtigsten Propagandathemen Bossis im Ostfeldzug werden, wie er sich überhaupt über weite Passagen seiner Berichte aus dem Osten der „Aktivpropaganda in den Feind“ widmete, „damit deutsches Blut gespart wird!“291 Denn das sei „im Kampfe gegen das bolschewistische Untermenschentum bereits viel zu viel geflossen!“292 Schon nach 24 bis 48 Stunden könne man sehen, wie die deutsche Propaganda sich „in diesen einfachen Gehirnen“293 auswirke. Der Widerstand sollte gebrochen und die Bevölkerung gegen Partisanen und die Rote Armee mobilisiert werden. Mitte Juli 1941 wies Bossi energisch darauf hin, dass eine Propaganda gegen das Kolchossystem „die russ. Truppen zersetzen“294 könnte. Es ist völlig gleichgültig, ob man nachher das Versprechen hält bzw. den Russen sagt, vorerst muss die Kollektive im gewissen Sinne beibehalten werden […]. Das Wichtigste z.Zt. ist, dass der Russe in seiner Widerstandskraft erlahmt, dass er zersetzt wird […]. Es sind immer die Besten, die Tapfersten, die fallen und wenn man unsere prächtigen deutschen Jungens reihenweise daliegen sieht, erschossen von diesem Untermenschentum, dann frägt [sic!] man sich, warum wird nicht jedes Mittel angewandt, um diese Asiaten zu zersetzen.295
290 291
292 293 294 295
BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, betreffend völkerrechtswidriges Verhalten der Roten Armee v. 19.07.1941, PA AA, R 60704. Entnahmen aus: Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Buchbender (1978), S. 91f., Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, u. zu Propagandavorschlägen an Rantzau BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 12.07.1941, PA AA, R 60704. Die Rede vom ‚Sparen deutschen Blutes‘ ist kein Einzelphänomen. Es findet sich, nur als eines von vielen Beispielen, in Äußerungen des Generals Küchler, Befehlshaber der 18. Armee, im Zusammenhang mit der Ermordung der Kommissare. Heer (1996), S. 128, zitiert hier Friedrich (1993), S. 402. Die von BF so oft geforderte Aktivpropaganda besaß bei Beginn des Ostfeldzuges keine unmittelbare Priorität. Longerich (1987), S. 82. Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.08.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 10 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.08.1941, BArch RH 20-2/1111. Bericht Nr. 4 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 11.07.1941, BArch RH 20-2/1111. Siehe dazu auch Wedel (1962), S. 54f., der von der Wirkung der Aktivpropaganda und den negativen Auswirkungen der Kommissarerschießungen auf die Propaganda berichtet. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704.
6.4 Im Osten
373
Diese scharfe und stark ideologisch getränkte Argumentation nutzte der VAA fortan immer häufiger: Es kam ihm ausschließlich darauf an, jedes nur erdenkliche Mittel in der Propaganda anzuwenden, um den Feind zu zermürben und mit Versprechungen zum Aufgeben und Überlaufen zu bewegen. Es ging ihm nicht um eine Lebensverbesserung der Bevölkerung, im Gegenteil: Er erwähnte auch eine baldige Hungersnot, „die den politischen Aufbau dieses Landes beeinflussen wird“296 – kein Wort aber von hungernden Menschen. Doch nicht nur Bossi, sondern auch verschiedene andere VAAs im Osten wurden nicht müde, dringend eine Agrarreform – vor allem zunächst dessen Propagierung – zu fordern.297 Das könne den Ausgang des Krieges „entscheidend beeinflussen“298. Im AA begann die Ausgestaltung einer neuen deutschen Propagandarichtung jedoch erst im September/Oktober 1941.299 Tatsächlich wurde, aber erst Ende Februar 1942 mit Hitlers und Rosenbergs (als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete) Segen, eine neue Agrarordnung für den Osten erlassen: Die Kolchosen wurden zu sogenannten Gemeinwirtschaften unter deutscher Verwaltung umgewandelt, in denen die Mitglieder Land bestellten, das „zum Privatbesitz erklärt und von Steuern befreit“300 wurde. Auch die Viehhaltung unterlag keiner Beschränkung mehr. 296 297
298 299 300
Bericht Nr. 4 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 11.07.1941, BArch RH 20-2/1111. Siehe dazu auch Buchbender (1978), S. 133ff. „Haltung der Bevölkerung im Bereich der 16. Armee und ihre propagandistische Bearbeitung“. Bericht des VAA beim AOK 16, Frauenfeld, v. 27.05.1942, Bericht Nr. 286 des VAA beim AOK 11, v. Hentig, betr. „Agrarordnung“ v. 16.04.1942, Bericht Nr. 4 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 11.04.1942 u. „Die Einführung der neuen Agrarordnung im besetzten nordwestrussischen Gebiet“, Bericht des VAA beim AOK 18, v. Ungern-Sternberg, v. 30.03.1942. PA AA, Paris 2402. Ungern-Sternberg hatte schon Anfang August 1941 darauf hingewiesen, dass dem Russen egal sei, ob „Kommunismus oder kein Kommunismus, sondern nur: Kolchose oder Privatbesitz“. Siehe „Die Einflüsse des Bolschewismus auf die russische Masse“. Bericht des VAA beim AOK 18, v. Ungern-Sternberg, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 08.08.1941, PA AA, R 105192, u. Quinkert (2009), S. 217ff. Siehe auch Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 15.09.1941, PA AA, R 60705, Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 206, Schröder (2003), S. 140 u. Conze/ Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 211, zitiert hier einen Bericht Ungern-Sternbergs, VAA beim AOK 18, v. 10.08.1942, PA AA, R 60695. Buchbender (1978), S. 133. Siehe dazu auch Longerich (1987), S. 83. Longerich (1987), S. 87. „Bekanntmachung. Die neue Agrarordnung“ v. 16.02.1942, PA AA, R 60711. Siehe auch Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, „Anweisungen für Propagandisten und Landwirtschafts-Führer zum Agrar-Erlaß“, PA AA, R 60850a, u. Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 03.03.1942, BArch RH 20-2/1152. OKW/WPr. ordnete nur kurz danach an, die neue Richtlinie „propagandistisch in weitestgehender Weise auszunutzen“. Es sollten allerdings keine Versprechungen gemacht werden, die nicht zu halten waren: „Die Propaganda des Wortes muß mit der Propaganda der Tat übereinstimmen“.
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6. Zweiter Weltkrieg
Bossi erwähnte später, dass sich diese späte Maßnahme, die allerdings keine allgemeine Abkehr vom Kolchossystem bedeutete, im deutschen Sinne propagandistisch positiv ausgewirkt habe. Das bestätigten auch die übrigen VAAs, wie ebenso die Einsatzgruppe B der SS: „Die Ankündigung der Aufteilung der Kolchosen gab der Propaganda breiten Raum zur Entfaltung“301. Bossis Drängen, dieses Thema aktiv zu verfolgen, führte auch dazu, dass sein Bericht Nr. 5 nun tatsächlich, wie schon von Stahlecker angekündigt, Ribbentrop vorgelegt wurde: Die Notwendigkeit der Propagierung der Landzuteilung an die Bauern habe ich auch heute wieder in einer Vorlage an d. Hrn. RAM zum Ausdruck gebracht. Fast täglich habe ich die Dringlichkeit dieser Frage bekant [sic!].302
Die Kolchosfrage war nicht der einzige Bereich, für den Bossi entweder stärkere Propaganda forderte oder diese schließlich selbst mithilfe der Propagandakompanien gestaltete und einsetzte.303 Seine Anregungen wurden innerhalb des AA von der Informationsabteilung an das für Ostpropaganda zuständige Sonderreferat D IX weitergeleitet, wo Großkopf und seine Mitarbeiter die propagandistische Verwertbarkeit überprüften. Von dort aus ging das Material
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Siehe „Propagandaweisung zur Neuregelung der Agrarordnung im Ostraum“, OKW/WPr. (v. Wedel/Kratzer) an HG, AOK, PzAOK, Luftflotten u. Befehlshaber d. rückw. Heeresgebiete v. 18.02.1942, BArch C209P. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 194“ v. 21.04.1942, Mallmann u. a. (2014), S. 312. Siehe zur propagandistischen Bedeutung der Agrarfrage auch Buchbender (1978), S. 129-139 u. „Anweisungen für Propagandisten und Landwirtschafts-Führer zum Agrar-Erlaß“ in PA AA R60850a. An den Beratungen in der Abteilung OKW/WPr „beteiligte sich – bis Mitte 1942 – auch das Auswärtige Amt, vertreten durch Georg Wilhelm Großkopf […]“. Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 197. Siehe auch Longerich (1987), S. 93f. Brümmer, Inf. Abt. AA, an VLR Großkopf v. 23.07.1941, PA AA, R 60704. Vonseiten des AA gab es eine „Zusammenfassung der vom Herrn Ram angeordneten Standardthesen für die deutsche Auslandspropaganda“, darin solche wie die der Kriegsschuld Englands, der Unbesiegbarkeit Japans in Ostasien, der Blockadesicherheit Europas durch die deutschen Besetzungen aber auch des Untergangs Europas durch den Bolschewismus. Sie scheint allerdings erst im Frühjahr 1942 bekannt gemacht worden zu sein. Die zweite These lautet: „‚Durch die historischen Siege der deutschen Wehrmacht über die bolschewistische Armee hat die staatliche Macht des Bolschewismus im Jahre 1941 entscheidende Schläge erhalten, die keine Macht der Welt mehr ungeschehen machen kann“. These Nr. 6 reihte sich ein: Deutschland und Italien bewahrten Europa nur durch den „Einsatz ihres Blutes“ vor der „Vernichtung und ewigen Versklavung durch den jüdischen Bolschewismus“. Ein Exemplar befindet sich in der PA AA-Akte, die die Zusammenarbeit zwischen AA und Wehrmacht dokumentierte. Es ist davon auszugehen, dass BF diese Weisungen bekannt waren. Siehe „Zusammenfassung der vom Herrn Ram angeordneten Standardthesen für die deutsche Auslandspropaganda“ v. März/April 1942, PA AA, Paris 2402.
6.4 Im Osten
375
an Botschaftsrat Hilger und teilweise auch an Ribbentrop – in dringlichen Fällen ohnehin.304 Schon einige Monate vor Kriegsbeginn war sich die Wehrmachtpropaganda darüber im Klaren, dass „dem Volk das Bewußtsein überlegener militärischer Kraft“305 vermittelt werden müsse. Im Krieg umfasste die „geistige Betreuung“, so der ehemalige Chef der Abteilung OKW/WPr. Hasso von Wedel, die „vorbereitende Unterrichtung“ der Soldaten vor Kriegs- oder Feldzugsbeginn, die „Weitergabe militärischer und politischer Nachrichten“306, die Abwehr der Feindpropaganda, Zeitungslieferungen (auch Feldzeitungen an die Soldaten), Rundfunk- und Filmbetreuung sowie die Organisation von Feldbüchereien und Fronttheatern.307 Im Verlauf des Krieges widmete sich Bossi beinahe jedem dieser Bereiche, oft auch, da er sich diese Aufgaben im Rahmen seines VAA-Postens selbst heranzog. Die Themen, für die er immer wieder warb, waren die Propagierung einer besseren ärztlichen Versorgung der Kinder, das Wiederaufleben der Wirtschaft, keine Gebietsannexionen durch Deutschland, der Kampf eigener Landsleute (Russen/Ukrainer) auf deutscher Seite gegen die Sowjets, das gute Verhältnis der Zivilbevölkerung zu den deutschen Soldaten und die gute Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen.308 All diese Aspekte sollten, 304
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Buchbender (1978), S. 151. Innerhalb dieser Meldewege entstanden regelmäßig konkrete Textentwürfe oder Ideen, die zur Genehmigung wiederum dem RAM vorgelegt wurden, der sich diese im Einzelfall durch Hitler abzeichnen ließ. Anschließend musste noch OKW/WPr. zustimmen, um Druck sowie Abwurf des dann gestalteten Flugblattes zu genehmigen. Wehrmachtpropaganda Blatt 1/39 v. 15.05.1939. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1275, Opis 5, Akte 422, Bl. 22ff. Wedel (1962), S. 33. Seit Kriegsbeginn nutzte die Wehrmachtpropaganda auch verwundete Offiziere in Lazaretten, um deren Erfahrungsberichte verarbeiten zu können. Geeignet wären Themen, die „auf die breite Masse der Bevölkerung einen erzieherischen Einfluß im soldatischen Sinne“ ausübten. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1275, Opis 5, Akte 422, Bl. 45. Bericht Nr. 13 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 02.09.1941, PA AA, R 60704. Siehe (zu ähnlichen Themen bei anderen VAAs) auch Schattenfroh, VAA beim AOK 4, an VAA beim OKW/WPr. v. 10.03.1942, PA AA, Paris 2402, „Bericht 3/41 vom 26. Feber 1941“. VAA beim AOK 16, Abt. Ic., Alfred E. Frauenfeld, an Rantzau, Inf. Abt. AA, über VAA beim OKW, Abt. WPr., PA AA, Paris 1293 u. Stimmungsbericht des VAA beim AOK 1, Dr. Lierau, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.01.1941. Ebd. Siehe außerdem Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 207, BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 27.07.1942, PA AA, R 60706 u. Streim (1981), S. 188. Die Überläuferpropaganda weitete sich 1942 auch auf die Politsoldaten aus. Zum Einsatz von russischen/ukrainischen Verbänden (u. a. Wlassow) siehe Schröder (2003), S. 139f. BF regte auch an, in der Propaganda noch direkter darauf hinzuweisen, dass Gefangene nicht direkt nach Ergeben erschossen würden. Das schlugen
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6. Zweiter Weltkrieg
mit verschiedenen technischen Hilfmitteln transportiert, dazu führen, den Widerstand der Rotarmisten zu brechen, sie zum Überlaufen zu bewegen und gleichzeitig die Zivilisten nicht in die Arme der Partisanen zu treiben. Mit fortschreitendem Kriegsverlauf befasste Bossi sich immer häufiger mit einer Art „‚Absonderungspropaganda‘“309; sie sollte den Separatismus nichtrussischer Völker der Sowjetunion herausheben und soweit stärken, dass diese als Beschützer und Bewacher eines von Deutschland beherrschten Europas an der östlichen Grenze dienten.310 Mitte September 1941 schrieb Bossi, der ukrainischen Bevölkerung sei eine eigene, „alte Kultur“ erhalten geblieben. Dieses Volk werde „bei richtiger Behandlung einen gesunden und überlegenen Wall gegen jeden neuen Einfallsversuch der russ.-tartarischen [sic!] Rasse bilden“311. In einigen eroberten Städten führte die neue deutsche Besatzungsherrschaft auch zu einer gewissen Freiheit der Religion, die auch Bossi regelmäßig forderte. Doch ging es ihm nur vordergründig darum, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu stillen. Auch die Wiederzulassung von Gottesdiensten durch einige Besatzungsbehörden, die Hitler offenbar stillschweigend duldete, diente letztlich nur dazu, sich der Bevölkerung anzubiedern, um den Widerstand möglichst zu minimieren. Erst nach einem Sieg sollte anhand einer „‚alsdann geltenden Zielsetzung‘“312 über den endgültigen Umgang mit der Kirche entschieden werden.
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auch die Fronttruppen regelmäßig vor, um den zähen Widerstand zu brechen bzw. zu lockern. Römer (2008), S. 252, hier auch bezogen auf die Ic-Abendmeldung des AOK 2 v. 25.07.1941, BArch RH 20-6/522, Bl. 60. Longerich (1987), S. 92f. Auch Goebbels wies auf den Erfolgsfaktor dieser Propaganda ab 1942 verstärkt hin. Siehe auch Bericht Nr. 24 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 28.09.1941, PA AA, R 60705. In den Unterlagen BFs findet sich auch immer wieder „Feindpropaganda“. Er hatte diese offenbar regelmäßig an das AA zur weiteren Bearbeitung geschickt, so u. a. in PA AA, R 60705, in der sich von der Roten Armee produzierte Zeitungen befinden, die unter dem Titel Soldatenwahrheit von angeblichen deutschen Kriegsgefangenen berichteten und zum Überlaufen aufforderten. „Die Tatsache, daß die deutsche Aktivpropaganda im Osten während der Winterkrise ihre Aktivitäten einstellen mußte“, führte auch dazu, „daß aus dem Bereich der Truppe zahlreiche Vorschläge und Lagebeurteilungen bei OKW/WPr einliefen“. Buchbender (1978), S. 123. Siehe ebd., S. 183 u. 278 (Plakatpropaganda): BFs vornehmliche Themen wurden u. a. auch beim AOK 6 behandelt. Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 208f. Entnahmen aus: Bericht Nr. 19 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 18.09.1941, PA AA, R 60705. Der Bericht Nr. 19 trägt einen zweifachen Stempel: „Freigegeben vom Oberkommando der Wehrmacht. Abteilung für Wehrmacht-Propaganda“. Handschriftlich ist notiert: „Zur propagandistischen Ausarbeitung“. Siehe auch Bericht Nr. 17 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.09.1941, PA AA, R 60704. Longerich (1987), S. 92ff.
6.4 Im Osten
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Die Reichspropagandaleitung forderte im September 1942, im Osten müsse die Propaganda „mit den primitivsten und farbenglühendsten Zukunftsbildern“ an die „menschlichen Instinkte appellieren“. Sie habe „hart, fanatisch und unerbittlich in ihren Formeln“ zu sein. Die „Judenpropaganda“ habe bereits erfolgreich gewirkt, daher sei das „Judentum beständig in die Greuelpropaganda“ einzubeziehen. Über alles aber muss in einer für deutsche Begriffe mystisch wirkenden Verklärung die Person des Führers gestellt werden als die eines Befreiers, dem blind zu folgen und blind zu glauben eine glückliche Zukunft verheisst.313
Bossi befasste sich dabei nicht nur mit verschiedenen inhaltlichen Aspekten der Frontpropaganda, sondern auch mit der technischen Umsetzung. Schon im Juni bat er das AA im Auftrag der dem AOK 2 zugeteilten PK 670, ihm „Propaganda-Minen zum Abschießen zukommen zu lassen“314. Im Osten erzielten offenbar Flugzettelgranaten im Einsatz mit Lautsprecherpropaganda gute Erfolge. Später kamen noch Propaganda-Bomben (aus Pressmasse) und andere Transportmittel dazu.315 Regelmäßig arbeitete der VAA-Propagandist auch an Flugblättern mit und begleitete den Prozess von der ersten Idee über den Abwurf bis zur Wirkungskontrolle.316 Die Anweisung der Abteilung Wehrmachtpropaganda, eine über eine beratende Funktion „hinausgehende 313 314 315
316
Entnahmen aus: Hadamovsky, Eugen: „Bericht über die Propagandalage im Osten“ v. 27.09.1942, BArch R 55/21373. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt. AA, v. 02.06.1940, PA AA, R 60703. Zum Einsatz der PK 670, auch auf dem Balkan, siehe Wedel (1962), S. 47ff. Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 06.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Hartmann (2009), S. 551, RMVP, Direktor Abt. Pro., an Goebbels v. 06.03.1942, BArch R 55/21044, RMVP, Direktor Abt. Pro., an Goebbels v. 24.03.1942, ebd., Bl. 11f., u. Deutsches Propaganda-Atelier an RMVP, ORR Carstensen, v. 17.04.1942, BArch R 55/21044, Bl. 20. Bis Februar 1944 produzierte die Propaganda-Versuchsanstalt Rüdersdorf knapp 100 Millionen Flugblätter. Dietrich, Leiter Abt. Pro. RMVP, an Goebbels v. 22.02.1944, BArch R 55/21044, Bl. 150. Insgesamt standen schon bis Ende 1941 mehr als 430 Millionen Flugblätter zur Verfügung. Quinkert, Aufruf zur Kooperation (2014), S. 196. Siehe auch Wedel (1962), S. 114ff. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 14.02.1942, PA AA, R 60705: BF berichtete Rantzau, dass er laut „Armeebefehl vom 10.2.42 geh. […] mit der Herausgabe eines Flugblattes ‚Lach mit Rotarmist‘ (glossierende Gegenpropaganda) und der Herausgabe einer Frontzeitung für den Rotarmisten“ beauftragt worden war. Siehe auch Rantzau an Legationsrat Picot v. 25.03.1942, PA AA, R 60705, BF an Rahn v. 15.01.1942, PA AA, R 60708 u. Erlass des AOK 2 (Chef d. Stabes Gustav Harteneck) hinsichtlich Propagandarichtlinien v. 10.02.1942, PA AA, R 60711. Auch Wedel (1962), S. 66ff., berichtet von Kampfpropaganda, die üblicherweise direkt an der Front mithilfe russischer Hilfskräfte und deutscher Dolmetscher hergestellt wurde. Buchbender (1978), S. 198, führt beispielhaft die PK 670 an, die im Bereich
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Einschaltung der VAA bei den Armeen in Führung und Überwachung des Flugblatteinsatzes kommt nicht in Frage“317, hielt ihn nicht davon ab, sich in dieser Hinsicht, fernab des OKW und konfrontiert mit der Frontrealität, weiter eifrig zu engagieren: „Also, bei unserer Armee steuert das Amt des VAA die Aktivpropaganda in den Feind und die russische Bevölkerung durchaus mit!“318 Dabei kam es auch vor, dass im Bereich der 2. Armee Sowjetflugblätter abgeworfen wurden, darunter auch eines im März 1942 mit dem Titel ‚An das deutsche Volk‘. Es war von einigen bekannten Persönlichkeiten Deutschlands unterzeichnet worden, nach Angaben Bossis sämtlich „Juden und in Deutschland zum Teil vorbestrafte Kommunisten“319. Es handelte sich vor allem um Schriftsteller, Künstler und Politiker, darunter auch Wilhelm Pieck, Johannes R. Becher und Walter Ulbricht, der spätere Vorsitzende des Zentralkomitees der SED und des Staatsrates der DDR.320 Der VAA regte an, „evtl. vorhandene Strafauszüge aus den Akten dieser Personen“321 herauszusuchen, um damit eine Gegenpropaganda einzuleiten. Auch die SiPo und der SD sollten benachrichtigt werden.322 Vor allem aber schrieb Bossi mit zunehmender Dauer des Feldzuges immer öfter von den Lebensverhältnissen in den Städten und Dörfern. Die Zustände
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der 2. Armee operierte und erfolgreich selbst Propaganda an der Front produzierte. BF arbeitete eng mit der Einheit zusammen. Auf den meisten Flugblättern der 2. Armee findet sich bis 1943 ein Passierschein: „Vorzeiger dieses wünscht kein sinnloses Blutvergiessen für die Interessen der Juden und Kommissare, verlässt die besiegte Rote Armee und geht zu den Deutschen über“. Flugblatt „Genossen Rotarmisten“ I.B.A. 29, PA AA, R 60850a. Siehe dazu auch Buchbender (1978), S. 117ff. v. Wedel, Chef OKW/WPr., an AOK 2, 6, 11, 16, 17, 18 u. VAA/WPr. v. 07.04.1942, PA AA, R 60711. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.03.1942, PA AA, R 60705. Siehe auch „Anlage zum Schreiben vom 5.5.42“, Übersicht über die Verbreitung von Propaganda v. 05.05.1942, PA AA, R 60712. Rantzau, Inf. Abt. AA, an LR Picot v. 25.03.1942, PA AA, R 60705. Möglicherweise war der Titel An das deutsche Volk ganz bewusst gewählt worden. Unter diesem Titel hatte Kaiser Wilhelm II. am 7. August 1914 in der Neuen Preußische Zeitung und sogar auf Schallplatte die Deutschen zu den Waffen gerufen, um in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Ulbricht sollte zu Kriegsende nochmals eine Rolle spielen: „Noch bevor die Wehrmacht kapituliert hatte, landete die ‚Gruppe Ulbricht‘ am 30. April, dem Tag von Hitlers Selbstmord, auf deutschem Boden, um im Sinne der sowjetischen Machthaber – namentlich Stalins – Weichen zu stellen“. Jesse (2016), S. 79. „Unterzeichner des Flugblattes ‚An das deutsche Volk‘ von PK an OKW“ o. D., PA AA, R 60705. Rantzau, Inf. Abt. AA, an LR Picot v. 25.03.1942, PA AA, R 60705. LR Picot an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 30.03.1942, PA AA, R 60705.
6.4 Im Osten
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seien „derart, daß man von Kultur überhaupt nicht reden kann. Man muß froh sein, wenn man nicht vollkommen verwanzt“323. Während des Angriffes auf Mogilew beobachtete er die dort lebenden Menschen: Es sind immer die gleichen, erbarmungswürdigen, zerlumpten Gestalten, die meist, soweit es sich um Frauen handelt, ein halbes Dutzend Kinder mit sich herumschleppen. Es ist dies ja das Kennzeichnendste für dieses Volk hier, dass es trotz der unvorstellbar armen Lebensbedingungen von einer Fruchtbarkeit ist, die für Europa durchaus beängstigend erscheint. Die Frauen sind, um es klar auszusprechen, von einer Fruchtbarkeit, die sogar körperlich ins Auge sticht. Nie sah ich soviele von Gesundheit strotzende, vollbusige und breithüftige Frauen, wie unter der Landbevölkerung dieses Gebietes. Sie sind in den seltensten Fällen schön, aber man spürt ihre Fruchtbarkeit bei ihrem Anblick und man hat als zivilisierter Mitteleuropäer Sorgen, wenn man daran denkt [sic!] unter welchen Umständen dieses Volk lebt und sich wir [sic!] die Karnikel [sic!] vermehrt.324
Wenig später wunderte er sich, „in welchem Schmutz“ die Kinder aufwuchsen. „Das Halten von kleinen Ferkeln oder ebenso dreckigen Kindern ist unterschiedslos“325. Seine Beschreibungen erinnern eher an Tiere als an Menschen, sind zum Teil direkte Vergleiche. Offenbar hatte er immer wieder Gelegenheit, unmittelbar Eindrücke bei der Bevölkerung zu sammeln. Bei einer solchen Befragung könnte Bossi auf diesem Foto mit einem Dolmetscher zu erkennen sein.326 Die kulturell angeblich höherstehenden, zivilisierten Europäer müssten sich vor diesen beinahe wild und in jeglicher Hinsicht ungezügelt lebenden Geschöpfen in Acht nehmen. Hier treffen Kulturchauvinismus und Rassismus auf ein intensiv kolportiertes Feindbild vom bolschewistischen Russland als „Hort alles Bösen“327 und als Bedrohung der gesamten Menschheit, die abzuwenden Aufgabe der Deutschen war.328 Frauen als Objekte der Männer, vor allem als Bauersfrauen mit mächtigen „‚Hüften über den stämmigen Schenkeln‘“329 gezeichnet, spielten auch in historischen Romanen des ‚Dritten 323 324 325 326 327 328 329
BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 19.07.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 11 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 19.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe Fotos und BFs Befragungsberichte in PA AA, R 60705. Longerich (1987), S. 82. Siehe auch Aly (2011), S. 84, der hier (auch als Zitat aus anderen Quellen) den Judenspiegel (1819) von Hartwig von Hundt-Radowsky bemüht. Den ‚Israeliten‘ sei ein „‚ungezügelter kaninchenartiger Begattungs- und Fortpflanzungstrieb‘“ eigen. Wippermann (1976), S. 186, zitiert hier Frey, Gottfried: Deutschherren. Ohne Wurzel – Spreu im Wind. Berlin: Roß 1936, o. S.
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6. Zweiter Weltkrieg
Abb. 14 Befragung der Bevölkerung: Wahrscheinlich sind hier Bossi und sein Dolmetscher Kerstens zu sehen.
Reichs‘ eine besondere Rolle – und nicht nur ausnahmsweise. Für die Soldaten im Einsatz schienen sich rassistische Ressentiments zu bestätigen: Die Erfahrung der Armut und des Entwicklungsrückstandes weiter Landstriche verfestigte die Stereotype von der kulturellen und ‚völkischen‘ Minderwertigkeit ihrer Bewohner. […] Die einfachen Lebensverhältnisse der Bevölkerung in den besetzten Gebieten beflügelten die Überlegenheitsattitüden der Besatzer und bestärkten sie in ihren Vorurteilen.330
Außerdem waren die sowjetischen Verbände offenbar ethnisch sehr heterogen zusammengesetzt. Diese Durchmischung führe einem, so der VAA, 330
Römer (2008), S. 219. Siehe auch Mühlenfeld (2013), S. 832 u. Hürter (2016), S. 18: „Das Gefühl der totalen Fremdheit ließ auf diesem Kriegsschauplatz alles zum Problem werden, die Menschen und Tiere, die Orte und Häuser, die Wälder und Weiten, die Natur und das Wetter, die Ernährung und Hygiene“. Siehe dazu auch Longerich (1987), S. 81f. Zur ukrainischen Bevölkerung berichtete der VAA beim AOK 17, Pfleiderer, Ende Juli 1941 in ähnlicher Weise, dass „vom Standpunkt der Rasse und der Gesundheit […] die ukrainische Bevölkerung in den bisher besetzten Gebieten […] den Eindruck des Verkümmerten und Entarteten“ machte. Hürter (2003), S. 370, zitiert hier Bericht des VAA beim AOK 17 v. 29.07.1941, PA AA, R 60751.
6.4 Im Osten
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„die Menagerie des russ. Riesenreiches“331 vor Augen. Indem er hier einen Begriff nutzt, der einen Zoologischen Garten, mithin Gehege und Käfige verschiedener Tierrassen umschreibt, wertet Bossi die Sowjet-Bürger zu einem entmenschlichten Durcheinander verschiedener ‚Rassen‘ herab.332 Dass die Völker der Sowjetunion mit Tieren verglichen wurden, war keine Seltenheit.333 Die „Dehumanisierung und Bestialisierung“334 machte es leichter, den Gegner zu bekämpfen und zu töten. Unter der großen Anzahl „slawischer Durchschnittstypen“, so Bossi, gebe es auch durchaus intelligente Leute. Das allgemein Stumpfsinnige, das für den Weltkriegsrussen typisch war, ist einer nicht ganz sympathischen Aufgewecktheit gewichen. Diese Aufgewecktheit hat asiatisch-heimtückische Merkmale.335
Der VAA schien in Bezug auf die neuen Befehle nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich des Sprachduktus schnell an die Vorgaben der NSPropaganda angeknüpft zu haben.336 Es scheint, dass sich Stereotype und Vorurteile über den Feind in seiner Wahrnehmung zunächst bestätigten. Vom Angriff auf die russischen Stellungen war Bossi in den späten Julitagen 1941 überwältigt: „Ich muss sagen, etwas Grossartigeres habe ich selten erlebt“337. Er habe Beweise von „Haltung, Glauben an unseren Enderfolg und Zusammenbeissen von Zähnen gesehen, dass ich zeitlebens diese Stunden nicht vergessen werde“338. Doch in der Nähe Mogilews geriet er auch selbst unter Beschuss, schrieb gerade seinen Bericht, „als drei Granaten jeden schriftstellerischen Genuss abwürgten“339. Der einfache Soldat, so Bossi, denkt „in 331 332 333
334
335 336 337 338 339
Entnahmen aus: Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, PA AA, R 60704. Zum Begriff der ‚Menagerie‘ siehe Brockhaus (1894), S. 763. Neitzel (2012), S. 132f, 259, 265 u. 294. Auch die gefangenen Offiziere in Trent Park haben sich darüber ausgetauscht. Viel mehr noch haben sie jedoch im Laufe der Jahre festgestellt, dass die Deutschen den Russen in Sachen Entmenschlichung und tierischem Verhalten in nichts nachstanden. Heer (2012), S. 49. In Bezug auf Juden ging das OKW aber noch weiter: Die vom ihm herausgegebenen Mitteilungen für die Truppe hielten 1941 fest, es hieße „die Tiere beleidigen, wollte man die Züge dieser zu einem hohen Prozentsatz jüdischen Menschenkinder tierisch nennen“. Hervorhebungen im Original. Wette (1996), S. 63, zitiert hier Oberkommando der Wehrmacht (1941), S. 1f. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, PA AA, R 60704. Wippermann (1976), S. 187, besonders zum Motiv der als asiatisch – oft auch mongolisch – bezeichneten Russen. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 7 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 25.07.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704.
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diesem schweren Kampf in jeder Minute an Heimat und Angehörige“, aber er fragt sich, „ob die Heimat wohl weiss [,] wie schwer er kämpft“340? Den Widerspruch zwischen offiziellen OKW-Meldungen und den tatsächlichen Zuständen an der Front nahm der VAA häufig zum Anlass, um über die Enttäuschung der Soldaten zu schreiben, die sich von der wenig authentischen Berichterstattung kaum wertgeschätzt fühlten. Viele wollten, dass ihre Leistungen honoriert und in der Öffentlichkeit besprochen wurden: „Eine Propaganda in der Heimat, die über die Leistung aufklärt“, schrieb Bossi, „erscheint in vielen Fällen wichtiger, als die Kommentierung erfochtener Erfolge durch Wort und Bild“341. In den Berichten, die der VAA kurz vor und in Mogilew schrieb, setzte er sich mit verschiedenen Aspekten des Ostfeldzugs intensiv auseinander, gab seinem Unmut Raum und übermittelte Vorschläge. Das sollte nicht ohne Folgen bleiben. Die bereits benannten Berichte Nr. 6 und 7 erreichten nicht nur die Informationsabteilung, sondern auch die politische Abteilung des AA, den Staatssekretär, Ribbentrop und sogar Adolf Hitler: „Anregungen werden dem Führer unterbreitet werden (am 2.8.41). Großkopf“342. Daneben kam es vor, dass Bossi auch selbst bat, seine Berichte an Ribbentrop oder die Abteilung Fremde Heere Ost im OKH (hier Dokumente über sowjetische „Angriffsvorbereitungen auf das Reich“343 vom Sommer 1940) weiterzuleiten. Regelmäßig meldete er dem AA, wenn er Material sicherstellte, dass neben sowjetischen Verbrechen auch deren angebliche Schuld am Krieg behandelte; im August 1941 waren es Karten, aus denen man habe ersehen können, „daß die Russen die Absicht hatten [,] Deutschlands Industriegebiet anzugreifen“344. 340 341 342
343 344
Bericht Nr. 7 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 25.07.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 15.09.1941, PA AA, R 60705. Verteilervermerk Rantzau an Stellen des AA v. 31.07.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Hürter (2003), S. 364. Auch zu BFs Bericht Nr. 8 wurde vermerkt: „Vorgelegt RAM 1.8.41“. Verteilervermerk Rantzau an Stellen des AA v. 08.08.1941, PA AA, R 60704. Es kam auch vor, dass BF direkt darum bat, Informationen weiterzuleiten: „Auf Grund aufgefundener Akten der russischen Wehrmacht wurde […] festgestellt, dass 80 deutsche Kriegsgefangene erschossen wurden. […] Bitte Reichsminister verständigen“. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 11.08.1941, PA AA, R 60704. Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 10.08.1941, PA AA, R 60704. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 02.08.1941, PA AA, R 60704. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Präventivkriegsthese wurde Hitlers „Weisung Nr. 21 Fall Barbarossa“ vom 18.12.1940 Russlands Generalstab schon etwa elf Tage nach der Erstellung bekannt und führte folglich zu einem zunehmend verstärkten Aufmarsch an den Westgrenzen. In Umkehrung der Entwicklung leitete Hitler den Angriff auf die Sowjetunion unter anderem mit Verweis auf die massive Aufstockung der Truppen in Grenznähe zu Deutschland ein, die er letzten Endes selbst provoziert hatte. Die Sowjets schienen einen
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Geheim! Sehr sehr dringend! […] In Mohilew wurden durch geh. Feldpolizei 15 vergrabene Leichen verstümmelter, gefangen gewesener deutscher Soldaten aufgefunden. […] Ausserdem wurden deutsche Soldaten mit grauenhaften Skalpierungen an Händen u.s.w. im Armeebereich gefunden.345
Hitler habe hinsichtlich sowjetischer Verbrechen in Lemberg sogar einen Befehl gegeben, demzufolge „eine möglichst wirksame Verbreitung der bolschewistischen Bestialitäten“346 gewünscht war. Das AA forderte solche Dokumente auch direkt bei Bossi an: Für „eine besondere Aktion“ sollte er Material nach Berlin senden, das gezielt die Verelendung der russischen Bevölkerung, die desaströsen Auswirkungen des Kolchossystems, Unterernährung, Verwahrlosung „sowie Ermordung und Verschickung ihrer Familienangehoerigen nach Sibirien“347 belegte. Die Dokumente dienten so nicht nur zur Archivierung oder zur Informierung der Vorgesetzten, Ribbentrops oder Hitlers, sondern auch, um die vom AA seit 1941 in drei Teilen herausgegebene Publikation Bolschewistische Verbrechen gegen Kriegsrecht und Menschlichkeit mit Inhalten zu füllen, die sowjetische Gräueltaten, Kriegsverbrechen und -vorbereitungen belegen sollte. Bossi diente hier als Kronzeuge und wird im ersten Teil der Reihe mit einem Vernehmungsbericht über die Erschießung acht deutscher Kriegsgefangener zitiert.348 Hinsichtlich der immer größer werdenden Dokumenten- und Aktenflut, mit der sich der VAA in den schnell eroberten Städten konfrontiert sah, intensivierte die Abteilung Ic die Zusammenarbeit mit dem Sonderkommando Künsberg, der „wohl ungewöhnlichste[n] Unternehmung des Auswärtigen Amtes im Zweiten Weltkrieg“349, und dem ihr unterstellten Einsatzkommando Nürnberg.350 Besonders die VAAs setzten die Einheit über „gefundene Beute in
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deutschen Angriff erwartet zu haben, nur noch nicht für 1941. Von einem Präventivkrieg kann so nicht gesprochen werden. Selbst die deutsche Militärführung war sich offenbar im Klaren darüber, dass die Sowjetunion keine unmittelbare Bedrohung darstellte. Ueberschär (2011), S. 244ff. u. Messerschmidt (2011), S. 31-37. Siehe auch Pietrow-Ennker (2011), S. 86ff. Fernspruch BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.08.1941, PA AA, R 60704. Sonderreferat VLR Krümmer, „Notiz für Herrn LR v. Rantzau“, v. 16.08.1941, PA AA, R 60704. Fernschreiben Generalkonsul Wüster, Inf. Abt. AA, an BF v. 10.09.1941, PA AA, R 60714. Auswärtiges Amt (1941), S. 307. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 216. Künsberg, Sonderkommando AA, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 28.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe zu dieser Einheit auch Voss (2013), S. 1. Siehe auch Erlass des OKH zur Tätigkeit der
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Kenntnis und unterstützten die Einsatzkommandos in ihrer Tätigkeit“351. Als Otto Abetz 1940 Botschafter in Paris geworden war, teilte man ihm Künsberg zur ‚kommissarischen Beschäftigung‘ zu.352 Spätestens dort wird er auch Bossi begegnet sein. Der VAA bat schon im August 1941 um einen LKW Künsbergs mit je zwei Mann Besatzung.353 Wie schon auf dem Balkan war die Einheit auch hier zunächst für die Aktensicherung zuständig. Sie diente unmittelbar der Erbeutung, der Sicherstellung und dem Abtransport von politischen Archiven der auswärtigen Ämter, der statistischen Zentralämter bei den Innenministerien und der militärisch-geographischen Unterlagen der besetzten Staaten.354
Doch sie raubte im staatlichen Auftrag schließlich nicht nur Akten und Kunst, sondern auch medizinische Unterlagen sowie ganze Klinikausstattungen und nahm Teile des Personals gleich mit.355 Die einzelnen Kommandos waren
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Ic-Abteilungen v. 11.06.1941, PA AA, R, 60711 u. Schreiben Künsberg, Sonderkommando AA ‚Gruppe Künsberg‘, an VAAs v. 07.07.1941, ebd. Zu Künsberg siehe Hartung (1997), S. 114f.: Der Leiter und Namensgeber der Gruppe, Eberhard Freiherr von Künsberg, wurde schon 1921 (mit 12 Jahren) Mitglied im ‚Jungsturm Adolf Hitler‘, 1929 Mitglied der NSDAP und der SS, arbeitete 1936/37 als Referent im APA und seit März 1939 im AA. Hartung (1997), S. 49. Hier geht es vor allem um BF und den VAA des AOK 4, Rittmeister Schattenfroh. Er war „persönlich dafür verantwortlich, private jüdische Kunstsammlungen und Logenbesitz sicherzustellen“. Zunehmend ließ Künsberg auch Kulturgüter, Museales und später in Frankreich auch Lastwagenladungen voll Sekt und Cognac für Ribbentrop wegschaffen. Heuss (1997), S. 538 u. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 214f. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 10.08.1941, PA AA, R 60704. Fahlbusch (1999), S. 480. Schmidt/Gutsul/Kleinmanns (2017), S. 110f. Dort ist auch von Dr. Franz Wokalek zu lesen, einem SS-Arzt, der später für „Umsiedlungsaktionen in Wolhynien und Galizien“ verantwortlich war. Wokaleks Einsatz bestätigen auch die Akten des PA: Einsatzkommando ‚Nürnberg‘, Brigadeführer Bürk, an Gruppe Künsberg v. 01.07.1941, PA AA, R 27555. Siehe außerdem Heuss (1997), S. 535 u. Hartung (1997), S. 109. Daneben arbeitete auch der ‚Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg‘ (ERR) in diesen Gebieten, um Material zu sammeln. Rosenberg war von Hitler beauftragt worden, „Bibliotheken, Archive, Logen und sonstige weltanschauliche und kulturelle Einrichtungen aller Art nach entsprechendem Material zu durchforsten und dieses für die weltanschaulichen Aufgaben der NSDAP, und die späteren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten der Hohen Schule beschlagnahmen zu lassen“. Der ERR übernahm ab 1942 die Oberhand über den Beuteraub. Matthäus/Bajohr (2015), S. 589. Siehe auch Interner Hausvermerk des AA bez. des ERR v. 16.05.1941. PA AA, Paris 1321. BF arbeitete mit dieser Gruppe unmittelbar zusammen: Die Einheiten meldeten sich untereinander, wenn sie für andere Ämter wichtiges Material entdeckt hatten. Siehe BF an Abt. Bv. T.O. [Kürzel nicht bekannt] v. 03.12.1941, PA AA, R 60712.
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hochmobil und hatten schnellen Zugriff auf jüngst eroberte Gebiete – immer in Absprache mit dem AA, dem SD, dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg und dem OKH.356 Im Januar 1941 beantragte Künsberg, inzwischen SSSturmbannführer, die Übernahme seiner AA-Einheit in die Waffen-SS. Doch Himmler lehnte zunächst ab.357 Erst im August 1941 wurde die Gruppe als „Sonderkommando der Waffen-SS“358 übernommen und Künsberg zum SSSonderführer im Range eines Majors ernannt.359 Seit Ende August 1941 erwähnte Bossi Künsbergs Einsatzkommando Nürnberg regelmäßig. Die Historikerin Ulrike Hartung führt ihn sogar als Mitarbeiter der Einheit auf. Die Leiter der Einsatzkommandos waren „verpflichtet, mit den VAA’s die engste Fühlungnahme aufrechtzuerhalten“360. So kam es, dass Bossi sich dienstbeflissen am Raubzug in der Sowjetunion beteiligte, 356
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Heuss (1997), S. 540ff. Der Autor bemängelt hier die bestehenden Forschungslücken zur Zusammenarbeit des Sonderkommandos Künsberg mit anderen Einheiten – außer der bisher gut erforschten Vernetzung mit dem ERR. Die Kooperation mit dem AOK 2, der Abteilung Ic und dem VAA kann als Ergänzung neuer Erkenntnisse dienen. Von zunächst rund 100 Mitarbeitern wuchs die Gruppe noch 1941 auf bis zu 300 Mitarbeiter. Im Ostfeldzug umfasste sie erst drei, später vier Einsatzkommandos mit je 95 Mann, die den einzelnen Heeresgruppen unterstellt waren. Für die Logistik standen 93 Fahrzeuge zur Verfügung. Siehe Fahlbusch (1999), S. 480. SS-Sturmbannführer Künsberg an Himmler v. 25.01.1941, BArch NS 19/2254, Bl. 1f. Siehe auch SS-Gruppenführer Wolff an SS-Sturmbannführer v. Künsberg v. 28.01.1941, ebd., Bl. 2, Aktenvermerk für Himmler [mit Paraphe Himmlers] v. 02.04.1941, ebd., Bl. 9 u. Heuss (1997), S. 541. Erlass des OKW bez. „Erfassung, Sicherstellung aus Auswertung von für die politische und wirtschaftliche Kriegsführung wichtigem Feindmaterial“ v. 04.07.1942, PA AA, R 60711. Siehe dazu Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 216, Hartung (1997), S. 14f. u. Heuss (1997), S. 541. Hartung (1997), S. 115. Ende August 1941 informierte Rantzau BF über Künsbergs MajorDienstgrad. Der VAA, selbst Oberleutnant, wunderte sich: „Seit wann ist er ‚Major‘? Bei der Wehrmacht doch nicht! Höchstens Polizeikommissar der GFP bei OKH! Man frug neulich auf Grund eines Befehles, den er, wie ich glaube, unterzeichnet hatte, ob er Major sei. Ich antwortete, so viel ich wüsste, Major der Waffen-SS!“ BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.08.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 22.08.1941, ebd. Künsbergs Einheit erhielt militärische Anweisungen vom SS-Führungshauptamt und unterstand als Feindnachrichtendienst gleichzeitig der Abteilung Abwehr des OKW, während einzelne Vorgesetzte Angehörige der GFP waren und die Einheit nur Akten konfiszieren durfte, sobald der RAM es gestattet hatte. Heuss (1997), S. 541f. Telegramm Künsberg an Einsatzkommando ‚Nürnberg‘ v. 09.07.1941, PA AA, R 27555. Leiter des Einsatzkommandos Nürnberg war SS-Hauptsturmführer Bernhard Nitsch. Außerdem arbeiteten hier noch NSKK-Brigadeführer Bürk und die Wissenschaftler Paulsen, Prüssmann und Wilfried Krallert. Heuss (1997), S. 546ff. Siehe auch Künsberg, Sonderkommando AA, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 28.08.1941, PA AA, R 60704. Die Zusammenarbeit des Einsatzkommandos ‚Nürnberg‘ funktionierte nicht nur mit BF gut, sondern auch beispielsweise mit Schattenfroh (AOK 4). Künsberg an Einsatzkommando
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unter anderem im Schloss, der „Schloßkirche und Grabkapelle des Grafen Baskiewicz, Sitz des Oberkommandos der Zentralarmee“361, im Antireligionsmuseum in Gomel und in Minsker sowie Brjansker Bibliotheken. Teilweise listete er detailliert auf, welche Mengen an Büchern und wertvollem Material dort noch zu holen waren. Auch privat bediente er sich. Einem befreundeten Hauptmann schrieb er zu Weihnachten 1942: Könnten Sie so .ieb [sic!] sein und mir aus Ihren Beständen schöne russische Grammophonplatten (Beuteplatten) im Kurierwege schicken? Man hat mir nämlich die Wohnung ausgeräumt und aus diesem Grunde muss ich meine Plattenbestände wieder auffüllen.362
Bis August 1942 hatte das Kommando in der Sowjetunion „insgesamt 304.694 Bücher“363 erbeutet. Bis heute ist die Restitution des Raubgutes „immer noch
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‚Nürnberg‘, Brigadeführer Bürk, v. 30.07.1941 u. viele weitere Telegramme u. Dokumente in: PA AA, R 27555. Siehe auch Hartung (1997), S. 123. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 29.08.1941, BArch RH 20-2/1775. Siehe dazu auch Bericht BFs, „Schloß Baskewitsch in Gomel“, v. 30.08.1941, BArch RH 20-2/1111. BF sendete Rantzau die Dokumente aus dem Schloss, Bücher und wertvolle Gegenstände unmittelbar zu. Sendungsvermerk BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 02.09.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Bericht Nr. 17 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.09.1941, ebd., „Liste von Büchern und Zeitschriften die im Heimatmuseum zu Brjansk aufgefunden wurden“ v. Ende Oktober 1941, PA AA, R 60705 u. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 03.09.1941, BArch RH 20-2/1775. Siehe außerdem BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.08.1941, PA AA, R 60704, KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 28.08.1941, BArch RH 20-2/1775, BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, betr. Sonderkommando AA Künsberg / Einsatzkommando ‚Nürnberg‘ v. 08.09.1941. Der Einsatz des Kommandos Nürnberg endete offiziell im Dezember 1941. Hartung (1997), S. 35. Es kam anscheinend auch dazu, dass BF das Kommando anforderte, obwohl dort nichts mehr abzuholen war. Künsberg schrieb: „Lieber Rantzau, ich wäre Ihnen dankbar, wenn der schriftstellerischen Phantasie des Hrn. Grafen Bossi [!] etwas Einhalt geboten werde“. Künsberg an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. Ende August 1941, PA AA, R 60704. BF an Hauptmann Barth v. 15.12.1942, PA AA, R 60707. Zu Barth und dem möglichen Diebstahl in seinem Haus, den BF hier erwähnt, liegen keine weiteren Informationen vor. Fahlbusch (1999), S. 492. An das AA gingen etwa 75.600 geographische Bücher, 1.000 Atlanten, 70.000 Karten und rund 5.000 Schallplatten. Der Kriegsverlauf und auch Künsbergs Umtriebigkeit führten im Juli 1943 schließlich zur Auflösung des Kommandos und der Verteilung von mehreren zehntausend Beständen des Diebesgutes an verschiedene Ministerien und Ämter; die Mitarbeiter raubten derweil weiter – nun für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Siehe Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 219: Künsberg und Himmler waren offenbar mehrfach aneinander geraten. Die SS berief Künsberg daraufhin zur ‚Frontbewährung‘ als Kompanie- und Abteilungsführer in ein Panzerregiment. Nach einem Lazarettaufenthalt aufgrund Diphterie und Paratyphus, „verliert sich nach einem Kuraufenthalt im Juli 1944 seine Spur“. Siehe auch Fahlbusch (1999), S. 480f. u. Heuss (1997), S. 553. Siehe auch Brechtken (2014), S. 158: Das RSHA war eine am 27.09.1939 entstandene Institution aus dem Hauptamt Sicherheitspolizei, dem Sicherheitshauptamt Himmlers,
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nicht abgeschlossen, da der weitaus größte Teil der geraubten Bücher vermutlich immer noch in deutschen Bibliotheken existiert“364. Die 2. Armee rückte, das zeigt auch die schnelle Verlagerung des AOK, in den ersten Monaten des Feldzuges immer schneller vor. Die Heeresgruppe Mitte, der die 2. Armee unterstellt war, dehnte sich dabei im Verhältnis ihrer Kräfte am weitesten aus. Bis Ende Juli 1941 hatte sie bereits „in der Doppelschlacht von Bialystok-Minsk und der Kesselschlacht von Smolensk“ weit mehr als eine halbe Million Gefangene gemacht und „Unmengen an Kriegsmaterial erbeutet“365. Der 2. Armee kam dabei die Aufgabe zu, „während des weiteren Vormarsches die rechte Flanke der Heeresgruppe“366 zu sichern. Bis Minsk und Talachin Mitte Juli 1941 befand sie sich noch auf unmittelbarem Wege nach Moskau. Die Rote Armee war jedoch bis zum Spätsommer 1941 nicht entscheidend geschwächt: Vielen ihrer Divisionen, die heftigsten Widerstand leisteten, gelang der Ausbruch aus den deutschen Kesseln in letzter Minute. Daneben wurden die Einheiten laufend mit neuen Truppen aufgefüllt.367 Mitte August 1941 änderte Hitler angesichts des stockenden Vormarsches die Hauptstoßrichtung: Nicht mehr Moskau war primäres Ziel, sondern die Bereiche der äußeren Heeresgruppen. „Die Heeresgruppe Mitte hatte hierfür einen Großteil ihrer Kräfte zur Verfügung zu stellen“368. Dementsprechend schwenkte auch die 2. Armee gen Süden, Richtung Gomel und Tschernigow. In den späten Augusttagen erhielt Bossi offenbar erstmals Besuch von einer Gruppe Kultur- und Pressereferenten des AA, die eine 14-tägige Frontreise unternahm. Der VAA sollte mit seiner Heeresgruppe und der Gruppe „Fuehlung aufnehmen und nach Moeglichkeit unterstuetzen“369. Das kam seinem Vorhaben, sich als kämpfender Dichter zu betätigen, schon recht nah, es dürfte zumindest vom alltäglichen Dienst abgelenkt haben. Knapp
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dem Geheimen Staatspolizeiamt und dem Reichskriminalpolizeiamt. Chef des RSHA war zunächst Reinhard Heydrich, ab dessen Tod 1942 infolge eines Attentats Ernst Kaltenbrunner. Fahlbusch (1999), S. 492. Listen über die Verteilung der Bestände an öffentliche Stellen und Privatleute existieren nicht. Künsberg bescherte zudem „bisweilen gönnerhaft und unquittiert innerhalb und außerhalb des Amtes“. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 220. Römer (2008), S. 203. Stahl, Weichs (2015), S. 549. Römer (2008), S. 202ff. Ebd., S. 205. Siehe dazu auch Stahl, Weichs (2015), S. 549. Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 31.08.1941, PA AA, R 60714. Wenig später schrieb BF weisungsgemäß auch seiner HG, um die Presseattachés zu informieren. Siehe zur ‚Einheit des Kämpfers und Dichters‘ auch Deppe (2015), S. 38.
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eine Woche später begegnete Bossi dem sowjetischen Hauptmann Wassilij Malachow. Der habe „den bisher intelligentesten und soldatischsten [sic!] Eindruck“ gemacht, „der von einem Offizier der Roten Armee zu gewinnen“ war. Er berichtete, die Russen hätten den Eindruck, der erste Angriffsschwung der Deutschen sei abgeklungen und „eine gewisse Erschöpfung“370 spürbar. Damit lag Malachow keineswegs falsch. Doch noch bewegten sich die deutschen Truppen weiter vorwärts. In der Ukraine angekommen, machten sich auf dem Schlachtfeld bereits die ersten Anzeichen des nahenden Herbstes bemerkbar, die ersten schweren Regenfälle behinderten das Vorankommen, aus Sandwegen wurden schlammige Wildpfade. Das fördere allerdings die Kameradschaft unter den Männern umso stärker, so Bossi. Wieder forderte er eine realitätsnahe Berichterstattung über den harten Vormarsch.371 Der Chef des Generalstabes der 2. Armee, bis Ende Oktober 1941 Oberstleutnant Hermann von Witzleben, nahm das dankbar auf und leitete Bossis Bericht an das OKH und die HG Mitte weiter: Der gebe ein treffendes Bild von den außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die die Truppe beim Vormarsch im Osten zu überwinden hat. Diese Schwierigkeiten verdienen es, in der Heimat besonders herausgestellt zu werden.372
Das gefiel nicht nur dem Chef des Stabes, sondern auch dem Ic. Der VAA wurde „besonders gelobt“373 und Major Irkens sorgte dafür, dass das Dokument an untergeordnete Einheiten weitergereicht wurde – die Heeresgruppe Mitte tat es ihm gleich und nutzte das Schreiben als Ic-Anlage an alle unterstellten Armeen.374 Hier zeigt sich erstmals ein Effekt, der auch für andere VAA zugetroffen haben dürfte: Es lag, trotz eindeutiger Dienstanweisungen, überwiegend in der Hand des einzelnen Mannes, wie er seinen Dienst ausfüllte – und mit welcher Verve. Bossi berichtete Rantzau besonders stolz davon, dass sein Bericht eine solche Verbreitung genommen hatte. Er empfahl sich damit 370
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Entnahmen aus: Bericht Nr. 16 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 07.09.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Hartmann (2009), S. 650. Über Deutschlands Verbündete habe Malachow ausgeführt: Die Italiener seien „schwach“, die Ungarn klein, aber „die Qualität dieses Heeres sei […] gut und seine Moral und Kampfkraft hoch zu bewerten“. Die Rumänen würden „niedrig bewertet“, sie seien zu „weich“. Die Finnen dagegen seien „tapfer, ein harter Gegner und sehr gut geführt“. Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 15.09.1941, PA AA, R 60705. „Berichterstattung über Leistungen der Truppe“, AOK 2 Chef d. Generalstabes an OKW/ WPr., OKH u. HGr. Mitte v. 22.09.1941, BArch RH 20-2/1111 BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.09.1941, PA AA, R 60705. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 05.09.1941, PA AA, R 60705.
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höheren Dienststellen und erfuhr Anerkennung – ein möglicherweise seltener Erfolg für einen Diplomaten, konnte er sich in Sachen Kampfauszeichnung doch kaum Lorbeeren wie die Frontoffiziere verdienen. Seine Waffe war vornehmlich die Feder, die er immer engagierter einsetzte. Derart ambitioniert, zog sich Bossi Aufgaben künftig auch selbstständig hinzu. Dazu benötigte er schon bald auch einen eigenen Dolmetscher, der ihm allerdings erst Ende Oktober 1941 zugeteilt wurde.375 Es handelte sich um den Sonderführer Artur Kerstens (zuvor Schütze) von „der Dolmetscherkompanie Berlin“376. Er sollte enger Vertrauter des VAA werden. Mitte September 1941 verlegte die Ic-Abteilung des AOK 2 ihren Standort von Tschernigow weiter nordöstlich nach Klinzy.377 Dort fiel, so Bossi, „ethnologisch […] sofort die russ.-tartarische [sic!] Rasse unter der Bevölkerung auf“. Ausführlich widmete er sich den hier lebenden Juden: Die vielen Juden, die Klinzy beherbergt, […] dürften zum Nutzen der einheimischen Bevölkerung recht bald besonderen Bewegungsbestimmungen zugeführt werden. Strenge Bestimmungen, die die Geschäftstüchtigkeit der Juden unterbinden und es unmöglich machen, dass die Juden an den deutschen Soldaten verdienen, sind bereits erlassen worden.378
Diese offensichtlich euphemistische, zynische Wendung offenbart, dass der VAA Bossi höchstwahrscheinlich über die ‚besonderen Bewegungsbestimmungen‘, den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung des Ostens durch Einsatzgruppen und -kommandos der SS, detailliert Bescheid wusste und diese Maßnahmen, das zeigen seine Formulierungen, offensichtlich billigte. Die Eindrücke aus Klinzy dienten ihm nicht als einzige Gelegenheit, sich mit Juden der eroberten Landschaften und Städte zu befassen: Schon am 5. Juli hatte er berichtet, dass infolge des schnellen Vormarsches „überall die Juden“379 375
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Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.09.1941, PA AA, R 60705 u. Rantzau an Hauptmann v. Hanstein, Heerespersonalamt, v. 22.09.1941, ebd. BF richtete hier Glückwünsche zu Rantzaus Hochzeit mit Ludovica Gräfin von Quadt zu Wykradt und Isny aus (siehe dazu Keipert/Grupp, Bd. 3 (2008), S. 570). Rantzau bedankte sich kurz darauf für den Glückwunsch „von einem besonders erfolgreichen und langjährigen Eheexperten“. Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 22.09.1941, PA AA, R 60705. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 25.10.1941, PA AA, R 60705. Gleiche Information auch in KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.10.1941, BArch RH 20-2/1775. Siehe auch BF an 3./ Dolmetscher-Ersatzabteilung Berlin v. 27.04.1942, PA AA, R 60712. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 19.09.1941, BArch RH 20-2/1775. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 23.09.1941, PA AA, R 60705. Entnahmen aus: Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, PA AA, R 60704.
390
6. Zweiter Weltkrieg
verblieben waren. Aus Mogilew, wo diese „70% der Bevölkerung ausmachten“, schrieb er, dass unmittelbar „Arbeitskommandos der jüdischen Bevölkerung“ eingesetzt wurden, der man „Davidsterne aufnähte“380. Ein „heiteres Intermezzo“ habe es darüber hinaus „mit jüdischen Überläufern“ gegeben. Befragt, warum sie denn gerade zu den Deutschen übergelaufen wären, erklärten sie: ‚Die Deutschen wären zwar strenge Herren, aber Herren!‘ Dieser klassische Ausspruch verdient festgehalten zu werden!381
Diese Passage offenbart, dass sich deutsche Soldaten, Bossi voran, selbst darüber wunderten, dass ausgerechnet Juden zu ihnen überliefen. Und sie zeigt angesichts dieses Erstaunens erneut, dass die Soldaten mutmaßlich wussten, was jüdische Soldaten von deutscher Seite zu erwarten hatten. Das ‚heitere Intermezzo‘ dürfte schließlich dazu geführt haben, dass diese Kriegsgefangenen früher oder später exekutiert wurden, sofern sie nicht ohnehin an Hunger und später auch Kälte in den deutschen Lagern starben. In Klinzy hätten die Juden „das Hauptkontingent der Kommunisten“ gestellt. Der alte Stadtvikar wusste zu berichten, dass diese unter staatlichem Schutz standen. Die Bevölkerung habe die Juden skeptisch beäugt und sei nun froh, „dass die Deutschen gekommen wären“, die sie „von den jüdischen Parasiten befreien“382 würden. Auch Mitte Oktober übermittelte Bossi Details zur jüdischen Bevölkerung, diesmal aus Brjansk: Deren Anzahl werde „von den Einheimischen mit ungefähr 30% angegeben“. Sie hätten „in wilden Haufen“383 die Stadt verlassen, sich vor dem Frontdienst gedrückt und außerdem nach Abzug der Sowjets das Wasserwerk zerstört. Diese Schilderungen, insbesondere die des Wasserwerks, erinnern stark an das antijüdische Klischee, gezielt Brunnen zu vergiften, das schon im Mittelalter kolportiert wurde und auch zur
380 381 382 383
Entnahmen aus: Bericht Nr. 8 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 01.08.1941, PA AA, R 60704. Bericht Nr. 10 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 13.08.1941, BArch RH 20-2/1111. Entnahmen aus: Bericht Nr. 21 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.09.1941, PA AA, R 60705. Entnahmen aus: Bericht Nr. 27 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 17.10.1941, PA AA, R 60705. Am 23.10.1941 wechselte außerdem der Ic-Offizier: Major i. G. Baumann übernahm Irkens’ Posten. Siehe KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 23.10.1941, BArch RH 20-2/1775. Auch andere VAAs vermerkten ähnliche Zahlen, so unter anderem der VAA beim AOK 17, Karl-Georg Pfleiderer: Der forderte am 01.07.1941, aus Lemberg berichtend, „jetzt scharfes Einschreiten gegen die Juden“ und vermerkte zudem 38% jüdischen Bevölkerungsanteil. Hürter (2003), S. 370, zitiert hier Telegramme Pfleiderers aus Lemberg v. 01.07. u. 05.07.1941, PA AA, R 60751.
6.4 Im Osten
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Legitimierung von Judenverfolgungen diente.384 Die sowjetische Bevölkerung scheint durchaus über die antisemitische Doktrin, die den Deutschen vorauseilte, Bescheid gewusst zu haben. Insofern können Teile dieser Erzählungen auch als sich selbst erfüllende Prophezeiungen betrachtet werden, von denen mancher Stadtbewohner mutmaßlich glaubte, dass die Deutschen sie hören wollten. Auch in Orel, im November 1941, notierte Bossi, dass sich noch 350 von ursprünglich 4.000 Juden in der Stadt befänden.385 Die ersten Kriegsmonate und die damit einhergehenden, unmittelbaren Eindrücke, die Bossi an der Front und im rückwärtigen Armeegebiet sammeln konnte, führten dazu, dass er sich auch mit den sowjetischen Kriegsgefangenen befasste. Schon nach wenigen Tage berichtete er von ihrer schnell steigenden Zahl, sodass die Deutschen kaum wussten, wohin mit der Masse an Menschen.386 Bossis VAA-Kollege beim AOK 4, Rittmeister Schattenfroh, kritisierte schon bald, die Zustände in den Gefangenenlagern seien „hinsichtlich sanitärer u. Ernährungsverhältnisse besorgniserregend“; die Menschen litten, waren „zusammengepfercht auf engem Raum“387. Im September 1941 betrug die Sterblichkeitsziffer sowjetischer Kriegsgefangener für den Bereich der Heeresgruppe Mitte etwa 10% im Monat; bis November stieg sie auf zwischenzeitlich 40%. Allein im Dezember 1941 starben im Bereich der Heeresgruppe Mitte über 64.000 kriegsgefangene Rotarmisten.388 Viele von ihnen verhungerten, erlagen ihrer Schwäche und Seuchen, wurden zurückgelassen oder ermordet. Die aufgestaute Brutalität beider Kriegsparteien entlud sich allzu häufig an den Kriegsgefangenen, vor 384
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Siehe dazu Herzig (2010), S. 49f. Dieses antijüdische/antisemitische Stereotyp ist eines der ältesten, immer wieder auftauchenden. Siehe auch Schwarz-Friesel, Monika: „Wenn Antisemitismus normal wird. Auch im Europaparlament werden judenfeindliche Ressentiments vorgetragen – unter anhaltendem Beifall“. In: Jüdische Allgemeine v. 07.07.2016, https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/25972/highlight/schulz [Zugriff: 25.07.2018]: Noch 2016 behauptete der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im EU-Parlament, israelische Rabbiner hätten mit der Vergiftung ihres Wassers gedroht. Das uralte Stereotyp lebt insofern immer noch weiter. Bericht Nr. 30 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.11.1941, BArch RH 20-2/1124. Siehe auch „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 25.11.1941, PA AA, R 60712. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, PA AA, R 60704. Vgl. Hartmann (2001), S. 97ff. Entnahmen aus: Bericht Nr. 82 des VAA beim AOK 4 Abt. Ic/AO, VAA Schattenfroh, v. 06.07.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Streim (1981), S. 181, u. Hürter (2003), S. 368: Neben anderen setzte sich offenbar auch der VAA beim AOK 6, Legationsrat I. Klasse Conrad von Schubert, für bessere Bedingungen ein. Streit (1980), S. 132, zitiert hier Unterlagen des Generalquartiermeisters beim OKW, Geheime Kommandosache „Kriegsgefangenenlage im Operationsgebiet“, BArch H 3/729.
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6. Zweiter Weltkrieg
allem den sowjetischen. Das beschreiben Berichte „von zahllosen willkürlichen Erschießungen“389. Ende Oktober 1941 waren bereits einige ArmeeOberbefehlshaber bei Hitler vorstellig geworden, um über die schlechte Lage der Kriegsgefangenen zu berichten, „da ungünstige Auswirkungen auf [die] Stimmung der Truppe“390 befürchtet wurden. Hitler befahl daraufhin, vor allem weil man die Arbeitskraft der Rotarmisten nutzen wollte, diese angemessen zu ernähren und zur Arbeit einzusetzen. Doch das änderte wenig an der Realität in den vollgestopften Lagern. Bis Kriegsende 1945 sollten in deutschem Gewahrsam schließlich zwischen 2,6 und 3,3 Millionen sowjetischer Soldaten sterben.391 Das war allerdings offenbar nicht das Ziel der deutschen Kriegsführung – obschon es billigend in kauf genommen wurde.392 Allerdings gab es nahezu keine Vorbereitungen für eine solch große Anzahl Kriegsgefangener. Die deutschen Blitzkriegserwartungen ließen diese Planungen auch zunächst nicht notwendig erscheinen, denn bereits im August sollten die großen Schlachten mit Millionen Gefangenen geschlagen sein. Erst danach wollte man über ihre Versorgung nachdenken. Der infrastrukturelle Aufwand war „so gering wie möglich zu halten“393. Da die Wehrmacht aber sowieso aus den besetzten Ländern versorgt werden sollte, blieben auch nicht viele Nahrungsmittel übrig, von denen ein Großteil wiederum für die Aufstockung der Bestände im eigenen Land eingeplant
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Römer (2008), S. 226. Hürter (2001), S. 426. Siehe auch Streit (1980), S. 145ff. Hartmann/Hürter/Lieb/Pohl (2009), S. 307, u. Streit (1980), S. 128, zitiert hier BArch R 41/172, Bl. 61. Generalfeldmarschall Keitel beispielsweise sprach in den Nürnberger Prozessen von bedauerlichen Zuständen und einer schwer zu organisierenden Verpflegung. Hartmann (2001), S. 97f. Allein zwischen dem 13. und 23. Juli 1941 nahm die 2. Armee 39.423 Rotarmisten gefangen. Ende September waren es schon 280.727, Anfang Mai 1942 insgesamt 350.320. Siehe Zwischenmeldung 24.7.41, Heeresgruppe Mitte, CAMO, Bestand 500, Findbuch 12454, Akte 192, Bl. 42. Digitalisiert unter http://wwii.germandocsinrussia.org [Zugriff: 14.06.2016], „Gefangene und Beute (22.6.-27.9.41)“, Heeresgruppe Mitte, Abt. Ic/AO, RGVA, Bestand 500, Findbuch 12454, Akte 213, Bl. 99. Digitalisiert unter http:// wwii.germandocsinrussia.org [Zugriff: 14.06.2016] u. „Gefangene und Beute in der Zeit vom 22.6.41-30.4.42“, Heeresgruppe Mitte, Abt. Ic/AO, CAMO, Bestand 500, Findbuch 12454, Akte 370, Bl. 94. Digitalisiert unter http://wwii.germandocsinrussia.org [Zugriff: 15.06.2016]. Insgesamt machte die HG Mitte, das zeigen die Akten aus dem CAMO, bis Ende Dezember 1941 knapp zwei Millionen Gefangene. Da die 2. Armee auch ihr Unterstellungsverhältnis änderte, sind für bestimmte Zeiträume keine exakten Gefangenenzahlen anzugeben. Hartmann (2001), S. 126f. Streit (1980), S. 13. Siehe auch S. 80f.
6.4 Im Osten
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waren.394 Hier kamen rassenideologische Indoktrinierung, die damit einhergehende Ignoranz und Gleichgültigkeit den sogenannten Untermenschen gegenüber und die verbrecherischen Befehle und Leitlinien aus der Anfangsphase des Ostfeldzugs zu ihrer fatalen Wirkung.395 Bevor die Kriegsgefangenen in einem Lager ankamen, verging eine lange Zeit. Transporte wurden aufgrund möglicher „Verseuchung und Verlausung der Eisenbahnwaggons“396 von der Reichsbahn abgelehnt, selbst Leerzüge wurden nicht belegt. Übrig blieben nur Fußmärsche, in manchen Fällen bis zu einigen hundert Kilometer, auch noch bis in den Dezember 1941 hinein. Um den Vormarsch und die Versorgungswege nicht zu beeinträchtigen, wandelten die endlosen Kolonnen neben den Rollbahnen her. Als dann doch Züge zur Verfügung standen, starben bei Transporten in offenen Wagen bei Dauerfrost bis zu 20% der Gefangenen, wenn sie nicht bereits durch Erschießen oder willkürliche, ungehemmte Brutalität zu Tode gekommen waren. Erst Anfang Dezember 1941 regelte das OKW die Ausstattung der Transporte mit Heizöfen, Decken und Mänteln. Doch dazu fehlten jegliche Mittel. Der Befehl konnte
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Gerlach (2005), S. 41. Schon am 02.05.1941 hatte der Leiter des ‚Wirtschaftsstabes z.b.V. Oldenburg‘ (später der Wirtschaftsstab Ost), General Dr. Schubert, in einer Besprechung mit verschiedenen Ministerien festgelegt, wie die Versorgung in einem möglichen Ostfeldzug gewährleistet werden sollte. Die gesamte Wehrmacht müsse aus Russland ernährt werden, wodurch einige Millionen Menschen verhungern würden. Streit (1980), S. 63 u. 143f. Begründet wurde das massenhafte Sterben auch mit der mangelnden Ernährung der Rotarmisten durch ihre Führung. Tagelang hätten diese während der großen Kesselschlachten von Kiev und Vjaz’ma/Brjansk ohne Verpflegung ausharren müssen. Siehe Streit (1980), S. 130f. u. 154f. Nagel (2014), S. 114. Theorie und Praxis der Behandlung von Kriegsgefangenen unterschieden sich je nach Region und Ethnie erheblich: „Bestimmt von politischen Opportunitätskriterien und rassenideologischen Prämissen etablierte die Wehrmacht ein sehr differenziertes System unterschiedlicher Behandlungsrichtlinien für die verschiedenen Nationalitäten, aufgrund dessen es zu einer Hierarchisierung kam, an deren Spitze die angloamerikanischen und an deren Ende die sowjetischen Gefangenen standen“. Im Hinblick auf Polen beispielsweise lag die Todesrate bei den etwa 300.000 Gefangenen, „trotz rassistischer Vorurteile auf deutscher Seite“, weitaus niedriger. Siehe dazu Gerlach (2005), S. 44. „Die meisten polnischen Kriegsgefangenen, rund 300.000, wurden 1940 formell in ein ziviles Zwangsarbeitsverhältnis überführt […]“. Von den im Sommer 1940 ca. 1,9 Millionen französischen Gefangenen wurde nach kurzer Zeit schon die Hälfte wieder entlassen. Die restlichen 900.000 Männer leisteten Zwangsarbeit. Weltanschauliche Abneigung spielte hier keine große Rolle. Siehe auch Streit (1980), S. 24 u. 59, Gerlach (2005), S. 44 u. Römer (2008), S. 228. Streit (1980), S. 163, zitiert hier einen Bericht eines Kriegsgefangenenbezirkskommandanten v. 07.07.1941, BArch RH 22/5.
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6. Zweiter Weltkrieg
„freilich nur Alibifunktion haben“397. Hinzu kamen Seuchen und fehlende Kapazitäten für die Versorgung Verwundeter. Von der kämpfenden Truppe gelangten die Soldaten an die Gefangenensammelstellen der Divisionen. Hier folgten erste Vernehmungen und die Meldung der Ergebnisse an die „Vernehmungsstelle des Armeeoberkommandos“398. Von dort aus ging es in die Armee-Gefangenen-Sammelstellen (AGSSt), die den AOKs untergeordnet waren und sich im rückwärtigen Armeegebiet, maximal 50 Kilometer hinter der Front, befanden. Daneben unterstanden einem AOK verschiedene provisorische Lager, Durchgangs- (Dulags), Stamm- (Stalag) und Offizierlager (Oflag), die oft lediglich aus Zäunen bestanden. Unterkünfte hatten sich die Gefangenen selbst zu bauen.399 Regelmäßig jedoch wurden sowjetische Kriegsgefangene nicht registriert; einzelne dienten den Einheiten und ihren militärischen Führern auch als „Leibrusse“400. Dem AOK 2 unterstanden bis 1943/44 das Stalag 314, das Dulag 231, zeitweise die Dulags 202 und 123 und die AGSSt 3, 4 und 19.401 Hier führte die 397
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401
Streit (1980), S. 166. Siehe auch S. 164f., 184, 195ff., Streit (2012), S. 66 u. Otto/Keller/Nagel (2008), S. 559ff., 565 u. 590ff.: Die in der deutschen Forschung angenommenen Zahlen gefangener Rotarmisten bewegen sich zwischen 5,254 und 5,743 Millionen. Auch deutschrussische Tagungen konnten bisher keine letztgültige Zahl zusammentragen, was wohl auch aufgrund divergierender Quellen nicht möglich sein wird. Das Thema ist emotional aufgeladen ist und war immer wieder einer ideologischen Instrumentalisierung unterworfen, vor allem in der Sowjetunion. Die Zahl hängt letzten Endes auch davon ab, wer als Kriegsgefangener galt und somit registriert wurde. Doch längst nicht alle, die völkerrechtskonform so hätten registriert werden müssen, tauchten auf offiziellen Listen und Karteien auf. Es war mehr oder weniger Zufall, „ob und wann in der Operationszone des Heeres ein Soldat der Roten Armee nach der Gefangennahme als Individuum aktenkundig“ wurde. Zumindest für die ins Deutsche Reich, ins Generalgouvernement und in die Reichskommissariate (OKW-Bereich) verbrachten Rotarmisten kann durch erhaltene Registrierungsakten eine recht genau belegbare Zahl von knapp 2,8 Millionen Soldaten angenommen werden. Damit wäre etwa knapp die Hälfte der Gefangenen (OKH-Bereich) nicht nachweisbar. Nagel (2014), S. 117. Streit (1980), S. 72. Nagel (2014), S. 115f. (u. zum Transportweg der Kriegsgefangenen S. 116ff., zitiert hier u. a. Abdruck v. „Verlauf der Vernehmung und des Abschubs“ bei beim AOK 2, BArch RH 20-2/1445. Im zweiten Halbjahr 1941 bestanden bereits 22 AGSSt, 12 Stalags und 47 Dulags. Siehe Hartmann (2001), S. 115). Siehe auch Gerlach (2005), S. 43 u. Otto/Keller/ Nagel (2008), S. 563. Insgesamt ist die Quellenlage zu den einzelnen Kriegsgefangenenlagern sehr dürftig. Siehe Hartmann (2001), S. 99ff. u. Hartmann (2009), S. 607f. In PA AA, R 60706 finden sich Listen von kriegsgefangenen Offizieren im Lager 1 und 2 in Kursk. Möglicherweise haben diese zur Auswahl für Verhöre gedient. Aus diesen Lagern schickte BF dem Chef des Stabes beispielsweise auch eine Liste der Berufe und Schulbildung der Gefangenen. Siehe „Liste der kriegsgefangenen Offiziere des Lagers 2 in Kursk“ o. D., PA AA, R 60706
6.4 Im Osten
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Ic-Abteilung ihre Vernehmungen durch, sofern sich die Offiziere die Gefangenen nicht zu Verhören bringen ließen. Es „gehörten ‚strenge Behandlung und Repressalien‘, sprich Folter, […] zum handwerklichen Repertoire der Vernehmungsoffiziere“402. Je nach Fähigkeit wurden die Rotarmisten auch zur Arbeit eingesetzt: Im Juli 1942 beispielsweise ließ Bossi einen Kriegsgefangenen ans Stadttheater überstellen. Die Dulags waren immer „in ein großes, weitverzweigtes System eingebunden“403. Einzelne Lager schafften es unter Führung findiger Lagerkommandanten tatsächlich, die Gefangenen annähernd ausreichend mit selbst gebackenem Brot und angebautem Gemüse zu versorgen. Hier gab es also einen beträchtlichen Handlungsspielraum. Doch auch im AOK2Dulag 231 wurden Politsoldaten ermordet.404 Die „Aussonderung ‚untragbarer‘ Gefangener und die Kooperation mit den SD-Kommandos“ gehörte schon frühzeitig fest zum „Handlungsrepertoire der Gefangenenlager und Sammelstellen“405. Ganz besonders schlimm waren die Zustände dort jedoch erst, nachdem das Lager im September/Oktober 1941 hoffnungslos überfüllt war und allmählich der Winter einsetzte. Auch Fälle von Kannibalismus waren nun keine Seltenheit mehr.406 Das blieb den deutschen Soldaten nicht verborgen. Zu groß waren die hungernden und leidenden Gruppen, zu viele Lager existierten, als dass man sie hätte hermetisch abriegeln können. Als Teil der Abteilung Ic dürfte Bossi darüber hinaus noch intensivere Einblicke in die dort herrschende Alltagsrealität gehabt haben. Er betrat die Gefängnisse selbst, sprach mit Soldaten und las Berichte unterstellter Einheiten. In einem längeren Rapport widmete sich
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u. BF an Chef des Generalstabes v. 06.06.1942, ebd. Zur Geschichte des Dulags 231 siehe Hartmann (2001), S. 155, zitiert hier BArch RH 49/9, Stammtafel Dulag 231. Die AGSSt 3 unterstand dem AOK von Juli 1941 bis Dezember 1943 und wurde im Januar 1944 aufgelöst. Siehe Streim (1981), S. 239-243. In der AGSSt 4 fanden im September 1941 verschiedene Exekutionen durch den SD statt. Weitere Erschießungen sollen dann jedoch durch den Lagerkommandanten verboten worden sein. Im Dezember 1941 konnten in der AGSSt 19 von den „10400 Gefangenen ‚in anständigen, geheizten Räumen […] gut nur 5000 Mann untergebracht werden‘; die Gefangenen lagen ohne Stroh auf Brettern“. Siehe Streit (1980), S. 176, zitiert hier BArch RH 22/V-220. Römer (2008), S. 323f., zitiert hier einen Erfahrungsbericht der 257. Inf. Div., Abt. Ic, v. Winter 1941, BArch RH 26-257/37. Anl. 68. Hartmann (2001), S. 115. Ebd., S. 115ff. u. 121, unter Verweis auf drei Vernehmungen der Staatsanwaltschaft Wien im Jahre 1972 (Aktenzeichen 15 St. 28415/71). Siehe auch Streit (2012), S. 66f. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 461. Davon berichtet auch Streit (1980), S. 100ff. Streim (1981), S. 209 u. 242 (zitiert hier Akten der Zentralen Stelle Ludwigsburg: ZSt., 319 AR-Z 127/70, Sonderbd. I, S. 26f. u. 45) u. Hartmann (2001), S. 124f. Siehe auch Vorermittlungsverfahren gg. AOK 2 v. 15.02.1972, BArch B 162/28357, S. 39.
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der VAA Anfang Dezember den Zuständen in den Kriegsgefangenenlagern. Er habe eine gewissenhafte Darstellung der Gegebenheiten im Frontgebiet abliefern wollen. Durch den schlammigen Herbst und den harten Winter habe sich das Bild des Krieges im Osten vollkommen gewandelt. Ein eigenes Kapitel für den Frontsoldaten ist auch die Behandlung der Kriegsgefangenen. So hart, so unerbittlich der Frontsoldat den Gegner anpackt, so wenig hat er Verständnis für das Bild des Kriegsgefangenenelends, dessen Augenzeuge er täglich ist. Die tatsächlichen Vorkommnisse von Kannibalismus, die eine Folge des entsetzlichen Hungers der Kriegsgefangenen in den Lagern waren, haben sich mit unerfreulicher Schnelligkeit in der Truppe herumgesprochen und eine allgemeine Ablehnung hervorgerufen. Der Soldat weiß aus ureigenster Erfahrung, wie hart die Versorgung in diesem Lande ist und er weiß auch, daß die Hungersnot, die ihre Anzeichen bereits vorausschickt, eine Folge des bolschewistischen Zerstörungssystems ist. Aber er empfindet es als für die deutsche Wehrmacht beschämend, wenn unter deren Augen die Gefangenen sterben wie die Fliegen. Es gibt Soldaten, die offen erklären, sie könnten das Elend der vorbeischleichenden ausgehungerten Gestalten einfach nicht mehr mitansehen.
Seitdem das „Massensterben der russischen Kriegsgefangenen“ bekannt geworden sei, locke die deutsche Propaganda „keinen Hund hinter den Ofen [sic!]“ mehr hervor. Auch auf die Stimmung der Bevölkerung würde sich ein „Verschwinden der Hungerlager nur positiv“407 auswirken. Der Bericht zeigt, dass trotz des Erlebens alltäglicher Brutalität mit dem massenhaften Sterben der Rotarmisten bei Bossi und vielen Soldaten eine Grenze überschritten war. Der Historiker Christian Hartmann bezeichnete sein Dokument als eines der eindrucksvollsten Zeugnisse über die schlechte Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen. Es geht dem VAA hier wohl tatsächlich um das Leid der Menschen, doch auch um die negativen Folgen für die Kampfmoral der deutschen Soldaten, den steigenden sowjetischen Widerstand als Folge des Massensterbens und das so verhinderte ‚Sparen deutschen Blutes‘, wie Bossi es immer wieder forderte.408 Als VAA wirkte er 407
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Entnahmen aus: Bericht Nr. 31 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.12.1941, PA AA, R 60705. Siehe auch Buchbender (1978), S. 109 u. Hartmann (2009), S. 591. Zum ‚Sterben wie die Fliegen‘ siehe auch Streim (1981), S. 202. Er nimmt Bezug auf die Zeugenvernehmung eines Herrn A. vor dem Schwurgericht Frankfurt a/M, Urteil vom 14.11.1973 gegen Proschinsky, Aktz. 4 Ks 2/63, S. 113ff. Im Winter 1941/1942 erfroren rund 230.000 deutsche Soldaten. Die Wehrmacht versuchte zu aller erst, die eigenen Truppen zu versorgen. Siehe dazu Hartmann (2001), S. 133. Hartmann (2009), S. 608f., schreibt, es handele sich bei diesen Eindrücken BFs „wohl auch um die Meinung des Autors“. Hervorhebung im Original. Siehe auch Neder (2011), S. 208: Es herrschte bei deutschen Kriegsgefangenen in Großbritannien und den USA
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nah an der kämpfenden Truppe und bekam so „Veränderungen auf der Gegenseite am frühesten zu spüren und auch am stärksten“409. Seine Bemühungen in Sachen Aktivpropaganda waren angesichts solcher Zustände, die den Russen zunehmend bekannt wurden, weitestgehend hinfällig. Doch führten ihn diese Eindrücke offenbar nicht zu einer grundsätzlichen Reflexion über den deutschen Krieg und über seine eigene Beteiligung daran. Das Originalexemplar des Berichts zeigt einige handschriftliche Anmerkungen des Chefs des Generalstabes, Oberst (später Generalmajor) Gustav Harteneck. Er war insgesamt „sehr einverstanden!“410 Das Dokument wurde schließlich auch mit der „ausdrücklichen Genehmigung des Oberbefehlshabers der Armee, General der Panzertruppen Schmidt, abgesandt“411. Die hochrangigen Unterzeichner hatten damit bewirkt, dass Bossis Bericht über Botschaftsrat Gustav Hilger und Staatssekretär von Weizsäcker dem Reichsaußenminister und dem ‚Rußland-Gremium‘ im AA vorgelegt wurde.412 Ein Beleg dafür, dass die Erlebnisse im Osten offenbar zu keiner grundlegenden Reflexion geführt haben, aber auch dafür, dass Bossi wusste, wie er sich welchem Verantwortungsträger gegenüber verhalten sollte, ist der Artikel „Vom Kampf und Sieg im Osten“, der nur acht Tage nach seinem Bericht über das Elend der Kriegsgefangenen in der Neuesten Zeitung (Abendausgabe Innsbrucker Nachrichten) erschien. Als Auszug aus einem Feldpostbrief an Gauleiter Hofer übertitelt, schrieb der Autor, der Ostfeldzug sei die „eigentliche große Bewährung des nationalsozialistischen Kämpfertums“. Die Rotarmisten kämpften vor allem deshalb so tapfer, weil sie sich fürchteten: vor den Deutschen und der „brutalen Niederhaltung“ durch die Kommissare. Es sei für die deutschen Soldaten oft schwierig, „diesem Gegner soldatische Achtung entgegenzubringen“. In „Hunderten von Kriegsgefangenenvernehmungen“
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Sorge, dass deutsche Kriegsgefangene in Russland schlecht behandelt werden könnten, als logische Folgerung aus der schlechten Situation der Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft. Entnahmen aus: Hartmann (2009), S. 609. Bericht Nr. 31 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.12.1941, BArch RH 20-2/1126. Vermerk Generalkonsul Wüster für Staatssekretär v. Weizsäcker v. 19.12.1941, PA AA, R 60705. Vier Tage vor BFs Berichte hatte Schmidt die ihm unterstellten Kommandeure angehalten, die Kriegsgefangenen ausreichend zu versorgen, vor allem, um deren Arbeitskraft nutzen zu können. Siehe dazu Hürter (2007), S. 389. Dokument 122 „Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Baum“ v. 13.02.1942 betreffend BFs Bericht Nr. 31 v. 09.12.1941. ADAP (1969), Serie E, Bd. 1, S. 220f. Das ‚Rußland-Gremium‘ war eine im AA eingerichtete Dienststelle mit Ost-Experten (u. a. aus der Moskauer Botschaft), die eine gezielte Propaganda für den Osten entwickeln und den RAM beraten sollte. Ihr gehörten u. a. an: der ehem. Botschafter in Moskau Graf von der Schulenburg, Botschaftsrat Gustav Hilger u. der Gesandte Großkopf. Buchbender (1978), S. 150.
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hätten die Rotarmisten betont, dass die Deutschen Gefangene „angemessen behandeln“. Die Wehrmachtssoldaten sprächen oft davon, dass der Einsatz im Osten „seinen tiefen Sinn hat und daß die Rote Armee tatsächlich über Europa herfallen wollte“. Der ‚Führer‘ habe „in letzter Minute“ gehandelt. Aus dem Kampf würden Männer als Sieger heimkehren, „die wissen, was der Nationalsozialismus unserem Volke geschenkt hat“. „Halt’s euch brav“, habe Hofer Bossi am Telefon zum Abschied 1939 mit auf den Weg gegeben. Die Tiroler und Vorarlberger hätten das stets beherzigt und „Haltung“413 bewiesen. Mit diesem Artikel (oder abgedruckten Feldpostbrief) widersprach Bossi selbst seiner Argumentation, dass nicht angemessen über die Leistungen der Soldaten berichtet wurde. Er schilderte Zustände, von denen er wusste, dass sie nicht der Realität entsprachen. Darüber hinaus würdigte er die ‚Leistungen‘ des Nationalsozialismus. Seine Behauptung, die sowjetischen Kriegsgefangenen würden angemessen behandelt, ist vor dem Hintergrund seines unmissverständlichen Berichts, der kaum eine Woche zuvor gefertigt wurde, an Zynismus kaum zu überbieten. Tatsächlich hatte auch die deutsche Feindpropaganda ganz bewusst mit der Mär der guten Behandlung Kriegsgefangener versucht, Rotarmisten zum Überlaufen zu bewegen.414 Bossis Artikel half der NS-Propaganda in einem Parteiblatt, den propagierten Gegensatz von sowjetischen Bestien (besonders Kommissare) und ‚ritterlichen‘ Deutschen zu zeichnen. Daneben zeigte er sich Hofer erneut als weltanschaulich verlässlicher Landsmann, sofern es sich tatsächlich um einen Auszug aus einem Feldpostbrief handelte. In den ersten Dezembertagen 1941 hatte das AA zu einer VAA-Tagung vom 15. bis 17. Dezember 1941 nach Berlin geladen. Während sich sein Kriegsgefangenen-Bericht in den Berliner Institutionen verbreitete, nutzte Bossi die Gelegenheit, um den Termin mit einem Weihnachts-Heimaturlaub zu verbinden.415 Im Anschluss an die Besprechung hielt er noch einen Vor413 414 415
Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Vom Kampf und Sieg im Osten“. In: Neueste Zeitung v. 17.12.1941, S. 1f. Streim (1981), S. 188. Rantzau, Inf. Abt. AA, an VAA beim OKW/WPr. v. 25.11.1941, PA AA, R 60705. Siehe auch Rantzau, Inf. Abt. AA, an VAAs v. 23.01.1942, PA AA, R 60710 u. Fernschreiben AOK 2, Abt. Ic, an Frontsammelstelle Smolensk v. 03.12.1941, PA AA, R 60714. Auf der Durchreise traf sich BF mit Legationsrat Rittmeister Schattenfroh, VAA beim AOK 4, im Hotel Pologna in Warschau. Fernschreiben Schattenfroh, VAA beim AOK 4, an BF v. 06.12.1941, ebd. Am 15.12. nahm BF abends an einem „Kameradschaftsabend […] in der deutschitalienischen [Hervorhebung CP] Gesellschaft, Ulmenstr. 3“ in Berlin teil. Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 03.12.1941, PA AA, R 60714. Gleiches Schreiben (mit der Einladung zu diesem Abend) findet sich auch in den Akten anderer VAAs in PA AA, Paris 2402.
6.4 Im Osten
399
trag vor Personal des AA und des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete in der Berliner ‚Zentralstelle Osteuropa‘.416 Während der Abwesenheit vertrat ihn sein Dolmetscher, Sonderführer Kerstens. Nach den Feiertagen, Anfang Januar 1942, war für die VAAs noch Programm geplant; zwischen dem 6. und 13. Januar hörten sie Vorträge von Staatssekretären und Botschaftern zur Außenpolitik, zur Rüstungslage sowie zur Kriegslage in Afrika und besuchten gemeinsam die Ausstellung Wehrmachtspropaganda in Potsdam.417 Erst am 15. Januar 1942 sollte Bossi wieder bei seiner Einheit sein.418 Zum Jahreswechsel 1941/42 musste allen Beteiligten auf deutscher Seite klar sein, dass aus dem ursprünglich als ‚Blitzkrieg‘ geplanten Feldzug gegen die Sowjetunion ein längerfristiges Unterfangen werden würde. Die Gründe für das Scheitern des ‚Unternehmens Barbarossa‘ waren vielfältig: Eigene Kräfte wurden überschätzt, die Rote Armee wurde unterschätzt, die Reserven Russlands ebenso. Strategische Fehler, auch Hitlers, verhinderten den Durchbruch bis Moskau. Die schlechte Versorgung der Truppen mit Nachschub, wetterbedingter Kleidung und Treibstoff weit ab von geregelter ziviler Infrastruktur ließ den Vormarsch in einem Stellungskrieg erstarren. Und nicht zuletzt fehlten schon Ende 1941 über 830.000 gefallene Soldaten.419 Die Euphorie der ersten Kriegswochen wich der Ernüchterung: nicht enden wollender Regen und kniehoher Schlamm bei unbefestigten Wegen, was sich später zu einer meterhoch eingeschneiten Winterwüste verwandelte.
416
417 418 419
Dankbrief Dr. Peter Kleist, Zentralstelle Osteuropa, an BF v. 20.12.1941, PA AA, R 60708. Kleist erläutert hier nicht weiter, worum es in dem Vortrag ging. Die ‚Zentralstelle Osteuropa‘, 1940 gegründet und vom Ost-Experten Dr. Peter Kleist geleitet, „unterstand nach dem deutschen Angriff [auf die Sowjetunion] dem von Alfred Rosenberg geleiteten Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Dort organisierte man die Rekrutierung von Wissenschaftlern für die deutsche Kriegsforschung“. Happel (2018), S. 270. Siehe auch Nowack (2016), S. 242: Kleist (1904-1971), SS-Obersturmbannführer ehrenhalber, trat 1957 in den BND ein und arbeitete dort als freier Mitarbeiter und „Reisequelle“. Mit seinen profunden Kenntnissen der Sowjetunion war er dort gut zu gebrauchen. Nachdem eine interne Überprüfung eine „‚politische Belastung‘“ festgestellt hatte, kam Kleist weiteren Maßnahmen seitens des BND durch seine Kündigung 1967 zuvor. Daneben arbeitete er als Chefredakteur der rechtsextremen Deutschen Soldaten-Zeitung und schrieb für die Zeitschrift Nation Europa. 1960 war er Gründungsmitglied der bis heute bestehenden, rechtsextremen ‚Gesellschaft für freie Publizistik (GfP)‘. Siehe Klee (2015), S. 315 u. Buchheim (1954), S. 177ff., der Kleist als intellektuellen NS-Apologeten charakterisiert. „Vortragsserie für die VAA.s“. PA AA, Paris 2402. Rantzau, Inf. Abt. AA, an Abt. Pers. v. 15.12.1941, PA AA, R 60705. Siehe auch „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 16.03.1942, PA AA, R 60712. Römer (2008), S. 206f. u. 213.
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6. Zweiter Weltkrieg
6.4.2 Die „loyalste Zusammenarbeit“420 – Das AOK 2 und der SD Bossis Berichte und die mitunter detaillierten Angaben zur Bevölkerungspopulation des ersten Kriegshalbjahres in der Sowjetunion gingen auf direktem Wege an die Informationsabteilung im AA.421 Doch auch schon zuvor waren sie beim Chef des Stabes, beim Oberbefehlshaber der Armee und bei der Heeresgruppe Mitte gelandet – aber möglicherweise nicht nur dort. Schon auf dem Balkan hatte Bossi Kontakt mit dem Sicherheitsdienst (SD) der SS.422 Der „Führer des S.D.“ sollte „laufend Ic/A.O. über seine Absichten und durchgeführten Maßnahmen ins Bild setzen“423, während Bossi das Kriegstagebuch mitschrieb. Derweil war der Ic der Heeresgruppe bereits über den kommenden Einsatz von SS-Kommandos bei den vordersten Truppen im Osten informiert worden, deren Tätigkeiten auch Exekutionen umfassen sollten, allerdings „möglichst abseits der Truppe“424. Tatsächlich informierte der SD den Ic der Armee immer wieder auch schon auf dem Balkan über kleinere „Aktionen“425 oder wurden Angelegenheiten der Armee an das „S.D.Kommando abgegeben“426. Ende April 1941 regelte das OKH schließlich den Einsatz der „Sicherheitspolizei und des SD im Verbande des Heeres“. Durch den Erlass erhielten die Einsatzgruppen und -kommandos Zugang zum rückwärtigen Heeres- und Armeegebiet. Die Oberbefehlshaber behielten allerdings das Recht, Aktionen der Einsatzgruppen zu untersagen; hierzu reichte es aus, sich auf eine etwaige Störung der militärischen Operationen zu berufen. Von entscheidender Bedeutung war, dass den Einsatzgruppen die weit reichende Befugnis eingeräumt wurde, ‚im Rahmen ihres 420 421 422
423 424 425 426
„Merkblatt für die Führer der Einsatzgruppen und -kommandos der Sicherheitspolizei und des SD“ O.D. (vor 22.06.1941), S. 1. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 500, Opis 25, Akte 1, Bl. 5ff. Römer (2008), S. 70. Auch andere VAAs berichteten über die Zusammensetzung der Bevölkerung und die Begegnung mit Juden. Siehe dazu u. a. Hartmann (2009), S. 652. Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 30.04.1941, PA AA, R 60707. Siehe auch Streit (1980), S. 32 u. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 15 u. 186: Insgesamt gilt: „Die Praxis des systematischen Judenmords war für das Auswärtige Amt von Beginn an kein Geheimnis“. Es gab einen engen Informationsaustausch zwischen AA und RSHA. Entnahmen aus: KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 07.04.1941, BArch RH 20-2/999. Siehe auch KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 06.04.1941, ebd. Entnahmen aus: Hürter (2004), S. 530. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 11.04.1941, BArch RH 20-2/999. KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 15.04.1941, BArch RH 20-2/999. Siehe auch KTB Abt. Ic/AO, AOK 2, v. 15.05.1941, ebd., u. Krausnick (1998), S. 207: „Wie viel für die Erfüllung ihrer Aufgaben von einem guten Verhältnis zur Wehrmacht abhing, war den Chefs der Einsatzgruppen stets klar, ihnen überdies von ihrer obersten Führung wiederholt eingeschärft worden“.
6.4 Im Osten
401
Auftrages in eigener Verantwortung Exekutivmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung zu treffen‘.427
Anfang Juni wurde vereinbart, dass die SS-Kommandos nur hinsichtlich Verpflegung, Unterkunft und Transport an das Heer gebunden sein sollten. Offiziell unterstellt waren sie dem RSHA und damit Heydrich und Himmler. Die SSZentrale gab den Einsatzgruppen-Führern darüber hinaus in einem Merkblatt kurz vor dem Ostfeldzug bekannt, dass die „loyalste Zusammenarbeit mit der Wehrmacht sicherzustellen“428 sei. Das Heer hatte sich zwar in gewisser Weise durch die rein organisatorische Unterstellung der SS-Einheiten von einer Verantwortung entbunden.429 Doch wenige Tage später verfügte das OKH für die Ic-Abteilungen der Heeresgruppen und Armeen, der SD solle umfassend „in den militärischen Feindnachrichtendienst“430 eingebunden werden. In der Praxis lag die „Initiative für das Vorziehen der SD-Kommandos über die Grenzen der ursprünglich vorgegebenen Einsatzräume hinaus“ schließlich oft unmittelbar bei den Armeen. „Die Interessen beider Seiten trafen sich“431. Angesichts des Polenfeldzuges und der Instruktionen für die Kommandos konnte auch bei den Armeen kaum Zweifel darüber bestehen, welche Aufgaben für die SS-Einheiten vorgesehen waren. Die Sonderkommandos arbeiteten in militärischer und polizeilicher Hinsicht eng mit den Ic-Offizieren zusammen.432 Deren Abteilungen waren „Knotenpunkte“ der Kooperation: Sie übernahmen die
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432
Entnahmen aus: Römer (2008), S. 69, bezogen auf die zuvor benannten Richtlinien. Siehe auch S. 328f u. Ueberschär (2011), S. 249. „Merkblatt für die Führer der Einsatzgruppen und -kommandos der Sicherheitspolizei und des SD“ O.D. (vor 22.06.1941), S. 1. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 500, Opis 25, Akte 1, Bl. 5ff. Römer (2008), S. 70. Erlass des OKH zur Tätigkeit der Ic-Abteilungen v. 11.06.1941, PA AA, R, 60711. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 329, mit Verweis insbesondere auf Akten des AOK 2: Ic-Abendmeldung des 53. AK an das AOK 2 v. 01.08.1941 (BArch RH 20-2/1102), Antrag AOK 2 an HG Mitte v. 10.08.1941 (BArch RH 20-2/1091, Anl. 337), Antrag AOK 2 an HG Mitte v. 11.11.1941 (BArch RH 20-2/1121, Anl. 92) u. Eintrag im KTB Abt. Ic/AO v. 16.01.1942 (BArch RH 20-2/1150, S. 8). Hürter (2004), S. 530f., Hartmann (2004), S. 31ff. u. Römer (2008), S. 329ff.: „In vielen Befehlsbereichen bildete nicht nur pragmatisches Kalkül, sondern auch ideologische Kongruenz die Basis für die weit reichende Zusammenarbeit zwischen den Ic-Abteilungen in den Mordkommandos der Einsatzgruppen“. Weiter schreibt Römer: „Viele Ic-Offiziere waren an der Ausübung der vollziehenden Gewalt unmittelbar beteiligt, indem sie Todesstrafen gegen Kriegsgefangene, Zivilisten oder Partisanen persönlich anordneten und vollstrecken ließen“.
402
6. Zweiter Weltkrieg Koordination der Marschbewegung der Einsatzgruppen, bedienten sich mitunter ihrer Kräfte und waren auch die Adressaten ihrer Meldungen. Die Kommandoführer des SD oder ihre Verbindungsoffiziere fanden sich regelmäßig zu Besprechungen bei den Ic-Offizieren in den Armeehauptquartieren ein.433
Das zeigte sich auch beim AOK 2, dem im Osten das Sonderkommando 7b (SK 7b) und zeitweise auch das Einsatzkommando 8 (EK 8) der Einsatzgruppe (EG) B organisatorisch unterstellt waren.434 Im Zuge einer Zeugenvernehmung gab Bossis Ic Irkens 1969 zu Protokoll, im August 1941 habe sich ein SS-Standartenführer „mit einem Einsatzkommando der SS mindestens einige Wochen“ beim AOK 2 aufgehalten. Seine Abteilung habe aber „mit dem Kommando keinen Kontakt“ gehabt. Beim AOK habe man deren Einsatz „allgemein keinesfalls gern gesehen“435. Allerdings wechselten beide Kommandos erst ab dem 11. Juli 1941 von der EG C zu B. Der Historiker Felix Römer schreibt, dass die „‚Feststellung aller Juden, politischen Kommissare, politisch Verdächtigen und aller nicht Ortsansässigen‘“ nicht nur Aufgabe des SD war, sondern mitunter auch „‚Ic-mäßig erwünscht‘“436. Das kann insofern möglicherweise auch für das AOK 2 gelten, 433
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Entnahmen aus: Römer (2008), S. 330. Er nimmt Bezug auf verschiedene Akten des Bundesarchivs, die diese Angaben bestätigen: BArch RH 20-11/160 (Marschbefehl Ic d. AOK 11 an SK 10a), BArch RH 23/72 (Exekutionsmeldung Ortskommandantur Simferopol), BArch RH 20-17/321 (Intervention AOK 17, Aufschiebung einer Erschießungsaktion), BArch 20-17/769 (Bitte „um Repressalien […] gegen Krementschuger Juden“ aufgrund dreier Sabotagefälle), BArch 22/4, S. 189 (AOK 17 organisiert Heranführung des SDKommandos nach Lemberg), usf. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 17“ v. 09.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 95: Dem AOK 2 stehe „das Sonderkommando 7b zur Verfügung“. Es habe „anfangs unter der Führung von Günther Rausch“ gestanden, „geb, 1909, […] 1930 NSDAP, 1931 SS, 1933 Hilfspolizei, Okt. 1933 Referent SD-OA Ost, 1934 Führerschule Tölz, […] 1939 Stubaf., […] Chef SK 7b bis Febr. 1942“. Ebd., S. 59. Entnahmen aus: Zeugenerklärung Josef Irkens v. 22.07.1969, BArch B 162/28356. Bei diesem Bestand handelt es sich um ein Ermittlungsverfahren zur Weitergabe des Kommissarbefehls beim AOK 2. Auch ein anderer Angehöriger der Ic-Abteilung, der dort von 1941 bis Januar 1943 seinen Dienst versah, „will bei seiner Einheit niemals SD-Angehörige gesehen oder mit ihnen zu tun gehabt haben“. Befragung Otto Friedrich Fürst zu YsenburgBüdingen v. 21.08.1972, BArch B 162/28357. Siehe zu einem Nachkriegsverfahren am Landgericht Darmstadt Hoffmann (2013), S. 215-250, ab S. 236 zu den Verbrechen des SK 4a. Entnahmen aus: Römer (2008), S. 330, zitiert hier BArch 20-6/494, Bl. 263f. Das Zitat der ‚Erwünschtheit‘ stammt aus einem Befehl des Ic der 6. Armee (was schon die Signatur 20-6 angibt). Keßelring (2017), S. 28, hielt fest, dass die Einordung dieser Ic-Stellungnahme noch weiterer, systematischer Forschungen zu den Ic-Abteilungen insgesamt bedarf, „sofern anhand der Quellen überhaupt möglich“.
6.4 Im Osten
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das ein Interesse daran gehabt haben könnte, dem SD auch die Zahlen noch zurückgebliebener Juden in den eingenommenen Städten mitzuteilen; Zahlen, die der VAA (der Abteilung Ic zugeteilt) notiert hatte und die so möglicherweise weitere Verbreitung fanden. Aber es geht in diesem Zusammenhang auch um konkrete Fälle: Am 19. August 1941 beispielsweise überstellte das AOK 2 einen gefangenen und zunächst ohne Rangabzeichen unerkannten Kommissar an das Sonderkommando 7b, das ihn daraufhin erschoss.437 Dem AOK 2 waren die SD-Kommandos dabei immer einige Tage voraus. Sie marschierten unmittelbar hinter den Fronttruppen in die eroberten Gebiete ein. Das AOK wurde meist erst einige Tage später weiter nach vorne verlegt. Das galt zwar theoretisch auch für Bossi als Angehörigen dieser Dienststelle, doch der war überwiegend ebenfalls mit oder kurz nach den kämpfenden Truppen vorgedrungen, um beispielsweise Akten sicherzustellen. Es ist anzunehmen, dass sich VAA und SD dabei mehrfach begegneten und dass sie von ihren jeweiligen Aufgaben wussten, schon allein deshalb, weil beide Akten sicherstellten. Die Berichte der Mordkommandos, sogenannte ‚Ereignismeldungen UdSSR‘, waren ursprünglich nur für eine „sehr begrenzte Anzahl von Dienststellen“438 gedacht. Doch der Verteilerkreis wurde zunehmend größer. Aus zehn Exemplaren zu Beginn des Ostfeldzugs waren Ende 1941 schon 50 geworden. Ab 1942 gehörte offenbar auch das Auswärtige Amt zu den Adressaten.439 Die organisatorische Unterstellung der SD-Einheiten unter die jeweiligen Ic-Abteilungen musste auch bedeuten, dass sich die Marschrouten mindestens annähernd glichen. Tatsächlich zeigt sich das auch hinsichtlich des AOK 2 und des SK 7b. Es gibt beinahe keinen vom AOK 2 bis Ende 1941 erreichten Ort, an den der SD nicht schon vorher gewesen war oder hinterher einkehrte, dort zahlreiche Menschen tötete und diese Zahlen auch nach Berlin durchgab. Ein detaillierterer Blick offenbart die enge Zusammenarbeit zwischen SD und AOK 2. Die Karte zeigt (in blauen Tropfen) die Standorte des AOK 2, (in grünen Tropfen) gemeinsame Standorte des AOK und der SD-Einheiten und (als Fahnen) die Orte, an denen der SD Menschen exekutierte. Als das AOK 2 ab dem 29. Juni von Warschau nach Brest-Litowsk vorverlegt wurde, war das SK 7b schon dort – und ermordete im Vorort Kotelna mithilfe des 437 438 439
Römer (2008), S. 432, unter Verweis auf BArch MFB 4/41528, S. 151. Siehe auch Keßelring (2017), S. 29. Mallmann u. a. (2014), S. 13. Die Autoren vermerken jedoch, dass es zum Verteiler der als ‚Geheime Reichssache‘ kategorisierten Ereignismeldungen für 1942/43 letzten Endes keine präzisen Informationen gebe. Ebd.
Abb. 15
Die Routen des AOK 2 und des SK 7b des SD glichen sich im Osten weitgehend. Blaue Tropfen zeigen Standorte des AOK, grüne hingegen gemeinsame Standorte, die Flaggen Orte, an denen das Sonderkommando Erschießungen durchführte. Quelle: Google Maps
404 6. Zweiter Weltkrieg
6.4 Im Osten
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Polizeibataillions 307 5.000 Juden.440 Den Weg des SK 7b von dort aus gen Osten, von Kobryn über Pruzana, Rozana, Slonim, Baranowicze und Stolpce bis zur Ankunft in Minsk am 4. Juli 1941, nahm (mit weniger Zwischenstationen) auch das AOK 2, das dort am 8. Juli eintraf.441 Das SK 7b meldete: Polizeiliche Arbeit: Auf Grund der vom RHSA gegebenen Weisungen wurden in allen genannten Städten Weißrußlands die Liquidierungen an Funktionären des Staats- und Parteiapparates vorgenommen. Betreff der Juden wurde im gleichen Sinne nach den Befehlen gehandelt.442
Baranowicze und Slonim wurden unmittelbar „sicherheitspolizeilich durchgearbeitet“443. In Minsk meldete sich der Führer des SD-Sonderkommandos, SS-Sturmbannführer Günther Rausch, am 10. Juli zur „Aussprache über künftige Zusammenarbeit“ beim Chef des Stabes und dem Ic.444 Der SD stand dem AOK „zur Verfügung“445. An den darauffolgenden drei Tagen fanden Exekutionen im Westen Minsks statt, unter anderem in einem Zivilgefangenenlager, in dem 1.050 Juden ermordet wurden.446 Noch am 28. Juli 1941 meldeten die Kommandos, in Minsk würden weiterhin täglich etwa 200 Menschen exekutiert. Am 17. Juli – der Tag, bis zu dem auch Bossi in der Stadt blieb – kehrte das EK 8 nochmals nach Slonim zurück und erschoss mit dem 440
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442 443 444 445 446
Mallmann u. a. (2011), S. 59: „1931 lebten in Brest-Litowsk 21440 Juden, 44% der Gesamtbevölkerung“. Gleichzeitig mit dem AOK 2 befand sich auch der Chef der Einsatzgruppe B, Arthur Nebe, Ende Juni in Warschau. Siehe Ereignismeldung UdSSR Nr. 8“ v. 30.06.1941. Mallmann u. a. (2011), S. 55 u. Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 29.06.1941, PA AA, R 60704. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 17“ v. 09.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 94, „Ereignismeldung UdSSR Nr. 10“ v. 02.07.1941, ebd., S. 65 u. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 11“ v. 03.07.1941, ebd., S. 70. Auf diese Meldung nimmt auch Krausnick (1998), S. 156, im Hinblick auf das SK 7b Bezug. Siehe außerdem Hartmann (2009), S. 653ff., der die Zusammenarbeit zwischen Wehrmacht und SS bei der Rolle im Holocaust genauer beleuchtet, außerdem BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 08.07.1941, PA AA, R 60704 u. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, ebd. Die Stationen des AOK 2 lauten im Detail: Brest-SlonimBaranowicze-Stolpce-Djsarschynsk-Minsk. Die Einsatzgruppe B, den Mordkommandos übergeordnet, traf am 05.07.1941 in Minsk ein. Siehe „Ereignismeldung UdSSR Nr. 14“ v. 06.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 87. Am 11.07.1941 tauschten die Einsatzgruppen B und C ihre Bezeichnung: Aus B wurde C, aus C wurde B. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 19“ v. 11.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 102. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 17“ v. 09.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 95. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 13“ v. 05.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 83 u. S. 84. Entnahmen aus: KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.07.1941, BArch RH 20-2/1775. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 17“ v. 09.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 95. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 20“ v. 12.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 108 u. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 21“ v. 13.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 113.
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6. Zweiter Weltkrieg
Polizeibataillon 316 1.159 „jüdische Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren“447; einen Tag später in Baranowicze nochmals 381. Dort habe man „besonders erfolgreich“448 mit der Wehrmacht zusammengearbeitet. Von den im engeren und weiteren Bereich der 2. Armee operierenden SD-Kommandos wurden bis Ende Juli 1941 „11084 Personen liquidiert“449, vier Wochen später schon 16.964.450 Dabei töteten die Einsatzgruppen nicht nur, sondern betrieben im Auftrag des RSHA auch Propaganda. Am 4. September 1941 forderte es alle vier Einsatzgruppen auf, „antibolschewistisches“ Material nach Berlin zu senden. Für propagandistische Zwecke ist es notwendig, beschleunigt einige blutbefleckte Kleider von Ermordeten mit einer kurzen Schilderung des Tatbestandes hierher zu senden. Falls nicht vorhanden, sind als Ersatz entsprechend beschädigte Kleidungsstücke Erschossener auszuwählen.451
Im August fanden die Mordaktionen gleichermaßen ihre Fortsetzung.452 Als sich die Aktivität von Partisanengruppen zu erhöhen schien, griff auch das SK 7b auf „Bitten des Abwehroffiziers“453, Major Irkens, in deren Bekämpfung ein. Das AOK 2 stellte hinterher fest, das SK 7b habe „‚fest zugegriffen‘, was ‚von der Truppe immer dankbar empfunden worden‘ sei“. Zugleich regte das AOK die Einrichtung von Konzentrationslagern für Bandenunterstützer an und
447
448
449 450 451 452 453
Hürter (2004), S. 556, zitiert hier Gerlach (1998), S. 548. Zu BFs Aufenthaltsdauer in Minsk siehe u. a. Krug v. Nidda, AA, an Unterstaatssekretär Luther, AA, v. 16.07.1941, PA AA, R 60704. Ab Minsk marschierten nur die SKs mit der Truppe weiter. Die EKs sollen erst später folgen. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 19“ v. 11.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 97. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 32“ v. 24.07.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 171. Siehe auch Anlage der Einsatzgruppe B zur „Ereignismeldung UdSSR Nr. 32“ v. 24.07.1941, „Die Judenfrage im weißruthenischen Siedlungsraum“, Mallmann u. a. (2011), S. 175-178, hier S. 177: „Den Sowjetjuden dagegen hatte ein Vierteljahrhundert jüdisch-bolschewistischer Herrschaft dermaßen in seinem Selbstbewußtsein gestärkt, dass er auch noch beim Einzug der deutschen Truppen vielfach nicht nur selbstbewußt, sondern arrogant auftrat. Die von der EGr. B vorgenommenen Judenliquidierungen haben hierin nach außen einen raschen Wandel herbeigeführt“. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 43“ v. 05.08.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 240. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 73“ v. 04.09.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 406. Entnahmen aus: RHSA, Abt. IV, an EG A, B, C, u. D v. 04.09.1941. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 500, Opis 25, Akte 1, Bl. 20. Im August 1941 setzte BF sich besonders intensiv mit den Problemen zwischen SD und VAA hinsichtlich der Beschlagnahme von Akten und Dokumenten auseinander. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.08.1941, PA AA, R 60704. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 67“ v. 29.08.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 375.
6.4 Im Osten
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forderte, ‚stärkere Einheiten des SD u. Kräfte des Höh. SS- u. Polizeiführers zur unmittelbaren Zusammenarbeit mit dem Armee-Oberkommando über die Grenze des rückwärtigen Heeresgebietes hinaus in den Armeebereich vorzuschieben.‘454
Armee-Oberbefehlshaber von Weichs habe „keinerlei Berührungsängste“455 mit den SD-Kommandos gehabt, offenbar ebenso wie Irkens. Hier kommt also das eine zum anderen: Der SD half der Ic-Abteilung des AOK 2; das wusste die Hilfe zu schätzen und band die Kommandos noch stärker ein. SS und Wehrmacht arbeiteten tatkräftig zusammen. Es ist kaum denkbar, dass die Ic-Offiziere, daunter auch Bossi, nicht über die Aufgaben der um sie herum wütenden Sonderkommandos informiert waren – besonders auch deshalb, weil sie das Kriegstagebuch mitschrieben und regelmäßig mit den Fronttruppen vorrückten. Hinzu kam, dass inzwischen wohl unzählige Zuschauer den Erschießungen beiwohnten. Viele Soldaten hatten die Morde unmittelbar beobachtet, wie eine im Moskauer Sonderarchiv erhaltene Bitte des RSHA an die Einsatzgruppen zeigt: Es sei „nach Möglichkeit bei Massen-Exekutionen das Ansammeln von Zuschauern, auch wenn es sich um Wehrmachtsoffiziere handelt, zu verhindern“456. Auch in den darauffolgenden Septemberwochen, in Tschernigow und Klinzy, dürften sich das SK 7b und das AOK 2 immer wieder begegnet sein.457 Von dort berichtete Bossi am 18. September 1941, Juden hätten ‚Verschwendung getrieben‘; sie seien die leitenden KPdSU-Parteimitglieder gewesen.458 Außerdem 454 455 456 457
458
Entnahmen aus: ebd., Mallmann u. a. (2011), S. 380, zitiert hier Schreiben AOK 2 Abt. Ic/ AO an HGr. Mitte v. 10.08.1941, BArch RH 20-2/1091. Ebd. Siehe auch Keßelring (2017), S. 33f. u. S. 37: Es könne als „gesichert gelten, dass in der Nachkriegszeit unter Ic-Offizieren bekannt war, wer sich im Ostkrieg wie verhalten und welche Spielräume es dabei gegeben hatte“. RSHA, Abt. IV, an EG A, B, C u. D v. 30.08.1941. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 500k, Opis 1, Akte 25, Bl. 424. BF erreichte spätestens am 02.09.1941 Tschernigow, am 15.09. Rogatschew, am 23.09. spätestens Gomel und Klinzy. Siehe dazu u. a. Bericht Nr. 13 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 02.09.1941, PA AA, R 60704, Bericht Nr. 17 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 10.09.1941, ebd., Bericht Nr. 18 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 15.09.1941, PA AA, R 60705, u. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 23.09.1941, ebd. Das SK 7b traf „zusammen mit den kämpfenden Truppen am 23.09. in Tschernigow ein und durchkämmte kurz davor und danach Rogatschew, Shlobin, Retschiza, Dobrush, Nowosybaw, Klinzy und Starodub. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 90“ v. 21.09.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 515. Bericht Nr. 19 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 18.09.1941, PA AA, R 60705. Das SK 7b ermordet kurz darauf, am 23.09.1941, in Rogatschew und südöstlich von Gomel Partisanen
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6. Zweiter Weltkrieg
erwähnte er hier die ‚besonderen Bewegungsbestimmungen‘, denen sie künftig unterworfen seien.459 Tatsächlich rückte das SK 7b spätestens am 7. Oktober nach Klinzy vor, „nunmehr auf dem rechten Flügel im Verbande des AOK 2“460. Zwei Tage später exekutierte es in Klinzy bereits 83 „jüdische Terroristen und 3 führende Parteifunktionäre“461, kurz darauf weitere 86 Menschen. Bossis Prophezeiung hatte sich insofern erfüllt. Die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht lief weiter „äusserst befriedigend und reibungslos“. Bei den Wehrmachtsstellen besteht ein allgemeiner Ruf nach der Sicherheitspolizei. Man bedient sich gern unserer Hilfe, unserer Erfahrungen und Anregungen. Bei einzelnen grösseren von uns durchgeführten Aktionen sind sogar ohne weiteres Truppeneinheiten unserer Führung unterstellt worden.
„Unsere Wünsche“, resümierten die Einsatzgruppen und -kommandos, „sind bisher jedesmal erfüllt worden“462. Kurz vor Brjansk verkürzte sich die Entfernung zwischen SD und AOK 2. Bossi meldete am 17. Oktober, die Stadt sei zu 30% von Juden bewohnt, die allerdings geflohen seien. Schon vier Tage später folgte das SK 7b.463 Kurz darauf war die Stadt bereits „SD-mäßig bearbeitet“464. Im November sendete die Ic-Abteilung des AOK 2 ein Fernschreiben an die Heeresgruppe Mitte: Das SK 7b habe bereits „zwecks Erfassung in den Dulags und Gefangenensammelstellen“ je zwei SD-Männer zur Verfügung gestellt.
459 460 461 462 463
464
und Kommunisten. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 92“ v. 23.09.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 542. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 23.09.1941, PA AA, R 60705. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 106“ v. 07.10.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 634. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 108“ v. 09.10.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 661. In Klinzy hielt sich noch im ab Mitte Februar 1942 das SK 7a für einige Wochen auf. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 172“ v. 23.02.1942, ebd., S. 174. Siehe auch EM Nr. 179 v. 11.03.1942, Ebd., S. 203. Entnahmen aus: „Ereignismeldung UdSSR Nr. 90“ v. 21.09.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 516. Bericht Nr. 27 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 17.10.1941, PA AA, R 60705 u. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 126“ v. 29.10.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 737. Vgl. auch Krausnick (1998), S. 161. Siehe auch „Ereignismeldung UdSSR Nr. 129“ v. 05.11.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 749, „Ereignismeldung UdSSR Nr. 135“ v. 19.11.1941, ebd., S. 769, u. „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 19.11.1941, PA AA, R 60712. In Orel verhielt es sich wenige Woche später ähnlich: BF meldete noch 350 Juden in der Stadt, etwa drei Woche später traf das Vorkommando des SK 7b dort ein. Siehe Stabsbefehl Nr. 301 des AOK 2 v. 18.11.1942, PA AA, R 60711, Bericht Nr. 30 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.11.1941, BArch RH 20-2/1124 u. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 146“ v. 15.12.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 878. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 133“ v. 14.11.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 779.
6.4 Im Osten
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A.O.K. ist der Ansicht, dass ein Kdo. in Stärke von 2 Mann nicht genügt, sondern infolge des hohen Anfalls von Zivilpersonen je Dulag und Gefangenensammelstelle ein Kommando 1/6 erforderlich ist und dass auch die grösseren Ortschaften im Armeebereich mit einem Sonderkommando ausgestattet werden müssen. Da der Führer des hiesigen Sonderkommandos erklärt, sowohl für die Verstärkung wie für die neuen Kommandos keine Leute zur Verfügung zu haben, wird gebeten, durch den Chef der Einsatz-Gruppen von E.K. 8 zusätzlich 50 Mann für diese Zwecke zu erbitten.465
Das AOK 2 unterstützte den SD nicht nur hinsichtlich Marsch und Verpflegung, sondern forderte, als das Morden bereits einige Monate in Gang gesetzt war, sogar Verstärkung an.466 Im September 1941 erschossen die Kommandos in einem Minsker Zivilgefangenenlager über 700 Menschen, laut SD „durchaus minderwertige Elemente mit vorwiegend asiatischem Einschlag“467. Auf solche Art schufen sich die Einheiten die Legitimierung für ihre Einsätze selbst. Bis Ende 1941 ermordete allein das SK 7b mindestens 1.822, die übergeordnete Einsatzgruppe 45.467 Menschen.468 Die im Winter 1941 erstarrte Front wirkte sich auch auf die Arbeit des SD aus. Erst im Sommer 1942 konnte der wieder mit den Truppen vorrücken. Mangels neu eroberter Städte befassten sich die Mordkommandos aber umso intensiver mit den rückwärtigen Armeegebieten – und der Bekämpfung von Partisanen. Unterstützung erhielt das AOK 2 seit Sommer 1942 auch vom SK 4a, unter anderem bei der „Erschiessung ehemaliger Kommunisten unter der ukrainischen Bevölkerung“469. Das SK 7b wurde später vor allem im Bereich um Kursk, Orel, Brjansk, Karatschew und Lokot eingesetzt, auch gemeinsam 465 466 467 468 469
Entnahmen aus: Fernschreiben AOK 2 Abt. Ic/AO an Heeresgruppe Mitte v. 11.11.1941, BArch RH 20-2/1121. Siehe auch Mallmann u. a. (2011), S. 893. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 73“ v. 04.09.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 406. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 108“ v. 09.10.1941, Mallmann u. a. (2011), S. 664, „Ereignismeldung UdSSR Nr. 125“ v. 26.10.1941, ebd., S. 733, u. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 133“ v. 14.11.1941, ebd., S. 789. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.03.1943, BArch RH 20-2/1275. Das Kriegstagebuch der IcAbteilung des AOK 2 hatte einige Monate zuvor festgehalten: „Es meldet sich der Führer des Sonderkommandos 4a der Sipo und des SD, SS-Obersturmbannführer Dr. Erwin Weinmann mit SS-Hauptsturmführer Waldemar von Radetzki. Vom Kdo. 4a wird eine Abteilung in Stärke von 35 Mann unter Führung von SS-Hauptsturmführer v. Radetzki dem A.O.K. 2 zugeteilt. Unterkunftsort: Kursk“. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 07.07.1942, BArch RH 20-2/1176. Auch zu Besprechungen über den SD-Einsatz im rückwärtigen Heeresgebiet kamen die SK-Führer einige Male mit dem Ic zusammen. Siehe KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. Mitte Juli 1942, ebd., u. „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 13“ v. 24.07.1942, Mallmann u. a. (2014), S. 393. Das SK 4a war unter anderem für den Mord an 33.771 Juden in Babyn Jar bei Kiew verantwortlich. Hoffmann (2013), S. 240ff. u. 246.
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6. Zweiter Weltkrieg
mit „Milizeinheiten“470 der sogenannten ‚Brigade Kaminski‘, die Bossi noch genauer kennenlernen sollte.471 Mit der ‚Meldung aus den besetzten Ostgebieten‘ (ab Mai 1942 Nachfolgedokument der ‚Ereignismeldungen‘) vom 21. Mai 1943 endeten die Berichte ans RSHA. 6.4.3 Winterkrieg und erneuter Vormarsch – Frühjahr bis Sommer 1942 Ende Januar 1942 war Bossi immer noch nicht wieder bei seiner Einheit eingetroffen, obwohl er dort bereits seit dem 15. Januar erwartet wurde. „Wegen [Schnee-] Verwehungen“472 gab es offenbar über Wochen kein Durchkommen. Bossi strandete nach einer zwölftägigen Odyssee zwischenzeitlich beim Panzer-AOK 2 in Orel.473 470 471
472
473
„Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 45“ v. 12.03.1943, Mallmann u. a. (2014), S. 714. Mallmann u. a. (2014), S. 9ff., 17 u. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 169“ v. 16.02.1942, ebd., S. 156ff. Zu den weiteren Einsätzen des SK 7b siehe „Ereignismeldung UdSSR Nr. 150“ v. 02.01.1942, ebd., S. 22, „Ereignismeldung UdSSR Nr. 152“ v. 07.01.1942, ebd., S. 44, „Ereignismeldung UdSSR Nr. 194“ v. 21.04.1942, ebd., S. 316, „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 3“ v. 15.05.1942, ebd., S. 341, „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 26“ v. 23.10.1942, ebd., S. 501, „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 31“ v. 27.11.1942, ebd., S. 553, Mitte Februar 1942 erhielt das SK einen neuen Führer: Adolf Ott (1904-1973) war ursprünglich Kaufmann, seit 1932 Mitglied der NSDAP und SS, trat 1934 dem SD bei, wurde 1938 SS-Sturmbannführer, 1941 SS-Obersturmbannführer und 1948 im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde 1951 in lebenslängliche Haft umgewandelt. 1958 entlassen, beging Ott 1973 Selbstmord. Mallmann u. a. (2014), S. 153. Auf ihn folgte Ende Juni 1942 Josef Auinger (1897-1961), ein promovierter Jurist, der nach Einsätzen im Ersten Weltkrieg und dem Dienst in der österreichischen Polizei 1933 der NSDAP und 1934 der SS beitrat. Ab 1938 leitete er die Stapo-Stelle Wien, wurde 1939 zum SS-Sturmbannführer befördert und leitete das SK 7b bis Dezember 1942. Von dort aus wechselte er nach Prag, wurde 1947 an die UdSSR ausgeliefert und kehrte 1956 nach Österreich zurück. Anlage zur den „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten Nr. 13“ v. 24.07.1942, ebd., S. 393f. Letzter Leiter des SK 7b war seit Januar 1943 Karl Rabe (19051989), der 1930 in die NSDAP und 1932 in die SS eintrat. 1941 wurde er Kommandeur der Reichsschule Sipo/SD Prag, im November 1944, nach den Einsätzen des SK 7b, zu einem Kommando z. b. V. versetzt. Ebd., S. 674. Fernschreiben BF an LR Hellenthal, VAA beim OKW/WPr., v. 31.01.1942, PA AA, R 60705. Noch Anfang April berichtete die EG B von spärlichen Meldungen der untergebenen Kommandos aufgrund von Schneeverwehungen. „Ereignismeldung UdSSR Nr. 188“ v. 01.04.1942, Mallmann u. a. (2014), S. 253. Siehe auch Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 03.03.1942, BArch RH 20-2/1152: „48 Stunden im Freien, vor allem in der Nacht während einer Kälte von über 35 Grad verbracht, sind dazu angetan, in jedem Beteiligten besondere Vorliebe für das Land unserer Zukunft zu erwecken“. Siehe dazu auch Hartmann (2009), S. 421, der diese Worte BFs zum Anlass nimmt, über den immer größer werdenden Gegensatz zwischen Propaganda und Kriegsrealität zu schreiben. Fernschreiben BF an VAA beim OKW/WPr., Legationsrat Hellenthal, v. 30.01.1942, PA AA, R 60897 u. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 02.02.1942, PA AA, R 60712.
6.4 Im Osten
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Die Zwischenzeit nutzte der VAA, um seinem Weggefährten Rudolf Rahn, der noch auf altem Posten in Frankreich arbeitete, einen Wandel in der deutschen Besatzungspolitik und Propaganda gegenüber den Russen vorzuschlagen. Deutsche Versprechungen wirkten bei der Bevölkerung nicht mehr, die der Sowjets dagegen schon. Die Überläuferzahlen seien extrem gesunken, die Anzahl der Partisanen gestiegen. Wieder schlug Bossi die „Formierung von Freiwilligenverbänden“ vor, wollte selbst mit Kosakenverbänden zusammenarbeiten: Ich mache mich erbötig als VAA zum bedeutendsten dieser Verbände zu treten und mit einem kleinen beweglichen Propagandastab (Dolmetscher) die (aussenpolitische) propagandistische Steuerung dieser Verbände hinsichtlich der Aktivpropaganda in den Feind zu übernehmen. […] Ich garantiere dem Herrn Reichsaussenminister für den Erfolg einer von uns gesteuerten russ. Freiwilligenaktion. […] Jeder Russe, der für uns antritt, spart deutsches Blut! Und das ist für die Niederkämpfung des bolschewistischen Untermenschentums unbedingt erforderlich, denn das deutsche Blut ist zu schade, um gegen dieses Untermenschentum zu sehr zu fliessen!474
Der deutsche Soldat sage offen, so Bossi: „‚Schafft große russische Verbände, setzt sie an und ihr werdet sehen, die dezimieren die Roten!‘“ Das russische Volk sei bereit, den Deutschen zu dienen. Richtig geführt und so behandelt, daß es im bescheidenen Rahmen seiner materiellen Ansprüche ein friedliches Auskommen findet, wird es dem deutschen Herrn von morgen ein zwar stets etwas träger, aber bedingungslos ergebener Untertan sein.475
Erst am 11. Februar erreichte Bossi schließlich sein AOK und hielt in den Folgetagen Vorträge zur außenpolitischen Lage beim Oberbefehlshaber, den Offizieren des Stabes und (während einer zehntägigen Reise Ende Februar bis Anfang März), begleitet von seinem Dolmetscher Kerstens und dem PKBildberichter Pincornelly, bei „der kämpfenden Truppe“476. Es sollten, so Bossi, auch „alle übrigens VAA’s vom Amt aus angewiesen werden, ein gleiches zu 474 475
476
Entnahmen aus: „Aufzeichnung für Geh. Rat Rahn“ v. 15.01.1942, PA AA, R 60708. Entnahmen aus: Bericht Nr. 31 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.12.1941, PA AA, R 60705. Auch andere VAAs, wie der beim AOK 17, Pfleiderer, schlugen den Einsatz Freiwilliger vor: „Auf wessen Seite sollten sich Engländer und Amerikaner stellen, wenn Russen gegen Russen kämpfen? Auf die Seite der Kommunisten und Bolschewisten oder auf die Seite derer, die sich für privates Eigentum, für religiöse Freiheit, für menschliche Würde und Gerechtigkeit einsetzen?“ Siehe „Russische Freiwilligenverbände“. Bericht des VAA beim AOK 17, Pfleiderer, v. 18.03.1942. PA AA, Paris 2402. „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 16.03.1942, PA AA, R 60712.
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6. Zweiter Weltkrieg
tun“477. Er habe dabei „Prop.-Vorschläge der Truppe“478 gesammelt und sich mit Entwürfen für eine Propagandazeitung befasst, woraus wenig später die Frontzeitungen Lach mit Rotarmist Nr. 3 und die Zeitung für den Rotarmisten Nr. 2 und 3 entstanden. Schon im August 1941 hatte Bossi festgestellt: „Keine russ. Feldzeitung. Kann man russ. Feldzeitung schaffen?“479 Lach mit Rotarmist war als humoristische Glossen-Propaganda gegen die Kommissare gedacht. „Bearbeitung und Zusammenstellung“ geschah „durch Ic/V.A.A.“480 In der Ausgabe vom Februar 1942, nur wenige Wochen nach Bossis Bericht über die verheerenden Zustände in den Kriegsgefangenenlagern, umschrieben die Texte das Sterben der Sowjetsoldaten in deutschen Lagern als „Molotows phantastische Märchen“. Alle Gefangenen seien „gesund, sie haben Beschäftigung und Brot. Ihr Leben ist nicht in Gefahr“481. Die Texte der Zeitung für den Rotarmisten (14-tägig, „Gazeta dlja Krasnoarmejzew“482), die ebenfalls unter Bossis Leitung stand, waren im März 1942 „sämtliche [sic!] vom V.A.A“483. Insgesamt war er an einer Vielzahl derartiger Publikationen beteiligt, fungierte als Schriftleiter und Redakteur.484 Alle im Bereich der 2. Armee erschienenen Propaganda-Frontzeitungen standen „unter tätigster Mitarbeit des VAA“485. Frontzeitungen gab es bereits während der Feldzüge gegen Napoleon und auch im Ersten Weltkrieg. Sie dienten auf eigener Seite zur Information, zur Propaganda und Stärkung der Kampfmoral, gegenüber dem Gegner als Text-Kampfmittel.486 Im Bereich der Heeresgruppe Mitte erschien 477 478 479 480 481 482 483 484 485 486
Bericht Nr. 1 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 03.03.1942, BArch RH 20-2/1152. „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 16.03.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch KTB AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 09.03.1942, BArch RH 20-2/1150. Lach mit, Rotarmist sollte eine „glossierende Gegenpropaganda“ beinhalten. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 14.02.1942, PA AA, R 60705. „VAA Polit. Ergebnis bei Gefangenenaussagen“ v. 13.08.1941, BArch RH 20-2/1106. Erlass über „Richtlinien für die Propaganda in die fdl. Truppe“ v. 10.02.1942, PA AA, R 60711. Entnahmen aus: „Lach mit uns Rotarmist“ Nr. 1 v. Februar 1942, PA AA, R 60711. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 09.04.1942, PA AA, R 60706. „Anlage I zum Schreiben vom 17.3.42 an OKW“, PA AA, R 60705. „Anlage zum Schreiben vom 18.5.42“, Übersicht über die Verbreitung von Propaganda v. 18.05.1942, PA AA, R 60712. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 09.04.1942, PA AA, R 60706. Derlatt, Daniel: „Frontzeitungen“. In: Damerau, Deutscher Soldatenkalender (1956), S. 146ff. In dem rechtsgesinnten Publikationsmedium schrieb Derlatt: „Der Soldat war der Zeitung, die an der Front entstand, innerlich stark verbunden. Der berichtende Journalist, der sich im ersten Weltkrieg noch als Zivilist (und sehr selten) durch die Schützengräben duckte“, sei im Zweiten Weltkrieg „beobachtender, schreibender und mitkämpfender Kamerad“ gewesen. Derlatt propagiert hier den Mythos des kämpfenden Barden, des kämpfenden Schreibers, so, wie es die NS-Schrifttumspropaganda bis 1945 unaufhörlich verbreitet hatte.
6.4 Im Osten
413
für die eigenen Truppen die Armee-Zeitung (PK 693), bei der 2. Armee Der Sieg (PK 698). Ende 1942 gelang es erstmals, alle Ost-Einheiten weitgehend mit Frontzeitungen zu versorgen, schließlich mit einer Auflage von zwei Millionen Stück täglich. „Unzulänglichkeiten wurden durch Kontrollfahrten der Offiziere der Abteilung Ic/AO abgestellt“487. Im Mai 1942 veranstaltete die 2. Armee intern ein Preisausschreiben für einen „lebendig und anschaulich“ geschilderten „Erlebnisbericht der Truppe“488 vom Ostfeldzug; Schriftsteller Bossi fungierte als einer von drei Preisrichtern. Auch insofern verknüpfte er mit seinem Wirken ‚Feder und Schwert‘. Seinem AA-Korrespondenzpartner Rantzau gegenüber betonte er, weiter vollen Einsatz für das AA zu leisten. Er sei inzwischen Ratgeber, Feind-, Flugblatt- und Aktivpropagandist, politisch-militärisch-künstlerischer Truppenbetreuer, verschiedentlich Sonderbeauftragter für den Oberbefehlshaber und den Chef des Stabes, Vernehmer, manchmal Ordonnanz- und Verbindungsoffizier, empfinde sich jedoch als einfacher Offizier „vom Dienst“. Er wollte sich dafür einsetzen, dass auch von anderen VAAs „ein gesteigerter Einsatz gefordert wird“489. Hier bestätigt sich, was sich schon zuvor mehrfach andeutete: Bossi strebte pflichtund diensteifrig über die Grenzen seiner Dienstanweisung weit hinaus, war stolz auf seine Aufgaben und den von ihm genutzten Handlungsspielraum. Er wollte sich beweisen und erhielt auf diesem Posten auch Gelegenheit dazu. Um diese Zeit erreichte ihn die Beförderung zum Rittmeister der Reserve.490 Als eine Art vielseitig einsetzbarer Truppenbetreuer betrachtete ihn offenbar auch der neue Ic der Armee, Major i. G. Baumann, der Irkens Ende Oktober 1941 abgelöst hatte. Seitdem hatte sich Bossi um die Einrichtung eines Fronttheaters in Brjansk gekümmert und neben einigen Besprechungen, Vernehmungen und Vorträgen beinahe die Hälfte des Novembers dessen Auf- und
487 488
489 490
Weigand (2010), S. 35, hält fest: „Propaganda und Meinungslenkung war das Ziel. […] Redaktion und Vertrieb lagen bei der Propaganda-Kompanie, die Herstellung erfolgte durch mobile Frontdruckereizüge“. Eckhardt (1975), S. 59ff. Die Armee-Zeitung der 2. Armee wurde von Februar 1942 bis September 1944 herausgegeben. Siehe S. 120 u. Bericht über die Propagandalage im Osten v. 27.09.1942, BArch R 55/21373. Entnahmen aus: „Preisausschreiben ‚Erlebnisbericht der Truppe‘“, Abt. Ic/AO des AOK 2 v. 29.03.1942, PA AA, R 60711. Am 15.05.1942 gab OB Weichs bekannt, dass es 120 Einsendungen gegeben habe. Frhr. v. Weichs, Oberbefehlshaber 2. Armee, an alle Stellen der 2. Armee v. 15.05.1942, PA AA, R 60711. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 04.03.1942, PA AA, R 60712. Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. In einigen Dokumenten ab April 1942 unterschrieb BF jedoch auch als Hauptmann (analog dem Kavalleriedienstgrad des Rittmeisters).
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6. Zweiter Weltkrieg
Umbau überwacht. Der Saal befand sich im ehemaligen Sowjetgebäude der Stadt und fasste schließlich 150 Personen. Aus dem Kriegsgefangenenlager Radiza wurden zwölf Schauspieler und Artisten rekrutiert und mit weiteren zu einer Theatergruppe zusammengestellt.491 Am 14. November sollte schon eröffnet werden; täglich gab es eine „Vorstellung mit Gesangsvorträgen und Tanzdarbietungen, anschließend daran eine Filmvorführung“492. Gelegentlich war auch die Zivilbevölkerung zu Vorstellungen eingeladen. An Rantzau gerichtet schrieb Bossi: Wenn Sie in den allernächsten Tagen das Radio einschalten, werden Sie eine Frontberichterstattung hören, wo die Eröffnung eines Truppentheaters wiedergegeben wird, das unter nicht geringen Schwierigkeiten vom VAA ins Leben gerufen wurde. Sie sehen also, wir sind vielseitig, weil der Osten uns seine eigenen Gesetze vorschreibt. Auch in der Wochenschau werden Sie das Auftreten russischer Darsteller mit Volkstum- und Brauchtumstänzen vor einem begeistertem [sic!] Soldatenpublikum feststellen. Auch das war unsere Arbeit.493
Zwei Tage später übergab Bossi das funktionsfähige Theater der Feldkommandantur Brjansk.494 Kurz darauf kam bereits ein weiteres in Orel dazu. Auch hier kümmerte er sich um die Instandsetzung, um Spielpläne, Rekrutierungen und weitere infrastrukturelle Details.495 Die Schauspieler wurden von der GFP mithilfe von Listen der Abteilung Ic kontrolliert: „Juden befinden sich unter den Überprüften keine“496. Mitte Dezember wurde das Theater eröffnet. Während sich 491
492 493 494 495
496
KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 01.11.1941, BArch RH 20-2/1775 u. (u. a.) KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 07.11.1941, ebd. Siehe auch BF an Feldkommandantur Brjansk, Abt. VII, v. 21.11.1941. Zu Major Baumann waren keine weiteren Daten zu ermitteln. Zu den Rekrutierungen siehe KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 04.11.1941, ebd. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 11.11.1941, BArch RH 20-2/1775. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.11.1941, PA AA, R 60705. „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 19.11.1941, PA AA, R 60712. Ähnliche Zerstreuungs- und Erholungsangebote gab es auch bei anderen Einheiten, darunter Soldatenkinos, VarietéVorstellungen oder Musik. Siehe Rass (2003), S. 314. „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 19.11.1941, PA AA, R 60712, „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 25.11.1941, ebd., u. „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 02.12.1941, ebd. Dabei kam es auch vor, dass sich AOK und PzAOK 2 miteinander vernetzten: „Besichtigung des Theaters zusammen mit A-O.-Offz. des Pz.A.O.K.2. Besprechung über die Instandsetzung des Theaters“. Siehe außerdem „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 04.12.1941, ebd., „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 07.12.1941, ebd. („Überwachung der Spielfolge im Theater in Orel“, 06.12.1941), „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 11.12.1941, ebd., „VAA Tätigkeitsbericht“ v. 14.12.1941, ebd., u. Bericht Nr. 20 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.11.1941, BArch RH 20-2/1124. Feldpolizeikommissar Hofmann, GFP Gruppe 612, an AOK 2 Abt. Ic/AO, v. 15.12.1941, PA AA, R 60712.
6.4 Im Osten
415
Bossi im Weihnachtsurlaub befand, übernahm Sonderführer Kerstens die Überwachung des Betriebs.497 Im März zur Armee zurückgekehrt, widmete sich der VAA erneut der Truppenbetreuung, inzwischen zum Aufbau eines Theaters namens ‚Der blaue Vogel‘, einer russischen Spielbühne in Lgow.498 Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts hat sich die Zusammenfassung des Theaterstücks „Partisane“ erhalten, unterschrieben von Bossi-Fedrigotti. Darin geht es um die Verurteilung der antideutschen Partisanenbewegung vor einem historischen Hintergrund. 1812 seien Partisanen erstmals als Gruppe gegen fremde Eroberer aufgetreten, die nächsten 1919. Allerdings brauche es für den Kampf gegen Besatzer ein legitimes Vaterland, für das zu kämpfen das Volk gewillt sein müsse. Da das Sowjetsystem allerdings von der Mehrheit des Volkes abgelehnt würde, sei der Kampf dafür ein Kampf gegen das Volk, den hier nur „a) Parteigänger der Kommunisten, b) Juden, c) Unlautere Elemente (Gesindel)“ führen, die nicht an der „Verteidigung der Güter der Volksgemeinschaft“499 interessiert seien. Solche Vorstellungen dienten gleichzeitig zur vermeintlich politisch-historischen Aufklärung (und Beschwichtigung) der Wehrmachtssoldaten, gleichzeitig aber auch zur ideologisch-propagandistischen Beeinflussung der Bevölkerung. Im Mai 1942, wenige Wochen nach der Eröffnung in Lgow, erschienen in der Zeitschrift Die Woche zwei Bildseiten zum Theater ‚Der blaue Vogel‘.500 Auf der ersten Seite ist eine Dreiergruppe junger Frauen in ukrainischen Trachten zu 497 498 499 500
„VAA Tätigkeitsbericht“ v. 14.12.1941, PA AA, R 60712 u. „VAA Tätigkeitsbericht“, in Vertretung durch Sonderführer Kerstens, v. 16.12.1941, ebd. „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 16.03.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch KTB AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 09.03.1942, BArch RH 20-2/1150. Entnahmen aus: Inhalt des Theaterstücks ‚Partisane‘, o. D., PA AA, R 60708. BF an Schriftleitung der Zeitschrift Die Woche, Verlag Scherl Berlin, v. 28.05.1942, PA AA, R 60712. Dass die Bühne den Namen „Blauer Vogel“ erhielt, dürfte kein Zufall sein: „In den Wochen vor Ostern war im Reiche Väterchen Zars Theaterspielen verboten. Die Schauspieler strömten dann in Moskau zusammen, und der Schauspieler Ballieff nützte dies, um das erste russische Cabaret zu gründen, die ‚Fledermaus‘, später die ‚Neun Musen‘. Dort tobten sich die Bühnenleute aus. […] Jascha Jushny wurde Ballieffs Nachfolger, mit dem ‚Blauen Vogel‘. Den ließ er 1921 nach Berlin-Kurfürstendamm flattern, und von diesem Nest aus ging es durch Europa und bis nach Afrika und Amerika. Der Blaue Vogel wurde weltbekannt […]“. DER SPIEGEL Nr. 32 v. 09.08.1947. Der Berliner Ableger des Kabaretts, der im Dezember 1921 eröffnet und im April 1923 geschlossen wurde, war eines der bedeutendsten russischen Theater der Stadt. „Ein Rausch von Farben, Musik und ein Reiz der fremden Sprache und ein Stück aus der Kunstseele eines fremden Volkes […]“ reizte die theaterinteressierte Öffentlichkeit. Die Vorlage für die Ausgestaltung der Bühne und des Programm des „Blauen Vogels“ in Lgow dürfte hier zu suchen sein. Hildenbrandt, Fred: „‚Der blaue Vogel‘. Das vierte Programm“. In: Berliner Tageblatt Nr. 97 v. 26.2.1924, S. 4. Denkbar wäre eine Verbindung von Jushnys „Blauem Vogel“ mit dem 1908 in Moskau uraufgeführten, populären Bühnenmärchen L’Oiseau Bleu
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6. Zweiter Weltkrieg
sehen, die „drei Eigenschaften ihres Volkes“ verkörpern sollen: „Arbeitsamkeit, Wehrhaftigkeit und Festesfreude“. So sollte das Theater die ukrainische Identität der Bevölkerung in Abgrenzung zur Sowjetunion fördern und gleichzeitig den Wehrmachtssoldaten die Eigenschaften der Ukrainer vor Augen führen. Doch nicht nur das: Bei Anblick der jungen Damen lache „des Soldaten Herz“, so der Bericht, frische junge Mädchen in der kleidsamen Tracht, die sie nun nach der Befreiung ihres Landes vom bolschewistischen Joch wieder zeigen dürfen. Wenn die alten Heimatlieder und Tänze erklingen, sind die Jahre der Unterdrückung und des Grauens vergessen.501
Die Aufführungen fanden schließlich vier Mal wöchentlich statt.502 Bossi sorgte außerdem dafür, dass das „Balalaika-Orchester“503 der Bühne im Offiziersheim des Stabes auftrat. Ende Mai 1942 wurde ihm „Dank der Erfolge“ des Theaters in Lgow die Leitung des Kursker Stadttheaters mit 130 Künstlern und Angestellten übertragen. Der Besuch tausender Wehrmachtssoldaten (in 14 Tagen ca. 15.000) mache zwar „ziemlich viel Arbeit“; es sei aber wichtig,
501 502
503
(Der blaue Vogel) des Literatur-Nobelpreisträgers von 1911, Maurice Maeterlinck, in dem es u. a. um die Kraft der Imagination geht. Entnahmen aus: Kurth (1942), S. 15. Siehe auch „Anlage zum Schreiben vom 5.5.42“, Übersicht über die Verbreitung von Propaganda v. 05.05.1942, PA AA, R 60712: Es ging um die „Hervorhebung alten ukrainischen Brauchtums“. BF an Ortskommandantur Ligow v. 02.04.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 17.04.1942, PA AA, R 60712, „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 25.04.1942, ebd. Die Spielfolge des Theaters hat sich erhalten: „Der Blaue Vogel“. Spielfolge, o. D., PA AA, R 60896. Nach Orchesterstimmen folgen verschiedene Auftritte und Tänze, unter anderem einer „Zigeunerfamilie“, einer Kaukasierin und einer Tartarin, außerdem Duette. Nach der ersten Pause mit zwei Orchesterstücken ist der zweite Teil von verschiedenen Chorgesängen, eingeläutet durch Kirchenglocken, geprägt. Im dritten Teil finden verschiedene Tänze und Gesänge vor der Kulisse eines Jahrmarkts Platz, außerdem die Annäherung von jungen Männern und Frauen. „Aushang-Offiziersheim“, unterzeichnet von BF, v. 28.04.1942, PA AA, R 60712. Doch sofern sich die Mitarbeiter des Theaters widersetzten, reagierte BF umgehend – und anders. Als Leiter erließ er aufgrund einer Auseinandersetzung einen Haftbefehl gegen den Kapellmeister des Theaters. Das Nichtbefolgen eines Befehls komme einer Sabotage gleich, so BF. Der Mann war „beurlaubter Kriegsgefangener“. Was weiterhin mit ihm geschah, war nicht festzustellen. Siehe Haftbefehl BFs gegen den Ljgower Theater-Kapellmeister Nikolei Sejin v. 01.05.1942, PA AA, R 60712. Siehe zu den Theatern weiterhin „Ic/VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 16.05.1942, PA AA, R 60712, „V.A.A. Beitrag zum K.T.B. für 17.5.-24.6.42“ v. 24.06.1942, ebd., KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.05.1942, BArch RH 20-2/11767 u. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 18.05.1942, PA AA, R 60705.
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„unseren Soldaten Entspannung und Freude zu bereiten“504. So sehr ihn die Arbeit an den Theatern offenbar reizte, wusste er diesen vollumfänglichen Einsatz allerdings auch als Arbeitsbeschaffung seines Ic zu deuten: Die Aufgaben ehrten ihn, dürften „aber nicht der Zweck sein, um dessentwillen“ er sowohl „als VAA, wie als Offizier ins Feld gegangen“505 sei. Am 19. Juni 1942 stand die Übergabe des inzwischen profitablen Theaters an die „Prop. Staffel Ukraine“ bevor. „Die wird den Ruhm für sich ernten, gemacht hat aber den Laden erstmals ein V.A.A.! Das freut dennoch!“506 6.4.4 Die Brigade Kaminski Während er überwiegend mit Aufbau und Betreuung der Theater befasst war und Zeitungen mitgestaltete, meldete Bossi dem AA erstmals, im März 1942 Kontakt mit zwei Personen aufgenommen zu haben, die „eine Art nationales sozialistisches russisches Parteiprogramm vorlegen“ könnten. Es handelte sich um den Lehrer Stephan Wasiljewitsch Mossin aus Lokot (südlich von Brjansk), der im Auftrag „eines gewissen Ing. Koskoboinik [Woskoboinik]“ arbeitete, der wiederum angab, mit Alfred Rosenberg bekannt zu sein. Die andere Person sei unter dem Namen Alexej Masenok, „Deckname Smollenskij“, bekannt gewesen. Mossin habe bereits begonnen, „einheimische Polizeitrupps“507 aufzustellen, die erfolgreich Partisanen bekämpften. Hier zeigte sich ein offenbar bereits erfolgreicher Einsatz freiwilliger, kollaborationsbereiter Russen gegen ihre Landsleute. Freischärler waren mit zunehmendem Kriegsverlauf ohnehin eine „ständige unsichtbare Bedrohung“508. Hitler stellte fest, deren Widerstand habe „‚auch wieder seinen Vorteil: er gibt uns die Möglichkeit auszurotten, was sich gegen uns stellt‘“509. Bossi meldete bereits im Herbst 1941 erste Berührungen mit Partisanen, woraufhin ein Kommando der GFP-Gruppe 612 in die Region befohlen wurde.510 Das war kein Einzelfall: Die Ic-Abteilungen waren zuständig 504
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508 509 510
Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 28.05.1942, PA AA, R 60712. Die Betreuung wurde „sowohl durch russische Künstler, als auch durch KDF-Spieltrupps durchgeführt“. BF an Heeresbaudienststelle 49 v. 25.06.1942, PA AA, R 60712. In diesem Schreiben betont BF die Bedeutung des Theaters, um dann Instandsetzungsarbeiten zu beantragen. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 11.06.1942, PA AA, R 60706. Entnahmen aus: BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.06.1942, PA AA, R 60706. Siehe auch BF an AOK 2, Abt. Ic, v. 28.06.1942, PA AA, R 60712. Entnahmen aus: Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 07.03.1942, PA AA, R 60705. BF war sich jedoch noch nicht sicher, ob es sich bei der Gruppierung nicht auch um „Sowjetagenten“ handeln könnte. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 09.03.1942, PA AA, R 60705. Rass (2003), S. 163. Entnahmen aus: Hillgruber (1972), S. 146, zitiert hier IMT, Bd. XXXVIII, Dok. L-221. KTB AOK 2 Abt. Ic/AO v. 25.09.1941, BArch RH 20-2/1775.
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für deren Bekämpfung; Ic-Offiziere übernahmen „nicht selten persönlich die taktische Leitung von Befriedungsaktionen und Partisanenunternehmen“511, verhängten mitunter auch die Todesstrafe. Bossis Generalstabschef Harteneck hatte bereits im November 1941 angewiesen, in dieser Angelegenheit eine äußerst harte Linie einzunehmen und Widerständler öffentlich zu erhängen.512 Bossi bat das AA um Benachrichtigung, wie mit der Gruppe MossinWoskoboinik-Masenok weiter umzugehen sei.513 Dabei hatte sein Dolmetscher Kerstens schon Ende Dezember 1941, kurz nach Urlaubsbeginn seines Vorgesetzten, von einem Treffen mit Mossin berichtet. Der sei Anfang November als Zivilist übergelaufen und habe versucht, eine deutsche Dienststelle zu finden, die die Etablierung einer nationalsozialistischen russischen Partei genehmigen könnte.514 Die Gründer hätten sich ursprünglich in sibirischen Straflagern zusammengefunden. Im Mai 1941 sei dann auf Initiative Masenoks „in den Räumen des literarischen Instituts von Moskau von einer Studentengruppe von 42 Mann die illegale Naz.-sozialistische russische Partei“515 ins Leben gerufen worden. Im Manifest vom 25. November 1941 nannte sich die geheime Partei in Anlehnung an Wikinger, auf denen das russische Reich des Altertums fuße, zunächst ‚Wiking‘ (Witjaty) und nutzte eine Flagge mit dem Georgskreuz. Ziel war den Krieg gegen Deutschland zu beenden, ein friedliches Russland zu errichten, die kommunistische Ordnung und Kolchose abzuschaffen und die „schonungslose Vernichtung der Juden, die als [sic!] Kommissare gewesen waren“516. 511 512 513
514 515
516
Römer (2008), S. 324f.: „Die Gefechtsstände der Kommandobehörden wurden somit zu zentralen Richtstätten des Vernichtungskrieges“. Hürter (2007), S. 430f. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 30.03.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 10.03.1942, PA AA, R 60705 u. Bericht Nr. 3 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 30.03.1942, ebd.: Manche von Partisanen verschleppte Ungarn seien in brutalster Weise verstümmelt worden: „In die Brust geschnittenes Kreuz, […] Kopfhaut abgezogen, Schädel eingeschlagen. Hodensack bei lebendigem Leibe abgeschnitten usw. usw.“ BF begleitete hier auch die Kriegsberichter der PK 698 über 200km mit Schlitten, die dabei 900 Meter Film für die Wochenschauen herstellte, außerdem 400 Bilder. Interner Vermerk Sonderführer Kerstens v. 22.12.1941, PA AA, R 60705. Alexej Masenok / Alexej Smolenskij: Parteiprogramm der illegalen „Naz.-sozialistisch russische Partei“ v. 02.01.1942, PA AA, R 60705. Der exakte Parteiname war schon im Parteiprogramm unklar: Nationalsozialistische russische Partei, Russische nationalsozialistische Partei, Nationalsozialistische Partei Rußlands oder Nationale soziale russische Partei. „Manifest der Nationalsozialistische Partei Rußlands“ v. 25.11.1941, PA AA, R 60705. Siehe auch „Befehl Nr. 1“ des Leiters der nationalsozialistischen Partei Ingenieur Semlja o. D., ebd. Siehe auch Preuß, Maximilian: „Kaminski und seine Brigade“ (1951). Entnommen aus einem Bestand Jürgen Thorwalds zur Wlassow-Armee im IfZ München, ZS-415-1, S. 2.
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Nach wenigen Tagen meldete sich Rantzau aus dem AA: Eine Stellungnahme zu den nationalsozialistisch-russischen Vorschlägen sei „erst moeglich, wenn ihre sorgfaeltigste Ueberpruefung […] [und] Bericht ueber ihre Organisation und ihr Vorgehen eingegangen ist“517. Mitte April holte Bossi diese Informationen selbst ein; er verbrachte knapp eine Woche „zur Beobachtung Kampfeinsatz Nat.Soz.Russ. Freiwilligen Miliz“ bei der „Gruppe Kaminski bezw. Mosin [sic!]“518. In seinem detaillierten Bericht beschreibt der VAA das weite Waldgebiet südlich von Brjansk, in dem sich versprengte Einheiten der Roten Armee, außerdem Kommunisten und Mitläufer der Sowjets zurückgezogen, als große Partisanengruppen organisiert und sich mit Beutewaffen der vorangegangenen Kämpfe ausgestattet hatten. Diese Gruppen, im Juni 1942 bis zu 7.000 Personen, die sich laufend aus der männlichen Dorfbevölkerung der Gegend speisten, stellten für das rückwärtige Heeresgebiet und die Bahnverbindungen eine akute Gefahr dar. Dennoch entschloss sich die 2. Armee, die Eisenbahnlinie von Brjansk nach Lgow und auch die zerstörten Brücken von den Partisanen zurückzuerobern und instand zu setzen. Die Besatzer dachten ebenfalls darüber nach, Regionalregierungen aus Einheimischen einzusetzen, die die Sicherung weiter Gebiete unter deutscher Überwachung übernehmen sollten. „This was also the case in the area controlled by Second Army and, more particularly, in the raion of Lokot“519. Eines Tages trafen die eingesetzten Eisenbahnbaupioniere „im dichtesten Waldgebiet“ auf „bewaffnete Russen, die mit weissen Armbinden und einem großen Georgskreuz“ ausgestattet waren. Die Milizen, insgesamt etwa 1.400 Männer, seien „erbitterte Feinde der Rotarmisten“ gewesen und hatten mit Beutewaffen „den wichtigsten Teil des Walgebietes unter Führung eines national russischen Führers bereits freigekämpft“. In dem bei Lokot gelegenen Hauptquartier der Gruppe fiel Bossi sogleich die „große Hackenkreuzfahne [sic!]“ auf, die in der Gösch das Georgskreuz führte und vor dem Stabsgebäude flatterte. Über dem Eingang hing eine Tafel mit der Inschrift: „Sitz der nationalsozialistischen-russischen Partei“. Das gut ausgestattete Feldlager machte offenbar einen geschäftigen und aufgeräumten Eindruck. Die Milizen fühlten sich nur einem Mann besonders verpflichtet: „Dieser Führer sei das Haupt der nationalsozialistischen russischen Partei, der 517 518 519
Fernschreiben Rantzau, Inf. Abt. AA, an BF v. 14.03.1942, PA AA, R 60897. Entnahmen aus: Fernschreiben BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 12.04.1942, PA AA, R 60706. Siehe auch „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 17.04.1942, PA AA, R 60712 u. „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 25.04.1942, ebd. Dallin (1973), S. 244f.
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Jngenieur [sic!] Bronislaw Kaminski“520. Bossi beschrieb den Mann detailliert. Der 41-Jährige stamme aus Witebsk, sein Vater sei Pole, seine Mutter Deutsche. Er habe in Leningrad studiert und sei Ingenieur der Farbenindustrie geworden.521 Er ist klein, sieht etwas kränklich aus, in seinen [sic!] Blick verrät er ebenso sehr ein offenes Wesen, wie man daraus schließen kann, dass er sehr hart und ausserordentlich energisch zu werden vermag. Er hat das unscheinbare Äussere vieler russischen [sic!] Persönlichkeiten von Format an sich. Kaminski versteht auch etwas Deutsch. […] In seiner Studienzeit verkehrte er vor allem in Kreis der Bucharin-Gruppe, die bekanntlich einen scharfen Kampf gegen die Einführung des Kolchossystems führte.
Kaminski soll ein machthungriger, abenteuerlustiger und egozentrischer Mann mit einem Drang zur überheblichen Selbstdarstellung gewesen sein.522 Aufgrund seiner Kontakte aus Studienzeiten sei er verhaftet, zunächst in ein Moskauer Gefängnis und später in ein Konzentrationslager im Ural gebracht worden. Dort habe er sich einer „nationalen und sozialen russischen Idee“ verschrieben. 1941 wurde er im Zuge einer Zwangsansiedlung nach Lokot überstellt und zum „Hauptingenieur der dortigen Spritfabrik [Schnapsbrennerei]“ ernannt. Kaminski berichtete Bossi auch über Iwan Konstantin Pawelitsch Woskoboinik. Der sei Direktor des Moskauer Eichamtes gewesen, habe sich am Widerstand gegen die Sowjets beteiligt und sei ebenfals nach einigen Jahren Zwangsarbeit nach Lokot gekommen. Woskoboinik sei eigentlicher „Gründer und erster Führer der russischen nationalsozialistischen Kampfgruppe“, Mossin lediglich Vertreter der beiden Milizenführer. Als die Rote Armee das Gebiet südlich Brjansk im Rahmen des Rückzugs verließ, hätten sich Woskoboinik und Kaminski entschlossen, zu handeln. Die Eckpunkte ihres Plans umfassten die „Vernichtung des Stalin- und Kolchossystems“, die Schaffung einer nationalsozialistisch-russischen Partei und eines „nationalen sozialen russischen Staates, der mit der Achse im engsten Kontakt
520 521
522
Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: Bericht Nr. 5 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 17.04.1942, PA AA, R 60896. Siehe Dallin (1973), S. 249 u. Seidler, Kollaboration (1999), S. 280. Laut Dallin handelte es sich bei der Behauptung Kaminskis, er habe eine deutsche Mutter gehabt, lediglich um eine nützliche Angabe, um sich den Deutschen leichter annähern zu können. Seidler übernahm diese Informationen ungeprüft. Ebd., Stopper (2012), S. 121, u. Seidler (1995), S. 280-284.
6.4 Im Osten
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verwachsen“523 sein sollte. Woskoboiniks Aufruf seien „sogleich an die 300 Männer“ gefolgt. Die Gruppe wollte über Mossin und Kaminski eine offizielle Anerkennung durch die deutschen Behörden erreichen. Erst nachdem die 2. Armee weitergezogen war, nahm sich die 2. Panzerarmee der Angelegenheit an. Woskoboinik wurde schließlich der erste Bürgermeister Lokots unter deutscher Besatzung. Über dessen Verhältnis zu den Deutschen „we have only the report of the German Foreign Office liasion officer, Anton Bossi-Fedrigotti“. Doch Woskoboinik sei Anfang Januar 1942 von Partisanen erschossen worden. Kaminski übernahm dessen Posten, schwor Rache, organisierte die Gruppe neu und trat den Partisanen offen entgegen. Gleichzeitig soll er versprochen haben, das Gebiet näher an die deutsche Militärverwaltung zu rücken und die Lebensmittelversorgung der deutschen Truppen zu verbessern. „Lokot was Kaminsky’s midget realm in which he ruled as a dictator“. Im Februar 1942 wurden seine Polizeitruppen in „Russkaja Osvoboditel’naia Narodnaia Armiia“524 (Nationale Russische Befreiuungsarmee, RONA) umbenannt. Aus 5.000 Mann im Juli 1942 waren bis Dezember bereits 8.000 und im Frühjahr 1943 10.000 geworden. „Jedes neue Mitglied musste das Manifest unterschreiben und seinen Treueeid auf Hitler und Kaminski schwören“525. 85% der Truppen stammten aus der Region um Lokot. Diese Gruppe „erfasste in der Form des Wehrbauerntums unterschiedslos“526 weite Teile der Bevölkerung. 523
524
525 526
Entnahmen aus: Bericht Nr. 5 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 17.04.1942, PA AA, R 60896. Hervorhebung im Original. „Symbol des neuen Russland ist das schwarze Georgskreuz im weissen Feld. Das Kreuz versinnbildlicht den Kreuzzug aller Gutgesinnten gegen den Bolschewismus. Das Wappen des russischen Vaterlandes von morgen solle der heilige Georg sein, denn er tötete den Drachen der Weltrevolution […]“. Entnahmen aus: Dallin (1973), S. 247-251. Diese Einheit ist, wie auch Dallin in einem Verweis festhält, nicht zu verwechseln mit der ROA, einer von dem Überläufer General Wlassow befehligten und unter deutschem Kommando stehenden Einheit russischer Soldaten. Vgl. S. 389. Kudryashov/Uhl (2014), S. 223. Preuß, Maximilian: „Kaminski und seine Brigade“ (1951). Entnommen aus einem Bestand Jürgen Thorwalds zur Wlassow-Armee im IfZ München, ZS-415-1, S. 2. Siehe auch S. 5: „Zur Taktik der ‚RONA‘ in der Partisanenbekaempfung gehoerte u. a. der Aufenthalt von Einzelkaempfern oder kleinen Gruppen mitten im partisanenbesetzten Wald. Diese Pseudo-Partisanen nahmen dann Verbindung mit Partisanengruppen auf, um Lager, Abwurforte, Vorhaben zu erkunden, oder machten zumindest Partisanenkuriere, -posten, -spaehtrupps zu Gefangenen“. Kaminskis Truppen erhielten 1942 Besuch von Helmut von Kügelgen, der als Kriegsberichterstatter für die Armee-Zeitung der 2. Armee schrieb. Er berichtete über den Selbstverwaltungsbezirk Lokot und Kaminski, den „König von L.“. „Da keine Namen genannt sein sollen“, taucht weder die Bezeichnung Lokot noch der Name Kaminski auf. Dessen Männer kämpften „für eine neue Ordnung, die sich an das siegende nationalsozialistische
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Kaminskis Männer traten immer wieder als brutale Mörder auf, zusammengehalten von dem diktatorischen Wesen ihres Führers, die vor allem Zivilisten erniedrigten, schlugen und erschossen, Frauen vergewaltigten und ganze Dörfer in Brand steckten.527 In etlichen Berichten und Teilen der Kriegstagebücher der 2. Armee (und auch der 2. Panzerarmee) werden Probleme zum Ausdruck gebracht: die Rohheit der Truppen, ihre Disziplinlosigkeit und Brutalität, sogar die Überheblichkeit den Deutschen gegenüber und vor allem ihre Unkontrollierbarkeit.528 Bossi erkannte in Kaminski, das zeigt sein Bericht, einen nützlichen Vasallen und Propagandisten für die Ziele des Ostfeldzuges und unterstrich den Einsatz von ‚landeseigenen Verbänden‘ gegen Partisanen. Dass das natürlich mit den politischen Absichten des Reiches nicht auf einen Nenner zu bringenist [sic!], ist klar. Man soll aber stets davon durchdrungen sein, dass der Soldat auf Grund seiner Opfer verlangt, dass man alle Kräfte mobilisiert, die den Gegner am Empfindlichsten treffen können. Und wenn Russen im Gefolge des deutschen Heeres die rote [sic!] Armee bekämpfen, so bedeutet dies für diese eine entscheidende Belastung ihrer inneren Struktur.529
Der VAA sendete Rantzau außerdem „Manifest, Parteiprogramm, Aufrufe, Flugblätter und Plakate in den Feind der nationalen-sozialen-russischen Partei Kaminskis“530. Kernpunkt des Parteiprogramms war der „Glaube an
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Deutschland anlehnen will“. In all diesen Menschen, so Kügelgen, lebe „ein wildes ungezügeltes Element, das uns immer geheimnisvoll anschauen wird, wie das undurchdringliche Gewucher des Urwaldes. […] Aber in einem Punkte werden wir mit ihnen stets einen guten Frieden finden: wenn sie ihrer reinsten Sehnsucht zugeführt werden, ihr geliebte Erde zu bebauen“. Siehe Kügelgen (1942), S. 3. Helmut von Kügelgen (19161998) war promovierter Journalist, der zu Kriegsbeginn 1939 als Kriegsberichterstatter eingezogen wurde und nach 1945 entscheidend zum Aufbau der Waldorfpädagogik in Deutschland beitrug. Einige Waldorfschulen tragen seinen Namen, so wie auch die Helmut-von-Kügelgen-Stiftung zur Förderung von Waldorf-Kindergärten. Vgl. http:// www.waldorfkindergarten.de/helmuth-von-kuegelgen-stiftung.html [Zugriff: 04.11.2015]. Dallin (1973), S. 265 u. Stopper (2012), S. 114-117. Siehe ebd., S. 242-248 u. Stopper (2012), S. 114-117 sowie S. 127. Siehe auch Kudryashov/ Uhl (2014), S. 22: „Verrohung – genau dies war ein wichtiger Teil des Zusammenspiels von Nationalsozialismus und Kollaboration“. Bericht Nr. 5 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 17.04.1942, PA AA, R 60896. Siehe auch Hoffmann (1995), S. 326f. (Aufstellung der Ostverbände aus sowjetischer Bevölkerung) u. Hartmann (2009), S. 395. Auch der VAA beim AOK 9, Werner Schütt, schrieb Ende 1942, dass der Kampf russischer Verbände gegen Partisanen eine wesentliche Lösung im Osten sein müsse. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 212, zitiert hier einem Bericht Schütts, VAA beim AOK 9, Abt. Ic., v. Ende 1942, PA AA, R 60765. Material der ‚nationalen-sozialen-russischen Partei Kaminskis‘, zusammengefasst von BF, o. D., PA AA, R 60896.
6.4 Im Osten
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die Auferstehung Russlands mit Hilfe des Führers Adolf Hitlers [sic!] und der befreundeten N.S.D.A.P.“531 Knapp drei Wochen später machte sich Heinrich Himmler auf den Weg zu einem Besuch bei der 2. Armee. Das KTB der Ic-Abteilung vermerkt für Bossi am 8. und 9. Mai: „Empfang und Begleitung des Reichsführers SS“532. Vom Flugplatz Kursk aus fuhr er mit seinem Stab, darunter auch SS-Obergruppenführer Wolff, weiter nach Lgow und dinierte mit dem Oberbefehlshaber der 2. Armee, Maximilian Freiherr von Weichs.533 Am nächsten Morgen kehrte der Tross bereits wieder nach Kursk zurück. In der Zwischenzeit musste Bossi als Ordonnanzoffizier Gelegenheit gehabt haben, mit Himmler über verschiedene Angelegenheiten zu sprechen, auch über Südtirol. Schon Ostern 1932 hatten sich beide im Braunen Haus in München kennengelernt und verständigt. Der SS-Chef habe 1932 betont, so Bossi in einem Aufsatz aus dem Jahr 1976, dass „die Südtiroler Frage eines Tages eine für die Volksgruppe erträgliche Lösung finden würde“. In diesem Beitrag berichtet er auch vom Einsatz als Himmlers Ordonanzoffizier 1942. Der habe ihm gegenüber geäußert: „‚Mir ist nichts so schwer gefallen wie der mir erteilte Auftrag, die Umsiedlung der Südtiroler in die Wege zu leiten!‘“534 Inzwischen sinnierte Bossi zwar bereits darüber, dass die Deutschen im Osten vielleicht „alle doch mehr und mehr Russlandmüde geworden“535 seien. Doch gleichzeitig beriet er sich mit dem SS-Führer pflichtbewusst über den Einsatz der Kampfgruppe (später auch: Brigade) Kaminski auf deutscher Seite. Bossi teilte dem AA mit, daß über den Werdegang, die Organisation und den Kampfeinsatz der Gruppe Kaminski dem Reichsführer-SS von mir Vortrag gehalten wurde. Der Reichsführer SS hat daraufhin über die künftige Verwendung der Gruppe Kaminski
531 532 533
534 535
Ebd. Außerdem habe BF Rantzau noch eine Bildserie über die Kampfgruppe Kaminski gesendet. Die Bilder sind in den Akten nicht erhalten. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 23.04.1942, PA AA, R 60712. „Ic/VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 16.05.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch KTB AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 08.05.1942, BArch RH 20-2/1176. Der Dienstkalender belegt: Himmler begleiteten Kurt Knoblauch (SS-Obergruppenführer), Werner Grothmann (SS-Obersturmbannführer, Himmlers Adjutant u. Dienstplaner), Josef Kiermaier (SS-Sturmbannführer, Himmlers persönlicher Sekretär), Dr. med. Otto Lütchens (SS-Hauptsturmführer) und Gerhard Koch (SS-Scharführer, Himmlers Ordonnanz). Siehe Witte u. a. (1999), S. 421f. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti (1976), S. 1888. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 22.05.1942, PA AA, R 60706.
424
6. Zweiter Weltkrieg und ihre Eingliederung in den Rahmen der zur Bekämpfung von Partisanen erforderlichen Polizeistreitkräfte entschieden.536
Wenige Tage nach seinem Besuch bei der 2. Armee wurde Bossis Bericht bereits Himmler vorgelegt. Handschriftlich notierte der SS-Chef auf dem Vorsatzblatt: „1. gel. [gelesen] 2. Photokopie für Chef. S., Prützmann 3. Heydrich später zur R.[Rücksprache]“537. Dass sich der Bericht nicht nur in den Akten des AA findet, sondern auch in denen des Persönlichen Stabes Reichsführer-SS, zeigt, dass die VAA-Berichte durchaus weite Wege durch die NS-Ämter und –Stellen nehmen konnten.538 536
537
538
BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 09.05.1942, PA AA, R 60706 u. 60712. Siehe auch Rantzau, Inf. Abt. AA, an Unterstaatssekretär Luther v. 21.05.1942, PA AA, R 60706. Wahrscheinlich von Frühjahr 1942 datiert ein Brief Kaminskis an Hitler persönlich, von dem sich ein Exemplar in den Akten des PzAOK 2 in Freiburg erhalten hat. Darin macht er konkrete Vorschläge zur Gestaltung eines neuen russischen Staates in deutscher Obhut. Ob der Brief tatsächlich abgeschickt wurde und es ein Antwortschreiben gibt, ist nicht weiter bekannt. Siehe Brief Kaminskis „An den Führer des Deutschen Reiches Adolf Hitler“ v. Frühjahr 1942, BArch RH 21-2/638. Der Brief war offenbar auch im RMVP gelandet. Das Büro des Goebbels-Vertrauten Schwarz van Berk, das der Abteilung Auslandspresse im RMVP untergeordnet war, sandte Goebbels eine Zusammenfassung des Schreibens. Das Dokument, das kein Datum trägt, ist als „Geheim“ gestempelt, außerdem mit Vermerk, der „Minister hat Kenntnis genommen“. Goebbels hatte also spätestens seit diesem Schreiben Kenntnis von Kaminski und seiner politischen Idee. „Auszug aus dem Schreiben des Oberbürgermeisters des Selbstverwaltungsbezirkes Lokot, Brigadekommandeur B. Kaminski an den Führer“ (o. Datum), RMVP, Büro Schwarz van Berk. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1363, Opis 5, Akte 7, Bl. 118-120. Vorsatzblatt zu BFs Bericht Nr. 5. BArch NS 19/1627, Bl. 12. Die Auswertung und Deutung der Handschrift Himmlers geschah mit Hilfe Torsten Zarwels bei einem Besuch im Bundesarchiv Berlin. Siehe auch E-Mail Torsten Zarwel, Bundesarchiv Berlin, an CP v. 05.10.2015. Die beiden anliegenden Dokumente vom 10. und 13.06. belegen die Weiterleitung: Persönlicher Stab Reichsführer-SS an Chef Sicherheitspolizei u. SD v. 10.05.1942, BArch NS19/1627. Allerdings war nicht zweifelsfrei feststellbar, auf welchem Wege BFs Bericht den Weg zur SS fand. Torsten Zarwel vom Bundesarchiv Berlin schrieb, „eine intensive Aktenrecherche erbrachte bedauerlicherweise keine erhellenden Informationen zu den Umständen, wie letztendlich der Bericht Bossis in die Registratur des Persönlichen Stabs“ gelangt ist. Demnach lässt sich der „tatsächliche Registraturzusammenhang nicht rekonstruieren“. E-Mail Torsten Zarwel, Bundesarchiv Berlin, an CP v. 05.07.2016. Dr. Martin Kroeger, Leiter des PA AA, schrieb zu diesem Fall, dass „jede nicht auf einem konkreten Aktenbefund zum Geschäftsgang beruhende Äußerung […] Spekulation“ wäre. E-Mail Dr. Martin Kroeger, PA AA, an CP v. 22.06.2016. Folgender Weg scheint aber wahrscheinlich: BF schickte sowohl dem AA als auch dem AOK seinen Bericht. Vom AOK ging er, bevor er bei der Heeresgruppe landete, zunächst zum Armeekorps. Das leitete den Bericht möglicherweise ohne Kenntnis BFs oder Rantzaus an die SS weiter. Ein Dokument in den Beständen des Persönlichen Stabes Himmlers könnte diese Erklärung stützen: Im
6.4 Im Osten
Abb. 16
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Himmler zeichnete Bossis Bericht über die Gruppe Kaminski persönlich ab.
Neben Himmler sollten den Bericht noch der Höhere SS- und Polizeiführer Russland-Süd, SS-Obergruppenführer Prützmann, und Reinhard Heydrich als Chef Sipo/SD erhalten.539 Doch nur zwei Tage nach Himmlers Notiz vom
539
September 1942 leitete die Abteilung Ic des Generalkommandos II. Armeekorps einen Vernehmungsbericht an die SS weiter. Das Schreiben sei „nach Kenntnisnahme zu vernichten“. Siehe Generalkommando II. AK, Abt. Ic, an Persönlicher Stabs Reichsführer-SS v. 20.09.1942. BArch NS 19/1627. Im Grunde hatte Rantzau jedoch schon im August 1941 eine Weisung an alle VAAs herausgegeben, die Dokumente vertraulich zu behandeln, nur der Informationsabteilung zu senden und „nicht anderen Ministerien oder Dienststellen zugänglich“ zu machen. Rantzau, Inf. Abt. AA, an Richter, VAA beim AOK 7, v. 14.08.1941, PA AA, Paris 2402. Persönlicher Stab Reichsführer-SS an den Höheren SS- und Polizeiführer Russland Süd, SS-Obergruppenführer Prützmann und den SS-Oberabschnitt Nordost v. 13.06.1942, BArch NS 19/1627. Hans-Adolf Prützmann (1901-1945), SS-Obergruppenführer und General der Polizei, war Höherer SS- und Polizeiführer in verschiedenen Dienstorten und zuletzt Himmlers Beauftragter für den ‚Werwolf‘. Klee (2015), S. 473 u. Benz/Graml/Weiß (2007), S. 873ff.
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6. Zweiter Weltkrieg
2. Juni starb der an den Folgen eines Attentats. Gleichwohl vermerkte das RSHA, dass Heydrich die Kopie noch bekommen hatte.540 Als die mittlere Ostfront Ende August 1943 zurückgenommen wurde, löste sich die Brigade Kaminski aus ihrem Bezirk und schloss sich den zurückziehenden Wehrmachtstruppen mit Kindern, Tieren und sämtlichem Hab und Gut an. Kurz darauf wurde sie als Sturmbrigade der SS angegliedert. Die Selbstverwaltung, die Kaminski in Lokot lange erfolgreich betrieben hatte, verlor so ihre Grundlage und die Armee- sowie Polizeitruppen mit ihrer Heimat den vornehmlichen Grund zur Verteidigung und zum Kämpfen.541 Die demoralisierte Truppe sollte zunächst in Smolensk eingesetzt und dann im Sommer 1944 neu aufgestellt werden, als im Warschauer Ghetto am 1. August der Aufstand ausbrach (indem die 40.000 Mann starke polnische Untergrund-‚Heimatarmee‘ weite Teile Warschaus besetzte) und die Brigade Kaminski zu Hilfe gerufen wurde, um den Aufstand niederzuschlagen.542 Von Anfang an war die NS-Führung entschlossen, dem Aufstand mit brutalsten Mitteln zu begegnen. Für diese Aufgabe wurde SSObergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski heranbeordert (unterstützt durch SS-Obergruppenführer Heinz Reinefahrt).543 Schon in ersten Augusttagen ermordeten die deutschen Einheiten 30.000 bis 40.000 Zivilisten. Geiselnahmen, Massenerschießungen, Vergewaltigungen und Folter waren an der Tagesordnung, während Kaminski sich mit jungen Frauen und Champagner 540
541 542
543
Am 27.05.1942 war Heydrich in Prag Ziel eines Attentats geworden. Er starb am 04.06.1942. Himmlers Notiz ‚Später‘ scheint sich hier auf den Zeitpunkt zu beziehen, an dem Heydrich wieder zur Bearbeitung aktueller Themen in der Lage gewesen wäre. Siehe Klee (2015), S. 253. Siehe auch Aktenvermerk in NS 19/1627, Bl. 11. Himmler übernahm die Amtsgeschäfte Heydrichs, bis ihm Ernst Kaltenbrunner Anfang 1943 folgte. Klee (2015), S. 297. Preuß, Maximilian: „Kaminski und seine Brigade“ (1951). Entnommen aus einem Bestand Jürgen Thorwalds zur Wlassow-Armee im IfZ München, ZS-415-1, S. 3. Dallin (1973), S. 266f. Siehe auch Bömelburg/Król (2011), S. 12 u. Mazur (2011), S. 32f. Nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 forderte Himmler einen noch stärkeren Einsatz ‚landeseigener Verbände‘ auf deutscher Seite. Himmler an Kaltenbrunner v. 21.07.1944. BArch NS 19/1627, Bl. 79. Erich von dem Bach-Zelewski (1899-1978) war bereits im Ersten Weltkrieg Soldat, beendete ihn als Leutnant und diente daraufhin in der Reichswehr. 1930 trat er der NSDAP, 1931 der SS bei. Im Dezember 1933 war er bereits SS-Brigadeführer. Als HSSPF Südost war er einer der Mitverantwortlichen für die Aufstellung der Konzentrationslagers Auschwitz. Später wurde er als HSSPF Russland-Mitte Chef der Bandenkampfverbände, berief in dieser Funktion auch die Brigade Kaminski heran und war so im höchsten Maße verantwortlich für die brutale Niederschlagung des Warschauer Aufstands. Im Januar 1945 wurde er noch zum General der Waffen-SS befördert. Nach 1945 diente er als Zeuge während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Barelkowski (2011), S. 129-170.
6.4 Im Osten
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vergnügte.544 In diesem Untergangsszenario zeigte sich das verhängnisvolle Wechselspiel ungezügelter, instinktgeleiteter Kriegssozialisation und massiver Demoralisierung: „Kaminskijs Männer zeichneten sich durch besonders intensive Umsetzung des Plünderungsbefehls und Brutalität aus“545. Die Führung des Aufstands kapitulierte am 2. Oktober 1944. Insgesamt starben zwischen 150.000 und 200.000 Menschen.546 Kaminski wurde aufgrund der massiven Ausschreitungen schon Ende August 1944 von Bach-Zelewski „vor ein Standgericht gestellt und umgehend erschossen“547. Aus den Resten der SS-Sturmbrigade Kaminski wurde die 29. Waffen-Grenadier-Division der SS ‚RONA‘ (russische Nr. 1) und zum Kriegsende ein Teil der 600. InfanterieDivision des auf deutscher Seite kämpfenden, ehemals sowjetischen Generals Wlassow gebildet.548 Sie gehörten zu den insgesamt bis zu 1,2 Millionen Soldaten in den ‚landeseigenen Osteinheiten‘.549
544 545 546 547
548
549
Marszalec (2011), S. 126f. u. Dallin (1973), S. 267. Stopper (2012), S. 116. Marszalec (2011), S. 92ff. u. 128 u. Bömelburg/Król (2011), S. 13ff. Stopper (2012), S. 116f. Dallin (1973) beschreibt auf S. 267 Episoden der sich in Warschau abspielenden Szenen. Siehe auch Preuß, Maximilian: „Kaminski und seine Brigade“ (1951). Entnommen aus einem Bestand Jürgen Thorwalds zur Wlassow-Armee im IfZ München, ZS-415-1, S. 6 u. Guderian (1951), S. 322f. Bei seiner Vernehmung im Rahmen der Aufarbeitung von NS-Kriegsverbrechen sagte Bach-Zelewski aus, Himmler habe Kaminski nach Warschau befohlen und ihm Plünderungsfreiheit gegeben. „Die Brigade KAMINSKY, soweit sie in Warschau eingesetzt war, war, das muss klar ausgesprochen werden, eine richtige Räuberbande“. „Vernehmung des Erich v. d. Bach-Zelewski, SSObergruppenführer und General der Polizei, am 3. September 1947“, Zusammenfassung der Aussagen v. d. Bach-Zelewskis, BArch B 162/3324. Bach-Zelewski nutzte jede Gelegenheit, sich als verkannten Oppositionellen darzustellen. In diesem Zusammenhang muss auch diese Vernehmung und Befragung betrachtet werden. Siehe dazu Barelkowski (2011), S. 159ff. Schröder (2003), S. 207. Siehe auch Preuß, Maximilian: „Kaminski und seine Brigade“ (1951). Entnommen aus einem Bestand Jürgen Thorwalds zur Wlassow-Armee im IfZ München, ZS-415-1, S. 6. Andrej Andrejewitsch Wlassow (1900-1946) geriet am 12.07.1942 bei Volchow in deutsche Gefangenschaft. Er hatte „sich unverzüglich bereit erklärt, aus kriegsgefangenen Sowjetsoldaten eine Armee aufzustellen, die auf deutscher Seite in den Kampf gegen Stalin ziehen würde“. Wlassow vertrat den Standpunkt, dass der Ostfeldzug zum Scheitern verurteilt sei, solange es die Deutschen nicht verstanden, die sowjetischen Bevölkerungsgruppen in einen politischen Kampf gegen die Bolschewisten einzubeziehen und sie damit aus der Schublade der ‚Untermenschen‘ herauszuholen. Schröder (2003), S. 9f., 115, 151, 196 u. 207. Siehe zu Wlassow auch Buchbender (1978), S. 220ff. u. Hillgruber (1987), S. 5. Schröder (2003), S. 150. Siehe auch Übersetzung eines Briefes des russischen Oberstleutnants Schwedoff an den KGF-Lager-Kommandanten Oberstleutnant Schmidt v. 16.09.1941, PA AA, R 60705.
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6. Zweiter Weltkrieg
Sein Eifer, auf jedem Wege ‚deutsches Blut sparen‘ zu wollen und den Einsatz von Freiwilligen vorzuschlagen, hatte Bossi schließlich bis zu einem persönlichen Gespräch mit Himmler gebracht. Unmittelbar darauf erfolgte die Eingliederung in deutsche Reihen. Daran hatte Bossi offenbar einen wichtigen Anteil; und damit in gewisser Weise auch an den weitreichenden Folgeerscheinungen. „It has been a short road from the populist hopes of late 1941 to the savagery or Warsaw three years later“550. 6.4.5 Von Brjansk über Woronesh nach Tunis – Sommer 1942 bis März 1943 Die Fronterfahrung, auch Gespräche und Pläne über eine Zukunft bei der Wehrmacht oder im Auswärtigen Amt, führten dazu, dass Bossi sich seit Sommer 1942 zunehmend von seinen zuvor mühsam errungenen Posten und seinem Förderer in Innsbruck abwendete. Dorthin, „in die Residenz eines engstirnigen Gauunternehmens“, wollte er „begreiflicherweise nach dem Horizont des Kriegserlebens nicht mehr zurück“. Er bat Rantzau, im Amt eine mögliche Übernahme aus Hofers Diensten zu prüfen. „Vor allem Rahn“ könne sich für ihn einbringen und Druck ausüben; der wolle ihn „für Paris“551. Mit der schnell auf Woronesh vorrückenden Armee (zwischenzeitlich Armeegruppe von Weichs) erreichte Bossi im Juli 1942 Stary Oskol.552 Die Heimat hört wohl die Sondermeldung, weiss sie aber auch, welche Leistung der Führung und welche Tapferkeit der Soldaten hinter dem kleinen Satz ‚Woronesh genommen!‘ steht?553
Nach der Einnahme der Stadt zeigte die Rote Armee schnell starke Gegenwehr, errang jedoch in vier Abwehrschlachten nur geringe Gebietsgewinne und erlitt sehr hohe Verluste. Die deutsche Front hatte sich derweil erneut enorm ausgedehnt, möglicherweise überdehnt; sie erstarrte zunächst.554 So blieb für Bossi wieder Gelegenheit, sich intensiver mit der „Propaganda in den Feind“555 zu befassen. Ende August 1942 bat er um Urlaub für einen „Vortrag beim
550 551 552 553 554
555
Dallin (1973), S. 280. Entnahmen aus: BF (handschriftlich) an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.06.1942, PA AA, R 60706. „Abt. Ic/VAA Beiträge zum K.T.B.“ v. 21.08.1942, PA AA, R 60712. Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.07.1942, PA AA, R 60706. „Die Schlachten der 2. Armee 1942-1944“. Schlachtenbeschreibungen eines unbekannten Verfassers. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1275, Opis 2, Akte 329 („Geheimakten Ia“), Bl. 6-14. 1. Abwehrschlacht: 10.07.-15.07.1942, 2. Abwehrschlacht: 21.-26.07.1942, 3. Abwehrschlacht: 11.-17.08.1942, 4. Abwehrschlacht: 15.09.-04.10.1942. Siehe auch BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.07.1942, PA AA, R 60706. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 27.07.1942, PA AA, R 60712.
6.4 Im Osten
429
Auswärtigen Amt“556. Es sollte zunächst nach Berlin und anschließend nach Innsbruck gehen. In der Zwischenzeit vertrat ihn wiederum sein Dolmetscher, Sonderführer Kerstens.557 Mitte September meldete Bossi, dass ihm der Führer auf Vorschlag des Präsidenten des Reichsschrifttumskammer am 1. September d. J. in meiner Eigenschaft als Schriftsteller das Kriegsverdienstkreuz II. Kl. ohne Schwerter [KVK] verliehen hat. Die Verleihungsurkunde trägt die persönliche Unterschrift des Führers.558
Aus dem geplanten Urlaub war allerdings anscheinend ein Genesungsaufenthalt geworden. Kerstens wünschte seinem Vorgesetzten Mitte September eine erfolgreiche Ischias-„Kur in Gastein“559. Anfang Oktober schließlich stellte eine militärärztliche Untersuchung fest, der VAA müsse „zur stationären Rheumabehandlung“560 einen längeren Lazarettaufenthalt auf sich nehmen. Der Truppenarzt meldete: „Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti ist wegen Gelenkrheuma dienstunfähig“561. Anschließend sei noch eine Kurbehandlung in Baden bei Wien abzuleisten. Die Rekonvaleszenz sollte schließlich bis Februar 1943 dauern.562 Die Rheuma-Therapie führte auch dazu, dass Bossis Versetzung zum AA zunächst nicht weiter betrieben wurde. Er war dienstunfähig, der Arzt verordnete Bettruhe.563 Noch unmittelbar vor dem Beginn der Kurmaßnahmen allerdings fuhr er offenbar vom 7. bis 11. Oktober 1942 auf Einladung des RMVPMinisterialdirigenten Wilhelm Haegert und auf Antrag des RSK-Präsidenten zur „Dichtertagung nach Weimar“564, die unter dem Motto „Dichter und 556 557 558 559 560 561 562
563 564
BF an AOK 2 Abt. IIa v. 24.08.1942, PA AA, R 60712. Sonderführer Kerstens, Abt. Ic/VAA, an BF v. 08.09.1942, PA AA, R 60712. BF an AA, Inf. Abt., v. 13.09.1942, PA AA, R 60706. Sonderführer Kerstens, Abt. Ic/VAA, an BF (Berlin) v. 14.09.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch „Abt. Ic/VAA Beitrag zum K.T.B. für die Zeot [sic!] vom 11.-25.9.42“ v. 26.09.1942, ebd. BF an AA, Inf. Abt. v. 03.10.1942, PA AA, R 60706. Siehe auch Sonderführer Kerstens an BF v. 29.09.1942, PA AA, R 60712. Mitteilung des Truppenarztes der Wehrmachtkommandantur Berlin v. 21.10.1942, PA AA, R 60706. „Esercito Italiano, Specchio II“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“ (Reserveoffiziere. Personalakte des Offiziers Bossi Fedrigotti, Anton). Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901, Militärpersonalakte Bossi Fedrigotti, Antonio. Notiz BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 23.11.1942, PA AA, R 60706. Siehe auch Aufzeichnung des Sonderreferats Gesandter Krümmer v. 12.11.1942, ebd. Möglicherweise müsse erst „seine Uk-Stellung betrieben werden“. BF an AA, Inf. Abt., v. 19.09.1942, PA AA, R 60706. Siehe Schnellbrief RMVP an AA, Inf. Abt., v. 23.09.1942, ebd., Fernschreiben AOK 2 an AA, Inf. Abt., v. 25.09.1942, ebd., u. Strothmann (1960), S. 100.
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6. Zweiter Weltkrieg
Krieger“565 stand. Es sei der besondere Wunsch Johsts gewesen, dass die von Hitler mit dem KVK ausgezeichneten Schriftsteller hier teilnehmen sollten. Das Weimarer Dichtertreffen, zunächst parallel zur ‚Woche des deutschen Buches‘ von der Schrifttumsabteilung des RMVP organisiert, fand 1942 bereits zum vierten Mal nach 1938, 1940 und 1941 statt. Es war neben den Buchwochen die bedeutendste Schrifttumsveranstaltung während der Kriegsjahre. Die anwesenden Autoren unterstützten damit das Regime dabei, den Eindruck zu vermitteln, im ‚Dritten Reich‘ gebe es eine umfassende Kulturförderung.566 Deutschland kämpfe, so Haegert in seiner Eröffnungsrede 1942, „um nicht mehr und nicht weniger als um sein Selbstbestimmungsrecht als Volk und damit um sein Leben“. Gemeinsam müsse Europa unter Deutschlands Führung gegen die USA und den Bolschewismus der UdSSR antreten, „Brutstätten der jüdischen Widerkultur“. Den Schriftstellern Europas komme daher die Aufgabe zu, die Leistungen der Soldaten zu unterstützen; Keiner von ihnen habe sich „von sich aus uk.-stellen lassen“. Das Volk erwarte viel: „weltanschauliche Führung, seelische Erhebung und Erquickung in müden Stunden“567. Den ersten Vortrag hielt Edwin Erich Dwinger zum Thema „Der Bolschewismus als Bedrohung der Weltkultur“: Die ersten russischen Kriegsgefangenen hätten einen eigentümlichen „Wildgeruch“ an sich gehabt und seien keine bärenstarken Kämpfer, sondern ein „ausgemergeltes Volksgemisch“, ein mongolischer „Haufen böser Termiten“568 gewesen, degeneriert und entstellt, nur noch triebhaft handelnd. Auch am dritten Treffen vom 23. bis 26. Oktober 1941 unter dem Motto „Die Dichtung im kommenden Europa“569 hatte Bossi teilnehmen wollen; zumindest erhielt er dafür auf Bitten des RMVP eine Freistellung des AA. Doch sein AOK wollte ihn für den Zeitraum offenbar nicht entbehren. Dass er noch am 24. und 25. Oktober 1941 routinemäßig VAA-Dokumente und auch am 28. des Monats eine Kurierpost aus dem Armeehauptquartier nach Berlin abschickte, spricht gegen seine Teilnahme.570 565 566 567 568 569 570
Entnahmen aus: Barbian (2010), S. 334f. Strothmann (1960), S. 108f. Zwischen 1940 und 1942 allerdings hießen die Buchwochen „‚Herbstveranstaltungen für das deutsche Schrifttum‘“. Siehe Barbian (2010), S. 330f. Entnahmen aus: Haegert, Wilhelm: „Eröffnungsrede zum Dichtertreffen 1942“. In: Erckmann (1943), S. 5-11. Entnahmen aus: Dwinger, Edwin Erich: „Der Bolschewismus als Bedrohung der Weltkultur“. In: Erckmann (1943), S. 13-18. Barbian (1995), S. 437, 440ff. u. Barbian (2010), S. 327 u. 331. Siehe auch BF an Rantzau v. 16.09.1941, PA AA, R 60705. Bericht Nr. 28 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.10.1941, PA AA, R 60705, BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 25.10.1941, ebd., u. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 28.10.1941, ebd.
6.4 Im Osten
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Mitte Dezember 1942 meldete sich Bossi bei Kerstens mit einer Postkarte aus Baden bei Wien: Er befinde sich im „Reserve-Kurlazarett ‚Peterhof‘“. Die Behandlung werde, „nach Ansicht des leitenden Arztes, der mich heute untersuchte, 4-6 Wochen dauern. Vorläufig wird mit Schwefelbädern und Massage gearbeitet“571. Ende Dezember 1942 wurden Kerstens und der VAA-Fahrer inklusive des gesamten Materials (darunter auch eine Offizierskiste und ein Ledersack Bossis) schließlich von der Front abberufen und zum AA nach Berlin bestellt.572 Es ist anzunehmen, dass Bossis langfristige Erkrankung es nicht notwendig erscheinen ließ, dass sein Material und seine Mitarbeiter länger an der Front verblieben. Außerdem waren die Aufgabenbereiche der VAAs zunehmend ins Visier des Ostministers Rosenberg gerückt. Er machte immer wieder Bedenken bei Hitler geltend, bis dieser entschied, dass sich das AA künftig aus allen Ostangelegenheiten herauszuhalten habe. Rosenberg forderte die Auflösung des Sonderkommandos Künsberg (das der Waffen-SS unterstellt wurde) und der Vertretungen bei den AOKs. Bis Ende März 1943 wurden alle VAAs im Osten von ihren Positionen abberufen, „eine zwangsläufige Folge dieser vollständigen Entmachtung“573. Außerdem spielte die militärische Lage Rosenberg in die Karten: Nach der Abwehrschlacht von Woronesh-Kursk im Januar und Februar 1943 zeichnete sich die kommende Niederlage der Wehrmacht bereits ab. Die im Süden stehende Front brach zusammen, woraufhin sich die 2. Armee enorm ausdehnen musste. Während man eine Absetzbewegung und die Räumung Woroneshs plante, drang ein russischer Großangriff weit vor, wodurch die deutschen Truppen ihre Stellungen unplanmäßig verlassen mussten. Innerhalb weniger Tage nahm die Rote Armee Woronesh ein und erreichte Stary Oskol und Kursk.574 Für die VAAs hätte es in dieser Phase nur noch wenig zu tun gegeben – an Aktensicherung und Aktivpropaganda war kaum mehr zu denken. 571 572
573 574
Entnahmen aus: Postkarte BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. Mitte Dezember 1942, PA AA, R 60706. Transportbescheinigung der Dienststelle der Feldpostnummer 06836 v. 20.12.1942, PA AA, R 60712. BF behielt seinen Fahrer Knoll offenbar bis Kriegsende, zumindest bis März 1944. Siehe Bossi-Fedrigotti: „Augenzeugenbericht aus der Via Rasella“. In: Dolomiten v. 23.04.1974, S. 11. Hürter (2003), S. 367. Siehe auch Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 214. Parallel zur Auflösung der VAA-Stellen wurde die Informationsabteilung des AA zur Kulturpolitischen Abteilung. Siehe u. a. Keipert/Grupp (2005), S. 161. „Die Schlachten der 2. Armee 1942-1944“. Schlachtenbeschreibungen eines unbekannten Verfassers. Sonderarchiv Moskau (RGVA), Fond 1275, Opis 2, Akte 329 („Geheimakten Ia“), Bl. 15ff.
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6. Zweiter Weltkrieg
Insgesamt nahm der VAA-Dienst in einer „Rangliste der merkwürdigen und vergessenen Einrichtungen der nationalsozialistischen Außenpolitik zweifellos einen Spitzenplatz“ ein, so der Historiker Johannes Hürter. Sieben der insgesamt wohl fünfzehn Ost-Vertreter des Auswärtigen Amts seien „relativ junge Karrierediplomaten“ gewesen. Viele von ihnen absolvierten bis in den Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik hinein beachtliche Karrieren. Zu dieser Gruppe zählte Bossi allerdings nicht. Er war einer der sechs „parteigebundenen Gelegenheitsdiplomaten“, ein von seinem Weggefährten Habicht ins Amt gehobener, ‚ostmärkischer‘ Quereinsteiger. Diese seien möglicherweise, so Hürter, als „bewährte Parteigänger des Nationalsozialismus und Nichtdiplomaten […] unempfindlicher gegenüber Verstößen gegen Recht und Moral im ‚Ostraum‘“ gewesen. Daß sie profilierte ‚PGs‘ waren, wird der wesentliche Grund für ihren Seiteneinstieg in den Auswärtigen Dienst gewesen sein, besonders bei den drei österreichischen Aktivisten.
Im Vergleich zu Bossi (mit Blick auf mögliche Handlungsspielräume des VAAPostens) ist der Fall Werner Otto von Hentigs interessant, der schon 1911 ins AA eintrat, ein „Diplomat alter Schule“. Von August 1941 bis Oktober 1942 war er VAA beim AOK 11. Dass die Kommissare auf der Krim so starken Widerstand geleistet hatten, führte er auf das völkerrechtswidrige Verhalten der Deutschen zurück. Einer beruft sich, wie wir dies im Feldzug gegen Rußland erlebt haben, auf die Völkerrechtswidrigkeiten des andern, um seine eigenen zu begründen. Das Ergebnis ist ein Massenschlachten, bei dem der am besten wegkommt, der die wenigsten Gewissensbisse hat.575 575
Entnahmen aus: Hürter (2003), S. 362f. (zitiert hier Bericht Nr. 350 des VAA beim AOK 11 v. 06.07.1942, PA AA, R 60741), 368f. u. 372. Für die jungen Karrierediplomaten galt: „Der Ruf, ein lästiger Mahner zu sein, konnte den hoffnungsvollen Beamten leicht ins Abseits stellen. Es lag also nahe, zurückhaltend zu agieren und die Karriere durch das Intermezzo an der Ostfront nicht unnötig zu gefährden“. Siehe auch „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402, „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKW-Befehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. An Hentig lassen sich „Möglichkeiten und Grenzen der VAA-Tätigkeit an der Ostfront exemplarisch aufzeigen“. Schon Marion Gräfin Dönhoff habe ihm „eine gewisse Neigung“ attestiert, „immer dagegen zu sein“. Siehe S. 372, zitiert hier Dönhoff, Marion Gräfin: Menschen, die wissen, worum es geht. Hamburg: Hoffmann u. Campe 1976, S. 234. Auch Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 209f., führen Hentig als Beispiel für kritische Berichte aus der Sowjetunion an.
6.4 Im Osten
433
Hentig waren die deutschen Verbrechen, auch willkürliche Erschießungen, weithin bekannt und er forderte offen, diese Missstände zu beseitigen. Damit war er allerdings einer der wenigen VAA, wenn nicht – in dieser Intensität – der einzige. Er kritisierte die tendenziöse, undifferenzierte und generalisierende Propaganda vom bolschewistischen ‚Untermenschen‘, mahnte den vernünftigen Umgang mit der Zivilbevölkerung an und wies auf die Möglichkeiten des kriegswirtschaftlichen Einsatzes der Kriegsgefangenen bei guter Behandlung hin. Doch selbst die erschütterndsten Berichte Hentigs über Massenerschießungen führten oft ins Leere. Das AA „reagierte abwehrend“, zuständig für das rückwärtige Heeresgebiet sei die Wehrmacht. „Das Dilemma des VAA-Dienstes war damit ausgesprochen“576. Allerdings gereichten ihm solche Berichte auch nicht zum Nachteil. Es war also durchaus möglich, scharfe Kritik am Vorgehen der deutschen Besatzer zu üben – aus den eigenen Reihen heraus. Das kann hier auch für Bossis Kriegsgefangenenbericht gelten. In kleinem Rahmen erwirkte Hentig sogar Veränderungen zum Positiven, als er dafür sorgte, dass der Bevölkerung bereits requirierte Milchkühe zurückgegeben wurden. Der Historiker Johannes Hürter schrieb, es sei schwer zu beurteilen, inwieweit bei den VAA-Vorschlägen „für eine Revision der deutschen Besatzungspolitik auch humanitäre Gründe eine Rolle spielten“577. Hentigs Kritik konzentrierte sich nicht, wie überwiegend bei Bossi, auf eine Veränderung der Situation zum ‚Sparen deutschen Blutes‘ oder um den sowjetischen Widerstand zu schwächen. Bei ihm treten wesentlich stärker moralische Zweifel an der brutalen Vorgehensweise der deutschen Truppen auf. Bossi und Hentig unterscheiden sich vor allem durch ihre Sozialisierung und ihren Einstieg in den Auswärtigen Dienst.578 Gleichwohl wäre es beiden im Rahmen der Freiheiten des VAA-Postens möglich gewesen, beispielsweise auf die Verbesserung der Situation der Zivilbevölkerung hinzuwirken. Zwar konnte es, wie bei Hentig, vorkommen, dass Vorschläge nicht weiter bearbeitet wurden oder in den Schubladen des AA verstaubten, doch sein Fall zeigt auch: Das Gegenteil war möglich. Das Spektrum der Verhaltensweisen reichte von dilatorischer Behandlung bis zu vorauseilendem Gehorsam, von Versuchen, mäßigend auf die brutale Besatzungspolitik einzuwirken, bis zu Initiativen, in deren Folge sich die 576 577 578
Entnahmen aus: Ebd., S. 362f., 371f., 376ff. u. 380ff. (zitiert hier VLR Großkopf an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. April 1942, PA AA, R 60739). Siehe auch Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 213. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 212. Hürter (2003), S. 387.
434
6. Zweiter Weltkrieg Lebensbedingungen für die Bevölkerung in den besetzten Ländern noch weiter verschlechterten. In der Regel taten sie alles, um den Erwartungen der Reichsregierung zu entsprechen. Widerständiges Verhalten blieb die Ausnahme.579
Johannes Hürter schrieb, dass das „Wirken der VAAs an der Ostfront“ aufgrund der weitgehenden Bedeutungslosigkeit des AA im Osten „entsprechend folgenlos“ blieb. Die Berichterstattung landete „schließlich im Nichts“. Zu einem ähnlichen Urteil kommen auch die Autoren von Das Amt und die Vergangenheit (2010). Dem ist im Hinblick auf Bossi nur einschränkend zuzustimmen: Die meisten Berichte sind tatsächlich wohl in den Schubladen der AASchreibtische verstaubt. Doch sofern ein VAA besonders fleißig war, wie Bossi, war es ihm durchaus möglich, folgenreiche Unternehmungen zu starten und weitreichende Berichte aufzusetzen – wie im Fall Kaminskis und des Vortrags bei Himmler. Daneben muten seine Berichte oft als Kombination aus sachlichfachlichem Rapport nach Vorgabe und prosaischer Umschreibung des Krieges an, inklusive ausgedehnter Fabulierlust und romantisierenden Einschüben. Er verstand sich nicht bloß als Berichter, sondern auch als Künder. Ein umfassender Vergleich des jeweiligen Handlungsrahmens aller einzelnen VAAs steht allerdings weiter aus. Ihnen allen scheint während des Ostkrieges ein Umschwung von Euphorie auf Ernüchterung gemeinsam gewesen zu sein – und auch ein unmittelbarer Blick auf die Folgen deutschen Vorgehens. In den ersten Wochen heiligte nicht nur der Zweck, sondern auch der Erfolg die Mittel. Oftmals wurden „selbst offensichtliche Verbrechen wie der Mord an den Kommissaren der Roten Armee und die Massaker an der jüdischen Bevölkerung […] ohne Kritik registriert“580. Auch Bossi kannte diese Maßnahmen, doch er kritisierte vor allem dann, wenn der Vorteil der eigenen Truppen bedroht war. In vielen VAA-Berichten finden sich rassistische Stereotype; das sei vor allem in der Anfangsphase des Feldzugs vorgekommen. Bei Bossi finden sich rassistische Invektiven auch später noch.
579 580
Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 168. Entnahmen aus: Hürter (2003), S. 367, 369f. u. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 209ff. sowie 214, die ebenfalls BF zitieren. Dort werden allerdings nur Berichte BFs herangezogen, die auch schon von Hürter (2003) und oder beispielsweise Gerlach (1998) angeführt werden. Es scheint kein weiterer Blick in die Akten genommen worden zu sein. Hürter diente BFs Bericht von Ende Juli 1941 über die animalisch anmutende Vermehrung der Bevölkerung als Beleg solcher rassistischer Bemerkungen. Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704.
6.5 Afrika und Italien
6.5
435
Afrika und Italien
Während er seine Kur begann, unterlag Anfang November 1942 die deutschitalienische Panzerarmee den alliierten Truppen bei El Alamein. Seitdem befand sich das Afrikakorps auf dem Rückzug.581 In diesen Tagen wurde Rudolf Rahn, mit dem Bossi stets hinsichtlich einer erneuten Zusammenarbeit Kontakt gehalten hatte, zum VAA beim Oberbefehlshaber Tunis (später bei der Heeresgruppe Afrika) ernannt, nach eigenen Angaben zum „politischen Beauftragten in Tunis“582. Er hatte Auftrag, die „dortige Kriegsführung“583 zu unterstützen, indem er Fühlung zu den Italienern und Vichy-Franzosen hielt und die Propaganda (für Deutschland, Italien und Vichy, gegen die Engländer, Exilfranzosen und Amerikaner) lenkte. Rahn sei es sogar gelungen, einen zerstörten Sender instandzusetzen, eine Zeitung und Flugblätter herauszugeben. Doch im Grunde sei die Lage in Tunis schon „völlig chaotisch und eigentlich verzweifelt“ gewesen, so Rahn. Mit dem Vorrücken der Alliierten trafen dort immer mehr Wehrmachtstruppen ein. Damit hätte sich die Situation militärisch zwar etwas stabilisiert, „aber politisch durch das Eintreffen starker italienischer Kräfte wesentlich verschärft“. Die Italiener betrachteten sich „als die rechtmäßigen Herren des Landes“584. Nordafrika allerdings sollte nach Hitlers Willen in jedem Falle gehalten werden. So entstand im Dezember 1942 aus dem LXXXX. Armeekorps die 5. Panzerarmee, die dem Oberbefehlshaber Tunis unterstellt war und wichtige Nachschubhäfen sichern sollte.585 Angesichts der sich schnell wandelnden, vielfältigen Aufgabenbereiche bat Rahn im Januar 1943, noch bevor der VAA beim AOK 2 abberufen wurde, um „Zuteilung des Grafen Bossi für zusammenfassende Bearbeitung propagandistischer Fragen bei seinem eigenen Stabe“586.
581 582 583 584 585
586
Schreiber (2007), S. 1100. Rahn (1949), S. 198. Entnahmen aus: „Notiz betr. Gesandten Rahn, Tunis“ v. 14.05.1943, PA AA, R 102978. Rahn habe stets eine „umsichtige und vorbildliche Haltung in vorderster Linie und im Gefechtsstand“ gezeigt. Entnahmen aus: Rahn (1949), S. 204. „Allgemeine Informationen zu den Armeeoberkommandos“ auf Grundlage von Tessin (1973), Online-Information des Bundesarchivs in Freiburg, http://www.argus. bstu.bundesarchiv.de/rh20-21/index.htm?kid=5EEC682136B0423E878022F1014EBD66 [Zugriff: 21.04.2014, inzwischen nicht mehr verfügbar]. Siehe zu Hitlers Position hinsichtlich Nordafrika Schreiber (2007), S. 1100, zitiert hier das KTB des OKW v. 19.12.1942, Bd. 2, S. 1157. Aufzeichnung Generalkonsul Kapps für Generalkonsul Wüster v. 22.01.1943, PA AA, R 60706.
436
6. Zweiter Weltkrieg
Noch im Oktober 1940 hatte das AA angesichts der italienischen Truppen in Nordafrika befunden: Der Einsatz von Graf Bossi beim deutschen Truppenkontingent in Afrika kommt wegen seiner Südtiroler Abstammung und seiner bekannten Haltung in der Südtiroler Frage nicht in Betracht.587
Bis Anfang 1943 hatte sich das Bild offenbar gewandelt. Erfahrene Mitarbeiter waren rar: Der Wunsch des Gesandten Rahn, den Grafen Bossi als Mitarbeiter zugeteilt zu erhalten, ist berechtigt. Gerade zur Festigung des Zusammenhaltens des um den Gesandten Rahn gesammelten Kreises von Propagandaoffizieren der Wehrmacht dürfte Graf Bossi als Mitarbeiter des Gesandten Rahn besonders geeignet sein. Indessen sollte Gesandter Rahn gebeten werden, über die vorgesehenen Aufgaben des Grafen Bossi im einzelnen zu berichten. Ergibt die Prüfung eines solchen Berichts die unbedingte Notwendigkeit der Neuschaffung dieser Mitarbeiterstelle, kann die u.k.-Stellung des Grafen Bossi befürwortet werden.588
So wurde der anscheinend zwischenzeitlich Genesene, Rahns Wunsch gemäß, mit Wirkung vom 1. April 1943 vom Reichsinnenministerium abgeordnet und zu einer kommissarischen Beschäftigung, einem „Sonderauftrag“589, ins AA einberufen. Er blieb allerdings weiter Soldat, wurde zur „Führerreserve des Oberkommandos des Heeres“590 kommandiert und erhielt Wehrsold. Das Amt eilte sich noch mitzuteilen, dass aus diesem Auftrag allerdings „keine Ansprüche auf Übertragung einer Planstelle im Auswärtigen Dienst“591 entstünden.
587 588 589
590 591
Rantzau, Inf. Abt. AA, an Gesandtschaftsrat Krümmer v. 16.10.1940, PA AA, R 60702. Aufzeichnung Generalkonsul Kapps für Generalkonsul Wüster v. 22.01.1943, PA AA, R 60706. Schröder, Leiter Abt. Pers. AA, an BF v. 24.04.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Das RMI musste BF abordnen, da er sich dort formal als Oberregierungsrat in einem Beschäftigungsverhältnis befand. Siehe Schriftvorlage des RMI, Schnellbrief, an BF, das AA u. den Reichsstatthalter in Innsbruck v. 13.04.1943, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 98. Das AA hatte für diesen Zeitraum auch die Besoldung BFs zu übernehmen. Schnellbrief AA an RMI v. 02.04.1943, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 83. Schröder, Leiter Abt. Pers. AA, an BF v. 24.04.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. BF erhielt in dieser Zeit monatlich 675,5 RM: 583,34 RM Grundgehalt, 114 RM Wohngeldzuschuss A, abzüglich 6% Steuern und zzgl. 20 RM Kinderzuschlag. Gehaltsabrechnung BFs v. 01.05.1943, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 102f.
6.5 Afrika und Italien
437
Am 7. April meldete Rahn: „Rittmeister Graf Bossi am 5. dieses Monats hier eingetroffen, Dienst angetreten“592. Fortan arbeitete er als Rahns Verbindungsoffizier in der Ic-Abteilung des PzAOK 5.593 Schon die ersten Tage verhießen unruhige Zeiten: Am Morgen des 5. April waren 18 Junkers-Maschinen einer einfliegenden Kolonne abgeschossen worden.594 Der Kreis um Tunis begann sich zu schließen und der Nachschub sei schon bald ausgeblieben. „Ein Transportschiff nach dem andern versank fast vor unseren Augen“. Die letzten Tage vor der Kapitulation in Nordafrika beschrieb Rahn eindringlich: „Unser Leben in Tunis floß hin wie ein kochender Strom. Keine Minute war Ruhe“595. Gleichzeitig bemühte sich Bossi, seinen Posten auszufüllen und beispielsweise Karten von Tunesien und Nordafrika im AA anzufordern.596 Viel Zeit blieb ihm dafür allerdings nicht. Seit Mai wurden Teile der Stäbe ausgeflogen – ein gefährliches Unterfangen, bei dem etliche Flugzeuge beschädigt oder abgeschossen wurden: „52 Junkersmaschinen in fünf Minuten, 16 fünfmotorige Transportmaschinen in drei Minuten! Überall Trümmer, verlorenes Gepäck“597. Über die deutsche Botschaft in Rom erhielt Rahn am 7. Mai die Nachricht Ribbentrops, dass der Auftrag in Tunis nicht mehr durchführbar und er ermächtigt sei, „falls Oberbefehlshaber es für zweckmäßig hält, mit Mitarbeitern nach Italien zurückzukehren“598. Rahn und seinem Stab, darunter wohl auch Bossi, gelang, womöglich mit einer der letzten Maschinen, die Flucht aus Tunis. Am selben Tag fiel die Stadt den Alliierten in die Hände.599 592
593
594 595 596 597 598
599
Telegramm Rahn, VAA Heeresgruppe Afrika, an Abt. Pers. AA v. 07.04.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Aus einer Meldung des PzAOK 5 geht außerdem hervor, dass dort eine „Kampfgruppe Oberst Irkens“ bestand. Möglicherweise war BF so seinem ehemaligen Ic wiederbegegnet. „Fernschreiben. Zwischenmeldung v. 29.4.43“, BArch RH 21-5/19. Antrag BFs auf Gewährung einer Entschädigung nach §3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes v. 13.04.1957, Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Er bezeichnete sich in diesem Dokument rückblickend als „Verbindungsoffizier zum Gesandten des Reichs [Rahn] in Tunis“. KTB Abt. O.Qu., Heeresgruppe Afrika, v. 05.04.1943, BArch RH 19-VIII/242. Entnahmen aus: Rahn (1949), S. 213 u. 216. Versandnotiz Rantzau, Kulturpol. Abt. AA, an BF v. 07.04.1943, PA AA, R 60706. Rahn (1949), S. 218. Telegramm Ribbentrop an Deutsche Botschaft in Rom v. 07.05.1943. Auswärtiges Amt, ADAP (1978), S. 663. Angeblich hatte Ribbentrop, der auf Rahns diplomatische Erfolge im Amt eifersüchtig gewesen sein soll, Hitler vorgeschlagen, dass sich die in Tunis befindlichen Diplomaten und ihre Mitarbeiter mit den Soldaten gefangen nehmen lassen sollten. „Hitler hatte jedoch diese Auffassung nicht geteilt, und Arnim hatte für die Rückführung der Diplomaten gesorgt“, darunter möglicherweise auch BF. Moellhausen (1949), S. 17. Schreiber (2007), S. 1108. Der letzte Großverband, die I. italienische Armee, kapituliert schließlich erst am 13.05.1943. Siehe zu BFs Dienstende in Afrika auch Antrag BFs auf
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6. Zweiter Weltkrieg
Nur wenig später habe Otto Abetz, Botschafter in Paris, schon von den „heldenhaften Abwehrkämpfen von Tunis“ gehört: Die diplomatische Aktion des Vertreters des Auswärtigen Amtes hatte den militärischen Operationen zur Verteidigung des Brückenkopfes eine über alles Erwarten starke französische Unterstützung und Rückendeckung zu sichern vermocht.600
Bossis Auftrag als Verbindungsmann Rahns endete offiziell erst am 31. Mai 1943. Zum 1. Juni kommandierte ihn das OKH daraufhin aus der Führerreserve als „Nachfolger des Legationsrats I. Kl. Dr. Hellenthal“601 zum „OKW/WPr. als Verbindungsoffizier zum Auswärtigen Amt“602. Aus dieser Zeit liegen allerdings kaum Dokumente vor.603 Das AA notierte, er habe die Dienstgeschäfte bereits am 4. Juni übernommen. Der Ernennungserlass wurde am 8. Juni ausgestellt. Doch bereits am 15. Juni vermerkte die Personalabteilung: „Dienstantritt im AA ist nicht erfolgt“604. Gleichwohl protokollierte Hans-Georg von Studnitz, ein führender Mitarbeiter der AA-Presseabteilung, in seinem (1963 veröffentlichten) Tagebuch, er habe Bossi als Vertreter des OKW am 7. Juli 1943 in Berlin getroffen, um mit ihm über Bildpropaganda hinsichtlich der Bombenangriffe auf Düsseldorf und Köln zu sprechen.605 Er sei, schrieb Bossi im Deutschen Soldatenkalender 1956, nach dem „unglücklichen Ausgang des Tunis-Feldzuges zu einer in Italien kämpfenden Einheit versetzt“606 worden. Damit meinte er wahrscheinlich die Versetzung zum Oberkommando der Heeresgruppe B am 11. September, womit die Kommandierung
600 601 602 603
604 605 606
Gewährung einer Entschädigung nach §3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes v. 13.04.1957, Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. FothMüller an CP v. 20.09.2016. Abetz (1951), S. 260. Interner Bearbeitungsvermerk der Abt. Pers. AA v. 11.06.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Fernschreiben Personalabteilung OKH an WBK VII v. 07.06.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. „Die eigentlichen Personalakten von Bossi-Fedrigotti sind im November 1943 bei einem Bombenangriff zerstört worden. Als Ersatz für die verlorenen Akten sind zwar 1944 neue Akten angelegt worden, jedoch sind natürlich viele der Informationen, die sich in den zerstörten Akten befunden hatten, verloren“. E-Mail L. v. d. Linde, PA AA, an CP v. 03.09.2014. Entnahmen aus: Interner Bearbeitungsvermerk der Abt. Pers. AA v. 11.06.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Siehe auch Versandnotiz AA, Kulturpol. Abt. an BF v. 08.06.1943, PA AA, R 60706. Studnitz (1963), S. 77. Bossi-Fedrigotti, „‚Kürzlich … Herr Offizier!…‘“ (1956), S. 83.
6.5 Afrika und Italien
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zum VAA beim OKW/WPr zwar zunächst obsolet wurde, anscheinend aber formal aufrecht erhalten blieb.607 Sein Nachfolger auf diesem Posten, Heinrich von zur Mühlen, trat den Posten offiziell erst im März 1944 an, unterschrieb allerdings schon im Oktober 1943 Dokumente mit dieser Amtsbezeichnung ‚in Vertretung‘.608 Spätestens nachdem am 10. Juli 1943 alliierte Truppen auf Sizilien gelandet waren, begannen die Italiener Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten. Die deutschen Achsenpartner waren darüber gut informiert. Nur wenige Tage später, am 19. Juli 1943, wurde die Heeresgruppe B in München neu aufgestellt, am 25. Juli Mussolini gestürzt. Die Deutschen bereiteten sich auf den italienischen Seitenwechsel und die darauf folgende Okkupation Italiens vor, den sogenannten ‚Fall Achse‘.609 Da sich der Stab der Heeresgruppe B schon seit Mitte August in Italien befand, wäre es möglich, dass Bossi sich ihm schon früher als vorgesehen anschloss. Eines fällt allerdings auf: Im selben Zeitraum, zwischen Mai und September, findet sich auch im Lebenslauf Rudolf Rahns eine Lücke. Beide waren wohl gleichzeitig aus Tunis geflohen. Bossi wurde zwar kommandiert, trat seinen Posten aber nicht an, bis er im September zu einer neuen, in Italien stationierten Einheit versetzt wurde. Rahn übernahm erst am 30. August für knapp zwei Wochen die Amtsgeschäfte als Interimsbotschafter in Rom.610 Ob es sich bei diesen Sommerwochen 1943 beispielsweise um Urlaub oder eine Übergangsfrist nach dem Afrika-Desaster handelte – oder um Vorbereitungen zum ‚Fall Achse‘ –, muss bisweilen offen bleiben. Es liegt allerdings nah, vor allem angesichts der weiteren Verwendungen, dass beide nach der TunisEtappe in Italien und in Kontakt blieben. Am 3. September landeten US-amerikanische Truppen in Kalabrien. Fünf Tage später schließlich schloss Italien mit den Alliierten den von deutscher 607
608 609 610
Kassenanweisung der Abt. Pers. AA an Reichshauptkasse v. 09.10.1943, PA AA, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Siehe auch Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Möglicherweise nahm BF bei der HG B ebenfalls die Dienstgeschäfte eines VAA wahr. Verteilervermerk H. v. z. Mühlen, VAA beim OKW/WPr. in Vertretung, an Stellen des AA v. 25.10.1943, PA AA, R 29644. Moellhausen (1949), S. 10. Siehe dazu auch Gentile (2012), s. 58ff. u. Wedekind (2003), S. 47ff. Seit dem 14.05.1943 habe es bereits einen „Auffrischungsstab München“ gegeben, aus dem das Heeresgruppenkommando B hervorging. Keipert/Grupp (2008), S. 558 u. Moellhausen (1949), S. 23. Siehe auch S. 10: Zuvor war Botschafter von Mackensen Anfang August abberufen worden. Im Katalog des Nachlasses Rahns im PA AA ließen sich keine Nachweise einer Korrespondenz mit BF finden, die weiteren Aufschluss hätte geben können.
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6. Zweiter Weltkrieg
Seite erwarteten Waffenstillstand.611 Damit trat der ‚Fall Achse‘ ein: Italien wurde größtenteils von der Wehrmacht besetzt, die dabei über 600.000 italienische Soldaten gefangen nahm und zum Teil in die Kriegsgefangenschaft nach Deutschland brachte.612 Bereits am 10. September kamen die Führungsspitzen von Staat und Militär bei Hitler zusammen, um über die künftige Herrschaftsstruktur der nun besetzten Gebiete Italiens – die spätere „Repubblica di Salò“613 – zu entscheiden. Die Regelung sah vor, eine vorgeblich eigenständige faschistische Regierung unter Mussolini einzusetzen, bei der ein ‚Bevollmächtigter des Großdeutschen Reiches‘, nämlich Rudolf Rahn, die deutschen Interessen (nach Anweisungen von Ribbentrop) vertreten sollte.614 Das AA hatte maßgeblich an Einfluss gewonnen. Mit Annexionen italienischer Landesteile allerdings hielt man sich zurück – das hätte die Bevölkerung aufgebracht und die neue faschistische Regierung in deren Augen sogleich desavouiert.615 Am 11. September allerdings unterzeichnete Hitler eine Anordnung, die die italienischen Alpengebiete in zwei ‚Operationszonen‘, Alpenvorland (Provinzen Belluno, Bozen und Triest) und Adriatisches Küstenland, aufteilte und den „Reichsstatthaltern der angrenzenden Regionen, Hofer und Rainer (die den Titel ‚Oberster Kommissar‘ erhielten), unterstellt wurden“616. Die Operationszone Alpenvorland lag rein formal in der neu errichteten Republik Salò. Doch Hitler soll sich in diesem Zusammenhang dahingehend geäußert haben, nun froh zu sein, dass „zwei schöne deutsche Provinzen“617 zurückkehrten. Bis dahin war die Einigung Deutschlands und Italiens auf dem Rücken 611 612 613 614 615
616
617
Schreiber (2008), S. 383. Guerrazzi (2011), S. 351 u. Klinkhammer (1993), S. 40ff. u. 573. Bis Kriegsende kostete die deutsche Besatzung etwa 200.000 Menschen das Leben. Steininger (2017), S. 108 u. Lingen (2015), S. 75. Klinkhammer (1993), S. 70f. u. Lingen (2004), S. 56f. Steininger (2017), S. 108ff. u. Klinkhammer (1993), S. 64ff. Der neuen faschistischen Regierung sollte Mussolini vorstehen. Sie diente der Unterstützung der Deutschen, als angeblich rechtmäßige italienische Volksvertretung und dafür, Italien weiterhin offiziell als Verbündeten zu propagieren. „Dieser paradoxe Zustand des ‚besetzten Verbündeten‘ war es, der die Besatzungswirklichkeit bis zum Kriegsende entscheidend bestimmen sollte“. Am 12. September 1943 schließlich befreiten deutsche Fallschirmjäger Mussolini und brachten ihn ins Führerhauptquartier. Siehe S. 68. Klinkhammer (1993), S. 71 u. 557f. Siehe auch Albrich (2006), S. 3, u. Wedekind (2003), S. 49f.: Tatsächlich hatten schon am Abend des 31.07.1943 deutsche Truppen den Brenner überschritten, offiziell zunächst noch als Hilfeleistung getarnt. Wichtige Knoten- und Verkehrspunkt sollten schon einmal gesichert werden. Ende August wurde bereits der Sonderstatus Südtirols bekannt. Moellhausen (1949), S. 247. Woher Moellhausen diese Information nimmt, wird nicht belegt. Siehe dazu auch Wedekind (2003), S. 71, der ähnliche Äußerungen auch von Goebbels belegt.
6.5 Afrika und Italien
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der Südtiroler „ein Lehrstück machiavellistischer Politik“ und ein Beleg dafür, wie die Südtiroler zwischen die „Mühlsteine der Diktaturen“618 geraten waren. Den Tag des Achsenbruchs feierten die meisten Südtiroler „ausgiebig“. Viele glaubten, dass für sie nun endlich der Tag der Befreiung von der italienischen ‚Fremdherrschaft‘ gekommen sei. Sie erwarten sich, dass ihr ‚urdeutsches‘ Land an das Deutsche Reich angeschlossen wird.619
Für Südtirol bedeutete die Eingliederung in die Operationszone mit dem Übergang der Verwaltung von den Italienern auf die Deutschen de facto eine Annexion.620 Für eine gewisse Zeit hatte sich Hofer nun seinen Traum von der Wiedervereinigung Tirols erfüllt. Er wollte Südtirol unbedingt ‚retirolisieren‘, setzte die deutsche Sprache in Verwaltung und Schulen mit der italienischen gleich, führte wieder deutsche Ortsnamen und das Bozner Tagblatt als 618 619 620
Entnahmen aus: Gehler (2002), S. 233. Siehe auch Steinacher (2002), S. 248. Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 384. Siehe auch Steinacher (2002), S. 248, Casagrande (2015), S. 19 u. Steininger (2017), S. 108: „Nach 20 Jahren faschistischer Herrschaft schien der Tag der langersehnten Befreiung gekommen zu sein“. Siehe Lingen (2015), S. 79 u. Steinacher (2002), S. 248, der den Status Südtirols in dieser Phase als de-facto-angegliedert an das Deutsche Reich bezeichnet. Die deutsche QuasiAnnexion Südtirols war auch im Ausland nicht unerkannt geblieben. Im Juli 1944 berichtete beispielsweise Reuter aus London, zwischen der ‚Operationszone Alpenvorland‘ und dem Rest Norditaliens gebe es nun sogar eine Zollgrenze, faschistische Anordnungen, Umbenennungen und Sprachregularien seien rückgängig gemacht und die italienische Zivilgesetzgebung außer Kraft gesetzt worden. „DNB vertrauliches Rohmaterial“ Nr. 183, Sondermaterial A, v. 01.07.1944, BArch NS 43/424. Siehe auch Schreiber (2008), S. 386: „Die Mehrzahl der faschistischen Ortsverwalter wird durch Südtiroler Bürgermeister aus den Reihen der ‚Optanten‘ ersetzt“. Viele Italiener hatten offenbar ohnehin (sowieso seit dem ‚Anschluss‘) erwartet, dass „politische Erklärungen und Verpflichtungen nur solange gelten, bis sie mit dem Sacro Egoismo in Widerspruch geraten“. „Beilage zum ‚Bericht über die Stimmung in Südtirol‘ von Otto Bene, deutsches Generalkonsulat Mailand, an das Auswärtige Amt, 21.4.1938“. PA AA, R 103305. Vollständige Abschrift in: Gehler (2002), S. 241ff. Unter ‚Sacro Egoismo‘ (heiliger Egoismus) wird die „Tendenz der italienischen Außenpolitik in und nach dem Ersten Weltkrieg“ verstanden, „sich nur von nationalen Interessen leiten zu lassen“. O. V.: „Sacro Egoismo“. In: Kunkel/Auberle/Steinhauer/Duden (2017), S. 475. Etwas mehr als einen Monat nach der Machtübernahme der Wehrmacht in Italien hielt der Oberbefehlshaber Süd fest, dass der von Mussolini übernommene Landesteil Italiens weiter an der Seite der Deutschen kämpfen würde. Deutsche Truppen hätten sich auf diesem Gebiet „aller Eingriffe in Verwaltung und Wirtschaft zu enthalten“. Im Operationsgebiet dagegen seien nur die durch „O.B. Süd gegebenen Befehle massgeblich“. Das galt also offenbar nicht für die Operationszonen. Der Oberbefehlshaber Süd, Führungsabteilung: „Innerpolitische Lage in Italien“ v. 17.10.1943, BArch RH 19-X/12, Bl. 208ff.
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NS-Sprachrohr ein, kümmerte sich um das Tiroler Brauchtum (Schützen) und bemühte sich, den Südtirolern unter nationalsozialistischen Vorzeichen ihre Verbindung zum deutschen Volk zu verdeutlichen.621 Nun durften auch wieder, nachdem es seit 1927 verboten war, Grabinschriften in deutscher Sprache verfasst werden.622 Die neue deutsche Herrschaft führte allerdings auch dazu, dass noch im Herbst 1943 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde und bis Kriegsende tausende Südtiroler zur Wehrmacht eingezogen wurden.623 Es waren ausgerechnet Hofer und das NS-Regime, die ungeliebte Maßnahmen zurücknahmen, die manchen Südtiroler von Repressalien befreiten, die ihnen kulturelle Bräuche und so auch einen Teil ihrer Identität, die den Südtirolern erstmals ‚das Deutsche‘ zurückbrachten.624 So verband sich die neue Freiheit mit dem Beginn der faktischen NS-Herrschaft. Die NS-Kulturpolitik dieser Jahre hat „tatsächlich eine lange Tradition erschaffen“, die auch bei einer heutigen „Prüfung Südtirolerischer Kultur nicht außer Acht gelassen werden darf“625. Die Wehrmacht wurde von der deutschsprachigen Bevölkerung auch eher nicht als Besatzer betrachtet.626 621
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Steininger (2017), S. 110ff., Steinacher (2003), S. 113ff. u. Schreiber (2008), S. 386 u. 86: Hofers Karriere erreichte damit einen neuen Höhepunkt, die „scheinbare Wiedervereinigung Südtirols mit Nordtirol steigert seinen Rückhalt in der Bevölkerung“. Der ‚Oberste Kommissar‘ verbot darüber hinaus Eduard Reut-Nicolussi, nach der Errichtung der Operationszone Alpenvorland nach Südtirol zu reisen. Siehe Gehler (2004), S. 75. Steininger (2017), S. 38, u. Corsini/Lill (1988), S. 387, berichten außerdem davon, dass der italienische Irredentist Ettore Tolomei, der die Italianisierung Südtirols maßgeblich vorangetrieben hatte, nach der Besetzung Italiens durch deutsche Truppen verhaftet, über Innsbruck sowie das KZ Dachau nach Thüringen gebracht und dort bis Kriegsende interniert wurde. Ebd., S. 56. Schreiber (2008), S. 385. Siehe auch Steininger (2017), S. 110: Die bekannten ‚Dableiber‘, die sich eben nicht für die Ausreise nach Deutschland und damit aus NS-Sicht gegen das Regime entschieden hatten, wurden oft allen voran an die Front beordert. Corsini/Lill (1988), S. 410ff. u. Wedekind (2003), S. 266. Bis dahin galt, wenn auch zunehmend abgeschwächt: Wer Deutscher bleiben wollte, der musste mithilfe der Option auswandern – so die Propaganda. Etwa 86% der deutschsprachigen Südtiroler hatten sich bis Anfang 1940 für das Auswandern entschieden. Die Italiener waren aber nicht daran interessiert, eine solch große Gruppe auswandern zu lassen. Tatsächlich waren es am Ende die ‚Dableiber‘, die dafür sorgten, dass Deutschsprachige nach 1945 ‚moralisch gerechtfertigte‘ Forderungen stellten konnte, dass in Südtirol heute noch deutsch gesprochen wird und die Region einige Autonomierechte genießt. Siehe Steininger (2017), S. 100f. Entnahmen aus: Wallnöfer Köstlin (2003), S. 100. Steininger (2017), S. 102f. u. Hartungen, Zur Lage der Südtiroler (1995), S. 119 u. 128f. Was den Widerstand gegen die Nationalsozialisten oder die deutschen Soldaten in Südtirol betraf, lagen hier folgerichtig gänzlich andere Voraussetzungen als im übrigen Italien vor, in dem sich Menschen von einer Fremdherrschaft befreien wollten. Es gab wenig Widerstand, die Deutschen wurden in Südtirol nicht unbedingt als Fremde betrachtet – und
6.5 Afrika und Italien
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Nach der faschistischen Oppression wurde die Wiederbelebung alles Bodenständigen und die Exaltierung des bisher unterdrückten Heimatgefühls dankbar und oft unreflektiert aufgenommen. Anders als das fremdkulturelle Regime des Faschismus verstand es die deutsche Besatzungsmacht, Bestandteile alpiner Volkskultur mit ihrem Ideologiekonzept zu vereinbaren und – von den Rezipienten oft unerkannt – zu politisieren, zu militarisieren und propagandistisch zu funktionalisieren.627
Aus der Zeit Bossis bei der Heeresgruppe B ab September 1943 liegen kaum Dokumente vor. Es ist allerdings davon auszugehen, dass er als Orts- und Sprachkundiger dort durchaus gefragt war.628 Dabei könnte er auch einige Gelegenheiten gehabt haben, an alte Wirkungsstätten zurückzukehren.629 Die einschlägigen VAA-Akten im Politischen Archiv reichen nur bis Mai 1943. Doch einer seiner Berichte hielt Mitte Oktober 1943 Einzug in die Akten einer ItalienSerie des AA-Staatssekretär-Büros. Bei einigen Reisen durch Norditalien habe Bossi Gelegenheit gehabt, die Stimmung der Bevölkerung aufzunehmen. Nach dem Einmarsch der Deutschen finde sie langsam wieder in normale Tagesabläufe zurück. Dass Italiens König Mussolini entlassen und sich den Alliierten zugewandt habe, entspräche nach Meinung vieler Italiener einer „schweren Pflicht […] und sei darum nicht verwerflich gewesen“. Die meisten verhielten sich gleichgültig, sehnten das Ende des Krieges herbei und hätten den Faschismus, aber insbesondere Mussolini, satt. Es seien „nur ganz geringe Kreise“, die sich bereit erklärt hätten, „dem Duce Gefolgschaft zu leisten“. Bossi bleibt sich auch in diesem späten Bericht seiner hochmütigen Superioritätshaltung gegenüber den „herumlungernde[n]“ Italienern und ihrem Militär treu. Es bedürfe „hier der ganzen Schärfe und des ganzen Organisationsvermögens der deutschen Wehrmacht“, um die neuen Kämpfer Mussolinis „zu Soldaten umzuwandeln“. In der derzeitigen Situation besäße die katholische Kirche mehr Macht als je zuvor. Man müsse, so Bossi, „betroffen sein beim Anblick der Menschenmassen, vor allem der vielen jungen Männer, die in den Gottesdienst gehen“630.
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wenn es schon etwas zu bekämpfen gab, dann den Nationalsozialismus als Ideologie, aber nicht die Deutschen. Siehe S. 114, Wedekind (2003), S. 408ff. u. Casagrande (2015), S. 78. Wedekind (2003), S. 266. Siehe dazu auch Steurer/Steinacher (2011), S. 245. Im BArch Berlin fehlen die Kriegstagebücher der der HG B, Abteilung Ic. Zur Aktenlage siehe auch Lingen (2015), S. 76. Sein Untergebener Edmund Theil beispielsweise besuchte 1944 das Kloster Neustift und sah hier die von Gauleiter Hofer beschlagnahmten Druckmaschinen der Zeitung Dolomiten. Theil, Edmund: „Akrobaten auf dem Klosterdach“. In: Dolomiten v. 26.11.1969, S. 9. Entnahmen aus: Bericht „Rittmeister Legationsrat Bossi-Fedrigotti“ zur Stimmung der italienischen Bevölkerung v. 19.10.1943, PA AA, Büro des Staatssekretärs, Italien, R 29644.
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Doch auch dieser Einsatz dauerte offenbar nur wenige Wochen: Ende November 1943 meldete sich Bossi beim AA aus dem Reservelazarett in Innsbruck. Er dankte für Genesungswünsche anlässlich seines „Flugzeugunfalles“ und sei „inzwischen soweit hergestellt“, dass er „wieder täglich etwas ausgehen kann“. Er hoffte, nach Weihnachten wieder einsatzfähig zu sein und freute sich „schon wieder auf die Aufgaben in Italien“631. Tatsächlich dauerte seine zweite Rekonvaleszenz bis Januar 1944. Währenddessen war allerdings Anfang November 1943 der Stab der Heeresgruppe B aufgelöst worden. Die Aufgaben gingen auf den Oberbefehlshaber Süd, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, über, der zum Oberbefehlshaber Südwest wurde (was dem Kommando über die Heeresgruppe C entsprach).632 Die Stäbe dürften in der Folge zusammengezogen worden sein.633 Das Hauptquartier befand sich zunächst in den von Mussolini am Monte Soratte, 50 Kilometer nördlich von Rom, unterirdisch angelegten Bunkern, die Kesselring zu seinem Befehlsstand erkoren hatte. Erst später, im Mai 1944, wurde das Hauptquartier nach Recoaro in die Nähe des Gardasees verlegt.634
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Laut Stempel und Paraphe setzte sich Staatssekretär Gustav Adolf Steengracht von Moyland mit dem Bericht auseinander. Siehe auch Cospito/Neulen (1992), S. 241 u. 248252, wo sich eine Übersetzung des Berichts ins Italienische findet. Auch im Mai 1941 hatte BF sich bereits geringschätzig über die Italiener geäußert: „Ich möchte mich über das Kapitel Aussehen und Auftreten der ital. Soldaten nichtweiter [sic!] auslassen, ich mußte nur feststellen, daß sich, sowohl in der Disziplin, wie in der soldatischen Haltung des einzelnen Mannes, seitdem ich aus Südtirol im Jahre 1928 fort bin, nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewendet hat“. Bericht Nr. 14 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 16.05.1941, PA AA, R 60707. Entnahmen aus: BF an AA v. 27.11.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Weitere Informationen über diesen Unfall/Absturz konnten nicht ermittelt werden. Nach 1945, als er sich zeitweilig wieder in Südtirol ansiedelte, meldete er dem italienischen Militär in einem Personalfragebogen: „ferito gravemente in seguito a caduta con aeroplano“ (schwer verletzt infolge eines Flugzeugabsturzes). Esercito Italiano, Specchio II u. IV. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Wedekind (2003), S. 113, Schramm (1990), S. 1256ff. u. Lingen (2004), S. 17, 33ff. u. 76ff: Wesentliche Aktenbestände zu Italien, auch das Kriegstagebuch der Heeresgruppe C, seien seit Kriegsende verschollen. Zu Kesselring (1885-1960) siehe Klee (2015), S. 305, Krautkrämer (2015), S. 121-129 u. Lewis (1998), S. 270-287. Wedekind (2003), S. 113ff. u. Schramm (1990), S. 1257. Gabbe, Bettina: „Mussolinis Bunkerfestung soll Beauty-Farm werden“. In: DIE WELT v. 23.01.2014, https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article124142456/MussolinisBunkerfestung-soll-Beauty-Farm-werden.html [Zugriff: 07.10.2018]. Die Stadt Rom fiel den Alliierten bereits im Juni 1944 in die Hände. Siehe Moellhausen (1949), S. 178ff. Siehe zum Ortswechsel auch Vietinghoff, Heinrich von: „Kriegsende in Italien“ v. 1948, BArch RH 19-X/74.
6.5 Afrika und Italien
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Mitte Dezember 1943 unternahm das AA über das OKH (als personalführende Stelle) nochmals einen Versuch, Bossi zum 1. Januar 1944 als VAA zum OKW/ WPr zu entsenden. Formal wurde er vom Heeresgruppenkommando B in die Führerreserve des OKH versetzt und gleichzeitig als VAA zum OKW/WPr kommandiert.635 Da sich sein Lazarettaufenthalt offenbar noch einige Tage in den Januar hineinzog, meldete sich Karl Megerle, Ribbentrops ständiger Beauftragter für Propaganda (der 1934 Standschütze Bruggler illegal nach Österreich geschmuggelt hatte), am 11. Januar bei der AA-Personalabteilung: Bossi, der sich noch im Hotel Mariabrunn in Innsbruck aufhalte, solle telegrafisch angewiesen werden, seinen Dienst als VAA bei OKW/WPr (General v. Wedel) mit Dienstsiez [sic!] Stab RAM (Westfalen), sobald es sein Gesundheitszustand erlaubt, anzutreten und Zeitpunkt Dienstantrittes umgehend zu drahten.636
Am 7. Februar 1944 hakte das Amt nochmals nach, bat um „umgehende Drahtmitteilung“637. Es ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass sich Bossi weiter ins Innsbruck befand. Noch am 18. Februar fragte die Personalabteilung im Büro des RAM nach, ob man dort etwas von Bossi gehört habe.638 Tatsächlich befand der sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit beinahe drei Wochen auf einem neuen Dienstposten. Sein Nachfolger als VAA beim OKW/ WPr, von zur Mühlen, meldete, der Graf sei „seit dem 29.1. als Stabsoffizier für Propagandaeinsatz (Stoprop) beim Oberbefehlshaber Südwest tätig“639. 635 636
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Verfügung Heerespersonalamt an HG B, WBK VII u. WBK III v. 18.12.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Fernschreiben Stab RAM an AA, Abt. Pers, v. 11.01.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Das AA leitete Megerles Aufforderung kurz darauf an BF weiter: Telegramm VLR Freiherr Marschall von Bieberstein, AA, Abt. Pers, an BF v. 15.01.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Megerle war im April 1943 außerdem zum Beauftragten für das Informationswesen im Persönlichen Stab des RAM ernannt worden und koordinierte so „sämtliche Auslandspropagandatätigkeiten“ des AA. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 149 u. 212 u. Longerich (1987), S. 62f. Telegramm VLR Freiherr Marschall von Bieberstein, AA, Abt. Pers, an BF v. 07.02.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Ebd., handschriftliche Notiz auf der Vorderseite. LR v. z. Mühlen, VAA beim OKW/WPr., an Abt. Pers. AA v. 07.03.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Siehe auch Antrag BFs auf Gewährung einer Entschädigung nach §3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes v. 13.04.1957, Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. BFs neuer OB, Kesselring, hatte kurz zuvor, am 01.01.1944, einen Tagesbefehl herausgegeben, der andeutete, dass das Jahr 1944 die Entscheidung bringen werde. Jeder
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6. Zweiter Weltkrieg
1942/43 war es infolge der Entwicklungen an der Ostfront und der gestiegenen Anzahl an Berichtern zu einer Umstrukturierung der Wehrmachtpropaganda gekommen. Die Propagandatruppen wurden zur eigenständigen Waffengattung innerhalb des OKW, die Kriegsberichterstattung und Kampfpropaganda erfuhren eine Modifizierung und die Heeresgruppen erhielten ab Mai 1943 „Stabsoffiziere für Propagandaeinsatz (Stoprop)“. Sie unterstanden unmittelbar dem Chef des Stabes und arbeiteten mit dem Ic-Offizier zusammen. Der Stoprop hatte jeweils für den Abschnitt seiner Kommandobehörde die Leitung des gesamten Propagandaeinsatzes aller Sparten, wozu er die notwendigen Fachweisungen vom O.K.W. (W.Pr.) bekam. Er hatte seinerseits Weisungsrecht an die P.K. seines Bereiches, die nach der Neuregelung ihr Aufgabengebiet in der Kampfpropaganda und der Truppenbetreuung hatten […].
Die Stoprop erhielten außerdem Weisungsrecht gegenüber den PKs der rückwärtigen Heeresgebiete. Dazu kamen Dienststellen und Trupps, die bei der Erfüllung der Propagandaaufgaben zur Hand gehen sollten: je ein Propagandaabschnittsoffizier mit Personal, der „für die Flugblattherstellung und – Verteilung zu sorgen hatte“, ein bis zwei Propagandazüge mit „FlugblattBallontrupps“640 und Lautsprechern sowie ein motorisierter Druckereitrupp. Die Dienstanweisung vom 17. November 1942 hielt fest, der Stoprop sei ein „Organ des Chefs der Propagandatruppen“, außerdem Berater des Ic/AO. Er machte der Heeresgruppe Propagandavorschläge, hielt Verbindung auch mit „den für die Heeresgruppe zuständigen Höheren SS- und Polizeiführern“641,
640 641
deutsche Soldat an der Südfront müsse daher wissen, „dass von seinem Stehen und Halten das Schicksal unserer deutschen Heimat“ abhänge. Der Oberbefehlshaber Südwest: „Tagesbefehl“ v. 01.01.1944, BArch RH-19-X/13, Bl. 2f. Anfang Januar 1945 setzte die Abteilung OKW/WPr. eine aktuelle Übersicht der Stabsoffiziere für Propaganda bei den Heeresgruppen auf. Hier fand sich für den Bereich des OB Südwest auch BF. Die anderen StOProp waren: SS-Hauptsturmführer Wickel (HG Süd), SS-Hauptsturmführer Ackemann (HG A), Major Laufer (HG Mitte), Hauptmann von Fabeck (HG Nord), Oberleutnant Strassl (AOK 20, Norwegen), Major Giessler (OB West), SS-Sturmbannführer Damrau (HG H u. T), SS-Hauptsturmführer d’Alquen (OB Oberrhein), Major Remme (HG G) u. Hauptmann Dierichs (OB Südost). „Aufstellung der StO Prop bei den Heeresgruppen Stand vom 2.1.45“, BArch RW 4/153. Siehe auch Buchbender (1978), S. 366. Entnahmen aus: Wedel (1962), S. 58ff. Siehe auch Vossler (2005), S. 114, Moll (2001), S. 129 u. Buchbender (1978), S. 228ff., der den Stoprop eine „Schlüsselstellung“ in der Wehrmachtpropaganda zuschrieb. Buchbender (1978), S. 307f., zitiert hier „Dienstanweisung für den Stabsoffizier für Propagandaeinsatz (St.O.Prop.) bei einer Heeresgruppe“ v. 17.11.1942, Privatarchiv G. Heysing.
6.5 Afrika und Italien
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nahm selbst an Einsätzen teil und überwachte die Propagandalage in seinem Bereich insgesamt. Mit einer solchen Macht- und Wirkungsfülle ausgestattet, wurden die Stoprop zu zentralen Männern der deutschen Kriegspropaganda. Für den Bereich des Oberbefehlshabers Südwest in Italien allerdings galt das nur mit Einschränkungen. In der faschistischen Republik Salò war der AA-Bevollmächtigte Rahn seit September 1943 zur „eigentlichen Machtperson im Hintergrund“ avanciert, der die Italiener kontrollierte und nötigenfalls intervenierte. Er war der „wichtigste deutsche Repräsentant in Italien“. Die in Fasano – unweit von Salò, dem Sitz der faschistischen Regierung Mussolinis – befindliche ‚Dienststelle Rahn‘, der auch der Chef der Militärverwaltung in politischer Hinsicht unterstellt war, entwickelte sich „zu einer Art Zentralstelle für Italien“. Nach Willen Rahns und Ribbentrops sollte das auch für die Propaganda in Italien gelten: Die Propaganda-Abteilung der Heeresgruppe bzw. des Bevollmächtigten Generals sollte sich nur noch auf die Truppenbetreuung beschränken und „in keiner Weise auf den zivilen Sektor“ erstrecken. Rahn schrieb dem AA im November 1943: Die politische Steuerung der Propaganda in Italien erfolgt in Einvernehmen mit dem OKW nach meinen Weisungen aufgrund der vom RAM gegebenen Befehle. Die militärischen Stellen (Stoprop, Propaganda-Abt. und Staffeln) sind entsprechend angewiesen.
Damit regelte Rahn auch Teile der Aufgaben, die sonst dem Stoprop Bossi zugefallen wären. Es hat in der Tat den Anschein, als ob Rahns Presse- und Kulturbeauftragte die Kontrolle ihrer Sektoren entsprechend im Griff hatten und die Tätigkeit für ‚Stabsoffiziere für Propaganda‘ (Stoprops) im wesentlichen auf die Betreuung der Wehrmachtsverbände reduziert war.642
Der AA-Staatssekretär Gutterer hielt allerdings im März 1944 fest, in Italien seien dennoch „z.Zt. mehrere deutsche Stellen mit der Durchführung der Propaganda beschäftigt“. Es herrsche ein „Wirrwarr der Propaganda“643. 642
643
Hervorhebungen im Original. Entnahmen aus: Klinkhammer (1993), S. 140, 148, 152 u. 156f. (zitiert hier Hilger an RAM v. Ende März 1944, PA AA, BdS Italien, Bd. 19, Bl. 71.775). Siehe auch Wedekind (2003), S. 76. Offenbar waren viele Propaganda-Beauftragte auch kaum der italienischen Sprache mächtig, was ihre Einsatzmöglichkeiten wesentlich einschränkte. Das kann allerdings nicht für Bossi gelten, der fließend italienisch sprach – was ihn auch für den Stoprop-Posten in Kesselrings Stab so interessant machte. Zu den beteiligten Stellen zählten die „Propagandastaffel Italien, verschiedene Propagandakompanien, eine Propagandaabteilung bei der Deutschen Botschaft unter Führung von Generalkonsul Schäfer-Rübelin [sic!, Max Schäfer-Rümelin], ferner
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6. Zweiter Weltkrieg
Im Bereich des Stoprop Italien übte die Wehrmacht nach September 1943 die „reale Macht über den Rundfunk“644 aus. Bossi war in seiner Funktion vor allem für den Rundfunk und bis Mai 1944 somit auch für den Deutschen Soldatensender in Rom verantwortlich. Dabei handelte es sich offenbar um das italienische Funkhaus EIAR, das nach dem 8. September (bis zur Übergabe Roms im Herbst 1944) von den Deutschen übernommen wurde. Später wurden immer mehr fahrbare Rundfunksender der Deutschen Reichspost eingesetzt.645 Nachdem das Hauptquartier nach Recoaro übergesiedelt war, kamen die Programme von einer Ausweichstation der EIAR in Mailand und (mithilfe einer technischen Modulation) „aus dem Schloß Fino nördlich von Fino Mornasco bei Como“646. Die Soldatensender strahlten Nachrichten, den Wehrmachtbericht, den ‚Kameradschaftsdienst des Großdeutschen Rundfunks‘, Musik-, Gruß- und Unterhaltungsprogramme und nicht zuletzte Sendungen aus, die der Beeinflussung der Soldaten im Sinne der NS-Ideologie und der Stärkung ihres Kampfeswillens dienen sollten.647
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Propagandaorganisation der OT, ein Propagandastab des Gauleiters Sauckel, Propagandareferat beim R.Uk-Stab des Generals Leiers, die Propagandaabteilung Italien unter Hauptmann Ganz und in den Gebieten des obersten Kommissars Rainer und Hofer die Aussenstellen unserer Propagandaämter Tirol und Kärnten“. Staatssekretär Gutterer, AA, an versch. Abteilungsleiter AA v. 13.03.1944, BArch R55/1367. Ribbentrop habe angewiesen, so Gutterer, diesem Zustand ein Ende zu bereiten und geeignete Personen zur Bereinigung der Situation zu benennen. In einem Telegramm an das AA schlug Rahn im Februar 1944 vor, BF als Stoprop in Italien zu belassen. Telegramm Rahn, Dienststelle Rahn (Fasano), an Hilger, Abt. Pers. AA, v. 16.02.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Möller (2003), S. 14. Eckhardt (1975), S. 94f. u. Möller (2003), S. 9 u. 111. Zum Sender EIAR und dem damit in Zusammenhang stehenden in Fino Mornasco siehe auch Quartermaine (2000), S. 63f. „Der Rundfunk bewies seinen Wert als Nachrichteninstrument, als propagandistische Waffe“, schrieb Hans Hinkel schon 1941. Siehe Hinkel, Hans: „Der Einsatz unserer Kunst im Krieg“, BArch R56-I/104, Bl. 67-71. Möller (2003), S. 157 u. Theil (1983), S. 311f. Im Bestand BArch R 50-I/157 existieren noch Unterlagen zu Baumaßnahmen für das Funkhaus im Schloss. Vom Sender aus wurden auch das live-Programm ‚Jerry’s front calling‘ mit einer amerikanischen Sängerin ‚Sally‘ (Mildred Gillars, 1902-1988, auch ‚Axis Sally‘) an die US-Truppen ausgestrahlt. Siehe Lucas (2010), S. 144: „The live show sent out the sounds of merriment, laughter and clinking glasses across the ether to the advancing American forces“. Ebd, S. 15. „Die Kampfpropagandisten versuchten, die Moral der aus Soldaten vieler Nationen gebildeten Streitkräfte der Antihitlerkoalition zu paralysieren. Dazu spielten sie reale Spannungen zwischen den Alliierten hoch, schürten die Angst, noch kurz vor Kriegsende zu fallen, suggerierten den Soldaten eine ungewisse politische und wirtschaftliche Zukunft nach dem Sieg, animierten sie selbst jetzt noch zum Überlaufen“.
6.5 Afrika und Italien
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Gemeinsam mit seinem Untergebenen, Oberleutnant Edmund Theil, wechselte sich Bossi zwei- bis dreiwöchentlich bei Überprüfungfahrten von Recoaro zum Sender in Fino Mornasco ab.648 Theil erinnerte sich Anfang der 1980er Jahre, dass Bossi bereits im Oktober 1943 aus Berlin nach Italien versetzt wurde, um Stoprop zu werden. Oberst Kratzer von der Abteilung OKW/WPr habe ihm die Nachricht am Telefon übermittelt. Daraufhin habe Theil nach eigenen Angaben erwidert: ‚Ich halte diese Lösung, Herrn Rittmeister Graf Bossi Fedrigotti nach hier abzukommandieren, nicht für eine gute Lösung‘. [Kratzer:] ‚Warum nicht?‘ ‚Wir sind hier trotz ziemlicher Unabhängigkeit auf die Zusammenarbeit mit den Italienern angewiesen. Rittmeister Graf Bossi Fedrigotti bringt die Voraussetzungen für eine solche Zusammenarbeit nicht mit.‘ ‚Wieso nicht?‘ ‚Er ist persona ingrata bei den Italienern.‘649
Auf nochmalige Nachfrage Kratzers berichtete Theil von Bossis Flucht aus Italien. Daraufhin habe er ein Knacken in der Leitung gehört und der Erwähnte sei selbst am Telefon gewesen. Man könne sich darüber vor Ort unterhalten, habe er entgegnet und sei kurz darauf auch in Rom eingetroffen. Diese Begebenheit würde bedeuten, dass Bossi sich im Oktober 1943 in Berlin aufhielt und kurz darauf schon (möglicherweise inoffizieller Stoprop-) Vorgesetzter Theils wurde. Das könnte im Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz und dem zweiten Lazarettaufenthalt stehen, lässt sich aber mangels weiterer Belege nicht weiter aufschlüsseln. Die Zusammenarbeit zwischen Theil und Bossi habe gut funktioniert; der habe die italienische Mentalität gut gekannt. Je näher das Kriegsende rückte, desto häufiger sollen sich die „multinationalen Akteure des deutschen Kampfpropaganda mit ihren Dienstherren zuweilen zum Tanz“650, darunter auch Bälle, im Schloss Fino eingefunden haben. Angesichts dieses Kreises ist nicht ausgeschlossen, dass auch Bossi an 648
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Theil (1983), S. 311. Theil war offenbar Offizier für Presse und Rundfunk unterhalb des Stoprop. Siehe Oberbefehlshaber Südwest: „Offiziersstellenbesetzung des O.B. Südwest nach dem Stande vom 5.5.45“ v. 07.05.1945, BArch RH 19-X/70, Bl. 2-6. Er erwähnt in seinen Erinnerungen auch, dass er schon in Tunis (als Kriegstagebuchführer der Heeresgruppe Afrika) Rudolf Rahn kennenlernte. Dort habe auch Konsul Möllhausen gearbeitet, den Rahn noch am 7. Mai zur Ausreise aus Tunis veranlasst habe. Es scheint, dass diese vier (inkl. BF) auch in Italien in benachbarten Dienststellen arbeiten konnten. Theil (1983), S. 168ff. Ebd., S. 206. Schreiber (1999), S. 151 u. Lucas (2010), S. 144.
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den Gesellschaften teilnahm. Derart in die Vorgänge in Italien eingebunden, dürfte er darüber informiert gewesen sein, dass sein Bruggler-Film mithilfe mobiler Kino-Wagen seit Mitte 1944 im ‚Alpenvorland‘ gezeigt wurde. Sofern keine zivilen zur Verfügung standen, versorgten die Soldatensender (neben Aktivpropaganda im Allgemeinen) auch die Bevölkerung. Zunächst sollten die Zivilprogramme die Menschen überzeugen, tendierten jedoch mit dem Kriegsverlauf immer weiter zum ‚Zersetzen‘.651 Immer intensiver hielt NS-Propaganda Einzug in vorgebliche Unterhaltung. Im Oktober 1944 wurde Stoprop Bossi der mobile „Sender Y“ unterstellt, im Dezember der „Kampfsender Viktoria“. Die angloamerikanische Redaktion sollte in eine englische und eine amerikanische geteilt werden, außerdem existierten eine brasilianische, eine arabische und eine französische Redaktion. Im Februar 1945 wurde auch eine indische Redaktion erwähnt […].
Hinzu kam der „‚Sender ‚Wanda‘“ mit Programm für die Soldaten der polnischen Armee des Generals Władysław Anders und eines der vichy-französischen Regierung unter dem Namen ‚France libre‘. Es scheint, dass diese Sender ab März 1944 im Rahmen des „Kampfpropagandaunternehmen[s] Südstern“652 eingesetzt wurden. Die in Leningrad bereits erfolgreiche Propagandaarbeit der SS-Kriegsberichterstandarte ‚Kurt Eggers‘ (mit ihrem Kommandeur Gunter d’Alquen) führte dazu, dass die Einheit auch den Auftrag erhielt, bei der Heeresgruppe C des Oberbefehlshabers Südwest in Italien aggressive Kampfpropaganda unter dem Begriff ‚Unternehmen Südstern‘ zu initiieren. Mithilfe von Kampfsendern und massivem technischen Aufgebot sollte „Zersetzungspropaganda“653 gegen die polnischen Anders651 652
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Moll (2001), S. 130. Entnahmen aus: Möller (2003), S. 157 u. 171. Allerdings klappte die Kommunikation zwischen OKW/WPr und der Außenstelle in Italien nicht immer reibungslos. Noch 1944 fehlten offenbar für die „Durchführung wehrgeistiger Rundfunksendungen“ Dokumente des OKW. Vossler (2005), S. 164. Siehe auch Theil (1983), S. 205, Tolsdorff (2014), S. 172ff., Schreiber (1999), S. 135 u. Buchbender/Mroisk (1985), S. 198ff. Weiteren Aufschluss könnten noch Akten im DRA ergeben, die Günter Heysing hinterließ, um Details zur deutsche Rundfunkpropaganda zu klären, die aber nicht mehr eingesehen werden konnten. Siehe hier Bestand A39-02. E-Mail Karin Langer, DRA, an CP v. 01.11.2018. Buchbender (1974), S. 17 u. Schreiber (1999), S. 126f. u. 151: Die „Wanda“-Propaganda wurde ebenfalls von Fino Mornasco aus ausgestrahlt. Siehe auch Buchbender/Mroisk (1985), S. 194ff.: Den polnischen Soldaten wurde offen angeboten, sofort in ihre Heimat zurückkehren zu können. Sie erfuhren offenbar zum Teil erstmals von der Billigung der ‚CurzonLinie‘ durch Churchill. Selbst die Kommandeure dieser Einheiten mussten feststellen, dass es der deutschen Propaganda schon allein durch die Meldung korrekter Tatsachen
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Truppen im Bereich der 10. Armee durchgeführt werden. Später folgten dort dann auch Einsätze gegen amerikanische Verbände. Zu Kriegsende blieben nach Sabotage, Zerstörungen und Ausfällen allerdings nur noch wenige fahrbare Sender in Betrieb.654 Ende Januar erhielt die Propaganda in Italien Unterstützung durch Leutnant der Reserve Henri Nannen, später als Herausgeber und Chefredakteur des Sterns einer der erfolgreichsten bundesdeutschen Publizisten, der als Zugführer eines Aktivpropagandazuges und als Propaganda-Verbindungsoffizier zum AOK 10 versetzt wurde. Nannens Einheit wurde später der SS-Standarte Kurt Eggers angegliedert. Er hatte mehrmals Kontakt zu Edmund Theil und wird höchstwahrscheinlich auch Bossi-Fedrigotti kennengelernt haben.655 Noch bevor das AA erfuhr, dass Bossi seiner Kommandierung nicht nachkommen würde, zeigte sich bereits, dass er und Rahn sich in Italien keineswegs aus den Augen verloren hatten. Rahn bat das AA, Bossi, „falls irgend möglich, auf seinem derzeitigen Posten in Rom zu belassen“, da er dort in geschickter und tatkräftiger Weise seine Propaganda-Aufgaben gelöst, mit meiner Dienststelle sehr gut zusammengearbeitet und auch die italienischen Propagandabeauftragten gut zu beeinflussen verstanden hat.656
Hieraus scheint sich auch zu erklären, weshalb Bossi, trotz der Kommandierung, als Stoprop zum OB Südwest wechselte: Er kannte sich mit Land und Leuten aus, sprach die Landessprache fließend und besaß große Erfahrung in der
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gelang, wunde Punkte des polnischen Selbstverständnisses zu treffen (u. a. Ostgrenze mit der Sowjetunion). Möller (2003), S. 16. Siehe auch Moellhausen (1949), S. 270. Schreiber (1999), S. 131ff. Henri Nannen (1913-1996), Gründer u. langjähriger Chefredakteur des Stern, hatte nach einer Buchhändlerlehre bis 1938 Kunstgeschichte in München studiert. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Reichssender München, in Kunstzeitschriften und beim Eher-Verlag. Den Zweiten Weltkrieg erlebte als Kriegsberichterstatter der Luftwaffe in der Sowjetunion und in Italien, dort im „unter der Leitung der Waffen-SS stehenden Frontpropaganda-Unternehmen ‚Südstern‘“, zuletzt als Leutnant und Propagandaoffizier beim AOK 10. Weiß (2016), S. 252ff. 1947 erhielt Nannen die Lizenz für eine Illustrierte, den Stern, der in den darauffolgenden Jahrzehnten zu einem der erfolgreichsten bundesdeutschen Blätter wurde, aber auch in der Kritik stand, ernste Themen mit Klatsch- und Unterhaltungsmaterial à la Propagandakompanie zu mischen. Aus dem Logo des ‚Südstern‘ soll das spätere Stern-Logo entstanden sein. 1979 schrieb der ehemalige Kriegsberichterstatter selbstkritisch, „wer Soldat im Osten war, dem konnten die Judenerschießungen, die Massengräber und beim Rückzug die ausgebuddelten und verbrannten Leichenberge nicht verborgen bleiben“. Er habe ‚es‘ gewusst, doch sei zu feige gewesen, einzugreifen. Fischer (2016), S. 11. Telegramm Rahn, Dienststelle Rahn (Fasano) an Botschaftsrat Hilger, Abt. Pers. AA, v. 16.02.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti.
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Propagandaarbeit. Aber er blieb dort offenbar auch, weil er weiter mit Rahn zusammenarbeiten konnte – und weil der angesichts seiner Machtfülle loyale Mittelsmänner in den mit ihm vernetzten Bereichen brauchte. In Italien gelang es den immer selbstbewusster agierenden Partisanen, den deutschen Besatzern empfindliche Schläge zu versetzen.657 Allzu oft folgten brutale Vergeltungsmaßnahmen. So auch Ende März 1944. Bei einem Bombenanschlag auf eine aus Südtirolern zusammengesetzte deutsche Polizeieinheit aus Bozen, die jeden Tag denselben Weg durch die römische Via Rasella nahm, starben 33 Männer.658 Bossi, der sich offenbar mit seinem Fahrer in diesem Moment an der 200 Meter entfernten Piazza Barberini auf dem Weg zum Deutschen Soldatensender in Rom befand, habe die Detonation gehört und „ließ sofort wenden“. Er sei „wohl einer der ersten“659 am Ort des Geschehens gewesen. In einem Augenzeugenbericht beschrieb er Jahrzehnte später die Situation unmittelbar nach dem Attentat: Erst als der Rauch abtrieb, war zu erkennen, welch entsetzliches Blutbad durch das Attentat angerichtet worden war. Die Körper von mehr als zwanzig Südtiroler Polizeisoldaten lagen bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt auf dem Boden umher. Zwischen abgerissenen Köpfen, Armen und Beinen traf der Blick auf Kindertorsos, […] Helme waren durcheinander gekollert, Karabiner, Uniformfetzen zwischen Stiefeln, in denen noch Beine bis zu den Knien stacken [sic!], gräßlich verzerrte Gesichter und alles übersudelt mit Blut.660
Bossi habe die, wie er betonte, „völlig schuldlosen Südtiroler Polizeisoldaten“ offenbar gekannt, einige stammten aus dem Pustertal. Die in der Nähe befindlichen faschistischen Milizen hätten sofort begonnen, wild um sich und in die umliegenden Häuser zu schießen. Kein deutscher Soldat, so Bossi,
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Lingen (2004), S. 61ff. u. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 211. Erst Mitte April 1944 wurden dieses und andere Polizeiregimenter (im Rahmen einer Neugliederung der Polizei) formal zu SS-Einheiten. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Augenzeugenbericht aus der Via Rasella“. In: Dolomiten v. 23.04.1974, S. 11. Allerdings erwähnte BFs Untergebener Edmund Theil, der sich ebenfalls auf den Weg zum Tatort gemacht haben und dort ca. 20-30 Minuten später angekommen sein will, seinen Vorgesetzten nicht. Siehe Theil (1983), S. 241f. In einem Brief an Johannes Schauff schrieb BF 1975: „Wie Sie ja wissen, gehöre ich zu den wenigen Augenzeugen, die unmittelbar nach diesem scheußlichen Attentat an die Stelle des Verbrechens kamen“. BF an Johannes Schauff v. 28.05.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 190. Bossi-Fedrigotti: „Der Anschlag in der Via Rasella – Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen“. In: Dolomiten v. 21.03.1964, S. 9.
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„auch kein SS bzw. SD-Angehöriger“661, sei ringsum zu sehen gewesen. Dem Historiker Steffen Prauser nach zu urteilen erschienen allerdings innerhalb kurzer Zeit „alle deutschen Entscheidungsträger am Tatort“662, darunter zunächst Herbert Kappler, SS-Obersturmbannführer und SD-Chef in Rom, und einige SD-Männer, wenig später auch General Mälzer (Stadtkommandant Rom) und Generalkonsul Möllhausen von der Deutschen Botschaft. Um die „zerfetzten Leichname“ habe sich offenbar erst einmal niemand gekümmert. Schnell hätten die Veranwortungsträger, ihnen voran Kappler, die Drahtzieher des Attentats ausfindig machen wollen. „Als sofortige Maßnahme“, so Bossi, „erhielt der Propagandatrupp den Befehl, im Rundfunk [Radio Rom] alle halbe Stunden einen Aufruf an die Bevölkerung durchzugeben“, um die Römer aufzufordern, die Ermittlungen zu unterstützen. Vor allem aber seien die Attentäter aufgefordert worden, sich zu stellen, um „sonst unabwendbare Vergeltungsmaßnahmen“663 zu vermeiden. Allerdings, so der Historiker Joachim Staron, handele sich bei der Behauptung, dass es eine solche Radiobekanntgabe gab, allen Erkenntnissen nach um eine Falschmeldung, die „immer wieder durch die Literatur“ geistere. Es habe sie „mit Sicherheit nicht“664 gegeben, so hätten auch Kesselring und Kappler später ausgesagt. Als Vergeltungsmaßnahme sollten für jeden Getöteten zehn Häftlinge bzw. Verurteilte erschossen werden. Die Ausgewählten, so brachte Bossi es in seinem Artikel rechtfertigend vor, waren teilweise für andere Verbrechen bereits bestraft und in das Gestapo-Gefängnis gebracht worden. Kappler und Möllhausen hätten, anders als das Militär, vorgeschlagen, eine milde Reaktion als Propagandamaßnahme zu zeigen. Außerdem habe es nicht genügend 661
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Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Der Anschlag in der Via Rasella – Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen“. In: Dolomiten v. 21.03.1964, S. 9. Siehe auch Prauser (2002), S. 280: „Je nach Intention des Autors werden die Südtiroler zu brutalen SS-Schergen oder zu harmlosen Schutzpolizisten deklariert, deren Aufgaben einzig und allein darin bestanden habe, den Verkehr zu regeln“. Prauser (2002), S. 286. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Der Anschlag in der Via Rasella – Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen“. In: Dolomiten v. 21.03.1964, S. 9. Entnahmen aus: Staron (2002), S. 46f. Sowohl Kappler als auch sein Untergebener Domizlaff hätten von einer Ankündigung der Repressalie bei Radio Roma berichtet, wie auch BF und ebenso Theil (1983), S. 248. Staron schrieb, es handele sich dabei tendenziell um eine Schutzbehauptung. Es habe sich kein Zeuge entsprechend geäußert und auch die Bevölkerung habe nichts mitbekommen. Wahrscheinlich wurde BF in späteren Prozessen nicht als Zeuge gehört. Möglicherweise hätte er als Stoprop und anscheinend einer der ersten am Tatort Details ergänzen können. In den 1980er Jahren plante BF offenbar noch, ein Buch unter dem Titel Via Rasella herauszugeben, folgt man dem Hinweis in Moser (1986), S. 222. Weitere Belege ließen sich nicht ermitteln.
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„Todeswürdige“665 gegeben. Zunächst sollte die betroffene Bozner Polizeikompanie die Erschießungen übernehmen, doch der Kommandeur lehnte ab. In Anbetracht der Frömmigkeit und des höheren Alters der Männer wurde auf ihren Einsatz verzichtet.666 Am 24. März 1944 schließlich erschoss das Sipo- und SD-Außenkommando Rom unter Führung Kapplers in den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms (Fosse Ardeatine) 335 Menschen.667 Nur diejenigen, die erschossen wurden, obwohl die Quote (1:10) bereits erfüllt war, seien „ohne Zweifel meuchlings umgebracht“ worden, so Bossi, der damit Kappler offen als Mörder betitelt.668 „Nicht anders jedoch wie Soldaten, die den Geschossen ihren Blicken verborgener Partisanen zum Opfer gefallen waren“ – Unrecht rechtfertigt in seiner Retrospektive Unrecht. Allen Toten, den Geiseln und den Soldaten, sei Ehrfurcht entgegenzubringen. Sie hätten einen gemeinsamen „Opfergang“669 beschritten. Dass es die deutschen Truppen waren, die Italien gewaltsam besetzt hatten, schrieb der Autor nicht. Nach der Exekutierung erhielt Bossi offenbar vom Ic des AOK 14 den Text, der in der Presse zu den Ereignissen bekanntgegeben werden sollte.670 Die Südtiroler Ordnungspolizisten waren Teil der deutschen Truppen und wahrscheinlich im Zuge des Wehrdienstes zwangsweise einberufen worden, unabhängig davon, ob sie für Deutschland oder Italien optiert hatten – ein völkerrechtswidriges Vorgehen, wie es auch im Elsass oder in Luxemburg angewandt wurde. „Wer sich weigerte“, so der Historiker Lutz Klinkhammer, 665
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Bossi-Fedrigotti: „Der Anschlag in der Via Rasella – Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen“. In: Dolomiten v. 21.03.1964, S. 10. Auch Kappler wies in seinem späteren Prozess darauf hin, dass es sich bei den Ausgewählten um ‚Todeswürdige‘ gehandelt habe, wobei er auch Juden einschloss. Siehe E-Mail Lutz Klinkhammer, DHI Rom, an CP v. 16.07.2019. Steininger (2017), S. 111 u. Casagrande (2015), S. 80. Prauser (2002), S. 270ff. Verschiedentlich tauchen andere Gefallenenzahlen auf. Prauser recherchierte dazu in den Akten der Einheit, die bei der Deutschen Dienststelle in Berlin verwahrt werden. Allerdings waren ihm die Zeitungsartikel des (möglichen) Augenzeugen BF zum Attentat und den Folgen offenbar nicht bekannt. Nicht nur die SS, sondern auch die Wehrmacht war in höchstem Maße an Kriegsverbrechen in Italien beteiligt. Gentile (2012), S. 371ff. Die Argumentation, die Exekutionen in einen legitimen und illegitimen Part aufzuteilen, „entspricht einem häufig auftauchenden Muster“, so der Historiker Lutz Klinkhammer. Dass BF Kappler so explizit zum Mörder abstempele, entspräche eher aber weniger den üblichen Vorgehensweisen der ‚Kriegsverbrecherlobby‘ nach 1945, die sich für Kapplers Begnadigung oder für eine Haftverkürzung einsetzte. Siehe E-Mail Lutz Klinkhammer, DHI Rom, an CP v. 16.07.2019. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Der Anschlag in der Via Rasella – Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen“. In: Dolomiten v. 21.03.1964, S. 9. Aschenauer (1969), S. 10.
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„kam oft vor das Sondergericht Bozen“671. Den Einberufungsbefehl zu ignorieren, galt als politischer Widerstand.672 Doch viele Südtiroler hatten nicht zuletzt über viele Jahre hinweg die Italiener sofort gegen die Deutschen tauschen, sich dem deutschen Beschützer annähern und dabei gleichzeitig den ungeliebten Unterdrücker loswerden wollen. Nun waren sie de facto Teil des ‚Großdeutschen Reiches‘ geworden – und mussten Vor- sowie Nachteile (er)tragen – wobei die Motivation für den ‚Anschluss‘ an Deutschland zu stimmen mit dem Kriegsverlauf (und auch der Option) abgenommen haben dürfte.673 Gleichwohl: „Das Attentat und die Repressalie“, die Bossi miterlebte und über deren Verlauf er gut informiert gewesen sein dürfte, „waren eine Folge der deutschen Besatzungsherrschaft“674. Im Juni 1944 versuchte das AA in Berlin nochmals, diesmal auf Weisung des Staatssekretärs, Bossi „sofort zur Dienstleistung“675 einzuberufen. Doch aus dem Stab Ribbentrops wurde sogleich dementiert. Laut General von Wedel, Chef der OKW-WPr-Abteilung, war „nicht damit zu rechnen“, dass Bossi in „absehbarer Zeit wieder zum Einsatz als VAA bei OKW/W.Pr.“ zur Verfügung stünde. Als Stoprop bei Kesselring würde er „sowohl wegen seiner Landes- und Sprachkenntnisse wie wegen seiner Gewandtheit und Arbeitsfreudigkeit bis auf weiteres dringend benötigt“676.
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E-Mail Lutz Klinkhammer, DHI Rom, an CP v. 16.07.2019. Siehe dazu Steurer (2000), S. 51, u. Lingen (2015), S. 81ff.: Die nach September 1943 eingerichteten Sondergerichte umgingen im Grunde die italienische Justiz, die offiziell weiter die Oberhand behalten sollte, doch tatsächlich unterwandert wurde. Willkürliche Verhaftungen durch die Gestapo und Deportationen waren die Folge. Das Sondergericht Bozen als „Werkzeug der Besatzungsmacht“ besaß eine besondere Machtfülle, zumal hier auch nicht auf ‚reichsdeutschem‘ Gebiet verhandelt wurde – wenn das überhaupt geschah. Ein Grund, hier verurteilt zu werden, konnte beispielsweise „Wehrdienstentziehung“ bzw. „Nichtbefolung des Einberufungsbefehls“ sein, einer der Schwerpunkte in Bozen, so die Historikerin Kerstin von Lingen. Lingen (2015), S. 86. Wedekind (2003), S. 137f. Zur Wehrpflicht siehe S. 209ff. Entnahmen aus: Prauser (2002), S. 273. Siehe zur Kollaboration der Südtiroler auch Wedekind (2003), S. 129ff. Mitteilung Schröder, Leiter Abt. Pers. AA, an VLR Freiherr Marschall von Bieberstein v. 22.06.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Siehe auch Schröder, Leiter Abt. Pers. AA, an BF, LGP München 2, Soldatensender, v. 24.06.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Die hier angegebene Feldpostnummer 53300 verweist auf die Führungsabteilung beim OB Südwest. Entnahmen aus: VLR von Schmieden, Stab RAM, an AA, Abt. Pers., v. 23.06.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti.
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Doch die Zuständigen in Berlin drängten darauf, die weiter schwebende Kommandierung „mit allem Nachdruck bei den zuständigen Wehrmachtsdienststellen“677 umzusetzen. Dem Amt war weiter unklar, „auf Grund welcher militärischen Verfügung diese Versetzung“678 als Stoprop zum Oberbefehlshaber Südwest erfolgt war – aus den Akten war sie nicht ersichtlich. Bossi war sich offensichtlich nicht im Klaren darüber, welch intensiver Schriftverkehr über seinen gültigen Dienstposten geführt wurde. Als er von der neuerlichen Weisung aus Berlin erfuhr, gab er zu verstehen, er könne als Soldat und Vorgesetzter der Propaganda-Einheiten innerhalb des Bereiches des Oberbefehlshaber Südwest Weisung bezw. Befehle über Antritt einer neuen Dienststellung nur über meine vorgesetzte militärische Dienststelle erhalten […].679
Nun erst lenkte das Amt ein: Der zuständige Mitarbeiter in der Personalabteilung fasste nach Bossis Brief noch einmal alle Informationen zusammen und empfahl, diesen auf seinem Posten als Stoprop zu belassen. Er sei „unersetzbar und arbeite […] ganz im Sinne des Auswärtigen Amts und des Botschafters Rahn“. Seine Versetzung würde „größte Schwierigkeiten mit General von Wedel ergeben“680. Während sich AA und Wehrmacht über Bossis Einsatz stritten, befasste sich der Kufsteiner Stadtrat Ende Juni 1944 mit einem Anliegen, das die fünf anwesenden Herren laut Ratsprotokoll nur ungern berieten, nämlich den „Verkauf des Marchanwesens“ am Thierberg. Gauleiter Hofer habe über den Landrat erklären lassen, er wünsche, dass der Hof und die anliegenden Ländereien bis zum 3. Juli für 35.000 RM an Bossi-Fedrigotti zu verkaufen seien. In einer längeren Aussprache äußern die Ratsherrn [sic!] über den Verkauf der Liegenschaft verschiedene Bedenken, die sich in der Hauptsache dagegen richten, daß ein derartiger Verkauf im 5. Kriegsjahr durchgeführt wird.681
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VLR Freiherr Marschall von Bieberstein an VAA beim OKW/WPr. v. 03.07.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Konzept v. Bergmann, Abt. Pers. AA, über Leiter Pers. an Staatssekretär AA v. 20.07.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. BF an MD Schröder, Leiter Abt. Pers. AA, v. 08.07.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Entnahmen aus: Konzept v. Bergmann, Abt. Pers. AA, über Leiter Pers. an Staatssekretär AA v. 20.07.1944, PA AA, Personalakten, Nr. 001564, Rittm. Graf Bossi-Fedrigotti. Entnahmen aus: Niederschrift der Ratssitzung vom 30.06.1944. Stadtarchiv Kufstein, Gemeinderatsprotokolle 1941-1945, RA 76. Siehe auch Biasi (1992), S. 244.
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Schließlich habe der Vertreter des Bürgermeisters beschlossen, gemäß der Anweisung Hofers zu handeln. Der erhaltene Vertrag gibt Auskunft über den Umfang des Anwesens, insgesamt mehr als 18 Hektar: Haus, Nebengebäude und Hofraum, dazu eine Mühle, ein Garten, Weiden und eine hofeigene Kapelle, außerdem 9,7 ha Wald, 4,8 ha Wiesen und 3,8 ha Acker. Der Preis sei infolge einer von der „Deutschen Ansiedlungsgesellschaft […] vorgenommenen Schätzung“682 angesetzt worden. Dabei handelte es sich um eine 1898 gegründete, gemeinnützige Organisation, die landwirtschaftliche Betriebe treuhänderisch kaufte und verwaltete. 1939 wurde sie Himmler in seiner Funktion als ‚Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums‘ unterstellt; der Einfluss der SS stieg kontinuierlich. Während des Krieges kümmerte sie sich – auch von ihrer Innsbrucker Zweigstelle aus – zusätzlich um Liegenschaften in annektierten Gebieten, wie um die „Umsiedlungen Volksdeutscher“683, damit auch der Südtiroler. Ihr Grundbesitz sei „durch rassischen, politischen und ähnlichen Vermögensentzug“684 entstanden; es handelte sich also um ein Art ‚Arisierungsbetrieb‘. Der Verkauf infolge einer Anweisung Hofers, die Verfahrenskritik durch die Kufsteiner Ratsherren, die Preisfestsetzung durch eine SSArisierungsverwaltung aus dem Innsbrucker NS-Kosmos und der Zeitpunkt, wenige Monate vor Kriegsende, lassen die Vermutung zu, dass es sich beim Kaufpreis von 35.000 RM um eine stark vergünstigte Abgabe an ein verdientes Parteimitglied handelte. Die Kufsteiner Stadtarchivarin Erika Ausserdorfer schrieb, sie könne die Preisentwicklung nicht vollumfänglich einschätzen, doch aus ihrer Sicht könne der Kauf durchaus als „‚Schnäppchen‘“ bezeichnet werden: Das Gut – alleinstehend auf einem Hügel, umgeben von Wiesen, Wäldern und Waldtieren, mit einem von Bäumen gesäumten Zufahrtsweg, der vorbei an der Hauskapelle direkt auf das Gut führt – lässt auch heute noch von wahrer Idylle sprechen. Ein Kleinod mit herrlichem Blick auf das mächtige Kaisergebirge und den nahen Thierberg – fußläufig lassen sich die umliegenden Seen wie Hechtsee, Egelsee, Längsee und Pfrillsee erreichen.685 682 683 684 685
Kaufvertrag Gut March v. 01.07.1944. Stadtarchiv Kufstein, Gemeinderatsprotokolle 19411945, RA 76. Weitere Hinweise zur Deutschen Ansiedlungsgesellschaft konnten nicht ermittelt werden. Siehe Bestandsgeschichte BArch, R 8116 „Deutsche Ansiedlungsgesellschaft“. OnlineFindbuch des BArch. https://invenio.bundesarchiv.de/basys2-invenio/main.xhtml;jsessi onid=D9frr9Sn1HwW+XFL-RkRTj9M [Zugriff: 10.03.2019]. Hoffmann (2007), S. 45. Entnahmen aus: E-Mail Erika Ausserdorfer, Stadtarchiv Kufstein, an CP v. 20.02.2019. Ausserdorfer hielt außerdem Rücksprache mit Dr. Andreas Exenberger vom Institut für
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Sein eigenes Gut, den ‚Lachhof‘, hatte Hofer (offenbar unrechtmäßig) „aus dem Besitz des italienischen Grafen Sforza“686 übernommen. Im Juli 1946 beauftragte die Stadt schließlich einen Rechtsanwalt mit der Rückabwicklung des Verkaufs an Bossi. Der Anwalt erhielt den Kaufvertrag von der Gesellschaft zurück und veranlasste die Rückzahlung, allerdings an Gräfin Bossi-Fedrigotti.687 Im Rahmen der Truppenbetreuung kümmerte sich Bossi auch um die Anwerbung und den Einsatz von Theatergruppen. Im September 1944 fragte er beim OKW an, ob die KdF-Spielgruppe ‚Michael‘ in Italien bleiben und die Damen (als Stabshelferinnen) die Propaganda sowie den Soldatensender Italien unterstützten könnten. Nach Weisung von Goebbels waren alle derartigen Institutionen ins Reich zurückzubeordern, um den Beteiligten kriegswichtige Aufgaben zuzuweisen.688 Rudolf Balzer, Verbindungsoffizier des OKW/WPr zum RMVP, leitete das Schreiben an Hinkel mit der Bitte um Stellungnahme weiter.689 Das OKW meldete sich kurz darauf bei Bossi: Dem Vorschlag könne „unter keinen Umständen“ entsprochen werden. Der
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Wirtschaftstheorie an der Universität Innsbruck, der für das in Planung befindliche, neue Kufsteiner Stadtbuch das Kapitel über Wirtschafts- und Sozialgeschichte beitragen wird. Siehe E-Mail Erika Ausserdorfer, Stadtarchiv Kufstein, an CP v. 28.02.2019. Exenberger hielt fest, dass die exakte Umrechung Schwierigkeiten bereitet, da es sich bei Geld dieser Jahre um eine „rein rechnerische Größe“ ohne ökonomische Aussagefunktion für den Zeitraum handelt. Man könne zwar eine Reichsmark von Kriegsende (eine RM wurde zu einem Schilling gewechselt) auf 4,31 Euro umrechnen, doch das sei im Grunde „ökonomischer Nonsens“. Erst ein Schilling von 1953 könne heute mit 0,62 Euro verglichen werden. Das würde für den Kauf des Marchgutes nach Wechselmaßstäben von 1945 heute etwa 150.000 Euro bedeuten, mit ökonomisch sinnvolleren Werten von 1953 gerechnet sogar nur 21.700 Euro. So oder so scheint der Preis, gemessen an 18 ha Grund in bester Lage, wesentlich zu niedrig bemessen worden zu sein. Albrich (2006), S. 51. Die Kufsteiner Historikerin Dr. Gisela Hormayr setzte sich mit dem Stadtarchiv Kufstein in Verbindung und fand heraus, dass sich das Gut March bereits vor 1939 in der Hand der Stadt befand und verpachtet wurde. Siehe E-Mail Gisela Hormayr an CP v. 30.10. u. 01.11.2018 u. Zusammenstellung des Archives der Stadt Kufstein zum Gut March, Abteilung IX Forst- und Güterverwaltung, Zl. 861/3, Gut March, Akten 1939 bis 19.12.1950. Das Archiv notierte in diesem Dokument, dass keine weiteren Hinweise (wohl neben dem Kaufvertrag) zum ursprünglichen Kauf zu ermitteln waren. Vossler (2005), S. 362. Oberstleutnant Balzer, OKW/WPr., an RMVP, Hinkel, v. 17.10.1944, BArch R 56-I/82. Rudolf Balzer war ab 1943/44 Verbindungsoffizier der Abteilung OKW/WPr. zum RMVP u. zur Dienststelle des AA im Führerhauptquartier. Siehe „Geschäftsverteilungsplan der Amtsgruppe für Wehrmacht-Propaganda und des Chefs der Propagandatruppen im Oberkommando der Wehrmacht“ v. Juni 1944, BArch RW 4/240.
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Stoprop sei dafür verantwortlich, dass die Gruppe sofort nach Deutschland zurückkehre. „Eine Weiterbeschäftigung dieser Künstlerinnen widerspräche den Anordnung des Reichsbeauftragten für den totalen Kriegseinsatz“690, Goebbels, der als einziger über den Einsatz von Künstlern zu entscheiden habe. Bei der KdF und im RMVP sei bereits der Eindruck entstanden, es handele sich um eine bewusste, „unzulässige Umgehung des totalen Kriegseinsatzes“691. Über das weitere Wirken Bossis bis kurz vor Kriegsende ist kaum etwas bekannt. Anfang April 1945 unternahm er, so Edmund Theil, eine Überprüfungsfahrt zum Sender nach Fino Mornasco und wurde auf dem Weg von Partisanen gefangen genommen. Danach übernahm Theil kommissarisch seine Aufgaben.692 Das Oberkommando der Heeresgruppe C warnte seit November 1943 vor ‚Bandenüberfällen‘: Grundsätzlich sollte nur noch in Verbänden gefahren werden, die Schusswaffe stets bereit, einzelne Kurierfahrten durch die Gebiete wurden untersagt.693 Die turnusmäßigen Überprüfungsfahrten führten bei Theil und Bossi möglicherweise dazu, dass sie ihre eigene Sicherung vernachlässigten. Bis zum Kriegsende kehrte der Stoprop nicht mehr zu seiner Einheit zurück.694 Später sollte Bossi behaupten, er sei noch kurz zuvor zur Beförderung zum Major vorgeschlagen worden. Doch dazu ließen sich keine weiteren Hinweise ermitteln.695 Noch am 7. Mai, fünf Tage nach der deutschen Kapitulation in Italien, setzte die Dienststelle des Oberbefehlshabers Südwest eine Offiziersstellenbesetzung mit Gültigkeit vom 5. Mai 1945 auf. Darin finden sich auch Theil (als Offizier für Presse und Rundfunk) und Stoprop Graf Bossi.696
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OKW, WPr., an OB Südwest, StOProp., v. 21.11.1944, BArch R 56-I/82. Stellv. Chef WPr an Balzer v. 04.12.1944, BArch R 56-I/82. Es ist anzunehmen, dass die Spielgruppe daraufhin nach Deutschland zurückkehrte. Theil (1983), S. 311f. Weitere Hinweise zu BFs Wirken in Italien könnten sich in den Akten der SS-Kriegsberichterstandarte ‚Kurt Eggers‘ (BArch RS 4/46), des AOK 14, des AOK 10 und des Nachrichtenführers beim OB Südwest (BArch R 55/20803 u. 20839) befinden. „Verkehr auf bandengefährdeten Straßen“, Anweisung des Oberbefehlshabers Südwest v. 26.11.1943, BArch RH 19-X/11, Bl. 33. Vgl. Theil (1983), S. 312. „Esercito Italiano, Specchio II“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Dies ist die einzige Angabe dieser Art. In den Personalunterlagen des BundesarchivMilitärarchivs in Freiburg ist dazu ebenfalls kein Vorgang vorhanden. E-Mail C. Notzke, Bundesarchiv-Militärarchiv, an CP v. 06.09.2017. Der Oberbefehlshaber Südwest: „Offiziersstellenbesetzung des O.B. Südwest nach dem Stande vom 5.5.45“ v. 07.05.1945, BArch RH 19-X/70, Bl. 2-6.
460
6. Zweiter Weltkrieg
Im Bereich des OB Südwest arbeitete auch Wichard von Alvensleben, der auf dieser Liste nur wenige Einträge vor Bossi rangiert. Alvensleben war Führer der Stabskompanie des OB Südwest und damit Kommandant des Hauptquartiers.697 In dieser Funktion hielt er sich Ende April 1945 bereits länger in den Dolomiten (Hotel ‚Drei Zinnen‘ in Sexten) auf, um die rückzugsbedingte „Verlegung des Hauptquartiers“ von Bozen in den Raum Sexten/Innichen vorzubereiten. Er sei dabei von dem Sonderführer Emil Joseph Lengeling, einem katholischen Priester und Dolmetscher, unterstützt worden, der am 14. August 1944 „‚von Alvensleben in Begleitung eines Südtiroler Offiziers, Graf Fedrigotti, als Ortskundigen, von Recoaro nach Sexten-Moos‘“698 gebracht worden sei, um mit der Unterkunftssuche, die einige Wochen dauern sollte, zu beginnen. Südtirol spielte militärisch ohnehin „als Herz einer von den alliierten Strategen gefürchteten Alpenfestung eine wichtige Rolle“699. Das Hauptquartier war inzwischen am 22. und 23. April 1945 von Recoaro nach Bozen verlegt worden, wo es sich auch am 29. April 1945 noch befand.700 Auf Befehl seines Generalstabschefs Röttiger machte sich Alvensleben in der Nacht von Sexten auf den Weg nach Niederdorf bei Toblach. Dort hielt ein SS-Kommando 139 prominente NS-Geiseln gefangen, die eine wochenlange Odyssee durch verschiedene Länder und Konzentrationslager hinter sich hatten, darunter Kurt von Schuschnigg, Léon Blum, General von Falkenhausen, Generaloberst Halder, Pastor Martin Niemöller, die Familien Goerdeler und Stauffenberg (‚Sippenhaft‘ infolge des 20. Juli 1944).701 Mithilfe einer Wehrmachtskompanie aus Toblach gelang es Alvensleben am 30. April 1945, alle Häftlinge unbeschadet aus der Hand der SS zu befreien. Alvensleben und sein Stab hatten sich für die wenigen letzten Kriegstage offenbar noch ein Ausweichquartier gesucht, nämlich die Herbstenburg der Familie Bossi-Fedrigotti in Toblach. Es ist davon auszugehen, dass diese Wahl aufgrund der Verbindung Bossis und Lengelings zustande kam. Das Quartier 697
698 699 700 701
Wichard von Alvensleben (1902-1982) studierte Land- und Forstwissenschaften in Eberswalde und München und verwaltete anschließend verschiedene Güter. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er eingezogen und war 1945 zuletzt Hauptmann. Er diente an verschiedenen Fronten, zuletzt als Führer der Stabskompanie des OB Südwest. Richardi (2005), S. 213ff. Siehe auch „Zeugenvernehmungsprotokoll v. 19.12.1951: Verhinderung e. Erschießung v. polit. Häftlingen dch. Festnahme d. SS-Begleitmannschaft i. Niederndorf [sic!]“. IfZ München, ZS 1938, https://www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-1938.pdf [Zugriff: 14.10.2018]. Entnahmen aus: Richardi (2005), S. 212, zitiert hier Brief Prof. Dr. Emil Joseph Lengeling an Josef Kiniger (Sexten) v. 25.12.1985. Steinacher (2003), S. 116. Wedekind (2003), S. 113 u. Lun (2004), S. 405. Richardi (2005), S. 202ff. u. Lun (2004), S. 410ff.
6.5 Afrika und Italien
461
wurde schließlich auch noch eingerichtet. Allerdings führten die weiteren Kriegsereignisse und die Kapitulation der deutschen Truppen in Italien am 2. Mai 1945 dazu, dass das Schloss nicht mehr als Dienststelle genutzt wurde.702 Der letzte Oberbefehlshaber Südwest, Generaloberst Heinrich von Vietinghoff gen. Scheel, formulierte fünf Tage nach der Kapitulation über die Stimmung seiner Soldaten, sie hätten den Waffenstillstand „zwar mit einer physischen Müdigkeit, doch mit soldatischer Fassung“ aufgenommen. Man sei schlicht von der „Materialmenge zweier Weltreiche nach einem tapferen Kampfe ehrlich besiegt“703 worden. Der Zweite Weltkrieg hatte dazu geführt, dass Bossi Gelegenheit bekam, ‚sich zu beweisen‘ – doch nur zum Teil: Er diente nicht bei den kämpfenden Fronttruppen, sondern im geregelten Alltag der Stäbe, wenngleich gefährliche Situationen nicht ausblieben. Er kam zwar erst durch NS-Seilschaften in den Genuss des vergleichsweise sicheren VAA-Postens, vergrößerte seinen Aufgabenbereich aber stets, indem er Anweisungen, eigenes Interesse und ein besonderes Geltungsbedürfnis – und vor allem ‚Buch und Schwert‘ – miteinander verknüpfte. Auf seinen Posten nahm er die gegebenen Aufgaben nicht nur an, sondern strebte darüber hinaus. Dabei gerierte er sich offenbar bedenkenlos auch als nationalsozialistischer Weltanschauungskrieger. Seine Berichte dienten als Vorlagen für Hitler, Himmler und Ribbentrop. Er traf unter anderem Goebbels, Gehlen, Rahn, Schörner, Abetz, verschiedene SS-Führer, unzählige Generäle und Generalstäbler – und knüpfte so Verbindungen, von denen er bis weit in die Nachkriegsjahre hinein zehren sollte. Im Krieg sah er Belgien, Luxemburg, Frankreich, Spanien, Jugoslawien, Polen, die Sowjetunion, Tunesien und Italien, von San Sebastián im Westen bis Woronesh im Osten und Tunis im Süden. Für diese Einsätze erhielt er einige Kriegsauszeichnungen, die neben den Beförderungen für Bossi wohl eine große Bedeutung als Motivationsfaktor hatten; sie dienten ja ohnehin zur „Anhebung der Kampfmoral“704. Für die 702
703 704
Lun (2004), S. 405 u. Theil (1983), S. 207. Zur vorgesehenen Nutzung der Herbstenburg siehe auch Wedekind (2003), S. 113, Pfanzelter (2000), S. 348, u. Moellhausen (1949), S. 246f. Siehe auch Schreiber (2008), s. 393: „Im April 1945 kommt es zum Finale des Krieges in Italien. Der höchste SS-Führer in Italien, Karl Wolff, unterhält seit Jahresende 1944 hinter dem Rücken Hitlers Kontakte zu US-amerikanischen Geheimdienststellen in der Schweiz“. Über diese Kreise kam schließlich auch der Waffenstillstand zustande. Entnahmen aus: Der Oberbefehlshaber Südwest: „Bericht über die Stimmung und den Gesundheitszustand der Truppe“ v. 07.05.1945, BArch RH 19-X/70, Bl. 8ff. Empfängerin dieser letzten Dokumente war auch die „Alliierte Verbindungskommission“. Rass (2003), S. 250f.
462
6. Zweiter Weltkrieg
‚Einnahme‘ von Reims wurde ihm zunächst das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen; im November 1941 beantragte das AOK 2, ihm das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse ohne Schwerter, ein Steckkreuz, zu überreichen, ohne dass der VAA zuvor die II. Klasse als Voraussetzung erhalten hatte. Laut ‚Verordnung über die Stiftung des Kriegsverdienstkreuzes‘ war die I. Klasse denjenigen vorbehalten, die sich durch „besondere Verdienste bei Durchführung von sonstigen Kriegsaufgaben, bei denen ein Einsatz unter feindlicher Waffenwirkung nicht vorlag“705, hervorgetan hatten. Mit der I. vor der II. Klasse ausgezeichnet zu werden, kam einer besonderen Ehrung gleich; sie blieb auf „besonders hervorragende Verdienste beschränkt“706. Der Antrag wurde am 20. November genehmigt und das Kreuz am 7. Dezember 1941 überreicht. Laut Verordnung hätte Bossi in diesem Fall die II. Klasse des KVK gleich mitverliehen werden sollen, was in den Unterlagen jedoch nicht nachgewiesen ist. Im November 1942 erhielt er „auf Vorschlag des Präsidenten des Reichsschrifttumskammer“707 das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ohne Schwerter. Anfang 1943 meldete Bossi aus dem Lazarett Peterhof die Verleihung des „kroatischen Kriegssterns von der Krone König Zvonimirs III. Stufe mit den Schwertern“708 für seine VAA-Tätigkeit in Jugoslawien. Erst im April 1943 wurde ihm eine direkte Feindberührung attestiert und die II. Klasse des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern „nachverliehen“709. Nach 1945 gab er zu seinen zahlreichen Auszeichnungen schlicht an: „diverse decorazioni germaniche a rator e merito militare“710 (diverse deutsche Tapferkeits- und Verdienstorden).
705 706 707 708 709 710
Reichsgesetzblatt I 1939 Nr. 209 v. 24.10.1939, ‚Verordnung über die Stiftung des Kriegsverdienstkreuzes‘. Ebd., ‚Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Stiftung des Kriegsverdienstkreuzes.‘ BF an AA, Inf. Abt., v. 13.09.1942, PA AA, R 60706. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 03.02.1943, PA AA, R 60706. Siehe auch Karteikarte Graf Bossi-Fedrigotti, ‚Verliehene Orden‘, BArch RW 59. Karteikarte 1539, Ordensverleihung Graf Bossi-Fedrigotti. Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. „Esercito Italiano, Specchio IV“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901.
Kapitel 7
Nach 1945 7.1
Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit
Viktor Klemperer schrieb am 11. Mai 1945: „Das 3. Reich ist schon so gut wie vergessen, jeder ist sein Feind gewesen, ‚immer‘ gewesen“1. Die politischen Realitäten hatten sich mancherorts über Nacht gewandelt, viele Belastete versuchten sich ihrer NS-Geschichte zu entledigen. Der insbesondere von den Funktionseliten mitgetragene Staat war „militärisch besiegt, politisch erledigt“ und bald „moralisch völlig diskreditiert“2. Im Juni 1945 übernahmen die Alliierten die Regierungsgewalt in Deutschland. Die oberste Instanz bildete der Alliierte Kontrollrat; das Land wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt.3 Die deutsche Besetzung Österreichs war schon knapp zwei Jahre zuvor, im Oktober 1943, in der Moskauer Deklaration als gegenstandslos – und Österreich als erstes Opfer der Hitlerschen Aggression – bezeichnet worden, womit einer eigenständigen Neugründung aus Sicht der Alliierten nichts im Wege stand.4 Dementsprechend forderten die Österreicher nach dem Krieg einen schnellen Abzug der Alliierten und gleichzeitig auch die Angliederung Südtirols, das jedoch bei Italien verblieb.5 Österreich konnte sich lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, noch bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre hinein, als das ‚erste Opfer‘ des Deutschen Reiches bezeichnen.6 Die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich ist in weiten Teilen nicht voneinander zu trennen.7 Doch der 1 Klemperer (1999), Bd. 8, S. 143. 2 Entnahmen aus: Fischer (2016), S. 8. Siehe auch Jesse (2016), S. 81: Mit dem Ende des ‚Dritten Reiches‘ endete auch der diffuse Mythos der deutschen Reichsidee seit dem HRRDN, das „stets etwas Anderes und mehr hatte sein wollen als ein Nationalstaat unter anderen“. 3 Jesse (2016), S. 81f. Grundsätze der Besatzung und der deutschen Nachkriegsordnung wurden auf der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 festgelegt. Darunter auch die fünf D’s: „Demokratisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung, Deindustrialisierung“. 4 „Unmittelbar nach 1945 ist Österreich noch gezwungen, den Vorwurf der Mitschuld zu entkräften. Daher betont es den geleisteten Widerstand von ÖsterreicherInnen [sic!], der völlig übertrieben dargestellt wird“. Schreiber (2008), S. 347. 5 Ebd., S. 339. U. a. Reut-Nicolussi forderte unumwunden die Rückgabe Südtirols an Österreich. Siehe auch Gehler (2004), S. 83ff. 6 Simmel (1996), S. 20f. 7 Botz (1995), S. 358 u. Amann (1996), S. 17ff.
464
7. Nach 1945
Staat Österreich konnte in gewissem Maße nur in einer scharfen Abgrenzung zur NS-Vergangenheit wiedererstehen und damit auch ein mögliches, zunächst belastendes politisches Miterbe abstreifen. Ein besonders patriotisches Österreich-Pathos gewann an Raum, das im Hinblick auf innereuropäische und internationale Verhältnisse weit weniger problematisch als eine ähnliche inner- oder gesamtdeutsche Entwicklung gewesen wäre – und letztlich war. Der Preis für die Nationsbildung war wohl, daß vor allem im populären Geschichtsgedächtnis ein ungeklärtes Verhältnis zur NS-Vergangenheit bestehen blieb, mit möglicherweise problematischen demokratiepolitischen Spätfolgen. Ganz anders als im westlichen Deutschland wurde der Nationalsozialismus und dessen Herrschaft in Österreich als fremd, als etwas Deutsches, nur von außen über das Land Gekommenes, aufgefaßt und daher einfach ‚verdrängt‘ […].8
Dass auch im literaturpolitischen System Österreichs nach 1945 selten nach dem Vorleben von kulturpolitisch oder schriftstellerisch Aktiven gefragt wurde, klassifizierte der österreichische Literaturwissenschaftler Klaus Amann als tendenziell verständlichen „Akt einer nationalen und kulturellen Identitätssicherung“9 bis weit in Nachkriegszeit hinein. Nach 1945 wurde Tirol, gestützt auf einzelne NS-Gegner, als „Land des Widerstands“ gefeiert. Den Krieg habe „kein Österreicher jemals gewollt“10, man sei schuldlos. Der Aufarbeitung der NS-Geschichte in Österreich waren damit auf lange Jahre große Hürden gesetzt. Dabei hatten viele den ‚Anschluss‘ euphorisch gefeiert, sich dem System angedient, Funktionen übernommen, sich auch an Verbrechen beteiligt und damit letztlich das Regime gestützt.11 Täter hatten nach 1945 in Österreich „nichts zu befürchten“12. Nach Kriegsende befanden sich in Tirol noch etwa 38.000 Südtiroler, die infolge der ‚Option‘ gekommen waren. Tausende von ihnen wollten unmittelbar zurückkehren.13 Derweil erregte der Abmarsch der Wehrmacht aus Süd8 9 10 11
12 13
Botz (1995), S. 361. Siehe auch S. 359f. Hierin mag eine Begründung der konservativrechtspopulistischen Mehrheit in den parteipolitischen Verhältnissen Österreichs zwischen 2017 und 2019 liegen. Amann (1996), S. 17. Entnahmen aus: Schreiber (2008), S. 345ff. Ebd. Vgl. auch Germann (2011), S. 218, 224 u. Uhl (2001), S. 26: Der österreichische Bundespräsidentenkandidat Kurt Waldheim symbolisierte mit seinem Ausspruch von 1986 die Haltung vieler Österreicher, insbesondere der ehemaligen Wehrmachtssoldaten: „Ich habe im Krieg nichts anderes getan als Hunderttausende andere Österreicher, nämlich meine Pflicht als Soldat erfüllt“. Die überwiegende Mehrheit musste nicht „mit Gewalt zum Kampf“ gedrängt werden. Manoschek (1996), S. 143, zitiert hier Csáky (1980), Dokument 51, S. 121. Schreiber (2008), S. 335.
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 465
tirol „mehr Bedauern und Sorge“ als Freude. Vieler Südtiroler hatten den Eindruck, in den Zustand der italienischen Herrschaft bis 1943 zurückzufallen: Man hatte in der Operationszone Alpenvorland zwar einiges ertragen müssen, dazu waren Tausende Südtiroler als Wehrmachtssoldaten gefallen, doch man war immerhin „wieder Herr im Hause“ und unter sich gewesen. Der nach 1945 stellenweise hervorgehobene (innere) Widerstand einiger Südtiroler war – prozentual an der Bevölkerung gemessen – verschwindend gering. Zwar halfen sie als Vorzeigemitbürger beim demokratischen Wiederaufbau des Landes, mahnten alle Kollaborateure und Dulder vergangener Jahre allerdings so auch „ans eigene Gewissen“14. In vielerlei Hinsicht habe es eine ‚Stunde null‘ in Südtirol nicht gegeben. Even more than Germany in some ways, South Tyrol presented an ideal locale for starting over after the war. There was no Italian Nuremberg, no consequent defascistization or denazification.15
Aus der NS-Zeit wurden die Zweisprachigkeit und die Organisation der deutschen Schulen übernommen, darunter oft auch der Lehrplan. Der habe, mit den Topoi des Blut-und-Boden-verbundenen, bäuerlich-heimatlichen Lebens, „durchaus dem gängigen kulturellen Strickmuster Südtirols nach 1945“16 entsprochen. Bossi hatte noch 1942/43 auf eine Übernahme in den Auswärtigen Dienst oder in die Wehrmacht gehofft, doch das Kriegsende verhinderte diese Pläne, zumal er über personelle Seilschaften und nicht über eine diplomatische Ausbildung an seinen Posten gelangt war – trotz hunderter Wiedereinstellungen und vielen personellen NS-Kontinuitäten im AA nach 1945.17 Nachdem er im April 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten war, brachte man ihn bis Juli 1945 zunächst in das US-amerikanische Kriegsgefangenenlager Pisa-Livorno. Bis hierhin stimmen die Daten der ‚Deutschen Dienststelle‘ mit denen der italienischen Militärpersonalakte aus dem Bozner Staatsarchiv von 1947 überein: „prigioniero di guerra dall’ aprile 1945-luglio 1945 a Pisa e Livorno“18. Ende Juli 1947 fertigte er in Bozen (wahrscheinlich, da er sich 14 15 16 17 18
Entnahmen aus: Hartungen, Zur Lage der Südtiroler (1995), S. 130ff. Steinacher (2015), S. 242. Hartungen, Zur Lage der Südtiroler (1995), S. 130ff. Siehe auch Schreiber (2008), S. 390f. u. 401ff. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 622f. „Esercito Italiano, Specchio II“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901.
466
7. Nach 1945
wieder in Toblach niederließ) eine Erklärung zu seiner Militärdienstzeit an, in der er angab, am 28. Juli 1945 aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden zu sein.19 In der Akte ist von keinen weiteren Inhaftierungen die Rede, doch führt Bossi in einem Kriegsgefangenen-Entschädigungsantrag von 1957 weitere Stationen auf. Nach eigenen Angaben gelangte er im Juli 1945 von Pisa-Livorno in ein französisches Militärgefängnis nach Innsbruck.20 „Am 10. Juli 1945 löste Frankreich die USA als Besatzungsmacht in Tirol ab“21. Der Zeitraum zwischen Juni 1945 und Februar 1946, der mit verschiedenen Verlegungen Bossis übereinstimmt, gilt als Phase der „autonome[n] Entnazifizierung durch die Alliierten“22. Die Österreicher besaßen hier noch keine Vollmachten, waren aber in den Prozess eingebunden. Von Innsbruck aus soll er im November 1945 in das französische Straflager ‚Oradour‘23 bei Schwaz (Tirol) verlegt worden sein, wenig später schon in das französische Straflager Reichenau24, anschließend nach Bozen-Gries (ehemals ‚Dulag‘ Bozen, KL Bozen oder KL Sigmundskron) und zuletzt ab Januar 1946 für ein Jahr in ein französisches Lager am Brenner. Anfang Januar 1947 sei er entlassen worden.25 Im August 1946 allerdings waren die letzten Internierungs- und Arbeitslager aufgelöst worden, „nur das 19
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24 25
Erklärung BFs zum Militärdienst Italien/Deutschland gegenüber dem Militärbezirkskommando Bozen v. 30.07.1947, „Esercito Italiano, Specchio II“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Wahrscheinlich ist damit das Innsbrucker Bezirksgefängnis gemeint, in dem sich zwischen Mitte Oktober und Mitte November 1945 mehr als 400 politische Häftlinge befanden. Eisterer (1991), S. 204. Beimrohr (2004), S. 100. Klöckler (2004), S. 462. Die französischen Militärbehörden übernahmen 1945 das Zwangsarbeiterlager der Messerschmittwerke bei Schwaz und gaben ihm den Namen ‚Oradour‘. Vgl. Pitscheider (2015), S. 53. Siehe Eisterer (1998), S. 76: „Le choix du nom d’Oradour pour le camp d’internement aux environs de Schwaz n’était pas anodin: il rappelait ce village français – Oradour-sur-Glane – où, le 10 juin 1944, une unité de la 2ème division blindée SS ‚Das Reich‘ avait perpétré un véritable carnage, assassinant sauvagement 642 personnes, habitants du village et réfugiés“. Vgl. Eisterer (1991), S. 201. Auch im offiziellen Sprachgebrauch hießen diese Lager ‚Konzentrationslager‘. Die Tiroler Widerstandsbewegung hatte das ehemalige ‚NS-Arbeitserziehungslager‘ Reichenau bei Innsbruck schnell zu einem Internierungslager für NS-Belastete umfunktioniert. Eisterer (1991), S. 193f. u. Albrich (2002), S. 77-113. Antrag BFs auf Gewährung einer Entschädigung nach §3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes v. 13.04.1957, Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Siehe auch Kurzbiografie im Brenner-Archiv, in der er die Entlassung 1947 ebenfalls angibt. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01.
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 467
Internierungslager Oradour bei Schwaz“26 blieb erhalten, belegt mit denjenigen, die wesentlich stärker belastet waren als andere. Die Unterlagen zu deutschen Kriegsgefangenen in Pisa-Livorno wurden in den 1960er Jahren von der US-amerikanischen National Archives and Records Administration (NARA) an die ‚Deutsche Dienststelle‘ in Berlin abgegeben.27 Die führt Bossi-Fedrigotti mit der Kriegsgefangenennummer 81G 603482 in ihrer ‚Österreich-Liste‘. Seine Akte lässt sich allerdings nicht mehr finden: „Die Originalakten von Österreichern wurden 1957 durch die US-Behörden vernichtet“28. So dürften die Details seiner Gefangenschaft kaum aufgearbeitet werden können. Derweil bemühte sich die neue Tiroler Landesregierung schon wenige Wochen nach Kriegsende, belastete Mitarbeiter aus ihren Reihen zu entfernen. Der eigene Apparat war zu „säubern“, bevor man begann, die Bevölkerung „politisch zu durchleuchten“29. Bossis militärisch-diplomatische Laufbahnambitionen hatten sich ohnehin zerschlagen; nun geriet auch sein kulturpolitischer Posten, ein Stück existentieller Sicherheit als Beamter auf Lebenszeit, ins Wanken. Die Dienststelle des Landeshauptmanns schrieb ihm am 9. Juli 1945, die alliierte Militärregierung habe verfügt, ihn „bis auf weiteres vom Dienste zu entheben“30. Bis Ende Juli erhielt er noch seine vollen Bezüge, ab August für die Dauer von drei Monaten noch die Hälfte. Eine endgültige Entscheidung über Wiederverwendung, Entlassung oder Ruhestand sollte erst nach einer gesetzlichen Neuregelung des Beamtentums erfolgen.
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Beimrohr (2004), S. 101. E-Mail Robert E. Cookson, NARA, an CP v. 04.04.2016. Personenrecherche der ‚Deutschen Dienststelle‘ (ehem. WASt), D. Foth-Müller an CP v. 20.09.2016. Auf telefonische Nachfrage am 26.09.2016 bestätigte D. Foth-Müller, dass die ‚Deutsche Dienststelle‘ auch keine Kopie dieser Akten verwahrt. Eine Einrichtung, die noch Unterlagen zur Kriegsgefangenschaft BFs besitzen könnte, ist das ‚Centres des Archives diplomatiques‘ in Paris, das inzwischen die zuvor in Colmar befindlichen Akten der französischen Kriegsgefangenen- und Straflager verwahrt. Im Rahmen der Recherche war es nicht mehr möglich, diese Bestände, die nur vor Ort einsehbar sind, zu untersuchen. BF stellte seinen Antrag auf Kriegsgefangenenentschädigung beim Bezirksamt BerlinZehlendorf, als die Akten nicht mehr existierten. Er wohnte zu diesem Zeitpunkt offenbar wieder in Berlin, gemeldet im Eiderstedter Weg 2 in Berlin-Schlachtensee. Die dortige Dühringzeile, in der sich unter Nummer 2 das Haus BFs befand, wurde nach 1947 in ‚Eiderstedter Weg‘ umbenannt. Als Beruf gab BF zu diesem Zeitpunkt „Posthelfer“ an. Siehe ebd. Entnahmen aus: Beimrohr (2004), S. 99. Vgl. Albrich (2006), S. 26f. Vorlage einer Mitteilung an BF v. 09.07.1945, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 105.
468
7. Nach 1945
Im Juli 1946 vermerkte die Innsbrucker Bundes-Polizeidirektion im Zuge der Anfertigung einer politischen Beurteilung: „Med. z. Erinn. a. d. 13.3.38 vorgeschlagen. NSDAP, SA, verdienter Kämpfer“31. Als Beweismittel dienten Personaldokumente, darunter auch die parteistatistische Erhebung von 1939.32 Die Aktenlage in Innsbruck schien offenbar zu erdrückend für eine Weiterbeschäftigung: Was Bossi seit Mitte der 1930er Jahre lukrative Posten beschert und Türen geöffnet hatte, sein mit Hilfe Hofers statuiertes Exempel als Südtiroler NS-Deutschtumskämpfer seit der ‚Kampfzeit‘, wurde ihm nun zur Barriere. Doch stellten die Tiroler Behörden auch fest, dass er keine Anerkennung als ‚Alter Kämpfer‘ besaß, er die ‚Anschlussmedaille‘ nicht erhalten und im Grunde den „Dienst bei der Behörde nie angetreten“33 hatte. Im Oktober 1946 wurde die Amtsenthebung Bossis schließlich formal in die Wege geleitet. Da er vor dem 13. März 1938 in keinem österreichischen Dienstverhältnis gestanden und für die Reichsstatthalterei Hofers gearbeitet hatte (die nun aufgelöst wurde), kam eine Übernahme als österreichischer Beamter nicht infrage – vor allem aber wegen „mangelnder politischer Verläßlichkeit […], weil er laut den Personalakten und nach seinen eigenen Angaben als belasteter Nationalsozialist zu gelten hat“34. Die Benachrichtigung über seine Entlassung erhielt er am 21. Oktober 1946 – und quittierte sie in „BrennerKerschbaumer, Gemeinde Gries am Brenner“35. Das scheint bisweilen das 31 32 33
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Vermerk der Bundes-Polizeidirektion Innsbruck v. 27.07.1946, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. BArch, Parteistatistische Erhebung 1939, Graf Bossi-Fedrigotti, Anton, v. 27.06.1939. Vgl. Beimrohr (2004), S. 116. Entnahmen aus: Erhebungsblatt BF, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 BossiFedrigotti, Anton. Das Dokument ist nicht datiert. Angesichts der Angaben und Details ist davon auszugehen, dass es 1946/47 im Zuge der Entlassung aus österreichischen Diensten angefertigt wurde. Enthebung / Entlassung BFs aus dem Dienstverhältnis beim Reichsstatthalter Innsbruck v. 15.10.1946, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton, Bl. 106. Das ‚Gesetz vom 22. August 1945 zur Wiederherstellung österreichischen Beamtentums (Beamten-Überleitungsgesetz)‘ besiegelte die Rückkehr der Dienstgeschäfte zu Regelungen, die vor dem 13. März 1938 gegolten hatten. Der Paragraph 8 regelt das „Ausscheiden nicht übernommener Bediensteter“. Unter Absatz 3 ist vermerkt: „Bedienstete einer in Liquidierung befindlichen Dienststelle des Deutschen Reiches können […] von ihrer Dienstleistung enthoben werden“. „Gesetz vom 22. August 1945 zur Wiederherstellung österreichischen Beamtentums (Beamten-Überleitungsgesetz)“, Staatsgesetzblatt (StGBl.) für die Republik Österreich v. 30.08.1945, S. 174f, Rechtsinformationssystem des österreichischen Bundeskanzleramtes, https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/ BgblPdf/1945_134_0/1945_134_0.pdf [Zugriff: 05.01.2016]. Das Gesetz wurde erst 1999 außer Kraft gesetzt. Vgl. ebd., BGBl. 127/1999, S. 1021. Enthebung / Entlassung Bossi-Fedrigottis aus dem Dienstverhältnis beim Reichsstatthalter Innsbruck v. 15.10.1946, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti,
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 469
einzige Dokument zu sein, das den Arbeitseinsatz als Kriegsgefangener bis 1946/47 belegen könnte, abgesehen von seinen eigenen Angaben. Obwohl die französische Besatzungsmacht seit Juli 1945 Entnazifizierungsmaßnahmen einleitete, bleibt mangels Akten unklar, ob auch Bossi ein solches Verfahren in einem PW-Lager – oder danach – durchlief. Insgesamt war rund ein Viertel der Österreicher von Entnazifizierungsmaßnahmen betroffen. In Tirol, das mit 14% – neben Vorarlberg – den höchsten Anteil von NS-Mitgliedern unter den österreichischen Ländern aufwies, herrschten dabei vielerorts Chaos und „Kompetenzgerangel“36. Längst nicht alle belasteten Täter und Funktionäre konnten zur Verantwortung gezogen werden, geschweige denn erfasst, bis schließlich wirtschaftliche und politische Fragen die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in den Hintergrund drängten.37 Das gilt in ähnlichem Maße für Deutschland.38 Im Fall Bossi dürfte es entscheidend gewesen sein, wo er sich wann aufhielt, vor allem, wenn es sich dabei um die NachkriegsTransitregion Südtirol handelte, in der die Ströme der Flüchtlinge und Belasteten zwischen Norden und Süden aufeinandertrafen und er den Maßnahmen auf italienischem Staatsgebiet möglicherweise entgehen konnte.39 Tatsächlich hielt Bossi sich im Juni 1948 vorübergehend in Innsbruck auf, bevor er ins Familienschloss nach Toblach zurückkehrte, um – nach eigenen
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Anton, Bl. 106. Dabei handelt es sich offenbar um das ehemalige Gasthaus Kerschbaumer in Gries am Brenner, das unweit der Grenze zu Italien mit wenigen anderen Gebäuden den Weiler Kerschbaumer bildete. Möglicherweise war er hier untergebracht, während er für die französische Besatzungsmacht am Brenner arbeiten musste. Siehe Penz (2012), S. 89 u. 97 u. Kramer (1949), S. 538. Klöckler (2004), S. 460 u. Eisterer (1991), S. 163. Siehe auch S. 212: Bis September 1946 wurden in Tirol 6.198 Personen verhaftet und interniert. Knapp 1.300 waren zu diesem Zeitpunkt noch in Haft. Siehe auch Schuster/Weber, Bilanz (2004), S. 31 u. Beimrohr (2004), S. 104. Albrich (2006), S. 27 u. Stiefel (2004), S. 48. Grundlage der Entnazifizierung in Österreich waren Bundesgesetze von Mai und Juni 1945, die schon zu diesem Zeitpunkt von einer ab April amtierenden provisorischen ‚Zentralregierung‘ unter Karl Renner verabschiedet werden konnten. Da die Regierung und die Gesetze jedoch erst später von den Westalliierten anerkannt wurden, konnten diese jedoch erst ab Anfang 1946 in allen Teilen Österreichs wirken. Bis dahin verblieb die Zuständigkeit bei den französischen, britischen und US-amerikanischen Besatzern. Schuster/Weber, Bilanz (2004), S. 22 u. 30. Siehe auch Beimrohr (2004), S. 98 u. 107: „Vom Mai 1945 bis zum Februar 1947 waren im öffentlichen Sektor 12.691 Personen abgebaut worden, davon 4.578 im Zuge der Entnazifizierung aus politischen Gründen durch Entlassung aus oder Enthebung im Dienst“. Taylor (2011), S. 29. Siehe dazu auch Steinacher (2010), S. 264. Siehe auch Beimrohr (2004), S. 114f. u. Steinacher (2010), S. 47.
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7. Nach 1945
Angaben – wieder als Schriftsteller zu arbeiten.40 Schnell wurden die italienischen Behörden auf ihn aufmerksam: Formal hatte er seine italienische Staatsbürgerschaft nie abgegeben und seine aus dem Jahr 1928 datierende sechsmonatige Haftstrafe nicht angetreten. Obwohl er noch 1928/29 infolge der Flucht degradiert worden war, führten ihn die Italiener weiter als potentiell dienstpflichtigen Reservisten. Von einer Vollstreckung des Hafturteils ist allerdings nichts bekannt. Schon Ende August 1947 gab er in einem Personalfragebogen des italienischen Militärs Toblach als aktuellen Wohnort an – ein Beleg, dass er sich bereits weit früher als Mitte 1948 dort aufhielt. Der Armee meldete er auch die Stationen seines Kriegseinsatzes, Daten zur Kriegsgefangenschaft, Beförderungen, Auszeichnungen und Erkrankungen.41 „Eines späten Abends“, im Oktober 1948, als er „erst kurze Zeit aus französischer Gefangenschaft entlassen“ war, schrieb Bossi einige Jahre später, „wurde plötzlich der schwere Eisenschlägel am Tor unseres altersgrauen maximilianischen Jagdschlösschens heftig betätigt“. Davor stand ein ehemaliger Schulkamerad aus Brixen, Dr. Bernhard Sauter, in Begleitung zweiter aus dem italienischen Kriegsgefangenenlager Rimini geflohener Wehrmachtsoffiziere. Sauter habe als Rechtsanwalt nach 1919 Südtirolern Beistand gegen den italienischen Staat geleistet, „die sich gegen eine Reihe jedes völkische Eigenleben behindernder Unterdrückungsgesetze vergangen hatten“. Im Zweiten Weltkrieg seien sich die beiden schließlich wiederbegegnet. In dem Aufsatz „Kürzlich … Herr Offizier!… – Erinnerungen an einen Südtiroler Kameraden“, der 1956 im Deutschen Soldatenjahrbuch erschien, schildert Bossi, wie er den flüchtenden Kameraden Unterschlupf gewährt hatte, bevor Sauter die Offiziere noch in der Nacht über die Grenze nach Österreich bringen wollte. Für den Morgen darauf hätten sich die alten Bekannten zum Frühstück verabredet, doch Sauter kehrte nicht wieder; die Gruppe sei entdeckt und
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Siehe E-Mail Peter Wackel, Einwohnermeldeamt Innsbruck, an CP v. 11.11.2010. Toblach als ersten Wohnort nach 1945 bestätigt auch seine Kurzbiografie aus dem Nachlass Alfred Strobels. Siehe Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Im Juni 1948 bestätigte das Toblacher Standesamt BFs Wohnort gegenüber dem Militärbezirkskommando Belluno. Siehe Distretto Militare di Belluno, Ufficio Reclutamento, an Comune Dobbiaco, Ufficio Anagrafe, v. 10.06.1948. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. „Esercito Italiano, Specchio I-V“ u. Distretto Militare di Belluno, Ufficio Reclutamento, an „Sezione Matricola Sott.e Truppa“ v. 20.06.1948. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901.
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 471
Sauter „in Erfüllung einer wahrhaft soldatischen Kameradenpflicht“42 tödlich angeschossen worden. Diese Erzählung offenbart gleichsam, was Bossi über die Flucht aus der Kriegsgefangenschaft, die Normen kameradschaftlichen Verhaltens und pflichtgetreue Loyalität dachte. Obschon literarisch verarbeitet, könnte sich die Geschichte eng an die Realität anlehnen. Die Vermutung liegt nahe, dass BossiFedrigotti in den späten 1940er Jahren nicht nur zufällig von der Fluchthilfe für Kriegsgefangene, Kriegsverbrecher und Belastete über Südtirol wusste. Die Fluchtnetzwerke über die sog. Rattenlinie schienen nach Kriegsende jahrzehntelang aufgrund ihrer weiten Verästelung und Verstrickung mit staatlichen Organisationen nie ganz aufgedeckt werden zu können. Angesichts der Akteure, nämlich des Vatikans, des Internationalen Roten Kreuzes und alliierter Geheimdienste, war die Aufdeckung der Seilschaften wohl noch bis in die 2000er Jahre hinein zu heikel. Wer aus dem kriegszerstörten Mittel- und Osteuropa herauskommen wollte, musste sich auf den Weg zu Häfen machen, die die Reise ins ferne Ausland ermöglichten: Genua und Triest. Den Weg dorthin suchten Kriegsverbrecher und Massenmörder, Vertriebene, Kollaborateure, Deserteure, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Soldaten und Überlebende der Vernichtungs- und Konzentrationslager. Somit tummelten sich im Nachkriegsitalien Massen von Menschen, die nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten oder wollten, gesucht wurden oder inzwischen staatenlos geworden waren.43 Über die ‚grüne Grenze‘, die Alpen im österreichisch-italienischen Grenzgebiet, bestand ein seit Jahrhunderten bewährtes Schmugglerwesen, das nun ohne Weiteres auch zum Schleusen von Menschen und Menschengruppen genutzt wurde. In der Nachkriegszeit betrachteten das nicht wenige Österreicher und Südtiroler als lukrativen Nebenerwerb. Der Weg führte über einen Strohmann in Österreich, der die Flüchtenden an einen Bergführer weitervermittelte. Mit ihm wurden die Alpen über verschiedene Bergpfade überquert, bis eine Verbindungsperson die Menschengruppen in Südtirol in Empfang nahm.44 Die Route nach Genua führte dabei oft von Innsbruck über den Brenner weiter bis nach Südtirol, das zum „Nazi-Schlupfloch Nummer eins“ wurde. 42
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Bossi-Fedrigotti: „‚Kürzlich … Herr Offizier!…‘“. In: Damerau (1956), S. 82-87, hier S. 86f. Über Sauter waren keine näheren Informationen zu ermitteln. Es könnte sich bei ihm um eine fiktionale Figur handeln, deren Lebensgeschichte an die einer realen Person angelehnt ist. Steinacher (2010), S. 17ff. Vgl. ebd., S. 30f.
472
7. Nach 1945 Seilschaften alter Kameraden, Migrationswellen, vatikanische Akteure und internationale Geheimdienste griffen wie gut geölte Zahnräder mit geringen Reibungsverlusten ineinander,
resümiert der Historiker Gerald Steinacher. Die Fluchthilfe fand hauptsächlich mithilfe kleiner Gruppen aus Bekannten und ehemaligen Kameraden statt und war keineswegs ein ‚nur‘ deutsches oder österreichisches Phänomen. Die Lage Toblachs und der Herbstenburg an der Einmündung des Höhlensteintals gen Süden bot ideale Bedingungen als Zwischenstationen auf dem Weg von oder nach Italien. Die Vermutung also, ob Bossi an der Fluchthilfe beteiligt war, liegt (auch angesichts des literarischen Hinweises durch ihn selbst) auf der Hand und führt zur Frage, welche weiteren Seilschaften er möglicherweise unterhielt, die damit im Zusammenhang stehen: „Es ging den Männern weniger um Politik als um Freundschaftshilfe“45. Die Gefangenenlager der Alliierten dienten dabei sogar als Netzwerkbörsen. Daneben empfing Bossi offenbar Mitte März 1949 Otto Wächter (bzw. Freiherr von Wächter) auf der Herbstenburg, ehemaliger SS-Gruppenführer, einen seiner „old comrades“46. Im Frühjahr 1949 gelang dem gesuchten Kriegsverbrecher als ‚Alfredo Reinhardt‘ die Flucht von Österreich nach Südtirol, die sich nach Argentinien fortsetzen sollte, im Gepäck eine Liste möglicher Helfer, auf der auch „Gf. Bossi“47 eingetragen war. Von Bozen aus besuchte Wächter verschiedene Weggefährten, darunter auch Bossi.48 Das Treffen dürfte beiden vermutlich auch zur Pflege des Fluchthelfer-Netzwerks gedient haben. Ende April 1949 trafen sie sich laut Wächters Tagebuch nochmals, vermutlich in Bozen.49 Seit 1949 unterhielt Bossi eine Korrespondenz mit dem ehemaligen Zentrumspolitiker Johannes Schauff, der ab 1939 die deutsche Emigrantensiedlung Rolândia in Brasilien aufgebaut hatte und in den 1950ern und 1960ern in Südtirol ein Sozialwerk initiierte, „das die Folgen der Hitler-Mussolinischen Umsiedlungspolitik zu bewältigen suchte“50. Infolge der Verbindungen von 45 46
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Entnahmen aus: Ebd., S. 10, 47 u. 259. Siehe auch Meding (1997), S. 24ff. Sands (2020), S. 157. Wächter (1901-1949), ehemaliger Gouverneur des Distrikts Galizien, der bereits 1923 in die NSDAP eintrat, war 1934 in den Juliputsch involviert und kannte BF höchstwahrscheinlich bereits aus gemeinsamen Jahren bei der Landesleitung Österreich der NSDAP. Auch 1944/45 dürften sie sich in Fasano am Gardasee begegnet sein, seit Wächter dort als Militärverwaltungschef wirkte. Ebd., S. 1144ff. u. Klee (2015), S. 647f. E-Mail Mario Tedeschini-Lalli an CP v. 14.05.2020. Sands (2020), S. 156ff. u. 164. E-Mail Mario Tedeschini-Lalli an CP v. 14.05.2020. Buchstab (2002), S. 227ff. Siehe auch Schneider (2001), S. 112-123 u. „Schauff, Johannes, Bestand ED 346“, Nachlass IfZ. https://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0346.pdf
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 473
Südtirol nach Südamerika dürfte er auch über Fluchtbewegungen Bescheid gewusst haben. Bossi berichtete Schauff, einen Artikel im SPIEGEL (der erst seit 1947 erschien) über dessen Siedlungsarbeit in Argentinien veröffentlicht zu haben.51 Im Heft vom 23. April 1949 ist der Autor von „Alles andere als romantisch“52 zwar nicht verzeichnet, doch angesichts der Hinweise lässt sich Bossis Urheberschaft hier zweifelsfrei belegen – und damit auch seine Arbeit für das bereits 1949 bekannte Hamburger Magazin. Ob Bossi weitere Artikel für den SPIEGEL verfasste, kann wohl nicht mehr geklärt werden.53 Dass Verleger Rudolf Augstein nicht wenige Belastete engagierte, darunter auch SS- und SD-Personal, und beim SPIEGEL unter anderem Verbindungen zur ‚Organisation Gehlen‘ – alias BND – bestanden, ist inzwischen teilweise aufgearbeitet worden.54 Bossi informierte Schauff 1949 auch, sich um eine baldige „Überfahrtsmöglichkeit“55 nach Argentinien zu bemühen, da er Aufträge habe, über die Arbeit der Siedlungen jenseits des Atlantiks zu berichten. Die Korrespondenz zeigt, dass er offenbar Mitte der 1930er Jahre schon einmal geplant hatte,
51
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[Zugriff: 07.10.2018]. Johannes Schauff (1902-1990) geriet schon früh mit den Nationalsozialisten in Konflikt. 1932 zog er als „jüngster Zentrumsabgeordneter in den Reichstag“ ein. In dieser Zeit knüpfte er wichtige Netzwerke, u. a. zum Vatikan, die er später zu aktivieren verstand. 1937 emigrierte er nach Rom und von dort aus 1939 nach Brasilien. BF an Johannes Schauff v. 27.05.1949, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 190. Schauff setzte sich auch für die Angehörigen der getöteten Polizisten in der Via Rasella ein (siehe Kap. 5.5), denen nach 1945 eine Entschädigung mit dem Hinweis verweigert wurde, es habe sich um eine SS-Einheit gehandelt. BF diente ihm als detailreiche Quelle. Siehe Schneider (2001), S. 122f. 1967/68 veröffentlichte der Schriftsteller Robert Katz mit Death in Rome (1967, deutsche Übersetzung: Mord in Rom (1968)) einen Aufarbeitungsversuch der Geschehnisse, der die Südtiroler Polizisten als SS-Männer kennzeichnete. BF schrieb Schauff, man „sollte diesen Burschen, diesen Katz, m. A. doch strafrechtlich zu fassen suchen“. Hier werde zugunsten „linker Zweckpropaganda“ ganz bewusst „Geschichte gefälscht! Ich kann ein Lied aus meiner langjährigen Tätigkeit für den italienischen Film (Prozess von Verona, die Befreiung Neapels usw.) davon singen“. Entnahmen aus: BF an Johannes Schauff v. 28.05.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 191. Bossi-Fedrigotti, „Alles andere als romantisch“ (1949), S. 12f. Siehe E-Mail Martina Sprengel, Leserservice SPIEGEL-Verlag, an CP v. 13.11.2018. SPIEGEL-Artikel seien bis 1998 „nur in ganz wenigen Ausnahmefällen namentlich gekennzeichnet“ worden. Wer die Beiträge verfasst hat, „lässt sich nicht mehr feststellen“. Die Weiterleitung an die hauseigene Dokumentation zur engeren Nachforschung ergab keine Hinweise. Siehe u. a. Winkler (2019), S. 91f. u. Hachmeister (2002), S. 87-120. Überhaupt prägten ehemalige NS-Propagandisten, darunter Nannen, den Nachkriegsjournalismus. Siehe Winkler (2019), S. 281. BF an Johannes Schauff v. 27.05.1949, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 190.
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7. Nach 1945
Südamerika zu bereisen. Als VDA-Funktionär habe ihn das „Schicksal der dort angesiedelten Deutschen – vor allem der Tiroler“ – stark interessiert. Doch der Spanische Bürgerkrieg habe „bereits handgreiflich gewordene Reisevorbereitungen […] im Gewölk des heranziehenden Unheils“56 zunichte gemacht. Es liegen allerdings keine Belege vor, dass Bossi tatsächlich nach Südamerika reiste. Schauff bat auch um Informationen zur ‚Option‘ ab 1939. Bossi schlug vor, sich vertrauensvoll an den ehemaligen Gauleiter Franz Hofer zu wenden. Dies müßte allerdings unter größter Diskretion erfolgen, den [sic!] H. schlägt sich noch immer in Norddeutschland mit der Staatsanwaltschaft wegen seiner Kriegsverbrecher-Prozesse herum.
Man könne ihn bei der Firma ‚ruhrarmatur‘ in Mühlheim erreichen. Er dürfe ruhig wissen, dass Bossi den Kontakt hergestellt habe und ihn „bitten ließe, im Sinne der historischen Wahrheitsfindung über die Ereignisse“57 während der ‚Option‘ zu berichten. Allerdings konnte der Kontakt zum ehemaligen Gauleiter nicht mehr allzu eng gewesen sein: Hofer war zum Zeitpunkt dieser Korrespondenz bereits seit einem halben Jahr verstorben.58 Bossi wies auch auf den ehemaligen Gauinspekteur Klaus Mahnert hin – ebenfalls ein „alter Freund“59, der nach 1945 zeitweilig FPÖ-Abgeordneter im österreichischen Nationalrat war. In dem Briefwechsel mit Schauff erwähnt Bossi auch den Kontakt zu Dr. Hermann Frass, einem „alten Kameraden“, der als Bildberichterstatter in der Wehrmacht gedient hatte und nach 1945 Bildbände über wäSüdtirol herausgab – gemeinsam mit Franz Hieronymus Riedl, desgleichen „alter Freund“60 Bossis. Die Netzwerke spannten sich weit. Riedl, ein 1906 geborener Journalist und Volkstumsforscher, wuchs als Sohn südmährischer Eltern in einem katholisch-nationalen Milieu in Wien auf. 56 57
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BF an Johannes Schauff v. 07.09.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 194. Entnahmen aus: BF an Johannes Schauff v. 29.09.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 197. Hervorhebungen im Original. Hofer wurde nach 1945 nicht vor Gericht gestellt. Darüber habe es, so der Historiker Thomas Albrich, in Tirol trotz aller Vorwürfe sicherlich auch Erleichterung gegeben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass ein Prozess gegen ihn „für eine Reihe von führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen und Politik äußerst kompromittierend und unangenehm“ verlaufen wäre. „Hofer wusste zu viel, und viele hatten vom Regime profitiert […]“. Albrich (2006), S. 71. Klee (2015), S. 264. BF an Ludwig Regele v. 19.10.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 198. Entnahmen aus: BF an Johannes Schauff v. 28.05.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 191. Für seinen Fremdenführer Pustertal. Volk und Land um Rienz und Ahr (1967) nutzte BF viele Fotografien von Frass. Bossi-Fedrigotti, Pustertal (1967), S. 301. Zu gemeinsamen Publikationen von Frass siehe u. a. Frass, Hermann u. Riedl, Franz Hieronymus: Unbekanntes Südtirol abseits der grossen Strassen. Bozen: Athesia 1972.
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 475
Aufgrund guter Kontakte zur nationalsozialistischen Reichspressekammer gelangte er schließlich als Korrespondent und Kriegsberichter an die Deutsche Botschaft in Budapest, wo er bis 1945 blieb. Schon im Juni 1933 will er sich zur Mitgliedschaft in der NSDAP bei „‚Graf Bossi-Fedrigotti, Berlin‘“61, Zweigstelle der Landesleitung Österreich, eingetragen haben. 1933/1934 wiederholt in Wien inhaftiert, stilisierte er sich nach dem ‚Anschluss‘ als Opfer der Nazi-Verfolgung in Österreich. Als Zeugen benannte er unter anderem Bossi – und Wächter.62 Nach dem Krieg aktivierte er schnell alte (darunter kirchliche) Verbindungen nach Südtirol, auch die zum an der Deutschen Nationalkirche Anima in Rom wirkenden Bischof Alois Hudal, mit dem ihn der Glaube an einen möglichen „Brückenschlag“ zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus verband. Hudal war massiv in die Flucht von NS-Kriegsverbrechern und belasteten Nationalsozialisten über Südtirol nach Südamerika verstrickt – und war auch anwesend, als Otto Wächter wenige Wochen nach den Treffen mit Bossi am 13. Juli 1949 nach kurzer, schwerer Krankheit in einem römischen Krankenhaus starb.63 Darüber war Bossi schnell informiert, der sich offenbar im Juli 1949 in Rom befand: Bereits knapp eine Woche nach Wächters Tod dankte er Hudal in einem Brief (mit beigelegter Standschütze Bruggler-Ausgabe) für die „gütige Vermittlung einer Vorsprache bei der argentinischen Delegation in Rom“. Er müsse dort allerdings im August nochmals vorstellig werden und wolle sich dann auch einen „Besuch in der ‚Anima‘ erlauben“. Außerdem habe ihr „gemeinsamer Bekannter Riedl“ mitgeteilt, dass „unser lieber anständiger Kamerad Wächter ganz unerwartet in Rom gestorben“ sei – keineswegs eine neue Information für Hudal. Bossi habe Wächter „seit vielen, vielen Jahren“ gekannt, ein Mann der „guten Schule der alten Monarchie“. Der ehemalige SSGruppenführer hätte der „gesamtdeutschen Sache viel nützen können, wenn man ihn, der doch auch Idealist war, wie wir alle, hätte gewähren lassen!“ Bossi haben dessen Tod „sehr erschüttert“, zumal der anscheinend alle „Fährnisse“ in Richtung Südamerika überwunden hatte und dann „unerwartet daran glauben mußte“64. Über den Bischof nahm Riedl Kontakt mit weiteren Flüchtigen auf und begann, insbesondere ab Mitte 1948, sich immer intensiver um „‚auswanderungswillige‘“ Freunde zu kümmern – auch die ‚Causa Wächter‘ scheint zu einem Teil davon zu zeugen. Die „Fluchthilfe florierte“, während die 61 62 63 64
Behal (2009), S. 202. Siehe auch S. 190. Ebd., S. 203. Sands (2020), S. 3ff. Entnahmen aus: BF an Hudal v. 21.07.1949. Archiv des Päpstlichen Instituts Santa Maria dell’ Anima. Hudal Nachlass, K, Box 40, Dokument Nr. 284.
476
7. Nach 1945
Entnazifizierung abflaute und der Kalte Krieg „immer heißer“65 wurde. Bald schon verfügte Riedl über hilfreiche Kontakte nach Südamerika und schrieb für verschiedene, dort erscheinende deutsche Zeitungen, während auch Bossi dort publizierte.66 Als 1947 in Meran die Wochenzeitung Der Standpunkt gegründet wurde, fanden hier neben Hudal auch einige „rechtsorientierte Journalisten“67 Gelegenheit, unter Pseudonym zu publizieren, darunter Riedl (der seit 1946/47 in Meran lebte) – und seit spätestens 1949 auch Bossi, alias Toni Herbstenburger, mit Artikeln wie „Col di Lana“ oder „Das Spiel der Vera Anastasia“, die entweder Erinnerungen verarbeiten oder sich im kriegsgeschichtlichen Bereich verorten lassen.68 Meran, an der Fluchtroute gelegen, schien der „perfekte Ort für gestrandete Nationalsozialisten, Schieber und Fälscher“69 gewesen zu sein. In der dort bis 1957 erschienenen Zeitung veröffentlichte Bossi erst ab 1951/52 unter seinem Klarnamen und überwiegend im Dauerteil ‚Grenzland Südtirol‘.70 Riedl war derweil bereits 1947 zur deutschsprachigen Südtiroler Tageszeitung Dolomiten gewechselt.71 Ab 1952 schrieb auch Bossi für die Zeitung, schließlich bis 1982 mehr als 40 meist umfassende Artikel: Reiseberichte, Familienanekdoten, Habsburg-Erinnerungen, Kriegsgeschichten und Standschützen-Huldigungen.72 65
66
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Entnahmen aus: Steinacher (2010), S. 261 u. 264. Auch Karl-Nicolussi-Leck (19172008) zählte zu den engen Bekannten Riedls. Er war ein aus Südtirol stammender SSHauptsturmführer, der „einer der wichtigsten Organisatoren der Fluchthilfe für Nazis in Italien“ wurde und auch u. a. Hans-Ulrich Rudel bei der Auswanderung nach Argentinien half. Siehe S. 44 u. Steinacher (2015), S. 229-232. Ebd., S. 264. Über Südtirol floh (mithilfe Hudals) auch Fritz Lantschner, ehemaliger Gauamtsleiter von Tirol und Mitverantwortlicher des Juli-Putsches 1934, der im Juni 1938 BF in einem Zeitungsartikel bescheinigt hatte, mit Bruggler die „Weltgeltung des deutschen Gesamtvolkes“ thematisiert zu haben. Lantschner, Fritz: „Tirol und der großdeutsche Gedanke“. In: Neues Wiener Abendblatt v. 18.06.1938, S. 7. Steinacher (2010), S. 59. Steinacher widmet sich dem Wirken Bischof Hudals intensiv. Siehe u. a. S. 58f. Siehe Herbstenburger, Toni: „Das Spiel der Vera Anastasia“. In: Der Standpunkt v. 14.10.1949, S. 4 u. u. a. Bossi-Fedrigotti: „Col di Lana“. In: Ebd. v. 31.10.1952, S. 6. Zu Riedls Aufenthalt in Meran siehe Veiter (1971), S. 19. Steinacher (2010), S. 60. Auch Dr. Josef Mengele, KZ-Arzt in Auschwitz, flüchtete über Meran. Siehe auch Trafojer (2003), S. 165. Siehe Boensch, Alfred: „Wir sprachen mit: Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Der Standpunkt v. 14.03.1952, S. 6 u. 11. Veiter (1971), S. 19ff. Siehe Bibliografie. Als BF Mitte der 1960er-Jahre intensiver in den Dolomiten publizierte, war das Personal über verschiedene Seilschaften mit dem ‚Befreiungs-AusschussSüdtirol‘ (BAS) verbunden, der für einen neuen Tiroler Freiheitskampf warb und seit
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 477
Zeitungen spielten seit 1945 bis Mitte der 1960er Jahre eine große Rolle für die Literatur Südtirols, denn nur wenigen Schriftsteller war es (finanziell) vergönnt, hauptberuflich frei schreiben zu können. So bot die Presse die Möglichkeit, sich über Artikel und Feuilletonromane einen breiteren Leserkreis zu erarbeiten. „Von einer eigentlichen Entwicklung des Schrifttums seit 1945 in Südtirol“, so der Radio-Redakteur Hermann Vigl 1967, „kann kaum die Rede sein. Den Ton geben noch die Alten an“, darunter Oberkofler, Fussenegger, Tumler und andere. Hierunter kann man auch Bossi fassen. Sofern die schon zur NS-Zeit aktiven Südtiroler Schriftsteller ihre Produktion einstellten, dann nur als „biologische Konsequenz“73. Die wichtigsten kulturpolitischen Schaltstellen in Redaktionen und Institutionen lagen in den Händen weniger alter Volkstumskämpfer. Zwischen der „rechten Postille“74 Der Standpunkt und der 1946 von dem radikal-nationalsozialistischen Argentinier Eberhard Fritsch gegründeten Zeitschrift Der Weg. Monatshefte zur Kulturpflege und zum Aufbau in Buenos Aires (die 1957 eingestellt wurde) entwickelte sich rasch eine enge Zusammenarbeit.75 1950 publizierte hier auch Toni Herbstenburger.76 Im Weg erschienen
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1961 verschiedene Anschläge mit dem Ziel verübte, ein Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen und so zu Österreich zurückkehren zu können. Während BF hier publizierte, machte im Tyrolia/Athesia-Verlag Franz Berger Karriere, der von Beginn an Mitglied der BAS und somit immer gut über neue Anschläge und Pläne informiert war. Franceschini (2003), S. 190-194. Möglicherweise brachte BF auch alte Weggefährten hier unter, so auch seinen Kriegsuntergebenen Edmund Theil, der in den Dolomiten am 26.11.1969 mit BF auf der gleichen Seite publizierte. Siehe Bossi-Fedrigotti: „Ein Reich der Gnomen und Riesen“ u. Theil, Edmund: „Akrobaten auf dem Klosterdach“. In: Dolomiten v. 26.11.1969, S. 9. Nach Auskunft Lydia Theils, Edmund Theils Tochter, die den Nachlass ihres Vaters verwahrt, gibt es keine überlieferte Korrespondenz zwischen ihm und BF. Auch dazu, ob beide nach 1945 Kontakt gehalten hatten, konnte sie keine Auskunft geben. E-Mail Lydia Theil an CP v. 12.06.2019. Entnahmen aus: Amann (1997), S. 23f., zitiert hier Vigl, Hermann: „Literarisches Schaffen in Südtirol“. In: Der Schlern 41 (1967), S. 256f. Steinacher (2010), S. 60. Steinacher (2010), S. 60 u. Stangneth (2011), S. 151. Weg-Herausgeber Fritsch hatte enge Verbindungen zum in Argentinien untergetauchten ‚Judenreferenten‘ des Reichssicherheitshauptamtes Adolf Eichmann, bevor der vom israelischen Geheimdienst Mossad entführt und nach einem Prozess hingerichtet wurde. Wiegrefe, Klaus: „Triumph der Gerechtigkeit“. In: DER SPIEGEL v. 28.03.2011, S. 36-43. Nach Stangneth zu urteilen, erschienen im Dürer-Verlag einige der „widerlichsten Nazi-Texte der Nachkriegszeit“. Siehe auch Posener, Alan: „‚Eichmann hat eine perfide Show abgezogen‘“. In: Die Welt v. 03.04.2011. https://www.welt.de/print/wams/kultur/article13053660/Eichmann-hat-eineperfide-Show-abgezogen.html [Zugriff: 14.09.2017]. Herbstenburger, Toni: „Die Sehnsucht nach Gott“. In: Der Weg 4 (1950), H. 8, S. 703ff.
478
7. Nach 1945
stark nationalsozialistische und antisemitische Texte.77 Fritsch heuerte namhafte, nach Südamerika geflohene Nazis als Mitarbeiter und Zuträger an, Verlag und Zeitschrift wurden zu „Bezugspunkten für nationalsozialistische Kreise“78. Solange die nachkriegsdeutsche Presselandschaft unter Zensur und Lizenzvergabe der Alliierten stand, besaß Der Weg ein „regelrechtes Monopol auf dem rechten Rand der deutschsprachigen politischen Publizistik“79. Fritsch warb auch gezielt unter den Mitläufern, nämlich den ultrarechten Autoren mit berühmt-berüchtigten Namen, die zwar in Deutschland bleiben konnten, aber keine Möglichkeit mehr zur Veröffentlichung hatten.80
Dabei empfahlen sich Reaktivierte und Interessierte gegenseitig, sodass die Zahl der Beiträger aus Deutschland (die nicht selten mit Lebensmittelpaketen entlohnt wurden) seit 1948 erheblich stieg. „Vielen vormals hochgerühmten Schriftstellern und Publizisten sicherte diese Art von Honorar die nackte Existenz“81. Für unerschütterliche Nationalsozialisten hatte dieses Schundblatt mit seiner Mischung aus NS-Ideologie samt Rassentheorie vom Grauenhaftesten und brauner Nostalgie zwischen Alpenkitsch, Weihnachtssentimentalität und Germanenromantik einen unwiderstehlichen Reiz […].82 77
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Stangneth (2011), S. 152. Das Titelblatt trug einen dunklen Holzschnitt, das Symbol der Zeitschrift ein Eichenblatt. Vgl. Finkenberger, Martin: „Dürer-Verlag (Argentinien, 19471958)“. In: Benz (2013), S. 160f u. Finkenberger, Martin: „Der Weg (Argentinien, 1947-1957)“. In: Ebd., S. 755f. Der Verlag meldete 1958, nach dem Ende der Herrschaft Juan Peróns, Konkurs an. Auch Südtirol war hier als ‚deutsches Land‘ Thema. N.G. [unbekannt]: „Deutsches Chorwesen in Südtirol“. In: Der Weg 4 (1950), H. 9, S. 804f. Wojak (2009), S. 291. Fritsch druckte auch Texte des mit Henri Nannen (STERN) persönlich bekannten holländischen SS-Kriegsberichterstatters Willem Sassen. Meding (1997), S. 9. Hier veröffentlichten auch Wilhelm Stapel, Hans-Friedrich Blunck, Hans F. K. Günther, Rudolf Rahn, Josef Mengele und Otfried Preußler. Siehe Otfried Preußler: „In zwei Tagen wär ich daheim …“. In: Der Weg 4 (1950), H. 8, S. 707. Auch Wilfred von Oven, ehemaliger Pressereferent Goebbels’, publizierte hier, während er mit einem von Rudolf Augstein unterschriebenen Presseausweis für den SPIEGEL, die FAZ und andere als Südamerikakorrespondent tätig wurde und 1950 vom BND rekrutiert wurde. Hachmeister (2002), S. 111f. Zur Rekrutierung beim BND siehe O. V.: „BND gibt Journalisten als Informanten preis“. In: DER SPIEGEL v. 02.06.2013. http://www.spiegel.de/spiegel/ vorab/bnd-gibt-journalisten-als-informanten-preis-a-903205.html [Zugriff: 10.03.2019]. Stangneth (2011), S. 152. Siehe auch Maler (1987), S. 338. Juan Maler, alias Reinhard Kopps, war ein aus Deutschland über Südtirol und Genua nach Argentinien (Bariloche) geflohener NS-Geheimdienstler, der in den späten 1940er Jahren Mitarbeiter bei Der Weg wurde. Er schrieb 1987, ins Verlagsprogramm habe man „die deutschen Dichter“ aufgenommen, die „man damals zu ‚Kriegsverbrechern‘“ erklärt hatte. Meding (1997), S. 113. Ebd., S. 153.
7.1 Kriegsgefangenschaft, Entnazifizierung und Netzwerkarbeit 479
Nicht wenige ehemalige NS-Journalisten schrieben für den Standpunkt und den Weg gleichzeitig, „Weltanschauung und der Hintergrund waren ähnlich“83. Daneben bestanden, wie bei von Oven und Bossi, enge personale Verbindungen zum frühen SPIEGEL und zum BND.84 Es wäre denkbar, dass sich beide aus den eng miteinander verwobenen Netzwerken kannten und gegenseitig halfen. Bisher gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass Bossi weitere Kontakte zum BND knüpfte. Das Archivwesen des Nachrichtendienstes schrieb, sein Name sei dort nicht bekannt.85 Allerdings waren seine Berichte während des Krieges bis in Reinhard Gehlens OKW-Abteilung ‚Fremde Heere Ost‘ gelangt, dem er spätestens bei Otto Abetz in der Pariser Botschaft begegnet war.86 Als ehemaliger Ostfeldzug-VAA wäre Bossi eine interessante Quelle für den Geheimdienst gewesen: Nach 1945 konnte die ‚Organisation Gehlen‘ versierte Fachmänner gebrauchen, vor allem die Ic-Mitarbeiter der Kommandobehörden, die relevante Informationen im aufkeimenden Ost-West-Konflikt besaßen.87 Nicht wenige Weggefährten Bossis fanden zum BND: Sein Förderer Rudolf Rahn, Propagandist Günther Heysing, AOK 2-Ic-Offizier Friedrich Wilhelm von Mellenthin88, General Friedrich Schörner, Johannes Schauff und andere.89 In den frühen 1950er Jahren wurden die US-Amerikaner auf den Weg aufmerksam. Die CIA stellte verschiedene Ausgaben als Beweismaterial für NaziTätigkeiten in Südamerika sicher. After American military authorities banned the sale in Germany of the pro-Nazi magazine, Der Weg (The Way) which is published in Buenos Aires, the publishers evolved a scheme to circumvent this control.
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Steinacher (2010), S. 60. Auch nach dem deutschen und österreichischen Verbot des Weg ab 1949 blieben verdeckte Vertriebswege offen. 1950 verzeichnete die Zeitschrift in Deutschland Abonnenten in fünfstelliger Höhe. Siehe Meding (1997), S. 153ff. Siehe zu den Verbindungen zwischen BND und SPIEGEL auch Hachmeister (2002), S. 114ff. E-Mail Dr. Andreas Elbach, Leiter des Referats Archivwesen im BND, an CP v. 16.02.2016. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.08.1941, PA AA, R 60705. Keßelring (2017), S. 40ff. u. 45ff. Ebd., S. 61. Franceschini/Wegener Friis/Schmidt-Eenboom (2017), S. 91 u. 104. Gehlen schleuste schon 1946 ehemalige NS-Männer, die er brauchen konnte, über die Alpen. Er nutzte die ‚Rattenlinie‘ gleichermaßen – später auch in Zusammenarbeit mit dem italienischen Geheimdienst SIFAR. Auch Hudal hielt Kontakt zu den Agenten. Siehe ebd., S. 56, 64ff. u. 75.
480
7. Nach 1945
Die Agency hatte in Erfahrung gebracht, dass der Weg „articles for publication from Germany and Spain“ erhielt. Die Zeitschrift „aims to revive the hopes and ambitions of defented Nazis“90. Bossis – alias Toni Herbstenburgers – Artikel von 1950, „Die Sehnsucht nach Gott“ (der im August 1948 beinahe wortgleich ebenfalls unter Pseudonym im Vorarlberger Volksboten erschienen war91) schildert den „Hunger“ der russischen Bevölkerung nach „Wiederbelebung des religiösen Lebens“. Die Wehrmacht habe die Menschen aus ihrer sowjetischen Unterdrückung und „Gottlosenbewegung“ befreit und ermöglicht, dass aus ihren Kirchen endlich wieder Gotteshäuser werden durften. Besonders die „in der Ideenwelt des Kommunismus erzogene Jugend“92 sei begeistert gewesen. Autor Bossi, der sich seit etwa 1938 im typischen NS-Jargon als ‚gottgläubig‘ bezeichnete und der während des Zweiten Weltkrieges nach Belegen suchte, dass die katholische Kirche „Hetze gegen das Dritte Reich“93 verbreitete, vermittelt dem Leser hier unter christlich-frommem Deckmantel den Eindruck, die Deutschen hätten als Verteidiger von Sitte und Glaube dem russischen Volk wohltätig und voller Hingabe Frieden, Freiheit und Traditionen zurückgebracht und die sowjetischen Kulturbarbaren davongejagt.94 Angesichts der deutschen Verbrechen im Osten kann das nur als zynisch gelten: Die Rückkehr der Kirchen und Priester im Osten hatte nur einen Zweck: Die Menschen sollten sich von den Kommunisten abwenden und mit den Deutschen gegen deren Wiederkehr kämpfen.95 Bossi übt mit dem Artikel eine pauschale, stigmatisierende Kritik am ‚gottlosen‘ Sowjetrussland und versucht gleichzeitig, die deutschen Besatzer reinzuwaschen, sie zu Heilsbringern zu 90
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Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: „DER WEG, PRO-NAZI MAGAZINE PUBLISHED IN BUENOS AIRES“. CIA information report. https://www.cia.gov/ library/readingroom/docs/CIA-RDP82-00457R003600620006-2.pdf [Zugriff: 14.09.2017]. Siehe auch ebd., S. 49ff. Siehe Herbstenburger, Toni: „Die Sehnsucht nach Gott. Erlebnisse in Sowjetrußland“. In: Vorarlberger Volksbote v. 28.08.1948, S. 3. Entnahmen aus: Herbstenburger, Toni: „Die Sehnsucht nach Gott“. In: Der Weg 4 (1950), H. 8, S. 703ff. Meding (1997), S. 151, listete BF als Zuträger nur mit dem Pseudonym auf. Bericht Nr. 10 des VAA beim AOK Abt. Ic/AO v. 29.05.1940, PA AA, R 60703. Siehe zur Bezeichnung als ‚gottgläubig‘ Fragebogen zum Nachweis der arischen Abstammung v. 15.06.1939, BArch R 9361-II/102614, Bl. 6, u. zur unnötigen Schonung der Kirche Bericht Nr. 16 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.06.1940, PA AA, R 60703. Religion als taktisches Mittel zu verwenden, schlug auch Himmler vor. Er schrieb Ernst Kaltenbrunner 1944, dass im Osten „von uns jede Religionsform und Sekte unterstützt“ werden müsse. Himmler an Kaltenbrunner v. 21.07.1944. BArch NS 19/1627, Bl. 78-81, hier Bl. 80. Auch Hitler wusste von diesen Ideen. Siehe Persönlicher Stab Reichsführer-SS an Chef RSHA, Kaltenbrunner, v. 28.07.1944. BArch NS 19/1627, Bl. 84.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
481
stilisieren. Nach 1945 bezeichnete er sich in einem italienischen Militärpersonalfragebogen schließlich nicht mehr als ‚gottgläubig‘, sondern (wieder) als „cattolica“96. Die Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahre führten offenbar auch zu familiären Veränderungen: Am 25. April 1950 ließ er sich von seiner Frau Liselotte scheiden, die kurz darauf mit Tochter Astrid in die USA auswanderte.97 Am 28. Juni 1951 erreichte Lieselotte Bunko New York (Pseudonyme „Lieselotte Bruder“ und „Lieselotte Rossi Fedrigotti“98), am 8. November 1956 wurde sie in Buffalo (New York) eingebürgert. Sie starb am 7. November 1987 im US-amerikanischen Hastings (Minnesota).99 Bereits am 8. Dezember 1950 kam Bossis zweite Tochter, Maria Immakulata (‚Marima‘), in Meran auf die Welt, deren Mutter Ballettmeisterin Charlotte Gundermann er am 17. September 1952 heiratete. Knapp zwei Monate später wurde Bossi in Herrsching am Ammersee Vater von Zwillingen: Alexandra Assunta und Peter Alfonso.100 7.2
Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
Einigen zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erfolgreichen Autoren gelang es, zunächst noch zaghaft, später immer offener, wieder zu publizieren und
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„Esercito Italiano, Specchio I“. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Beitrag zur Familie Bossi-Fedrigotti. In: Ehrenkrook u. Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 53f. Entnahmen aus: Department of Justice, Immigration and Naturalization Service, Alien Case Files 1944-2003, Record Group 566: Records of U.S. Citizenship and Immigration Services, A-File for Lieselotte Bunko. National Archives Catalog: https://catalog.archives. gov/id/7242626 [Zugriff: 03.01.2017]. BFs Tochter Astrid studierte später an der Cornell University in Ithaca (New York). Siehe Beitrag zur Familie Bossi-Fedrigotti. In: Ehrenkrook u. Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 54. Siehe auch E-Mail M. v. Norman (Enkel BFs) an CP v. 14.01.2010. In seinem kurzen Lebenslauf im Nachlass Alfred Strobels erwähnt BF zwei Enkel, die Kinder Astrids, Michael und Shelly. Vgl. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Beitrag zur Familie Bossi-Fedrigotti. In: Ehrenkrook u. Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 54. Die Einwohnermeldebehörde Innsbruck allerdings vermerkte, dass Alexandra Assunta und Peter Alfonso in Meran geboren wurden. Siehe E-Mail Peter Wackel, Meldebehörde Innsbruck, an CP v. 11.11.2010.
482
7. Nach 1945
Erfolge zu feiern – mancher schlüpfte dabei auch unter „den weiten Mantel der ‚Inneren Emigration‘“101. Viele belastete NS-Autoren schrieben weiter, ihre alten Bücher wurden wiederaufgelegt, sie taten sich in Akademien zusammen und verhalfen sich gegenseitig zu Preisen. Zwar bekämpften und verachteten sie teilweise einander, allermeist aber wahrten sie Stillschweigen übereinander, solange niemand daran rührte.102
Besonders nach der Währungsreform 1948 traten sie wieder hervor, als nicht mehr „ausschließlich die Besatzungsmächte die literarischen Neuerscheinungen lizensierten oder finanzierten“103. Viele dieser Schriftsteller kehrten, so der Literaturwissenschaftlicher Christian Adam, dorthin zurück, „wo sie hergekommen waren: in den sicheren Hafen der Heimatliteratur“104. Im Österreich der 1950er Jahre herrschte ein „antimodernes Klima“105 restaurativ-konservativer Natur, geprägt vom Mythos des schuldlos Überfallenen, das sich auch auf den Literaturmarkt auswirkte. Nach einer kurzen Unterbrechung waren Schriftsteller, die schon zur NS-Zeit publiziert hatten, auch hier wieder erfolgreich auf dem Buchmarkt.106 Die österreichische Literatur nach 1945 hatte zwar sich weniger, doch auch teilweise, als Erbin der Habsburger-Zeit betrachtet, mehr jedoch der ständestaatlichen Zwischenkriegszeit mit ihrer aufkeimenden ‚Österreich-Ideologie‘.107 Doch die „bedeutende Kontinuität der nichtemigrierten Literatur der OstmarkPeriode“ fand in der öffentlichen Auseinandersetzung wenig Erwähnung. Viele der Schriftsteller, die nach 1945 publizierten, waren auch bis 1938 aktiv gewesen. Dabei standen einige von ihnen dem völkisch-nationalen und nationalkonservativen Spektrum nah und veröffentlichten auch unter der NS-Herrschaft weiter. Manche waren von den Machthabern leicht zu vereinnahmen gewesen, andere wollten es mitunter auch. Die meisten österreichischen Autoren, die zwischen 1938 und 1945 in einer NS-Anthologie Platz fanden, waren nach 1945 im ‚Gesamtkatalog der
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Ketelsen (1976), S. 106. Siehe auch Winkler (2019), S. 235: „Niemand wurde wegen seines künstlerischen oder intellektuellen Beitrags zum ‚Dritten Reich‘ angeklagt – keine Riefenstahl, kein Heidegger, kein Benn, kein Blunck oder Johst“. Schütz (2015), S. 116. Siehe auch Busch (1998), S. 12f. Böttiger (2012), S. 27. Adam (2010), S. 309. Siehe auch Adam (2016), S. 17f., 131f. u. 310f. Müller (1990), S. 25. Zur Definition des Begriffs der ‚Antimoderne‘, den Müller mithilfe Ketelsens und Vondungs ausgestaltet, siehe S. 42ff. Müller (1990), S. 27f. u. Grüning (1992), S. 70. McVeigh (1984), S. 93.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
483
Österreichischen Bibliographie‘ „weiterhin und sogar mehrfach“108 dabei. In der Literaturzeitschrift Wort in der Zeit konnten sowohl Neuschriftsteller und Emigranten als auch Nicht-Emigrierte aus der Zeit zwischen 1934 und 1945 publizieren, darunter auch Bossi im Sonderheft Südtirol 1956. Bis in die 1960er Jahre hinein las auch noch manches Schulkind Texte von NS-nahen Schriftstellern in den Lesebüchern. Bossi allerdings tauchte hier nicht mehr auf: In der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich galt auch das Entfernen von belasteter Literatur als Teil der Entnazifizierung. Die Bücher sollten sowohl aus den Buchhandlungen, Schulen, Ministerien und Bibliotheken als auch aus Privathäusern verschwinden. Das Bundesministerium für Unterricht gab bereits im Januar 1946 eine Liste der gesperrten Autoren und Bücher heraus. Alle Publikationen, die eindeutig nationalsozialistische Ideologie enthielten oder der Kriegsverherrlichung, dem positiven Militarismus und der Förderung des Rassenhasses dienten, sowie alle Autoren, die bekannte Faschistenführer oder Kriegsverbrecher waren109,
wurden von Ladentischen und aus Bibliotheken verbannt. Bossis BuchPortfolio wurde auf der Liste gar nicht erst aufgeführt, von seinem Schaffen zu verbieten war schlicht „Alles!“110. Doch die Liste hinderte die Betreffenden nicht, weiter erfolgreich zu publizieren. So konnte auch 1954 unter Mitwirkung Bossis im Wiener TraunauVerlag ein deutsch-österreichischer Band unter dem Titel Kamerad in Feldgrau. Denkmal der Treue, Mahnung für alle entstehen, der, reich bebildert und mit Eisernem Kreuz und Doppeladler verziert, die Erinnerung an die ewige Waffenbrüderschaft in beiden Weltkriegen lobpries.111 Erst im Laufe der 60erund 70er-Jahre schwand die Präsenz der „‚Ostmark‘-Literatur“112. Auch in der sowjetischen Besatzungszone betrachtete man Bossis Publikationen genauer: Bis 1948 wurden acht seiner Texte auf die Liste der
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Entnahmen aus: Ebd., S. 93ff. u. 97ff. Stiefel (1981), S. 239. Siehe auch S. 242f. Bundesministerium für Unterricht (1946), S. 3. BF verfasste drei kürzere Beiträge für den Band: „Ritt in den Sieg“ (Preußen, Russen und Österreicher kämpfen 1813 gegen die Franzosen), „Tirols Volksaufgebot 1915“ (Der Kampf der Tiroler 1915 sei ein Symbol „opferbereiter Heimatliebe“ gewesen.) und „Das Heldenlied vom Col di Lana“ (Kurzzusammenfassung der Col-di-Lana-Texte BFs). Siehe BossiFedrigotti, Kamerad in Feldgrau (1954), S. 43-48, 104-108 u. 125-130. McVeigh (1984), S. 94 u. 102.
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7. Nach 1945
auszusondernden Literatur gesetzt.113 Das bereits im Februar 1946 erschienene Verzeichnis der auszusondernden Literatur des Berliner Magistrats hingegen legte – wie in Österreich – fest, von dem „NS-Schriftsteller“114 sei alles zu entfernen. Die U.S.-Besatzungsbehörden waren sich Bossis Belastung gleichermaßen bewusst. In ihrer Zone erschien wohl um 1945/46 die Illustrative List of National Socialist and Militarist Literature, die etwa 1.000 Texte und 30 Zeitschriften aufführte, die als typisch nationalsozialistisch und militaristisch zu betrachten und demnach als geächtet zu verstehen waren.115 Jedoch diente die Liste offenbar nur zur Information des Personals und führte nicht, wie im Osten Deutschlands, zur flächendeckenden Aussonderung der Bestände.116 Die U.S.Liste umfasst drei Texte Bossis: Standschütze Bruggler (1934), Das Vermächtnis der letzten Tage (1937) und Wir kommen, Kameraden! (1938). Schon die Arbeit für die eng mit Südamerika verbundenen oder dort erscheinenden Blätter Der Standpunkt und Der Weg könnten Anhaltspunkte dafür sein, dass Bossi Details der Fluchthilfe kannte, sie möglicherweise sogar unterstützte. Auch seine beiden ersten Nachkriegsromane, Das Bildschnitzerdorf (1951) und Christian der Grenzgänger (1951), thematisieren Verbindungen nach Südamerika. Das Bildschnitzerdorf (1951, Verlag Stiasny Graz117) handelt von der Bedrohung des fiktiven Tiroler Gebirgsdorfes Hochmadlein durch Armut, Auswanderung und fremde Investoren und die Rettung durch Heimatgefühl, Tradition und das Blut. Der Ort ist mit dem Boden verwurzelt und bringt so eine besondere ‚Schollenverbundenheit‘ hervor. In der stark völkisch aufgeladenen, tragischkämpferischen Geschichte soll der Schüler Michel Lorenzi nach Willen seines 113
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Dabei handelt es sich um Standschütze Bruggler, Österreichs Blutweg, Die alte Fahne, Kaiserjäger am Col di Lana, Das Vermächtnis der letzten Tage, Vormarschtage, Wir kommen Kameraden! und Spionage und Verrat in den Karpathenkämpfen des Weltkrieges. Das bedeutet offenbar auch, dass Andreas Hofer (1935) und Tirol bleibt Tirol (1935) weiter verkauft oder verliehen wurden. Siehe Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone (1946), Nr. 1315-1321 u. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone (1948), Nr. 824. Abteilung für Volksbildung im Magistrat der Stadt Berlin (1946), S. 16. Siehe. U.S. Information Control Division (Hg.): Illustrative List of national socialist and militarist literature. Verlags-, Orts- und Jahresangaben ließen sich nicht ermitteln. Gehring (1976), S. 36 u. Adam (2016), S. 25. Frau Dr. Astrid Wallner von der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur in Wien (Literaturhaus) schrieb, im Archiv des Stiasny-Verlages gibt es keine weiteren Unterlagen zu Das Bildschnitzerdorf oder zu BF im Allgemeinen. E-Mail Astrid Wallner, Literaturhaus Wien, an CP v. 08.01.2019.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
485
Lehrers Hans Mitterer Schnitzer werden. Als Vorlage für eine besondere Holzarbeit dienen ein historischer Fahnenträger des Ortes und die seit einigen hundert Jahren überlieferte Fahne. Er soll der Bildschnitzerei neues Leben einhauchen, um so einen wirtschaftlichen Aufschwung des ärmlichenbäuerlichen Landstriches einzuleiten. Die Menschen sind abhängig von in der fernen Stadt befindlichen Gläubigern, die ihnen immer stärker zusetzen (91). Doch nur wenige Bergbewohner wollen von ihrer bäuerlichen Tradition lassen. Einige sind allerdings schon vor Jahren ausgewandert, um der Armut zu entfliehen, angestiftet durch Menschen, die ein lockendes Geschäft mit der Auswanderung nach Südamerika betreiben. Michels Großvater, ein hoch angesehener Bauernbundobmann, hat einst dafür gesorgt, dass die Menschen im Tal bleiben, obwohl die Landwirtschaft kaum noch zum Leben reichte. Erneut denken nun einige Dorfbewohner darüber nach, auszuwandern. Doch Lehrer Mitterer will sie aufhalten; das sei Verrat an der Heimat, Verrat am Volk, aus dem man dann verstoßen würde. Zwischen ihm und Michels Mutter Maria entspinnt sich eine Liebesgeschichte, als plötzlich Michels Vater Franz wiederkehrt, der seine Familie vor Jahren verlassen hat. Er hat sich in Südamerika aufgehalten und wirbt nun aktiv für die Auswanderung. Maria schließt sich Mitterer, dem Heimatkünder, an und stellt sich gegen ihren Mann. Schließlich findet der Lehrer heraus, dass Franz Lorenzi von einem Investorenkonsortium aus Deutschen und Österreichern angeheuert worden ist, um möglichst viele Bewohner Hochmadleins abzuwerben, damit Platz für ein Wasserkraftwerk entsteht. Diese Fremden bedrohen also die ärmliche, aber stolze Idylle. Auch ein attraktives Lockmittel, eine „Brasilianerin aus tirolischem Blute“ (325), kann Mitterer und seine Unterstützer nicht umstimmen. Als auf einer Dorfversammlung über die Auswanderung abgestimmt werden soll, wird schließlich die uralte Fahne, übermächtig wirkendes Symbol, vorangetragen; sie ermahnt die Bauern, in der Heimat zu bleiben und gegen die Interessen von „fremden, nichttirolischen Menschen“ (275) zu rebellieren. Feierlich geloben die Dorfbewohner ihre Treue zur Heimat, die schließlich bewahrt bleibt. Verschiedene Passagen des Textes zeigen typische Textgestaltungsmerkmale Bossi-Fedrigottis, darunter vor allem jene, die die Erhabenheit der Tiroler Bergwelt symbolisieren, wie die „düsteren“ Täler, die „gewaltig schäumenden“ Wasserfälle und das „grollende Donnern“ (5, 175) von Lawinen. Mit überzogener Ergriffenheit will der Autor das Bild der urtümlichsten Landschaft zeichnen, vor der der Mensch ehrfürchtig erstarren müsse. Das Dorf ist umgeben von einer Art „Wehrmauer“, von einem „festungsartigen Ring“ (6), es bietet Schutz gegen ungebetene Eindringlinge. Die häufig im Dialekt sprechenden Personen, natürlich-starke und widerstandsfähige Bergmenschen, scheinen durch Not und Armut nur noch kräftiger zu werden. Sie sind Schöpfungen
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7. Nach 1945
und Gewächse der Berglandschaft, Ausprägungen der Natur und Teile des sensiblen Dorf-Organismus’. Michels Mutter Maria, eine schöne Frau mit dunkelblondem Haar und hellen Augen, stolz und wehrhaft-bäuerlich, ist die „Verkörperung eines edlen, gerade in den Hochtälern seßhaften Frauengeschlechtes“ (207). Bis auf sie, die Wehrbäuerin, und die verlockend-gefährliche Brasilianerin kommen kaum Frauen vor. Michels Großvater, der „grauhaarige, breitschultrige Mann“ mit dem „mächtigen Körper“ (96), verkörpert mit „Blut, Stolz und Härte“ die „Majestät eines uralten Bauerngeschlechts“ (107). Lehrer Mitterer will seine Jungen die Urtümlichkeit des Tiroler Landes, die Geschichte und den bäuerlichen Stolz spüren lassen. Er ist der aufrechte und starke, ruhige und sichere, wie selbstverständlich zum „Anführer und Vorbild“ geborene junge Mann, die Verkörperung jenes jungen selbstsicheren Menschenschlages, der ganz im Gegensatz zu den verlotterten Erscheinungen vieler junger Menschen […] heroben in den Hochtälern mehr und mehr heranwuchs. Trotz Armut und Not, trotz des Höfesterbens schienen viele junge Burschen in den Bergen erst recht von der Zähigkeit und von einem gewissen Trotz gegenüber der Not der Zeit erfüllt, wie sie einst die Vorfahren besessen hatten (123).118
Mitterer stemmt sich gegen die Auswanderungspläne von Michels Vater, die „Stimme im Blut“ sprich von Verrat. Bossi lässt den Lehrer in unverblümter Blut-und-Boden-Manier argumentieren: Der Bergbauer müsse sich „erst recht festwurzeln […] in der Heimaterde“ und dürfe nicht den „armen Heimatboden mit einem fremden Land“ (241) vertauschen. Schließlich gibt Mitterer inmitten der „harten, verknitterten Bauerngesichter, […] einem jungen Baum gleich, der aufzustreben verlangt zwischen jahrgrauen, moosbehangenen Stämmen“, unmissverständlich zu verstehen, weshalb die Pläne Franz Lorenzis Verrat bedeuten: Das Tirolertum müsse in Tirol bleiben und habe Aufgaben zu erfüllen, die mehr sind, als Leben können und ein Auskommen haben, zugleich mit dem Beibehalten von altem Brauchtum. Ein jeder Tiroler, der heute weniger ist in der Heimat, der fehlt unserem Volk […]! Und jeder, der unserm Land auch nur einen einzigen Menschen entzieht, versündigt sich damit gegen unser eigenes Blut!
Die Kontaktaufnahme zu Ausgewanderten sei nur dazu da, „weil wir verhindern wollen, daß sie untergehen in fremder Art und in fremdem Land“ (247). Man dürfe nicht zulassen, erklärt Mitterer seinen Schülern in biologistischem Duktus, „unsere Art wegzuverpflanzen“ (277). 118
Siehe auch S. 276.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
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Wie schon in nahezu allen bis 1945 veröffentlichten Bossi-Texten sind Bauern auch sechs Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus unverändert mit dem angestammten Tiroler Boden verwachsen, sind übermythisierte Vertreter des Volkes und Landes, Verwalter und Bewahrer des Volksbodens, auf dem „herrlichstes Heldentum“ der vergangenen Jahrhunderte „ein ganzes Bauerngeschlecht“ (60) sesshaft gemacht habe. Sie schöpfen ihre Kraft und ihren scheinbar gerechten, eisernen Willen aus der „heimatlichen Bergwelt“. Das Land überträgt seine Sinne offenbar auf die Menschen, die vor schwierigen Aufgaben „noch eine geheime Zwiesprache mit der Natur“ (11) pflegen. Wieder stilisiert der Autor die Bergbevölkerung („Berglergestalt“ (25)) zu Schollenbeschützern: Ob „Bauernschrank“ oder derbe „Bauernstühle“, „Bauernluster“ (23) oder „Bauerntischtuch“ (24) – Menschen, Landschaft, Häuser, Einrichtungen, Einstellungen, Werte und Normen sollen den echten, authentischen, bodenständigen, stets heimatlich-überhöhten, ahnenfürchtigen Tiroler Sinn zeigen, eine verschworene Gemeinschaft mit ihrer „uralten Wesensart“, wurzelnd in der „Zähigkeit des harten Bergbauernalltags“ (60), aus der sich zu lösen sinnlos ist (11, 60, 139, 207). Nur der völkischbehaftete Zusammenhalt des Dorfes, des Volkes – vor allem gegen bedrohende Fremde und Fremdes – kann den Ort schließlich retten.119 Bossis Figuren sind dabei stets (und erneut) Prototypen: Sie können und wollen ihre Heimat nicht im Stich lassen, stehen dem morbiden Stadtleben kritisch gegenüber (16ff., 27, 66). Wer sich nicht passend verhält, wird aus dem Organismus Volk ausgestoßen, ist ein Aussätziger, durchweg negativ behaftet wie Michels Vater. Die besondere Mahnung, treu zur Heimat zu stehen, wird in der Sonnwendnacht deutlich, die die Bergbewohner andächtig zelebrieren. Wenngleich auch vor 1933 und heute noch Sonnwendfeiern in Österreich abgehalten werden, dient dieses Ereignis im Text, mithin das Feuer insgesamt, als Massensymbol „naturhafte[r] Qualität“ zur Mystifizierung des Heimatgefühls, zur elementaren Verpflichtung der Menschen und Verschmelzung mit dem Land120: Es war Tirol, das heute zu den Herzen seiner Söhne und Töchter sprach. Im Leuchten dieser Feuer tat uralter Brauch den uralten Sinn dieser Flammensprache dem Bauernvolk kund. Das brennende Mahnmal einer stolzen Geschichte, das Leben und Kämpfen in harter Zeit, in Not und Bedrängnis sprach aus diesen Feuern und das Bekenntnis des Landes zur Freiheit (133).
119 120
Vgl. Grenz (1997), S. 223f. Vgl. zu diesem Motiv Wilcke (2005), S. 33f.
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7. Nach 1945
Knisternder „Funkenregen“, gierige „Flammenstöße“ (132), hellrot erleuchtete Steine unter einer klaren Sternennacht – es sollte das „Herz der Buben für ihr Tirolerland entflammen“ (134). Schließlich dient das Erlebnis auch dazu, Michel zu verändern: Unter dem „Sternendom dieser Sonnwendnacht“ hätten die Feuer zu ihm gesprochen, „von uraltem Väterbrauch und von den Flammen der Heimatliebe“ (142). Dabei erinnert der Terminus Sternendom unweigerlich an den von Albert Speer konstruierten, pseudosakral-fesselnden Lichtdom zu den Olympischen Spielen 1936 und den Reichsparteitagen in Nürnberg. Michel fühlt sich immer stärker mythisch an das Land gebunden. Doch nicht nur das Feuer soll Geschichtsmächtigkeit beweisen, auch die altehrwürdige Fahne des Dorfes aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, prächtig, mahnend, rufend, verpflichtend: „Wer die Fahn’ im Stich laßt, stirbt als oan Lump! (55)“. Wer sie in der Hand hält, schreitet plötzlich mit einer „seltsamen, stolzen Würde“ (384). Schließlich leisten die Dorfbewohner einen Heimatschwur auf die Fahne, der sie mit ihrem Leben verpflichtet. Das „alte, verwitterte Tuch“ (387) rauscht über den Köpfen der Menschen im Wind. Im Roman spielen so schließlich Feuer und Fahnen, Blut und Boden eine immer wieder auch explizit benannte Rolle: Die Fahne […], Blut und Boden als Symbole rassischer und agrarischer Identität, das Feuer, verzehrend und siegreich zugleich – solche Symbolisierungen bilden Anschauungs- und Verständigungsformen literarischer Volks-Gemeinschaft. Die Massensymbolik zielt auf Ursprünglichkeit. Sie will alle sozialen Vermittlungen ausschalten, um in der Anschauung des reinen Natur-Ursprungs – des Blutes, des Bodens – den Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft zu überschreiten und aufzulösen.121
Die ‚Volksgemeinschaft‘, Blut und Boden des Dorfes Hochmadlein, werden durch diese Symbolik scheinbar gerettet und vor Fremdem geschützt. Die Menschen, die allesamt ihren angestammten Platz einnehmen und ihre eigene Leistung nur für das Gemeinwohl erbringen, können nun ihre ‚Art‘ bewahren. Derart gestaltet, schließt der 1951 erschienene Text mühelos an Bossis völkisch-nationalsozialistische Publikationen der NS-Zeit an. Autobiografische Bezüge finden sich in der Tiroler Region und ihren Bräuchen, in der Erwähnung des Tiroler Volkskunstmuseums, dessen Leiter Bossi einst war, und auch in einem zitierten Gedicht des Tiroler Schriftstellers Anton von GoldeggLindenburg, eines Verwandten. Für Layout, Bindung und Format zeichnete Prof. Hans Reichenfelser verantwortlich, ein ehemaliger Angehöriger und Autor der Waffen-SS (Sie folgten dem Ruf des Führers. Erlebnisse eines 121
Entnahmen aus: Schnell (1998), S. 109f. Siehe auch Wilcke (2005), S. 31.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
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SS-Mannes (1941)) und Grafik-Professor in Graz, der nach 1945 als Illustrator für den Stocker-Verlag – bei dem Bossi später anheuern sollte – tätig wurde.122 Ein durch fremde Investoren und Auswärtige bedrohtes Dorf, das geplante Wasserkraftwerk, ein Lehrer, der seinen Schülern vorbildhaft als (auch geistiger) ‚Führer‘ vorweggeht und den Ort bewahrt: Mit dem Blick auf Bossis völkisch-nationalsozialistisch gestalteten Filmvorschlag von 1937, Der Karpfenteich, lassen sich zweifelsohne Ähnlichkeiten ausmachen. Der Streifen wurde nie produziert, der Stoff offenbar schon: Das bestätigte Bossi im März 1952 in einem Porträt des Standpunkt: Den Filmentwurf habe er ursprünglich im Auftrage Peter Ostermayrs erstellt und während des Krieges dann in „verschiedenen Lazaretten Musse [sic!]“ gehabt, aus dem Material einen Roman zu ersinnen. Aber erst nach der Kriegsgefangenschaft sei der „inmitten der Dolomitenwelt“ entstanden und stehe im Zeichen der 1951 aktuellen „Auswanderungssehnsucht“123. Unter dem Titel „Was Jugendbüchern not tut“ befasste sich DIE ZEIT im April 1952 mit der Frage, was ein „wirklich gutes, klassisches Jugendbuch“ ausmache, denn die seien eine Rarität. Auf dem deutschen Buchmarkt komme das Angebot der Nachfrage nicht nach. Der Artikel listet Texte auf, die aktuell erhältlich seien, wobei es sich hier implizit um Buchempfehlungen handelt. Nüchtern, hell und „der Erfahrungswelt des jungen Lesers“ nah ist die Richtung, die der Wilhelm Andermann Verlag, München-Wien, pflegt: […] Die alpine Grenze zwischen Österreich und Italien, Schmuggler, Grenzer und Flüchtlinge – das gibt die Farben für Anton Graf Bossi-Fedrigotti: Christian der Grenzgänger […].124
Christian Hirt, geboren im Juni 1933, Sohn einer ‚volksdeutschen‘ Sattlerfamilie, wächst auf dem Gut des ungarischen Barons Caky in Cakosvār (Westungarn) auf. Während der letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs flieht die Familie aus ihrer Heimat, wobei die Eltern von russischen Tieffliegern erschossen werden. Der 11-Jährige gelangt in ein DP (‚discplaced persons‘) -Lager für Ungarn in Tirol. Dort wird er durch den Lagerschuster Hollay, einem Landsmann, so schlecht behandelt, dass er, 1946 13-jährig, beschließt, den Ausweis des Schustersohnes zu stehlen, damit über die Grenze nach Südtirol/Italien zu 122 123 124
Gabalier, Katharina: „Heinz Reichenfelser, Grafiker. 1901-1969. Porträt Grazer Persönlichkeiten des Graz-Museums 2008. https://www.graz.at/cms/beitrag/10096266/7773004/ Heinz_Reichenfelser_Grafiker.html [Zugriff: 11.02.2018]. Entnahmen aus: Boensch, Alfred: „Wir sprachen mit: Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Der Standpunkt v. 14.03.1952, S. 6 u. 11. Entnahmen aus: O. V.: „Was Jugendbüchern not tut“. In: DIE ZEIT v. 10.04.1952, S. 32.
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7. Nach 1945
fliehen und auf ein Schiff nach Argentinien zu gelangen. Während der Flucht wird er im Hochgebirge von zwei österreichischen Zollwächtern, Egger und Hosp, erwischt, stürzt sich einen Hang hinab, wird von Hosp gerettet und in dessen Familie aufgenommen. Als er eines Tages ein Pferd von der Alm holen soll, gerät er in die Hände von zwei (Tier-)Schmugglern, Vater und Sohn Obermüller. Sie lassen den Jungen unter der Bedingung gehen, dass er Stillschweigen über die Begegnung bewahrt. Kurze Zeit später fährt Christian mit seinem Ziehvater nach Innsbruck, um vor einem Vormundschaftsgericht auszusagen. Auf der Fahrt erfährt er, dass die Zöllner kurz davor stehen, einem Menschenschmugglerring das Handwerk zu legen. Nach dem Gerichtstermin bringt Hosp Christian in ein Café, in dem der Junge spontan die Familie des Barons Caky und die etwa gleichaltrige Tochter Ilona trifft. Sie wollen mithilfe von Schmugglern über Italien nach Paraguay auswandern. Der Junge fühlt sich seinen ehemaligen Gutsherren verpflichtet und sagt zu, bei der Flucht als Ortskundiger zu helfen. Wenige Tage später erfährt er, dass der Flucht-LKW-Fahrer und der Lagerschuster Hollay den Plan den Zöllnern verraten haben. Er will die Familie Caky warnen, bevor sie in die Hände der Zöllner und Schmuggler gerät. Immer wieder schwankt er selbst zwischen bleiben und fliehen, wenn sich die Gelegenheit schon bietet. Doch auf dem Weg wird er von den Obermüllers ertappt, die den Jungen in eine Hütte sperren. Er schafft es, sich zu befreien, an den Treffpunkt von Flucht-LKW und Schmugglern heranzuschleichen und die Grenzgänger-Familie vor dem Verrat zu warnen. Als die Zöllner eintreffen, nimmt er die Gruppe mit in den Wald. Mit letzter Kraft erreichen sie die Grenze, doch Christian bleibt auf österreichischer Seite. Den Abschluss bildet eine Jugendgerichtsverhandlung; Christian ist der illegalen Fluchthilfe nach Italien und der Zusammenarbeit mit den Schmugglern angeklagt. Die Wendung bringt der Schustersohn Stefan Hollay, der plötzlich vor Gericht erscheint und bestätigt, dass sein Vater und der Schmuggler Obermüller die Flucht eingefädelt hatten. Christian sei es nur darum gegangen, Freunden zu helfen. Er wird zu drei Wochen Jugendarrest verurteilt, die bereits abgegolten sind. Bossi bleibt mit diesem Jugendbuch für 12-14-jährige Jungen seinen Themen aus der Zeit vor 1945 weitgehend treu: Vor dem Hintergrund eines durch die Zeitereignisse verdichteten Gewissenskonflikts in der Person Christian geht es um Tiroler Berge, die Zeitgeschichte Südtirols, um das ‚Schicksal‘ Volksdeutscher, aber auch um Interpretationen von Treue, Heimat und vermeintlich jugendlichem Heldenmut. Weite dialogische Passagen sind im Dialekt verfasst. Der personale Erzähler berichtet auf Hochdeutsch.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
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In der Einleitung, aber auch in anderen Passagen, begegnen dem Leser überzeichnete Begriffe, die die Region markieren sollen: „wuchtige Eckpfeiler“, „Sturzbäche jäh hervorbrechender Wassermassen“ und „zuckende Lichtfarben auf […] hochragenden Spitzen“125 (5). Ähnlich aufgeladene Termini finden sich wieder, wenn Christian sich des Anblickes der Berge bewusst wird. Immer dann, wenn Autor Bossi idyllisierend über seine Heimat126, die Berge und die Landschaft berichtet, erzeugt er die Atmosphäre einer urwüchsigen Natur, die mächtig und weise und gleichzeitig klar und rein den gesunden Boden ausprägen soll, auf dem die Menschen erst zur Handlung fähig sind.127 Auch wenn hier keine Stadt als ungesundes Gegenstück des Landlebens fungiert, wird das ländliche Leben trotz aller Gefahren im Gebirge idealisiert.128 Der Zweite Weltkrieg ist omnipräsent. Er wird nicht benannt, sondern dient als eine Art schicksalhafter Gewissheit, die alle mit sich tragen. Christians Ziehvater, „der kriegserfahrene, hartgesottene“ (24) Hans Hosp, war Wehrmachtssoldat. Er ist der schneidige, verantwortungsvolle Ex-Soldat, der „in militärischer Positur“ (40) eine dienstliche Meldung macht. Ohne zu zögern erklärt sich der Retter bereit, Christian bei sich aufzunehmen. „Soll so a armer Bua no’ weiter umanand g’schmiss’n werd’n? Der brauchet an strengen Vater, oanen, der ihm a nuichs Hoamatg’fühl gibt […]“ (40). Hosp entwickelt sich vom strengen Zöllner zum einfühlsamen Familienvater. Die neue Heimat prägt sich bei Christian in der Übernahme von Teilen des Dialekts ein (63, 84, 87). Auffällig ist Bossis dichotome, stark die Sympathie lenkende Beschreibung der Figuren. Christian, „deutschstämmiger ungarischer Staatsbürger“ (36), „ein hochaufgeschossener und magerer […] Knabe“, besitzt „dichtes blondes Haar“ (21) und blickt aus „großen blauen Knabenaugen“ (26). Er ist aufrichtig, ehrlich, wagemutig und entschlossen. Baroness Ilona wird ähnlich entworfen: „Das Haar fiel ihr in langen, blonden Locken über die Schultern herab. Das Mädchen hatte ein feines, schmales Gesicht“ (72). Von beiden Kindern wird berichtet, sie sprächen ein Deutsch „fremdländischen“ (74) oder „fremdartigen“ (31) Klanges. Ihre Dialoge sind jedoch in Hochdeutsch verfasst. Dass Bossi Deutsch-Ungarn so zeichnet, scheint kein Zufall zu sein. In verschiedenen Veröffentlichungen zur ‚Rassenlehre‘, insbesondere seit 1933, war der Versuch unternommen worden, eine phänotypische Trennung inklusive 125 126 127 128
Die Bezüge auf die Textstellen finden sich im Folgenden in Klammern hinter den entsprechenden Passagen. Vgl. zu dieser Art Pathos auch Wilcke (2005), S. 35f. Dazu zählen bei BF immer auch die Pferde. Sie sind in diesem Text lediglich die Kulisse, führen zum Zusammentreffen von Christian mit den Tierschmugglern Obermüller. Schnell (1998), S. 109f. Dohnke (2001), S. 13f.
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7. Nach 1945
entsprechender seelischer / charakterlicher Anlagen, zwischen ‚nordischarischen‘ und ‚anderen‘ Menschen vorzunehmen: Eine Rasse stellt sich dar in einer Menschengruppe, welche sich durch die ihr eignende Vereinigung leiblicher Merkmale und seelischer Eigenschaften von jeder anderen (in solcher Weise zusammengefaßten) Menschengruppe unterscheidet und immer wieder nur ihresgleichen zeugt.
Konkret sei die „nordische Rasse […] hochgewachsen, langköpfig, schmalgesichtig, mit hellen Haut-, Haar- und Augenfarben“. Auch die ‚seelischen Eigenschaften‘ scheinen übereinzustimmen: Will ein Zeichner, Maler oder Bildhauer den kühnen, zielbewußten, entschlossenen oder den edlen, vornehmen oder heldischen Menschen, Mann oder Weib, darstellen, so wird er zumeist ein Menschenbild schaffen, das dem Bilde der nordischen Rasse mehr oder weniger nahekommt.129
Im Roman sind die Österreicher und die ‚volksdeutschen‘ Ungarn Träger von Anstand, Recht und Tugend.130 Sie verhalten sich vorbildlich und verantwortungsvoll. Sie sehen gut aus (werden überdies vom Zeichner Carl Benedek auch so portraitiert) und sind stets gut gekleidet (u. a. 73). Im Gegensatz zu entschlossenem Heldenmut und blond-blauäugigen nordischen Menschen steht der prügelnde ungarische Lagerschuster Hollay, „schief gewachsen und schmächtig“ (96), der die Gruppe an die Polizei verrät. Er ist hinterhältig, gewalttätig und unberechenbar, ein „Schurke“ (83) und „Schuft“ (84), der darüber hinaus die Familie des Jungen bestohlen hat (39). Der einzige im Text erwähnte Pole, der LKW-Fahrer, ist ebenfalls ein Verräter. Für die Handlung hat die Nationalität des Fahrers keinerlei weitere Bedeutung; kein auktorialer Erzähler korrigiert oder erläutert.131 Der Schriftsteller spielt manipulativ mit vermeintlich (hinlänglich) bekannten Stereotypen der Rezipienten, auf Kosten der pauschal angeprangerten Volksgruppe.132 Selbst der Sohn Hollays, Stefan, der die Wendung im abschließenden Prozess bringt, wird von Bossi deutlich als vermeintlich ‚Andersartiger‘ gezeichnet: „Er 129 130 131 132
Entnahmen aus: Günther (1937), S. 11, 18f., 23ff. u. 59. Vgl. Lange (1993), S. 50f. Vgl. Stüben (1995), S. 70. Hinterhältigkeit ist eines von vielen wiederkehrenden Stereotypen über Polen in deutschsprachiger Literatur; entweder, um dieses Urteil weiterhin zu kolportieren, oder um es vor dem Hintergrund der Personenhandlung zu widerlegen. Stüben (1995), S. 68f. Siehe dazu auch Hahn (1995), S. 195: Stereotype brauchen einen bereits ideologisch bereiteten Boden, um zu wirken. Sie wirken herrschaftsstabilisierend, wenn es diese Grundlage gibt.
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trug das Haar in unordentlichen, schwarzen Locken und hatte ein breites, fleischiges Gesicht“ (120). 1937 ordnete Hans F. K. Günther, Anthropologe und NS-Rassentheoretiker, in Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes diese Merkmale der ‚ostischen Rasse‘ zu: „kurzgewachsen, kurzköpfig, breitgesichtig, mit dunklen Haut-, Haar und Augenfarben“. Der ‚ostische Mensch‘ sei beschaulich, erwerbsam, mürrisch und besäße eine „mißtrauische Verschlossenheit“133. Hochaufgeschossene und aufrechte, sympathisch gezeichnete Deutsche mit schmalem und feinem Gesicht, blonden Haaren und blauen Augen stehen schief gewachsenen Ungarn mit fleischigem Antlitz und schwarzen Haaren gegenüber – offenkundig völkischer Rassismus. Die Hollays bekommen jedoch die Chance, ihren Eindruck als Gewalttäter zu relativieren, indem der Schuster seinen sauber gekleideten Sohn, der einen „gutmütigen, offenen Ausdruck“ (120) zeigt, schickt, um vor Gericht auszusagen. Der Protagonist steht zwar als Verurteilter da, doch er bleibt für die Leserschaft der Held, der sich über das Gesetz stellt. Bossi thematisiert in Christian der Grenzgänger erneut Geschichten ‚Volksdeutscher‘, den Verlust der Heimat und die daraus resultierenden Folgen, ähnlich seiner eigenen Biografie. Er skizziert die Zeitumstände in Tirol und Südtirol unmittelbar nach 1945: „Mit dem Grenzdienst und seiner Härte waren besonders in diesen Zeiten viele Geheimnisse, spannende Vorfälle und gefahrvolle Begebenheiten verbunden“ (30). Auch seine Beschreibung der Flucht und der DP-Lager scheint realistisch, wenn er den Zöllner Egger murmeln lässt, dass „es […] eh’ die reinsten Bruststätten für Verbrechen [sind], diese Lager“ (39). Dass die Handlung sich um Schmuggelwege an der österreichischitalienischen Grenze (u. a. 29) dreht, zeugt 1951 von einer erstaunlichen Sachkenntnis: Der Autor wusste von Wegen und Beteiligten, von Genua, Netzwerken und faulen Deals. Neben seinen Kontakten zu Fluchthelfern, Geflüchteten und Journalisten in Südamerika und seinen eigenen Angaben zur Herbstenburg als Fluchtstation, verdichten sich mit dem Bildschnitzerdorf und Christian der Grenzgänger die Hinweise darauf, dass Bossi selbst nicht nur zufällig in die Fluchthilfe verwickelt war. Dessen jüngste Veröffentlichungen nahm Der Standpunkt im März 1952 zum Anlass, den Autor ausführlich zu porträtieren.134 Doch nicht nur die Jugendromane boten Anlass zum Gespräch, sondern auch seine Anstellung als
133 134
Günther (1937), S. 64. Siehe auch S. 19. Siehe Boensch, Alfred: „Wir sprachen mit: Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Der Standpunkt v. 14.03.1952, S. 6 u. 11.
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7. Nach 1945
Theaterregisseur in Meran.135 Dort war er in den frühen 1950er Jahren nicht offiziell gemeldet, auch nicht unter Pseudonym.136 Während dieser Zeit dürfte er außerdem für den öffentlich-rechtlichen Funk- und Fernsehsender RAI in Bozen gearbeitet haben.137 Der Standpunkt hatte schon 1950 über das Theaterstück ‚Schöne Boznerin‘ berichtet, laut „Regisseur Toni Herbstenburger“138 der „Mordserfolg einer Laienspiel-Operette“139, die im Bozner Minervatheater aufgeführt wurde. Im Rahmen des Porträts, zwei Jahre später, führte ihn die Zeitung dann allerdings unter seinem tatsächlichen Namen. Hier ist auch von weiteren Aufführungen zu lesen, unter anderem Kabale und Liebe in Brixen. 1952 schien Bossi aber nicht mehr hauptberuflich für das Theaterwesen in Südtirol gearbeitet zu haben; er lebe „jetzt viel in München“ und habe sich „aufs Filmen verlegt“, offenbar auch in Italien. Er wolle sich auf völkerverbindende Stoffe konzentrieren, um „‚Verständnis und Annäherung‘“ zu erreichen. Bossi berichtet hier von drei Filmprojekten: einer Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Dolomiten-Bergwelt bei Consortial-Film München, einem operettenartigen Liebesfilm in Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Margot Hielscher und einem ‚Van Daalen‘ in Venedig und einem Projekt, in dem sich ein österreichischer Offizier der Freiwilligenlegion unter dem habsburgischen Kaiser Maximilian von Mexiko in die Tochter eines feindlichen Generals verliebt.140 Der Porträtist, Alfred Boensch, hielt fest, wo es um die alte österreichische Armee gehe, da sei Bossi zuhause. Dabei wirke der Autor nicht „martialisch“, sondern aus seinem „gesunden Gesicht“ sprächen „unverwüstliche Lebensfreude und Weltoffenheit“ – man könne Pferde mit ihm stehlen. 135 136 137 138 139 140
Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. E-Mail Marco Scacchetti, Demografischer Dienst Stadt Meran, an CP v. 01.02.2016 u. v. 21.12.2017. Siehe auch E-Mail Lidia Ohrwalder, Meldebeamtin Stadt Meran, an CP v. 29.12.2015. Vgl. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Neben dieser eigenen Angabe BFs liegen jedoch keine weiteren Hinweise dazu vor. Mumelter, Hubert: „‚Die schöne Boznerin‘“. In: Der Standpunkt v. 24.02.1950, S. 4. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Boensch, Alfred: „Wir sprachen mit: Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Der Standpunkt v. 14.03.1952, S. 6 u. 11. Zur Consortial-Film in München konnten keine weiteren Hinweise ermittelt werden. Mit ‚Van Daalen‘ ist wahrscheinlich Robert van Daalen gemeint, der 1941 als Sonderführer für das Referat Film des RMVP in den Niederlanden und auch in der Propagandaabteilung Belgien (Brüssel) arbeitete. Offenbar konnte er nach 1945 in seinem ehemaligen Tätigkeitsfeld weiter tätig sein. Schiweck (2002), S. 58 u. 74f. u. Engel (2003), S. 419.
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Seine neueste Veröffentlichung, das ebenfalls 1951 erschienene Die beiden Teraldi, sei ein „bemerkenswertes Buch“. Es handelt von den Brüdern Mario und Ernesto Teraldi, die zwischen 1842 und 1849 als Italiener beide zunächst im österreichischen Militär dienen, bevor einer sich für die Seite Italiens entscheidet und gegen seinen Bruder und dessen Überzeugung kämpft. Bossi selbst berichtete, er habe schon lange den Plan gehegt, einen Roman aus der Zeit des Risorgimento mit seinen aufkeimenden italienischen Nationalstaatsplänen zu schreiben. Ich habe in meinem Buche klar ausgesprochen, dass das Blut die stärkere Macht ist, dass aber der Staatsgedanke seine Berechtigung hat. Ich glaube, es gibt keine endgültige Lösung des Problems. Es kann nur durch die Gesetze der Vernunft geregelt werden, und durch gegenseitiges Verständnis.
Der Text sei 1949/50 in Meran entstanden, einem Ort, an dem die „innige Verschmelzung von österreichischem und italienischem Wesen“141 zu spüren sei. Der Andermann-Verlag, ehemals ‚Zeitgeschichte‘, in dem dieser Roman und Christian der Grenzgänger erschienen, gab auch nach 1945 wieder „gesinnungsstarke Belletristik in hohen Auflagen“142 heraus; Bossi blieb seinen früheren Verlegern also treu. Das war auch möglich, da es im Verlagswesen der frühen Bundesrepublik keine Stunde null gab: „So wenig Zäsur war nie“143. Die Brüder Mario und Ernesto Teraldi, zwei aufrechte Jungen, werden, wie ihr Vater, Offiziere der kaiserlich-österreichischen Armee, gleich vielen anderen Italienern in Lombardo-Venetien, das bis 1866 österreichisch war. Mario lernt die Wiener Musikern Maria Moll kennen und lieben, die Kontakt zu Kreisen um Giuseppe Verdi hat, die einen italienischen Nationalstaat gründen wollen.144 Infolge einer „unglücklichen Verkettung von Ereignissen“ (290) wird Maria für eine Mitwisserin italienischer Umsturzpläne gehalten und soll verhaftet werden. Mario stellt sich seiner Braut an die Seite und gerät 141 142
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Entnahmen aus: Ebd. BF habe offenbar auch darüber nachgedacht, Die beiden Teraldi zu verfilmen. Wittmann (2015), S. 329. Siehe auch O. V.: „Die Qualität des Sektes. Familie Ribbentrop“. In: DER SPIEGEL v. 28.11.1951, S. 12-15, Verlagsanzeige für BFs Roman auf S. 14. Bei der zweiten Auflage 1952 (und der dritten 1960) im Palladium-Verlag Heidelberg handelte es sich um eine Andermann-Lizenzausgabe. Auch Bruno Brehm publizierte dort nach 1945. Bis auf die Erstausgabe (8.000 Exemplare) ist nicht bekannt, welche Auflagenhöhen erreicht wurden. Entnahmen aus: Adam (2016), S. 57 u. 71. Im Porträt in Der Standpunkt von 1952 berichtet BF, die Freundschaft seines Großvaters zu Verdi habe ihn stark geprägt. „Dem Meister zu Ehren nannte mein Großvater seine jüngste Tochter Alda“. Seine Tante habe noch 1952 in Rovereto gewohnt. Boensch, Alfred: „Wir sprachen mit: Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Der Standpunkt v. 14.03.1952, S. 6 u. 11.
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7. Nach 1945
so ins Blickfeld der Polizei. Aufgrund unehrenhaften Verhaltens soll er daraufhin aus der Armee ausgestoßen, möglicherweise sogar gehenkt werden. Mario und Maria gelingt mithilfe der nationalitalienischen Kreise die Flucht, doch sie stirbt bei einem Schusswechsel mit der Polizei. Nun fahndet diese erst recht nach Mario, der so wider Willen zum Staatsfeind wird. Beeinflusst durch wortgewandte Italiener, die an seine Abstammung appellieren, entwickelt sich Mario in einer immer dramatischeren Spirale zu einem glühenden Verfechter italienischer Freiheitspläne. Sein Bruder Ernesto hingegen hält Österreich die Treue. Nach Jahren sehen sich die Brüder in einem Scharmützel zwischen Armee und Aufrührern beinahe wieder und entgehen sich nur knapp. Schließlich scheinen beide akzeptieren zu können, welchen Weg der andere gewählt hat. Mario zieht es von den unorganisierten Rebellen letztlich zu den piemontesischen Bersaglieri-Offizieren, ein autobiografischer Bezug zum Autor. Wieder als regulärer Soldat, trifft Mario in einem Gefecht auf seinen Bruder, will dessen Tod noch verhindern, kommt jedoch bereits zu spät. Der auf die italienische Seite gewechselte Teraldi überlebt und sorgt für die Zukunft seines Neffen. In einem ORF-Radiointerview zu seinem 80. Geburtstag gab Bossi an, er habe versucht, die „Einstellung der jungen Offiziere“ zu verdeutlichen, die zwar Italiener waren, aber in Diensten der Österreicher standen. Die italienische Jugend habe „damals absolut ihr Vaterland und ihr Volk natürlich in den Vordergrund gestellt“ und die Österreicher „immer als Besatzer betrachtet“. Die Gegensätze sollten in den Familienverhältnissen hervortreten: Es fällt der Österreicher, in der Idee, in der Erfüllung seiner Pflicht als österreichischer Offizier und der andere Bruder kommt davon mit dem Leben usw. und anerkennt aber auch nachher, dass sein Bruder natürlich in seiner Pflichterfüllung das getan hat, was er musste, währenddem er natürlich als Italiener für sein Volk usw. und für die Zukunft seines Vaterlandes weiterlebt.145
Ein Bruder entscheidet sich für Österreich, ist ehrbar, ritterlich, aufrecht, ein dienstbeflissener Offizier (272f.). Der andere entscheidet für sein ‚Blut‘, für Italien, dem er seinen Wurzeln nach zu dienen hat – dem er aber nur deshalb hilft, weil er von italienischen Umstürzlerkreisen dazu getrieben und ermutigt wird. Beide Brüder fürchten den Tod nicht. Es überlebt der, der zwar Verrat (am habsburgischen Österreich) übt, aber nicht an seinem Volk (290f.). Das ist die entscheidende Botschaft, die Bossi mit diesem Roman sendet. Die meisten 145
Entnahmen aus: „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP.
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auftretenden Figuren sollen typische Vertreter ihres Volkes sein; „braune, mandelförmige Augen künden mit ihrem gewinnenden Glanz von Rasse und Temperament“ einer Tochter der Toscana, in einem stürmisch gespielten Fortissimo „rauscht […] italienisches Blut“ (24, 31, 54) auf. Die Pflichttreue zu Österreich ehrt die Figuren zwar in soldatischer Hinsicht, jedoch nicht im Hinblick auf die Treue zu Volk und Boden. Der Literaturwissenschaftler Hans-Georg Grüning schrieb 1992 in einer Arbeit über zeitgenössische Literatur Südtirols, Bossi habe mit diesem Text den „Versuch einer ideologischen Korrektur“ unternommen, der das „Problem des Zusammenlebens von verschiedenen Nationalitäten positiv zu lösen“146 versucht. Diese Einschätzung dürfte vor allem daher rühren, dass der Roman beide Seiten beleuchtet und schließlich in der Versöhnung der Brüder hätte enden können, wäre nicht einer gefallen. Eine FAZ-Rezension von 1952 befand, Bossi habe die romantisch-patriotischen „Unterströmungen der Jahre 1843-49 […] ausgezeichnet“ herausgearbeitet. Mitunter in einem „etwas reißerischen Präsens“ erzählt, „ein wenig naiv im Psychologischen, anständig und ritterlich in der Gesinnung“ und benetzt von einer „leisen Melancholie“, zeige der Text die „Trauer über den Untergang eines Systems, daß doch nicht so verrucht war, wie es die italienische Geschichtsschreibung gern darstellt“. Der Text, so die FAZ, sei frei von Ressentiments dem Sieger gegenüber. Durch ihn gehöre Bossi zu den wenigen Südtiroler Schriftstellern der Gegenwart, deren Sprache außerhalb ihrer Heimat verstanden wird, weil sie allgemein menschliche Probleme im historischen Gewand packend darzustellen wissen.147
Zu seinem 75. Geburtstag schrieb die Tiroler Tageszeitung, der Roman sei sein „schönster und wichtigster Roman“148. Doch wird hier das Zusammenleben zwischen Österreichern und Italienern nicht durchweg positiv dargestellt, sondern man respektiert sich. Weder Italiener noch österreichische Soldaten aus Ungarn, Polen oder der Tschechoslowakei werden, wie in anderen Bossi-Romanen, pauschal verurteilt oder stereotypisch negativ behaftet. Dem Autor gelingt es, gegenseitiges Verständnis der widerstreitenden Sphären darzustellen. Der Zwiespalt zwischen Besatzern und Bevölkerung, auch die aufgeladene Stimmung, dürften dabei authentische Züge tragen. Gemessen an dem hier zur Schau getragenen, pflichttreu-verwurzelten Volksverständnis von dem ‚Blut‘ als der stärkeren 146 147 148
Entnahmen aus: Grüning (1992), S. 70. Entnahmen aus: Rüdiger (1952), „Literaturblatt“. O. V.: „Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 75 Jahre alt“. In: Tiroler Tageszeitung v. 10.08.1976, S. 10.
498
7. Nach 1945
Macht, das über allem zu stehen scheint (und dessen Vertreter am Ende überlebt), kann allerdings nur im Ansatz von einer ideologischen Korrektur gesprochen werden. Schon im Standpunkt-Porträt von April 1952 hatte Bossi erwähnt, im Münchener Filmbusiness tätig geworden zu sein.149 Im gleichen Jahr führte er Regie bei dem Kurzfilm Land zwischen Gletschern und Reben, der bei CertusFilm in München entstand, von der Land- und Forstwirtschaft (Wein) in Südtirol handelte und das Prädikat ‚wertvoll‘ erhielt.150 Daneben begann er in den frühen 1950er-Jahren – durch seine Kriegsberichtererlebnisse dafür prädestiniert – sich als Militärberater an Film- und Fernsehprojekten zu beteiligen.151 Am 20. Januar 1953 berichtete die Passauer Neue Presse von einem „Dokumentarfilm über den Ostfeldzug“, der bei der Münchner CertusFilm unter dem Titel Beiderseits der Rollbahn entstand. Der Film sollte aus Wochenschau- und PK-Material zusammengesetzt werden. Als Fachmann habe man Bossi gewinnen können, außerdem den ehemaligen ‚Reichsfilmintendanten‘ Franz Hippler.152 Auch der SPIEGEL berichtete: In kerniger Vereinfachung umreißt auch der Militärschriftsteller Anton Graf Bossi-Fedrigotti von Ochsenfeld (‚Standschütze Bruggler‘) das Nahziel der von ihm militärwissenschaftlich betreuten PK-Nachgeburt: ‚Zu zeigen, der deutsche Soldat war doch ein Kerl‘.
Bossi hätte sich dahingehend geäußert, die Tapferkeit der deutschen Landser durch die ebenbürtige Stärke der Rotarmisten darstellen zu wollen, und auch, dass Freizeitbeschäftigungen von Soldaten wichtig seien: „90 Minuten 149 150 151
152
Siehe auch Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Datenbank zur Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005 (DFG-Langzeitforschungsprojekt). http://www.db.dokumentarfilmgeschichte.de/detail. php?typ=film&id=22058 [Zugriff: 18.03.2019]. Aus dieser Zeit stammt auch ein Brief des US-amerikanischen Rear Admirals Walter C. Ansel von Ende März 1953 an BF, der durch eine intensive Internetrecherche gefunden werden konnte. Ansel (1897-1977) untersuchte die deutsche Operation ‚Seelöwe‘ zur Invasion Englands und war offenbar im Zuge seiner Arbeit auf BF aufmerksam geworden. Konkret ging es um dessen Wissen über einen geplanten deutschen Lehrfilm von 1940. Eine Antwort ist nicht nachgewiesen. Rear Admiral Walter C. Ansel an BF v. 30.03.1953, Old Dominion University, Patricia W. & J. Douglas Perry Library, Walter C. Ansel Papers 1917-1974, Special Collections and University Archives, Collection Identifier MG 29, Box 4, Folder 45. O. V.: „Dokumentarfilm über den Ostfeldzug“. In: Passauer Neue Presse v. 20.01.1953, S. 4. Die Uraufführung fand schließlich am 07.07.1953 in Frankfurt am Main statt.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
499
Schießen hält niemand im Kino durch“. Das erwartete Filmpublikum, Millionen Ostsoldaten mit Familien, sollte sich wiedererkennen können. Das bereits genutzte, aber auch unverarbeitete Propaganda- und Wochenschaumaterial sei offenbar gegen Kriegsende beiseite geschafft worden. Ergänzt wurde es noch durch private Filmaufnahmen. Statt „Goebbels’scher Suggestions-Kommentare“153 war ein sachlicher Begleittext geplant. Doch das Ergebnis lässt eher das Gegenteil erkennen: Heroischer Kampf, massive Kriegsanstrengungen der Heimat, kein Wort vom Kriegsende, keine Hintergründe, kein Ausgang. Der Film betitelt sich selbst im Vorspann als Dokumentation, erwähnt aber mit keinem Wort den propagandistischen Zweck der PK- und Wochenschau-Aufnahmen: Was die Kinobesucher zu sehen bekommen, sollen sie als authentische Belege wahrnehmen.
Abb. 17 ‚Beiderseits der Rollbahn‘ – Filmische Nachkriegspropaganda.
Mit monumentaler symphonischer Musik unterlegt und sprachlich in zackigmilitaristischem Duktus gehalten, gipfelt die Aussage des Films darin, beim Zweiten Weltkrieg habe es sich um ein schicksalhaftes Ereignis gehandelt, 153
Entnahmen aus: O. V.: „Russland-Feldzug. Im Kino wiedererleben“. In: DER SPIEGEL v. 25.03.1953, S. 32f. Das Filmplakat stammt aus: http://www.filmposter-archiv.de/filmplakat.php?id=4990 [Zugriff: 27.07.2019].
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7. Nach 1945
in dem der deutsche Soldat sich stets anständig verhalten habe, Hitler der Schuldige und der Ostfeldzug ein Verteidigungskrieg gegen eine sowjetische „Bedrohung“ (Min. 04:04) gewesen sei und die Sowjetunion ohnehin nur durch US-amerikanische Hilfe habe durchhalten können. Doch nicht nur im Westen erregte der Streifen Aufmerksamkeit, sondern auch in der DDR. Unter dem Titel ‚Goebbelspropaganda steigt aus dem Grab‘ berichtete die SED-Zeitung Neues Deutschland Mitte September 1953 von dem Film, der neuerdings in West-Berlin laufe und der „aus nazifaschistischen und ausländischen“ Archiven zusammengestellt sei. Schon im Vorspann, wenn man den Namen des aus zahllosen nazistischen Durchhaltebüchern bekannten Grafen Bossi-Fedrigotti als ‚militärischen Berater‘ liest, ahnt man die Absicht. Doch von dieser Absicht […] merken die zahlreich anwesenden Halbwüchsigen mit den Texashemden nichts. Sie schlucken gläubig die haßverzerrten Kommentare der Sprecher, die schon wieder die neuaufgelegte Nazilüge von der ‚bolschewistischen Bedrohung‘ verzapfen dürfen.
Durch die Verherrlichung deutscher Generäle solle der Film auf die Bildung einer neuen deutsch-amerikanischen „Aggressionsarmee“154 vorbereiten. Tatsächlich kann man ihn bereits in einen Zusammenhang mit der Popularisierung der Wiederbewaffnung und der Gründung der Bundeswehr 1955 bringen, wie auch das Erscheinen neuer Kriegsromanhefte, in denen Bossi bald einen Platz finden sollte.155 Beiderseits der Rollbahn diente schließlich auch als Ausbildungsmedium der Bundeswehr, ist jedoch inzwischen „außer Kraft“156 gesetzt. Zwar wird der Zweite Weltkrieg nicht legitimiert, das militärische Handeln wird jedoch von der ideologiegeleiteten Großmachtpolitik getrennt betrachtet, um einen Rückzugsbereich zu konstruieren, in dessen Rahmen der Einzelne fernab eines verbrecherischen Krieges richtig gehandelt haben konnte – der Topos von der ‚sauberen Wehrmacht‘. Bossis Film ist Ausdruck und gleichzeitig Antrieb dieser Art Vergangenheitsbewältigung, indem er „die Tugenden des angeblich mißbrauchten ‚einfachen‘ Soldaten aus ihrem Funktionszusammenhang“157 isoliert und glorifiziert. 154 155 156 157
Entnahmen aus: Rattay, Arno: „Goebbelspropaganda steigt aus dem Grab. Betrachtungen. zum westdeutschen Film ‚Beiderseits der Rollbahn‘“. In: Neues Deutschland v. 15.09.1953, S. 4. Geiger (1974), S. 209. „Ausbildungsfilme der Bundeswehr“. https://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/ abteilungen/abtfa/bundeswehr_ausbildungsfilme.pdf [Zugriff: 03.08.2018]. Der Film wird hier unter der Registriernummer F 0013 geführt. Baron/Müller (1989), S. 32.
7.2 Ein Neubeginn: schriftstellerisch, cineastisch, geografisch
501
Dass solche Filme wie Beiderseits der Rollbahn gute Kasse machten, stärkte das Interesse an der Produktion weiterer Kriegserinnerungen auf Leinwand. Dazu zählte auch der 1956 erschienene, abendfüllende Film So war der deutsche Landser, von dessen Produktion der SPIEGEL unter dem Titel „So war die Wochenschau“ berichtete. Tatsächlich ebenfalls daraus zusammengeschnitten, war dessen Vorführung zunächst in einer Beratung der Freiwilligen Filmselbstkontrolle (FSK) aufgrund „militaristischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Tendenzen“ abgelehnt worden. Den Kontrolleuren hätten insbesondere der Text und die sprachliche Art der Darbietung missfallen, sodass der Krieg glorifiziert werde und wie ein „Heldenepos“ wirke. Doch gerade den „von ihm und seinem Militärberater Graf Bossi-Fedrigotti verfaßten Text“ hielt der Produzent Gero Wecker (Arca-Film Göttingen und Berlin) für das „wesentliche Stil-Element des Filmes“. Es sollte darum gehen, den ‚einfachen Soldaten‘ sprechen zu lassen; heraus kamen rassistische, kriegsverherrlichende und verblendete Kommentare in einem „selbstgefällig schnodderigen Jargon“, die die Propagandasequenzen zusätzlich verschärfen und den Originaltexten in nichts nachstehen. In den Krieg sei man als Spielball der großen Entscheider schlicht „‚hineingeschlittert‘“158, habe sich dann im Einsatz aber überaus nobel verhalten und wolle nach allen Kämpfen nur noch nach Hause. Alle Soldaten hätten es schwer gehabt. Besonders grotesk jedoch sind Szenen, in denen gut versorgte Rotarmisten gezeigt werden, die von Wehrmachtssoldaten Zigaretten erhalten. Das kam im realen Frontalltag zwar vor, vor dem Hintergrund hunderttausender in deutschen Lagern verhungerter und erfrorener Rotarmisten müssen diese Ausschnitte aber blanken Hohn und Spott bedeuten, vor allem, wenn der Sprecher bemerkt: „Na, für sie ist der Krieg wenigstens vorbei“159. Für viele war damit auch das Ende ihres Lebens besiegelt. Um die Besucher der seinerzeit höchst umstrittenen Hamburger Ausstellung ‚Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944‘ von 1994 in die „Stimmung jener Tage“160, als die Bundeswehr gegründet wurde, zu versetzen, wurde auch das Filmplakat von So war der deutsche Landser am Eingang 158
159 160
Entnahmen aus: O. V.: „So war die Wochenschau“. In: DER SPIEGEL v. 23.03.1955, S. 38f. Siehe auch Temming (2016), S. 61-70: Wecker versuchte vergeblich, offizielle staatliche Stellen der Bundesrepublik in die Produktion einzubinden, darunter das Bundespresseamt und das Amt Blank, um so der FSK später vorzuführen, das Projekt stehe unter Schutz und Förderung des Staates. So war der deutsche Landser (1956), exzerpiert durch CP. Janssen, Karl-Heinz: „Wehrmachtsverbrechen. Als Soldaten Mörder wurden“. In: DIE ZEIT v. 17.03.1995. https://www.zeit.de/1995/12/Als_Soldaten_Moerder_wurden [Zugriff: 28.03.2018].
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7. Nach 1945
der Ausstellung gezeigt. Nicht nur dieses, sondern auch der Film und seine Intention erhalten dadurch weiteren Symbolcharakter für eine restaurative Zeit in den 1950er Jahren, als die Vergangenheit zunehmend glorifiziert und für die Gründung einer neuen Armee instrumentalisiert wurde.161
Abb. 18 ‚So war der deutsche Landser‘ – Massenwirksame Heroisierung des Krieges.
Bei diesen beiden aus Wehrmachts- und PK-Aufnahmen zusammengeschnittenen Filmen der frühen Nachkriegszeit, die von einem Millionenpublikum angeschaut wurden, war Bossi-Fedrigotti maßgeblich für die nachgesteuerte Kriegspropaganda in Form von Drehbüchern und Filmtexten verantwortlich. Sie erst ermöglichten die verherrlichende Wirkung in der von der FSK ermittelten Weise und trugen somit auch dazu bei, den Mythos der heroisch und anständig kämpfenden Wehrmacht massenwirksam zu festigen. Als Kriegsgedienter hatte Bossi daran auch ein eigenes Interesse. Im FilmEngagement nach 1945 führten mehrere Stränge seiner Laufbahn zusammen: Mitte der 1930er Jahre hatte er bereits umfangreiche Erfahrungen als Drehbuchautor gesammelt, nicht nur bei Bruggler. Auch durch seine Bekanntschaft mit Hans Hinkel, seine Veröffentlichungen und Auftritte als geförderter Autor war 161
Die Abbildung des Filmplakats stammt aus der Internet Movie Database (IMDB): https:// www.imdb.com/title/tt0166807/mediaviewer/rm3856470528 [Zugriff: 07.04.2019].
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
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er weiten Kulturkreisen des NS-Staates bekannt geworden. So war er nicht nur infolge seiner Film-, PK-, Schrifttums- und Kulturkammer-Erfahrung, sondern auch im Hinblick auf seinen Kriegseinsatz als regimetreuer Propagandadiplomat prädestiniert als Texter für glorifizierende Nachkriegs-Filmprojekte. 7.3
Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
Anlässlich des Weimarer Dichtertreffens 1942 hielt Gerhard Schumann eine Rede unter dem Titel „Krieg – Bericht und Dichtung“. Das Schicksal verlange „gebieterisch nach Aufzeichnung“ und schon die Soldaten des Ersten Weltkriegs hätten die „wesentlichen Werke einer neuen volkhaften Dichtung“ geschaffen. So müsse es auch nach diesem Krieg sein. Wenn ein Dichter Kriegsberichter sein wolle, müsse er den „Krieg handelnd erleben“. Er muß die soldatischen Urdinge: den Marsch, den Hunger, den Durst, die Einsamkeit, die Angst, den Entschluß des Aufstehens zum Sturm, den Tod, den unpathetischen Sieg über den Tod handelnd und kämpfend erleben. Dann allerdings […] möchte wohl keiner besser auch zum Berichter bestimmt sein als der so gehärtete Dichter.162
Schumanns Rede steht in einem auffälligen Zusammenhang mit den ersten seit 1953 erschienenen Kriegsromanheften. Für diesen Markt galt das gleiche wie für den Film: Die unmittelbare Nachkriegsgeneration war historisch interessiert. Texte über noch soeben Erlebtes hatten Hochkonjunktur. Der Krieg und seine Folgen standen nach wie vor im Zentrum des öffentlichen Diskurses, allerdings auch bereits die Wiederbewaffnung, der Korea- und Kalte Krieg.163 Romanheft-Verlage taten also gut daran, Autoren zu suchen, die sich mit zeitgeschichtlichen Themen befassen wollten und konnten. Bossi besaß das Potenzial einer Idealbesetzung: Er war im Krieg weit herumgekommen, (wieder) schriftstellerisch tätig und hatte Kontakte zu militärischen, kulturpolitischen und publizistischen Kreisen, zu Verlagen und Filmproduzenten, die häufig wieder an gleicher Stelle wie vor Kriegsende wirkten. Eine der ersten Romanreihen, die ‚Schild-Hefte – Kameraden im Kampf‘ aus dem gleichnamigen rechtsextremen Verlag, bestand aus 16 Bänden, die stark der „früheren ‚Kriegsbücherei der deutschen Jugend‘ glichen“164 und zu deren
162 163 164
Schumann, Gerhard: „Krieg – Bericht und Dichtung“. In: Erckmann (1943), S. 59-71. Conrady (2004), S. 126f. u. Geiger (1974), S. 207. Brüdigam (1965), S. 161.
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7. Nach 1945
Abb. 19
Cover von Bossis ‚Landser‘ Totenbunker 403 von 2006.
Abb. 20
Bossis ‚Landser‘ 2014 in neuem Mantel und mit anderem Titel.
Autoren Bossi bereits 1953 mit Warum schweigt Bunker 403? gehörte.165 Der Text erschien seither in noch drei weiteren Versionen: 1962 als Landser-Roman Totenbunker 403 (der 2006 neu aufgelegt wurde) und 2014 als Das Rätsel um Bunker 403 in der neu erscheinenden Reihe Weltkrieg. Die vier Ausgaben sind kaum voneinander zu unterscheiden, der Inhalt ist identisch, die Titelseite zeigt stets brennende Panzer und verwundete deutsche Soldaten. Sie handeln von den Erlebnissen des Wachtmeisters Berthold an der Ostfront. Zu Beginn gelingt es ihm, eine Gruppe Rotarmisten zum Überlaufen 165
Vgl. Geiger (1974), S. 209. Die ‚Kriegsbücherei‘ wurde von 1939 bis 1945 auf Initiative des ‚Reichsjugendführers‘ Baldur von Schirach als „Propaganda- und Werbeschrift für den bedingungslosen Kriegseinsatz“ und die Opferbereitschaft „der deutschen Jugend“ produziert und kann möglicherweise als Vorbild nicht nur der Schild-, sondern auch der Landser-Hefte gelten. Adam (2010), S. 213. Vgl. Brüdigam (1965), S. 161 u. 201, App/Lemke (2005), S. 637 u. Weigand (2010), S. 8. Den 144. Band der Reihe, Störfeuer von ‚M17‘ (1944), schrieb Henri Nannen. Siehe auch Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland u. Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR, Braunbuch (1968), S. 436. Der bis heute unter dem Dach des Verlages ‚V DM Heinz Nickel‘ existierende SchildVerlag wurde 1950 von ehemaligen NS-Funktionären um Helmut Damerau, einstiger Landrat von Heydekrug (Ostpreußen) und NSDAP-Kreisleiter, in München gegründet.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
505
zu bewegen, nachdem diese scheinbar ihren Offizier ermordet haben. Sie versuchen, den Getöteten zu bestehlen, was Berthold zu verhindern weiß. Die Russen können das nicht verstehen: „‚Njet Offiziär, – das dort Politruk‘!“ (7). Bossi thematisiert hier (wie schon in den Kriegsberichten) den Umgang der Wehrmacht und der SS mit Politsoldaten der Roten Armee, die bis Frühjahr 1942 infolge des ‚Kommissarbefehls‘ ermordet wurden. Nicht die Deutschen töten hier den Politruk, sondern die Untergebenen, weil er die Männer unterdrückt zu haben scheint. Daher sei es auch nicht unehrenhaft, so insinuiert der Autor, ihn nach seinem Tod der Kleidung und damit auch seiner Würde zu berauben (7). Auf deutscher Seite angekommen, erkennt Berthold in Oberleutnant Brandl einen Klassenkameraden aus der Stella Matutina (Bossis Schule) wieder. Gemeinsam rezitieren sie Cicero und erinnern sich an ihren Lehrer.166 Der Autor bezeichnet Österreich als Teil Deutschlands, wenn er Brandl von seinem Weg zur Wehrmacht berichten lässt: Na – und ein begeisterter Deutscher war ich ja immer seit unserer Kollegszeit bei den Jesuiten, wo wir Buben aus Österreich und allen deutschen Ländern jahrelang einträchtig die Hosen auf den Schulbänken abgewetzt haben (11).
Als Berthold den Bunker 403 erreicht, macht er eine grausame Entdeckung. Die Rotarmisten scheinen wie Tiere gewütet zu haben: Hier waren neun deutsche Soldaten meuchlings niedergemacht und man hatte sie durch Genickschüsse ermordet! Mit der unbarmherzigen Brutalität eines Gegners, der jede Verpflichtung von Ritterlichkeit mißachtete, hatten jäh eingedrungene Feinde hier gewütet. Viehische, jenseits der selbst vom Kriege angewandten Gesetze stehende Gesellen (17).
Außerdem haben sie den Toten ihre Armbanduhren gestohlen. Nur durch Hinterhalte und unmenschliches Verhalten können sie die eigentlich überlegenen Deutschen besiegen. Mit „asiatischer Geschicklichkeit“ überwältigt „der Iwan“ (18) den Vorposten. Bei einem Gefecht erschießt Brandl „im Kampfe Mann gegen Mann“ etliche Rotarmisten, seine Handgranate reißt eine Lücke in „das heranstürmende Russenrudel“. Die Gegner werden brutalisiert, vertiert, beinahe ‚erlegt‘ und nicht nur als ‚fremdvölkische‘, hinterlistige Asiaten 166
Schon in Die alte Fahne (1940) fungierten Lateinkenntnisse als Merkmal gymnasialer Schulbildung. Sie dienen hier wie dort als Distinktionsmerkmal zur Abgrenzung der anderen, weniger gebildeten Männer / Jungen. BF schien sich noch gut an seinen Geschichtslehrer Fischer zu erinnern. Vgl. Bossi-Fedrigotti, Warum schweigt Bunker 403? (1953), S. 7.
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7. Nach 1945
gezeichnet, sondern auch stereotyp und abfällig stigmatisiert: „Von Splittern getroffen, krümmte sich Brandls Gegner und brach stöhnend in die Knie. Ein Geruch von Schweiß, Zwiebeln und Knoblauch umfing Brandl“ (21). Voller Rachegelüste mischt Berthold sich wie im „Fieber“ (25) unter die Rotarmisten und kann einen Panzer zerstören. Die Russen erwischen, würgen „ihn und zerhämmerten ihm mit unzähligen Faustschlägen die Schläfen. Dann war ihm, als trügen ihn kräftige Schwingen durch die Luft“ (25). Vorbildhaft opfert er sich und kann dem Leben entweichen. Doch eine Explosion rettet den „Panzerknacker“ (26). Berthold wird schließlich im Ehrenblatt des deutschen Heeres genannt und erhält das EK I. Er und Brandl vereinbaren, sich eines Tages wiederzusehen. „Als anständige Kerle“ wollen sie sich „die Hände schütteln können […]!“ Brandl meint, „das ist selbstverständlich! Wir waren doch deutsche Soldaten“ (29).167 Ihre Freundschaft scheint ihre Erfüllung gefunden zu haben: Daran mußte der schwerverwundete Wachtmeister jetzt noch denken. Er dachte aber auch daran, daß der in der Jugend bewiesene Geist der Kameradschaft nun in den Stürmen des Weltkrieges erst recht seine Bewährung erfahren hatte (32).168
In diesen Jahren publizierte Bossi auch im Deutschen Soldatenkalender (seit 1963 Deutsches Soldatenjahrbuch), einem revisionistischen und militaristischen Periodikum, das seit 1953 ebenfalls im Schild-Verlag erschien und sich vornehmlich an die militärischen Traditionsvereine, an ehemalige Soldaten und einschlägig Interessierte richtete.169 Doppelseiten über die NATO und auch der Abdruck des vom Bundestag verabschiedeten ‚Freiwilligengesetzes‘ von Juli 1955 sowie Informationen zum Personalgutachterausschuss des Bundestages (der über die Wiedereinstellung ehemaliger Wehrmachtssoldaten wachte) verwiesen auf die Gründung der Bundeswehr und warben für den neuen Dienst.170 Bossi zählte zu den Stammautoren des Jahrbuchs, verfasste zwischen 1958 und 1989 36 Beiträge, davon jährlich bis zu drei. Sie konzentrieren sich auf die Geschichte Österreich-Ungarns, auf das ‚Deutschtum‘ und die Orte Südtirols, 167 168 169 170
Vgl. Neitzel (2012), S. 235: Auch im Angesicht der Verbrechen im Osten seien die deutschen Soldaten anständig geblieben, so wurde häufig kolportiert. Vgl. Schnell (1998), S. 105ff. Vgl. Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland u. Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR, Braunbuch (1968), S. 437. Zu den Bundeswehrbezügen siehe Damerau (1956), S. 102-105 und 118-122. Siehe auch O. V.: „08/15-Verbände schießen wie Pilze aus dem Boden“. In: Berliner Zeitung v. 20.12.1956, S. 2.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
507
auf deutsch-österreichische Militärs und persönliche Erinnerungen.171 Er trug in diesem rechtsgerichteten Publikationsmedium dazu bei, dass Südtirol als Teil des deutschen Kulturkreises im Gespräch blieb. Dem sozialistischen ‚Systemfeind‘ blieb dieses Engagement nicht verborgen. Am 20. Dezember 1956 berichtete die ostdeutsche Berliner Zeitung, das Mitarbeiterverzeichnis des Kalenders von 1957 zeige eine „Mischung von abgeurteilten und begnadigten Kriegsverbrechern, unbelehrbaren und revanchelüsternen Militärs“. Bossi sei einer der „‚Prominentesten‘ dieser Namensliste“172. 1965 veröffentlichte er im Soldatenjahrbuch den Artikel „Fennerjäger …, Kaiserjäger! Ein Rückblick auf ihre Bewährung vor 150 Jahren“. Der war bereits im Februar 1945 im NS-Sprachrohr Bozner Tagblatt erschienen. Lediglich einige dem Zeitgeist offenbar nicht mehr angemessene Begriffe tauschte der Autor aus. Aus einer der „schönsten soldatischen Überlieferungen des großdeutschen Heeres“173 von 1945 wurde zwanzig Jahre später eine Überlieferung „europäischer Heere“174. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges standen die Traditionen ehemals österreichischer Regimenter noch im „Entscheidungskampfe um unseres Volkes Sein oder Nichtsein“175, 1965 deuteten sie auf die „uralte Wehrverfassung“176 Tirols hin. Im Schild-Verlag erschienen außer Kriegsheftchen und Jahrbuch-Beiträgen weitere Publikationen des Autors: eine Neuauflage des Jugendbuchs Andreas Hofer. Sandwirt von Passeier (1935) unter dem Titel ‚Ade mein Land Tirol …!‘ Andreas Hofer, Kampf und Schicksal (1975), das bis 1983 drei Auflagen mit 6.000 Exemplaren erlebte, Col di Lana. Kalvarienberg dreier Heere (1979, eine Auflage) und der zweite Band von Kadetten. Aus 300 Jahren deutscher Kadettenkorps (1989, eine Auflage). 171 172
173 174 175 176
Vgl. zum ‚Deutschtum‘ als Motiv auch Wilcke (2005), S. 39f. Entnahmen aus: O. V.: „08/15-Verbände schießen wie Pilze aus der Erde. ‚Soldatenkalender‘: Über 1106 militaristische Organisationen. Nazi-Kriegsverbrecher rühren Werbetrommel“. In: Berliner Zeitung v. 20.12.1956, S. 2. Für das Soldatenjahrbuch 1980 lieferte BF drei Beiträge. Im Vorwort betonte Panzergeneral Balck, die letzten Jahre hätten „Lücken tief in das Mark unseres Volkes gerissen“. Entscheidungen über Kriege würden nun in Übersee getroffen. „Schwarze und gelbe Völker sind erwacht und stellen sich gleichberechtigt neben Europa […]. Wollen wir bestehen bleiben, so können auf die Dauer nur der Soldat und der Wehrwille des ganzen Volkes der Garant unserer Zukunft sein“. Balck, Hermann: „Begleitwort“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch 28 (1980), S. 3. Bossi-Fedrigotti: „Der Fenner-Jäger erste Tat“. In: Bozner Tagblatt v. 17.02.1945, S. 4. Bossi-Fedrigotti: „Fennerjäger …, Kaiserjäger! Ein Rückblick auf ihre Bewährung vor 150 Jahren“ (1965), S. 128. Bossi-Fedrigotti: „Der Fenner-Jäger erste Tat“. In: Bozner Tagblatt v. 17.02.1945, S. 4. Bossi-Fedrigotti: „Fennerjäger …, Kaiserjäger! Ein Rückblick auf ihre Bewährung vor 150 Jahren“ (1965), S. 128.
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7. Nach 1945
1958 veröffentlichte der Pabel-Verlag zwei Landser-Bände Bossis: den ‚LandserGroßband‘ Nr. 18 (zweiwöchentliche Ausgabe), Reims – im Handstreich genommen, und Woronesch war ihr Schicksal (Nr. 18, wöchentliche Ausgabe).177 Mit Totenbunker 403 (Nr. 237, wöchentliche Ausgabe) und dessen Nachdruck von 2006 dürfte die Auflage dieser Publikationen inklusive späterer Ausgaben im Inland und deutschsprachigen Ausland ca. 400.000 Exemplare betragen.178 Die Zahl der tatsächlichen Leser soll allerdings bis zu siebenmal höher gewesen sein als die Verkaufszahlen.179 Bossis Texte könnten also bis zu 2,8 Millionen Menschen gelesen haben. Die Hefte werden meist zu Beginn entweder als Soldatenbericht180 (1962), Erlebnisbericht181 (2014) oder als „auf historischen Tatsachen“182 (1958) beruhender Roman aus der Perspektive des ‚einfachen Soldaten‘ beschrieben.183 Selten ist vermerkt, dass „Namensgleichheit oder Ähnlichkeit mit lebenden Personen […] rein zufällig und weder vom Autor noch vom Verlag beabsichtigt sind“184. Im Reims-Landser verfolgt der Leser den Wehrmachts-Leutnant Rudi Metzmer auf dem Vormarsch nach Westen, über die Aisne bis zur Eroberung von Reims und darüber hinaus – Stationen, die Bossi selbst als Soldat erlebt hatte. Den beinahe identischen Heftinhalt hatte der Buchmarkt schon einmal gesehen: Der Landser ist im Grunde genommen eine Neuauflage von Vormarschtage (1941), wobei die Handlung erweitert wurde und die Handelnden nun nicht mehr namenslos sind.185 Der Titel Reims – im Handstreich genommen nimmt den Ausgang eines Teils der Handlung vorweg: Nur noch der Weg zur Eroberung ist offen. Das
177
178 179 180 181 182 183 184 185
Der Pabel-Verlag, 1948 gegründet, war Mitte der 1960er Jahre einer „der größten Groschenheft-Verlage in der Bundesrepublik“ (Brüdigam (1965), S. 200) und firmiert heute als Pabel-Moewig-Verlag unter dem Dach der Bauer Media Group. Seit 1957 erschienen die Landser-Hefte in verschiedener Aufmachung. Schon bald lag die Auflage bei monatlich 500.000 Exemplaren, die vornehmlich von Kriegsveteranen, außerdem Bundeswehrsoldaten, Kameradschaftsvereinigungen und jungen Männern gelesen wurden. Vgl. O. V.: „Aus allen Rohren“. In: DER SPIEGEL Nr. 43 v. 21.10.1959, S. 76-78, hier S. 76. Berechnet angesichts der Veröffentlichungszahlen des SPIEGELs. Vgl. ebd. Conrady (2004), S. 127. Bossi-Fedrigotti, Totenbunker 403 (1962), S. 63. Bossi-Fedrigotti, Das Rätsel um Bunker 403 (2014), Titelseite. Bossi-Fedrigotti, Woronesch war ihr Schicksal (1958), Vorblatt. Vgl. auch App/Lemke (2005), S. 637f. Bossi-Fedrigotti, Woronesch war ihr Schicksal (1958), Vorblatt. Der NS-Gauverlag und Druckerei Tirol (ehemals Wagnersche Universitäts-Buchdruckerei / Universitätsverlag Wagner) unterhielt mit dem Gauverlag der Bayerischen Ostmark die vergleichsweise „umfangreichste belletristische Buchproduktion“ aller Regionen. Strothmann (1960), S. 366.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
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als Modaladverb fungierende ‚im Handstreich‘ erweckt den Eindruck eines schnellen, kühnen Sieges als Spiegelfläche gemeinsamer „nationale[r] Identifikation“.
Abb. 21 Kriegsberichte in Erlebnishefte gegossen: ‚Landser‘-Großband Bossis.
Auf der plakatartigen Titelseite sind vier Soldaten zu sehen, zwei von ihnen bewaffnet. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck dringen sie in eine Stadt ein, die durch die Kathedrale als Reims zu erkennen ist. Der mittig abgebildete Soldat soll als Leutnant zu erkennen sein. Auf sein linkes Bein geneigt, trägt er sein MP 40 drohend im Anschlag. Das Gesicht ist extrem scharf gezeichnet – klare Kanten, scharfe Nase, starrer Blick. Immer wieder finden sich im Heft entschlossen dreinblickende, angespannte Männer mit scharfkantig geschnittenen Zügen. Auf den Titelbildern der Reihe ist das keine Seltenheit: Es sind, so Geiger, immer bis zu drei deutsche Soldaten in einer Vorwärtsbewegung mit Waffen zu sehen.186 Ihre Darstellung folgt dem ideologischen NS-Körperideal eines „‚jugendlichen Gottmenschen‘ ohne Intellektualität und Sensibilität, athletisch, kampfbereit, diszipliniert und ohne Todesfurcht“187. Für Schwäche 186 187
Entnahmen aus: Geiger (1974), S. 21 u. 23. Vgl. auch Conrady (2004), S. 128. Benz/Graml/Weiß (2007), S. 159. Für die plastische Konstruktion des neuen Menschenbildes zeichneten vor allem Arno Breker und Josef Thorak durch ihre Figuren verantwortlich.
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7. Nach 1945
und Weichheit ist politisch und ästhetisch kein Platz, im Landser auch 13 Jahre nach dem Krieg nicht. Mit seinem neuen Roman ruft uns – den Kriegsteilnehmern des schnellen Frankreich-Feldzuges – Graf Bossi-Fedrigotti noch einmal jene Vormarschtage des heißen Juni 1940 in die Erinnerung zurück, Tage, die verblaßt waren hinter dem bitteren Kampf in Rußland. Mit der ganzen Kraft seiner farbig schildernden Feder berichtet der Autor von einer Aufklärungs-Abteilung und deren Männern, von einer Truppe, die schon im Kriege 1939/1945 nur noch selten in Erscheinung trat und es wohl nie wieder tun wird: von der Kavallerie. Bossi-Fedrigottis Liebe zu den Pferden gibt diesem Roman wiederum eine besondere Farbe, die im Verhältnis des Menschen zur Kreatur herrlich strahlt und jeden anrührt. Zugleich aber auch mahnt das geschilderte Geschehen, den Krieg zu meiden (4).188
Der niederschmetternde Russlandfeldzug weckt kaum gute Erinnerungen, doch der Westfeldzug, mit ihm erfolgreiche Schlachten und Blitzsiege, war offenbar schon eher geeignet, eine Kriegsgeschichte ohne Erinnerungen an allzu traumatische Erlebnisse zu schreiben. Der Vormarschtage-Text, den der Autor noch vor dem Ostfeldzug fertiggestellt hatte, konnte also wieder gebraucht werden. Einleitend beschwichtigt der Text, der Krieg sei zu meiden – eine Art Rückversicherung. Da der scheinbar pazifistische Charakter des Ganzen von vorneherein bestätigt wird, darf der Leser ohne Reue die Inhalte genießen, auch sich in aggressive Handlungen einfühlen; die Voranstellung anerkannter Werte legalisiert die Herrschaft der ‚subterranean values‘.189
Im Landser werden die beiden Teile der Vormarschtage-Erzählung („An der Aisne“ und „Reims“) mit der Geschichte des ‚volksdeutsch‘-elsässischen Offiziers Mühlheim und seiner attraktiven Tochter miteinander verknüpft. „Metzmer erblickte einen schmalen, fast eckig wirkenden Kopf. […] Eine hohe Stirn überdeckte die für viele Romanen typischen buschigen Brauen“ (31). Die Männer sprechen deutsch miteinander. Mühlheim wird in seinem Auftritt und Wesen im Gegensatz zu den übrigen französischen Soldaten als sehr korrekter und anständiger Soldat charakterisiert, während die Franzosen insgesamt eher ängstlich scheinen, sich nicht dem offenen Kampf stellen und flüchten, wo sie 188 189
Auch Woronesch war ihr Schicksal (1958) besitzt ein Vorwort, Totenbunker 403 (1962) jedoch nicht. Geiger (1974), S. 29. Mit dem Verweis auf J.M. Yinger, Contraculture and Subculture (1960) konkretisiert er den Begriff: „Gemeint sind Werte, denen Würde und Öffentlichkeit der ‚public values‘ fehlen, die aber dennoch weite Verbreitung und […] auch Anerkennung, zumindest Nicht-Sanktionierung, genießen“.
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nur können (u. a. 48ff.). Das hat hinsichtlich der Intentionen des Autors eine weitere Funktion: Meist bleiben die gegnerischen Soldaten Masse, Gefahr, Objekt. So wird dem Leser die Einfühlung in Denken, Fühlen, Handeln einer Seite aufgezwungen – und in der überwältigenden Mehrzahl der Hefte handelt es sich dabei um die Seite der Deutschen.190
Bossi nutzt die Figur Mühlheim, um völkische und rassebiologische Elemente einzuflechten. Die Beschreibung ähnelt Positionen, gewonnen aus Axiomen der NS-Rassenkunde.191 „Auch dem Laien, der die Bevölkerungen Europas durchmustert“, schrieb der Rassentheoretiker Hans F. K. Günther 1937, prägen sich doch bei aller heutiger Vermischung der europäischen Rassen einige ihm als rassenhaft erscheinende Menschenschläge ein. Er glaubt im Süden Europas einen kleinen, schlanken, dunklen Schlag mit flüssigen Bewegungen und beweglich leidenschaftlichem seelischem Wesen zu erkennen, der dem italienischen, spanischen und französischen […] Volkstum etwas verleihe, was gerne als ‚romanische Art‘ bezeichnet wird.192
Bei Mühlheim finden sich (nach Günthers Kriterien) Merkmale einer nordischen und ‚westischen Rasse‘. Die hohe, nordische Stirn und der schmale, gleichzeitig westisch-eckige Kopf mit dunklem Haar, dunklen Augen und Augenbrauen sind Merkmale, mit denen der Autor versuchen könnte, Vermischungen zwischen dem deutschen Erbgut der Mutter und dem westischromanischen des Vaters zu konstruieren.193 Menschen ‚gemischten‘ Blutes, so insinuiert der Text, sind zerrissene Charaktere, schwankend zwischen den Loyalitäten und Solidaritäten, die sie beiden ‚Rassen‘ gegenüber fühlen. Sie können […] persönlich integer und zu bedauern sein; ihrem verzweiflungsvollen Schicksal entgehen sie nicht.194
Es entsteht der Eindruck, der Autor rufe eine tragische Stimmung hervor: Der Elsässer, der durch seine Herkunft bestimmte ‚Rassemerkmale‘ erkennen lässt, aber im Grunde Volksdeutscher ist, dient dem französischen Staat. Wie wäre 190 191 192 193 194
Ebd., S. 95. Benz, Wolfgang: „Rassenkunde“. In: Benz/Graml/Weiß (2007), S. 720f. Günther (1937), S. 13. Vgl. ebd., S. 21f., 25f. u. 61 (‚seelische Eigenschaften‘). Düsterberg, „Herybert Menzel“ (2011), S. 152. Siehe auch Boehm, Max Hildebert: „Vom Chauvinismus zum völkischen Nationalismus“. In: Boehm/von Loesch (1936), S. 16-24, hier S. 21.
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es gewesen, könnte sich der Leser fragen, wenn das Elsass nach dem Ersten Weltkrieg nicht wieder Teil Frankreichs geworden wäre? Ganz ohne Worte scheinen sich die beiden zu verstehen: „Und mit einem Male verneigte er [Mühlheim] sich leicht. Metzmer fuhr rasch mit der Hand nach dem Helmrand“ (35). Der im Kriegsbericht und in Vormarschtage Rad fahrende Leutnant, bei dem Günther Heysing als Vorlage diente, erhält hier den Namen Günther Kressing, womit noch deutlicher wird, auf welche Weise der Autor sich beider Ursprungsdokumente bediente. In Reims spüren Metzmer und Kressing Jeanne auf, die Tochter Mühlheims. Schnell bemerken sie die Scheu der Franzosen: „Lächerlich diese Angst vor uns. Wir tun doch keinem Menschen etwas“ (59). Schuld sei die „Wirkung der Propaganda“ (59). Als Jeanne erfährt, dass das Haus ihres Vaters durch deutsche Artillerie teilweise zerstört worden ist, zeigt sich die Wirkung der französischen Propaganda: „‚Unser Haus ist zerstört, sagen Sie? Oh, diese Barbaren […]!‘ (61)“. Auch in späteren Bossi-Texten taucht das despektierliche Motiv ‚deutsche Barbaren‘ wieder auf. Er versucht wiederholt, dieses (durchaus unter Deutschen bekannte) Stigma durch besonders betonte ‚Ritterlichkeit‘ und Hilfsbereitschaft zu konterkarieren, wonach die Gegner ihren Irrtum stets selbst erkennen.195 Die Geschichte der Familie bildet eine Nebenhandlung mit Bezügen zu ‚volksdeutscher‘ Identität, ein mitunter typisches Motiv des Landsers: Auch Deutsche oder Deutschstämmige aus okkupierten Gebieten sind teilweise mit dabei. Es wird versucht, einen Querschnitt des deutschen Volkes zu suggerieren, um Sympathie zu erwecken.196
Über Jeanne versucht sich der Verfasser an der Konstruktion des ‚typisch‘ französischen Mädchens und lenkt den Leser auf nationale Stereotype: Typische junge Französin anscheinend. Eigenwillig bis zur Ungezogenheit, dabei trotz der Niederlage, die wir ihren Armeen zugefügt haben, überheblich und arrogant. Ich schätze: ein schwarzhaariges Biestchen wie die Tante (59f.).
Phänotypisch und charakterlich könnte sie eine echte „Marianne“ (60) sein, Sinnbild französischen Nationalstolzes und französischer Freiheit.197 Aber
195 196 197
Vgl. Bossi-Fedrigotti (1963), S. 141. Vgl. dazu auch Borgschulze/Freitag (1999), S. 49. App/Lemke (2005), S. 638. Vgl. „Marianne“. In: Brockhaus (2002), Bd. 9, S. 105.
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statt des ‚schwarzhaarigen Biestchens‘ erlebten sie hier einen Typ, dessen blonde Locken ebensogut [sic!] in Berlin zu Hause sein konnten wie in Wien. Und die Augen […] waren von strahlendem Blau (60).
Von ihrem Erscheinungsbild her sei sie, die Tochter des elsässischen Offiziers, demnach eher eine Deutsche, blond und blauäugig. Man hätte ihr wie bei einem verwöhnten Kind die ungezogene Haltung nachsehen können. Sie liebte eben ihr Vaterland, und das entschuldigte manches. Erstaunlich dabei war nur, daß sie Mühlheim hieß und aus dem Elsaß stammte (64).
Wie ihr Vater schwankt Jeanne zwischen den ‚Rassen‘. Die wortlose, fast organische Verbundenheit Metzmers mit Mühlheim und seiner Tochter, der er zugeneigt ist, soll offenbar zeigen, dass ‚artverwandte Menschen‘ in gewisser Weise zusammengehören, auch wenn Kriege und Staaten sie trennen. Nach dem Waffenstillstand macht sich die Gruppe Metzmers auf den Weg nach Paris. Währenddessen trifft der Jeanne wieder, die von der Gefangennahme ihres Vaters berichtet. Er verspricht, sich persönlich um dessen Verbleib zu kümmern, denn „Ritterlichkeit war nach seiner Auffassung eine der niemals abzuleugnenden Pflichten eines Soldaten“ (91). In der abschließenden LandserSzene zeigt sich wiederholt eine der ideologischen Intentionen der HeftHerausgeber, nämlich die Wehrmacht „als unkorrumpierbare, unpolitische Organisation“198 zu rehabilitieren. Hier verhalten sich die Deutschen stets anständig und pflichtbewusst. Dass sich die Handlung zur Zeit der NSHerrschaft abspielt, wird nicht thematisiert.199 Damit fehlen wichtige Voraussetzungen zur Erklärung des Krieges und der Romanhandlung, was wiederum zu einer starken Konzentration auf die tadellose Haltung der Figuren führt. Zusammenhänge müssen so nicht kontextualisiert werden; vielmehr kann der Rezipient den Inhalt und die damit einhergehenden Argumentationsketten ohne weitere Erklärungen aufnehmen. Die Erfolge der Landser-Hefte waren nicht nur an die allmähliche Wiederbewaffnung gekoppelt, sondern auch Nachwirkung des Mythos von der ‚sauberen Wehrmacht‘, von den aufrecht und anständig gebliebenen Soldaten in einem verbrecherischen Umfeld. Doch schon Bossis Kriegserlebnisse zeigten: Zwischen der Kriegführung im Osten und der im Westen bestanden erhebliche Unterschiede.
198 199
Geiger (1974), S. 59. Conrady (2004), S. 132.
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Vier Leserbriefe (davon drei von Kriegsteilnehmern) schließen den Band ab. Sie halfen dem Verlag dabei, Inhalt und Aufmachung rückwirkend zu legitimieren. Die Hefte entsprächen „den Tatsachen“. Einer freute sich, daß Sie den Mut haben, in der heutigen Zeit, in der alles so verzerrt wird (Hauptsache Geld verdienen!), die Wahrheit zu bringen und beglückwünsche Sie. Das hat nichts mit Militarismus zu tun.200
Herausgeber Pabel bezeichnete seine Hefte als pazifistisch und verantwortungsbewusst. Die Jugend brauche „doch auch heute Kameradschaft. Sie soll sehen, wie das im Krieg war“201. Doch einige Bände landeten 1960 auf der Liste jugendgefährdender Schriften, allerdings keiner von Bossi.202 Dabei dienten auch sie auf Basis dienstlicher Dokumente aus der NS-Zeit nach 1945 als „braune Einstiegsdroge“203. Das Heft ist auch ein Beispiel dafür, wie Bossi einen seiner Kriegstexte von 1941 nach 1945 aufwändig verändert, ihn jedoch nur scheinbar dem herrschenden Zeitgeist anpasst und so weltanschauliche Inhalte in neuer Verpackung transportiert. Er hat die Gelegenheit nicht genutzt, seine Geschichte reflektierend von belastenden Passagen zu befreien. Im Gegenteil: Er hat Belastetes und Belastendes vielfältiger eingeflochten und Neues hinzugefügt. Nur allzu offensichtliche NS-Termini und politisch nicht mehr opportune Stellen wurden geglättet oder verschwanden. Die Konzentration liegt im Landser nicht mehr, wie noch in Vormarschtage, vornehmlich auf der weltanschaulichen Untermalung der Handlung. Die Begräbnisszene zu Beginn ist 1941 noch der Moment, der der Jugend ihre Verpflichtung für Kampf und Sieg aufgibt; 1958 konzentriert sie sich auf die Anständigkeit des Wachtmeisters (12f.). Die heroische Wehrmacht siegt in kriegsverherrlichenden Passagen zwar nach wie vor, jedoch mithilfe weniger überfrachteter Termini. Die Propagierung der Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen, auch der Volksdeutschen, findet sich nun nur noch unterschwellig in den Charakterisierungen Mühlheims und des Wachtmeisters. 1941 ließ Bossi ihn noch in einer umfangreichen Szene durch 200 201 202
203
Entnahmen aus: Scholten (2016), S. 126. O. V.: „Aus allen Rohren“. In: DER SPIEGEL Nr. 43 v. 21.10.1959, S. 76-78. E-Mail Janis Niehaus, Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, an CP v. 22.04.2016. Bei Pabel sah man der Indizierung einiger Hefte offenbar gelassen entgegen. In manchen findet sich eine Rechtfertigung, gleich einer salvatorischen Klausel: „Vielen Menschen verursacht Kriegsliteratur ein unangenehmes Gefühl“, aber „‚Landser‘ nicht lesen zu wollen, würde einer Vogel-Strauß-Taktik gleichkommen – den Krieg kann man damit nicht ungeschehen machen“ (92). Vgl. dazu O. V.: „Aus allen Rohren“. In: DER SPIEGEL Nr. 43 v. 21.10.1959, S. 76-78, hier S. 77. App/Lemke (2005), S. 636. Siehe auch Adam (2016), S. 185ff.
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eine vom „deutschen Schicksal gewollte[n] Fügung“ für die „großdeutsche Erfüllung“ (15) kämpfen. Im Reims-Band heißt es schlicht: „‚Als Österreicher werden Herr Leutnant ja wissen, wie es uns ehemaligen ‚Deutschböhmen‘ ergangen ist‘“ (11). Bossis ebenfalls 1958 erschienener Landser-Roman Woronesch war ihr Schicksal behandelt die Erlebnisse eines Hauptmanns Hoberg, Ic-Reserveoffizier bei einer Division nahe und in Woronesh. Spätestens seit dem 7. Juli 1942 befand sich auch Bossi mit der 2. Armee auf dem Vormarsch dorthin.204 Kein „Siegeslied“ solle das Heft sein, sondern eines „vom Kriege, den die nicht wollten, die ihn erleiden mußten“ (Vorwort). Ähnlich dem Reims-Band werden die Leistungen der Soldaten und die anständige Wehrmacht heroisiert, die sich angesichts der Gräuel im Osten stets tadellos verhalten und sich „trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit durch größte Tapferkeit“ (Vorwort) auszeichneten. Hoberg, der „wegen seiner Kaltblütigkeit bekannte“ (14) Infanterie-Offizier, ein todesmutiger, selbstloser Mann, versieht seinen bürokratischen Kriegsdienst im Frühjahr 1942 vor Woronesh. Doch „der Papierkrieg kotzt“ ihn an. Er will zurück zur Truppe, wie jeder „wirkliche Offizier“ (11).205 Noch vor dem Weitermarsch ist er Zeuge eines Flugzeugangriffs auf eine verbündete ungarische Reiterkolonne. Als Verbindungsoffizier hielt sich Bossi Ende März 1942 zehn Tage bei verbündeten ungarischen Truppenteilen auf und arbeitete dort eng mit deutschen PK-Männern zusammen.206 Ungeschützt bekämpft Hoberg, das Maschinengewehr auf die Schulter seines Fahrers gestützt, das russische Jagdflugzeug (8) und bringt es zum Absturz. Ihm sei es nicht um die Menschen gegangen, vielmehr habe er das Leiden angeschossener Pferde nicht ertragen können. Diese Szene, herabstürzende Sowjetbomber, aufbäumende Pferde und feuernde Deutsche, ziert die Titelseite des Hefts. Erneut beschreibt der Autor den Krieg mit Geräuschen (15). „Wie eine gewaltige Woge flutete der Angriff deutscher Panzer […]“, ihr „Hämmern und Dröhnen“ vermittelt „jedermann ein Gefühl der Sicherheit und Überlegenheit“ (16). Beim Kampf um Woronesh dringt Hoberg ins Haus der sowjetischen Partei ein, wird nach einer Explosion verschüttet und anschließend auf der Flucht 204 205
206
„Abt. Ic/VAA Beiträge zum K.T.B.“ v. 21.08.1942, PA AA, R 60712. Das wollte auch BF mehrfach. Immer dann, wenn der Vormarsch ins Stocken geriet und er als VAA nicht mehr hinter der vorderen Frontlinie zum Einsatz kam, fragte er im AA eine Versetzung zur kämpfenden Truppe an. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.06.1941, PA AA, R 60704. „VAA Beitrag zum K.T.B.“ v. 10.04.1942, PA AA, R 60712. Siehe auch KTB AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 19.-28.03.1942, BArch RH 20-2/1176.
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7. Nach 1945
Abb. 22 Die heroisch kämpfende Wehrmacht, dargestellt auf Bossis ‚Landser‘-Cover.
gefangen genommen. Tatsächlich hatte Bossi dieses Haus im Juli 1942 als Teil einer Vorhut betreten und versucht, „Akten zu finden, die er ans AA“207 schicken konnte. Dem Vernehmer gegenüber gibt sich Hoberg als Verbindungsoffizier aus. Doch die Russen wissen von Erschießungen Kriegsgefangener, von Hunger, Elend und davon, dass der Deutsche Ic-Angehöriger ist. Hoberg leugnet die schlechte Behandlung der Gefangenen nicht. Als er aber hochmütige Antworten gibt, wird der Vernehmungsoffizier, der oft hinterlistig lächelt, aufgebracht und kneift „wiederum die Augen zusammen, so daß […] diese an die Schlitzaugen eines Mongolen erinnerten“ (41). Wenig später treten Kanoniere „mit Mongolengesichtern“ (45) auf. Das kahl geschorene Haupt eines russischen Offiziers erinnert Hoberg „an den Kopf eines Chinesen“ (43). Als der später einen Rotarmisten überwältigt, brüllt der „plötzlich wie ein wundgeschossenes Tier“ (45). Diese Textstellen sollen die Feinde völkisch-rassistisch als art- und wesensfremde, vertierte Asiaten diffamieren. Nicht nur einmal schrieb Rittmeister Bossi den Russen im Feldzug „asiatisch-heimtückische Merkmale“208 zu. Er stigmatisiert den Gegner auch nach 1945 pauschal, nimmt ihm seine Menschenwürde, lässt ihn als 207 208
Bericht Nr. 9 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 08.07.1942, PA AA, R 60706. Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 05.07.1941, PA AA, R 60704. Vgl. auch Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704, Bericht Nr. 31
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unkenntliche Masse auftreten.209 Dabei nutzt er rassistische Stereotype, die vor 1945 weite Verbreitung fanden und die auch noch nach Kriegsende mühelos bedient werden konnten, wie der Literaturwissenschaftler Christian Adam im Fall von Heinz G. Konsaliks Der Arzt von Stalingrad (1956) gezeigt hat.210 Unmissverständlich fragt der Vernehmer, warum deutsche Kommandos „alle Kommissare und Politruks erschießen“ (43)? Sie seien nach Völkerrecht auch Soldaten. „Natürlich sind sie das, wenn sie Uniformen tragen“, antwortet Hoberg. Er kenne allerdings „keinen solchen Befehl“, seine Kompanie habe noch nie „einen Kommissar oder Politruk gefangen“ (43). Schreiend bezichtigt der Russe ihn der Lüge. Doch im Text darauf einzugehen, dass dieser Befehl tatsächlich existierte und er ihn wohlweislich kannte, scheute Bossi sich offenbar und lässt Hoberg stolz verkünden, die Vernehmung sei eine „billige Rache“ (43) gegenüber einem Wehrlosen.211 Der Nachsatz, „wenn sie Uniformen tragen“, suggeriert den hinterlistigen, völkerrechtswidrigen Einsatz der Kommissare in Zivilkleidung oder Wehrmachtsuniformen, um die Deutschen zu täuschen. Außerdem kämen „Deutsche Offiziere […] nur selten lebend davon, wenn rote Kommissare sie erwischen“ (29). Die Meldung erreichte Bossi tatsächlich 1942, allerdings erst als Antwort auf den ‚Kommissarbefehl‘.212 Der Autor konstruiert aus den Politsoldaten eine heimtückische, mordende Bande. Es soll so aussehen, als habe es für mögliche Morde von deutscher Seite gute Gründe gegeben. Damit befand Bossi sich auch nach 1945 unmittelbar auf der Linie deutscher weltanschaulicher Kriegsführung im Osten. In der Nacht wird Hoberg von einem deutschen Himmelfahrtskommando, das sich nur mit Vornamen kennt, aus der Gefangenschaft befreit: ‚Was uns zusammenhält, ist die Aufgabe – nennen Sie es ruhig das Gefährliche, Abenteuerliche, wenn es auch ein bißchen anrüchtig ist. Aber wer hat nicht solche Einsatzkommandos?‘ […] Was diese Trupps leisteten, stand in keinem
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des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.12.1941, PA AA, R 60705 u. „Aufzeichnung für Geh. Rat Rahn“ v. 15.01.1942, PA AA, R 60708. Vgl. Conrady (2004), S. 132: „Gegner sind grundsätzlich Feinde, meist namenlos; sie treten selten einzeln in Aktion, meist als Gruppe mit negativer Konnotation“. Vgl. Adam (2016), S. 161. Zum Wissen BFs um den ‚Kommissarbefehl‘ siehe BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.08.1941, PA AA, R 60704.: „Es gibt ja, als GEKdos [Geheime Kommandosache, Hervorhebung im Original], eine bestimmte Weisung bezügl. der Kommissare!“ „Eine sehr ernst zu nehmende Meldung ist die Nachricht, dass die Russen seit neustem [sic!] als Gegenrepressalie gegen die Nichtgefangennahme von Kommissaren unsere Offiziere in Gefangenschaft erschiessen wollen. Bestätigt ist diese Nachricht noch nicht, aber es wird sich die Frage aufwerfen, falls sich die Meldung bestätigt, ob ein toter Kommissar dem Sterbenmüssen eines gefangenen deutschen Offiziers gleichzusetzen ist“. BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.08.1941, PA AA, R 60704.
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7. Nach 1945 Wehrmachtsbericht. […] Mut gehörte dazu, ausgesprochene Mißachtung jeder Gefahr und ein außerordentliches Maß von Kaltblütigkeit (54).
Bossi macht aus dem lebensgefährlichen Einsatz ein Abenteuer, in dem sich verwegene, mutige Männer beweisen. Das Heft endet mit der Rettung Hobergs, als er einen Fluss durchschwimmt und von deutschen Soldaten aufgenommen wird. Seit 1969 ermittelte die ‚Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen‘ (heute BundesarchivAußenstelle Ludwigsburg), wie der ‚Kommissarbefehl‘ an das AOK 2 gelangte und von dort weitergegeben wurde. Der ehemalige Chef der Abteilung Ic, Josef Irkens, sagte aus, ein General des OKH oder des OKW gab uns den Kommissarbefehl und einen Erlaß bekannt […]. Die Instruktionen waren geheim. […] Der Stab meines Armeeoberkommandos und besonders der Oberbefehlshaber lehnten die von mir berichteten Instruktionen innerlich ab und brachten dies auch zum Ausdruck. Die uns nachgeordneten Stellen haben auf dem Ic-Wege zu keiner Zeit während meiner Anwesenheit beim AOK 2 entsprechende Befehle oder allgemeine Weisungen auf diesem Gebiet erhalten.213
Doch die Weiterleitung lag durchaus in der Hand der Armeen und Panzergruppen.214 Bossi, der in Ludwigsburg während der Ermittlungen als Angehöriger der Abteilung Ic namentlich bekannt geworden war, hatte zu diesem Zeitpunkt schon Woronesch und einen weiteren Text (Warum schweigt Bunker 403?) veröffentlicht, in denen er sich mit der Behandlung der Politsoldaten befasst.215 Wenn den Ermittlern die Verbindung zwischen Ic-Offizier des AOK 2 und den Publikationen bekannt gewesen wäre, hätten sie möglicherweise größere Anstrengungen unternommen, den Autor zu einer Vernehmung vorzuladen. So notierte Staatsanwalt Schneider 1973 bei der Einstellung des Verfahrens schlicht: Einige Männer wurden vernommen, andere
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Zeugenerklärung Josef Irkens v. 22.07.1969, BArch B 162/28356. Siehe auch Eingangsvermerk zur Vorermittlung gg. das AOK 2, ebd. Römer (2008), S. 105ff. u. 111ff.: „Bei allen Armeen erfolgte die Bekanntgabe der Kommissarrichtlinien auf zentralen Ic-Besprechungen in den Armeeoberkommandos, zu denen die Ic-Offiziere der unterstellten Verbände kommandiert wurden“. Doch habe laut Römer kein AOK den Eingang des Befehls in den Akten vermerkt. Siehe auch S. 119: „Die IcOffiziere fungierten dabei als Befehlsempfänger und Mittler“, u. AOK 2, Abt. Ic/AO, an Heeresgruppe Mitte v. 26.07.1941, BArch B 162/28356. Vernehmung Paul Fritsche v. 29.06.1972, BArch B 162/28357, der BF als Angehörigen des AOK 2, Abteilung Ic, nannte.
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nicht gefunden und als „im Ausland lebend ermittelt: Oberleutnant Graf BossiFedrigotti“216. Damit war die Sache für die Staatsanwaltschaft erledigt.217 Allen drei Kriegsheft-Protagonisten, Bunker-403-Berthold, Reims-Metzmer und Woronesch-Hoberg, dichtete Bossi Teile seines Lebensweges an; alle sind in gewisser Weise seine literarischen Pendants. Metzmer erlebt den deckungsgleichen Vormarsch nach Westen und die Einnahme der Stadt, WoroneschHoberg ist Ic-Reserveoffizier im Ostfeldzug und Bunker-403-Berthold hat das Jesuitengymnasium in Feldkirch besucht. Auch die weiteren Figuren, Orte, Verläufe und Argumentationsketten, der häufige Bezug zu Österreich sowie Dialoge im Dialekt weisen darauf hin. Seine Figuren befassen sich nach 1945 mit Themen, die ihn auch während seiner Kriegsjahre beschäftigten: die Behandlung der sowjetischen Politsoldaten, ‚Volksdeutsche‘ (und angebliche ‚Mischlinge‘), die Heroisierung von Wehrmacht und Krieg, die rassistische Stigmatisierung des Feindes, Pangermanismus und die Verbindlichkeit eines Befehls. Vierzehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als man den deutschen Beelzebub ausgetrieben zu haben glaubte, hat er sich wieder gemausert … Er hat das öde Feldgrau abgelegt und sich in Farbe geschmissen, und auf die alten Embleme hat er verzichtet. Aber er ist es. Er schmettert seine Fanfaren, und er knallt die Hacken, er brüllt sein stupides ‚Jawoll‘, und er schießt, er schießt aus allen Rohren …‘
So beschrieb der NDR-Moderator Hans Jürgen Usko 1959 den Landser in einer Rundfunksendung. Die Autoren qualifizierten lediglich der ehemalige Dienstgrad und das Aufgabengebiet im Krieg sowie „korrekte Angaben der Truppenstandorte und Einheitsbezeichnungen“. Sie mussten sich sehr gut erinnern können oder zur Aufgabe gehabt haben, solche Details schriftlich festzuhalten. Stil, Form, Aussage und Inhalt der Hefte decken sich auf unheimliche Weise mit dem Stil, der Form, mit der Aussage und mit dem Inhalt der Berichte der sogenannten Propagandakompanien des
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Verfügung zur Einstellung des Vorermittlungsverfahrens bez. des AOK 2 v. 12.10.1973, BArch B 162/28356. Siehe auch Vernehmung Paul Fritsche v. 29.06.1972, BArch B 162/28357, der BF namentlich als Angehörigen der Einheit nannte. Ludwigsburg hatte mit den Vernehmungen wenig Erfolg: Entweder wussten die Befragten nichts vom Kommissarbefehl, waren vor dem Feldzug versetzt worden oder erklärten, sie hätten „keine Ahnung“ gehabt, „daß Kriegsgefangenenlager unmittelbar der Befehlsgewalt des AOK. II unterstanden“. Aussage Dr. Friedrich Carl Graf von Westphalen bei der Kriminalpolizei Büren v. 28.06.1972, BArch B 162/28357.
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7. Nach 1945 Großdeutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges – in 50 von 100 Fällen haben sich nicht einmal die Autoren geändert.218
Nun war Bossi kein PK-Angehöriger, aber angesichts der in seinen Kriegsberichten wiederkehrenden Hinweise zur Propagandaarbeit des AA und der Abteilung Ic sowie seiner engen Zusammenarbeit mit den PKs ist diese Einordnung präzise getroffen.219 Bei Pabel sei außerdem „kein PKMann“220 als Autor akzeptiert worden. Dieser Groll gegen die schreibgewandten PK-Männer mag daher rühren, daß der Pabel-Verlag über die Hamburger Illustrierte ‚Der Stern‘ vergeblich versuchte, mit den Kreisen um das Organ […] ‚Die Wildente‘ Kontakt aufzunehmen. Die PK-Leute reagierten negativ.221
Herausgeber der Wildente war ausgerechnet Günther Heysing, im ReimsLandser ‚Günther Kressing‘. Insofern war bei Pabel gewissermaßen doch ein PK-Mann ‚hereingekommen‘, sogar einer der nach 1945 bekanntesten, freilich mithilfe Bossis. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Erich Pabel dieses Detail bekannt war. Seit Ende der 1950er Jahre, insbesondere seitdem die Bundeswehr aufgestellt worden war, nahm die Höhe der Landser-Auflage stetig ab und blieb über die 60er und 70er Jahre hinaus stabil bei 60.000 Exemplaren.222 Die ‚Wende‘ gab den Heften neuen Vortrieb: „Woche für Woche“ verkaufte man sie in steigender Zahl „an Bahnhofskiosken von Berlin bis Guben vorwiegend an Jungs mit Glatzen oder strammgezogenen Scheiteln“, auch wenn „der Feind diesmal
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Entnahmen aus: O. V.: „Aus allen Rohren“. In: DER SPIEGEL Nr. 43 v. 21.10.1959, S. 76-78, hier S. 76, zitiert hier Usko, Hans Jürgen: „Heldentum für sechzig Pfennig“ (NDR-Rundfunksendung). Zur Zusammenarbeit mit den Propagandakompanien siehe u. a. Fernschreiben 2, BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 17.04.1941, PA AA, R 60704 u. BF an Konsul v. Tucher, Inf. Abt AA, v. 20.06.1940, PA AA, R 60702. O. V.: „Aus allen Rohren“. In: DER SPIEGEL Nr. 43 v. 21.10.1959, S. 76-78, hier S. 76, zitiert hier Usko, Hans Jürgen: „Heldentum für sechzig Pfennig“ aus einer Rundfunksendung des NDR. Ebd. Vgl. App/Lemke (2005), S. 636f sowie DER SPIEGEL, Kampferprobte Verbände (1998), S. 28. Die Wiederaufrüstungsdebatte hatte den Heften seit Mitte der 1950er Jahre einigen Vortrieb geleistet. Siehe auch Geiger (1974), S. 213: „Hatte eine Propaganda, welche über die Rehabilitation der Deutschen Wehrmacht die Zustimmung der Bevölkerung zur Wiederaufrüstung schaffen sollte, eine starke Nachfrage nach Kriegsdarstellungen geweckt, so ließ dieses Kaufinteresse nun, nach der Konsolidierung der Bundeswehr, wieder nach“.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
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nicht in einem sowjetischen Panzer, sondern in der nächsten Döner-Bude“223 saß. Regelmäßig habe man den Landser bei Razzien im rechtsextremen Milieu gefunden – kein Wunder, angesichts des im SPIEGEL beschriebenen Absatzgebietes bei NPD-Nachwuchsfunktionären. Der Authentizitätsanspruch trug maßgeblich dazu bei, mit den Texten rechtsextreme Ideologeme „mit starker Suggestionskraft – vor allem für unkritische, junge Leser“224 – zu transportieren. 2013 gelangte das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles (USA) zu der Ansicht, die Landser-Hefte stünden, weil sie den Nationalsozialismus verherrlichten und verharmlosten, nicht in Einklang mit deutschen Gesetzen. Die Bauer Media Group widersprach dem zwar, stellte den Landser jedoch trotzdem im September 2013 ein. Er habe nach eigenen Angaben „nicht mehr ins Portfolio des Konzerns“225 gepasst. Nach nur zwei Monaten tauchten die Hefte unverändert wieder auf – nun als Reihe Weltkrieg im Verlag ‚Mediavari‘ unter einer Tarnadresse in der Schweiz, wie der NDR ermittelte.226 2014 erschien so Bossis Das Rätsel um Bunker 403 als drittes Heft der neuen Reihe, die auch in Südtirols Supermärkten, Kiosken, Tankstellen und Bahnhofsbuchhandlungen zu finden ist.227 Bossis letzte Pabel-Publikation war Soldat zwischen Befehl und Gewissen (1963), Taschenbuchausgabe von Der Befehl zum Verrat (1960).228 Jeder Befehl ist eindeutig, ist keiner Kritik unterworfen. Jeder Befehl verlangt Handeln, bedingungsloses, rückhaltloses Handeln, setzt blindes Gehorchen voraus. Zwar wird dem Befohlenen die Verantwortung für den Befehlsrahmen abgenommen, die Verantwortung für den Vollzug des Befehlsinhalts aber bleibt ihm ganz allein, wächst ihm zu und wächst sich oft ins Riesenhafte aus (7).
Das Gewissen der Soldaten, „Schachfiguren auf blutiger Walstatt“, könne gegen einen Befehl rebellieren, doch letztlich kapituliere es. Der Mensch sinkt in sich zusammen, folgt, gehorcht. Danach ist er sich seiner Verantwortungslosigkeit 223 224 225 226 227
228
O. V.: „Kampferprobte Verbände“. In: DER SPIEGEL Nr. 32 v. 03.08.1998, S. 28. App/Lemke (2005), S. 640. Grimberger/Datta (2014), S. 2. Ebd. u. Bossi-Fedrigotti, Das Rätsel um Bunker 403 (2014), S. 66. Der Mann, der an der Verlagsadresse wohnte, berichtete vor der Kamera, er habe für die Genehmigung zur Nutzung seiner Anschrift Geld von einem unbekannten Mann aus Deutschland erhalten. Die Seilschaften dahinter führen bis zu dem Rostocker Rechtsanwalt Volker Beecken, der wiederum dem NDR-Magazin Zapp über seinen Auftraggeber aufgrund „der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht“ keine Auskunft gab. Siehe Grimberger/Datta (2014), S. 3. Beecken vertritt nach NDR-Informationen unter anderem den rechtsgerichteten Verleger Dietmar Munier, Verlag „Lesen und Schenken“ (DMZ usw.). Unter ‚www.weltkrieg.info‘ ist die neue/alte Reihe einzusehen. Vgl. zur Verlagswerbung für diesen Text Brüdigam, S. 203.
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7. Nach 1945
bewusst, unterdrückt dieses Gefühl jedoch „angesichts des Wissens um das Verhalten der großen Masse“, hinter der er sich verstecken kann und hinter der seine Taten zurücktreten. Töten eines „eigenen Volkstumsangehörigen“ (7) oder Verbündeten im Krieg sei Mord. Kündigt einer jedoch das Bündnis, werden aus Freunden Feinde, die – „straflos vor dem Gewissen – getötet werden müssen“. So verlange es das auf „Gedeih und Verderb gegründete Treueverhältnis“ (8). Noch bevor Bossi die Handlung einsetzen lässt, stimmt er den Leser so ein. Es geht um die Geschichte des ‚Achsenbruchs‘ zwischen Italien und Deutschland im September 1943, dargestellt anhand einer Männerfreundschaft zwischen Giusto Delzordo, italienischer Alpini-Oberleutnant und Dr. Manfred Ettinger, deutscher Gebirgsjäger-Oberarzt, im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Italien. Delzordo, Ettinger und ihre Handlungen stehen stellvertretend für ihre Nationen in zunächst „schicksalhafter Waffenbrüderschaft“ (Klappentext). Der Wehrmachtsarzt ist ein anständiger, ordentlicher und stets hilfsbereiter Lebensretter; die Deutschen sind insgesamt schneidiger, disziplinierter und ehrenhafter als die Italiener.229 Ettinger leistet einer Französin Hilfe, da ihr Kind sonst an einer Gehirnhautentzündung stirbt. Der Italiener, ein ehrenhafter, aber schwacher Kamerad, ist ein südländischer, dunkelhaariger, helläugiger, gebräunter Lebemann, der weiß, „was sich unter Waffengefährten gehört“ (12, 27). Als Ettinger ihm freundschaftlich „mit beiden Fäusten auf den Schultern herum“ (13) trommelt, knickt der „unter den Stößen der beiden Fäuste beinah zusammen“ (13). Der von Natur aus kräftige Deutsche ist der natürlich Überlegene, der kleine Italiener nicht ebenbürtig. Ein ungleiches Paar, das jedoch im Sinn, in Kameradschaft und ‚Ritterlichkeit‘ vereint ist. Der eitle Frauenheld Giusto nimmt es mit der Militärdisziplin nicht so ernst (35ff., 43, 61, 96, 100). Auch im Privaten ist er undiszipliniert. Ettingers Ausrüstungen dagegen „sind aufgeräumt wie in einer deutschen Kaserne“ (60). Delzordo wittert einen „Befehl zum Verrat“ (126), als die italienische Militärführung plant, das Bündnis mit den Deutschen zu brechen und über die Résistance Kontakt zu den Alliierten aufzunehmen. Das sei nicht mit der Ehre der italienischen Offiziere vereinbar und würde „sein Vaterland nach seiner Meinung in den Augen der alten Kameraden besudeln“ (160f.). Er ist schließlich einer der ersten, der den Verrat seines Landes „mit dem Tod“ (170) sühnt. Ihren Eid hätten die Männer auf den König und nicht auf Mussolini geleistet, der schuld daran sei, die Italiener in den Krieg gestürzt zu haben. Wenn die militärische Lage es erfordere, müsse man „retten, was zu retten 229
Vgl. Lange (1993), S. 50f.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
523
ist“ (119). „‚Jeder von uns hat nur eine Pflicht: an Italien zu denken!‘“ Über die Résistance erhalten sie Informationen vom Vorrücken der Alliierten – und halten sich so eine Verbindung als Hintertür offen. Die Disziplin der Italiener ist nicht mit der der Deutschen zu vergleichen: „Ich weiß, unsere Soldaten sind keine Deutschen, unseren Männern muß man den Sinn eines Befehles erklären“ (90). 1934 sind die Italiener in Standschütze Bruggler dem NS-Bündniskurs gemäß noch tapfere Soldaten. Während der Kriegszeit kam Bossi in seinen Berichten regelmäßig auf die Italiener zu sprechen. 1923 habe er im italienischen Militär noch eine „Epoche der Schlamperei und der Vernachlässigung“230 erlebt. Seit er 1928 aus Südtirol geflüchtet war, habe sich „sowohl in der Disziplin, wie in der soldatischen Haltung des einzelnen Mannes […] nichts, aber auch gar nichts zum Besseren gewendet“231. Im Oktober 1943, knapp einen Monat nach dem Bruch, berichtete Bossi herablassend über „herumlungernde“ Italiener. Es bedürfe „hier der ganzen Schärfe und des ganzen Organisationsvermögens der deutschen Wehrmacht“, um die neuen italienischen Kämpfer Mussolinis, die auf Seiten der Deutschen geblieben waren, „zu Soldaten umzuwandeln“232. Nach 1945 bleibt Bossi dieser Linie offenbar treu. Die Italiener werden holzschnittartig und anhand nationaler Stereotype charakterisiert, die nicht nur explizit durch Personendarstellungen, sondern auch implizit durch deren Handeln vermittelt werden. So entstehen „emotionale Werturteile“. Das Stereotyp begnügt sich nicht mit der Aussage ‚Wir sind anders als die Anderen‘, sondern es meint ‚Wir sind besser als die Anderen‘ oder zumindest ‚Wir sollten besser sein als die Anderen‘.233
In Soldat zwischen Befehl und Gewissen zeigen sich „wiederholte, festgefügte Bilder, die Träger und Auslöser einer vorgeprägten, von vielen geteilten Vorstellung sind, welche sich von der Wirklichkeit entfernt hat“234. Die hervortretenden Italien-Stereotype „rühren dabei entweder aus dem Ersten Weltkrieg her oder entstammen einem tradierten Sammelsurium von Vorurteilen über Südländer“. Tatsächlich nahmen viele deutsche Soldaten die Italiener schon im Ersten Weltkrieg nicht als ernstzunehmende Gegner oder Partner wahr. Das 230 231 232 233 234
Bericht Nr. 34 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 09.08.1940, PA AA, R 60702. Bericht Nr. 14 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 16.05.1941, PA AA, R 60707. Entnahmen aus: Bericht Rittmeister Legationsrat Bossi-Fedrigotti zur Stimmung der italienischen Bevölkerung v. 19.10.1943, PA AA, Büro des Staatssekretärs, Italien, R 29644. Entnahmen aus: Hahn (1995), S. 199. Stüben (1995), S. 49.
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7. Nach 1945
„Ressentiment bezüglich des [fehlenden] kriegerischen Talents der Italiener“235 war weit verbreitet. Militärische Misserfolge während des Zweiten Weltkriegs bestätigten den Eindruck scheinbar, wodurch das tendenziell faktenbegründete, aber auch überzeichnete Zerrbild manifestiert wurde.236 Zwei Mal sei Italien Deutschland in den Rücken gefallen: 1915, obwohl es „vertraglich an Deutschland und Österreich-Ungarn gebunden“237 war, und 1943, als es im Krieg die Seiten wechselte. Erst danach brachen dann auch rassistische Vorbehalte, Wünsche nach Abrechnung und Rache heraus.238 Obwohl Delzordo den Kontakt zur Résistance herstellt, löst er sich von den hinterhältigen Italienern, er tritt über das Wesen der Gruppe hinaus.239 Ausgerechnet der treue Delzordo muss den Verrat mit seinem Leben bezahlen. Er ist die positiv gezeichnete Figur, die in einen Gewissenskonflikt gerät, den Deutschen loyal bleibt und den Krieg weiter unterstützt. Wer unter den Italienern ehrbar und aufrichtig war, hätte sich das Leben nehmen oder zumindest im Kampf für das auf „Gedeih und Verderb gegründete Treueverhältnis“ (8) opfern müssen, suggeriert Bossi, ein Motiv nationalsozialistisch belasteter Literatur.240 Der Tod und seine Kultivierung stehen hinter der symbolischen Tat zurück. Die Treulosigkeit bedeutet gleichzeitig den endgültigen Ehrverlust. Beide „Tugenden seien unlösbar miteinander verbunden“241. Verschiedene Stereotype fungieren hier als „konstitutive Bestandteile“ einer nationalsozialistisch aufgeladenen Ehr- und Treueideologie242, und je totaler bzw. totalitärer der Anspruch einer Ideologie ist, um so [sic!] stärker muß sie mit Stereotypen arbeiten, denn um so mehr benötigt sie eine gläubige Anhängerschaft. Das Denken in Stereotypen unterstützt die Abwehrfunktion der Ideologie gegen kognitive Bemühungen, die geschlossenen Denkschemata einer Ideologie aufzubrechen; gleichzeitig fördert ideologisches Denken die Genese und Fixierung von Stereotypen.243
Bossi vermittelt: Die Italiener sind schuld am ‚Bruch der Achse‘ und damit auch an allen darauf folgenden Ereignissen, Morden, Massakern. Er 235 236 237 238 239 240 241 242 243
Entnahmen aus: Neder (2011), S. 199. Neitzel/Welzer (2011), S. 21. Vgl. Guerrazzi (2011), S. 366ff. u. Stüben (1995), S. 50f. Neder (2011), S. 200. Neitzel/Welzer (2011), S. 18f. Vgl. Stüben (1995), S. 57: Entscheidend bei Völkerbildern in einem literarischen Werk ist, ob „eine Unveränderbarkeit der Wesenseigenschaften suggeriert wird“. Schnell (1995), S. 111. Schmitz-Berning (2007), S. 164. Zur Treue als Motiv vgl. Klemperer (1999), Bd. 1933/34, S. 142ff. Hahn (1995), S. 194.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
525
rechtfertigt damit auch implizit das Vorgehen der Wehrmacht in Italien nach September 1943. Theodor Blank, der erste Bundesverteidigungsminister, musste 1954/55 nach einigen Monaten Förderung des Schild-Verlags durch das Bundespresseamt erkennen, dass der Ton der Publikationen „alles andere als bundeswehrfreundlich“ war. Das Amt heuerte nun den Pressa-Verlag an, „einen neuen Partner für die Propagierung [der] Bonner Wehrgedanken“244, der seit 1951 die Heftreihe Der deutsche Soldat herausgab; Untertitel: Der Frontsoldat erzählt.245 In dieser Reihe, die sich, wie auch die Schild-Hefte und der Landser, an die ‚Kriegsbücherei der deutschen Jugend‘ anlehnt, erschien 1955 Bossis Aufsatz „Nach Tiroler Standschützenmuster“. Darin berichtet er von einem überwältigenden Eindruck, den die zum 40. Jubiläum des Ausmarsches 1915 in Innsbruck marschierenden Standschützen auf ihn machten, „unter Trommelschlag, mit wehenden Fahnen und geschultertem Gewehr“, umweht „vom Geiste stolzer Vorbilder“. Das Ziel sei, aus jungen Männern „bewusst einsatzwillige Landesverteidiger zu machen“ und eine „sehr leistungsfähige, kleine Wehrmacht heranzubilden“. 1955 könne der „Tiroler Bauernbursche“ endlich wieder „stolz darauf sein“, den „Adler seines Heimatlandes“ an der Mütze zu tragen. Sprachlich nah an seinen Kriegsberichten und inhaltlich an seinen Vorkriegstexten (vor allem Bruggler), schließt der Verfasser mit der Feststellung, der Wille, die heimatlichen Täler zu schützen, könne „ausreichende Abwehrkraft aufbringen“246. Für ihn blieben die Tiroler die natürlich-wehrbereiten Grenzlandverteidiger. Er half nicht nur bei der Vereinnahmung der Standschützen für die NS-Propaganda bis zum letzten Kriegstag, sondern auch dabei, diesen von ihn mitkonstruierten Mythos in die neue Bundesrepublik und das neue Österreich hinüberzuretten. In dem Heft findet sich neben Erlebnisgeschichten und Verschwörungstheorien auch Werbung für die Bundeswehr und das österreichische Bundesheer. In Zeiten, in denen die Gründungsgeschichte der Zweiten Republik Österreichs darauf basierte, von Nazi-Deutschland überfallen worden zu sein, wird hier implizit weiter die Waffenbrüderschaft propagiert.247 Zwischen der offiziellen
244 245
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Entnahmen aus: O. V.: „Subventionen für Soldaten“. In: DER SPIEGEL v. 29.05.1957, S. 14ff. Schon zwischen 1931 und 1945 bestand ein gleichnamiges Periodikum im ‚Verlag des Frontsoldaten – Norddeutscher National-Verlag‘ in Kiel, untertitelt als Zeitschrift für Tradition und Kameradschaft. Es ist davon auszugehen, dass es sich um die gleichen Macher unter neuem Namen handele. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti, „Nach Tiroler Standschützenmuster“ (1955), S. 215f. Zur Opferrolle Österreichs siehe Uhl (2001), S. 19, 23 u. Botz (1995), S. 360. Klaus Amann befand dazu: „Wenn denn Österreich ein Opfer war, war es – sofern man den Quellen
526
7. Nach 1945
Geschichtsschreibung Österreichs und der Realität hunderttausender österreichischer Wehrmachtsveteranen bestand ein erhebliches Spannungsfeld. Auch als Journalist für die Dolomiten diente er in dieser Sache: 1914 sei ein „wuchtiger Gleichschritt“ in Toblach aufgebrandet. Die Soldaten, sonst „gekrümmt unter der Last des Bergheus“248, hätten sich wie ein Lineal gestrafft. Über den gefallenen Standschützen Sepp Innerkofler schrieb er, dessen Sterben versinnbildliche „den Opfersinn eines kleinen, von aller Welt geachteten Bergvolkes!“249 Dazu passt, dass Bossis Jugendbuch Andreas Hofer (1935) 1959 – zum 150-jährigen Aufstandsjubiläum – im Göttinger Jugendbuchverlag W. Fischer und noch einmal 1975 im Schild-Verlag (gedruckt bei Athesia in Bozen) neu aufgelegt und nach wie vor für Jungen und Mädchen ab 12 Jahren empfohlen wurde. Die Ausgabe von 1959 (mit weiteren Auflagen 1960, 1962 und 1965) nimmt keinen Bezug auf die von 1935, die 1975er-Ausgabe (mit Auflagen 1978 und 1983, bis zu 46.000 Exemplare) jedoch schon. Möglicherweise wollte man 1959 noch den Bezug auf eine Publikation der NS-Zeit vermeiden; Schild hingegen scheute sich davor offenbar nicht. 1959 und 1975 stürmen die Bayern wie 1935 „todesmutig“ voran, kämpfen nicht Tiroler gegen Bayern, sondern „Deutsche gegen Deutsche“, bleiben die Bauern wetterhart und knorrig. 1935 grüßen die Soldaten noch mit „Heil Hofer!“ (74), 1959 und 1975 „jubeln“ sie ihm nur mehr zu.250 Doch bleibt Hofer der „Führer im soldatischen Kampf“ und bleiben die Südtiroler die gehärtete und großgewachsene „Garde Tirols“ (36).251 Doch die Erläuterung von 1935, ihr Äußeres verrate schon, dass sie „uralten deutschen Stammes“ (37) seien, fehlt nunmehr. Unverändert dagegen sind die Szenen, in denen die 15- und 16-jährigen Jungen sich im Kampf bewähren, „wilder und trotziger“ weiter stürmen. In der Urfassung ist Hofer schließlich eine „lebendige Heldengestalt der deutschen Nation“ (109). Nach 1945 macht Bossi aus ihm nur mehr den „Freiheitskämpfer für Tirol“.
248 249 250 251
vertraut – zuallererst ein Opfer einiger seiner machtsüchtigen Führer und der ungetreuen Diener und Freunde dieser Herrn“. Amann (1996), S. 13. Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „August 1914 … Ausmarsch der Landesschützen! Erinnerung an die Mobilisierung im Pustertal“. In: Dolomiten v. 04.08.1964, S. 5. Bossi-Fedrigotti: „Unser Held Sepp Innerkofler“. In: Dolomiten v. 03.07.1965, S. 9. Siehe dazu auch Kap. IV. Vgl. Dohnke (2001), S. 18, der zu Texten der sogenannten Heimatkunstbewegung / Heimatliteratur schrieb, es habe sich „geradezu“ ausgeschlossen, „daß beispielsweise eine großgewachsene, blonde und kräftige Person in ihrem Wesen faul, verlogen und untreu“ dargestellt wurde.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
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Der wesentliche Unterschied neben den Änderungen an den allzu offen ideologisch gefärbten Passagen besteht darin, dass nach 1945 noch ein Vorwort/ Vorkapitel vorangestellt und der Epilog „Tirol – damals und heute“ angehängt wurde, die sich jedoch in den Nachkriegsversionen wesentlich unterscheiden. Das kurze Vorwort von 1959 konzentriert sich darauf, dass Hofer und seine „wehrhaften Bauern“ tapfer ihr Leben opferten. Kein Wort mehr vom Vorbild als deutscher Held. 1975 geht das Vorwort wieder darauf ein: Hofer sei Symbolgestalt „auch für das deutsche Volk“ (8). Im Epilog der Version stilisiert Bossi die Jugend zum Garanten für die „Sicherung des deutschen Volkstums in Südtirol“ (102).252 Wesentlich schärfer dagegen das Nachwort von 1959: Italien fördere die Einwanderung von Nichtdeutschsprachigen und trete weiter als Unterdrücker auf: Nur im Hochgebirge ist Südtirol eindeutig deutsch geblieben. In Höhen über 1600 Meter gibt es keine Italiener. Das Leben dort ist zu hart. Hart wie die Fäuste der Tiroler Bergbauern, wie der Menschenschlag, den dies schöne Land geprägt hat. […] Wille und Bekenntnis zum Deutschtum sind ungebrochen. […] SÜDTIROLS VOLK IST UND BLEIBT DEUTSCH! (93).253
Bossi bleibt sich mit der Geringschätzung der Italiener und seiner völkischnationalistischen Sichtweise treu. Als in der DDR 1957 die Handliste von Titeln, die dem Charakter der volksbildnerischen Tätigkeit des gewerblichen Leihbuchhandels widersprechen erschien, wurde empfohlen, Andreas Hofer von 1935, der auf der Liste der auszusondernden Literatur nicht verzeichnet war und somit offenbar noch häufig in den ostdeutschen Büchereiregalen stand, nun doch auszusondern.254 In den 1950ern und 1960ern schrieb Bossi neben der Arbeit für die Dolomiten auch für die Tiroler Nachrichten und die Tiroler Tageszeitung. Damit war er regelmäßig in den größten Zeitungen Tirols und Südtirols präsent und bestimmte so, thematisch zwischen Habsburg- und Kriegserinnerungen sowie heiteren Südtiroler Geschichten, das Bild der Vergangenheit maßgeblich mit. Außerdem publizierte er noch im Vorarlberger Volksboten, im Tagesspiegel, und der Zillertaler Heimatstimme.255 Bei den Olympischen Spielen 1964 in 252 253 254
255
Siehe dazu auch Vondung (1976), S. 47. Hervorhebung im Original. Siehe auch Arenz (1979), S. 247. Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (1957), S. 1 u. 7. Hier wurden 1.349 Einzeltitel aufgeführt. Siehe Adam (2016), S. 312. Die Bestände waren von „schlechter und zu beanstandender Literatur zu säubern“. Wie es sich mit den Auflagen von 1959 und 1975 verhielt – die in anderen Verlagen erschienen –, ist nicht bekannt. Siehe Bibliografie.
528
7. Nach 1945
Innsbruck fungierte Bossi als Pressechef, war verantwortlich für die Außenwirkung und Vermarktung der Großveranstaltung.256 Die nahm eine nicht unbedeutende Rolle im wieder anziehenden Tirol-Tourismus nach 1945 ein. So hatte Bossi sehr wahrscheinlich einigen Anteil daran, dass der Name Tirols und Innsbrucks in aller Welt Erwähnung fand.257 Bis Ende der 1960er-Jahre wirkte er offenbar noch bei weiteren Filmen als Regie-Militärberater mit, so bei der Leinwand-Biografie Canaris (1954, FamaFilm Friedrich A. Mainz), dem Agentenfilm London ruft Nordpol (Deutschland 1958, Excelsa-Film, ital. Originaltitel Londra chiama Polo Nord, 1955) und dem Kaperfahrt-Spielfilm Unter zehn Flaggen (1960, UFA, ital. Originaltitel Sotto dieci bandieri).258 Diese militaristisch-propagandistische Geschichte des deutschen Hilfskreuzers ‚Atlantis‘ und ihres Kommandanten Bernhard Rogge nannte die Zeitung Welt eine „‚hanebüchene Mischung von Sex, Blut, Krieg, fröhlicher Seefahrt und treudeutschem Edelmut‘“259. Das Metzler FilmLexikon bescheinigte Canaris eine ähnliche Tendenz, nämlich die deutschen Soldaten weiter zu verherrlichen und die Schuld an Verbrechen der NS-Zeit einem „anonymen Schicksal“260 zuzuschreiben. Dieses Motiv findet sich in den meisten der Nachkriegspublikationen Bossis: Schuld am Krieg und seinen Folgen waren entweder das Schicksal oder Hitler persönlich, nicht aber die anständigen Deutschen. Daneben soll Bossi an der Filmsatire Der Weg zurück (1961, ital. Originaltitel Tutti a casa) beteiligt gewesen sein, die zur Zeit des Seitenwechsels der Italiener 1943 spielt, außerdem an Der Prozeß von Verona (1963, ital. Originaltitel Il processo di Verona), einer Geschichte über Edda
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259 260
Ebd.: „1963 nach Innsbruck ins O.[lympische] K.[omitee] Presseabtlg.“. Siehe auch O. V.: „Graf Bossi Fedrigotti 75“. In: Dolomiten v. 07.08.1976, S. 7. Vgl. zur Olympiade in Innsbruck Forcher (2015), S. 274. O. V.: „Anton Graf Fedrigotti 65 Jahre. Er schrieb das Hohelied der Standschützen“. In: Dolomiten v. 06.08.1966, S. 13. Siehe auch Rattay, Arno: „Goebbelspropaganda steigt aus dem Grab. Betrachtungen zum westdeutschen Film ‚Beiderseits der Rollbahn‘“. In: Neues Deutschland v. 13.09.1953, S. 4. Zu London ruft Nordpol siehe O. V.: „Neu in Deutschland. London ruft Nordpol (Italien)“. In: DER SPIEGEL v. 21.08.1957, S. 48. BFs Beteiligung erwähnt Schuder (1974), S. 100. Auch Unter zehn Flaggen stand offenbar im (impliziten) Dienst des Wiederaufbaus deutschen Militärs. Zumindest befassten sich auch DDR-Texte mit dem Film und unterstellten ihm, von Westdeutschland aus finanziert und mehr oder weniger nur zum Schein im Ausland produziert worden zu sein. Siehe Haak/Keßler (1964), S. 190 u. auch Kreimeier (1973), S. 123. BF selbst publizierte einen Artikel zur Entstehung des Films: „Admiral Rogges Buch ‚Schiff 16‘ wird verfilmt“. In: Dolomiten v. 24.12.1959, S. 26. O. V.: „Seekrieg. Alle guten Geister“. In: DER SPIEGEL v. 27.07.1960, S. 58ff., zitiert hier einen nicht näher benannten Welt-Artikel. Siehe auch Baer/Schenk (2009), S. 83 u. 108. Moritz (1995), S. 93.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
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Ciano, der Tochter Mussolinis, und als Texter an dem Tourismus-Werbefilm Leuchtendes Zillertal von 1967.261 Neben der Filmarbeit schien er offenbar seit den 1960ern bis in die 1980erJahre hinein für Radio Tirol des ORF gearbeitet zu haben. Die früheste Aufnahme, die das Archiv des Ö1-Audioservices verzeichnet, stammt vom 30. Oktober 1968: „Hans Lugmayr spricht mit Graf Anton Bossi Fedrigotti über das Ende des Zweiten Weltkrieges“. Der dreiminütige Beitrag hätte möglicherweise interessante Einblicke bieten können, ist jedoch nicht mehr auffindbar.262 Daneben veröffentlichte er um 1965 offenbar vier Hörspiele, „Der Familientag“, „Die Blumenkönigin“, „Der Heimkehrer“ und „Andreas Hofers Tod“, zu denen jedoch keine weiteren Hinweise, auch nicht beim ORF, ermittelt werden konnten.263 Bossis Engagement als Militärberater für italienische Filmproduktionen dürfte auch mit seinem Wohnortwechsel in den späten 1950er-Jahren zusammenhängen. Nach eigenen Angaben zog er mit seiner Frau 1957 für einige Jahre nach Rom und lebte auch auf der Insel Ischia (auf der später Teile der Handlung seiner Mädchenbuchreihe Marietta verortet sind).264 Dort habe er „nach Herzenslust schriftstellern“265 können, sei jedoch auch im Fremdenverkehr tätig gewesen.266 Die Familie versuchte offenbar, ihr Berliner Haus im Eiderstedter Weg 2 zu verkaufen. Dem Autografensammler Josef Wesely schrieb Bossi, er lebe zwar noch in Berlin, wolle sich aber „entweder in Oesterreich, Südtirol oder Südbaden“ niederlassen. Die finanzielle Lage sei allerdings so, dass er sich Objekte in der gewünschten Größe nicht leisten könne, zumal er für drei 261
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Schuder (1974), S. 100. Hier werden zusätzlich die Filme Margarita (1951) und Land an der Etsch und Eisack (1955) erwähnt, zu denen jedoch keine weiteren Informationen ermittelt werden konnten. Zu Leuchtendes Zillertal siehe O. V.: „Das obere Zillertal nun ‚unter einem Hut‘“. In: Tiroler Tageszeitung v. 19.01.1968, S. 3. Telefonische Auskunft von Natalia Ionova, Ö1-Audioservice, v. 17.01.2017. Siehe auch E-Mail Natalia Ionova an CP v. 24.01.2017, BF an Franz-Josef Strauß v. 27.10.1970, ACSPBestand, NL Strauß PV 6033 u. BF an Haider, Studio Tirol des ORF, v. 02.12.1973, Autographensammlung der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Für Radio Tirol arbeitete auch Franz Hieronymus Riedl. Siehe dazu Veiter (1971), S. 22. O. V.: „Der Tiroler Schriftsteller Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Tiroler Tageszeitung v. 06.08.1966, S. 8. Siehe auch Schuder (1974), S. 100. BF an Johannes Schauff v. 07.09.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 194. Siehe auch Personenkarteikarte des BArch Ludwigsburg, Aktennr. VI 319 AR 187/72: „Lt. Mitteilung d. Polizeipräsidenten Berlin, vom 3.3.72 ist Graf Bossi-Fredigotti, A. [sic!] am 25.5.59 nach Rom, Via Chiro [sic! Clivo] Rutario 16 verzogen“. Bossi-Fedrigotti: „Zeitgenössische Freuden“. In: Dolomiten v. 29.12.1960, S. 6. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01.
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7. Nach 1945
Kinder und einen siebzehnjährigen Stiefsohn sorgen müsse. Er bedankte sich bei Wesely: Es sei erfreulich, dass man nicht vergessen werde, „denn die Masse“ kenne einen „ja doch nicht mehr“; Offenbar beschäftigte ihn der Bedeutungsverlust sehr. Explizit hebt er noch hervor, im amerikanischen Sektor der Stadt zu leben; im Osten wäre er wohl kein „besonders gerne gesehener ‚Zugroaster‘ [Zugereister]“267. Das lassen auch zwei Karteien erahnen, die die Stasi anlegte. Eine Personeninformationskartei von 1958 vermerkt Geburtsdatum, Geburtsort, Mitgliedschaft in der NSDAP und enthält einen Verweis auf seine RMI-Personalakte aus dem ehemaligen Bestand des DDR-Zentralarchivs.268 Außerdem findet sich eine Personenauskunftskartei der Stasi-Hauptabteilung von 1969 aus dem Bestand ‚IX/11‘, „Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen“269. Unter Belastungen ist der Code ‚F10‘ aufgeführt, ein Hinweis auf einen weiteren Such-/ Erfassungsauftrag, der sich jedoch nicht mehr nachvollziehen lässt.270 Bossis Dienststelle sei die „fasch.[istische] Reg.[ierung] / AA [Auswärtiges Amt]“ gewesen. Auch Pseudonym und Beruf waren bekannt. Ein Stempel auf der Kartei, „Fünftausend Köpfe“271, belegt, dass die Stasi hier Erich Stockhorsts 1967 erschienenes 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich? zu Rate zog.272 Als 1968 das Braunbuch in der DDR erschien und die NS-Biografien von Funktionsträgern Westdeutschlands offenlegte, fand Bossi sich im Kapitel „Geistige Väter des Völkermords vergiften wieder die Öffentlichkeit. Neofaschismus als Millionenauflage“ wieder. Offen wurde er als österreichischer „Faschistenführer“ benannt, der im Pabel-Verlag eifrig „Nazi-Ideologie für die Jugend“273 produziere. Doch das führte nicht dazu, dass man sich im Westen näher mit seinem Schaffen auseinandersetzte. Allzu leicht ließen sich die 267
268
269 270 271 272 273
Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti an Josef Wesely v. 08.08.1958, Autograph im Besitz der Firma Antiquariat Inlibris, Gilhofer Nfg. GmbH, Wien, https://inlibris. at/?s=bossi&cat=6%2C5&lang=de [Zugriff: 09.04.2019]. Über den hier genannten Stiefsohn waren keine weiteren Angaben zu ermitteln. BStU, Personalkartei F16 – Anton Bossi-Fedrigotti u. telefonische Auskunft v. Simone Geisler, BStU, v. 11.03.2016. Die Akte (ZA VI-0443 A.2 RMI) wurde nach 1990 in das Bundesarchiv überführt. Denkbar wäre, dass die Kartei im Zuge der Aufarbeitung der dort lagernden NS-Akten angelegt wurde. Internetpräsenz des BStU: http://www.bstu.bund.de/DE/Archive/Bestandsinforma tionen/Unterlagen-Alphabetisch/ha_ix_11.html [Zugriff: 18.03.2016]. Telefonische Auskunft Simone Geisler, BStU, v. 17.03.2016. Entnahmen aus: BStU, Personenauskunftskartei HA IX/11 – VK, Anton Bossi Fedrigotti. Stockhorst (1967), S. 525. Die Recherche bei der Stasi-Unterlagen-Behörde führte zu keinen weiteren Dokumenten. Sie „stützt sich auf den derzeit erschlossenen Bestand der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“. Simone Geisler, BStU, an CP v. 09.03.2016. Entnahmen aus: Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland u. Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR (1968), S. 437.
7.3 Kriegshefte, Kriegsromane, Kriegsfilme
531
Anschuldigungen als Schlachtengetöse des Systemgegners abtun.274 Gleichwohl waren Enthüllungen über „alte Kameraden“ eine „scharfe Waffe im propagandistischen Kampf zwischen Ost und West“275. In den 1960er-Jahren arbeitete Bossi als Geschäftsführer und Werbejournalist (auch im Rundfunk) für verschiedene Fremdenverkehrsverbände in Österreich und Südtirol, darunter in Ischgl, Mayrhofen, Bruneck, im Paznaun- und Zillertal.276 Der „‚Herr Graf‘“ habe sich „große Verdienste erworben“277. Es sei ihm gelungen, Mayrhofen in der Chic, Praline und Film und Frau bekannt zu machen. In diesen Jahren entstanden auch seine beiden Fremdenführer, Pustertal (1967) und Vinschgau (1968), die im Athesia-Verlag, einem der großen publizistischen Monopolisten in Südtirol, erschienen und die durch die Arbeit im Fremdenverkehr angeregt worden sein dürften.278 Ohnehin erfuhr „Landschaftspoesie“ mit dem Ziel, Südtirol als „eines der schönsten der Erde“ und als „deutsches Land“279 darzustellen, zunehmend Verbreitung. Bossis Reiseführer beinhalten jedoch auch geschichtliche Passagen, die Andreas Hofer, das Jahr 1809 und die Hochgebirgskämpfe ab 1915 nicht aussparen. Hofer ist hier schlicht Tiroler (Vinschgau, 27ff.). Die Publikationen sollten über das bisher bekannte Spektrum an Reiseliteratur hinausgehen: Die Erreichung eines solchen Zieles ist natürlich in hohem Maße von der Wahl des Verfassers abhängig und hier hat der Verlag mit der Wahl des bekannten Südtiroler Schriftstellers Anton Graf Bossi-Fedrigotti, in dessen Person sich eine gewandte Feder, umfassende Kenntnis von Land und Leuten und bereits in vielen vorangegangenen Publikationen bekundete tiefe Liebe zum Lande seiner Ahnen vereinen, einen besonders guten Griff getan.280
274 275 276
277 278
279 280
Siehe auch Schanetzky (2016), S. 102f. Entnahmen aus: Adam (2016), S. 113. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Siehe auch BF an Strobel v. 01.09.1966, ebd., O. V.: „Anton Graf Fedrigotti 65 Jahre. Er schrieb das Hohelied der Standschützen“. In: Dolomiten v. 06.08.1966, S. 13, u. O. V.: „Graf Bossi-Fedrigotti feierte 65. Geburtstag“. In: Zillertaler Heimatstimme v. 14.08.1966, S. 1. Entnahmen aus: Hausberger, Franz: „Ein Dank an Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Zillertaler Heimatstimme v. 09.07.1967, S. 1. Zur bedeutenden Rolle des Athesia-Verlages siehe Amann (1997), S. 30 u. Keim (2002), S. 28ff. Zu dieser Art Veröffentlichungen kann auch BFs Aufsatz „Lob des Hochpustertales“ aus dem Südtirol-Sonderheft der österreichischen Literaturzeitschrift Wort in der Zeit (1956), S. 39-41, zählen. Amann (1997), S. 33. O. V.: „Ein neuer Führer durch den Vinschgau“. In: Dolomiten v. 25.07.1966, S. 6.
532
7. Nach 1945
Die Vinschgau-Erstauflage sei ein „großer Bucherfolg“281 gewesen. Den Waffenstillstand 1918 hätten die meisten der Vinschgauer Standschützen, so der Reiseführer, nicht begriffen, denn „nirgends war ihnen ein Fußbreit Heimatboden vom Gegner abgerungen worden“. Die Publikation wurde genutzt, um der Leserschaft klarzumachen, dass die Abtrennung Südtirols 1919 ein Band zerschnitten habe, „unauslöschlich in geistiger, kulturgeschichtlicher, geschichtlicher und durch die Gleichheit der Sprache, Abstammung und Volkszugehörigkeit ineinander verworben“ (Vinschgau, 38). Die Pustertaler Einwohnerschaft sei auch „überwiegend deutsch“. Der durch viele italienische Kasernen entstehende Eindruck, „das Italienertum verdränge hier die deutschen Tiroler“, trüge. Das Grundeigentum befände sich immer noch in den Händen der „Nachkommen der zu Herzog Tassilos Zeit eingewanderten Baiern“ (Pustertal, 7f.). Die Grenze zwischen Österreich und Italien zeige sich als ein widernatürliches Hindernis. Sie durchtrenne „völlig überraschend die Weiterfahrt“ zwischen Landschaften, die zusammengehörten: „Wir sind an der Grenze zum Land des Südens. Freilich, vom sonnigen Süden ist hier, bei dieser ersten Begegnung mit ihm, wenig wahrzunehmen“. Daran erinnere nur die „temperamentvolle Sprache der schwarzhaarigen Zöllner“ (Pustertal, 27). Südtirol sei allerdings ein eher geringes Absatzgebiet für Literatur aller Art gewesen – ganz im Gegensatz zu Deutschland. So müsse eine Publikation müsse vor allem diejenigen ansprechen, die „seit Jahrzehnten ihre Ferien in Südtirol verbringen“282. Dazu waren Bossis Reiseführer bestens geeignet, gespickt mit gesetzten Passagen, die die unerschütterliche Deutschheit des Landes propagieren. 7.4
Zwischen Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
Während Bossi die Landser an allen Fronten auferstehen ließ, bei Zeitungen und Filmfirmen anheuerte und Reiseführer schrieb, publizierte er auch eine ganze Reihe Mädchenbücher. Bis 1991 waren es 26 an der Zahl, die allesamt im W.-Fischer-Verlag in Göttingen erschienen, viele davon in der Reihe ‚Göttinger Jugendbücher‘. Die meisten wurden für 12- bis 16-jährige Mädchen empfohlen, nur selten auch für Jungen. Die Auflage dieser Bände dürfte insgesamt etwa 281 282
O. V.: „Südtiroler Landeskunde in neuem Kleid. Mit Anton Graf Bossi-Fedrigotti durch den Vinschgau“. In: Dolomiten v. 03.07.1968, S. 10. Entnahmen aus: O. V.: „Anton Graf Bossi-Fedrigotti: Pustertal“. In: Dolomiten v. 15.09.1967, S. 17.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
533
400.000 Exemplare betragen.283 Dabei handelt es sich vor allem um kurze Texte in Fortsetzungen: fünf Bände über die junge Tänzerin Marima (1957-1958), vier über die drei Berliner Freundinnen Lotti, Margot und Elli (alle 1958) – die zehn Jahre später mit anderem Titel und Inhaltsverzeichnis, aber wortgleich neu aufgelegt wurden –, vier über die auf der Insel Ischia arbeitende Marietta (alle 1961), jeweils drei über die jungen Pferdeliebhaberinnen Gundi und Hanni (1971-1991), eines zu der in Rom lebenden Sandra (1964) und eines über Dorit und Werner (1974) zwischen Eifersucht und Missverständnissen, das 1984 als Ende gut – alles gut! neu aufgelegt wurde. Dabei verfügen die Marima-, Lotti-, Marietta-, Gundi- und Hanni-Reihen über Sammelbände, in denen zwei oder drei Texte gemeinsam herausgegeben wurden. Bossis erste Mädchenbuchreihe handelt von der 16-jährigen Maria Immakulata – abgekürzt Marima – einer talentierten Ballerina, die sich über Höhen und Tiefen zu einer erfolgreichen Tänzerin entwickelt.284 Die Handlung des ersten von fünf Bänden (die jeweils nur eine Auflage erlebten) spielt im Harz. Ihre Mutter stammt aus Halberstadt, besitzt jedoch Augen, die den „Glanz ihrer Südtiroler Heimat auszustrahlen schienen“ (41f.). Weniger das Erbgut der Großeltern, sondern Südtirol als fruchtbarer Boden prägt die dort ‚wachsenden‘ Menschen. Marimas Vater ist Kriegsinvalide mit einer steifen Hand. Er arbeitet als Bahnpostbeamter und hat sich seine Knochen „für das Vaterland […] zusammenschießen lassen“ (51). Wie in jeden seiner Texte flicht der Autor auch hier autobiografische Details ein: Südtirol ist wieder präsent; Handlungsort sind die Berge; Bossis Tochter Maria Immakulata besitzt den gleichen Vornamen wie die Protagonistin, deren Mutter, die Ballettmeisterin Charlotte Gundermann, stammt ebenfalls aus Halberstadt und der Autor könnte sich selbst angesichts des Rheumas und eines Flugzeugabsturzes in der Figur des kriegsgeschädigten Vaters gezeichnet haben.285 Die Friseurin Lotti, die zum Model wird, die Fotografin Margot und die Journalistin Elli aus Drei treue Freundinnen aus Berlin (1958) wohnen und arbeiten in der aufregenden Spreemetropole der 1960er Jahre. 283
284 285
Diese Zahl setzt sich aus den bekannten Auflagenhöhen der jeweiligen Texte zusammen, die immer wieder auf dem Vorsatzblatt der Texte erscheinen, die aber vor allem durch intensive bibliografische Recherchen in den Online-Katalogen der Bibliotheken (GVK, KVK) und den Online-Antiquariaten (zvab.com, booklooker.com, abebooks.com, ebay. de, ebay-kleinanzeigen.de, willhaben.at) zusammengetragen wurden. Marima tanzt vor (1957, eine zweite Auflage 1962), Marima, die Solotänzerin (1957), Marima und die Rivalin (1957), Marima und die Tänzerin (1958) u. Marima tanzt sich nach vorn (1958, Sammelband). Beitrag zur Familie Bossi-Fedrigotti. In: Ehrenkrook u. Deutsches Adelsarchiv (1960), S. 54.
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7. Nach 1945
Abb. 23
Der modische Zeitgeist der 1950er Jahre zeigte sich auch in der Covergestaltung.
Abb. 24
Das Cover von Drei treue Freundinnen in modernisiertem Design.
Sie meistern verschiedene Herausforderungen des Großstadtlebens und des Berufseinstiegs und wollen erfolgreich sein. In dem Band sind die zuvor erschienenen Mädchenbücher Lotti geht nicht zum Film (1958), Mannequin auf Probe (1958) und Margot zwischen Licht und Schatten (1958) zusammengefasst. Zehn Jahre später erschienen alle vier nochmals, diesmal jedoch wesentlich erfolgreicher als zuvor: Der Sammelband Drei treue Freundinnen (1968) erreichte mehr als 20.000, Lotti will hoch hinaus (1968) mehr als 60.000, Ein Mädel mit Talent (1968) 28.000 und Nur Mut, Margot (1968) schließlich mehr als 25.000 Exemplare. Gemeinsam mit der Marima-Reihe ordnete der Verlag sie der Kategorie „Junge Mädel bewähren sich“ (Werbung im Klappentext) zu. Besonders in der Umschlaggestaltung zeigt sich der veränderte Zeitgeist. Werden die drei Mädchen 1958 noch sanduhrförmig in bunten Kleidern dargestellt, zeigen sie sich Ende der 60er selbstbewusster in knielangen Röcken oder sogar bereits Hosen. Die Titelseiten sollen bewusst Mädchen ansprechen und Konsuminteresse wecken: Sie zeigen adrett gekleidete junge Frauen, die einen sympathischen Eindruck machen.286 286
Siehe dazu auch Dahrendorf (1978), S. 18f., der hier näher auf die äußerlichen Signale solcher Texte und gleichsam auch auf die modische Wandlung der Cover je nach Zeitgeist
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
535
Marietta auf der Sonneninsel Ischia (1961) erreichte offenbar nur eine Auflage und beinhaltet drei zuvor erschienene Bände: Marietta fliegt ins Abenteuer (1961, bis 1972 fünf Auflagen, 28.000 Exemplare), Marietta auf dem Vulkan (1961, eine Auflage, ca. 5.000) und Marietta und ihre Freundinnen (1961, vier Auflagen, ca. 23.000). Die Reihe handelt von der jugendlichen Berlinerin Marietta Kolling, die nach ihrem Schulabschluss als ‚Haustochter‘ in eine deutsche Pension auf der Insel Ischia im Golf von Neapel vermittelt wird – auf der Bossi auch offenbar einige Zeit lebte. Die Protagonistin hat in ihrem neuen Beruf zunächst mit allerlei Schwierigkeiten zu tun und muss sich auch gegen extrem aufdringliche junge Italiener wehren, die mit „schmierige[n] Händen“ (20) versuchen, sich der Deutschen zu nähern; „Marietta packte der Ekel“ (21). Bossi konstruiert und bestätigt Stereotype: „ja, so waren diese Italiener wohl alle“ (47). Doch ihr kommt der Matrose Tonino zu Hilfe – einer der Spitznamen Bossis –, der die Jungen vertreibt.287 Die junge Frau hört einige beunruhigende Details über ihre neue Chefin, die herrisch und ungerecht sein soll. Marietta kann sich das nicht vorstellen, schließlich sei die „doch eine Deutsche […] mit deutschen Gästen“ (27). Das Mädchen wird zu einer unentbehrlichen Mitarbeiterin, die alle gern haben. Die Umschlaggestaltung unterscheidet sich dabei im Wesentlichen nicht von denen der Lotti-Reihe, die Zielgruppe ist klar erkennbar. Das Mädchen Sandra (1964), das in einer Auflage erschien, handelt von der zwölfjährigen Alexandra (Sandra) Menninger, die die Deutsche Schule im Rom besucht, da ihr Vater als Ingenieur beruflich in Italien zu tun hat. Gemeinsam mit einigen Freunden erlebt sie Abenteuer und erkundet ein Schlösschen. Bossi verfasste diesen Text offenbar, als er selbst noch in Rom wohnte – darauf weist das Vorwort hin. Auch der Vorname der Protagonistin könnte ein autobiografischer Bezug zu seiner 1952 geborenen, zwölfjährigen Tochter Alexandra Assunta sein. Dorit und Werner (1974), das in der zweiten und dritten Auflage bis 1986 als Ende gut – alles gut! erschien, erreichte wohl eine Auflage von mehr als 20.000 Exemplaren: Die Wiener Modeschülerin Dorit lernt infolge eines Bootsunfalls den mutigen Werner kennen, der sie aus dem Wasser birgt. Gemeinsam mit ihren Freunden Anita und Günther erleben sie sommerliche Wochen an der Donau zwischen Eifersucht, Freundschaft und glücklichem Ende. Bossis Protagonistinnen sind meist stolz und aufrecht, manchmal unvorsichtig, aber immer anständig. Gegen die meist in männlichen Rollen auftretenden Entscheidungsträger (Direktoren, Chefs, Ärzte, usw.) rebellieren
287
eingeht. Dieser Teil der Untersuchung lässt sich ohne weiteres auf die einzelnen Bände der Reihe übertragen. Siehe zu diesem Spitznamen BF an Alfred Strobel v. 01.09.1966, Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01.
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7. Nach 1945
sie nicht. Sie scheinen sich zunächst von ihrem Elternhaus abzulösen, finden jedoch im Laufe der Handlung zu (für die 50er- und 60er-Jahre) überwiegend stereotypisch weiblichen Berufen, wenngleich sie ihr Leben oft selbst in die Hand nehmen, dafür aber das Einverständnis des Vaters brauchen (Lotti).288 Dem Leser werden außerdem pädagogische Botschaften wie „‚Aller Anfang ist schwer‘“ oder „‚Gib immer dein Bestes und niemals auf‘“289 vermittelt. Diese Konstruktion ist für die Mädchenliteratur dieser Jahre typisch: In vielen Texte zeigt sich, dass inhaltlich und intentional weiter ein relativ starrer Konservatismus und die Annahme eines naiven, kindlichen Lesers vorherrscht, den zu erziehen der Autor beabsichtigt; Wertvorstellungen und Menschenbilder verändern sich kaum. Eine „gewisse Wandlungsfähigkeit“ zeige sich nur in der „äußeren Kulisse“290 – wie bei der Umschlaggestaltung.291 Mädchenbücher sind ein literarisches Massenphänomen: Allein 1967 erschienen 110 „erzählende Bücher für Mädchen“, von denen etwa 440.000 Stück abgesetzt wurden; Dazu kamen 600.000 Exemplare bereits erhältlicher Texte. 1967 dürften so mehr als eine Million verkauft worden sein; ein riesengroßes Absatzgebiet, das „marktkonformes Schrifttum“292 forderte und das so auch zur Sozialisation und Festigung bestimmter weiblicher Rollenbilder beitrug. Laut Dahrendorf handelt es sich bei Mädchenbüchern um Texte, die gezielt ‚weibliche‘ Interessen ansprechen (sollen), die rückständige Sozialstrukturen aufgreifen (und festigen), die ein spezifisches Weltbild fixieren und ihre Leserinnen darauf einschwören. Den Verlagen gelang es so, sich eine eigene Kundschaft heranzuziehen, die auch weiterhin für einen guten Absatz sorgte. Das trifft auch auf die Mädchenbücher Bossis zu, der mit einigen hunderttausend verkauften Exemplaren keinen unerheblichen Anteil an diesem Genre zwischen 1950 und 1980 hat – die Verbreitung der Bibliotheksexemplare nicht eingerechnet. Viele dieser Texte sollten unterhalten, Geschichten aus dem Leben und der Lockerheit der Jugend widerspiegeln, Lust auf Abenteuer wecken, während die immer wiederkehrende Stereotypik – mit Blick auf das Genre insgesamt, aber auch Bossis 26 Texte – zu einer noch stärkeren Identifikation der Leserin mit ihren Protagonistinnen geführt haben dürfte.293 Bei Bossi kommt hinzu, dass er den Handelnden stets autobiografische Elemente 288 289 290 291 292 293
Siehe dazu Dahrendorf (1978), S. 55: Die Forderung dieser Texte nach Selbstständigkeit scheint nur eine rhetorische Maßnahme zu sein. Letztlich läuft es doch auf das Einfügen in die vorgegebenen Rollen hinaus. Cerovina (2009), S. 479. Dahrendorf (1978), S. 12. Das trifft hier nicht nur auf die Sammelbände zu, sondern auch auf die Teilbände. Entnahmen aus: Dahrendorf (1978), S. 10ff. Siehe auch S. 17f. Dahrendorf (1978), S. 20 u. 54-57.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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zuschrieb, Südtirol, seine Familiensituation und weitere Lebensstationen literarisch verarbeitete.294 Zwischen 1971 und 1991 erschienen außerdem sechs Pferde-Mädchenbücher des Autors (die alle auf der Titelseite Mädchen und Pferde zeigen): Bleib im Sattel, Gundi! (1971), das bis 1986 vier Auflagen mit wohl etwa 25.000 Exemplaren erlebte, die Fortsetzung Gundi macht große Sprünge (1981, 2. Auflage 1986) und der Sammelband Aufgesessen, Gundi! (1989), der noch eine zweite Auflage erlebte.295 Außerdem veröffentlichte er 1981 Hanni ist ein Naturtalent und Hanni vertraut ihrem Hanko, die je eine weitere Auflage erreichten und die 1991 im Sammelband Hanni und ihre Freunde nochmals herausgegeben wurden. Kurz nach dem Erscheinen seines ersten Mädchenpferdebuches, Bleib im Sattel, Gundi! (1971), wandte Bossi sich an seinen früheren Weggefährten Alfred Strobel. Er bat ihn, sein neuestes Buch ein wenig „zu propagieren“ und eine wohlwollende Rezension zu verfassen. „Eben, weil es im Pustertal spielt und neben einem erzieherischen Sachverhalt, auch die Landschaft weitesten Kreisen der deutschen Jugend näherbringen soll“296. Südtirol dürfe, wenn es nach ihm geht, als ‚deutsches Land‘ nicht vergessen werden. So gelang es dem Autor, das beschaulich-bodenständige Bild Südtirols in Deutschland mitzuprägen und es bis in die 1990er-Jahre hinein mithilfe literarischer Deutschtumsarbeit zu manifestieren, verpackt und verdeckt in heiteren bis abenteuerlustigen, allerdings auch politisierten Kindertexten. Die vierzehnjährige Gundi Laimberg verbringt in Bleib im Sattel, Gundi! die Sommerferien auf einem Bauernhof im Pustertal. Eines Nachts erlebt sie einen Brand auf dem Nachbarhof. Wastl, der Sohn des Ferienhofbesitzers, rettet aus den brennenden Gebäuden ein schwaches, mageres Pferd (benannt als Cavallino, Rößl, Krüppele, Bosniak), das ein italienischer Händler dort untergebracht hat. Gundi fühlt sich zu dem verletzten Tier hingezogen und beschließt, sich um sein Wohl zu kümmern. Der Händler überlässt ihr das Pferd, das fortan einen Platz auf dem Hof von Franz findet, dem Vater Wastls. Gundi erhält daraufhin Kontakt zu dem Reitlehrer Wittula, der ihre skeptische
294
295 296
Daneben erschien noch Kampf ums Matterhorn (1974, Fischer-Verlag), der später nochmals unter dem Titel Sieg am Matterhorn veröffentlicht wurde. Der dürfte eine Auflage von etwa 20.000 Exemplaren erreicht haben und handelt von der Geschichte der abenteuerlichen Erstbesteigung des Matterhorns in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Auflagenhöhe wurde anhand bekannter Stückzahlen in Online-Antiquariatsportalen hochgerechnet. Entnahmen aus: BF an Strobel v. 17.02.1971, Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Strobel sollte außerdem helfen, den Band in Tirol zu verbreiten.
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7. Nach 1945
Mutter überzeugt, das Mädchen bei ihm zur Vorbereitung auf einen Trachtenumzug reiten lernen zu lassen. Gundi ist schon bald in der Gruppe der Fortgeschrittenen. Dort fällt ihr auch der gutaussehende, aber hochmütige Sigi auf, der sie und ihr Pferd wiederholt provoziert. Er und Wastl zeigen im Laufe der Handlung zunehmend Gefallen an dem Mädchen. Bei einem Ritt erkundet Wittulas Kavalkade die Südtiroler Landschaft und Geschichte und gerät dabei in einen Sturm, bei dem Gundi und ihr Pferd beinahe von einem Sturzbach erfasst werden, der die Rückkehr ins Tal unmöglich macht. Sigi bringt das bewusstlose Mädchen zu einem nahe gelegenen Hof. Weil keine Verbindung zu Freunden und Verwandten herzustellen möglich ist, beschließen Sigi und Gundi, den Weg über einen steilen Pass hinunter ins Tal zu suchen. Die beiden finden dabei näher zueinander. Der Text ist auf den ersten Blick ein harmloses, naiv-kindlich gestaltetes Pferdebuch für Mädchen. Topoi sind vordergründig Pferde, Liebe, Gefahr, Freundschaft und Natur. Der Autor betont jedoch immer wieder den natürlich-gesunden Zustand des Berglandes. Die Menschen sind aufgrund ihrer Herkunft hart, ehrlich und naturliebend. Sie benutzen „derbe Bauernteller“ (156), stützen sich auf „derbe Stöcker“ (58) und tragen zudem „derbe Bauernjoppen“ (157) sowie „derbe Wanderanzüge“ (134). Die vermeintliche Härte und Prägung und die (vom Schicksal aufgetragene) Aufgabe, die Heimat vor fremden Einflüssen zu schützen, tritt hervor. Determinativkomposita steigern diesen Eindruck noch: Bergland, Bergmenschen, Bergbauern, Bergburschen, Bergwald, Bergpferde, etc.; auch dabei bleibt Bossi sich treu. Als initiales Lexem schränkt das Determinans „Berg“ das finale Lexem als Determinatum ein, gibt den Rahmen der Geltung vor.297 „Berg“ scheint hier jedoch in seiner Bedeutung aufgeladen. Der Autor gibt damit zwar den Ort des Geschehens an, jedoch schreibt er allen Grundwörtern, denen er das Bestimmungswort voransetzt, damit vermeintlich typische Eigenschaften des Berglebens zu: Das Land ist schroff und anspruchsvoll, die Menschen sind einfach und fleißig, die Pferde mit einer auffälligen Zähigkeit gerüstet und der Wald ist dunkel, dicht, gar mystisch. So verhält es sich auch mit weiteren Bestimmungswörtern, wie „Bauern-“ (Bauernteller, Bauernpferd, etc.) und „Jung-“ (Jungbauer, Jungschütze). Die Bauern-Komposita sollen Sicherheit, Qualität und Verlass suggerieren und die Konstruktion einer heilen Welt stützen. Damit entsteht ein geschlossener Kosmos, der sich positiv von Anderem, Fremdem abhebt. Die Heimat bestimmt den Typ Mensch:
297
Eins (2010), S. 140f.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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Gundi sah wirklich reizend aus. Sie hielt den großen Tiroler Hut in der Hand und wippte mit ihren Halbschuhen mit den roten Pompons leicht auf und ab. Der schwere Trachtenrock fiel weit und bauschig von ihren schmalen Hüften nieder. Ihre dunklen Locken flossen voll und seidig auf das rote Mieder und die weißen Puffärmel herab. Während sie die großen dunklen Augen erwartungsvoll auf die Mutter gerichtet hatte, erschien sie dieser als echter Typ eines Südtiroler Mädels. Prägte sich doch in ihrem Aussehen die ganze herbe Schönheit ihrer Heimat aus (110).
Der Autor stützt sich auf symbolisch aufgeladene Begrifflichkeiten und übersteigert deren Bedeutung: schmetternde Marschmusik (97), donnerndes Echo (130) und sagenumwobene Fanesberge (130).298 So entsteht ein Rahmen, in dem sich die Figuren bewegen, in dem sich eine Pferdegeschichte vor dem Hintergrund einer biologistisch(-völkisch) definierten Identität von Mensch und Tier mit dem Boden abspielen kann (Blut-und-Boden). Durch die Betonung des bäuerlichen Lebens konstruiert Bossi auch einen Unterschied zwischen Stadt- und Landleben: „Stadtmenschen“ gehören „ohnehin auf kein[en] Haflinger“ (116). Als Sigi (aus der Stadt) ein Rennen gegen den Bauernsohn Wastl verliert, wird er von „unzähligen Bauernkehlen“ (131) verhöhnt. Diese Trennlinie wird auch durch die Sprache manifestiert: Gundi und ihre Mutter sprechen Hochdeutsch, die Landmenschen durchgängig Südtiroler Dialekt. Auch damit stützt Bossi die Konstruktion einer homogenen, scheinbar authentischen Gruppe. Die Pferdezucht, die Liebe zu Pferden und die ‚Reinzucht‘ bieten darüber hinaus eine geeignete Kulisse, um die angeblich schicksalhafte Verbindung von Lebewesen und Boden zu stilisieren. Insbesondere die Haflinger, die ursprünglich von einem südtirolischen Hochplateau stammen und die in Tirol bis heute gezüchtet werden, spielen eine große Rolle.299 In den Pferdebeschreibungen finden sich auch rassistische Andeutungen. Sigi drückt seine Meinung nach der knappen Rettung des „Rößls“ folgendermaßen aus: „Wär überhaupt nicht schad darum gewesen, wenn der Zigeuner verbrannt wär“ (32). Gundi und Sigi werden allerdings nur gerettet, weil das schwache bosnische Pferd genauso verlässlich wie ein Haflinger ist (189). Doch deuten diese Lesart und die scheinbare Versöhnung nicht unbedingt darauf hin, dass sich die völkische Grundierung seines Denkens prinzipiell geändert hätte. Stärker als bei Teilen seiner Mädchenbücher knüpft Bossi an frühere Textgestaltungsgewohnheiten an, mystifiziert das anscheinend gesunde Südtiroler Bergleben, huldigt den Bergpferderassen und verwurzelt Menschen in ‚Blut und Boden‘. 298 299
Vgl. Schnell (1998), S. 111. Vgl. http://www.haflinger-pferd.com/geschichte-und-herkunft.shtml / [Zugriff: 10.10.2019].
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7. Nach 1945
Der Fortsetzungsband, Gundi macht große Sprünge (1981), ist dagegen weniger durchsetzt mit völkischer Naturmetaphorik und ‚Blut-und-Boden‘Ideologemen. Neben einer Liebesgeschichte für Jugendliche nehmen hier erneut Rollenbilder eine wichtige Funktion ein: Es sei im Grunde nicht schicklich, als Mädchen hauptberuflich Reiterin zu werden (40). Außerdem müsse man sich fein kleiden und ‚was her machen‘. Und wenn möglich solle man einen vermögenden Mann heiraten (11). Nur beiläufig wird erwähnt, dass zwischen Sigi und seinem Freund, Tassilo Reiners aus Bayern, eigentlich kein Unterschied bestehe, da „die Südtiroler auch echte Bayern sind“ (30). Hier wird deutlich, wie der Autor die Südtiroler zu Blutsverwandten, zu Deutschen stilisiert. In Bossis letzter Mädchenpferdebuchreihe muss die die junge Volleyballerin Hanni Stauder das Schuljahr wiederholen und lernt den gutaussehenden Arztsohn Klaus kennen, der sie zur Reiterei bringt. Die Handlung spielt in Österreich und zeigt wiederum hierarchische Gesellschaftsstrukturen und die Abhängigkeit der Mädchen von verschiedenen Männern.300 Das Pferd dient in diesen Texten als „facettenreiches Natur- und Freiheitssymbol“, als Ausdruck der Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Ursprung – auch zur Heimat. Dabei sind literarisch besonders drei Stilisierungen zu beobachten: Das Tier als wilde Kreatur, als ruhiges und mächtiges Sinnbild der Schöpfung und als Teil unbändiger Freiheit. All diese Facetten bilden Bossis Texte ab. Messen sich die Protagonisten, in der Regel männliche, mit der Kraft und Wildheit des Pferdes, um Glücksgefühle von Macht und Freiheit zu erleben, wird im besinnlichen und verträumten Ritt Ruhe und Frieden in der Natur gefunden.301
Das Pferd sei als Motiv von der Mädchenbuchliteratur der 1950er und 1960er Jahre regelrecht trivial vereinnahmt worden.302 Diese Texte scheinen weitaus mehr pädagogische Absichten zu verfolgen, als zunächst vermutet: 300 301 302
Vgl. Grenz (1997), S. 232. Nach einem emotionalen Auf und Ab kommen sich Hanni und Klaus schließlich näher und merken, dass sie nicht woanders sein könnten, denn „ihre Heimat“ (343) bindet sie und gibt ihnen Halt und Sicherheit. Entnahmen aus: Cerovina (2009), S. 87f. Dahrendorf (1978), S. 136. Der Begriff der Trivialliteratur, die laut Darendorf die Leselust fördert, hätte angesichts intensiver literaturwissenschaftlicher Diskurse zur Wertung und Abwertung literarischer Erzeugnisse eine differenziertere Betrachtung verdient, kann jedoch an dieser Stelle der Arbeit nur im Ansatz dargestellt werden. Er bezeichnet Texte von „vermeintlich geringerer Qualität“, gekennzeichnet durch „platte und abgedroschene Formelhaftigkeit […]: schematischer Spannungsaufbau, Melodramatik und Sentimentalität in der Handlung, Schwarz-Weiß-Zeichnung bei Figuren und eindeutige moralische Zuweisungen sowie Vortäuschung eines klaren Weltbildes durch
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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Mit der Vermittlung bürgerlicher Tugenden von Ordnung und Fleiß, von Pflichtbewusstsein und Tüchtigkeit, Geduld, Höflichkeit, Bescheidenheit und Sparsamkeit liegt auch im Genre des Mädchen-Pferdebuches die Betonung auf allgemeinen (erwachsenen) Wert- und Weltvorstellungen. Diese werden durch die Umwelten, in denen die Geschichten spielen, […] transportiert.
In vielen dieser Bände zeigen sich „Kameradschaftlichkeit, Fairness und Tapferkeit“, wie auch Freundschaft und sportliche Bewährung. Doch herrscht, so auch bei Bossi, die „verdeckte Norm von Heterosexualität in Orientierung am Ideal der bürgerlichen, patriarchalen Ehe und Familie“303 vor. Parallel zu den Kinder- und Mädchentexten erschienen zwei Neuauflagen Bossis: Tirol bleibt Tirol (1983), untertitelt als Der tausendjährige Befre iungskampf eines Volkes, und Standschütze Bruggler (1972). Der Tirol-Band, einst NS-Auftragswerk aus der Zusammenarbeit von Bossi, Hinkel und Bruckmann, erschien bis 1993 in zwei Auflagen im ‚Buchdienst Südtirol P. Kienesberger‘, den der bayerische Verfassungsschutz als rechtsextremistisch einstufte.304 Die Titelseiten von 1935 und 1983 unterscheiden sich zwar, zeigen aber auch Gemeinsamkeiten. Beiden gleich ist die Abbildung des Tiroler Adlers als Identifikationssymbol. Die Neuauflage nimmt farblich im Gegensatz zur Urfassung deutlicher Bezug zur Zugehörigkeit aller Tiroler Landesteile, inklusive Südtirol, zum ‚Mutterland‘ Österreich.
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Harmonisierungsbestrebungen“. Doch habe sich die Wertung von Trivialliteratur auch durch soziologische Ansätze verändert, sei „Geschmack immer soziokulturell geprägt“. Volkmann (2013), S. 766. Die Literaturwissenschaftlerin Julia Genz schrieb: „Darüber hinaus werden Banalität, Trivialität und Kitsch in literaturwissenschaftlicher Hinsicht überwiegend als Ausprägungen bestimmter Literaturformen betrachtet, z.B. als Trivialoder Kitschliteratur, als Genre-, Unterhaltungs- und Heftchenliteratur, als Schundoder Kolportageroman, seltener auch als Banalliteratur“. Trotz „aller Beteuerung der weitgehenden Wertneutralität“ würden diese Phänomene schließlich doch an „vorab stigmatisierte Literatuformen gekoppelt“. Genz (2011), S. 55. Entnahmen aus: Cerovina (2009), S. 474f. u. 479. Bayerisches Staatsministerium des Innern (2001), S. 14. Kienesberger (1942-2015), mehrfach in Italien verurteilt, saß mehrere Jahre in österreichischer Untersuchungshaft. Siehe Peterlini (2003), S. 238, Maegerle/Röpke/Speit (2013), S. 33, Weidinger (2019), S. 62, Steurer (2019), S. 122 u. Gatterer, Claus: „Die Braunen von Südtirol. Hinter den Bombenlegern stehen neonazistische Gruppen“. In: DIE ZEIT v. 25.09.1964, https://www.zeit.de/1964/39/ die-braunen-von-suedtirol [Zugriff: 16.02.2019]. Siehe auch Steurer/Steinacher (2011), S. 247ff. Der Verleger Peter Kienesberger hatte sich 1961 in Innsbruck 19-jährig dem ‚Befreiungsausschuss Südtirol‘ (BAS) angeschlossen und beteiligte sich in den 1960er Jahren als einer jener ‚Südtiroler Freiheitskämpfer‘ an zahlreichen Anschlägen auf öffentliche Einrichtungen.
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7. Nach 1945
Abb. 25
Cover der Tirol bleibt Tirol-Ausgabe von 1935.
Abb. 26
Das Cover der Neuauflage: Der Adler ist – historisierend – erhalten geblieben.
Inhaltlich besteht zwischen den Ausgaben keinerlei Unterschied. Germanenkönige sind weiter ‚Blutzeugen‘ der Deutschheit Tirols und ‚deutsches Blut‘ fließe durch die Adern der Tiroler. Selbst die offen antisemitischen Textpassagen zum Juden Salamanca bleiben unverändert. Dabei machte sich der Verlag nicht einmal die Mühe, die Seitennummerierung anzupassen: Das alte Inhaltsverzeichnis stimmt mit dem neuen Textsatz nicht überein. Die Neuauflage von Standschütze Bruggler zeigt dagegen einige inhaltliche Modifikationen. Sie sei im Handel „recht gut“ gegangen, und dass in den 1970er-Jahren offenbar die alten Dolomitenstellungen touristisch entdeckt wurden, habe dem Vertrieb des Romans „gar nicht schlecht“305 getan. Im Vorwort der Neuauflage spricht man nun nicht mehr zum ‚deutschen Menschen‘, 305
Entnahmen aus: „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Der rechtsradikale Schütz-Verlag Preußisch-Oldendorf, in dem die Auflage erschien, wurde 1955 von Karl Schütz, einem ehemaligen SS-Hauptsturmführer, gegründet. Hier erschienen unter anderem Texte von Hans Grimm und Hans-Ulrich Rudel. Siehe zum Schütz-Verlag Grumke/Wagner (2002), S. 298, Brüdigam (1965), S. 160f., Klee (2015), S. 564 u. Adam (2016), S. 117ff.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
543
sondern nur noch zu den „Landsleuten“. Doch der biologistische Blut-undBoden-Duktus ist unverändert. Die Menschen sind weiterhin mythisch mit dem Land verbunden und auch die Darstellung der unzuverlässigen und feigen Ruthenen, Tschechen und Polen bleibt wortgleich (u. a. 273). Die Tiroler müssen an der Front immer noch erkennen, dass sie eigentlich Deutsche sind. Viele Änderungen zeigen sich daran, dass das Wort ‚deutsch‘ gestrichen oder durch ‚Österreicher‘ und ‚Tiroler‘ ersetzt wurde. 1934 fragt der Lehrer noch: „Was ist des Deutsch-Österreichers Vaterland?“ (334), und er betont, die Standschützen wüssten gar nicht, „wie deutsch sie in ihrer Art sind“ (335). 1972 heißt es nur mehr: „Was ist des echten Österreichers Vaterland?“ (279) – und die Schützen sind nur noch „wie ihre Vorfahren in ihrer Art“ (280). Einer der Höhepunkte der Urfassung, als der Lehrer Bruggler einschärft, dass das Kämpfen nur einen Sinn hat, damit „das Land deutsch erhalten bleibt“ (335), ist in der Neuausgabe ein Kampf dafür, dass das „Land uns erhalten bleibt“ (280). Erwacht an der Tiroler Front des Ersten Weltkriegs 1934 noch der Glaube daran, die Südtiroler seien „Treuhänder der großen Nation von der Nordsee bis zur Etsch“ (335), sind sie 1972 nur noch die, „die wie wir die gleiche Sprache sprechen von der Nordsee bis zur Etsch“ (280). Sticht ursprünglich noch der zentrale Aufruf „Denn deutsch für alle Deutschen muß das Landl bleiben, ja deutsch und nichts anders!“ (335) heraus, liegt die Konzentration in der späten Ausgabe woanders: „Denn Tirol für alle Zeiten muß das Landl bleiben, ja deutsch und nicht anders“ (281). Auch in der abschließenden Grußformel, 1934 noch mit „deutschem Tirolergruß“, geht das adjektivische Attribut 1972 verloren. Nur offensichtlich nicht mehr passende Textstellen sind – wenn überhaupt – verändert worden, der Kern der Aussagen bleibt weitgehend erhalten. Eine 1973 in der Zeitschrift Südtirol in Wort und Bild erschienene Rezension zur Bruggler-Neuauflage vermerkte, der Text sei „zeitlos“ in der „Hingabe an eine Idee, die Tirol heißt“; keinesfalls handele es sich um ein „kriegslüsternes“306 Buch. Noch 1976 befand ein Zeitungsartikel anlässlich Bossis 75. Geburtstag, Bruggler bleibe „ein großer Wurf und ein psychologisch glänzend aufgebauter Roman“307. Seit 1985 fand sich in tirolisch-nationalistischen Veröffentlichungen auch Werbung für eine VHS-Version des Bruggler-Filmes.308 Die DVD ist heute frei und ohne begleitenden Kommentar erhältlich, bei Amazon, 306 307 308
Entnahmen aus: O. V.: „Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Standschütze Bruggler. Kriegsroman aus Tirol“. Rezension. In: Südtirol in Wort und Bild 16 (1973) H. 4, S. 38. O. V.: „Graf Bossi Fedrigotti 75“. In: Dolomiten v. 07.08.1976, S. 7. „Standschütze Bruggler [VHS-Filmwerbung]“. In: Arbeitsgemeinschaft aus SüdtirolSchutzverbänden, Organisationen und Persönlichkeiten aus Gesamttirol (Hg.): Der Tiroler. Von Kufstein bis Salurn! Für ein freies und einiges Tirol! 5 (1985), H. 1, S. 15.
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7. Nach 1945
Thalia, Weltbild und anderen. Auch im ‚Nation&Wissen-Versand‘ des ehemaligen NPD-Funktionärs Marko Beutler ist der Film erhältlich – ebenso wie Bossis Andreas Hofer in der Nachkriegs-Neuauflage. Der im sächsischen Riesa ansässige Verlag vertreibt nicht wenige „rechtsextreme Devotionalien“309. Die öffentliche Aufführung des Films ist weder untersagt noch eingeschränkt.310 Regelmäßig wird er im Internet als Beleg für die Verfilmung von Schauplätzen und Ereignissen des Ersten Weltkriegs angeführt, ohne zu erwähnen, dass seine Entstehungszeit auch die Produktion und Rezeption bedingt: Standschütze Bruggler bleibt ein zielgerichtet als Propaganda gestalteter Film. Als solcher dient er jedoch auch der Aufklärung von Propagandamechanismen: Seit 2014 wird er verschiedentlich im Rahmen der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Museen und Instituten mit wissenschaftlicher Begleitung gezeigt.311
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Maegerle, Anton: „Rechtsextreme Devotionalien aus Riesa“. Website des sozialdemokratischen Portals „Blick nach rechts“. https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/ rechtsextreme-devotionalien-aus-riesa [Zugriff: 20.04.2019]. Siehe auch http://www.nuwversand.de/index.php?page=product&info=5824 [Zugriff: 20.04.2019]. Die öffentliche Aufführung eines Films kann untersagt oder unter Auflagen (wie der eines obligatorischen Begleitkommentars) zugelassen werden. Vgl. auch Mende (2015), S. 174. Siehe auch https://www.weltbild.de/artikel/film/standschuetze-bruggler_15165303-1 [Zugriff: 20.04.2019]. So unter anderem am 11.02.2015 in der Bundesarchiv-Erinnerungsstätte Residenzschloss Rastatt. Die Einführung und den wissenschaftlichen Kommentar übernahm Dr. Alexander Jordan, Direktor und Geschäftsführer des wehrgeschichtlichen Museums im Schloss. https://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/veranstaltungen/04398/ index.html.de [Zugriff: 27.01.2017, inzwischen nicht mehr verfügbar]. Der Werbeausschnitt für die DVD stammt aus Golowitsch, Helmut: Ortlerkämpfe 1915-1918. Der König der deutschen Alpen und seine Helden. Nürnberg: Buchdienst Südtirol Kienesberger (2005). Der Band wird heutzutage vom rechtsextremen „Deutschen Buchdienst“ vertrieben, der ehemals durch den NPD-Funktionär Eric Kaden geleitet wurde. Den Vertrieb – auch auf Plattformen wie amazon.de – übernimmt der ‚AdoriaVersand‘ (auch für den Ares-, Druffel- und Vowinckel-Verlag). Der vertreibt neben verschwörungstheoretischen und migrationsfeindlichen Texten auch Widerworte: Gedanken über Deutschland der AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alice Weidel. Siehe https://www.amazon.de/s?me=A3CAEB5PT61J5B&marketplaceID=A1PA6795UKMFR9 [Zugriff: 20.04.2019]. Auch Steurer/Steinacher (2011), S. 248, wiesen auf die Werbung für die DVD im Gedenkjahr 2009 hin. Auf eine „Kleine Anfrage“ des sächsischen Grünen-Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann hin, inwieweit der Staatsregierung Sachsens nähere Informationen zu den Hintergründen des ‚Deutschen Buchdienstes‘ vorlägen, antwortete der sächsische Innenminister Roland Wöller schlicht, es lägen keine Erkenntnisse vor, der Buchdienst sei kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes und darüber hinaus seien hier Persönlichkeitsrechte hinsichtlich des Datenschutzes zu wahren. Siehe https://s3.kleine-anfragen. de/ka-prod/sn/6/12410.pdf [Zugriff: 20.04.2019].
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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Neben Mädchenbüchern und Kriegsheften war ein Sujet jedoch Bossis „Lieblingsthema“312: Altösterreich, Habsburg und die österreichisch-ungarische Armee. Zwischen 1955 und 1990 veröffentlichte er sechs umfangreichere Romane, die sich hier einordnen lassen, außerdem der Bildband Kaiser Franz Joseph I. und seine Zeit (1978) im Ringier-Verlag Zürich/München. Darin berichtet Bossi wehmütig, wie wohl sich letzten Endes doch alle Bewohner der Vielvölkermonarchie als Österreicher gefühlt hätten. Tschechen, Italiener und Polen seien durchaus Kameraden und auch Freunde gewesen. „Ich kann mich dabei nicht erinnern, je ein abfälliges Wort vonseiten eines Slowaken über einen Magyaren oder eines Tirolers über einen Tschechen gehört zu haben“. Später hätten die verschiedenen nationalpolitischen Agitationen das Klima jedoch vergiftet. Oft habe er persönlich Angehörige der kaiserlichen Familie in Toblach und Umgebung kennenlernen dürfen, auch, als diese im Hause Bossi-Fedrigotti zu Besuch waren, darunter der Thronfolger Franz Ferdinand. Bei der Jahrhundertfeier 1809-1909 in Innsbruck habe er auf der Gästetribüne gegenüber dem Kaiser schließlich noch einmal ÖsterreichUngarn in „seinem Glanz“ (236) erleben dürfen. Bereits 1955 war Triumphzug der Zarin (1955), das 1967 noch eine weitere Auflage erlebte, im Grazer Leopold-Stocker-Verlag erschienen, der erste größere Habsburg-Roman des Autors. Der Verlag war schon 1917 gegründet worden und entwickelte sich nach 1945 zu einem „ultrarechten österreichischen“313 Haus. Heinz Brüdigams Der Schoß ist fruchtbar noch (1965) vermerkt, hier publiziere eine „Schar einstiger Nazi-Schriftsteller“314, darunter Bruno Brehm, Will Vesper, Karl Springenschmid und Bossi, dessen größere Habsburg-Romane aus der Zeit nach 1945 sämtlich hier verlegt wurden: Neben dem Triumphzug noch Die goldgestickte Kokarde (1973), Kaiserjäger – Ruhm und Ende (1977), Heimkehr in den Untergang. Ein Roman vom Ende der Donaumonarchie (1981) und Jahre der Hoffnung. Roman um die burgenländische Passion (1984). Bis heute erscheinen bei Stocker rechtsextremistische und neonazistische Schriften.315 Außerdem wird hier Kienesbergers ‚Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols‘ unter leicht verändertem Titel fortgeführt.316 Der Triumphzug handelt von dem Frankfurter Stadtschreiber WolfDieter Rottwitz, der 1760 nach Russland auswandert, dort zum wichtigsten 312 313 314 315 316
„Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Grumke/Wagner (2002), S. 162. Brüdigam (1965), S. 168ff. Peham, Andreas: „Leopold Stocker Verlag (Österreich, seit 1917)“. In: Benz (2013), S. 424f. Steurer (2019), S. 124.
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7. Nach 1945
Vertrauten des Fürsten Potemkin und schließlich zum Berater der deutschstämmigen Zarin Katharina wird. Er hat maßgeblichen Anteil an der Ansiedlung Deutscher an der Wolga. Schließlich muss er infolge politischer und amouröser Verwicklungen aus Russland fliehen und arbeitet für den römisch-deutschen Kaiser Joseph II. im südosteuropäischen Banat. Bossis Text ist eine monumental aufgebaute Historiengeschichte vor dem Hintergrund des Schicksals ‚Volksdeutscher‘ in der osteuropäischen Welt. Dabei unterscheiden sich die Handelnden durch ihre Herkunft: ein „breiter, wuchtiger Schädel“ (128) und die „stark hervortretenden Backenknochen“ (7) kennzeichnen stets die genügsamen, fleißigen und bodenständigen Bauern. Ohnehin sind die Figuren und Gruppen, „Vertreter aller Rassen und Typen des Reiches“ (372), anhand ihres Phänotyps entweder nach Kopfform oder Haarfarbe einem Landstrich eindeutig zuzuordnen (160, 372f.). So zeigt sich der deutsche Nachwuchs auch als „Rudel pausbäckiger, frischer Kindergesichter mit flachsblonden und strohgelben Haaren“ (374). Anfang der 1970er Jahre hielt Bossi eine Lesung aus dem Triumphzug für die Offiziersanwärter des österreichischen Bundesheeres, womit der in zwei Auflagen erschienene Text auch als offiziöser Schulungsstoff diente.317 1973 erschien einer seiner seitenstärksten Romane, Die goldgestickte Kokarde. Alfred Strobel schrieb er 1971, bevor er „‚marsch,..marsch..unter die Erde mache!‘“, solle noch dieser, sein „letzter und vielleicht großer Österreich(Südtirol-) Roman“318, fertiggestellt werden – der am Ende aber lediglich eine Auflage erreichte. Je ein Exemplar schickte Bossi später auch an die in Sao Paolo erscheinende Zeitung Deutsche Nachrichten und der Freien Presse sowie dem Argentinischen Tagblatt in Buenos Aires zur Besprechung. Seinen Bekannten Johannes Schauff bat er, auf eine freundliche Rezension hinwirken zu wollen.319 Der Roman behandelt österreichisch-italienische Spannungen im trentinischen Tirol, die Bossi selbst auch in seiner Familie erlebt haben will. Man habe sich seinerzeit durchaus „in den Haaren gehabt haben aus politischen
317 318
319
BF an Strobel v. 17.02.1971, Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Entnahmen aus: Ebd. Siehe auch BF an Friedrich Haider, Studio Tirol des ORF, v. 02.12.1973, Autographensammlung der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Dr. Friedrich Haider (1921-2009) war Tiroler Volkskundler und arbeitete 30 Jahre lang beim ORF. BF schrieb Haider, der Roman gehe „vorerst ganz gut“. BF an Johannes Schauff v. 29.09.1975, IfZArch, ED 346, Bd. 1, S. 197.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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Gründen“320. Auch hätten die in deutscher und italienischer Sprache ausgetragenen Konflikte Eindruck auf den damaligen Jungen gemacht. Der Leser begleitet Christina (Christa) von Silviani, eine Rotkreuzschwester, und ihren Bruder Konstantin, k.u.k.-Hauptmann, durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges in Tirol, Südtirol, dem Trentino und Italien. Im Epilog berichtet der auktoriale Erzähler schließlich von der weiteren Lebensgeschichte der Figuren zwischen 1918 und 1953. Die Handlung konzentriert sich zunächst an Orten wie dem Lazarett oder der Front, später kommen Schlösser und Gefängnisse, Wien und Linz dazu. Der Autor bettet die Figuren in ein gutsituiertes adliges Milieu ein, in dem sich auch die „Fedrigotti“ (50) aus Toblach bewegen (u. a. 14, 111, 131 u. 475). Doch nicht nur das weist auf die Vita des Autors hin, sondern auch die Geschichte der fiktiven italienischen Familie von Silviani. Die war offenbar einst vom österreichischen Kaiser nobilitiert worden und stand fortan treu in k.u.k.-Diensten. Der Vater Christas kämpfte als Freiwilliger im südafrikanischen Burenkrieg – wie Bossis Onkel Anton von Goldegg (174). Außerdem spielen die Bersaglieri (227) und ein Rückblick auf Kämpfe in Woronesh 1942 eine Rolle (496). Christas Jugendliebe, der deutschsprachige Sandro Camolin, stammt ebenfalls aus dem Trentino. Er ist österreichischer Staatsbürger italienischer Abstammung, wird aber als italienischer Soldat rekrutiert und findet sich schließlich nach einem missglückten Angriff in österreichischem Gewahrsam wieder, in dem Lazarett, in dem Christa arbeitet. In den Augen des österreichischen Militärs müsste er, der als Österreicher für Italien kämpfte, nun als Deserteur gelten, doch Christa gelingt es, seine Maskierung als Italiener aufrecht zu halten, und macht sich – zunehmend aus Liebe – der Fahnenflucht mitschuldig. Nicht nur in seiner Person, sondern auch in denen der Silvianis drückt sich der dauerhaft währende Zwiespalt zwischen österreichischer Treue und italienischer Volkszugehörigkeit aus. Als schließlich herauskommt, dass Camolin der Staatsangehörigkeit nach Österreicher ist, er inhaftiert wird und ihm die Hinrichtung droht, fürchtet Christas Bruder Konstantin um die Zukunft seiner Schwester, um die Ehre und den Namen der Familie. Christa versucht über verschiedene Wege, ihren Geliebten zu retten, doch der wird schließlich noch vor dem Prozess infolge einer tragischen Verkettung von Ereignissen erschossen. Christa von Silviani ist Österreicherin durch und durch, ihre Aufgaben erledigt sie mit einer „selbstverständlichen patriotischen Bereitwilligkeit“ (13). Ihr Bruder Konstantin ist der schneidige Militär, der seinen Soldaten ein 320
„Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP.
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7. Nach 1945
Vorbild ist und an der Front dauerhaft dafür sorgen muss (– wie schon andere Bossi-Figuren –), dass die dort eingesetzten Ruthenen nicht desertieren oder sich feige vor dem Kampf drücken (120f.).321 Ihnen ist es „sauwurscht, ob ihr Kaiser Franz Josef oder Nikolaus heißt“ (21). Sie werden erneut pauschal gebrandmarkt und herabgewürdigt, müssen, mit dem Spaten in der Hand, über Felsen vorwärtsgetrieben werden (73, 80, 86, 127) und dienen als „Zielscheibe“ (129). Aus der Erfahrung dieser Szenen scheint Konstantin klar zu werden: „Du bist morsch, Österreich!“ (129). Gleichzeitig schwebt, mit Blick auf die osteuropäischen Soldaten, drohend über der Szenerie, „was da aus Rußland heraufzieht“ (296) – eine deutliche antibolschewistische Warnung. Doch zeigen die deutschösterreichischen Soldaten auch Verständnis für die häufig ausweglose Situation ihrer anderssprachigen Kameraden, denen es an der Front ebenfalls schlecht ergeht (25), oder für die trentinischen Soldaten Österreichs, die sich als Italiener fühlen (171). Ein Vorgesetzter Silvianis will ihm klarmachen, dass mancher Sieg ein „Erfolg aller dort eingesetzten Nationalitäten“ (347) war und dass auch den gefallenen Ruthenen Anerkennung gebührt. Silviani denkt sofort daran, dass der Feldmarschall hätte versuchen sollen, das den einfachen Soldaten zu erläutern. Er deutet damit an, dass es offizielle Politik der Armeeführung war, für den Zusammenhalt der Nationalitäten zu sorgen, während die Realität an der Front anders ausgesehen habe. Phänotypisch und ihrem Verhalten nach sind die meisten Figuren (außer den zwiespältigen) typische Vertreter ihres Volkes. Bossi nutzt völkischrassistische Stereotype, um klare Unterscheidungen zu konstruieren. So besitzt ein schnurrbärtiger, schwarzhaariger Wachsoldat, Angehöriger eines slowakischen oder ungarischen „Zigeunerclans“, ein „breitknochiges Gesicht“ und „gelbliche Hautfarbe“ (226). Der „Vierkantschädel“ eines tschechischen Leutnants erinnert an „einen Stier“ (289f.). Und die blonden Haare und braunen Augen Christas sind deutliche Anzeichen dafür, dass Christa nicht dem Typ eines Mädchens aus dem Trentino entspricht (301). Der einzige Jude ist der kleine galizische Korporal Mosche Wintermann, ein stereotypisch abwertend gezeichneter Charakter. Er muss davon abgehalten werden, sich zu „verkriechen“ (20, 27), ist unzuverlässig und die Deutschösterreicher trauen ihm nicht. Er taucht nur auf drei Seiten des Textes auf und nimmt keine wichtige Position ein. Offenbar wollte der Autor mit der Konstruktion Wintermanns seine stereotypisch-stigmatisierende Lesart der durch ihre angebliche Volkszugehörigkeit geprägten Figuren verbreiten. Die Italiener, oftmals 321
Siehe dazu auch Westenfelder (1989), S. 125, der dieses oft für slawische Völker verwendete Motiv als Bestandteil nationalsozialistisch belasteter, historischer Romane herausarbeitet.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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„Katzelmacher“ (160) genannt, zeichnet Bossi als leidenschaftliche, weiche, wehleidige Prahler, denen ‚Amore‘ das wichtigste im Leben ist (116, 157, 160, 173). Man müsse sie nur mit ein paar Mädchen zusammenarbeiten lassen, damit sie nicht aus der Kriegsgefangenschaft fliehen. Für die Italiener österreichischer Staatsangehörigkeit ist der Kampf für das eigentliche Vaterland „Pflicht“ (190, 361). Die Figuren zeigen bestimmte Merkmale, weil ihr ‚Blut‘ (deutsches, magyarisches, tschechisches, usw.) es nicht anders zulässt, ihre Eigenschaften sind biologisch determiniert. Daher ergeben sich für die Menschen stets nur bestimmte Handlungsoptionen. Auch die treue Österreicherin Christa muss sich immer wieder vergewissern, nicht doch Sympathien für die italienische Seite zu haben (116). Tatsächlich, gibt sie zu, können sie und ihr Bruder ihr „Blut […] nicht verleugnen“ (171). Je nach Anteil des Blutes tragen die Figuren beinahe proportional vorgebliche Eigenschaften des jeweiligen Volkes in sich (172ff., 416, 468). Der Autor gibt sich große Mühe, ein gutes altes, anständiges k.u.k.Österreich wiederauferstehen zu lassen, was dazu führt, dass der Text durch einige Redundanzen überfrachtet wirkt.322 Er berichtet von der Zerrissenheit vieler Trentiner, doch kämpfen hier nicht Staaten und Nationen gegeneinander, sondern Völker – und dazwischen die Silvianis und Camolin. In der Zeitschrift Südtirol in Wort und Bild erschien im November 1973 eine Rezension, die dem Text bescheinigte, den „Hauch der alten Monarchie“ und den „Atem des Krieges und die linden Lüfte erfüllter Sehnsucht“ erfasst zu haben. Von Anton Graf Bossi-Fedrigotti ist man gewohnt, daß er das, was er erzählen will, meisterhaft darstellt. Dieses Buch ist ein neuerlicher Beweis dafür. […] Anton Graf Bossi-Fedrigotti hat wieder ein großes Werk geschaffen, das Beachtung verdient.323
Auf Einladung des Stocker-Verlags hielt er im November 1973 eine Lesung im Wiener Künstlerhaus.324 Den Abend hatten sowohl der Verlag als auch die Buchhandlungen Krey und Frau Prof. Neukomm-Lobenstein von der ‚Österreichischen Gesellschaft für Literatur‘ organisiert. Prominente aus „Literatur, 322 323 324
Zum ‚guten alten‘ Österreich siehe auch Kozuchowski (2013), S. 112ff. Entnahmen aus: O. V.: „Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Die goldgestickte Kokarde“. Rezension. In: Südtirol in Wort und Bild 16 (1973), H. 4, S. 38. Einladung zur Autorenlesung Anton Graf Bossi-Fedrigotti des Leopold-Stocker-Verlags Graz, Bestand der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum (Kartei BossiFedrigotti, Anton).
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7. Nach 1945
Kunst und Adel, auch Militär und alte Armee“325 hätten den Saal fast ganz gefüllt. Kaiserjäger – Ruhm und Ende (1977, Stocker-Verlag) soll schon aufgrund des dramaturgisch aufgeladenen Untertitels, „Nach dem Kriegstagebuch des Oberst v. Cordier“, den Eindruck einer Dokumentation erwecken. Bossi hatte dafür das Tagebuch des k.u.k.-Oberst Tassilo Cordier von Löwenhaupt, „des letzten Kommandanten des ersten Regiments der Tiroler Kaiserjäger“326, außerdem Karten, Faksimiles und Fotos zu Hilfe genommen. Der Text konzentriert sich vor allem auf die Südtiroler Hochgebirgsfront, ist alles in allem eine Auflistung von Ereignissen und Zahlen auf 500 Seiten. In den Gefechten muss die österreichische Heimat wieder eine „große Anzahl ihrer Söhne auf der Blutbank dieses Krieges opfern“ (33), flankiert von Kriegsgedichten des Bossi-Freundes Friedl Badendieck (45f.). Deutsche oder deutschsprachige Einheiten siegen über weit überlegene Feinde, doch auch Ungarn, Serben und Tschechen kämpfen tapfer für den Vielvölkerstaat. In einer Antwort auf eine Leserzuschrift bemerkte Bossi im September 1977, der Text zeige bereits „einen beachtenswerten Erfolg“327. In einem Interview mit Radio Tirol (ORF) gab der Autor 1981 zu verstehen, Cordier sei der Kommandeur seines Vaters während des Ersten Weltkrieges gewesen.328 2009 erschien unter dem Titel Die Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg eine Neuauflage im Ares-Verlag. Stocker gliederte „problematische Schriften“329 seit 2005 in dieses Tochterunternehmen aus, nachdem er aufgrund seines teilweise rechtsextremistischen Portfolios öffentlich unter Druck geraten war. Die Zeitschrift der Offiziersgesellschaft Steiermark zeigte sich über die Neuerscheinung erfreut und bewarb den Text als Weihnachtsgeschenk in ihrer Winterausgabe des Jahres 2010.330 325 326 327
328 329 330
Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti an Haider, Studio Tirol des ORF, v. 02.12.1973, Autografensammlung der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. BF an Heinz Birker v. 09.09.1977, Bestände der Firma ‚Kotte Autographs‘. https://www. kotte-autographs.com/de/autograph/bossi-fedrigotti-anton-graf/ [Zugriff: 11.03.2017]. Ende Juni 1977 hielt er außerdem eine Signierstunde für den Roman in der Wiener Buchhandlung Rudolf Krey. Siehe Bildarchiv der ÖNB, Signierstunde – Buchhandlung Rudolf Krey – Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 20. Juni 1977, PLA16771233. „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Peham, Andreas: „Leopold Stocker Verlag (Österreich, seit 1917)“. In: Benz (2013), S. 424f. „Buchtipps und Geschenkideen“. In: Offiziersgesellschaft Steiermark (Hg.): Zeitschrift der Offiziersgesellschaft Steiermark (2010), H. 4, S. 30.
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Bemerkenswert ist eine bereits 1977 erschienene Rezension über Kaiserjäger – Ruhm und Ende. Der Rezensent stellt differenzierend und kritisch fest, dass sich der Text nicht wesentlich von früheren des Autors unterscheidet. Graf Bossi-Fedrigotti hat sich 40 Jahre als Romancier von spannenden Kriegsromanen einen Namen gemacht, vornehmlich von solchen aus dem ersten Weltkrieg [sic!], den er – Jahrgang 1901 – nur aus Erzählungen kennt. Je nach den politischen Zeitläufen zogen seine Helden mit Begeisterung oder dunklen Vorahnungen kommenden Unheils in den großen Krieg, immer bereit, ihre Tiroler Heimaterde vor dem eindringenden Feind zu schützen.
Außerdem gebe es keinen Lebenslauf Cordiers und keine Details zu seinem Wirken. Für die Wissenschaft sei das neue Buch von „zweifelhaftem Wert“, das Inhaltsverzeichnis eher „poetisch, ein Index […] fehlt“. Auslassungen seien nicht vermerkt und Zitate wie sonstige verwendete Literatur nur „mangelhaft gekennzeichnet“. Und für den Durchschnittsleser? Ihm wird das gängige Klischee von Heldenmut und Männerfreundschaft, von übermenschlichen Strapazen und pflichtgetreuer Erfüllung offensichtlich unsinniger Befehle vermittelt. Selbstredend bezweifelt niemand, daß – auf beiden Seiten – Heldentaten vollbracht wurden, die heute noch Bewunderung erregen, aber die unreflektierte Haltung des Autors seinem Sujet gegenüber erlaubt nach den vielen Kriegen der letzten 50 Jahre den [sic!] doch die Frage: Cui bono?331
Offenbar gab es in Tirol auch solche Stimmen, die stichhaltig und kritisch, vor allem aber öffentlich nach dem Wirken des Schriftstellers fragten, während gleichzeitig wohlwollende Glückwünsche zum Geburtstag und zum Wirken des Autors erschienen. Das zeigt eine veränderte gesellschaftspolitische Stimmungslage Ende 1970er Jahre, die derartiger ‚Hurra‘-Literatur offenbar überdrüssig war und nach sachlicher, ausgewogener Darstellung historisch interessierender Ereignisse und Fragen verlangte. In Col di Lana. Kalvarienberg dreier Heere, das 1979 im Schild-Verlag erschien, schildert Bossi den Konflikt um den im Ersten Weltkrieg von Österreichern, ihren Verbündeten und den Italienern stark umkämpften „Blutberg“ (9). Über die Langobarden bis Andreas Hofer und Bauernmilizen bemüht Bossi die Landesgeschichte, um die natürliche Deutschheit Südtirols zu betonen. Der Text besteht überwiegend aus eingehenden Schlachtbeschreibungen. Die österreichischen Soldaten sind stets tapfere Helden „von außerordentlich 331
Entnahmen aus: G.K. [unbekannt]: „Und wieder einmal die Kaiserjäger: Kriegstagebuch“. In: Tiroler Tageszeitung v. 14.07.1977, S. 5.
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7. Nach 1945
festem Willen und gutem Geist“ (27), die mit ihren deutschen Waffenbrüdern gegen eine Übermacht anstürmen (13, 67f., 127). Als das verbündete und zu Hilfe geeilte Deutsche Alpenkorps abrückt, herrscht allerorten Bedauern. Doch das gemeinsame „Sicherheitsgefühl“ überwiegt, das „aus dem Glauben an die Überlegenheit des deutschen Soldaten erwuchs“ (54). So finden auch in diesem Text pangermanische Ideen und treudeutsch-völkische Überheblichkeit ihren Platz. Auf dem Berg blieben so nur noch sinnlose „Blutopfer“, die zur „Völkerversöhnung“ (128) mahnen.332 Doch Versöhnung bedeutet in diesem Kontext nicht, den Glauben an die natürliche Superiorität der Deutschen abzulegen. Sie bleiben hier die Stärkeren, Anständigeren, Verratenen.333 Ein Leutnant, notabene Dragoner, und eine verheiratete tschechische Schauspielerin: So beginnt die Romanhandlung. Daß sie vor einem Bild des zu Ende gehenden Kaiserreichs abrollt – dafür ist bereits der Name des Autors eine Garantie334,
urteilte eine Rezension. Die Rede ist von Bossis Heimkehr in den Untergang (1981, Stocker). Weite Strecken des Textes ergehen sich in militärhistorischen Details, melancholischen Landschaftsbeschreibungen und sentimentalen Erinnerungen an die gute alte Zeit der k.u.k.-Monarchie (u. a. 76f.). Der Schutzumschlag zeigt zerrissene Fotografien gesellschaftlicher Anlässe und Militärmotive, hinter denen der Doppeladler aufscheint. Der Österreicher Anno Bernet, ein schneidiger, selbstsicherer, aber auch überheblich-arroganter Offizier und Frauenheld, ist aus der Armee entlassen worden, nachdem herauskam, dass er sich auf eine Affäre mit der verheirateten tschechischen Schauspielerin Branka Devanez eingelassen hatte. Sie ist eine schöne, temperamentvolle Frau, eine „Vollblutslawin“, die ihre Herkunft nicht verbergen kann, „Tochter ihres Volkes“ (206) bleibt. Im Antlitz der Wienerinnen zeigen sich ihm auch die im k.u.k.-„Vaterland beheimateten Rassen“ (55). Brankas erster Mann, ein eifersüchtiger Schauspielkollege, begeht kurz darauf Selbstmord. Bernet heuert als Berater bei der deutschen Armee im Orient an, Branka heiratet den nationalistisch-tschechischen Politiker und Journalisten Wenzel Klasky, der für ein starkes Tschechien in einem österreichischen Staatenverbund steht. Sie führt ein ruhiges Eheleben, bis Bernet ihr kurz nach Kriegsausbruch 1914 in Wien wiederbegegnet – und ihr nicht mehr aus dem Kopf geht. Der, ganz österreichischer Patriot, meldet sich trotz unehrenhafter Entlassung freiwillig zum Kriegsdienst, will wieder in seinem 332 333 334
Vgl. Schnell (1998), S. 109. Vgl. Lange (1993), S. 50f. O. V.: „Dragonerleutnant goldgerahmt“. In: Die Presse v. 16.01.1982, S. 9.
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alten Rang dienen, doch sein Gesuch wird vom Kaiser höchstpersönlich abgelehnt. Schließlich erreicht ihn der Einberufungsbefehl als Mannschaftssoldat. Er weigert sich nicht, sondern sieht nun die Gelegenheit und Pflicht, es „gewissen Herren zu zeigen, daß sie mir unrecht getan haben“ (101). An der Front beweist sich Bernet als Kamerad und kennt irgendwann keinen Unterschied mehr zwischen sich, dem „Vertreter einer sogenannten Herrenschicht“, und seinen „tschechischen Arbeitern und Handwerkern“ (267). Todesmutig stürmt er voran: „In wenigen Minuten werden auch er und seine Männer tot oder verwundet da vorne auf dem Hang liegen. Trotzdem, er wagt es!“ (270). Wenig später wird er mit der Silbernen Tapferkeitsmedaille, später auch mit der Goldenen ausgezeichnet – und erfährt, dass knapp 1.500 Tschechen, das „Prager Hausregiment“ (177), zu den Russen übergelaufen sind. Tschechische Kaufleute nutzen außerdem den Materialbedarf des Militärs für zwielichtige Wucher-Geschäfte (78). Als Italien 1915 gegen Österreich mobilisiert, wird das Regiment wieder aufgestellt. Bernet meldet sich freiwillig, weil er weiß, dass das Verhalten der Tschechen von seinem Vorbild abhängt (217). Die Truppe ist nur zuverlässig, wenn deutsche Offiziere über sie wachen (226, 251, 303). Doch stellt Bossi auch heraus, Österreich-Ungarn hätte den Tschechen „mehr Achtung“ entgegenbringen sollen, statt ihnen nur die Rolle als „Dienstbotenfigur“ (232) zuzuschreiben. Die anständigen Tschechen sind diejenigen, die ein unabhängiges Böhmen und Mähren innerhalb Österreichs fordern (304). Wie in einem Spiel mit Todesfolge „raufen“ (272) die angreifenden Österreicher im Schützengraben mit den Italienern, die oftmals schlicht eine „anstürmende Masse“ (252) bilden. Doch im Kampf zählt nur Auge um Auge, Zahn um Zahn. „Wäre es anders, läge er jetzt erschossen auf dem Boden“ (272). Als neben ihm einige Rumänen und Serben überzulaufen scheinen, richtet er das Feuer auf die eigenen Leute und befiehlt: „Schießt hinein in sie! Rücksichtslos!“ (275). Statt sich gefangen zu geben, würde er lieber sterben – als Feigling zu gelten, „nein, so etwas nahm er nicht auf sich“ (278). Der Ex-Offizier kämpft sich zu höchsten Tapferkeitsauszeichnungen und zu seinem ehemaligen Dienstgrad zurück; er beweist immer wieder, was ein idealer Vorgesetzter ist. Nebenbei gehen er und Branka erneut eine Liebesaffäre ein. An der italienischen Front begegnet Bernet Klasky, dem Mann Brankas, der sich freiwillig an die Front gemeldet hat (351). Der Kriegsdienst hat aus dem Journalisten einen richtigen Mann geformt: Klasky sieht „blendend“ aus, ein bronzener Teint, Gesichtszüge „wie gemeißelt“, seine Haltung „straff, fast militärisch stramm“ (362). Bei einem Artillerieangriff wird Bernet schließlich unter einer Mauer begraben und erst Monate später bei Exhumierungen gefunden. Branka bleibt trotz der Affäre bei ihrem Mann, der als Diplomat dem soeben geschaffenen Staat Tschechoslowakei dient.
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7. Nach 1945
Jahre der Hoffnung erschien 1984 im Stocker-Verlag und beginnt mit den letzten Kriegshandlungen im November 1918 in der Nähe Toblachs. Der einarmige ungarische k.u.k.-Leutnant Mátyás Kovács, ein pflichttreuer Soldat, der es in der Etappe nicht aushält und seine Männer mit „fester Hand“ (17, 39, 60) führt, findet mit seinen Kameraden in der Herbstenburg bei der Familie von Rothenturm Unterschlupf.335 Während seines Aufenthaltes lernt er die Schwägerin des Hauses, Jella Maretzki, kennen und lieben. Sie ist eine „Vollblutmagyarin“ (19), ein üppig-gesundes „Bauernmädchen“ (52) mit blondem Haar, die offen ihre „Liebe zur Nation“ zeigt. In ähnlicher Weise werden, wie stets bei Bossi, auch andere Volksgruppen mit ihren unveränderlichen Eigenheiten gezeigt: breitschultrige, große Deutsche, kleine, schwarzlockige Ungarn „mit weit voneinander abstehenden, schmalen Augen“ und „echte Zigeuner“ (16) mit flinken Händen. Nach einer gemeinsamen Nacht, in der Mátyás Jella überzeugt, dass „ein ganz neues Verhältnis zwischen Mann und Frau nach dem Kriege“ (51, 365) entstehen könnte, eine Art neuer Kameradschaft, ist sie schwanger. Mátyás kann davon noch nichts wissen und schließt sich den nach Ungarn zurückziehenden Truppenteilen an, verspricht ihr aber, sie zu heiraten. Über der aufkeimenden Beziehung schwebt das schmerzliche Ende des habsburgischen Reiches (8ff., 11f., 33, 38, 59, 65f.). Als Kovács nach Ungarn zurückkehrt, muss er feststellen, wie die Sozialisten die Macht übernehmen und welches Misstrauen sie den Offizieren entgegenbringen. Die Soldaten sind die Bewahrer guter Tugenden, die neuen Machthaber die frechen, anmaßenden, unsauberen und körperlich kleinen Revolutionäre, schlicht „Gesindel“ (91, 307). Einer von ihnen greift Kovács an, er „hatte wirres Haar, das unter der alten, speckig schimmernden Militärkappe dick und ungepflegt hervorquoll“ (68). Gut und Böse konstruiert Bossi auffällig dichotom. In einem Handgemenge wird der Leutnant schließlich von einem seiner Kameraden versehentlich erschossen. Einige Monate später versucht Jella, Verbindung zu ihrem Bräutigam aufzunehmen. Über Freunde lernt sie Oswald Winter kennen, einen aus Westungarn stammenden Deutschen. Sogleich versucht Bossi, die Sympathien der Leser auf den etwa 25-jährigen, ehemaligen Oberleutnant zu lenken: Ein ernster, energisch wirkender Ausdruck in seinem Gesicht deutete jedoch auf eine bereits vorhandene Reife hin. Braungebrannt und sportlich, vermittelte er den Eindruck eines auch körperlich abgehärteten Mannes (85). 335
Rothenturm ist ein offenkundiger Hinweis auf den in Toblach befindlichen Roten Turm, ein um 1430 entstandener Wehrturm. Nicht nur der Handlungsort weist autobiografisch auf den Autor hin, sondern auch Details zu Pferden und eifrigen Deutschtumskämpfern (7, 12, 154, 254, 379f.).
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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Ossy Winter steht in enger Verbindung mit der ‚volksdeutschen‘ Organisation „Deutsche Landsleute in Ungarn“ (88) und bietet Jella an, sie mit über die Grenze zu nehmen. Während der gefährlichen Passage kommen sich die beiden näher, gehen in Ungarn jedoch getrennte Wege. Bei ihren Schwiegereltern angekommen, erfährt Jella, dass ihr Bräutigam erschossen worden ist. Die Konzentration der Romanhandlung verschiebt sich nun zusehends von Jella und Mátyás hin zu den Erlebnissen Ossy Winters, der mitten hinein in den ‚Volkstumskampf‘ zwischen Deutschen und Ungarn (im heutigen österreichischen Burgenland) gerät. Ihm ist die „Erhaltung eines geschlossenen Deutschtums in Ungarn“ (132) ein natürliches Anliegen. Er ist überzeugt, dass „die Deutschen, Österreich eingeschlossen, […] sich über kurz oder lang in einem großen deutschen Staat zusammenfinden“ (195) werden. Als er vom Tode Kovács‘ und der beschlossenen Abtretung Westungarns an Österreich erfährt, fasst er den Entschluss, Jella zu heiraten und sie mit zu sich zu nehmen (214). In seine Heimat zurückgekehrt, engagiert Ossy sich immer stärker in der westungarischen Deutschtumsbewegung (254). Er gerät ins Fadenkreuz der ungarischen Behörden, die die Abtretungsbestimmungen nicht akzeptiert haben, wird interniert und gefoltert. Gleichzeitig zeigen sich überall in Westungarn Anzeichen, dass die Regierung Anstrengungen im Geheimen unternimmt, um mit Freiwilligenmilizen die Abtretung um jeden Preis zu verhindern (265). Ossy erkennt, dass sein Engagement seine Familienplanungen gefährdet, doch für ihn wäre es eindeutig „Verrat an der Heimat“, wenn er nun nicht die „Sache seiner Landsleute“ (269) unterstützte. Er entscheidet sich dafür, seiner „inneren Stimme“ (278) und seiner Pflicht als Angehöriger des deutschen Volkes zu folgen und gegen die Milizen zu kämpfen (315, 362). Die ungarischen Freiwilligen konstruiert Bossi jedoch nicht als ebenbürtige Gegner, sondern sie scheinen stets brutale Eindringlinge zu sein, unter ihnen auch verurteilte Mörder, die rauben und Frauen vergewaltigen (283, 293, 314, 348).336 Auch optisch sollen sie offenbar keine Sympathien wecken, ihre Gesichter „von Pickeln verunziert“ (291). Die Ungarn in Jahre der Hoffnung sind nur dann vertrauensvoll und aufrichtig, wenn sie Soldaten waren, Monarchisten oder Deutschstämmige sind. Eine deutsche Bauersfrau ist im Gegensatz zu den abstoßenden Milizen eine „ausgesprochen sympathisch wirkende Erscheinung“ (312) mit blondem Haar und hellen Augen. Die Begegnungen mit den Freischärlern machen aus Ossy einen entschlossenen Volkstumskämpfer: 336
Vgl. dazu auch Wippermann (1976), S. 187: Nicht selten scheinen Slawen in nationalsozialistisch belasteter Literatur als Vergewaltiger herhalten zu müssen.
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7. Nach 1945 Das Angebot, die eigenen Landsleute gegen diese Verbrecherbanden anzuführen und sich für alle angetane Unbill rächen zu können, vor allem aber mit der Waffe in der Hand für die Befreiung der Heimat von Terror und Verbrechen zu kämpfen, erschien ihm, je länger er darüber nachdachte, nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern auch selbstverständliche Pflicht. Seltsam, ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit überkam ihn. Wieder waren es die Menschen aus der Volksschicht, deren Zuverlässigkeit und Treue er bereits an der Front schätzen gelernt hatte […].
Die deutsche Landbevölkerung erscheint gesund und treu in ihrer „Gesinnung und Einstellung zum Heimatboden“ (315), den sie wehrbäuerlich schützt. Schließlich gelingt es den Verteidigern, die Milizen abzuwehren und den Landstrich in österreichische Hände zu übergeben. Die Figuren sind zu „Handlangern eines Irrsinns“ (363) geworden, der sie mit sich gerissen hat. Dass Ossy sich freiwillig für diesen Kampf entschieden hat und todesmutig in die Schlacht gezogen war, erwähnt Bossi hier nicht. Trotz Zweifeln an seiner Berufung zum Offizier muss Ossy erkennen (wie schon Mátyás Kovács zu Beginn), dass es durch den gemeinsamen Kampf nun keinen Unterschied mehr zwischen sozialdemokratischen Soldaten und ehemals reaktionären k.u.k.-Offizieren gibt: „Der ständige Einsatz formt die Truppe und schaltet jeden Unterschied aus“ (365). Krieg, Kampf und Bewährung dienen Bossi erneut als Projektionsfläche für die Propagierung einer natürlichen, aus den Ereignissen notwendig gewachsenen Volksgemeinschaft. Als Ossy in das Bundesheer eintritt, ist Jella stolz: „Dann werde ich also doch noch eine Soldatenfrau!“ (374).337 In den Figuren Kovács und Winter zeichnet der Autor sein Idealbild anständiger, tugendhafter, pflichttreuer und todesmutiger Offiziere, die auch unter enormen Belastungen wahre Vorbilder bleiben. Der Soldatenberuf und das daraus hergeleitete Ethos vergangener Zeiten werden idealisiert. In einem Nachtrag wendet sich der Autor direkt an den Leser, schwenkt vom auktorialen zum Ich-Erzähler, und berichtet davon, wie er Jella Winter 1975 in Toblach besucht. Der Autor und Ossy scheinen sich gut gekannt zu haben; der sei sein letzter Regimentskommandeur im Zweiten Weltkrieg gewesen, bevor er Ende 1944 fiel. Das Burgenland sei Österreich erhalten geblieben, Südtirol jedoch habe man verloren. „Recht und Unrecht halten sich oftmals die Waage“. Die Menschen in beiden Gegenden müssten heute „ausgleichend zwischen den einstigen Gegnern wirken. Das ist doch gut so“. Die auf den letzten Seiten angedeutete Reflexion, dass die Zeit bereits viele Narben geheilt habe und sich die Völker miteinander verständigen müssten, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass der Text über weite Passagen mit 337
Vgl. zum Motiv der sich dem Mann unterordnenden Frauen auch Grenz (1997), S. 232.
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nationalistischen Stereotypen, rassistischen Andeutungen und Blut-undBoden-Topoi arbeitet. Wieder brechen Krieg und Kämpfe schicksalhaft über die Menschen herein. Wieder scheint der Krieg eine neue Kameradschaft der überlebenden, abgehärteten Volksangehörigen hervorzubringen.338 Die Mahnung zur Völkerverständigung vermag die über knapp 400 Seiten aufgebauten Vorurteile kaum zu konterkarieren und vermittelt den Eindruck einer Art beschwichtigender Rückversicherung. Abschied vom Doppeladler (1990), Bossis letzter Habsburg-Roman, handelt von dem jugendlichen, aus Südtirol stammenden Förster Gert Schaubeck, der sich 1915, trotzig, blauäugig und freiwillig, zum Kriegsdienst meldet, um einem Mädchen zu imponieren. Der Text erschien in der Verlagsgesellschaft Berg, eine bedeutende Firma „innerhalb der rechtsradikalen Szene“339, die 1991 aus dem Druffel-, Kurt-Vowinckel- und dem Türmer-Verlag hervorging. Häufige Themen des Programms sind neben Militär- und Kriegsgeschichte auch ‚Überfremdung‘, Zuwanderung und ‚Multikulti‘. Der Leser begleitet den Erzähler, der in Tagebuchform (teilweise im Dialekt) berichtet, chronologisch durch das Geschehen, abgesehen von wenigen Rückblenden. Von der Südtiroler Hochgebirgsfront wird er, hochdekoriert, an die Westfront in die Nähe Verduns versetzt – diesmal, um vor einem Mädchen davonzulaufen, der pazifistischen Elsässerin Odette, die sich eher als Französin versteht. Schaubeck wählt Soldatenpflicht statt Liebe, er „hatte zu gehorchen“ (125) – die symbolträchtige Tragik des Soldatenlebens. Er erkennt die Schrecken des Krieges, will aber trotzdem wieder an der Front kämpfen und von Moralfragen nichts wissen. Odette hält das für „aussichtsloses Hingeschlachtetwerden“, für „Blödsinn“; für Schaubeck „ist das Pflicht“, ein Kampf „um unsere Existenz“ (150, 224). Der Frontalltag reizt den jungen Soldaten – sobald er in Stab und Etappe versetzt wird, fühlt er sich nutzlos (70, 147, 159). An den Fronten setzt der schließlich zum Leutnant beförderte Protagonist Einheiten zusammen, die sich aus vielen Nationalitäten der k.u.k.-Monarchie bunt zusammensetzen: Rumänen, Ungarn, Tschechen, Ruthenen, Slowaken, Deutsche, Serben; eine Auswahl der besten Männer. Es scheint, die Einheit ist stark, weil sie so vielfältig zusammengesetzt ist (125f., 174): Smutny, dieser den Magyaren nicht gewogene Slowake, […] versinnbildlichte er nicht den typischen Offizier der Armee dieses Vielvölkerstaates, unseres Vaterlandes? Ein Offizierkorps, das ohne Rücksicht auf die Nationalität des Einzelnen die Armee zusammenhielt? (226). 338 339
Siehe dazu auch Vondung (1976), S. 44. Grumke/Wagner (2002), S. 459f.
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7. Nach 1945
Smutnys Arroganz gegenüber Ungarn und Rumänen findet Schaubeck „reichlich voreilig und ungerecht“ (226). „Sie alle erfüllen hier klaglos ihren harten Dienst […]“ (102). Eine latente deutschösterreichische Überheblichkeit bleibt jedoch bestehen, wenn junge deutschsprachige Reserveoffiziere bewusst zur Sicherung in überwiegend nichtdeutsche Einheiten versetzt und Ungarn oder Rumänen nur zu „durchaus einsatzfähigen“ (98, 181) Soldaten werden. Staatsfeindliche tschechische Kreise werden erwähnt, davon sei allerdings an der Front nichts zu merken (199f.). Nicht Schaubeck, sondern ein preußischer Vorgesetzter hegt angesichts der heterogenen Zusammensetzung der k.u.k.Einheiten Zweifel „am Stehvermögen der ‚Österreicher‘“ (217). Voller Wut muss sich der Protagonist – auch das ein wiederkehrendes Bossi-Motiv – die Sprüche vom ‚Kameraden Schnürschuh‘ anhören (179, 221f.). Der Krieg wird am Ende nur noch fortgeführt, weil es die deutschen Generäle wollen – nicht jedoch die Österreicher (145). Ohnehin scheinen sie die besseren Verbündeten, die menschlicheren Soldaten zu sein. Von altösterreichischer Untergangsnostalgie beeinflusst und mehrfach schwer verwundet, meldet Schaubeck sich trotzdem wieder in die vorderste Frontlinie und gerät in den letzten Kriegstagen noch einmal in höchste Gefahr, verliert seinen geliebten tschechischen Vorgesetzten Hlavacek im Kampf und überlebt einen Gasangriff. Mehrfach zeigt Bossi reale Schrecken des Krieges auf, wenn „g’standene Männer Tag und Nacht in die Hosen scheißen vor Todesangst“ (17) und er Schaubeck detailreich von aufgeschossenen Bäuchen schreiben lässt (235). Der jedoch bleibt, auch wenn er immer wieder gewarnt wird, sich noch in den letzten Kriegstagen ‚nach vorne‘ zu melden, tapfer und pflichttreu bis zum Ende, setzt sein Leben mehrfach furchtlos aufs Spiel. Ohne es auszusprechen, scheint er diejenigen, die ihn warnen, zu verurteilen. Als er aber nach dem Gasangriff vorübergehend sein Augenlicht verliert, ist ihm dies Anlass, über den Zweck seines Opfers und des Krieges überhaupt nachzudenken: War es das, was ich gewollt hatte? Hatte ich es mir nicht selbst zuzuschreiben? Ich wollte doch nocheinmal heraus, nocheinmal an die Front, nocheinmal den Schneidigen spielen […], in Leidenschaft entbrannt zu einer frankophilen Elsässerin, mich, der es nötig hatte zu zeigen, was in ihm steckt, der auch seinen Stolz hat und seine Gefühle, und der dann von Pflicht redet und von Vaterlandsliebe, und doch genau weiß, daß Heimat und Vaterland etwas anderes bedeuten als Krieg zu führen gegen andere, die auch nur für Heimat und Vaterland schießen und ihre verdammte Pflicht erfüllen, ohne die alle viel glücklicher wären. […] Würde sich dieses Vaterland […] bei mir bedanken? Und was hätte ich davon? Ich, dieser Dummkopf, dieser Idiot, dem die Soldatenehre und -pflicht gerade recht gekommen waren, um sich nach einer enttäuschten Liebe daran aufzurichten … (240).
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
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Schaubeck hinterfragt sich und sein Handeln erst nach Verwundung am Ende des Krieges. Seine angedeuteten Einsichten können ihm nicht mehr helfen, sein Verhalten zu ändern. Gleichwohl sind diese reflektierenden Passagen, auch die grundsätzlich positiv konnotierte Zusammensetzung der k.u.k.Truppen, vor dem Hintergrund Bossi-Fedrigotti’scher Schreibgewohnheiten bemerkenswert. Abschied vom Doppeladler ist vor allem eine tragisch-nostalgische Erinnerung an das verlorene habsburgische Staatengebilde, angereichert durch eine verzwickte Liebesgeschichte, jugendlichen Profilierungswillen und treue Pflichterfüllung. Schaubeck fragt sich schließlich, ob der Tod seines tschechischen Vorgesetzten Hlavacek nicht gleichzusetzen ist mit dem „Untergang […] eines völkerverbindenden Symbols mitten im Herzen Europas?“ (241).340 Thematisch bleibt sich Bossi treu, auch mit der Ergänzung autobiografischer Details: Einzelne Passagen finden in Bozen, Meran, Innsbruck (Besuch des Andreas-Hofer-Denkmal ist „nationale Pflicht“ (81)) und Feldkirch statt, der Bruder Odettes lernt an der Stella Matutina, die Familie Schaubecks arbeitet in der Forstwirtschaft, sein Vater ist Standschütze. Fast allen Habsburg-Romanen Bossis ist gemein, dass die Herkunft der Figuren stets anhand ihres Phänotyps und ihres Verhaltens zu erkennen ist; sie sind (in Blut-und-Boden-Manier) eindeutig einzuordnende Angehörige ihres Volkes. Der Autor betont überwiegend die völkische Höherwertigkeit der (blonden) Deutschen oder aber die der Offiziere. ‚Fremdrassige‘ werden nicht selten durch schwarzes Haar gekennzeichnet.341 Von ihren Eigenschaften können sich die Figuren optisch, doch vor allem charakterlich nie trennen und müssen irgendwann einmal schicksalhaft der ‚Stimme ihres Blutes‘ folgen, einem zwingenden Verhalten gemäß ihrer vorgeblichen Volkszugehörigkeit.342 Sozialisation und Lebensprägungen spielen kaum eine Rolle – außer bei Figuren, die das Blut zweier Völker in sich tragen und damit einen Zwiespalt darstellen sollen (Jahre der Hoffnung: 16, 19, 47, 52, 139f., 155, 164). Sie können sich oft weder für die eine noch für die andere Seite entscheiden und bleiben bedauernswerte Helden. Bildung, Stil und Stand drückt der Autor durch die hochdeutsche Sprache aus. Das einfache, aber ehrliche Volk spricht demgegenüber meistens im Dialekt.
340 341 342
Vgl. Moos (2016), S. 341ff. Vgl. Wippermann (1976), S. 187f. u. Schnell (1998), S. 78. Vgl. ebd., S. 186. Siehe auch Vondung (1976), S. 50: Man treffe mitunter eine wahre „Sakralisierung nationalsozialistischer Ideologeme, wie zum Beispiel die ‚Heiligung‘ des Bluts’“, in einschlägiger Dichtung an.
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7. Nach 1945
Die Männer sind fast überwiegend typisierte Soldaten oder Bauern und verhalten sich auch so. Sie erfüllen stumm und treu ihre Pflicht und melden sich im Zweifel freiwillig, um für ihr Volk zu kämpfen. Mit der Freiwilligkeit und ihrem heroischen Verhalten geht auch immer eine Art Abenteuerlust einher, der Wille zur Bewährung.343 Volkstum und Heldentum gehen bei Bossi nicht selten Hand in Hand, denn die Bauern scheinen immer auch eine Art Kämpfer für das Volk zu sein.344 Sie sind mehr als nur dinglich mit dem Boden verbunden, auf dem sie arbeiten und von dem sie leben. Für sie gilt, den allgemeinen Verfall durch die ‚Reinerhaltung‘ des Blutes aufzuhalten, ein fruchtbar-gesundes, menschliches Bollwerk darzustellen und organisch mit Natur und Umwelt in Verbindung zu stehen – eindeutig völkisch-rassistische Positionen.345 Blut und Boden dienen als „Symbole agrarischer und rassischer Identität“346. Die bäuerlichen Stuben sind Rückzugsorte, in denen das archaisch-einfache Landleben stattfinden kann und wohin die Figuren flüchten können. Auch die dauerhafte Verlagerung vieler Handlungspassagen in die angeblich heile, geregelte Welt der habsburgischen Monarchie kann als eine Art Flucht in eine „heroisierte Vergangenheit“347 aufgefasst werden. Die Soldaten, meistens Offiziere, sind nicht nur stets anständig und ‚ritterlich‘, sondern auch geborene Führer, die als gute Vorbilder todesmutig und selbstlos vorangehen.348 Andere Männer, darunter Journalisten, werden erst zu wahren Männern, nachdem sie im Krieg gekämpft, die Front erlebt haben. Der Soldatenberuf und der Kampf werden bis auf die herausgestellte Passage in Abschied vom Doppeladler in allen Romanen unreflektiert idealisiert. Häufig soll der Krieg auch eine neue Kameradschaft, Volksgemeinschaft, hervorbringen, wird ein vereintes Deutschland herbeigesehnt.349 Doch auf die ‚großen‘ Ereignisse, auf das wie auch immer beschriebene Schicksal, haben die Handelnden keinen Einfluss. Sie müssen Belastungen durchstehen und sich der Fügung hingeben. Für die Kriege finden sich selten Verantwortliche, was die Ereignisse verzerrt und aus ihren historischen Zusammenhängen reißt. 343 344 345 346 347 348
349
Vgl. Schnell (1998), S. 105. Vgl. Vondung (1976), S. 46. Er bezeichnet Heroismus als eine „grundlegende Qualität nationalsozialistischer Dichtung“. Vgl. Wippermann (1976), S. 186f., u. Westenfelder (1989), S. 118f. Schnell (1998), S. 110. Vgl. Vondung (1976), S. 47f. Wippermann (1976), S. 185. Autoritätsgläubigkeit, Führerprinzip und idealisierte Agrarromantik sind dabei wesentliche Bestandteile der NS-Weltanschauung, die immer wieder Erwähnung in völkischnationalsozialistisch belasteten Romanen finden. Siehe ebd., Schnell (1998), S. 82, Lange (1993), S. 50f., u. Vondung (1976), S. 52. Vgl. Vondung (1976), S. 49 u. 57.
7.4 Habsburg-Memorabilien, Mädchen- und Pferdebüchern
561
Frauen sind in diesen Romanen häufig „Objekt der Männer“350, müssen sich mit dem abfinden, was ihre Männer für richtig halten. Seine Habsburg-Texte, die fast alle im rechtsextremen Stocker-Verlag (oder ausgegliederten Unternehmen) oder in der Verlagsgesellschaft Berg erschienen, versuchen nicht, Erfolg und Scheitern der Donaumonarchie sachlich oder gar wissenschaftlich zu untersuchen und zu deuten. Sie sind überwiegend als eine Mischung aus Bauern- und historischen Romanen zu verstehen, die der Autor als „Medium für zeitgemäße politische Botschaften“351 – oder solche, von denen er wollte, dass sie zeitgemäß sind und bleiben – nutzte. Sie interpretieren einzelne Aspekte dieses imperialen Gebildes, um eine schicksalhafte, unabänderliche Grundsituation aufzubauen, die den Figuren teilweise nur geringe Spielräume lässt – und sie zum Spielball der Mächte stilisiert. Auffallend ist, dass jene Romane, welche die Donaumonarchie als solche thematisieren, posthum geschrieben wurden. Sie sind postimperiale Narrative in dem Sinne, dass der Raum, den sie erzählerisch verarbeiten, zum Zeitpunkt des Erzählens bereits historisch ist.352
Auch Bossis Romane sind eine Reaktion auf das Verschwinden eines politischen – und ideellen – Raums.353 Die Texte ermöglichen ihm mit großem bildlichen Aufwand und außerordentlicher Detailtiefe (die nicht selten zu ausgiebigen Redundanzen führt), seine Sicht der Dinge zu verarbeiten, seine Deutung des Vielvölkerreiches zu präsentieren und seine Erinnerungen in eine literarische Form zu fassen, die den Leser dazu bringt, spezielle Phänomene der Habsburgermonarchie und des Ersten Weltkrieges generalisierend auf das gesamte Wesen von Staat und Bevölkerung zu übertragen. Österreich-Ungarn ist dabei tragisch-vergangener Sehnsuchtspunkt, eine Heimkehr nicht möglich.354 Unzählige autobiografische Hinweise zeigen, dass der Autor immer wieder versuchte, eigene Erlebnisse literarisch zu verarbeiten und unaufhörlich zu verkünden, dass Südtirol und seine Bewohner deutsch sind. Häufig sind die Handlungen seiner Texte von Rassismus und Nationalismus geprägt. Bei den Nationalisten in Budapest oder Prag hingegen handelt es sich um oft pauschal stigmatisierte Sozialisten, die unter dem Einfluss Moskaus stehen – womit der Autor auch den ‚Systemfeind‘ im Osten offen kennzeichnete. Nie handelt es sich bei desertierenden oder ängstlichen Soldaten um 350 351 352 353 354
Ebd., S. 186. Westenfelder (1989), S. 7. Hervorhebung im Original. Magerski (2018), S. 30. Ebd., S. 32ff. u. 54ff. Vgl. Schnell (1998), S. 107.
562
7. Nach 1945
Deutsche oder Deutschsprachige, es sind meistens Ruthenen und Tschechen, die auch noch in den 1970ern und 1980ern rückblickend gewaltsam vorangetrieben werden müssen und die mit viereckigen Schädeln zweifelsfrei zu erkennen sind, während die blonden deutschen Kinder die Sympathie auf sich ziehen. Die Zuverlässigkeit ‚fremdvölkischer‘ Truppen ist nur gewährleistet, wenn deutsche Offiziere über sie wachen. Doch muss hier auch festgehalten werden, dass Bossi in seinen späten Romanen häufiger erwähnte, dass auch Tschechen, Ungarn und Kroaten ihre Pflicht erfüllten (u. a. Dolomitensaga, 364) und die Soldaten trotz allem, was sich an nationalistischen Bewegungen tat, Kameraden blieben. Die angedeutete Reflexion in Abschied vom Doppeladler führt er nicht weiter aus, wenngleich die nichtdeutschen Soldaten dort im Vergleich zu seinen früheren Texten seltener Grund für Auflösungserscheinungen an der Front sind. In Bossis Aufsatz „Kampfwert der Nationalitäten im k. u. k. Heer“ klang das 1969 noch so: Die pflichtgemäße Treue vieler k.u.k.-Truppen sei zurückzuführen auf „Tradition, soldatischen Geist, Disziplin und Vorbild seines Führerkorps“. Ohnehin handele es sich bei den Deutschen, aber auch bei den Kroaten und Ungarn, um Völker „mit soldatischem Geist“. Die Ungarn hätten immerhin bis zum Schluss gekämpft, doch „dann freilich versagten sie“. Was vielfach zu irrigen Auffassungen über Verlässlichkeit und Kampftüchtigkeit der Truppen führte, war einfach die mindere Eignung einiger Völkerschaften fürs Soldatentum. Den Kroaten, Serben, Polen und bosnischen Muselmanen lag das Kämpferische mehr ‚im Blute‘ als Italienern, Rumänen, Tschechen und Ruthenen.
Vor allem „slawische Reserveoffiziere“ seien für Verrat anfällig, während die Deutschmähren prozentual die „schwersten Blutopfer“355 des Krieges gebracht hätten. Diese völkisch-nationalistische Argumentation findet sich, zuweilen subtil eingeflochten, in vielen seiner Texte. Dem Autor ist die schwärmerische Nostalgie anzumerken, mit der er die Texte geschrieben haben dürfte. Als 17-Jähriger erlebte er den Niedergang der Habsburgermonarchie. Als Angehöriger des Hochadels hatten ihn deren Konventionen und Traditionen und die herrschenden Eliten dieser Zeit schon als Kind geprägt. Es geht in seinen Habsburg-Romanen immer auch darum, 355
Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Kampfwert der Nationalitäten im k. u. k. Heer“. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 3 (1969), S. 179-183. „Wo Tschechen oder Ostgalizier eingeteilt waren, sorgte eine Überzahl deutscher oder madjarischer Mitkämpfer dafür, daß dem Feind keine wesentlichen Vorteile durch solche unzuverlässige Kompanien entstanden“.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
563
eine gewisse Ehrenrettung dieser Zeit oder der in dieser Zeit handelnden und kämpfenden Deutschen oder Deutschstämmigen herbeizuführen.356 Dass seine von völkisch-nationalistischen und militaristischen Ideologemen geprägten Narrative mit der historischen Realität nichts oder wenig gemein haben, ist offenkundig. Bossi schrieb ideologische Texte, deren simple Strickmuster auch Auskunft geben über das intellektuelle Format ihres Urhebers. Seine mittels Verzerrung formulierten politisch-ideologischen Botschaften werden weniger anhand einiger Textstellen deutlich als vielmehr in der Gesamtkomposition, die auch 1990 noch überwiegend die alten rechtsextremen Positionen offenbart. 7.5
Lebensabend und Nachwirken
Bis 1990 veröffentlichte Bossi (neben dem bereits untersuchten Abschied vom Doppeladler) noch einen weiteren Roman, Dolomitensaga (1986), und beteiligte sich zusammen mit dem Militärhistoriker Erwin Heckner an dem Überblickswerk Kadetten. Aus 300 Jahren deutscher Kadettenkorps.357 Mit Dolomitensaga, das erstmals 1986 und bis 1998 in drei Auflagen zunächst im Amalthea- und danach als Taschenbuch im Ullstein-Verlag erschien, befasste er sich noch einmal mit Südtirol zwischen 1918 und 1945. 1991 entstand bei Radio RAI Bozen noch eine Hörspielfassung in acht Folgen.358 Zwischen 1984 und 1996 bestand ein Zusammenschluss mit dem Ullstein/Propyläen-Verlag 356
357
358
Zu den Hörbüchern von Heimkehr in den Untergang, Jahre der Hoffnung, Die goldgestickte Kokarde und Standschütze Bruggler (Version von 1976) siehe http://www.hoerbuecherei. at/home/produktionen/katalog?searchword=bossi&autor=&titel=&sprecher=&kategori e=&submit=suchen&sent=1 [Zugriff: 23.07.2019]. Der erste Band widmet sich preußischen Kadetten, der zweite den bayerischen und sächsischen Korps sowie einer knapp 90-seitigen, von BF geschriebenen Darstellung österreichischer und österreich-ungarischer Kadetten zwischen dem 30-jährigen Krieg und 1914 – die schon dem Titel nach für BF allerdings eher deutsche Soldaten waren. Den Abschluss bilden Übersichten über Kadetten-Uniformen und ehemalige ‚Zöglinge‘, die es im Zweiten Weltkrieg, gemeinsam in deutschen Diensten, bis zum General oder Admiral gebracht hatten. Der Amalthea-Verlag wurde 1917 gegründet, publizierte hauptsächlich Texte zur österreichischen Geschichte und ging 1962 an den rechtsextremen Verleger Herbert Fleissner über, der 2010 die von der ‚Gesellschaft für freie Publizistik‘ ausgeblobte ‚Ulrich-vonHutten-Medaille‘ erhielt, mit der bereits zahlreiche Holocaustleugner und Neonazis bedacht wurden. Zu Fleissner siehe Sarkowicz (1994), S. 5ff. u. Bielicki, Jan: „Beifall aus der falschen Ecke. Rechtsextremisten ehren Münchner Verleger“. In: SZ v. 17.05.2010, https:// www.sueddeutsche.de/muenchen/rechtsextremisten-ehren-muenchner-verleger-beifallaus-der-falschen-ecke-1.572159 [Zugriff: 22.07.2019]. Die Laudatio auf Fleissner hielt Gerd
564
7. Nach 1945
Axel Springers, was auch die zwei weiteren Auflagen von Dolomitensaga bei Ullstein erklärt. Die Südtiroler Germanistin Brigitte Foppa hatte sich dem Roman im Rahmen literaturwissenschaftlicher Studien zur Überlieferung der ‚Option‘ bereits gewidmet.359 Sie stellte fest, dass Titel und Covergestaltung einen mystischen Südtirolbezug zeigen und auch kommerzielle Zwecke verfolgen, denn das beliebte Touristenziel sei seit Jahrzehnten in den Buchhandlungen erfolgreich. Bossi knüpfe mit dem Titel an berühmte und beliebte Fernsehsagas wie ‚Dallas‘ an, während das Cover eine typische Südtiroler Landschaft zeige, in der Ullstein-Auflage zusätzlich werbewirksam in romantisches Abendrot getaucht. Die Toblacher Grundschullehrerin Silvia, eine zwanzigjährige, willensstarke Frau, lernt in den Jahren faschistischer Unterdrückung in Südtirol den in der schwedischen Botschaft in Rom arbeitenden Ingemar kennen und lieben. Sie versteht sich als „Deutsche, wie alle hier im Land!“ (23). Wie selbstverständlich steht sie in diesen Zeiten zu ihrem ‚Deutschtum‘, auch in der Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu beinahe allen anderen südtirolischen Figuren, die sich auch mit Auswärtigen im Dialekt unterhalten, spricht sie Hochdeutsch.360 Nur im Angesicht der wie erlösend wirkenden Berge und urtümlicher Berghütten können sich die Südtiroler offen unterhalten. Dort oben befinde man sich in einer eingeschworenen „Bergkameradschaft“ (26), pflege deutschtirolische Traditionen, singe deutsche Lieder. Als Silvia bei einem Volksfest ihren Kinderchor das Südtiroler Heimatlied anstimmen lässt, „als gälte es, ein Bekenntnis abzulegen“, fühlt sich eine Truppe junger Faschisten provoziert und brüllt mit einem Kampflied „herausfordernd und überheblich“ (69) dagegen. Mit einer Hundepeitsche werden die Kinder auseinander getrieben. Silvia gelingt es, mit Ingemar zu fliehen. Er erkennt in ihr eine Art Jeanne d’Arc, die „verschiedene Völker als Symbolgestalten ihrer Freiheitsidee“ (75, 90) verehren. Nach einer gemeinsamen Nacht ist Silvia schwanger, doch Ingemar wird nach Rom, dann nach Schweden gerufen und lässt sie zurück. Während sie Dorfkindern geheimen Deutschunterricht erteilt, wird sie von den Italienern erwischt (174ff.) und flieht zunächst nach Rom zu Ingemar, der jedoch nicht mehr dort weilt. Sie begegnet dem Südtiroler Franz Schrader, der sich mit den Italienern arrangiert hat, in der Reserveoffiziersschule seinen Militärdienst als Bersaglieri leistet (245) und sich mit den Italienern arrangiert.
359 360
Sudholt, Chef der rechtsextremen Verlagsgesellschaft Berg, in der BF noch 1990 einen Text veröffentlichte. Siehe Abschied vom Doppeladler (1990). Foppa (2003), S. 156ff. Vgl. Foppa (2003), S. 159.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
565
Die Figur dient dem Autor auch dazu, den freiwillig oder unfreiwillig in italienischen Diensten stehenden Südtirolern eine gewisse Ehrenrettung zukommen zu lassen, sich in der Figur für die eigene Lebensgeschichte zu rechtfertigen, zu zeigen, dass Franz (und der Autor) trotz des Dienstes beim ‚Feind‘ ein echter deutscher Südtiroler geblieben ist. Silvia und Franz unterhalten sich freudig im Dialekt: „S’ischt eben dieselbige Rass‘“ (262). Als ihr Vater stirbt, steht für Silvia fest, dass sie den Hof übernimmt; auch Franz sieht in ihr sofort die „perfekte Bäuerin“ (317, 371). Diese Entwicklung von der gebildeten zur überzeugten Bäuerin beschreibt ein „häufiges Grundmuster“ der Entwicklung von Mädchen und Frauen in nationalsozialistisch orientierten Texten. Silvia ist als Frau Stereotyp, für die die wahre Heimat dann doch agrarisch ist und bei der die Härte des Landlebens zum „Prüfstein der eigenen Willensstärke“ wird, vor allem wenn der eigene Hof bedroht wird: Der „Kampf wird zum Selbstzweck“361. Die Bauern des Romans sind ehrlich, authentisch und heimatliebend, Bewahrer deutscher Tradition und von echter Bodenverbundenheit (60). Sie lassen sich von den Italienern nicht unterkriegen. Silvias Vater, „in dessen Gesichtszügen die Spuren eines von harter Arbeit geprägten Bauernlebens deutlich hervortraten“, ist ein Vorbild im „Kampf um unser Volk“ (309). Alles, was mit den Deutschen und den Bauern zu tun hat, jeder Gegenstand, wird mythisch überhöht als Symbol der jahrhundertealten deutschen Art. Bossi lässt keine Gelegenheit aus, um dem Leser die urvölkischen Landbewohner nahezubringen, große, „imponierende Erscheinung[en] […], deren aristokratische Haltung die Herkunft aus uralten, freiheitsgewohnten Geschlechtern verkörpert“ (147f.). Franz wird durch die harte Bauernarbeit ein „g’standenes Mannsbild“ (339) mit breiten Schultern und starken Muskeln. Wie selbstverständlich hat er sich in das dörflich-bäuerliche Wesen eingefügt. Im Sommer 1939 erfahren die beiden, dass die deutschen Südtiroler ausgesiedelt werden sollen, die sich anbahnende ‚Option‘ ist beschlossen. Der ‚Anwalt des Deutschtums in aller Welt‘ opferte dem Faschismus einen der ältesten deutschen Stämme, der sich Jahrhunderte hindurch für die deutsche Sache eingesetzt hatte. ‚Pfui Teufel‘! (342).
361
Entnahmen aus: Grenz (1997), S. 224: „Was das Land zur Heimat macht und dem Mädchen die Erfüllung des Lebens gibt, ist die bäuerliche Arbeit und die Abhängigkeit des Menschen von den ‚ewigen‘ Gesetzen der Natur“. Siehe auch S. 226ff.
566
7. Nach 1945
Bossi nimmt hier, wie schon in anderen Texten, das Motiv der wehrbäuerlichen Südtiroler als völkische Grenzwächter zu Hilfe, die offenbar immer schon einen Schutzwall gegen ‚Fremde‘ gebildet hätten.362 Die Südtiroler Jugend, auch Silvia, habe den Nationalsozialismus aufgrund seiner Nähe zu Mussolini stets abgelehnt (135, 163f.). In diese Feststellungen bringt Bossi auch eigenes Erleben ein, wenn er den Vater einer Schülerin sagen lässt, Hitler habe die Südtiroler Vertreter in München „nit amol ausredn“ lassen, „die bei ihm vorgsprochn haben“ (164). Man begegnet allem Deutschen nur dann skeptisch, wenn es mit dem ‚Verrat‘ Südtirols zusammenhängt (282). Historisch wohl weitgehend korrekt, schildert Bossi Hoffnungen der Südtiroler nach dem ‚Anschluss‘, dass die Wehrmacht auch in ihr Land einmarschiert, zumindest aber bewirkt, dass es der deutschsprachigen Minderheit künftig besser geht (306, 321ff.). Nachdem sie von der ‚Option‘ erfahren haben, finden sich Silvia und Franz bei einer geheimen Versammlung wieder, auf der Peter Hofer spricht, ‚Volksgruppenführer‘ des VKS, dem ‚Völkischen Kampfring Südtirols‘. Silvia gehört dem ‚Nibelung-Ring‘, einer „Vorform des VKS“363, an, sodass ihr Hofer bereits bekannt ist (142, 292). Doch sie stellt eindeutig fest, dass der Bund nicht im Zusammenhang mit den Nationalsozialisten steht, sondern „ausdrücklich zu einer konservativ-katholischen Richtung“ (285) zählt. Dennoch: Die „wichtigste positive Figur des Romans“364 hält Verbindung zu einer faktischen NS-Jugendorganisation. Der VKS organisierte sich streng nach Führerprinzip wollte als „Kampfgemeinschaft der deutschen Volksgruppe in Italien“ ein großdeutsches Reich unter Einbeziehung auch der Südtiroler erreichen. Mithilfe massiver politischer Propaganda plante man die „‚Durchdringung unseres Volkes mit der nationalsozialistischen Weltanschauung‘“365. Der Bozner Peter Hofer übernahm den VKS 1935 und trug 1939/1940 massiv dazu bei, dass die ‚Geher‘ gegen die ‚Dableiber‘ aufgewiegelt wurden. Er war maßgeblich dafür
362 363 364 365
Siehe zu diesem Motiv auch Westenfelder (1989), S. 125 u. Schnell (1998), S. 100f., der vor allem die „Erweckung und Förderung des ‚völkischen Wehrbewußtseins‘“ zu einem wesentlichen Merkmal nationalsozialistischer Dichtung zählt. Foppa (2003), S. 159. Der VKS ging 1934 aus dem Gau-Jugend-Ring hervor, der schon seit 1927/28 illegale deutsche Volkstumsarbeit in Südtirol leistete und nach 1933 immer offensichtlicher in „nationalsozialistisches Fahrwasser“ geriet. Steininger (2004), S. 144f. Ebd. Entnahmen aus: Steininger (2004), S. 144f. Der ‚Nibelung-Ring‘ war nur eine der Vorgängerorganisationen, die im Gau-Jugend-Ring und VKS aufgingen. Steurer (1980), S. 190f.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
567
mitverantwortlich, dass die ‚Option‘ erst ihre Ausmaße mit allen Spätfolgen annahm.366 Doch in Dolomitensaga ist Hofer kein überzeugter Nationalsozialist, sondern streng katholisch und auf die Nazis nicht gut zu sprechen. Silvia ist beeindruckt: Er war „mittelgroß, stämmig, hatte ein rundliches, eine gewisse Robustheit verratenes Gesicht, blondes Haar und wirkte seinem Aussehen nach eher gutmütig“. Der Landsmann wird vom Autor auch sprachlich positiv dargestellt, hält eine Rede im Dialekt und stellt sich als Kümmerer dar. Die Anwesenden stellen ihn zur ‚Option‘ zur Rede, behaupten, der VKS sei doch „von der Partei“ gewesen. In Verzerrung der historischen Realitäten zeigt Autor Bossi den VKS und die Südtiroler Aktivisten als unabhängige Volksengagierte: „‚Wir waren niemals von der Partei! Wir haben nur Verbindung zu ihr gehalten“ (349). In der hitzigen Diskussion tritt Hofer als sachlich vermittelnder Vertrauensmann auf, kein Wort von der „tatsachenverfälschenden Propaganda seitens des VKS“367. Während die Älteren bleiben wollen und von Verrat sprechen, glauben die Jungen „an das großdeutsche Reich“ und bekennen sich „zu unserem Führer“. Man wolle lieber „als Deutscher unter Deutschen leben, als sich ducken müssen“ (351). Franz, ein „Mann, der Charakter zeigt und zu jedem Opfer bereit ist“, entscheidet sich fürs ‚Dableiben‘ und muss fortan mit seiner Frau Silvia manche Anfeindung ertragen. Dennoch will er den „Heimatboden nicht preisgeben“ (353).368 Eine Zäsur scheint die Ankündigung des vertrauenswürdigen italienischen Bürgermeisters zu sein, die ‚Dableiber‘ später nach Sizilien umzusiedeln. Dabei handelt es sich um eine 1939/40 unter der deutschsprachigen Bevölkerung verbreitete Behauptung, die Bossi hier – wohl wider bessere Wissen – nutzt. Damit hebt er die Willkür der faschistischen Herrschaft in Südtirol hervor, was hier aber nicht den „geschichtlichen Tatsachen“369 entspricht, aber gern von der deutschen Auswanderungspropaganda als Argument für die ‚Option‘ aufgenommen wurde. Doch noch im September 1939 dementierten 366
367 368
369
Vgl. ebd., S. 169. Hofer starb im Dezember 1943 infolge eines Bombenangriffs auf Bozen. Im November 1939 schrieb er Himmler: „Als nationalsozialistische Führer sind wir bereit, wenn not, nicht nur unsere Heimat, sondern auch die Erhaltung unseres Stammes für Deutschland zu opfern und dieses Opfer auch unserem Volke aufzuerlegen“. Peter Hofer an Reichsführer-SS Heinrich Himmler v. 08.11.1939, Dokument Nr. 16, Steurer (1980), S. 464f. Foppa (2003), S. 163. Als er einen ‚Optanten‘ beim Ausspionieren italienischen Militärs im Auftrag der deutschen Wehrmacht erwischt, verspricht er, niemandem etwas zu verraten, obwohl er italienischer Reserveoffizier ist: „Ich verpfeife keinen Landsmann!“ (360). Vgl. Steinacher (2014), S. 112. Ebd., S. 164. Siehe auch Solderer (2009), S. 51f.
568
7. Nach 1945
die Italiener mit einer breit angelegten Gegenpropaganda.370 Gleichwohl löste dieses Szenario unter der Bevölkerung Unruhe aus, in der historischen Realität wie im Roman, während es allerdings literarisch nicht zurückgenommen oder dementiert wird. Das hat zur Folge, dass Südtiroler Figuren von Italien abrücken, aber auch die ‚Dableiber‘ umso stärker in ihrem Willen wirken, die Heimat nicht zu verlassen. Bossi belässt es nicht dabei, verschärft mit einer völkischen Argumentation: Willst du, daß unser Bub morgen kein deutsches Wort mehr versteht und zusammen mit anderen, schwarzlockigen Gespielen zur Belustigung einiger Fremder an irgendeiner Küste ins Meer taucht, um erbettelte Soldi zu angeln? (376).
Das ‚Fremde‘ drückt sich für den Autor nicht nur in fremder Sprache, sondern vor allem in einer deutlichen phänotypischen Unterscheidung zwischen dem positiv besetzten, deutschen Bergjungen und den ärmlichen, schwarzhaarigen Südländern aus, die negativ besetzt wirken. Franz muss schließlich zum Militärdienst in Italien einrücken, wird mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet und findet sich im Oktober 1943 in Bozen wieder. Die NS-Herrschaft in Südtirol wird positiv in Szene gesetzt, das Land kann „wieder frei atmen“ (413). Silvia ist es sogar möglich, „mit zwei kleinen Kindern und einem zu versorgenden Bauernhof, noch dazu als Dableiberin (!)“371, Schulleiterin in Toblach zu werden. Franz erhält das Angebot, in deutsche Polizeidienste einzutreten, wird nicht einberufen, sondern erkennt die Chance, sich jetzt als Freiwilliger „durch die Zugehörigkeit zu einer deutschen Truppe Anerkennung und Achtung bei seinen Landsleuten zu verschaffen“ (402). Die kurz darauf nach Rom verlegte Truppe, die nur aus Südtirolern besteht, bewacht auch den dortigen deutschen Soldatensender, in dem Bossi tatsächlich arbeitete. Es ist dem Autor besonders wichtig, zu betonen, dass die Polizei nicht mit der SS oder dem SD gleichzusetzen ist (407). Diese Behauptung sei nur einer „die Tatsachen entstellenden Propaganda“ (414) zuzuschreiben.372 Am 23. März 1944 marschiert Franz mit seinen Südtiroler Kameraden singend durch Rom und wird bei einem Anschlag in der Via Rasella getötet. Einige Jahre später treffen sich Silvia und Ingemar an dessen Grab wieder. „Wir sind alle“, lässt Bossi die Witwe sinnieren, „Opfer eines Wahnsinns geworden“ 370 371 372
Steurer (1980), S. 368ff. Foppa (2003), S. 165. Vgl. Steinacher (2014), S. 109: „Die Täter-Rolle nicht weniger Südtiroler im Nationalsozialismus wird […] gerne übersehen“.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
569
(418). So gestaltet der Autor die Ereignisse zuletzt – wie stets – als schicksalhafte Fügungen, gegen die die Menschen nichts hätten ausrichten können.
Abb. 27 Der Autor – inzwischen 85 Jahre alt – mit seiner neuesten Erscheinung 1986.
Dolomitensaga vermittelt den Eindruck, dass Bossi den Handlungsablauf nur als Verkleidung der Passagen konstruierte, in denen er seine Lebensgeschichte und die damit oft verbundenen, weltanschaulich-politischen Botschaften miteinander verknüpft und zu rechtfertigen sucht. Mit der Erwähnung Toblachs, der Bersaglieri und der Via Rasella begegnen dem Leser Details aus dessen Leben. Dass es Bossi dabei vor allem um die Verarbeitung des Attentats ging, zeigt auch der kurze biografische Abriss im Taschenlexikon zur Bayerischen Gegenwartsliteratur von 1986. Hier ist als Titel eines in Vorbereitung befindlichen Romans noch „Via Rasella“373 angegeben. Dem Bruder Silvias, der nach Österreich flüchtet, überbringt man an einem geheimen Grenzübergang bei Winnebach Geschenke zu Weihnachten – dort, wo Bossi im Mai 1928 aus Italien flüchtete (197).374
373 374
Moser (1986), S. 222. Das Foto findet sich auf dem Schutzumschlag von Bossis Abschied vom Doppeladler (1990).
570
7. Nach 1945
Der Teil des Romans, der auf die Begegnung von Franz und Silvia bis zum Textende folgt, konzentriert sich nicht mehr auf beide, sondern auf die politisch-historischen Gegebenheiten der 1930er- bis 1940er-Jahre. Nicht nur NS-Organisationen in Südtirol werden verharmlost, sondern auch die Verbindungen zwischen Südtirol und der NSDAP in Deutschland. Bäuerliche Treue, Loyalität und Heimatverbundenheit werden in Blut-und-Boden-Manier gestaltet.375 Und die Passage des Anschlags in der Via Rasella dient dazu, die betroffenen Südtiroler von jeder Verantwortung freizusprechen, während Franz sich freiwillig zur Truppe meldet. Der 1986 erschienene Text transportiert auch 40 Jahre nach Kriegsende noch verschiedene Ideologeme und Argumente des Nationalsozialismus. Brigitte Foppa hielt fest, dass Bossis Text allen bis Mitte der 1980er-Jahre schon bekannten, neuen historischen Erkenntnissen zum Trotz als „restaurativer Versuch“ zu verstehen ist, an „allen überlieferten Feindbildern und Schuldzuweisungen“376 – vor allem hinsichtlich der Italiener – festzuhalten. Zwei Rezensionen von 1986/87 machen deutlich, auf welche Art und Weise der Roman aufgenommen werden konnte – und in welchem Milieu der Autor sich bewegte: Während die Tiroler Tageszeitung konstatiert, sein Text interpretiere Geschichte in ideologisch-parteiergreifender Weise, zeige Formen „literarisch-ästhetischer Schwarzmalerei“ und sei in seiner Sprache „zu klischeehaft und versatzstückhaft“, oft auch „zu funktionslos“377, klingt das im rechtsradikalen Eckartboten deutscher Kultur- und Schutzarbeit von Juni 1987 anders.378 Hier ist Bossis neueste Veröffentlichung „tatsachentreu“, eine „dichterisch ausgestattete Dokumentation“ und eine „wahrhaftige Geschichte Südtirols“379. Seit Ende der 1960er erhielt Bossi Rente – „Altersruhegeld“380, wie er 1971 schrieb. Es habe sich um eine „bescheidene Pension“381 gehandelt, die er aber 375 376 377 378
379 380 381
Vgl. Schnell (1998), S. 110. Entnahmen aus: Foppa (2003), S. 166. Entnahmen aus: O. V.: „Zwischen Geschichtsschreibung und Trivialroman. ‚Dolomitensaga‘ – Südtirol während des Faschismus“. In: Tiroler Tageszeitung v. 18.10.1986, o. S. Zum Eckartboten/Eckart der Österreichischen Landsmannschaft, der bis heute erscheint, schreibt die Österreichische Nationalbibliothek, der Standpunkt sei „klar rechtsextrem, konservativ, zunehmend ausländerfeindlich und teils neonazistisch“. Siehe https://www. onb.ac.at/oe-literaturzeitschriften/Eckartbote/Eckartbote.htm [Zugriff: 25.07.2019]. Entnahmen aus: H. Sch.: „Anton Graf Bossi Fedrigotti: ‚Dolomitensaga‘. Rezension. In: Eckartbote deutscher Kultur- und Schutzarbeit 35 (1987), H. 6, S. 21. Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. BF an Strobel v. 17.02.1971. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
571
durch Einkünfte aus der Schriftstellerei verbessern konnte.382 Doch „eine völlig gesicherte oder gar üppige Existenz“ sei diesem „der inneren Unabhängigkeit verpflichteten Mann“383 nie beschert gewesen. Nach wechselnden Aufenthalten in Italien und Österreich stand 1969 der endgültige Umzug nach Bayern an, von Innsbruck zunächst nach München, dann nach Neufinsing und zuletzt ab 1977 in das 60 Kilometer nördlich der Landeshauptstadt gelegene Wolnzach.384 Doch wie schon die zahlreichen Habsburg-Publikationen und Jugendbücher aus dem Fischer-Verlag gezeigt haben, wurde die Zeit nach 1970 für Bossi eher zu einem Unruhestand. Das gilt allerdings offenbar auch für seinen Gesundheitszustand. Hatte er im Zweiten Weltkrieg schon mit den Folgen eines Flugzeugabsturzes und Rheuma zu kämpfen, wurde ihm 1967 noch in Innsbruck die Gallenblase entfernt. 1971 folgte eine zweite, schwere Operation. Seitdem habe er „sehr zurückgezogen“ in seiner „hübschen Münchner Wohnung in Schwabing“ gelebt und Zeit gefunden, „die Kompaß-Wanderkarten Südtirol und Trentino des Fleischmann-Kartogr. Instituts zu textieren“. Anschließend wollte er „nur mehr belletristisch“ arbeiten. Sonst habe er, schrieb er Alfred Strobel, nur wenig von alten Bekannten gehört. „Politisch betätige ich mich nimmer, halte nur Verbindung zu F-J. Strauß, als den Mann, der nationale Haltung vorstellt“385. Tatsächlich hatte Bossi im Herbst 1970 einen kurzen Briefwechsel mit Franz-Josef Strauß, in dem er darum bat, Informationen über den Eintritt in die CSU zu erhalten. 382 383 384
385
Kurzbiografie. Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. Entnahmen aus: O. V.: „Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 75 Jahre alt“. In: Tiroler Tageszeitung v. 10.08.1976, S. 10. Siehe Kreisverwaltungsreferat München, Hauptabteilung II Einwohnerwesen, an CP v. 08.02.2010, E-Mail Christa Spitzweck, Einwohnermeldeamt Finsing, an CP v. 20.01.2010 u. E-Mail Franz Kürzinger, Einwohnermeldeamt Wolnzach, an CP v. 12.01.2010. 1969 war er laut Militärpersonalakte formal von der italienischen Wehrpflicht befreit worden, da er die Altersgrenze erreicht hatte. „Elenco delle variazioni matricolari verificatesi nel servizio“ v. 11.06.1969 u. Distretto Militare Bolzano, Sezione Matricola Ufficiali, an Sezione Matricola Truppa, Centro Documentale, v. 14.06.1969. Vgl. auch „Servizi – Promozioni e Variazioni“ (Dienst – Beförderungen und Versetzungen). „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Entnahmen aus: BF an Strobel v. 17.02.1971, Brenner-Archiv, Universität Innsbruck, Nachl. Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01. „Meine älteste Tochter aus 2. Ehe wird bald den oberösterr. Grafen Werner Norman-Audenhove heiraten, meine 2. Tochter ist fleißig und mit Erfolg am hiesigen Konservatorium, im Ballettsaal und an der Schauspielschule (nebenher auch an der Dolmetscherschule) engangiert [sic!] und Peter ist am Obergymnasium und bereits zur Bundeswehr gemustert. Von Astrid höre ich regelmäßig, auch von ihren Kindern aus USA“.
572
7. Nach 1945 Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner erinnern! Ich sage nur: Film: BEIDERSEITS DER ROLLBAHN, früher einmal STANDSCHÜTZE BRUGGLER u.a., sowie diverse Bücher.386
Er wolle Strauß, „im eigenen, wie im Namen vieler Gleichgesinnter“ für die „unbeirrte Art“ danken, mit der er für die „Belange unseres Vaterlandes und Volkes“ kämpfe. Man könne bei den Landtagswahlen nur Franz Josef Strauß, bzw. CSU wählen. Keine Stimme darf verloren gehen. Darum habe ich auch für meine Frau und drei Kinder die Parole CSU ausgegeben.
Er hoffe, Strauß bringe wieder „reine Luft“ in die „trübe Atmosphäre heutiger deutscher Außen- wie Innenpolitik“. Er wünschte sich konkret, dass der Bundespräsident bei Auslandsbesuchen „zuerst die Gräber Deutscher Gefallener besucht, anstatt übereifrig die ‚Sühnemale‘ mit seiner Gegenwart zu beehren“387. Was sich in seinen Romanen zeigt, bestätigt sich auch hier: Bossi schien kein Schuld- oder Unrechtsempfinden angesichts deutscher Verbrechen zu besitzen, kein Anzeichen einer reflektierten Sichtweise, zumal auch die angeblich ‚saubere‘ Wehrmacht, die Bossi hier impliziert, an Verbrechen beteiligt war. Das zeigen die herabwertende Formulierung ‚übereifrig‘ und das in Anführungszeichen gesetzte ‚Sühnemale‘ deutlich. Einen knappen Monat später schrieb Strauß (oder einer seiner Mitarbeiter) mit einem üblichen Antwortschreiben zurück. Er ging nicht auf die Details des Briefs ein, dankte für das Vertrauen und legte einen Antrag auf Aufnahme in die CSU bei. Ob Bossi tatsächlich Parteimitglied wurde, kann allerdings nicht mehr nachvollzogen werden.388 1974 trat er dem Freien Deutschen Autorenverband und 1975 der VG Wort bei.389 1976, zu seinem 75. Geburtstag, berichteten sowohl die Dolomiten als auch die Tiroler Tageszeitung mit Glückwünschen und einer kurzen Übersicht 386 387 388 389
Hervorhebungen im Original. BF an Strauß v. 27.10.1970, ACSP-Bestand, NL Strauß PV 6033. Hervorhebung im Original. Entnahmen aus: BF an Strauß v. 27.10.1970, ACSP-Bestand, NL Strauß PV 6033. Strauß an BF v. 23.11.1970, ACSP-Bestand, NL Strauß PV 6033. Die CSUMitgliedschaftsunterlagen der Jahre sind inzwischen ausgesondert. Siehe E-Mail Andreas Bitterhof, Archiv der Hanns-Seidel-Stiftung, an CP v. 28.05.2019. Der „Freie Deutsche Autorenverband“ (gegründet 1973) versteht sich als Nachfolgeorganisation des „Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“ aus Zeiten der Weimarer Republik und als Berufsvereinigung deutschsprachiger Schriftsteller. Vgl. http://www.fda. de/ [Zugriff: 28.12.2011].
7.5 Lebensabend und Nachwirken
573
seiner Vita, Texte und Themen. Mit seinem „großen, fast unübersehbaren Lebenswerk“ habe Bossi viele Leser beschenkt und „viel zum Ansehen seiner Pustertaler Heimat“ beigetragen. Allein nach Toblach seien „seinerzeit viele Leute nur deswegen gekommen, damit sie den Schauplatz der Schicksale des blutjungen Standschützen Bruggler sehen konnten“390. Man kenne den Schriftsteller „im ganzen deutschen Sprachraum“, auch habe er eine „Reihe bezaubernder Jugendbücher“391 veröffentlicht. Der Fischer-Verlag Göttingen veröffentlichte eine Glückwunschannonce im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel.392 Doch eine Ehrung krönte das Jubiläum: Am 27. Juli 1976 brachte der Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer auf einer Sitzung der Landesregierung den Antrag ein, Bossi (und anderen) das Verdienstkreuz des Landes Tirol – eine Steckauszeichnung – zu verleihen.393 Das Kabinett stimmte dem am 15. August 1976 zu. Der Antrag vermerkt eher allgemein, dass er sich „Verdienste um das Land Tirol durch hervorragendes öffentliches oder privates Wirken erworben“394 habe, ohne detailliertere Begründung. Der exakte Geschäftsfall sei allerdings nicht überliefert, so das Tiroler Landesarchiv.395 Diese Ehrung zeigt, dass man Bossis Engagement bis in höchste Kreise anerkannte und über sein Wirken im Nationalsozialismus und die andauernde, literarische Propagierung von NS-Ideologemen offenbar großzügig hinwegsah. 390 391 392 393
394
395
Entnahmen aus: O. V.: „Graf Bossi Fedrigotti 75“. In: Dolomiten v. 07.08.1976, S. 7. Entnahmen aus: O. V.: „Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 75 Jahre alt“. In: Tiroler Tageszeitung v. 10.08.1976, S. 4. Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. (Hg.): Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel – Frankfurter Ausgabe v. 06.08.1976. Eduard Wallnöfer (1913-1989) war ein aus Südtirol stammender Politiker, seit 1949 Landtagsabgeordneter und von 1963 bis 1987 Landeshauptmann von Tirol, der in den 1930er-Jahren unter anderem als Bauern-Funktionär im Ständestaat und der NS-Zeit (Reichsnährstand) wirkte, auch Parteimitglied wurde, der aber auch in Konflikt mit den Nationalsozialisten geriet. Im Zweiten Weltkrieg diente er knapp acht Monate lang als Funker. Siehe Steininger (2004), S. 602ff. u. Schreiber (2005), S. 167-198. E-Mail Christian Fornwagner, TLA, an Gerald Steinacher, University of Nebraska-Lincoln, v. 18.07.2019. Steinacher nahm freundlicherweise Kontakt zur Tiroler Landesregierung / dem Tiroler Landesarchiv auf, nachdem mehrfach verschickte Anfragen an die Abteilung Repräsentation ohne Antwort blieben. Ebd. Siehe TLA, AdTLR – Präs. III – Verleihungswesen 1965-1976 (Karton 7) – Blatt 586, außerdem TLA Tiroler Landesregierung – Anträge für die Sitzungen der Tiroler Landesregierung – 1976 Karton 29 und das nicht überlieferte Dokument TLA, AdTLR – Präs. III – 5, Landesauszeichnungen Anhänge, Ozl. 5-100 1976 (Fasz. Nr. 72). Auch im Bestand TLA, Kanzlei Landeshauptmann – Sammelakten (Gruber/Weißgatterer/Grauß/ Tschiggfrey/Wallnöfer) – 7. (2) 1973-1978 befinden sich keine weiteren Dokumente zur Verleihung. Siehe Dr. Christian Fornwagner, TLA, an CP v. 16.01.2020.
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7. Nach 1945
Das dürfte bei dieser Auszeichnung aber ohnehin nicht im Vordergrund gestanden haben: Tatsächlich brachte der Autor Tirol und Südtirol immer wieder aufs literarische Tableau, doch instrumentierte er beide, ihre Geschichte und ihre Eigenheiten, über 50 Jahre hinweg in völkisch-nationalsozialistischer Weise, was dem Land rückblickend sicher geschadet hat. Das hätte die Tiroler Landesregierung 1976 schon erkennen können. Doch die Stimmung dafür war möglicherweise noch nicht reif, wie auch ein Glückwunschartikel zu seinem 80. Geburtstag zeigt: Bossi habe „viel zum Ansehen […] Habsburgs und ebenso zum Ruhm und Ruf des Südtiroler Heimat beigetragen“396. 1981 wurde für ihn noch einmal zu einem Jahr des Feierns.397 Zunächst gab das südtirolische Landesassessorat für Unterricht und Kultur einen Wegweiser zum literarischen Buch 1970-1980 heraus, in dem er mehrfach empfehlende Erwähnung findet.398 Vor allem aber beging Bossi seinen 80. Geburtstag am 7. August im Stadtmuseum und Haus des Deutschen Ostens in München, wo sich „Freunde und Bewunderer des Jubilars, begrüßt vom Bundesvorsitzenden des Kulturwerks für Südtirol, Dr. Walter Steinberger“399, versammelten. Im Kinosaal des Museums wurde Standschütze Bruggler zu seinen Ehren gezeigt. Der ehemalige Landrat Helmut Damerau, bis 1945 NSDAP-Kreisleiter und vormals Chef des rechtsextremen Schild-Verlags, hielt die Laudatio.400 Die beiden besuchten sich durchaus gegenseitig zu ihren Ehrentagen: Zu Dameraus 70. Geburtstag war Bossi prominenter Gast im großen Saal der Hanns-SeidelStiftung (CSU) in München.401 Die Dolomiten schrieben, Südtirol schließe sich „all diesen Glückwünschen mit besonderer Herzlichkeit an“402. Als besondere Auszeichnung dürfte Bossi auch das Interview zu seinem 80. Geburtstag aufgefasst haben, das Radio Tirol (ORF) in einer 30-minütigen 396 397 398 399
400
401 402
O. V.: Graf Anton Bossi Fedrigotti achtzig“. In: Dolomiten v. 08.08.1981, S. 6. Das Foto stammt aus: O. V: „Anton Bossi Fedrigotti wird heute 80“. In: Tiroler Tageszeitung v. 06.08.1981, S. 8. Landesassessorat für Unterricht und Kultur (1981), S. 12f., 89, 92 u. 97 (Standschütze Bruggler unter ‚Biographien‘). Tauchel (1981), S. 245. Das 1957 gegründete Kulturwerk war ein Ableger des österreichischen Bergisel-Bundes (1954) und stand in enger Verbindung mit Kienesbergers ‚Buchdienst Südtirol‘ und den Südtirol-Attentätern der 1960er-Jahre. Siehe dazu Steurer (2019), S. 122. Damerau war auch Herausgeber des Deutschen Soldatenjahrbuchs. Vgl. Brüdigam (1965), S. 160 u. Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland u. Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR, Braunbuch (1968), S. 436. Radke, Doro: „Helmut Damerau wurde 70 Jahre alt“. In: Das Ostpreußenblatt v. 18.12.1976, S. 16. O. V.: „Graf Anton Bossi Fedrigotti achtzig“. In: Dolomiten v. 08.08.1981, S. 6. Siehe auch O. V.: „Anton Graf Bossi Fedrigotti 85 Jahre“. In: Dolomiten v. 08.08.1986, S. 5.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
575
Fassung unter dem Titel „Tirol an Etsch und Eisack. Anton Graf BossiFedrigotti – 80. Geburtstag“ sendete. Auch zu seinem 85. Geburtstag und anlässlich seines Todes 1990 wurde das Interview ausgestrahlt. Bossi empfand sich „immer noch als ein Stück Altösterreich“, vor allem als Südtiroler, der der Jugend berichten wolle, „was damals geleistet worden ist von den Soldaten“. Doch inzwischen erkenne er das alte Südtirol nicht mehr wieder. „Es war ein schönes, romantisches Land“, doch nun, „überall Bars, Ristorantis usw.“403. Seine letzten Romane lassen allesamt die hier anklingende Verklärung und restaurative Sehnsucht erkennen, mit der er sich offenbar auch in eine vergangene Welt hinüberwünschte. Im Mai 1984 begrüßten die Burschenschaften Innsbrucks den „Alt-Nazi“404 Bossi als Ehrengast beim Gedenkkommers zum 175-jährigen Jubiläum des Aufstands von 1809 – der weiterhin, hier zum Zwecke einer tirolischen Wiedervereinigung, politisch instrumentalisiert wurde. Neben Bossi waren hier zahlreiche österreichische und südtirolische Personen des öffentlichen Lebens geladen, darunter auch sein Verleger Peter Kienesberger. Der Abend unter dem Motto „Ein Tirol!“ sei ein voller Erfolg gewesen. Veteranen seien, von schmetternder Musik begleitet, „blitzenden Auges und in soldatischer Haltung“ in den Festsaal einmarschiert. Der Festredner betonte, Südtirolpolitik sei nur unter der Prämisse denkbar, wenn den Tirolern und Südtirolern selbstverständlich bewusst sei, „Deutsche zu sein“405. Am 9. Dezember 1990 starb Anton Graf Bossi-Fedrigotti in Pfaffenhofen an der Ilm.406 Bis zuletzt hatte er Romane und Aufsätze veröffentlicht. Im Börsenblatt des deutschen Buchhandels erschien etwas mehr als einen Monat danach ein Nachruf des Stocker-Verlags: Bossis Werke seien „zeitlos“. Sein Leben und Schaffen hätten „im Dienste seines altösterreichischen Vaterlandes und seiner geliebten Tiroler Heimat“407 gestanden. Die Tiroler Tageszeitung ging auf
403 404 405 406 407
Entnahmen aus: „Tirol an Etsch und Eisack. 701. Folge. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 80. Geburtstag“. Interview Dr. Norbert Hölzl, Radio Tirol des ORF, mit BF v. 09.04.1981. Transkription durch CP. Steurer (2019), S. 147-150. In diesem Beitrag geht Steurer näher auf den Kommers ein und führt auch den „Alt-Nazi“ BF auf. Entnahmen aus: Kameradschaft der ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer (Hg.): Der Tiroler. Für ein freies und einiges Tirol 4 (1984), H. 2, S. 2ff. Für den Hinweis auf diese Publikation danke ich Dr. Leopold Steurer. Vgl. E-Mail vom Einwohnermeldeamt Wolnzach (LK Pfaffenhofen) vom 13.01.2010. Entnahmen aus: Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. (Hg.): Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel – Frankfurter Ausgabe v. 18.01.1991.
576
7. Nach 1945
seinen Lebenslauf ein.408 In der Dolomiten veröffentlichte sein Kriegskamerad Edmund Theil einen Nachruf, in dem er vor allem aus seinem Buch Kampf um Italien zitierte und den Verstorbenen weiter zum politischen DeutschtumsFlüchtling stilisierte. Bossi habe noch 1987 Sehnsucht nach der alten Heimat gespürt, Reisepläne aber aufgrund einiger Herzinfarkte nicht mehr verfolgen können.409 Kurz danach erschienen noch zwei weitere, textgleiche Nachrufe im Deutschen Soldatenjahrbuch und in Deutsche Annalen 1991. Jahrbuch des Nationalgeschehens (Druffel-Verlag), verfasst von dem ehemaligen NSDAPFunktionär und rechtsextremen Schriftsteller Reinhard Pozorny, der noch 1985 Texte wie Volk ohne Grenzen. Deutsches Land in fremder Hand veröffentlichte.410 Der Druffel-Verlag, der 1952 von Helmut Sündermann, einstmals hochrangiger NS-Propagandist, gegründet und ab 1972 von Gerd Sudholt weitergeführt wurde, ist „einer der wichtigsten Verlage des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik“411, der etliche antisemitische, nationalistische und NSapologetische Schriften vertreibt. Pozornys Worte belegen eindrucksvoll, in welchem Milieu Bossi sich bis zuletzt bewegte und hoch geachtet wurde. Er sei als deutscher Österreicher eine der „überzeugungstreuesten Erscheinungen“ in der deutschen Literatur gewesen und habe für den „Reichsstatthalter von Südtirol“ gearbeitet, womit wohl Hofer gemeint war. Amerikaner und Franzosen hätten ihn „zum Zwecke der üblichen Umerziehung im Sinne ihrer ‚Befreiung‘“ gefangen gehalten. Als Autor habe er seine Grundeinstellung nie geleugnet und nur „Verkünder seiner Überzeugung“ sein wollen, ein „Vertreter jener heilen Welt, die er mit Recht bedroht sah“. 408 409
410
411
O. V.: „Aus der Welt der Geschichte und des Militärs: Anton Bossi-Fedrigotti starb“. In: Tiroler Tageszeitung v. 22.12.1990, S. 13. Theil, Edmund: „In memoriam Anton Bossi-Fedrigotti“. In: Dolomiten v. 25.01.1991, S. 26. Die Korrespondenz der beiden lässt sich offenbar nicht mehr auffinden: Lydia Theil, Tochter des Nachrufenden und Besitzerin seines Nachlasses, gab an, dazu „keinerlei Unterlagen“ zu besitzen. Siehe E-Mail Lydia Theil an CP v. 04.06.2019. Reinhard Pozorny (1908-1993) war ein aus Brünn stammender NSDAP-Kreispropagandaleiter in der Stadt Pilsen, Mitarbeiter des SD der SS, Funktionär bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft u. NPD-Kandidat zur Bundestagswahl. Siehe Lange (1993), S. 148, Grumke/Wagner (2002), S. 111, u. Macháček (2017), S. 290. Vgl. auch gemeinsame Veröffentlichungen mit Gerd Sudholt in der rechtsextremen Monatsschrift Nation und Europa-Deutsche Monatshefte. Politischer Zeitspiegel. Zeitschrift für Kultur und Geschichte, Politik und Wirtschaft 33/9 (1982). Botsch, Gideon: „Druffel Verlag (seit 1952)“. In: Benz (2013), S. 158ff. Siehe auch Grumke/ Wagner (2002), S. 111 u. 459. Helmut Sündermann, Gerd Sudholt und Reinhard Pozorny stehen in diesem Verlagsgeflecht in engster Verbindung.
7.5 Lebensabend und Nachwirken
577
Über diese Zeugen einer ehrenvoll untergegangenen Generation eines übernationalen Zeitalters und einer großen Reichsidee kann nicht das Wort einer ‚längst versunkenen Zeit‘ stehen, sondern die Anerkennung eines Menschen, der zeitlebens vornehme Würde, geistige Brillanz und tiefe Gaben des Gemüts ausstrahlte. So besehen, senken sich in der Erinnerung an ihn mehrere Fahnen mehrerer Reiche, denen er treu und überzeugt gedient hat und in denen er zum Verkünder jenes Menschentums wurde, das mit den Maßstäben tagespolitischer Beurteilungen nicht ausgelotet werden kann. Ehre ihm, dem großen Deutschen aus Österreich, dem Tiroler Volkstumskämpfer und dem Künder jener menschlichen Haltung, die man auch bei untergegangenen Epochen ehrt und anerkennt.412
Mit seinem Tod endete jedoch nicht die literarische Wirkung des Autors. Seitdem erschienen Neuauflagen von sechs Texten; die letzten waren Die Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg (2009) und noch 2014 der als WeltkriegHeft getarnte Landser Das Rätsel um Bunker 403. Einige seiner Manuskripte, auch von nicht fertiggestellten Arbeiten, dürften sich in den Händen von Autographensammlern befinden.413 Das gesamte Portfolio seines Schaffens ist antiquarisch, Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg und die DVD von Standschütze Bruggler sind nach wie vor im Buchhandel erhältlich, ebenso wie der Nachdruck des stark völkischnationalistischen und stellenweise antisemitischen Tirol bleibt Tirol, dessen Restbestände von 1993 heute vom Kopp-Verlag und beim Online-Versand ‚Deutsches Warenhaus‘ – umrahmt von schwarz-weiß-roten Flaggen – vertrieben werden.414 Neben Bossis Text wird dort auf die Bestseller verwiesen: ‚Aufkleber refugees not welcome‘ oder ‚Hochglanz-Aufkleber Reichsadler Deutsches Reich‘. Texte Bossis, die heute kaum noch erhältlich sind, finden 412 413
414
Entnahmen aus: Pozorny, Nachruf Deutsche Annalen (1991), S. 278ff. u. Pozorny, Nachruf Deutsches Soldatenjahrbuch (1991), S. 242f. Das zeigt u. a. das Manuskript zu einem von BF geplanten Film über Kaiser Maximilian von Mexiko, das er dem Autographensammler Karl-Heinz Fleitmann übersendete und das sich heute (neben anderen Autographen BFs, die von Rolf Düsterberg zusammengetragen wurden) im Universitätsarchiv Osnabrück befindet. https://www.kopp-verlag.de/Tirol-bleibt-Tirol.htm?websale8=kopp-verlag&pi= B1496749&ci=%24_AddOn_%24 [Zugriff: 27.07.2019]. Der Kopp-Verlag vertreibt unter anderem verschwörungstheoretische, rechtsesoterische und rechtspopulistische Texte. Siehe auch Pennekamp, Johannes u. Bernau, Patrick: „Die Angstindustrie“. In: FAZ v. 17.01.2015, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/verlage-undunternehmen-rund-um-verschwoerungstheorien-13374395.html?printPagedArticle =true#pageIndex_2 [Zugriff: 27.07.2019]. Zum Versand ‚Deutsches Warenhaus‘ siehe https://deutsches-warenhaus.biz/advanced_search_result.php?categories_id=0& keywords=bossi&inc_subcat=1 [Zugriff: 27.07.2019]. Siehe zu dieser Seite / diesem Verlag auch Siehe zu diesem Verlag Grumke/Wagner (2002), S. 365, 405 u. 447.
578
7. Nach 1945
sich in den Weiten des Internets jedoch auch als pdf-Version, so Österreichs Blutweg. Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland (1939). Auf einer Anti-Zensur-Verschwörungsseite mit dem Namen ‚wintersonnenwende. com‘ wird das Buch kapitelweise aufbereitet oder zum direkten Download bereitgehalten.415
Abb. 28
415
Auf einer verschwörungstheoretischen Website findet sich Bossis Österreichs Blutweg (1939) als pdf-Datei.
https://www.wintersonnenwende.com/scriptorium/deutsch/archiv/blutweg/ob00.html [Zugriff: 27.07.2019].
7.5 Lebensabend und Nachwirken
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In einer 2008 erschienenen Publikation des „radikal-patriotische[n]“416 Musikprojekts ‚vermaechtnis.at‘, das im „Deutschrockstil und in Balladen […] geschichtliche Ereignisse und die Heimatliebe“417 besingt und inzwischen sechs CDs produziert hat, wird Bossi-Fedrigotti als Beweisträger tirolischer Wehrkraft mit einem Textauszug aus seinen Andreas-Hofer-Texten, „Unter Napoleons Fremdherrschaft“, zitiert und werden die Bayern erneut als „Blutsverwandte“418 der Tiroler propagiert. Unter dem Motto Heldenzeit war der CD und dem Buch „eine Südtiroler Fahne mit Tiroler Adler beigelegt“419. Das Projekt habe sich zum Ziel gesetzt: „Südtirol ist frei und Tirol wieder vereint“420. Das investigative Südtiroler Online-Nachrichtenportal ‚salto.bz‘ befand noch 2017, dass hier mit „schwülstigen Gitarrengriffs und Blut & Boden-Lyrik […] die Heimat wieder vom Feinde befreit“ werden soll. Obschon die Verantwortlichen weitestgehend im Verborgenen bleiben, scheint das deutschvölkische „Rechtsrock“-Projekt, so salto, „mitten aus dem Leitungsgremium des Südtiroler Schützenbundes“421 zu kommen. Auch so dient Bossi bis ins Jahr 2020 hinein und wohl auch weiterhin als authentischer Zeuge und Steigbügelhalter nationalistisch-völkischer Bestrebungen – vor allem in Tirol und Südtirol.
416 417 418 419 420 421
Francechini, Christoph: „Rechter Schützenrock“ v. 04.01.2017. https://www.salto.bz/de/ article/02012017/der-schuetzenrock [Zugriff: 17.01.2018]. https://vermaechtnis.at/ueber-uns/ [Zugriff: 17.01.2018]. „vermaechtnis. Heldenzeit“ v. 2008. https://de.scribd.com/document/21262458/2008Vermaechtnis-III-Heldenzeit-Buch [Zugriff: 17.01.2018]. Francechini, Christoph: „Rechter Schützenrock“ v. 04.01.2017. https://www.salto.bz/de/ article/02012017/der-schuetzenrock [Zugriff: 17.01.2018]. https://vermaechtnis.at/ueber-uns/ [Zugriff: 17.01.2018]. Entnahmen aus: Francechini, Christoph: „Rechter Schützenrock“ v. 04.01.2017. https:// www.salto.bz/de/article/02012017/der-schuetzenrock [Zugriff: 17.01.2018].
Kapitel 8
Schluss Anton Graf Bossi-Fedrigotti kam schon als Kind und Jugendlicher mit der extensiven Elite einer stark ritualisierten und zutiefst militaristischen Gesellschaft im späten k.u.k.-Reich in Berührung, war schließlich per Geburt ein Teil von ihr. Er lernte den Thronfolger kennen, bewegte sich in aristokratischen Kreisen Innsbrucks und Prags und wuchs zugleich in einem südtirolischdörflichen, österreichisch-deutschen Milieu auf. Seine gesellschaftliche Vernetzung in der Habsburgermonarchie scheint einem typischen Bild zu entsprechen. Andere Söhne des Hochadels dürften in ähnlicher Weise privilegiert sozialisiert worden sein, während sie in einem engeren ländlichen Umfeld neben und mit den Kindern weniger begünstigter Schichten aufwuchsen. Die sich jedoch schon vor 1918/19 andeutenden finanziellen Probleme der Familie trüben diese vergleichsweise heile Bild: Dass der Vater Alfons Bossi-Fedrigotti bereits zu Beginn des Jahrhunderts einer bürgerlichen Beschäftigung bei einer Versicherung nachging, dürfte seinen Standesgenossen nicht verborgen geblieben sein. In wirtschaftlicher Hinsicht bestand für die Bossi-Fedrigottis eine große Fallhöhe, doch noch konnten sie im monarchischen System ihr Ansehen bewahren. Nach 1918/19 brach dieses vage Gerüst sozialgesellschaftlicher Sicherung in sich zusammen, mehr noch als für andere Adlige im ehemaligen ÖsterreichUngarn. Denn neben dem Verlust der Rang- und Standesordnung ging es für die Familie nun finanziell und für alle öffentlich sichtbar talwärts, während sie sich als Angehörige der ehemals privilegierten deutschsprachigen Oberschicht im von Italien annektierten Südtirol wiederfand. Dort blieb ihr angesichts der massiven Italianisierungsmaßnahmen fortan nicht einmal mehr die deutschsprachige Identität. Bossis wohl kostspieliger Besuch der exklusiven Stella Matutina in Feldkirch wahrte bis 1918 den Anschein hochadlig-vermögenden Lebens der Familie. Gleichzeitig brachte er ihn in Kontakt mit später sehr bekannten Politikern – darunter einige Oppositionelle des NS-Regimes –, mit Industriellen und Künstlern. Hier erlebte der junge Graf ein elitäres, gehobenbildungsbürgerliches Internatsmilieu, aber auch Kriegsbegeisterung, Nationalstolz und Militarismus im Unterricht, während er in den Ferien ein von Soldaten verwandeltes Toblach kennenlernte, wo er den Krieg und die unter Fahnen und Musik ausmarschierenden Standschützen sah und die Granaten einschlagen spürte. Während andere weitab der Ereignisse lebten, lag sein
582
Schluss
Dorf plötzlich an der Front. Diese Erfahrungen blieben nicht ohne Folgen: Die Kriegsbewährung wurde zum selbstverständlichen Ziel des jungen Südtirolers. Damit stand er in einer Reihe mit vielen Millionen junger Männer, doch blieb ihm als Angehöriger der sogenannten Kriegsjugendgeneration der Fronteinsatz versagt. Die Zeit um 1918/19 markiert einen Wendepunkt im Leben Bossi-Fedrigottis, da er in diesen prägenden Jugendjahren zum Kriegsverlierer wurde, ohne dass er gegen die Zurückstellung vom Militärdienst, die Zerstörung des monarchischen Orientierungsrahmens und die hinsichtlich der eigenen Identität zweifelsohne einengenden (kulturell-politischen) Folgen der Annexion hätte etwas unternehmen können. Lediglich den Schulabschluss hätte er selbst erreichen können. Seine Sozialisation und sein Lebensweg sind ungewöhnlich, da sie im Zusammenwirken der ritualisierten, katholisch-hochadligen, aber gleichzeitig finanziell unsicheren Kindheit in Südtirol, Innsbruck und Prag, der elitär geprägten Schulzeit zwischen kriegsbegeisterten Adels- und Oberschichtsöhnen, dem jugendlichen Kriegserleben an der Hochgebirgsfront, der realen Bedrohung der engeren Heimat und der verpassten ‚Chance‘ der Kriegsbewährung ein ungewöhnliches Konglomerat von Narrativen aus verschiedenen Blickwinkeln boten (und bieten), das zu verarbeiten sich literarisch lohnen konnte. Auf diese Idee kam Bossi schließlich nicht selbst, doch die Motive fanden noch bis 1990 Einzug in seine Texte. Bei den v. Arnims in der Uckermark lernte der junge Graf seit 1920 neben der Landwirtschaft reaktionäre Adlige, Vertreter der ‚Schwarzen Reichswehr‘ und Völkische kennen, die der neuen Weimarer Demokratie feindlich gegenüber standen. Seine Erbitterung über die Kriegsfolgen und deren Auswirkungen auf sein Leben verbanden sich wohl spätestens hier mit antidemokratischem und revanchistischem Denken. Bei dem persönlich in vielerlei Hinsicht durch die Kriegsfolgen betroffenen Bossi fiel das auf fruchtbaren Boden, zumal man auch in seiner in prekärer Lage befindlichen Familie bzw. seinem Umfeld im annektierten Südtirol ähnlich gedacht haben dürfte. Dass er dann 1923 ausgerechnet für den noch kurz zuvor bekämpften Kriegsfeind Italien Wehrdienst leisten und offenbar sogar an einem Feldzug teilnehmen musste, war wohl ein Höhepunkt in der langen Reihe für ihn deprimierender Kriegsfolgen. Auch die Gelegenheitsarbeiten Mitte der 1920er Jahre reichten nicht zu einer ökonomisch ‚angemessenen‘ Existenz. Die zweite italienische Dienstzeit ab 1926, hervorragende militärische Beurteilungen, dazu Tätigkeiten im staatlichen Fremdenverkehr und als SkiRennleiter, seine Mitgliedschaft in der faschistischen Partei, Unterschriften als ‚Antonio‘ und die Verlobung mit einer Italienerin zeigen während der Hochphase der Italianisierungsmaßnahmen in Südtirol hingegen, dass Bossi sich
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den veränderten Verhältnissen anzupassen bereit war und den bequemen und vor allem vorteilhaften Weg der Assimilierung und Anpassung an die neuen Machtverhältnisse wählte – keine Spur von einem Engagement in revanchistischen Deutschtumsverbänden. Doch genau dies behauptete er, nämlich mit den italienischen Behörden wegen volksdeutschen Engagements in Konflikt geraten zu sein, nachdem er in einer Mainacht 1928 mit einem Fahrrad über die Grenze nach Österreich geflohen war. Diese Erzählung machte aus dem jungen Mann einen für die Exil-Südtiroler in Innsbruck um Pater Innerkofler, Mumelter und Reut-Nicolussi nützlichen und authentischen Mitstreiter als politischer Deutschtums-Flüchtling. Über Nacht wendete der junge Südtiroler den Mantel vom engagierten Faschisten hin zum verfolgten Deutschtumsaktivisten, ein wiederum bequemer und schnell durchführbarer Wandel, waren doch diese Fluchtgründe 1926/27 überaus nachvollziehbar. Dass er jedoch finanzielle Lasten und Gläubiger in Italien hinter sich lassen wollte, wussten nur einige wenige, darunter Felix Kraus und Baron Sternbach. Deren Warnungen gegenüber höchsten deutschen Stellen, Bossi nicht als Vertreter der Südtiroler öffentlich zu protegieren, verhallten weitgehend ungehört.1 Dabei sollte bis 1933/34 exakt eintreten, wovor Sternbach gewarnt hatte, nämlich die Kompromittierung der Mitstreiter Bossis durch sein wendiges und opportunistisches Verhalten und seinen Willen, eine zentrale Rolle in der schwelenden und politisch äußerst brisanten Südtirolproblematik zu spielen. Diese führende Position erlangte er schließlich nie, gleichwohl intensivierte er seine Aktivitäten, wodurch er zunehmend Verhandlungspositionen der Südtiroler in Österreich und Deutschland ad absurdum führte und deren Exilpolitik in eine Sackgasse manövrierte. Ein Südtiroler, der gleichzeitig Deutscher sein wollte: Ein Ziel, das mit Hitler und der NSDAP im Hinblick auf Menschen und Territorium zusammen nicht erreichbar war; ein Dilemma, das Bossi bis 1945 und auch noch darüber hinaus begleitete und das ihn prägte – und eines, das er selbst erst in dieser Tragweite heraufbeschworen hatte. Über verfolgte und unterdrückte Deutsche außerhalb des Reichsgebietes zu sprechen, hatte im Berlin der späten 1920er Jahre – wohin Bossi von Innsbruck aus entsendet wurde – mit seinen sich verschärfenden politischen Konflikten und der sich radikalisierenden Stimmung Konjunktur, auch auf dem mit Kriegserinnerungen und Literatur über verlorene deutsche Gebiete gesättigten Buchmarkt. Südtirol war in aller Munde und wurde im Zuge der Konflikte zwischen den politischen Polen polemisch-brisantes Wahlkampfthema. Bossi brachte sich hier als Kronzeuge der Unterdrückung Deutscher in Position, gründete einen Südtirolverband, rückte in den VDA-Vorstand auf 1 Siehe Paul Baron Sternbach an Hans Saller v. 02.06.1931. PA AA, R 72888.
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und hielt im ganzen Reich hunderte Vorträge über die Situation seiner Heimat. Damit stand er dem Bestreben der Nationalsozialisten, Südtirol zum Zwecke einer Allianz mit Italien zu ‚opfern‘, diametral gegenüber. Diesen bündnisstrategischen Schachzug der NS-Führung unter geflissentlicher Ausklammerung der eigenen ‚volkstumspolitischen‘ Ziele führte Bossi mit seinem Engagement dauerhaft vor und geriet so in Konflikt mit der Partei. 1930 noch beschwerte er sich in einem Leserbrief öffentlich über eine deutsche Delegation, in Südtirol vor Mussolini „gekatzbuckelt“ und ihm „speichelleckend zu Füßen“ gelegen zu haben. Nichts könne ihn dazu bringen, seine „deutsche Gesinnung vor einem Italiener zu beugen“2. Bossis Texte dieser Jahre zeigen, dass er sich als Volkstumsaktivist in Berlin zunehmend radikalisierte und die ‚Deutschheit‘ der Südtiroler immer stärker rassistisch, völkisch und biologistisch begründete – eine Argumentation mit verheerenden Spätfolgen, die den Nationalsozialisten durchaus gefallen haben dürfte, nur eben nicht im Hinblick auf Südtirol. In den Jahren und Monaten vor der nationalsozialistischen Machtübernahme knüpfte er über seine Pressearbeit stetig engere Verbindungen zu NS-Männern, die auch durchblicken ließen, mit Hitlers Südtirolpolitik nicht gänzlich einverstanden zu sein. In dieser Zeit begann Bossi, seine Bedeutung als Verbandsvertreter und öffentlicher Fürsprecher zu überschätzen. Vieles deutet darauf hin, dass er zunächst tatsächlich davon ausging, den Kurs der Nationalsozialisten hinsichtlich Südtirol beeinflussen und ändern zu können. So ist auch zu erklären, weshalb er – neben der Suche nach einem vorteilhaften Netzwerk – sich führenden Nationalsozialisten annäherte, darunter Hans Hinkel, Rudolf Heß, Alfred Rosenberg und auch Hitler selbst. Im entscheidenden Moment, als ihm ohnehin schon nachgesagt wurde, die Nazis zu unterstützen und er dadurch bei Südtiroler Freunden in Misskredit geraten war, wechselte er die Seiten und bekannte sich im April 1933 öffentlich per Zeitungsartikel zur NSDAP. Indem er sich der schließlich vollständig andiente, Partei- und SAMitglied sowie Funktionär wurde, war er selbst gewissermaßen zu einem jener ‚katzbuckelnden‘ Mussolini-Unterstützer geworden, die er noch kurz zuvor vehement beschimpft hatte. Obwohl er zu Beginn noch das Gegenteil propagiert hatte und seinen politischen Wechselsprung mit einem SüdtirolEngagement ‚aus dem Inneren der Partei heraus‘ rechtfertigte, beugte er als 2 Entnahmen aus: Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelmzeichen für Mussolini“. In: Berliner LokalAnzeiger v. 23.11.1930, 3. Beiblatt. Vgl. O. V.: „Ein Südtiroler züchtigt den Mussolini-Rauch deutscher Stahlhelmer“. In: Salzburger Wacht v. 28.11.1930, S. 2 u. Bossi-Fedrigotti: „Stahlhelmzeichen für Mussolini“. In: Der Südtiroler v. 01.12.1930, S. 4.
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durchaus prominenter, für die Nazis nützlicher Südtiroler damit seine ‚deutsche Gesinnung‘ vor dem Zweckbündnis mit Italien. Denn damit gab er seinen Tiroler Landsleuten zu verstehen, dass Volkstumsengagement und NSDAP scheinbar miteinander in Einklang zu bringen waren. Als aber in der Frühphase der NSHerrschaft immer wieder offenkundig wurde, dass an Hitlers Südtirol-Plänen nichts zu ändern war, saß Bossi, ob partei- oder verbandspolitisch oder schriftstellerisch, längst auf einem sicheren Sitz, der Vorteile versprach: Er wollte zwar auch etwas für Südtirol erreichen, aber es ging ihm allen Erkenntnissen nach vornehmlich um Deutungshoheit durch die literarische Verarbeitung und ideologische Verzerrung seiner Erfahrungen und der historischen Realität in Romanen, Kinder- und Schulbüchern, es ging um Macht als Südtirol-Vertreter bei den neuen deutschen Herrschern und als NS-Spitzel in Verbänden, es ging um Ansehen und Reputation in der Öffentlichkeit, es ging um finanzielle Vorteile als hauptamtlicher Verbands- und Parteifunktionär und als Schriftsteller; es ging aber insbesondere darum, stets auf der erfolgreichen Seite zu stehen, auch wenn dafür Grundüberzeugungen zu vernachlässigen waren. Bossi war ein Funktionär, der bedeutende Zusammenhänge suchte und in ihnen auch agierte, ohne selbst bedeutend zu sein. Doch in jener Zeit und an jedem Ort, an dem er handelte, war er nützlich. Er war einer der willigen Zuträger, der seinen Lohn in Form von Parteiämtern, Uniformen und Auszeichnungen erhielt und er nahm teil an spannenden ersten Wochen des neuen Staates, am ‚Aufbruch‘ in Berlin. Wohl auch fasziniert von der Macht und den scheinbar unendlich vielen neuen Gestaltungsmöglichkeiten entschied der junge Adlige, diesen Weg mitzugehen. Der Lohn des Regimes ließ nicht lange auf sich warten. Als Bossi 1933/34 begann, seinen ersten Roman zu verfassen, hatten sich in seinem Leben bereits mehrere Handlungsstränge und ideologische Konzepte miteinander verflochten. Der Filmvorschlag Ostermayrs brachte ihn dazu, Standschütze Bruggler als Auftragsarbeit fertigzustellen, sein größter literarischer Erfolg, der zeigte, inwieweit der Autor gewillt, bereit und fähig war, sein Schaffen und Schreiben, vor allem aber Teile seiner Vita und die schwierige politische Lage Südtirols und dessen Bewohner, in den Dienst des neuen Regimes zu stellen. Sein opportunistischer Wandel vom aufbegehrenden Südtirolaktivisten hin zum diensteifrigen NSDAP-Funktionär bot ihm in den späten 1930er Jahren weitere Vorteile. Infolge seiner erfolgreichen Publikationen und des politisch geförderten Bruggler-Films stiegen seine Bekanntheit, sein Ansehen und seine finanziellen Mittel. Die frühen Verbindungen zu Hinkel machten sich in Form von Auftragstexten, die zu Gauleiter Hofer in Form von Ämtern als Kulturreferent und Landesleiter der Reichsschrifttumskammer bezahlt. Und seine frühen Verbindungen zu Theo Habicht und zur zeitweiligen
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Untergrund-Landesleitung der NSDAP Österreich machten aus ihm einen Mitwisser und Mitwirker bei der Aufheizung der politischen Spannungen zwischen Deutschland und Österreich. Nicht zuletzt führten ihn diese Verbindungen ab 1939 auf den im Militärsystem vergleichsweise angenehmen Posten eines VAA, auf dem er als chauffierter Berichterstatter sowohl die Stabsarbeit als auch die vorderste Frontlinie kennenlernte, vom ‚heldischen Kampf‘ ins AA berichten und ihn auch literarisch verarbeiten konnte. Bossi-Fedrigotti war im Krieg nicht nur dabei, er suchte und fand stets Aufgaben, die er zu seinem eigenen Vorankommen eifrig aus- und erfüllen konnte. Er nutzte Spielräume seiner Ämter, um sich zu profilieren und als treuer Mitkämpfer in Szene zu setzen. Seine deutliche und als VAA auch beispiellose Kritik am Kriegsgefangenenwesen der Wehrmacht und dem Kommissarbefehl, von dem er nachweislich bereits früh wusste, hielten ihn nicht davon ab, sich auch selbst am Vernichtungskrieg und vermutlich dem Mord an den Kommissaren zu beteiligen. Seine Rapporte waren vorbildliche Vorlagen und wurden Ribbentrop und gar Hitler vorgelegt. Daneben zeigen sie eindrücklich, wie sehr Bossi das Vokabular des Nationalsozialismus verinnerlicht hatte; es finden sich sowohl die Euphemismen des Mordens als auch Wendungen vom „bolschewistische[n] Untermenschentum“ und von Asiaten, die man „zersetzen“ müsse. Auch sein persönliches Vorsprechen bei Himmler, um über die spätere ‚Brigade Kaminski‘ zu beraten und den Einsatz von ‚Fremdvölkischen‘ zu empfehlen, „damit deutsches Blut gespart wird“3, ist seinem eilfertigen Streben nach Anerkennung, Aufstieg und Einfluss zuzurechnen. Dabei lässt die Frage nach der bereitwilligen Unterstützung der Deutschen vor allem durch Russen und Ukrainer die politischen Wogen bis heute regelmäßig hochpeitschen.4 Wenn Bossi Kritik am Vorgehen der Wehrmacht übte, auch am Propagandaeinsatz, dann vor allem, weil er vor negativen Auswirkungen auf die deutsche Kriegsführung warnen wollte – nicht, weil es sich dabei um menschen- und kriegsrechtswidriges Verhalten handelte. Hinsichtlich des Wirkens aller VAAs besteht allerdings weiter ein Forschungsdesiderat, wie schon Johannes Hürter 2003 andeutete.5 Eine gründliche Sozialstruktur- und Themenanalyse könnte weitere Einblicke in den Wehrmachts- und Verwaltungsapparat des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges geben – und auch darüber aufklären, wo die 3 Entnahmen aus: Bericht Nr. 6 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/AO v. 24.07.1941, PA AA, R 60704. Siehe auch Buchbender (1978), S. 91f., Bericht Nr. 2 des VAA beim AOK 2 Abt. Ic/ AO v. 05.07.1941, u. zu Propagandavorschlägen an Rantzau BF an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 12.07.1941, PA AA, R 60704. 4 Siehe dazu Kudryashov/Uhl (2014), S. 219. 5 Hürter (2003), S. 367f. Siehe auch Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737.
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Berichte schließlich landeten und welche Narrative der VAA-Kriegsberichte ihren Weg in die Literatur fanden. Auch zur ‚Brigade Kaminski‘ gibt es keine umfassende Untersuchung, die ohne apologetischen Anstrich auskommt. Auf Bossis ideologische Treue war aus Sicht des NS-Systems Verlass: Der Nationalsozialismus hatte ihm viele Vorteile, soziale Absicherung und Ansehen verschafft, etwas, das er spätestens nach 1918 in vielerlei Hinsicht eingebüßt hatte. Insofern gehörte er zu derjenigen mittleren Funktionselite, die dem Regime bis zum Schluss treu blieb und es wesentlich stützte, zumal er nicht nur als Soldat diente, sondern auch bis in die letzten Kriegstage hinein kulturpolitisch und schriftstellerisch aktiv blieb. Damit die vordere Riege der Machthaber ihre Arbeit leisten konnte, war sie auf zuverlässige Rädchen in der Maschinerie angewiesen. In gewisser Weise war Bossi sogar einer der wichtigsten Funktionäre, nämlich immer dann, wenn es um das Verhältnis NSDAP und Südtirol ging, zumindest bis September 1943. Er rückte nicht „selbstverständlich und alternativlos“6 in die Nähe der NSDAP, sondern er entschied sich selbst für diesen Weg. Der Gauinspekteur von Tirol-Vorarlberg, Klaus Mahnert, umschrieb das 1940 so: Wenn wir vor dieser Zeit bestehen wollen, müssen wir eines von uns sagen können: Wir haben diese gewaltige, herrliche Zeit nicht nur miterlebt, wir haben sie mit unseren bescheidenen Kräften mitgestaltet. […] Wir haben mitgestaltet!7
Doch nicht nur materielle Vorteile hielten Bossi als Unterstützer des NSSystems in der Spur, sondern auch tiefgreifende ideologische Überzeugungen, die er in Berichten, Aufsätzen, Drehbüchern, Zeitungsartikeln, vor allem aber seinen zahlreichen literarischen Texten zu erkennen gab. Insgesamt wurde zwischen 1934 und 1990 eine halbe Million Exemplare davon verkauft, Bibliotheken, Büchereien, Schulbücher und Heftreihen nicht eingerechnet. Allein 28 davon, etwa die Hälfte seines Schaffens (abzüglich Aufsätze und Beiträge), sind in Verlagen des rechten Spektrums erschienen, darunter bis Kriegsende 1945 bei Andermann/Zeitgeschichte, ‚Die Wehrmacht‘, NS-Gauverlag Tirol-Vorarlberg und Bruckmann, nach 1945 bei Schild, Pabel, Stocker, Schütz und der Verlagsgesellschaft Berg. Doch auch im FranzSchneider, Tyrolia/Athesia- und im Fischer-Kinderbuchverlag publizierte er Texte, die völkische Ideologeme transportieren. Damit trägt er zweifelsohne einen wichtigen Anteil an der weltanschaulichen Mobilisierung und auch Militarisierung der deutsch-österreichisch-südtirolischen Bevölkerung 6 Römer (2011), S. 73. 7 Mahnert (1940), S. 3.
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zwischen 1934 und 1945 und darüber hinaus. Extrakte seiner bis 1945 erschienenen Texte fanden Eingang in Schulbücher, viele standen auf offiziellen Empfehlungslisten, einzelne in Hitlers Staatskanzlei und offenbar auch im Bücherschrank auf dem Obersalzberg. Bossi und seine Texte wurden auf vielfältige Weise vom Regime gefördert. Der Autor und seine Erzeugnisse stützten es literarisch und kulturell bis in die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs hinein – und auch darüber hinaus. Sein Film, der in den letzten Kriegsmonaten wieder in die Kinos gebracht wurde, diente dazu, die Jungen und Jüngsten erneut zu agitieren, sie auf den ‚Heldentod‘ vorzubereiten und als Standschützen mit dem Volkssturm gleichzusetzen. Er hat – das stellte ein Rezensent schon 1938 dar – mit seinen Texten ein Bekenntnis abgelegt, „nicht nur für sich […], sondern für Millionen seiner engeren Volksgenossen, das Bekenntnis des Österreichers zum ewigen Deutschland“8. Sein Freund und Förderer Franz Hofer schrieb im Jahr darauf, durch Bossis schriftstellerische Arbeiten zieht sich der gleiche Leitgedanke, der auch das Glaubensbekenntnis seines Lebens und politischen Handelns ausmacht. Es ist der Kampf um die Erhaltung der deutschen Scholle des deutschen Lebensraumes, erst im engeren Rahmen der Tiroler Heimat, dann von der höheren Warte Grossdeutschlands und des deutschen Volkes gesehen, das seinen ihm gebührenden Platz unter den grossen Völkern der Erde einzunehmen und zu behaupten hat.9
Zwar sind die literarischen Texte des Autors nicht immer „ausdrücklich politisch“; in ihrer scheinbar vom Politischen losgelösten Darstellungsweise bedienten sie gleichwohl bewusst und wirkungsvoll einen ideologischen Auftrag, nämlich das „Bedürfnis der Leserinnen und Leser sowie der Parteiführung nach scheinbar unpolitischer Unterhaltungslektüre“10 zu stillen. Doch das trifft nicht auf jeden seiner Texte zu, die bis 1945 durchaus konkret fordern, sich in die Organisationen des NS-Staates einzureihen (Das Vermächtnis der letzten Tage) – und vor allem nicht, wenn man sie ideologiekritisch analysiert. Ihre überwiegend völkisch-nationalistisch-nationalsozialistische „Giftwirkung“11 verfehlten seine Texte bis und nach 1945 (die sich oft explizit an junge Menschen richten) wohl kaum, verpackt in die ‚ewige Deutschheit‘ südtirolischer Wehrbauern als völkische Wächter, in soldatische Treue Deutschstämmiger im Gegensatz zu den als Masse auftretenden Feinden und in treuen blonden 8 9 10 11
Greinz, Hugo: „Bossi-Fedrigotti“. In: Neues Wiener Tagblatt v. 04.08.1938, S. 3. Antrag Franz Hofer an Reichsminister des Innern v. 30.10.1939, BArch ZA VI 0443 A 02, Bl. 3. Entnahmen aus: Lungershausen (2017), S. 219. Klemperer (2015), S. 26 u. 110ff.
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Mädchen und Jungen, die sich gegen hässliche schwarzhaarige Ausländer anderer ‚Rassen‘ durchsetzen. Unter den Tiroler Kriegsliteraturautoren sticht er mit seiner Radikalität hervor. Eine solche „Verengung und Vereinseitigung“12 auf die angeblich übernationale Leistung der Deutschösterreicher zeigte kaum einer der anderen Autoren dieser Phase. Mit seinem breitgefächerten ideologischen Wirken, das besonders Tirol und Südtirol instrumentalisierte, hatte Bossi offenbar etwas geleistet, das Mitte der 1970er Jahre mit dem Verdienstkreuz des Landes Tirol zu würdigen war – was ein bezeichnendes Licht auf die Verantwortlichen und auch auf das politisch-historische Denken im Nachkriegsösterreich dieser Phase wirft. Seine durchweg prototypischen Figuren beleuchten die Historie nicht kritisch, sondern sie erleben sie nochmals, durchleben ungefiltert Teile der Biografie des Autors, tauchen als idealisierte, anständige, furchtlose, typischtugendhafte Helden auf, die zuletzt noch 1990 eine überkommene Weltanschauung und eine entsprechende Moral vertreten und sich dem als Schicksal deklarierten Lebenslauf beugen. Seine Figuren durchlaufen nur selten eine Entwicklung – und wenn, dann lernen sie beinah ausschließlich durch Krieg und Kampf, werden überzeugter, verbissener, höriger. Das ist die BossiFedrigotti’sche Form der Entfaltung: Indem seine Figuren kaum lernfähig sind, schwelgt er mit dem Leser in der Erinnerung an vergangene, gute Zeiten, an Aufrichtigkeit, Mut und Entschlossenheit, und will diese konservieren, wieder in die Gegenwart transportieren, will im Grunde doch eine Entwicklung, aber rückwärts. Der oft von ihm genutzte historische Rahmen des Habsburgerreiches ermöglicht es ihm, sich nicht allzu offensichtlich mit Figuren der neueren Zeitgeschichte auseinandersetzen zu müssen. Helden konnten daher ohne Weiteres dichotom anmutende Figuren sein, Adlige, Bauern, Soldaten, Offiziere, Fremde – je Ausdruck ihrer vom Autor zugeschriebenen, gesellschaftlichen Position, der sie treu bleiben und deren Verpflichtungen sie zu erfüllen haben. Solchen Figuren politische Botschaften zuzuschreiben, war weit weniger brisant, als Handelnden der deutsch-österreichischen Geschichte zwischen 1933 und 1945, auch wenn er sich gelegentlich trotzdem an diese herantraute. Doch wenn, dann waren es nicht selten Helden eines soldatischmilitaristischen Ethos’, die anständig geblieben, vom Lauf der Dinge ungerecht behandelt worden waren, denen das Schicksal einen bitteren Streich gespielt hatte, die doch letzten Endes in gutem Glauben gekämpft hatten und die ihre wertvollen Erfahrungen aus dem Krieg in die neue Zeit einbringen konnten und wollten. Der intellektuell dürftige und hinsichtlich seines Bildungsniveaus 12
Riedmann (2001), S. 227.
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wohl allenfalls als mittelmäßig einzuschätzende Autor war offenbar unfähig, sich kritisch mit der mikrokosmisch miterlebten jüngsten Geschichte und seiner eigenen Rolle, die er darin spielte, auseinanderzusetzen oder gar selbstreflexiv die eigenen weltanschaulichen Positionen zu überdenken. So verharrte Bossi in den gewohnten ideologischen Mustern der Weltwahrnehmung und projizierte deren gesellschaftlich-soziales Grundgerüst – mit Zugeständnissen an die veränderten politischen Verhältnisse versehen – auch auf die neue Zeit nach 1945. Der Literaturwissenschaftler Helmut Vallery schrieb 1983, eine wichtige Aufgabe im Hinblick auf völkisch-nationalsozialistische Erzählliteratur liege darin, die „Probleme und unbefriedigten humanen Bedürfnisse zu erforschen, die im Gefolge der modernen bürgerlichen Gesellschaft auftreten und für die diese Literatur pervertierte Lösungen anbot“13. Diese Frage stellt sich auch heute angesichts nur weniger aufgearbeiteter Biographien von Autoren, die das NS-Regime literarisch unterstützten. Sie stellt sich auch insofern, als dass Bossi Lösungen für die Bevölkerung Tirols und Südtirols anbot, reizvolle Lösungen, die der Bevölkerung Gelegenheiten boten, sich niedrigschwellig weltanschaulich zu orientieren oder umzuorientieren. Das Rezeptionsverhalten, die Verbreitung und Verkaufszahlen seiner Texte sagen daher auch etwas über die unbefriedigten Bedürfnisse (hier vor allem) der Tiroler und Südtiroler im Angesicht aktueller Herausforderungen aus. Die immer wieder – bis heute – aufkeimenden Separationsbestrebungen in Südtirol zeigen, dass eines der zentralen Motive und ungelösten Probleme der sich auf Südtirol beziehenden NS-Schriftsteller, das des Verhältnisses von Sprache, Identität und Nationalität, durchaus latent bis heute wirkt. Das Ende des NS-Systems im Mai 1945 bedeutete für Bossi offenbar keine perspektivlose Katastrophe. Zwar wurde er aus dem (nun österreichischen) Staatsdienst entlassen, doch das Netzwerk aus Altnazis in Deutschland, Österreich, Südtirol und Südamerika, aus ehemaligen Kameraden, die zu Fluchthelfern wurden, und aus schnell wieder auf ihren Dienstposten sitzenden Verantwortungsträgern, Verlagsleitern und Schriftstellerkollegen, fing ihn auf. Obwohl er offenbar einige Zeit in Kriegsgefangenschaft verbrachte – dabei einer Entnazifizierung anscheinend entging – und er zunächst unter seinem Pseudonym Toni Herbstenburger schrieb, gibt es keine Anzeichen dafür, dass Bossi zu einer kritischen Betrachtung seines Wirkens und seiner Texte Veranlassung sah. Schon bald publizierte er wieder in rechtslastigen Verlagen und in rechtsextremen Zeitschriften, produzierte glorifizierende WochenschauWehrmachtsfilme (die bis heute ohne Kommentar bei Saturn, Media-Markt 13
Vallery (1983), S. 154.
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oder im Internet zu erhalten sind – wie auch der Bruggler-Film), knüpfte an gewohnte, weltanschaulich nicht oder nur leicht angepasste Textgestaltungsmittel an und hielt Verbindungen zu gut vernetzten Männern des rechtsextremen Milieus in Deutschland und Österreich. Auch dieser Weg, zurück zu Altbekanntem, zu dem, was ihm Erfolg gebracht hatte, zeigt seine Neigung, den bequemsten und erfolgversprechendsten Weg zu wählen. Heinz Brüdigam hatte auch im Hinblick auf das Wirken Bossi-Fedrigottis recht, als er 1965 schrieb, dass so viele Hitler-Barden und ‚alte Kämpfer‘ fröhlich und unbehelligt publizieren – und sicher auch ihre Leser haben. Das können nur ein paar unheilbare Dumme sein? Vielleicht; aber leider ist Dummheit eine ansteckende Krankheit, und außerdem sind die Giftmischer von gestern nicht so ungeschickt, stets das NSDAPProgramm im Munde zu führen und Hakenkreuze aufs Titelblatt zu drucken. Sie machen sich im Gegenteil die jeweilige Konjunktur zunutze, spreizen sich unterm Deckmantel des 1945 keineswegs außer Kurs gesetzten primitiven Antikommunismus, schreiben Heimattreue und gesundes Volksempfinden, vaterbis abendländische Gesinnung auf ihre Panier. Vor allem aber schwimmen sie auf der militaristischen Woge, die uns die Wiederaufrüstung beschert hat.14
Für die Südtiroler Schriftsteller im Besonderen hielt Leopold Steurer fest, was auch für Bossi gilt und an Brüdigam anknüpft: Sie alle wurden wieder zu den gefeierten Landvermessern und Hohepriestern der ‚Südtiroler Heimat‘, von deren unvergleichlicher Schönheit und autochthonen Wurzeln, angefangen von der Darstellung der Landschaft bis zur Architektur, des Volksliedes, der Kunst und des Trachtenwesens, der Sagen und Märchen bis hin zur Literatur und zum Volkstanz – und zwar mit derselben Selbstverständlichkeit, wie sie es wenige Jahre zuvor noch unter dem ideologischen Vorzeichen und im Dienste der braunen Diktaturen gewesen waren.15
Der Südtiroler ‚Dableiber‘ Franz Thaler, der vor dem Einrücken floh und schließlich das KZ Dachau nur knapp überlebte, schrieb 1985: „In den Deutschtumsfanatikern steckt noch immer eine gute Portion Hitlergeist drinnen, der von alten Nazis, die ihre Niederlage noch nicht verdaut haben, geschürt wird“16. 14 15
16
Brüdigam (1965), S. 16, zitiert hier O. V.: „Gefahr von rechts?“ In: Mannheimer Morgen v. 15.10.1964, o. S. Steurer (2000), S. 50. Auch der Historiker Claus Conrad schrieb, das kulturelle Nachkriegsklima Südtirols war „noch stark vom ‚Blut-und-Boden‘- sowie ‚Kraft-durch-Freude‘Denken geprägt“. Das zeigt, „wie erfolgreich und nachhaltig die kulturelle Okkupation Südtirols durch den Nationalsozialismus war“. Conrad (2000), S. 232. Thaler (1999), S. 157.
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2018 bekannte der Südtiroler Moderator Markus Lanz in einer TV-Sendung, während seines Militärdienstes in der italienischen Armee (gegen Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre) als „deutscher Bastard“ bezeichnet worden zu sein. Die Stimmung sei „wirklich schwierig“ gewesen. Hier sei ihm erstmals bewusst geworden, welch große Bedeutung Sprache als bestimmendes Merkmal der eigenen Identität besitzt. Mit Heimat hätten die Südtiroler, so Reinhold Messner, „sowieso ein sehr schwieriges Verhältnis, wohlgemerkt“17. Inzwischen sei die offenkundige Feindschaft zwischen deutschsprachigen Südtirolern und Italienern aber Vergangenheit. Seit 100 Jahren wirkende Antipathien haben sich zwar nicht aufgelöst, aber gemildert. Das 2018 bekanntgegebene, wohl populistisch-strategisch angelegte Angebot aus Österreich jedoch, den Südtirolern zusätzlich einen österreichischen Pass auszustellen, hat wiederum Öl in ein Feuer gegossen, das noch immer leise schwelt.18 Gleichzeitig stellte eine Untersuchung noch 2019 fest, Südtirol habe eine „Sonderstellung […] als internationale Projektions- und Aktionsfläche für Rechtsextremisten“19. Daran haben die, die schon vor und nach 1945 vom ‚ewigen Südtiroler Deutschtum‘ kündeten, die keine Gelegenheit ausließen, ihr Land – oft zum eigenen Vorteil – auszuliefern und zu instrumentalisieren, ihren Anteil. Bossi trägt Mitverantwortung dafür, dass das Bild Südtirols in der deutschen Öffentlichkeit bis heute in weiten Teilen durch deutschtümelnde Tradition, Heimat, Heimeligkeit, gesundes Landleben und die ‚frische Bergwelt‘ geprägt ist, ein scheinbar heiles, sehnsuchtsvolles ‚deutsches Land‘, das keines ist. Noch 2017 erschien im neuesten Band des Bio-Bibliografischen Lexikons der Literatur Österreichs von Herbert Zeman ein Beitrag Anton Gallmetzers über Bossi. Der hole in seinen Erzählungen „weit aus“, bringe „gute Milieuschilderungen, d. in etwa an d. großen dt. Erzähler d. vorigen Jh. erinnern“. Die „jugendliche Frische in d. Erzählweise“ habe ihm viele, vor allem junge Leser beschert. Besonders seine historischen „Werke“ würden auch heute noch gern gelesen, bes. von Lesern, d. ausführliche Darstellungen lieben u. d. zeitbedingten Akzent in einigen seiner frühen Werke hist. einzuordnen verstehen. Eine Gesamtdarstellung u. Würdigung seines Werkes liegt noch nicht vor.20 17
18 19 20
Entnahmen aus: Reinhold Beckmann trifft Markus Lanz und Reinhold Messner v. 16.07.2018. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/Reinhold-Beckmann-trifft-Lanzund-Messner,beckmanntrifft106.html [Letzter Zugriff: 17.07.2018; inzwischen nicht mehr verfügbar]. Siehe dazu auch https://programm.ard.de/TV/ndrfernsehen/reinholdbeckmann-trifft---/eid_28226767925047 [Zugriff: 03.01.2020]. Siehe Pfeifer (2018), S. 3. Kramer/Fontó/Tröger/Volgger (2019), S. 108. Gallmetzer, Anton: „Bossi-Fedrigotti, Anton Graf v. Ochsenfeld“. In: Zeman (2017), S. 135f.
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Mit keinem Wort erwähnt Gallmetzer, der offenbar aus Südtirol stammt21, das (zumindest bereits in Ansätzen bekannte) ideologische, politische und militärische Wirken Bossis. Seinen oft völkisch-nationalsozialistisch geprägten Texten lediglich einen ‚zeitbedingten Akzent‘ zuzuweisen, dazu nur auf einige frühe Texte bezogen, darf als grobe Verharmlosung und Simplifizierung gelten, zumal es sich nicht um Akzente, sondern um Kernaussagen und Gestaltungsgrundlagen handelt. Gallmetzers apologetischer Beitrag trägt unkritisch recherchierte Einschätzungen und Kontexte in die Zukunft. Angesichts derartiger unseriöser, gleichwohl öffentlichkeitswirksamer Darstellungen und als Resultat der nun in dieser Monographie vorgelegten Erkenntnisse zeigt sich die Relevanz, die gesellschaftliche Bedeutung gründlicher bio-bibliografischer Untersuchungen zum Verhältnis von Literatur und Ideologie vor, im und nach dem ‚Dritten Reich‘. Es bleibt notwendig, Autoren, die zwischen 1933 und 1945 (und auch danach) publiziert und gewirkt haben, im Einzelfall zu betrachten und den wissenschaftlichen Diskurs hierzu auch in die Öffentlichkeit zu tragen. Eine möglichst umfassende Gesamtdarstellung und Würdigung von Person und Werk Bossis, wie Gallmetzer sie vermisst, soll hiermit vorliegen.
21
Zu Gallmetzer liegen keine gesicherten Informationen vor. Möglicherweise handelt es sich bei ihm um den Theater- und Fernsehschauspieler Anton Gallmetzer, geboren 1959 in Südtirol, der sowohl Geschichte, Germanistik als auch Philosophie in Innsbruck studierte. http://www.theaterkosmos.at/conts/10darsteller/anton_gallmetzer.htm [Zugriff: 27.09.2017].
Quellen Die Quellenlage zu Leben, Wirken und Texten Anton Graf Bossi-Fedrigottis ist bisher nicht systematisch erfasst worden. Als Hochadliger stand er schon als Kind in der Öffentlichkeit und wurde in der Presse genannt. So war es möglich, die Lebensumstände seiner Familie seit der Jugend der Eltern detailliert in den Blick zu nehmen. Besonders zu seinem Wirken ab 1926, den italienischen Wehrdienstzeiten, Flucht, Volkstumsarbeit, VDA, schriftstellerische Tätigkeit, RSK, NSDAP, SA, Kulturreferent und Zweiter Weltkrieg (AA und Wehrmacht), liegen Aktenbestände vor. Zu seinem Leben nach 1945 konnten hingegen wesentlich weniger Dokumente recherchiert werden. Als besonders ergiebig zeigten sich aber die umfangreichen und immer noch im Aufbau befindlichen Volltext-Zeitungsportale ‚ANNO‘ der Österreichischen Nationalbibliothek und ‚Teßmanndigital‘ der Südtiroler Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann. In Deutschland gestaltet sich die Suche um ein Vielfaches schwieriger. Zwar wird auch ‚digiPress‘, das Portal der Bayerischen Staatsbibliothek, immer umfangreicher, doch wenn man kostenfrei in deutschsprachigen Medien der Jahre bis 1945 (und danach) per Volltext suchen will, müssen die Portale in Österreich und Südtirol hinzugezogen werden. Bei dieser Art Forschungszugriff, der ungeahnte Details enthüllen kann – und bei der noch wesentlich mehr zu vermuten ist –, ist Deutschland noch Entwicklungsland. Wilhelm Mommsen schrieb 1926: Nichts versetzt so leicht in die Atmosphäre einer Zeit als ihre Zeitungen und nichts zeigt so gut, was die Zeitgenossen beschäftigt und hauptsächlich interessiert hat – und das sind oft andere Dinge als die, die der Nachwelt wichtig erscheinen.1
Diese Feststellung muss ergänzt werden um die Tatsache, dass Zeitungen auch zeigen, was jeweilige Machthabern vermittelt und propagiert wissen wollen und wollten. Sie entlarven je nach politischer Couleur den herrschenden Zeitgeist und verlieren dadurch gleichzeitig nicht ihre Authentizität, eher im Gegenteil. Es handelt sich dabei um äußerst erhellende Quellen – Quellen auch des Wirkens Bossi-Fedrigottis und seiner Texte.
1 Schilling (2011), Vorsatzblatt, zitiert hier: Mommsen, Wilhelm: „Die Zeitung als historische Quelle“. In: Archiv für Politik und Geschichte 6 (1926), S. 251.
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Quellen
Ein komplexer Name wie der Bossis bedingt allerdings auch intensivere Recherchen, wenn sich weder Presse, Literaturwissenschaft oder Briefpartner seinen korrekten Namen, Anton Graf Bossi-Fedrigotti (von Ochsenfeld), merken konnten: Die häufigste Verwechslung bestand noch in der Version ‚Fredigotti‘, doch es kamen auch solche Konstruktionen wie ‚Zossi-Fredigotti‘, ‚Bossi Friederipotti‘, ‚von Oxenfeld‘, ‚Bissi Fedrigotti‘, ‚Fredegott‘ oder ‚BossiFridigotti‘ vor.2 Die Volltext-Onlinesuche gestaltete sich zeitintensiv. Eine breite Quellenbasis ist für den Biographen zwar wünschenswert, doch wirft auch die Frage der Auswahl auf. Die Formulierung Rolf Düsterbergs in seiner Biografie Hanns Johsts gilt auch hier: Die Lebensdarstellung eines Menschen, wie sie hier versucht wurde, hat in gewisser Weise immer kursorischen Charakter, und angesichts der Fülle der Details sollte der Biograph niemals den Zusammenhang eines gelebten, d.h. sich entwickelnden, in Kontexten handelnden Lebens, die Metaebene der Betrachtung verlieren. Das setzt aus praktischen Notwendigkeiten Beschränkung voraus; nicht jeden Einzelheit, nicht jeder aus den Dokumenten rekonstruierbare Persönlichkeitsausdruck oder Handlungszusammenhang kann berücksichtigt werden. In der zwingend vorzunehmenden Auswahl liegt ohne Zweifel ein subjektives Moment, dem der Biograph aber nicht entrinnen kann. […] In den meisten Fällen ist es aber das Material selbst, das die Entscheidung problemlos macht.3
Auch diese literaturpolitische Biografie kann nicht vollumfänglich und endgültig sein. Doch leistet sie einen breiten und detaillierten Blick in Leben, Wirken und Texte Bossi-Fedrigottis, aber auch in sein Umfeld, auf Weggefährten, in Organisationen und Regionen. Dass viele Seilschaften erwähnt und personelle Verstrebungen beleuchtet werden, soll dazu dienen, Anlass und Hilfen zu vertieften Forschungen zu geben. Bei den aufgeführten Quellen handelt es sich um eine Gesamtübersicht aller hinzugezogener Dokumente. Die Bossi unmittelbar betreffenden Bestände und Bände sind hervorgehoben.
2 Siehe zu diesen Verwechslungen: O. V.: „‚Standschütze Bruggler‘“. In: Danziger Neueste Nachrichten v. 14.09.1936, o. S., Deutsche Botschaft Paris an v. Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 16.07.1940, el [unbekannt]: „‚Standschütze Bruggler‘“. In: Mitteldeutsche National-Zeitung v. 27.09.1936, o. S., u. „Obergruppenbefehl Nr. 15“ v. 14.03.1934. BArch R 187/415. 3 Düsterberg (2004), S. 401.
597
Quellen
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Deutschland
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NS 19
NS 23
NS 43 R6 R 43-I R 43-II
Parteistatistische Erhebung BFs 1939, NSDAPGaukartei, Mitgliederkartei RKK. Partei-Kanzlei der NSDAP, Überführung Tiroler Standschützen in NS-Formationen: 634. Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP: 2, 38, 69, 85 (Akten der NS-Kulturgemeinde, Dichterlesungen BFs zwischen 1935 u. 1938, 6. Berliner Dichterwoche), 112, 128, 137, 144, 151, 161, 162, 164, 169, 316, 333, 409, 415. Persönlicher Stab Reichsführer-SS: 872, 1618, 1627 (Politische Berichterstattung über die Sowjetunion, BFs Bericht über die ‚Kampfgruppe Kaminski‘), 1747, 1792, 1793, 1794, 2070, 2254, 2813, 3117, 3486, 3866, 3885. Sturmabteilungen der NSDAP, SA in Berlin u. Österreich, Hilfswerk Nordwest: 167, 209, 210, 212, 440, 441, 442, 499, 515, 659, 678, 679, 892, 903, 916, 1018, 1019, 1021, 1041, 1070, 1071, 1083, 1084. Außenpolitisches Amt der NSDAP, Entstehung und Personal APA: 22, 23, 24, 49, 144, 387, 424. Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete: 18, 634. Reichskanzlei: 82. Neue Reichskanzlei: 1449.
598 R 49 R 55
R 56-I
R 56-V R 9361-II/102614 R 9361-V/14885 ZA VI 0443 A 02
R 59 R 186 R 8056
Quellen Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, Südtirol: 2077-2102. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda: 82, 83, 620, 1209, 1210, 1211, 1212, 1367, 20625, 20626, 20762, 21030, 21044, 21373, 21904, 24435. Reichskulturkammer, Korrespondenz: 70, 77, 82 (Anliegen BFs als Stabsoffizier für Propaganda in Italien), 83, 84, 85, 104, 105, 114, 119, 204, 252, 260, 147. RSK: 28, 31, 53, 1287 (RSK Tirol-Vorarlberg, Dokumente zu BFs Ernennung zum Landesleiter usw.). Parteikorrespondenz BF mit NSDAP, SA usw., ca. 200 Blatt. Personalakte BF aus der Reichskulturkammer, ca. 50 Blatt. Personalakte BF aus dem Reichsministerium des Innern, Anstellung als Kulturreferent, Ernennung zum Oberregierungsrat, ca. 100 Blatt. Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi). Sammlung Volkstum und Umsiedlung, Südtiroler ‚Option‘: 1, 2, 4, 33, 34, 36. Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA).
Bundesarchiv Militärarchiv, Freiburg RH 19-VIII Oberkommando Heeresgruppe Afrika: 91, 101, 242, 243. RH 19-X Oberbefehlshaber Süd / Stab Oberbefehlshaber Südwest / Heeresgruppe C: 4, 11, 12, 13, 20-29, 70, 73, 74, 81, 82, 84, 91, 119, 128, 135, 139, 140. RH 20-2 Kriegstagebücher u. Ic-Tätigkeitsaufzeichnungen 2. Armee / AOK 2. BF wird regelmäßig genannt. Auch finden sich hier Ic-Frontmeldungen von ihm. Ausgewertet in RH 20-2: 997-1001, 1018a-1050, 1077-1079, 10831088, 1090-1129, 1150-1153, 1176, 1244-1247, 1274, 1275, 1308, 1445, 1775. RH 21-2 2. Panzerarmee, AOK 2: 638, 718. RH 21-5 5. Panzerarmee, PzAOK 5 (Tunis): 1, 13, 18-23. RH 24-3 III. Armeekorps, Abteilung Ia: 31. RH 45 Propagandatruppen des Heeres: 1-3, 35, 82. RH 53-18 Wehrkreiskommando XVIII (Salzburg): 1, 113, 115. RW 4 Oberkommando der Wehrmacht, Wehrmachtführungsstab, Abteilung für Wehrmachtpropaganda (WPr.): 19, 153, 164-166, 238, 240, 242, 286, 309, 350, 356, 362, 796K.
Quellen RW 5
RW 14
RW 15 RW 35
RW 59
Bundesarchiv Koblenz (BArch) N 1184
599 Oberkommando der Wehrmacht, Wehrmachtführungsstab, Abteilung für Wehrmachtpropaganda (WPr.): 240. Wehrersatzinspektionen der Wehrmacht: 26, 127 (Reserveoffiziere, Wehrbezirkskommando Innsbruck). Wehrbezirkskommandos: 429, 456 (Wehrkreis Innsbruck). Der Militärbefehlshaber in Frankreich: 1, 4, 5, 35, 36, 86, 94 (Entstehung von Rahns Dienststelle, in der BF arbeitete), 109-113, 115, 215, 237, 238, 242, 286, 302, 360, 362-364, 482. Personalverwaltende Stellen der Wehrmacht: Karteikarte Graf Bossi-Fedrigotti, ‚Verliehene Orden‘.
Nachlass Hans Steinacher: 45 (Korrespondenz Felix Kraus u. Hans Steinacher, u. a. über BF).
Bundesarchiv Ludwigsburg (BArch) B 162 Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen für die Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Ermittlungsakten zur Weitergabe des Kommissarbefehls beim AOK 2 u. zur Brigade Kaminski. Akten: 3324, 19853, 28356 (Verfügung zur Einstellung des Vorermittlungsverfahrens), 28357 (Vernehmung Paul Fritsche), 28358, 28359. VI 319 AR 187/72 Personenkarteikarte Bossi-Fedrigotti Deutsche Dienststelle (WASt) Personenkartei / Wehrmachtsschriftgut Anton Graf Bossi-Fedrigotti, darin Dienstzeiten 1939-1945, Auszeichnungen u. Kriegsgefangenenentschädigungsantrag v. 1957. Deutsches Literaturarchiv, Marbach (DLA) HS004806249, HS004795898 Kurze Korrespondenz BFs mit Paul Alverdes (Certus-Film, München), 1953/1954.
600
Quellen
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Akte mit Schriftwechsel zu Einbürgerung BFs, Korrespondenzen zur Berechtigung zur Führung des Adelstitels, Arbeitsbestätigung bei Rudolf Mosse, usw., ca. 100 Blatt.
Münchner Stadtbibliothek ‚Monacensia‘ Brief BF an Hermann Sauter, Münchner Kulturamt, v. 20.05.1938. Politisches Archiv des Auswärtiges Amtes (PA AA) R 27555 Sonderkommando Künsberg u. dessen Einsatzkommando Nürnberg. R 27651 Darin: Vortragsnotiz Luther für Ribbentrop v. 08.09.1942, in der BF erwähnt wird. R 60702-60714 Informationsabteilung des AA, Akten BFs als VAA, Berichte, Anlagen, Fernschreiben usw. (einige tausend Blatt). R 60850a Akten BFs als VAA, sowjetische Flugblätter, Frontzeitungen usw. R 60771 Liste VAA / Verbindungsoffiziere. R 60896 Berichte BFs als VAA. R 60897 Fernschreiben BFs als VAA. R 105192 Berichte verschiedener VAAs. R 102978 Darin: Notiz Rudolf Rahn aus Tunis v. 14.05.1943. Paris Deutsche Botschaft Paris: 1101a-1101c (BF Gast bei Abendgesellschaften, Sitzordnungen), 1244, 1293, 1321, 1361, 1377 (BFs vorübergehende Beschäftigung als Referatsleiter), 2402 (darin auch: Liste der VAAs), 2403. Personalakt, Nr. 001564 Personalakte BFs beim AA (Teil 1), 15 Blatt.
601
Quellen Personalakt, Nr. 001565 Wien geheim 54 Staatsarchiv München SpKa Karton 205
2.
Persönliche Geldangelegenheiten BFs (Besoldung beim AA usw.). Akten der Deutschen Botschaft in Wien, 1930er-Jahre.
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Italien
Schularchiv des Klosters Neustift, Brixen Hauptkataloge u. Klassenkataloge des Stifts-Gymnasiums Brixen, 1918-20 Staatsarchiv Bozen Militärmatrikelblätter
Südtiroler Landesarchiv UfS (Union für Südtirol)
Geburtsjahrgang 1901, Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio. Italienische Militärpersonalakte BFs, ca. 70 Blatt.
Nr. 48. Konvolut zum Andreas-Hofer-Bund, darin Gedächtnisprotokoll BFs zum Treffen mit Hitler 1932.
Archivio centrale dello Stato (Zentrales ital. Staatsarchiv Rom) Ministero dell’Interno, Direzione Generale della Pubblica Sicurezza, Divisione Polizia Politica, Fascicoli personali, busta 176, fascicolo „Bossi Fedrigotti Antonio“ (Italienisches Innenministerium, Direktion für die öffentliche Sicherheit, Akte der politischen Polizei zu BF, 1931-1937) Archiv des Päpstlichen Instituts Santa Maria dell’ Anima, Rom Hudal Nachlass K, Box 40, Dokument Nr. 284: Brief BF an Hudal v. 21.07.1949
3.
Österreich
Archiv der Diözese Innsbruck Taufbuch XIV., fol. 27, RZ 190 Taufeintrag Anton Graf Bossi-Fedrigotti.
602
Quellen
Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA) AdR, 02/BKA/SR Archiv der Republik, Bundeskriminalamt, Staatspolizeiliches Bureau, Akten zu Verboten von Büchern BFs in Österreich u. zu seinen NS- u. SA-Tätigkeiten: Zl. 261.626-St.B./193422/in genere, Zl. 310.761-St.B./1937-16/2, Zl. 317.924-St.B./1937-16/2, Zl. 339.858-St.B./1934-22/ in genere, Zl. 362.841-St.B./1935-22/in genere, Zl. 380.017-St.B./1935-22/in genere. Stadtarchiv Feldkirch VOR 525 ERZ 581 STELL *VER*: Stella Matutina, Schülerverzeichnis 106-1956, Nennung BFs unter Nr. 832. Jahresberichte der Stella Matutina, 1911-1918. Stadtarchiv Kufstein Gemeinderatsprotokolle 1941-1945, RA 76, Kaufvertrag Gut March an BF, Zusammenstellung zum Gut March, Abteilung IX Forst- und Güterverwaltung, Zl. 861/3, Gut March, Akten 1939 bis 19.12.1950. Tiroler Landesarchiv (TLA), Innsbruck TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Hierbei handelt es sich um die Personalakte mit Dokumenten v. a. zu BFs Dienst als Kulturreferent bei Gauleiter Hofer, ca. 100 Blatt. Tiroler Landesbibliothek Ferdinandeum, Innsbruck Handkartei Bossi-Fedrigotti, Anton (über 100 Karteien mit Nachweisen, wo BF genannt wird), außerdem umfangreiche Zeitungsbestände zu BF, ‚Archivio‘ der Familie Bossi-Fedrigotti (Sacco, Rovereto). Universität Innsbruck, Forschungsinstitut Brenner-Archiv Nachlass Alfred Strobel, Sig. 121-1-19, Nr. 01, hierin Kurzbiografie u. Korrespondenz. Vorarlberger Landesarchiv (VLA) Landesschulrat für Vorarlberg Hauptkatalog Privatgymnasium Stella Matutina in Feldkirch 1916.
Quellen
4.
603
Russland
Sonderarchiv Moskau (RGVA) Fond 500 (RSHA) Opis 25, Akte 1, „Merkblatt für die Führer der Einsatzgruppen und -kommandos der Sicherheitspolizei und des SD“, 1941. Fond 519 (NSDAP) Opis 4, Akte 26, Korrespondenzen APA. Opis 4, Akte 41, APA, Einladungsliste zu einem Empfangsabend, Auflistung BFs, 1935. Opis 5, Akte 40, Tätigkeitsberichte APA. Fond 1275 (HA Potsdam) Opis 5, Akte 422, Unterlagen des ehemaligen Heeresarchivs Potsdam, Dokumente zur Abteilung Wehrmachtpropaganda (WPr.) im OKW. Opis 2, Akte 329, Beschreibung „Die Schlachten der 2. Armee 1942-1944“ (Verf. unbekannt). Fond 1355 (Kanzlei Hitlers) Opis 4, Akte 47, „Katalog der Bücherei der Kanzlei des Führers der NSDAP“, darin Nennung BFs. Fond 1357 (AA) Opis 2, Akte 11, Korrespondenz Kurt Schuschnigg u. Anton von Mörl, 1938. Fond 1363 (RMVP) Opis 6, Akte 15, Empfang bei Goebbels 1937 für „grenz- und auslandsdeutsche Dichter“, Erwähnung BFs. Opis 5, Akte 7, Auszüge Brief Bronislaw Kaminski an Hitler.
5.
Schweiz
Archiv der Schweizer Jesuitenprovinz, Zürich Archiv Stella Matutina Schachtel 44 (Internat, Schülerverzeichnisse), hierin Nennung BFs als Schüler.
6.
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604
Quellen
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e)
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Abbildungsverzeichnis Abb. Titel
Quelle
1
Tyroff, Johann Andreas (Hg.): Wappenbuch des höheren Adels der deutschen Bundesstaaten. Bd. 6. Nürnberg: O. V. 1852, S. 19.
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6
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9
10
Gräfliches erweitertes Wappen der Familie BossiFedrigotti. Der Wahlspruch lautet ‚virtute et prudentia‘. Die Herbstenburg in Toblach. ‚Antonio Bossi-Fedrigotti‘ als italienischer Bersaglieri-Soldat.
Foto: CP.
„Note caratteristiche 4. Regg[imen]to Bersaglieri Anno 1927“ (Personaldatenblatt) v. September 1927. „Ufficiali in Congedo. Libretto Personale dell’ Ufficiale Bossi Fedrigotti, Antonio“. Staatsarchiv Bozen, Militärmatrikelblätter, Geburtsjahrgang 1901. Passbild aus dem österÖsterreichischer Identitäts- und Reiseausreichischen Identitäts- und weis BFs, S. 4ff., Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Reiseausweis. Rep. 030-06, Nr. 9857, S. 12ff. „Die Zerreißung Tirols“. Eine Steininger (2004), S. 266. populäre Darstellung nach 1918/19. Liselotte Bruder-Splittgerber, Personalausweis Liselotte Gräfin Bossidie spätere Gräfin Bossi. Fedrigottis, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-06, Nr. 9857. Die frisch vermählte Gräfin O. V.: „Eine Frau karikiert Berliner SchauBossi-Fedrigotti. spieler“. In: DAS MAGAZIN 9 (1932), H. 98, S. 46-48. Foto auf S. 46. Südtirol spielte eine wichtige Reichstagswahl 1932, Wahlplakat der SPD. BArch Bildarchiv, Plak. 002-020-098. Rolle im Reichstagswahlkampf 1932. Bossi trifft Goebbels im Zuge Süddeutsche Zeitung Photo. Mediennummer der Berliner Dichterwoche 00144526. 1937. Hahn-Butry (1938), nach S. 62. Bossi als SAObersturmführer der Österreichischen Legion.
660
Abbildungsverzeichnis
Abb. Titel
Quelle
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Foto aus dem Stadtarchiv Innsbruck. Zur Verfügung gestellt von Markus Wilhelm.
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18
‚Schrifttum der Jugend‘ bei der ‚Ersten Großdeutschen Buchwoche‘ in Innsbruck 1938. Bossis Andreas Hofer, präsentiert auf dem Büchertisch. Mitte 1939: Bossi-Fedrigotti als Wehrmachtsoffizier. Befragung der Bevölkerung: Wahrscheinlich sind hier Bossi und sein Dolmetscher Kerstens zu sehen. Die Route des AOK 2 und die des SK 7b des SD glich sich im Osten weitgehend. Blaue Tropfen zeigen Standorte des AOK, grüne hingegen gemeinsame Standorte, die Flaggen Orte, an denen das Sonderkommando Erschießungen durchführte. Himmler zeichnete Bossis Bericht über die Gruppe Kaminski persönlich ab. ‚Beiderseits der Rollbahn‘ – Filmische Nachkriegspropaganda. ‚So war der deutsche Landser‘ – Massenwirksame Heroisierung des Krieges.
Ausschnitt aus Abbildung 11.
Personalakte Bossi-Fedrigottis, TLA, ATLReg., Präs. I, Personalakt 2323 Bossi-Fedrigotti, Anton. Fotografiert aus Akte, Fotos und BFs Befragungsberichte in PA AA, R 60705.
Google Maps. https://www.google.com/ permissions/geoguidelines/ (letztes Zugriffsdatum: 02.02.2021).
Vorsatzblatt zu BFs Bericht Nr. 5. BArch NS 19/1627, Bl. 12. Das Filmplakat stammt aus: http://www. filmposter-archiv.de/filmplakat.php?id=4990 (letztes Zugriffsdatum: 27.07.2019). Die Abbildung des Filmplakats stammt aus der Internet Movie Database (IMDB): https://www.imdb.com/title/tt0166807/ mediaviewer/rm3856470528 (letztes Zugriffsdatum: 07.04.2019).
661
Abbildungsverzeichnis
Abb. Titel
Quelle
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Cover von Bossis ‚Landser‘ Totenbunker 403 von 2006.
20
Bossis ‚Landser‘ 2014 in neuem Mantel und mit anderem Titel.
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Kriegsberichte in Erlebnishefte gegossen: ‚Landser‘Großband Bossis. Die heroisch kämpfende Wehrmacht, dargestellt auf Bossis ‚Landser‘-Cover. Der modische Zeitgeist der 1950er Jahre zeigte sich auch in der Covergestaltung. Das Cover von Drei treue Freundinnen in modernisiertem Design. Cover der Tirol bleibt TirolAusgabe von 1935.
Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Totenbunker 403. Der Landser Nr. 2525. Rastatt (Baden): Pabel 2006, Coverbild. Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Das Rätsel um Bunker 403. Weltkrieg. ErlebnisberichteOriginalband Nr. 3. Samen (Schweiz): Mediavari 2014, Coverbild. Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Reims, im Handstreich genommen. Landser-Großband Nr. 18. Rastatt (Baden): Pabel 1958, Coverbild. Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Woronesch war ihr Schicksal. Landser-Kleinband Nr. 18. Rastatt (Baden): Pabel 1958, Coverbild. Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Drei Freundinnen aus Berlin. Göttingen: Fischer 1958, Coverbild.
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Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Drei treue Freundinnen. Göttingen: Fischer 1968, Coverbild. Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Tirol bleibt Tirol. Der tausendjährige Befreiungskampf eines Volkes. München: Bruckmann 1935, Coverbild. Bossi-Fedrigotti, Anton Graf: Tirol bleibt Tirol. Der tausendjährige Befreiungskampf eines Volkes. Nürnberg: Buchdienst Südtirol P. Kienesberger 1983, Coverbild. Schutzumschlag Abschied vom Doppeladler (1990).
Das Cover der Neuauflage: Der Adler ist – historisierend – erhalten geblieben. Der Autor – inzwischen 85 Jahre alt – mit seiner neuesten Erscheinung 1986. https://www.wintersonnenwende.com/ Auf einer verschwörungstheoretischen Website findet scriptorium/deutsch/archiv/blutweg/ob00.html sich Bossis Österreichs Blut- (letztes Zugriffsdatum: 27.07.2019). weg (1939) als pdf-Datei.
Abkürzungsverzeichnis AA Abt. Ic Abt. Pro. ACSP ADAP AGSSt AHB AO AOK APA AS DAG DSB DSS Dulag Ebd. Entnahmen aus: Fn. GdFS GFP HPM HRRDN HSSPF HWNW k.k. / k.u.k.
Korück MGM
Auswärtiges Amt Abteilung im Armeeoberkommando für Feindnachrichten, Spionage, Truppenbetreuung usw. Abteilung Propaganda im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Archiv für christlich-soziale Politik (Archiv der Hanns-Seidel-Stiftung) Akten zur deutschen auswärtigen Politik. Hg. v. AA. Siehe Literaturverzeichnis. Armee-Gefangenen-Sammelstelle Andreas-Hofer-Bund für Tirol Abwehroffizier Armeeoberkommando Außenpolitisches Amt der NSDAP Arbeitsstelle für Südtirol Deutsche Adelsgenossenschaft Deutscher Schutzbund Deutscher Schulverein Südmark Durchgangslager Der Beleg bezieht sich immer auf den ersten Text / die erste Quelle in der vorherigen Fußnote. Diese und die direkten Übernahmen unmittelbar davor stammen aus diesem Text / dieser Quelle. Fußnote Gesellschaft der Freunde Südtirols Geheime Feldpolizei Historisch-Politische Mitteilungen (KAS) Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation Höherer SS- und Polizeiführer Hilfswerk Nordwest der SA (Tarnname der österreichischen Legion der SA) k.k., kaiserlich-königlich, bezeichnete die staatlichen Behörden in der westlichen Reichshälfte Österreichs (im Gegensatz zur östlichen ungarischen Hälfte). K.u.k., kaiserlich und königlich, bezeichnet hingegen Behörden der gesamten Monarchie. Kommandant rückwärtiges Armeegebiet Militärgeschichtliche Mitteilungen
664 MGZ MR NARA NSKOV NSLB OB o. D. Oflag OKH OKW OKW/WPr. ORR O. V. ÖZP O7 PK RAM REM RFK RGVA RKK RMF RMI RMVP ROI RP RPA RSHA RSK SBZ Stalag St.O.Prop. / StOProp. SV T-V VAA VB VDA
Abkürzungsverzeichnis Militärgeschichtliche Zeitschrift Ministerialrat National Archives and Records Administration (Nationalarchiv / Staatsarchiv USA) Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung Nationalsozialistischer Lehrerbund Oberbefehlshaber Ohne Datum Offizierlager Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Abteilung Wehrmachtpropaganda im OKW Oberregierungsrat Ohne Verfasser / Verfasser unbekannt Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 7. Ordonnanzoffizier der Abt. Ic des AOK 2 Propagandakompanie Reichaußenminister Reichministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsfilmkammer Russisches Staatliches Militärarchiv Reichskulturkammer Reichsministerium der Finanzen Reichsministerium des Innern Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Regierungsoberinspektor Regierungspräsident Reichspropagandaamt Reichssicherheitshauptamt Reichsschrifttumskammer Sowjetische Besatzungszone Stammlager Stabsoffizier für Propaganda Südtiroler Volksschutz (Gau) Tirol-Vorarlberg Vertreter des Auswärtigen Amtes Völkischer Beobachter Verein für das Deutschtum im Ausland (ab 1933: Volksbund für das Deutschtum im Ausland)
Abkürzungsverzeichnis VfZ VKS VLR VO WBK ZfG
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Völkischer Kampfring Südtirols Vortragender Legationsrat Verbindungsoffizier Wehrbezirkskommando Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
665
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis (geordnet nach Erscheinungsjahr)
1.
Selbstständige Publikationen
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668
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Woronesch war ihr Schicksal. Rastatt (Baden): Pabel 1958 (Der Landser, Kleinband Nr. 18). Reims, im Handstreich genommen. Rastatt (Baden): Pabel 1958 (Der Landser, Großband Nr. 18). Lotti geht nicht zum Film. Göttingen: Fischer 1958 (Göttinger Jugend-Bände, Bd. 800). Mannequin auf Probe. Göttingen: Fischer 1958 (Göttinger Jugend-Bände, Bd. 801). Margot zwischen Licht und Schatten. Göttingen: Fischer 1958 (Göttinger Jugend-Bände, Bd. 802). Drei Freundinnen aus Berlin. Göttingen: Fischer 1958. (Göttinger Jugend-Bände, Bd. 428). Andreas Hofer. Göttingen: Fischer 1959 (Göttinger Jugend-Bände, Bd. 260). Der Befehl zum Verrat. Über Grenzen, Fronten und Zeiten. Rastatt (Baden): Pabel 1960. Marietta fliegt ins Abenteuer. Göttingen: Fischer 1961 (Göttinger Jugendbücher). Marietta und ihre Freundinnen. Göttingen: Fischer 1961 (Göttinger Jugendbücher). Marietta auf dem Vulkan. Göttingen: Fischer 1961 (Göttinger Jugendbücher). Marietta auf der Sonneninsel Ischia. Göttingen: Fischer 1961 (Göttinger Jugendbücher). Totenbunker 403. Rastatt (Baden): Pabel 1962 (Der Landser, Nr. 237). Soldat zwischen Befehl und Gewissen. Rastatt (Baden): Pabel 1963 (Pabel-Taschenbuch, Bd. 107). Das Mädchen Sandra. Göttingen: Fischer 1964 (Göttinger Jugendbücher). Vinschgau. Volk und Land am Ursprung der Etsch. Eine Wanderung vom Reschen bis Meran. Bozen: Athesia 1966 (Südtiroler Landeskunde in Einzelbänden, Bd. 1). Pustertal. Volk und Land um Rienz und Ahr. Wanderung vom Haunold bis zur Mühlbacher Klause. Bozen: Athesia 1967 (Südtiroler Landeskunde in Einzelbänden, Bd. 2). Nur Mut, Margot. Göttingen: Fischer 1968 (Göttinger Jugendbücher). Lotti will hoch hinaus. Göttingen: Fischer 1968 (Göttinger Jugendbücher). Ein Mädel mit Talent. Göttingen: Fischer 1968 (Göttinger Jugendbücher). Drei treue Freundinnen. Göttingen: Fischer 1968 (Göttinger Jugendbücher). Bleib im Sattel, Gundi. Göttingen: Fischer 1971 (Göttinger Jugendbücher). Die goldgestickte Kokarde. Graz: Stocker 1973. Dorit und Werner. Göttingen: Fischer 1974 (Göttinger Jugendbücher). Kampf ums Matterhorn. Göttingen: Fischer 1974 (Göttinger Jugendbücher). Sieg am Matterhorn. Göttingen: Fischer 1974 (Göttinger Fischer-Buch). ‚Ade mein Land Tirol …!‘ Andreas Hofer, Kampf und Schicksal. München: Schild 1975. Kaiserjäger – Ruhm und Ende. Nach dem Kriegstagebuch des Oberst von Cordier. Graz: Stocker 1977. Kaiser Franz Joseph I. und seine Zeit. Zürich: Ringier 1978. Col di Lana. Kalvarienberg dreier Heere. München: Schild 1979. Heimkehr in den Untergang. Ein Roman vom Ende der Donaumonarchie. Graz: Stocker 1981.
Unselbstständige Publikationen
669
Hanni ist ein Naturtalent. Remseck u. Göttingen: Fischer 1981 (Göttinger Fischer-Buch). Hanni vertraut ihrem Hanko. Remseck u. Göttingen: Fischer 1981 (Göttinger Fischer-Buch). Gundi macht große Sprünge. Remseck u. Göttingen: Fischer 1981 (Göttinger Fischer-Buch). Ende gut – alles gut! Göttingen: Fischer 1984 (Göttinger Fischer-Buch). Jahre der Hoffnung. Roman um die burgenländische Passion. Graz: Stocker 1984. Dolomitensaga. Wien u. München: Amalthea 1986. Kadetten. Aus 300 Jahren deutscher Kadettenkorps. Bd. 2. München: Schild 1989. Aufgesessen, Gundi! Remseck u. Göttingen: Fischer 1989 (Göttinger Fischer-Buch). Abschied vom Doppeladler. Als Österreicher im ewigen Eis und vor Verdun 1915-1918. Ein Roman nach Tatsachenberichten. Berg am See: Verlagsgesellschaft Berg 1990. Hanni und ihre Freunde. Remseck u. Göttingen: Fischer 1991 (Göttinger Fischer-Buch). Die Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg. Graz: Ares 2009. Das Rätsel um Bunker 403. Samen (Schweiz): Mediavari 2014 (Weltkrieg-Erlebnisberichte, Bd. 3).
2.
Unselbstständige Publikationen
2.1
Aufsätze und Beiträge
„Monte Piano“. In: Deutsche Alpenzeitung 17 (1921), S. 262-264. „Wenn das Telephonfräulein …“. In: Revue des Monats 6 (1931/1932), H. 2, S. 63-65. „Der Schießteufel. Eine Erzählung aus den Kämpfen der Tiroler Standschützen in den Dolomiten“. In: Deutsche Welt 8 (1931), S. 980-985. „Die Südtiroler im italienischen Heer“. In: Südtiroler Jahrbuch 1932, S. 61-63. „Warum Italien Deutsch-Südtirol niemals entnationalisieren wird“. In: Südtiroler Jahrbuch 1932, S. 71-73. „Die Standschützen. Das Volksaufgebot gegen Italien“. In: Volk und Reich 11 (1935), H. 5, S. 346-354. „Das Bauernmädel aus Buchenstein“. In: Reichsjugendführung der NSDAP (Hg.): Führerinnenblätter Bund Deutscher Mädel. Ausgabe BDM. Berlin: Eigenverl. 1936, S. 13-16. „Der Oberleutnant Torquati“. In: Hahn-Butry, Jürgen (Hg.): Die Mannschaft. Frontsoldaten wollen Frieden. Berlin: Safari 1937, S. 81-100. „Wir kommen, Kameraden [Feuilletonroman/Vorabdruck]“. In: Die Wehrmacht 1 (1937), H. 27, S. 19-27. „Die Hoch- und Deutschmeister“. In: Die Wehrmacht 3 (1938), H. 7, S. 8f. „Die Kaiserjäger“. In: Deutsche Kriegsopferversorgung. National-Sozialistische Monatsschrift, Organ der National-Sozialistischen Kriegsopferversorgung e.V. 6 (1938), H. 8, o. S.
670
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
„Die Tat des Führers“. In: Kuratorium Deutscher Wille (Hg.): Deutscher Wille. Aufbau und Wehr. Jahrbuch 1938. Berlin: Verl. ‚Deutscher Wille‘, S. 2. „Standschützen“. In: Kindermann, Heinz (Hg.): Rufe über Grenzen. Antlitz und Lebensraum der Grenz- und Auslandsdeutschen in ihrer Dichtung. Berlin: Junge Generation 1938, S. 720-723. „Standschützen“. In: Ziesel, Kurt (Hg.): Stimmen der Ostmark. Eine Feierabendfolge. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1938, S. 14-17. „Standschütze Hans Fuchs“. In: Hahn-Butry, Jürgen (Hg.): Die Mannschaft. Frontsoldaten erzählen vom Frontalltag. Bd. 3. Berlin u. Dresden: Limpert 1938, S. 62-75. „‚Ablösung‘“ [aus: Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana (1934)]. In: Grötz, Alfred (Hg.): Saat in der Zeit. Ein Lesewerk für höhere Schulen ( für Jungen). Düsseldorf: Schwann 1939, o. S. „Andreas Hofer“. In: Die Pause. Deutsche Kulturzeitschrift 4/5 (1939), S. 129. „Das Bauernmädel aus Buchenstein“. In: Förster, Hedwig (Hg.): Deutsches Lesebuch für Mädchen. Bd. 2. Frankfurt a/M: Diesterweg 1939, o. S. „Der kleine Standschütz“. In: Förster, Hedwig (Hg.): Deutsches Lesebuch für Mädchen. Bd. 4. Frankfurt a/M: Diesterweg 1939, o. S. „Der kleine Standschütz“. In: Meinshausen, Hans u. Leip, Friedrich: Deutsches Lesebuch für Jungen. Bd. 4. Frankfurt a/M: Diesterweg 1939, o. S. „Der kleine Standschütz“. In: Sablotny, Ewald u. Schmudde, Adalbert (Hg.): Ewiges Volk. Ein Lesebuch für höhere Schulen. Bd. 1. Leipzig: Quelle & Meyer 1939, o. S. „Die beiden Ausreißer“. In: Kallbach, Wilhelm (Hg.): Deutsches Lesebuch für höhere Schulen. Ausg. für Jungen. Bd. 4. Berlin: Weidmann 1939, o. S. „Die beiden Ausreißer“. In: Kallbach, Wilhelm (Hg.): Deutsches Lesebuch für höhere Schulen. Ausg. für Mädchen. Bd. 4. Berlin: Weidmann 1939, o. S. „Lawinen“ [aus: Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana (1934)]. In: Eilemann, Johannes (Hg.): Hirts Deutsches Lesebuch. Ausg. A: Für Jungen. Breslau: Hirt 1939, o. S. „Prinz Eugenius vor Belgrad“. In: Rainalter, Erwin H. (Hg.): Der große Bogen. Junge deutsche Dichtung aus den Donau- und Alpenländern. Berlin u. München: Andermann (1939), S. 87-114. „Standschützen“. In: Kindermann, Heinz (Hg.): Heimkehr ins Reich. Großdeutsche Dichtung aus Ostmark und Sudetenland. 1866-1938. Leipzig: Reclam 1939, S. 29-33 (Pol. Dichtung, Bd. 10). „Das Heldenlied vom Col di Lana“. In: Ziesel, Kurt (Hg.): Krieg und Dichtung. Soldaten werden Dichter – Dichter werden Soldaten. Ein Volksbuch. Wien u. Leipzig: Luser 1940, S. 59-63. „Die alte Fahne“. In: Ziesel, Kurt (Hg.) Krieg und Dichtung. Soldaten werden Dichter – Dichter werden Soldaten. Ein Volksbuch. Wien u. Leipzig: Luser 1940, S. 63-70. „Prinz Eugenius vor Belgrad“. In: Rainalter, Erwin H. (Hg.): Die Ostmark erzählt. Ein Sammelbuch junger deutscher Dichtung. Berlin u. München: Andermann 1940, S. 87-114.
Unselbstständige Publikationen
671
„Stets Kamerad unter Kämpfern“. In: Schremmer, Ernst (Hg.): Buch des Dankes: Bruno Brehm zum fünfzigsten Geburtstag. Karlsbad u. Leipzig: Kraft 1942, S. 329-332. „Alles andere als romantisch“. In: DER SPIEGEL v. 23.04.1949, S. 12f. „Die Sehnsucht nach Gott“. In: Der Weg. Monatshefte zur Kulturpflege und zum Aufbau 4 (1950), H. 8, S. 703-706. „Das Spiel der Vera Anastasia“. In: Illustrierter Bozner Haus-Kalender 99 (1952), S. 116-122. „Die Südtiroler Soldaten“. In: Zeitschrift für Geopolitik 23 (1952), S. 423-424. „Der Triumphzug der Kaiserin“. In: Südtiroler Künstlerbund (Hg.): Südtiroler Jahrbuch für Schrifttum und Graphik 1954. Bozen: Athesia 1954, S. 13-17. „Nach Tiroler Standschützenmuster“. In: Der Frontsoldat erzählt 19 (1955), H. 7, S. 216-217. „Lob des Hochpustertales“. In: Wort in der Zeit: österreichische Literaturzeitschrift. Sonderheft Südtirol (1956), S. 39-41. „Das Wunder des heiligen Florian“. In: Tirol. Natur, Kunst, Volk, Leben 28 (1966), S. 53-57. „Tirol und das Lied von der stillen, heiligen Nacht“. In: Tirol. Natur, Kunst, Volk, Leben 31 (1967/1968), S. 3-6. „Sie zogen nach Friaul“. In: Merian. Städte und Landschaften 21 (1968), H. 4, S. 76-78. „Der große Zusammenbruch der Front zwischen Piave und Ortler“. In: Südtirol in Wort und Bild 12 (1968), H. 4, S. 1-18. „Kampfwert der Nationalitäten im k.u.k. Heer“. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 3 (1969), S. 179-183. „Innichen gestern und heute. Eine Schau in die moderne und doch geschichtsträchtige Hofmark“. In: Südtirol in Wort und Bild 13 (1969), S. 13-14. „Prinz Eugenius vor Belgrad“. In: Herzhafter Hauskalender 1969, S. 91-124. „Helfer des Bergbauern: das Haflinger Pferd“. In: [o. Hg./Verf.] Die Alpen. Ein Reader’s Digest Buch. Stuttgart: Verl. DAS BESTE 1972, S. 190-192. „Auf jedem Hügel steht eine Burg“. In: Merian. Die Lust am Reisen 26 (1973), H. 9, S. 69-70. „Die Kämpfe um das Sextental 1915-1917“. In: Haydn, Alois (Hg.): Führer durch die Sextener Dolomiten. Hüttenwege, Übergänge und Gipfel. München: Bergverlag Rother (1974), o. S. „Dagobert Sigmund Graf v. Wurmser“. In: Deutsches Adelsblatt. Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände 13 (1974), S. 28-30. „Stephan Theodor Freiherr v. Neuhoff“. In: Deutsches Adelsblatt. Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände 13 (1974), S. 156-159 u. 179-181. „Die Südtiroler bei Hitler. Die Begegnung Dr. Eduard Reut-Nicolussis mit Adolf Hitler zu Ostern 1932 in München“. In: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift 18 (1976), S. 1885-1888. „Fürstin Therese Mathilde von Thurn und Taxis und Napoleon“. In: Deutsches Adelsblatt. Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände 16 (1977), S. 148-152.
672
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
„Ein verzweifelter Versuch“. In: Merl, Dorothea u. Gräfin von Lippe, Anita (Hg.): Südtirol erzählt: Luftjuwelen – Steingeröll. Tübingen: Erdmann 1979, S. 141-147. „Nächtliche Fahrt“. In: Merl, Dorothea u. Gräfin von Lippe, Anita (Hg.): Südtirol erzählt: Luftjuwelen – Steingeröll. Tübingen: Erdmann 1979, S. 124-134. „Maximilians Prätorianergarde“. In: Damals. Das Magazin für Geschichte und Kultur 13 (1981), H. 1, S. 36. „Königgrätz 1866. Österreichs Tragödie im deutschen Bruderkrieg“. In: Damals. Das Magazin für Geschichte und Kultur 15 (1983), H. 4, S. 278-301.
2.2
Beiträge Deutsches Soldatenjahrbuch 1956-1989
„Kürzlich … Herr Offizier!…-Erinnerungen an einen Südtiroler Kameraden“. In: Deutscher Soldatenkalender 4 (1956), S. 82-87. „Der österreichische Militär-Maria-Theresien-Orden“. In: Deutscher Soldatenkalender 5 (1957), S. 19. „Herr gib ihm die ewige Seligkeit …!“ In: Deutscher Soldatenkalender 5 (1957), S. 70-72. „‚Oudenarde‘ (11. Juli 1708)“. In: Deutscher Soldatenkalender 6 (1958), S. 21-25. „Wenn ein Bosniak salutiert“. In: Deutscher Soldatenkalender 10 (1962), S. 150-152. „Fennerjäger …, Kaiserjäger! Ein Rückblick auf ihre Bewährung vor 150 Jahren“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 13 (1965), S. 128-130. „Col di Lana (1915/16)“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 14 (1966), S. 83-93. „Maria Theresia Kaiserin von Österreich“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 15 (1967), S. 50. „Österreichs Heer nimmt Abschied von Südtirol“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 16 (1968), S. 237-240. „50 Jahre Unrecht an Südtirol (ab 1919)“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 17 (1969), S. 267-272. „Speckbacher, Josef; der ‚Mann von Rinn‘“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 18 (1970), S. 126-128. „Franz v. Defregger. Zu seinem 50. Todestag“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 19 (1971), S. 209-213. „Die Schlacht bei Zenta (11.9.1697)“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 20 (1972), S. 162-164. „Feldmarschall Erzherzog Joseph zu seinem 100. Geburtstag“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 20 (1972), S. 128-130. „Andreas Hofers Heimkehr nach Tirol“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 21 (1973), S. 369-372. „Bozen. Zwölfhundert Jahre Deutsche Pforte des Südens“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 21 (1973), S. 37-47.
Unselbstständige Publikationen
673
„Brixen“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 22 (1974), S. 385-390. „Dagobert Sigmund Reichsgraf v. Wurmser“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 22 (1974), S. 101-103. „Bruneck. Frontstadt des Ersten Weltkrieges“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 23 (1975), S. 270-283. „Franz Moritz Graf Lacy“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 24 (1976), S. 197-199. „Was bedeutete im alten österr. – ungarischen Staat die Bezeichnung K.u.K., K.k. und königl. ung. bei den Behörden wie bei der Armee?“ In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 24 (1976), S. 43-44. „Glurns. Kleinod des Vinschgaus“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 25 (1977), S. 346-352. „Generalleutnant Dr. Friedrich Franek (1891-1976)“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 26 (1978), S. 273-279. „Der Absturz“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 27 (1979), S. 241-242. „Kaiser Franz Josef I. Zu seinem 150. Geburtstag“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 28 (1980), S. 158-159. „Kaiserin Maria Theresia. Zu ihrem 200. Todestag“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 28 (1980), S. 74-75. „Meran ‚in der Sonne geboren, schön und lieblich auserkoren …‘“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 28 (1980), S. 113-124. „Generaloberst Graf Viktor Dankl von Krasnik“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 29 (1981), S. 367-368. „Michael Gamper. Ein getreuer Eckard des Südtiroler Deutschtums“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 29 (1981), S. 184-186. „Erzherzog Johann. Zu seinem 200. Geburtstag – Teil I“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 30 (1982), S. 84-91. „Erzherzog Johann. Zu seinem 200. Geburtstag – Teil II“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 31 (1983), S. 311-317. „Österreichs Thermopylen (14. bis 17. Mai 1809)“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 32 (1984), S. 108-111. „Margareta Maultausch. Teil I“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 33 (1985), S. 119-124. „Margareta Maultausch. Teil II“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 34 (1986), S. 222-224. „Toblach“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 36 (1988), S. 73-79.
674
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
„Dienstantritt eines Cadetten bei den Husaren Radetzkys [Artikel über einen Brief seines Großvaters H. v. Goldegg]“. In: Deutsches Soldatenjahrbuch (Deutscher Soldatenkalender) 37 (1989), S. 284-286.
2.3
Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis
Datum
Titel
30.07.1930 Finale des Europa-Fluges 31.10.1930 Drei Kreuze! 20.11.1930 Stahlhelm ohne Kopf. 23.11.1930 Stahlhelmzeichen für Mussolini. 30.11.1930 Das Gold der deutschen Frauen. 28.12.1930 Skibuben. 15.03.1931 General Andrea Graziani. 20.06.1931 Fahrt durch Liechtenstein [Reisebericht]. 20.06.1931 Wehrgeschichte Tirols [Teil 1].
04.07.1931
18.07.1931
19.10.1931 12.11.1931 09.01.1932
in
Seite
Salzburger Volksblatt Innsbrucker Nachrichten Salzburger Volksblatt Berliner Lokal-Anzeiger Berliner Lokal-Anzeiger Der Südtiroler Salzburger Volksblatt Deutsche Zeitung (Reichsausgabe)
5 5 10 3. Beiblatt 2. Beiblatt 5 8f.
Beilage „Wehr und Vaterland“ Wehrgeschichte Tirols [Teil 2]. Deutsche Zeitung Beilage (Reichsausgabe) „Wehr und Vaterland“ Wehrgeschichte Tirols [Teil 3]. Deutsche Zeitung Beilage (Reichsausgabe) „Wehr und Vaterland“ Deutsche Bauern von Südtirol. Deutsche 2. Beiblatt Tageszeitung Zillerthal am Fuße der Schneekoppe. Innsbrucker 3f. Nachrichten Die Südtiroler im italienischen Heer. Deutsche Zeitung Beilage (Reichsausgabe) „Wehr und Vaterland“
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Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis ( fortges.)
Datum
Titel
20.02.1932 Ringendes Deutschtum in Osttirol. 18.03.1932 Polnisches im deutschen Danzig. 01.08.1932 Die außenpolitische Lage Italiens. Militärische Betrachtungen. 05.08.1932 Der 20. Juli in Berlin. 14.04.1933 Graf Bossi-Fedrigotti und der Nationalsozialismus [Eintritt NSDAP]. 05.11.1936 07.11.1936 17.11.1936 24.09.1940
17.12.1941 17.02.1945 23.02.1945 24.02.1945 28.08.1948 14.10.1949 22.04.1952 31.10.1952 26.02.1956
in
Seite
Deutsche Tageszeitung Vorarlberger Landes-Zeitung Der Südtiroler
–
Grazer Tagblatt Innsbrucker Nachrichten – Neueste Zeitung (Abendausgabe) Was sind ‚Standschützen‘? Die Berliner letzten des letzten Aufgebots. Lokal-Anzeiger Das Wunder [Filmdreh]. Berliner Börsen-Zeitung Dank den Kameraden! [BFs Dank für Völkischer Filmunterstützung]. Beobachter Tirols Kampf um Deutschland [Zur Vorarlberger Uraufführung ‚Michael Gaismair‘ im Tagblatt Tir. Landestheater]. Vom Kampf und Sieg im Osten. Neueste Zeitung (Ibk) Der Fenner-Jäger erste Tat. Bozner Tagblatt Standschützen von 1915 – Bozner Tagblatt Standschützen von 1945. Höllenstein … Heldental der Bozner Tagblatt Standschützen. Die Sehnsucht nach Gott. Erlebnisse Vorarlberger in Sowjetrußland. Volksbote Das Spiel der Vera Anastasia Der Standpunkt Das neue Stuttgart wiederum Stadt Dolomiten der hängenden Gärten. Col di Lana. Der Standpunkt Amsterdam – Rom, ein Flug von vier Dolomiten Stunden.
10 2f. 3 4
– – 3 2
1f. 4 3 4 3 4 5 6 5
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Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis ( fortges.)
Datum
Titel
01.05.1956 Ein Thron, der niemals wankte! 09.06.1956 Drei Füchse … drei Kinder und eine Kamera. 30.06.1956 Napoleone und sein Vettorino. 26.07.1956 Der Markgraf als KZ-Aufseher. 23.08.1956 Fortitudini …! [Habsburg]. 13.10.1956 Wenn die Farben zum Träumen verleiten … 03.01.1958 Dolomitenträume – ein wenig abseits. 06.07.1958 Burgenwanderung im Etschland. 21.07.1958 Wenn man das Schwesterchen photografiert! [Familiäres]. 24.12.1959 Admiral Rogges Buch ‚Schiff 16‘ wird verfilmt. 29.12.1960 Zeitgenössische Freuden. 1962 Die beiden Teraldi (Feuilletonroman in tägl. Fortsetzungen). 24.02.1962 Haggen im Sellrain soll Jugendzentrum werden. 14.12.1963 Das Märchen des Dolomitenwinters. Ein Landschaftsfeuilleton für diese Zeit der verebbenden Stille. 28.12.1963 Von Wurzelkrippen und Tobelhockern [Bildschnitzerei]. 21.01.1964 Die Österreicher im Dänenfeldzug 1864. 21.03.1964 Der Anschag in der Via Rasella – Vergeltung in den Ardeatinischen Höhlen. 20.06.1964 Eine Pustertalerin züchtet arabische Vollblüter. 27.06.1964 Fünfzig Jahre nach den Schüssen von Sarajewo. 27.06.1964 Erinnerung an Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand.
in
Seite
Dolomiten Dolomiten
6 9
Dolomiten Dolomiten Dolomiten Dolomiten
9 3 3 9
Der Tagesspiegel
18
Der Tagesspiegel Dolomiten
12 3
Dolomiten
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Dolomiten Tiroler Nachrichten Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Nachrichten
6 – 5 5
Dolomiten
9
Dolomiten
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Dolomiten
9f.
Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
5 13 11
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Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis ( fortges.)
Datum
Titel
01.08.1964 Avanti coraggio coscritti! – August 1914 im Trentino. 04.08.1964 August 1914… Ausmarsch der Landesschützen! Erinnerung an die Mobilisierung im Pustertal. 01.09.1964 Seit 600 Jahren gehen die Prettauer Knappen ‚unter Tag‘. 05.09.1964 Zwoa Kartn für den Himmel … 16.09.1964 Ein Tiroler Sattler, der nicht umgesattelt hat. 18.09.1964 Mit der Kronplatz-Seilbahn in eine Wunderwelt. 21.10.1964 Ein Tunnelweg unter dem Stilfser Joch geplant. 01.12.1964 Glurns blieb auch im Zeitalter der Technik eine erholsame ‚Insel‘. 12.06.1965 Die Tiroler Standschützen an der Front. 03.07.1965 Unser Held Sepp Innerkofler. 25.08.1965 Mit Pferd und Wagen über die Dolomitenstraße. Ein Erlebnis vor 55 Jahren [Teil 1]. 01.09.1965 Mit Pferd und Wagen über die Dolomitenstraße. Ein Erlebnis vor 55 Jahren [Teil 2]. 04.09.1965 Sie gaben alles für die Heimat. Zur Vinschgauer Standschützengedenkfeier 1915-1965 in Mantell am 5. September. 09.10.1965 Wo Rebe, Feige und Edelkastanie im Glanz der Gletscher gedeihen. 01.12.1965 Wovon die Mauern der Churburg erzählen. 03.08.1966 Bei den unternehmungslustigen ‚Gletscherhusaren‘ in Mayrhofen.
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Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
13 5
Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Tageszeitung (TT) Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
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Dolomiten Dolomiten
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9f.
Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
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Tiroler Tageszeitung (TT)
5 10 3f. 3f. 3 5
5 6
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Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis ( fortges.)
Datum
Titel
20.08.1966 Ferien im Sattel … auch in Südtirol. 18.09.1966 Die ‚Enziantresl‘ [Teil 1]. 25.09.1966 Die ‚Enziantresl‘ [Teil 2]. 30.11.1966 Schloß Rodeneck sicherte den Habsburgern 1363 den Erwerb Tirols. 14.12.1967 Heiteres und Ernstes aus dem Fronteinsatz der Standschützen. 02.11.1968 Untergang des Kaiserheeres vor 50 Jahren. 02.11.1968 Vor 50 Jahren: Aus den Tagen des Zusammenbruchs 1918. 01.03.1969 Der Geist in der Herbstenburg. 16.04.1969 Frühlingszauber in Meran. 07.05.1969 Ausritt von Pusterer Bauernbuben in den Bergfrühling. 14.06.1969 Lalja. Eine Erzählung von Anton Graf Bossi-Fedrigotti. 09.07.1969 Franz Eberhöfer – der Lateiner-Franz. 30.07.1969 Die Laubenkönige zahlten. 06.09.1969 Unter der ‚kaiserlichen Fahne‘. Kampfwert der Nationalitäten im k. u. k. Heer 1914/18. 08.09.1969 Das trockene Gewitter. 26.11.1969 Ein Reich der Gnomen und Riesen. 17.12.1969 Weihnachtsbräuche im Pustertal. 01.04.1970 Josef Speckbacher, der ‚Mann von Rinn‘. Zu seinem 150. Todestag am 28. März. 31.10.1970 Den Toten Kameraden [Gefallenengräber in Südtirol]. 12.06.1971 Die ‚Enzian-Tresl‘ von Toblach.
in
Seite
Dolomiten Zillertaler Heimatstimme Zillertaler Heimatstimme Dolomiten
9 1f.
3f.
Dolomiten
6, 8
Dolomiten
13
Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten Dolomiten Dolomiten
16
1f.
12 3 5
Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
14 3
Dolomiten Dolomiten
14 13
Dolomiten Dolomiten Dolomiten Dolomiten
6 9 5 3
Dolomiten
13f.
Tiroler Tageszeitung (TT)
24
679
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel Bossi-Fedrigottis ( fortges.)
Datum
Titel
23.04.1974 Augenzeugenbericht aus der Via Rasella. 31.07.1974 Ein Waldfest vor sechzig Jahren. Erinnerungen unseres Mitarbeiters Anton Graf Bossi-Fedrigotti. 20.01.1982 Erzherzog Johann von Österreich. Der große Freund der Alpenländer 200 Jahre alt.
2.4 Datum
in
Seite
Dolomiten
11
Dolomiten
3
Dolomiten
15
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet Verfasser
15.11.1919 O. V. 15.11.1919 O. V. 04.11.1921 O. V.
04.09.1927 O. V. 19.01.1928 O. V.
25.05.1928 O. V.
25.05.1928 O. V.
28.11.1930 O. V.
Titel
in
Seite
Abgängig [BF aus seiner Brixner Villa geflohen]. Südtirol [BF aus seiner Brixner Villa geflohen]. Alpine, Sport-, Turn- und Wetterberichte [Erwähnung Aufsatz BFs]. Vermählungen und Verlobungen [Verlobung]. Sportsleben der Provinz [BF sitzt in der Jury eines Ski-Rennens]. Federazione Provinciale Fascista [Parteiausschluss Faschisten]. Federazione Provinciale Fascista [Parteiausschluss Faschisten]. Ein Südtiroler züchtigt den Mussolini-Rausch deutscher Stahlhelmer.
Der Tiroler / Der 3 Landsmann Tiroler Anzeiger 4 Salzburger Volksblatt
5
Wiener Salonblatt Alpenzeitung
6
La Provincia di Bolzano
2
Alpenzeitung
3
Salzburger Wacht
2
3
680
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
30.11.1930 v. B.
01.12.1930 O. V.
13.01.1931 O. V. 14.01.1931 O. V. 14.01.1931 O. V. 15.01.1931 O. V.
18.01.1931 O. V. 01.02.1931 O. V. 02.03.1931 O. V. 27.03.1931 O. V. 28.03.1931 O. V. 28.03.1931 O. V. 28.03.1931 O. V. 31.03.1931 O. V. 31.03.1931 O. V. 01.04.1931 O. V. 09.04.1931 O. V.
Titel
in
Seite
Deutschland und der Stahlhelm [Leserreaktion auf BFs Leserbrief v. 23.11.1930]. Stahlhelmzeichen für Mussolini [Bezug auf BFs Leserbrief im Berliner Lokal-Anzeiger]. Vermählung [Hochzeit]. Personalnachrichten [Hochzeit]. Aus der Gesellschaft [Hochzeit]. Aus Salzburg, Oberösterreich und Tirol. Personalnachrichten [Hochzeit]. Letzte Nachrichten [Hochzeit].
Berliner Lokal-Anzeiger
5. Beibl.
Der Südtiroler
4
Tiroler Anzeiger 8 Reichspost 5 Neues Wiener Journal Salzburger Volksblatt
Wiener Salonblatt Letzte Nachrichten [Hochzeit]. Wiener Salonblatt Kurze Nachrichten [GdFS]. Vorarlberger Landeszeitung Freunde Südtirols [Gründung (Linzer) GdFS]. Tages-Post Gesellschaft der Freunde Vorarlberger Südtirols in Berlin gegründet. Landeszeitung Gründungsfeier der „GesellTiroler Anzeiger schaft der Freunde Südtirols“. „… Freunde Südtirols“ Salzburger [Gründung GdFS]. Volksblatt Tagesbericht [Gründung GdFS]. Reichspost Tagesnachrichten [Gründung Wiener Zeitung GdFS]. Eine Gesellschaft der Freunde Der Südtiroler Südtirols in Berlin. Tiroler Anzeiger Tirol kündigt den Freundschaftsvertrag mit Italien [GdFS].
9 7
9 12 2 1 16 1 10 5 7 2 3
681
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
15.04.1931 O. V. 06.05.1931 O. V. 15.11.1931 O. V. 01.12.1931 O. V. 10.12.1931 O. V. 15.12.1931 O. V. 16.12.1931 O. V.
11.01.1932 O. V.
27.01.1932 O. V. 30.01.1932 O. V.
10.02.1932
10.02.1932 10.02.1932
12.02.1932
Titel
in
Seite
Gewissenlose Journalistik [BFs Flucht aus Italien]. Südtirol im Monat April [Ital. Verleumdungen gg. BF]. Kundgebungen für Südtirol [Vortrag BF]. Vorträge über Südtirol. Thüringen und Südtirol [Vorträge BFs]. Vorträge über Südtirol. Auszug aus dem Amtsblatt [Vorladung der Mutter BFs wegen rückständiger Zahlungen]. Erbfeind Italien [Reaktion auf BFs Artikel „Die Südtiroler im italienischen Heer“ v. 09.01.1932 in der Deutschen Zeitung]. Südtirols Leid [Vortrag BFs].
Der Südtiroler
4
Tiroler Anzeiger 3 Der Südtiroler
7
Der Südtiroler 3 Tiroler Anzeiger 6 Der Südtiroler Dolomiten
4 9
Berliner Tageblatt
5
Innsbrucker Nachrichten Völkischer Beobachter
7
Die Südtiroler treu zu Adolf Hitler [Zustimmung BFs z. Hitlers Südtirolkurs]. Tiroler Anzeiger Südtirol und die NationalDer sozialisten [Zustimmung BFs z. AndreasHofer-Bund Hitlers Südtirolkurs]. von Tirol O. V. Hitler und Südtirol. Die Salzburger ‚Berliner Südtiroler‘. Chronik Innsbrucker O. V. Südtirol und die Nationalsozialisten [Zustimmung BFs z. Nachrichten Hitlers Südtirolkurs]. Reichspost O. V. Südtirol und die Nationalsozialisten [Zustimmung BFs z. Hitlers Südtirolkurs].
1
3
2 6
5
682
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
15.02.1932 O. V.
01.03.1932 O. V. 15.03.1932 O. V. 16.03.1932 O. V. 01.04.1932 O. V. 15.04.1932 O. V.
19.04.1932 ReutNicolussi, Eduard 23.06.1932 O. V.
01.07.1932 O. V. 01.08.1932 O. V. 01.09.1932 O. V. 04.11.1932 O. V.
01.12.1932 O. V. 01.03.1933 O. V. 13.03.1933 O. V. 17.03.1933 O. V.
01.05.1934 O. V. 01.06.1934 O. V.
Titel
in
Seite
Südtirol und die Nationalsozialisten [Zustimmung BFs z. Hitlers Südtirolkurs]. Vorträge über Südtirol. Vorträge über Südtirol. Vereinsnachrichten [Vortrag BFs]. Vorträge über Südtirol. Das ‚neue‘ Italien. Kleine Ouverture [Hinweis auf BF als Journalisten]. Dr. Reut-Nikolussi über das Thema ‚Hitler und Südtirol‘.
Südtiroler Heimat
3
Der Südtiroler Der Südtiroler Reichspost
3 3 9
Der Südtiroler Der Südtiroler
7 7
Auszug aus dem Amtsblatt [Versteigerung der Herbstenburg]. Vorträge über Südtirol. Vorträge über Südtirol. Rundfunkvorträge über Südtirol [Hinweis auf Vorträge BFs]. Vorarlberg u. Nachbarländer [Kurznachrichten, Vorträge BFs]. Vorträge über Südtirol. Vorträge über Südtirol. Der österreichische Soldat [Vortrag BFs]. Ein Vortrag in Berlin über Österreichs Wehrmacht [Vortrag BFs]. Das deutsche Buch [Werbung Bruggler]. [Sendeprogramm f. d. 09.06.1934, Reichssender München, Bruggler].
Volksbote
14
Der Südtiroler Der Südtiroler Der Südtiroler
4 8 4
Vorarlberger Tagblatt
4
Der Südtiroler Der Südtiroler Salzburger Volksblatt Österreichische Wehr-Zeitung
5 7 4
Der Südtiroler
7
Radio Wien
31
Tiroler Anzeiger 4
4
683
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
29.06.1934 O. V. 07.07.1934 O. V. 03.08.1934 O. V.
30.09.1934 O. V.
03.11.1934 Flöry, Otto
01.01.1935 Dörrer, Anton 29.01.1935 O. V.
15.11.1935 O. V. 23.11.1935 O. V. 01.12.1935 O. V.
18.01.1936 O. V.
14.02.1936 O. V. 14.03.1936 O. V.
Titel
in
Seite
Berliner Mitteilungen [BF Vertrauter Habichts]. Habicht und die Legion [BF Vertrauter Habichts]. Anton Graf Bossi-Fedrigotti. Standschütze Bruggler [Rezension]. Neuerschienene Bücher [Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana]. Historische Schneiderbücher [Erwähnung Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana (1934)]. Eigenleben des Südtiroler Nachkriegsschrifttums [Bruggler]. Tirol und Vorarlberg [Kurzmeldung, dass Bruggler verfilmt werden soll]. Literatur [Hinweis Tirol bleibt Tirol]. Neue Bücher und Zeitschriften [Hinweis Tirol bleibt Tirol]. Schrifttum. Karten. Kunst [Hinweis Tirol bleibt Tirol].
Kleine 1 Volks-Zeitung Tiroler Anzeiger 1
Warnung vor Verkauf etc. von Druckschriften die eine Förderung verbotener Parteien beinhalten [Hinweis zu Verbot von Tirol bleibt Tirol]. Neue Pläne der UfA [Ankündigung Bruggler-Film]. Verbotene Bücher in der Tschechoslowakei [Verbot Überläufer und Verräter an der Karpathenfront des Weltkrieges].
8
Österreichische Wehr-Zeitung
7
Neues Wiener Journal
27
Tiroler Anzeiger 12
Der Südtiroler
8
Innsbrucker Nachrichten
9
Tiroler Anzeiger 10 Salzburger Volksblatt Der Gebirgsfreund [monatlich] Österreichische BuchhändlerCorrespondenz
9
Österreichische Film-Zeitung Salzburger Volksblatt
5
211
6
684
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
15.03.1936 H.H.
20.03.1936 Miltner, Heinrich 21.03.1936 O. V. 21.03.1936 O. V. 21.03.1936 O. V. 21.03.1936 O. V.
22.03.1936 Hacker, Hermann 23.03.1936 O. V. 23.03.1936 Miltner, Heinrich
23.03.1936 O. V. 26.03.1936 O. V.
28.03.1936 O. V.
29.03.1936 Hacker, Hermann 29.03.1936 Hacker, Hermann
Titel
in
Seite
Standschützen auf der Wacht. Der Wendelstein als Kriegsgebiet – Harte Filmarbeit am Lachnerkopf [Bruggler-Film]. Film-Angriff auf den LachnerKopf [Bruggler -Film]. Tiroler Heldentum im Film [Bruggler -Film]. Bei den Tiroler Standschützen Bruggler -Film]. Der Film [Bruggler -Film].
Berliner Lokal-Anzeiger
7
Hofer Anzeiger
–
Völkischer Beobachter Licht, Bild und Bühne Salzburger Volksblatt Der Heldenfilm der Tiroler Dresdner Standschützen. Neueste Nachrichten Bergmenschen drehen einen Berliner Bergfilm [Bruggler-Flm]. Börsen-Zeitung Standschütze Bruggler. Filmauf- Stuttgarter nahmen in alpinem Gebiet. Neues Tageblatt Der Montag Filmkrieg in Schnee und Eis. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ in den bayerischen Alpen in Filmheld wird. Ein Film vom Heldentum der Der Altmaerker Tiroler Standschützen. Jenaische Standschütze Bruggler. Der Zeitung Film vom Heldentum der Tiroler Standschützen. Innsbrucker Standschütze dringend Nachrichten gesucht! [Erkrankung Bruggler-Hauptdarsteller]. Seltsames Treiben im Wendel- Zittauer steinmassiv [Bruggler-Film]. Nachrichten Seltsames Treiben im Wendel- Der steinmassiv [Bruggler-Film]. Freiheitskampf
8 – 9 –
– – 7
– –
–
– –
685
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
30.03.1936 O. V.
04.04.1936 O. V. 05.04.1936 Heil de Brentani, Mario 07.04.1936 M.W.
09.04.1936 O. V.
23.04.1936 Heil de Brentani, Mario 15.05.1936 O. V. 16.05.1936 O. V. 21.05.1936 O. V. 13.06.1936 Heil de Brentani, Mario 01.07.1936 O. V. 02.07.1936 O. V. 04.07.1936 O. V. 17.07.1936 O. V.
Titel
in
Seite
Standschütze Bruggler. Ein Film vom Heldentum der Tiroler Standschützen. Als ‚Kriegsberichterstatter‘ am Wendelstein [Bruggler-Film]. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ wurde [Bruggler-Film].
Sorauer Tageblatt
–
Deutsche All– gemeine Zeitung Die – Mitteldeutsche
Standschütze Bruggler in Karlstein [Bruggler-Film].
Reichenhaller Tagblatt. Mitteilungen der NSDAP Standschütze Bruggler. Ein Film Tilsiter Zeitung vom Heldentum der Tiroler Standschützen. Ein Leben für Tirol. ‚StandReclams schütze Bruggler‘ wird verfilmt! Universum UfA-Produktion 1936. Standschütze Bruggler. UfA-Filme in der nächsten Spielzeit [Bruggler]. Standschütze Bruggler [Bruggler-Film, Karikatur]. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ wurde [Bruggler-Film].
4
–
960f.
Österreichische 6 Film-Zeitung Das Kino-Journal 28 National-Zeitung – Licht, Bild und Bühne
–
Reichspost (Wiener) Sport-Tagblatt Der neue Film [Bruggler]. Neues Wiener Journal Alle Filmstars starten wieder [u. Berliner a. Bruggler -Film]. Nachtausgabe
9 8
Filmnotizen [Bruggler]. Film [Bruggler].
11 –
686
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
in
Seite
17.07.1936 O. V.
Berliner Lokal-Anzeiger
–
17.07.1936
Hannoverscher Kurier Südtiroler Heimat Film-Kurier
–
15.08.1936 22.08.1936 25.08.1936 29.08.1936
29.08.1936
29.08.1936 29.08.1936 29.08.1936 29.08.1936 29.08.1936
30.08.1936 30.08.1936 30.08.1936
Verfasser
Titel
1936/37 werden wir sehen: 90 neue Ufa-Filme – Die Produktion wird vorgestellt [Bruggler -Film]. O. V. Das Ufa-Programm 1936/37 [Bruggler -Film]. Wöß, Franz Deutsche Dichtung in Südtirol. Max O. V. Standschütze Bruggler ausgezeichnet [Bruggler -Film]. O. V. Die vom Film [Schauspielerin Lola Chlud, Hinweis, Bruggler]. O. V. Erfolgreiche Uraufführung des ‚Standschützen Bruggler‘ in München. O. V. Standschütze Bruggler. Festliche Uraufführung im Ufa-Palast. O. V. Veranstaltungen [Prädikate für Bruggler]. O. V. Münchner Filmzeitung. Standschütze Bruggler. O. V. Standschütze Bruggler [Bruggler -Film]. O. V. Standschütze Bruggler in München. O. V. Standschütze Bruggler. Ein stürmischer Uraufführungs-Erfolg. O. V. Neue Filme. Standschütze Bruggler. O. V. Standschütze Bruggler. Uraufführung in München. O. V. Neues vom Film.
7 1
Der Wiener Film 3 Film-Kurier
–
Münchner Telegramm Zeitung
–
Tiroler Anzeiger 16 Münchner Zeitung Der Angriff
–
Berliner Tageblatt B.Z. am Mittag
–
Völkischer Beobachter Völkischer Beobachter Münchner Stadtanzeiger
–
–
–
– –
687
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
03.09.1936 O. V. 03.09.1936 Dr. W.Z.
05.09.1936 Linde, H.S.
05.09.1936 O. V.
05.09.1936 Heil de Brentani, Mario 07.09.1936 O. V.
10.09.1936 O. V.
12.09.1936 O. V. 12.09.1936 Johannes, F.P. 14.09.1936 O. V.
Titel
in
Seite
Standschütze Bruggler. Welturaufführung im Ufa-Palast. Standschütze Bruggler. FilmUraufführung im Münchner Ufa-Palast. Standschütze Bruggler. Ein Film der Heimattreue und Wehrhaftigkeit. Standschütze Bruggler. Uraufführung im Ufa-Palast München. Ein Leben für Tirol! Plauderei mit Anton Graf Bossi-Fedrigotti.
Koelnische Zeitung Koelnische Volkszeitung
–
Ein Funkgespräch [Aufnahme Reichssender München nach der Uraufführung]. Standschütze Bruggler [Aufführungsankündigung].
Licht, Bild und Bühne
–
Danziger Neueste Nachrichten Der Danziger Vorposten Salzburger Volksblatt
–
Standschütze Bruggler [Aufführungsanküngigung]. Münchner Zickzack [Kulturbericht München, Bruggler-Film]. Standschütze Bruggler [Filmrezension].
–
National-Zeitung –
Der Film (Berlin) –
Vogtlaendischer – Anzeiger
Danziger Neueste Nachrichten 18.09.1936 O. V. Interessentenvorführung [Film- Österreichische werbung Bruggler]. Film-Zeitung 19.09.1936 Düsterdiek, Standschütze Bruggler Hamburger Carl [Filmrezension]. Nachrichten 19.09.1936 O. V. Ein volksdeutscher Film: Deutsches ‚Standschütze Bruggler‘. Adelsblatt 19.09.1936 O. V. Kino in Zürich. Die Front (Zürich)
– 15
–
1 – – –
688
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
Titel
in
Das Kino-Journal 9
24.09.1936 Ni
Interessenten-Vorführung [Filmwerbung Bruggler]. Standschütze Bruggler. Ein Film von den Kämpfen des Weltkrieges in Tirol. Haltung zum Film!
27.09.1936 el
Standschütze Bruggler.
02.10.1936 O. V.
Standschütze Bruggler.
03.10.1936 O. V.
Standschütze Bruggler.
03.10.1936 O. V. 05.10.1936 O. V.
Standschütze Bruggler. Standschütze Bruggler.
05.10.1936 O. V.
20.10.1936 O. V.
Ein ausgezeichneter Film [Prädikate für Bruggler]. Bilder aus Filmen, die wir in Kürze sehen werden. Standschütze Bruggler [Prädikate]. Standschütze Bruggler [Rezension Film]. Kulturell wertvoller Film.
20.10.1936 O. V.
Kino. „Standschütze Bruggler“.
20.10.1936 O. V. 21.10.1936 O. V.
„Standschütze Bruggler“ [Ankündigung Uraufführung]. Film [Prädikate für Bruggler].
21.10.1936 O. V.
Standschütze Bruggler.
19.09.1936 O. V. 20.09.1936 O. V.
08.10.1936 O. V. 10.10.1936 O. V. 12.10.1936 O. V.
Seite
Osnabruecker Volkszeitung
–
Goettinger Nachrichten Mitteldeutsche National-Zeitung Österreichische Film-Zeitung Frankfurter Volksblatt Das Kino-Journal Bayerische Ostmark Linzer Volksblatt
– – 3 – 8 – 2
Berliner – Lokal-Anzeiger Salzburger 8 Volksblatt Tiroler Anzeiger 6 Neues Wiener – Tagblatt Vorarlberger 7 Wacht Tiroler Anzeiger 8 (Wiener) Sport-Tagblatt Innsbrucker Nachrichten
8 –
689
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
22.10.1936 O. V.
22.10.1936 O. V. 22.10.1936 O. V.
22.10.1936 O. V. 22.10.1936 O. V. 22.10.1936 O. V. 22.10.1936 O. V. 22.10.1936 O. V. 23.10.1936 O. V. 23.10.1936 O. V.
23.10.1936 O. V. 23.10.1936 O. V. 23.10.1936 O. V. 24.10.1936 O. V.
24.10.1936 O. V.
Titel
in
Festlicher Abend im Rettungs- Tiroler Anzeiger heim. Die österreichische Uraufführung von ‚Standschütze Bruggler‘. Der Film [Rezension Bruggler]. Salzburger Volksblatt Erfolgreiche Uraufführung Potsdamer von ‚Standschütze Bruggler‘ in Tageszeitung Innsbruck. Kriegsgeschichte im Film Vorarlberger [Uraufführung Innsbruck]. Tagblatt Standschütze Bruggler. Wiener Neueste Nachrichten Theater, Kunst, Kultur [Urauf- Salzburger führung Innsbruck]. Chronik Standschütze Bruggler Berliner begeisterte in Innsbruck. Lokal-Anzeiger Standschütze Bruggler in Licht, Bild und Innsbruck. Bühne Standschütze Bruggler – Ein Österreichische großer Erfolg. Film-Zeitung N.S.Z. Rheinfront Ein Film aus Tirol. Wie der ‚Standschütze Bruggler‘ entstand. Film [Kurzrezension Bruggler]. (Wiener) Sport-Tagblatt Standschütze Bruggler. Urauf- Oberschlesischer führung in Innsbruck. Kurier Standschütze Bruggler in Völkischer Österreich. Beobachter Das heldische Prinzip im Film. Wilhelmshavener Kurier Tiroler Standschützen verteidigen ihre Heimat. Lichtspiele [Kurzrezension Badener Zeitung Bruggler].
Seite 5
7 –
2 – 6 – – 5 –
8 – – –
4
690
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
24.10.1936 O. V.
Titel
Mitteilungen aus Produktion und Verleih [Bericht Uraufführung Innsbruck]. 24.10.1936 Ma Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. Graf BossiFedrigotti über die Entstehung des ‚Standschützen Bruggler‘. 24.10.1936 O. V. Der Film. Das Heldenlied der Tiroler Standschützen. 25.10.1936 Haußleiter, Standschütze Bruggler. ErstaufA. führung im Ufa-Palast. 25.10.1936 O. V. Standschütze Bruggler.
in
Seite
Das Kino-Journal 13
Berliner Börsen-Zeitung
Neues Wiener Tagblatt Fraenkischer Kurier Hannoversches Tageblatt 27.10.1936 O. V. Das heldische Prinzip im Film. Osnabruecker Zeitung 27.10.1936 O. V. Filmanzeigen. Reichspost 27.10.1936 O. V. [Aufführungsnotiz Innsbruck]. Neue Tempelhofer Zeitung 28.10.1936 O. V. Standschütze Bruggler. Neue Freie Presse 29.10.1936 O. V. Ein neuer Klingler-Film. ‚Stand- Stuttgarter schütze Bruggler. Neues Tageblatt Neues Wiener 29.10.1936 O. V. Heute Festvorstellung Journal „Standschütze Bruggler“ im Ufa-Ton-Kino. 29.10.1936 O. V. Standschütze Bruggler – ein Jenaische heldischer Film. Zeitung Österreichische 30.10.1936 Zitterhofer, „Standschütze Bruggler“. UfaKarl Film nach dem gleichnamigen Wehr-Zeitung Roman des Grafen Anton Bossi-Fedrigotti. 31.10.1936 O. V. Standschütze Bruggler in Wien. Westfaelische Landeszeitung 31.10.1936 O. V. Standschütze Bruggler. Neue Freie Presse 31.10.1936 O. V. Standschütze Bruggler. Wiener Neueste Nachrichten
10
– – – – 6 – – – 10
– 4f.
– – –
691
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
Titel
in
Seite
(Linzer) Tages-Post B.Z. am Mittag Licht, Bild und Bühne Muensterscher Anzeiger
9
Muenstersche Zeitung
–
Wiener Journal
–
03.11.1936 O. V. 04.11.1936 O. V.
Standschütze Bruggler. Film und Varieté.
04.11.1936 O. V. 04.11.1936 O. V.
04.11.1936 O. V.
Standschütze Bruggler. Begeisterte Aufnahme des Filmes ‚Standschütze Bruggler‘ in Wien. Ratiborer Kinoschau.
Christlicher Ständestaat (Wien) Wiener Montagsblatt Der Morgen (Wien) Reichspost Der Ruhr-Arbeiter Bode Zeitung Zittauer Nachrichten
–
02.11.1936 O. V.
„Standschütze Bruggler“ [Rezension]. Standschütze Bruggler in Wien. Standschütze Bruggler-Erfolg in Wien. Die Filme der Woche. ‚Standschütze Bruggler‘ in der Schauburg. Standschütze Bruggler. Ein herrlicher Film von soldatischer Kameradschaft im Hochgebirge. Der neue Film. ‚Standschütze Bruggler‘. Der Ufa-Film ‚Standschütze Bruggler‘ – Eine angenehme Überraschung. Gerungen wie die Helden, verblutet Mann um Mann… . Film-Morgen.
–
05.11.1936 O. V.
Vom Film.
06.11.1936 O. V. 07.11.1936 O. V.
Standschütze Bruggler. Capitol-Lichtspiele. ‚Standschütze Bruggler.
Generalanzeiger für Schlesien und Posen Das interessante Blatt Die Grenzwacht Eisleber Tageblatt
31.10.1936 H.H. P. 31.10.1936 O. V. 31.10.1936 O. V. 01.11.1936 O. V.
01.11.1936 O. V.
01.11.1936 H.P. 01.11.1936 O. V.
02.11.1936 O. V.
– – –
– 11 – – – –
12 – –
692
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
07.11.1936 O. V.
12.11.1936 Dr. Hz. St.
12.11.1936 O. V. 12.11.1936 O. V.
13.11.1936 O. V. 13.11.1936 O. V. 13.11.1936 O. V.
13.11.1936 O. V.
13.11.1936 Weber, Peter 13.11.1936 O. V. 13.11.1936 O. V. 13.11.1936 O. V.
13.11.1936 O. V. 13.11.1936 O. V.
Titel Film. Standschütze Bruggler.
in
Triestingtaler und Piestingtaler Wochen-Blatt Dresdner Aus Dresdner Lichtspielhäusern. Heldenkampf um die Neueste Nachrichten Heimat Tirol. Oesterreichs Berge in Flammen! Der Filmspiegel Österreichischer Eine Unverschämtheit Beobachter der „Reichspost“ [Angebliche Falschmeldungen der Reichspost zu einer Bruggler-Aufführung]. Standschütze Bruggler. Berliner Volks-Zeitung Heldenlied aus den Bergen. Berliner Lokal-Anzeiger Die Kompanie von Hochbrunn. Der Angriff ‚Standschütze Bruggler‘, Berliner Erstaufführung. B.Z. am Mittag Standschütze Bruggler. Das Heldenlied nun auch in Berlin bejubelt. Letztes Aufgebot: Die Deutsche AllStandschützen. gemeine Zeitung Letztes Aufgebot im Lande. 12 Uhr Blatt (Berlin) Ufa-Theater Capitol: ‚StandVogtlaendischer schütze Bruggler‘. Anzeiger Der Prignitzer Standschütze Bruggler. Uraufführung in Berlin und Wittenberge. Standschütze Bruggler. Erstauf- Generalanzeiger führung im Gangolf-Theater. Bonn Bis zum letzten Mann! ‚Stand- Völkischer schütze Bruggler‘ im Ufa-Palast Beobachter am Zoo.
Seite 3
–
– 6
– – –
–
– – – –
– –
693
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
13.11.1936 O. V.
13.11.1936 O. V.
14.11.1936 O. V. 14.11.1936 O. V.
Titel
in
Seite
Kampf um die Heimat. ‚Standschütze Bruggler‘ – Ergreifender Kriegsfilm im Ufa-Palast am Zoo. Hohes Lied vom Heldentum. Stark in der Gesinnung und Gestaltung: ‚Standschütze Bruggler‘. Standschütze Bruggler.
Der Westen
–
Nationalsozialistische ParteiKorrespondenz Duesseldorfer Nachrichten Koenigsberger Allgemeine Zeitung Frankfurter Zeitung Berliner Neueste Nachrichten Allgemeine Zeitung (Chemnitz) Wiener Salonblatt Freie Presse
3f.
14.11.1936 O. V.
Standschütze Bruggler. Der neue große Kriegsfilm im Münztheater. Standschütze Bruggler.
15.11.1936 O. V.
Standschütze Bruggler.
15.11.1936 O. V.
Standschütze Bruggler.
15.11.1936 O. V.
Theater [Kurzbericht Bruggler-Film]. Tiroler Heldentum im Film.
17.11.1936 Reimesch, F.H. 17.11.1936 O. V. 18.11.1936 Miltner, Heinrich 18.11.1936 O. V. 20.11.1936 O. V.
22.11.1936 O. V. 22.11.1936 O. V.
Film-Echo.
Neukoellnische Zeitung Drehtage in 1800 Metern Höhe. Duesseldorfer Nachrichten Neue Bücher [Die Tiroler Kaiser- (Linzer) jäger am Col di Lana]. Tages-Post Standschütze Bruggler National[Bruggler-Film]. sozialistische Landpost Berliner Filmquerschnitt. Rostocker Anzeiger Standschütze Bruggler. Deutsches Wollen (Berlin)
– –
– – –
14 8 – – 4 –
–
694
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
22.11.1936 O. V. 24.11.1936 O. V.
01.12.1936 O. V. 04.12.1936 O. V. 06.12.1936 O. V. 10.12.1936 O. V. 19.12.1936 Bahls, Max
19.12.1936 O. V. 24.12.1936 O. V. 25.12.1936 O. V. 02.01.1937 O. V. 18.01.1937 Mimra, Robert 20.01.1937 O. V. 01.02.1937 O. V.
17.02.1937 O. V. 20.02.1937 O. V.
Titel
in
Standschütze Bruggler – privat. Berliner Tageblatt Berlijnsche Filmpremiere. Een Algemeen Tiroolsche oorlogsfilm naar den Handelsblad roman ‚Standschütze Bruggler‘. (Amsterdam) Standschütze Bruggler Wille + Macht [Bruggler-Film]. (München) Heldenlied der Standschützen. Westdeutscher Beobachter Standschütze Bruggler. Kölnische Zeitung Standschütze Bruggler. Ein Film Pommersche von Tiroler Heldentum. Zeitung Capitol. ‚Standschütze Nachrichten für Bruggler‘. Stadt und Land (Oldenburg) Aus den Lichtspielbühnen. Salzburger Chronik Aus den Lichtspielbühnen. Salzburger Volksblatt Standschütze Bruggler. Freie Stimmen (Klagenfurt) Filmschau [Ankündigung Neue KlosterneuBruggler]. burger Zeitung „Heimat in Not“. Ein neuer Süd- Salzburger tiroler Roman. Volksblatt Braunauer Nachrichten [Film- Neue Warte am aufführung Bruggler]. Inn Südtiroler Wo bleibt das KulturHeimat abkommen? [Verbote zweiter Texte BFs in Österr.]. Lichtspiele [Kurzrezension Badener Zeitung Bruggler]. Der Film [Aufführung Brugglers Salzburger auch in der Schweiz]. Volksblatt
Seite – –
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12 14 – 4 5 3 1
3 10
695
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
01.03.1937 O. V.
04.03.1937 O. V. 05.03.1937 O. V.
05.03.1937 O. V. 05.03.1937 O. V. 31.03.1937 O. V.
30.04.1937 O. V.
02.06.1937 O. V. 25.08.1937 O. V. 27.08.1937 O. V.
04.09.1937 O. V. 22.10.1937 O. V.
05.03.1938 O. V. 04.04.1938 O. V.
Titel
in
Seite
Dichter lesen vor [„Volksdeutsche Dichtung der Zeit“ in Berlin]. Grenz- und auslandsdeutsche Dichter bei Dr. Goebbels. Dr. Goebbels empfängt grenzund auslandsdeutsche Dichter [auch BF]. Österreichische Dichter in Berlin. Dichter bei Dr. Goebbels.
Salzburger Volksblatt
7
Aus Südtirol [Hinweis Verbot Das Vermächtnis der letzten Tage in Südtirol]. Rundfunkprogramm [Sendung mit BF „Aus dem großen Krieg“. Titel: „Nach Hause“. Aus den Lichtspielbühnen [Wiedervorführung Bruggler]. Das Rundfunk-Programm. Die Tiroler Kaiserjäger am Col di Lana [Hinweis Jugendstunde in Radio Wien am 30.08.1937, 15:15 Uhr]. Im Spiegel der Presse. Filmproduktion in Österreich. UfA-Filme im Werden [Ankündigung Ganghofer-Film Gewitter im Mai]. Aus den Lichtspielbühnen. Freilichtaufführung des „Standschütze Bruggler“ in Mayrhofen.
Berliner – Nachtausgabe. Deutsche All– gemeine Zeitung Salzburger Volksblatt Berliner Börsen-Zeitung Salzburger Volksblatt
5
Radio Wien
30
– 7
Salzburger 4 Chronik Linzer Volksblatt 3 Radio Wien 5
Tiroler Anzeiger 3 Österreichische Film-Zeitung
3
Salzburger Volksblatt Arbeitersturm
12 8
696
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
Titel
14.06.1938 O. V.
Die Frontdichter grüßen Guben [Reichsfrontdichtertreffen mit BF]. 18.06.1938 Lantschner, Tirol und der großdeutsche Fritz Gedanke [Bezug auf Bossi und Bruggler]. 28.06.1938 O. V. Von Frau Hitt zu Frau Sixta [Erinnerungen Ostermayrs an die Bruggler-Verfilmung]. 04.08.1938 Greinz, Bossi-Fedrigotti [Artikel über Heinz BF, Biografie]. 25.08.1938 O. V. Erste Filmvorführung der NSGaufilmstelle – Standschütze Bruggler. 08.11.1938 O. V. Neue Bücher und Zeitschriften [Hinweis Wir kommen, Kameraden!]. 15.11.1938 O. V. Nachrichten aus dem Gau [Vorführung Film Bruggler]. 25.11.1938 O. V. Korrespondenzen [Vorführung Film Bruggler]. 06.12.1938 O. V. Kleine Umschau [Hinweis auf Lesung für HJ in Ostpreußen]. 21.02.1939 O. V. Andreas Hofer – der deutsche Kämpfer! [Ansprache BFs zur 130-Jahr-Feier]. 21.02.1939 O. V. Von Habsburg verlassen – allein im Kampf gegen Frankreich. 21.02.1939 O. V. Gedenkrede für Andreas Hofer. 21.02.1939 O. V. 21.02.1939 O. V. 22.02.1939 O. V.
Im Zeichen des Stolzes, nicht der Trauer. Gedenkfeier für Andreas Hofer [Ansprache BFs]. Gedenkfeier für Andreas Hofer [Ansprache BFs].
in
Seite
Gubener Zeitung 1
Neues Wiener Abendblatt
7
Das kleine Volksblatt
5
Neues Wiener Tagblatt Innviertler Heimatblatt
2
Salzburger Volksblatt
12
Vorarlberger Tagblatt Salzburger Volksblatt Völkischer Beobachter Innsbrucker Nachrichten
8
Völkischer Beobachter Das kleine Volksblatt Salzburger Volksblatt Neues Wiener Tagblatt Vorarlberger Tagblatt
2
11
9 6 4
10 7 6 8
697
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
22.02.1939 O. V. 25.02.1939 O. V. 01.04.1939 O. V. 02.04.1939 O. V. 02.04.1939 O. V. 03.04.1939 O. V. 13.10.1939 O. V.
20.10.1939 O. V.
24.11.1939 O. V. 27.11.1939 O. V.
02.12.1939 O. V. 23.01.1940 O. V.
23.01.1940 O. V.
23.01.1940 O. V. 27.01.1940 O. V.
Titel
in
Seite
Gedenkfeier für Andreas Hofer [Ansprache BFs]. Andreas Hofer-Gedenkfeier auf dem Berg Isel. Lichtspieltheater-Folge [Vorführung Bruggler]. Kino-Programme [Vorführung Bruggler]. Kino-Programme von heute [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater-Folge [Vorführung Bruggler]. [Meldung Vorführung Bruggler zusammen mit einer Wochenschau durch die Gaufilmstelle]. Berichte aus dem Kreis Schärding [Vorführung Bruggler]. KdF-Kalender [Vorführung Bruggler im KdF-Haus Linz]. Aus der Arbeit der Partei im Gau [Vorführung Bruggler in der Jugendfilmstunde]. Der Film [Vorführung Bruggler durch Gaufilmstelle Salzburg]. Das deutsche Schrifttum im Rundfunk [BF bei Goebbel’schem Empfang] Dr. Goebbels vor den Dichtern. Empfang im Reichspropagandaministerium. Dichter- und Schriftstellertagung. Filmarbeit im Kreis Brünn [Vorführung Bruggler].
Illustrierte Kronen-Zeitung Bludenzer Anzeiger Das kleine Volksblatt Illustrierte Kronen-Zeitung Kleine Volks-Zeitung Das kleine Volksblatt Innviertler Heimatblatt
4
Innviertler Heimatblatt
12
(Linzer) Tages-Post Salzburger Volksblatt
4
Salzburger Volksblatt Neues Wiener Tagblatt
8
Kleine Volks-Zeitung
3
Salzburger Volksblatt Kleine Volks-Zeitung
6
1f. 14 31 26 12 12
4
3
8
698
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
14.07.1940 O. V.
17.06.1941 Grothe, Heinz 13.09.1941 Pollak, Walter
03.03.1942 Fink, Hermann 15.04.1942 Nägele, Hans 02.05.1942 O. V. 29.06.1944 O. V. 15.12.1944 O. V. 19.12.1944 O. V. 19.12.1944 O. V. 22.12.1944 O. V. 23.12.1944 Runge, Franz 23.12.1944 O. V. 03.01.1945 O. V. 06.01.1945 O. V. 10.01.1945 O. V. 12.01.1945 O. V.
Titel
in
Seite
Bereicherungen der Stadtbibliothek [Schenkung Manuskript Die alte Fahne]. Leier und Schwert. Dichter unter den Waffen. Fiedel und Schwert. Eine Betrachtung über die Dichtung im Donau- und Alpenland [Erwähnung BFs]. Neues Schrifttum. [Rezension Vormarschtage]. Büchertisch [Rezension Vormarschtage]. Unser Bücherschrank [Werbung Vormarschtage]. Kunst und Kultur [Beteiligter des Bruggler-Films gestorben]. Unterhaltungen [Vorführung Bruggler]. Unterhaltungen [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Tonfilm-Theater [Vorführung Bruggler]. Meraner Lichtspiele [Kinoaufführung Bruggler]. Hinweis Kinoaufführung ‚Standschütze Bruggler‘. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspiel-Theater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Unterhaltungen [Vorführung Bruggler].
Neues Wiener Tagblatt
11
Neues Wiener Tagblatt Deutsche Zeitung in den Niederlanden
4
Innsbrucker Nachrichten Vorarlberger Tagblatt Wiener Kronen-Zeitung OberdonauZeitung Kleine Wiener Kriegszeitung Kleine Wiener Kriegszeitung Bozner Tagblatt
5
Kleine Wiener Kriegszeitung Bozner Tagblatt
8
Bozner Tagblatt
8
Bozner Tagblatt
4
7
3 11 3 8 8 4
7
Badener Zeitung 4 Bozner Tagblatt
4
Kleine Wiener Kriegszeitung
8
699
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
16.01.1945 O. V. 16.01.1945 O. V. 17.01.1945 O. V. 18.01.1945 O. V. 19.01.1945 O. V. 23.01.1945 O. V. 27.01.1945 O. V. 30.01.1945 O. V. 02.02.1945 O. V. 03.02.1945 O. V. 14.02.1945 O. V. 23.02.1945 O. V. 28.02.1945 O. V. 03.03.1945 O. V. 24.03.1945 O. V. 27.03.1945 O. V. 03.04.1945 O. V. 10.04.1945 O. V.
Titel
in
Seite
Tonfilm-Theater [Vorführung Bruggler]. Unterhaltung [Vorführung Bruggler]. Lichtspiele [Vorführung Bruggler]. Lichtspiele [Vorführung Bruggler]. Tonfilm-Theater [Vorführung Bruggler]. Tonfilm-Theater [Vorführung Bruggler]. Lichtspiele [Vorführung Bruggler]. Lichtspiele [Vorführung Bruggler]. Tonfilm-Theater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspiele [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Unterhaltungen [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler].
Kleine Wiener Kriegszeitung Neues Wiener Tagblatt OberdonauZeitung OberdonauZeitung Kleine Wiener Kriegszeitung Kleine Wiener Kriegszeitung OberdonauZeitung OberdonauZeitung Kleine Wiener Kriegszeitung Bozner Tagblatt
8
Bozner Tagblatt
4
OberdonauZeitung Bozner Tagblatt
4
Bozner Tagblatt
6
Kleine Wiener Kriegszeitung Bozner Tagblatt
4
Bozner Tagblatt
2
Bozner Tagblatt
2
4 4 4 8 8 4 4 8 4
4
4
700
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
17.04.1945 O. V. 30.04.1945 O. V. 24.02.1950 Mumelter, Hubert 14.03.1952 Boensch, Alfred
22.03.1952 Rüdiger, Horst 13.09.1953 Rattay, Arno
23.03.1955 O. V.
03.06.1955 O. V.
20.12.1956 O. V.
01.03.1957 Pehr, Jas
12.03.1961 Czepuck, Harri
Titel
in
Seite
Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Lichtspieltheater [Vorführung Bruggler]. Die schöne Boznerin [Artikel über BFs Theaterstück in Meran]. Wir sprachen mit: Anton Graf Bossi-Fedrigotti [Interview/ Porträt BFs angesichts neuer Veröffentlichungen]. Roman vom Risorgimento [Rezension zu Die beiden Teraldi]. Goebbelspropaganda steigt aus dem Grab. Betrachtungen zum westdeutschen Film Beiderseits der Rollbahn. Landser-Film. So war die deutsche Wochenschau [Rezension des Films „So war der deutsche Landser“]. Bild ohne Deutung. ‚So war der deutsche Landser‘, kaum ein Dokumentarfilm. 08/15-Verbände schießen wie Pilze aus der Erde [DDRRezension zum „Deutschen Soldatenkalender“]. Hintergründe eines Freitodes [Prädikate für So war der deutsche Landser]. Wer zuerst schießt, hat mehr vom Leben?’ [Erwähnung So war der deutsche Landser].
Bozner Tagblatt
2
Bozner Tagblatt
2
Der Standpunkt
4
Der Standpunkt
6
Frankfurter All- – gemeine Zeitung Neues Deutschland
4
DER SPIEGEL
38f.
Berliner Zeitung 3
Berliner Zeitung 2
Berliner Zeitung 3
Neues Deutschland
4
701
Unselbstständige Publikationen Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
25.07.1966 O. V.
Titel
Ein neuer Führer durch den Vinschgau [Verlagswerbung]. 06.08.1966 Strobel, Der Tiroler Schriftsteller Anton Alfred Graf Bossi-Fedrigotti [Porträt 65. Geburtstag]. 06.08.1966 O. V. Anton Graf Fedrigotti 65 Jahre. Er schrieb das Hohelied der Standschützen. 14.08.1966 O. V. Graf Bossi-Fedrigotti feierte 65. Geburtstag. 19.08.1966 Rampold, Am Büchertisch. Vinschgau Josef [Rezension]. 09.07.1967 Hausberger, Ein Dank an Anton Graf Franz Bossi-Fedrigotti. 12.08.1967 O. V. Am Büchertisch. Pustertal [Rezension]. 15.09.1967 O. V. Anton Graf Bossi-Fedrigotti: Pustertal [Rezension]. 31.03.1968 Defregger, Mayrhofen auf Besuch bei der Franz ‚Enzian-Tresl‘ in Toblach. 03.07.1968 O. V. Südtiroler Landeskunde in neuem Kleid. Mit Anton Graf Bossi-Fedrigotti durch den Vinschgau (Neuauflage Vinschgau]. 27.12.1973 O. V. Am Büchertisch [Die goldgestickte Kokarde]. 07.08.1976 O. V. Graf Bossi Fedrigotti 75. 16.08.1976 O. V. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 75 Jahre alt. 18.12.1976 Radke, Helmut Damerau wurde 70 Doro Jahre alt [BF Gast bei Feier]. 14.07.1977 O. V. Und wieder einmal die Kaiserjäger: Kriegstagebuch. 15.11.1978 O. V. Am Büchertisch. Andreas Hofer: ‚Ade mein Land Tirol‘ [Verlagswerbung].
in
Seite
Dolomiten
5
Tiroler Tageszeitung (TT)
8
Dolomiten
12
Zillertaler Heimatstimme Dolomiten
1
Zillertaler Heimatstimme Dolomiten
1
Dolomiten
10
Zillertaler Heimatstimme Dolomiten
2
Dolomiten
7
Dolomiten Tiroler Tageszeitung (TT) Das Ostpreußenblatt Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
9 4
6
17
13
16 6 6
702
Bibliografie Anton Graf Bossi-Fedrigottis
Zeitungsartikel, in denen Bossi-Fedrigotti Erwähnung findet ( fortges.)
Datum
Verfasser
06.08.1981 O. V. 08.08.1981 O. V. 08.08.1986 Ri 07.09.1986 Wörndle, Josef 18.10.1986 O. V.
22.12.1990 O. V.
30.12.1990 O. V. 25.01.1991 Theil, Edmund
Titel
in
Seite
Anton Bossi Fedrigotti wird heute 80. Graf Anton Bossi Fedrigotti achtzig. Anton Graf Bossi Fedrigotti 85 Jahre. Anton Graf Bossi-Fedrigotti – 85 Jahre alt. Zwischen Geschichtsschreibung und Trivialroman. ‚Dolomitensaga‘ – Südtirol während des Faschismus. Aus der Welt der Geschichte und des Militärs. Anton BossiFedrigotti starb. Anton Bossi-Fedrigotti gestorben. In memoriam Anton Bossi-Fedrigotti.
Tiroler Tageszeitung (TT) Dolomiten
8
Dolomiten
29
Zillertaler Heimatstimme Tiroler Tageszeitung (TT)
10
Tiroler Tageszeitung (TT)
13
Dolomiten
Dolomiten
26
3.
Varia
3.1
Drehbücher/Filmberatung
5
–
Standschütze Bruggler (1936), Filmberatung als Autor, Ostermayr-UfA, Uraufführung 28.06.1936. Gewitter im Mai (1938), Drehbuch, Ostermayr-UfA, Uraufführung 22.02.1938. Land zwischen Gletschern und Reben (1952), BF Regisseur, Certus-Film München. Beiderseits der Rollbahn (1953), Militärische Filmberatung, Certus-Film München. Uraufführung 07.07.1953. Canaris (1954), Militärische Filmberatung, Fama-Film (Friedrich A. Mainz). So war der deutsche Landser (1956), Militärische Filmberatung, Arca-Film Göttingen u. Berlin. London ruft Nordpol (London chiama Polo Nord) (1958), Militärische Filmberatung, Excelsa-Film.
703
Varia
Unter 10 Flaggen (Sotto dieci Bandieri) (1959), Militärische Filmberatung, UfA. Uraufführung Juni 1960 während der 10. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Der Weg zurück (1961). Die vier Tage von Neapel (Le quattro giornate di Napoli) (1962). Der Prozeß von Verona (Il processo di Verano) (1963). Leuchtendes Zillertal (1968), Uraufführung 18.01.1968 in Mayrhofen.
3.2
Hörspiele1
3.3
Theaterinszenierungen
Der Familientag (um 1965). Die Blumenkönigin (um 1965). Der Heimkehrer (um 1965). Andreas Hofers Tod (um 1965).
Kabale und Liebe (1950), Theater Brixen. Schöne Boznerin (1952), Minerva-Theater Bozen.
1 O. V.: „Der Tiroler Schriftsteller Anton Graf Bossi-Fedrigotti“. In: Tiroler Tageszeitung v. 06.08.1966, S. 8.
Die Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) bei den oberen Kommandobehörden im Zweiten Weltkrieg (möglicherweise unvollständig; für die vorliegende Untersuchung zusammengetragen und verglichen) Die Heeresgruppenkommandos verfügten (grundsätzlich) über keinen VAA. Die Vertreter bei den AOKs waren berechtigt, Kontakt zum jeweiligen HG-Kommando aufzunehmen. Mit dem Beginn des Feldzuges im Osten rückten die 2., 4., 6., 9., 16., 17., 18. und 19. Armee, die Armee Norwegen und die 1., 2. sowie 4. Panzerarmee vor (12 VAAStellen im Osten).1 Im Juli 1942 waren 15 VAAs eingesetzt.2 Keipert/Grupp (2000-2014) benennen über die einzelnen Personalnachweise noch weitere VAA-Stellen bei den Reichskommissariaten u. bei einzelnen, kurz aufgestellten Einheiten.
AOK / HG
Zeitraum
Name
Nachweise / Belege
VAA beim OKH
09/193901/1945
Hasso von Etzdorf
– Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2000), S. 531f. – Keipert/Grupp (2005), S. 675.
VAA bei 1940-1941 OKW/ WPr. 10/194103/1943
Roland Krug von Nidda Walter Hellenthal
1 Hürter (2003), S. 369. 2 Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737.
– Keipert/Grupp (2005), S. 251. – Interner Bearbeitungsvermerk der Abt. Pers. AA v. 11.06.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60732-60734.
706
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
Zeitraum
Name
06/194301/1944
Anton Graf – Fernschreiben Personalabteilung Bossi-Fedrigotti OKH an WBK VII v. 07.06.1943, PA AA, Personalakten, Nr. 001565, Pers. Geldangelegenheiten Anton Graf Bossi-Fedrigotti. – Keipert/Grupp (2000), S. 236f. Dr. Heinrich – Keipert/Grupp (2008), S. 297. von zur – (Mühlen setzte allerdings schon im Mühlen Oktober 1943 einen Vermerk als VAA beim OKW/WPr. auf, allerdings in Vertretung. Siehe „Verteilervermerk v. 25.10.1943“. PA AA, R 29644, Büro Staatssekretär). Dr. Walter – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann Lierau (2011), S. 213 u. 737. – Keipert/Grupp (2008), S. 77f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – Stimmungsbericht des VAA beim AOK 1, Dr. Lierau, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 26.01.1941. PA AA, Paris 1293. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60742 u. 60743. – Bericht Nr. 1(a) des VAA beim Dr. Max AOK 2 Abt. Ic/AO v. 31.01.1940, PA SchäferAA, R 60703. Rümelin – Keipert/Grupp (2012), S. 38f.
03/19441945
AOK 1
11/193909/1942 (danach Stelle offenbar unbesetzt)
AOK 2
11/193901/1940
Nachweise / Belege
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
707
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
AOK 4
Zeitraum
Name
02/194003/1943
Anton Graf – Keipert/Grupp(2000), S. 236f. Bossi-Fedrigotti – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402 (u. a.). – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 6070260714, 60896, 60897 u. 60850a. Franz – Bericht Nr. 51 des VAA beim AOK 4, Schattenfroh Abt. Ic, Legationsrat Rittmeister Schattenfroh, an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 22.08.1940. PA AA, Paris 1293. – BF an AA, Inf. Abt., Konsul v. Tucher v. 15.03.1940, PA AA, R 60703. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Fernschreiben Schattenfroh, VAA beim AOK 4, an BF v. 06.12.1941, PA AA, R 60714. – Hürter (2003), S. 369, Fn. 25. – Keipert/Grupp (2012), S. 46f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771.
01/194003/1943
Nachweise / Belege
708
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
AOK 6
Zeitraum
Name
10/193910/1941
Walter Hellenthal
10/194111/1942
Conrad von Schubert
Nachweise / Belege – Schattenfroh, VAA beim AOK 4, an VAA beim OKW/WPr. v. 10.03.1942, PA AA, Paris 2402. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 6075760759, 67674. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2005), S. 251. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 6072960732, 60735 u. 60736. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 211, zitiert hier einen Bericht Schuberts, VAA beim AOK 6, Abt. Ic v. 26.10.1942, PA AA, R 60695. Siehe auch S. 737. – Keipert/Grupp (2012), S. 179f. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60761, 60762, 60763 u. 60764.
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
709
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
Zeitraum
Name
Nachweise / Belege
AOK 7
11/193909/1942
Dr. Johannes Richter
05/194003/1941
Erich von Luckwald Konsul Salowsky Heinrich Buscher Josef Schlemann
– Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2008), S. 648f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – Rantzau, Inf. Abt. AA, an Richter, VAA beim AOK 7, v. 14.08.1941, PA AA, Paris 2402. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60754 u. 60755. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60744. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60728. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60715. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Hürter (2003), S. 370, zitiert hier Schlemann an Rantzau, Inf. Abt. AA, v. 27.06.1941, PA AA, R 60760. – Keipert/Grupp (2012), S. 82f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402.
AOK 9
07/194004/194108/1941 (offiziell wohl bis 03/1942, Lazarett)
710
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
AOK 10
Zeitraum
Name
05/194205/1943
Werner Schütt
09/193910/1939
Walter Hellenthal
Nachweise / Belege – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 67673 u. 60760. – Aktenvermerk d. AA v. 16.05.1942, PA AA, Paris 2402. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 212, zitiert hier einen Bericht Schütts, VAA beim AOK 9, Abt. Ic., v. Ende 1942, PA AA, R 60765. Siehe auch S. 737. – Hürter (2003), S. 369, Fn. 25. – Ebd., S. 371, Anm. 34, zitiert hier ‚Gedanken über den Einsatz politischer Mittel gegen die SovjetUnion‘, VAA beim AOK 9 v. Ende 1942, PA AA, R 60765. – Keipert/Grupp (2012), S. 187f. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60765 u. 60766. – Keipert/Grupp (2005), S. 251. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60729 u. 60735.
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
711
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
AOK 11
AOK 12
Zeitraum
Name
Nachweise / Belege
Rudolf von Scheliha
– Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – (Kein Nachweis bei Keipert/Grupp (2012), S. 55f. S. sei Mitarbeiter in der Inf. Abt. gewesen.) – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2012), S. 24f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60756. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Hürter (2003), S. 372 (u. a.). – Keipert/Grupp (2005), S. 275ff. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60737-60741. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60754.
07/194108/1941 (10/41?)
Reinhold von Saucken
08/194110/1942
Dr. Werner Otto von Hentig
10/193903/1941
Dr. Johannes Richter
712
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
Zeitraum
Name
04/194105/1941
Alfred Frauen- – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann feld (prov.) (2011), S. 737. – (Kein Nachweis bei Keipert/Grupp (2014), Register). – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60717. – PA AA, Verzeichnis RZ501 GeheimFelix Benzler akten 1932-1945: PA AA, R 60701. (beim Wehrmachtbefehlshaber Südost?) – Keipert/Grupp (2012), S. 39f.: Kein Dr. Max Einsatz als VAA, sondern „DienstSchäferleistung zu Propagandazwecken“ v. Rümelin 09-10/1939 bei AOK 14). – Longerich (1987), S. 118. Otto von Grote – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60728.
04/194105/1942
AOK 14
1939
AOK 16
10/1939Anfang 1940 01/19404/1943
Alfred Frauenfeld
Nachweise / Belege
– „Bericht 3/41 vom 26. Feber 1941“. VAA beim AOK 16, Abt. Ic., Alfred E. Frauenfeld, an Rantzau, Inf. Abt. AA, über VAA beim OKW, Abt. WPr. PA AA, Paris 1293. – Heuss (1997), S. 543. – Hürter (2003), S. 369, Anm. 25. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771.
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
713
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
Zeitraum
AOK 17
07/194105/1943
AOK 18
07/194111/1942
Name
Nachweise / Belege
– (Kein Nachweis bei Keipert/Grupp (2014), Register). – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60716-60726. Dr. Karl-Georg – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann Pfleiderer (2011), S. 210, zitiert hier einen Bericht Pfleiderers, VAA beim AOK 17, Abt. Ic, v. 24.07.1942, PA AA, R 27635, Bl. 140-148. Siehe auch S. 737. – Hürter (2003), S. 370, Anm. 29, zitiert nach Telegrammen Pfleiderers aus Lemberg v. 01.07. u. 05.07.1941, PA AA, R 60751. – Keipert/Grupp (2008), S. 472f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 6075160753 u. 60892, 60893, 60850b u. 60850c. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann Reinhold (2011), S. 211, zitiert hier einen Brief Freiherr von v. Ungern-Sternberg an UnterstaatsUngernsekretär Luther v. 24.07.1942, PA Sternberg AA, R 27634, Bl. 442-446. Siehe auch S. 737.
714
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
AOK Norwegen/ Lappland (Finnland)
Zeitraum
12/193906/1940 07/194112/1941
Name
Heinrich Buscher Gerhard Todenhöfer (Stab Generaloberst von Falkenhorst)
Nachweise / Belege – Fernschreiben BF an Sonderführer Schelmat, vorübergehend Gehilfe beim AOK 2, Abt. Ic, v. 09.08.1941, PA AA, R 60714. – Keipert/Grupp (2014), S. 100f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – Vermerk AA an BF v. 06.03.1942, PA AA, R 60710. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60768 u. 60769. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60715. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Hürter (2003), S. 369, Anm. 25. – Keipert/Grupp (2014), S. 54f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R 60767.
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
715
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
Zeitraum
Name
PzAOK 1
1942-1943
Dr. Friedrich Wilhelm Lehmann
PzAOK 2
1942-1943
PzAOK 3
Nachweise / Belege
– Aktenvermerk d. AA. v. 16.05.1942, PA AA, Paris 2402. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 210, zitiert hier einen Bericht Lehmanns, VAA beim PzAOK 1, Abt. Ic v. 09.06.1942, PA AA, R 60695. Siehe auch S. 737. – Keipert/Grupp (2008), S. 39 (laut dieser Angabe war. L. später noch VAA bei der HG Südukraine u. HG Süd). – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. Ernst Oster– Conze/Frei/Hayes/Zimmermann mann von Roth (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2008), S. 413f. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60749 u. 60750. Offenbar kein – Hürter (2003), S. 369. VAA zugeteilt
716
Vertreter des Auswärtigen Amts ( VAA ) im Zweiten Weltkrieg
Vertreter des Auswärtigen Amts (VAA) ( fortges.)
AOK / HG
Zeitraum
Name
Nachweise / Belege
PzAOK 4
06/194203/1943
Dr. Heinrich von zur Mühlen
Deutsches AfrikaKorps / Pz-Gruppe Afrika
05/194112/1943
Konstantin Freiherr von Neurath
OB Tunis / HG Afrika
11/194205/1943
Rudolf Rahn
– Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Hürter (2003), S. 369, Anm. 25. – Keipert/Grupp (2008), S. 297. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2008), S. 360f. – „Liste der Verbindungsoffiziere des Auswärtigen Amtes“, o. D., PA AA, Paris 2402. – „Liste der Verbindungsoffiziere“ v. 01.07.1942 u. „Liste der Verbindungsoffiziere“, Verteilerliste, betr. OKWBefehl 9519/42, v. 04.07.1942, PA AA, R 60771. – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – Keipert/Grupp (2008), S. 557ff. – Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (2011), S. 737. – (Nachweis bei Keipert/Grupp (2005), S. 686, ist nicht im Detail nachzuvollziehen.) – PA AA, Verzeichnis RZ501 Geheimakten 1932-1945: PA AA, R. 60716.
Befehlsh. Kroatien
Ernst Kühn
AOK Freudenstadt
Hans Kramarz
Zusammenfassung Der Schriftsteller, Drehbuchautor, Journalist, Landwirt und Kriegsberichterstatter Anton Graf Bossi-Fedrigotti (1901-1990) war einer derjenigen Südtiroler, die dem NS-System in vielerlei Hinsicht besonders dienstbar waren. Als Angehöriger des österreichisch-südtirolischen Adels wurde er 1918/19 zum desillusionierten Kriegsverlierer, später vom italienischen Soldaten zum engagierten Nationalsozialisten und einflussreichen Vermittler zwischen Südtirol und der NSDAP, und er arrangierte 1932 das Treffen Adolf Hitlers mit südtiroler Vertretern zur Einbeziehung ihres Landes in die territorialen Forderungen der Partei. Erst nach seiner Flucht aus Italien (1928) wurde ihm seine Heimat Südtirol ein ‚urdeutsches Land‘, dessen Geschichte er vor allem literarisch für völkisch-ideologische Zwecke instrumentalisierte. Schon früh wechselte er auf die erfolgversprechende Seite, diente sich (auch als Landesleiter der Reichsschrifttumskammer im Gau Tirol-Vorarlberg) eifrig den Machthabern an und arbeitete für höchste NS-Vertreter. Infolge intensiver Recherchen liegt eine Fülle von Quellenmaterial, Personal-, Kriegs- und diplomatischen Akten aus mehr als zwanzig Archiven des In- und Auslandes, darunter Moskau, Bozen und Berlin, dieser Studie zugrunde. Diese Materialien belegen: Beständig gut vernetzt und überaus engagiert, half Bossi in literarischer, institutioneller, politischer und militärischer Hinsicht mit, das NS-System zu stabilisieren, und zwar auf einer mittleren Funktionsebene. Er gehört zu jenen kleinen Schwungrädern (Steinacher/Paul/Mallmann), die seit einiger Zeit stärker in den Blick der Wissenschaft genommen werden. Als Kriegsberichterstatter und Propagandist des Auswärtigen Amtes erlebte er den Zweiten Weltkrieg an verschiedenen Fronten und beteiligte sich dabei aktiv am rasseideologischen Vernichtungskampf. Die vorliegende, chronologisch strukturierte literaturpolitische Biografie des Autors orientiert sich an wesentlichen Perioden und Bruchstellen seines Lebens und wird systematisch anhand kontextualisierender Einschübe und personeller, militärischer und institutioneller Hintergrundinformationen ergänzt. An der bis lange nach 1945 wirkenden Nazifizierung Südtirols hat Bossi-Fedrigotti beträchtlichen Anteil, vor allem als Schriftsteller von mehr als 60 Romanen und Erzählungen mit einer Gesamtauflage von über einer halben Million Exemplaren. Qualitativ-ideologiekritische Textanalysen zeigen: Sie (und die Filme, an denen er mitwirkte) transportieren, von 1934 bis zu seiner letzten Publikation 1990, völkische Ideologeme, verzerren und simplifizieren historische Kontexte, glorifizieren Krieg und ‚Heldentod‘ und legitimieren sowie popularisieren auf intellektuell und ästhetisch meist dürftige Weise das Handeln des NS-Regimes. Nach 1945 fing ihn das Netz aus Weggefährten, NS-Sympathisanten und rechtsextremen Verlagen auf; seine öffentliche Reputation litt nicht. Die letzten Jahrzehnte,
718
Zusammenfassung
in denen er hohe Auszeichnungen erhielt und schriftstellerisch wieder erfolgreich wurde, lebte er in Bayern, Italien und Österreich. Seine in unkommentierten Neuauflagen erhältlichen Texte dienen bis heute als Legitimationsgrundlage rechtsextremen und rechtspopulistischen Wirkens in Deutschland, Österreich und Südtirol.
Danksagung Über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, durch die Studienzeit hindurch bis zur Promotionsphase, bei Bewerbungsverfahren für Promotionsförderungen, oder aber in den unzähligen, guten und persönlichen Gesprächen und bei der Eruierung literaturgeschichtlicher und historischer Fragestellungen, die wir oft gleichermaßen spannend fanden (und finden), hat mich mein Doktorvater, Prof. Dr. Dr. Rolf Düsterberg (Universität Osnabrück), stets fordernd und fördernd, ermutigend und empathisch begleitet. Ihm gilt in allererster Linie mein großer Dank. Auch meinem Zweitprüfer, Prof. Dr. Gerald Steinacher (University of Nebrasca, Lincoln), möchte ich herzlich für den spannenden Austausch und gute Anregungen danken. Ganz besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang die Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw), die mich mit einem Promotionsstipendium im ‚Studienkolleg‘ für Lehrer großzügig und umfassend gefördert und bei meinen Auslandsreisen nach Österreich und Italien unterstützt hat. Dass ich darüber hinaus für eine Zeit in Moskau leben und forschen durfte, verdanke ich einem Stipendium des Deutschen Historischen Instituts Moskau (DHI). Zu großem Dank bin ich auch all den Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verpflichtet, denen ich entweder begegnet bin oder die mir oft mit Material aus ihrem Fundus geholfen sowie neue Anregungen gegeben haben: Meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Doktorandenkolloquium für unzählige gute Diskussionen (Mathias Ehrenbrink, Isa Freiin von Nolcken, Julia Zarfl, Nicole Giannotti, Dr. Daniel Rüffer, Mattes Schmerdtmann), Dr. Leopold Steurer (für viele hilfreiche Anregungen), PD Dr. Helmut Alexander (für das Material der Landesbilddokumentation Tirol), Dr. Jürgen Kühnert (für die Unterlagen zum Bruckmann-Verlag), Dr. Felix Römer (DHI London, HU Berlin), Dr. Jan-Pieter Barbian (Stadtbibliothek Duisburg), Dr. Ursula A. Schneider (Brenner Archiv Universität Innsbruck), Dr. Karin Lauf-Immesberger (für Unterlagen zu NS-Schulbüchern), Mag. Roland Sila und den Kollegen der Landesbibliothek Ferdinandeum in Innsbruck (für die Hilfe bei der Suche nach Zeitungen und Verweisen), Torsten Zarwel (Bundesarchiv Berlin), Margot Pizzini (Südtiroler Landesarchiv), Dr. Martin Kröger (Politisches Archiv des AA), Dr. Harald Toniatti (Staatsarchiv Bozen), Dr. Matthias Uhl (DHI Moskau), PD Dr. Lutz Klinkhammer (DHI Rom), Dr. Karin Gradwohl-Schlacher (Universität Graz), Dr. Tamara Scheer (Archiv der Anima), Dr. Michael Holzmann (Forschung zur ‚Österr. Legion der SA‘), Gisela Hormayr und Erika Ausserdorfer (Kufstein), Armin Sparer (Dolomiten), Dr. Thomas Casagrande, den Journalisten Markus Wilhelm (dietiwag.org) und Mario Tedeschini-Lalli, der Familie v. Arnim, Ursula Stampfer und Simon Terzer (Kloster Neustift) und Pater Dr. Alex Blöchlinger SJ (1924-2018), dem ehemaligen Schulleiter der Stella Matutina, dessen Hilfsbereitschaft und umfassende Kenntnis
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Danksagung
‚seiner Schule‘ ich noch kennenlernen durfte. Ich danke auch den vielen weiteren Helferinnen und Helfern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive, Bibliotheken und der vielen Ämter und Behörden und auch denen, die ich hier möglicherweise vergessen haben sollte. Während meiner Promotionszeit, die sich noch über das Absolvieren des Lehramtsreferendariats für Gymnasiallehrer hinauszog und die dann schließlich knapp sechs Jahre umfasste, konnte ich immer auf die Unterstützung meiner Freunde, Weggefährten und Studienkolleg/-innen setzen, die gerne kritisch und zeithistorisch interessiert nachfragten. Mitunter haben wir Abende lang über die ‚Causa Bossi‘ diskutiert – das bleiben einprägsame Erinnerungen. Schließlich danke ich auch meiner Familie, meinen Eltern Günther und Agnes, meiner Schwester Sarah und ihrem Mann Andreas, für den Zuspruch und mitunter latente Aufforderungen, über den Fortschritt der Dissertation zu berichten, der leider nicht immer quantitativ oder gar qualitativ anzugeben war. Vor allem aber danke ich meiner Frau Benita, die die gesamte Promotionsphase so herzlich und einfühlsam begleitet hat, sich unzählige Details und Gedankenfetzen in begeisterter und niedergeschlagener Stimmung anhören durfte, die mit gutem Zuspruch, ihrem Verzicht auf gemeinsame Zeit, ihrer Unverzagtheit und ihrer Liebe einen großen Anteil daran hat, dass diese Arbeit nun vorliegt.
Personenregister Abbas, Mahmud 391 Abel, August 138 Abel, Kornel 222 Abetz, Otto 327, 332-335, 384, 438, 461, 479 Ackemann (SS, StOProp) 446 Albers, Hans 134 Alexander, Kurt 273 Allgeier, Sepp 233 Alvensleben, Wichard von 460 Amann, Klaus 7, 269, 464, 525 Ansel, Walter C. 498 Arnim, Claus von 61f. Arnim, Hans-Karl Friedrich von 61f. Aschenauer, Rudolf 183 Attolico, Bernardo 228, 299 Augstein, Rudolf 473, 478 Auinger, Josef 410 Axmann, Artur 334 Bach-Zelewski, Erich von dem 426f. Badendieck, Friedrich Carl 150f., 153, 157, 159, 183, 257, 550 Balzer, Rudolf 458 Baroni, Orsini 152 Battisti, Cesare 22 Baumann, Major (Ic AOK 2) 390, 413f. Bayern, Marie Therese Königin von 13 Bazin, René 12 Becher, Johannes R. 378 Beecken, Volker 521 Beer, Johannes 6 Behrends, Hermann 299 Bene, Otto 268, 299, 441 Benedek, Carl 236, 492 Berger, Franz 477 Beumelburg, Werner 214, 220 Beutler, Marko 544 Bley, Wulf 241 Blöchlinger, Alex 30f., 34, 37 Blomberg, Werner von 228, 259, 279 Blum, Léon 34, 460 Blunck, Hans-Friedrich 478, 482 Boensch, Alfred 494 Bohle, Ernst Wilhelm 184f., 299 Bommel, Gerhard 273
Bonaparte, Napoleon 20, 371, 412 Bosch, Carl 262 Bossi-Fedrigotti, Aida Johanna Gräfin 12 Bossi-Fedrigotti, Alexandra Assunta Gräfin 481, 535 Bossi-Fedrigotti, Alfons Graf 12ff., 18, 26-29, 34ff., 42, 54, 61, 77-82, 87, 93, 138, 140, 146, 318, 581 Bossi-Fedrigotti, Astrid Dagmar Liselotte Gräfin 272, 481, 571 Bossi-Fedrigotti, Clothilde Gräfin 15f. Bossi-Fedrigotti, Elisabeth Gräfin 28 Bossi-Fedrigotti, Ferdinand Graf 137 Bossi-Fedrigotti, Itha Maria Gräfin 11-14, 27f., 31, 36, 42, 46, 81, 87, 92, 98, 122, 138, 248, 335 Bossi-Fedrigotti (geb. Bruder-Splittgerber), Liselotte Gräfin 123, 131-134, 138, 154f., 167, 236, 458, 481 Bossi-Fedrigotti, Ludwig Graf 16 Bossi-Fedrigotti, Luisa Armandina Gräfin 12 Bossi-Fedrigotti, Maria Antonietta Gräfin 12 Bossi-Fedrigotti, Mauritius Graf 29 Bossi-Fedrigotti, Peter Graf (Großvater) 12, 16 Bossi-Fedrigotti, Peter Graf (Sohn) 11, 481, 571 Bossi-Fedrigotti, Philipp August Graf 12 Bossi-Fedrigotti, Wilhelm Freiherr von 15 Botha, Louis 13 Brauchitsch, Walther von 332f., 366 Brehm, Beppo 227 Brehm, Bruno 260, 317, 495, 545 Breker, Arno 509 Bruckmann, Hugo 241f., 541 Bruder-Splittgerber, Anna 133 Bruder-Splittgerber, Erich 133 Brückner, Wilhelm 149, 160, 257 Brüning, Heinrich 164 Brünn, Siegfried 273 Bülow, Bernhard Wilhelm von 190f. Buoso, Fedrighello del 15 Buoso, Nicolo del 15 Bürk (NSKK-Brigadeführer) 385 Buscher, Heinrich 335
722 Chamberlain, Houston Stewart 241 Chlud, Lola 227 Ciano, Edda 528 Ciano, Galeazzo Graf 219 Conan Doyle, Arthur 33 Crüwell, Ludwig 367 d’Alquen, Gunter 446, 450 Daalen, Robert van 494 Damerau, Helmut 504, 574 Damrau, Hans 446 Darré, Richard Walther 27, 53, 125f., 166, 178, 212, Degrelle, Èdouard (Sohn) 320 Degrelle, Èdouard (Vater) 320 Degrelle, Léon 320 Derlatt, Daniel 412 Dierichs (StOProp) 446 Dietrich, Marlene 134 Dietrich, Sepp 160f. Dits, Hans Emil 177, 186 Dollfuß, Engelbert 187, 193, 196, 198 Domizlaff, Borante 453 Dönhoff, Marion Gräfin 432 Dörrenhaus, Fritz 179f. Dotti, Giorgio 88 Droste, Wilhelm Fr. 322 Duesterberg, Theodor 165 Dühring, Karl Eugen 272 Düsterberg, Rolf 577 Dwinger, Edwin Erich 430 Eggers, Kurt 450f., 459 Eichmann, Adolf 477 Eichthal, Amalie Freiin von 16 Eichthal, Bernhard Freiherr von 15 Epp, Franz Xaver Ritter von 46f., 63, 148f., 228, 334 Fabeck (StOProp) 446 Falkenhausen, Alexander von 34, 460 Fermor, Patrick Leigh 325 Fischer, Josef 32, 505 Flandin, Pierre-Etienne 327 Fleissner, Herbert 563 Frank, Hans 155f., 160, 162f., 173 Frass, Hermann 474 Frauenfeld, Alfred 153, 157, 311
Personenregister Frick, Wilhelm 160f., 164, 178 Fritsch, Eberhard 477f. Fuchs, Wilhelm 350 Funk, Walther 192 Fussenegger, Gertrud 223, 477 Gaismair, Michael 240 Galen, Clemens August Graf von 33 Galen, Franz Graf von 176 Gallian, Otto 195 Gallmetzer, Anton 592f. Gamper, Michael 68f., 109, 132, 145, 149 Ganghofer, Ludwig 281 Ganz (Prop-Abt. It.) 448 Gartscha, J. v. 11 Gartscheid, J. v. 12 Gehlen, Reinhard 323, 333, 371, 461, 473, 479 Gehring, Viktor 227 Geier (NSKK-Mann) 331f. Geßler, Otto 155, 181, 183 Giessler (StOProp) 446 Glaise von Horstenau, Edmund 351f. Globocnik, Odilo 264 Godin, Michael Freiherr von 133 Godin, Reinhard Freiherr von 132, 138 Goebbels, Joseph 2, 117, 135, 166, 177, 189, 198, 225, 231, 259ff., 279, 281, 285, 289, 291f., 309, 313, 317, 357, 376, 424, 440, 458f., 461, 478 Goetzen, Gustav Graf von 132 Goerzen, Willy 236 Goldegg und Lindenburg, Anton von und zu 13, 488, 547 Goldegg und Lindenburg, Emma von und zu 13 Goldegg und Lindenburg, Hugo von und zu 11, 15 Goldegg und Lindenburg, Philomena von und zu 11f. Göring, Hermann 131, 152, 186, 191, 198, 229, 264, 279 Gräff, Dietrich 236 Graziani, Andrea 124 Greifelt, Ulrich 299 Greinz, Hugo 269 Grieving, Hermann 229 Grillparzer, Franz 189f. Grimm, Hans 542
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Personenregister Großkopf, Georg Wilhelm 314, 374, 382, 397 Grothmann, Werner 423 Gstettenbauer, Gustl 227 Guderian, Heinz 319 Gumpel, Bruno 272 Günther, Hans F. K. 478, 493, 511 Gutterer, Leopold 311, 447f. Haas, Franz 238 Habicht, Theodor 164, 185-188, 190, 193, 198, 309, 311, 316ff., 328, 432, 585 Haeften, Hans Bernd von 325 Haegert, Wilhelm 429f. Hahn-Butry, Jürgen 275f. Haider, Friedrich 546 Halder, Franz 34, 332, 371, 460 Hanfstaengl, Ernst 160f. Harteneck, Gustav 368, 377, 397, 418 Hattis, Othmar 257 Hebra, Wilhelm Ritter von 133, Heil de Brentani, Mario 276 Heinrici, Gotthard 361f. Hellenthal, Walter 335, 438 Hentig, Werner Otto von 369, 432f. Herbst Kaspar 17 Herbst, Christoph 17 Herbstenburger, Toni 9, 18, 123, 476f., 480, 494, 590 Herre, Paul 139, 141 Herwegen, Ildefons 262 Heß, Rudolf 149, 159f., 165ff., 184, 257f., 267, 286f., 295f., 584 Heydrich, Reinhard 135, 181, 273, 299, 387, 401, 424ff. Heysing, Günther 323, 347, 450, 479, 512, 520 Hielscher, Margot 494 Hilger, Gustav 375, 397 Hillebrand, Rudolf (Rolf) 164, 176 Himmler, Heinrich 4, 160ff., 173, 181, 235, 298ff., 305, 385f., 401, 423-428, 434, 457, 461, 480, 567, 586 Hindenburg, Paul v. 165f., 168, 171 Hinkel, Hans 3, 150, 152-160, 162, 165ff., 171f., 179, 181-185, 217, 225-228, 231, 241f., 256f., 262, 287, 290, 448, 458, 502, 541, 584, 585 Hippler, Franz 498
Hitler, Adolf 2, 4, 46, 55, 101, 106, 110-113, 116, 119, 121, 133, 135, 138, 144, 148-168, 170-173, 175ff., 180ff., 184-189, 192, 196, 198, 218f., 228f., 239, 241, 251, 254, 257ff., 262-265, 267, 270, 274ff., 292, 297-300, 304f., 314, 317f., 327f., 333, 337, 349f., 356, 358, 360, 370f., 373, 375f., 378, 382ff., 387, 392, 399, 417, 421, 423f., 426, 430f., 435, 437, 440, 461, 472, 480, 500, 566, 583ff., 586, 588, 591 Hofer, Andreas 20, 43ff., 66, 71, 98ff., 107f., 115, 122, 166, 179, 211, 223, 236, 238f., 270f., 277f., 280, 291f., 507, 526f., 529, 531, 551, 559, 579 Hofer, Franz 1, 37, 49, 107, 116, 164, 175, 186, 234, 256f., 268, 271, 285ff., 289f., 292-298, 303, 305, 354, 397f., 428, 440-443, 448, 456, 457f., 468, 474, 576, 585, 588 Hofer, Peter 566f. Hofmann, Hans Georg 63 Hohlbaum, Robert 260 Hopfner, Isidor 32, 40, 44 Hudal, Alois 475f., 479 Hugenberg, Alfred 120ff., 124 Hütter, Helmut 99 Innerkofler, Adolf 96-99, 105, 107ff., 115f., 132, 140, 152f., 155, 166, 583 Innerkofler, Sepp 526 Irkens, Josef 319f., 325f., 356f., 359f., 388, 390, 402, 406f., 413, 437, 518 Italien, Viktor Emanuel III. König von (Savoyen) 66 Jelusich, Mirko 260 Johst, Hanns 285, 288, 430, 482, 596 Jünger, Ernst 323 Jushny, Jascha 415 Kaden, Eric 544 Kaffke, Erwin 325 Kafka, Franz 28 Kaltenboeck, Bodo 222 Kaltenbrunner, Ernst 387, 426, 480 Kaminski, Bronislaw 410, 417-428, 434, 586f. Kapp, Wolfgang 62, 646 Kappler, Herbert 453f.
724 Kaulitz, Gertrud 273 Kaulitz, Margarete 273 Keitel, Wilhelm 392 Keppler, Wilhelm 264 Kerscher, Ludwig 227 Kerstens, Artur 380, 389, 399, 411, 415, 418, 429, 431 Kesselring, Albert 444f., 447, 453, 455 Kienesberger, Peter 541, 544f., 574f. Kiermaier, Josef 423 Kindermann, Heinz 224, 275 Kinz, Franziska 227f. Kirchbach, Hans Hugo Graf von 197 Klein-Ehrenwalten, Arthur Ritter von 281 Kleist, Peter 399 Klemperer, Viktor 55, 120, 182, 213, 267, 312, 463 Klingler, Werner 227 Knoblauch, Kurt 423 Knoll (Fahrer) 431 Koch, Gerhard 423 Köck, Eduard 227 Kolb, Alois 237 Konsalik, Heinz G. 517 Köpke, Gerhard 152f., 164, 186 Kopps, Reinhard 478 Kortner, Fritz 134 Kraemer, Hans 132, 134 Krallert, Wilfried 385 Kratzer, Rolf 313, 449 Kraus, Felix 110, 146, 148, 156ff., 160, 162ff., 171, 583 Krebs, Hans 184f. Küchler, Georg von 372 Kügelgen, Helmut von 421f. Kühne-Hellmessen, Gisbert W. 224 Künsberg, Eberhard Freiherr von 332, 349, 359, 383-387, 431 Kvaternik, Slavko 350ff., 371 Langenbucher, Hellmuth 6, 41, 76, 208, 218, 224, 252, 275 Lantschner, Fritz 476 Lanz, Markus 592 Laufer (StOProp) 446 Leers, Johann von 208 Leier (General) 448 Lengeling, Emil Joseph 460 Ley, Robert 178
Personenregister Lippmann, Valentin 544 Lorenz, Werner 299 Löwe-Langer, Hans 194, 254 Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, Alois Fürst zu 176 Lüdecke, Karl 111 Ludendorff, Erich 62, 64, 111 Lütchens, Otto 423 Lutterotti, Nikolaus von 192 Lüttwitz, Walther von 62ff. Lutze, Viktor 255 Maeterlinck, Maurice 416 Magistrati, Massimo Graf 219 Mahnert, Klaus 271, 288, 474, 587 Majstrak, Manfred 213f. Malachow, Wassilij 388 Mälzer, Kurt 453 Mann, Thomas 29 Marenzi von Tagliuno und Talgate, Gabriel Graf 19 Masenok, Alexej 417f. Mastromattei, Giuseppe 299 Maurer, Hauptmann (AOK 2) 352 Megerle, Karl 192, 215, 317, 445 Mellenthin, Friedrich-Wilhelm von 352 Mengele, Josef 476, 478 Messner, Reinhold 20, 592 Mexiko, Kaiser Maximilian von 494, 577 Miketta, Hubert 131 Miklas, Wilhelm 264 Mimra, Robert 222f. Mischler, Karl 92, 132 Mittenzwey, Hauptmann (AOK 2) 352 Model, Walther 311 Möller, Eberhard Wolfgang 262 Möllhausen, Eitel Friedrich 449, 453 Mörl, Anton von 223, 263 Mosse, Rudolf 117, 120, 140f. Mossin, Stephan Wasiljewitsch 417f., 420f. Mühlen, Heinrich von zur 439, 445 Mumelter, Ernst 99f., 104ff., 109, 158ff., 163, 177-180, 183, 583 Mumelter, Hubert 223 Munier, Dietmar 521 Mussolini, Benito 58, 66f., 83f., 98, 100, 109, 111, 122, 144, 152, 166f., 195, 198, 230, 439ff., 443f., 522, 566, 584
Personenregister Nandelstaedt, Hans 132 Nannen, Henri 323, 451, 473, 478, 504 Neinhaus, Carl 325 Neukomm-Lobenstein, Irmengard 549 Neurath, Konstantin Freiherr von 228 Neuwirth, Walter 222 Nicolussi-Leck, Karl 476 Niemöller, Martin 460 Nippold, Otto 230 Nitsch, Bernhard 385 Norman, Markus v. 11, 57 Oberkofler, Joseph Georg 223, 477 Oberlindober, Hanns 276 Ohlendorf, Otto 183 Ostermayr, Peter 201f., 226f., 232, 281 Österreich, Franz Ferdinand Erzherzog zu 15, 31, 38, 545 Österreich, Kaiser Karl von 30, 246 Österreich, Kaiserin Zita von 30 Ott, Adolf 410 Oven, Wilfred von 478f. Pabel, Erich 508, 514, 520, 587 Papen, Franz von 142, 164, 191f., 230 Parbel, Kurt 235 Parson, Herbert 257f. Passer, Grete 306 Paulin, Karl 223, 288 Paulsen, Viktor 385 Pavelić, Ante 350ff. Pembaur, Walther 100, 168 Penkala (Journalist) 259 Pfleiderer, Karl-Georg 380, 390, 411 Pieck, Wilhelm 378 Pincornelly (PK-Kriegsberichter) 411 Pixner, Josef 109 Planck, Max 262 Pozorny, Reinhard 576f. Preußen, Friedrich Wilhelm Kronprinz von 18 Preußler, Otfried 478 Prüssmann, Karl-Heinz 385 Prützmann, Hans-Adolf 424f. Putz, Major (AOK 2) 352 Quadt zu Wykradt und Isny, Ludovica Gräfin von 389
725 Rabe, Karl 410 Radetzki, Waldemar von 409 Radetzky von Radetz, Josef Graf 189f. Rahn, Rudolf 332-335, 355, 411, 428, 435-440, 447ff., 451f., 456, 461, 478f., 517 Rainalter, Erwin H. 275 Rainer, Friedrich 440, 448 Rantzau, Josias von 317, 325f., 328, 331, 334f., 348, 353, 355, 359f., 368ff., 372, 377, 385f., 388f., 414, 419, 422-425, 428 Rausch, Günther 402 Rauw (Journalist) 259 Reichenfelser, Hans 488f. Reichert, Oberstleutnant (AOK 2) 352 Reinefahrt, Heinz 426 Remarque, Erich Maria 116 Remme (StOProp) 446 Renner, Karl 469 Reschny, Hermann 188, 197f., 265 Reut-Nicolussi, Eduard 51, 68, 99, 101-105, 107, 109, 132, 139ff., 144f., 147-171, 176, 179, 219, 223, 256f., 301, 442, 463, 583 Ribbentrop, Joachim von 4, 311f., 321, 325, 327, 356, 369, 374f., 382ff., 437, 440, 445, 447f., 455, 461, 495, 586 Riedl, Franz Hieronymus 474ff., 529 Riedl, Rudolf 109, 149 Riefenstahl, Leni 233, 482 Rieth, Kurt 190f. Rigele, Fritz 186f., 192 Rogge, Bernhard 528 Röhm, Ernst 160, 178, 185, 196f., 262 Röhrich, Hans 194 Römer, Felix 186, 311, 316, 361, 363, 366, 401f. Rommel, Erwin 47, 328 Rosenberg, Alfred 3, 150ff., 156f., 160, 162, 164f., 172f., 177ff., 181, 183, 189, 215f., 218, 257, 259, 276, 373, 384, 399, 417, 431, 584 Rossmanith, Josef 250 Rothacker, Gottfried 260 Röttiger, Hans 460 Rubatscher, Maria Veronika 223 Ruberg, Bernhard 299 Rudel, Hans-Ulrich 476, 542 Salamanca-Ortenburg, Gabriel von 240, 542 Saller, Hans 110, 140f., 163f., 230
726 Salmuth, Hans von 310 Salvioni, Elisa 12, 23f., 249 Salvioni, Marie Carolina 24 Sauckel, Fritz 448 Savoyen-Carignan, Herzog Eugen von 23f. Schacht, Hjalmar 34 Schäfer-Rümelin, Max 310, 447 Schattenfroh, Franz 318, 375, 384f., 391, 398 Schauff, Johannes 163, 452, 472ff., 479, 546 Schauwecker, Franz 129, 220 Schekoff, General (bulg.) 326 Schenzinger, Karl Aloys 201, 279 Schickedanz, Arno 151ff., 156f., 178f., 257 Schier, Benjamin 259 Schirach, Baldur von 183, 259, 262, 278, 334, 504 Schlemann, Josef 366 Schmidt, Rudolf 310, 397 Schmitt, Albert 191f., 215, 317 Schmitt, Carl 262 Schmundt, Rudolf 305 Schneider, Emil 188f. Schneider, Erwin 188f. Schneider, Herbert 177, 188f. Schoenlank, Margarete 273 Schörner, Ferdinand 46f., 266, 327f., 461, 479 Schreiber, Therese 273 Schubert, Conrad von 391 Schubert, Leo 184f. Schubert, Wilhelm 393 Schulenburg, Friedrich-Werner Graf von der 397 Schumann, Gerhard 503 Schuschnigg, Kurt Edler von 33f., 39, 100, 230, 263f., 460 Schütz, Karl 542 Seebohm, Hans 152, 181, 183 Seemann, Rudolf 259 Seipel, Ignaz 107, 195 Seyß-Inquart, Arthur 121, 263ff. Sommert (Journalist) 259 Springenschmid, Karl 209, 220, 222ff., 545 Springer, Axel 564 Stackelberg, Karl-Georg von 322 Stahlecker, Walter 353-356, 374 Stalin, Josef 371, 378, 420, 427 Stapel, Wilhelm 54, 130, 478
Personenregister Starhemberg, Ernst Rüdiger Fürst 17, 57, 317 Steengracht von Moyland, Gustav Adolf 444 Steinacher, Gerald 4, 93, 472, 476, 573 Steinacher, Hans 146, 148, 158, 160, 164, 183f., 188f. Steinberger, Walter 574 Sternbach, Paul Baron 93, 102, 104, 110, 140f., 146, 171, 583 Steurer, Leopold 34, 85, 88, 93, 141, 146, 575, 591 Strassl (StOProp) 446 Strauß, Franz-Josef 133, 571f. Stresemann, Gustav 69, 98, 116 Strobel, Alfred 158f., 161ff., 203, 537, 546, 571 Stuckart, Wilhelm 311, 398 Studnitz, Hans-Georg von 438 Stülpnagel, Carl-Heinrich von 334 Sudholt, Gerd 564, 576 Sündermann, Helmut 576 Süßmilch, Hauptmann (AOK 2) 352, 363 Taubert, Eberhard 313 Tauschitz, Stephan 259 Thaler, Andreas 131 Thaler, Franz 591 Thälmann, Ernst 165 Theil, Edmund 443, 449-553, 459, 477, 576 Thoma, Wilhelm Ritter von 367, 370 Thorak, Josef 509 Thurnher, Eugen 71 Tolomei, Ettore 21f., 67f., 79, 442 Trenker, Luis 209, 214, 223f., 227, 232, 279 Trott zu Solz, Adam von 325 Tschammer und Osten, Hans von 262 Tucher von Simmelsdorf, Theodor Freiherr 317 Tumler, Franz 223, 477 Turner, Harald 334 Ulbricht, Walter 378 Ulmer, Friedrich 227 Ungern-Sternberg, Reinhold Freiherr von 373 Usko, Hans Jürgen 519f. Valetti, Rosa 134 Vesper, Will 545
727
Personenregister Vespucci, Amerigo 32 Vietinghoff gen. Scheel, Heinrich von 444, 461 Vigl, Hermann 477 Vogelweide, Walther von der 68, 241 Vukassovich, Joseph Freiherr von 11 Wächter, Otto Freiherr von 472, 475 Waggerl, Karl Heinrich 260 Wahle, Helga 236 Waldheim, Kurt 464 Waldner, Hansjörg 2, 224 Waldseemüller, Martin 32 Wallnöfer, Eduard 573 Wasserbeck, Ernst 131 Weber, Fritz 222 Wecker, Gero 501 Wedel, Hasso von 313, 324, 372, 375, 377, 445, 455f. Wegner, Dr. (Journalist) 259 Weichs, Maximilian Freiherr von 310, 348, 407, 413, 423, 428 Weidel, Alice 544 Weingartner, Josef 223 Weinheber, Josef 260 Weinmann, Ernst 353 Weinmann, Erwin 409 Weiß, Walter 269 Weizsäcker, Ernst von 299, 397 Wenter, Josef 223
Wertheimer, Joseph Ritter von 243 Wessel, Horst 241 Wessel, Inge 241 Wessiak, Ferdinand 139-142 Wickel (SS, StOProp) 446 Willram, Bruder 45 Wilson, Woodrow 51 Winkelmann, Emilie 272 Winter, Gustav A. 165 Winternitz (Journalist) 259 Wittstock, Erwin 260 Witzleben, Erik von 105, 141, 149, 161 Witzleben, Hermann von 388 Wlassow, Andrej Andrejewitsch 375, 418, 421, 427 Woermann, Ernst 348 Wokalek, Franz 384 Wolff, Karl 286, 299, 301, 423, 461 Wöller, Roland 544 Woskoboinik, Iwan Konstantin Pawelitsch 417f., 420f. Wüster, Walther 369 Ysenburg-Büdingen, Otto Friedrich Fürst zu 402 Zech, Karl 273 Zillich, Heinrich 260 Zöberlein, Hans 214, 262