Bürger gegen Hitler: Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen »Sperr-Kreises« [1 ed.] 9783666310713, 9783525310717


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Bürger gegen Hitler: Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen »Sperr-Kreises« [1 ed.]
 9783666310713, 9783525310717

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Manuel Limbach

Bürger gegen Hitler Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen »Sperr-Kreises«

Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 102

Manuel Limbach

Bürger gegen Hitler Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen »Sperr-Kreises«

Mit 6 Grafiken

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Schriftenreihe wird herausgegeben vom Sekretär der Historischen Kommission: Bernhard Löffler Gedruckt mit Unterstützung der Franz Schnabel Stiftung. Zugl. Dissertation, Universität Bonn 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Franz Sperr vor dem Volksgerichtshof. Prozess nach dem 20. Juli 1944 © Bundesarchiv, Signatur: Bild 151-12-40A Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-4721 ISBN 978-3-666-31071-3

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Forschungsstand und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Erklärung von Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) »Widerstand« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) »Bürgerliche Parteien«, »bürgerliche Eliten« und »bürgerlicher Widerstand« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Fragestellung, Methode und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Bürgerliche Parteien in Königreich und »Freistaat« Bayern – Entstehung und Entwicklung, Gemeinsamkeiten und Unterschiede 1. Der politische Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der politische Katholizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der politische Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 . 40 . 47 . 55

III. Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler – Bayerische Karrieren in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . 63 1. Herkunft und Werdegang im Königreich Bayern . . . . . . . . . . 64 2. Das »Trauma« des Bürgertums: Revolution und Räterepublik in Bayern 1918/19 . . . . . . . . . . . 77 3. Die Dauerkrise: Bayern und das Reich im Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik 1918 bis 1933 . . . . . . . . . . 82 a) Eduard Hamm und Otto Geßler – Zwei bayerische Reichspolitiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Franz Sperr – Diplomat im Dienste Bayerns . . . . . . . . . . . 96 4. Die Weimarer Republik: Umgang mit der »neuen« Staatsform . . . 100 5. »Die Bayern« – Wegbereiter des Nationalsozialismus? . . . . . . . 113 IV. Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach – Der ungekrönte Monarch . . 121 1. Herkunft, Werdegang und Staatsverständnis . . . . . . . . . . . . . 122 2. Monarchistische Restaurationsbestrebungen in Bayern 1932/33 . . 129 V. Drei Männer der »Systemzeit« im »Dritten Reich« . . . . . . . . . . . 137 1. Diplomatische Begrenzungsversuche und persönliche Ablehnung der NS-Politik – Franz Sperr im »Dritten Reich« . . . 139

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Inhalt

a) »Das Schlimmste verhindern« – Franz Sperrs Bemühungen um die Wahrung der Eigenstaatlichkeit Bayerns 1933/34 . . . . 139 b) Kritik an Hitlers Innen- und Außenpolitik . . . . . . . . . . . . 151 2. Politische Kontaktpflege, Handlungsspielräume und Stellung zur NS-Politik – Eduard Hamm und Otto Geßler im »Dritten Reich« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Aufrechterhaltung langjähriger Kontakte und Durchbrechung des NS-Informationsmonopols . . . . . . . . . 157 b) Unterstützung der NS-Außenpolitik? Mitarbeit in nationalen und transnationalen Nichtregierungsorganisationen . . . . . . 167 3. Berufliche Bleibe und Tarnung der konspirativen Bestrebungen . . 176 a) Franz Sperrs Tätigkeit für die »Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft« 1936 bis 1940 . . . . . 177 b) Franz Sperr und Eduard Hamm als Mitarbeiter der Münchener Rückversicherungsgesellschaft 1943/44 . . . . . 188 c) Im Auftrag des Regimes? (I) – Otto Geßlers »Stimmungsbericht« aus Süddeutschland . . . . . 197 VI. Der »Sperr-Kreis« – Aufbau und Wirken, Ziele und Struktur einer »Auffangorganisation« 1934 bis 1944 . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. »Beratertätigkeit« für Kronprinz Rupprecht von Bayern 1934 bis 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Personelle und inhaltliche Vorbereitungen für den Fall eines Umsturzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Die Kontakte zu Militärs in den bayerischen Wehrkreisen und zu ehemaligen paramilitärischen Wehrverbänden . . . . . . . . 225 b) Die Kontakte zur bayerischen Polizei . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Die Kontakte zur bayerischen Stadt- und Ministerialverwaltung sowie zur Justiz . . . . . . . . . . . . . . 256 d) Die Kontakte zur bayerischen Wirtschaft und Industrie sowie wirtschaftspolitische Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . 265 e) Die Kontakte zur Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 f) Die Kontakte zur Bauernschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Die strategische Ausdehnung des »Sperr-Kreises« in Bayern . . . . 288 a) Die »Augsburger Gruppe« und die Ausdehnung des »Sperr-Kreises« im Regierungsbezirk Schwaben . . . . . . . 288 b) Die »Nürnberger Gruppe« und die Ausdehnung des »Sperr-Kreises« in den Regierungsbezirken Mittelund Oberfranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Die Ausdehnung in die übrigen Regionen Bayerns . . . . . . . . 310 4. Strukturanalyse des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Inhalt

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VII. Der »Sperr-Kreis« – Auslandsinitiativen und Verfassungsentwürfe 1939 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Otto Geßlers Auslandsmissionen nach England, Italien und die Schweiz vor dem Hintergrund der Nachkriegspläne des »Sperr-Kreises« . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Initiativen zur Verhinderung des Krieges . . . . . . . . . . . . 327 b) Der deutsch-britische Nachrichtenkanal über Otto Geßler und Joseph Wirth in Schweiz und Vatikan in Winter und Frühjahr 1939/40 . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 c) Im Auftrag des Regimes (II) – Spionagetätigkeit zur Verschleierung der deutschen Angriffspläne? . . . . . . . 356 d) Bemühungen um einen günstigen Verständigungsfrieden . . 361 2. Kronprinz Rupprechts Verfassungsentwurf für eine Zeit »Danach« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 3. Kronprinz Rupprechts Versuche der Einflussnahme auf London und Washington . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 VIII. Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944 . . . . . . . . . . 393 1. Die Gespräche mit Ulrich von Hassell und Carl Friedrich Goerdeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 2. Die Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis« . . . . . . . . . 403 a) Ursprung, Ablauf und Inhalt der Gespräche . . . . . . . . . . . 405 b) Inhaltliche Überschneidungen und Differenzen . . . . . . . . 424 c) Schriftliche Ausarbeitungen für den »Kreisauer Kreis«? . . . . 426 3. Die Verbindung zu Franz Halder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 4. Das Gespräch mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 6. Juni 1944 in Bamberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 5. Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 und seine Folgen für den »Sperr-Kreis« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 a) Der 20. Juli 1944 in Bayern – Beteiligung des »Sperr-Kreises«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 b) Verhaftungen, Verurteilungen, Opfer . . . . . . . . . . . . . . 464 c) »Der Spitze beraubt« – Die »Freiheitsaktion Bayern« . . . . . . 483 IX. Der »Sperr-Kreis« nach 1945 – Nachkriegskarrieren und Gedenken 491 1. Die Mitglieder des »Sperr-Kreises« in der Nachkriegszeit . . . . . 491 2. Privates und öffentliches Gedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 X.

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

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Inhalt

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Internet-/Digitale Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Mündliche und schriftliche Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571

Vorwort Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete und aktua­ lisierte Fassung einer Arbeit, die im Jahr 2017 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Fach Mittel­a lterliche und neuere Geschichte als Dissertation angenommen wurde. Eine Reihe von Personen und Institutionen haben mich bei meinen Recherchen und beim Abfassen des Manuskripts begleitet und unterstützt. Mein besonderer Dank gilt dem Betreuer der Studie, Herrn Prof. Dr. Joachim ­Scholtyseck. Bei ihm fand ich stets ein offenes Ohr, während er mir zugleich genügend Raum für die eigene wissenschaftliche Entfaltung bot. Ebenso möchte ich Herrn Prof. Dr. Dominik Geppert für die Übernahme des Zweitgutachtens und seine Unterstützung im Vorfeld der Veröffentlichung danken. Durch zahlreiche Gespräche und Anregungen ist das Buch außerordentlich bereichert worden. Hierzu zählten die Diskussionen mit Angehörigen der Wider­ standsfamilien. Stellvertretend möchte ich mich bei Frau Christine Beßner bedanken, die mir Einblick in den Teilnachlass ihres Großvaters Eduard Hamm gewährte. Sie hat mir hierdurch den Zugang zum Thema überhaupt erst ermöglicht. Daneben weiß ich mich Herrn Prof. Dr. Peter M. Reisert für die großzügig gewährte Einsichtnahme in die Schriften und privaten Unterlagen seines Vaters verpflichtet. Besonders möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Wolfgang Hardtwig bedanken. Er zählte als Enkel von Eduard Hamm zugleich zu den wichtigsten wissenschaftlichen Gesprächspartnern. Eine familiäre »Befangenheit« war in den außerordentlich interessanten Besprechungen mit ihm niemals feststellbar. Wichtige Hinweise und Ratschläge erhielt ich darüber hinaus von Herrn Prof. Dr. Winfried Becker, Frau Dr. Veronika Diem, Herrn Dr. Thomas Forstner, Frau Dr. Elke Fröhlich-Broszat, Frau Dr. Antonia Leugers sowie Herrn Dr. Christoph Studt. Sie alle haben den Fortgang der Arbeit sehr gefördert. Herzlich danke ich zudem allen Leitern und Mitarbeitern der von mir aufgesuchten wissenschaftlichen Archive und Bibliotheken. Stellvertretend sei an dieser Stelle Herr Dr. Gerhard Immler genannt: Als Leiter des Geheimen Hausarchivs im Bayerischen Hauptstaatsarchiv begleitete und unterstützte er mich über mehrere Monate bei der Auswertung der für diese Studie unerlässlichen Quelle der autobiographischen Aufzeichnungen des Kronprinzen Rupprecht. Gefördert wurde die Arbeit durch die Konrad-Adenauer-Stiftung. Neben einem großzügigen Promotionsstipendium sowie eines Reisekostenzuschusses werde ich nicht zuletzt die ideelle Förderung und den regelmäßigen Austausch mit meinen Konstipendiaten in dankbarer Erinnerung behalten. Zum Gelingen der Arbeit trugen ferner ein Forschungszuschuss der Treuhandstiftung »Dorothee-Fliess-Fond« und meine wissenschaftliche Nähe zur »Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944« bei.

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Vorwort

Sehr herzlich möchte ich mich beim Kuratorium der Wolf-Erich-KellnerGedächtnisstiftung für die Verleihung des Wolf-Erich-Kellner-Preises 2017 bedanken. Für die Aufnahme meiner Dissertation in ihrer Schriftenreihe bin ich der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München besonders verpflichtet. Allen voran gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Helmut Neuhaus sowie Herrn Prof. Dr. Bernhard Löffler. Persönlich verbunden für die gründliche Durchsicht des Manuskripts fühle ich mich Herrn Michael Bialdyga, Herrn Johannes Kaminski, meiner Frau, Inga Limbach, meiner Schwägerin, Dr. Kathrin Limbach, sowie meinem Vater, Roman Limbach. Für die kontinuierliche Anteilnahme, stetige Geduld und das lebhafte Interesse an Inhalt und Fortgang des Projekts danke ich schließlich von ganzen Herzen meiner Frau, meinen Eltern und Brüdern. Meiner Familie ist dieses Buch gewidmet. Bonn, im August 2018

Manuel Limbach

I. Einleitung »Durch die Vernehmung des früheren Gesandten Bayerns in Berlin, Franz Sperr, München, stellt sich heraus, daß der Kreisauer Kreis um den Grafen Moltke in München einen Ableger hatte.«1 Bei diesem Satz handelt es sich um die erstmalige Erwähnung des bayerischen »Sperr-Kreises« in den Berichten jener Sonderkommission, welche die Vorgänge vom 20. Juli 1944 untersuchte. Anfang Januar 1945 standen führende Mitglieder der bayerischen Widerstandsgruppe zusammen mit mehreren »Kreisauern« vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz Roland Freislers. Der Namensgeber des Kreises, Franz Sperr, wurde zum Tode verurteilt und gemeinsam mit dem Kopf des »Kreisauer Kreises«, Helmuth James Graf von Moltke, am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Für das NS-Regime war spätestens mit Vollstreckung der Todesurteile die Aufarbeitung und Rekonstruktion der Verbindung Kreisau / München abgeschlossen. Die eigenständige Rolle sowie die tatsächlichen Motive und Ziele des bayerischen Widerstandskreises zu rekonstruieren, gelang ihm aber weder diesbezüglich noch den »Sperr-Kreis« im Einzelnen betreffend. Dabei hatten sich bereits seit Mitte der 1930er Jahre – angestoßen durch den bayerischen Kronprinzen Rupprecht von Wittelsbach – in München ehemalige bzw. aktive Politiker, Beamte, Juristen und Unternehmer zusammengefunden, die in der bürgerlichen Tradition der Verteidigung bayerischer Eigenstaatlichkeit und Kultur standen und sich bewusst entschieden hatten, für die Zukunft Bayerns in einem nicht-nationalsozialistischen Deutschland einzutreten. Zum Zwecke der Vorbereitung eines Umsturzes in Bayern waren sie von teils hochrangigen bayerischstämmigen Offizieren der Wehrmacht unterstützt worden. Da eine detaillierte, wissenschaftliche Aufarbeitung der Widerstandstätigkeit der Männer um Franz Sperr bis heute nicht in hinreichendem Maße erfolgt ist, soll dieses Desiderat mit dieser Arbeit geschlossen werden. Eine umfassende, wissenschaftliche Rekonstruktion der Zusammensetzung, Handlungen, Motive und Ziele des »Sperr-Kreises« findet an dieser Stelle erstmals auf Grundlage der Auswertung sämtlicher zur Verfügung stehender Quellen statt. In den folgenden einleitenden Kapiteln schließt sich der Betrachtung von Forschungsstand und Quellenlage eine ausführliche Klärung von zentralen Begrifflichkeiten an, ehe Fragestellung, Methode und Aufbau der Arbeit näher skizziert werden.

1 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, Bd. 1, S. 331.

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Einleitung

1. Forschungsstand und Quellenlage Über Jahrzehnte blieb der »Sperr-Kreis« ein in der Widerstandsforschung nur wenig beachteter Widerstandskreis gegen den Nationalsozialismus in Bayern. Dabei kommt ihm aufgrund seiner soziostrukturellen Zusammensetzung, seiner Motive und Ziele im Gesamtbild des deutschen Widerstandes gegen Hitler durchaus Bedeutung zu. Es sei vorweggenommen, dass mit dieser Studie das unvollständige Bild eines vor allem preußisch-aristokratisch geprägten Eliten-Widerstandes, der im Attentat vom 20. Juli 1944 kulminierte, um das eines aus der bürgerlichen Mitte Bayerns entsprungenen Eliten-Widerstandes ergänzt wird. Erinnerungskultur ist stets abhängig vom jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Zeitgeist.2 Für die liberalen Widerständler Eduard Hamm und Otto Geßler, beide führende Mitglieder des »Sperr-Kreises«, scheint letzterer bis heute nur teilweise gegeben zu sein. Bei Hamm waren in den vergangenen Jahren Familieninitiativen notwendig, um ein gewisses Umdenken anzuregen.3 Dass man sich heutzutage eines Franz Sperr wieder erinnert, bewirkte eine (zufällige) politische Begegenheit um die Jahrtausendwende.4 Die Forschung ist sich heute darin einig, dass regionale Momente in allen Strukturen auch im »Dritten Reich« existierten.5 Allerdings wurden regionale Widerstandsstudien in der Geschichtswissenschaft erst einige Jahre nach Kriegsende in Angriff genommen. In seinem Werk über »Hitler’s Conservative Opponents in Bavaria« unternahm der US-amerikanische Historiker James Donohoe eine erste tiefergehende Aufarbeitung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Bayern.6 Dabei benannte er als konservative und studentische 2 Auf den »Sperr-Kreis« bezogen vgl. Hardtwig / Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 12. 3 Sowohl wissenschaftliche Arbeiten zu Eduard Hamm als auch sein öffentliches Gedenken wurden in den vergangenen Jahren von Familienseite auf den Weg gebracht (vgl. hierzu die bisherigen Publikationen der Enkelgeneration: Beßner, Eduard Hamm, 2 Bde.; Hardtwig, Eduard Hamm, S. 313–356). Außerdem steht zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Studie über den »Sperr-Kreis« die erste umfassende wissenschaftliche Hamm-Biographie aus der Feder von Wolfgang Hardtwig unmittelbar vor der Veröffentlichung (vgl. Ders., Freiheitliches Bürgertum in Deutschland). Auf Initiative der Familie Hamm wurde 2011 in Reit im Winkl für Eduard Hamm ein Gedenkstein gesetzt sowie 2014 die Bibliothek des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin nach ihm benannt. 4 Im Jahr 2001 erschien der Sammelband von Rumschöttel / Ziegler, Franz Sperr und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern. Dieser fasste die Vorträge eines Kolloquiums im Jahr 1998 zusammen, das sich erstmals ausführlicher mit Leben und Wirken von Franz Sperr beschäftigt hatte. Auf die einzelnen Beiträge des Sammelbands sowie auf die geschichtspolitischen Gründe der bayerischen Landesregierung, das Kolloquium zu initiieren, wird unten ausführlicher eingegangen. 5 Vgl. Möller / Wirsching / Ziegler, Nationalsozialismus in der Region; mit Fokus auf Bayern vgl. Rumschöttel / Ziegler, Staat und Gaue. 6 Vgl. Donohoe, Hitler’s conservative opponents. Auf die mangelhafte Erwähnung Sperrs, Hamms und Geßlers wies Hellmuth Auerbach in einer Miszelle unmittelbar nach Erscheinen des Buches hin: »Gerade weil sie im Hintergrund blieben und im Stillen wirkten, Pläne aus‑

Forschungsstand und Quellenlage 

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Widerstandsgruppen unter anderem den monarchistischen »Harnier-Kreis«, die »Bayerische Heimatbewegung«, die »Freiheitsaktion Bayern« sowie die »Weiße Rose«. Den bayerischen Gesandten Franz Sperr erwähnte er lediglich im Zusammenhang mit der beabsichtigten, dann jedoch nicht unternommenen Königs­ proklamation Kronprinz Rupprechts von Bayern im Februar 1933.7 Heike Bretschneider orientierte sich im Rahmen ihrer Dissertation in den späten 1960er Jahren vor allem an den Ergebnissen Donohoes.8 Im Zentrum ihrer Forschung stand zwar der Widerstand in München, doch lenkte sie zugleich den Blick auf solche Gruppen, die über die Grenzen der »Stadt der Bewegung« hinaus ihre Widerstandstätigkeit auf ganz Bayern ausbreiteten. Sie nannte dabei die von Donohoe zuvor thematisierten Gruppen, ging jedoch auch erstmals ausführlicher auf den »Sperr-Kreis« ein, der »[a]us ethischer und politischer Verantwortung heraus« die Zeit »Danach« geplant habe.9 Während sich Donohoe und Bretschneider nahezu ausschließlich auf den aktiven Widerstand von Gruppen bezogen, verfolgte das vom Institut für Zeitgeschichte initiierte »Bayern-Projekt« knapp ein Jahrzehnt später einen anderen Ansatz.10 Unter dem Begriff »Resistenz« spürten die Autoren in erster Linie einem Alltagswiderstand in den ländlichen Regionen Bayerns mit dem Ziel nach, die gewonnen Erkenntnisse von der Region Bayern auf das gesamte Deutsche Reich zu übertragen. Dieses viel kritisierte »Projekt« trug zwar in der Folgezeit dazu bei, dass regionalspezifische und alltagsgeschichtliche Forschungen Auftrieb erhielten, »verwässerte« jedoch zugleich den bis dato gängigen Widerstandsbegriff, indem er ihn weiter fasste, also beispielsweise auch spontanes, nonkonformes Verhalten in ihm subsumierte.11 Seitdem ist eine Studie, die den Gesamtkomplex des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Bayern in Augenschein nimmt, ein Forschungsdesiderat, wie auch Winfried Becker in einer knappen, zusammenfassenden Darstellung konstatierte.12 Ein umfassendes Bild müsste auf einem stabilen Fundament gebaut sein, wozu in den vergangenen zwei Jahrzehnten Untersuchungen zu ver arbeiteten und Querverbindungen zwischen einzelnen Gruppen der Hitlergegner schufen, wurden diese drei Männer zu einem Zentrum und Kern der Widerstandsbewegung in Bayern« (vgl. Auerbach, Geschichte des Widerstandes, S. 222–232, hier S. 229). 7 Vgl. Donohoe, Hitler’s conservative opponents, S. 110. 8 Vgl. Bretschneider, Widerstand in München. 9 Ebd., S. 178. Auf Bretschneiders Grundlagenforschung soll unten erneut eingegangen werden. 10 Vgl. Broszat u. a., Bayern in der NS-Zeit. 11 Als »alltagsgeschichtliche Pionierleistung« versteht Michael Wildt das »Bayern-Projekt«, das allerdings »in Bezug auf die eigene defizitäre theoretische Konzeption an [seine] Grenzen stieß« (Wildt, »Bayern-Projekt«, S. 119–129, hier S. 126). Der Verfasser der vorliegenden Arbeit entscheidet sich bewusst gegen die Verwendung des Begriffs »Resistenz« und spricht bei der Beschreibung der Handlungen des »Sperr-Kreises« durchgängig von »Widerstand«. Zum Widerstandsbegriff dieser Arbeit vgl. Kap. I.2.a. 12 Vgl. Becker, Widerstand in Bayern, S. 455–473, hier S. 469. – Vgl. außerdem W. Ziegler, Widerstandsforschung in Bayern, S. 267–282.

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Einleitung

schiedenen bayerischen Widerstandskreisen13 und zu Einzelkämpfern wie Georg Elser14 ihren Beitrag leisteten. Die vorliegende Untersuchung über den »SperrKreis«, als einen der bedeutendsten Widerstandskreise in Bayern, ist daher in gewisser Weise als »Feldforschung« zu verstehen, die auch dem Ziel eines erstrebenswerten Gesamtwerks über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern förderlich sein soll. »In Memoriam Franz Sperr« lautete die Überschrift eines Artikels, der am 25. Januar 1946 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Zum ersten Mal nach Kriegsende wurde die Öffentlichkeit über einen bayerischen Widerstandskreis im »Dritten Reich« in Kenntnis gesetzt.15 Ein Jahr nach der Hinrichtung des letzten bayerischen Gesandten in Berlin skizzierte Georg Deininger16, früherer Reserveleutnant und einer der engsten Vertrauten Sperrs im Widerstand, dessen Leben in den Jahren nach 1933. In diesem Artikel benannte er erstmals das Hauptziel des Widerstandskreises. Es sei Sperr um die »Vorbereitung einer Auffangbewegung« gegangen, um nach Zusammenbruch des NS-Regimes nicht »Chaos, Anarchie oder gar Bürgerkrieg losbrechen zu sehen«. Sperr wollte demnach »Bayern geschlossen und intakt den Alliierten übergeben«. Damit »eine intakte Verwaltung, zuverlässige Truppenteile und Polizeikräfte die Weiterführung einer geordneten Ernährungswirtschaft garantieren und die chaotischen Folgeerscheinungen eines Zusammenbruchs vermeiden konnten«, habe Sperr im Einvernehmen mit seinen »wichtigsten Mitarbeitern« Eduard Hamm, Otto Geßler und Franz Halder »[b]is ins einzelne […] Vorsorge getroffen«.17 Obwohl Deininger die beiden ehemaligen Reichsminister Hamm und Geßler als Mitglieder des Widerstandskreises erwähnte, schuf er mit seinem Artikel unbewusst die Grundlage zur einseitigen Konzentration auf Franz Sperr als dem führenden Kopf jenes Zirkels, der in den folgenden Jahrzehnten nur noch als »Sperr-Kreis« bezeichnet werden sollte. Deininger verschwieg die unmittelbare Nähe der Männer um Sperr, Geßler und Hamm zum bayerischen Kronprinzen Rupprecht von Wittelsbach. Diese Tatsache war ihm vielleicht nicht einmal bewusst. Dagegen konnte Kurt Sendtner bei seiner Biographie über den Wittelsbacher Kronprinzen mit Informa13 Vgl. Förster, Harnier-Kreis; Diem, Freiheitsaktion. 14 Vgl. zu Elser die Biographien von Renz, Georg Elser; Steinbach / Tuchel, Georg Elser. 15 Vgl. Deininger, Franz Sperr. 16 Georg Deininger (1895 Ansbach–1978 München), ev., 1911–14 zunächst Volontär, dann Kaufmann in einer Automobilfabrik, 1914–18 Kriegsteilnahme, später Generalvertreter »Magirus-Deutz« Süddeutschland (zu Deininger vgl. seinen Personalakt im BayHStA, OP 39160). 17 Deininger, Franz Sperr. Der Name des Generalobersts Franz Halder tauchte in diesem Artikel gleichrangig mit den Namen Hamm und Geßler als »Mitarbeiter« Sperrs auf. Dies ist – wie im Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein wird – der Tatsache geschuldet, dass der Autor des Artikels, Deininger, nur einen begrenzten Einblick in die gesamte Tragweite des Widerstandskreises hatte und kurze Zeit später als Zeuge im Spruchkammerprozess gegen Halder auftrat.

Forschungsstand und Quellenlage 

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tionen und Material aus erster Hand arbeiten.18 Der »Hofhistoriker« ging auf die Gespräche ein, die der Kronprinz spätestens ab 1935 mit Sperr, Geßler und Hamm geführt hatte. Diese hätten die gegenwärtige politische Lage zum Inhalt gehabt. Dabei seien in erster Linie »die staatsrechtlichen und staatspolitischen Vorbereitungen getroffen« worden, »um in der entscheidenden Stunde das Chaos zu bannen«.19 Die Schriftstellerin Ricarda Huch wollte in der unmittelbaren Nachkriegszeit einer Tendenz der Fokussierung auf den militärischen Widerstand gegen Hitler entgegenwirken. Ein von ihr geplanter Sammelband über die am 20. Juli 1944 beteiligten, auch zivilen Widerständler, der ursprünglich auch einen Beitrag über Eduard Hamm beinhalten sollte, konnte jedoch erst Jahrzehnte nach ihrem Tod veröffentlicht werden.20 Mitte der 1950er Jahre gelang es dann Annedore Leber, in zwei Bänden die gesamte Bandbreite des Widerstandes gegen Hitler in Lebensbildern nachzuzeichnen.21 Die Witwe des sozialdemokratischen Widerstandskämpfers Julius Leber machte darin unter der Überschrift »Vom Bürger zum Staatsbürger« auch Eduard Hamm und Franz Sperr durch kurze biographische Skizzen einem wissenschaftlichen Leserkreis erstmals bekannt.22 Zehn Jahre verstrichen, ehe die Widerstandsgruppe um Sperr schließlich durch den niederländischen Historiker Ger van Roon ihren bis heute in der Widerstandsforschung anerkannten Namen erhielt. Dabei stand für van Roon der »Sperr-Kreis« gar nicht im Mittelpunkt des Interesses. Vielmehr hatte er sich in seiner Dissertation mit dem »Kreisauer Kreis« um Helmuth James Graf von Moltke und dessen Neuordnungsplänen befasst. Bei den »Kreisauern« wirkten – so stellte van Roon fest – die Jesuitenpatres Alfred Delp SJ, Lothar König SJ und Augustin Rösch SJ mit, die Kontakte zum zu Franz Sperr in Münschen pflegten. Van Roon deckte bei der Rekonstruktion der gemeinsamen Gespräche des Jahres 1943 auch die Differenzen auf, die eine engere Zusammenarbeit verhinderten.23

18 Vgl. Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach. Der Kabinettschef des Kronprinzen Rupprecht, Franz von Redwitz, hatte sich nach Angaben Sendtners »durch viele Monate hindurch dem Verfasser für die Besprechung vieler Einzelfragen bereitwillig zur Verfügung gestellt«, weshalb Redwitz als Urheber der Veröffentlichung der Beziehung des Kronprinzen zu Sperr, Geßler und Hamm wahrscheinlich ist (ebd., S. 10). Unterlagen aus dem Nachlass Franz von Redwitz werden diese Vermutung im Verlauf dieser Arbeit bestätigen. 19 Ebd., S. 645–647, hier S. 646. – hierzu außerdem E. v. Aretin, Wittelsbacher, S. 29–31. 20 Vgl. Huch, Gedenkbuch. 21 Leber u. a., Gewissen, S. 356–358. Diese Auflage, neu herausgegeben von Karl Dietrich Bracher, beinhaltete sowohl den ersten Band »Das Gewissen steht auf« aus dem Jahr 1954 als auch den zweiten Band »Das Gewissen entscheidet« von 1957, in dem je ein Beitrag über Franz Sperr und Eduard Hamm zu finden war. 22 Vgl. ebd., S. 356–358 bzw. S. 362 f. Otto Geßler wird als dritter Hauptakteur des Widerstandskreises zwar in beiden Beiträgen erwähnt, ihm jedoch kein eigener Artikel gewidmet, da lediglich Personen Aufnahme fanden, die das »Dritte Reich« aufgrund ihrer Widerstandstätigkeit nicht überlebten. 23 Vgl. Van Roon, Neuordnung, insbes. S. 263 f. u. S. 396.

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Einleitung

Heike Bretschneider baute ein Jahr später in ihrer bereits erwähnten Doktorarbeit im Kapitel »Der Sperr-Kreis« auf den Erkenntnissen van Roons auf. Sie konnte den Widerstandskreis erstmals auf der Basis von Zeugenschrifttum des Instituts für Zeitgeschichte, des schriftlichen Nachlasses eines bedeutenden Mitglieds des Kreises und durch Interviews mit noch lebenden Akteuren ausführlicher behandeln. Dabei deckte sie sowohl die Anfänge des Kreises im Umfeld des Kronprinzen Rupprecht von Wittelsbach als auch die Auslandskontakte und Verbindungen zu anderen Widerstandskreisen auf.24 Anfang der 1980er Jahre bewegte sich Karl Ottmar von Aretin auf den Spuren Kurt Sendtners, als er im Rahmen des bereits erwähnten landesgeschichtlichen Großprojekts »Bayern in der NS-Zeit« auf die Verbindung des »Sperr-Kreises« zum Kronprinzen Rupprecht einging. Dabei schrieb er dem Kreis eine bayerischmonarchistische Tendenz zu.25 Zwei Jahrzehnte vergingen, bis dem bayerischen Widerstandskreis von Politik und Geschichtswissenschaft eine größere Bedeutung zugeschrieben wurde. Unter dem Titel »Franz Sperr (1878–1945). Ein bayerischer Beamter der Weimarer Zeit und sein Weg vor den Volksgerichtshof« fand im Juli 1998 in München ein wissenschaftliches Kolloquium statt. Initiiert wurde es von der damaligen Bayerischen Staatsministerin für Bundesangelegenheiten, Ursula Männle, und dem Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, Hermann Rumschöttel.26 Für die Sozialwissenschaftlerin Männle war die umfangreiche wissenschaftliche Beschäftigung mit Franz Sperr wohl der tagespolitischen Aktualität geschuldet. Schließlich sah man in Bayern mit Stolz der Einweihung der neuen Bayerischen Vertretung als erster Repräsentanz der Länder in Berlin entgegen. Räume in dem neuen Gebäude erhielten Namen historischer bayerischer Persönlichkeiten. Der Name Sperr schien für einen besonderen Besprechungsraum sehr geeignet. Schließlich war er als letzter bayerischer Gesandter in Berlin im Oktober 1934 »auf eigenen Antrag« zurückgetreten und später sogar im Widerstand gegen Hitler aktiv. »Ein Kämpfer für die Freiheit. Föderalismus, wahrhaft gelebt« lautete der Untertitel eines von Staatsministerin Männle verfassten Zeitungsartikels über Franz Sperr. Hierin regte sie die im Sommer des nächsten Jahres stattfindende Tagung an.27 Die »intensive und lebhafte Diskussion«28 des Sperr-Kolloquiums trug dazu bei, dass die dort gehaltenen Vorträge verschriftlicht und – ergänzt durch neu 24 Bretschneider, Widerstand in München, S. 154–178. 25 Vgl. K. O. v. Aretin, Der bayerische Adel, S. 513–567, hier S. 565 f. 26 Rumschöttel begründete die Unterstützung für das Sperr-Kolloquium mit dem schon seit Jahrzehnten anhaltenden Bemühen der Generaldirektion, die zeitgeschichtliche Forschung zu fördern. »Höhepunkt« sei hierbei die gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte erfolgte Aufarbeitung von »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933–1945« in den 1970er und 1980er Jahren gewesen. In der Tradition dieses so genannten »Bayern-Projekts« stehe auch die Förderung der Sperr-Forschung (vgl. Rumschöttel, Einleitung, S. 1–5, hier S. 4). 27 Vgl. Männle, In Memoriam Franz Sperr. 28 Rumschöttel, Einleitung, S. 1.

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erarbeitete Beiträge – in einem Sammelband veröffentlicht wurden.29 Neben den Vorträgen bilden gerade die zusätzlichen Aufsätze von Christian Lankes, Elke Fröhlich und vor allem von Winfried Becker den Kern dessen, was heute den Forschungsstand zu Franz Sperr und seinen »Kreis« umfasst.30 Lankes orientiert sich in seinem »Lebensbild« an Lebensabschnitten Sperrs. Einleitend geht er auch auf die Themenkomplexe der nachfolgenden, ausführlicheren Beiträge Fröhlichs und Beckers ein, was wohl bei Stationen eines »Lebensbildes« nicht ausbleiben kann. Christian Lankes’ Beitrag ist vor allem aufgrund seiner zum ersten Mal formulierten Ausführungen zu den Jugendjahren Sperrs wichtig.31 Von den übrigen Aufsätzen hebt sich das »Lebensbild« auch durch die Schilderung des Privatlebens von Sperr ab – ergänzend zu seinem besser bekannten mitlitärischen und politischen Werdegang. Obwohl der Widerstandskreis bei Lankes nur kurz angerissen wird, gelang es ihm, durch detaillierte Auswertungen das Bild von Sperrs Rolle im »Dritten Reich« nachhaltig zu verfestigen. Das betrifft etwa Sperrs Tätigkeit als Chef der Münchener Zweigstelle der »Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften« zwischen 1936 und 1940, über die zwar – so muss der Autor einräumen – »heute nur noch sehr wenig in Erfahrung zu bringen ist«, der er sich dennoch durch eine »Durchsicht der verschiedenen Jahrgänge« von »Wissen und Wehr«, dem Mitteilungsblatt der Gesellschaft, anzunähern versucht und damit Pionierarbeit leistet.32 Darüber hinaus enthält sein Beitrag erstmals den Wortlaut der »Begründung« Freislers zum Todesurteil Sperrs durch den Volksgerichtshof.33 Elke Fröhlichs Beteiligung an dem Sammelband kam nicht von ungefähr. Schließlich hatte sie Anfang der 1970er Jahre die Absicht, ihre Dissertation über Franz Sperr unter besonderer Berücksichtigung seiner Rolle im Widerstand zu

29 Vgl. Rumschöttel / Ziegler, Sperr und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern.  – Referenten des Kolloquiums waren Gerhard Hetzer, Sabine Schlögl und Walter Ziegler (Hetzer, Archivalische Quellen, S. 175–221; Schlögl, Die bayerische Gesandtschaft, S. ­223–265; W. Ziegler, Widerstand in Bayern, S. 7–24; Ders., Widerstandsforschung in Bayern, S. 267–282). Hinzu kamen die Beiträge von Winfried Becker, Elke Fröhlich und Christian Lankes, die den heutigen Stand der Forschung zu Franz Sperr und seinen Widerstandskreis darstellen (Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 83–173; Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 51–82; Lankes, Franz Sperr, S. 25–50). 30 Den aktuellen Forschungsstand zum »Sperr-Kreis« ergänzend sei auf den im Rahmen der XXVI. Konigswinterer Tagung vom Februar 2013 gehaltenen Vortrag des Verfassers der vorliegenden Arbeit verwiesen (vgl. Limbach, Sperr-Kreis, S. 121–138). 31 Vgl. Lankes, Franz Sperr, S. 26–28. Lankes beruft sich bei der Beschreibung der Sperrschen Jugendjahre auf Briefe von Verwandten Sperrs, die sich im Institut für Zeitgeschichte (Sammlung Ricarda Huch, ZS / A 26/3) befinden. Er bedauert die spärlichen Informationen zur Biographie der Familie mit dem Hinweis, dass Unterlagen aus dem Nachlass Sperr in der Zwischenzeit verlorengegangen seien. Dem Autor dieser Arbeit gelang es, einen wichtigen Teil dieser Unterlagen wieder ausfindig zu machen. 32 Lankes, Franz Sperr, S. 42. 33 Vgl. ebd., S. 48 f.

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schreiben.34 Sie sprach noch mit vielen Zeitzeugen, dabei auch mit einigen ehemaligen Vertrauensleuten im Widerstand. Gertraud Sperr, die Witwe von Franz Sperr, war dabei besonders kooperativ. Neben der Beantwortung aller Fragen, stellte sie Fröhlich auch den Nachlass ihres verstorbenen Ehemannes zur Verfügung.35 Trotzdem konnte die Quellengrundlage – nach Fröhlichs damaligem Verständnis  – für eine Dissertation nicht ausreichen36, weshalb sie sich entschloss, eine Magisterarbeit über Sperr zu erstellen, ohne auf seine Widerstandstätigkeit einzugehen. Diese reichte sie 1973 an der LMU München ein.37 Der Aufsatz, den Fröhlich 2001 für den Sammelband erstellte, basiert im Wesentlichen auf den Ergebnissen ihrer Magisterarbeit. Sperrs zwanzigjährige Karriere als Offizier im Generalstab sei »Voraussetzung und Fundament […] für seine Zivilkarriere als engagierter Vertreter Bayerns beim Reich« gewesen.38 Ausführlich zeichnet Fröhlich zunächst Sperrs militärische Karriere bis zu seiner Ernennung zum bayerischen Militärbevollmächtigten in Berlin nach. Anschließend beschreibt sie sein Mitwirken an den Besprechungen über die Reichsverfassung im Jahr 1919. Seine Beamtenkarriere sei insgesamt von dem Bemühen geprägt gewesen, die Interessen Bayerns in Berlin zu wahren. Zu Beginn der Weimarer Republik habe der Erhalt eines föderativen Militärapparats für Sperr im Mittelpunkt seiner Überlegungen gestanden. Fröhlich hebt hierbei Sperrs geschickte Verhandlungsstrategie hervor. Danach folgt ein weiter Sprung ins Jahr 1933. Somit blendet sie die für das Verständnis der Vorgänge im Jahr 1933 so wichtige Vorgeschichte des Jahres 1932 nahezu vollkommen aus, insbesondere die Zeit zwischen dem so genannten »Preußenschlag« vom 20. Juli 1932 und Hitlers Machtübernahme vom 30. Januar 1933, sowie die ständigen Verhandlungen Sperrs um Zusicherung der Souveränität Bayerns.39 Dagegen wird die Rolle Sperrs als letzter bayerischer Gesandter in Berlin bis zu seinem Rücktritt ausführlich beschrieben. Der nachfolgende Sammelband-Beitrag von Winfried Becker, der sich mit Sperrs Rolle im »Dritten Reich« und mit seinem Widerstandskreis beschäftigt, ist die bis heute profundeste Darstellung zu diesem Komplex. Hierin hebt der Autor die anfänglichen Kontakte von Franz Sperr, Otto Geßler, Eduard Hamm und Anton Fehr zum Kronprinzen Rupprecht hervor, die er als »Keimzelle des Sperr-Kreises« bezeichnet, und die sich aus einer »liberal und bayerischpromonarchisch eingestellte[n] Verwaltungs- und Politikelite aus dem Who’s 34 Der Titel der Arbeit, die von Karl Bosl betreut werden sollte, sollte »Franz Sperr. Eine politische Biographie« lauten (Gespräch mit Frau Dr. Fröhlich-Broszat am 19. Januar 2012). 35 Gespräch mit Frau Dr. Fröhlich-Broszat am 19. Januar 2012. 36 Schriftliche Mitteilung von Frau Dr. Fröhlich-Broszat vom 3. August 2011. 37 Vgl. Fröhlich, Franz Sperr als Militärbevollmächtigter. 38 Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 51. 39 Auf diese soll dagegen in dieser Arbeit in den Kap. III.3.b und III.3.e näher eingegangen werden, da hieraus einerseits Erkenntnisse über Sperrs Föderalismus-Verständnis und andererseits über seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus vor 1933 gewonnen werden können.

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Who der Weimarer Republik« zusammengesetzt habe.40 Zwischen 1935 und 1939 sei Sperr dann – die kommenden Ereignisse voraussehend – zum »aktiven Widerstand« übergegangen, mit dem Ziel, »den ›Systemwechsel‹ durch eigene Aktivität vorzubereiten, statt nur ungerüstet und diffus hoffend auf ihn gefasst zu sein«.41 Zwischen den Protagonisten hätten durchaus Differenzen über die Ziele des Widerstandskreises bestanden. Während Geßler offenbar auch noch während des Krieges an der anfänglichen Konzeption einer Auffangorganisation festgehalten habe, sei für Sperr Hitlers Sturz von Anfang an, für Hamm spätestens im Laufe des Krieges zur obersten Priorität geworden.42 Da Becker jedoch in seinem Beitrag den Fokus deutlich auf Franz Sperr richtet, hingegen die Darstellung der Aufgaben und Handlungen von Geßler und Hamm im Widerstandskreis nur gestreift werden, erscheint eine eingehendere Behandlung dieser beiden Hauptakteure auch hinsichtlich ihrer Widerstandsmotive und -ziele angebracht.43 Insgesamt beurteilt Becker den »Sperr-Kreis« als »die wohl am gründlichsten vorbereitete deutsche Widerstandsbewegung mit ihrem außerordentlich qualifizierten Personal«.44 Zudem haben einzelne biographische Beiträge in den vergangenen Jahren das Wissen über den bayerischen Widestandskreis um Sperr gemehrt.45 Wenn Dieter J. Weiß in seiner Biographie des bayerischen Kronprinzen Rupprecht die Kontakte zu den Männern um Franz Sperr auch nur am Rande erwähnt, verdient diese Veröffentlichung dennoch besondere Beachtung, weil es die erste quellengestützte, wissenschaftliche Darstellung über den bayerischen Kronprinzen ist.46 Da Rupprecht in der Gründungsphase des Widerstandskreises und während seiner Zeit im Exil eine bedeutende Rolle für den »Sperr-Kreis« spielte, stellt dieses Werk eine besonders wichtige Forschungsarbeit dar. Zudem hat sich der Verfasser dieser Arbeit in den letzten Jahren bereits eingehend mit Eduard Hamm auseinandergesetzt.47 Dabei gelang es, die vorhandenen Kenntnisse über den bayerischen Widerstandskreis um die Rolle Hamms 40 Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 97. 41 Ebd., S. 104. 42 Vgl. ebd., S. 144. 43 Zu Otto Geßler ließ Becker selbst einen Aufsatz folgen, in dem er allerdings weniger auf dessen Funktion im »Sperr-Kreis« als dessen Rolle im »Dritten Reich« einging. Zumindest stellte er diesen mit dem Aufsatztitel, was die Relevanz für den »Sperr-Kreis« betraf, auf eine Stufe mit Franz Sperr (vgl. Becker, Der bayerische Widerstandskreis, S. 33–51). 44 Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 145. – Siehe zum »Sperr-Kreis« zudem Möller, Franz Sperr, S. 705–714. 45 Vgl. zu Franz Sperr außerdem Becker, Franz Sperr (1878–1945), S. 92–106; Rausch, Erinnerung, S. 20–23. 46 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern. – Zu Rupprechts staatsrechtliche Vorstellungen im Florentiner Exil vgl. Ders., Staatsauffassung, S. 547–560. 47 Vgl. Limbach, Ein liberaler Repräsentant; Ders., Ein Weimarer Liberaler, S. 241–255. – Siehe zu Eduard Hamm, neben den bereits erwähnten Veröffentlichungen aus dem Familienkreis, außerdem knappere Lebensskizzen von Steinbach, Eduard Hamm, S. 105–108 sowie Altgeld, Eduard Hamm, S. 125–128.

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zu ergänzen. Auf diese Vorarbeiten kann im Folgenden aufgebaut werden. Otto Geßler hat in seinen letzten Lebensjahren gemeinsam mit dem Kronprinzenbiographen Sendtner seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben. Hierin konzentriert er sich, wie der Titel des Werks bereits vermuten lässt, in erster Linie auf seine »Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit«48, während über seine Rolle im »Dritten Reich« lediglich im Anhang aus Briefen und kürzeren Berichten etwas zu erfahren ist. Auch eine aktuellere Biographie Geßlers aus der Feder von Heiner Möllers beleuchtet vor allem dessen Rolle als Reichswehrminister und klammert dessen Funktion im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus.49 Den durch Geßler seit 1939 verstärkt aufgenommenen Auslandskontakten widmeten sich daher bis heute vor allem Studien, die diese nicht mit der bayerischen Widerstandsgruppe, sondern mit den Bemühungen der Berliner Militäropposition um die Jahreswende 1939/40 in Verbindung brachten.50 Hervorzuheben sind hier vor allem die Forschungen von Klemens von Klemperer, Ulrich Schlie, Joachim Scholtyseck und Ulrike Hörster-Philipps.51 Alle vier beschreiben die Kontakte Geßlers zu Joseph Wirth in der Schweiz und nehmen Bezug zu dessen Geheimverbindungen nach England. Allerdings stoßen die Autoren bei der präzisen Einordnung der Person Otto Geßlers in die Auslandsbemühungen des deutschen militärischen Widerstands teilweise aufgrund der für sie zur Verfügung stehenden Quellen an ihre Grenzen. Darüber hinaus existieren kleinere biographische Beiträge zu einzelnen Mitgliedern des Widerstandskreises, die wohl nur als Orientierung zu biographischen Lebensskizzen der jeweiligen Personen dienen können und weniger als Grundlage einer Analyse des Widerstandskreises insgesamt.52 Lange Zeit setzte die Widerstandsforschung den »bürgerlichen Widerstand« gegen Hitler gleich mit dem so genannten »nationalkonservativen« Widerstand, dem einige der Attentäter vom 20. Juli 1944 zugerechnet werden müssen.53 Dem politischen Zeitgeist der 1970er Jahre entsprechend stellte man hierbei den »bürgerlichen Widerstand« einseitig in eine illiberale und restaurative Ecke. Eine ausgewogenere Bewertung setzte sich erst allmählich Mitte der 1990er Jahre durch. Hinzu traten um diese Zeit soziologische Ansätze und Bemühungen, ein bürger48 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik. 49 Vgl. Möllers, Reichswehrminister, sowie aus heimatgeschichtlicher Perspektive die Lebensskizze von Stoller, Dr. Otto Geßler, S. 26–55. 50 Eine Ausnahme bildet hier Bretschneider, Widerstand in München, S. 163–166, die die Auslandsreisen Geßlers beschreibt. Ihr Versuch, diese in die parallel verlaufenden Auslandsbemühungen des gesamtdeutschen Widerstands einzuordnen, gelingt jedoch nur teilweise, was wohl vor allem auf die ihr zur Verfügung stehende Quellenlage zurückzuführen ist. 51 Vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer; Schlie, Kein Friede mit Deutschland; Scholtyseck, Robert Bosch; Hörster-Philipps, Joseph Wirth. 52 Exemplarisch sei an dieser Stelle verwiesen auf Anzeneder, Ernst Meier und Hermann Strathmann, S. 99–124; Löffler, Joseph-Ernst Fugger von Glött, S. 187–196; Scholtyseck, Otto Schniewind, S. 373–385. 53 Vgl. Mommsen, Bürgerlich (nationalkonservativer) Widerstand, S. 55–67.

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liches »Milieu« des Widerstandes herauszuarbeiten.54 Gleichzeitig erfolgte eine differenziertere Herangehensweise der Widerstandsforschung, die den »bürgerlichen Widerstand« nach »politischen Grundüberzeugungen« in einen Widerstand auf liberaler, konservativer und politisch-katholischer Grundlage unterschied.55 Insbesondere zum liberalen Widerstand, dem Jahrzehnte lang seine Existenz teilweise vollkommen abgesprochen wurde56, sowie zum christlich motivierten Widerstand sollten bis heute wichtige Beiträge folgen.57 Was das Wissen um einen Widerstand aufgrund bürgerlicher Tradition und Verantwortungsgefühl für den Staat betrifft, möchte die vorliegende Studie einen zusätzlichen Beitrag leisten. Dabei soll jedoch keineswegs übersehen werden, dass in einem totalitären Staat stets der individuelle Charakter für die Motivation zum Widerstand gegen das Regime entscheidend bleibt und der gruppenbiographische Abgleich bürgerlicher Herkunft, Erfahrungen und Lebensläufe zwar wichtige Ergebnisse zu Tage fördern, aber nicht unbedingt die Entscheidung des Einzelnen erklären kann.58 Auch diesem Faktum wird in dieser Arbeit Rechnung getragen werden.59 Zudem waren Überlegungen im bürgerlichen Lager nach 1933 weit verbreitet, eine Reform des »Dritten Reiches« von innen heraus zu erreichen, was spätere Widerständlicher zwang, zu den neuen Machthabern in ein »Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation« einzutreten.60 Nicht selten habe der »bürgerliche Widerstand« in einem »Verhältnis gebrochener Loyalität« zum NS-Regime gestanden. Er habe »dessen innenpolitische Methoden« abgelehnt, »aber in manchen außen- und militärpolitischen Zielsetzungen« mit ihm übereingestimmt.61 Diese bereits 1990 von Hans Mommsen aufgestellte These gilt es bei der Untersuchung des bayerischen Widerstandskreises zu überprüfen. Die Quellenlage zum »Sperr-Kreis« muss insgesamt als problematisch bezeichnet werden. Der Nachlass von Franz Sperr, die für den Widerstandskreis 54 Vgl. Schmiechen-Ackermann, Soziale Milieus, S. 13–29. 55 Vgl. die Beiträge von Sassin, Liberalismus, S. 208–218; Klausa, Konservatismus, S. 219–234; Becker, Katholizismus, S. 235–245. 56 So hat etwa Hartmut Mehringer die Meinung vertreten, dass »der politische Liberalismus von Weimar […] im Gefüge des Dritten Reiches keine Spuren hinterlassen [hat]« (Mehringer, Widerstand und Emigration, S. 116). Auch führende Liberale wie Ralf Dahrendorf und Hildegard Hamm-Brücher hatten Anteil an dieser Beurteilung der Liberalen im »Dritten Reich« (vgl. Dahrendorf, Deutschland, S. 227–231; Hamm-Brücher, Versagen, S. 44–56). 57 Vgl. zum Widerstand Liberaler vor allem Sassin, Liberale; Frölich, Opposition, S. 167–184; Scholtyseck, Liberale, S. 105–126; zum Widerstand auf christlicher Grundlage sei verwiesen auf die Biographien im Sammelband von Buchstab / Kaff / K leinmann, Christliche Demokraten gegen Hitler. 58 Vgl. Scholtyseck, »Bürgerlicher Widerstand«, S. 45–57, hier S. 54. 59 Die vorliegende Arbeit ist sowohl individuell- als auch kollektivbiographisch aufgebaut (vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen zur Methode der Arbeit). 60 Auf den Oberbürgermeister von Leipzig Carl Friedrich Goerdeler bezogen, so bei KrügerCharlé, Carl Goerdelers Versuche, S. 383–404, hier S. 384. 61 Mommsen, Nationalsozialismus, S. 31–46, hier S. 45.

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zentrale Persönlichkeit, gilt seit dem Tod seiner Witwe im Jahr 1981 als verschollen. Er konnte im Laufe der Recherchen nur teilweise wiederentdeckt werden.62 Daneben ließen sich manche Quellen, die ursprünglich Teil des Nachlasses waren, als Parallelüberlieferungen in anderen Beständen ausfindig machen.63 Teilweisen Ersatz für den verloren gegangenen Nachlass Sperrs bietet der Nachlass eines seiner engsten Vertrauten im Widerstand. Dr. Ernst Meier, der Erlanger Privatdozent der wirtschaftlichen Staatswissenschaften, rief seit Anfang der 1950er Jahre die Mitglieder des Widerstandskreises alle paar Jahre zu Gedenkveranstaltungen für Franz Sperr zusammen. Die dort gehaltenen Referate und von Meier angeforderten Lebensberichte sollten ursprünglich in einem Sammelband über Sperr zusammengefasst werden. Obwohl dieses Vorhaben schließlich nicht realisiert wurde, befinden sich die Schriftstücke nach wie vor im Nachlass Meiers und dienten bereits Heike Bretschneider und Winfried Becker als Hauptquelle für ihre Beiträge über den Kreis um Sperr.64 Eine andersartige Quellenproblematik liegt im Falle der beiden anderen Köpfe des Kreises, Otto Geßler und Eduard Hamm, vor. Ihre Nachlässe bieten zwar genügend Material, um ihr politisches Leben rekonstruieren zu können. Allerdings beschränken sich die dort befindlichen Schriftstücke in erster Linie auf die Zeit der Weimarer Republik, weshalb sich hier zu ihrer Rolle nach 1933 nur wenige zeitgenössische Quellen finden lassen. Licht ins Dunkle dieser Jahre können daher zum einen – wie im Fall Hamm – nach Kriegsende entstandene 62 Im »Normalfall« wäre der Nachlass wohl an die nächst lebenden Verwandten übergegangen. Allerdings war der einzige Sohn Hanns Ludwig bereits im September 1974 im Alter von 52 Jahren in Orangeburg, New York verstorben. Dessen Witwe konnte zwar in den USA ausfindig gemacht werden. Allerdings konnte sie über den Verbleib des Nachlasses kaum Angaben machen. Ihr war allerdings bekannt, dass Gertraud Sperr regelmäßig einzelne Papiere sowie das von Franz Sperr angefertigte Familienbuch der Familie Sperr ans Stadtarchiv München abgegeben hatte. Tatsächlich hatte Gertraud Sperr in den Jahren vor ihrem Tod Teile des Nachlasses dem Münchener Stadtarchiv anvertraut, wo sie unter »Familien 544/ I–II (Sperr)« abgelegt sind. Einzelne Kopien aus dem verschollenen Notizbuch Sperrs wurden darüber hinaus dankenswerter Weise von Frau Dr. Fröhlich-Broszat zur Verfügung gestellt (im Nachfolgenden: Slg. Elke Fröhlich). 63 So etwa im Nachlass des späteren ersten Vorsitzenden der CSU, Dr. Josef Müller, genannt »Ochsensepp« (ACSP, NL Josef Müller: V 11). 64 Reden wurden gehalten von Otto Geßler: Entwurf der Niederschrift über die Ausführungen von H. Minister a. D. Geßler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9. Dezember 1950, BAK, NL Geßler (N 1032) 36 (abgedruckt bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 164–167) sowie Franz Frhr. von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht (o. D.), UAE, G 1/7 Nr. 1. – Bei den biographischen Skizzen Sperrs handelt es sich konkret um folgende Manuskripte von Freunden und Verwandten: Lully Deininger: Franz Sperr (o. D.), UAE, G 1/7 Nr. 1, Cordula GigonBrutscher: Franz Sperr im Kreis seiner Familie und Freunde (o. D.), ebd., Alban Haas: Im diplomatischen Dienst (o. D.), ebd. – Hinzu kommen Sperr-Darstellungen von Ernst Meier: Familiengeschichtliches (o. D.) – Ders.: Franz Sperr in der Kgl. Bayerischen Armee (o. D.), ebd. – Außerdem ein Kommentar von Ernst Meier: Bemerkungen zum Beitrag über Franz Sperr von Dr. Reisert (o. D.), ebd.

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Lebens- und Erinnerungsberichte bringen und zum anderen – wie im Fall Geßler  – Quellen aus NS-Beständen, etwa die so genannten »Kaltenbrunner-Berichte«. Dabei müssen jedoch die zeitgenössischen NS-Quellen noch kritischer begutachtet werden als die erwähnten ex-post-Berichte. Der Anmerkung Beckers ist in diesem Zusammenhang zuzustimmen, dass die nach 1945 entstandenen »Selbstzeugnisse«, obwohl »sie nicht koäval sind, […] immerhin den Vorzug [haben], daß sie keine Rücksicht auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Dritten Reich nehmen mußten«65. Im Rahmen der Vorbereitungen zur ersten Gedenkveranstaltung für Franz Sperr im Dezember 1950 erstellte Ernst Meier eine 26 Namen umfassende Teilnehmerliste mit dem Titel »Widerstandsgruppe um Franz Sperr«.66 Mit Hilfe dieser im Rahmen der folgenden Gedenkfeiern teilweise erweiterten Listen ließen sich erste Personenrecherchen in den Bayerischen Staatlichen Archiven durchführen, zunächst mit dem Ziel, diesen angeblichen »Mitarbeiterkreis« Sperrs genauer zu untersuchen. Hierbei bildeten die jeweiligen Personalakten der bayerischen Staatsministerien im Bayerischen Hauptstaatsarchiv eine wichtige Grundlage. Als besonders ergiebig für die Rekonstruktion des Widerstandskreises stellten sich indes die Spruchkammer- und Wiedergutmachungsakten dieses Personenkreises sowie die jener Personen heraus, die sich in den bereits erwähnten Quellen im Nachlass Hamm als Vertrauensleute des früheren Reichswirtschaftsministers ausgaben. Diese Akten sind aufgrund ihres Entstehungskontextes in der unmittelbaren Nachkriegszeit von Fall zu Fall kritisch zu beurteilen, stehen sie doch nicht zu Unrecht im Verdacht, in vielen Fällen lediglich »Persilscheine«, also Freibriefe zur Entlastung, zu enthalten.67 Dennoch gelang es insbesondere anhand der Spruchkammerakten, sich dem tatsächlichen personellen Umfang und der Zusammensetzung des »Sperr-Kreises« weiter anzunähern sowie wichtige Hinweise über das Vorgehen und die Ziele der Gruppe zu sammeln. Ein Quellenproblem ergibt sich allerdings nicht nur hinsichtlich der Ermittlung der Mitglieder und ihrer Motive für die Bereitschaft zum Widerstand. Es besteht insbesondere auch im Hinblick auf die politischen Vorstellungen für eine Zeit »Danach«, da weder Sperr, noch Hamm, noch Geßler selbst programma65 Becker, Der bayerische Widerstandskreis, S. 39 f. 66 Diese wurde erstmals bei Anzeneder, Meier und Strathmann, S. 105 veröffentlicht. Da Meier im Einladungsschreiben selbst einräumen musste, dass er »möglicherweise von dem einen oder anderen Mitarbeiter von Franz Sperr nichts gewusst« habe, bat er um die Nennung weiterer Namen (Ernst Meier an Franz Reisert (Nabburg, 4. November 1950), UAE, G 1/7 Nr. 1). So konnte bei der zweiten Gedenkfeier am 27. Januar 1952 in München die Liste bis auf 32 Namen erweitert werden (vgl. Liste »Widerstandsgruppe um Franz Sperr« [1952], BAK, NL Geßler (N 1032) 36). 67 Vgl. hierzu das grundlegende Werk von Niethammer, Mitläuferfabrik; außerdem RauhKühne, Entnazifizierung, S. 35–70. – Zur »Misserfolgsgeschichte der Entnazifizierung« in der drittgrößten Stadt Bayerns Augsburg vgl. B. Gotto, Nationalsozialistische Kommunalpolitik, S. 386–406.

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tische, schriftliche Aufzeichnungen aus ihrer Widerstandsarbeit hinterlassen haben. Dagegen konnten sowohl im Nachlass des Kronprinzen Rupprecht im Geheimen Hausarchiv in München als auch in ausländischen Archiven diverse Denkschriften des Kronprinzen ermittelt werden, die  – wie noch zu zeigen sein wird – durchaus programmatischen Charakter aufwiesen.68 Über die autobiographischen Aufzeichnungen des bayerischen Kronprinzen ließ sich zudem Rupprechts Motiv für die Aufnahme von Gesprächen mit Franz Sperr und Otto Geßler nachweisen, wenn er diese auch nicht ausdrücklich erwähnte.69 Die Beziehungen des »Sperr-Kreises« zu anderen Widerstandskreisen konnten rekonstruiert werden aufgrund von nach Kriegeende zum Teil veröffentlichter Tagebuchauszüge und Briefe verschiedener Widerständlicher.70 Die hier gewonnenen Erkenntnisse wurden durch Erinnerungsberichte überlebender Gesprächsteilnehmer ergänzt71 und mit zum Teil existierenden Quellen aus NS-Beständen abgeglichen.72 Die sich nicht selten inhaltlich wie datierungsmäßig widersprechenden Quellen waren dabei quellenkritisch nach den Kriterien des Entstehungskontextes und des zeitlichen Abstandes zum jeweiligen Ereignis zu beurteilen, um abschließend die Chronologie der Gespräche und deren Inhalte plausibel erfassen zu können.

2. Erklärung von Begrifflichkeiten Im Folgenden soll zum besseren Verständnis auf mehrere Begrifflichkeiten dieser Arbeit näher eingegangen und dargelegt werden, wie der Verfasser diese Termini auslegt und ihre Beziehungen zueinander definiert. Im Mittelpunkt steht hierbei der »Widerstand« als Handlungsoption im »Dritten Reich«, mitsamt seinen unterschiedlichen Ausformungen, Reichweiten und Wirkkräften. Den Begriffen »bürgerliche Parteien«, »bürgerliche Eliten« und »bürgerlicher Widerstand« soll insofern Aufmerksamkeit geschenkt werden, da diese im Ver68 Vgl. GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1000 sowie Autobiographische Aufzeichnungen des Kronprinzen Rupprecht (künftig: AA KPR), Mappe 23 – The National Archives, Kew (künftig: TNA), FO 371/34458. 69 Vgl. GHA, AA KPR, Mappen 15–18 (Januar 1933-Juli 1934). 70 Hervorzuheben sind an dieser Stelle zum einen die Tagebücher Ulrich von Hassells (vgl. Hassell, Die Hassell-Tagebücher), zum anderen die Briefe Helmuth James von Moltkes an seine Frau Freya (vgl. H. J. v. Moltke, Briefe an Freya). 71 Die Gespräche mit dem »Kreisauer Kreis« können durch Erlebnisberichte der Gesprächsteilnehmer aus Beständen des Instituts für Zeitgeschichte rekonstruiert werden. Zu nennen sind hierbei vor allem die Nachlässe von Walter Hammer (IfZ, ED 106) und Eberhard Zeller (IfZ, ED 88) sowie die Zeugenschrifttum-Bestände »Widerstand in Bayern« (IfZ, ZS / A 4) sowie des niederländischen Historikers Ger van Roon (IfZ, ZS / A 18). 72 Hierzu zählen insbesondere die so genannten »Kaltenbrunner-Berichte« sowie Anklagen und Urteile des Volksgerichtshofs (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«).

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lauf dieser Arbeit im Zusammenhang mit der politischen Sozialisation der Mitglieder des »Sperr-Kreises« und insbesondere bei der Analyse der Sozialstruktur des Widerstandskreises Anwendung finden. a) »Widerstand« Die Widerstandsforschung hat in den vergangenen Jahrzehnten den Widerstandsbegriff entsprechend des jeweiligen Zeitgeistes einmal breiter, einmal enger gefasst.73 Dabei wurden einerseits Alternativen zum Begriff »Widerstand« vorgeschlagen, die jedoch eher die Gefahr einer begrifflichen Verwässerung in sich bargen als zu einer Konkretisierung widerständigen Verhaltens im »Dritten Reich« beitrugen.74 Andererseits wurden diverse Stufenmodelle entwickelt, um Widerstand im »Dritten Reich« zu kategorisieren und zu bewerten.75 An dieser Stelle ist es notwendig festzulegen, was die Verwendung des Begriffs »Widerstand« in dieser Arbeit bedeutet, um den Widerstand des »Sperr-Kreises« in den folgenden Kapiteln in die möglichen Formen und Ausprägungen widerständigen Verhaltens zwischen 1933 und 1945 einordnen zu können. Der Widerstandsbegriff in dieser Arbeit schließt an ein in sich ausdifferenziertes Zwei-Stufenmodell von Winfried Becker an76, das sich seinerseits an einer gängigen, vierstufigen Systematisierung des kirchlichen Widerstands77 orientiert. Zu Unrecht wurde Beckers Modell bislang kaum rezipiert78, da es nicht nur die einzelnen Formen des Widerstandes nach heutigen Maßstäben in Kategorien wie aktiver und passiver Widerstand einordnet, sondern auch Rücksicht auf die damaligen »Kriminalisierungskategorien« des NS-Regimes nimmt. Becker spricht erstens von Resistenz79, die ihren Ausdruck in »Nichtanpassung und Verweigerung zwecks Identitätsbewahrung« fand. Hierzu zählt er wiederum drei unterschiedliche Formen: a) Die materielle und rechtliche Hilfe für Gegner des Regimes; b) die »geistige Sammlung«, die in Diskussionen über historische, theologische und philosophische Themen bis hin zur Erörterung des Staatsbegriffs im Freundes- und Bekanntenkreis zu Tage trat sowie »stumme 73 Zum Einfluss des Zeitgeistes auf die Bewertung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus vgl. Steinbach, Widerstand im Widerstreit. 74 Alternative Begriffe wie »Resistenz« oder »Opposition« würden die Vielschichtigkeit der Handlungen des »Sperr-Kreises« zu sehr einengen, weshalb in dieser Arbeit in der Regel von »Widerstand« die Rede sein wird. 75 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf sämtliche Stufenmodelle im Einzelnen einzugehen. Zu den gängigen Vorschlägen einer Kategorisierung des Widerstandsbegriffs sei daher verwiesen auf Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, S. 89–100. 76 Vgl. Becker, Katholizismus, S. 242–245. 77 Vgl. K. Gotto / Hockerts / Repgen, Nationalsozialistische Herausforderung, S. 173–190. 78 Eine wichtige Ausnahme bildet hierbei Förster, Harnier-Kreis, S. 41–43. 79 Die enggefasste Verwendung des Begriffs im Sinne Beckers darf nicht mit dem im so genannten »Bayern-Projekt« deutlich weiter gefassten Begriff verwechselt werden.

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Proteste«; c) die »Verhandlungsmethode« und »Konfrontationsvermeidung« mit Staats- und Parteistellen, um Handlungsspielräume zu bewahren und nutzen zu können. Als zweite Stufe macht Becker, den für diese Arbeit besonders relevanten »aktiven Widerstand« aus, den er wiederum in zwei Kategorien aufteilt, die einander jedoch überlappen: a)  die enge Konspiration; b)  der »tendenziell aktive Widerstand«. Jene Formen des aktiven Widerstands und Beckers Verständnis dieser Begrifflichkeiten gilt es, genauer zu betrachten. Becker ergänzt damit jene Aktivitäten, die traditionell als aktiver Widerstand bezeichnet werden, nämlich Handlungen zur Beseitigung Hitlers sowie die konspirative Zellenbildung mit Organisation eines Schattenkabinetts, um sämtliche Aktionen und Gedankenspiele, die nach den Kriminalisierungskategorien des Regimes als aktiver Widerstand galten: Hierzu zählt Becker »alles, was an konkreten Maßnahmen und geistigen Anstrengungen auf die Gestaltung der staatlichen Ordnung ›nach Hitler‹ zielte«.80 Aus Sicht des Regimes sei es gleichgültig gewesen, »ob der Umsturz wirklich betrieben oder nur als bald bevorstehend vorausgesetzt wurde« und entsprechende Notwendigkeiten hieraus abgeleitet wurden.81 Wer also in diesem Sinne auf Veränderungen hinarbeitete und als Alternative nicht die innere oder äußere Emigration wählte, überschritt nach Beckers Systematisierung bereits die »Schwelle zur Aktivität«.82 Diese Ansicht teilt der Verfasser dieser Arbeit, weshalb ein solchermaßen definierter »Widerstand« für die Untersuchung des »Sperr-Kreises« im Folgenden grundlegend ist. b) »Bürgerliche Parteien«, »bürgerliche Eliten« und »bürgerlicher Widerstand« Was bedeutet »bürgerlich«? Die historische Bürgertumsforschung83 hat sich mit dieser Frage umfassend auseinandergesetzt, ohne dabei jedoch eine allgemeingültige und vor allem den jeweiligen Zeitgeist überdauernde, endgültige Be80 Becker, Katholizismus, S. 243. 81 Hierzu führt Becker weiter aus: »Auch wer potentiell Täter war, wer regimekritische Denkschriften verfaßte, Vorträge über das bald zu erwartende Ende des ›Dritten Reichs‹ hielt, wer Zukunftsperspektiven für die Zeit nach dem Ende des Nationalsozialismus entwarf und dessen Ablösung in regimekritischer Absicht erörterte, wurde im Grunde als Widerständler betrachtet, der die Autorität des Bestehenden untergrub, und mit Sanktionen von der ›Inschutzhaftnahme‹ bis zur Todesstrafe bedroht, sofern solche Aktivitäten aktenkundig wurden« (ebd., S. 243 f.). 82 Ebd., S. 244. 83 In Bielefeld wurde aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1986 ein Sonder­ forschungsbereich geschaffen, der sich in den folgenden zwölf Jahren der »Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums« annehmen sollte. Die in diesem Zusammenhang entstandenen rund 500 Veröffentlichungen werden in dem Sammelband Lundgreen, Sozial- und Kulturgeschichte, bilanzierend zusammengefasst.

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griffsdefinition zu formulieren.84 Das »Bürgertum« bildete ursprünglich die Bezeichnung für den dritten Stand der dreigliedrigen Ständeordnung des Spätmittelalters und der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Insbesondere durch Karl Marx und Friedrich Engels wandelte sich die Bedeutung des Begriffs.85 Nach ihrer Theorie existierte eine Zweiklassengesellschaft und zugleich ein Klassenkampf zwischen dem kapitalistischen Großbürgertum, der Bourgeoisie (frz. für Bürgertum), und der vom Kapital abhängigen Lohnarbeiterschaft, dem Proletariat. Marx sollte mit seinen Schriften die sozialistisch-kommunistischen Bewegungen weltweit nachhaltig beeinflussen. Sich hiervon abgrenzend bildete sich zwar auch auf Seiten des Bürgertums ein Selbstverständnis heraus, das jedoch nie einen vergleichbaren Organisations- und Identifikationsgrad in Form eines »Klassenbewusstseins« gewinnen sollte, wie es bei der Arbeiterschaft der Fall war.86 Das Bestehen auf die persönliche Freiheit des Individuums, ein Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft, sorgte eher für eine Spaltung, denn für einen Zusammenschluss des bürgerlichen Lagers. Dennoch erfolgte  – an dieses Klassendenken anknüpfend  – im Zuge des Politisierungsprozesses, den die deutsche Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf sämtlichen Ebenen des öffentlichen Lebens vollzog, mit Aufkommen der politischen Parteien eine Abgrenzung der »bürgerlichen Parteien« von den Arbeiterparteien. Hierzu zählten der vor allem im städtischen Bürgertum angesiedelte politische Liberalismus, die vom katholischen Sozialmilieu getragenen Parteien des politischen Katholizismus sowie das Lager des bürgerlich-nationalen Konservativismus. Diesen »bürgerlichen Parteien« stand politisch insbesondere das so genannte »Bildungsbürgertum«87 nahe. Ob man als Individuum zu dieser Schicht gehörte, war in hohem Maße von der bürgerlichen Sozialisation der Eltern abhängig. Zählte man hierzu, genoss man einige Privilegien, wie Bernhard Grau treffend beschrieb: »Nur das Gymnasium vermittelte alle jene Berechtigungen, mit denen sich das Bürgertum von den unteren sozialen Schichten abgrenzte: das Recht auf Ableistung des Einjährig-Freiwilligen-Dienstes und damit auf Erlangung des Reserveoffizierranges, die Möglichkeit des Universitätsstudiums und damit 84 Eine eigene Begriffsdefinition zu entwickeln, kann nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Vielmehr soll auf Grundlage der bereits erfolgten Forschung die politischen, sozialen und kulturellen Merkmale benannt werden, die »Bürgertum« und »Bürgerlichkeit« Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausmachten, um auf diese Weise im Verlauf dieser Arbeit nach Möglichkeit Rückschlüsse auf Zusammensetzung, Motive und Ziele des »SperrKreises« zu ziehen. 85 Vgl. hierzu u. a. K. Marx, Manifest, insbes. S. 66–95. 86 Vgl. Scholtyseck, Handlungsbedingungen, S. 187–202, hier S. 191 f. 87 Jene Teile des Bürgertums, die sich in der Regel nicht aufgrund ihrer wirtschaftlichen Sonderstellung priviligiert sahen, sondern aufgrund ihres Bildungswissens und ihrer Werte ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelten sowie einen Führungsanspruch in und ein Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft ausbildeten, lassen sich unter der sozialen Formation des »Bildungsbürgertums« zusammenfassen (vgl. hierzu u. a. Lepsius, Bildungsbürgertum, S. 8–18, insbes. S. 10).

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die Anwartschaft auf den höheren Staatsdienst.«88 Wie sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen wird, wiesen die Mitglieder des »Sperr-Kreises« fast ausnahmslos jenen bildungsbürgerlichen Hintergrund auf. Die überwiegende Mehrheit war den traditionellen »bürgerlichen Eliten« zuzurechnen. Wie auch dieser Begriff in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, bedarf der Erklärung. Begrifflich stellen »Eliten« immer eine Auswahl an Menschen dar.89 Die moderne Soziologie hat den Begriff sehr weit gefasst und versteht darunter alle Personen, die über gesellschaftliche Macht verfügen bzw. die gesellschaftliche Entwicklung mitbestimmen.90 Wer letztlich zu den »Eliten« zählt, hängt stark vom jeweiligen Gesellschafts-, Regierungs- und Wirtschaftssystem ab. So genannte »Funktionseliten« gibt es in jeder Gesellschaft, so auch im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im »Dritten Reich«.91 Obwohl in dieser Arbeit die Jahre zwischen 1933 und 1945 im Zentrum stehen, wird sie sich kaum mit »Funktionseliten« des »Dritten Reiches« beschäftigen.92 Denn nicht einmal jene Mitglieder des »Sperr-Kreises«, die nach der Machtübernahme Hitlers 1933 ihre Karriere fortsetzten, konnten die gesellschaftliche Entwicklung aus ihrem Amt heraus entscheidend mitbestimmen. Daher wird das Hauptaugenmerk auf die früheren »Funktionseliten« des Kaiserreiches und der Weimarer Republik gelegt, dabei jedoch ausschließlich die traditionellen »bürgerlichen Eliten«, insbesondere aus Politik, Verwaltung, Justiz, Wissenschaft und Wirtschaft in den Blick genommen.93 Der Begriff »bürgerlicher Widerstand« wurde bis Mitte der 1990er Jahre wenig differenzierend auf jenen Widerstand angewandt, der zum Attentat vom 20. Juli 1944 führte.94 Doch war die Sozialstruktur der Beteiligten am Hitler-­ Attentat deutlich vielschichtiger. Die Verengung auf das »Bürgerliche« mag zwar in politischer Hinsicht die konservativen, liberalen und konfessionellen Widerständler des 20. Juli 1944 berücksichtigt haben. Dagegen galten etwa Sozialdemokraten wie Julius Leber oder Carlo Mierendorff als in diesem Sinne nicht 88 Grau, Kurt Eisner, S. 21. 89 »Elite« stammt vom lateinischen Wort »eligere« = »auswählen« ab. An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, die verschiedenen Begriffsdefinitionen der Soziologie und Politik­ wissenschaft zu diskutieren. Einen Überblick zum Elitenbegriff bietet die Einleitung der Herausgeber bei Münkler / Straßenberger / Bohlender, Deutschlands Eliten, S. 11–21. 90 Vgl. Hoffmann-Lange, Eliten, S. 19. 91 Der Begriff der »Funktionselite« hat sich in der Soziologie etabliert, um eine tatsächliche Leitungs- und Führungsfunktion zu kennzeichnen und damit die entsprechenden »Eliten« von etwaigen »Positionseliten« abzugrenzen, die keinen tatsächlichen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen haben (vgl. Endruweit, Elite, S. 15–34). 92 Vgl. zu diesem Komplex vertiefend den Sammelband von Hirschfeld / Jersak, Karrieren, in dem sich auf die Gruppen der Verwaltungsexperten, Besatzungsbürokraten, Offiziere und Wissenschaftler im »Dritten Reich« konzentriert wird. 93 Ebenfalls mit den traditionellen, bürgerlichen Eliten beschäftigt sich Scholtyseck, Eliten, S. 110–131. 94 Der Forschungsstand zum Komplex »bürgerlicher Widerstand« wurde oben genauer beschrieben.

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»bürgerlich«. In traditionell ständischem Zusammenhang dürften auch die vielen adeligen Offiziere sowie die ehemaligen Mitglieder der Arbeiterbewegung nicht hinzugerechnet worden sein. In dieser Arbeit zum bayerischen »Sperr-Kreis« soll »bürgerlicher Widerstand« daher enger gefasst und als das verstanden werden, was seine Begrifflichkeit nach obigem Verständnis zulässt: Zwar wird auch hier ein mutmaßlicher »Elitenwiderstand« gegen Hitler in den Blick genommen; doch repräsentierte der Kreis um Sperr, dies sei vorweggenommen, im Vergleich zu den am »Stauffenberg-Attentat« führend beteiligten, vor allem aristokratisch geprägten Eliten Preußens, politisch und sozial eher eine bürgerliche Mitte. In der vorliegenden Studie dient »bürgerlicher Widerstand« als Sammelbegriff für den Widerstand auf liberaler und konfessioneller Grundlage und schließt zugleich den nichtadeligen, monarchisch-konservativen Widerstand mit ein.95

3. Fragestellung, Methode und Aufbau Das Ziel dieser Arbeit ist es, die geistigen Ursprünge, die personelle und organisatorische Entwicklung, das konkret widerständige Handeln sowie die Ziele des Widerstandskreises um Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm aufzu­ arbeiten. Zu diesem Zweck werden bereits existierende Vorarbeiten und Bewertungen kritisch beleuchtet und die bereits geleistete Arbeit auf umfangreicherer Quellenbasis fortgeschrieben, so dass sich ein möglichst umfassendes Gesamtbild von der Widerstandstätigkeit des »Sperr-Kreises« ergibt. Da es sich beim »Sperr-Kreis« nach bisherigem Forschungsstand um einen auf Bayern begrenzten Widerstandskreis handelte, der sich im Kern auf eine aus Bayern stammende, bürgerliche Elite der Weimarer Republik stützte, lauten die weiterführenden, interessensleitenden Fragestellungen dieser Arbeit wie folgt: Existierte in Bayern vor 1933 ein traditionelles bürgerliches Selbstverständnis und ein Verantwortungsbewusstsein für den Staat? Wenn ja, trug ein solches nach 1933 zum Widerstand von Sperr und Co. bei, indem es Motive, Ziele und Vorgehen des Widerstandskreises beeinflusste. Oder spielten auch andere, vielleicht sogar maßgeblichere Faktoren eine Rolle? Der Widerstandskreis um Franz Sperr soll durch eine Verbindung aus individuell- und kollektivbiographischem Ansatz untersucht werden. Da Einzelbiographien aller Mitglieder des »Sperr-Kreises« den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden, wird sich in erster Linie auf die zentralen Personen des Kreises konzentriert. Hierzu zählten der letzte bayerische Gesandte in Berlin, Franz Sperr, sowie die beiden ehemaligen Reichsminister Otto Geßler und Eduard Hamm. 95 Der Begriff »bürgerlicher Widerstand« soll im Folgenden nicht statisch angewandt, sondern ausdifferenziert werden, sowie anhand der Biographien der einzelnen, im »Sperr-Kreis« Aktiven, deren soziale und politische Prägung aufgezeigt werden.

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Außerdem soll dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht von Wittelsbach besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, da er für die Entstehung und Zielsetzung des Kreises von entscheidender Bedeutung war. Allerdings kann es dem »roten Faden« dieser Arbeit kaum dienlich sein, lediglich aufeinanderfolgende, detaillierte Biographien dieser vier Persönlichkeiten zu verfassen. Zwar werden sich einzelne Abschnitte ausführlich mit ihrer familiären und sozialen Herkunft sowie ihrer politischen Prägung beschäftigen. Der Schwerpunkt des biographischen Abschnitts der vorliegenden Arbeit wird aber auf der chronologischen und systematischen Darstellung und Wertung von Ereignissen und Erfahrungen im politischen Leben der drei späteren Verbündeten Sperr, Geßler und Hamm vom Beginn der Weimarer Republik an bis in die Zeit des »Dritten Reiches« liegen. Die Vermutung liegt nahe, dass gerade der gemeinsame Erfahrungsschatz und eine übereinstimmende Beurteilung der politischen Entwicklung für die Bildung des »Sperr-Kreises« grundlegend waren. Somit beginnt die Aufarbeitung des eigentlichen Widerstandskreises bereits mit den ausführlichen biographischen Kapiteln zu seinen Protagonisten. Die im Nachlass von Prof. Dr. Ernst Meier befindlichen Teilnehmerlisten der nach 1945 abgehaltenen Gedenkveranstaltungen für Franz Sperr dienten der nachfolgenden Studie als erster Anhaltspunkt für die Rekonstruktion des »SperrKreises«.96 Ob diese Listen gleichzeitig als tatsächliche Mitgliederliste des Widerstandskreises verstanden werden können, muss allerdings bezweifelt werden. Vielmehr scheint es tatsächlich so, als habe es sich hierbei allenfalls um Listen aller »Angehörigen« des Widerstandskreises gehandelt, deren Mitwirkung im einzelnen durchaus unterschiedlich war: von aktiver Beteiligung, über passive Sympathiebekundung, bis hin zu freundschaftlicher Verbundenheit.97 Es galt daher zunächst, die sich im Laufe der Jahre verändernden Listen für die Überprüfung der dort genannten Personen zu nutzen. In den meisten Fällen fiel es leicht, Personal- oder Spruchkammerakten, in Einzelfällen sogar Nachlässe, ausfindig zu machen. Die hierin enthaltenen Informationen ließen durchaus die Entscheidung zu, die in den Listen verzeichneten Persönlichkeiten als Mitglieder des bayerischen Widerstandskreises zu identifizieren oder eben lediglich eine freundschaftliche oder berufliche Verbindung zu attestieren. Von Beginn an stand zu erwarten, dass sich die Spruchkammerakten als ertragreich herausstellen würden, da sich nach 1945 nahezu jeder als Gegner des Regimes

96 Vgl. die verschiedenen Teilnehmerlisten in UAE, G 1/7 Nr. 1 (hiervon eine abgedr. bei ­Anzeneder, Ernst Meier und Hermann Strathmann, S. 105). 97 Im Vorfeld der ersten Gedenkfeier teilte Ernst Meier mit: »Zur Feier sollen eingeladen werden in erster Linie die Angehörigen der Widerstandsgruppe um Franz Sperr mit ihrer Familie, dann aber auch Persönlichkeiten, die mit Franz Sperr dienstlich oder freundschaftlich verbunden waren, sowie Freunde der Teilnehmer, die der Widerstandsbewegung nahe gestanden haben. Es ist beabsichtigt, Einladungen an die Bayerische Staatsregierung und an die Münchner Presse ergehen zu lassen« (Entwurf eines Einladungsschreibens von Dr. Ernst Meier (Nabburg, o. D.), UAE, G 1/7 Nr. 1.

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verstanden wissen wollte und eine regelrechte »Mitläuferfabrik« entstand.98 Aus diesem Grund gelten die Spruchkammerakten zu Recht als nur sehr abwägend zu nutzende Quelle, was sich wiederholt bei den Recherchen zu dieser Arbeit bestätigte.99 Über die »Echtheit« einzelner »Eidesstattlicher Versicherungen« musste von Fall zu Fall entschieden werden, da nicht davon auszugehen war, dass jeder Angeklagte bzw. Zeuge das Rechtsverständnis eines Otto Geßlers hinsichtlich Eid / Meineid teilte.100 Der Verfasser dieser Arbeit musste mitunter von der Teilnahme an den späteren Gedenkveranstaltungen die Annahme der Zugehörigkeit zum »Sperr-Kreis« im »Dritten Reich« ableiten. Hätten die jeweiligen Personen im Rahmen ihrer Entnazifizierungsverfahren ihre Mitwirkung am Kreis um Franz Sperr frei erfunden, um als »unbelastet« klassifiziert zu werden, hätte die post-prozessuale falsche Behauptung den Betreffenden weder einen Nutzen gebracht noch wäre sie von den tatsächlichen Mitgliedern als Lüge geduldet worden. Die zweifelsfrei identifizierten Mitglieder und Sympathisanten des Kreises sollen in dieser Arbeit mit unterschiedlichen Sozialisationsfaktoren im Kollektiv näher betrachtet werden, um Gemeinsames sowie Unterschiede herauszu­ arbeiten. Alter, Beruf, Herkunft sowie Religions- und Parteizugehörigkeit vor und nach 1933 lassen sich anhand der Personal- und Spruchkammerakten in den 98 Hierzu grundlegend Niethammer, Mitläuferfabrik; außerdem Hoser, Entnazifizierung, S. 473–510. 99 Nicht selten tauchten Behauptungen wie die des ehemaligen Sanatoriumsbesitzers Dr. Erich Wiethaus (NSDAP-Mitglied seit 1934) auf, der angab, unter der »Präsidentschaft« von Franz Sperr in einer »Union für internationale Touristik« im Rahmen der Widerstandsbewegung gearbeitet zu haben. Dies wurde ihm von einem engen Freund, einem Reiseunternehmer, der ebenfalls angeblich mit Sperr im Widerstandskreis aktiv war, bestätigt (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Wilhelm Höfling (München, 20. Januar 1948), StAM, SpkA K 3673: Wiethaus, Erich). Beide bezogen ihr Wissen über den »Sperr-Kreis« ganz offensichtlich aus dem ersten Zeitungsartikel »In memoriam Franz Sperr«, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 23. Januar 1946 und verfasst von einem tatsächlich engen Vertrauten Sperrs, Georg Deininger. Die Idee, solche Artikel für die eigene Entnazifizierung auszunutzen, lag nahe und dürfte nicht selten vorgekommen sein. Unverhohlen empfahlen beide sogar, sich über die Gruppe in der Zeitung zu informieren. Wiethaus kam allerdings mit seinen Angaben nicht durch. Rupprecht Gerngross, einer der Anführer der »Freiheitsaktion Bayern«, der mit Sperr einige Gespräche 1943 geführt hatte, konnte sie auf Nachfrage des Vorsitzender der Spruchkammer Bad Tölz allesamt entkräften (vgl. Rupprecht Gerngross an den öffentlichen Kläger der Spruchkammer Bad Tölz (15. August 1948), BayHStA, NL Gerngross 53). 100 Dass Geßler sich nicht in jedem Fall zur eidlichen Bestätigung aktiver Widerstandstätigkeit bereiterklärte, zeigte sein Schreiben an Marie Elisabeth Lüders vom 13. Juli 1951. Lüders hatte zuvor an Geßlers »Freundlichkeit« appelliert, doch bitte ihre aktive Gegnerschaft gegenüber den Nationalsozialisten zu bestätigen. Geßlers Antwort fiel nicht ganz in Lüders’ Sinne aus, als er schrieb: »Ich weiss […] keinerlei Einzelheiten über ihr Verhalten den Nationalsozialisten gegenüber. Wenn ich aber eine Ihrem Wunsche entsprechende Erklärung über die Details, die ich erst aus ihrem Brief erfahren habe, gebe, dann müsste ich schliesslich die Angaben eidesstattlich bestätigen – das kann ich aber natürlich nicht tun. Sie müssen begreifen wie schwer es für mich ist, ihnen diesen Dienst nicht erweisen zu können […]« (Briefwechsel zwischen Geßler und Lüders, BAK, NL Geßler (N 1032) 33, Bl. 60 f.).

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meisten Fällen nachweisen. Auch lässt sich der »Sperr-Kreis« durch die Erhebung dieser Daten mit anderen Widerstandskreisen vergleichen. Hierfür bietet sich besonders der so genannte »Harnier-Kreis« an, der seine Mitglieder ebenfalls in Bayern rekrutierte und – gleich dem »Sperr-Kreis« – Kronprinz Rupprecht an der Spitze einer post-nationalsozialistischen, bayerischen Monarchie sehen wollte. Der Hauptteil der Arbeit gliedert sich in acht Hauptkapitel (II. bis IX.), die überwiegend chronologisch aufeinanderfolgen und sich einem Zeitraum von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Jahre nach 1945 widmen. Die jeweiligen Unterkapitel bauen in weiten Teilen systematisch aufeinander auf. Das einleitende Kapitel des Hauptteils (II.) geht von der Annahme aus, dass der Widerstand des späteren »Sperr-Kreises« durch die politische Sozialisation seiner Mitglieder beeinflusst wurde, die ihren Ursprung in der bürgerlichen Ideenwelt des 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte. In drei Unterkapiteln rücken daher die für den Widerstandskreis relevanten politischen Parteien und Strömungen Bayerns, die des politischen Liberalismus, Katholizismus und Konservatismus, in den Fokus. Da sich die späteren »Sperr-Kreis«-Mitglieder zu einem beachtlichen Teil jenen Bewegungen zuordnen lassen, soll an dieser Stelle neben der Darstellung von Entstehung und Entwicklung vor allem den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Parteien nachgegangen werden. Insbesondere dem Binnenverhältnis zwischen Bayern und Reich gilt hierbei das Hauptaugenmerk. Es soll die Frage beantwortet werden, wie die bürgerlichen, bayerischen Parteien, die in der Regel über Mutterparteien auf Reichsebene verfügten, den Föderalismus des Bismarck-Reiches betrachten und mit den Unitarisierungsbestrebungen in der Weimarer Republik umgingen. Sollte sich in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes bayerisches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein feststellen lassen, könnte dies womöglich die einzelnen Mitglieder des bayerischen Widerstandskreises in ihren staatsrechtlichen Vorstellungen und ihrer Zusammenarbeit mit reichsweiten Widerstandsgruppen nachhaltig geprägt haben. Der anschließende Abschnitt (III.) widmet sich den Biographien der Protagonisten des Widerstandskreises bis ins Jahr 1933. Da Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm im »Dritten Reich« die Führungsriege des Widerstandskreises bildeten, ist anzunehmen, dass ihr Zusammenschluss auf einem gemeinsamen Wertefundament beruhte. Was das Gemeinsame oder Verbindende war, soll in dem Kapitel aufgespürt werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen daher die verbindenden politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen sowie der Umgang und die Teilhabe an politischen Entwicklungen in den Jahren zwischen Monarchie und Diktatur. Eingeleitet wird das Hauptkapitel mit einer Rückblende auf die familiären Wurzeln sowie den politischen bzw. militärischen Werdegang von Sperr, Geßler und Hamm. Im zweiten Unterkapitel werden die für die späteren politischen Vorstellungen der drei Protagonisten des »SperrKreises« einschneidenden Ereignisse der Jahre 1918 und 1919 thematisiert: Überschrieben ist der Abschnitt, der sich mit Revolution und Räterepublik in Bayern befasst, mit »Trauma des Bürgertums«. Es wird untersucht, wie Sperr, Geßler und Hamm auf den Zusammenbruch der Monarchie und die Ausrufung der

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kommunistischen Räterepublik in München reagierten. In diesem Kapitel wird ferner untersucht, welche Konsequenzen für ihr politisches Handeln sie aus diesen Ereignissen zogen. Einen Schwerpunkt bildet dabei ihre politische Rolle zu Zeiten der Weimarer Republik. Weniger wird dabei ein Schlaglicht auf die Tagespolitik der drei Hauptakteure geworfen und wie sie ihre politischen Ämter ausfüllten. Das dritte Unterkapitel erhält seine zentrale Bedeutung durch die Analyse des permanent schwelenden Konflikts zwischen Bayern und dem Reich, also dem Münchener Beharren auf freier Selbstbestimmung einerseits und den Berliner Unitarisierungsbemühungen andererseits. Hierbei wird die politische Rolle der drei Protagonisten vor dem Hintergrund innenpolitischer und außenpolitischer Krisen zu beleuchten sein. Wie standen Sperr, Geßler und Hamm insgesamt zu der ihnen unbekannten Staatsform, der Weimarer Republik? So lautet die zentrale Frage des anschließenden Unterkapitels, in dem es darum geht, der politischen Flexibilität der drei zentralen Figuren des späteren Widerstandskreises nachzuspüren. Konnten sie sich rasch mit der Weimarer Republik arrangieren, waren sie – den Kategorien Friedrich Meineckes folgend  – »Vernunftrepublikaner« oder »Herzensmonarchisten«? Diese Fragen sind von grundlegender Bedeutung, viel mehr noch die zu findenden Antworten. Sie lassen womöglich Rückschlüsse darauf zu, welche Staatsform die Männer um Sperr für ein Bayern nach Hitler favorisiert hätten. Die Überleitung zur Zeit des »Dritten Reiches« bildet schließlich ein Unterkapitel, das sich mit dem Verhältnis des bayerischen Volkes sowie dem ganz persönlichen Verhältnis der drei Protagonisten des späteren »Sperr-Kreises« zum aufkommenden Nationalsozialismus beschäftigt. Bekämpften Sperr, Geßler und Hamm die NSDAP bereits im Vorfeld ihrer Machtübernahme oder gaben sie sich der weit verbreiteten Illusion hin, die Partei werde sich – erst einmal in Regierungsverantwortung eingebunden – entradikaliseren und entzaubern? Das nächste Hauptkapitel (IV.) setzt sich mit der bisherigen Forschungsliteratur zum bayerischen »Sperr-Kreis« auseinander, in der eine nicht unbedeutende Rolle des Kronprinzen Rupprecht von Wittelsbach bei der Begründung des Widerstandskreises ausgemacht wurde.101 Dem Kronprinzen sollte in den Vorstellungen des Kreises in der Nachkriegszeit eine wichtige Funktion zukommen. Auch seine Auslandsinitiativen ab 1943 scheinen im Zusammenhang mit den Bemühungen der Widerstandsgruppe um Sperr gestanden zu haben. Diese Tatsachen lassen eine eingehendere Untersuchung seiner Herkunft, seiner persönlichen Entwicklung und seines Verständnisses von Staat, bis zum Jahr 1933 notwendig erscheinen. Hing Rupprecht absolutistischen Gedanken an oder war er ein fortschrittlich denkender Monarchist? Was bedeutete für ihn der Untergang der Wittelsbacher Monarchie 1918 und wie ging er mit seiner Rolle als ungekrönter Monarch um? Diese Fragen führen zum zweiten Unterpunkt dieses Abschnitts, der sich mit dem gescheiterten Versuch der Proklamation 101 Vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 86–98.

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der Wittelsbacher Monarchie im Februar 1933 beschäftigt. Erfolgten die Be­ strebungen einer Restauration auch mit dem Ziel, einer »Machtergreifung« der Nationalsozialisten in Bayern zuvorzukommen, könnte dieses Ereignis womöglich als Wurzel der kurz darauf einsetzenden ersten Zusammenkünfte des »Sperr-Kreises« gewertet werden. Dem anschließenden Abschnitt (V.) liegt die Überzeugung des Verfassers zugrunde, dass eine Herangehensweise, die den Widerstand von den Zielen und einem eventuellen Ergebnis aus zu betrachten versucht, zu kurz greift. Niemals dürfen die Handlungsspielräume des jeweiligen Individuums außer Acht gelassen werden, im »Dritten Reich« Widerstand leisten zu können.102 Als Männer der »Systemzeit« eingestuft, blieben die Möglichkeiten für Sperr, Hamm und Geßler, auf die politische Entwicklung des »Dritten Reiches« Einfluss zu nehmen, begrenzt. Als bayerischer Gesandter in Berlin unternahm Sperr bis zu seinem Rücktritt Mitte des Jahres 1934 zahlreiche Versuche, die Eigenstaatlichkeit Bayerns zu erhalten. Mit diesen Aktivitäten wie mit seiner Haltung gegenüber Hitlers Innen- und Außenpolitik wird sich das erste Unterkapitel des betreffenden Abschnitts beschäftigen. Ähnlich verläuft die Untersuchung der Einstellung Hamms und Geßlers zur NS-Politik im zweiten Unterkapitel. Auch nach 1933 unterhielten sie weiterhin ein informatives Beziehungsnetz zu längjährigen politischen Weggefährten, insbesondere in Berlin. Es wird der Frage nachgegangen, ob sie diese Kontakte für ihre Arbeit im Widerstand nutzen konnten? Vom politischen Tagesgeschäft weitgehend ausgeschlossen, blieben sie dennoch nicht untätig. Wie stark sie sich in nationalen und transnationalen Nichtregierungsorganisationen wie etwa dem Verband für das Deutschtum im Ausland (VDA) und die Deutsch-Österreichische Arbeitsgemeinschaft (DÖAG) engagierten, wird in einem eigenen Unterkapitel dargelegt sowie ihre Rolle und außenpolitischen Positionen vor dem Hintergrund der tatsächlichen NS-Außenpolitik diskutiert. Das dritte Unterkapitel dieses Abschnitts richtet seinen Blick auf die sich im Laufe der Jahre herauskristallisierende, bestmögliche Tarnung der eigenen Widerstandsarbeit. Hierbei soll einerseits auf die institutionellen Möglichkeiten 102 Ein Georg Elser verfügte zwar nicht über die Kontakte, um seinen Widerstand konspirativ aufzuziehen. Aus seiner Anonymität heraus war es ihm jedoch möglich, zur Beendigung des Krieges zur Einzeltat zu schreiten, womit er ganz andere Voraussetzungen zum Attentat aufwies, als ein Claus von Stauffenberg, der sich darüber hinaus intensivere Gedanken über die Zeit »Danach« machte. Auch ein »Kreisauer Kreis« konnte sich regelmäßig in Kreisau und Berlin treffen und dabei Pläne für ein Nachkriegsdeutschland schmieden. Die in seinem Umfeld entstandenen, uns heute vorliegenden Aufzeichnungen zeigen, dass man sich dabei in einer nicht unproblematischen Sicherheit wägte. Der ihm von der Zielsetzung her nicht unähnliche »Sperr-Kreis« versammelte dagegen – wie noch zu zeigen sein wird – in seiner Mitte einst hohe politische Ämter ausfüllende, nun aber am Rande der Gesellschaft stehende Persönlichkeiten, die mit einer steten Überwachung durch Sicherheitsbehörden rechnen durften. Ihre Handlungsspielräume waren somit von vornherein sehr begrenzt. Diesem Tatbestand gilt es in dieser Arbeit und speziell in diesem Kapitel Rechnung zu tragen.

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eingegangen werden, die sich insbesondere Sperr und Hamm zu eigen machten, um für den Widerstandskreis Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen. Andererseits gilt es im letzten Unterpunkt zu untersuchen, ob ein von Geßler auf Wunsch der SS verfasstes Dokument ebenfalls der Kategorie »Tarnung der konspirativen Bestrebungen« zuzuordnen ist. In den folgenden drei Hauptkapiteln (VI., VII., VIII.) wird der Weg des bayerischen Widerstandskreises von seiner Gründung bis zu seiner Involvierung in die Vorgänge rund um das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 nachgezeichnet, ehe abschließend die Nachkriegsrezeption des Widerstandskreises und die Nachkriegskarrieren seiner Mitglieder dargelegt werden. Zunächst setzt also die Rekonstruktion des »Sperr-Kreises« als Widerstandsgruppe ein. Den Ausgangspunkt bildeten mehrere Treffen Sperrs, Geßlers und Hamms mit dem Kronprinzen Rupprecht, die im ersten Unterkapitel thema­ tisiert werden. Was waren die Gründe für die Aufnahme der Gespräche, wann begannen sie und was hatten sie zum Inhalt? Welche Form des Widerstandes wurde gewählt und warum? Zentral ist somit die Frage nach den Motiven und Zielen des Kreises in dieser Gründungsphase. Im Anschluss beginnt die Rekonstruktion des Netzwerks in zwei Schritten: Erstens soll der personelle Aufbau des Kreises in den unterschiedlichen, für eine »Auffangorganisation« relevanten Berufsfeldern näher beleuchtet werden. Welchem Ziel diente etwa die Kontaktaufnahme Sperrs mit Militärs in den bayerischen Wehrkreisen, zu ehemaligen paramilitärischen Wehrverbänden sowie zur Polizei? Warum nahm Hamm Verbindung zu erfahrenen Verwaltungsfachleuten im Kommunal- und Ministerialbereich sowie zu Ökonomen und Unternehmern auf? Was unternahm der Widerstandskreis, um auch im kirchlichen Bereich sowie auf dem Felde der Landwirtschaft Fuß zu fassen? Dort wo sich die Gesprächsinhalte mit den Vertrauensleuten in den jeweiligen Bereichen rekonstruieren lassen, sollen darüber hinaus Rückschlüsse auf die staatsrechtlichen Vorstellungen für die Zeit »Danach« gezogen werden. Zweitens erfolgt die Darstellung der Anwerbung von Vertrauensleuten in den einzelnen bayerischen Regierungsbezirken und des Aufbaus von regionalen Widerstandszellen. Im Mittelpunkt des Interesses steht hierbei der geostrategische Ausbau des Kreises, insbesondere in den Großstädten Augsburg und Nürnberg. Auf welche Weise und mit welchem Ziel erfolgten der Aufbau dieser Regionalgruppen und die Anwerbung von Vertrauensleuten? Das Hauptkapitel schließt mit einer Strukturanalyse der Widerstandsgruppe. Für diese bietet sich ein Vergleich mit einem anderen bayerischen Widerstandskreis an, dem so genannten »Harnier-Kreis«. Es erscheint notwendig, den Widerspruch aufzulösen, warum der bayerische Kronprinz Rupprecht die Zusammenarbeit mit dem »Sperr-Kreis« geradezu initiierte, während er den Kreis um den Rechtsanwalt Adolf Freiherr von Harnier auf Distanz hielt. Anhand einzelner Sozialisationsfaktoren wie Alter, Religion, Bildungsgrad, Beruf und Parteizu­ gehörigkeit vor und nach 1933 sollen die Mitglieder des Widerstandskreises um Sperr auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin überprüft werden. An

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dieser Stelle soll auch den Motiven der einzelnen Mitglieder für ihre Widerstandstätigkeit nachgespürt sowie untersucht werden, wie ihr konkretes Handeln, ihr Widerstand aussah. Das siebte Hauptkapitel (VII.) wird sich mit den Auslandsbemühungen des »Sperr-Kreises« auseinandersetzen. Es sei vorweggenommen, dass die Führungsriege des Widerstandskreises dem westlichen Ausland eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Realisierung der eigenen staatsrechtlichen Vorstellungen für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« beimaß. Welche Maßnahmen entsprechend ergriffen wurden, um für die eigenen Überlegungen zu werben, soll an dieser Stelle zunächst im Zusammenhang mit den Friedensbemühungen der deutschen Militäropposition in den Jahren 1939 bis 1942 untersucht werden. Aus den Reihen des »Sperr-Kreises« trat Otto Geßler als Verbindungsmann zum deutschen Widerstand gegenüber dem Ausland in Erscheinung. Seine Reisen nach England, in die Schweiz sowie nach Italien und zum Vatikan sollen auch deshalb ausführlich behandelt werden, da ihm in diesem Zusammenhang in aktuelleren Forschungsarbeiten eine zwielichtige Rolle zugeschrieben wird. Ab 1943 trat der bayerische Kronprinz Rupprecht in Form von Denkschriften mit London, später auch mit Washington in Verbindung. Auch diese Annährungen sollen dargestellt werden, sowie seine Denkschriften auf die Einflüsse der Männer um Franz Sperr hin überprüft werden. Welche Absichten verfolgte Rupprecht? Ein für Deutschland erfolgreicher Kriegsausgang schien nach Stalingrad immer unwahrscheinlicher. Wollte er sich im Hinblick auf die Nachkriegspläne der westlichen Alliierten als Monarch in Erinnerung rufen? Wie nahm man vor allem in London seine Kontaktaufnahme auf? Das achte Hauptkapitel (VIII.) ist den Beziehungen des »Sperr-Kreises« zu anderen Widerstandsgruppen und einer möglichen Beteiligung an Vorbereitung und Ausführung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 gewidmet. Die Gespräche mit in der Folgezeit maßgeblich am Attentatsversuch beteiligten Widerständlern setzten dabei bereits vor Kriegsbeginn 1939 ein. Im Hinblick auf die einzelnen Treffen sollen einerseits die Gesprächsinhalte ausführlich dargelegt sowie die Gesprächsteilnehmer charakterisiert werden. Andererseits sollen stets folgende Fragen Berücksichtigung finden: Wie kam es zu den Gesprächen? In welchen zeitlichen und thematischen Kontext sind sie einzuordnen? Wo lagen die Interessen einer Zusammenarbeit auf beiden Seiten? Wo gab es Überschneidungen und Unterschiede in den Motiven und Zielen? Konkret sollen in diesem Abschnitt die Kontakte zu Ulrich von Hassell, Carl Friedrich Goerdeler und zum »Kreisauer Kreis« behandelt werden. Insbesondere auf letztere Verbindung soll ein Hauptaugenmerk gerichtet werden, da die Gespräche mit Helmuth James Graf von Moltke offenbar zunächst dem Zweck der »Neuordnung« des Reiches nach Hitler dienten, sich dann jedoch in eine Richtung zu entwickeln schienen, die den »Sperr-Kreis« deutlich näher an die Pläne eines Umsturzversuchs heranführen sollten. Ein Treffen mit dem früheren Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Franz Halder schien schließlich bereits ganz im Zeichen einer operativen Betei-

Fragestellung, Methode und Aufbau 

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ligung des »Sperr-Kreises« an einem Umsturz zu stehen und soll daher gesondert behandelt werden. Ebenso wird das Gespräch Sperrs mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg in einem Unterkapitel untersucht und dabei sowohl in die Widerstandstätigkeit des bayerischen Widerstandskreises als auch in jene der »Verschwörer« vom 20. Juli 1944 eingeordnet werden. Auf den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 an sich kann an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Doch erscheint es besonders relevant, was an jenem Tag in den beiden bayerischen Wehrkreisen vor sich ging. Welche Rolle spielten die Männer um Sperr an diesem Tag? Waren sie vorbereitet, beteiligten sie sich am Umsturz oder hielten sie sich zurück? Da das anschließende Kapitel den Verhaftungen, Verurteilungen und Opfern des »Sperr-Kreises« im Zuge des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 gewidmet ist, wird bereits vorweggenommen, dass der Kreis aus Sicht der Ermittlungsbehörden zumindest teilweise in die Vorgänge verwickelt schien. Wer wurde verhaftet und was waren die Gründe für die jeweiligen Festnahmen? Anhand der so genannten »Kaltenbrunner-Berichte« lassen sich zudem die Aussagen der verhafteten Mitglieder des Kreises – wenn auch unter quellenkritischem Vorbehalt – nachvollziehen. Hierdurch erscheint es möglich festzustellen, wie genau die Ermittlungsbeamten von der Widerstandstätigkeit der Gruppe Kenntnis erlangten. Auch sollen die jeweiligen Schicksale der Festgenommenen dargelegt werden. Den Volksgerichtshofprozess gegen Franz Sperr und weitere Mitglieder des »Sperr-Kreises« gilt es darüber hinaus zu beleuchten. Was geschah schließlich nach dem 20. Juli 1944? Traf die Verhaftungswelle den »Sperr-Kreis« so schwer, dass er seine Widerstandsarbeit im Sinne einer »Auffangorganisation« für Bayern nicht fortsetzen konnte? Wenn ja, wie standen die verbliebenen (ehemaligen) Mitglieder des Kreises zur so genannten »Freiheitsaktion Bayern« (FAB), die Ende April 1945 in München und Umgebung einen Umsturzversuch unternahm? Erfolgte aus ihren Reihen Unterstützung oder kann die FAB gar als »Erbe« des »Sperr-Kreises« angesehen werden? Das abschließende Kapitel des Hauptteils (IX.) spürt den Nachkriegskarrieren der einzelnen Mitglieder der Widerstandsgruppe nach und befasst sich mit folgenden Fragen: Konnten die Überlebenden von Krieg und Widerstand in Bayerns Nachkriegszeit erneut Fuß fassen? Trugen sie durch ihre Tätigkeit in Politik und Wirtschaft zum Gelingen einer rechtsstaatlichen Nachkriegsordnung bei? Auf diese Weise sollen Rückschlüsse gezogen werden, ob die personellen Vorbereitungen der Protagonisten des Widerstandskreises tatsächlich ihren Ansprüchen genügt hätten. Abschließend soll noch das private und öffentliche Gedenken an die Männer um Franz Sperr betrachtet werden. Wann setzte dieses jeweils ein? Was waren eventuell Gründe dafür, warum die Widerstandsforschung dem Kreis lange Zeit kaum Beachtung schenkte? In der Schlussbetrachtung (X.) sollen die Ergebnisse des Hauptteils noch einmal kurz zusammengefasst und aufgeworfene Fragen beantwortet werden.

II. Bürgerliche Parteien in Königreich und »Freistaat« Bayern – Entstehung und Entwicklung, Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Eine grundlegende Analyse des bayerischen »Sperr-Kreises« kann nicht erst mit dem Jahr 1918 einsetzen. Seine Mitglieder erfuhren ihre politische Sozialisation in der Regel bereits im Deutschen Kaiserreich bzw. im Königreich Bayern und waren tief verwurzelt in der Gedankenwelt des »bürgerlichen« 19. Jahrhunderts1. Die allein »heilsbringenden«, bürgerlichen Tugenden umschrieb einer der Protagonisten des späteren Widerstandskreises, Eduard Hamm, in einer Wahlkampfrede 1920 mit den Worten: »Der alte Lebensgrundsatz des Bürgertums […], der Grundsatz der Auslese des Einzelnen, des Aufstiegs des Einzelnen aus eigener Kraft, der persönlichen Verantwortung, der allein kann uns vorwärts bringen.«2 Neben dem Leistungsprinzip hob Hamm die Freiheit des Individuums, die Selbständigkeit und die Verantwortung des Bürgertums hervor, was es noch immer deutlich von der Arbeiterschaft abgrenze. Hiermit beschrieb Hamm einen Teil jener Eigenschaften des Bürgertums, die auch heute noch von der Soziologie und Sozialhistoriographie als »bürgerliche Werte« definiert werden. Neben dem Bestehen auf persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit zählen hierzu unter anderem das Streben nach Wissen sowie ein ausgeprägtes Arbeits-, Leistungs- und Staatsethos. Als politische Träger jener »Bürgerlichkeit« traten im 19. und 20. Jahrhundert die so genannten »bürgerlichen Parteien« in Erscheinung, die den politischen und geistigen Strömungen des Liberalismus, des Konservatismus und des politschen Katholizismus entsprangen.3 Der folgende Abschnitt wird sich mit Ursprung und Entwicklung sowie Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser »bürgerlichen« Parteien in Bayern bis 1933 auseinandersetzen. Dabei werden jene Parteien und politischen Bewegungen thematisiert, denen sich die Mehrzahl der 1 Retrospektiv wurde das 19. Jahrhundert von Zeitgenossen als »bürgerliche[s] Zeitalter« und »bürgerliche Epoche« bezeichnet (vgl. die Zitate von Kurt Tocholsky (1920) und Thomas Mann (1933) bei Frevert, Bürgerlichkeit, S. 128–167, hier S. 129, insbes. Anm. 2). Aus heutiger Sicht ist allerdings die tatsächliche Existenz eines »bürgerlichen« 19. Jahrhundert zu hinterfragen, da doch »im Kern der Widerspruch zwischen Anspruch und Realität der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert erhalten« blieb (Kocka, Das lange 19. Jahrhundert, insbes. § 5, S. 98–138, hier S. 137). Die politische Relevanz und Integrationswirkung der bürgerlichen Parteien, die ein (Teil-)Abbild der sich vom Staat emanzipierenden deutschen Gesellschaft im 19. Jahrhundert darstellten, steht dagegen außer Frage. 2 Manuskript einer Wahlrede Eduard Hamms (vermutlich im Jahr 1920), BayHStA, MHIG 305. 3 Vgl. hierzu die knappe Darstellung bei G. A. Ritter, Parteien, insbes. S. 49–84.

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Bürgerliche Parteien in Königreich und »Freistaat« Bayern

späteren Mitglieder des »Sperr-Kreises« politisch zugehörig fühlte. Es wird sich zeigen, dass ein bayernspezifisches Element bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert die bürgerliche Parteienlandschaft in Bayern kennzeichnete und dies nicht erst ein Phänomen unserer Zeit – CDU auf Bundesebene, CSU in Bayern – ist.4 Eine bewusste Andersartigkeit und Abgrenzung von Berlin färbte sich auch auf die Mitglieder und Wähler der bayerischen, bürgerlichen Parteien ab, die neben ihrer kulturellen und traditionellen Eigenheit, ein politisches, bayerisches Selbstbewusstsein entwickelten, das bis ins »Dritte Reich« und sogar über dieses hinaus fortwirkte. Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus sollte dieses bayerische Selbstbewusstsein während des Krieges insbesondere in den Gesprächen des »Sperr-Kreises« mit anderen Widerstandsgruppen wie dem »Kreisauer Kreis« deutlich zum Vorschein kommen.5

1. Der politische Liberalismus Einer der herausragenden Vertreter des politischen Liberalismus in Bayern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Otto Geßler, ging in seinen Memoiren ausführlich auf den Zustand des bayerischen Liberalismus vor dem Ersten Weltkrieg ein: »Der Liberalismus war, wie im Reich, so auch in Bayern, geschieden in zwei Parteien: die Nationalliberalen und die Fortschrittliche bzw. Freisinnige Volkspartei. In Bayern zwangen schon die Verhältnisse – die Vormachtstellung des Zentrums – beide Parteien, sich für die praktische Arbeit, namentlich im Landtag, zusammenzuschließen.«6 Einige herausragende Liberale dieser Zeit zählte Geßler zu der fortschrittlicheren, jüngeren Generation: »Wir Jüngeren freilich blickten auf diese Alten nicht nur mit Verehrung. Wir hatten wenig Verständnis für die Fortführung einer Spaltung, deren wesentliche Gründe – die Stellung zu Bismarck, die wirtschaftlichen Streitfragen – überholt erschienen.« Aus dieser Zustandsbeschreibung Geßlers lassen sich einige Merkmale herausarbeiten, die für den bayerischen Liberalismus vor 1918 charakteristisch 4 Im Kaiserreich seit 1871 war Bayern nach Preußen der zweitgrößte Flächenstaat. Dies blieb das Land auch nach dem Zusammenbruch der Monarchien im November 1918. In der Weimarer Republik umfasste Bayern als Staat bis 1932/33 die traditionellen Regierungsbezirke Ober- und Niederbayern, Mittel-, Ober- und Unterfranken, Schwaben und die Oberpfalz. Hinzu kam das linksrheinische Bayern, die bayerische Pfalz. Im Zuge der Vereinfachung der Staatsverwaltung legte man noch vor 1933 die Regierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz sowie Oberfranken und Mittelfranken zusammen. Zwischen 1938 und 1946 benannte das NS-Regime Unterfranken in Mainfranken um (vgl. W. Ziegler, Bayern im NS-Staat, S. 500–634, hier S. 533). Laut Volkszählung wohnten im Juni 1933 ca. 7,68 Millionen Menschen in Bayern. München stellte hierbei mit ungefähr 735.000 die größte Einwohnerzahl. Der bayerischen Landeshauptstadt folgten Nürnberg (ca. 410.000) und Augsburg (ca. 176.500) (vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 53. Jg., 1934, S. 5, 8 u. 9). 5 Vgl. hierzu Kap. VIII.2. 6 Gessler, Reichswehrpolitik, S. 543. Hierher stammt auch das folgende Zitat.

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waren: Erstens gab es in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg – wie auf Reichsebene  – nicht den politischen Liberalismus.7 Schon 1863 entstand in Nürnberg die Bayerische Fortschrittspartei als Ableger der Bismarck-kritischen Deutschen Fortschrittspartei. Ihr Einflussgebiet bestand überwiegend im protestantischen Franken, in Teilen Schwabens sowie in den Großstädten. In sozialer Hinsicht entstammten die bayerischen Liberalen dem (klein-)bürgerlichen Milieu und waren im Gegensatz zu Preußen in Beamtenschaft und Bürokratie stark vertreten.8 Obwohl sie für eine Liberalisierung des bayerischen Königreiches eintraten, fühlten sich die bayerischen Liberalen dennoch in hohem Maße als Diener des bayerischen Staates, was nicht zuletzt ihre Treue gegenüber der bayerischen Monarchie zeigte.9 Eine tiefe Spaltung des liberalen Lagers sollte sich ab Mitte der 1860er Jahre in Reich und Bayern vollziehen. Zunächst verließen 1867 einige Parteimitglieder, die für eine Zusammenarbeit mit Bismarck eintraten, die Fortschrittspartei und gründeten die Nationalliberale Partei. Hatte sich Bismarck im »Kulturkampf« der Unterstützung der Nationalliberalen sicher sein können, änderte sich dies nach Beendigung desselbigen. Denn je mehr der Reichskanzler sich auf das Zentrum und die Konservativen zubewegte, desto mehr entfremdete er sich von Teilen der Liberalen.10 Während einige Nationalliberale die Bismarck’sche Machtpolitik guthießen und dessen Erbe bis zum Ersten Weltkrieg hochhielten, spalteten sich von dieser Partei wiederum schrittweise linksliberale Gruppen ab. Diese neuen linksliberalen Parteien traten in Opposition zu Bismarck, der in ihren Augen »rückwärtsgewandt« und »antiparlamentarisch« regierte. Anlässe zum Austritt und zur Gründung neuer liberaler Parteien boten die Sozialistengesetze und die Schutzzollpolitik. So entstand 1880 die Liberale Vereinigung, die 1884 mit der Deutschen Fortschrittspartei zur Deutschen Freisinnigen Partei fusionierte. Doch diese vermeintliche linksliberale Geschlossenheit währte lediglich neun Jahre lang. 1894 spaltete sich die Deutsche Freisinnige Partei in die Freisinnige Volkspartei und die Freisinnige Vereinigung auf, der 1903 Friedrich Naumanns Nationalsozialer Verein beitreten sollte. Der evangelische Theologe Naumann trat seit längerem mit dem Programm einer Verbindung von nationaler und sozialer Politik in Erscheinung.11 Mit der bereits 1868 entstandenen Deutschen 7 Auf die große Zersplitterung des liberalen Parteienspektrums im Kaiserreich kann an dieser Stelle nur verkürzt hingewiesen werden. Grundlegend sei hierzu immer noch verwiesen auf Langewiesche, Liberalismus, insbes. S. 133 ff. 8 Vgl. Becker, Kulturkampf, S. 51–91, hier S. 61. 9 Die Haltung Eduard Hamms und Otto Geßlers zur bayerischen Monarchie soll hierfür exemplarisch erwähnt werden. 10 Vgl. Sell, Tragödie, S. 254. 11 In »Demokratie und Kaisertum« sprach er sich einerseits für eine »Periode« aus, »in der Deutschland von links her von demokratischer Seite regiert« werde und befürwortete zugleich den Ausgleich mit der Sozialdemokratie (F. Naumann, Demokratie und Kaisertum, S. 7 u. S. 18 f.). Gleichzeitig trat er für die »Notwendigkeit aristokratischer Elemente« und

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Volkspartei schlossen sich die »Freisinnigen« schließlich 1910 zur linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei zusammen, die von da an bis 1918 auf Reichsebene mit den weiter rechts stehenden Nationalliberalen Politik auf Augenhöhe betrieb. Zweitens existierte seit der Jahrhundertwende ein Generationenkonflikt zwischen »Älteren« und »Jüngeren« innerhalb des Liberalismus.12 »Jungliberale Vereine« gründeten sich in einigen Reichsteilen, so auch in Bayern. Jüngere Liberale, sowohl auf nationalliberaler als auch auf »freisinniger« Seite, rückten nach und sammelten vor allem auf kommunaler Ebene erste politische Erfahrungen. Mit der Spaltung des bayerischen Liberalismus wollten sich diese »Jungliberalen« nicht mehr abfinden.13 Ihre Ziele waren daher klar definiert: Sie setzten sich für die Überwindung der Gegensätze innerhalb des bayerischen Liberalismus sowie für die Schaffung einer einzigen liberalen Partei ein. Dies schloss die Aussöhnung mit der Bismarckära mit ein. Die Altliberalen begegneten ihnen daher in der Regel mit Misstrauen und sorgten mitunter dafür, dass ihr Einfluss in den bayerischen Städten nicht allzu groß wurde.14 Die »Jüngeren« fühlten sich häufig von den Ideen Friedrich Naumanns beeinflusst, der einen politischen Gesprächskreis um sich versammelt hatte, dem Männer und Frauen aller Berufsschichten und Konfessionen angehörten.15 Neben Theodor Heuss und seiner späteren Frau Elly Knapp traten in diesem ersfür den Auf- und Ausbau einer deutschen Kriegsflotte ein, um im »weltwirtschaftlichen Wettkampf« bestehen zu können (ebd., S. 80 u. S. 214). – Friedrich Naumann (1860 Störmthal / Leipzig–1919 Travemünde), ev., Studium der evangelischen Theologie in Leipzig und Erlangen, ab 1886 Pfarrer, ab 1890 in der Innneren Mission in Frankfurt a. M., 1894–1919 Gründer und Herausgeber der Zeitschrift »Die Hilfe«, 1896 Gründung des Nationalsozialen Vereins, 1907 Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, 1907–19 MdR sowie Mitglied der Nationalversammlung für die Freisinnige Vereinigung, die Fortschrittliche Volkspartei und schließlich der DDP, 1918/19 deren Mitbegründer und Vorsitzender (zu Naumann vgl. F. Naumann, Werke; außedem den Sammelband Bruch, Friedrich Naumann in seiner Zeit; daneben immer noch grundlegend Heuss, Friedrich Naumann. 12 Im Folgenden soll auf den Generationenkonflikt innerhalb des Liberalismus im Königreich Bayern eingegangen werden, da Bayern als politische Einheit im Verlauf dieser Arbeit durchgängig eine maßgebliche Rolle zukommt. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass diese Konfliktlinie zwischen »älteren« und »jüngeren« Liberalen nicht auch in anderen Reichsteilen existierte. Schließlich war im Jahr 1900 bereits ein »Reichsverband für die Vereine der nationalliberalen Jugend« entstanden, dem allerdings die bayerischen »Jungliberalen« nicht beigetreten waren. Die bayerischen »Jungliberalen« gaben sich – die folgenden Ausführungen werden dies zeigen –»weniger antisozialdemokratisch«. Dennoch verfolgten beide ähnliche Ziele und wurden so »zum Schrittmacher des Versuchs der organisatorischen Umgestaltung des Gesamtliberalismus« (hier und im Folgenden Metzner, Entwicklung, S. 287–319, hier S. 299). 13 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 543. 14 So wurde Otto Geßler nach eigenen Angaben, als er sich 1904/05 um eine Rechtsratsstelle in Straubing und im Jahr 1909 um eine Rechtsratsstelle in München bewarb, von den im Gemeindekollegium mehrheitlich vertretenen älteren Liberalen aufgrund seiner jungen Jahre und politischen Unangepasstheit abgelehnt (vgl. ebd., S. 35 f.). 15 Vgl. Krey, Naumann-Kreis, S. 115–150, hier S. 134, S. 136 bzw. S. 141.

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ten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch Männer wie Otto Geßler und Eduard Hamm dem »Naumann-Kreis« in München bei.16 Im Gegensatz zu den »Älteren« waren ihre Interessen kaum mehr religiös, sondern viel mehr politisch motiviert.17 Programmatisches Ziel dieser »Jüngeren« war es, eine »Synthese nationaler, liberaler und sozialer Ideale« zu erreichen.18 Dieses Ziel wurde nicht zuletzt über die von Naumann wöchentlich herausgegebene Zeitschrift »Die Hilfe« propagiert, in deren Redaktion mit Heuss 1905 einer der »Jüngeren« eintrat.19 Auch um die Verbundenheit mit Naumann und seinem linksliberalen Sprachrohr zu verdeutlichen, bezeichneten sich einige Anhänger in München bald sogar als »Hilfefreunde«, deren Ziel die Überbrückung der Gegensätze innerhalb des Liberalismus war.20 Dies alles bildete die »Keimzelle« für die im Jahr 1910 in Regensburg vollzogene Gründung einer »Arbeitsgemeinschaft der liberalen Kreisverbände«. Die auch als »Liberale Arbeitsgemeinschaft« bezeichnete Organisation fungierte als Dachverband der liberalen Kreisverbände und wurde in erster Linie durch die »Jungliberalen« sowohl von rechts als auch von links getragen. Außenpolitisch waren es vor allem die Schriften des nationalliberalen Publizisten Paul Rohrbach21, der im »Naumann-Kreis« als Experte für Geschichte und Geographie

16 Theodor Heuss erwähnte in seinen Erinnerungen, in denen er auch ausführlich den »Naumann-Kreis« behandelte, Eduard Hamm zwar nicht als Anhänger des Kreises (vgl. Heuss, Erinnerungen, insbes. S. 22–34) Hingegen erinnerte sich der Historiker Walter Goetz, der bereits Anhänger von Naumanns »Nationalsozialem Verein« war, dass er selbst »durch Friedrich Naumann (…) in einen politischen Kreis« eintrat, »der eine Fülle hervorragender Kräfte vereinte«. Es sei ihm »ein Gewinn fürs Leben« gewesen, »mit Naumann und Brentano, mit Heuss und Otto Geßler, mit Eduard Hamm und Georg Hohmann eine lebenslange Verbindung einzugehen« (Goetz, Aus dem Leben, S. 1–87, hier S. 32). Eine Begegnung zwischen Eduard Hamm und Friedrich Naumann ist zumindest sicher für den 14. Juli 1908 in Lindau belegt, wo beide am Rande eines Kinderfestes ein wohl ausführliches Gespräch unbekannten Inhalts führten (vgl. Familienchronik 1. Buch 1907–1918, NL Hamm (Privatbesitz München)). 17 Vgl. Krey, Religion, S. 350–381, hier S. 358. 18 Gessler, Reichswehrpolitik, S. 543. 19 »Die Hilfe« war Ende 1894 von Naumann ins Leben gerufen worden und entwickelte sich im Laufe der Jahre zum Sprachrohr des Linksliberalismus’ Naumann’scher Prägung (vgl. zur Zeitschrift »Die Hilfe« den deutsch-französischen Sammelband von Alexandre / Marcowitz, La revue »Die Hilfe«; außerdem Frölich, »Die Hilfe«, S. 115–129). 20 Walter Goetz schrieb hierzu: »Wir Münchener Hilfefreunde gaben uns eine politische Erziehung durch immer neue Behandlung politischer und sozialer Fragen, durch Übung in freiem Vortrag und in der Aussprache mit Andersdenkenden und durch die Berufung führender Persönlichkeiten der Naumannschen Bewegung nach München. Wir wurden schließlich, als Naumann sich 1903 mit der freisinnigen Vereinigung verbunden hatte, zu treibenden Kräften für den Zusammenschluß der zerspaltenen bayrischen Liberalen« (Goetz, Aus dem Leben, S. 32). 21 Bei Rohrbach war aufgrund seiner baltischen Herkunft eine stark antirussische Sichtweise offenkundig. Zu Rohrbach vgl. Mogk, Paul Rohrbach.

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auch einige Beiträge in der »Hilfe« veröffentlichte22, denen die »Jungliberalen« gesinnungsmäßig folgten.23 Bis zum Ersten Weltkrieg traten einige daher als Unterstützer der Kolonialbestrebungen und der Flottenrüstung des Kaiserreiches auf, wobei beides das Überleben und die Ausbreitung des wachsenden deutschen Volkes und seiner Kultur garantieren sollte. Sozial- und wirtschaftspolitisch sollte sich vor allem die enge Beziehung der jungen Naumannianer zum Münchener Nationalökonomen Lujo Brentano als sehr prägend erweisen. Brentano gilt heute als »politisch-ökonomischer Klassiker des modernen Sozialliberalismus«24, der einen »Dritten Weg« – vom liberalen Rechtswissenschaftler Heinrich Bernhard Oppenheim abfällig als »Kathedersozialismus« bezeichnet25 – zwischen Kommunismus und Kapitalismus propagierte. Die auf diese Weise in weiten Teilen des bayerischen Linksliberalismus zur Schau gestellte Offenheit gegenüber Ideen eines sozialen Staates bewirkten einerseits eine linksliberale Annäherung an die vom Erstarken der Arbeiterbewegung profitierende Sozialdemokratie, stand jedoch anderseits einer gesamtliberalen Einigung im Wege. Drittens bestand auch unter den jüngeren Liberalen in Bayern weiterhin ein weltanschaulicher Gegensatz zur Bayerischen Zentrumspartei (bis 1887 Bayerische Patriotenpartei), der noch aus der Zeit des »Kulturkampfes« herrührte. Die Mehrheit der bayerischen Liberalen war protestantisch und innerhalb der einzelnen Landesteile des Königreiches unterschiedlich stark vertreten. Insbesondere in Franken und Schwaben besaßen sie die Vorherrschaft.26 In den ländlichen Gebieten Bayerns dominierte dagegen der bayerische Ableger des katholischen Zentrums.27 Die antiklerikal und liberal gesinnte Minderheit innerhalb der ländlichen Bevölkerung und Bauernschaft Bayerns fühlte sich programmatisch weniger durch die liberalen Parteien, als vielmehr durch den 1893 in Niederbayern gegründeten Bayerischen Bauernbund (BB) ver­ treten.28 Dieser entstand als antipreußische Variante im Zusammenhang mit der 22 Vgl. Heuss, Erinnerungen, S. 31. 23 Für Eduard Hamm lässt sich dies beispielsweise durch die Aufzeichnungen seines Bruders nachweisen, der festhielt, dass Rohrbach und Naumann nach Eduard Hamms Studentenzeit dessen »literarischen Freunde« wurden (vgl. »Kurze Erinnerungen von Gottfried Hamm an seinen Bruder Eduard Hamm (1879–1944)« (Erlangen, 15. Dezember 1946), NL Hamm (Privatbesitz Hamburg)). 24 Vgl. Lehnert, Lujo Brentano, S. 111–134. Der spätere Bundespräsident Theodor Heuss, einer der Studenten Brentanos in München, betonte in der Rückschau den maßgeblichen Einfluss seines Lehrers auf seine politische und ökonomische Gedankenwelt: »[…] es war vor allem der Einfluß des Münchner Hochschullehrers Lujo Brentano, dessen Verbindung von entschiedener Sozialpolitik und liberaler Weltanschauung mich aufs stärkste beeindruckte, der mich zur Entscheidung für den volkswirtschaftlichen Abschluß brachte« (Heuss, Aufzeichnungen, S. 99). 25 Oppenheim: Kathedersozialismus. 26 Vgl. Metzner, Entwicklung, S. 318. 27 Vgl. hierzu das Kap. II.2. 28 Vgl. zum Bauernbund im Kaiserreich vor allem Hochberger, Bauernbund.

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Gründung des Bunds der Landwirte (BdL) in Preußen, der sich unter anderem an der neuen Agrarzollpolitik des Bismarck-Nachfolgers Leo von Caprivi stieß. Der Bauernbund sollte erst im Bayern der Weimarer Republik im Parteiensystem nachhaltig Fuß fassen. Durch eine breitere programmatische Aufstellung, insbesondere im kulturpolitischen Bereich, konnte man über Niederbayern hinaus in Schwaben und Teilen Oberbayerns Erfolge bei Reichs- und Landtagswahlen erzielen. Auf diese Weise gelangte man sogar in Regierungsbeteiligung. Durch einen seiner führenden Köpfe, Anton Fehr, der sowohl in Bayern wie im Reich zum Ernährungsminister aufstieg, waren der frühere Bauernbund und damit die antiklerikal und liberal gesinnte bayerische Bauernschaft im späteren »SperrKreises« vertreten.29 Die traditionellen liberalen Parteien übten dagegen überwiegend Einfluss in Großstädten aus.30 Allerdings nahm dieser im Laufe des Jahrzehnts vor dem Ersten Weltkrieg immer mehr ab. Ein Grund hierfür war das kontinuierliche Erstarken der Sozialdemokraten und des bayerischen Zentrums, auch bedingt durch die Einführung des Verhältniswahlrechts im Jahr 1908.31 Während man sich innerhalb des bayerischen Liberalismus gezwungen sah, mit der stärker werdenden SPD Kompromisse einzugehen32, blieb das Verhältnis zur bayerischen Zentrumspartei angespannt.33 Eine Annäherung gestaltete sich äußerst schwierig.34

29 Anton Fehr (1881 Lindenberg im Allgäu–1954 Lindenberg im Allgäu), kath., Studium der Landwirtschaftslehre an der Akademie Weihenstephan sowie an der TH München, 1904/05 Assistent am Milchwirtschaftlichem Institut in Weihenstephan, 1905–09 Landwirtschaftslehrer im Allgäu, seit 1908 Mitglied des Bauernbundes, 1909–17 als Kreismolkereiinspekteur und später Leiter der Landesfettstelle, ab 1917 Lehrer für Milchwirtschaft an der Kgl. Akademie für Landwirtschaft und Brauerei in Weihenstephan, 1919–35 o. Prof. und Leiter des Milchwirtschaftlichen Instituts, 1920–33 MdR, 1922 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1924–30 Bayerischer Staatsminister für Landwirtschaft und Arbeit, 1935 Rückzug ins Privatleben, nach 1945 Rückkehr nach Weihenstephan. Zu Anton Fehr existieren noch keine wissenschaftliche Biographie und nur wenige kurze biographische Skizzen. Vgl. hierzu den sehr detaillierten, lokalgeschichtlichen Beitrag von Stoller, Anton Fehr, S. 55–82 (zur Rolle Fehrs im »Sperr-Kreis« sei verwiesen auf Kap. VI.2.f). 30 Vgl. hierzu die gesammelten Beiträge in Lehnert, Kommunaler Liberalismus. 31 Vgl. Hardtwig, Großstadt, S. 19–64, insbes. S. 41. 32 In Nürnberg wurde beispielsweise 1913 mit den Stimmen der SPD der linksliberale Geßler zum Oberbürgermeister gewählt (vgl. ebd., S. 42). 33 Die Liberalen mussten sich vor allem in den großstädtischen Kommunen mit einem »festgefügten Zentrumsturm« auseinandersetzen, »in dem sich unter Führung der katholischen Geistlichkeit eine absolut sichere Gefolgschaft zusammengesetzt hatte« (Gessler, Reichswehrpolitik, S. 544). 34 Der damalige Bürgermeister von Regensburg Otto Geßler berichtete hierzu in der Rückschau: »Das Zentrum, noch immer stark befangen vom Ressentiment des Kulturkampfes, war weniger kompromißbereit und kompromißbedürftig als je, es war im Gegenteil konsequent darauf bedacht, seine Prinzipien dem regierenden Beamtenliberalismus gegenüber durchzusetzen« (ebd.).

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Die Abgrenzung vom politischen Gegner, dem Zentrum, blieb bis 1918 das verbindende Element des ansonsten tief gespaltenen Liberalismus in Bayern. Dies reichte jedoch als konstitutives Element nicht aus, um das von den »Jüngeren« anvisierte Ziel der Vereinigung zu einer einzigen liberalen Partei zu erreichen. Im November 1918 wurde die Deutsche Volkspartei in Bayern gegründet, die knapp ein Jahr später in Deutsche Demokratische Partei in Bayern (DDP) umbenannt und damit zur »Schwesterpartei« der fast zeitgleich in Berlin 1918 neu gegründeten DDP wurde, mit der man sich in der Folgezeit auf Reichsebene faktisch zusammenschloss. Die Reichs-DDP sollte bis 1932, ab 1930 als Deutsche Staatspartei, zwar mit schwindendem Einfluss, aber fast durchgängig an der Regierungsbildung in Berlin beteiligt sein.35 Im Gegensatz zu der auf Reichsebene gegründeten Deutschen Volkspartei (DVP), die sich vor allem in der Person Gustav Stresemanns politisch hervortat und regelmäßig in Regierungsverantwortung trat, führte die DVP in Bayern ein Schattendasein.36 Die im späteren »Sperr-Kreis« aus der Wählerschaft der DVP hervorgetretenen Mitglieder waren zwar liberal, jedoch mehr monarchistisch denn republikanisch gesinnt, und verstanden sich in erster Linie als Anhänger des »Vernunftrepublikaners« Stresemann, während die Bayern-DVP keine sonderliche Anziehungskraft auf sie ausübte. So trat etwa der spätere Vertrauensmann für Sperr in Nürnberg, der damalige Polizei-Hauptmann bei der Landespolizei Nürnberg-Fürth, Dr. Fritz Schade, der einem nationalliberalen Familienmilieu entstammte, Ende der 1920er Jahre, wahrscheinlich nach dem Tod Stresemanns, aus der DVP aus und wurde Mitglied der deutlich monarchistischer ausgerichteten DNVP.37 Die Bayern-DDP konnte nur in den Anfangsjahren der Weimarer Republik politische Erfolge erzielen. Neben Ernst Müller-Meiningen, der zwei Amtszeiten als bayerischer Justizminister fungierte, war auch Eduard Hamm als bayerischer Handelsminister in insgesamt vier Landeskabinetten zwischen 1919 und 1922 vertreten. Mit Hamms freiwilligem Ausscheiden aus der Regierung im Juli 1922 schwand sogleich der Einfluss der Partei in Bayern. Politisch gehörte die DDP zu den wenigen staatsbejahenden und republikfreundlichen Parteien im Reich wie in Bayern. Realistisch schätzte man die neuen politischen Verhältnisse ein und wandte sich sowohl gegen restaurative Bestrebungen von rechts als auch politischen Extremismus von links.38 Mit dem Arzt Georg Hohmann, ein Anhänger des im August 1919 verstorbenen Friedrich Naumann, stand ein enger Freund der Liberalen Otto Geßler und Eduard Hamm an der Spitze der 35 Vgl. zur Deutschen Demokratischen Partei unter anderem die Darstellung von Heß, Demokratischer Nationalismus. 36 Vgl. zur DVP auf Reichsebene Richter, Deutsche Volkspartei. 37 Vgl. Fritz Schade an den Vorsitzenden der Spruchkammer Fürstenfeldbruck (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 3, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. – Zur konservativen DNVP in Bayern vgl. das Kap. II.3. 38 Vgl. den Gründungsaufruf der DDP vom 17. November 1918, in: Nürnberger Zeitung, Nr. 318 vom 19. November 1918.

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DDP in Bayern.39 Ab 1922 musste sich die Partei jedoch zunehmend den immer stärker werdenden Sozialdemokraten, der wiedererstarkenden NSDAP sowie der konstant auf hohes Wählerpotential zurückgreifenden Bayerischen Volkspartei (BVP) politisch geschlagen geben. Ab 1928 war die DDP nicht mehr im bayerischen Landtag vertreten. Der sich parallel auf Reichsebene vollziehende Niedergang der DDP führte 1930 schließlich auch in Bayern zur faktischen Auflösung der Partei.40 Der Liberalismus sollte weiter fortwirken, wenn er auch parteipolitisch ausgedient hatte. Selbst die Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 konnte das freiheitliche und rechtsstaatliche Gedankengut der liberalen Anhängerschaft nicht komplett auslöschen. Wenn sich auch nur wenige liberale Mandatsträger der Weimarer Republik zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus entschließen konnten41, bleibt trotzdem festzuhalten, dass fast alle Widerständler gegen Hitler mit den Kerngedanken des Liberalismus sympathisierten. Im Laufe dieser Arbeit wird sich zeigen, dass im bayerischen »Sperr-Kreis« nicht nur Eduard Hamm und Otto Geßler in der Tradition des bayerischen Liberalismus standen.

2. Der politische Katholizismus Wie der politische Liberalismus nahm auch der politische Katholizismus in Bayern teilweise eine andere Entwicklung als auf Reichsebene. In Berlin stellten innerhalb des bürgerlichen Lagers Konservative wie Liberale politische Kräfte dar, die sich entschieden gegen den Einfluss der katholischen Kirche im Staat richteten. Noch vor der Reichsgründung entstand mit der Deutschen Zentrumspartei (Zentrum) eine weitere bürgerliche Partei, die sich den Interessen der Kirche und seiner Institutionen verpflichtet fühlte und bei den ersten Reichstagswahlen im neuen Deutschen Kaiserreich im März 1871 hinter den Nationalliberalen auf Anhieb zweitstärkste Kraft wurde. Auch der aufkommende »Kulturkampf« konnte den Einfluss des Zentrums auf die deutsche Bevölkerung nicht brechen. Vielmehr gewann es bei den folgenden Reichstagswahlen an Stimmen hinzu

39 Vgl. Hohmann, Arzt, S. 178. 40 Noch vor den Reichstagswahlen 1930 hatte sich die DDP mit der nationalistischen Volksnationalen Reichsvereinigung zusammengeschlossen. Es erfolgte die Umbenennung in Deutsche Staatspartei (DStP), die allerdings im Reichstag keine große Rolle spielte. Obwohl die fünf verbliebenen Abgeordneten im März 1933 Hitlers »Ermächtigungsgesetz« zustimmten, wurde die Partei Ende Juni 1933 im Zuge der »Gleichschaltung« des Parteiensystems aufgelöst (vgl. zur DStP immer noch grundlegend Matthias / Morsey, Staatspartei, S. 29–97). 41 Vgl. hierzu Scholtyseck, Liberale, S. 105–126; Frölich, Opposition, S. 178; Kurlander, Living with Hitler.

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und blieb bis 1918 konstant im Reichstag vertreten. Seine Politik wandelte sich schließlich von einer unter Bismarck stets regierungskritischen und konfessionsfixierten Partei, unter dessen Nachfolgern zu einer konstruktiv mitarbeitenden, eher sozialpolitisch ausgerichteten politischen Kraft.42 In Bayern war die Spaltung zwischen Konservativen, Liberalen und Katholiken nicht in gleichem Maße ausgeprägt wie in Preußen und später auf Reichsebene. Vielmehr vollzog sich hier stärker als dort eine Verbindung beider Elemente. Die Bayerische Patriotenpartei hatte ihre Wurzeln in den großdeutschen und partikularistischen Bewegungen der Revolution von 1848 und besaß deshalb bereits von ihrem Ursprung her einen über das katholische Moment hinaus­ greifenden politischen Impetus. Eine Partei im eigentlichen Sinne war sie zunächst nicht. Vielmehr stellte sie ein Bündnis von Gleichgesinnten konservativer, katholischer und bayerisch-partikularistischer Couleur dar, das vor dem Hintergrund liberaler »Entchristlichungs«-Tendenzen in bayerischen Schulen erstmalig bei den Wahlen zur Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags 1869 als Mehrheitsfraktion zusammenfand.43 Wie das Reichszentrum standen auch die »Patrioten« fortan als Wahlbewegung für ein konservatives Gesellschafts- und Wirtschaftsprinzip und traten für kirchliche Rechte und katholische Interessen ein. Allerdings wandten sie sich im Gegensatz zur großen »Schwester« auf Reichsebene gegen eine von Preußen dominierte, kleindeutsche Nationalstaatsgründung und traten nach der Gründung des Deutschen Kaiser­ reiches mehr denn je für die bayerische Eigenstaatlichkeit und die föderale Verfassungsstruktur des Reiches ein.44 Während sich die Protestanten in Teilen Frankens und Schwabens sowie in allen Großstätten des Königreich Bayerns überwiegend dem politischen Liberalismus zugehörig fühlten und dem Besitzund Bildungsbürgertum zugerechnet werden konnten, entstammten die Anhänger und Wähler des politischen Konservatismus meist dem Kleinbürgertum, der Bauernschaft und ländlichen, katholisch geprägten Bevölkerung Bayerns, vor allem Oberbayerns. Bis zum Ende des Königreich Bayerns im November 1918 stellte die Bayerische Patriotenpartei, die sich 1887 in Bayerisches Zentrum umbenannt und damit klar ihre Verbundenheit mit ihrer »Schwesterpartei« auf Reichsebene zum Ausdruck gebracht hatte, die stärkste politische Kraft in Bayern dar. Nach Ende des Ersten Weltkrieges vollzog sich allerdings innerhalb kürzester Zeit eine bewusste Abgrenzung von den unitarischen Vorstellungen des politischen Katholizismus in Berlin. Unmittelbar nach dem Sturz der bayerischen Monarchie gründeten führende Mitglieder des einstigen Bayerischen Zentrums um den bayerischen Bauernführer Georg Heim in Regensburg die Bayerische

42 Vgl. Hehl, Zentrumspartei, S. 97–120.  – Zur Zentrumspartei im Kaiserreich neuerdings Linsenmann / Raasch, Zentrumspartei. 43 Vgl. Volkert, Bayerische Patriotenpartei, S. 83–98, hier S. 83. 44 Vgl. D. Albrecht, Reichsgründung, S. 318–438, insbes. S. 336 f.

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Volkspartei (BVP).45 Heim selbst war einer der prominentesten Wortführer eines bayerischen Separatismus. Die Gründung der Partei kann als klare Reaktion auf die Ausrufung des Freistaats Bayern durch Kurt Eisner am 7. November und die Ausrufung der Republik in Berlin am 9. November 1918 gewertet werden. Mit scharfer Kritik griff Heim in der Folgezeit die Politik des bayerischen Ministerpräsidenten Eisners an, wobei auch antisemitische Parolen geschwungen wurden. Mit der Zentrumspartei in Berlin ging man zwar in der Folgezeit im Reichstag zunächst eine Fraktionsgemeinschaft ein. Doch spätestens mit der Ministerpräsidentschaft Gustav Ritter von Kahrs in Bayern verschlechterte sich das Verhältnis zum Berliner »Zentrum« zusehends. Das Selbstverständnis der BVP und ihre programmatischen Ansätze beruhten nach Martina Steber auf vier Säulen: Sie fühlte sich erstens grundsätzlich als »Hüterin und Wahrerin bayerischer Staatlichkeit«, ein Selbstverständnis, das einherging mit in einer »unbedingten Bindung an den bayerischen Staat, der als höhere und spezifisch bayerische Wesenheit begriffen wurde«46; zweitens auf ihrem Verständnis als »katholische ›Weltanschauungspartei‹« und realpolitische, »unbedingt staatsneutrale« Partei, die allerdings ihre antirepublikanische Grundeinstellung und ihre klare Affinität zur Monarchie kaum verbarg47; drittens als eine »antirevolutionäre« und die »republikanischen Freiheitsrechte« gegen links und rechts verteidigende Partei48; und viertens auf einer bewussten Abgrenzung gegenüber dem »roten Berlin« und einer Einstellung, die den föderalen Staat Bayern als ideelles »Ordnungsmodell« zu entwerfen dachte, und sich Bayern somit als »antisozialistische, antirepublikanische, katholische Alternative zu Weimar« vorstellte.49 Auch einige der späteren Mitglieder des »Sperr-Kreises«, die sich als Anhänger des politischen Katholizismus in Bayern verstanden, identifizierten sich mit dem föderalen Staat und sahen in der Niederschlagung der Räterepublik 1919 »die Reaktion des Bürgertums, der Offiziere und Soldaten der alten Armee gegenüber dem Versuch linksradikaler Elemente, aus Bayern einen Sowjetstaat zu machen«.50 Diese »Reaktion« sei, so etwa der Augsburger Rechtsanwalt Franz Reisert, »ein gesunder, bodengewachsener auf echter Heimatliebe gegründeter Widerstand« gewesen. Doch schloss Reisert dieser Bemerkung eine Kritik an

45 Die bisher einzige Monographie zur BVP ist bereits älteren Datums (vgl. Schönhoven, Bayerische Volkspartei). Deshalb sei an dieser Stelle vor allem auch auf jüngere Beiträge verwiesen von Steber, Bayerische Volkspartei, S. 70–91, sowie Becker, Ein bayerischer Sonderweg, S. 39–63. 46 Steber, Bayerische Volkspartei, S. 77. 47 Vgl. ebd., S. 78 f. 48 Vgl. ebd., S. 80. 49 Ebd., S. 80. 50 Vortrag des RA Dr. Franz Reisert, Augsburg, über das Thema: Bayern im Deutschen Wider­ stand und Franz Sperr. Gehalten am Sonntag, den 27.1.52 im Restaurant Holzmüller in München, NL Franz Reisert (Privatbesitz). Hieraus stammt auch das folgende Zitat.

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den politisch Verantwortlichen der Folgejahre und an den vaterländischen Verbänden an.51 Jener Patriotismus habe sich zu einem gefährlichen Nationalismus entwickelt, der die »Ordnungsparteien der vaterländischen Organisationen« erfasst habe, aus deren Reihen sogar Sätze wie »Rom und Juda haben die Niederlage von 1918 verschuldet« zu hören gewesen seien.52 Damit beschrieb Reisert ein grundsätzliches Problem der BVP in den Jahren der Weimarer Republik: Ihr »antirevolutionärer Grundkonsens« ging einher mit einer grundsätzlich antirepublikanischen Einstellung, die die Partei zwar durch ihren pragmatischen und realpolitischen Umgang mit der republikanischen Staatsform zu verdecken verstand, faktisch aber eine klare Positionierung vermissen ließ. Zumindest die Reichseinheit hätte bei gleichzeitigem Hinweis auf das föderale Prinzip öffentlichkeitswirksam verteidigt werden können und müssen.53 Die »Uneindeutigkeit«54 ließ dagegen eine Lücke am rechten Flügel des bayerischen Parteienspektrums offen, welche die BVP nicht zu schließen verstand. Zunächst bestand offenbar die Strategie, die rechtsgerichteten, vaterländi­ schen Verbände sowie die aufkeimende NSDAP in die Frontstellung gegen Berlin einzubinden, indem man den parteilosen Regierungspräsidenten von Oberbayern Gustav Ritter von Kahr im März 1920 zum Bayerischen Ministerpräsidenten durchsetzte.55 Dass diese politische Rechte im Vergleich zur BVP von Beginn an deutlich weitergehende nationale und völkische Ziele verfolgte, wurde in Kauf genommen. Die von Kahr ausgerufene »Ordnungszelle Bayern« schuf ein Paradies für antirepublikanische und antisemitische Vereine und Verbände, die im Gegensatz zu linksstehenden Gruppierungen kaum staatliche Verfolgungen zu befürchten hatten. Die Ernennung von Kahrs zum Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten erfolgte im Herbst 1923 durch den BVP-Ministerpräsidentem Eugen von Knilling, der damit auf den von Reichskanzler Stresemann verkündeten 51 Reisert selbst war Mitglied des »Bayerischen Heimat- und Königsbundes«. Dieser zählte zu den gemäßigten vaterländischen Verbänden, die föderalistisch und monarchistisch eingestellt waren und der BVP nahestanden (vgl. zum Bayerischen Heimat- und Königsbund allgemein Weiß, »In Treue fest«, S. 11–66). Daneben existierten allerdings auch die völkischradikalen Verbände, wie der Bund Oberland, der eng mit der NSDAP kooperierte. Zu den »Vaterländischen Verbänden« vgl. Fenske, Konservatismus und Rechtsradikalismus; Nußer, Konservative Wehrverbände. 52 Vortrag des RA Dr. Franz Reisert, Augsburg, über das Thema: Bayern im Deutschen Widerstand und Franz Sperr. Gehalten am Sonntag, den 27.1.52 im Restaurant Holzmüller in München, NL Franz Reisert (Privatbesitz). 53 So auch der Vorwurf, den Eduard Hamm in einem Schreiben an den bayerischen Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr äußerte (vgl. Eduard Hamm an Exzellenz von Kahr (München, 13. November 1923), BayHStA, NL Hamm 74). 54 Steber, Bayerische Volkspartei, S. 81. 55 Zu Gustav Ritter von Kahr fehlt bis heute eine der Bedeutung seiner Person angemessene, wissenschaftliche Gesamtbiographie. Daher sei einstweilen verwiesen auf Deutinger, Gustav von Kahr, S. 218–231.

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Abbruch des passiven Widerstands gegen die Franzosen im besetzten Rheinland reagierte. Der Versuch, erneut an die »Ordnungszelle Bayern« anzuknüpfen, sollte diesmal auch Hitler und seine Anhängerschaft, die durch die reichspolitischen Ereignisse immer größer zu werden schien, klein halten.56 Doch auch von Kahr gab in jenen Tagen seine Ablehnung der Republik und der Berliner Politik klar zu erkennen, indem er gemeinsam mit dem bayerischen Wehrkreiskommandeur Otto von Lossow und den vaterländischen Verbänden die Absetzung der Reichsregierung vorbereitete. Die Niederschlagung des »Hitler-LudendorffPutsches« am 9. November 1923 erfolgte erst, nachdem Hitler eigenmächtig den »Marsch auf Berlin« ausgerufen hatte.57 Im Januar 1924 ging man derweil in der bayerischen Pfalz mit ganzer Härte gegen dortige Separatisten vor, die die Pfalz von Reich und Bayern bei gleichzeitiger Anlehnung an Frankreich abspalten wollten. An der Ermordung des Separatisten-Führers und selbst ernannten Präsidenten der Autonomen Pfalz, Franz Josef Heinz, genannt Heinz-Orbis, beteiligte sich unter dem Kommando des Jungkonservativen Edgar Julius Jung auch dessen ehemaliger Schulfreund, der BVP-Politiker Otto Graf, der einige Jahre später in Nürnberg Mitglied des »Sperr-Kreises« sein sollte. Der noch näher zu beschreibende Einfluss Jungs auf die katholischen Konservativen sollte in der Folgezeit einerseits durch seine persönlichen Kontakte, andererseits durch seine Publizistik noch größer werden. In der Amtszeit von Ministerpräsident Heinrich Held58 zeigte sich die BVP hin- und hergerissen zwischen »pragmatischer Aussöhnung« und »programmatischer Ablehnung« der Weimarer Republik.59 In den Jahren 1932/33 war die Partei daher nicht imstande, als entschiedener Verteidiger der Republik aufzutreten. Sie hatte ihre Anziehungs- und Überzeugungskraft verloren.60 Programmatisch gelang es der BVP nie, sich genügend von den Nationalsozialisten zu distanzieren. Hinzu kamen die nun offener denn je ausgetragenen, innerparteilichen Flügelkämpfe. Während der von Held vertretene, linke Flügel sich strikt weigerte, zur Stabilisierung des parlamentarischen Systems  – er regierte seit Austritt des Bayerischen Bauernbundes 1930 nur noch mit Notverordnungen – 56 Vgl. Bayerische Volkspartei-Correspondenz (BVC) über die Ernennung Gustav von Kahrs (1862–1934) zum Generalstaatskommissar (27. September 1923). 57 Vgl. zum »Hitler-Ludendorff-Putsch« Gordon, Hitlerputsch. 58 Heinrich Held (1868 Erbach / Taunus–1938 Regensburg), kath., Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie der Geschichte in Straßburg, Marburg und Heidelberg, seit 1893 Mitglied der Bayerischen Zentrumspartei, seit 1899 Chefredakteur des Regensburger Morgenblattes, ab 1907 Mitglied des Bayerischen Landtags, ab 1914 Fraktionsvorsitzender seiner Partei, 1918–33 Mitglied der BVP, seit 1919 erneut Mitglied des Bayerischen Landtags, 1919–25 Fraktionsvorsitzender, 1924–33 Ministerpräsident und Außenminister des Freistaats Bayern, 1933 nach der »Machtergreifung« der NSDAP in Bayern Rückzug ins Privatleben. Eine politische Gesamtbiographie zu Ministerpräsident Heinrich Held steht bislang aus. Am ausführlichsten zuletzt Becker, Heinrich Held. 59 Steber, Bayerische Volkspartei, S. 81. 60 Vgl. ebd.

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in eine Koalition mit den Sozialdemokraten einzutreten, zeigte sich der rechte Flügel der Partei unter ihrem Vorsitzenden Fritz Schäffer für eine solche Option offener, gab sich jedoch zugleich im Gegensatz zu Held der Illusion hin, die NSDAP zähmen zu können, indem er auch mit dieser eine Koalition in Betracht zog.61 Der Erosionsprozess der BVP verlief in zwei Stufen: In Bayern erhielt zunächst die monarchische Bewegung, wie etwa der Bayerische Heimat- und Königsbund, in dem auch viele Mitglieder der BVP vertreten waren, mit Papens »Preußenschlag« im Juli 1932 zusätzlichen Aufwind.62 Die BVP um Held und Schäffer ließ zwar keinen Versuch ungenutzt, um von Papen und dessen Nachfolger als Reichskanzler, Kurt von Schleicher, zu einer Garantie der bayerischen Eigenstaatlichkeit und des föderalen Systems der Weimarer Republik zu bewegen, war hiermit allerdings, was noch zu zeigen sein wird, wenig erfolgreich. Daher entstanden bereits frühzeitig Kontakte mit bayerischen Monarchisten, die sich um Kronprinz Rupprecht versammelten und die mit der Ausrufung der Monarchie in Bayern den unitarischen Tendenzen in Berlin ein Ende bereiten wollten. Nach Hitlers Machtübernahme im Reich sah man in den Reihen der Monarchisten Chancen, durch eine Erklärung Rupprechts zum König einer »Machtergreifung« der NSDAP in München zuvorzukommen. Jenes Vorhaben scheiterte allerdings.63 Die Reichstagswahl am 5. März 1933 erhöhte den Druck der »nationalen Er­ hebung« auf die Bayerische Staatsregierung, die sich nun gezwungen sah, über eine Regierungsbeteiligung unter nationalsozialistischer Führung nach dem Proporz der Reichstagswahlen nachzudenken.64 Bevor es dazu kam, machte ­Hitler 61 Vgl. ebd., S. 81. – Fritz Schäffer (1888 München–1967 Berchtesgaden), kath., Studium der Rechtswissenschaften in München, 1914–17 Kriegteilnahme, 1918 Eintritt in den Staatsdienst im bayerischen Innenministerium, 1920 ORegRat im Ministerium für Unterricht und Kultus, 1918–33 Mitglied, seit 1929 Vorsitzender der BVP, 1931–33 als Staatsrat mit der Führung des Bayerischen Finanzministeriums beauftragt, 1933/34 in »Schutzhaft« genommen, ab 1934 als Rechtsanwalt in München tätig, nach dem 20. Juli 1944 im Rahmen der Aktion »Gewitter« verhaftet und ins KZ Dachau verbracht, 1945 Mitbegründer der CSU, 1945 von der amerikanischen Militärregierung als Bayerischer Ministerpräsident eingesetzt, doch noch im gleichen Jahr wieder entlassen, 1949–57 Bundesminister der Finanzen, 1957–61 Bundesminister der Justiz (vgl. die doppelbändige, politische Biographie von Altendorfer, Fritz Schäffer). 62 Politisch rekrutierte sich der Bayerische Heimat- und Königsbund einerseits aus Mitgliedern der BVP, fand jedoch aufgrund seiner monarchistischen Ausrichtung auch im konervativen Lager der Bayerischen Mittelpartei (DNVP in Bayern) viele Anhänger und wird daher auch im folgenden Kapitel thematisiert. 63 Auf diese Bestrebungen und insbesondere die Rolle, die der bayerische Kronprinz Rupprecht und Franz Sperr hierbei spielten, wird in einem späteren Kapitel näher eingegangen (vgl. die Kap. IV.2 sowie V.1.a). 64 Dass Koalitionsverhandlungen zwischen NSDAP und BVP bereits vor dem 9. März 1933 für die darauffolgende Woche beschlossene Sache war, beweist die Abschrift einer Vormerkung Sperrs (o. D.) Nr. 11, ACSP, NL Josef Müller: V 11.

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allerdings in München Nägel mit Köpfen, indem er Franz Ritter von Epp65 – im Übrigen ein ehemaliges BVP-Mitglied – als Reichskommissar für Bayern einsetzte und damit die Regierung Held vor vollendete Tatsachen stellte.66 Für die BVP galt es nun in Bayern zu retten, was es noch zu retten war: Durch Vermittlung des NSDAP-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag, Rudolf Buttmann, wurde dessen Freund, der BVP-Reichstagsabgeordnete und Landesführer des BVP-Kampfverbandes »Bayernwacht«, Hans Ritter von Lex, im übrigen ein späteres Mitglied des »Sperr-Kreises«, von Hitler als alleiniger Verhandlungspartner akzeptiert.67 Hitler habe Lex in drei Besprechungen zwischen dem 13. und 14. März erklärt, dass er zwei Ziele habe: Erstens die »willensmäßige Einheit des deutschen Volkes«, wozu er die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich zählte; zweitens die »Zerschmetterung des Marxismus in Deutschland«. Von Lex als Verhandlungsführer der BVP wolle er eine Stellungnahme zu diesen Zielen hören.68 65 Franz Ritter von Epp (1868 München–1947 München), kath., 1887 Fahnenjunker, 1888 Fähnrich, 1889 Leutnant, 1896 Oberleutnant, 1896–99 Bayerische Kriegsakademie, 1900/01 als Freiwilliger des ostasiatischen Expeditionskorps in China, ab 1904 Kompanieführer in Deutsch-Südwestafrika, zuletzt als Hauptmann, 1906 Rückkehr nach Bayern, ab 1906 Kompaniechef und Divisionsadjutant, 1914–18 Kriegsteilnahme und Aufstieg zum Oberst, 1919 als Anführer des »Freikorps Epp« an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik beteiligt, 1921 Divisionskommandant, 1921 Generalmajor, 1923 als Generalleutnant aus der Reichswehr verabschiedet, 1919–28 Mitglied der BVP, seit 1928 Mitglied der NSDAP und MdR, 1928–32 Leiter der Wehrpolitischen Abteilung in der Reichsleitung der NSDAP, 1933 Reichskommissar in Bayern, 1933–45 Reichsstatthalter in Bayern, 1934–43 Reichsleiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, 1945 wegen seiner Verbindung zur »Freiheitsaktion Bayern« vorrübergehend unter Hausarrest gestellt, 1945 von den Amerikanern inhaftiert, 1947 in Internierungshaft verstorben (vgl. grundlegend die Epp-Biographie Wächter, Macht der Ohnmacht). 66 Die »Machtergreifung« in München am 9. März 1933 stand nicht zuletzt im Zusammenhang mit den erwähnten monarchistischen Restaurationsbestrebungen in Bayern vom Februar 1933, denen Hitler wiederum beabsichtigte zuvorkommen (vgl. hierzu auch Wiesemann, Vorgeschichte). 67 Vgl. zu den Koalitionsverhandlungen Hitler / Lex ausführlich Dierker, Nullen, S. 111–148. 68 Ebd., S. 128. Als Verhandlungsgrundlage diente Hitler unter anderem eine Denkschrift Buttmanns mit dem Titel »Vorschläge zur bayerischen Regierungsbildung« (BayHStA, NL Rudolf Buttmann 135), auf die er allerdings nur in wenigen Punkten zurückgriff (vgl. Wanninger, Dr. Rudolf Buttmann, S. 92–109, insbes. S. 102–104). – Hans Ritter von Lex (1893 Rosenheim–1970 München), kath., Studium der Rechtswissenschaften in München, 1914–18 Kriegsteilnehmer, 1919 an den Kämpfen gegen die Münchener Räterepublik beteiligt, Verlust eines Beines, 1921–23 u. 1927–32 Regierungsassessor im Bayerischen Staatsministerium für Kultur, 1923–27 Landrat in Rosenheim, 1919–33 Mitglied der BVP, 1932/33 MdR (BVP), seit 1930 Anführer der »Bayernwacht« München, später Landesführer der »Bayernwacht«, 1933 in »Schutzhaft«, 1933–45 Oberregierungsrat im Reichsinnenministerium, dort im Referat für »Leibesübungen in den Vereinen«, nach 1945 Berater der amerikanischen Militärregierung, CSU-Mitglied, 1946 Mitglied des Ausschusses der CSU für die zwischenstaatlichen Beziehungen, zunächst bayerisches Kulturministerium, 1946–48 MinDirektor im bayerischen Innenministerium, Aufsichtsrat der Bayernwerk AG, 1950–60 Staatssekretär im

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Lex erläuterte Hitler daraufhin die Position seiner Partei. Während ein entschiedenes Vorgehen gegen den Bolschewismus in Deutschland durchaus zu befürworten sei, müsse eine Verfolgung der Sozialdemokraten »die christliche[n] Sittengesetze […] unter Ablehnung terroristischer Methoden« beachten.69 Was die Gleichschaltung der Länder anging, beharrte Lex auf dem Föderalismus, indem er zwar Unterstützung »in der nationalen Aufbauarbeit der Reichsregierung« zusagte, gleichzeitig jedoch das Festhalten »an den angestammten staatlichen Lebensrechten Bayerns« Voraussetzung sei. Lex selbst wurde von seiner Partei als Ministerkandidat vorgeschlagen. Hitler lehnte allerdings weitere Verhandlungen mit der BVP ab. Am 23. März 1933 stand das von NSDAP- und DNVP-Fraktion eingebrachte »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« – das so genannte »Ermächtigungsgesetz« – zur Abstimmung. Der bereits erwähnte Otto Graf war von Juli 1932 bis Juni 1933 für die BVP Mitglied des Reichstags und sprach sich gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen von Lex in der entscheidenden Fraktionssitzung der BVP im März 1933 gegen die Zustimmung zu Hitlers »Ermächtigungsgesetz« aus. Beide konnten sich allerdings mit ihrer Position nicht durchsetzen, jedoch die Aufnahme von Verschärfungen erreichen.70 Lex musste nach der Rede Hitlers die Begründung für die Zustimmung seiner Partei zum Ermächtigungsgesetz liefern.71 Seine Partei habe geglaubt, dass er als Träger des MaxJoseph-Ordens die Nationalsozialisten beeindrucken könne und nicht niedergeschrien werden würde.72 Wenn Lex auch standhaft die Position seiner Partei vertrat, nützte seiner Partei die Zustimmung zum »Ermächtigungsgesetz« nicht viel. Am 4. Juli 1933 kam die BVP ihrer drohenden Zwangsauflösung durch Selbstauflösung zuvor. Wenn auch der politische Katholizismus in Bayern ausgeschaltet wurde, lebte der katholische Glaube innerhalb des bayerischen Volkes im »Dritten Reich« fort. Dem Nationalsozialismus gelang es nicht, alle Regionen Bayerns vollständig zu durchdringen. Insbesondere in den katholisch geprägten Gegenden des einstigen Freistaats waren es nicht nur geistliche Würdenträger, sondern ebenso katholische Laien, die ihre christlichen Wertvorstellungen nicht ohne weiteres preis-

Bundesinnenministerium, 1956 Beauftragter der Bundesregierung im KPD-Verbotsverfahren, 1961–67 Präsident der Deutschen Roten Kreuzes (zu Lex vgl. jetzt Stange, Bundesinnenministerium, S. 55–121, insbes. S. 61–64; seinen Nachlass im BAK, N 1147; seine Personalakten BayHStA, MInn 84260; BAB, R 1501/208640–208643; außerdem Balcar / Schlemmer, Spitze der CSU, S. 610). 69 Dierker, Nullen, S. 131. Hieraus stammt auch das folgende Zitat. 70 Lex erklärte später, dass insbesondere der Hinweis auf die »ausdrückliche Sicherung von Leben und Eigentum« auf sein Drängen hin in den Redetext eingeflossen sei (Aufzeichnung von Hans Ritter von Lex (München, 8. April 1946), BAK, NL Lex (N 1147) 16). 71 Vgl. die Reichstagsrede von Hans Ritter von Lex zum »Ermächtigungsgesetz« (Verhandlungen des Reichstags. 8. Wahlperiode 1933, Bd. 457, S. 37 f.). 72 Vgl. Aufzeichnung von Hans Ritter von Lex (München, 8. April 1946), BAK, NL Lex (N 1147) 16.

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gaben.73 Selbst in den vermeintlichen Hochburgen des NS-Regimes, der selbst verkündeten »Hauptstadt der Bewegung« München und der »Stadt der Partei­ tage« Nürnberg konnten sich vereinzelt Gruppen dem weltanschaulichen Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus entziehen. Ein Kreis überwiegend katholischer Laien und vereinzelter Geistlicher bildete sich etwa im schwäbischen Augsburg. Aus diesem zunächst reinen Gesprächskreis, in dem zwar die aktuelle politische Lage ausführlich erörtert, jedoch mit den christlich-ethischen Grundsätzen seiner Teilnehmer unvereinbar war, schloss sich auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges ein Teil dem bayerischen »Sperr-Kreis« an.74

3. Der politische Konservatismus Darüber hinaus existierte auf dem späteren deutschen Reichsgebiet bereits früh ein nicht-katholischer, dagegen überwiegend von Protestanten getragener Konservatismus, der im Gegensatz zum politischen Katholizismus seine religiöse Überzeugung nicht zur politischen Maxime seines Handelns erhob.75 Seinen Ursprung fand der deutsche Konservatismus in Preußen als Reaktion auf den sich im Anschluss an die Französische Revolution nach Deutschland ausbreitenden Liberalismus. Bereits 1848 sollten sich konservative Gruppierungen, die eine Bewahrung des monarchischen Systems anstrebten und in der Ablehnung des Demokratisierungsprozesses übereinstimmten, in der Konservativen Partei zusammenfinden, in der auch der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck seine politische Heimat fand. Noch vor der Reichsgründung kam es 1866 zu einer ersten großen Spaltung der Partei. Die Freikonservative Partei, die sich auf Reichsebene ab 1871 Deutsche Reichspartei nannte, gründete sich mit einem gemäßigten, konservativen Programm, das Bismarcks Einigungspolitik stützte.76 1876 ging aus dem übrig gebliebenen Teil der alten preußischen Konservativen Partei die Deutschkonservative Partei hervor, die größeren Wert auf ihre evangelische Tradition legte.77 Beide Organisationen waren mitgliederschwache Honoratiorenparteien und setzten sich überwiegend aus Adligen und Großgrundbesitzern zusammen, auf deren Spenden sie angewiesen waren. Sie begrüßten zwar gemeinsam Bismarcks Sozialistengesetzgebung und setzten sich für die Schutzzollpolitik ein, unterschieden sich allerdings in ihrer Haltung zum Kulturkampf. Während die frei73 Vgl. zu diesem Komplex Höpfl, Katholische Laien. 74 Dem Kreis gehörte unter anderem der Rechtsanwalt Franz Reisert (Mitglied der BVP und des Bayerischen Heimat- und Königsbundes seit 1919) an (vgl. hierzu das Kap. VI.3.a) über die »Augsburger Gruppe« des »Sperr-Kreises«). 75 Vgl. zu den Konservativen auf Reichsebene bis 1918 vor allem Stalmann, Die konservativen Parteien, S. 91–125. 76 Vgl. Stalmann, Partei Bismarcks. – Für die Jahre bis 1918 Alexander, Freikonservative Partei. 77 Zur Deutschkonservativen Partei siehe Bohlmann, Deutschkonservative Partei.

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konservative Deutsche Reichspartei hierin mit Bismarck übereinstimmte, gingen die Deutschkonservativen auf Distanz. Sie trat für eine Stärkung der Religion ein und bekannte sich unter anderem ausdrücklich zur Konfessionsschule. Der aufkeimende Antisemitismus stieß vor allem bei den Deutschkonservativen um den evangelischen Theologen Adolf Stoecker auf Resonanz.78 1892 nahm die Partei die Bekämpfung des Judentums in ihr Programm auf.79 Die Welt- und Flottenpolitik in der Wilhelminischen Ära stützten beide konservative Parteien. Auch setzten sie sich bis 1918 für einen starken Föderalismus ein. Nach dem Ersten Weltkrieg ging der größte Teil der Anhänger beider konservativer Parteien in der neugegründeten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) auf.80 Diese wurde zu einem Hort von Befürwortern der Monarchie sowie national und völkisch-antisemitisch gesinnter Personen, die sich in ihrer gemeinsamen Ablehnung der Republik bekräftigten. Während man zeitweilig unter dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Kuno Graf von Westarp auch in Regierungsverantwortung und damit im Dienste der Weimarer Republik tätig war, agitierte die Partei unter dessen Nachfolger Alfred Hugenberg mehr denn je gegen die parlamentarische Demokratie.81 Hugenberg sollte schließlich die »Harzburger Front« mitinitiieren und auf diese Weise Hitler den Weg zur Macht erleichtern. Wie andere, vertraute auch er auf ein Einrahmungskonzept, das Hitler seine Grenzen deutlich machen sollte.82 Die Entwicklung des politischen Konservatismus in Bayern verlief aufgrund der überwiegend katholischen Konfessionszugehörigkeit im ländlichen Raum anders.83 Hier existierten vor 1918 zwar konservative Splittergruppen der konservativen Reichsparteien, aber bis zum Ende des Ersten Weltkrieges keine eigenständigen konservativ-protestantischen Parteiorganisationen. Während Ende November 1918 auf Reichsebene die DNVP aus bereits zuvor bestehenden konservativen Parteien entstand, gründete sich in Nürnberg die nationalkonservative Bayerische Mittelpartei (BMP).84 Als Gründungsmitglieder traten in erster Linie fränkische, protestantisch-mittelständische Bürger- und Bauernkreise hervor. Der Bund der Landwirte in Bayern (BdL) spielte hierbei eine einflussreiche 78 Vgl. hierzu Brakelmann, Adolf Stoecker. 79 Vgl. Bergmann, Deutschkonservative Partei, S. 183–188, hier S. 185. 80 Zur DNVP siehe Hiller v. Gaertringen, Deutschnationale Volkspartei, 543–652. 81 Vgl. zu diesem Abschnitt Mergel, Scheitern, S. 323–368. 82 Nur einen Tag nach der Machtübernahme Hitlers soll Hugenberg angeblich gegenüber dem späteren Widerstandskämpfer Carl Friedrich Goerdeler seine Verzweiflung über die Ereignisse des Vortages geäußert haben: »Ich habe gestern die größte Dummheit meines Lebens gemacht; ich habe mich mit dem größten Demagogen der Weltgeschichte verbündet« (Rückblick Goerdelers auf seine Mitarbeit in der Reichspolitik 1931 bis 1935, handschriftliches Manuskript (9. Juli 1937), Eintrag vom 30. Januar 1933, in: Gillmann / Mommsen, Politische Schriften, S. 252, Anm. 32; siehe außerdem Jones, Alfred Hugenberg, S. 63–87). 83 Zu Ursprung und Entwicklung des politischen Konservatismus in Bayern vgl. Weiß, Grundlinien, S. 523–542. 84 Der folgende Abschnitt wird sich vor allem – wenn nicht anders angemerkt – beziehen auf Kiiskinen, Deutschnationale Volkspartei.

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Rolle. Aus den schwachen Ergebnissen der Reichstags- und Landtagswahlen zog die BMP im März 1920 die Konsequenzen, indem sie sich als bayerischer Landesverband der DNVP anschloss. Der Name der Partei lautete von nun an offiziell »Bayerische Mittelpartei – Deutschnationale Volkspartei in Bayern«. Ihr Selbstbewusstsein als eigenständige bürgerlich-konservative, bayerische Partei kam also weiterhin in ihrem Parteinamen zum Ausdruck. Dennoch befand sie sich ab diesem Zeitpunkt in Abhängigkeit zum Reichsverband, die jedoch zunächst nicht offen zu Tage treten sollte. Wie die DNVP im Reich lehnte auch die Partei in Bayern die Novemberrevolution 1918 und die Weimarer Republik ab. Auch sie wurde zu einem Sammelbecken für völkisch-nationales und antisemitisches Gedankengut. Die BMP war jedoch deutlich föderalistischer und monarchistischer eingestellt als ihre Mutterpartei auf Reichsebene. Mit der BVP verband sie die Verteidigung der bayerischen Eigenständigkeit gegen ständige Angriffe des Reiches, weshalb beide Parteien sich regelmäßig auf Koalitionen einigen konnten.85 Dennoch blieb umstritten, inwieweit sich die Partei am parlamentarischen Betrieb beteiligen und in Regierungsverantwortung treten sollte.86 Zu einer ersten Spaltung sollte es im Spätherbst 1922 kommen, als der völkische Flügel den »reichsfreundlichen« Kurs der gemäßigten Parteiführung um Hans Hilpert und Justizminister Franz Gürtner nicht mittragen wollte. Der Partei sollte diese Spaltung schaden, die sich im Aufbau befindliche NSDAP hiervon profitieren.87 Erst ab Mitte der 1920er, spätestens mit der Übernahme des Reichs-Parteivorsitzes durch Hugenberg, verschlechterte sich das Verhältnis zur BVP. Hugenberg führte die Partei fortan deutlich zentralistischer. Die BMP schloss sich dem Kurs der Reichs-Partei an, trat aus der Regierung aus und wechselte in die »nationale Opposition«. In Bayern war sie bis 1932 »oppositionelle Regierungspartei«, da mit Gürtner der bayerische Justizminister bis zu diesem Zeitpunkt geschäftsführend im Amt blieb. Diese unklare Rolle sollte sich auf ihre Wählergunst endgültig negativ auswirken. Die Ergebnisse der Reichs- und Landtagswahlen 1932 fielen verlustbringend aus. An die zunächst auf Reichsebene, später auch in Bayern erfolgte Umbenennung der Partei in »Deutschnationale Front« im Rahmen des Wahlbündnisses »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« von DNVP, Landbund und Stahlhelm im Februar 1933 unter Hilperts Nachfolger Wilhelm Hausmann, wurden zwar Hoffnungen geknüpft, die sich jedoch letztlich als vergeblich herausstellen sollten. Als Hauptgeschäftsführer der BMP fungierte in den Jahren 1920 bis 1933 der in Stuttgart geborene Walther Baerwolff. Er war Mitglied des Landtags von 85 Mit Christian Roth und Franz Gürtner stellte die DNVP in Bayern von 1921 bis 1932 ununterbrochen den bayerischen Justizminister. 86 Vgl. als Beispiel hierzu die Haltung des Münchener Kreisvereins der BMP bei Wanninger, Dr. Rudolf Buttmann, S. 83. 87 Rudolf Buttmann, späterer Fraktionschef der NSDAP im bayerischen Landtag, kehrte damals der Partei den Rücken zu (vgl. ebd., S. 83 f.).

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1924 bis 1932 und anschließend bis 1933 Reichstagsabgeordneter der DNVP. Später sollte er dem »Sperr-Kreis« nahe stehen.88 In seiner Funktion als Hauptgeschäftsführer seiner Partei begrüßte er die »nationale Erhebung«, an der seine Partei maßgeblichen Anteil gehabt habe: »Was unter der Führung Hugenbergs in Harzburg begonnen wurde, ist nun trotz des schwarz-roten Widerstandes und trotz der politischen Irrwege der Nationalsozialisten von Hindenburg besiegelt und bestätigt worden«, schrieb Baerwolff in einem Aufruf zur am 5. März 1933 stattfindenden Reichstagswahl, bei der seine Partei innerhalb des oben genannten Wahlbündnisses antreten sollte.89 Parteichef Hugenberg sei seiner Ansicht nach als Reichswirtschaftsminister »der sicherste Garant dafür, dass nunmehr eine zielsichere Aufbauarbeit einsetzt, die privatwirtschaftlichen Grundlagen von neuem befestigt und sozialistische Tendenzen ferngehalten werden«. Daneben baute Baerwolff auf Vizekanzler von Papen, der »durch die Uebernahme der Spitzenkandidatur in Südbayern in ein besonders enges Verhältnis zur Deutschnationalen Volkspartei in Bayern getreten« sei. Dieser werde dafür sorgen, »dass im Sinne der Absichten Hindenburgs diese Regierung parteimässigen Herrschaftsansprüchen keinen Raum gibt«.90 Baerwolffs Schreiben veranschaulicht die auch bei bayerischen Nationalkonservativen verbreiteten Ansichten, man werde sich einerseits mit der NSDAP arrangieren können, und diese werde andererseits in Regierungsverantwortung an Radikalität verlieren. Als treibende Kraft der Regierung verstand Baerwolff daher – unter Verkennung der Realitäten – die DNVP, die »den inneren Zusammenhalt und die praktische Leistungsfähigkeit der neuen Regierung zu gewährleisten« habe.91 Die Wahlen am 5. März brachten für das Wahlbündnis jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse.92 Die endgültige Gleichschaltung der Partei erfolgte auch in Bayern unmittelbar nach dem Ausscheiden Hugenbergs aus der Reichsregierung. Das spätere »Sperr-Kreis«-Mitglied Otto Freiherr von Waldenfels93 hatte als überzeugter Monarchist das Durcheinander der Revolution im November 1918 88 Baerwolff soll an dieser Stelle nur als Beispiel für eine Handvoll früherer BMP-Mitglieder bzw. -Anhänger genannt werden, die dem späteren »Sperr-Kreises« nahe standen oder ihn aktiv als Mitglieder unterstützten. 89 An dieser Stelle wird zwar Baerwolffs Ablehnung gegenüber den radikalen Kräften innerhalb der NSDAP deutlich. Mit Begeisterung nahm er dennoch die ins Amt gelangte Regierung Hitler auf, die nun große Aufgaben zu erfüllen habe: »Vor ihr liegt die Aufgabe, den Trümmerhaufen der letzten 14 Jahre hinwegzuräumen und die Gesundung der Wirtschaft in allen ihren Zweigen durchzuführen. […] Es muss ein Ende gemacht werden mit jeder Art Parteiherrschaft!« (Walther Baerwolff an »Euer Hochwohlgeboren!« (18. Februar 1933), IfZ, ED 714/2). 90 Ebd. 91 Ebd. 92 In Bayern erhielt das Wahlbündnis lediglich 4,1 % der Stimmen (vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 52. Jg., 1933, S. 541). 93 Otto Freiherr von Waldenfels (1889 Wiesbaden–1974 Lichtenberg), ev., 1904–08 Kgl. Pagerie in München, 1908 Fahnenjunker im Kgl.-Bayr. 6. Chevaulegers-Regiment »Kress« in Bayreuth, 1910 Leutnant, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1915 Oberleutnant, 1918 Rittmeister,

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in München miterlebt.94 In der Weimarer Republik will er als Vorstand der BMP-Ortsgruppe Pasing, vor allem aber als aktives Mitglied des Stahlhelms, dem bewaffneten Kampfverband der DNVP, die Nationalsozialisten um Hitler spätestens seit 1923 abgelehnt haben.95 Dennoch begrüßte er im Oktober 1931 die »Harzburger Front«, den Zusammenschluss von NSDAP, DNVP, Stahlhelm und einigen weiteren nationalen Gruppierungen, in der Hoffnung auf »ein besseres Verhältnis zur SA und SS«, mit denen der Stahlhelm häufig in Konflikt geriet.96 Ähnlich wie Baerwolff empfand Waldenfels die »nationale Erhebung« 1933 zunächst als Aufbruchsignal für den Wiederaufbau des Vaterlandes.97 Nach »Überführung« eines Großteils der Stahlhelm-Anhänger in die SA wurde der verbliebene Rest im März 1934 in Nationalsozialistischer Deutscher Frontkämpferbund (Stahlhelm) (NSDFB) umbenannt, dessen Landesführer für Bayern Waldenfels wurde. In dieser Funktion musste er die Untätigkeit und Unfähigkeit seines Bundesverbandes beobachten, sich in Zusammenarbeit mit dem Bun-

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1919/20 zum Kriegsarchiv nach München kommandiert, 1919–23 parallel Studium der Geschichtswissenschaft in München, 1920–22 Vertragsangestellter im bayer. Kriegsarchiv, 1922–37 Staatsarchivar im bayer. Kriegsarchiv, vor 1933 Mitglied der DNVP und des Stahlhelm, 1937–39 Heeresarchiv München, 1939–45 Heeresarchiv München und als Beauftragter des Chefs der Heeresarchive in Warschau, Paris, Athen und bei der Heeresgruppe Mitte mit der Sicherstellung militärischen Archivguts beauftragt, 1945–47 Angestellter im Hauptstaatsarchiv Abt. ehem. Heeresarchiv, 1947–54 Leiter des Bayerischen Kriegsarchivs, 1952 Staatsarchivdirektor, 1954 Ruhestand (zu Waldenfels vgl. dessen Nachlass im Staatsarchiv Bamberg, seine Personalakten BayHStA, MK 45449 u. OP 58525 sowie seine unveröffentlichte Autobiographie Otto Freiherr von Waldenfels: Mein Leben (634-seitige Transkription eines handschriftlichen Manuskripts, verfasst 1970–1974), Nachlass Otto Freiherr von Waldenfels (Privatbesitz Familie Waldenfels); die Autobiographie umfasst die Jahre seiner Kindheit ab 1889 bis zu seinem Tod 1974 (künftig: Waldenfels: Mein Leben). Viele Jahre später erinnerte er sich ans Jahr 1918 zurück: »Der schicksalsvolle Tag des 9. November musste in uns in der Monarchie groß gewordenen Offiziere schließlich alles zerbrechen lassen, was uns lieb und teuer war« (ebd., S. 167). Im Anschluss an die Niederschlagung der Räterepublik, an der sich Waldenfels durch Aufstellung einer Militär-Landpolizei in Oberfranken beteiligte, erfolgte – nach kurzem Intermezzo als Wehrkommissar für die Organisation der Einwohnerwehr in Oberfranken  – seine Einberufung ins Kriegsarchiv, zunächst als Offizier, später als Staatsbeamter. Bei allen Wahlen im Verlauf der Weimarer Republik machte Waldenfels bei der DNVP bzw. BMP sein Kreuz, da aus seiner Sicht allein diese Partei als Nachfolgerin der Konservativen »das entsprechende Gegengewicht gegen Sozialdemokraten und Kommunisten sein konnte« (ebd., S. 185). In der Rückschau schrieb Waldenfels über den misslungenen »Hitler-Ludendorff-Putsch«: »Ich selbst war froh, dass er so rasch niedergeschlagen werden konnte, war ich doch keineswegs mit den Absichten und dem Gedankengut der Nationalsozialisten einverstanden. […] Mit Nationalsozialisten konnte man kein vernünftiges Wort über das Misslingen des Putsches reden, ich hatte manch harte Aussprachen mit Kameraden meiner Riege im Selbstschutz und bedauerte, dass durch diese Vorgänge ein heftiger Zwiespalt in die Reihen der vaterländischen Verbände hineingetragen worden war« (ebd., S. 197). Ebd., S. 231. Vgl. Denkschrift über die politischen Verhältnisse (4. Februar 1936), Nachlass Otto Freiherr von Waldenfels (Privatbesitz Familie Waldenfels).

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desführer Franz Seldte in Berlin für eine Stärkung des NSDFB einzusetzen.98 Schließlich oblag ihm die Aufgabe, die Mitglieder seines bayerischen Landesverbands im November 1935 über die vom Führer befohlene endgültige Auflösung des Stahlhelms zu unterrichten.99 In einer Denkschrift über die politischen Verhältnisse in Bayern unternahm der von der »nationalen Erhebung« tief enttäuschte Waldenfels im Februar 1936 einen Rundumschlag. Was den Totalitätsanspruch des NS-Regimes in Kirche, Schule, Hochschule, Rechtswesen und Presse betrag, kam er zu einem vernichtenden Urteil: »Voll Begeisterung haben die anständigen Teile des deutschen Volkes den Umbruch im Jahr 1933 mitgemacht, sie waren mit dem besten Willen dabei mitzuhelfen an einem Wiederaufbau des Vaterlandes. Durch unselige Personalpolitik und daraus entstehende untragbare Massnahmen hat man es verstanden, die guten Elemente vor den Kopf zu stossen und an einer wirkungsvollen Mitarbeit zu verhindern. Auf die Dauer kann dieser unerträgliche Zustand der geistigen und seelischen Vergewaltigung und des Hineinzwängens in ein Totalitätsprinzip einer Partei nicht ertragen werden von einem anständigen Volke, dessen wertvolle Schichten auf diese Weise zu Grunde gerichtet werden.«100 Hiermit dürfte Waldenfels die Empfindungen mancher Konservativer auf den Punkt gebracht haben. Die Denkschrift war offenbar für die Wehrmachtsführung bestimmt, die Waldenfels aufrütteln wollte, erkannte er doch Parallelen zum Stimmungsumschwung innerhalb der deutschen Bevölkerung in den letzten zwei Kriegsjahren.101 Nur einen Monat später sollte Waldenfels erstmals gemeinsam mit Franz Sperr die Stimmung innerhalb des bayerischen Volkes und die Möglichkeiten erörtern, den Stahlhelm im Geheimen zusammenzuhalten.102 Mit der abschließenden Darstellung des politischen Konservatismus in Bayern bis 1933 ist das gespaltene bürgerliche Lager skizziert worden, dem sich die 98 Vgl. Abschrift eines Schreibens Waldenfels an den Bundeshauptmann Bock des NSDFB (Stahlhelm) (München, 27. März 1935), Nachlass Otto Freiherr von Waldenfels (Privatbesitz Familie Waldenfels). 99 Vgl. Otto Freiherr von Waldenfels an die Stahlhelm-Kameraden Gau-, Kreis- und Ortsgruppenführer (München, 11. November 1935), Nachlass Otto Freiherr von Waldenfels (Privatbesitz Familie Waldenfels). 100 Denkschrift über die politischen Verhältnisse (4. Februar 1936), Nachlass Otto Freiherr von Waldenfels (Privatbesitz Familie Waldenfels). 101 Waldenfels schrieb: »Ich bin mir bewusst, dass die vorstehend angeführten Punkte für die Führer der Wehrmacht nichts Neues sein werden. Doch halte ich es für meine Pflicht, die einzige Stelle, die in der Lage wäre hier auf eine Änderung zu dringen, auf die schwere Misstimmung im Volke und die furchtbaren Schäden, die sich eines Tages auch in irgend einer Weise bei der Wehrmacht fühlbar machen werden, aufmerksam zu machen. […] Daran kann und darf die einzige massgebende Macht neben der Partei, die Wehrmacht, nicht vorübergehen« (ebd.). – Ob Waldenfels diese Denkschrift der Wehrmachtsführung übergab, konnte nicht verifiziert werden. 102 Vgl. hierzu den späteren Abschnitt über die Kontakte des »Sperr-Kreises« zu ehemaligen paramilitärischen Wehrverbänden.

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späteren »Sperr-Kreis«-Mitglieder parteipolitisch zugehörig fühlten. Die geistigen und politischen Strömungen, die im 19. Jahrhundert auf deutschem Boden aufkamen und in bürgerliche Parteigründungen mündeten, fanden somit im Königreich Bayern ihre Ableger. Auf Reichsebene wie in Bayern bestand innerhalb des bürgerlichen Lagers Einigkeit im Hinblick auf die Notwendigkeit der Abgrenzung zur Arbeiterschaft, wenngleich dieses für das Bürgertum konstitutive Element auch von Partei zu Partei unterschiedlich stark ausgeprägt war. Parallelen in Bayern wie auf Reichsebene ließen sich zudem für das Ende der Weimarer Republik feststellen: Die Krise des Bildungsbürgertums wurde im Zerfall der »bürgerlichen Parteien« greifbar. Eine gesinnungsmäßige Einigung des Bürgertums sollte nicht erfolgen. Die Politiker, Mitglieder und Wähler der »bürgerlichen Parteien« nahmen für sich stets Werte wie Moral, Humanität, Vernunft und Liberalität in Anspruch, die vom Grundsatz her mit der Ideologie des Nationalsozialismus unvereinbar waren. Allerdings sollten Staatstreue und Gehorsam – ebenfalls Merkmale des Bürgertums  – eine frühzeitige und konsequente Abkehr vom Nationalsozialismus und später vom NS-Regime oftmals verhindern. Gegen Ende der Weimarer Republik löste sich das bürgerliche Lager allmählich auf, während die äußeren Ränder des Parteienspektrums immer stärker wurden. Offen wurden Koalitionen mit den Nationalsozialisten diskutiert und schließlich eingegangen. Deutlich wurde allerdings auch, dass trotz der weitgehend identischen Programmatik die hier näher beschriebenen Parteien in Königreich und Freistaat Bayern von ihrer soziokulturellen Zusammensetzung her zu den parallel existierenden Mutterparteien in Preußen und auf Reichsebene teilweise Unterschiede und Eigenheiten aufwiesen. Das bayerische Selbstbewusstsein artikulierten alle vorgestellten bürgerlichen Parteien des politischen Liberalismus, Katholizismus und Konservatismus nicht selten durch ihre enge Verbundenheit zur bayerischen Monarchie und dem föderalen Prinzip, das die Wahrung der bayerischen Identität und die weitgehenden Souveränität gegenüber unitarischen Bestrebungen in Berlin im Sinn hatte. Was dies für die politische Praxis im Hinblick auf das Binnenverhältnis zwischen München und Berlin bedeutete, lässt sich besonders eindrücklich an den Karrieren von Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler im Königreich Bayern und der Weimarer Republik zeigen.

III. Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler – Bayerische Karrieren in der Weimarer Republik

Ausführliche Biographien der drei Hauptakteure des »Sperr-Kreises« können nicht das Ziel dieser Studie sein. Vielmehr werden in diesem Hauptkapitel Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm gemeinsam behandelt. Ihre Haltung zu politischen Ereignissen, ihr Staatsverständnis und ihre Rolle innerhalb des komplexen Binnenverhältnisses zwischen Reich und Bayern in den Jahren 1919 bis 1933 werden im Mittelpunkt stehen. Prägende Erfahrungen und verbindende Gemeinsamkeiten sollen ermittelt werden, um auf diese Weise mögliche gemeinsame Motive zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus nach 1933 zu erfassen. Alle drei riskierten in der Weimarer Republik als Politiker und politische ­Beamte den Spagat zwischen München und Berlin gerade in jenen Jahren, als die Spannungen zwischen Bayern und Reich zu eskalieren drohten. Sie schienen für die jeweiligen hohen, politischen Ämter gerade deshalb prädestiniert, weil es ihnen im Gegensatz zu der Mehrzahl ihrer politischen Zeitgenossen gelang, bayerische Interessen auf Reichsebene und Reichsinteressen in Bayern verständlich zu machen. Reichseinheit und Erhalt der bayerischen Souveränität waren für sie keine Gegensätze, sondern untrennbar miteinander verbunden. Im Folgenden soll weniger die Beschreibung ihrer beruflichen Amtstätigkeiten als Politiker und Beamte als vielmehr ihrer politischen Grundeinstellung in den Jahren vor 1933 nachgespürt werden. Der Zusammenbruch der bayerischen Monarchie sowie Revolution und Räterepublik in Bayern stellten für Sperr, Geßler und Hamm eine Zäsur dar. Ihre Sicht auf die Ereignisse der Jahre 1918/19 ist aufgrund der prägenden Wirkung auf ihre politischen Gedankengänge bis in die Zeit des »Dritten Reiches« hinein ausführlich zu betrachten. Anschließend wird ihre politische Rolle zwischen den beiden Antipoden, dem Reich auf der einen, dem Freistaat Bayern auf der anderen Seite, dargestellt. Es wird erörtert, dass es zu Sperrs tatsächlichem beruflichen Aufgabengebiet zählte, die Interessen Bayerns auf Reichsebene zu vertreten, während Geßler und Hamm regelmäßig – weniger im Rahmen ihres jeweiligen Politikressorts als aufgrund ihrer bayerischen Herkunft und ihres Staatsverständnisses – als Vermittler zwischen Bayern und Reich auftraten. Die Ergebnisse dieses Kapitels aufgreifend gilt es die grundsätzliche Einstellung der späteren Protagonisten des »Sperr-Kreises« zur republikanischen Staatsform auszuloten, ehe sich dem Niedergang der Weimarer Republik zugewendet, dem bayerischen Anteil an diesem gewidmet und die Positionen Sperrs, Geßlers und Hamms in diesem Zusammenhang erörtert werden. Das Hauptkapitel wird zunächst durch Darstellung der sozialen und familiären Herkunft von Sperr, Geßler und Hamm eingeleitet, sowie ihre politische

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Sozialisation und ihr Einstieg ins Berufsleben im Königreich Bayern angerissen, um anschließend – wie oben skizziert – ihre Rolle und Positionen in der Weimarer Republik verstehen zu können.

1. Herkunft und Werdegang im Königreich Bayern Die Reichsverfassung von 1871 räumte dem Königreich Bayern besondere Hoheitsrechte, so genannte Reservatrechte, ein und unterstrich auf diese Weise den föderalen Charakter des neu gegründeten Deutschen Reiches.1 Insbesondere blieb das traditionelle Recht des bayerischen Königs auf den Oberbefehl über die bayerische Armee von der Reichsverfassung unberührt, zumindest in Friedenszeiten. »Das bayerische Heer« wurde auf diese Weise zu einem »in sich geschlossenen Bestandteil des Bundesheeres mit selbständiger Verwaltung«2, da neben der eigenständigen Truppe, die erst im Kriegsfall auf den Deutschen Kaiser vereidigt wurde, in München ein eigenes Kriegsministerium entstand.3 Aus dieser erhalten gebliebenen Wehrhoheit resultierte ein in Bayern besonders stark ausgeprägtes Treueverhältnis zwischen dem einzelnen Soldaten und dem König als Oberbefehlshaber. Einer der Offiziere der bayerischen Armee, der dem Mobilmachungsbefehl am 1. August 1914 folgte, war der am 12. Februar 1878 im unterfränkischen Karlstadt am Main geborene Franz Sperr.4 Dieser stammte aus einer dem Hause Wittelsbachs schon über Jahrzehnte verbundenen Försterfamilie. Erst sein Vater Ludwig Sperr, Ingenieur der Königlich-Bayerischen Staats-Eisenbahnen, hatte mit dieser Familientradition gebrochen.5 Nach der Geburt Franz Sperrs zog

1 Ausgehandelt wurden von bayerischer Seite diese Reservatrechte im Novembervertrag von 1870. Neben dem Königreich Bayern verfügten auch die Königreiche Württemberg und Sachsen, das Großherzogtum Baden sowie die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck über Reservatrechte. 2 Rumschöttel, 1. August. 1914, S. 368–384, hier S. 374. 3 Unmittelbar im Vorfeld des Ersten Weltkrieges kam das bayerische Heer auf eine Truppenstärke von 4089 Offizieren, Ärzten, Veterinären und Beamten, 83.125 Unteroffizieren und Mannschaften sowie 16.918 Pferden (vgl. ebd., S. 376). 4 Zu Franz Sperrs Herkunft und Jugendjahre bislang am ausführlichsten Lankes, Franz Sperr, S. 25–50. Auf dessen Darstellung wird im Folgenden überwiegend zurückgegriffen. Ergänzt wird sie zusätzlich durch Quellen, die Lankes nach eigenem Bekunden nicht vorgelegen haben und die er gar als »heute nicht mehr fassbar« (ebd., S. 27, Anm. 12) qualifizierte, wie etwa das im Stadtarchiv München unter der Signatur »Familien 544/I« verwahrte, von Sperr handschriftlich angefertigte »Familienbuch«. Dieser Bestand stellt einen Teil des als verloren geltenden Nachlasses von Franz Sperr dar, beinhaltet jedoch überwiegend private Zeugnisse und Korrespondenz Sperrs bezüglich seiner eigenen Familienforschung. 5 Familienbuch der Familie Sperr. Band 1. (begonnen Weihnachten 1935), StadtAM, Familien 544/I.

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seine Familie6 aufgrund der Beamtentätigkeit des Vaters häufig innerhalb des bayerischen Königreichs um. Nach Lankes dürfte der »zufällige Geburtsort« für Franz Sperr tatsächlich »nicht besonders prägend gewesen sein, eher noch die fränkische Herkunft der Mutter«.7 Ob sich deren Aschaffenburger Abstammung auf ihren Sohn tatsächlich besonders prägend auswirkte, lässt sich nur erahnen. Als lebensfroher Gegenpart zu seinem Vater nahm sie in jedem Fall eine wichtige Rolle wahr.8 Die tiefgläubige Katholikin wird ihre Kinder sicher nach katholischem Ritus erzogen haben, doch scheint sie ihnen gleichzeitig eine fränkische Liberalität mit auf den Weg gegeben zu haben.9 Nach achtjährigem Aufenthalt in Schweinfurt-Oberndorf wurde der Vater Ludwig Sperr 1886 zum Abteilungsingenieur in Kempten im Allgäu befördert. 1892 folgte die Beförderung zum Staatsbahningenieur in Neu-Ulm. In Kempten hatte Franz Sperr das Gymnasium besucht, wo er sich »nicht sonderlich« hervortat. Sein Abitur sollte er dann aber auf dem Humanistischen Gymnasium in Ulm »mit grosser Auszeichnung« absolvieren.10 Während sich sein älterer Bruder Ludwig – der Familientradition folgend – der Försterei widmete und sein jüngerer Bruder Karl Bankkaufmann wurde, schlug Franz Sperr eine Offizierslaufbahn ein und blieb zeit seines Lebens »parteipolitisch ungebunden«11. Angesichts der Tatsache, dass eine militärische Ausbildung kostspielig war12, klingt der Bericht seiner Schwägerin, Sperr habe eigentlich ein Medizinstudium beginnen wollen, dies jedoch aus Kostengründen 6 Vater Ludwig, Mutter Therese (geb. Geiger), Franz Sperrs älterer Bruder Ludwig. Später sollten noch die Geschwister Karl und Therese geboren werden. 7 Lankes, Franz Sperr, S. 27. 8 In einem von Franz Sperrs Witwe Gertraud und ihrem Sohn Hanns Ludwig 1946 gemeinsam angefertigten Lebenslauf Franz Sperrs gingen beide auf dessen Kindheit ein: »Seine Mutter war im vielem das Gegenteil seines Vaters. Eine Tochter der Aschaffenburger Fischer- und Brauerfamilie Geiger war sie froh, heiter, lebensbejahend, mit einem gesunden Sinn fuehr das Schoene und Solide. Franz Sperr hat von beiden etwas gehabt. Das Verschlossene Ernste, Stille und Zurueckhaltende seines Vaters; aber auch eine innere Heiterkeit, eine grosse Liebe zur Natur, ein frohes und vergnuegtes Wesen im Zusammensein mit anderen, das ihn nie zum Spielverderber werden liess – all das hatte er von seiner Mutter. Ein strenger Ton herrschte zu Hause, die Mutter fuehrte ein strammes Regiment. Aber sie vergass auch ihren Kindern gegenueber nicht, dass sie gerne vergnuegt war und auch gerne einmal einen guten Bissen schnabulierte« (Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I). 9 Die Mutter habe laut Erinnerung ihrer Schwiegertochter Gertraud Sperr bis ins hohe Alter hinein die Sonntagsmesse besucht. Doch trotz ihres starken katholischen Glaubens störte es sie offenbar nicht, dass ihr Sohn Franz – ebenso wie seine anderen drei Geschwister – nach evangelischem Ritus getraut wurde. »Wenn sie nur brav und anstaendig sind«, wurde sie Jahre später von ihrer Schwiegertochter wörtlich zitiert (ebd.). 10 Ebd. 11 Ebd. Dass Sperr dennoch kein unpolitischer Mensch war, muss angesichts seiner späteren Widerstandstätigkeit gegen Hitler nicht weiter ausgeführt werden. Im Kapitel über den Umgang mit dem republikanischen System von Weimar wird auf Sperrs politische Haltung genauer eingegangen. 12 So auch Lankes, Franz Sperr, S. 28.

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unterlassen13, merkwürdig. Auch finden sich weder diesbezügliche Hinweise im »Familienbuch«14 noch in dem von seiner Witwe 1946 angefertigten Lebenslauf15. Dort ist vielmehr zu lesen, dass sich Sperr gewissenhaft auf die Offiziersausbildung konzentriert und sich frühzeitig unter seinen Kammeraden Respekt verschafft habe.16 Sperrs gute Leistungen spiegelten sich auch in seinem schnellen Aufstieg innerhalb des Königlich-Bayerischen 12. Infanterie-Regiments »Prinz Arnulf« wider.17 Vom einfachen Fahnenjunker wurde er nach nur fünf Monaten zum Fähnrich befördert und an die Münchener Kriegsschule kommandiert, wo er 1899 den Offizierslehrgang mit Auszeichnung beendete. Im gleichen Jahr zum Leutnant ernannt, entschloss sich Sperr nach Abschluss seiner zweijährigen freiwilligen Dienstzeit, Berufssoldat zu werden. Nachdem er anschließend vier Jahre lang den regulären Dienst bei seinem Stammregiment in Neu-Ulm absolviert und drei weitere Jahre als Adjutant beim Landwehrbezirkskommando Passau fungiert hatte, trat er 1906 in der Münchener Kriegsakademie die Ausbildung für den Generalstab der Bayerischen Armee an. Lankes’ These, dass dieser Karriereschritt sich auf Sperrs »spätere Sicht des Föderalismus und seinen Platz im Widerstand gegen Hitler« prägend auswirkte18, ist durchaus zuzustimmen. Schließlich waren der in Friedenszeiten eigenständig agierende Generalstab und die Kriegsakademie wichtige Bestandteile der bereits erwähnten Reservatrechte. Mit Stolz verglich man sich in Bayern mit der großen Preußischen Kriegsakademie.19 Des Weiteren brachte es »die gemeinsame Erfahrung der Zugehörigkeit zu einer Elite« mit sich, dass Sperr sich in jenen drei Jahren an der Bayerischen Kriegsakademie ein »lebenslange[s] Beziehungs- und Informationsgeflecht«20 aufbaute, auf welches er in den Jahren des »Dritten Reiches« zurückgreifen konnte. Sperr schuf sich also schon in diesen Jahren durch seinen anwachsenden militärischen Bekanntenkreis die notwendige Basis für sein späteres Handeln, als es darum ging, Militärs für die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« zu gewinnen. 13 Vgl. Frida Sperr an Ricarda Huch (5. Februar 1947), IfZ, ZS / A 26a/3, Bl. 53–58, hier Bl. 55. 14 Hier vermerkte Sperr lediglich die Tatsache, dass er gleich nach dem Abitur 1897 »als Offiziersaspirant in das k. b. 12. Infanterie-Regiment in Neuulm« eintrat (Familienbuch der Familie Sperr. Band 1. (begonnen Weihnachten 1935). StadtAM, Familien 544/I). 15 Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. 16 Gertraud Sperr berichtete: »Seine damaligen Kameraden wissen heute noch zu berichten, wie sehr sie ihn schaetzten und wie sie ihm doch nicht sehr nahe kamen. Er lebte sehr zurueckgezogen, lernte und reiste viel« (ebd.). 17 Sperr trat der 11. Kompanie dieses Regiments bei, deren Kompaniechef, der damalige Hauptmann Schmidt, Vater seiner späteren Frau Gertraud war, die er 1921 heiratete (handschriftliche Ergänzung im Familienbuch Sperr durch Gertraud Sperr (München, 6. Juni 1975), StadtAM, Familien 544/I). Aus der Ehe ging ein gemeinsamer Sohn hervor. 18 Lankes, Franz Sperr, S. 29. 19 Vgl. ebd., S. 28–30. – Zur Offiziersausbildung in Bayern vgl. Hackl, Bayerische Kriegsakademie. 20 Lankes, Franz Sperr, S. 30.

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Als Sperr 1909 mit höchsten Auszeichnungen die Bayerische Kriegsakademie verließ, machte ihm sein Rangalter – er wurde erst jetzt zum Oberleutnant ernannt – Schwierigkeiten. Trotz der Feststellung der uneingeschränkten Generalstabsdiensttauglichkeit musste er noch weitere zwei Jahre bei seiner Truppe in Neu-Ulm Dienst leisten, bevor er 1911 – noch immer im Rang eines Oberleutnants, was bis dato nicht vorgekommen war21  – zur Zentralstelle des Bayerischen Generalstabes in München kommandiert wurde.22 Seine militärischen Beurteilungen dieser Jahre fallen durchweg positiv aus.23 Im August 1913 zum Hauptmann befördert, erfolgte im Oktober 1913 der nächste wichtige Karriereschritt, als Sperr zum Großen Generalstab des Preußischen Heeres befohlen wurde.24 Er betrat zum ersten Mal kurzzeitig das Berliner Parkett und sammelte erste diplomatische Erfahrungen, von denen er zwischen 1919 und 1934 als bayerischer Interessensvertreter in Berlin profitieren sollte. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges erfolgte Sperrs Versetzung als Generalstabshauptmann nach Ostpreußen, wo er unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und dessen Generalstabschef Erich Luden­dorff zum Beauftragten des Chefs des Feldeisenbahnwesens der 8. Armee ernannt wurde.25 Nach der Schlacht bei Tannenberg verlieh ihm Hindenburg persönlich das EK II und kurz darauf das EK I.26 Insbesondere Ludendorff fällte ein außerordentlich positives Urteil über Sperrs Tatkraft und Organisationstalent.27 In der Folgezeit nahm Sperr an mehr als 30 Schlachten des Ersten Weltkrieges teil, zunächst im Osten, ab 1915 überwiegend im Westen.28 21 Dies war die Mitteilung die Prof. Ernst Meier, ein späteres Mitglied des »Sperr-Kreises«, Anfang der 1960er Jahre vom Kriegsarchiv erhielt (vgl. Mitteilungen des Kriegsarchives im Benutzerakt Prof. Dr. Ernst Meier (26. Juli 1962 u. 23. April 1963). 22 Vgl. Lankes, Franz Sperr, S. 31. 23 Sperr »[…] arbeitet sehr genau und bemerkenswert rasch. […] Ist und bleibt in schwierigen Lagen ruhig. Auftreten entschieden, dabei bescheiden« (Beurteilung zum 1. Januar 1913 durch Abteilungschef im Generalstab Albert Hierthes, BayHStA, OP 26379). 24 Dort waren für bayerische Generalstabsoffiziere Planstellen errichtet worden, »um einerseits eine gewisse Einflussnahme Bayerns auf die Reichsverteidigung zu gewährleisten und andererseits das erforderliche Maß an Einheitlichkeit in Denken und Sprache der Stäbe in Berlin und München aufrecht zu erhalten« (Lankes, Franz Sperr, S. 32). 25 Zu Franz Sperrs Rolle im Ersten Weltkrieg vgl. vor allem Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 51–56. Außerdem sei verwiesen auf die entsprechenden Abschnitte bei Fröhlich, Franz Sperr als Militärbevollmächtigter. 26 Vgl. BayHStA, OP 26379 sowie die handschriftliche Ergänzung im Familienbuch Sperr durch Gertraud Sperr (München, 6. Juni 1975), StadtAM, Familien 544/I. Gertraud Sperr verwechselte hier allerdings die Verleihung des EK I mit der des EK II, als sie angab, dass ihr Mann bereits im September 1914 mit dem EK I durch Hindenburg ausgezeichnet wurde. 27 Vgl. Beurteilung durch Erich Ludendorff (10. April 1915), BayHStA, OP 26379. In seinen Kriegserinnerungen würdigte Ludendorff Sperr ausdrücklich, der ihn bei den verschiedenen Operationen und Aufgaben »ganz vortrefflich« unterstützt habe (Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 65 u. 74). 28 Vgl. BayHStA, OP 26379. Eine Auflistung der Schlachten, in die Sperr involviert war, findet sich bei Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 52, Anm. 4.

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Wiederum richtungsweisenden Charakter trug Sperrs Abordnung zur Armeeabteilung des Kriegsministeriums in München im März 1917, wo er die Demobilmachung vorbereiten sollte. Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit forderte er für Bayern die Beteiligung an den Planungen für eine Gesamtdemobilmachung ein.29 Anschließend musste Sperr sich lange mit den preußischen Auffassungen auseinandersetzen. Diplomatisch um Ausgleich bemüht, gab er sich mit der preußischen Zusage zufrieden, dass das bayerische Kriegsministerium in alle die bayerischen Truppen betreffenden Entscheidungen miteingebunden werde.30 Wie vor Kriegsbeginn vertrat er auch jetzt die bayerischen Interessen auf Reichsebene. Obwohl sich im Oktober 1918 bereits abzeichnete, dass seine Pläne für eine Gesamtmobilmachung in den Schubladen des bayerischen Kriegsministeriums verbleiben würden, sorgte dieser berufliche Fehlschlag nicht für einen Karriereknick. Sperr hatte sein »ausgesprochenes Organisationstalent«31 und sein diplomatisches Feingefühl unter Beweis gestellt. Im Bayerischen Kriegsministerium war man der Meinung, Sperr solle diese Arbeit fortsetzen und weiter professionalisieren. Daher erfolgte Ende Oktober 1918 seine Versetzung zum bayerischen Militärbevollmächtigten nach Berlin, wo er wenig später die Geschäftsführung der Dienststelle übernehmen sollte. Ebenfalls in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden Sperrs spätere Verbündete im Widerstand gegen das »Dritte Reich«, Otto Geßler und Eduard Hamm, politisch sozialisiert. Auf ihre Rolle und Bedeutung innerhalb des bayerischen Liberalismus wurde bereits hingewiesen, ihre soziale Herkunft und ihre bildungsbürgerliche Karrieren, die ihren Anfang im Königreich Bayern nahmen, werden nun eingehender zur Sprache kommen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden sie zu politischen Weggefährten und Freunden, weshalb sich eine Gegenüberstellung ihrer Lebensläufe anbietet, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Herkunft und Prägung auszumachen. Otto Karl Geßler wurde am 6. Februar 1875 im württembergischen Ludwigsburg als erster und einziger Sohn des katholischen Berufssoldaten Liberat Geßler und dessen evangelischer Frau Karoline geboren. Gebürtig war Geßler 29 Da man aus bayerischer Sicht den bereits erschienen preußischen Vorentwurf ablehnte, weil er mit zu vielen Unwägbarkeiten behaftet war, machte man sich selbst an die Ausarbeitung einer Konzeption für die personelle und wirtschaftliche Demobilisierung. Diese Arbeiten wurden im Januar 1918 aufgenommen und konnten bis Monatsende abgeschlossen werden. Sie wurden sogleich von König Ludwig III. und dem bayerischen Kriegsminister Philipp Freiherr von Hellingrath unterschrieben. Der Plan sollte allerdings nach Beendigung der Kriegshandlungen im November 1918 keine Anwendung finden, da man im Januar noch von einem Sieg überzeugt war. Für Sperr dürfte deshalb die Niederlage doppelt frustrierend gewesen sein, waren doch alle seine Planungen für eine personelle Demobilmachung umsonst gewesen. 30 Vgl. ebd., S. 53–56. 31 Dies bescheinigte ihm auch sein Divisionskommandeur, nachdem Sperr im Februar 1918 an die Front zurückgekehrt und an den Stellungskämpfen in Verdun und Reims beteiligt war (Beurteilung über den Major i. Gen.Stab Franz Sperr durch den Divisions-Kommandeur Siebert (29. Juli 1918), BayHStA, OP 26379).

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zwar kein Bayer, empfand jedoch Lindau am Bodensee, wohin die Familie 1887 umzog und wo Otto Geßler aufwuchs, sowie das angrenzende bayerische Westallgäu als seine eigentliche Heimat.32 Der Vater schied in diesem Jahr aus dem Militärdienst aus und trat als Gutsverwalter in die Dienste des Fürsten Quadt ein. Seinem Sohn ermöglichte er, obwohl dieser nach dem Besuch der Lateinschule in Lindau und dem Humanistischen Gymnasium in Dillingen 1894 nur ein mittelmäßiges Abitur ablegte, mit seiner Militär-Pension ein Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen, Tübingen und Leipzig. Dass Otto Geßler nicht auch im Studium ein unbeschriebenes Blatt blieb, sondern das 1. Große Staatsexamen 1898 mit dem Prädikat »hervorragend befähigt« ablegte, 1900 in Erlangen zum Dr. jur. mit »summa cum laude« promoviert wurde und schlussendlich das 2. Staatsexamen als siebtbester unter 183 Kandidaten absolvierte, verdankte er nach eigenen Angaben seiner Mitgliedschaft in der Erlanger Akademisch-Musikalischen Verbindung (AMV) Fridericiana, in der die Studenten dazu angehalten wurden, strebsam zu sein.33 Parallelen zwischen Otto Geßler und Eduard Hamm lassen sich schon während ihrer Studienzeit feststellen, obwohl Hamms Bildungsweg deutlich geradliniger verlief als derjenige Geßlers. Hamm wurde am 16. Oktober 1879 in Passau als Sohn des Amtsrichters Johann Baptist Hamm und dessen Frau Luise geboren.34 Der Vater musste aufgrund seines Berufs mehrfach den Wohnort innerhalb des Königreiches Bayern wechseln. So ergab es sich, dass Sohn Eduard von 1889 bis 1891 die Klosterschule in Metten besuchte, ehe er auf das humanistische Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg wechselte, wo er 1898 ein Einser-Abitur ablegte. Anders als Geßler, der sein Studium mit der Pension seines Vaters finan­ zierte, garantierte Hamm sein hervorragender Schulabschluss die Aufnahme ins renommierte Maximilianeum in München.35 Während des Jura-Studiums, das Hamm als Bester seines Jahrgangs mit dem 2. Staatsexamen 1905 abschloss, trat er dem Akademischen Gesangverein München (AGV) bei, dem auch schon sein Vater angehört hatte.36 Sowohl Geßler als auch Hamm waren somit Mitglieder in musischen Studentenverbindungen. Mehr noch: Die Erlanger AMV entstand 1878 unter anderem 32 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 27–29. 33 Vgl. ebd., S. 541. Zu den Fridericianern vgl. Haas, Akademisch-Musikalische Verbindung. 34 Vgl. hierzu Lebenserinnerungen Eduard Hamm, NL Hamm (Privatbesitz Hamburg) sowie Limbach, Ein Weimarer Liberaler S. 244–246. 35 Vgl. Gertrud Hardtwig-Hamm: Zum Gedenken an Herrn Reichsminister a. D. Dr. h. c. Eduard Hamm (o. D.), BayHStA, NL Hamm 110, S. 1–12, hier S. 3 (Die Seitenzahlen beziehen sich auf das Manuskript). Die Stiftung Maximilianeum wurde 1852 von König Maximilian II. von Bayern gegründet, um hochbegabten bayerischen Abiturienten ein sorgenfreies Studium an einer Münchner Universität zu ermöglichen (vgl. hierzu die Festschrift von Gollwitzer, Maximilianeum). 36 Johann Baptist Hamm (Jahrgang 1841) hatte sich seinerzeit von der »Zeitstimmung des bürgerlichen Fortschritts u[nd] der liberalen Staatsführung« unter Maximilian II. tief beeindrucken lassen und sich entschieden, nach seinem Studium in den Staatsdienst zu treten (vgl. Lebenserinnerungen Eduard Hamm, (o. D.), NL Hamm (Privatbesitz Hamburg)).

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aufgrund einer Initiative von in Erlangen studierenden Münchener AGV-Mitgliedern.37 Beide Verbindungen wiesen deutlich liberale Grundzüge auf. Mit Stolz blickte eine Festschrift des AGV 1911 auf die Gründungsjahre des Vereins zurück: Man habe bewiesen, dass man »auch ohne die bunte Mütze auf dem Kopf« ein richtiger Student sein könne, »dass studentische Fröhlichkeit auch in freien Formen gedeiht und sogar besser gedeiht als unter engen, halbverstandenen oder ganz unverstandenen Kommentregeln und dass nicht der Schmiss des Besiegten des Jünglings höchstes Sehnen zu bilden habe«38. Geßler wie Hamm schufen sich in diesem liberalen Umfeld erste Freundeskreise, auf die sie in den Jahren des Widerstandes gegen Hitler zurückgreifen konnten. Auch Geßlers Eltern lag offenbar eine liberale Lebensführung nicht fern. Schließlich hatten sie interkonfessionell geheiratet, wodurch man in jenen Jahren im überwiegend katholisch geprägten württembergischen und bayerischen Allgäu gesellschaftlich ins Abseits geraten konnte. Auch ihrem Sohn ließen sie offenbar in religiösen Fragen alle Freiheiten. Jedenfalls hielt Geßler den Großteil seines Lebens nicht viel von der Kirche und sollte sich erst in späten Jahren zum Christentum bekennen. Zum Liberalismus in Bayern passend scheint er wohl die Kirche auch nicht aktiv bekämpft zu haben.39 Hamm seinerseits bewies durch seine Hochzeit mit der Protestantin Maria von Merz gleichsam seine persönliche Souveränität über religiöse Traditionen und Zwänge.40 Einschränkungen seiner geistigen Freiheiten von kirchlicher Seite hatte er schon während seiner Schulzeit missachtet, als er trotz strenger Regeln der Benediktiner Werke von Gerhard Hauptmann und Hermann Sudermann gelesen hatte.41 Im Gegensatz zu Geßler bildete für ihn das Christentum allerdings stets eine der wichtigsten Grundlagen der europäischen Kultur. Im Katholizismus aufgewachsen, wollte er sich dennoch nie ganz auf diesen einlassen.42 Als Grund hierfür gab Hamm 37 Beide Verbindungen gehörten und gehören noch heute dem Sondershäuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen (SV) an. 38 Leidinger, Geschichte, S. 11. 39 Im Gefängnis Lehrter Straße, wo Geßler nach seiner Verhaftung infolge des 20. Juli 1944 zeitweise interniert war, teilte er dem Pfarrer Johann B. Neumaier mit: »Sehen Sie Herr Pfarrer, ich und meine Familie, wir waren zeitlebens religiös kalte, ganz uninteressierte Leute. Wir beteten nicht, gingen nie in die Kirche, keine Sakramente, allerdings gegen den Glauben oder die Kirche haben wir auch nicht gearbeitet.« Erst im Gefängnis habe er zu Gott gefunden (zit. n. Johann Neumaier: Mein Leidensweg, S. 12, ADPSJ, 47, Nr. 805). 40 Die Tochter eines Nürnberger Senatspräsidenten lernte Hamm im Umfeld des AGV München kennen und heiratete sie im August 1907. Aus ihrer Ehe sollten drei Kinder hervorgehen. 41 Vgl. Gottfried Hamm: Kurze Erinnerungen an Eduard Hamm (1879–1944) (Manuskript), (Erlangen, 15. Dezember 1946), NL Hamm (Privatbesitz Hamburg). 42 Seine Tochter schrieb später hierzu: »Sein Gemüt verlangte nach dem Wunderbaren der katholischen Kirche, sein klarer Verstand wies ihn zu den Predigern des Protestantismus. […] Seinen ewig forschenden und grübelnden Geist war die Welt des Katholizismus manchmal zu eng, aber auch der Protestantismus bedeutete eine Enttäuschung für ihn, einmal fühlte er sich als stark ästhetisch eingestellter Mensch vom protestantischen Gottesdienst zu wenig angesprochen, dann aber fand er echte Verinnerlichung nur bei wenigen, bedeutenden

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später auch seine politische Prägung an: Er sei »vom Liberalismus erfasst« worden, »aber doch noch mit Traditionsgefühl an seine Kirche gebunden«. Trotzdem habe er sich »etwas entwurzelt« gefühlt.43 Der politische Liberalismus spielte für Geßler und Hamm also schon während ihres Studiums eine wichtige Rolle. Ein Blick auf Hamms bevorzugte politische Literatur in diesem Zeitraum ließ bereits erkennen, dass er sich bei den bereits erwähnten »Jungliberalen« und in der jüngeren Generation des »NaumannKreises« politisch aufgehoben fühlen würde.44 Aktives politisches Engagement setzte dennoch bei Hamm und Geßler erst nach ihrem Studium ein. Dabei stand Geßler im Gegensatz zu Hamm früh für parteipolitische Posten zur Verfügung. Für beide schien der Berufseinstieg jedoch zunächst wichtiger als die politische Karriere. Hamm trat als Beamter in den bayerischen Staatsdienst ein, wo er mit Unterbrechungen bis 1919 verblieb45: Seinen Dienst trat er 1906 als Hilfsreferent im bayerischen Justizministerium an, fungierte dann als Dritter Staatsanwalt des Landgerichts München II, um anschließend zunächst den Posten des Rechtsrats in Lindau am Bodensee, dann den des Bezirksamtsassessors in Memmingen zu übernehmen. 1911 in die Landesverwaltung ins Staatsministerium des Innern zurückgekehrt, wurde er 1916 als Vertreter Bayerns zur Zentral-Einkaufsgesellschaft nach Berlin versetzt, ehe er in München zunächst in der bayerischen Landesfettstelle und schließlich als Legationsrat im bayerischen Staatsministerium des Äußeren Verwendung fand. Geßler begann seine juristische Karriere 1903 in München.46 Gleich Hamm trat er als Hilfsreferent ins bayerische Justizministerium ein, ging von dort aus als 3. Staatsanwalt ans Landgericht Straubing und wurde 1905 Gewerberichter in München. Nur auf seine bis dahin gewachsenen politischen Beziehungen lässt sich seine Wahl zum Bürgermeister von Regensburg 1911 und zum Oberbürgermeister von Nürnberg 1913 zurückführen. Bereits 1904 ließ sich Geßler in Straubing vom dortigen »Jungliberalen Verein« zum Vorsitzenden wählen.47 Die »Jungliberalen« suchten, nachdem sie sich um die Jahrhundertwende auf Reichsebene innerhalb der rechtsstehenden Vertretern. Anstatt nun aber, wie viele geistig hochstehende Menschen unserer Zeit den religiösen Fragen und den Kirchen gegenüber gleichgültig zu werden, versuchte er aus jeder der beiden Konfessionen das ihm Gemässe herauszuholen. Er ging oft in die katholische Kirche, dazwischen jedoch hörte er die Predigten bedeutender evangelischer Geistlicher« (Gertrud Hardtwig-Hamm: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110, S. 8). 43 Elly Heuss-Knapp: »Persönliche Erinnerungen an Dr. Eduard Hamm« (Manuskript, o. D.), NL Hamm (Privatbesitz München). 44 Hamms Bruder Gottfried wusste später zu berichten, dass sein Bruder bereits in seiner Studienzeit Werke von Friedrich Naumann und Paul Rohrbach las (vgl. Gottfried Hamm: Kurze Erinnerungen an Eduard Hamm (1879–1944), NL Hamm (Privatbesitz Hamburg)). 45 Vgl. seinen Personalakt BayHStA, MInn 57604. 46 Im gleichen Jahr heiratete er Maria Helmschrott, mit der Geßler zwei Söhne bekommen sollte, die jedoch beide bereits aufgrund von Krankheiten in den 1920er Jahren verstarben. 47 Vgl. Stoller, Dr. Otto Geßler, S. 29.

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Nationalliberalen Partei gebildet hatten, eine »Synthese nationaler, liberaler und sozialer Ideale« zu erreichen.48 Damit waren sie den Ideen Friedrich Naumanns sehr zugetan, der politisch in die gleiche Richtung dachte und auf Reichsebene eine engere Verbindung von »Demokratie und Kaisertum« propagierte.49 Auch Hamm gehörte ab dieser Zeit »als Mitarbeiter zu den jungliberalen Vereinen«50 und wurde Mitglied des »Naumann-Kreises« in München.51 Ein erster belegbarer, gemeinsamer Ausflug der Familien Hamm und Geßler nach Bregenz im Juni 1908 lässt darauf schließen, dass sich Hamm und Geßler zu diesem Zeitpunkt schon näher gekannt haben.52 Hamm hatte im Februar 1908 seine Stelle in Geßlers »Heimat« Lindau am Bodensee angetreten. Zu einem ersten Kennenlernen zwischen beiden könnte es zuvor bereits in München im Rahmen des »Naumann-Kreis« gekommen sein. Trotz seiner politischen Nähe zu Naumann kam es nur zufällig zu einer persönlichen Begegnung zwischen Naumann und Hamm in Lindau im Juli 1908. Sie sollte wohl die einzige bleiben.53

48 Gessler, Reichswehrpolitik, S. 543. 49 Vgl. F. Naumann, Demokratie und Kaisertum, wo Naumann das Bild eines sozialen und demokratischen Caesars an der Spitze der Nation entwarf. 50 Zit. n. Leber u. a., Gewissen, S. 356. Diese Aussage stammte von einem der engsten politischen Freunde Eduard Hamms, dem Mediziner und späteren Rektor der Universität Frankfurt, Georg Hohmann. Hohmann gehörte in jenen Jahren zu den Hoffnungsträgern der »jungliberalen« Bewegung in Bayern. In den ersten Bayerischen Landtag sollte er 1919 als Abgeordneter der DDP einziehen. In seiner Autobiographie ging er auf sein freundschaftliches Verhältnis zu Eduard Hamm ein (vgl. Hohmann, Arzt, S. 178). 51 Dass Hamm sich wahrscheinlich bereits dem »Nationalsozialen Verein« Naumanns und dann sicher dem Münchener »Naumann-Kreis« verbunden fühlte, berichtete seine Tochter einige Jahre später: »Der Sozialismus lehnte damals das Christliche ab und stand im Gegensatz zur nationalen Denkweise. Eine Verbindung von beiden Elementen, dem sozialen und dem nationalen gab es nur in der Bewegung von Friedrich Naumann (…). Zu dieser politischen Gruppe fand der Vater schon sehr früh, noch während seiner Schulzeit, und ist ihr dann sein Leben lang treu geblieben« (Hardtwig-Hamm: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm, (Frühjahr 1947), BayHStA, NL Hamm 110, S. 11). 52 Vgl. Familienchronik von Eduard und Maria Hamm. 1. Buch (1907–1918), NL Hamm (Privatbesitz München). Hamms Frau Maria verfasste die kurzen und unregelmäßigen Tagesnotizen. Ihr Eintrag vom 8. Juni 1908 über ihren gemeinsamen Ausflug mit der Familie Geßler erweckt den Anschein, dass sie selbst Geßler hier zum ersten Mal traf, schreibt sie doch von »Dr. Geßler und Frau und 2 Kindern aus München«. In der Folge sollte sich zwischen beiden Familien und insbesondere zwischen den beiden Familienoberhäuptern eine enge, über das politische Tagesgeschäft weit hinausgehende Freundschaft entwickeln. 53 Zu einem zufälligen Treffen zwischen beiden kam es anlässlich eines Kinderfestes am 14. Juli (vgl. Familienchronik von Eduard und Maria Hamm. 1. Buch (1907–1918), NL Hamm (Privatbesitz München)). Hamm schrieb in seinen Erinnerungen über dieses Gespräch: »So traf ich bei dem alljährlichen Kinderfest in den Landtoranlagen zufällig einen besinnlichen Besucher, in dem ich alsbald Friedrich Naumann erkannte. Ich sprach ihn an, erzählte ihm etwas von Entstehung und Sinn des Festes […] und einiges von Lindau und verabschiedete mich wieder von dem freundlich interessierten, aber wie üblich wortkargen Mann« (Lebenserinnerungen Eduard Hamm, NL Hamm (Privatbesitz Hamburg)).

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Aus seiner politischen Einstellung machte Hamm in seiner Zeit in Lindau keinen Hehl. Doch obwohl seine liberale Gesinnung und insbesondere seine Ablehnung gegenüber dem in Lindau stark vertretenen Zentrum bekannt waren, kam er mit allen aktiven Parteien der Gemeinde gut aus.54 Erst die Einführung des neuen bayerischen Gemeindewahlrechts im Frühjahr 1909, das zur Ausdehnung der Stimmberechtigten und zur Verhältniswahl führte, ließ ihn an seinem weiteren Fortkommen als Liberaler innerhalb der bayerischen Kommune zweifeln, wobei er die Forderung nach Mitbestimmung anderer Bevölkerungsgruppen durchaus als verständlich wahrnahm.55 Kompromissbereitschaft, das Bemühen, Sachverhalte und Positionen aus anderen Perspektiven zu betrachten, sowie die Fähigkeit, sich dem politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist anzupassen ohne dabei seine Grundüberzeugungen aufzugeben, zeichneten Eduard Hamm schon in seinen frühen Berufsjahren im Königreich Bayern aus. Im Gegensatz zu Hamm, der fortan seine berufliche und politische Zukunft nicht mehr in der Kommune sah, schlug Geßler eben jenen Weg ein. Die bereits erwähnte Gründung der »Liberalen Arbeitsgemeinschaft« 1910 in Regensburg führte sozusagen zu einer weiteren Institutionalisierung der »Jungliberalen«. Hier konnten sie sich politisch einbringen und austauschen. Geßler, der sich im Raum Regensburg und Straubing bereits politisch einen Namen gemacht hatte, wurde zum ersten Vorsitzenden der »Arbeitsgemeinschaft« gewählt. Er verstand es, das ihm besonderes Renommee und eine politische Machtbasis einbringende Amt als berufliches Sprungbrett zu nutzen. Nachdem der bisherige Erste Bürgermeister von Regensburg unerwartet verstorben war, wählten die Stadtverordneten Geßler mit Zweidrittelmehrheit zum 1. Januar 1911 zu seinem Nachfolger. Dies war offenbar in erster Linie dem Betreiben des linken Flügels der Liberalen zu verdanken.56 54 Lebenserinnerungen Eduard Hamm, NL Hamm (Privatbesitz Hamburg). 55 »Ein starkes Vordringen von Rot-Schwarz war davon [von dem neuen Gemeindewahlrecht: d. Vf.] zu erwarten. In der Tat hatte in manchen bayerischen Städten, am schlimmsten in Nürnberg, liberale Bürgerschaft allzulang vielfach jede Mitwirkung anderer Richtungen abgewehrt. So kam ich zu der Auffassung, dass für Leute meiner politischen Richtung im bayerischen Gemeindedienst die Aussichten sehr unsicher sein würden« (Lebenserinnerungen Eduard Hamm, NL Hamm (Privatbesitz Hamburg)). 56 Geßlers Wahl war tatsächlich mehr als umstritten: Vor allem die Zentrumsfraktion sah Geßler »auf der schärfsten Richtung des radikalen zentrumsfresserischen Jungliberalismus« und war der Ansicht, dass ein Stadtoberhaupt das Vertrauen der gesamten Bürgerschaft genießen müsse (»Zur Bürgermeisterwahl in Regensburg«, in: Regensburger Anzeiger. Nr. 621. 12. Dezember 1910, Personalakt Otto Geßler, BayHStA, MInn 80408). Feinde hatte sich Geßler offenbar in seiner Münchener Richterzeit auch in Kreisen der Altliberalen und der Arbeitgeber gemacht, so dass sich manch ein politischer Beobachter dieser Tage die Frage stellte, ob Geßler tatsächlich ein Liberaler oder eigentlich ein »Sozi« sei (vgl. »Der neue Oberbürgermeister von Regensburg«, in: Donau-Zeitung. Nr. 564. 13. Dezember 1910, Personalakt Otto Geßler, BayHStA, MInn 80408). In diesem Artikel hieß es weiter, dass sowohl Altliberale und Arbeitgeberkreise in München froh sein würden, Geßler los zu sein: »Er hat ihnen das Konzept oft genug verdorben. Daß er von den Regensburger Liberalen so allgemein akzeptiert

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Spätestens durch seine Amtszeit als Erster Bürgermeister von Regensburg und seine damit verbundene Mitgliedschaft im Bayerischen Städtetag erlangte Geßler überregionale Bekanntheit. Nicht einmal drei Jahre später erreichte Geßler das Angebot aus Nürnberg, in der fränkischen Großstadt Oberbürgermeister zu werden. Im Dezember 1913 erfolgte seine Wahl durch die Nürnberger Stadtverordneten, einer Koalition aus Liberalen und Sozialdemokraten.57 Während seiner Amtszeit von Januar 1914 bis Oktober 1919 standen kommunalpolitische Initiativen ganz im Zeichen des unerwarteten Ersten Weltkrieges, des Zusammenbruchs der Monarchie im November 1918 und der Münchener Räterepublik im April 1919.58 Die Kriegsfürsorge, Unterstützung der Nürnberger Unternehmen bei ihrer Umstellung auf Rüstungsproduktion und die Bewältigung der sich im Verlauf des Krieges kontinuierlich verschlechternde Ernährungslage zählten nun zu seinen Aufgaben, die er – wie es auch seinem späteren Politikstil entsprach – sehr pragmatisch und zielführend anging.59 Dabei setzte er im »roten Nürnberg« von Beginn an auf Parteienkonsens, wodurch seine Stadt im Vergleich zu München von politischen Unruhen weitgehend verschont blieb.60 Geßler musste sich mit den unmittelbaren Folgen des Krieges auf die Ernährungslage, den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Lage in Nürnberg, bald auch für ganz Bayern auseinandersetzen. Mit ähnlichen Problemen hatte sich in diesen Wochen und Monaten auch Eduard Hamm auseinanderzusetzen.61

wurde, ist nach allem, was vorausgegangen war, überraschend. Ob der Katzenjammer nicht nachfolgen wird, kann man dahingestellt sein lassen. Ein radikaler jungliberaler Oberbürgermeister von Regensburg ist mindestens eine Kuriosität« (ebd.). Die Forderung einer aktiven Sozialpolitik und somit ein scheinbarer Brückenschlag zur Sozialdemokratie war – wie bereits beschrieben – ein Kennzeichen der »jungliberalen« Bewegung. In seiner Amtszeit in Regensburg führte Geßler unter anderem eine kommunale Arbeitsfürsorge ein. Zu Geßlers Bürgermeistertätigkeit in Regensburg existiert noch keine wissenschaftliche Darstellung. Es sei jedoch verwiesen auf einige interessante Hinweise in der biographischen Skizze Geßlers bei Heigl, Regensburg, S. 187–192. 57 Vgl. Stoller, Dr. Otto Geßler, S. 30. Über seine Jahre in Nürnberg verfasste Geßler retrospektiv eine eigene Schrift in einer Festgabe für den bayerischen Kronprinzen Rupprecht (vgl. Gessler, Bürgermeisterstuhl, S. 98–126). 58 Auf Revolution und Räterepublik in Bayern 1918/19 wird in Kap. III.2 eingegangen werden. 59 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 45–50. Geßler beschrieb die ihm unerwartet zufallenden Herausforderungen folgendermaßen: »Schon im Laufe der Mobilmachung zeigte sich, wie stark ein moderner Krieg mit Massenaufgebot in das ganze öffentliche Leben eingreift. […] Dabei traf der Krieg wie die ganze Wirtschaft, so auch die Stadtverwaltungen völlig unvorbereitet. Von oben waren weder Anweisungen gegeben noch Vorkehrungen getroffen für die Lösung der unmittelbar auftauchenden wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Wir waren also ganz auf eigene Initiative und selbständiges Handeln angewiesen« (ebd., S. 545). 60 »Wir haben in unserer Gemeindeverwaltung mit dem parteipolitischen Burgfrieden Ernst gemacht«, so Geßler (ebd.). 61 Hamm war 1916 als Vertreter Bayern in den Vorstand der Zentral-Einkaufsgesellschaft (ab Mai 1916 Kriegsernährungsamt) in Berlin berufen worden, die im Verlauf des Krieges die Lebensmittelversorgung des Reiches teilweise verstaatlichte.

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An dieser Stelle würde es zu weit führen, auf die Ursachen und den Verlauf des Ersten Weltkrieges einzugehen.62 Dass die Rüstungspolitik der Wilhelminischen Ära, die von einem Großteil der deutschen Bevölkerung und der Parteien mitgetragen wurde, ihren Anteil an den Entwicklungen hin zum Juli / August 1914 hatte, steht außer Zweifel. Ganz im Naumannschen Sinne waren auch Geßler und Hamm Anhänger dieser »Weltpolitik«.63 Anlässlich einer Rede zum 10. Todestag Otto von Bismarcks griff Hamm in Lindau 1908 bestimmte, auch im »Naumann-Kreis« vorhandene, und vor allem von Rohrbach propagierte Positionen zur Wilhelminischen Außenpolitik auf.64 Als sich im Verlauf des Ersten Weltkrieges die imperialen Träume des Kaiserreiches zerschlugen, fiel die Reaktion Friedrich Naumanns pragmatisch aus. Er schuf mit seinem Opus Magnum »Mitteleuropa« ein neues identifikationsstiftendes, außenpolitisches Konzept, das eine auf Mittel- und Südosteuropa beschränkte Kompensation der imperialen Vorstellungen vergangener Tage darstellte.65 Wenn es auch die Überhöhung der deutschen Kultur propagierte, so muss festgehalten werden, dass Naumann den kleinen Staaten ihre Autonomie weitgehend belassen und sie lediglich im Rahmen wirtschaftlicher und militärischer Vereinheitlichung unter deutsche Hegemonie stellen wollte. Sein Ansatz war somit »machtpolitisch inspiriert, aber verfassungspolitisch föderativ«.66 62 Die Forschung zum Ersten Weltkrieg hat anlässlich der 100-jährigen Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkrieges starken Auftrieb erhalten. Zur weiteren Vertiefung sei verwiesen auf Leonhard, Büchse der Pandora. 63 Vgl. zur »Weltpolitik«-Idee des Bürgertums und der Linksliberalen im Kaiserreich im Besonderen Theiner, Sozialer Liberalismus; außerdem Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II., S. 630 f. 64 Aus den Worten Eduard Hamms wird die Bedeutung besonders deutlich, die er damals – den außenpolitischen Gedankengängen Naumanns und Rohrbachs folgend – der Außenpolitik für die Lösung der sozialen Probleme in Deutschland zumaß: »Neue Zeiten, neue Ziele! In mancher Hinsicht stehn wir nicht mehr in Bismarcks Zeit. Immer wieder kehrt bei ihm der Gedanke [wieder], dass mit den Errungenschaften von 1870/71 das deutsche Volk politisch und wirtschaftlich gesättigt sei. Freilich, die Einigung haben wir uns erkämpft […]. Aber unser Volk wächst und wir freuen uns dessen im völkischen Ehrgeiz, denn wir brauchen Volksmassen, damit wir Weltmacht bleiben gegenüber den Riesenreichen der Briten, Russen und des neuen Weltteils, und deutsches Denken, Fühlen und Schaffen eine Macht bleibe in der Menschheit und für die Menschheit. Die Massen aber brauchen Arbeit und Raum. Um ihretwillen vor allem bedürfen wir des Panzerkleides unserer Rüstung zu See und Land, damit deutscher Fleiß sich entfalten und deutsche Schiffe alle Meere befahren können »Bismarckrede zum 10jährigen Todestag am 30. Juli 1908«, NL Hamm (Privatbesitz München). Die Rede stammt aus einem Heft, in dem Hamms Frau Maria Hamm, geb. von Merz, die wichtigsten Reden ihres Mannes handschriftlich aufgezeichnet hat. Eine ähnliche Rede hielt Eduard Hamm 1911 in Memmingen. Aus dieser zitiert Hardtwig, Hamm, S. 319 f. 65 Vgl. F. Naumann, Mitteleuropa. Zu Naumanns Mitteleuropa-Konzept vor allem Frölich, Friedrich Naumanns »Mitteleuropa«, S. 245–267. 66 Hardtwig, Friedrich Naumann, S. 9–28, hier S. 27 (auch abgedruckt in: Ders., Deutsche Geschichtskultur, S. 289–311, hier S. 308).

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Naumann muss man retrospektiv zu großen Optimismus hinsichtlich der Umsetzbarkeit seiner Mitteleuropa-Idee unterstellen. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich seine Vorstellungen sehr prägend auf seine Anhänger­ schaft auswirkten.67 Auch Geßler bezeichnete Bismarck und Naumann als »die beiden Leitsterne« seiner politischen Prägung.68 Gleich Hamm verstand er die Reichseinigung als die größte Errungenschaft Bismarcks. Diese ging jedoch nicht soweit, dass die einzelnen deutschen Staaten ihrer Eigenständigkeit beraubt worden waren. Der Föderalismus des neuen Reiches stand laut Geßlers frühem Biographen »in voller Harmonie zum bayerischen Staats- und Selbstbewußtsein und zur treuen Anhänglichkeit an das bayerische Königshaus«.69 Auch Hamm zeigte sich in dieser Hinsicht Zeit seines Lebens als ein Verehrer Bismarcks. Dieser habe »die Deutschen zum Staatsvolk« gemacht, indem er den »Zusammenschluss von Nord und Süd zu dem einen Reich« erreicht habe. Der Reichskanzler Bismarck habe staatspolitisch eine Politik der inneren Einheit betrieben. Von der Reichseinheit haben alle Reichsteile profitiert.70 Otto Geßler und Eduard Hamm waren somit in der politischen Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts aufgewachsen und zählten zu jenen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einerseits den »Bismarck-Mythos« hochhielten, andererseits die Abkehr von dessen Außenpolitik der Saturiertheit befürworteten. Innenpolitisch traten sie als Anhänger Friedrich Naumanns für liberale Ideen ein, insbesondere denjenigen nach einer intensiveren Sozialpolitik und der Aufrechterhaltung des Bismarckschen Föderalismus. Alle drei – Geßler, Hamm und Sperr – waren Anhänger des Bismarck-Reiches. Vor allem begrüßten sie dessen föderale Struktur. Sperr entstammte einer mit dem Geschlecht der Wittelsbacher eng verbundenen Familie und fühlte sich zudem als bayerischer Offizier an Bayern und die Monarchie gebunden. Die Verteidigung des Föderalismus sollte auch in der Folgezeit für ihn oberste Priorität

67 Die Nachwirkungen »Mitteleuropas« werden u. a. bei Kurlander, Living with Hitler beschrieben, der vor allem auch den Missbrauch des Konzepts durch die Nationalsozialisten skizziert: »On the contrary, the Nazis had in many ways appropriated (and perverted) liberal concepts (Mitteleuropa, Volksgemeinschaft, Anschluss, treaty »revision«) and arguments (self-determination, opposition to western imperialism, the need for Lebensraum) developed and defended by Weimar Democrats before and after the First World War« (ebd., S. 150). – Auf die Bedeutung des Mitteleuropa-Konzepts für die Liberalen Eduard Hamm und Otto Geßler und ihre unter diesem Einfluss stehende Sicht auf die NS-Außenpolitik bis 1939 soll an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen werden (vgl. Kap. V.2.a). 68 Gessler, Reichswehrpolitik, S. 44. 69 Ebd., S. 43. 70 Rede Eduard Hamm anlässlich der Einweihung eines Bismarck-Denkmals in Lindau am Bodensee (1931), NL Hamm (Privatbesitz München). Hamm führte zugleich die Sozialgesetzgebung als ein Aushängeschild Bismarckscher Innenpolitik an, die »staatlichem Denken entwachsen« sei. Dagegen habe er sich im Kulturkampf sowohl im Ziel als auch in den Mitteln vergriffen.

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haben. Die bürgerliche Herkunft Geßlers und Hamms wies zwar in eine ähnliche Richtung; auch sie fühlten sich Bayern und der Wittelsbacher Monarchie verbunden. Doch zogen beide ihren politischen Wertekompass aus einer anderen Quelle, nämlich der des politischen Liberalismus. Der dezentrale, föderale Staat war ein wichtiger Bestandteil der Naumannschen Lehre, der sie spätestens seit der Jahrhundertwende anhingen. Getreu ihrer politischen Sozialisation betrachteten Hamm und Geßler die föderalen Elemente des Bismarck-Reiches – im Gegensatz zu Sperr – in der Folgezeit nicht allein aus einer dezidiert bayerischen Perspektive. Sie verstanden sich als Reichspolitiker und ergriffen in den frühen und späten Jahren der Weimarer Republik sowohl Partei für die Einheit und Integrität des Reiches als auch für die bayerische Eigenstaatlichkeit. Bevor ihr tatsächliches politisches Handeln vor dem Hintergrund des Dualismus Reich-Bayern näher untersucht wird, sollen zunächst die für ihre Motivation zum Widerstand gegen Hitler bedeutsamen Jahre 1918/19 mit Revolution und Räterepublik in Bayern näher beleuchtet werden, sowie ihre persönlichen Empfindungen und nachträglichen Äußerungen zu diesen Ereignissen Berücksichtigung finden.

2. Das »Trauma« des Bürgertums: Revolution und Räterepublik in Bayern 1918/19 Franz Sperr wollte, wie sich seine Schwägerin rückblickend erinnerte, im Novem­ ber 1918 nicht zu jenen zählen, die den bayerischen König in dieser schweren Stunde im Stich ließen.71 Er selbst verwies später auf die Empfindungen seiner Eltern: »Dann kam der Zusammenbruch. Den Eltern, die das Werden des Reiches miterlebt hatten, denen Ordnung, Recht und Gesetz und deren Innehaltung etwas Selbstverständliches waren, erlebten nun das Emporkommen der übelsten Elemente in der Revolution, erlebten die schweren Bruderkämpfe im Reich, den Gewaltfrieden und all das Elend im Gefolge dieser Selbstzerfleischung und feindlichen Unbarmherzigkeit. […] Namentlich der Vater hat das nie überwunden.«72

71 Vgl. Frida Sperr an Ricarda Huch (5. Februar 1947), IfZ, ZS / A 26a/3, Bl. 53–58, hier Bl. 57. 72 Familienbuch der Familie Sperr. Band 1. (begonnen Weihnachten 1935). StadtAM, Familien 544/I. Auch andere spätere Anhänger des »Sperr-Kreises« wiesen auf den Einschnitt der Revolution hin: »Da war für mich eine Welt zusammengebrochen, eine Welt, in der ich aufgewachsen war, der ich die ganze Liebe meiner Jugend gewidmet hatte« (Fugger von Glött, Weg in den inneren Widerstand, S. 76–93, hier S. 76). Ähnlich wie dem Augsburger Joseph Ernst Fugger von Glött, der in eine tiefe Depression verfiel und die innere Immigration einer Beteiligung am Gelingen der ersten deutschen Demokratie vorzog, empfanden viele im Königreich Bayern politisch sozialisierte Landsleute.

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Wie auf Reichsebene73 brach auch im Königreich Bayern im November 1918 die Revolution aus. Die revolutionären Ereignisse in Bayern 1918/19 dürfen derweil weder als Randerscheinung der Ereignisse auf Reichsebene betrachtet noch aus dem Zusammenhang der gesamtdeutschen Entwicklung herausgerissen werden. Eine wechselseitige Beeinflussung der Vorgänge ist anzunehmen.74 Bereits am 8. November 1918 rief der Sozialist Kurt Eisner den »Freistaat« Bayern aus. Der bayerische König Ludwig III. hatte München bereits im Vorfeld verlassen und wurde nun – wie seine gesamte Dynastie – für abgesetzt erklärt.75 Otto Geßler, zu jener Zeit amtierender Oberbürgermeister von Nürnberg, ging später in seinen autobiographischen Aufzeichnungen ausführlich auf die Situation am Ende des Ersten Weltkrieges in Bayern ein.76 Demnach sei die Revolution in Bayern abzusehen gewesen. Die Staatsregierung habe es versäumt, frühzeitig etwas zu unternehmen und vielmehr Eisner lange Zeit schalten und walten lassen.77 Er selbst habe die »allgemeine Lethargie« in den frühen Novembertagen 1918 nicht mehr ausgehalten und sei mit wenigen Gleichgesinnten zu der Auffassung gelangt, »daß keine Zeit mehr verloren werden dürfe und daß der Staat den Willen zur Selbsterhaltung energisch und eindeutig bekunden müsse«.78 So sei er beim König vorstellig geworden, um ihn auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen und den Ministerpräsidenten Otto von Dandl zum Handeln aufzufordern. Der König habe Dandl zu sich kommen lassen; der jedoch habe behauptet, dass Geßler die Situation »infolge ›Überarbeitung‹ zu schwarz sehe«79. Mit Bedauern hielt Geßler retrospektiv fest: »Meine Intervention blieb ergebnislos. Zwei Tage später versanken der alte Staat und die Monarchie.« Auch an Eduard Hamm, der als monarchietreuer Beamter in den Jahren des Krieges im bayerischen Staatsdienst und in verschiedenen Kommunen Bayerns gedient hatte, gingen Kriegsniederlage und Zusammenbruch der Monarchie 73 An dieser Stelle würde es zu weit führen, auf die revolutionären Ereignisse 1918/19 in Berlin auch nur ansatzweise gründlich einzugehen. Als kompakter Überblick über die Vorgänge von den letzten Tagen des Kaiserreiches bis zur Gründung der Weimarer Republik bietet sich unter anderem Longerich, Deutschland, S. 31–92 an. 74 Zu den Ursachen der Revolution in Bayern und einem Vergleich zwischen den Voraussetzungen und Triebkräften der Revolution im Reich und in Bayern vgl. Grau, Revolution, S. 189–206; grundlegend zudem immer noch der Sammelband von Bosl, Bayern im Umbruch. 75 Vgl. zu Ludwig III. insgesamt den Sammelband Leutheusser / Rumschöttel, König Ludwig III. 76 Gessler, Reichswehrpolitik, S. 106–112. 77 Vgl. ebd., S. 107. Geßler fügte seinen Erinnerungen eine von ihm angefertigte Aufzeichnung von Mitte November 1918 über die aktuellen Geschehnisse bei. Hier übte er zusätzlich Kritik am Bürgertum und der Beamtenschaft, die »völlig führerlos und deshalb auch ratlos« aufträten. Das »Chaos« komme in Geßlers Augen »zu plötzlich für die idyllische Ruhe der hohen Beamtenschaft«. Außerdem sei die politische Erziehung des deutschen Volkes seit jeher vernachlässigt worden, weshalb dieses nun »vor einer ganz unübersehbaren Aufgabe« stehe, »für deren Lösung es in keiner Weise vorbereitet« sei (ebd., S. 109–111, hier S. 110 f.). 78 Ebd., S. 108. 79 Ebd., S. 109. Hierher stammt auch das folgende Zitat.

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nicht spurlos vorüber.80 Überrascht war auch er nicht von den sich abzeichnenden Entwicklungen.81 Gemeinsam mit anderen hatte er versucht, dem drohenden »Einsturz« entgegenzuwirken.82 Als jedoch alle Versuche scheiterten, und die Revolution das alte System einstürzen ließ, entschloss sich Hamm, nicht in Resignation zu verfallen, sondern sich auch künftig für das Wohl des Staates einzusetzen. Er begann sich politisch aktiv zu betätigen, was ihm zuvor als Beamter im bayerischen Staatsdienst untersagt war. Mit der Politik Eisners konnte er sich allerdings nicht anfreunden. Eine der letzten Entscheidungen des Ex-Königs befreite die königlich-bayerischen Beamten zwar von ihrem Diensteid, doch fühlte sich Hamm weiter an diesen gebunden. Er lehnte es ab, Eisner den Diensteid zu leisten – im Übrigen mit nur zwei weiteren Beamten seines Ministeriums.83 Hamms ablehnende Haltung gegenüber Kurt Eisner kam besonders nach der bayerischen Landtagswahl im Januar 1919 zum Ausdruck. Diese hatte ein deutliches Ergebnis zuungunsten Eisners gebracht.84 Nachdem die Mehrheitssozialdemokraten zuvor Eisners Revolutionsregierung unterstützt hatten, war nun die große Frage, ob sie sich für »ehrliche Demokratie oder revolutionäre Diktatur in infinitum« einsetzen würden.85 Eduard Hamm sah es als »[s]taatspolitisch […] 80 Vgl. Eduard Hamm an Exzellenz von Kahr (München, 13. November 1923), BayHStA, NL Hamm 74. Hier teilte Hamm von Kahr mit, dass auch er »tief die Revolution des Jahres 1918 beklage« (ebd. S. 4 (Seitenzahl des Briefes)). 81 So berichtet es der langjähriger Kollege und Freund Dr. Rudolf Decker nach 1945: »Die gemeinsame Sorge um das Vaterland, die frühe Erkenntnis von der Unzulänglichkeit unserer wirtschaftlichen Kriegsmaßnahmen, die Einsicht in das Schwinden auch unserer militärischen Kräfte, in die Überspannung unserer Ziele, in das fortschreitende Versagen unserer Bundesgenossen und in die Zerbröckelung der inneren Geschlossenheit unserer Nation band uns damals besonders eng zusammen. Wir sahen – gleich vielen anderen – das Unheil kommen und konnten es doch nicht aufhalten« (Rudolf Decker: »Eduard Hamm« (o. D.), BayHStA, NL Hamm 110, S. 1–6, hier S. 2 (Seitenzahlen des Berichts)). Decker war im »Dritten Reich« einer der engsten Vertrauensleute Eduard Hamms im »Sperr-Kreis«. 82 Hamm zog laut Rudolf Decker den Begriff »Einsturz« dem Wort »Umsturz« vor. Im September 1918 hätten Hamm und Decker versucht, den Kabinettschef des Königs, Graf Spreti, von den »sich abzeichnenden Gefahren für den Bestand der Monarchie« zu überzeugen. Das Ergebnis des Gesprächs sei für Hamm und Decker jedoch ernüchternd gewesen: »Wir trennten uns in tiefer Erschütterung und der Überzeugung, daß der Zusammenbruch nicht mehr zu verhindern sei und ein schwerer Leidensweg für unser Volk beginne« (ebd., S. 2). 83 Vgl. ebd., S. 4. 84 Eisners USPD konnte gerade einmal 2,5 % der Stimmen auf sich vereinigen, während BVP (35 %) und MSPD (33 %) mit deutlichem Abstand als Sieger der Wahl hervorgingen und Hamms DDP auf 14 % der Stimmen kam (vgl. Zeitschrift des bayerischen statistischen Landesamtes 51 (1919), S. 247). 85 In einem Memorandum, das für den SPD-Parteivorsitzenden Erhard Auer bestimmt war, wollte Eduard Hamm genau dies wissen (Eduard Hamm: »Was nun?« (o. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 9, Bl. 52–56). Hamm übersandte das Schriftstück zur Kenntnisnahme seinem Parteifreund Otto Geßler (Hamm an Geßler (18. Januar 1919), BAK, NL Geßler (N 1032) 9, Bl. 50 f.). Geßler stellte auf dessen Rückseite ein Schattenkabinett zusammen, welches u. a. Auer als möglichen Bayerischen Ministerpräsidenten auswies (BAK, NL Geßler (N 1032) 9, Bl. 57).

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dringend erwünscht« an, die künftige Regierung auf ein breites Fundament zu bauen mit einer klaren Abgrenzung von kommunistischen Tendenzen.86 Am 21. Februar 1919 wurde Ministerpräsident Eisner durch den deutsch-­ völkisch gesinnten Studenten Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. Von seiner Amtszeit fühlten sich große Teile der bayerischen Arbeiterschaft tief enttäuscht, was sich nicht zuletzt im Ergebnis der Landtagswahl im Januar widergespiegelt hatte. Die Rufe nach Sozialisierung der Schlüsselindustrien und umfangreichen Mitbestimmungsrechten wurden nun nach Eisners Tod immer lauter.87 Die politische Lage war insgesamt sehr angespannt, und es folgte auf politischer Ebene ein Ringen um die Durchsetzung des künftigen Regierungssystems in Bayern. Parlamentarische Demokratie oder sozialistische Rätedemokratie hießen die Alternativen.88 Am 17. März 1919 wurde Johannes Hoffmann (MSPD) – zuvor Kultusminister unter Eisner  – zum Bayerischen Ministerpräsidenten und Außenminister des Freistaats durch den Landtag gewählt.89 Mit Hoffmann an der Spitze einer parlamentarischen Demokratie wollte sich die linksradikale Minderheit jedoch nicht abfinden und forderte ihrerseits die Fortsetzung der Revolution hin zu einem sozialistischen Staat in Form einer Rätedemokratie. Am 7. April 1919 riefen Linksintellektuelle die Räterepublik aus. Zu ihrem Schutz wurde eine Revolutionsarmee aufgestellt – eine »Rote Armee«. Obwohl die Regierung Hoffmann den Aufständischen München nicht widerstandslos überlassen wollte, musste sie aus Sicherheitsgründen vorerst nach Bamberg fliehen. Um dem demokratisch gewählten bayerischen Ministerpräsidenten Hoffmann seine Treue zu beweisen, machte sich auch Eduard Hamm nach Oberfranken auf. Der Gefahr, die seine klare Positionierung für die demokratisch 86 Eduard Hamm: »Was nun?« (o. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 9, Bl. 52. Hamm plädierte daher für eine Zusammenarbeit von SPD, BVP und seiner DDP. Voraussetzung für ein Zusammengehen mit Auers SPD sei jedoch in erster Linie, die »vorbehaltlose Anerkennung der Demokratie«, die »die Trennung der soz[ial]dem[okratischen] Partei von E[isner] und J[affé, bisheriger Bayerischer Finanzminister]« notwendig mache, da das Volk »mit nahezu einstimmiger Deutlichkeit gegen sie entschieden« habe (ebd., Bl. 53 f.). 87 Die sozialen Forderungen dürfen derweil nicht mit dem Ruf nach einer erneuten radikalen Umwälzung des politischen Systems verwechselt werden. Denn »eine politische Ordnung nach dem Grundsatz ›Alle Macht den Räten‹ strebte auch im Frühjahr 1919 nur eine Minderheit der Arbeiter an« (Winkler, Weimar, S. 82). 88 Eine allgemeine Münchener Räteversammlung wählte zwar einen Zentralrat der bayerischen Republik, der sich aus Anhängern von MSPD, USPD und KPD zusammensetzte. Dieser erkannte aber die Rechte des Bayerischen Landtags ausdrücklich an. Als ein von diesem Zentralrat am 28. Februar einberufener Rätekongress sich gegen die Ausrufung einer sozialistischen Republik wandte, traten Teile der radikalen Linken aus dem Zentralrat aus. Gleichsam lehnte die MSPD die Beteiligung an einer vom Rätekongress eingesetzten provisorischen Regierung nach der Ermordung Eisners ab, da sie davon überzeugt war, dass nur eine vom Volk legitimierte Regierung dem politischen System Stabilität verleihen konnte (vgl. ebd., S. 77). 89 Die Zusammenfassung der folgenden Ereignisse bezieht sich – wenn nicht anders vermerkt – auf die knappe Darstellung der Münchner Räterepublik bei Ullrich, Revolution.

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legitimierte Regierung für sein eigenes Leben und das seiner Angehörigen bedeutete, war er sich offenbar bewusst.90 Denn Hoffmann hatte nach einer erfolglosen Entsetzung Münchens Mitte April 1919 Freikorps aufstellen lassen, woraufhin die Rotgardisten ihrerseits mit Geiselnahmen aus dem bürgerlichkonservativen und völkisch-rechten Lager reagierten. Erst nach Verstärkung der Freikorps durch Reichswehrtruppen gelang Anfang Mai 1919 die Niederschlagung der Räterepublik. Die Ermordung von Angehörigen der »Roten Armee« und unbeteiligten Zivilisten durch FreikorpsMitglieder beantworteten die Rotgardisten ihrerseits mit der Hinrichtung von Geiseln im Münchener Luitpold-Gymnasium. Dieser vielbeachtete Racheakt erleichterte es den Siegern, die nun im Besitz der Deutungshoheit waren, die Räterepublik insgesamt als »Schreckensherrschaft« zu verurteilen und das Bild vom »Blutigen Fiasko« fest und langfristig im Gedächtnis des bayerischen Bürgertums zu verankern91, während der »Weiße Terror« in der Regel verschwiegen wurde.92 Dies wirkte zwar auf der einen Seite innerhalb des bürgerlichen Lagers identitätsstiftend, da es zu einem antikommunistischen Gründungskonsens beitrug. Auf der anderen Seite förderte und verschärfte es aber die Grabenbildung sogar zu den gemäßigten linken Gruppierungen in Bayern. Ein Misstrauen gegenüber linkem Gedankengut sorgte schließlich dafür, dass man sich in den letzten Monaten der Weimarer Republik in Bayern nicht auf eine gemeinsame, die Demokratie stärkende Zusammenarbeit zwischen BVP und SPD verständigen konnte. Die Erfahrungen der Jahre 1918/19 wirkten sich sowohl auf die Motive und Ziele als auch auf die Zusammensetzung des späteren »Sperr-Kreises« aus. Einen kausalen Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen dieser Jahre und einer späteren Beteiligung an den Vorbereitungen für eine Zeit nach dem Untergang des »Dritten Reiches« leitete in der Rückschau Otto Geßler bei der Gedenkfeier für Franz Sperr im Dezember 1950 her. Die Erinnerung an das Jahr 1918 und seine Folgen hätten seine Verbündeten und ihn dazu veranlasst, »alles vorzubereiten um zu verhindern, dass sich auch dieses Mal wieder die Unterwelt in den Besitz der Macht in der bayerischen Heimat setzt.«93 Der Zusammenbruch der 90 Vgl. Gertrud Hardtwig-Hamm: Zum Gedenken an Herrn Reichsminister a. D. Dr. h. c. ­Eduard Hamm (o. D.), BayHStA, NL Hamm 110, S. 1–12, hier S. 9 (die Seitenzahlen beziehen sich auf das Manuskript). 91 Vgl. zu den Geiselnahmen unter anderem »Der Geiselmord in München«; daneben als zeitgenössische Darstellungen zur Geschichte der Räterepublik Karl, Schreckensherrschaft; Breuer, Fiasko. 92 Tatsächlich gehört die einseitige Darstellung einer konsequenten Gewaltherrschaft auf der einen und eine dem Frieden dienenden Befreiungsmaßnahme ohne blutige Auswüchse auf der anderen Seite ins Reich der Fabeln (vgl. Hillmayr, Roter und Weißer Terror). 93 »Ausführung von H. Minister a. D. Dr. Geßler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9. Dezember 1950, BAK, NL Geßler (N 1032) 36. Ähnlich hatte sich Geßler in einem Schreiben an den Landgerichtspräsidenten a. D. Rudolf Flach ausgedrückt: »Schon im Jahre 1942 wurden von einer kleinen Anzahl patriotischer Männer im Hinblick auf den zu erwartenden Zusammenbruch des Nationalsozialismus, Gedanken angestellt, wie bei

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Monarchie und die nachfolgenden Ereignisse der Jahre 1918/19 empfanden die führenden Männer des »Sperr-Kreises« als traumatisches Ereignis, so traumatisch sogar, dass es als ursprüngliches Motiv für ihre Arbeit an einer »Auffangorganisation« noch vor Kriegsausbruch 1939 angesehen werden kann.94

3. Die Dauerkrise: Bayern und das Reich im Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik 1918 bis 1933 Die Rolle Bayerns in der Weimarer Republik schien also von Beginn an unter keinem guten Stern zu stehen. Dies sollten auch die folgenden Jahre zeigen, als die Gegensätze zwischen den Regierungen im Reich und in Bayern offen zu Tage traten. Der Konflikt erreichte dabei im Kriesenjahr 1923 seinen vorläufigen Höhepunkt. Während Berlin zur Begründung tiefgreifender Entscheidungen stets auf außen- und innenpolitische Notwendigkeiten hinwies, diese jedoch nicht hinreichend verständlich machte und die kulturellen Eigenheiten Bayerns nur selten ins Kalkül zog, fehlte in München das Verständnis für die Belange des Reiches. Man war nicht bereit, Reichsinteresse auch als bayerisches Interesse anzuerkennen. Vor allem die zuständigen Beamten sowie Reichs- und Landespolitiker, die an den Schnittstellen dieser beiden divergierenden Pole arbeiteten, mussten in diesen Jahren großes diplomatisches Geschick aufwenden, um zwischen beiden Seiten zu vermitteln und, wenn möglich, einen Ausgleich herzustellen. Diese Aufgabe kam unter anderem dem bayerischen Beamten Franz Sperr sowie den Politikern Eduard Hamm und Otto Geßler zu, die in ihren jeweiligen Positionen in Berlin und München stets darauf bedacht waren, der Einheit und der Souveränität des Reiches sowie dem gerechtfertigten Verlangen Bayerns nach weitgehender Selbständigkeit gleichermaßen gerecht zu werden. Dabei konnten sie – im Gegensatz zu vielen ihrer Landsleute – die außenpolitischen Zwänge, in denen sich Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg befand, aus nächster Nähe in Berlin wahrnehmen. Dagegen wurde die Reichsregierung in München nicht selten mit dem »roten Preußen« gleichgesetzt sowie unitarische Tendenzen und eine beabsichtigte Beschneidung des föderalen Aufbau des Reiches vermutet. Die Beteiligung der Reichswehrtruppen an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik hatte 1919 bereits gezeigt: Das Reich, das sich soeben als pardem drohenden Chaos der Heimat geholfen werden könnte. Es waren 5 oder 6 Männer, hohe Verwaltungsbeamte, die ihre Erfahrung aus dem Jahr 1918 hatten und in der Weimarer Zeit in verantwortlicher Stellung waren […]. Zweck war zu verhindern, dass die Unterwelt wie 1918/19 sofort die Herrschaft in die Hand bekam« (Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg im Allgäu, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5). 94 Hierzu ausführlich in Kap. VI.1.

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lamentarische Demokratie konstituierte, würde es auch künftig nicht hinnehmen, dass sich im zweitgrößten Land des Reiches entweder ein kommunistisches oder ein nationalistisches Herrschaftssystem etablieren würde, das womöglich auf eine Abspaltung Bayerns vom Reich hinarbeitete. Das Machtmonopol des Staates wollte und konnte Berlin nicht aus den Händen geben. Der Konflikt um die bayerischen Einwohnerwehren, die nach der Niederschlagung der Räterepublik zunächst als Selbstschutzorganisationen auch im Sinne Berlins entstanden, sich dann jedoch der politischen Rechten zuwandten, veranschaulicht dies eindrücklich. Aufgrund der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Abrüstungs- und Entwaffnungsbestimmungen, auf die insbesondere Frankreich pochte, das bei Nichteinhaltung mit Besatzung drohte, konnten die Einwohnerwehren vom Reich nicht weiter geduldet werden. Nach den politischen Morden an dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger im August 1921 und Reichsaußenminister Walther Rathenau im Juni 1922 sollten es die erlassenen Gesetze zum Schutz der Republik sein, die sich vor allem gegen die politische Rechte wandten. Aufgrund dieser als einseitig aufgefassten Stoßrichtung wurden die Maßnahmen in Bayern nicht selten als linke und nationalfeindliche Politik aufgefasst und als Eingriff in die staatlichen Hoheitsrechte Bayerns empfunden. Besonders Eduard Hamm trat, was im folgenden Kapitel analysiert werden wird, in jenen Jahren immer wieder als politischer Vermittler in Erscheinung, indem er beide Seiten auch um Verständnis für die jeweilige andere Position zu bitten bemüht war. Wenn er den ständigen Kampf gegen die Einheit des Reiches aufs Spiel setzende Tendenzen auch vorübergehend verlor und daraus seine politischen Konsequenzen ziehen musste, setzte er sich auch fortan intensiv für den politischen Ausgleich zwischen Reich und Bayern ein. Nach einer zwischenzeitlichen Entspannungsphase im Verhältnis Bayerns zum Reich sollte sich Ende der 1920er Jahre der Konflikt erneut verschärfen. Die Einheit des Reiches stand für die Regierenden in Berlin nicht zur Disposition. Nun mehrten sich allerdings erneut Bestrebungen, die auf eine Vereinheitlichung und Zentralisierung abzielten, und in Bayern mit großem Misstrauen wahrgenommen wurde. In diesem Zusammenhang kam immer wieder Franz Sperr die besondere Rolle zu, als Diplomat die bayerischen Interessen und Befürchtungen in Berlin vorzutragen. Hiermit soll sich das übernächste Kapitel beschäftigen. a) Eduard Hamm und Otto Geßler – Zwei bayerische Reichspolitiker Ende Dezember 1918 fand in Stuttgart ein Treffen der Regierungen von Bayern, Hessen, Württemberg und Baden statt. Es wurde zum einen darüber verhandelt, was geschehen sollte, wenn in Berlin die Spartakisten die Macht übernehmen sollten, zum anderen aber auch über das künftige Verhältnis zwischen den süddeutschen Bundesstaaten und dem Reich diskutiert. Die Ausarbeitung der künf-

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tigen Reichsverfassung sollte nicht allein der Nationalversammlung überlassen werden. Die im Kaiserreich bestehenden föderativen Strukturen sollten beibehalten werden. Als Beamter des bayerischen Staatsministeriums des Äußern nahm auch Eduard Hamm an dieser Konferenz teil und führte im Auftrag seiner Regierung das Protokoll.95 Hamm war also schon in diesem frühen Stadium in Verhandlungen miteingebunden, in denen es um das Verhältnis zwischen Bayern und dem Deutschen Reich ging. Dieses sollte künftig seine politischen Überlegungen – wie auch die seiner späteren Verbündeten im Widerstand – maßgeblich mitbestimmen. Unmittelbar im Vorfeld der Stuttgarter Konferenz hatte Hamm gemeinsam mit Otto Geßler am Aufbau der bayerischen linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mitgewirkt. Ihre politische Karriere auf Reichsebene nahm in diesen Wochen und Monaten ihren Anfang, wobei Geßler seinem Freund Hamm erneut einen Schritt vorauseilte. Nachdem die DDP auf Reichsebene in die so genannte Weimarer Koalition mit Sozialdemokraten und Zentrum eingetreten war, wurde Geßler im Oktober 1919 – zu diesem Zeitpunkt immer noch Oberbürgermeister von Nürnberg – als einer von drei liberalen Ministern in das Kabinett des sozialdemokratischen Reichskanzlers Gustav Bauer aufgenommen. Nach kurzer Bewährungsprobe als Reichsminister für Wiederaufbau trat Geßler im März 1920 an die Spitze des Reichswehrministeriums, dessen Geschicke er bis Januar 1928 lenken sollte. Er war in dieser Position in dreizehn verschiedenen Reichsregierungen vertreten und damit der Reichsminister mit der längsten Amtszeit in der Weimarer Republik.96 Während Geßler also ein paar Stufen auf der politischen Karriereleiter übersprang, nahm Eduard Hamm fast jede einzelne. Dessen treue Haltung gegenüber der bayerischen Regierung Hoffmann honorierte der sozialdemokratische Ministerpräsident im Mai 1919, als er Hamm zum Staatsminister für Handel, Industrie und Gewerbe ernannte. Gleichzeitig zog Hamm von Juli bis September 1920 als Abgeordneter der DDP in den Bayerischen Landtag ein.97 Die Weimarer Reichsverfassung war am 14. August 1919 in Kraft getreten. Die föderale Struktur des Reiches blieb erhalten, doch sollte der Reichsrat im Gegensatz zum Bundesrat des Kaiserreichs über weniger Einflussmöglichkeiten verfügen.98 Eduard Hamm begrüßte die Verfassung 1920 ausdrücklich, da sie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als oberste Prinzipien anerkannte, wenn sie auch aus seiner Sicht das Verhältnis der Einzelstaaten des alten Kaiserreiches – 95 Vgl. Bericht Hermann Dietrich, (23. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. Siehe zu dieser Konferenz außerdem Benz, Süddeutschland, S. 66–78. 96 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wollte man ausführlich auf die Amtszeit Geßlers als Reichswehrminister eingehen. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit seiner bereits zeitgenössisch umstrittenen Reichswehrpolitik findet sich bei Möllers, Reichswehrminister. 97 Zu Hamms politischer Arbeit in Bayern sowie vor allem seiner Tätigkeit als Handelsminister vgl. Unger, Staatsministerium, insbes. S. 249–269. 98 Vgl. Wirsching, Weimarer Republik, S. 9 f.

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nunmehr als »Länder« bezeichnet – zugunsten des Reiches neu geregelt habe.99 Drei Jahre später erklärte er, dass man von Bayern aus die Uhr jedoch ohnehin nicht mehr zurückdrehen könne und allenfalls auf dem Wege von Reformen die Reichsverfassung zu verändern suchen dürfe: Denn »nahezu alle bayerischen Abgeordneten beschlossen die Reichsverfassung mit und der bayerische Landtag selbst machte sie auch ausdrücklich zum Bestandteil der bayerischen Verfassung«.100 Hamm wehrte sich in diesen Anfangsjahren der Weimarer Republik zugleich gegen Bestrebungen, die einen unitarischen Staat zum Ziel hatten. Er zähle sich vielmehr zu jenen, »denen die geschichtlichen überkommenen Länder als Träger kulturellen und politischen Eigenlebens von höchstem Werte erscheinen, Träger heimatlicher Werte, die durch die Zerschlagung der Länder preiszugeben oder zu schwächen, gerade in einer Zeit geistiger und kultureller Verarmung weniger verantwortet werden könne als je«.101 »Freiheit in Einheit«, so könnte man Hamms Ideal vom Reich-Länder-Verhältnis plakativ festhalten: Die Einheit des Reiches müsse oberste Priorität haben und die Länder müssten sich »einordnen in den festen Bau des Reiches«. Doch gleichzeitig müsse das Reich die Länder »als lebendige Organe« begreifen und »als die berufenen Verwalter seiner Angelegenheiten und Vollstrecker seines Willens«. Hamm in München und Geßler in Berlin versuchten zu jener Zeit gemeinsam ihren Einfluss auf die jeweiligen Regierungen geltend zu machen, um den sich abzeichnenden Konflikt zwischen München und Berlin nicht eskalieren zu lassen. Dabei lassen die überlieferten Quellen eine deutlich höhere Intensität in den Bemühungen auf Seiten Eduard Hamms erkennen, der seine Initiative – das zeigen die im Nachlass Geßler überlieferten Schreiben Hamms – stets mit seinem langjährigen politischen Freund absprach. Hierfür lagen vermutlich zwei Gründe vor: Einerseits war Hamm deutlich länger als Geßler im bayerischen Staatsdienst aktiv, so dass womöglich in diesen Jahren ein stärkerer bayerischer Beamtenethos zum Ausdruck kam. Andererseits konnte Hamm in München die 99 Die Länder seien eben zu schwach und insbesondere Bayern infolge von Revolution und Räterepublik politisch isoliert gewesen, um sich gegenüber dem Reich durchzusetzen. Dennoch könne jeder die Reichsverfassung akzeptieren, wie Hamm in einer Wahlrede klarstellte (vgl. Manuskript einer Wahlrede Eduard Hamms (vermutlich im Jahr 1920), S. 1–50, insbesondere S. 42 f., BayHStA, MHIG 305). Die im Bestand des Bayerischen Staatsministeriums für Handel, Industrie und Gewerbe überlieferte Rede hielt Hamm vermutlich wenige Tage vor den Reichs- und Landtagswahlen vom 6. Juni 1920. Hamm zog als Abgeordneter der DDP in beide Parlamente ein. 100 Seinem Beamtenethos und seiner Auffassung als Jurist entsprach die sich für ihn hieraus ergebende Konsequenz: »Hier also ist klares bindendes Recht. Und wer seinem Volk den Bürgerkrieg ersparen und als Grundlage der nationalen Befreiung die Einheit wahren will, der muss zu diesem Rechte stehen und mag aus ihm heraus im Frieden des Reiches ein neues, besseres Recht zu entwickeln suchen […]« (Eduard Hamm an Exzellenz von Kahr (München, 13. November 1923), BayHStA, NL Hamm 74). 101 Manuskript einer Wahlrede Eduard Hamms (vermutlich im Jahr 1920), S. 43, BayHStA, MHIG 305. Hieraus stammen auch die folgenden Zitate dieses Absatzes.

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Befindlichkeiten der bayerischen Politik und des bayerischen Volkes zu Beginn der Weimarer Republik unmittelbar studieren, was ihm in seinem Bemühen half, diese gegenüber Berlin verständlich zu machen. In Bayern bildeten sich nach der Niederschlagung der Münchener Räterepublik auf Veranlassung der bayerischen Staatsregierung so genannte Zeitfreiwilli­ genverbände und Einwohnerwehren.102 In Abstimmung mit dem Reich sollte künftig die Sicherheit Bayerns und die Einheit des Reiches garantiert werden. Ursprünglich auf sozialdemokratische Initiative hin entstanden, wandten sich die Einwohnerwehren jedoch seit 1920 der politischen Rechten zu. Frankreich verlangte allerdings die Einhaltung der Abrüstungs- und Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Vertrages, sodass im April 1920 eine Besetzung Bayerns durch französische Truppen zu befürchten war. Unter diesem äußeren Druck forderte der liberale Reichsinnenminister Erich Koch-Weser Bayern dazu auf, die Einwohnerwehren aufzulösen. In Bayern witterte man derweil innenpolitische Erwägungen der Reichsregierung als eigentlichen Grund für diese Forderung. Eine Auflösung lehnte man ohnehin wegen Gefährdung der Sicherheit des bayerischen Staates konsequent ab. Eduard Hamm befand sich erstmals zwischen den Fronten. Er vertrat die Ansicht, dass die bayerische Regierung zumindest »ihre moralische Unterstützung zusagen« sollte und Verhandlungen über »das Maß der zur staatlichen Sicherheit zurückbehaltenden Waffen« aufgenommen werden sollten.103 Der Reichsregierung riet er, die Forderung der Entwaffnung nicht auf die innenpolitische Situation zurückzuführen, sondern vielmehr auf die außenpolitische Zwangslage. Es solle in Bayern nicht die Vermutung aufkommen, die Forderung nach Entwaffnung der Einwohnerwehren diene ausschließlich der Erhaltung der linken Regierungsmehrheit im Reich: Die Reichsregierung müsse »auch im taktischen Vorgehen […] nun äußerst vorsichtig sein«.104 Bereits im November 1919 war in Bayern kraft Landesrechts ein Ausnahmezustand ausgerufen worden, wobei besondere Beauftragte zur Aufrechterhaltung der »gefährdeten Ordnung« bestellt wurden, die unter anderem »für die Sicherheit des Reiches und des Landes Schutzhaft oder Aufenthaltsbeschränkungen« erlassen durften.105 Vom Papier her richtete sich die Verordnung ausdrücklich gegen sämtliche Angriffe auf den Freistaat. Anwendung fand es derweil hauptsächlich gegen linke Bestrebungen, während es Agitationen von Rechts weit-

102 Vgl. zur bayerischen Einwohnerwehr-Problematik Large, Politics; zusammenfassend hierzu Zorn, Bayerns Geschichte, S. 234–236. 103 Eduard Hamm an Eugen Schiffer (München, 31. Oktober 1920), BAK, NL Geßler (N 1032) 18, S. 33–35. 104 Vgl. ebd., S. 35. 105 »Verordnung über die Aufhebung des Kriegszustandes und über einstweilige Maßnahmen nach Art. 48/IV der Reichsverfassung« (München, 4. November 1919), in: Verhandlungen des Reichstags. Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung, Bd. 341, S. 2185–2187, hier S. 2186.

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gehend gewähren ließ.106 Eduard Hamm bedauerte im September 1921 hinsichtlich des »Ausnahmerechts« zutiefst, »daß auf seiner Grundlage nicht längst auch gegen hetzerische Äußerungen in Plakaten und Presse der äußersten ›Rechten‹ eingeschritten wurde«.107 Schon Monate zuvor war Hamm, der als bayerischer Handelsminister und gleichzeitiges Mitglied des Reichstags auch formell zwischen den Fronten stand, als einziges Mitglied des bayerischen Kabinetts für ein Verbot des »Völkischen Beobachters« und des »Miesbacher Anzeigers« eingetreten, die mit antisemitischen Äußerung heftig gegen die Reichsregierung agitierten.108 Problematisch für das Verhältnis zwischen Bayern und Reich wurde dieses Ausnahmerecht allerdings erst, als Reichspräsident Friedrich Ebert nach der Ermordung des Zentrumsabgeordneten und Reichsministers a. D. Matthias Erzberger im August 1921 in Abstimmung mit der Reichsregierung unter Joseph Wirth eine Notverordnung nach Art. 48 Absatz 2 der Weimarer Reichsverfassung erließ, die sich gegen »republikfeindliche Druckschriften, Versammlungen und Vereinigungen« richtete.109 Diese Reichs-Notverordnung kollidierte nun mit dem bayerischen Landes-Ausnahmerecht und die Erwartung der Aufhebung des letzteren wurde als Eingriff in die Eigenständigkeit Bayerns gewertet. Hamm übte in diesem Fall schärfere Kritik am Vorgehen der Reichsregierung. In Bayern befürchte man nun aufgrund der erlassenen Verordnung, die die Landesregierungen und die Gerichte ausschalte, »daß die Krönung der ganzen Aktion die Aufhebung des Ausnahmezustandes« sein werde. In einem Schreiben an Reichskanzler Wirth warnte er nun »dringend« davor, »den Ausnahmezustand durch einen einseitigen Machtanspruch des Reiches aufzuheben«.110 106 Vgl. Hofmann, Fememorde, insbes. S. 116–119. 107 Eduard Hamm an Reichskanzler Joseph Wirth (München, 1. September 1921), BAK, NL Geßler (N 1032) 53. 108 Vgl. Protokoll des Bayerischen Ministerrats (13. Juni 1921), BayHStA, StK 9518. Vgl. hierzu auch Benz: Süddeutschland, S. 307 f. – Im September 1923 forderte auch Otto Geßler in seiner Eigenschaft als Reichswehrminister von Bayern ein Verbot des »Völkischen Beobachters«, der sich verleumderisch über den Chef der Heeresleitung der Reichswehr, General Hans von Seeckt, und dessen Frau geäußert hatte. Doch sowohl der Generalstaatskommissar von Kahr als auch der bayerische Landeskommandant General Otto Hermann von Lossow, auf den in Bayern die vollziehende Gewalt im Namen des Reiches übertragen war, weigerten sich, diese Forderung umzusetzen. Lossow wurde zunächst aufgrund dieser Gehorsamsverweigerung von Geßler seines Dienstes enthoben (vgl. hierzu Gessler, Reichswehrpolitik, S. 265 f.). Von Kahr aber bestätigte Lossow schließlich eigenmächtig im Amt des Landeskommandanten und beauftragte ihn, die bayerischen Reichswehrtruppen auf das Land Bayern zu verpflichten, was dem Hochverrat gleichkam (vgl. Dietz, Primat der Politik, S. 231). 109 Winkler, Weimar, S. 161 f., hier S. 161. 110 Die »mittlere Linie der Verständigung« habe die Reichsregierung laut Hamm jetzt »verlassen«. Das habe auch die Rede des Reichskanzlers bei der Beerdigung Erzbergers gezeigt. Diese habe die Auffassung gestärkt, »daß es sich, über die nächste berechtigte neutrale staatspolitische Abwehr hinaus, um eine neue bestimmte Orientierung der Politik abseits

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Der einzige Weg könne hierfür in »der Verständigung zwischen der Reichsund der Landesregierung« liegen. Andernfalls würde sich die Reichsregierung in Bayern »in einer Weise ins Unrecht setzen, die die Verteidigung des Reiches aufs Äußerste erschweren würde«.111 Zu einer Verständigung zwischen Bayern und dem Reich, die Hamm bezweckte, kam es allerdings erst nach Rücktritt des bayerischen Ministerpräsidenten von Kahr, dem für seinem Konfrontationskurs die Rückendeckung der ihn tragenden Parteien versagt blieb. Ende September 1921 verständigte sich schließlich der neue Ministerpräsident Hugo Max von Lerchenfeld-Köfering mit der Reichsregierung auf einen Kompromiss. Nach dem Erlass neuer Reichsverordnungen, die dem Land mehr Kompetenzen einräumten, wurde Mitte Oktober 1921 der bayerische Ausnahmezustand für beendet erklärt. Die Entspannung im Verhältnis Bayern / Reich war jedoch nur von kurzer Dauer. Aus Protest wegen des eigenmächtigen Vorgehens der Regierung Lerchenfeld hinsichtlich der Anwendung des Republikschutzgesetzes, das vom Reich nach der Ermordung von Reichsaußenminister Walter Rathenau im Juli 1922 erlassen wurde, trat die DDP aus der Koalition aus und Hamm von seinem Amt als Handelsminister zurück.112 Sein Rücktrittsschreiben an Ministerpräsident Lerchenfeld ist bezeichnend für Hamms schwierige Doppelrolle als baye-

vom Wege der Mitte handle«. Zwar habe die Reichsregierung »mit Recht gegen die politische Verhetzung unseres Volkes Stellung genommen«. Doch hätten sich die Maßnahmen der Reichsregierung ausschließlich gegen die Rechte gerichtet, womit bei vielen Leuten, »die, auf Ausgleich bedacht, Verhetzung jeder Seite verurteilen«, der »Eindruck der Ungerechtigkeit erweckt« worden sei. Hamm vertrat nicht die Auffassung, »daß eine ernste Gefahr von Rechte[n] drohe […] insoweit es um den Bestand des Staates« ginge. Denn er könne »nicht glauben, daß mehr als ein ganz kleiner Haufen törichter Ultras einen hoffnungslosen Putsch versuchen würde«. Wohl aber erkannte er an, »daß die Verhetzung in extrem nationalistischen und antisemitischen Blättern und Versammlungen einen für die öffentliche Sicherheit und das Leben einzelner gefährlichen Stand erreicht« habe (ebd.). Besonders in Bayern sei doch die »Verhetzung der linksradikalen Presse und Redner« nicht besser zu beurteilen, als die der äußersten Rechten (Eduard Hamm an Reichskanzler Joseph Wirth (München, 1. September 1921), BAK, NL Geßler (N 1032) 53). Hieraus stammen auch die folgenden Zitate dieses Absatzes. 111 Vgl. Zorn, Bayerns Geschichte, S. 247–249. 112 Am 24. Juni 1922 war Reichsaußenminister Walther Rathenau ermordet worden. Die Spur der Attentäter führte nach München, wo die rechte »Organisation Consul« ihre Zentrale hatte (vgl. hierzu Sabrow, Die verdrängte Verschwörung). Das von der Reichsregierung auf den Weg gebrachte »Republikschutzgesetz« wandte sich gegen verfassungsfeindliche Gruppen und Tätigkeiten und enthielt Eingriffsbefugnisse in die Justiz- und Polizeirechte der Länder. Nachdem die Versuche des bayerischen Ministerpräsidenten scheiterten, in Berlin mehr Kompetenzen für die Länder bei der Ausführung des Gesetzes auszuhandeln, beschloss der bayerische Ministerrat eine eigene Notverordnung zu erlassen, die zwar den Inhalt des Reichsgesetzes übernahm, in der jedoch die Justizhoheit Bayerns gewahrt blieb (vgl. zu diesem Komplex Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, insbes. S. 378–393).

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rischer Reichspolitiker, der sich für Bayern und Reich gleichermaßen verantwortlich fühlte.113 In einer »Aufzeichnung über die bayerische Krise«114, die Eduard Hamm unter anderem an Gustav Stresemann, damals Partei- und Fraktionsvorsitzender der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) im Reichstag, versandte, präzisierte er seine Sichtweise auf das gestörte Verhältnis zwischen Bayern und Reich: Einerseits sei in Berlin das Verständnis für die kulturellen Eigenheiten und historischen Entwicklungen Bayerns nicht ausreichend vorhanden. Bayern sei 1871 als Staat in das Deutsche Reich eingetreten und habe dann 1919 auf einen Großteil seiner Eigenständigkeiten und auf die Monarchie verzichten müssen. Die Reichsregierung sei laut Hamm häufig taktisch unklug vorgegangen, allgemein zu »rationalistisch« und »unhistorisch« eingestellt und reagiere daher auf die bayerischen Befindlichkeiten meist zu unsensibel. Trotzdem verhehle er nicht, dass auch in Bayern das Verständnis für die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen oftmals fehle. Dabei hob er vor allem Öffentlichkeit und Presse hervor, die sich »vielfach einseitig und ungerecht […] gegen die Reichsregierung gewendet« haben, »in Verkennung der politischen Gesamtlage, namentlich auch in Missachtung aussenpolitischer Notwendigkeiten«. Mit seiner Aufzeichnung wollte Hamm Verständnis für die Befindlichkeiten und Entscheidungen Bayerns wecken. Gleichsam gab er Berlin in einem 6-Punkte-Plan eine Handlungsempfehlung, wie künftig mit Bayern umgegangen werden müsse.115 Als im Januar 1923 die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen mit dem Ziel der Durchsetzung der Reparationsforderungen erfolgte, rief die Reichsregierung Cuno unter Federführung des Staatssekretärs in der Reichs-

113 Hierin erklärte Hamm: »Der Ministerrat hat beschlossen, statt der Durchführung des vom Reichstag verfas-sungsmässig beschlossenen Reichsgesetzes zum Schutze der Republik eine bayerische Sonderverordnung zu erlassen. Für diesen Beschluss kann ich, so sehr auch ich bereit und bestrebt bin, die Rechte des Landes zu wahren und zu fördern, nach meiner verfassungsrechtlichen und politischen Auffassung vom Recht und Wohl des Reiches und Landes die aus dem Ministeramte folgende Mitverantwortung nicht übernehmen« (Eduard Hamm an den Bayerischen Ministerpräsidenten Lerchenfeld-Köfering (München, 24. Juli 1922), BAB, R 43 I/3010, Bl. 56 f., hier Bl. 56). 114 Vgl. »Aufzeichnung über die bayerische Krise« (München, 24. Juli 1922), BAK, NL Erkelenz (N 1072) 127. Eine Kopie seiner Aufzeichnung sandte Hamm auch seinem Parteivorsitzenden Anton Erkelenz. Hieraus stammen auch die folgenden Zitate. 115 In den sechs Punkten war wohl der wichtigste, wie das Reich seinen Willen gegenüber der bayerischen Verordnung durchsetzen könne, wobei Hamm die Anrufung des Reichsgerichts anregte. Weiter empfahl Hamm die Einsetzung von unabhängigen und erfahrenen Juristen als Laienrichter des Staatsgerichtshofes, die Überweisung von Strafsachen an die ordentlichen Gerichte der Länder, die Überarbeitung des Reichskriminalpolizeigesetzes, welches in die Polizeihoheit der Länder eingreife, die Verteidigung und mögliche Reform der Weimarer Verfassung nicht mit Kampfmitteln militärischer oder wirtschaftlicher Art, sondern nur auf verfassungsmäßigem Wege, sowie die Verhinderung der Unterstützung von separatistischen Bewegungen in Bayern (vgl. ebd.).

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kanzlei, Eduard Hamm, die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf.116 Anfang April erörterte Hamm in München mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Eugen von Knilling und zwei weiteren Mitgliedern seines Kabinetts »eingehend die Frage der Selbstschutzvereinigungen«.117 Hamm legte dar, »daß das ein gewisses Gleichmaß des Vorgehens gegen die äußerste Rechte wie die äußerste Linke voraussetze und daß es daher ein Akt einer weitschauenden bayerischen Reichspolitik wäre, wenn Bayern von sich aus gegen allzu sichtbare offenkundige Mißstände auf der äußersten Rechten, Mißstände, die in Bayern selbst als ärgerlich und unwürdig empfunden werden, vorgehen würde, um damit dem Reich ein unliebes Einschreiten in Bayern zu ersparen, das Einschreiten gegen Gefährdungen von anderer Seite aber in anderen Ländern zu erleichtern«. Der bayerische Ministerpräsident habe allerdings diese Hinweise Hamms nicht ernst genommen und sich auf eine »lediglich partikularistische […] Betrachtung der Dinge« beschränkt. Diese Sichtweise sollte von Knilling im Herbst 1923 zu einem verhängnisvollen Schritt veranlassen: Die Beendigung des passiven Widerstandes gegen die Ruhrbesetzung der Franzosen durch Reichskanzler Gustav Stresemann ließ die bayerischen Staatsregierung erneut den Ausnahmezustand über Bayern verhängen. Der vormalige Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr wurde mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet und zum Generalstaatskommissar ernannt. Am 8. und 9. November 1923 erfolgte der »Hitler-Ludendorff-Putsch«, zu dessen Zustandekommen das Handeln bzw. Nicht-Handeln von Kahrs maßgeblich beigetrug.118 Aus Sorge um »die Sicherheit des Staates und die Einheit des Reiches« 116 Hamm ging in diesem Zusammenhang in seiner Einsatzbereitschaft für die Interessen des Reiches so weit, dass er bei seiner Einreise in die entmilitrisierte Zone des Rheinlandes, wohin er als Vertreter der Reichsregierung zum Begräbnis der von den Franzosen in den Kruppwerken in Essen erschossenen 13 Arbeiter aufgebrochen war, von den Besatzern festgenommen und für zwei Tage in Haft gehalten wurde (vgl. den Bericht Hamms über seine Verhaftung in seinem Schreiben an Reichskanzler Cuno (11. April 1923), BayHStA, NL Hamm 29). 117 Mit großem diplomatischen Geschick legte Hamm dem Ministerpräsidenten dar, wie sich die Lage aus Sicht Berlins darstellte: »Ich versicherte ihm, daß Bayern eine Überraschung von der Reichsregierung nicht zu gewärtigen habe, sondern die Dinge in voller Offenheit mit Bayern vor endgültiger Entscheidung besprochen würden und ersuchte, neben dem bayerischen Gesichtspunkt, daß weitere Eingriffe der Reichsgewalt vermieden werden sollten, doch auch die andere Frage zu würdigen, wie das Reich der ihm in seiner Gesamtheit und damit an seinem Teil auch Bayern obliegenden Verpflichtung nachkommen solle, im ganzen Reichsgebiet für Ordnung und Sicherheit zu sorgen und Gefährdungen, wie sie in den proletarischen Hundertschaften zweifellos vorlägen, rechtzeitig entgegenzuwirken« (Aufzeichnung des Staatssekretärs Hamm über Besprechungen in München [2. April 1923], in: Akten der Reichskanzlei, Kabinett Cuno, Bd. 1, S. 356–360, hier S. 356 f.). Hieraus stammen auch die folgenden Zitate dieses Absatzes. 118 Auf die Ereignisse rund um den »Hitler-Ludendorff-Putsch« kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Vgl. stattdessen Dornberg, Hitlers Marsch; Möller, München, S. 369–387.

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schrieb Hamm wenige Tage später an von Kahr119, wobei er scharfe Kritik an der Rolle seines ansonsten geschätzten AGV-Conphilisters im Umfeld des Putsches übte: »So sehr die Empörung E[urer] E[xzellenz] über den Wortbruchs Hitlers zu verstehen ist, so konnte die Sicherheit des Staates nicht allein auf die Worttreue Hitlers gestellt werden. In allen […] Kundgebungen lassen E. E. […] ein klares Wort zu der scheidenden und entscheidenden Frage vermissen, ob die grossen gemeinsamen Ziele, von denen E. E. sprechen, für die Sie werben, auf dem Boden des geltenden Rechts und nur auf diesem angestrebt werden dürften und sollen oder ob auch ein anderer Weg, sofern die Umstände günstig dünken, beschreitbar und dem Gewissen freigegeben erscheint. Angesichts dieser […] Kundgebungen ist nicht zu verwundern, wenn da und dort die Annahme entstehen konnte, dass auch E. E. bereit seien, je nach den Umständen, zu nationalen Zielen über das Verfassungsrecht hinwegzuschreiten. Diese Meinung ist mit Ursache gewesen, dass es zum Aufruhr vom 8. November 1923 kommen konnte, heute noch ist sie eine grosse Gefahr für die Sicherheit des Staates und die Einheit des Reiches.« Die Reichseinheit blieb erhalten. Die Reichsregierung Stresemann sollte sich derweil knapp zwei Wochen nach dem Putschversuch in München infolge einer verlorenen Vertrauensfrage im Reichstag auflösen.120 Stresemann blieb allerdings Außenminister im folgenden Kabinett des Zentrumpolitikers Wilhelm Marx. Als Reichswirtschaftsminister trat Eduard Hamm ebenfalls Ende November 1923 in dessen Regierung ein.121 Nach dem Rücktritt von Kahrs im Februar 1924 sollte sich schließlich auch das Verhältnis zwischen Bayern und dem Reich vorübergehend entspannen. Dass der immer schwelende Konflikt in dieser Frühphase der Weimarer Republik nicht bis ans Äußerste eskalierte, war auch Eduard Hamm und seinen wiederholten Vermittlungsbemühungen zu verdanken. Angesichts dieser von Hamm eingenommenen Vermittlerrolle zwischen Bayern und Reich erscheint seine führende Mitgliedschaft im Bund zur Erneuerung des Reiches (BER) ab 1928 auf den ersten Blick sonderbar. Der BER, auch »Luther-Bund« nach dem früheren Reichskanzler Hans Luther genannt, setzte sich mit dem Ziel der Senkung der öffentlichen Verwaltungsausgaben für eine Neustrukturierung des Reich-Länder-Verhältnisses und insbesondere für die 119 Eduard Hamm an Exzellenz von Kahr (München, 13. November 1923), BayHStA, NL Hamm 74. Hieraus stammen die folgenden Zitate. 120 Vgl. Kolb / Schumann, Weimarer Republik, S. 65. 121 Als Reichswirtschaftsminister konnte Eduard Hamm in gewisser Weise die Früchte der Vorgängerregierung Stresemann ernten, die mit der Einführung der Rentenmark im November 1923 den Kursverfall der deutschen Währung hatte stoppen können. Im Rahmen seines wirtschaftsliberalen Kurses wandte sich Hamm in der Folgezeit intensiv den Außenhandelsbeziehungen des Reiches zu und trat in diesem Zusammenhang unter anderem für eine weitgehend zollfreie Handelspolitik, für Krediterleichterungen für die deutsche Wirtschaft sowie eine Intensivierung des Wettbewerbs ein. Auf Hamms Rolle als Reichswirtschaftsminister bis Januar 1925 kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Es sei jedoch verwiesen auf die ausführliche Beschreibung der Wirtschaftspolitik Hamms bei Holtfrerich, Alltag, S. 224–360, insbesondere S. 345–356.

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Beendigung des Dualismus zwischen Preußen und Reich ein.122 In der Zwischenzeit war Hamm als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelstages zu einem wirtschaftspolitischen Interessenvertreter auf Reichsebene geworden. Über die Parteigrenzen hinweg als Politiker, Wirtschaftsfunktionär mit Sachverstand und als Verwaltungsfachmann hoch geschätzt und in dem Wissen um seine grundsätzlich positive Haltung zum föderalen Aufbau des Reiches, wurde Hamm im März 1928 von der Reichsregierung bestimmt, auch am Ausschusses der Länderkonferenz für Verfassungs- und Verwaltungsreform teilzunehmen, der in erster Linie dem Zweck dienen sollte, über Bürokratieabbau und Staatsausgabensenkungen zu beraten.123 In diesem Gremium wurde allerdings auch über eine Föderalismusreform nachgedacht. Dabei war weniger der theoretische Gegensatz zwischen föderativem und unitarischem Staat für Hamms Haltung zu dieser Zeit entscheidend, »als vielmehr das tägliche praktische Nebeneinander, Gegeneinander und Durcheinander«, das seiner Ansicht nach zu Reformen anhielt.124 Dabei beabsichtigte er keineswegs das Land Bayern in seiner Eigenständigkeit zu beschneiden, sondern verwies ausdrücklich auf die in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausgeprägten Staatsempfindungen.125 In Preußen habe bereits während des Kaiserreichs die Personalunion preußischer König und deutscher Kaiser bestanden. Dort sei »ein gewisses Aufgehen des Staatsgedankens im Reichsgedanken wirksam« geworden, während in Bayern der Staatsbegriff als »geschichtliches, mit dem Dienst am Reich wohl vereinbares, ja ihn förderndes Erbgut bis zur Staatsumwälzung betrachtet« worden sei.126 Notwendiges Ziel müsse am Ende einer Reichsreform immer bleiben, »die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten so einfach, reibungslos, volkstümlich, sparsam und vor allem leistungskräftig zu machen, dass das deutsche Volk das entscheidungsvolle nächste Menschenalter hindurch im Rahmen bestmöglicher Staatsauffassung und Staatsverwaltung leben und arbeiten kann.«127 Hamm blieb damit auch in seiner neuen Rolle als Wirtschaftsfunktionär seiner Haltung der frühen 1920er Jahre treu: Den künstlichen Einheitsstaat lehnte er ab. Stattdessen trat er zum Wohle des Reiches und den Bestand der 122 Zum so genannten »Luther-Bund« vgl. Kim, Industrie, S. 11 ff.; aus bayerisch-föderalistischer Perspektive vgl. Schwend, Zwischen Monarchie und Diktatur, S. 385–395. – Neben der Reform des föderalistischen Staatsaufbaus strebte der Bund eine Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten auf Kosten des Reichstags an. Da dieser Gesichtspunkt weniger das Verhältnis Bayerns zum Reich als die Frage der besten Staats- und Regierungsform betraf, wird sich mit der diesbezüglichen Haltung Geßlers und Hamms das Kap. III.4 beschäftigen. 123 Vgl. Ministerbesprechung vom 20. Februar 1928, in: Akten der Reichskanzlei, Kabinett Marx III / IV, Bd. 2, S. 1334–1337, hier S. 1334. 124 Eduard Hamm: »Zur Sitzung des Ausschusses der Länderkonferenz für Verfassungs- und Verwaltungsreform. Bemerkungen über Ausgangspunkte der Beratungen [4. Mai 1928]« (Berlin, 15. Oktober 1928), RWWA, 40010123/25 a, S. 1–41, hier S. 17. 125 Vgl. ebd., S. 18. 126 Ebd., S. 19. 127 Ebd., S. 41.

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Republik für eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit des föderativen Bundesstaates ein. Nicht ideologische Gründe ließen Hamm also zu einem Verfechter maß­voller Unitarisierungsbestrebung werden. Es waren vielmehr praktische Unzulänglichkeiten der öffentlichen Verwaltung, der Druck der Reparationslasten und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Gefahren für das Reich und letztlich auch für Bayern, die seine Haltung zur Verfassungs- und Verwaltungsreform ab 1928 erklären lassen.128 Staatsfragen dürften allerdings nicht zu wirtschaftlich betrachtet und »unter Hintansetzung seelischer Erfordernisse die Verbesserung des Staatswesens wie die Rationalisierung eines Wirtschaftsbetriebs« behandelt werden.129 Es dürfe keinesfalls mutwillig über das Staatsgefühl hinweggesehen werden, das zweifelsohne in einigen deutschen Ländern sehr stark bestehe130 und in anderen wiederum nicht so stark. Auch diese Unterschiede – insbesondere zwischen preußischem und bayerischem Staatsgedanken – müssten laut Hamm Berücksichtigung finden.131 Nach dem »Preußenschlag« von Reichskanzler Franz von Papen im Juli 1932 war die Aufregung in Bayern groß, dass auch in München in naher Zukunft ein Reichskommissar eingesetzt und die Staatsgewalt auf Berlin übertragen werden könne.132 Im August 1932 schrieb Eduard Hamm an den Hauptschriftleiter der als liberal geltenden Deutschen Allgemeinen Zeitung und übte hierin Kritik an der durch seine Zeitung vollzogenen negativen »Behandlung bayerischer Denkart und bayerischen politischen Gebarens«, für die er in seinem Schreiben um 128 Vgl. ebd., S. 17. 129 Nach Hamm wäre dieser Vorwurf jedoch nur berechtigt, »wenn gewichtige und berechtigte seelische und kulturelle Erfordernisse eines Großteils des deutschen Volkes wirklich und nachhaltig in einer Weise verletzt würden, die zur Schädigung der Gesamtleistung für die Zukunft führt« (ebd., S. 15). 130 »Denn so sicher der nationale Staatsgedanke zum einzigen umfassenden deutschen Staatsgedanken geworden ist, so unbestreitbar ist in einzelnen Ländern neben die dynastische Idee […] eine von der Staatsform unabhängige Staatsidee getreten, die heute wohl nirgends mehr als Idee eines souveränen oder primären Staates lebt, aber eine grosse Stärke als Idee dezentralisierten berechtigten Eigenlebens behauptet hat und in dieser Form vielfach zufolge der Abschleifung des Staatsbegriffes als ein neben dem Reichsgedanken hergehendes Staatsgefühl empfunden wird« (ebd., S. 18). 131 Unter diesem Gesichtspunkt Preußen und Bayern gegenüberstellend stellte Hamm fest, »dass in Preußen bereits vor dem Kriege zufolge der Personeneinheit zwischen dem Träger der kaiserlichen und der königlichen Gewalt eine gewisse Gleichsetzung von Reich und Staat und damit ein gewisses Aufgehen des Staatsgedankens im Reichsgedanken wirksam wurde […], dass andererseits in besonderem Masse in Bayern der Staatsbegriff zufolge des Rechtszustandes und Tatbestandes z. B. hinsichtlich der Militärhoheit, des Postwesens, des Eisenbahnwesens, der Gesandtschaftsrechts, zufolge auch der Grösse des Landes und mancher geschichtlicher kultureller Umstände in der Auffassung weiter Volkskreise als geschichtliches, mit dem Dienst am Reich wohl vereinbares, ja ihn förderndes Erbgut bis zur Staatsumwälzung betrachtet wurde« (ebd., S. 19). 132 Zu den Initiativen Bayerns im Anschluss an dieses Ereignis und die Rolle, die der baldige bayerische Gesandte in Berlin, Franz Sperr, hierbei spielte, wird im Kap. III.3.  b näher beleuchtet.

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Verständnis bat.133 Hamm bemühte sich ausführlich aufzuzeigen, dass die Positionen seiner bayerischen Landsleute sich über die Jahre der Weimarer Republik hinweg kaum verändert hatten. Bayern sei grundsätzlich staatsbejahend, auch wenn dies im vergangenen Wahlkampf öfters untergegangen sei. Dem Land gehe es lediglich um seine von der Verfassung geschützte Eigenständigkeit und Rechte. Missverständnisse müssten vor allem deshalb vermieden werden, da das Reich zu instabil sei, um solche zu verkraften. Dennoch erschien es Hamm, als stehe »gerade die jetzige Zeit vor der Aufgabe einer organischen Neugestaltung des Verhältnisses der enger zusammenfassenden Reichs- und preussischen Staatsgewalt mit den süddeutschen Ländern […], wobei es sich um ein Abmass notwendiger staatlicher Einheit und bündischen Einschlags« handele. Für das Ziel »einer produktiven Schöpfung« sei gegenüber den vorangegangenen Jahren »manche politischen und seelischen Voraussetzungen auf beiden Seiten in stärkerem Masse [sic!] […] vorhanden«.134 In einem Schreiben an den Parteivorsitzenden der BVP Fritz Schäffer versuchte Hamm im September 1932 die bayerische Gegenseite von einer positiveren Zusammenarbeit mit der Reichsregierung zu überzeugen, in der vor allem im bayerischen Reichsjustizminister Franz Gürtner (DNVP) ein Fürsprecher Bayerns sitze.135 Hierbei versuchte Hamm gleichzeitig Stimmungen entgegenzuwirken, die sich in Bayern für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP aussprachen. Was die Reichsreform angehe, sei »im Verhältnis des Reiches zu seinen Gliedern von einer stark nationalsozialistisch bestimmten Reichsregierung gewiss keine dem geschichtlichen Werdegang und der organischen Differenziertheit entsprechende Regelung zu erwarten«, so Hamm. Er forderte daher, dass es zu einer Verständigung zwischen der Reichsregierung und den süddeutschen 133 Hamm hoffte bei seinem Adressaten, Dr. Fritz Klein, ein offenes Ohr zu finden, weil er doch  – Hamm bezeichnete sich selbst als »ein leidlich unbefangener Beurteiler der Dinge« – durch seine politische Laufbahn hinweg, gezeigt habe, dass er »mit bayerischen – allzu bayerischen Methoden sehr oft nicht übereinstimme« (Abschrift Eduard Hamm an Fritz Klein (18. August 1932), BAB, R 3001/24111, Bl. 1–7, hier Bl. 7). – Auf die bayerischen Eigenheiten und die Zusammensetzung der bayerischen Bevölkerung, die Hamm in diesem Schreiben erörtert, soll im Kap. III.5 näher eingegangen werden. 134 Deshalb sei »es jetzt wohl besonders wichtig, Missverständnissen vorzubeugen, zu verstehen und gelegentlich sogar zu überhören«, so Hamm weiter (Abschrift Eduard Hamm an Fritz Klein (18. August 1932), BAB, R 3001/24111, Bl. 1–7, hier Bl. 1 f.). 135 Vgl. Abschrift eines Schreibens Hamm an Schäffer (6. September 1932), BAB, R 3001/24111, Bl. 9–13, hier Bl. 12. Hieraus stammen die nachfolgenden Zitate. – Als ein solcher wurde der deutschnationale Gürtner in Bayern allerdings kaum gewertet. Bis zu seiner Ernennung zum Reichsjustizminister im Juni 1932 im Kabinett Papen, war Gürtner nur noch geschäftsführend Bayerischer Justizminister gewesen. Seine Partei, die Bayerische Mittelpartei – Deutschnationale Volkspartei in Bayern (DNVP), war zuvor bereits – ihrem Vorsitzenden Alfred Hugenberg auf Reichsebene politisch folgend – zu einer nationalen Oppositionspartei geworden, die sich politisch immer mehr Hitlers NSDAP annäherte, der einen noch deutlicheren Unitarisierungskurs einschlagen wollte als Papen (zu Gürtner vgl. Gruchmann, Justiz).

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Landesregierungen kommen, und dass man »in einer gemeinsamen, geschichtlich organischen Staatsauffassung zusammenfinden und gemeinsame positive Ziele und Wege für die Weiterentwicklung festlegen« müsse. Hatte sich Otto Geßler – durchgängig Reichswehrminister von 1920 bis 1928 – wohl aus politischen Erwägungen und Befangenheit nicht in dem Maße in die Verwicklungen zwischen Bayern und Reich eingeschaltet, trat er ab Ende der 1920er Jahre gleich Hamm aktiv für eine Reichsreform ein.136 Von dem Industriellen Paul Reusch erfuhr der bayerische Kronprinz Rupprecht im Oktober 1932, dass Geßler »an die Spitze der mit der Abfassung des Entwurfes einer neuen Reichsverfassung betrauten Kommission treten soll«, weshalb Rupprecht an einem Treffen mit dem früheren Reichswehrminister dringend interessiert war.137 Hierzu kam es am 29. Oktober, wobei es Geßler durchaus gelang, den Kronprinzen von seiner moderaten Haltung hinsichtlich einer Reichsreform zu überzeugen. Rupprecht nahm mit Interesse zur Kenntnis, dass der ehemalige Reichswehrminister »anscheinend die Gefahren erkannt« hatte, »die der Versuch einer völligen Unitarisierung des Reichs heraufbeschwören könnte«.138 Als Hauptpunkt der Diskussionen über die Reichsreform habe Geßler die künftige Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Reich und Preussen bezeichnet und dabei drei mögliche Lösungen in Aussicht gestellt: Die erste würde in einer Aufteilung Preussens bestehen, die allerdings vor allem aufgrund von ungleicher Ressourcenverteilung in Ost und West erhebliche Probleme heraufbeschwören würde. Ebenso wäre die zweite Lösung, »jene der Übertragung der Hegemonie an Preussen« in Anlehnung an Bismarck, nicht zu verwirklichen, da »nur denkbar in einem Reich mit monarchischer Spitze«.139 Daher bliebe die dritte Möglichkeit »eines Zusammenlegens preussischer Ministerien mit Reichsministerien«. Dabei habe Geßler jedoch bekräftigt, dass diese Lösung nur »unter Sicherstellung einer Autonomie der süddeutschen Staaten« realisierbar sei. Diese Haltung ­Geßlers dürfte den bayerischen Kronprinzen zufrieden gestellt, seine Sicht auf den ehemaligen Reichswehrminister positiv beeinflusst und die spätere Zusammenarbeit der beiden erst ermöglicht haben.

136 Geßler trat wie Hamm 1928 dem »Luther-Bund« bei, dessen Vorsitz er 1931 sogar übernahm. Seine grundsätzlichen Positionen zum Staatssystem finden im Kap. III.4 ausführlich Berücksichtigung. 137 GHA, AA KPR (15. Oktober 1932), Mappe 14, S. 163. Rupprecht erwartete von diesem Treffen allerdings nicht viel, wenn er auch auf Geßlers Zugänglichkeit hoffte: »Ob er [Geßler: d. Vf.] föderalistischen Anschauungen huldigt, bezweifle ich, da er beim unitarisch eingestellten Luther-Bunde zur Erneuerung des Reiches mitwirkte, da aber ein ausgesprochener Verfechter des Unitarismus in diesem Bunde, Graf Rödern, mich kürzlich in Hohenschwangau aufgesucht und sich meinen Gegenäußerungen und Darlegungen sehr zugänglich erwiesen hatte, kann auch Gessler von seinen unitarischen Gedanken abgekommen sein« (ebd.). 138 GHA, AA KPR (29. Oktober 1932), Mappe 14, S. 172. 139 Ebd., S. 174 f. Hierher auch die folgenden Zitate dieses Abschnitts.

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Eduard Hamm und Otto Geßler traten in der Weimarer Republik als bayerische Reichspolitiker auf, für die – im Gegensatz zu vielen ihrer bayerischen Landsleute  – nicht ausschließlich das bayerische Interesse im Vordergrund stand, sondern zuallererst das Interesse des Reiches. Spätere Kapitel werden zeigen, dass sich ihre Haltung auch im »Dritten Reich« nicht änderte. Ihre Rückkehr von Berlin nach Bayern führte sie sozusagen zurück zu ihren bayerischen Wurzeln. Für ihre Heimat traten sie ab 1934/35 im Verborgenen ein, ohne dabei den Sinn für die gesamtdeutschen Entwicklungen, die sie mit Besorgnis wahrnahmen, zu verlieren und in ihre Vorstellungen, Pläne und Handlungen mit einfließen zu lassen. b) Franz Sperr – Diplomat im Dienste Bayerns Als Militärbevollmächtigter nahm Franz Sperr von Februar bis Ende Mai 1919 in Weimar zunächst am provisorischen Staatenausschuss, dann an den Verhandlungen des Verfassungsausschusses über die Reichsverfassung teil. Dabei trat er zunächst energisch für das bayerische Heeresreservatrecht ein, schätzte dann aber früh die Möglichkeit der Durchsetzung der bayerischen Position realistischer und rationaler ein, als dies der bayerische Gesandte in Berlin, Konrad von Preger, tat. Sperr riet seiner Regierung zu einem taktischen Vorgehen und führte in ihrem Namen Sonderverhandlungen mit dem preußischen Kriegsminister, deren Ergebnis ein Kompromissvorschlag darstellte, weil hierdurch das Heeresreservatrecht zunächst nur bedingt eingeschränkt worden wäre. Den Rückhalt der bayerischen Regierung, die sich nach der Ermordung Kurt Eisners zeitweise kopflos zeigte und sich im Kampf mit der Räterepublik um ihre eigene Existenz sorgte, besaß Sperr in dieser Sache keineswegs. Seine steten Warnungen an München, dass mit der kompromisslosen Haltung jegliche Handlungsspielräume aufgegeben würden, verhallten in den Wirren der politischen Verhältnisse in Bayern. Seine Befürchtungen sollten sich als begründet erweisen. Zunächst verpuffte der mit Preußen ausgehandelte Kompromissvorschlag im Verlauf der Verhandlungen des Staatenausschusses. Nachdem sich dann auch noch die süddeutsche Front, die Ende 1918 nach zähen Verhandlungen gebildet worden war und Ende Januar 1919 mit der Entscheidung für die Beteiligung der Einzelstaaten an der Reichslegislative zu einem Punktsieg der Föderalisten über die Unitaristen geführt hatte, durch den angedeuteten Verzicht Württembergs auf seine Reservatrechte aufzulösen schien, übernahm Sperr eigenständig und entschlossen die Initiative. Er trat in Verhandlungen mit Preußen ein, bei denen er nun – sozusagen als Ausgleich für die Aufgabe des Heeresreservatrecht – auf die Fixierung landsmannschaftlicher Rechte für Bayern im künftigen Reichswehrgesetz pochte. Diplomatisch frei bewegen konnte sich Sperr in der Frage des Heeresreservatrechts jedoch noch lange nicht. Anfang März musste er sich nach wie vor der Position der bayerischen Regierung, die energisch vom Gesandten von Preger im

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Gespräch mit Vertretern des Reichskabinetts140 vorgetragen wurde, anschließen. Er ließ allerdings erkennen, dass Bayern sich »eventuell mit landsmannschaftlichen Vorrechten allein begnügen könnte«.141 Im Verfassungsausschuss Mitte März 1919 erklärte Sperr mit Hinweis auf die Reservatrechte, dass ein Verzicht für Bayern nur dann in Frage käme, »wenn hiervon die Einheit des Reiches abhinge«.142 Hierbei gingen Sperr und von Preger bei ihrer Verteidigung der Rechte Bayerns so weit, dass ihnen von preußischer Seite bayerischer Egoismus vorgeworfen wurde, der sich auf die Einheit des Reiches schädlich auswirke.143 Dabei übersahen die Verhandlungspartner, dass insbesondere Sperr immer wieder Verhandlungsbereitschaft durchblicken ließ. Allerdings erklärte er an dieser Stelle ebenso deutlich, dass ein »Angebot landsmannschaftlicher Rechte« so lange »kein Ersatz« für das Heeresreservatrecht darstelle, wie der Oberkommandierende zwar auf Vorschlag Bayerns ernannte würde, es aber anschließend »keinerlei Mitbestimmungsrecht und keinen Einfluss auf diesen Oberkommandierenden« habe.144 Diese Voraussetzung sollte Sperr kurz darauf eigenständig – ein Regierungswechsel in Bayern hatte in der Zwischenzeit zu einer Unterbrechung seiner Korrespondenz mit München geführt – bei den Verhandlungen der großen deutschen Staaten über die Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Bedürfnisse im Vereinbarungsentwurf der Reichsregierung durchsetzen.145 Franz Sperr beschäftigte sich also bereits zum Beginn der Weimarer Republik mit verfassungsrechtlichen Fragen im Hinblick auf den föderalen Aufbau des Reiches und das Verhältnis Bayerns zum Reich. Diese Aufgabe sollte er dann als bayerischer stellvertretender Bevollmächtigter zum Reichsrat und später als bayerischer Gesandter fortführen und weiter professionalisieren. Er beteiligte 140 Vgl. Abschrift eines Schreibens Sperrs an das Ministerium für militärische Angelegenheiten (Weimar, 7. März 1919), BayHStA, MA 103245. 141 Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 63. 142 Bayerischer Militärbevollmächtigter Sperr an das Ministerium für militärische Angelegenheiten (Weimar, 12. März 1919), S. 1–13, hier S. 5, BayHStA, MA 103245. 143 Dem Bericht Sperrs zufolge übte etwa der preußische DNVP-Abgeordnete Clemens von Delbrück scharfe Kritik an der Haltung Bayerns im Verfassungsausschuss. Er bedauere es, dass man hauptsächlich über die Reservatrechte gesprochen habe: »Die Vertreter Bayerns würden der Sache allerdings mehr genutzt haben, wenn sie weniger als Bayern gesprochen hätten. […] Der deutsche Gedanke, der in Preussen stecke, sei bei den bayerischen Vertretern zu vermissen, ohne das Aufgehen der Bundesstaaten sein ein starkes Reich und ein starkes Reichsheer nicht mehr zu erwarten. Preussen sei bereit, alle nötigen Opfer zu bringen. Die Verhältnisse hätten sich geändert, die Voraussetzungen für die Reservatrechte seien weggefallen.« Delbrücks Partei habe sich daher entschlossen, in der folgenden Lesung für die Streichung der Reservatrechte zu stimmen (Bayerischer Militärbevollmächtigter Sperr an das Ministerium für militärische Angelegenheiten (Weimar, 12. März 1919), S. 1–13, hier S. 5, BayHStA, MA 103245). 144 Sperr an das Ministerium für militärische Angelegenheiten (Weimar, 12. März 1919), S. 1–13, hier S. 6, BayHStA, MA 103245. 145 Vgl. Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 64.

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sich somit bereits nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich an Planungen, die sich mit einer Neuordnung des Reiches auseinandersetzten – wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen und Bedingungen als später im Zweiten Weltkrieg. In der Reichshauptstadt Berlin als Diplomat etabliert, wurde Sperr 1932 mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Bayerischen Gesandtschaft betraut.146 Dieses Jahr sollte für Sperrs Arbeit in Berlin und für das Verhältnis Bayerns zum Reich von hoher politischer Brisanz werden. Vor dem Hintergrund der Debatten um die Reichsreform des so genannten »Luther-Bundes« (BER) und der Erörterungen einer Reform des deutschen Föderalismus im Verfassungsausschusses der Länderkonferenz setzte Reichskanzler Franz von Papen am 20. Juli 1932 mit einer Verordnung des Reichspräsidenten die preußische Regierung Braun / Severing ab, einen Reichskommissar in Preußen ein und übertrug die Staatsgewalt im größten deutschen Flächenland auf die Reichsregierung. Papen übernahm als Reichskanzler das Amt des preußischen Ministerpräsidenten.147 Dieser Vorgang wurde insbesondere von der bayerischen Regierung Held als ein Schlag gegen den Föderalismus gewertet. In den folgenden Wochen und Monaten sollte sich vor allem Franz Sperr, ihr Mann in Berlin, bemühen, die Wogen zu glätten und bestenfalls eine Garantie für die bayerische Eigenstaatlichkeit zu erlangen. Nur wenige Tage nach Regierungsantritt im Juni 1932 war Sperr durch Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl aufgefordert worden, die Leitung der politischen Abteilung seines Ministeriums zu übernehmen.148 Wie Sperr später erfahren sollte, habe Papen geplant, neben dem Norddeutschen von Gayl »einen Kenner der süddeutschen Verhältnisse« im Innenministerium zu installieren.149 Sperr hatte diese Offerte allerdings mit dem Hinweis auf seine »innere Einstellung zum jetzigen Reichskabinett« abgelehnt, nachdem er zuvor Rücksprache mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Held gehalten hatte. Durch von Gayl hatte Sperr außerdem erfahren, dass es sich das Kabinett Papen zur Aufgabe gemacht habe, eine »gesetzliche Ueberleitung auf die Nationalsozialisten« vorzubereiten: Demnach wolle die Regierung »Schranken aufrichten, deren Überschreitung dann den neuen Machthabern nicht möglich sein würde«. Sperr selbst hatte »das Alles als etwas sehr Unklares empfunden«.150 Das Gespräch mit von Gayl zeigt, dass Sperrs Verhältnis zur Regierung Papen schon vor dem »Preußenschlag« gestört war und dass er einen möglichen Karrieresprung in Berlin aus Pflichtbewusstsein gegenüber Bayern ablehnte. Am Tag des »Preußenschlags« wurde Sperr ausführlich durch den Ministerialdirektor Eduard Nobis vom Preußischen Staatsministerium über die Unterredung Papens mit dem geschäftsführenden preußischen Ministerpräsidenten 146 Der bisherige bayerische Gesandte Konrad von Preger wurde zum 1. Dezember 1932 krankheitsbedingt in den Ruhestand versetzt und verstarb im März 1933. 147 Zum »Preußenschlag« Papens vgl. zuletzt Morsey, Papens »Sprung nach Preußen«, S. 29–48. 148 Vgl. Franz Sperr an Staatsrat im Staatsministerium des Äußern, Bleyer (13. Juni 1932), BayHStA, StK 4401. 149 Ebd. 150 Ebd.

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Heinrich Hirtsiefer und dem preußischen Innenminister Carl Severing unterrichtet.151 Papen hatte seine Gesprächspartner über die Einsetzung eines Reichskommissars in Preußen in Kenntnis gesetzt.152 Sperrs Bericht ist besonders interessant, weil er die unmittelbare Reaktion Papens auf Severings Ausspruch, er werde »nur der Gewalt« weichen, schildert. Hiernach habe Papen sogleich »eine – schon bis auf das Datum vorbereitete – Verordnung« des Reichspräsidenten ausgefüllt und den Ausnahmezustand über Berlin-Brandenburg verhängt.153 Aus Sperrs Sicht schien diese ganze, auch die Gewalt ins Kalkül ziehende Aktion von langer Hand geplant. Dies mehrte die Vermutung, die Reichsregierung werde auch mit anderen Reichsteilen in den folgenden Monaten kurzen Prozess machen. Die weitere Entwicklung sollte zeigen, dass die Handlungsspielräume Bayerns gegen Ende der Weimarer Republik in der Tat immer kleiner wurden. Noch im Dezember 1932 und Januar 1933 versuchte Sperr von dem neuen Reichskanzler Kurt von Schleicher die Unterschrift unter so genannte »Punktationen« zu erlangen, die die Souveränität der Länder ausdrücklich gesichert hätten.154 Schleicher ließ Sperr jedoch durch seinen Staatssekretär Erwin Planck mitteilen, dass er »keinen Grund für das vorgeschlagene Uebereinkommen zu erkennen vermöge, da die Verhältnisse Reich-Länder durch die Verfassung und, wo nötig, durch besondere Abmachungen geregelt seien«.155 Nach Rücktritt des Kabinetts Schleicher Ende Januar 1933 wurde zunächst Papen mit Regierungssondierungen beauftragt. Gegenüber einer erneuten Kanzlerschaft Papens, die als einzige Alternative zu einer Regierungsübernahme Hitlers im Raum stand, äußerste Sperr schwerste Bedenken und drohte sogar mit Konsequenzen, die Bayern in diesem Fall ergreifen müsse.156 Aus heutiger Perspektive muss dieses Verhalten Sperrs, sich gegen die offenbar einzig ver151 Vgl. Vormerkung Sperr (20. Juli 1932), BayHStA, MA 103322. 152 Vgl. hierzu auch Harry Graf Kesslers Eintrag vom 20. Juli 1932, in: Kessler, Tagebuch ­1880–1937: Neunter Band, S. 465–467. 153 Auf diese nicht unwesentliche Ergänzung zum tatsächlichen Ablauf des Gesprächs hat auch Morsey, Preußenschlag, S. 430–439, hier S. 436 f. Anm. 37 hingewiesen. 154 Vgl. verschiedene Schreiben Sperrs an Reichskanzler Kurt von Schleicher, Ministerpräsident Held und das Bayerische Staatsministerium des Äußern (Dezember / Januar 1932/33), BayHStA, StK 5282/1. Die ausgearbeiteten Sicherungsvorschläge sind teilweise abgedruckt bei Vogelsang, Verhältnis Bayerns zum Reich, S. 460–488, hier S. 479 f. 155 Franz Sperr an Ministerpräsident Heinrich Held (10. Januar 1933), BayHStA, StK 5282/1. 156 Nachdem ihm der Staatssekretär des Reichspräsidenten, Otto Meissner, mitgeteilt hatte, dass eventuell nur ein Minderheitskabinett Papen gebildet werden könne, erwiderte Sperr: »Ich meinte hierzu, das bedeute Kampf und fast naturnotwendig den Verfassungsbruch. […] Wie wir zu der Reichsreform stünden, sei ja bekannt.« Weiter legte Sperr die bayerische Auffassung bezüglich »der konstruktiven Beseitigung des Dualismus Reichs-Preussen« dar und betonte, »dass Bayern jedem Kabinett gegenüber Sicherheiten verlangen müsste, dass ihm aus dieser Beseitigung kein Nachteil erwachse«. Anschließend wies er erneut auf die so genannten Punktationen hin, die Schleicher nicht unterzeichnen wollte (Vormerkung Sperr (30. Januar 1933), BayHStA, StK 5330).

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bliebene Möglichkeit der Verhinderung einer Regierung Hitlers auszusprechen, sonderbar erscheinen. Gewiss bildete Sperr bei all seinen Handlungen in diesen Wochen und Monaten den verlängerten Arm seiner Regierung in Berlin. Doch hatte sich Papens Vorgehen gegen Preußen im Juli 1932 auch tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Dessen Politik gegenüber den Ländern war bekannt und es war zu erwarten, dass er diese fortsetzen würde. Obwohl sich nach erfolgter Machübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 die Handlungsspielräume Bayerns verflüchtigten, trat Sperr weiterhin entschieden für die Rechte Bayerns und den föderalen Staatsaufbau des Reiches insgesamt ein. Er war im Gegensatz zu Otto Geßler und Eduard Hamm kein Reichspolitiker, sondern blieb bis ins »Dritte Reich« hinein, zunächst als Beamter, später dann auch als Privatier im Widerstand, bayerischer Föderalist.

4. Die Weimarer Republik: Umgang mit der »neuen« Staatsform Der Umbruch von 1918 stellte die im Bismarck-Reich und bayerischem Königreich sozialisierten Bürger Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler gleich Millionen anderer Deutscher vor eine große Herausforderung. Die erste deutsche Republik kam vor allem für das Bürgertum unerwartet und schnell. Eine rasche Entscheidung war notwendig: Zurechtfinden oder abfinden, mitgestalten oder bekämpfen hießen die Alternativen, vor die auch die späteren Mitglieder des »Sperr-Kreises« gestellt wurden. In der Spätphase der Republik waren es dagegen die Alternativen: Bekämpfen, Reformieren oder Erhalten des politischen und föderalen Systems. Im Folgenden wird untersucht, wie die drei Protagonisten des späteren bayerischen Widerstandskreises – Sperr, Hamm, Geßler – den Übergang von der Monarchie zur Republik »meisterten«. Lohnte es sich aus ihrer Sicht an einer erfolgreichen Etablierung der »neuen« Staatsform mitzuwirken oder bekämpften sie diese? Ähnelten sich ihre Vorstellungen, oder wurden alle drei trotz ihres späteren Zusammenstehens gegen Hitler von teils unterschiedlichen Gedankengängen im Umgang mit der Republik geleitet? Franz Sperr blieb zeit seines Lebens »parteipolitisch ungebunden«157. Diese Aussage, die von seiner Witwe stammte, bedeutet jedoch nicht, dass er als Mitglied des Militärs politisch orientierungslos oder gar unpolitisch war. Dem Hause Wittelsbach war er bis 1918 und wohl darüber hinaus treu verbunden, was nicht zuletzt seine Aufgebrachtheit bei Ausbruch der Revolution im November 1918 belegte, als er nicht zu jenen zählen wollte, die den König in dieser schweren Stunde verließen.158 Als glühender Monarchist trat Sperr in den Jahren der 157 Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. 158 Vgl. Schreiben Frida Sperr an Ricarda Huch (5. Februar 1947), IfZ, ZS / A 26a/3, Bl. 53–58, hier Bl. 57.

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Weimarer Republik dennoch nicht in Erscheinung. Er dürfte die politischen Entwicklungen ab November 1918 zwar mit Sorge wahrgenommen, aber doch als gegebene Tatsachen und den Lauf der Zeit erachtetet haben. Sperr ging es deshalb in der Folgezeit weniger darum die Uhr zurückzudrehen, als dafür Sorge zu tragen, dass die Veränderungen im Reich-Länder-Verhältnis, im Speziellen die im Verhältnis Reich-Bayern, nicht zu weit führten, und dass die den Ländern in der Reichsverfassung von 1871 garantierten Rechte auch möglichst in der künftigen Reichsverfassung gewahrt bleiben würden. Er stellte sich somit pragmatisch auf die neue Situation ein und bekam durch seine unmittelbare Teilnahme an den Verhandlungen im provisorischen Staatenausschuss in Weimar frühzeitig Gelegenheit am Aufbau des künftigen republikanischen Systems mitzuwirken, wodurch ihm in gewisser Weise ein routinierter Umgang mit der »neuen« Staatsform gelang. Sperr lehnte die Republik in den Folgejahren keineswegs ab. Er versuchte vielmehr, sich an ihrer Stabilisierung bei gleichzeitiger Erhaltung eines starken Föderalismus zu beteiligen. Dabei ging er ganz in seiner Rolle als Interessensvertreter Bayerns in Berlin auf. Auch auf die veränderten Herrschaftsstrukturen in München ließ sich Sperr rasch ein. Die Umstellung von seiner Rolle als Offizier, der seinem Vorgesetzten und letztlich dem König als Oberbefehlshaber zu gehorchen hatte, auf die eines Beamten, der nun unmittelbar der bayerischen Landesregierung unterstellt war, vollzog Sperr pragmatisch und ohne Anlaufschwierigkeiten. Schließlich brachte die Tatsache, dass er nun einen neuen Dienstherrn hatte, für ihn keine Veränderung hinsichtlich seines Aufgabengebietes mit. Er geriet in keinen Gewissenskonflikt. Ein Gefühl des Verrats gegenüber dem Hause Wittelsbach dürfte er nicht verspürt haben. Denn nach wie vor trat er entschieden für die Interessen Bayerns im Reich ein. Schnell stellte er daher als Militärbevollmächtigter bei Kompetenzstreitigkeiten klar, dass er »in seiner gesamten Geschäftsführung allein der Staatsregierung verantwortlich sei« und »allein von dieser Aufträge entgegenzunehmen habe«.159 Dieses sollte sich auch nicht nach seiner Ernennung zum stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat und zum Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium des Äußern ändern. Sperr wurde aufgrund seines selbstbewussten und durchaus erfolgreichen Auftretens in Berlin und Weimar kurzer Hand in den bayerischen Staatsdienst übernommen. Als vereidigter, bayerischer Beamter trat er in ein besonderes Treueverhältnis zum Freistaat Bayern ein. Besonders hohes Pflichtbewusstsein hatte Sperr schon als Offizier ausgezeichnet. Seine Haltung gegenüber der bayerischen wie der deutschen Republik war fortan, insbesondere nachdem er 1932 kommissarisch und 1933 offiziell an die Spitze der Bayerischen Gesandtschaft in Berlin trat, die eines pflichtbewussten Beamten, der unabhängig von politischen Machtwechseln in München für die Interessen Bayerns auf Reichsebene eintrat. Er stellte Bayern 159 Franz Sperr an den Landeskommandanten in Bayern (Berlin, 21. Mai 1920), BayHStA, StK 4401. Vgl. zu der Auseinandersetzung mit dem bayerischen Landeskommandanten Lankes, Franz Sperr, S. 37 f.

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über die jeweilige Staats- und Herrschaftsform, weshalb er 1933 die Rückkehr zur Monarchie mit Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach als bayerischen König zum Schutz Bayerns gegenüber dem nationalsozialistischen Machtstreben befürwortete.160 Sperr war in erster Linie Föderalist, weniger Demokrat oder Monarchist, ein Tatbestand der sich über seinen Rücktritt als bayerischer Gesandter im Juli 1934 hinaus bis in seine Widerstandstätigkeit gegen den Nationalsozialismus nachverfolgen lässt. Dieser Haltung am nächsten kam wohl – im Vergleich der drei Protagonisten des späteren »Sperr-Kreises« untereinander – Eduard Hamm. Für ihn, der im ausgehenden 19. Jahrhundert politisch sozialisiert worden war und dann im Naumannschen Liberalismus seine politische Heimat gefunden hatte, standen systemübergreifende und organisch gewachsene Werte und Normen wie Humanität und Rechtsstaatlichkeit im Vordergrund. Angesichts der drohenden Kriegsniederlage und des innenpolitischen Drucks ließ sich Kaiser Wilhelm II. im Oktober 1918 auf Reformen in Richtung einer parlamentarischen Monarchie ein.161 Auch in Bayern setzte in der Zeit des Prinzregenten und dann unter Ludwig III. vor allem auf der Ebene der politischen Kultur ein Demokratisierungsprozess ein. Die Wittelsbacher Monarchie schien sich dem Zeitgeist anzunähern und schuf das Fundament für ein »Bürgerkönigtum«.162 Der Erste Weltkrieg und mit ihm die Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht der bayerischen Bevölkerung, aber auch politische Fehler des Königs stürzten auch die bayerische Monarchie in die Krise. Chancen zur Neulegitimierung der Monarchie blieben ungenutzt und Gesetzesinitiativen zur Parlamentarisierung der Monarchie, die an die »Oktoberreformen« auf Reichsebene anknüpften, wurden zu spät in die Wege geleitet. Kriegsende und Revolution sorgten schließlich für den Sturz der Wittelsbacher Monarchie. Für Eduard Hamm war dies ein zu rascher, überstürzter Systemwechsel, der sich »aus Not und Bitternis« im Reich und in Bayern vollzog, wie er in einer Wahlkampfrede 1920 indirekt zu erkennen gab.163 Er verstand die nun erlangte Demokratie dennoch »als geschichtliche Notwendigkeit, als die einzig mögliche Errettung, die einzig mögliche Gestaltung Deutschlands«.164 Da der Untergang der Monarchie im November 1918 geschichtliche Realität geworden sei, habe sich für Deutschland wie für Bayern nun nur die eine Frage nach dem künftigen Herrschaftssystem gestellt: »Demokratie oder Diktatur?«. Dabei sei Hamm zu Folge die zweite Option nicht von Arbeiterschaft oder Proletariat anvisiert worden. Vielmehr habe sich eine »Diktatur des bewaffneten Haufens ideenloser 160 Auf diesen Sachverhalt wird im Kap. V.1.a ausführlich eingegangen. 161 Zu den so genannten »Oktoberreformen« 1918 vgl. E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 584–588. 162 Vgl. hierzu und im Folgenden März, Ende der bayerischen Monarchie, S. 207–226. 163 Manuskript einer Wahlrede Eduard Hamms (vermutlich im Jahr 1920), S. 1–50, insbesondere S. 6, BayHStA, MHIG 305. 164 Ebd.

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Meuterer« ausgebildet.165 In Bayern sei Hamm dieser entschieden entgegengetreten, als er mit wenigen anderen Beamten seines Ministeriums Kurt Eisner den Diensteid verweigert habe. Man habe hierbei Eisner entgegengehalten, »dass seine Macht sich auf nichts stütze als die Gewalt einiger Bajonette und die Waffenlosigkeit des Bürgertums […], dass diese Macht kein Recht sei und dass [sie] den Eid erst dann leisten können, wenn das bayerische Volk sich erneut eine Verfassung gegeben und so wieder Recht geschaffen haben werde.«166 Hamms damalige Verweigerung des Eides war also kein Zeichen des Festhaltens an der Monarchie oder der Ablehnung der Republik, sondern der Missbilligung der Diktatur wegen bürgerlich-rechtstaatlicher Grundsätze. Als Reichstagsabgeordneter der DDP kam Hamm im Juli 1922 auf sein Republikverständnis zu sprechen: »Republik ist unendlich vielen zunächst nur eine Vernunftsache; mir ist sie, offen gestanden, Herzenssache, weil ich mir eine andere deutsche Staatsform für den Wiederaufbau unseres Vaterlandes, eine andere Möglichkeit der Verschmelzung aller Klassen und Stände nicht denken kann. Mir ist sie Herzenssache, weil ich fühle und weiß, daß diese Staatsform die höchste Staatsform ist, die würdigste und reinste, wenn sie getragen wird von würdigen Männern, von reinen Händen, und von freiem Geiste erfüllt ist. […] Ob und wieweit die Befestigung der Republik gelingt, hängt ab, ob wirklich gute Republikaner ihr dienen. Republik ist eben nach unserer Auffassung etwas anderes als ein Zustand ohne Kaiser und König. Republik bedeutet vor allem Staat, staatliche Hoheit, staatliche Würde, Einordnung, Unterordnung, bedeutet Gehorsam und Arbeit für die Republik, sei es sogar Überarbeit, Überschichten.«167 Hierbei ragen zwei Begriffe deutlich heraus: »Vernunftsache« und »Herzenssache«. Thomas Hertfelder hat festgestellt, dass die »Dichotomie von ›Vernunft‹ versus ›Herz‹ […] den Republikdiskurs der Weimarer Linksliberalen wie ein roter Faden« durchzogen habe.168 Bereits 1919 bezeichnete sich der Historiker und Mitbegründer der DDP Friedrich Meinecke selbst als »Herzensmonarchist« und »Vernunftrepublikaner«169. Der Begriff des »Vernunftrepublikaners« fand in der 165 Ebd., S. 6. Hamm zeigte in dieser Rede deutlich seine in den Jahren der Weimarer Republik an den Tag gelegte Fähigkeit, auch mit politischen Kontrahenten konstruktiv umzugehen. Über die Parteigrenzen hinweg zählte er auch Politiker der SPD zu seinen politischen Freunden. Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen der Klientel der Sozialisten und der Kommunisten diente zu diesem Zeitpunkt wohl in erster Linie dem Ziel, auch in diesem ersteren Lager Stimmenzuwächse verzeichnen zu können. Doch traten seiner Ansicht nach Arbeiter und Proletariat für soziale Mitbestimmung und Sicherheit innerhalb des demokratischen Systems ein, während die Kommunisten im Reich auf eine Diktatur zusteuerten und in Bayern zu ihr zurückkehren wollten. 166 Ebd., S. 6 f. 167 Verhandlungen des Reichstags. 1. Wahlperiode 1920, Bd. 356, S. 8469–8477, hier S. 8475 f. 168 Hertfelder, »Meteor aus einer anderen Welt«, S. 29–55, hier S. 29. 169 Meinecke erklärte: »Ich bleibe, der Vergangenheit zugewandt, Herzensmonarchist und werde, der Zukunft zugewandt, Vernunftrepublikaner« (Meinecke, Verfassung, S. 280–298, hier S. 281).

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Folgezeit vielfach Verwendung. Auch wenn er nicht auf jede Person zutraf, die für sich selbst diese Charakterisierung anwandte.170 Nach Wirsching »beschränkt er sich auf jene politischen Protagonisten im liberalen bürgerlichen Spektrum, die mangels realpolitischer Alternativen ihren Frieden mit der Republik machten und sich auch öffentlich für sie einsetzten«171. Die Behauptung, Hamm sei ein »entschiedener Vernunftrepublikaner« gewesen172, ist angesichts des hier zitierten »Herzens«-Bekenntnisses Hamms zur Republik nur schwer nachzuvollziehen. Doch auch die gegenteilige These, Hamm sei schon aufgrund seiner Mitgliedschaft in der »streng republikanischen« DDP als Herzensrepublikaner zu bezeichnen173, führt zu kurz.174 Hamm setzte tiefes Vertrauen in die Republik, die seiner Ansicht nach zwei Aufgaben erfüllen konnte: Den Wiederaufbau des Vaterlandes und die Verschmelzung aller Klassen und Stände. Die Erziehung zum »verantwortliche[n] Staatsbürgertum aller Klassen« schwebte ihm vor.175 Alle »dem Staate Treuen« sollten sich seiner Vorstellung nach »in allen Teilen des Reichs, auch in Bayern, […] zum einmütigen Schutze des deutschen Freistaats« zusammenzufinden.176 Ein späterer Mitarbeiter der Deutschen Wirtschafts-Zeitung, die Hamm herausgab, beschrieb in diesem Zusammenhang Hamms Verständnis von Demokratie: »Für ihn war Demokratie eine Quelle nicht zusätzlicher Rechte, sondern zusätzliche[r] Verpflichtungen gegenüber dem Staat. Er empfand es sehr stark, dass die Staatsbürger unter einer Verfassung, die ihnen letzten Endes die gesamte staatliche Willensbildung überträgt, erhöhte Verantwortung tragen, und er war seiner ganzen Natur nach bereit, diese erhöhte Verantwortung für sich und seine Arbeit zu übernehmen«177. 170 So nannte sich beispielsweise der Reichswehrminister a. D. Otto Geßler (DDP), der im Verlaufe dieser Arbeit noch eine wichtige Rolle spielen wird, retrospektiv »Vernunftrepublikaner«. Thomas Hertfelder hat dagegen gezeigt, dass Geßler diesen Begriff zu Unrecht für sich beanspruchte, weil er im Gegensatz zu Meinecke, die Republik »nur als unumstößliche Tatsache akzeptierte«, und dagegen nicht versuchte »ihre Legitimität mit historischen und funktionalen Argumenten zu begründen« (Hertfelder, »Meteor aus einer anderen Welt«, S. 30). 171 Wirsching, »Vernunftrepublikanismus«, S. 9–26, hier S. 10. 172 So Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 92. 173 Steinbach, Eduard Hamm, S. 105. 174 Denn auch innerhalb der DDP war die Einstellung gegenüber der Weimarer Republik ambivalent, wie im Folgenden insbesondere das Beispiel Otto Geßler zeigen wird. 175 Verhandlungen des Reichstags. 1. Wahlperiode 1920, Bd. 356, S. 8469–8477, hier S. 8476. Über sämtliche Klassenschranken hinweg sollte »eine lebendige Mauer des deutschen Staatsbürgertums« geschaffen werden, »das diesen Staat nun mit höchster Achtung und Hingebung als seinen Staat und dessen Ehre als seine Ehre erfaßt« (ebd., S. 8476 f.). 176 Ebd., S. 8476 f. 177 Karlheinrich Rieker: Reichsminister a. D. Dr. Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag (Manuskript), BayHStA, NL Hamm 42, S. 5. – Ähnlich äußerte sich der langjährige Weggefährte und Verbündete im Widerstand, Rudolf Decker, über Hamms demokratische Gesinnung: »Gewiß, er war Demokrat. Aber er entfernte sich mehr und mehr vom

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Hamm war in der Tat »Herzensrepublikaner«, weil er sich von der Republik Dinge versprach, die die Monarchie seiner Ansicht nach nicht zu erfüllen im Stande war. Die Republik war für Hamm deshalb »Herzenssache«, weil nur sie es seiner Meinung nach vermochte, dass sich das gesamte deutsche Volk mit dem deutschen Staat identifizieren könnte und sich dadurch freiwillig dazu bereit erklären würde, ihm zu dienen und ihn gegen Feinde von innen und außen zu verteidigen.178 Eduard Hamm, der früh ein Anhänger des demokratischen Prinzips war, hätte wohl 1918 als ersten Schritt hin zur vollendeten Demokratie eine Art »neuzeitliche Monarchie«, eine Verbindung von Kaisertum und Demokratie im Sinne Naumanns, bevorzugt. Er war jedoch gedanklich flexibel genug, um sich den Bedingungen der Zeit anzupassen.179 Seinem Freund Otto Geßler gelang dies hingegen nur bedingt. Den Übergang von der Monarchie zur Republik nahm er zwar als logische Konsequenz der politischen Ereignisse seit dem November 1918 zur Kenntnis: »Das Reichsvolk war als einzig mögliches Rechtssubjekt aus dem Chaos des Zusammenbruchs übriggeblieben«, wodurch »sich von selbst grundsätzliche staatsphilosophische Betrachtungen über Sinn und Wert der Volkssouveränität [erübrigten]«.180 Dennoch machte er in der Folgezeit nie einen Hehl aus seiner grundsätzlich monarchistischen, ja sogar bayerisch-legitimistischen Gesinnung.181 Als Reichspräsident Friedrich Ebert ihm im März 1920 nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch das

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parteipolitischen Dogma. Die Demokratie war für ihn schließlich nichts anderes als der Name für die Begründung des Staates auf den verfassungsgebenden Volkswillen und einen vorsichtigen Umbau der gesellschaftlichen Ordnung im Sinne einer stärkeren Betonung des Rechtes der Arbeit und der sozialen Pflichten des Bürgertums, auf die immer wieder hinzuweisen er sich auch gegenüber den Unternehmern nicht versagte« (Rudolf Decker: Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110). Daher ist der Meinung von Gerhard Schulz zuzustimmen, der Hamm »zu jenen Liberalen« zählte, »denen die neue Reichsverfassung ein organisches Erzeugnis der geschichtlichen Entwicklung, im Grunde eine unwiderrufliche Revision der Verfassung Bismarcks, jedoch keineswegs eine revolutionäre Errungenschaft, wohl die Basis der politischen Konsolidation, doch keineswegs das Ergebnis des Umsturzes und das Werk einer politischen Richtung war. Folgerichtig wollte er die Verteidigung der Verfassung von Weimar auch nicht als Verteidigung ›oder auch nur Entschuldigung der Revolution‹ führen, sondern sie als System des Ausgleichs, als ›die Verfassung der Überwindung der Revolution sehen‹« (Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, S. 461). Dies sollte Hamm erneut unter Beweis stellen, als die Republik ihrem Untergang entgegensteuerte und er gemeinsam mit seinem Freund Otto Geßler für eine Reichs- und Verfassungsreform eintrat. Auf diese Arbeit im Bund zur Erneuerung des Reiches wird in diesem Kapitel weiter unten eingegangen, weil sich Hamms politische Haltung zur Republik und diejenige Geßlers in jener Zeit wieder annäherten. Geßler, Träger der Reichsgewalt, S. 21. Dem General Edmund Glaise von Horstenau habe Geßler Mitte der 1930er Jahre in Wien seine politische Gesinnung deutlich gemacht: »Im übrigen machte er kein Geheimnis daraus, bayrischer Legitimist zu sein; er wolle in ein blauweißes Tuch gewickelt in den Sarg gelegt werden« (vgl. Broucek, General im Zwielicht, S. 163).

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Amt des Reichswehrministers antrug, nahm er dies nur widerwillig an, wusste er doch, dass er an die Spitze der Reichsverteidigung und somit offiziell zum ersten Verteidiger der Republik aufsteigen würde – jene Republik, die er selbst ablehnte.182 In mancherlei Hinsicht dürfte ihm die in jenen Tagen in seiner Heimat vom neuen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr proklamierte konservative »Ordnungszelle« Bayern nähergelegen haben.183 Diese befürwortete er dennoch nicht, nahm sie doch den Bruch mit Berlin und eine Gefährdung der Reichseinheit billigend in Kauf. Geßler unterschied somit klar zwischen Staat und Staatsform. Doch statt sich nun gedanklich gegen die Republik zu wenden, hätte seine Aufgabe als Reichswehrminister in den folgenden Jahren eigentlich darin bestehen müssen, politisch offen für eine »Republikanisierung« der Truppe im Sinne der neuen, demokratischen Verfassung einzutreten. Doch verstand sich Geßler selbst vor allem als politisches Schutzschild der Reichswehr184, die aus seiner Sicht unpolitisch zu bleiben habe. »Republikanisierung« dagegen hätte bedeutet, dass die Armee die neue Staatsform und ihre Verfassung akzeptiert und begrüßt hätte. Dies konnte Geßler, der selbst kein Anhänger der Republik war, nicht leisten. Sein Weg lautete daher: Erziehung der Truppe zur »Staatstreue« und damit zu einer aus seiner Sicht hinreichenden Haltung gegenüber dem Staat, die in der Verteidigung der territorialen Integrität des Reiches ihren praktischen Ausdruck fand.185 Seinem Biographen Möllers ist daher beizupflichten, dass

182 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 130. 183 In Bayern löste von Kahr als Ministerpräsident den Sozialdemokraten Johannes Hoffmann ab und setzte sich zum Ziel, das mit den politischen Auswüchsen 1918/19 in Bayern entstandene »Chaos« endlich zu beseitigen und damit dem nationalen Wiederaufstieg des Reiches von Bayern aus Vorschub zu leisten. Die »Ordnungszelle« Bayern wandte sich als politisches Konzept ausdrücklich gegen die in Berlin wahrgenommenen »marxistischen« Tendenzen. Der Freistaat Bayern wurde aufgrund dieser Marschroute in jenen Wochen und Monaten besonders attraktiv für republikfeindliche und völkische Strömungen. Die Differenzen zwischen München und Berlin sollten fortan immer deutlicher zu Tage treten (vgl. hierzu das Kap. III.3). Innerhalb der »Ordnungszelle« Bayern konnte auch der Nationalsozialismus um Hitler erstarken, weshalb sie als ein Wegbereiter seines Machtaufstiegs angesehen wird (vgl. Ay, Räterepublik, S. 9–26). 184 Gegenüber Glaise-Horstenau habe Geßler geäußert, dass er sich »während [s]einer Ministerschaft immer als Prellbock für Seeckt gegenüber den Parteien gefühlt« habe (zit. n. Broucek, General im Zwielicht, S. 163). 185 Vgl. Möllers, Reichswehrminister, S. 58. Diese Strategie ließ allerdings erkennen: Geßler machte als Feinde des Reiches neben den Äußeren hauptsächlich die linksradikalen Strömungen aus und weniger die rechtsradikalen Wehrverbände und vaterländischen Organisationen, deren Haltung gegenüber dem Reich sich nicht gravierend von derjenigen der Reichswehr unterschied. Möllers brachte es auf den Punkt: »Von einer ›Republikanisierung‹ als einer Erziehung der Reichswehr zu einer republikanischen Armee, in der die Soldaten überzeugte Republikaner waren oder zumindest dieses System als politisch zweckmäßige anerkannten, konnte unter der Führung des Reichswehrministers Geßler keine Rede sein« (ebd.).

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­ eßler – im Gegensatz zu Hamm – »den politischen Wechsel zur parlamentariG schen Demokratie nicht verstanden [hat], wie andere auch«.186 Nach Eberts Tod war Geßler heißer Kandidat und Favorit der bürgerlichen Parteien für die Reichspräsidentschaft, was letztlich durch den Einfluss Gustav Stresemanns verhindert wurde. Später erklärte Geßler in seinen Memoiren, er habe dieses Amt ohnehin niemals angestrebt, und begründete auch dies mit seiner Einstellung gegenüber der Weimarer Republik. Allein sein Beamtenethos habe es ihm ermöglicht, der Republik zu dienen; doch hätte er sie niemals repräsentieren können.187 Diese Haltung änderte sich nicht grundsätzlich, als Geßler im Januar 1928 vom Amt des Reichswehrministers zurücktreten musste.188 Bereits in den Jahren zuvor war er mehr und mehr amtsmüde geworden.189 Des Weimarer Parteien­ 186 Ebd., S. XI. – Allerdings dürfte Geßlers Ablehnung der Republik nicht so weit gegangen sein, dass er diese aktiv bekämpft hätte. Mit Sicherheit trug er als Reichswehrminister Anteil am Aufbau der so genannten »Schwarzen Reichswehr«, der versteckten Aufrüstung, weniger jedoch an dessen Eigenleben. Seine diesbezügliche Aktivität, die eine faktische Unterwanderung des »Versailler Vertrages« darstellte, dürfte sich ab dem Krisenjahr 1923 auf die Aufstellung von inoffiziellen »Arbeitskommandos« im Osten und deren Versorgung mit Waffen beschränkt haben, um im Fall der Fälle einen Angriff Polens abwehren zu können. Sein Versagen und das der Reichswehrführung dürfte in der Folgezeit darin bestanden haben, dass sie »die Kontrolle, was sich in diesen Kommandos tat entweder nie gehabt oder alsbald verloren« haben. Geßler und den Reichswehrstellen ist daher »zumindest grobe Fahrlässigkeit« zu unterstellen, dass sich »eine rechtsradikale Putscharmee entwickeln konnte«, die eine große Gefahr für den Bestand der Republik darstellte (Sauer, »Schwarze Reichswehr«, S. 113–150, hier S. 142). 187 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 336. Geßler schrieb an dieser Stelle weiter: »Meine politische Leidenschaft gehörte nicht der Weimarer Republik. Mein Herz gehörte der Vergangenheit, dem Bismarck-Reich. Die demokratische Republik in ihrem grauen Mantel, in ihrer außenpolitischen Bedrängnis und mit dem ganzen, mir nur allzu vertrauten Parteihader war für mich nur eine notwendige, allerdings schicksalhaft notwendig gewordene Form« (ebd., S. 336). 188 Geßler trat am 19. Januar 1928 aufgrund der so genannten »Lohmann-Affäre« zurück. Der Kapitän zur See, Walter Lohmann, verwaltete mit Wissen der Regierung »schwarze Kassen« der Marine, die zur Vorbereitung möglicher Kampfhandlungen in der »Ruhrkrise« 1923 genutzt werden sollten. Lohmann investierte jedoch nicht nur in militärisches Gerät, sondern unter anderem auch in die Phoebus-Film AG, die trotz von Lohmann besorgter staatlicher Kredite Konkurs anmelden musste. Die staatlichen Investitionen wurden im August 1927 öffentlich. Das Aufrüstungsprogramm konnte von der Regierung verschleiert werden. Die nicht-militärischen Ausgaben wurden Lohmann angelastet. Allerdings wollte der Reichstag die Abwicklungskosten erst nach Rücktritt Otto Geßlers bewilligen, weshalb dieser – offiziell aus gesundheitlichen Gründen – zurücktrat (vgl. hierzu auch Remmele, Geheimrüstung, S. 313–376). 189 Harry Graf Kesslers Tagebucheinträge werfen kein gutes Licht auf die Arbeitseinstellung Geßlers gegen Ende seiner Amtszeit. Ministerkollegen wie Peter Reinhold und Gustav Stresemann bezeichneten ihn als »hauptsächlich faul, u. dabei wirklich uninformiert über die Dinge, die sich in seinem Ministerium zutrügen«. Auch kritisierten man Geßlers Umgang mit der »Lohmann-Affäre«: Er »kümmere sich überhaupt nicht um sein Ministerium« und »die Beamten täten, was sie wollten. […] Seine Akten kenne er nicht, rede aus Unkenntnis

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staats war er längst überdrüssig geworden und die DDP schon längst nicht mehr sein eigentliches politisches zu Hause gewesen. Zu sehr unterschieden sich seine Positionen von denen einflussreicher Persönlichkeiten der Partei, wie die des Pazifisten Ludwig Quidde.190 Sein Austritt bereits 1927 erschien daher die logische Konsequenz. Doch statt die ungeliebte Weimarer Republik aus dem politischen Exil heraus ihrem Untergang entgegenschreiten zu sehen, ging Geßler – auf den ersten Blick verwunderlich, doch angesichts seines politischen Ethos und gemäß seiner Naumannschen Prägung konsequent – einen anderen Weg. Ab diesem Zeitpunkt trat er entschiedener als je zuvor für Reformen im Reich ein, mit dem Ziel seiner Stabilisierung. Auch Eduard Hamm, der inzwischen als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Industrie- und Handelstages ein Interessensvertreter der gewerblichen deutschen Wirtschaft in Berlin war, sah seit Mitte der 1920er Jahre die Notwendigkeit zu politischen Reformen auf Reichsebene, vor allem aus seiner wirtschaftspolitischen Perspektive und verwaltungstechnischer Erfahrung heraus. Gemeinsam traten Hamm und Geßler als Gründungsmitglieder 1928 dem Bund zur Erneuerung des Reiches (BER) bei, der im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Erneuerungsbund oder »Luther-Bund« bezeichnet wurde, in Anlehnung an den ersten Vorsitzenden, den ehemaligen Reichskanzler Hans Luther. Vordergründiges Ziel des Bundes war es, die Ausgaben des Staates zu kürzen und dafür auf der Einnahmenseite durch Senkung der Unternehmenssteuern die Wirtschaft anzukurbeln. Vor allem die Verwaltungsstruktur des Reiches wies in ihren Augen enorme Defizite auf, wobei insbesondere der Dualismus zwischen Preußen und dem Reich als Grund für einen überkommenen, kostenfressenden Bürokratieapparat erkannt wurde.191 In seiner Betrachtung über »Die Träger der Reichsgewalt« äußerte Geßler, der seit 1931 den Vorsitz des BER innehatte, in erster Linie Kritik am theoretischen Konstrukt der Weimarer Reichsverfassung. Seine Lösungsansätze, die er vor dem Hintergrund der politischen Krise der Weimarer Republik zu Beginn der 1930er Jahre entwickelte und die auf eine Reform des politischen Systems, jedoch nicht auf dessen Ausschaltung abzielten, lassen sich in zwei Hauptanliegen zusammenfassen: Erstens sah er die Notwendigkeit, das Verhältnis der Verfassungsorgane untereinander neu zu regeln. Dabei wandte er sich den theoretischen Machtbefugnissen und deren Ausübung durch den Reichstag und den Reichspräsidenten zu. Der Reichstag sei hiernach sehr mächtig, doch sei es aufgrund der Parteizersplitterung schwierig bis unmöglich, im Reichstag noch eine Mehrheit zustandezubringen. Dies lastete Geßler vor allem dem Verhältniswahlsystem dummes Zeug drum herum u erwecke dadurch den Eindruck der Unaufrichtigkeit« (Einträge zum 6. März 1927 und zum 23. November 1927, in: Kessler, Tagebuch 1880–1937: Neunter Band, S. 86 f. u. S. 174). 190 Vgl. Möllers, Reichswehrminister, S. XXX f. Zu Quidde siehe Holl, Quidde. 191 Zur Tätigkeit und Zusammensetzung des »Luther-Bundes« bisher am ausführlichsten Kim, Industrie, S. 20–47.

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an, das »die ganze Zerissenheit« des deutschen Volkes zum Vorschein bringe.192 Geßlers Resümee lautete daher, »daß im deutschen Volke die Voraussetzungen für das parlamentarische System nicht gegeben sind.«193 Hingegen spreche die Verfassung dem Reichspräsidenten nicht jene Kompetenzen zu, die einem vom Volk direkt gewählten Staatsoberhaupt zustehen müssten. Stattdessen habe man 1919 »eine merkwürdige Mischung aus der Lehre von der Teilung der Gewalten und dem westlichen Parlamentarismus geschaffen«.194 Hierin sah Geßler zugleich eine »verhängnisvolle Teilung der Verantwortung«.195 Angesichts der Krise des parlamentarischen Systems riet Geßler nun zu entschiedenem Handeln und zur »Errichtung der gesetzlichen Diktatur« auf Grundlage des Art. 48 Abs. 2 WRV196: »Das bedeutet außerordentliche Vollmachten für den verantwortlichen Staatslenker und Beseitigung aller unnötigen Hemmungen, die sich aus dem Gesetz und dem parlamentarischen Betrieb für seine Entschlüsse und Handlungen ergeben.«197 Geßler dachte somit an eine »diktatorische« Stärkung des Reichspräsidenten. Dieser könne aber auch dem Reichskanzler, einem Reichsminister oder irgendeiner anderen Persönlichkeit die »Stellung eines Diktators« einräumen, wenn parallel die Befugnisse des Reichstags beschnitten würden.198 Zweitens trat Geßler für eine Neugliederung des Reiches ein. In Weimar sei es 1919 entgegen der ursprünglichen Überlegungen der Schaffung eines Einheitsstaats unter dem Druck der süddeutschen Länder doch zur Gründung eines Bundesstaates gekommen, allerdings unter »völliger Beseitigung des Grundgedankens des Bismarckschen Reiches«.199 Es sei insbesondere versäumt worden, das Verhältnis der Länder zum Reich klar zu bestimmen. Die Konflikte Münchens mit Berlin seien lediglich »die Kehrseite« des Dualismus Preußens mit dem Reich, der daher dringend beendet werden müsse.200 Die innere Schwächung des Reiches galt es aus Sicht Geßlers durch Beseitigung dieser Konstruktionsfehler der Weimarer Reichsverfassung zu überwinden. Erst dann wäre man wie 192 Geßler, Träger der Reichsgewalt, S. 53. 193 Geßler weiter: »Die Schicksalsfrage ist nur: ob überhaupt nicht oder noch nicht« (ebd., S. 54). 194 Ebd., S. 62. 195 Ebd., S. 64. 196 Hier heißt es: »Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicher­ heit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen« (Die Verfassung des Deutschen Reichs, RGBl. 1919, Nr. 152, S. 1383–1418, hier S. 1392). 197 Geßler, Träger der Reichsgewalt, S. 70. 198 Ebd., S. 72–74. 199 Ebd., S. 101. Die Hegemonie Preußens sei beseitigt worden und die Länder in ihren Rechten derart beschränkt, dass an der Berechtigung der Bezeichnung »Länder« gezweifelt werde (vgl. ebd., S. 101). 200 Vgl. ebd., S. 105.

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1871 erneut in der Lage »als machtpolitisches Zentrum für Mitteleuropa«201 aufzutreten. Geßler blieb zwar vom Grundsatz her Monarchist, glaubte jedoch, dass sich auch unter einer veränderten Verfassungswirklichkeit – einem republikanischen System mit einem politischen Führer an der Spitze – die aus seiner Sicht dem Anspruch des deutschen Volkes gerecht werdende Hegemonialstellung in Mitteleuropa erreichen ließ.202 Wenn sich Eduard Hamm auch aus der Tagespolitik zurückgezogen hatte, wirkte er bis 1933 weiterhin im Hintergrund. Als Versuch, die Republik nicht nur wirtschaftlich aus ihrer tiefen Krise zu befreien, müssen die von Eduard Hamm angestellten Überlegungen im Herbst 1930 gewertet werden. Durch eine Zusammenfassung aller pro-republikanischen Kräfte sollte die Regierung unter Heinrich Brüning gestützt werden. Hamm plädierte in diesen Tagen ausdrücklich für einen »Zusammenschluß der verfassungstreuen [Parteien]«203, während die »Bestrebungen zur Bildung einer neuen Mittelpartei«, die gleichzeitig anliefen, dagegen zunächst im Sand verliefen.204 Mit dem früheren Staatssekretär in der Reichskanzlei, Franz Kempner, tauschte sich Hamm in diesen Tagen detailliert über ein tragfähiges Verfassungskonzept aus. Aus dem Schreiben Kempners vom 17. September 1931, in dem er auf ein Gespräch mit Hamm vom Vortag Bezug nahm, geht hervor, dass die Gründung einer weiteren Staatspartei nicht als zweckmäßig erachtet wurde.205 Das »System der Rettung« sah Kempner, dessen Auffassung Hamm in dieser Frage offenbar vollends teilte, vielmehr einzig in einem »Burgfrieden«, einem politischen Stillhalteabkommen: »Konkret ausgedrückt: Man soll den heutigen Führer stürzen (wenn man ihn für ungeeignet hält) oder arbeiten lassen. Man soll ihn wirklich führen lassen (ihn oder den neuen), indem man ihm die notwendige Zeit für Durchführung von Reformen lässt.«206 Für den Fall, dass eine solche »innenpolitische Stillhaltung« gewünscht sei, machte Kempner für das weitere Vorgehen entsprechende Vorschläge: Der »Ausschaltung der politischen Parteien, nicht aber natürlich Einzelpersönlichkeiten des politischen Lebens« 201 Ebd., S. 97. 202 Hitlers Außenpolitik, insbesondere den »Anschluss« Österreichs 1938, sollte Geßler – wie im Übrigen auch Hamm – aufgrund dieser Sichtweise in weiten Teilen befürworten (vgl. hierzu Kap. V.2.b). 203 Zit. n. Tagebuchaufzeichnung des Staatssekretärs Schäffer (15. September 1930), in: Politik und Wirtschaft in der Krise 1930–1932, S. 381 f., hier S. 382. Brüning regierte seit Juni 1930 nur noch mit Notverordnungen gemäß Art. 48, Absatz 2, der Weimarer Reichsverfassung. Die Reichstagswahl vom 14. September 1930 verschärfte die Lage für Brüning noch einmal zusätzlich. Sowohl die NSDAP als auch die KPD konnte deutliche Stimmenzuwächse verzeichnen. Zu diesem Zeitpunkt waren auch bereits einige liberale Wirtschaftspolitiker der Meinung, man sollte »die Nazis sich abreagieren« lassen (ebd., S. 382). 204 Vgl. hierzu Jones, Sammlung, S. 265–304. 205 Vgl. im Folgenden Franz Kempner an Eduard Hamm (Berlin, 17. September 1931), BayHStA, NL Hamm 86. 206 Ebd. Hieraus stammen die folgenden Zitate dieses Abschnitts.

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sollten Sitzungen von zunächst 10 bis 15, später von 30 Männern folgen, die ca. 300 bis 500 Unterschriften für einen Aufruf sammeln sollten, »der das deutsche Volk dazu auffordert, den führenden Mann zunächst 6 oder 12 Monate arbeiten zu lassen, ohne ihn durch kleinliche, zänkische und hämische Kritik in seiner Wirkensmöglichkeit zu beeinflussen.« Im Falle eines Erfolges der Stärkung der Staatsleitung erhoffte sich Kempner die Beendigung des Kampfes der Parteien gegeneinander und die Möglichkeit, das Parteiensystem enger zusammenzufassen. Das Endziel stellte nach diesem Konzept faktisch eine Stärkung des parlamentarischen Systems dar.207 Offenbar hatten Kempner und Hamm in ihrem Gespräch am Vortag auch über eine geeignete Persönlichkeit gesprochen, die dieses Konzept anstoßen könnte. Für Kempner kam hierfür einzig Eduard Hamm in Frage208, der sich tatsächlich in den folgenden Tagen daran begab, hierfür die Stimmung zu sondieren. Bei einer Besprechung zwischen Vertretern der verschiedenen bürgerlichen Parteien in der »Deutschen Gesellschaft von 1914« brachte Hamm ernsthafte Bedenken gegen die Gründung einer neuen Staatspartei zum Ausdruck, die zwischen der Linken und der Rechten angesiedelt sein sollte. Zum einen wies er auf die Parteienverdrossenheit des deutschen Volkes hin. Die Öffentlichkeit interessiere sich »kaum mehr […] für die Frage des Versuchs der Zusammenlegung von Parteien und Grüppchen«.209 Zudem sei es doch außerordentlich schwierig, »unter den Anwesenden ein gemeinsames Programm, das man doch dem Herrn Reichskanzler unterbreiten müsse, auszuarbeiten«. Da ein »Kompromißprogramm« dem Reichskanzler in seinen Augen ohnehin nicht nutze, sprach sich Hamm für einen gemeinsamen »Entschluß dieser Parteien und Gruppen« aus, »sich ganz betont hinter die Führungspersönlichkeit des Reichskanzlers zu stellen«. Ihm ging es darum, Brüning in der ersten Reichstagssitzung am 13. Oktober 1931 den Rücken zu stärken. In Anlehnung an Geßlers »Träger

207 Aus heutiger Sicht klingt es zunächst einmal kurios, dass man das parlamentarische System zeitweise ausschalten wollte, um die Weimarer Republik letztlich doch zu stärken. Doch stellten Kempners konzeptionelle Vorstellungen, die Hamm vollends teilte und in den folgenden Wochen auch offen vertrat, im Vergleich zu anderen in jenen Wochen und Monaten angestrebten autoritären Verfassungskonzepten eine durchaus moderate Lösung dar (vgl. zu ähnlichen Bestrebungen einer Verfassungsreform Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 3, S. 241–263). 208 Die von Hamm vorgeschlagene Person lehnte Kempner mit dem Hinweis ab, dass diese zu viele Gegner habe, was »die Aktion in ihrer Stosskraft beeinträchtigen« würde (Franz Kempner an Eduard Hamm (Berlin, 17. September 1931), BayHStA, NL Hamm 86). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Hamm gegenüber Kempner den Namen Otto Geßler ins Spiel gebracht hatte, den er bereits 1923 als aussichtsreichen Kandidaten für die Nachfolge Gustav Stresemanns im Amt des Reichskanzlers betrachtet hatte (vgl. Schreiben Hamm an Geßler (Halle, 25. November 1923), abgedruckt in Gessler, Reichswehrpolitik, S. 494 f.). 209 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung mit Reichsminister a. D. Hamm vom 21. September 1931, in: Akten der Reichskanzlei, Kabinette Brüning I / II, Bd. 2, S. 1716 f., hier S. 1716.

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der Reichsgewalt«210 empfahl Hamm »die plebiszitarische Grundlage einer verfassungsmäßigen Diktatur«. Man solle sich für die Notwendigkeit eines Führers aussprechen, von dem man jedoch verlangen sollte, »daß er sachlich und zeitlich richtig handele, ohne ihn auf Einzelheiten festzulegen«.211 Seine Ansichten konkretisierte Hamm noch einmal bei einer zweiten Besprechung im September 1931, bei der er als Vorsitzender fungierte: »Zaudern gibt es nicht, wenn wir nicht in historische Schuld von 1918 verfallen wollen. […] Für Brüning, aber kein bedingungsloser, sondern ein kritischer Bund«.212 Das Ergebnis dieses zweiten Treffens war zum einen der Entschluss, einen Aufruf an alle bürgerlichen Parteien zur Unterstützung der Regierung Brüning zu verfassen und zum anderen, bei der Eröffnung des nächsten Reichstags eine gemeinsame Erklärung abzugeben. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens sollte es allerdings nicht kommen, weil die zwischenzeitliche Enthüllung der Treffen durch die Presse einige Teilnehmer der Besprechungen veranlasste, ihre zuvor erteilte Zusage zurückzuziehen.213 Obwohl Eduard Hamm mit seinen Vorschlägen scheiterte, war deutlich geworden, worum es ihm letztlich ging. Durch frühzeitige Reformen und die gesinnungsmäßige Einigung des Bürgertums sollte diesmal der Niedergang des Staatsapparates im Gegensatz zu 1918 verhindert werden. Was sich im Laufe der hier vorliegenden Arbeit noch als wichtiges Motiv für die Mitarbeit an einer »Auffangorganisation« für den Fall des Zusammenbruchs des NS-Regimes herausstellen wird, war also schon Anfang der 1930er ein Motiv für Hamms Eintreten für eine Stabilisierung der Weimarer Republik: Das Bürgertum sollte nicht erneut in die »historische Schuld« von 1918 verfallen, als nicht vorausschauend genug gehandelt wurde, um den extremistischen Bewegungen, die auch nun wieder erstarkten, Einhalt zu gebieten. Diesmal sollten frühzeitig wirksame Maßnahmen ergriffen werden.214 210 Geßler wusste sich somit mit Eduard Hamm in diesem Punkte einig. Seine enge Verbundenheit zu seinem langjährigen Freund, auch in politischen Fragen, brachte Geßler in der Widmung seines Buches »Die Träger der Reichsgewalt« zum Ausdruck. Hier heißt es: »Eduard Hamm, dem Freunde mit dem ich mich in der Sorge um die Zukunft des Vaterlandes verbunden weiß.« 211 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung mit Reichsminister a. D. Hamm vom 21. September 1931, in: Akten der Reichskanzlei, Kabinette Brüning I / II, Bd. 2, S. 1716 f., hier S. 1717. 212 Niederschrift über eine Besprechung in der Deutschen Gesellschaft Berlin im Nachlaß Passarge, zit. n. Anm. 3, in: ebd., S. 987. 213 Vgl. Jones, Sammlung, S. 275 f. 214 Hamm verstand die Krise, in der sich die Weimarer Republik befand, vor allem als eine Gesinnungskrise. Das Problem stellte in seinen Augen allgemein die Haltung der bürgerlichen Parteien zur Republik dar. Es ging seiner Ansicht nach um nicht weniger als »die Erhaltung dieses Staates«. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse schließlich die »gesinnungsmäßige Bereitschaft« geschaffen werden (Niederschrift über eine Besprechung in der Deutschen Gesellschaft, Berlin (15. September 1931), in: Politik und Wirtschaft in der Krise 1­ 930–1932, S. 957–960, hier S. 958 bzw. S. 960). Es darf angenommen werden, dass Hamm sich einem

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Was lässt sich zum Abschluss dieses Kapitels über die drei späteren Köpfe des »Sperr-Kreises«, über ihr Verhältnis zur republikanischen Staatsform im Allgemeinen und zur Weimarer Republik im Besonderen festhalten? Franz Sperr war als Offizier a. D. weniger einer Weltanschauung verhaftet als die dem politischen Liberalismus des späten Kaiserreichs nahestehenden Otto Geßler und Eduard Hamm. Seine enge Verbundenheit zum Königreich Bayern übertrug er aus Treue zum bayerischen Staat nach 1918 auf den »Freistaat Bayern«. Dass dieser nun eine Republik war, dürfte für ihn zweitrangig gewesen sein. Mehr noch als vor 1918 galt es aus seiner Sicht, die bayerischen Interessen im Reich zu vertreten. Seine politischen Gedanken drehten sich am Ende der Weimarer Republik in erster Linie um aktuelle Fragen der Stellung Bayerns im Reich. Sperr blieb in die Tagespolitik und in die Behandlung aktueller Verfassungsfragen unmittelbar eingebunden. Dies unterschied ihn von Geßler und Hamm, die ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vor allem als wirtschafts- und volkspolitische Interessensvertreter auftraten und ihre im »Naumann-Kreis« entstandenen Ideen umzusetzen versuchten. Der »Herzensmonarchist« Geßler konnte sich mit der Republik niemals anfreunden, während Hamm sie rasch akzeptierte und bis zuletzt zu verteidigen versuchte. Dass beide gegen Ende der Weimarer Republik gemeinsam für eine Verfassungsreform eintraten, durch die unter anderem ein autoritärer Staatsumbau vollzogen worden wäre, entsprang den gemeinsamen Erkenntnissen, dass die Weimarer Republik strukturelle Defizite aufwies, die es zu bereinigen galt, sowie dass der Kampf der Parteien gegeneinander beendet werden müsste, um den Erhalt des Reiches sicherzustellen.

5. »Die Bayern« – Wegbereiter des Nationalsozialismus? Eduard Hamm bat im Sommer 1932 in einem Schreiben an den Hauptschriftleiter der Deutschen Allgemeinen Zeitung, Dr. Fritz Klein, um Nachsicht für das Verhalten seiner bayerischen Landsleute im unmittelbaren Nachgang des »Preußenschlags«.215 Hamm schob es auf die typisch bayerische Lebensart und Denkweise, dass »der Bayer« weder »begierig zu kommandieren« sei noch »gewillt, sich kommandieren zu lassen«. Dieser wolle sich nicht isolieren, aber auch nicht auf die Selbstbestimmung seiner Lebensart verzichten. Dabei könne man laut Hamm nicht alle Bayern gleichsetzen, denn Unterschiede in der Denkweise hätten immer zwischen den einzelnen bayerischen Landesteilen bestanden. demokratischen Bündnis der bürgerlichen Parteien mit der Sozialdemokratie nicht verschlossen hätte, das womöglich alleine ein Scheitern der Weimarer Republik hätte verhindern können. Doch waren die Stimmen, die gegen ein solches laut wurden, auf beiden Seiten zu zahlreich (vgl. Winkler, Weimar, S. 595 ff.). 215 Vgl. Abschrift Eduard Hamm an Fritz Klein (18. August 1932), BAB, R 3001/24111, Bl. 1–7.

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Während nach 1918 diese bayerischen Eigenart insgesamt innerhalb des bayerischen Volkes an Bedeutung zugenommen habe, sei dies »in den letzten Jahren zu einem Teil durch die Tatsachen erschüttert worden, dass die protestantischen Markgrafschaften und Reichsstädte in erheblichem Umfang, mangels einer festen weltanschaulichen Widerstandskraft, der Agitation des Nationalsozialismus verfallen« seien. Anders sei dies in den katholischen fränkischen Landesteilen, »im Untergrunde aber auch in diesen protestantischen Landesteilen«, wo »doch eine starke Gemeinsamkeit mit der altbayerischen Art […] vorhanden sei«.216 In diesem Schreiben berührte Eduard Hamm grundsätzlich die Frage, in der es in diesem Kapitel gehen soll: Verfügten die Bayern im Jahr 1933 über eine den Nationalsozialisten gegenüber gefestigte, resistente Grundhaltung und Weltanschauung oder aber waren sie für deren Ideologie verfänglich? Hamm stellte in seinem Schreiben an Klein einen bewusst provokanten Vergleich her zwischen dem Verhältnis zwischen Bayern und dem Reich, wie es sich ihm nun im August 1932 darstellte, und dem jener Jahre, als Gustav Ritter von Kahr zunächst als Ministerpräsident, dann als Generalstaatskommissar die Geschicke Bayerns lenkte. So wie sich Bayern damals »vom Berlin der Sozi und Juden nicht in seine häuslichen Angelegenheiten habe dreinreden lassen«, ließe es dies »ebensowenig nun vom Berlin der Nazi und Junker geschehen«. Hamm sah ein, dass dieser »überspitzt[e]« Vergleich »gewiss Tadel erregen« würde und er in gewisser Weise hinke. Doch gelang es ihm hierdurch eine Kontinuitätslinie aufzuzeigen, der die bayerische Politik aus seiner Sicht zumindest treu blieb: Eine Kontinuität, die im Festhalten an einer »gewissen Selbstbestimmung der häuslichen Angelegenheiten« ihren deutlichsten Ausdruck finde.217 Insgesamt sei die bayerische Auffassung, so Hamm weiter, »staatsbejahend […] wie nur irgendeine« und im Vergleich zu anderen Reichsteilen verfüge lediglich Bayern noch über einen für seine Größe ungewöhnlich »engen menschlich-volksmässigen Zusammenschluss von Bürgertum, Bauerntum [und] Arbeitertum«, eine Tatsache, die ihm auch in Zukunft noch zu Gute kommen könne, da »es ja recht zweifelhaft« sei, »ob diejenigen parteimäßigen Bindungen und Verbindungen, die auf nationalsozialistischer Grundlage anderwärts erhebliche Stärke gewonnen haben, eine dauernde Kraft und eine für den Staat und die Wirtschaft positive Kraft haben werden«218. Hamms These, dass Bayern aufgrund seiner überwiegend stark religiös geprägten, den bayerischen Staat bejahenden und dessen Integrität verteidigenden Bevölkerung, eine gegenüber anderen deutschen Landesteilen vorteilhafterer, kulturelle Verwurzelung aufwies, um dem Nationalsozialismus zu widerstehen, ist zwar zuzustimmen. Denn gerade die überwiegend katholisch geprägte ländliche Bevölkerung Bayerns war weltanschaulich weitgehend gefestigt.219 216 217 218 219

Ebd., Bl. 6. Ebd., Bl. 4. Ebd., Bl. 2. Vgl. hierzu Höpfl, Katholische Laien.

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Dennoch bot  – dies verschwieg Hamm, obwohl er es früher bereits erkannt hatte220 – gerade die eigensinnige und fahrlässige Haltung Bayerns gegenüber der Reichsregierung in den frühen Jahren der Weimarer Republik den idealen Nährboden für nationalistisches und antisemitisches Gedankengut. Auch der sich als Reaktion auf die Münchner Räterepublik innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft Bayerns herausbildende antikommunistische Grundkonsens beförderte Hitlers Aufstieg maßgeblich. Der »Hitler-Ludendorff-Putsch« 1923 stellte sozusagen den vorläufigen Höhepunkt dieser Auseinandersetzung dar. Dass es überhaupt zum »Putsch« kommen konnte, hatte nicht zuletzt der Generalstaatskommissar von Kahr durch seine Politik mit zu verantworten, die gegen die Republik gerichteten, rechten Bewegungen viel Freiraum ließ. Diese Politik war von der BVP lange Zeit protegiert worden. In Bayern gab es in diesen Monaten zu wenige Stimmen, wie beispielsweise die Eduard Hamms, die sich etwa durch Verbot des »Völkischen Beobachters« für eine Beschränkung der Handlungsspielräume des National­ sozialismus einsetzten.221 Hitlers Parolen und seine Ideologie fand somit überall im bayerischen Volk Gehör und ließen sich auch durch die Niederschlagung des »Hitler-Ludendorff-Putsches« und des anschließenden »Hitler-LudendorffProzess« nicht mehr aus den Köpfen der Menschen tilgen. Im Gegenteil: Bei den bayerischen Landtagswahlen 1924 errang der aus Mitgliedern der vorläufig verbotenen NSDAP gebildete Völkische Block auf Anhieb 17,1 % der Stimmen und konnte sich mit gleich vielen Mandaten wie die SPD als zweitstärkste Fraktion im Bayerischen Landtag etablieren. Einerseits war die positive wirtschaftliche Entwicklung im Reich dafür verantwortlich, dass sich der Konflikt zwischen Bayern und Reich vorübergehend entschärfte und auch die NSDAP bei den Landtagswahlen 1928 einen herben Rückschlag erleiden musste. Andererseits lenkte seit 1924 mit dem BVP-Ministerpräsident Heinrich Held ein Mann die Geschicke Bayerns, der sich eindeutig von der radikalen Politik von Kahrs abgrenzte und eine den Einfluss des Nationalsozialismus begrenzende Politik betrieb. Infolge der Weltwirtschaftskrise und der Krise des parlamentarischen Systems von Weimar erfolgte wiederum ein deutliches Erstarken der NSDAP. In Helds Regierungszeit erlassene Rede- und Uniformverbote 1925 und 1930 trafen die NSDAP zwar empfindlich. Gemeinsam mit der Einrichtung eines BVP-Kampfverbandes, der so genannten Bayernwacht, die sich der SA in Bayern entgegenstellte, sorgten sie dafür, dass Hitler noch bei den Märzwahlen 1933 im Vergleich mit anderen Reichsteilen in Bayern schlechter abschnitt.222 Dennoch ließ sich die Bewegung, die nun im ganzen Reich auf dem Vormarsch war, von Bayern aus nicht mehr aufhalten. 220 Vgl. Eduard Hamm an Exzellenz von Kahr (München, 13. November 1923), BayHStA, NL Hamm 74. 221 Zu Hamms Forderung nach Verbot des »Völkischen Beobachters« vgl. Protokoll des Bayerischen Ministerrats (13. Juni 1921), BayHStA, StK 9518. 222 Vgl. Becker, Widerstand in Bayern, S. 458; W. Ziegler, Bayern im NS-Staat, S. 516 f.

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Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler

Die konservative Grundeinstellung der überwiegenden Mehrheit der Bayern und der sie am ehesten repräsentierenden BVP, die auf die Bewahrung der Selbstbestimmungsrechte Bayerns rekurrierte, darf mit dem rechts-konservativen Nationalismus von Kahrs nicht verwechselt werden, der in der Tat den Nährboden für die NS-Bewegung bot. Von einer echten Kontinuitätslinie im Sinne Hamms kann daher nicht gesprochen werden. Dass von Kahr allerdings diese Politik betreiben konnte, hatte die BVP in den Jahren bis 1924 mitzuverantworten. Die Reichsreformbestrebungen Bayerns seit Heinrich Held, die in strikter Ablehnung etwa den Vorschlägen des »Luther-Bundes« gegenüberstanden und auf größere Selbständigkeit der Länder abzielten, bewegten sich dagegen in verfassungsmäßigen Bahnen.223 Franz Sperr und sein Vorgänger als bayerischer Gesandter in Berlin, Konrad Ritter von Preger, setzten sich leidenschaftlich für die Belange Bayerns im Reich ein. Ihre Vorstöße trugen jedoch keineswegs antirepublikanische Züge, sondern verlangten eine Garantie des Föderalismus, was auch nach damaligem Verständnis eine ausdrückliche Befürwortung der Weimarer Verfassung darstellte. Schon diese Haltung brachte die damaligen Verantwortlichen Bayerns in einen scharfen Gegensatz zum Nationalsozialismus, von dem man nicht nur die Abschaffung des politischen Systems, sondern auch die des föderalen Aufbaus des Reiches erwarten durfte. Da aber spätestens mit der Reichsregierung Papen auch von anderer Seite her offen eine den deutschen Föderalismus gefährdende Politik betrieben wurde, gestaltete es sich aus bayerischer Perspektive immer schwieriger, zwischen den Positionen Hitlers, Papens und anderen hinsichtlich der für sie wichtigsten Frage des künftigen Status’ Bayerns im Reich zu unterscheiden. Das Ziel der bayerischen Regierung musste es künftig sein, von egal welcher Reichsregierung eine Garantieerklärung für die Eigenständigkeit Bayerns zu erlangen. Nur wenige Tage nach den Reichstagswahlen Ende Juli 1932, die für die NSDAP einen immensen Stimmenzuwachs gebracht und sie zur stärksten politischen Kraft gemacht hatte224, sprach Sperr mit Reichskanzler Papen über die künftige Regierungsbildung und die Reichsreform.225 Der Gesandte machte dem Reichskanzler deutlich, dass es seiner Ansicht nach kaum mehr die Möglichkeit gebe, den nationalsozialistischen Forderungen einer Regierungsbeteiligung nicht nachzukommen. Daraufhin stellte ihn Papen vor die Frage, »ob man in Bayern lieber ein Kabinett von Papen oder ein Kabinett Hitler sehe. Ein drittes sei doch nicht möglich.« Offenbar überrascht, wies Sperr zunächst darauf hin, dass dies allein eine Entscheidung der Parteien sei und er ohnehin nicht glaube, dass es allzu sehr auf Personen ankomme, sondern vielmehr auf die Inhalte 223 Vgl. zu »Bayern im Kampf um die Reichsreform« das gleichlautende Kapitel bei Schwend, Zwischen Monarchie und Diktatur, S. 315–416. 224 Die NSDAP hatte 37,3 % der Stimmen erhalten, was ein plus von 19 % ausmachte. Mit weitem Abstand war die SPD mit 21,6 % zweitstärkste politische Kraft geworden. 225 Vgl. Franz Sperr an das Staatsministerium des Aeussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 11. August 1932), BayHStA, MA 103302. Hieraus stammen auch die folgenden Zitate. Vgl. zu diesem Schreiben Sperrs auch Wiesemann, Vorgeschichte, S. 130.

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des Regierungsprogramms. Aus Sicht des bayerischen Beamten dürfte Sperr an dieser Stelle in erster Linie die Haltung der künftigen Reichsregierung zum föderalen Staatsaufbau des Reiches als Beurteilungskriterium angelegt haben. An die Inhalte des Programms müsse sich der künftige Reichskanzler – wenn Hitler, besonders dieser – gebunden fühlen. Doch gerade hier sei man in Bayern »sehr skeptisch«. Sperr erkannte, dass der Art. 48 WRV »einem Kanzler Hitler höchst gefährliche Möglichkeiten an die Hand geben würde, die er sogar mit einem Schein von Recht umkleiden könnte«. Sperr wollte Papen aber offenbar die Antwort auf seine Frage nicht schuldig bleiben. Deshalb erklärte er: Für den Fall, dass es wirklich nur noch um die beiden Varianten einer Papen- oder Hitler-Regierung gehe, würde er sich persönlich für das »›kleinere Uebel‹«, nämlich Papen, entscheiden.226 Sperr war dennoch der Meinung, die auch der Parteivorsitzende der BVP, Fritz Schäffer, im Gegensatz zu seinem Ministerpräsident Held vertrat227, dass sich die NSDAP in Regierungsverantwortung abnutzen werde: »Wichtig sei ja nur, dass die Nationalsozialisten in der Regierung vertreten seien und das die Mitverantwortlichkeit der Nationalsozialisten für diese Regierung absolut klargestellt sei.«228 Vor diesem Hintergrund ist auch Sperrs Enttäuschung über die noch am gleichen Abend gefällte Entscheidung Hindenburgs verständlich, Hitler weder zum Reichskanzler noch zum Vizekanzler zu ernennen.229 Seiner Ansicht nach stellte dieser Schritt des Reichspräsidenten freilich die logische Konsequenz seiner bisherigen Haltung gegenüber der NSDAP dar. Doch sah Sperr hierin zugleich einen taktischen Fehler, der es den Nationalsozialisten weiterhin ermöglichte, »sich überhaupt der Verantwortung zu entziehen«.230 Im Gespräch mit Papen kam zwar deutlich Franz Sperrs Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus zum Vorschein. Dennoch schloss er eine Regierungsbeteiligung der NSDAP in seine Überlegungen mit ein. Sperr erlag insofern der in konservativen Kreisen weitverbreiteten Ansicht, dass die NSDAP in Regierungsverantwortung scheitern werde. Ob diese Fehleinschätzung ihn in seiner späteren Widerstandstätigkeit beeinflusste, ist unklar. Feststeht hingegen, dass der Kopf des späteren »Sperr-Kreises« vor 1933 nicht als kompromissloser Gegner Hitlers in Erscheinung trat. 226 Franz Sperr an das Staatsministerium des Aeussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 11. August 1932), BayHStA, MA 103302. 227 Zum innerparteilichen Flügelkampf innerhalb der BVP vgl. das Kap. II.2 sowie Steber, Bayerische Volkspartei, S. 81. 228 Franz Sperr an das Staatsministerium des Aeussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 11. August 1932), BayHStA, MA 103302. 229 Als Grund für die Entscheidung Hindenburgs wird im Allgemeinen dessen Ablehnung der Solidarisierungsbekundungen der Nationalsozialisten mit den Tätern des so genannten Mordes von Potempa angenommen (vgl. zu dem durch SA-Männer begangenen Mord an einem der KPD angehörenden Arbeiter Blasius, Weimars Ende, S. 89–96). 230 Franz Sperr an das Staatsministerium des Aeussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 11. August 1932), BayHStA, MA 103302.

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Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler

Eduard Hamm vertrat derweil in der Frage einer Beteiligung der NSDAP an der Regierung eine eindeutige Meinung, die Sperrs entgegenstand. In einem Schreiben an den BVP-Vorsitzenden Fritz Schäffer warnte er eindringlich vor möglichen Plänen einer Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung. Eine Einigung zwischen Zentrum und NSDAP im Reichstag sei seiner Ansicht nach »wenn überhaupt, so nur auf einer staats- und wirtschaftspolitischen Grundlage möglich […], die vom Standpunkt einer konservativ-demokratischen und bürgerlichen Staats- und Wirtschaftsauffassung aus«, wie er sie vertrat, »die schwersten Besorgnisse hervorrufen müsste«.231 Hamm räumte zwar ein, »dass eine stark sozialistische Richtung gewissen Stimmungsmomenten entspräche«. Dennoch hielt er wirtschaftspolitisch eine »Gemeinschaftslinie Strasser-Imbusch« für »ungeheuer gefährlich«. Von den Nationalsozialisten sei dabei eine »sehr stark« sozialistische und planwirtschaftliche Politik zu erwarten, die über »solidaristische Gedankengänge« der christlichen Gewerkschaften weit hinausgingen. Hierzu passend regte Hamm in jenen Tagen als Geschäftsführendes Präsidialmitglied des DIHT eine Artikelreihe in der »Deutschen WirtschaftsZeitung« an, deren Herausgeber er war: Hierin wies er die interessierte Öffentlichkeit ausdrücklich auf die Gefahren einer Regierungsbeteiligung der NSDAP aus wirtschaftspolitischer Sicht hin.232 Die unterschiedliche Auffassung über den Umgang mit der NSDAP, die sich bei Hamm und Sperr feststellen lässt, spaltete auch die stärkste und einflussreichste Partei in Bayern, die BVP. Dies führte dazu, dass keine klare Linie zustande kam und der NSDAP weder in Berlin noch später in München entschlossen und geschlossen entgegengetreten werden konnte.233 In Bayern lag zwar die Wurzel für das Aufkommen und das Erstarken der NSDAP. Aus dem bürgerlichen Lager traten nur wenige der Hitler-Partei entgegen, wie etwa Eduard Hamm. Für die zwischenzeitliche Krise der NSDAP in 231 Abschrift eines Schreibens Hamm an Schäffer (6. September 1932), BAB, R 3001/24111, Bl. 9–13, hier Bl. 12. Hieraus auch die folgenden Zitate dieses Absatzes. 232 Die Artikelreihe erschien anonym unter dem Titel »Das Wirtschaftsprogramm des Nationalsozialismus«, in: Deutsche Wirtschafts-Zeitung (DWZ), 29. Jg., Nr. 33, 18. August 1932, S. 781–784; Nr. 34, 25. August 1932, S. 807–810; Nr. 36, 8. September 1932, S. ­857–860; Nr. 38, 22. September 1932, S. 906–910; Nr. 39, 29. September 1932, S. 928–931; Nr. 40, 6. Oktober 1932, S. 955–960. Als Begründung für die Beschäftigung mit diesem Thema gab der Autor an, dass »in weiten politischen Kreisen« das »Bestreben« vorhanden sei, »den Nationalsozialismus in der einen oder anderen Form zur praktischen Mitarbeit heranzuziehen«, weshalb es »notwendig« sei, »sich eingehender mit dem zu befassen, was die NSDAP, insbesondere auf wirtschaftlichen Gebiet im einzelnen« wolle (Das Wirtschaftsprogramm des Nationalsozialismus, in: DWZ, 29. Jg., Nr. 33, 18. August 1932, S. 781). Der Verfasser der Artikel, Hamms Schriftleiter Karlheinrich Rieker, versicherte später, dass sein Vorgesetzter den Arbeiten »während der ganzen Zeit grösstes Interesse entgegen brachte« und diese »immer wieder durch Anregungen und Hinweise auf neu auftauchendes Material unterstützte« (Karlheinrich Rieker: Reichsminister a. D. Dr. Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag (Manuskript), BayHStA, NL Hamm 42). 233 Vgl. hierzu Kap. II.2.

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Bayern war neben innerparteilicher Faktoren auch die Politik der Regierung Heinrich Held verantwortlich. Die Weltwirtschaftskrise, die Zersplitterung des Parteiensystems und die Präsidialkabinette ließen die NSDAP dann erneut erstarken  – in Bayern jedoch aufgrund der gefestigten weltanschaulichen Disposition seiner Bevölkerung nie so stark wie in den übrigen Reichsteilen. Zur uneindeutigen Haltung gegenüber der NSDAP trug in Bayern auch die Furcht vor einer weitergehenden Unitarisierung des Reiches bei. Diese zeichnete sich seit Papens »Preußenschlag« als Schicksal am bayerischen Horizont ab und ließ auch den späteren Kopf des bayerischen Widerstandskreises gegen Hitler, Franz Sperr, nicht vor einer Regierungsbeteiligung der NSDAP zurückschrecken. Für Hitlers »Machtergreifung« am 30. Januar 1933 trug Bayern trotz unklarer Haltung gegenüber der NSDAP keine Hauptverantwortung, weshalb man das Land und seine Bevölkerung kaum als Wegbereiter des Nationalsozialismus bezeichnen kann. Bayern einen »Hort des Widerstandes« zu nennen, und dies ausschließlich mit der im Vergleich zu anderen Reichsteilen bestehenden, größeren weltanschaulichen Distanz zum Nationalsozialismus zu begründen, würde aber ebenfalls zu weit führen. Der Entschluss zum Widerstand konnte durch den in weiten Teilen Bayerns existierenden weltanschaulichen Gegensatz gefördert werden, blieb jedoch eine individuelle Charakterfrage. Der auf den folgenden Seiten ausführlich dargestellte Widerstand der drei Protagonisten des späteren »SperrKreises« muss also aus ihrer Persönlichkeit, ihrer sozialen und politischen Prägung sowie aus ihren Erfahrungen in der Weimarer Republik erklärt werden. Er entsprach nicht einer allgemeinen Geisteshaltung in Bayern.

IV. Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach – Der ungekrönte Monarch

Der folgenden Erörterung der Biographie des bayerischen Kronprinzen Rupprecht1 liegt die Annahme zugrunde, dass ihm für die Entstehung des »SperrKreises« nach 1933 sowie dessen Pläne und Ziele besondere Bedeutung zukommt. Denn während er eine Unterstützung der Widerstandspläne des Münchener Rechtsanwalts Adolf Freiherr von Harnier2 1939 ablehnte, trug Rupprecht zuvor bereits durch Gespräche mit Sperr, Geßler und Hamm zum Aufbau einer »Auffangorganisation« bei. Seine drei Gesprächspartner rieten ihm im Gefolge der Aufdeckung des »Harnier-Kreises«, Deutschland zu verlassen. Im Exil verfasste der bayerische Kronprinz mehrere Denkschriften für die westlichen Alliierten, die als programmatische Schriften des Widerstandskreises um Sperr in Frage kommen.3 Bevor in einem späteren Kapitel die Zusammenarbeit Rupprechts mit seinen Beratern Sperr, Geßler und Hamm ausführlich in den Blick genommen wird, sollen zunächst Rupprechts Herkunft, Werdegang und Staatsverständnis bis 1933 skizziert sowie seine Rolle bei den bayerischen Restaurationsbestrebungen der Jahre 1932/1933 beschrieben werden.

1 Die Nationalsozialisten nannten Rupprecht spätestens seit seiner Flucht ins Exil 1940 nur noch »Ex-Kronprinz« (vgl. etwa das Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei an das Auswärtige Amt (Berlin, 1. März 1940), PA AA, Inland IIg, 123 mit »Betr.: Ex-Kronprinz Rupprecht von Bayern«). Was aus Sicht der Machthaber konsequent erschien, war doch auch Bayern Teil des »Tausendjährigen Reiches« und daher eine Rückkehr zur Monarchie ausgeschlossen, wird sich der Verfasser dieser Arbeit diesen Begriff nicht zu eigen machen. Obwohl Rupprecht rein rechtlich mit Ende der bayerischen Monarchie 1918 nur noch der ehemalige Kronprinz war, nahm ihn die breite, bayerische Öffentlichkeit weiterhin als bayerischen Kronprinzen wahr. Auch er selbst legte diesen Titel niemals ab. Da auch der Rupprecht-Biograph Weiß wie selbstverständlich für Rupprecht den Kronprinzen-Titel verwendet, wird der Verfasser dieser Arbeit – auch um Missverständnisse durch die in Zitaten auftauchende Titelnennung zu vermeiden – durchgängig Rupprecht als bayerischen Kronprinzen bezeichnen. 2 Vgl. hierzu ausführlich Förster, Harnier-Kreis. 3 Um die Stringenz der Arbeit nicht zu gefährden, wird auf Rupprechts im Exil verfasste Denkschriften in den Kap. VII.2 u. VII.3 näher eingegangen und die Frage ausführlich erörtert, ob zwischen den Bestrebungen des »Sperr-Kreises« in Bayern und den Vorstellungen Rupprechts ein Zusammenhang bestand.

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Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach

1. Herkunft, Werdegang und Staatsverständnis Rupprecht Maria Luitpold Ferdinand von Bayern wurde am 18. Mai 1869 in München geboren.4 Sein Vater König Ludwig III. war »katholisch, konservativ und großdeutsch« geprägt und ein »entschiedener Vertreter des Föderalismus, wobei er sich auf den Boden der Reichsverfassung stellte«.5 Obwohl »streng nach katholischen Grundsätzen erzogen«, versuchte sich Rupprecht von seinem Vater zu emanzipieren, indem er »zu einem Rationalisten«, insbesondere in Glaubensfragen, heranwuchs.6 Seit 1882 besuchte Rupprecht das öffentliche Maximilians-Gymnasium in München. Er wurde hierdurch sehr früh für die Wertvorstellungen, Ängste und Nöte des bayerischen Bürgertums sensibilisiert.7 Als Schüler war er durchschnitt­ lich. 1886 legte er die Abiturprüfung ab, wobei er auf eine Sonderbehandlung verzichtete und gemeinsam mit seinen Mitschülern geprüft wurde. Rupprecht sollte seine Schulzeit stets in guter Erinnerung behalten. Hier konnte er erstmals unabhängig von seinen Eltern seinen Gedanken freien Lauf lassen.8 Mit der Perspektive vor Augen, eines Tages König von Bayern zu werden9, trat Rupprecht anschließend seinen Militärdienst an. Parallel hierzu wurde Rupprecht 1887 gemäß bayerischer Verfassung von 1818 Mitglied der Kammer der

4 Die folgende Darstellung der Herkunft Rupprechts beruht überwiegend auf der Biographie aus der Feder von Dieter J. Weiß. Daneben wird vereinzelt auch die frühe, jedoch tendenziöse Rupprecht-Biographie Kurt Sendtners herangezogen. Vgl. zur Genese des Königreichs Bayern und zur Bedeutung des Hauses Wittelsbach Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 19–32. 5 Ebd., S. 34. Während Rupprecht diese politische Grundhaltung seines Vaters wertschätzte und sie in späteren Jahren selbst zu einer Maxime seines späteren Handelns machte, bemängelte er in der Rückschau, dass es seinem Vater beim Vertreten seiner Position manchmal an politischem und diplomatischem Geschick gefehlt habe (vgl. ebd., S. 34). 6 Ebd., S. 38 f. Dennoch fiel Rupprecht nicht gänzlich vom Glauben ab und konnte später zumindest den äußeren Schein waren. Mit seiner Familie besuchte er regelmäßig den Sonntagsgottesdienst und nahm auch an der Fronleichnamsprozession teil. Gleichsam knüpfte er Kontakte zu Münchener Geistlichen, denen Rupprechts kritische Haltung gegenüber der Kirche nicht verborgen blieb (vgl. ebd., S. 39, insbesondere das Zitat aus der Leichenpredigt für Rupprecht von Abt Hugo Lang 1955, ebd., S. 39 f.). 7 Im Hause Wittelsbach blieb der Besuch einer öffentlichen Schule durch einen Prinzen bis 1918 ein Novum. Einerseits zeigte dieser Schritt, dass sich Rupprechts Vater, Prinz Ludwig, gegenüber modernen, erzieherischen Methoden aufgeschlossen zeigte. Andererseits folgte man auch dem preußischen Beispiel. Der preußische Kronprinz Wilhelm hatte ebenfalls seine letzten Schuljahre auf einem öffentlichen Gymnasium absolviert (vgl. Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 84 f.). 8 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 44 f. 9 Nach dem Tod Ludwigs II. 1886 trat Rupprechts Großvater Luitpold für den jüngeren Bruder des verstorbenen Königs, Otto, der aufgrund seiner Geisteskrankheit als regierungsunfähig galt, die Regentschaft an. Damit stieg die Wahrscheinlichkeit, dass Rupprecht eines Tages König von Bayern werden würde.

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Reichsräte. Gleichzeitig übernahm er nun repräsentative Aufgaben in München, dann auch Termine außerhalb Bayerns, schließlich sogar im Ausland.10 1889 nahm Rupprecht an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität ein Studium mehrerer Fachrichtungen auf.11 Nach nur einem Semester wechselte er vorübergehend nach Berlin, wo er am kaiserlichen Hof wohnte und vor allem Jura, Nationalökonomie und die Geschichte des 19. Jahrhunderts bei verschiedenen Fachgelehrten hörte. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Staatslehre des ausgehenden 19. Jahrhunderts wies bereits in jene Zukunft, in der er seine eigenen Staatsauffassungen entwerfen sollte und bei denen er sich eben nicht ausschließlich auf einen einzigen Rechtsgelehrten berief, sondern seine Überlegungen vielmehr empirisch untermauerte.12 Nach München zurückgekehrt, besuchte Rupprecht ab dem Sommersemester 1891 parallel zum Universitätsstudium die Bayerische Kriegsakademie.13 Er durchlief die Generalstabsausbildung, während er gleichzeitig seine aktive Militärlaufbahn fortsetzte. In verschiedenen Regimentern und Bataillonen kletterte er die Karriereleiter – wie für einen Prinzen üblich – rascher empor als die übrigen Offiziere. 1913 stieg er zum Generalobersten der Infanterie auf.14 Es folgte seine Ernennung zum Generalinspekteur der IV. Armeeinspektion, womit er im Falle der Mobilmachung als Befehlshaber an die Spitze der bayerischen Armee trat.15 Mit großer Sorge registrierte Rupprecht die sich im Verlauf des Ersten Weltkrie­ges16 verschärfenden Spannungen zwischen Berlin und München. Er 10 Vgl. ebd., S. 47 f. 11 Neben den von seinem Vater gewünschten Wissenschaften der Staatslehre, der Nationalökonomie und des Finanzwesens, nahm er auch an Lehrveranstaltungen in Philosophie, Geschichte und Kulturgeschichte teil (vgl. ebd., S. 49 f.). 12 Vgl. hierzu Kap. VII.2. 13 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 52 f. 14 Vgl. ebd., S. 54. 15 Vgl. ebd., S. 55. Seine maßgeblich vom Hause Wittelsbach vorangetriebene, rasante Militärkarriere, darf nicht den Blick davor verschränken, dass der Prinz, trotz seines jungen Alters, tatsächlich über ein hohes Maß an militärisch-taktischem Geschick und organisatorischem Talent verfügte. Zusätzlich besaß er einerseits die erforderliche Durchsetzungskraft, hatte jedoch gleichzeitig stets ein offenes Ohr für Ratschläge seiner Stabsoffiziere. Einen bereits vor 1914 praktizierten »offenen Führungsstil«, der in der hohen Wertschätzung seiner engsten Berater seinen Ausdruck fand, sollte Rupprecht die folgenden Jahrzehnte beibehalten (ebd., S. 54). 16 Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges trat Rupprecht als Heerführer an die Spitze des bayerischen Heeres. Als Oberbefehlshaber der 6. Armee sollte er ursprünglich lediglich den erwarteten Großangriff Frankreichs in Lothringen abfangen, ging aber bald schon auf eigene Initiative in die Offensive über. Ihm gelang es, die Franzosen zurückzudrängen. Bereits im Herbst 1914 erfolgte die Verlegung seiner Truppe nach Flandern, wo sie sich in der Folgezeit im Stellungskrieg aufreiben sollte. Es kann an dieser Stelle nicht auf alle Schlachten, an denen Rupprecht teilnahm, im einzelnen eingegangen werden. Im August 1916 zum Generalfeldmarschall ernannt, trat Rupprecht an die Spitze der Heeresgruppe »Kronprinz Rupprecht«, mit der er sich vor allem in Flandern gegen britische Angriffe zur Wehr zu setzen hatte. Zu diesem Komplex insgesamt vgl. Storz, Kronprinz Rupprecht, S. 45–57.

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Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach

äußerte deutliche Kritik am »diktatorischen« Auftreten des von Berlin gesteuer­ ten stellvertretenden Generalkommandos. Auch die deutsche Schwerindustrie nahm er ins Visier, die einen zu starken Einfluss auf Berlin ausübe.17 Die grundsätzliche Ablehnung unitarischer und monopolistischer Tendenzen sowie die Aufrechterhaltung der bayerischen Souveränität sollten in Rupprechts Leben ein bestimmendes, immer wiederkehrendes Motiv seines Handelns und Denkens sein. Insgesamt vollzog Rupprecht während des Ersten Weltkrieges einen Entwicklungsprozess: Als Offizier und Feldheer nahm er die Verschiebung der Machtverhältnisse im Reich von der politischen auf die militärische Leitung sowie die dort gefällten Entscheidungen mit Besorgnis wahr. In der Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen reifte Rupprecht zum Staatsmann.18 Was den Krieg selbst betraf, propagierte er lange Zeit mit Leidenschaft den »Siegfrieden«. Ab August 1916 kehrte bei ihm die »Einsicht zum Verständigungsfrieden« ein.19 Den Umsturz in Bayern wie im Reich vor Augen20 teilte Rupprecht im September 1918 König Ludwig III. seine Gedanken mit: »Bei den innenpolitischen Umwälzungen, die nicht ausbleiben können, hoffe ich für Bayern, dass es sich zu halten vermag und nicht als selbständiges Staatsgebilde verschwindet, aufgesogen als eine Provinz eines parlamentarisch regierten deutschen Staatswesens.«21 Rupprechts Protest gegen die im November 1918 einsetzende Revolution in Bayern verhallte.22 Die Rückkehr zur Monarchie hielt er zu Lebzeiten 17 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 92 f. 18 Vgl. ebd., S. 143. 19 So der Abschnitt bei Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 143–153. 20 Rupprecht erreichten schon während des Krieges Meldungen über »große Unzufriedenheit« innerhalb der bayerischen Bevölkerung. Diese soll sich vor allem im Hinblick auf »die Zentralisierungsmaßnahmen Berlins und die Nachgiebigkeit der bayerischen Regierung« gegenüber dem Kaiser geäußert haben. An den bayerischen Außenminister Georg von Hertling richtete der Kronprinz ein Memorandum, indem er diesem den im bayerischen Volk weitverbreiteten Vorwurf mitteilte, dass die bayerische Regierung Berlin in sämtlichen Fragen nachgebe. Die »antimonarchische Stimmung« sei greifbar. Hierfür sei nicht zuletzt der Kaiser selbst verantwortlich, der sein Autorität durch Fehlentscheidungen und Untätigkeit verspielt habe (vgl. Memorandum Rupprechts für Graf Hertling (19. Juli 1917), BayHStA, MA 975, Bl. 218–223). In dieser Denkschrift legte Rupprecht zugleich seine Auffassung über die Notwendigkeit eines raschen Friedensschlusses sowie die Maßnahmen dar, die aus seiner Sicht zu ergreifen seien, um die staatliche Integrität und Souveränität Bayerns zu gewährleisten (vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 148). 21 Kronprinz Rupprecht an König Ludwig III. (30. September 1918), GHA, NL KPR 59. 22 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 163 f. Hier auch das abgedruckte Protestschreiben Rupprechts, in dem er die politischen Umwälzungen verurteilte und die Entscheidung über die künftige Staatsform in Bayern allein dem bayerischen Volk, einschließlich den heimkehrenden Soldaten übertragen wollte (vgl. ebd., S. 164). Nach Erörterung von Rupprechts Telegramm, entschied der bayerische Ministerrat, dass sich Rupprecht wie sein Vater in Bayern aufhalten dürfen und die Einberufung einer Nationalversammlung, die über die künftige Staatsform entscheiden solle, in Aussicht genommen werde. Rupprecht wurde dagegen nicht aufgefordert, auf seine Thronansprüche zu verzichten (vgl. ebd., S. 165).

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seines Vaters für unwahrscheinlich, da dieser vom bayerischen Volk nicht getragen würde.23 Unmittelbar nach der Ermordung Kurt Eisners floh Rupprecht mit Erbprinz Albrecht nach Tirol und Oberösterreich.24 Nach Bayern heimgekehrt, war an einen Neuanfang zu denken. Eine monarchische Bewegung sollte hier während der Weimarer Republik stets weite Teile des Volkes umfassen, die den aus der Revolution entstandenen »Freistaat« innerlich ablehnten. Sammlungsbewegungen wie der »Bayerische Heimat- und Königsbund: In Treue fest« (BHKB) entstanden, der sich die Eigenstaatlichkeit Bayerns und die Widerherstellung der Wittelsbacher Monarchie zum Ziel setzte.25 Nach dem Tod seines Vaters stieg Rupprecht im Herbst 1921 zum Chef des Hauses Wittelsbach auf. Der Kronprinz scheint sich zu jener Zeit aus zweierlei Gründen gegen eine Beteiligung und Förderung von Restaurationsplänen entschieden zu haben: Erstens habe er die im Volk vorhandene Trauer um seinen Vater nicht für seine Zwecke ausnützen und zweitens habe er die aus seiner Sicht legitimen Thronansprüche – wie auch in der Folgezeit – nur auf legalem Wege durchsetzen wollen.26 In Hitler sah Rupprecht in den frühen Jahren der Weimarer Republik einen »begabten Österreicher«, aber nicht besonders eindrucksvollen Mann.27 Gesprächen mit den Nationalsozialisten verweigerte sich der Kronprinz zwar nicht, da er durchaus wertvolle personelle und programmatische Elemente innerhalb der NSDAP zu erkennen glaubte.28 Dennoch buhlten Hitler und seine Partei vergeblich um die Gunst des bayerischen Kronprinzen, den sie aufgrund seiner Popularität innerhalb des bayerischen Volkes instrumentalisieren wollten, um ihre größeren, nationalen Ziele zu verwirklichen.29 23 Vgl. ebd., S. 167. 24 Vgl. ebd., S. 170–172. 25 Vgl. ebd., S. 200–202. 26 Vgl. Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 464. Sendtner berief sich hierbei auf Aussagen des späteren Kabinettschefs des Kronprinzen, Joseph Maria Graf von Soden-Fraunhofen. 27 Zit. n. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 213. Nach Weiß habe Rupprecht zwar zunächst einen Verbündeten gegen die Sozialisten zu gewinnen versucht, sich dann aber doch seine »skeptische Reserviertheit« gegenüber Hitler und seiner Partei bewahrt, weshalb er lediglich ein Mal mit Hitler zusammentraf und folgenden Annäherungsversuchen nicht entsprach. 28 In einer unten näher erläuterten Denkschrift für Kronprinz Wilhelm von Preußen brachte Rupprecht seine zum damaligen Zeitpunkt noch nicht deutlich abgrenzende Haltung zum Nationalsozialismus zum Ausdruck: »Ein so gesunder Kern in der völkischen und auch national sozialistischen Bewegung steckt, ermangeln doch die meisten ihrer Führer jeden Wirklichkeitssinnes. Es wird reine Gefühlspolitik getrieben und mit Schlagworten gearbeitet, die auf die Menge wirken« (Denkschrift zur »Betrachtung der politischen Lage« für Kronprinz Wilhelm (Dezember 1923), GHA, NL KPR 774). 29 In einem Brief berichtete Graf Soden kurze Zeit nach dem »Hitler-Ludendorff-Putsch« von einem Gespräch, dass er mit Max-Erwin von Scheubner-Richter, einem engen Vertrauten Hitlers in der Kampfzeit der NSDAP, Ende September 1923 führte. Scheubner-Richter habe erklärt, dass man Bayern lediglich als »Basis für die Sanierung Norddeutschlands« betrachte

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Einen Kult um seine Person lehnte Rupprecht ab. Vielmehr verstand er das monarchische Prinzip als Verpflichtung: Zuerst das Land, dann die Dynastie.30 »Eingetreten in die Rechte meines Herrn Vaters und in treuem Bekenntnis zu meiner bayerischen und deutschen Heimat«, legte Rupprecht zwar seinen Anspruch auf den bayerischen Thron nie ab. Doch wollte er diesen nur auf verfassungsmäßigem Wege und in Einklang mit den Bedürfnissen des Reiches besteigen.31 Die staatsrechtlichen Vorstellungen des Kronprinzen vor 1933 können auf Grundlage von einzelnen Aussagen und Denkschriften umrissen werden. Bis 1914 gab es für Rupprecht keinen Grund, an den Grundfesten des monarchischen Prinzips zu zweifeln.32 Eine Parlamentarisierung lehnte Rupprecht im Reich ab, weil er eine Schwächung des Föderalismus und der Souveränität Bayerns befürchtete.33 Neben dieser Skepsis blieb für Rupprecht die Ablehnung der Parteiendemokratie eine Konstante seines politischen Denkens.34 Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erkannte Rupprecht, dass ein Monarch im frühen 20. Jahrhundert ein Legitimationsdefizit besitzen musste, wenn er seine Herrschaft allein durch ein »Gottesgnadentum« ableite.35 Schritte in Richtung einer parlamentarischen Monarchie in Bayern lehnte er dennoch als »unbrauchbar« ab.36 Während des Krieges stiegen dann aber die Erwartungen des Volkes an die Monarchie, und der Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung an politischen Prozessen wurde offener artikuliert. Rupprecht reagierte pragmaund man sich dieser Basis daher sicher sein müsse. Für »die Regelung der Verhältnisse in Bayern« habe Scheubner-Richter Rupprecht »vollkommen freie Hand« versprochen. Für eine in Aussicht gestellte Begegnung mit Hitler gab Scheubner-Richter dem Kabinettschef des Kronprinzen eine Empfehlung für seinen Hohen Herrn ab, die er mit einer Drohung verband: »Wenn S[eine] M[ajestät] sich auf den Boden der völkischen Bewegung stellt, wird Hitler, der in seinem Herzen Monarchist ist, gar nichts gegen die bayerische Monarchie haben; im Gegenteil, die Bewegung wird den König emportragen und er wird ihr oberster Führer sein. Andernfalls wird die Bewegung über S. M. hinwegschreiten« (Josef Graf von Soden an Sanitätsrat Dr. Pittinger (27. November 1923), zit. n. Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 526–529, hier S. 526–528). 30 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 223. 31 Zit. n. ebd., S. 223. 32 In diesem Punkt unterschied sich Rupprecht nicht von der Haltung seines Vaters. Bereits im Februar 1912 beurteilte der Prinz die Regierungsumbildung – genauer die Einsetzung des Zentrumspolitikers Georg Freiherr von Hertling zum Ministerpräsidenten nach Rückzug des Kabinetts Podewils-Dürnitz – kritisch: Faktisch konnte sich ab diesem Zeitpunkt erstmals eine bayerische Regierung der Mehrheit des Landtag gewiss sein, die ebenfalls fest in den Händen des Zentrums lag (vgl. ebd., S. 86 f.). 33 Vgl. ebd., S. 90. 34 Stets bewahrte er die Distanz gegenüber den Parteien, die ihm entweder »zu stark klerikal dominiert« (Zentrum) oder »in starrem Doktrinarismus« (Liberale) befangen schienen. Er bewies zugleich jedoch auch diplomatisches Fingerspitzengefühl, als er für einen pragma­ tischen Umgang mit den Sozialdemokraten plädierte (zit. n. ebd., S. 50). 35 Vgl. ebd., S. 91. 36 Zit. n. ebd., S. 89.

Herkunft, Werdegang und Staatsverständnis 

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tisch auf diesen Stimmungswandel im bayerischen Volk. Er befürwortete nun den Weg hin zu einer Art »Sozialkönigtum«, um die Berechtigung der Monarchie aufgrund seiner dem inneren, sozialen Frieden dienenden Funktion zu demonstrieren.37 Frühzeitig wollte er Reformen anregen, die sich aus seiner Sicht ohnehin nicht vermeiden ließen.38 Ende 1923 legte er seine Auffassungen über den Staat in einer Denkschrift für Kronprinz Wilhelm von Preußen nieder.39 Hierin schlug Rupprecht zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Ordnung die Errichtung einer Diktatur vor, die »nicht mit einem Militär an der Spitze […] sondern gestützt auf die Machtmittel des Staates mit Fach- und Sachkundigem Beirat« ausgestattet sein solle.40 Daneben müsse ein Wahlrecht geschaffen werden, das dem höheren Verantwortungsbewusstsein im Alter und der Anzahl der Familienmitglieder Rechnung trage.41 Der Staat solle dezentral und föderal gestaltet werden.42 Sein Credo lautete: »Je mehr Freiheit den einzelnen Gliedstaaten im Rahmen des Reiches gelassen wird, desto zufriedener werden sie sein, desto treuer am Reiche hängen.«43 Zudem plädierte Rupprecht für die Rückkehr zur Erbmonarchie, da sie größere Stabilität verspreche, als eine von wechselnden Parteiinteressen abhängige, parlamentarische Republik.44 Seiner noch keineswegs ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus entsprach es, dass er weit verbreitete antisemitische Parolen aufgriff und sogar die Ausweisung der Ostjuden empfahl, die in der Vergangenheit »vergiftend gewirkt« hätten.45 Seine anti­semitischen Äußerungen 37 Zitiert wird er mit den Worten: »Wir haben nur Berechtigung, wenn wir das Volk für uns ha­ben, wenn wir sozial empfinden und sozial handeln« (zit. n. V. Naumann, Kronprinz Rupprecht, S. 144–157, hier S. 150). 38 So regte Rupprecht insbesondere an, die Kammer der Reichsräte zu einer echten Stände­ versammlung umzugestalten, in der weniger bayerische Prinzen, dafür mehr Repräsentanten einzelner Berufszweige vertreten sein sollten (vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 92). 39 Denkschrift zur »Betrachtung der politischen Lage« für Kronprinz Wilhelm (Dezember 1923), GHA, NL KPR 774. 40 Ebd. 41 Vgl. ebd. 42 Rupprecht zählte hierbei zu den dem Reich zufallenden Aufgaben die »Aufbringung der Mittel für die auswärtige Vertretung und die Aufrechterhaltung der Wehrmacht sowie die Regelung der Währungs- und Zollpolitik« (ebd.). 43 Ebd. Die zu gewährende Autonomie verglich Rupprecht an dieser Stelle mit der praktischen Umsetzung in den britischen Dominions, den Staaten der USA und den Kantonen der Schweiz. Sollte das Reich dem Bolschewismus anheimfallen, schloss Rupprecht allerdings auch eine Separation Bayerns vom Reich nicht aus (vgl. hierzu auch Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 240). 44 Denkschrift zur »Betrachtung der politischen Lage« für Kronprinz Wilhelm (Dezember 1923), GHA, NL KPR 774. 45 Rupprecht schrieb: »Der Antisemitismus ist gegenwärtig aus begreiflichen und nicht ungerechtfertigten Gründen stärker denn je. Die Minimalforderung ist die Ausweisung der Ostjuden, die unbedingt erfolgen muss, denn diese Elemente haben vergiftend gewirkt« (ebd.).

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und sein Verständnis für die antijüdischen Maßnahmen in den frühen Jahren des »Dritten Reiches« resultierten offenbar aus seiner beschränkten, jedoch weit verbreiteten Sichtweise auf Revolution und Räterepublik in Bayern 1918/19.46 Im Juli 1932 machte Rupprecht gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Allianz Versicherungs-AG und späteren Reichswirtschaftsminister unter Hitler, Kurt Schmitt, weitere Angaben zu seinen Vorstellungen über den besten Staatsaufbau.47 Hierbei trat er für eine zweite Kammer auf berufsständischer Grundlage ein, was seinem Wunsch nach Sach- und Fachverstand in der Politik entsprach, den er schon 1923 geäußert hatte. Auch hinsichtlich des Wahlrechts schloss er sich seiner damaligen Ansicht an. Volle Autonomie, ja sogar Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Außenpolitik, müssten den Ländern nach Meinung des Kronprinzen zugestanden werden. Wie lässt sich nun Rupprechts politisches Leben zusammenfassen und welche Erkenntnisse lassen sich daraus für seine spätere Rolle im »Dritten Reich« ableiten: Als Rupprecht endlich 1921 den Thron des Hauses Wittelsbach besteigen konnte, existierte der bayerische Thron schon nicht mehr. Unter diesem »Kronprinzenschicksal«48 sollte Rupprecht sein Leben lang leiden. Immer war es lediglich die warnende und empfehlende Stimme, mit der er versuchen konnte, politische Entscheidungen in Bayern zu beeinflussen. Hierzu fühlte er sich aufgrund seiner Abstammung berufen. Weniger selbstverständlich ist dagegen die Tatsache, dass er zum fundierten politischen Ratschlag sowie zur schriftlichen Fixierung eigener komplexer politischer Vorstellungen fähig war. Schließlich trug er selbst nie in erster Reihe herrschaftliche Verantwortung.49 46 In einem Gespräch mit dem britischen König George V. vom Juni / Juli 1934 gab Rupprecht seine Sichtweise auf die so genannte »Judenfrage« zu erkennen: »Bezüglich der Judenfrage beschränkte ich mich auf den Hinweis, dass das Verhalten vieler Juden während der Revolution des Jahres 1918 und namentlich der Zeit der Räteherrschaft, in welcher Juden eine führende Rolle spielten, eine grosse Erbitterung erregt hatte, aus der sich die jetzigen Vorkommnisse erklären liessen« (GHA, AA KPR, Reisebericht »In London vom 20.6.–9.7.34«, Mappe 18, S. 34–56a, hier S. 38). Dagegen nahm er wenig später die Missbilligung des Auslands mit der Bemerkung zur Kenntnis, dass Hitler »die barbarische Drangsalierung der Juden« offenbar brauche, »um die Gedanken der Menge von anderem abzulenken« (GHA, AA KPR, Jahresrückblick (Datum unbekannt) auf Ende 1934 – Anfang 1935, »Mangelndes Rückgrat, Kadaver-Gehorsam und Byzantinismus. Entsittlichung und Verleugnung der Rechtsbegriffe. Judenhetze. Die Hitlerjugend, Hitlers-Regierungskunst. In Böhmen«, Mappe 19 (1935/36), S. 1–7, hier S. 5). Dem bayerischen Kronprinzen gelang es offenbar nicht, sich von den Verunglimpfungen und Angriffen gegen die Juden frühzeitig und eindeutig zu distanzieren. Seine anfängliche Relativierung darf jedoch nicht mit einer Zustimmung zum Antisemitismus nationalsozialistischer Ausprägung oder gar zum Holocaust verwechselt werden. Vielmehr scheint er – das lässt die zweite hier zitierte Äußerung vermuten – die NS-Judenpolitik vom Grundsatz her abgelehnt zu haben. 47 GHA, AA KPR (4. Juli 1932), Mappe 14, S. 75–78. 48 Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 40. 49 Neben der Komplexität seines fachübergreifenden Universitätsstudiums dürften auch die vielen Auslandsreisen Rupprechts politischen Horizont enorm erweitert haben. Diese trugen

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Was ­Rupprecht jedoch an eigenen Erfahrungswerten im herrschaftlichen Regierungshandeln fehlte, eignete er sich durch das intensive Studium der verschiedenen Herrschaftssysteme an. Nach 1933 trat er als Initiator der ersten Gespräche des »Sperr-Kreises« in Erscheinung. In seiner Biographie ist an dieser Stelle kein Bruch zu erkennen. Der Kronprinz fühlte sich berufen, Vorsorge für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« zu treffen und ab 1939 im Exil Denkschriften in diesem Sinne zu verfassen. Dieses Verantwortungsbewusstsein für Bayern kennzeichnete schon sein politisches Leben vor 1933.

2. Monarchistische Restaurationsbestrebungen in Bayern 1932/33 Im Folgenden werden die monarchistischen Restaurationsbestrebungen in Bayern um die Jahreswende 1932/33 ausführlicher in den Blick genommen. Es kann nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein, zu untersuchen, wie realistisch eine Königsproklamation in Bayern zum damaligen Zeitpunkt gewesen wäre. Noch kann beurteilt werden, ob eine solche eine Machtübernahme der Nationalsozialisten in Bayern hätte verhindern können. Was diese Arbeit jedoch erbringen soll, ist erstens die Rolle Rupprechts in dieser Angelegenheit sowie seine nachträgliche Beurteilung der Bestrebungen näher zu beleuchten. Zweitens gilt es die Frage zu beantworten, ob der gerscheiterte Versuch der Wiederherstellung der Wittelsbacher Monarchie als Vorläufer des späteren »Sperr-Kreises« gewertet werden kann? Die bayerische Staatsregierung schloss seit dem »Preußenschlag« vom Juli 1932 eine Rückkehr zur Monarchie unter einem König Rupprecht nicht mehr aus, um auf diese Weise die Eigenstaatlichkeit Bayerns zu erhalten. Rupprecht selbst verurteilte zwar das verfassungswidrige Vorgehen Papens gegen Preußen, lehnte dessen Reichsreformpolitik allerdings nicht grundsätzlich ab. Vielmehr sah er hierin auch eine Chance für Bayern, seinerseits die ungeliebte Verfassung im bayerischen Sinne zu verändern. Ende Oktober 1932 pflichtete der Kronpinz daher Otto Geßlers Bedauern bei, dass die bayerische Regierung »aus rein parteipolitischen engherzigen Gründen« den Kontakt zum bayerischen Reichsjustizminister Gürtner abgebrochen habe und darüber hinaus »blos [sic!] negiere und nicht mit positiven Vorschlägen zur Reichsverfassung herausrücke«.50

aufgrund der Intensität, mit der sich der Prinz mit den kulturellen, staatsrechtlichen und volkswirtschaftlichen Begebenheiten der Länder auseinandersetzte, schon früh den »Charakter wissenschaftlicher Exkursionen« (ebd., S. 76). 50 »Infolgedessen werde über sie hinweg gehandelt werden«, habe Geßler vorausgesagt, was wohl auch Rupprecht befüchtete (GHA, AA KPR (29. Oktober 1932), Mappe 14, S. 172–176, hier S. 175).

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Nachdem Ministerpräsident Heinrich Held schon Ende Juli / Anfang August 1932 dem Kronprinzen hatte mitteilen lassen, dass er sich bereithalten solle51, brachte er im November dem Kronprinzen gegenüber seine Verzweiflung über die politische Lage zum Ausdruck.52 Seiner Ansicht nach habe die Weimarer Reichsverfassung »nur noch ein papierendes Dasein«, da sie »fortgesetzt vergewaltigt« werde. Eine Garantie für die Existenz Bayerns habe Held nun nur noch in einer Berufung Rupprechts gesehen.53 Da er jedoch ein »Revolution von oben« verhindern wollte,54 schränkte Held seine Bereitschaft, Rupprecht die Führung in Bayern zu überlassen, einige Wochen später durch die Bedingung ein, dass eine Wiedererrichtung der Monarchie auf eine »breitere Grundlage« zu stellen sei. Es solle nicht bloß der Adel mit seinen Privilegien berücksichtigt werden, worauf Rupprecht leicht gereizt einwarf, dass er »Leute nicht nach ihren Namen, sondern nach ihren Eigenschaften bewerte«.55 Überlegungen zur Rückkehr zur Monarchie bestanden damit auf höchster staatlicher Ebene bereits vor der Machtübernahme Hitlers im Reich. Doch ebenso zeichneten sich bereits inhaltliche Unstimmigkeiten und eine Unentschlossenheit ab, die einen gemeinsamen Aktionsplan für die Wiedererrichtung der Monarchie schließlich verhindern sollten. Nach dem 30. Januar 1933 drängten die bayerischen Monarchisten verstärkt darauf, in Bayern die Monarchie unter Rupprecht auszurufen.56 Obwohl der Kronprinz befürchtete, dass »Bayerns letzte Stunde als Staat geschlagen« habe, und er glaubte, dass an dieser Entwicklung nicht zuletzt die bayerische Politik um Held und Schäffer Mitschuld trage, die die »Gelegenheit zum Verhandeln mit Papen […] gründlichst verpasst« habe57, erschien ihm die Entwicklung günstig, um in Bayern die pro-monarchische Stimmung nutzen zu können. Rupprecht ergriff daher die Initiative und arbeitete einen Verfassungsentwurf aus, den er mit dem Leiter des Bayerischen Heimat- und Königsbundes Enoch Freiherr zu Guttenberg besprach.58 Mitte Februar lagen Rupprecht Informationen vor, wonach die relevanten politischen Parteien Bayerns nun auf die Monarchie zugehen wollten, um sich einer drohenden nationalsozialistischen »Machtergreifung« in München zu ent51 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 263. 52 Das kurze Gespräch zwischen Rupprecht und Held fand anlässlich des Dies academicus der Universität München am 26. November 1932 statt (vgl. GHA, AA KPR (26. November 1932), Mappe 14, S. 196 f.). 53 Vgl. ebd., S. 197. 54 So auch Becker, Heinrich Held, S. 843. 55 GHA, AA KPR (4. Januar 1933), Mappe 15, S. 5. 56 Ihre Propagandamaschinerie lief förmlich heiß: Mehrere Tagungen des Bayerischen Heimatund Königsbundes hatten Ende 1932 bereits der bayerischen Öffentlichkeit deutlich den Weg Richtung Monarchie aufgezeigt, und die Januar-Ausgabe der Süddeutschen Monatshefte trug bereits den Titel »König Rupprecht« (vgl. Süddeutsche Monatshefte 30 (1933), Heft 4). 57 GHA, AA KPR (6. Februar 1933), Mappe 15, S. 36 f. 58 GHA, AA KPR (10. Februar 1933), Mappe 15, S. 41. – Der Verfassungsentwurf konnte in den Beständen des Geheimen Hausarchivs nicht ermittelt werden.

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ziehen.59 Zu seinem Bedauern musste er allerdings die Uneinigkeit innerhalb der Führung der BVP feststellen. Während Ministerpräsident Held wenig entschlossen agiere, habe der Parteichef Fritz Schäffer verstanden, »dass es höchste Zeit ist, zur Rettung des bayerischen Staates zu handeln«.60 Für Rupprecht stand fest: »Von dem Augenblick an, an dem die Reichswehr auf Hitler vereidigt ist, ist unsererseits gegen diesen kaum mehr etwas zu machen. Es eilt nun, den bayerischen Staat zu retten und mit ihm das Reich, denn die zu erwartenden Ereignisse können ein Chaos herbeiführen.«61 Am 20. Februar 1933 stattete der bayerische Ministerpräsident Held Rupprecht erneut einen Besuch ab. Die politische Entwicklung in Berlin zwang ihn, dem bayerischen Kronprinzen nun doch ein Angebot zu unterbreiten. Zu groß war seine Furcht vor der Einsetzung eines Reichskommissars. Allerdings war es nicht das von Rupprecht erwartete und erhoffte Ersuchen. Vielmehr trug Held ihm offenbar das Amt eines bayerischen Staatskommissars an, mit der Aussicht darauf, dass dies »der 1. Schritt zur Übernahme der Königswürde sein« könne. Rupprecht konnte nach eigenen Angaben diese Offerte schon allein aufgrund seines eigenen Selbstverständnisses nicht annehmen.62 Außerdem sprachen aus seiner Sicht zu schwerwiegende Argumente dagegen.63 Der Verantwortung wolle er sich zwar keinesfalls entziehen. Bedingung sei allerdings nach wie vor, dass er als bayerischer König anerkannt werde.64 Nach einem Bericht Josef Helds, dem Sohn des bayerischen Ministerpräsidenten, habe noch am gleichen Tag eine Aussprache Heinrich Helds mit einer Delegation des Kronprinzen um dessen Kabinettschef Graf Soden sowie den Monarchisten Erwein von Aretin, Enoch zu Guttenberg und Fritz Büchner, dem Chefredakteur der »Münchner Neuesten Nachrichten« stattgefunden.65 Offenbar war Held durchaus bereit, dem Kronprinzen entgegenzukommen, wollte je59 Rupprechts Information war, dass in der BVP durch die Tatkraft Helds »die Stimmung nun ausgesprochen für die monarchische Staatsform« ausfalle und sogar der SPD »eine Rückkehr zur Monarchie […] lieber sei, wie der gegenwärtige Zustand« (ebd.). 60 GHA, AA KPR (16. Februar 1933), Mappe 15, S. 47 f. 61 Ebd., S. 48. Einen Tag später schrieb Rupprecht: »Ergreift Hitler die Diktatur und entsteht gegen die Reichsregierung ein kommunistischer Aufruhr, können wir in Bayern nicht gegen die Reichsregierung handeln, wir sollten uns daher jetzt schon mit dem Hinweis, dass die Reichsverfassung bereits wiederholt verletzt wurde, an diese nicht mehr gebunden zu sein erklären« (GHA, AA KPR (17. Februar 1933), Mappe 15, S. 49). 62 Schon im September 1932 hatte Rupprecht angesichts der Aussicht, von nur einer Partei für den bayerischen Thron nominiert zu werden, seinem Tagebuch anvertraut: »Unmöglich könnte ich mit Prestigeverlust in Bayern die Regierung antreten« (GHA, AA KPR (12. September 1932), Mappe 14). 63 Aus Sicht Rupprechts wirke »die Erinnerung an von Kahrs Staatskommissariat […] nicht ermutigend«, weshalb er die Übernahme dieser Funktion ablehne: »Ein Staatskommissar war absetzbar und ich hätte als solcher nie das Ansehen und die Autorität eines Königs besessen […]« (GHA, AA KPR (20. Februar 1933), Mappe 15, S. 53). 64 Vgl. ebd., S. 53 f. 65 Vgl. Held, Bayern und die Monarchie.

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doch letzte Zweifel über die Umsetzbarkeit der monarchistischen Pläne aus erster Hand ausgeräumt wissen. Daher soll er den Monarchisten drei Fragen gestellt haben, nämlich, ob sie erstens über das notwendige Geld verfügen, zweitens das Heer hinter sich wissen und sich drittens der Loyalität der Beamtenschaft sicher seien. Als dem bayerischen Ministerpräsidenten diese drei gewichtigen Fragen nicht positiv beantwortet worden seien, habe er angeblich weitere Schritte abgelehnt.66 Auch die Monarchisten sollen daraufhin die weitere Abstimmung mit der bayerischen Regierung abgelehnt und erklärt haben, dass man nun auf eigene Faust auf die Königsproklamation zuschreiten werde.67 Entgegen dieser beiden Ankündigungen scheint die Regierung Held weiterhin versucht zu haben, Einfluss auf die Pläne der Monarchisten auszuüben.68 Sie konnte auch kein Interesse an einem eigenständigen Handeln von dieser Seite haben, was die höchste Gefährdung für Bayern bedeuten konnte. In einer Sondersitzung des Ministerrats am 21. Februar soll über die weitere Vorgehensweise debattiert worden sein. Hierbei scheint man sich auf eine abwartende Haltung verständigt zu haben.69 Kronprinz Rupprecht war nun fest entschlossen, mit Berlin unmittelbaren Kontakt aufzunehmen. Um die Bedenken der bayerischen Regierung gegen eine Wiedereinführung der Monarchie auszuräumen, lag für ihn und die Monarchisten in seiner Umgebung nichts näher, als sich die Unterstützung und Sympathie der höchsten staatlichen Autorität im Reich einzuholen: Man setzte »nun alles auf die Karte Hindenburg«.70 Rupprecht entsandte Baron Alfons von Redwitz und Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein nach Berlin und gab letzterem ein Handschreiben für den Reichspräsidenten mit auf den Weg, indem er angeblich seine bereits vollzogene Thronbesteigung mitteilte. Es ist allerdings wenig 66 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 268; Förster, Harnier-Kreis, S. 110. 67 K. O. v. Aretin, Die bayerische Regierung, S. 205–237, hier S. 230. 68 Angeblich sollen am nächsten Tag, dem 21. Februar 1933, weitere Sondierungen zwischen Rupprecht und BVP-Parteichef Schäffer stattgefunden haben, wobei der Kronprinz erneut ein Generalstaatskommissariat ablehnte, sich jedoch zur Übernahme der Königswürde bereiterklärte. Anschließend habe es eine Abstimmung über das weitere Vorgehen zwischen Rupprecht und seinen Verbündeten gegeben (vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 268). An dieser Besprechung im Leuchtenberg-Palais habe auch ein Ministerialrat im Auftrag des Ministerpräsidenten teilgenommen, was eindeutig belegt, dass das angebliche Gespräch vom Vortag noch nicht zum Abbruch der Sondierungen über eine mögliche Königsproklamation bzw. der Einsetzung eines Staatskommissariats führte. Angeblich habe Held dann erst, als ihm sein Ministerialrat mitteilte, dass Rupprecht nach seinem Amtsantritt seine Regierung nicht im Amt belassen und stattdessen eine überparteiliche Regierung bilden wolle, »das Interesse an der Monarchie verloren« (ebd., S. 268). Doch auch dies muss hinterfragt werden. 69 Vgl. K. O. v. Aretin, Die bayerische Regierung, S. 230. Es muss sich tatsächlich um eine von zwei Sondersitzungen des bayerischen Kabinetts in diesen Tagen gehandelt haben, die sich nicht in den einschlägigen Akten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs nachweisen lassen. Aretin berief sich bei seinen Ausführungen über die Sitzung in Anm. 105 auf ein Protokoll im Nachlass Guttenberg. 70 Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 73.

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wahrscheinlich, dass zumindest die Entsendung seiner Vertrauensleute nicht in Abstimmung mit Ministerpräsident Held geschah.71 Dieser dürfte den Plänen zwar nach wie vor ablehnend gegenüber gestanden, es indes für notwendig erachtet haben, dass die Monarchisten selbst in Berlin eine deutliche Abfuhr erhalten würden. Deshalb erscheint eine nachträglich erstellte, jedoch hauptsächlich auf den dienstlichen Vormerkungen und privaten Aufzeichnungen des bayerischen Gesandten in Berlin, Franz Sperr, basierende Darstellung über die »Monarchistischen Bestrebungen« durchaus vertrauenswürdig. In dieser heißt es, dass Sperr am Morgen des 22. Februar im Auftrag des Ministerpräsidenten Held von einem Regierungsrat Dr. Schmidt angerufen wurde, damit er für die beiden adligen Herren eine Vorsprache bei Hindenburg erwirke.72 Die Delegation der Monarchisten suchte – in Berlin angekommen – zunächst die Bayerische Gesandtschaft auf, um über die aktuelle Lage in der Reichshauptstadt Orientierung zu erlangen. Es lässt sich heute nicht mehr feststellen, ob Sperr aus eigener Überzeugung oder im Auftrag seiner Regierung Fürst Oettingen und Baron Redwitz in folgender Weise abblitzen ließ: Er habe, so schrieb er Held wenig später, den beiden mitgeteilt, dass »die Sache […] hier weder psychologisch und politisch vorbereitet« und »auch ohne äusseren Anlass nicht zu machen« sei.73 Bereits einen Tag später scheinen die beiden Monarchisten eigene Erkundigung eingeholt zu haben und gaben Sperr noch am Abend »endlich […] hundertprozentig recht« mit seinen Aussagen.74 Erst am 24. Februar sprach Fürst Oettingen endlich mit Hindenburg, händigte ihm aber das Schreiben Rupprechts gar nicht erst aus. Dabei dürfte für ihn weniger das »Abspringen« der Regierung Held als vielmehr die Einsicht über die ungenügende Vorbereitung und den falschen Zeitpunkt der Aktion eine Rolle gespielt haben.75 71 Dies scheint jedoch Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 269 anzunehmen. 72 Vgl. »Monarchistische Bestrebungen« (Vf. unbekannt, o. D.), ACSP, NL Josef Müller: V 11. – Sperrs Hinweis »Die Herren Fürst Oe. und Baron Redwitz sind noch hier« in einem Schreiben an Held zwei Tage später erhärtet die Vermutung, dass Held Sperr den Auftrag erteilt hatte, den Besuch der beiden Herren in Berlin zu koordinieren (Abdruck einer Abschrift Franz Sperr an Heinrich Held (Berlin, 24. Februar 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11). Dagegen zeigt diese Aussage, dass Weiß falsch liegt, wenn er schreibt, dass Sperr Held erst mit diesem Schreiben über die Anwesenheit der beiden Monarchisten in Berlin in Kenntnis setzte (vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 269). 73 Abdruck einer Abschrift Franz Sperr an Heinrich Held (Berlin, 24. Februar 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11. 74 Sperr konnte Held also mitteilen, dass beide ihm »endlich« zugegeben hatten, dass sie falsch lägen. Daraus lässt sich schließen, dass Sperr genau diesen Auftrag von Held erhalten hatte, nämlich die beiden Herren von der Unsinnigkeit oder zumindest vom falschen Zeitpunkt ihrer Pläne zu überzeugen. 75 Weiß schreibt dagegen mit Verweis auf übereinstimmende Darstellungen Fürst Oettingens und Baron Redwitz’, dass Fürst Oettingen den Reichspräsidenten zwar über die Planungen unterrichtet habe, Hindenburg jedoch aufgrund seiner fehlenden Orientierung über die bedrohliche Lage und der Ablehnung der Regierung Held das Schriftstück Rupprechts nicht übergeben habe. Letztlich verweist Weiß auf Fürst Oettingens Erkenntnis der »Aussichtslosigkeit des Unternehmens angesichts der Haltung der bayerischen Staatsregierung«

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Der Rupprecht-Biograph Weiß erklärt, dass Ministerpräsident Held auch in den folgenden Tagen »seine unglückliche Rolle weiter[spielte]«.76 In der Zwischenzeit waren Gegenmaßnahmen der Reichsregierung angelaufen, der natürlich die monarchistischen Bestrebungen nicht unbekannt blieben und die nur teilweise mit diesen sympathisierten.77 Die Staatsregierung unter Held beschloss angeblich in einer weiteren Sondersitzung am 24. Februar, womöglich nachdem ihr das Zwischenergebnis der Reise der beiden Monarchisten mitgeteilt worden war, dass die Einsetzung eines Generalstaatskommissars vertagt werde, »bis die Reichsregierung einen offenen Verfassungsbruch beginne«.78 Entgegen Weiß’ Darstellung dürften nun auch die Monarchisten diese Vorgehensweise nicht mehr als »unglücklich« bezeichnet haben, hatte man doch gegenüber Sperr  – wie bereits dargelegt wurde – einsehen müssen, dass eine Aktion offensichtlich »ohne äusseren Anlass nicht zu machen« sei.79 In den folgenden Tagen sollten Helds Gespräche in Berlin seine Befürchtungen bestätigen, dass die Einsetzung eines Generalstaatskommissars oder gar eine Königsproklamation in Bayern von Hitler nicht ohne Weiteres hingenommen werden würde.80 Auch Rupprecht erfuhr nun durch Vizekanzler Papen, dass die Wiedereinführung der Wittelsbacher Monarchie verfrüht erscheine, und erklärte, keine voreiligen Maßnahmen zu unternehmen.81 Die Reichstagswahlen am 5. März 1933 führten endgültig jegliche Überlegungen über eine damalige (Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 269), eine Sichtweise, die vor dem Hintergrund des Bericht Sperrs zu kurz führt, da dieser eindeutig belegt, dass es die Erkenntnis von der Aussichtslosigkeit der Lage in Berlin war, die Oettingen und Redwitz von weiterem Handeln Abstand nehmen ließ. 76 Ebd., S. 270. 77 Die Reichsregierung schien in dieser Frage geteilter Meinung: Ein Gespräch Sperrs mit Reichsaußenminister von Neurath, Reichsjustizminister Gürtner und Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk hatte gezeigt, dass einige der nicht-nationalsozialistischen Minister einer Ausrufung der Monarchie in Bayern positiv gegenüberstanden (vgl. Abdruck einer Abschrift Franz Sperr an Heinrich Held (Berlin, 24. Februar 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11). Allerdings galt dies nicht für Hitler, Reichsinnenminister Frick und Reichswehrminister von Blomberg. Letzterer begab sich am gleichen Tag, an dem die beiden Monarchisten in Berlin eintrafen, nach München, um sich einerseits der Loyalität des Landeskommandanten Ritter von Leeb zu versichern und andererseits mit Kronprinz Rupprecht zu sprechen, der ihm erklärte, dass man zwar eine Königsproklamation vorbereite, aber keinesfalls beabsichtige, Bayern vom Reich abzutrennen (vgl. Weiß: Kronprinz Rupprecht, S. 270). 78 Ebd. 79 Abdruck einer Abschrift Franz Sperr an Heinrich Held (Berlin, 24. Februar 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11. 80 Am 1. März 1933 traf Held mit Hitler zusammen, der ihm androhte, dass die Ausrufung der Monarchie in Bayern »zu einer ganz schweren Katastrophe führen« würde (Vormerkung über die Besprechung zwischen Held und Hitler (Berlin, 1. März 1933), BayHStA, StK 5247 (abgedr. bei Wiesemann, Vorgeschichte, S. 294–303, hier S. 302). Und auch Helds Vorsprache beim Reichspräsidenten ergab, dass dieser von einer Königsproklamation nichts wissen wollte (vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 270 f.). 81 Vgl. ebd., S. 270.

Monarchistische Restaurationsbestrebungen in Bayern 1932/33 

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Königsproklamation in Bayern ad absurdum, stieg schließlich auch dort die NSDAP zur stärksten politischen Kraft auf. Die nur wenige Tage später erfolgte Machtübernahme der Partei in Bayern erschien daher nur noch die logische Konsequenz dieses Ergebnisses und aus Sicht des Regimes lediglich die Durchsetzung des Volkswillens zu sein, wenn auch die bayerische Staatsregierung, allen voran in Person des neuen bayerischen Gesandten Franz Sperr, bis zur letzten Sekunde auf diplomatischen Wege eine solche abzuwenden versuchte.82 In der Rückschau verlor Rupprecht kein gutes Wort über das Vorgehen der damaligen politischen Führer in Bayern und dürfte ihn in seiner ohnehin bereits negativen Sicht auf die Parteien noch einmal nachhaltig bestärkt haben: »Ein gerüttelt Maß der Schuld an den Ereignissen trägt freilich das kleinliche und klägliche Verhalten der bayerischen Volkspartei, die in erster Linie darauf bedacht waren, ihre Ministersessel sich zu erhalten.«83 Selbstkritik lag dem Kronprinzen allerdings fern. Einen Staatsstreich hatte er abgelehnt und stattdessen die Änderung der bayerischen Verfassung verlangt. Er war damit aufgrund seines Selbstverständnisses aufs Ganze gegangen. Dass er möglicherweise innerhalb des kleinen Zeitfensters vom 20. Februar bis 5. März die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Bayern durch Übernahme des ihm von Held angebotenen Amtes eines bayerischen Staatskommissars hätte verzögern oder gar verhindern können, kam ihm nicht in den Sinn. Die Erfahrungen dieser Monate dürften Rupprechts späteres Vorgehen als Initiator der ersten Gespräche des »Sperr-Kreises« sowie seine staatsrechtlichen Überlegungen nachhaltig beeinflusst haben.84 Der bayerische Gesandte Sperr war über die Überlegungen zur Ausrufung der Wittelsbacher Monarchie offenbar bereits früh im Bilde. Er war jedoch keineswegs der »Vertrauensmann« der Monarchisten in Berlin, wie später aus dem Umfeld des Kronprinzen Rupprecht behauptet wurde85, sondern trat als Diplomat im Dienste seiner Regierung auf. Er beurteilte die Lage von Berlin aus realistischer als Rupprecht. Der Kronprinz ließ sich womöglich zu sehr von seiner hoffnungsvollen Stimmung treiben, bald seine aus seiner Sicht legitimen Ansprüche auf den Thron in Bayern geltend machen zu können. Deshalb schätzte er sowohl die Haltung Hindenburgs als auch die der Reichswehr falsch ein.86 82 Vgl. hierzu Kap. V.1.a. 83 GHA, AA KPR (9. März 1934), Mappe 17, S. 88. 84 Als »Berater« sollte der Kronprinz schließlich mit Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm eben keine der damaligen politischen Führer der BVP um sich versammeln (vgl. hierzu Kap. VI.1). In seinen Denkschriften plädierte Rupprecht unter anderem für den ausschließlich seinem Gewissen folgenden Abgeordneten einer Partei (vgl. hierzu Kap. VII.2). Womöglich war Rupprecht der Ansicht, dass eine Änderung der bayerischen Verfassung im Februar 1933 möglich gewesen wäre, wenn es zu einer Abstimmung im Landtag ohne »Fraktionszwang« gekommen wäre. 85 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D.), S. 1, GHA, NL Redwitz 23. 86 So auch Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 272.

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Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach

Obwohl der spätere Widerstandskreis um Franz Sperr – wie noch zu zeigen sein wird  – ebenfalls Kronprinz Rupprecht aufgrund seiner Integrationskraft an der Spitze Bayerns nach Untergang des »Dritten Reiches« favorisierte, lassen sich die monarchistischen Restaurationsbestrebungen um die Jahreswende 1932/33 keinesfalls als Vorläufer seiner Widerstandstätigkeit bezeichnen. Das so genannte »Königsprojekt« 1933 ist klar von den späteren Bestrebungen der Männer um Franz Sperr zu unterscheiden, obwohl dieser auf Initiative des Kronprinzen Rupprechts als »Auffangorganisation« entstand. Wenn auch die Einsetzung Rupprechts zum König von Bayern in beiden Fällen beabsichtigt war, waren sowohl die führenden Köpfe als auch – was sich noch zeigen wird – die einzelnen Vertrauensleute des Kreises in der Regel keine glühenden Monarchisten vom Schlage eines Erwein von Aretin oder Enoch zu Guttenberg. Von einer Kontinuität restaurativer Bestrebungen kann daher im Hinblick auf den späteren Widerstandskreis um Franz Sperr nicht gesprochen werden.

V. Drei Männer der »Systemzeit« im »Dritten Reich«

Mit dem 30. Januar 1933 endete zwar historisch die Weimarer Republik, die drei Protagonisten des späteren Widerstandskreises verloren oder verließen dennoch nicht auf Anhieb ihr berufliches Umfeld. Der folgende Abschnitt wird zeigen, dass Sperr noch bis Mitte 1934 in Berlin ausharren und für die weitgehende Eigenständigkeit Bayerns im sich mehr und mehr zentralisierenden Hitler-Deutschland eintreten sollte. Hamm konnte sich dagegen nur noch wenige Monate auf seiner Position im DIHT halten. Geßler hatte sich seit 1928 aus dem politischen Tagesgeschäft in Berlin zurückgezogen, war jedoch an die Spitze mehrerer Vereine getreten, wo er auch nur teilweise durch die Nationalsozialisten geduldet werden sollte. Die Angehörigen des am Ende der Weimarer Republik in sich verfallenen Bürgertums standen 1933 insgesamt vor der Entscheidung, wie sie sich den neuen Machthabern gegenüber verhalten sollten. Als Optionen boten sich ihnen das Mitmachen, das äußere oder innere Exil, und letztlich der Widerstand. Diejenigen, die zunächst den Weg ins innere Exil suchten, bildeten nicht selten frühzeitig zur Aufrechterhaltung bürgerlicher Traditionen Gesprächskreise mit Gleichgesinnten.1 Obwohl Sperr, Hamm und Geßler bis 1936 Berlin den Rücken zukehren sollten, blieben ihre Verbindungen in die Reichshauptstadt weiterhin vielseitig und zahlreich. Während Sperr vor allem auf dem diplomatischen Parkett einige Bekanntschaften geknüpft hatte, dürfte Hamm kaum jemanden in Wirtschaft und Politik nicht persönlich kennengelernt haben. Sein allseits anerkannter, ausgewogener und nie ins extreme abdriftender Politikstil hatte ihm viele Freunde über die Parteigrenzen hinweg beschert. Weiterhin verkehrte er in politischen Gesprächskreisen, die sich zum Frühstück oder Mittagessen in Restaurants zusammenfanden. Darüber hinaus blieb er Mitglied der »Staatswissenschaftlichen Gesellschaft«, in die er bereits 1929 eingetreten war und wo er Vorträge hielt, die unter anderem Titel wie »Problemkreis Staat und Wirtschaft, unter Berücksichtigung des Nationalsozialismus« trugen.2 Geßler hatte darüber hinaus durch seine langjährige Tätigkeit als Reichswehrminister sämt1 Für den »Sperr-Kreis« lassen sich solche Gesprächskreise etwa innerhalb der »Augsburger Gruppe« feststellen (vgl. Kap. VI.3.a). Auch die Treffen nach Auflösung des Rotary Clubs München, an denen unter anderem Hamm und Geßler teilnahmen, fallen unter diesen Gesichtspunkt (vgl. Kap. VI.2.d). 2 Über den Inhalt des am 23. Februar 1934 gehaltenen Vortrags ist nichts bekannt. Die Staatswissenschaftliche Gesellschaft war 1883 als ein »Kreis staatswissenschaftlich Gebildeter zu regelmässigem Gedankenaustausch« gegründet worden. In ihr kamen neben Hamm viele weitere hochrangige Persönlichkeiten zusammen, von denen sich einige auch später dem

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Drei Männer der »Systemzeit« im »Dritten Reich«

lichen auch nach 1933 aktiven Militärs, soweit sie damals schon einen gehobenen Dienstrang bekleideten, vorgestanden. Es waren vor allem seine Kontakte, die in der Folgezeit für den »Sperr-Kreis« besondere Bedeutung erlangen sollten. Durch diese war es möglich, Einblicke in die Schaltzentralen der Wehrmacht zu gewinnen und die Stimmung in der Truppe seriös zu beurteilen. Alle drei wurden überwacht beziehungsweise auf ihre politische Zuverlässigkeit hin überprüft: Nach Sperrs Umzug von Berlin nach München, wo er in Bogenhausen in der Osserstraße 10 mit Frau und Sohn ein Haus bezog, fragten sich die Sicherheitsbehörden des Regimes, ob Sperr bereits Mitglied der NSDAP sei. Die Antwort im Falle des »Gesandte[n] der Systemzeit« lautete »Nein«.3 Bei den beiden ehemaligen Reichsministern ersparten sich die Sicherheitsbehörden diese Frage. In ihrem Fall war vielmehr interessant, ob sie sich seit 1933 politisch betätigten. Bis auf ihren Aufenthaltsort ähnelten sich die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden über Hamm und Geßler: Beide lebten demnach auf einem Gut, der eine in Reit im Winkl, der andere in Lindenberg im Allgäu, und zwar »vollkommen zurückgezogen«.4 Sperr, Hamm und Geßler konnten somit nicht aus der Anonymität heraus arbeiten. Ihrer zentralen Bedeutung für den Widerstandskreis entsprechend, wird im Folgenden thematisiert, wie ihre Handlungsspielräume im »Dritten Reich« und ihre individuelle Sichtweise auf die Politik des NS-Regimes tatsächlich aussahen. Dieser Abschnitt lenkt den Blick auf die individuellen Widerstandsmotive der drei zentralen Personen des »Sperr-Kreises« und bildet insofern die Grundlage für die anschließende Rekonstruktion der Widerstandsgruppe.

Widerstand gegen Hitler anschließen sollten (vgl. W. Fischer, Vorträge vor der Staatswissenschaftliche Gesellschaft, S. 71–84, insbes. S. 81). 3 Vgl. Bayerische Politische Polizei an die NSDAP-Kartei (München, 7. Februar 1935), BAB, PK, L0353, 1110070431 (Sperr, Franz) sowie Karteiabteilung an die Bayerische Politische Polizei (14. Februar 1935), BAB, PK, L0353, 1110070431 (Sperr, Franz). 4 Karteikarten zur Überwachung Hamms, BAB, R 58/9630; zur Überwachung Geßlers, BAB, R 58/9612. – Otto Geßler hatte sich nach seinem Ausscheiden aus der Reichspolitik einen Hof in Lindenberg im Allgäu gekauft. Gleichzeitig bezog er eine Sommerwohnung in München. Eduard Hamm hatte im Jahre 1932 vor allem aus Sorge um die Zukunft seines geistig behinderten Sohnes einen kleinen Bauernhof bei Reit im Winkl in den bayerischen Bergen gekauft. Bis zum Tod des Sohnes 1940 sollte er diesem ein sicheres Asyl bieten. Daneben besaß die Familie Hamm eine Stadtwohnung in München-Schwabing.

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1. Diplomatische Begrenzungsversuche und persönliche Ablehnung der NS-Politik – Franz Sperr im »Dritten Reich« Die letzten Monate bis zum 9. März 1933 wurden im Hinblick auf den Versuch, einer »Machtergreifung« Hitlers in München durch Wiedereinführung der Wittelsbacher Monarchie zuvorzukommen, bereits behandelt und ausführlich die Frage nach der Rolle des Kronprinzen Rupprecht diskutiert. Die Bedeutung des bayerischen Gesandten Franz Sperr wurde hierbei nur angedeutet: Er habe von einer monarchistischen Aktion in München abgeraten, weil er die Lage der Dinge für zu weit fortgeschritten hielt. Dabei wirkte Sperr als verlängerter Arm der Staatsregierung Held in Berlin bereits einige Monate vor seiner offiziellen Ernennung zum Gesandten am 1. März 1933. Auf seine Rolle als geschäftsführender und schließlich offizieller Gesandter Bayerns im Reich und seine vergeblichen Bemühungen die Eigenständigkeit Bayerns im Reich zu verteidigen soll im folgenden Kapitel näher eingegangen werden. Anschließend wird seine grundsätzliche Haltung zur NS-Politik insbesondere nach seinem Rücktritt als bayerischer Gesandter beschrieben. Dabei wird sowohl seine Einschätzung der NS-Außenpolitik als auch seine Stellung zu innenpolitischen Maßnahmen des Regimes widergegeben und nach Anhaltspunkten für seine Motivation zum Widerstand gesucht. a) »Das Schlimmste verhindern« – Franz Sperrs Bemühungen um die Wahrung der Eigenstaatlichkeit Bayerns 1933/34 Sperrs skeptischer Einschätzung der Lage Ende Februar 1933 gingen in den Wochen zuvor eigene Erkundigungen und Gespräche voraus. Nachdem er die beschwichtigenden Verlautbarungen des neuen Reichsinnenministers Wilhelm Frick im Reichsrat mit Interesse vernommen hatte5, tauschte er sich mit ihm am 7. Februar 1933 über die innenpolitische Lage und die Perspektive Bayerns 5 Frick hatte sich hier vor allem an Bayern mit den Worten gewandt: »Ich selbst bin nach meine Herkunft Bayer und habe als Bayer an sich schon das nötige Verständnis für den föderalistischen Aufbau des Reiches. Ich weiß, daß nicht alles hier von Berlin aus zentralisiert werden kann. Nach unserer politischen Einstellung wissen Sie, daß wir die Vertreter einer starken Einheit des Reiches sind, daß wir wünschen, daß das Reich nach aussen eine Einheit darstellt, die unerschütterlich ist, damit es sich der Angriffe von aussen erwehren kann. Aber das schliesst nicht aus, daß den einzelnen Gliedern des Reiches die nötige Freiheit, insbesondere auch in kultureller Beziehung, gegeben ist, um die Aufgaben zu erfüllen, die hier den Ländern gestellt sind. Ich darf also versichern, daß Sie Vertrauen in die Leitung der Reichsgeschäfte haben dürfen« (zit. n. Franz Sperr an das Staatsministerium des Aeussern, für Wirtschaft und Arbeit (1. Februar 1933), BayHStA, StK 5338).

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im Reich aus.6 Frick regte »in der jetzigen Zeit« die Bildung einer Koalitionsregierung in Bayern an, an der seiner Ansicht nach die NSDAP beteiligt werden solle.7 Als Feind für den Föderalismus bezeichnete Sperr im Auftrag seiner Regierung nach wie vor Franz von Papen, den neuen Vizekanzler. Durch die von Papen mit angestoßene Notverordnung »zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen«8 habe dieser erneut unterstrichen, dass das Misstrauen gegenüber seiner Person berechtigt sei.9 Sperrs Kritik an Papen kam Frick offenbar gelegen, der zugab, dass man mit der Zusammensetzung des Reichskabinetts selbst nicht zufrieden sei. Geschickt schob er den »Schwarzen Peter« auf den Vizekanzler, während er gleichzeitig versicherte, dass man gegen Bayern nichts unternehmen werde – »er wisse genau, dass dies nicht möglich wäre«.10 Zwar müsse das Reich fordern, »dass eine allgemeine Linie eingehalten werde«. Die »kulturelle Selbständigkeit Bayerns« stehe jedoch nicht zur Disposition.11 Sperr wollte sich mit diesen Beschwichtigungen allerdings nicht zufrieden geben. Die Zuständigkeiten von Reich und Ländern seien in der Weimarer Reichsverfassung klar geregelt. Die Zusicherung der »kulturellen Selbständigkeit« genüge Bayern daher keineswegs.12 Seinen Einwand wies Frick mit der Versiche6 Vgl. Abschrift einer Vormerkung Sperrs über sein Gespräch mit Frick (7. Februar 1933), BayHStA, StK 5282/1; Abschrift Nr. 3 der Vormerkung auch: ACSP, NL Josef Müller, V 11. 7 Die bayerische Regierung Held regierte seit ihrem Rücktritt im August 1930 lediglich geschäftsführend. Dies konnte sie so lange, wie sich die Machtverhältnisse im Landtag nicht entscheidend veränderten. Erst nach der nächsten Landtagswahl Ende April 1932 hätte es zu einer Koalitionsregierung kommen können. Diese ließ Helds BVP jedoch erneut stärkste Kraft werden – wenn auch nur mit knappem Vorsprung vor der NSDAP. Möglich erschien danach eine Koalition zwischen BVP und NSDAP bzw. BVP und SPD. Beide Optionen wurden zwar erwogen, aber es kam einerseits wegen der unterschiedlichen Vorstellungen innerhalb der BVP (Gegensatz Schäffer / Held) und andererseits wegen des öffentlichmedialen Drucks keine Koalition zu stande, so dass die geschäftsführende Regierung bis 1933 bestehen blieb (vgl. hierzu Wiesemann, Vorgeschichte, S. 115–120). Auf Fricks Vorschlag reagierte Sperr mit dem Hinweis, »dass die Bayerische Volkspartei den anderen Parteien ein sachliches Programm vorlegen werde« und es »Sache der nationalsozialistischen Partei in Bayern [sei], sich darauf zu äussern« (ebd.). 8 Mit dieser Notverordnung übertrug der Reichspräsident dem Reichskommissar für Preußen, Papen, die letzten dem Land Preußen verbliebenen Befugnisse. Hermann Göring, dem als kommissarischer Innenminister von nun an die preußische Polizei unterstand, nutzte diese Befugnis, um gegen unliebsame politische Gegner vorzugehen (Vgl. RGBl. 1933 I, Nr. 9, S. 43). 9 Vgl. Abschrift einer Vormerkung Sperrs über sein Gespräch mit Frick (7. Februar 1933), BayHStA, StK 5282/1. 10 Ebd. Zur erwähnten Notverordnung sei es laut Frick zwar mit Wissen Hitlers, aber in dessen Abwesenheit gekommen. Die Voraussetzung hierfür habe der Reichspräsident bereits mit der Verordnung vom 20. Juli 1932 geschaffen – ein Zustand, auf den die jetzige Regierung nur noch reagieren könne (vgl. ebd.). 11 Ebd. 12 Seinen Gesprächspartner ließ Sperr wissen, dass für die bayerische Regierung entscheidend sei, »dass in die Zuständigkeiten und Selbständigkeitsrechte der Länder nicht eingegriffen und dass die föderalistische Grundlage der Verfassung nicht angetastet werde« (ebd.).

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rung zurück, »dass ›ohne Not‹ nicht in die Zuständigkeiten der Länder eingegriffen« werde.13 Für Sperr selbst war es zunächst eine »politische Aussprache ohne besond[eres] Ergebnis«.14 Seine Reaktion auf die noch am gleichen Tag erfolgte Androhung der Einsetzung eines Reichskommissars in Hessen fiel dann allerdings entsprechend empört aus: »Viel Lüge und Intrige«, notierte er am Abend in seinen Notizkalender.15 Spätestens jetzt war ihm bewusst, dass die Zusicherungen Fricks keinen Wert hatten, die Regierung Hitler / Papen insgesamt auf die in der Weimarer Reichsverfassung festgeschriebene staatliche Integrität der Länder keine Rücksicht nehmen und beide – mit Unterstützung des Reichspräsidenten – problemlos in der Lage sein würden, die ihnen vorschwebende Umgestaltung des Reich-Länder-Verhältnisses, wenn nötig auch gewaltsam, durchzusetzen. Nach dieser für ihn niederschmetternden Gewissheit führte Sperr in den folgenden Tagen Gespräche mit diversen aus Bayern nach Berlin entsandten Persönlichkeiten, die für die Restauration der Wittelsbacher Monarchie eintraten, um den befürchten Eingriffen des Reiches in die Souveränität des Freistaats zuvorkommen. Die Absicht der Entsandten war es, hierfür die Zustimmung des Reichs, vor allem des Reichspräsidenten, einzuholen. Am 17. Februar besprach sich Sperr mit Fritz Büchner, dem Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN), über die Voraussetzungen und Chancen der Ausrufung der Monarchie in Bayern.16 Am 22. Februar erhielt Sperr im Auftrag des Ministerpräsidenten einen Anruf aus München, dass Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein und Baron Alfons von Redwitz nach Berlin kommen und um eine Vorsprache beim Reichspräsidenten bitten würden.17 In Berlin angekommen, suchten die beiden Herren Sperr sogleich in der Bayerischen Gesandtschaft auf und eröffneten ihm die Bereitschaft des Kronprinzen Rupprecht, das Königtum in Bayern zu proklamieren, um so einer »Machtergreifung« der Nationalsozialisten zuvorzukommen.18 Noch am gleichen 13 Ebd. 14 Notizkalender Franz Sperr (7. Februar 1933), Slg. Elke Fröhlich. 15 Ebd. – Von der Aktion gegen Hessen erfuhr Sperr am gleichen Tag durch den hessischen Gesandten Dr. August Nuss. Diesem gegenüber soll Sperr erklärt haben, dass es sich nun offenbar räche, »dass Hessen im Kampf gegen die Verreichlichungsbestrebungen früher nicht stärkeren Widerstand geleistet habe« (Fernmitteilung der Bayerischen Gesandtschaft (7. Februar 1933), BayHStA, StK 5287). 16 Notizkalender Franz Sperr (17. Februar 1933), Slg. Elke Fröhlich. – Fritz Büchner (1895– 1940), ein Großneffe des Dichters Georg Büchner, zählte neben seinem Redakteur für das Innenressort bei den MNN, Erwein von Aretin, sowie dem Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte, Paul Nikolaus Cossmann, zu den wichtigsten Befürwortern des monarchischen Gedankens auf Seiten der Presse und in jenen Wochen zu Beginn des Jahres 1933 zu den Protagonisten, die sich in Berlin für die Rückkehr zur Wittelsbacher Monarchie in Bayern stark machten (zu Fritz Büchner vgl. K. O. v. Aretin, Büchner, S. 720). 17 Vgl. »Monarchistische Bestrebungen« (Vf. unbekannt, o. D.), ACSP, NL Josef Müller: V 11. 18 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 1, UAE, G 1/7 Nr. 1.

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Tag versuchte Sperr, den beiden Monarchisten die in der Zwischenzeit in München weit fortgeschrittenen Pläne zur Einsetzung des Kronprinzen als Generalstaatskommissar bzw. dessen Erhebung zum König auszureden. Unmissverständlich erklärte er, dass »die Sache hier [in Berlin: d. Vf.] weder psychologisch und politisch vorbereitet« und »auch ohne äusseren Anlass nicht zu machen« sei.19 Diese Mitteilung wird Sperr, der sich von seiner inneren Einstellung her dem Hause Wittelsbach eng verbunden fühlte20, nicht leicht gefallen sein. Doch besaß für ihn die staatliche Integrität Bayerns höchste Priorität. Er war eben kein glühender Monarchist, sondern ein nüchtern abwägender Föderalist. Sperr wollte es auf kein Vabanquespiel zwischen einem Königreich Bayern und Hitler-Deutschland ankommen lassen – eine Haltung, die er zehn Jahre später in seinen Gesprächen mit Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« erneut an den Tag legen sollte.21 Obwohl ihm die beiden Monarchisten nach Rücksprache mit Hindenburg zustimmen mussten, hielt Sperr es offenbar für notwendig, selbst tätig zu werden. Deshalb stattete er dem Kabinettschef des Kronprinzen Rupprecht, Graf von Soden, am 28. Februar in München einen Besuch ab.22 Die am gleichen Tag erlassene so genannte »Reichstagsbrandverordnung« bedeutete für Bayern wie für die anderen Länder des Reiches eine nachhaltige Beschneidung ihrer Handlungsspielräume.23 War die Entsendung eines Reichskommissar bis zu diesem Zeitpunkt von der Entscheidung des Reichspräsidenten abhängig, konnte die Regierung Hitler nun nach § 2 der Verordnung für den Fall, dass »in einem Lande die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen werden«, eigenständig die Befugnisse der obersten Landesbehörden übernehmen.24 Sperr, der zu dieser Zeit in München wohl im Auftrag des Ministerpräsidenten sondierte, konnte am folgenden Tag nicht an der Besprechung Helds mit Hitler teilnehmen. In dieser drohte der Reichskanzler

19 Abschrift Franz Sperr an Heinrich Held (Berlin, 24. Februar 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11. 20 Dies war insbesondere im Jahr 1933 der Fall, wie sein engster Mitarbeiter in der Bayerischen Gesandtschaft, Alban Haas, nach dem Krieg bestätigen sollte (vgl. Alban Haas: »Im diplomatischen Dienst« (Manuskript), S. 1–10, hier S. 8, UAE, G 1/7 Nr. 1). 21 Vgl. hierzu Kap. VIII.2. 22 Vgl. Fröhlich: Sperr als Offizier und Gesandter, S. 75. – Über den Inhalt des Gesprächs ist nichts bekannt. Doch ist Fröhlich zuzustimmen, dass Sperr dem Kabinettschef wohl Informationen aus erster Hand aus Berlin übermittelte und diesen gleichfalls vom unpassenden Zeitpunkt einer monarchistischen Erhebung in Bayern zu überzeugen versuchte (vgl. Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S.75). Der Rupprecht-Biograph Weiß erwähnt dieses Treffen dagegen nicht. 23 Zur Bedeutung der Notverordnung vom 28. Februar 1933 für Bayern vgl. Wiesemann, Vorgeschichte, S. 254–263. 24 »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat«, RGBl. 1933 I, Nr. 17, S. 83.

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dem Ministerpräsidenten mit einer »ganz schweren Katastrophe«, würde man in Bayern an den Restaurationsplänen festhalten.25 Unmittelbar im Anschluss an die Reichstagswahl vom 5. März 1933 fühlte sich Berlin dazu berechtigt, auf Grundlage der »Reichstagsbrandverordnung« Hessen, Hamburg, Bremen und Lübeck durch Reichskommissare unter seine polizeiliche Kontrolle zu stellen. Nachdem ihm entsprechende Informationen aus dem Büro des Reichspräsidenten zugegangen waren, riet Sperr daraufhin dem bayerischen Kabinett, den Forderungen der Nationalsozialisten nach Auflösung des Landtags und Neuwahlen möglichst nachzukommen, um eine gewaltsame Regierungsumbildung zu verhindern.26 Vor diesem Hintergrund unternahm Sperr am 7. und 8. März seine offiziellen Antrittsbesuche als bayerischer Gesandter beim Reichspräsidenten, Reichskanzler und Vizekanzler.27 Papen gab sich Sperr gegenüber im Hinblick auf das Reich-Länder-Verhältnis als die sich um Ausgleich bemühende Kraft innerhalb der Reichsregierung aus: Auf Sperrs Einwand, dass eine Regierungsumbildung in Bayern Zeit brauche und Berlin in dieser Zeit von Eingriffen in Bayern absehen solle, versprach Papen, sich hierfür einzusetzen, verwies aber zugleich auf Hitler, dem die letzte Entscheidung hierüber obliege. Den § 2 der »Reichstagsbrandverordnung« habe Papen nach eigenem Bekunden im Kabinett von Anfang an abgelehnt. Einen Eingriff, so versicherte er, habe Bayern auf Grundlage dieses Paragraphen nicht zu befürchten.28 Am nächsten Tag ging Sperr zunächst weiter zum Reichspräsidenten. Hindenburg habe sogleich gefordert, dass Bayern nun endlich »alles Misstrauen beiseite lassen« solle, weil es »keinen Grund zu irgendwelchen Besorgnissen« habe.29 Weiter habe er erklärt, dass Bayern die »Konsequenzen aus der Reichstagswahl ziehen müsse«, womit er wohl eine Regierungsumbildung zu Gunsten der NSDAP meinte, jedoch »um Gotteswillen keine Neuwahlen mehr«.30 Sperr reagierte ähnlich wie am Tag zuvor gegenüber Papen lediglich mit der Bitte, auf Eingriffe in Bayern während möglicher Koalitionsverhandlungen zu verzichten. Natürlich konnte er den Zusicherungen Hindenburgs angesichts der in den ­Tagen zuvor vollzogenen Maßnahme gegen andere Länder des Reiches nicht trauen. Doch blieb Sperr nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass die Reichs25 Vormerkung über die Besprechung zwischen Held und Hitler (Berlin, 1. März 1933), BayHStA, StK 5247 (abgedr. bei Wiesemann, Vorgeschichte, S. 294–303, hier S. 302). 26 Vgl. Schwend, Zwischen Monarchie und Diktatur, S. 533. 27 Vgl. Abschrift Franz Sperr an das Staatsministerium des Äussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 8. März 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11. – Nach Verschwinden des Nachlasses Sperr ist diese Abschrift im Nachlass Josef Müllers im ACSP wohl die einzig verbliebene und frei zugängliche Überlieferung über Sperrs Antrittsbesuche. 28 Vgl. Abschrift Franz Sperr an das Staatsministerium des Äussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 8. März 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11. 29 Ebd. Nach Angaben Sperrs ließ Hindenburg dabei durchblicken, »dass er es fast als kränkelnd empfinden müsse, wenn man seinen Worten immer wieder misstraue« (ebd.). 30 So Hindenburgs Aussage zit. n. ebd.

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tagswahl vom 5. März nicht ohne Konsequenzen für Bayern bleiben konnte. Mit zu großem Respekt oder gar Ehrfurcht gegenüber dem greisen Hindenburg hatte seine Haltung nichts zu tun.31 Natürlich kam Hindenburg auf die Königsfrage in München zu sprechen. Eindringlich habe er allerdings »vor übereilten Schritten« gewarnt und abschließend »die Notwendigkeit der Reichseinheit« betont. Ein Widerspruch Sperrs erfolgte hierzu nicht, was sich leicht dadurch erklären lässt, dass er sich hierüber mit dem Reichspräsidenten einig war. Im anschließenden Gespräch mit Hitler dürfte sich Sperr in seinem Bild vom »Führer« bestätigt gefühlt haben. Es war das erste und einzige Gespräch, das er als bayerischer Gesandter mit dem Reichskanzler führte. Dessen »Ausführungen über die Entwicklung und Ziele seiner Bewegung« nahm Sperr hin, ohne auf diese einzugehen.32 Mit Interesse nahm er zwar Hitlers Auffassungen über das Reich-Länder-Verhältnis zur Kenntnis. Allerdings dürften diese ihm keine sonderlich großen Hoffnungen für Bayern gemacht haben. Hitler habe zunächst allgemein bekundet, dass er »den Ländern in kultureller und ähnlicher Beziehung alle Freiheiten lassen« wolle, wobei er zugleich einschränkte, dass »nach aussen […] ein einheitlicher politischer Wille in Erscheinung treten müsse«. In diesem Stil des »Freiheit ja, aber nur so lange wie […]« setzte der Reichskanzler seine Bemerkungen fort: »Er beabsichtige nicht, irgend welche Reichsangriffe während der Koalitionsverhandlungen, der Druck von unten könne aber so stark werden, dass ein Eingreifen nötig werde […].«33 31 Elke Fröhlich ist zwar zu Recht der Ansicht, dass Sperr der Versicherung Hindenburgs »unter normalen Umständen sicher mißtraut« hätte (Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 77). Sperrs angebliche »dezidierte Frage, ob Bayern mit einem Reichskommissar rechnen müsse« (ebd., S. 77), wurde allerdings so gar nicht von ihm gestellt (vgl. Abschrift Franz Sperr an das Staatsministerium des Äussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 8. März 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11). Sperr schätzte die Lage sehr realistisch ein. Ihm dürfte klar gewesen sein, dass sich die bayerische Regierung bewegen müsste, um diese Maßnahme zu verhindern. Dabei klammerte er sich nicht an die »einzige Hoffnung, die ihm verblieben war«, nämlich Hindenburg, dem er keineswegs nicht energischer widersprach aufgrund der »beeindruckende[n] Autorität des berühmten Feldherrn, aus dessen Hand er 1914 das EK I empfangen hatte« (so Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 77; ähnlich Lankes, Franz Sperr, S. 39), sondern wohl eher, weil er zur Erhaltung der bayerischen Eigenständigkeit keinen anderen Ausweg mehr sah, als jenen, den Nationalsozialisten durch eine Regierungsbeteiligung in Bayern entgegenzukommen. Dass Sperr »recht passiv und ahnungslos im Spiel der Nationalsozialisten mit der bayerischen Regierung Held« agiert habe, entbehrt somit jeglicher Grundlage (so allerdings – unter Verweis auf die Forschungen Fröhlichs – ebd., S. 39). 32 Hitler habe Sperr gegenüber seinen totalitären Herrschaftsanspruch mitgeteilt. Er wolle »etwas ganz Neues« schaffen und »die Entwicklung aller Geister zu einem Ziel« erreichen. Als Hauptziel gab Hitler die Erledigung des Marxismus in Deutschland zu erkennen (Abschrift Franz Sperr an das Staatsministerium des Äussern, für Wirtschaft und Arbeit (Berlin, 8. März 1933), ACSP, NL Josef Müller: V 11). 33 Als Beispiele wann und wo dies der Fall sei, nannte Hitler Hamburg. Außerdem stehe Baden vor dieser Situation, »dessen Regierung keine Machtmittel mehr hinter sich habe und wohl auch Württemberg« (ebd.).

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Dass ein Eingreifen in Bayern im Widerspruch hierzu unmittelbar bevorstand, verschwieg Hitler seinem bayerischen Gesprächspartner. Aufgrund der Einschränkungen, mit denen Hitler seine Zusicherungen versah, dürfte Sperr nach diesem Gespräch bereits vermutet haben, dass eine »Machtergreifung« in Bayern erfolgen werde, wenn er wohl auch nicht von dieser kurzen Frist, nämlich am darauffolgenden Tag, ausgegangen sein dürfte.34 Für die sich anschließenden Ereignisse liegt eine Vormerkung Sperrs vor, die mit dem Verschwinden seines Nachlasses verloren geglaubt wurde.35 Daher soll nun im Folgenden die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten in Bayern am 9. März 1933 aus der Perspektive Sperrs kurz umrissen werden, um zu verdeutlichen, wie sehr er in Berlin bereits auf verlorenem Posten stand.36 Die Ereignisse dieses Tages dürften Sperrs Sicht auf die sich anbahnende NS-Diktatur nachhaltig geprägt haben. Seine Erfahrungen dürften ihn in seinem späteren Entschluss zum Widerstand bestärkt und seine Widerstandstätigkeit beeinflusst haben. Noch am Abend des 8. März 1933, nur wenige Stunden nach dem Gespräch mit Hitler, erreichte Sperr ein Hilferuf des bayerischen Innenministers Karl Stützel37 aus München: Demnach existierten Gerüchte, dass am folgenden Tag ein Putsch der SA unter Führung des Gauleiters Adolf Wagner geplant sei. Um Blutvergießen zu verhindern, solle Sperr in Berlin darauf hinwirken, dass ein solcher Vorstoß unterbleibe: »In der nächsten Woche begännen ohnehin Koalitionsverhandlungen.«38 Die knappen Aufzeichnungen Sperrs bezeugen einerseits 34 Die Sperr von Elke Fröhlich zugeschriebene Naivität (»was bedeuten schon die Drohungen eines unerfahrenen Reichskanzlers im Vergleich zu dem Einfluß des allseits verehrten, altgedienten Reichspräsidenten« (Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 77) wird dem realpolitisch denkenden bayerischen Gesandten dagegen nicht gerecht. 35 Vgl. Abschrift der Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 11, ACSP, NL Josef Müller: V 11. – Diese Quelle konnte Elke Fröhlich noch für ihre Magisterarbeit im Nachlass Sperr einsehen. Über das Verschwinden berichtet Gerhard Hetzer, der im Sammelband zu Sperr als Ersatzquelle den von Alban Haas, einem Mitarbeiter Sperrs in Berlin, verfassten Artikel »Das Spiel zwischen München und Berlin. Ein bisher unveröffentlichtes Dokument über die Vorgänge am 9. März 1933«, veröffentlicht in »Die Neue Zeitung« (München), Nr. 20 vom 10. März 1947. Hierin sei die Vormerkung Sperr laut Zeitung mit »unwesentlichen Ergänzungen« eingegangen. (vgl. Hetzer, Archivalische Quellen, S. 175–222, die Erläuterungen zur Quelle S. 206 f., die Quelle selbst S. 208–214). 36 Eine gründliche Untersuchung der Ereignisse in München am 9. März 1933 steht noch aus. Vgl. noch am ausführlichsten Becker, Heinrich Held, S. 844–859; W. Ziegler, Bayern im NSStaat, S. 514–531; Wiesemann, Vorgeschichte, S. 272–283; das Verhalten der bayerischen Regierung als alternativlos darstellend Schwend, Zwischen Monarchie und Diktatur, S. 532–543. 37 Zu Stützel vgl. Fürst, Karl Stützel. 38 Abschrift der Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 11, ACSP, NL Josef Müller: V 11. – Diesen Satz strich Alban Haas 1947 offenbar in Absprache mit Josef Müller, dem damaligen Vorsitzenden der CSU, aus der Veröffentlichung der Aufzeichnungen Sperrs heraus. Man wollte offenbar den Eindruck verhindern, dass die Vorgängerpartei der CSU, die BVP, den Nationalsozialisten Entgegenkommen signalisiert haben könnte. Die Entstehungsgeschichte des Artikels wird somit deutlich. So erklärt sich auch, wieso sich die Vormerkung Sperrs in Müllers Nachlass befindet.

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sein verzweifeltes Bemühen, noch in der Nacht im Sinne seiner Regierung etwas in Berlin zu erreichen und andererseits die Art und Weise, wie die höchsten Instanzen des Reiches sowie die treibenden Kräfte und Verantwortlichen die Aktion leugneten.39 Auch am darauffolgenden Morgen ergab sich für den bayerischen Gesandten ein ähnliches Bild. Wagner sei nicht mehr rechtzeitig erreicht worden. Frick erklärte zwar, dass Zusammenstöße in jedem Fall zu verhindern seien, machte jedoch zugleich unmissverständlich klar, dass eine Regierungsübernahme der Nationalsozialisten in München bevorstehe und man das Ministerpräsidentenamt sowie die wichtigsten Ministerien fordere. Sperr habe daraufhin auf eine Beschleunigung der Koalitionsverhandlungen gedrängt, die aber nach Aussage Frick erst nach Rückkehr des Verhandlungsführers der NSDAP erfolgen könnten.40 Nach Rücksprache mit München konnte Sperr Frick mitteilen, dass die BVP den Forderungen der NSDAP entsprechen werde, woraufhin der Reichsinnenminister erklärte, dafür sorgen zu wollen, dass es in München zu keinen Zwischenfällen kommen werde. Obwohl die bayerische Regierung in einem Telegramm an Reichskanzler und Reichspräsident auch im Namen der BVP ihre Zusagen manifestierten, ging bei Sperr gleichzeitig die Mitteilung ein, dass die SS die »sofortige Übergabe der vollziehenden Gewalt an General Epp gefordert« habe. Wie in der Nacht zuvor erklärten sich die Verantwortlichen in Berlin auf Sperrs Nachfragen hin entweder für unzuständig oder bekundeten ihr Unwissen über entsprechende Vorgänge.41 Einer ausführlicheren Vormerkung Sperrs sind die folgenden Ereignisse zu entnehmen.42 Die Einsetzung Franz Ritter von Epps als Reichskommissar in Bayern war nicht mehr zu verhindern. Die Reichswehr wurde zur Verteidigung Bayerns nicht eingesetzt.43 Die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Machtlosigkeit des Reichspräsidenten wird besonders deutlich in dem Bekenntnis seines Staatssekretärs. Meissner habe Sperr am Abend erklärt, dass Frick den Reichskommissar in Bayern eingesetzt habe. Ohne die näheren Umstände und den Umfang der Befugnisse Epps zu kennen, berief sich der Staatssekretär allerdings nur auf die Angaben des Reichsinnenministers, dass die »Situation […]

39 Sperr notierte: »Staatssekretär Meissner: Ganz ausgeschlossen, von sich aus etwas zu tun. Der Reichspräsident dürfe nicht geweckt werden. Staatssekretär Lammers: Nicht auffindbar. Reichskanzler: Er wisse nicht, wo Ad[olf] Wagner sei. Dann aber bereit, ihn durch Adjutanten (Brückner oder Hess) verständigen zu lassen, evtl. am Zug« (Abschrift der Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 11, ACSP, NL Josef Müller: V 11). 40 Vgl. zu den Koalitionsverhandlungen zwischen NSDAP und BVP Dierker, Nullen. 41 Vgl. Abschrift der Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 11, ACSP, NL Josef Müller: V 11. 42 Vgl. Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 5, ACSP, NL Josef Müller: V 11. 43 Angeblich soll es eine Ermächtigung des Reichspräsidenten gegeben haben, dass die bayerische Regierung im Fall der Fälle »von den staatlichen Machtmitteln unter Einsatz der Reichswehr Gebrauch« machen dürfe (Telefonische Mitteilung Josef Helds an Gotthard Herzig (10. Juli 1956), BayHStA, NL Held 1653 (zit. n. Becker, Heinrich Held, S. 845).

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wohl nicht mehr zu halten gewesen [sei], nachdem der Ministerpräsident den Platz nicht geräumt habe«.44 Sperr dürfte längst den Eingriff des Reiches in die bayerische Souveränität als unaufhaltsam erwartet haben. Seine Einsprüche und Erkundigungen hatten insofern nur noch formalen Charakter. Auch am nächsten Tag, als Sperr von den Misshandlungen und der Verhaftung des bayerischen Innenmisters Stützel erfuhr, wurde der Gesandte in Berlin von den verantwortlichen Stellen abgewimmelt. Der Reichspräsident erklärte sich für unzuständig, da die Aktion von der Reichsregierung »in eigener Zuständigkeit erfolgt sei«. Meissner versprach immerhin eine unmittelbare Aussprache mit Hitler zu vermitteln. Doch sollte es zu einer solchen nicht mehr kommen. In seiner Aufzeichnung hielt Sperr unter dem Eindruck des rücksichtslosen Vorgehens Hitlers fest: »Eine Aufforderung zu kommen erfolgt nicht, ich hätte allerdings mir von einer solchen Rücksprache auch nichts versprochen.«45 Als Gesandter verschaffte sich Sperr offenbar – trotz der immer größeren Beschneidung der Ländersouveränität – in Berlin großes Ansehen. Sein damaliger Mitarbeiter Alban Haas46 erklärte, dass die Bayerische Gesandtschaft in den Jahren 1932 und 1933 »ein politischer Treffpunkt von besonderer Bedeutung« wurde und dies neben der schwierigen Situation im Reich-Länder-Verhältnis wohl nicht zuletzt auf seinen neuen Leiter zurückzuführen war. Selbst hohe Parteimitglieder wie der Stabschef der SA, Ernst Röhm, sollen Sperr damals die Aufwartung gemacht haben.47 Sperr konnte dennoch von Berlin aus die politische Entwicklung in Bayern weder aufhalten noch in der Folgezeit auf sie einwirken.48 Für ihn, der trotz 44 Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 5, ACSP, NL Josef Müller: V 11. – Über die Ereignisse in München gibt ein Dokumentarbericht Ministerpräsident Helds Auskunft (abgedr. bei Becker, Machtergreifung in Bayern, S. 412–435). 45 Vormerkung Sperr (o. D.) Nr. 5, ACSP, NL Josef Müller: V 11. 46 Alban Haas (1904 Germersheim–1977), kath., 1922–26 Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten München und Würzburg, 1926 Dr. jur. in Würzburg, ab 1931 Assessor der Bayerischen Gesandtschaft Berlin, 1933–35 RegRat im bayerischen Wirtschaftsministerium in der Abteilung Handel, Industrie und Gewerbe, ab 1938 Mitglied der NSDAP, 1937–45 Preisüberwachungsstellen Ansbach, Wien und Augsburg, 1942 ORegRat, nach 1945 RegDir und Leiter der Wirtschaftsabteilung bei der Regierung von Oberfranken, 1955 Verwaltungsgerichtsdirektor beim Bayer. Verwaltungsgericht in Bayreuth, ab 1956 Oberverwaltungsgerichtsrat beim Verwaltungsgerichtshof München, 1961–69 Präsident des bayerischen Statistischen Landesamtes, 1970 Ruhestand (zu Haas vgl. seine Personalakten BayHStA, Landesamt für Statistik 85 u. 86 sowie seinen Spruchkammerakt StAM, SpkA K 588: Haas, Alban). 47 Vgl. Alban Haas: »Im diplomatischen Dienst« (Manuskript), S. 1–10, hier S. 5, UAE, G 1/7 Nr. 1. 48 Die BVP versuchte zwar in den folgenden Koalitionsverhandlungen Bayern nicht vollständig den Nationalsozialisten zu überlassen. Hitler brach die Verhandlungen jedoch nach wenigen Tagen ab (vgl. Dierker, Nullen, S. 122). Im kommissarischen Ministerrat unter Leitung Epps war dann auch kein BVP-Mitglied vertreten. Am 12. April 1933 erfolgte die Ernennung Ludwig Sieberts (NSDAP) zum Bayerischen Ministerpräsidenten. Dessen Kabinett sollte

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der neuen Machthaber in München seinen Posten in Berlin behielt, ging es nun darum, weiterhin Einfluss auf die staatliche Entwicklung Bayerns zu nehmen. Allerdings konnte er auch diesen Prozess lediglich diplomatisch begleiten. Das »Ermächtigungsgesetz« vom 24. März 1933 schuf die Voraussetzungen für das weitere Vorgehen Hitlers gegen die Länder.49 Nur wenige Tage später erschien das »Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich«, in dem nach dem Proporz der Reichstagswahlen vom 5. März die Landtage neu gebildet und die Gesetzgebung entsprechend des »Ermächtigungsgesetzes« auf Reichsebene auf die Landesregierungen übertragen wurden.50 Das »Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich« vom 7. April 1933 kleidete die in Bayern bereits erfolgte »Machtergreifung« des Reichskommissars von Epp in ein legales Gewand, indem dieser nun als Reichsstatthalter der Reichsregierung unmittelbar unterstellt und mit nahezu diktatorischen Vollmachten ausgestattet wurde.51 Obwohl bereits die von Reichsinnenminister Frick geforderte Umbenennung der bayerischen Gesandtschaft in Berlin in »Vertretung Bayerns beim Reich«52 darauf hindeutete, dass der Einfluss der Länder in der Reichshauptstadt weiter beschnitten werden sollte, blieb der Reichsrat vorläufig weiter bestehen. Doch stand es im Ermessen der Reichsregierung, wann und wie sie diesen über die Reichsgesetzgebung in Kenntnis zu setzen gedachte. Über diesen Umstand beriet Sperr mit Frick Anfang Juni 1933, wobei er vorschlug, dass »im Interesse von Reich und Ländern wenigstens die grösseren Länder schon zur Mitarbeit bei den Vorarbeiten zugezogen würden, um die Erfahrung der Landesverwaltungen nutzbar zu machen«.53 Wenn Frick dem Gesandten – den Titel durfte Sperr weiterhin führen – auch versprach, sich für diesen Ratschlag stark zu machen, für wenige Monate Eugen von Quadt zu Wykradt und Isny nur ein BVP-Mann angehören. Wegen der Verhaftung von BVP-Funktionären trat dieser jedoch Ende Juni von seinem Amt zurück und musste wenige Tage später im Zusammenspiel mit Parteichef Fritz Schäffer für die Auflösung der Partei sorgen (vgl. Eintrag Nr. 832: Quadt zu Wykradt und Isny, Eugen Graf v., in: Lilla, Statisten in Uniform, S. 484). 49 Dabei hatte Hans Ritter von Lex als Vertreter der BVP auch mit Hinweis auf das ReichLänder-Verhältnis kritisch Stellung zu dem eingebrachten Gesetzentwurf bezogen, indem er bemängelte, dass der Ermächtigung keine Grenzen gesetzt würden: »Wir rechnen hierher insbesondere die Freiheit und Selbständigkeit der christlichen Religionsgemeinschaften, den Bestand der Länder als seit Jahrhunderten bewährter Grundpfeiler der deutschen Nation, die Gewährleistung der Rechtssicherheit durch ein unabhängiges Richtertum, die Erhaltung eines auf wohlerworbene Rechte vertrauenden Berufsbeamtentums als Rückgrat jeder nationalen Verwaltung, die freie Betätigung der auf der christlich-nationalen Weltanschauung fußenden politischen, ständischen und kulturellen Verbände und Einrichtungen sowie endlich die ausdrückliche Sicherung von Leben und Eigentum« (Verhandlungen des Reichstags. 8. Wahlperiode 1933, Bd. 457, S. 37 f., hier S. 38). Trotz dieser Einwände stimmte die BVP dem »Ermächtigungsgesetz« zu und zog sich damit im wahrsten Sinne des Wortes selbst den Boden unter den Füßen weg. 50 RGBl. 1933 I, Nr. 29, S. 153–154. 51 RGBl. 1933 I, Nr. 33, S. 173. 52 Schreiben Frick (9. Mai 1933), BayHStA, StK 4997. 53 Franz Sperr an die Staatskanzlei des Freistaats Bayern (23. Juni 1933), BayHStA, StK 5338.

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blieb sowohl die weitere Existenz des Reichsrats wie der Länder in den folgenden Monaten ungewiss. Mitte November 1933 hielt der bayerische Gesandte es für ratsam, dass der Ministerpräsident Ludwig Siebert (NSDAP) einmal selbst nach Berlin komme, um in der Frage der weiterhin ausstehenden und befürchteten Reichsreform sein politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen.54 Obwohl sich auch Siebert entsprechend einsetzte, blieb die Situation bis zum Frühjahr 1934 unklar. In einem Schreiben von Anfang Januar konnte Sperr nur über undeutliche Neujahrs­ ansprachen aus Berlin und die unterschiedlichsten Gerüchte berichten, die zwischen dem unklaren Bekenntnis zum Erhalt der Länder und ihrer totalen Zerschlagung angesiedelt waren und genügend Raum für Spekulationen boten.55 Am 30. Januar 1934 beendete das »Gesetz über den Neuaufbau des Reiches«56 endgültig die bereits weitgehend eingeschränkte Souveränität der Länder. Sie wurden nun mehr unmittelbar der Reichsregierung unterstellt. Durch dieses Gesetz, ergänzt durch das zwei Wochen später beschlossene »Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats«57, das zugleich die Vertretungen der Länder beim Reich auflöste, zeigte man sich in bayerischen Kreisen daher überrumpelt. Sperr fand in dem Bemühen, Klarheit über die weiteren Pläne der Reichsregierung hinsichtlich der weiteren Existenz der Länder zu gewinnen, auch in den folgenden Wochen durchaus Unterstützung vom bayerischen Ministerpräsidenten.58 Ein Gespräch Sieberts mit Göring Anfang März 1934 sorgte schließlich für Klarheit: Bayern solle dem Wunsch Hitlers entsprechend in zwei Gaue, Bayern und Franken, aufgeteilt werden, während Schwaben zunächst außenvorgelassen werde.59 54 Sperr bemängelte, dass ein klarer Kurs der Reichsregierung in dieser Frage nicht zu erkennen sei, weshalb er es für ratsam hielt, dass Siebert einmal selbst mit Hitler, Frick und Göring Rücksprache halte: »Schliesslich handelt es sich ja auch nicht nur darum festzustellen, ob, wann und wie etwas Entscheidendes geschieht, sondern wie man bis zum Eintreten dieses Ereignisses vorgehen soll« (Franz Sperr an Ludwig Siebert (16. November 1933), BayHStA, StK 5284). Sperrs Bitte wurde entsprochen, wie der Vermerk Sieberts unter seinem Schreiben verdeutlicht: »Ich habe bei meinem Besuche in Berlin am 23. und 24. November 1933 eingehend über die Sache verhandelt.« Vgl. hierzu auch Ministerratsprotokoll vom 29. November 1933, BayHStA, StK 5283/1. 55 Vgl. Franz Sperr an Ludwig Siebert (2. Januar 1934), BayHStA, StK 5283/1. 56 RGBl. 1934 I, Nr. 11, S. 75. 57 RGBl. 1934 I, Nr. 16, S. 89. 58 Auch diesem erschien der gesamte Prozess der Gleichschaltung der Länder zu rasch und undurchsichtig. Er beklagte insbesondere, dass ein klares Ziel Berlins in dieser Frage kaum zu erkennen sei. Im Entwurf eines Schreibens an Hermann Göring von Mitte Februar 1934 übte Siebert nach Rücksprache mit Sperr deutliche Kritik am undurchsichtigen Vorgehen der Reichsregierung bezüglich der Umgestaltung des Reich-Länder-Verhältnisses. Seine Beschwerde gipfelte in dem Satz: »Die Länder verdienen wirklich nicht, daß sie bei ihrer treuen Gefolgschaft und ihrem restlosen Eingehen auf die Gestaltung der Einheit so ganz nebensächlich und zum Teil unwürdig behandelt werden« (Ludwig Siebert an Hermann Göring (14. Februar 1934), BayHStA, StK 5491). Ob dieses Schreiben tatsächlich nach Berlin versandt wurde, konnte nicht geklärt werden. 59 Vgl. Vormerkung Sperr (3. März 1934), BayHStA, Bayer. Gesandtschaft Berlin 1787.

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Hierfür solle Bayern bereits eine Verwaltungsreform durchführen, die es dem Reich erleichtere, diese Neuregelung zu vollziehen.60 Sperr befürchtete nach dem völligen Verlust seiner staatlichen und politischen Souveränität nun auch einen Angriff auf seine territoriale Integrität: »Wird der Regierungspräsident tatsächlich nach preuss[ischem] Muster die Mittelinstanz, die unmittelbar der Zentrale in Berlin untersteht, so zerfällt Bayern eben in 5–6 Regierungsbezirke. Das territoriale Band (Bayern, Franken) ist dann etwas ziemlich äusserliches.«61 Einer Zerschlagung Bayerns müsse unter allen Umständen entgegengewirkt werden, riet Sperr schließlich auch Reichsstatthalter von Epp.62 Über die Empfindungen Sperrs in diesem ersten Jahr als bayerischer Gesandter, in der er seiner stetigen Selbstabwicklung praktisch nichts entgegensetzen konnte, müssen keine Spekulationen angestellt werden. Bei Sperr scheint sich sehr früh die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass alle Verhandlungen und Gespräche mit Regierungsmitgliedern und hohen Parteifunktionären keine Aussicht auf Erfolg haben würden. Er habe damals »von der ›unheimlichen Konsequenz‹ des Nationalsozialismus« gesprochen, »dessen Streben nach Macht sich durch keinerlei Verhandlungen und Vereinbarungen werde zügeln lassen«, wusste ein Gesandtschafts-Mitarbeiter nach 1945 zu berichten.63 In dem Bewusstsein, dass sich seine weitere Arbeit in Berlin nur noch auf die verwaltungstechnische Abwicklung Bayerns und seiner Vertretung in der Reichshauptstadt beschränken würde, zog Sperr die für ihn einzig logische Konsequenz. Bereits Mitte April 1934 kündigte er gegenüber Hermann Esser und Ministerpräsident Siebert seinen Rücktritt an.64 Warum er diesen Entschluss erst einige Monate später konkret machte, ist fraglich.65 Womöglich fühlte er sich dazu verpflichtet, den Prozess der Abwicklung bis zum Ende zu begleiten, vermutlich auch deshalb, um Parteieinflüsse solange wie möglich auszuschließen.66 Die Ereignisse um den »Röhm-Putsch« Ende Juni / Anfang Juli 1934 dürften

60 Vgl. Vormerkung Sperr (2. März 1934) BayHStA, Bayer. Gesandtschaft Berlin 1787. 61 Franz Sperr an Ludwig Siebert (5. März 1934), BayHStA, Bayer. Gesandtschaft Berlin 1787. 62 Vgl. Abdruck eines Schreiben Sperrs an den Reichsstatthalter von Bayern (Berlin, 13. März 1934), BayHStA, StK 5288). – Im Jahr 1943 sollte Sperr in Gesprächen mit dem »Kreisauer Kreis« energisch für die territoriale Integrität Bayerns eintreten (vgl. Kap. VIII.2). Seine Haltung in dieser Frage bildete somit über Jahre hinweg eine Konstante im »Dritten Reich«. 63 Alban Haas: »Im diplomatischen Dienst« (Manuskript), S. 1–10, hier S. 8, UAE, G 1/7 Nr. 1. 64 So offenbar die Einträge Sperrs in seinen Notizkalender (11. u. 26. April 1934), Slg. Elke Fröhlich (vgl. hierzu Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 82). – Die entsprechenden Kopien der Notizkalender aus dem Nachlass Sperr waren dem Verfasser leider nur teilweise zugänglich. 65 Am 20. Juli 1934 soll Sperr dem Reichsstatthalter Ritter von Epp seinen Rücktritt mitgeteilt haben (vgl. Notizkalender (20. Juli 1934), Slg. Elke Fröhlich (vgl. hierzu Fröhlich, Sperr als Offizier und Gesandter, S. 81 f.). 66 Im Juni 1934 befand sich Sperr bereits seit längerem in einem Machtkampf mit Karl Freiherr von Imhoff, der bis zur Auflösung des Reichsrats im Februar 1934 – gleich Sperr – stellvertretender Bevollmächtigter gewesen war. Auch nach Imhoffs Versetzung nach München

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Sperr derweil in seinem zu diesem Zeitpunkt bereits gefassten Entschluss bestärkt haben, Berlin den Rücken zuzukehren.67 Erst mit Schreiben vom 5. September 1934 bat Sperr beim Bayerischen Ministerpräsidenten offiziell um die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zum 1. Oktober. Gleichzeitig äußerte er den Wunsch, ab dem 22. September beurlaubt zu werden, um den Umzug nach München vorbereiten zu können.68 b) Kritik an Hitlers Innen- und Außenpolitik Durch die Ereignisse der Jahre 1932/33 war Franz Sperr früh gegenüber der Hitler und seiner Partei kritisch eingestellt. Dies sollte sich in seiner Haltung gegenüber der Politik des NS-Regimes und in seiner späteren Widerstandstätigkeit manifestieren. Bereits Anfang August 1932 hatte er erkannt, dass der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung einem Reichskanzler Hitler die Möglichkeit geben könnte, eine scheinbar legale Diktatur zu etablieren. Damals hatte er sich angesichts dieser Perspektive notgedrungen für eine erneute Reichskanzlerschaft

sollte er als Bevollmächtigter der bayerischen Regierung weiterhin unregelmäßig in Berlin auf­treten. Sperr schien jedoch eigenmächtig über diese Entscheidung hinweggegangen zu sein, wie eine Beschwerde des Staatsministers für Wirtschaft belegt (vgl. Schreiben des Bayerischen Staatsministers für Wirtschaft an den Bayerischen Ministerpräsidenten (München, 30. Mai 1934), BayHStA, Bayer. Gesandtschaft Berlin 1508). Sperr dürfte der Einfluss Imhoffs ein Dorn im Auge gewesen sein, was durch ein praktisches Beispiel des täglichen Kompetenzgerangels innerhalb der bayerischen Vertretung in Berlin verdeutlicht werden kann: Im Juni 1934 wies Imhoff darauf hin, dass er seinerzeit die »Nationalsozialistische Landpost« anstelle der »Deutschen Tageszeitung« für die bayerische Vertretung in Berlin abboniert habe. Dieses Abonnement habe Sperr dann ohne Rücksprache mit Imhoff eingestellt (vgl. Karl Freiherr von Imhoff an das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft (München, 12. Juni 1934), BayHStA, Bayer. Gesandtschaft Berlin 1508) Dieses Vorgehen Sperr kann stellvertretend für Sperrs antinationalsozialistische Einstellung bereits in den Anfangsjahren des »Dritten Reiches« gewertet werden. 67 Sperr schien – wie die regelmäßigen Besuche Röhms belegen – mit dem Stabschef der SA, wie er selbst ein alter Militär, gut ausgekommen zu sein. Deshalb dürfte Sperr durch Röhms Ermordung in seinem Urteil über das NS-Regime bestärkt worden sein. Darüber hinaus konnte er sich selbst nicht sicher sein, ob er nicht auch von der in diesem Zusammenhang stattfindenden Verhaftungswelle erfasst werden würde. Gertraud Sperr soll einige Jahre nach dem Krieg berichtet haben, dass Sperr sie zwar zu beruhigen wusste, beide jedoch am Fenster stehend mit ansehen mussten, wie der Vizekanzler Franz von Papen »ohne Hut« abgeführt worden sei (Gespräch mit Frau Dr. Elke Fröhlich (12. Januar 2012)). Vgl. auch die Angaben in einem Lebenslauf Franz Sperrs (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. 68 Vgl. Franz Sperr an den bayerischen Ministerpräsidenten (5. September 1934), BayHStA, StK 4401. – Die »Vertretung Bayerns in Berlin« blieb trotz völligen Verlusts ihres politischen Einflusses mit sehr geringem Personalbestand bis zum Ende des »Dritten Reiches« bestehen. Zur unbedeutenden Rolle der einst bedeutsamen Gesandtschaft vgl. Schlögl, Die bayerische Gesandtschaft, S. 262–265.

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Franz von Papens ausgesprochen.69 Dass er mit seiner Vorahnung Recht behalten sollte, zeigte sich bereits wenige Monate später, Ende Februar 1933, als die so genannte »Reichstagsbrandverordnung« nicht nur in Bezug auf die anvisierte »Gleichschaltung« der Länder zum »Freibrief des Dritten Reiches«70 wurde. Als bayerischer Gesandter hatte Sperr sich vornehmlich um die Begrenzung der gegen Bayern gerichteten Gleichschaltungsmaßnahmen zu kümmern und vermutlich kaum Zeit, sich mit der politischen Gesamtentwicklung hinreichend auseinanderzusetzen. Dennoch versuchte er offenbar in privaten Besprechungen den bayerischen Reichsjustizminister Gürtner zu überzeugen, dass Hitler einen falschen Weg einschlage. Diese Bemühungen seien jedoch, den späteren Angaben seiner Witwe Gertraud folgend, nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Dass eine Einflussnahme auf die politische Entwicklung von innen keinerlei Aussichten auf Erfolg versprach, habe ihr Mann spätestens am Tag der Niederschlagung des »Röhm-Putsches« einsehen müssen, als Hitler »die letzte Maske fallen« gelassen, und Sperr es für unmöglich gehalten habe, »weiter mit diesen Verbrechern zu arbeiten«.71 Nach seinem Rücktritt konnte Sperr sich, von dienstlichen Verpflichtungen befreit, eingehender der Reichspolitik zuwenden. Dennoch sind nur wenige Zeugnisse seiner Haltung zur Politik des NS-Regimes überliefert. Ein Eintrag in die Familienchronik, die er in den Monaten nach seinem Umzug nach München anfertigte, verdeutlicht etwa, dass er auch mit der »Gleichschaltung« im gesellschaftlichen und universitären Umfeld nicht einverstanden war. Im Hinblick auf die stufenweise Auflösung der studentischen Verbindungen an den Universitäten kritisierte er, dass man »jetzt mit roher Hand und völliger Verständnislosigkeit die studentischen Verbindungen zerstört« habe, »ohne etwas Gleichwertiges oder gar Besseres an deren Stelle setzen zu können«.72 Diese Bemerkung zeigt exemplarisch, dass Sperr die Beschränkungen und Verbote aller der totalitären Ideologie des Nationalsozialismus endgegenstehenden Handlungen und Zusammenschlüsse kritisch sah, weil ein solches Vorgehen seiner im Kern pluralistischen und liberalen Grundüberzeugung widersprach. Folgerichtig gab Sperr nach dem 20. Juli 1944 auch vor der Gestapo zu, dass er »die zu starke Betonung der Staatsgewalt gegenüber der Individualität« ablehne.73 Er legte damit ein klares Bekenntnis für rechtsstaatliche Prinzipien und eine freiheitliche Gesellschaft ab, in der das Individuum sein Leben frei von staatlichem Zwang eigenverantwortlich gestalten kann. Als einen weiteren Kri69 Vgl. Kap. III.5. Auch die Frau eines Vertrauensmanns im »Sperr-Kreis« hielt nach dem Krieg fest: »Er [Sperr: d. Vf.] hatte vor 1933 bereits das kommende Unheil vorausgesehen und er war sich vollkommen klar über den Weg, den die Nazis gehen würden« (Lully Deininger: Franz Sperr (Manuskript), UAE, G 1/7 Nr. 1). 70 Kershaw, Hitler, S. 582. 71 Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. 72 Familienbuch der Familie Sperr. Band 1. Begonnen im Jahr 1935, hier S. 316, StadtAM, Familien 544/I. 73 Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 520. Hieraus stammt auch das folgende Zitat.

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tikpunkt nannte Sperr die »Judenmaßnahmen« des NS-Regimes, die er offenbar als großes Unrecht verabscheute. Obwohl sich Sperr auf seine Behauptung, »im ganzen für den Nationalsozialismus« zu sein, hätte zurückziehen können, blieb er – seiner bürgerlich-liberalen und christlichen Prägung entsprechend – seinen ethisch-moralischen Grundsätzen treu. Trotz bevorstehender Anklage und Verurteilung durch den Volksgerichtshof übte er somit scharfe Kritik am nationalsozialistischen Vorgehen gegen Juden und Andersdenkende und trat damit für Menschlichkeit und Rechtstaatlichkeit ein. Sperrs Haltung zur nationalsozialistischen Außenpolitik bis 1939 beschrieb nach dem Krieg Georg Deininger, ein enger Vertrauter Sperrs im Widerstand.74 Die »Appeasement-Politik« Englands habe insbesondere durch das deutsch-britische Flottenabkommen im Juni 1935 und das »Münchener-Abkommen« im September 1938 Hitlers Position auch innenpolitisch stabilisiert. Wie der Gesandte a. D. zu diesen »Erfolgen« Hitlers stand, schrieb Deininger nicht. Doch beschrieb er Sperrs Empfindungen hinsichtlich deren Wirkung: Ein Großteil der traditionellen, bürgerlichen Eliten habe sich von den Erfolgen Hitlers blenden lassen. Sperr dagegen sei überzeugt gewesen, dass »es auch zu diesem Zeitpunkt für das deutsche Volk mit den Nazis keine Zusammenarbeit [hätte] geben dürfen«, wie sich Deininger nach 1945 erinnerte.75 Im Gespräch mit Ulrich von Hassell76 brachte Sperr im Januar 1939 gemeinsam mit Hamm und Geßler seine Besorgnis über die politische Lage zum Ausdruck.77 Als im September 1939 der Krieg ausbrach – Sperr befand sich zu jenem Zeitpunkt mit seiner Familie auf einer Almhütte im Chiemseegebiet – ließ 74 Vgl. Deininger, Franz Sperr; Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 102 f. 75 Deininger, Franz Sperr. – Auch Otto Geßler und Eduard Hamm zählten zu jenen, die sich über die Erfolge auf dem Weg in Richtung einer vollständigen Revision des Versailler Vertrages höchst erfreut zeigten, jedoch darüber nicht ihre grundsätzlich kritische Haltung zum Regime aufgaben und spätestens Ende Oktober 1939 auch Hitlers tatsächlichen außenpolitischen Kurs durchschauten (vgl. hierzu das Kap. V.2.b). 76 Ulrich von Hassell (1881 in Anklam–1944 in Berlin-Plötzensee), Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in Lausanne, Tübingen und Berlin, 1909 Assessor im Auswärtigen Amt, 1911–14 Vizekonsul in Genua, diverse Auslandsstationen im diplomatischen Dienst, 1932–38 Deutscher Botschafter in Italien, anschließend führend im deutschen Widerstand aktiv, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, am 8. September 1944 hingerichtet (zu Hassell vgl. Schöllgen, Ulrich von Hassell). 77 Hassell, Vom Andern Deutschland, S. 40. In den später von Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen herausgegebenen Hassell-Tagebüchern wird dieses Treffen nicht erwähnt. Stattdessen wird durch spitze Klammern auf eine Tilgung verwiesen, die entweder Hassell selbst vorgenommen hatte, um seine Gesprächspartner nicht zu belasten, oder aber erst nach 1945 entstanden. (vgl. Tagebucheintrag Hassell (17. Januar 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tage­ bücher, S. 77 f., hier S. 78). Dem Restzweifel, ob dieses Treffen so stattgefunden hat, stehen die inhaltlichen Bemerkungen Hassells über die politischen Auffassungen des »Sperr-Kreises« entgegen. Hassell will bei diesem pro-monarchische Gedankengänge entdeckt haben. Diese haben zu jenem Zeitpunkt, wie die Beziehungen zum Kronprinzen Rupprecht noch zeigen werden, ohne Zweifel bestanden.

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er keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass dieser verloren gehen würde.78 Spätestens ab diesem Zeitpunkt soll er nach Angaben seiner Frau gewusst haben, dass er für die Zeit »Danach« Vorbereitungen treffen müsse.79 Auch später  – nach dem unerwartet raschen Sieg über Frankreich – soll er diesen als »ganz unwichtig« abgetan haben: »[E]s wird am Endergebnis nichts ändern«, zitierte ihn später ein Augsburger Mitverschwörer.80 Wovor er in der Folgezeit eindringlich warnte, war allerdings der mit dem Sieg einsetzende »Siegestaumel«. Er habe dabei von einer regelrechten »Hybris der Erfolge« gesprochen.81 Umso deutlicher Hitler Deutschland in die Katastrophe führte, desto intensiver beschäftigten Sperr die Planungen einer Zeit »Danach«. Diese schlossen, wie noch zu zeigen sein wird, die Vorbereitungen auf einen möglichen Umsturz und dessen Durchführung innerhalb des eigenen, selbstgesteckten Verantwortungsbereichs Bayern mit ein. Franz Sperr machte sich somit von Beginn an keine Illusionen: Weder im Inneren noch nach Außen hin schlug das NS-Regime einen Kurs ein, den er weder gutheißen, geschweige denn mittragen konnte. Ihm, dem bayerischen Gesandten a. D., blieben vor dem Hintergrund seiner auch den Nationalsozialisten respektabel erscheinenden Offizierslaufbahn82 im »Dritten Reich« vorübergehend noch gewisse Freiräume. Seine beiden wichtigsten Mitstreiter im Widerstand gegen Hitler in Bayern, Otto Geßler und Eduard Hamm, standen aufgrund ihrer parteipolitischen Vergangenheit in den Jahren der Weimarer Republik vor einer deutlich schwierigeren Situation. Nicht nur durften sie mit umfangreicher Überwachung ihrer eigenen Lebenssphäre rechnen. Auch war ihnen die berufliche Betätigung und Informationsbeschaffung nur eingeschränkt möglich. Ihre politische Weltanschauung, der Liberalismus Naumannscher Prägung selbst, insbesondere die »Mitteleuropa«-Idee, bereitete ihnen derweil Schwierigkeiten, sich von der Politik des NS-Regimes, zumindest von der Außenpolitik Hitlers bis in den Krieg hinein, vollständig zu distanzieren.

78 Vgl. Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. 79 Gertraud Sperr gab selbst zu, dass sie den Beginn der Kontaktaufnahme mit Vertrauensleuten nicht datieren könne (vgl. Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I). Ihr war somit nicht bewusst, dass ihr Mann bereits seit mehreren Jahren Vorbereitungen für die Zeit nach einem Umsturz traf. 80 Ludwig Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes (Manuskript), S. 8, UAE, G 1/7 Nr. 1. Diese Worte seien in Anwesenheit von Gertraud Sperr und Lully Deininger gefallen. Letztere sei mit der Kunde von der Kapitulation Frankreichs sofort zur Wohnung Sperrs aufgebrochen. Dessen Frau Gertraud habe noch nichts gewusst. Dagegen habe Franz Sperr die Nachricht bereits über das Radio vernommen. Beide Damen wunderten sich, dass Sperr noch nichts erzählt habe, woraufhin dieser in aller Ruhe die Unwichtigkeit des Ereignisses für den Kriegsausgang betont habe (vgl. ebd., S. 8). 81 Ebd., S. 9. 82 Sperr wurde 1939 am »Tag von Tannenberg« zum Oberst a. D. ernannt, zugleich jedoch am 31. August in den endfültigen Ruhestand versetzt.

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2. Politische Kontaktpflege, Handlungsspielräume und Stellung zur NS-Politik – Eduard Hamm und Otto Geßler im »Dritten Reich« Im Gestapo-Verhör nach dem 20. Juli 1944 gab Eduard Hamm an, dass er vor 1933 die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik kritisiert habe, während er nach 1933 lediglich die »Rechtsauffassungen« des NS-Regimes zu beanstanden gehabt habe. Was er so »milde« zum Ausdruck brachte, stellte eine Fundamentalkritik am nationalsozialistischen Unrechtsstaat dar, die Hamm trotz wahrscheinlicher Verurteilung durch den Volksgerichtshof äußerte. Da Hitler auf Wirtschaftsexperten angewiesen war, wurde Hamm trotz seiner parteipolitischen Vergangenheit und seiner Weigerung, in die NSDAP einzu­ treten, nicht sofort nach dem 30. Januar 1933 aus seiner Position beim DIHT entfernt. Stattdessen warnte er den Reichswirtschaftsminister Hugenberg und die Regierung Hitler eindringlich »vor Massnahmen, die das handelspolitische Verhältnis zu unseren Hauptabnehmern erschüttern können«.83 Das Regime dürfte rasch erkannt haben, dass man sich mit Hamms Verbleib in diesem wichtigen wirtschaftspolitischen Amt keinen Gefallen tun würde. Eine Umgestaltung des DIHT im Sinne der NS-Ideologie erschien erst mit Hamms Rücktritt möglich. Dieser wurde schließlich durch eine Intrige innerhalb der Geschäftsführung erzwungen.84 Für einen betriebsamen Mann wie Eduard Hamm kam es derweil nicht in Frage, bereits im Alter von 54 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Dank seiner guten Kontakte zu Reichsjustizminister Gürtner wurde er als Rechtsanwalt an der Rechtsanwaltskammer Berlin angenommen.85 Zwar trat er nicht als Rechtsanwalt in Erscheinung, stand aber regelmäßig Freunden und Nachbarn rechtsberatend zur Seite. Am eindringlichsten ist hier wohl sein Einsatz für den liberalen Leipziger Historiker Walter Goetz zu nennen. Goetz wurde wegen seiner politischen Vergangenheit auf Grundlage des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 193386 als Universitätsprofessor zwangsemeritiert.87 Hamm teilte seinem Freund mit äußerster Vorsicht, jedoch ein83 Aktenvermerk über die Besprechung bei Minister Hugenberg (9. Februar 1933), BAK, NL Silverberg (N 1013) 235. 84 Vgl. Rieker: Reichsminister a. D. Dr. Eduard Hamm im Deutschen Industrie- und Handelstag (Manuskript), BayHStA, NL Hamm 42, S. 5. 85 Vgl. hierzu die Korrespondenz zwischen Hamm u. Gürtner (Nov. / Dez. 1933), BAB, R 3001/24109, 175–183 sowie vor allem die Notiz Gürtners nach einem diesbezüglichen Gespräch mit dem Staatssekretär im Preußischen Justizministerium: »Wird keine Schwierigkeiten machen« (Notiz Gürtners auf Schreiben Hamm an Gürtner (Berlin-Steglitz, 2. Dezember 1933), BAB, R 3001/24109, 183). 86 RGBl. 1933 I, Nr. 34, S. 175–177. 87 Vgl. den Schriftwechsel zwischen Hamm und Goetz im BayHStA, NL Hamm 97 sowie im BAK, NL Goetz (N 1215) 118. Vgl. zu diesem Sachverhalt auch Weigand, Walter Wilhelm Goetz, insbes. S. 319–323.

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deutig mit: »Über die persönlich-sittliche Seite Ihrer Angelegenheit brauche ich mich nicht näher zu äußern.«88 Gemeinsam erreichte man nach mehrmonatiger Auseinandersetzung mit den sächsischen Behörden die Versetzung Goetzes mit vollen Bezügen in den ordentlichen Ruhestand.89 Eduard Hamm und Otto Geßler, die beide dem politischen Liberalismus entstammten und die stets für den freiheitlichen Rechtsstaat gestritten hatten, lehnten das mit dem Jahr 1933 in Deutschland hereinbrechende »Klima der gesetzmäßigen Rechtsunsicherheit und des offenen Terrors«90 zutiefst ab. Mehr als einmal ließ Hamm in seinen Briefen durchblicken, dass er sich »im Inneren manches anders wünschte, mehr deutsch in wohl bemessener Freiheit«.91 Seine kritische Haltung zur NS-Innenpolitik schloss die Ablehnung der Maßnahmen gegen die Juden ein, die seiner christlich-humanistischen Gesinnung grundsätzlich widersprachen.92 Die Ausklammerung aus dem politischen Tagesgeschäft war für Eduard Hamm nur schwer zu ertragen. Mehr als einmal habe er versucht, sich bei höheren politischen Stellen für eine Verwendung zu empfehlen.93 Doch musste er im März 1938 resignierend feststellen, dass für »diejenigen, deren persönliches Schicksal durch ihre Verflechtung in die unfrohen Aufgaben der Jahre 1918 bis 1933 bestimmt ist und die weiter im Schatten dieser Jahre bleiben, […] der Verzicht auf Anerkennung längst selbstverständlich geworden« sei.94 Otto Geßler hatte schon seit 1928 auf Reichsebene keine politischen Funktionen mehr wahrgenommen. Wollten Hamm und er sich dennoch politisch 88 Eduard Hamm an Walter Goetz (Reit im Winkl, 29. Juli 1934), BAK, NL Goetz (N 1215), 118. 89 Vgl. Abschrift des Schreibens des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung an Goetz (Dresden, 21. August 1935) sowie die hieran angehängte Verfügung des Reichsstatthalters von Sachsen (Dresden, 12. Juli 1935), BayHStA, NL Hamm 97. 90 Kl. Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 4. 91 Eduard Hamm an Friedrich Heilbron (18. März 1938), BayHStA, NL Hamm 85. 92 Vgl. hierzu die Kritik Eduard Hamms, die er in diesem Zusammenhang an den beiden christlichen Kirchen übte (vgl. Kap. VI.2.e). 93 Resignierend schrieb Hamm im September 1939 an Heinrich F. Albert: »In kriegswirtschaftlichen Dingen sind ja die Vorbereitungen auch in organisatorischer und personeller Hinsicht offenbar seit langem soweit gediehen, dass man veralteter Erfahrungen nicht mehr bedarf. Ich habe neben der für Ruhestandsbeamte vorgeschriebenen Meldung an StS. Posse als den Mann, bei dem die kriegswirtschaftlichen Fäden zusammenlaufen, einen Brief geschrieben, dass ich selbstverständlich für jede Arbeit an für mich geeignet befundener Stelle bereit bin, habe aber noch keine Antwort erhalten und erwarte auch keine solche oder doch keine positive für die nächste Zeit« (Eduard Hamm an Heinrich F. Albert (17. September 1939), BayHStA, NL Hamm 80). 94 Ebd. Ähnlich drückte sich Hamm anlässlich des »Anschlusses« Österreichs in einem Schreiben an den früheren Pressechef der Reichsregierung Cuno, Friedrich Heilbron, aus: »So sehr ich mir im Inneren manches anders wünschte, mehr deutsch in wohl bemessener Freiheit, so sehr freue ich mich dieses ganz großen Ereignisses. Für uns Leute im Schatten zwischen 1918 und 1933 muss es genügen, selbst sich nach schwachen Kräften zum gleichen Ziel bemüht zu haben« (Eduard Hamm an Friedrich Heilbron (18. März 1938), BayHStA, NL Hamm 85).

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nach 1933 einbringen, blieben ihnen lediglich die Mitgliedschaft in nichtstaatlichen Organisationen oder Vereinen. Da das NS-Regime sehr bald alle nichtparteimäßigen Einflussmöglichkeiten auf ihre Innenpolitik ausgeschaltet hatte, waren solche in begrenztem Rahmen nur noch auf außenpolitischem Felde möglich. Und selbst dort musste Geßler als Vorsitzender des »Vereins für das Deutschtum im Ausland« (VDA) bereits 1933 seinen Hut nehmen, obwohl dies, wie im Folgenden gezeigt werden soll, keineswegs im Interesse des NS-Regimes lag. Vielmehr schien man die »Männer der Systemzeit«, Hamm und Geßler, die in der Folgezeit in anderen Organisation die Außenpolitik Deutschlands gegenüber dem Ausland verständlich zu machen versuchten, für die eigenen Zwecke in Dienst nehmen zu wollen. Anhand des vorhandenen Briefcorpus in den Nachlässen Hamms und Geßlers soll im folgenden Kapitel ihr Denken und Handeln, das sich abseits ihrer bereits zwischen 1934 und 1936 einsetzenden Widerstandstätigkeit für den »SperrKreis« bewegte, sowie die Bedeutung der Aufrechterhaltung früherer politischer Kontakte bemessen werden. Diente diese lediglich dem persönlichen Austausch oder wurden darüber hinaus auch politische Informationen übermittelt? Ihre Haltung zur Unrechtsstaatlichkeit des »Dritten Reiches« wurde in den vorausgehenden Bermerkungen bereits angedeutet. Zur Beschreibung der Rolle im »Dritten Reich« wird im anschließenden Kapitel auf die gemeinsame Haltung Hamms und Geßlers zur NS-Außenpolitik eingegangen, weil es jenes politische Terrain war, auf dem sie sich noch zeitweilig bewegen konnten. Dieses Kapitel erscheint zwingend notwendig. Es wird sich zeigen, dass ihre eigenen außenpolitischen Ansichten dem außenpolitischen Kurs des NS-Regimes zwar zeitweise ähnelten, mit diesem jedoch weder theoretisch noch praktisch identisch waren. a) Aufrechterhaltung langjähriger Kontakte und Durchbrechung des NS-Informationsmonopols Als geschäftsführendes Präsidialmitglied des DIHT hatte Eduard Hamm von 1928 an eine nahezu wöchentlich in seiner Berliner Wohnung in Charlottenburg stattfindende Gesprächsrunde etabliert, an der Personen des öffentlichen Lebens aus Politik, Wirtschaft und Industrie teilnahmen.95 Inhaltlich dürften in jenen Jahren die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands sowie die Reichsreformideen – viele der Teilnehmer waren Mitglieder des »Luther-Bundes« – die Gespräche bestimmt haben. Dass Hamm auch stets den damaligen bayerischen Gesandten Konrad von Preger eingeladen hatte, unterstreicht seine enge Verbundenheit mit seiner bayerischen Heimat und offenbart seine Hoffnung, die 95 Seine Frau Maria führte in ihrem Haushaltsbuch Teilnehmerlisten der Treffen. Diese zeigen, dass Hamm sein Amt beim DIHT dazu nutzte, weiterhin politischen Einfluss auf das politische Tagesgeschäft in Berlin auszuüben (vgl. Haushaltsbuch Maria Hamm, NL Hamm (Privatbesitz München)).

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Bayern frühzeitig von der Sinnhaftigkeit einer Neuordnung des Reich-LänderVerhältnisses überzeugen zu können und sie zumindest an den Debatten darüber teilhaben zu lassen. Die Gesprächsrunde blieb zunächst über die »Zeitenwende« 1933 bestehen. Häufigster Teilnehmer an den Treffen war Hamms engster politischer Freund Otto Geßler. Trotz einer bereits länger bestehenden Bekanntschaft wurde als Nachfolger von Pregers im März 1933 erstmals Franz Sperr ein­ geladen. Die letzte dokumentierte Zusammenkunft in diesem Rahmen erfolgte Ende März 1933.96 Doch auch nach Hamms Ausscheiden aus dem DIHT hielt er die Verbindung zu einigen der häufig empfangenen Gesprächspartner aufrecht, was die in seinem Nachlass befindliche Korrespondenz belegt.97 Intensiv blieben die Kontakte zu seinen früheren Kollegen aus den Jahren seiner Staatssekretär- und Reichsministertätigkeit. Mit Männern wie Heinrich F. Albert98, ehemaliger Reichsminister für Wiederaufbau im Kabinett Cuno, Hans ­Luther99, vormals Reichskanzler und Reichsbankchef, Karl Wever100, Hamms früherer Stellvertreter in der Reichskanzlei, Franz Kempner101 und 96 Hamm schied im Mai 1933 aus dem DIHT aus. Da die Veranstaltungen bei ihm mit Geldern des DIHT finanziert worden waren, endete damit auch die Erwähnung im Haushaltsbuch. Ob die Gespräche in diesem Rahmen anschließend fortgesetzt wurden, lässt sich nur vermuten. 97 Vgl. verschiedene Nummern im Nachlass Hamm (BayHStA). 98 Heinrich F. Albert (1874 in Magdeburg–1960 in Wiesbaden), Studium der Rechtswissenschaften in München, Leipzig, Jena und Halle a. d. Saale, 1914–17 Handelsattaché in New York und Washington, 1918/19 Präsident des Reichsamts zur Verwertung von Heeresgütern, 1919–1921 StS in der Reichskanzlei, 1922/23 Reichsschatzminister und Reichsminister für Wiederaufbau, ab 1924 Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt u. a. für den Ford-Konzern, ab 1937 Betreuer der Ford-Gesellschaften im Herrschaftsgebiet des Deutschen Reiches (vgl. Personalakt Albert, BAB, R 43-I/2754–2760 sowie Reiling, Deutschland). 99 Hans Luther (1879 in Berlin–1962 in Düsseldorf), Studium der Rechtswissenschaften in Kiel, Genf und Berlin, 1904 Dr. jur., 1918–22 Oberbürgermeister von Essen, 1922/23 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1925 Reichsfinanzminister, 1925/26 Reichskanzler, 1928 Mitbegründer des Bundes zur Erneuerung des Reiches (sog. »Luther-Bund«), 1930–33 Reichsbankpräsident, 1933–37 Botschafter des Deutschen Reiches in den USA, anschließend Rückzug ins Privatleben nach Traunstein in Oberbayern (vgl. Personalakt Luther, BAB, R 43-I/3223–3233 sowie Clingan, Hans Luther). 100 Karl Wever (1882–1965), Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, 1918 RegRat im Reichswirtschaftsamt, 1921–1923 ständiger Stellv. des StS in der Reichskanzlei, 1925 MinDir im Reichsfinanzministerium, blieb über 1933 hinaus im Amt, 1937 Ministerialdirektor, in die Verbrechen des NS-Regimes während des Zweiten Weltkrieges innerhalb des Reichsgebiets verstrickt, überlebte er das »Dritte Reich« (vgl. Personalakt Wever (nur noch vereinzelte Unterlagen), BAB, R 43-I/3602; vgl. außerdem Schulte, Zwangsarbeit, S. 89 f.; Rebentisch, Führerstaat, S. 487). 101 Franz Kempner (1879 in Bromberg–1945 in Berlin-Plötzensee), Studium der Rechtswissenschaften, 1902 Dr. jur. in Rostock, Beamter der Kolonialverwaltung in Deutsch-Ostafrika, 1919 RegRat in der Reichskanzlei, 1925/26 StS, 1932 Leitung der Hauptgeschäftsstelle der so genannten »Hindenburg-Ausschüsse«, ab 1933 Rückzug ins Privatleben, Kontakte zu Carl Friedrich Goerdeler, der ihn als künftigen Staatssekretär in der Reichskanzlei im Auge hatte, nach dem 20. Juli 1944 festgenommen, vom Volksgerichtshof zum Tode ver-

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Erwin Planck102, Hamms Nachfolger als Staatssekretäre in der Reichskanzlei, Arthur Zarden103, der kurzzeitige Staatssekretär im Reichsfinanzministerium sowie Friedrich Heilbron104, der frühere Pressechef der Reichsregierung, tauschte sich Hamm über die gesamten Jahre des »Dritten Reiches« hinweg regelmäßig über die private Situation und politische Lage aus. Auf Seiten der Industrie blieb offenbar der Kontakt zum »Ruhrbaron« Paul Reusch105 am intensivsten.106 Gleichsam liefen diejenigen persönlichen Verbindungen Hamms und Geßlers urteilt, am 5. März 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet (vgl. Personalakt Kempner, BAB, R 43-II/1583–1586). 102 Erwin Planck (1883 in Charlottenburg–1945 in Berlin-Plötzensee), Sohn des Physikers Max Planck, Militärdienst (Oberleutnant), 1919 Mitarbeiter von Kurt von Schleicher, 1919 Eintritt ins Reichswehrministerium, 1924–26 Verbindungsoffizier der Reichswehr in der Reichskanzlei, ab 1932 StS in der Reichskanzlei unter Papen und Schleicher, nach 1933 Ausscheiden aus dem Staatsdienst auf eigenen Wunsch, Rückzug ins Privatleben, Aufrechterhaltung politischer Verbindungen u. a. zum preußischen Finanzminister Johannes Popitz, 1940 Teilnahme an der konspirativen Ausarbeitung des »vorläufigen Staatsgrundgesetzes«, nach dem 20. Juli 1944 festgenommen, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, zusammen mit Franz Sperr am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet (vgl. Personalakt Planck, BAB, R 43-I/3326; vgl. außerdem Pufendorf, Die Plancks). 103 Arthur Zarden (1885 in Hamburg–1944 in Berlin), 1904–1908 Studium der Rechtswissenschaften in Lausanne, München, Berlin und Kiel, 1909 Dr. jur. in Rostock, 1914 Verwaltungsassessor in der Hamburger steuerverwaltung, 1917 RegRat, 1919 Wechsel ins Reichsfinanzministerium, 1920 MinRat, 1923 MinDir, 1925 Ministerialdirektor, 1932 StS, als »Halbjude« am 25. September 1933 in den dauernden Ruhestand versetzt, später Mitglied der Widerstandsgruppe »Solf-Kreis«, 18. Januar 1944 Selbstmord nach Verhaftung durch die Gestapo (zu Zarden vgl. Ringshausen, Solf-Kreis, S. 431–470, insbes. S. 437; Kuller, Bürokratie, S. 51). 104 Friedrich Heilbron (1872 in Berlin–1954 in Berlin), Studium der Philosophie, Philologie und Staatswissenschaften in Kiel und Berlin, 1902 Anstellung im Pressereferat des Auswärtigen Amtes, 1904 Vizekonsul, 1907 Legationsrat, 1915 Vortragender Legationsrat, 1917 Leitung des Referates Inlandpresse, 1920/21 u. 1923 Reichspressechef unter den Reichskanzlern Fehrenbach und Cuno, 1921–23 u. 1923–26 Leiter der kulturpolitischen und Minderheitenabteilung des Auswärtigen Amtes, 1926–31 Generalkonsul in Zürich, 1933 Versetzung in den Ruhestand, Rückzug ins Privatleben (vgl. Personalakt Heilbron, BAB, R 43-I/3030 f.). 105 Paul Hermann Reusch (1868 in Königsbronn–1956 auf Schloss Katharinenhof bei Backnang), Studium des Hüttenwesens an der TU Stuttgart, 1889–1901 Ingenieur in diversen Hüttenwerken, 1901 Direktor der »Friedrich-Wilhelms-Hütte« in Mülheim an der Ruhr, 1905 Berufung in den Vorstand der Oberhausener Gutehoffnungshütte (GHH), 1909 Übernahme des Vorsitzes der GHH, 1919–29 Präsident der IHK Duisburg, 1923–33 Mitglied des Präsidiums des Reichsverbands der Deutschen Industrie, 1926–33 stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Industrie- und Handelstages, nach 1933 zwiespältiges Verhältnis zum NS-Regime, Gründung des so genannten »Reusch-Kreises« mit Kontakten zum Kreis um Carl Friedrich Goerdeler, von der NS-Justiz bis zum Ende des Krieges nicht bedrängt (vgl. zu Reusch als »Unternehmer« C. Marx, Paul Reusch; zu Reusch als »Politiker« Langer, Macht und Verantwortung). 106 Dies legen die Tagebücher Ulrich von Hassells nahe (vgl. Tagebucheintrag Hassell (21. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 148 f.). Nach einer Notiz im Nachlass Reusch sollen Geßler und Hamm im Frühjahr 1940 an einem Treffen auf dem Katharinenhof bei Stuttgart teilgenommen haben (vgl. RWWA, 400101290/15 b). Dort hatte man sich bereits zwischen 1927 und 1933 regelmäßig eingefunden, um die Arbeit des »LutherBundes« im kleineren Kreise zu koordinieren (vgl. Kim, Industrie, S. 25).

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weiter, die noch aus ihrer liberalen Parteivergangenheit herrührten107, wie etwa die zu Theodor Heuss108, Eugen Schiffer109, Fritz Elsas110 und Hermann Dietrich111. 107 Aufgrund ihrer ähnlich und zeitlich parallel verlaufenden politischen Karrieren auf Reichsebene zählten Hamm und Geßler nahezu die gleichen Persönlichkeiten zu ihren persönlichen und politischen Freunden. 108 Theodor Heuss (1884 in Brackenheim–1963 in Stuttgart), Studium der Nationalökonomie, Literatur, Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und Staatswissenschaften in München und Berlin, 1905 Promotion in München, 1905–12 Chefredakteur der Zeitschrift »Die Hilfe«, 1912–18 Chefredakteur der »Neckar-Zeitung« in Heilbronn, Mitgliedschaft in unterschiedlichen liberalen Parteien, 1924–28 u. 1930–33 MdR, 1933 aus Fraktionsdisziplin Zustimmung zu Hitlers »Ermächtigungsgesetz«, 1936 Publikationsverbot, ab 1941 Mitarbeiter der liberalen »Frankfurter Zeitung«, wo er unter Pseudonym veröffentlicht, Arbeiten an Biographien u. a. über Friedrich Naumann u. Robert Bosch, nach 1945 Mitbegründer der FDP und Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–59 erster Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland (vgl. zu Heuss u. a. Radkau, Theodor Heuss; Wirsching, Demokratie, S. 21–35; über das enge Verhältnis zu Eduard Hamm während des »Dritten Reiches« gibt die Edition von Heuss’ Briefen einigen Aufschluss vgl. Heuss, Briefe). 109 Eugen Schiffer (1860 in Breslau–1954 in Berlin), Studium der Rechtswissenschaften in Breslau, Leipzig und Tübingen, Promotion, Karriere im preußischen Justizdienst, für die Nationalliberalen 1903–18 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, 1912–17 MdR, 1916 Leiter der Rechtsabteilung des Kriegsamts, 1919 Eintritt in die DDP, 1919/20 Mitglied der Nationalversammlung, 1919 Reichsfinanzminister, im gleichen Jahr Reichsjustizminister (erneut 1921), 1920–24 MdR, 1921–24 Mitglied des preußischen Landtags, ab 1925 Rechtsanwalt, aus einer jüdischen Familie stammend, überlebte er das »Dritte Reich« in einem jüdischen Krankenhaus, nach 1945 erneute politische Betätigung in der Sowjetischen Besatzungszone, Mitbegründer der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, 1948 Mitglied des Deutschen Volksrates, 1949/50 der Volkskammer, Übersiedlung nach West-Berlin (zu Schiffer vgl. die Beiträge im Sammelband Ramm, Eugen Schiffer). In den frühen 1920er Jahren war Schiffer für Eduard Hamm einer der wichtigsten, liberalen Persönlichkeiten im Berliner Politikgeschäft. In dringenden Fällen wandte sich Hamm häufig zunächst an ihn, selbst zu einem Zeitpunkt, an dem Schiffer kein öffentliches Amt mehr ausführte: »Ich weiß niemanden, an den ich mich in dieser Frage um vorsichtiges Bemühen wenden kann, als Eure Exzellenz« (Eduard Hamm an Eugen Schiffer, (31. Oktober 1920), BAK, NL Geßler (N 1032) 18, S. 33–35, hier S. 35). Obwohl es gefährlich war, den jüdischstämmigen Schiffer in den Jahren des »Dritten Reiches« zu besuchen, habe sich Hamm hierzu verpflichtet gefühlt (vgl. Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110). 110 Fritz Elsas (1890 in Cannstatt–1945 im KZ Sachsenhausen), Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München, Berlin und Tübingen, 1912 Dr. rer. pol., 1919 Beitritt zur DDP, Stadtrat in Stuttgart, 1924–26 MdL in Württemberg, 1926–31 Vizepräsident des Deutschen und Preußischen Städtetages, 1931–33 2. Bürgermeister von Berlin, 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung aus dem Amt entfernt, im »Dritten Reich« führendes Mitglied der liberalen »Robinsohn-Strassmann-Gruppe« und enge Verbindung zu Carl Friedrich Goerdeler, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, ohne Gerichtsverfahren am 10. Januar 1945 im KZ Sachsenhausen erschossen (zu Elsas vgl. Thierfelder, Fritz Elsas, S. 91–110). In seinen Erinnerungen schrieb Elsas, Eduard Hamm sei ihm über all die Jahre »ein nie versagender Freund« gewesen (zit. n. Elsas, Demokrat, S. 28). 111 Hermann Dietrich (1879 in Oberprechtal–1954 in Stuttgart), Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg, Basel, Göttingen und Heidelberg, im Kaiserreich Mitglied der Nationalliberalen, 1908–14 Bürgermeister von Kehl, 1914–19 Oberbürgermeister von Kon-

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Letzterer hatte sich nach 1933, wie Otto Geßler und Anton Fehr, in der Nähe des Bodensees niedergelassen. Besprechungen mit prominenten Nachbarn, wie mit dem Luftfahrtpionier Hugo Eckener112 und dem ehemaligen Vorstand der Dresdener Bank, Walther Frisch113, mit denen man sich gleichsam freundschaftlich und politisch verbunden fühlte, fanden teilweise in deren Wohnungen in Lindau oder Friedrichshafen statt. Der Bodensee wurde wahrscheinlich während des »Dritten Reiches« sowie gegen Ende des Krieges immer häufiger aufgrund seiner Ruhe und Abgeschiedenheit und allein aufgrund der räumlichen Nähe der Wohnorte der Gesprächsteilnehmer für die Treffen ausgewählt. Beispielsweise kündigte Hamm Geßler im August 1938 seine Ankunft am Bodensee an, woraufhin ihm der frühere Reichswehrminister die Antwort zukommen ließ, dass zu diesem Zeitpunkt »auch Hr. Frisch u. Dietrich im Lande« seien.114 Und in einem Nebensatz verwies Heilbron im Mai 1944 in einem Schreiben an Hamm auf sein Urlaubsprogramm, auf dem »sich übrigens auch der Bodensee« befinde.115

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stanz, 1911–21 Mitglied des Badischen Landtags, 1918–20 Badischer Minister des Äußeren, 1919 Mitbegründer der DDP, 1920–33 MdR, 1928–32 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und Reichsfinanzminister, 1933 aus Fraktionsdisziplin Zustimmung zu Hitlers »Ermächtigungsgesetz«, anschließend Rückzug ins Privatleben, nach 1945 Mitbegründer der Demokratischen Volkspartei (später Baden-Württembergische Landesverband der FDP) (zu Dietrich vgl. D. Meier, Hermann Dietrich, S. 193–203). Hugo Eckener (1868 in Flensburg–1954 in Friedrichshafen), Studium der Nationalökonomie und Geschichte, Habilitation, 1892–1908 Freier Schriftsteller, ab 1909 Leitung der Deutschen Luftschiffahrts-Aktiengesellschaft, 1924 Überführung des Luftschiffs LZ 126 in die USA (eine der ersten Nonstop-Atlantiküberquerungen), hierdurch weltweite Bekanntheit und deutschlandweite Beliebtheit, 1939 in Folge der Katastrophe von LZ 129 Rückzug aus der Öffentlichkeit, dennoch 1939 Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer, nach 1945 Mitbegründer des Südkurier in Konstanz (zu Eckener allerdings ohne Hinweise auf Kontakte zum »Sperr-Kreis« vgl. Köster, Hugo Eckener, S. 121–132). Eckener galt zeitweise aufgrund seiner Popularität im Volk als aussichtsreicher Kandidat für eine mögliche Reichspräsidentenwahl nach Ableben Hindenburgs. Sogar Kronprinz Rupprecht brachte ihn gegenüber Franz von Papen im Oktober 1932 ins Spiel (vgl. GHA, AA KPR (12. Oktober 1932), Mappe 14, S. 158). Walther Frisch (1879 in Berlin–1966), Studium der Geschichte, Philosphie, Nationalökonomie und Rechtswissenschaften in Heidelberg und Berlin, 1901 Dr. jur. in Rostock, 1905 Dr. phil. in Berlin, 1908–10 Gerichtsassessor im Ministerium für Handel und Gewerbe in Berlin, 1910–15 Reichsamt des Innern, 1912 RegRat, 1915 Geh. Legationsrat, 1915–19 Leiter der Zentraleinkaufsgemeinschaft, 1919–33 Vorstand der Dresdener Bank, 1933–38 Teilhaber des Bankhauses der Gebr. Arnhold, Dresden, 1938–43 Geschäftsführer des Bankhauses Hardy & Co., 1944 ehrenamtlicher Bürgermeister in Lindau am Bodensee, 1945–56 Oberbürgermeister von Lindau, 1952–57 stellv. Aufsichtsratsvorsitzender der Rhein-Main Bank AG, Frankfurt, ab 1957 Mitglied im Zentralrat der Dresdner Bank (zu Frisch vgl. Köhler, »Arisierung«, S. 210 ff.). Otto Geßler an Eduard Hamm (Lindenberg, 24. August 1938), BayHStA, NL Hamm 85. Friedrich Heilbron an Eduard Hamm (Berlin-Schmargendorf, 15. Mai 1944), BayHStA, NL Hamm 79. Einen Zeitpunkt konnte Heilbron allerdings nicht nennen. Es scheint so, als habe Hamm Heilbron gleichsam nach Bad Schachen bei Lindau eingeladen, wo wenige Tage später mit Geßler, Fehr und Dietrich ein Treffen stattfand. Auf dieses wird unten ausführlicher eingegangen.

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Ein letztes, größeres Treffen in diesem Rahmen fand offenbar im Juli 1943 im Hause Frischs in Lindau statt, an dem neben dem Hausherrn selbst auch Geßler, Albert, Eckener sowie ein Vertrauter Frischs, der Wirtschaftsberater und technische Direktor beim Bankhaus Hardy & Co., Otto Veit, zugegen waren.116 Geßler bestätigte auf Nachfrage Frischs nach dem Krieg, dass es die letzte gemeinsame Besprechung gewesen sei, nachdem man sich »ja schon wiederholt nachbarlich über die Situation ausgesprochen« hatte und »in vollem Einverständnis« war. Obwohl Hamm an diesem Gespräch nicht teilnahm, sei es dieser gewesen, der Frisch aufgrund seiner verwaltungs- und finanzpolitischen Erfahrung für die »Übernahme eines Verantwortungs-Postens« vorgesehen habe. Das Treffen im Juli 1943 sei nach Geßler der Gestapo bekannt geworden, was erklärt, warum dieser im Verhör den Namen Frisch erwähnte.117 Nach Angaben Frischs sei die Besprechung in seinem Haus in Lindau durch einen Aktenvermerk Alberts der Gestapo bekannt geworden.118 Wenn sich auch – wie noch zu zeigen sein wird – die Widerstandstätigkeit des »Sperr-Kreises« gegen den Nationalsozialismus in erster Linie auf Bayern beschränkte, so waren Hamm und Geßler dennoch daran interessiert, dass auch in den übrigen Landesteilen Vorbereitungen für eine Zeit »Danach« getroffen würden. Dass aus ihrer Sicht eine Neuordnung Deutschlands aus der Region heraus vorbereitet werden musste, zeigt ein Treffen Hamms, Geßlers und Anton Fehrs mit Hermann Dietrich Ende Mai 1944.119 Dietrich berichtete später, Hamm habe mit ihm die »Notwendigkeit« diskutiert, »was geschehen sollte, wenn plötzlich die nationalsozialistische Regierung in Berlin zusammenbräche 116 Über das Datum des Treffens gibt ein Schreiben Alberts an Hamm vom 22. Juli 1943 Auskunft. Hierin berichtete Albert von seiner kurz zuvor beendeten Reise zum Bodensee, wo er in Konstanz vermutlich zunächst mit Dietrich zusammengetroffen war. In Friedrichshafen habe er dann Eckener besucht, bevor er vermutlich am 17. Juli mit Frisch und Geßler in Lindau zusammengetroffen sei. Albert bedauerte es hierbei sehr, dass man nicht auch Eduard Hamm Mitteilung von diesem Treffen gemacht habe (vgl. Heinrich F. Albert an Eduard Hamm (Berlin, 22. Juli 1943), BayHStA, NL Hamm 80). 117 Otto Geßler an Walther Frisch (o. O., 6. September 1950), BAK, NL Geßler (N 1032) 29 sowie Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 394. 118 Vgl. Walther Frisch an Zollfinanzrat a. D. Otto Biehl (Lindau, 13. September 1950), StAS, Wü 13 T 2, 2438/133. – Während Albert mit Geßler ins KZ kam, blieb Frisch offenbar von der Gestapo verschont. 119 Maria Hamm berichtete in einem Brief aus Bad Schachen bei Lindau an ihre Tochter, dass »Geßler, Fehr u. der frühere Finanzminister Dietrich«, der in Konstanz ein Anwesen habe, ihrem Mann am Vortag einen Besuch abgestattet hatten. Bis auf die Bemerkung, dass Hamm »[g]egen die 3 […] elegant daher[kam]«, ging seine Frau allerdings auf keine Einzelheiten des Treffens ein (Maria Hamm an Gertrud Hardtwig-Hamm (Bad Schachen, 27. Mai 1944), NL Hamm (Privatbesitz München); vgl. auch Terminkalender von Eduard Hamm vom 01. Januar bis 31. August 1944, in: Christine Beßner: Dr. h. c. Eduard Hamm. 16.10.1879–23.09.1944. Bd. II. Zu Aufgaben und Fragen der deutschen Privatversicherung und Angriffen gegen sie. 1944, Hamburg 2017, S. 180–186, hier S. 183)). Dietrich selbst datierte das Treffen später irrtümlich auf Sommer 1943 (vgl. Bericht Hermann Dietrich (23. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108).

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und verschwände, ob dann irgendeine Möglichkeit bestünde, auch in Baden eine lokale Regierung aufzuziehen«.120 Als wichtigster Kontaktmann nach Berlin sollte sich Franz Kempner herausstellen, der in der Reichshauptstadt über ein großes Netzwerk an politischen Vertrauensleuten verfügte. Frühzeitig war er in den Gesprächskreis um den früheren preußischen Finanzminister Johannes Popitz121 getreten, der sich unter anderem regelmäßig mit dem ehemaligen deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell122 austauschte. Kempner gehörte hiermit zu jenen, die über die Vorgänge im Reich noch am besten orientiert waren.123 Die Verbindung zu seinen langjährigen bayerischen Bekannten setzte er gleichermaßen fort. Diese sollte für den »Sperr-Kreis« vor allem mit Beginn des Krieges von besonderer Bedeutung sein. In einem Schreiben an Eduard Hamm vom 31. Oktober 1939 – in der Zwischenzeit war der Polenfeldzug beendet und Gerüchte wurden laut, Hitler werde sich nun bald dem Westen zuwenden – berichtete Kempner von einem Treffen bei Heinrich Albert.124 Obwohl der Abend sehr nett verlaufen sei, habe er »keine neuen Gesichtspunkte« erbracht.125 Sein Schreiben beendete Kempner mit den 120 Bericht Hermann Dietrich (23. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. Dietrich will Hamm gegenüber erklärt haben, »dass von der alten Demokratischen Partei in Karlsruhe Mitglieder vorhanden seien, die allerdings z. T. zur Zeit zur Nazi-Partei zählten, mit denen man eine verlässliche und brauchbare Regierung bilden könnte.« Ob er tatsächlich anschließend auf diese Persönlichkeiten zuging, ließ Dietrich offen. 121 Johannes Popitz (1884 in Leipzig–1945 in Berlin-Plötzensee), Studium der Rechtswissenschaften und Staatswissenschaften in Lausanne, Leipzig, Berlin und Halle, 1914–1919 Referent im preußischen Innenministerium, 1919–29 im Reichsfinanzministerium, ab 1925 StS, 1932 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, 1933–44 preußischer Finanzminister, enge Kontakte zu Widerständlern wie Carl Friedrich Goerdeler Kontakte, maßgeblich an der Ausarbeitung des »vorläufigen Staatsgrundgesetz« beteiligt, 1944 Verhaftung in Folge des Attentats vom 20. Juli, vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt, am 2. Februar 1945 hingerichtet (vgl. zu Popitz neuerdings Nagel, Johannes Popitz). Beziehungen zu Popitz sind auf Seiten Hamms nicht durch Briefe dokumentiert. Allerdings bewohnten beide Familien bis 1934 zusammen ein Zweifamilienhaus in Berlin zwischen Steglitz und Dahlem, weshalb von einer engen Verbindung ausgegangen werden kann (vgl. Beßner, Eduard Hamm, Bd. I). 122 Hassell war im Februar 1938 in Folge der »Blomberg-Fritsch-Krise« aus Rom abgezogen worden. Geßler und er dürften sich bereits aus dem Deutschen Herrenklub gekannt haben, in dem beide Mitglied waren (vgl. hierzu Schoeps, Herrenklub). 123 Die Bedeutung Kempners innerhalb des Berliner Freundeskreises von Geßler und Hamm brachte Friedrich Heilbron im März 1940 in einem Schreiben an Hamm zum Ausdruck: »Was aus Berlin an Neuigkeiten zu berichten ist, hat ihnen K[empner] sicherlich erzählt. Es wird immer weniger, und die Zahl der wirklich Unterrichteten scheint mit der Dauer des Krieges nicht zu wachsen. Für uns, die wir diesem Kreise nicht angehören, wächst die Schwierigkeit, sich ein eigenes Bild vom Gang der Dinge und den Möglichkeiten der Lage zu machen« (Friedrich Heilbron an Eduard Hamm (Berlin-Charlottenburg, 23. März 1940), BayHStA, NL Hamm 85). 124 Diesem Treffen wohnten außer Kempner noch Geßler, Wever sowie der frühere Mecklenburg-Schwerinische Gesandte, Friedrich Tischbein, bei (vgl. Franz Kempner an Eduard Hamm (Charlottenburg, 31. Oktober 1939), BayHStA, NL Hamm 86). 125 Ebd.

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Worten: »Es wird wohl eine Zeit kommen, in der man das bekannte Wort variieren wird in ›Remember, remember, The midst of November‹. Wer wird es klagend, wer befriedigt aussprechen?«126 Was für den heutigen Leser dieser Sätze kaum zu verstehen ist, dürfte Eduard Hamm sehr rasch erfasst haben. Kempner hatte morgens beim Frühstück im Rahmen des »Conti-Kreises«127 durch Ulrich von Hassell eine brisante Information von Carl Friedrich Goerdeler128 erhalten. Der frühere Leipziger Oberbürgermeister war seit spätestens 1938 der führende zivile Kopf des Widerstands in Berlin und pflegte enge Kontakte zur Wehrmachtsführung. Goerdeler hatte Hassell mitgeteilt, dass der deutsche Angriffstermin auf Holland und Belgien auf Mitte November datiert worden sei.129 Kempner verriet Hamm also den ersten ins Auge gefassten Angriffstermin auf Holland und Belgien. Auch in der Folgezeit hielt er ihn, nicht ohne persönliches Risiko, in dieser Angelegenheit auf dem Laufenden130, was nicht nur für Hamm, sondern vor 126 Ebd. In diesem Zitat verwandte Kempner eine Variation der ersten Zeile eines bekannten englischen Gedichtes, in der es »Remember, remember the fifth of November« heißt. Dieses nimmt Bezug auf ein gescheitertes Attentat, den sogenannten »Gunpowder Plot«, auf den britischen König Jacob I. am 5. November 1605 (vgl. Sharpe, Remember, remember, the fifth of November). 127 Als »Conti-Kreis« bezeichnete Ulrich von Hassell den Kreis um Johannes Popitz, der sich regelmäßig im Berliner Hotel Continental zum Frühstück einfand. Vgl. Tagebucheintrag Hassell (6. November 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 134–140, hier S. 137). 128 Carl Friedrich Goerdeler (1884 Schneidemühl / Posen–1945 Berlin-Plötzensee), ev., Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Königsberg, 1908 Dr. jur., 1911–19 Kommunaldienst in Solingen, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1918 Finanzverwalter in den besetzten Gebieten Weißrusslands und Litauens, 1919 Unterstützung der Freikorps im Kampf gegen den revolutionären »Spartakusbund« in Königsberg, 1920–30 Zweiter Bürgermeister von Königsberg, 1930–37 Oberbürgermeister von Leipzig, 1931/32 und 1935 Reichskommissar für die Preisüberwachung, 1936 Rücktrittsgesuch vom Amt des Leipziger Oberbürgermeisters wegen Abbruch des Denkmals des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy durch Leipziger NS-Funktionäre, seit 1937 Berater der Firma Bosch in Finanzfragen, 1937/38 Auslandsreisen, 1938–44 Aufstieg und Entwicklung zum führenden, zivilen Widerständler gegen Hitler, in diesem Zusammenhang Aufbau eines Netzwerks, eines »Schattenkabinetts Goerdeler« und Verfassen von Denkschriften für die Zeit »Danach«, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 hingerichtet (vgl. Gillmann / Mommsen, Politische Schriften.; als Biographie immer noch grundlegend G. Ritter, Carl Goerdeler; zu seiner Oberbürgermeisterzeit Reich, Carl Friedrich Goerdeler). 129 Hassell gab in seinem Tagebuch die ihm durch Goerdeler zugegangenen Informationen über das Zustandekommens des Angriffstermins wieder: »Hitler habe einen übermüdeten, nervösen Eindruck gemacht; angeblich sei er im Schlafanzug gewesen. Ergebnis: die Sache sei weiter vorzubereiten, Angriff, der zunächst am 12., dann am 6., dann wieder am 12. habe stattfinden sollen, sei nun noch um einige Tage auf den Termin vertagt, zu dem die Heeresleitung die Bereitschaft melden werde« (Tagebucheintrag Hassell (6. November 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 134–140, hier S. 135). 130 Mit Schreiben vom 24. Dezember 1939 erklärte Kempner, dass jenes, was er »das letzte Mal andeutete, […] mehrfach aufgeschoben worden« sei. Und weiter: »Bei solchen Erkrankungen, die chirurgisch behandelt werden müssen, treten dann öfter […] örtliche Metastasen

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allem für den in diesem Zusammenhang im In- und Ausland sehr aktiven Otto Geßler von großer Bedeutung gewesen sein dürfte.131 Letzterer verfügte darüber hinaus aus seiner Reichswehrministerzeit noch über eigene militärische Kontakte, etwa zu seinem früheren Marineadjutanten, dem späteren Chef des Amts Ausland / Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, Admiral Wilhelm Canaris132. Mit Kempner, der sich Goerdeler als dessen Staatssekretär in der Reichskanzlei zur Verfügung gestellt haben soll133, und von diesem Ende November bzw.

ein« (Franz Kempner an Eduard Hamm (Charlottenburg, 24. Dezember 1939), BayHStA, NL Hamm 86). Hierbei berichtete Kempner nicht etwa von einer Krankheit, sondern von dem wegen schlechten Wetters mehrfach verschobenen Angriffstermin. Man müsse allerdings noch abwarten, »was der behandelnde Arzt bei der Schlußuntersuchung sagt« (Franz Kempner an Eduard Hamm (Charlottenburg, 24. Dezember 1939), BayHStA, NL Hamm 86). Hierzu passend notierte Hassell einen Tag später, dass Hitler am 27. Dezember erneut über Holland und Belgien beraten lassen wolle (Tagebucheintrag Hassell ([Ebenhausen], 25. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 152). 131 Auf die Auslandsbemühungen Geßlers vor allem im Vorfeld des Angriffs auf Holland und Belgien vgl. Kap. V.1.b. Wie wichtig die Information für Hamm tatsächlich war, verdeutlicht ein Schreiben, das er wenige Tage zuvor an Gerhard Riedberg, den ständigen deutschen Vertreter der Deutschen Gruppe der Internationalen Handelskammer, nach Paris verschickt hatte. Hierin hatte Hamm noch erklärt, dass für die Behauptung, »dass die politische Konzeption des Führers des Reichs wirklich« in Richtung »Weltherrschaft« ginge, und dieser »nach der notwendigen Neuordnung« nicht »einen »dauernden Frieden Europas« anstrebe, »jeder Beweis fehlen« würde (Eduard Hamm an Gerhard Riedberg, (21. Oktober 1939), BayHStA, NL Hamm 91). 132 Vgl. Gessler: Reichswehrpolitik, S. 89. – Wilhelm Canaris (1887 Aplerbeck / Dortmund–1945 KZ Flossenbürg), 1905 Eintritt als Seekadett in die Kaiserliche Marine, 1906 Fähnrich zur See, 1906/07 Marineakademie in Kiel, ab 1908 Dienstleistung auf verschiedenen Schiffen und Sammlung erster Erfahrungen in der Spionage, 1908 Leutnant zur See, 1914–18 Kriegsteilnahme auf verschiedenen Schiffen / U-Booten und Spionagetätigkeit, 1919 Mitglied des Kriegsgerichts, das die Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg freispricht, ab 1919 Marineadjutant im Reichswehrministerium unter Gustav Noske, später unter Otto Geßler, 1920 Unterstützung des Kapp-Lüttwitz-Putschs, 1924–28 Marineleitung, 1928 Erster Offizier, ab 1932 Kommandant des Linienschiffs »Schlesien«, ab 1930 Chef des Stabs der Nordseestation, 1934 Festungskommandant von Swinemünde, 1935 als Konteradmiral zum Chef der Abwehrabteilung im Reichskriegsministerium, ab 1938 Deckung der Widerstandsaktivitäten seiner engsten Mitarbeiter im Amt Ausland / Abwehr sowie eigene, enge Kontakte zum Widerstand, 1940 Admiral, nach dem 20. Juli 1944 aufgrund seiner Verbindungen zum Widerstand verhaftet, am 9. April 1945 kurz vor Einrücken der amerikanischen Truppen hingerichtet (zu Canaris vgl. unter anderem aktuellere Darstellungen von Mueller, Canaris; Bassett, Hitlers Meisterspion. Die Verbindungen von Canaris zu Geßler beschränken sich in diesen Werken allerdings ausschließlich auf die gemeinsame Tätigkeit für das Reichswehrmininisterium in den 1920er Jahren). 133 Abschrift eines Schreibens vom Reichsinnenministerium an die Reichskanzlei (Berlin, 30. September 1944), BAB, R 43 II/1586, Bl. 46 sowie Heinrich Schnee: »Der Tod von Dr. Franz Kempner« (Manuskript) (Berlin, 1947), GSPK, VI. HA, NL Schnee 26. Schnee war ein Bekannter Kempners und Heilbrons und stand auch in Verbindung zu Otto Geßler.

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Anfang Dezember 1943 erfuhr, »daß Generale eine Gewaltaktion unternehmen würden«134, soll sich vor allem Hamm immer wieder bei Aufenthalten in Berlin im Hotel Esplanade ausgetauscht haben, wo Heinrich Albert damals sein Büro hatte. An diesen Treffen nahmen neben Albert und Kempner regelmäßig auch Friedrich Heilbron sowie gelegentlich weitere Personen teil.135 Im Juli 1944 kam es zu einer verhängnisvollen Zusammenkunft. Nachdem Heilbron kurzfristig abgesagt hatte, erschienen lediglich Hamm, Albert und Kempner im Hotel Esplanade. Das Treffen ereignete sich vor dem Hintergrund eines wenige Wochen zuvor stattgefundenen Gesprächs zwischen Franz Sperr und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Letzterer hatte Sperr von den Berliner Attentatsplänen berichtet, woraufhin Sperr diese Information unmittelbar an Hamm weitergegeben hatte.136 Albert gab später an, dass ihm Kempner »die Mitarbeit in der Goerdeler’schen Regierung angeboten« und Hamm »Mitteilung von dem geplanten Attentat bis in die letzten Details gemacht« habe.137 Aufgrund der geplanten Funktion Kempners als Chef der Reichskanzlei unter Goerdeler und Hamms Wissen von den Attentatsplänen, kann die Darstellung Alberts als gesichert gelten. Ob diese Besprechung allerdings tatsächlich Hamm, Kempner und Albert zum Verhängnis wurde, ist fraglich. Heilbron, der selbst nicht an dem Treffen teilnahm, gab später an, das Treffen sei von einem Kellner oder Gast belauscht worden, der seine Informationen unmittelbar an die Gestapo

In diesem Manuskript beschrieb er die Umstände, die zur Verhaftung und Hinrichtung Kempners nach dem 20. Juli 1944 geführt haben sollen. Dabei bezog er sich auf Angaben Heilbrons, der über Kempners Tätigkeit während des »Dritten Reiches« offenbar orientiert gewesen ist und ihm nach dem Attentat vom 20. Juli 1944, als Kempner mit seiner Verhaftung rechnete, Zuflucht in seiner Wohnung bot. Hiernach habe Kempners Rolle im Widerstand folgendermaßen ausgesehen: »Gördeler war wiederholt bei Kempner. Dieser stellte auch für Gördeler die Verbindung mit verschiedenen anderen Persönlichkeiten her. Etwa ¾ Jahr vor dem Attentat hatte Gördeler Kempner gefragt, ob er bereit sein würde, in der neu zu bildenden Regierung wieder seine frühere Stellung als Chef der Reichskanzlei zu übernehmen. Kempner erbat sich Bedenkzeit und erklärte dann, nachdem er sich die Sache überlegt hatte, seine Bereitwilligkeit dafür. Das muss Ende November oder Anfang Dezember 1943 gewesen sein« (ebd.). 134 Abschrift eines Schreibens vom Reichsinnenministerium an die Reichskanzlei (Berlin, 30. September 1944), BAB, R 43 II/1586, Bl. 46. 135 Vgl. Heinrich Schnee: »Der Tod von Dr. Franz Kempner« (Manuskript) (Berlin, 1947), GSPK, VI. HA, NL Schnee 26. 136 Das Treffen Sperr / Stauffenberg wird in Kap. VIII.4 ausführlich beschrieben und in die Widerstandsaktivitäten des »Sperr-Kreises« und der Berliner Verschwörer eingeordnet. 137 Heinrich F. Albert an Gertrud Hardtwig-Hamm (27. April 1946), BayHStA, NL Hamm 108. Fälschlicherweise wurde das Treffen in den nach 1945 entstandenen Aufzeichnungen der Familie Hamms auf Juni 1944 datiert (vgl. Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110). Eintragungen in Hamms Terminkalender zeigen dagegen, dass es wahrscheinlich am 12. Juli 1944 zu der Zusammenkunft kam (vgl. Terminkalender von Eduard Hamm vom 01. Januar bis 31. August 1944, in: Beßner, Eduard Hamm, Bd. II, S. 184).

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weitergegeben habe.138 Aus den »Kaltenbrunner-Berichten« lassen sich jedoch keinerlei Hinweise auf dieses Treffen finden. Albert wird hierin überhaupt nicht erwähnt. Eine gemeinsame Behandlung der Fälle Hamm, Kempner und Albert findet nicht statt, was zu dem Schluss führen muss, dass der Gestapo dieses Treffen offenbar nicht bekannt geworden ist und alle drei Personen vielmehr aus unterschiedlichen Gründen unabhänig voneinander verhaftet wurden.139 Um abschließend das ganze Ausmaß der Beteiligung des politischen Freundeskreises von Otto Geßler und Eduard Hamm am Widerstand gegen Hitler noch einmal zu unterstreichen, muss für diesen Personenkreis bereits auf die Folgen des missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 verwiesen werden: Von den hier genannten politischen Freunden sollte bereits im Januar 1944 Arthur Zarden im Anschluss an seine Verhaftung wegen seiner Beziehungen zum so genannten »Solf-Kreis« den Freitod durch Sprung aus dem Gefängnisfenster wählen. Nach dem 20. Juli 1944 wurden Franz Kempner und Erwin Planck vom Volksgerichtshof aufgrund ihrer Beteiligung oder Mitwisserschaft zum Tode verurteilt und hingerichtet. Fritz Elsas wurde ohne Gerichtsverfahren im Januar 1945 im KZ Sachsenhausen erschossen. Geßler und Hamm begaben sich deshalb schon durch die Aufrechterhaltung ihrer Verbindungen zu diesen Hitlergegnern in Gefahr. Die Kontakte nutzten sie in erster Linie zur Durchbrechung des nationalsozialistischen Informationsmonopols. Die aus Berlin stammenden Auskünfte ließen sich für ihre parallel einsetzende konspirative Tätigkeit im »Sperr-Kreis« nutzbar machen. Mit ­Kempner verfügte die bayerische Widerstandsgruppe darüber hinaus über einen zuverlässigen Kontaktmann im Zentrum der Widerstandsbewegung in Berlin. Geßler und Hamm beließen es allerdings nicht dabei, sich lediglich Informationen aus Berlin zu beschaffen, sondern gaben diese auch umgekehrt weiter, wie das Gespräch Hamms in Berlin im Juni 1944 zeigte. Hamm ging sogar noch weiter, indem er seinen langjährigen politischen Weggefährten Hermann Dietrich zu Widerstandshandlungen im Stile des »Sperr-Kreises« antrieb. b) Unterstützung der NS-Außenpolitik? Mitarbeit in nationalen und transnationalen Nichtregierungsorganisationen Spätestens seit Mitte der 1920er Jahre nahmen Geßler und Hamm in außenpolitischer Hinsicht die Gedanken Friedrich Naumanns für ein nicht nur wirtschaftliches Machtzentrum in Mitteleuropa wieder auf. Hatten sie sich, solange sie noch in Regierungsverantwortung waren, gezwungen gesehen, als »Erfüllungspolitiker« zu erscheinen, konnten sie nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Reichspolitik an einer Teilrevision der von ihnen von jeher abgelehnten

138 Friedrich Heilbron an Gertrud Hardtwig-Hamm (17. Mai 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 139 Auf diese Gründe wird in Kap. VIII.5.b ausführlich eingegangen.

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Versailler Friedensordnung mitwirken.140 Dabei beriefen sie sich außenpolitisch auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches von US-Präsident Woodrow Wilson im Januar 1918 in seinem berühmt gewordenen 14-Punkte-Programm proklamiert worden war, das aber in ihren Augen grundsätzlich den Gedanken des Versailler Vertrages zuwider lief. Wie Naumann bereits 1915 empfohlen hatte, schlossen sich Geßler und Hamm nationalen und transnationalen Nichtregierungsorganisationen an, um über den Weg der wirtschaftlichen Einigung Mitteleuropas einem politischen, staatenbündischen Zusammenschluss näherzukommen und um im Ausland um Verständnis für die aus ihrer Sicht berechtigten Ausdehnungsbedürfnissen Deutschlands in diesem Raum zu werben.141 Ihre führende Mitgliedschaft in Organisationen und Vereinen wie der Deutsch-Österreichischen Arbeitsgemeinschaft (DÖAG), dem Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA), dem Mitteleuropäischen Wirtschaftstag (MWT) und Rotary International wird in diesem Kapitel thematisiert. Es stellt sich die Frage, ob Geßler und Hamm der NS-Politik durch ihr außenpolitisches Wirken zumindest teilweise Vorschub geleistet haben? Sollte dies zutreffen, wäre danach zu fragen, bis zu welchem Zeitpunkt dies der Fall war? Im Februar 1930 benannte Eduard Hamm auf der 5. Mitteleuropäischen Wirtschaftstagung in Breslau, der Vorläuferin des 1931 gegründeten MWTs142, seine außenpolitischen Positionen. Ausgehend von der Feststellung, dass es den mitteleuropäischen Staaten, zu denen er auch Frankreich zählte, gegenüber den außereuropäischen Nationen in der Regel an »räumliche[n] und auch sonstige[n] natürliche[n] Wirtschaftsvoraussetzungen« fehle, prophezeite er den Niedergang der europäischen Kultur, wenn es nicht gelinge, zu einer wirtschaftlichen Einigung Mitteleuropas zu gelangen. Die Schaffung eines mitteleuropäischen Wirt140 Heute wird der Vertrag von Versailles vielfach differenzierter bewertet. Dabei erkennen neben internationalen, auch deutsche Historiker an, dass dieser dem Deutschen Reich durchaus zukunftsträchtige Handlungsoptionen bot (vgl. exemplarisch Kolb, Frieden von Versailles, S. 103–110; Macmillan, Peacemakers). Allerdings darf man heute nicht den Fehler begehen, die emotionale Lage, die moralische Verbitterung und das Gefühl der Erniedrigung in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu unterschätzen, die die überwiegende Mehrheit der deutschen Zeitgenossen zu der Überzeugung gelangen ließen, dass Ihnen großes Unrecht widerfahre. Insbesondere den Artikel 231 des Versailler Vertrages, der die Alleinverantwortung Deutschlands und seiner Verbündeten am Ausbruch des Krieges und seiner Folgen feststellte, sowie die deutschen Gebietsabtretungen, nahmen die Deutschen als zutiefst ungerecht wahr und ließen auch einen ansonsten stets rational denkenden Mann wie Eduard Hamm in der Folgezeit selbst gegenüber französischen Freunden vom »Unfrieden von Versailles« sprechen (Eduard Hamm an Pierre Vasseur (5. Oktober 1938), BayHStA, NL Hamm 94). 141 Naumann hatte es als »aussichtloses Beginnen« bezeichnet, »Mitteleuropa nur mit politischen Maßnahmen einigen zu wollen (…)« und deshalb empfohlen, sich zunächst durch »Wirtschaftsvereine« aneinander anzunähern: »Diese Art von Zusammenkünften muß grundsätzlich vermehrt und geregelt, und aus unverbindlichen Kongressen müssen dau­ ernde Arbeitsgemeinschaften gestaltet werden« (F. Naumann, Mitteleuropa, S. 133). 142 Vgl. zum MWT Freytag, Der Mitteleuropäische Wirtschaftstag.

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schaftsbündnisses sollte nicht allein »ökonomische Notwendigkeiten« erfüllen, »sondern darüber hinaus höheren geistigen und kulturellen Zielen […] dienen«.143 Im gleichen Jahr trat Otto Geßler an die Spitze des »Vereins für das Deutschtum im Ausland« (VDA), der es sich seit den Jahren des Kaiserreiches zur Aufgabe machte, das Deutschtum im Ausland zu erhalten und zu stärken, in dem es sich für deutsche Schulen und Kindergärten sowie wissenschaftliche Einrichtungen einsetzte.144 Nach Ende des Ersten Weltkrieges hatten sich die deutschstämmigen Minderheiten im Ausland aufgrund der Gebietsabtretungen vermehrt und auch die Arbeit des VDA neue Impulse erhalten. Klares Ziel war es nun die Minderheiten im Ausland zu stärken und mit ihrer Hilfe unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf eine Revision des Versailler Vertrages hinzuwirken, um der Bildung eines mitteleuropäischen Einheitsblocks näher zu kommen.145 Nach der »Machtergreifung« Hitlers war anzunehmen, dass auch der VDA gleichgeschaltet werden würde. Obwohl sich Geßler entgegen späterer eigener Darstellung Ende April 1933 von Hitler persönlich die Zusicherung hatte geben lassen, dass der VDA keine staatlichen Eingriffe zu befürchten habe146, also auch er im Amt bleiben würde, erfolgte nur wenige Tage später intern seine Abwahl.147 Er selbst hatte hiermit offenbar nicht gerechnet und konnte sich 143 Hamm, Grundlagen, S. 59–68, hier S. 61. 144 Vgl. Jacobsen, Hans Steinacher, S. XXXVIII. 145 Vgl. hierzu die Ausführungen Hugo Groths in: Verein für das Deutschtum im Ausland. Jahrbuch für 1922, S. 40. 146 Vgl. Rudolf Heß an Hans Steinacher (Berlin, 2. Juni 1933), abgedr. in Jacobsen, Hans Steinacher, S. 16. Jacobsen verweist hier in Anm. 6 auf ein Gespräch Geßlers und Seebohms (2. Vorsitzender des VDA) mit Hitler am 28. April 1933, in dem letzterer offenbar – dies lässt das hier erwähnte Schreiben Heß’ vermuten – seine Auffassung hinsichtlich des Fortbestehens des VDA in personeller und programmatischer Hinsicht kundgetan habe.  – Wahrscheinlich um seine anfängliche Naivität zu verbergen und mögliche Unterstellung einer Kompromissbereitschaft zu verhindern, erklärte demgegenüber Geßler retrospektiv gegenüber seinem Biographen, dass die »erste und einzige Unterredung mit Hitler«, in dem es in der Tat um die Zukunft des VDA gegangen sei, bei Geßler »völlige Klarheit […] im negativen Sinn« ergeben habe und Hitler »den Eindruck gewonnen haben« müsse, »daß Gessler nicht gleichzuschalten und daher auszuschalten war«, was »denn auch bald besorgt« worden sei (Gessler, Reichswehrpolitik, S. 86). Allerdings klingt diese Variante einer »Ausschaltung« Geßlers angesichts der angeführten Erinnerungen Steinachers und der Tatsache, dass Geßler knapp ein Jahr später an die Spitze der DÖAG treten sollte, wenig wahrscheinlich. 147 Es scheint so, als habe Geßler sich zu diesem Zeitpunkt sogar der Unterstützung der Partei sicher sein können, die ihm in der entscheidenden Sitzung am 30. April mit Reichsleiter Alfred Rosenberg sogar einen Befürworter für seine Wiederwahl zur Seite stellen sollte. Dennoch erfolgte Geßlers Abwahl, nicht ohne Hintergedanken des Wahlausschusses. Aus dessen Sicht hätte eine Wiederwahl Geßlers – aufgrund seiner Parteivergangenheit – wohl zwangsläufig früher oder später die Gleichschaltung des VDA zur Folge gehabt. Diesem Ansinnen der Partei wollte man durch die Wahl des Österreichers Hans Steinacher, der zur jüngeren Generation zählte und ein anerkannter Vorkämpfer für das deutsche Volkstum war, zuvorkommen (vgl. hierzu die Aufzeichnung Steinachers »Meine Wahl zum ›Reichsführer‹ des VDA 1933«, in: Jacobsen, Hans Steinacher, S. 1–8, insbes. S. 4, Anm. 3).

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auch nur schwer damit abfinden, wie seine Haltung in den folgenden Tagen und Wochen deutlich machte.148 Zu seiner im Vergleich zur NS-Ideologie nur auf den ersten Blick identischen Haltung in Volkstumsfragen trat bereits in der Frühphase des »Dritten Reiches« eine persönliche Enttäuschung hinzu, was die Zusagen Hitlers und der NSDAP betraf.149 Dennoch boten sich weiterhin andere Bühnen, auf denen Geßler seine außenpolitischen und volksdeutschen Ideen vertreten konnte. 1934 wurde er Vorsitzender der 1925 mit dem Ziel der politischen Vereinigung Deutschlands und Österreichs gegründeten Deutsch-Österreichischen Arbeitsgemeinschaft (DÖAG).150 Als dessen Mitglied trat auch Hamm seit 1927 in Erscheinung.151 Im Gegensatz zu vielen anderen ging Hamm allerdings davon aus, dass der politischen zunächst eine behutsame wirtschaftliche Annäherung vorausgehen müsse.152 Diesen Weg ging Hamm unbeirrbar bis zum März 1938 weiter. Auch nach seinem Umzug nach München 1936 ließ der Einsatz Hamms für die außenpolitischen Interessen Deutschlands nicht nach. Im Gegenteil: Seine Arbeit für den Münchener Rotary-Club153 verstand er ausdrücklich als Tätigkeit im Zeichen der Völkerverständigung. Dabei ging es ihm ausschließlich darum, für das Ausland die aus seiner Sicht berechtigten Anliegen des Reiches und des deutschen Volkes weltweit verständlich zu machen, wobei er ausdrücklich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker hinwies.154 Wenn Hamm auch eigens 148 Geßler fühlte sich offenbar als das Opfer einer Intrige. Seinen Nachfolger Steinacher strafte er in der Folgezeit mit Missachtung (vgl. Aufzeichnung Steinachers »Meine Wahl zum ›Reichsführer‹ des VDA 1933«, in: ebd., S. 8). 149 Geßler habe »sich ›in die Ecke gestellt‹« gefühlt, fasste Sendtner die Gefühlslage des früheren Reichswehrministers nach seiner angeblich von Hitler angeordneten Entfernung aus dem VDA zusammen (Gessler, Reichswehrpolitik, S. 86). 150 Vgl. zur DÖAG vor allem Garscha, Deutsch-Österreichische Arbeitsgemeinschaft. 151 Vgl. ebd., S. 108. 152 Vgl. ebd., S. 146–156. 153 Eine grundlegende, wissenschaftliche Untersuchung der Rotary Clubs in Deutschland nach 1933 steht noch aus. In München hat der dortige Rotary Club eine die eigene Vergangenheit durchaus kritisch beleuchtende Studie herausgegeben (vgl. Unschuld, Rotary Club München). Viele Clubs, so auch der Rotary Club München, schlossen nach 1933 ihre jüdischen Mitglieder oder offensichtliche Regimegegner aus. In München musste etwa der Schriftsteller Thomas Mann den Club verlassen (vgl. Kuschel, Thomas Mann, S. 77–124, insbes. S. 106–113). Andererseits blieb Rotary International aufgrund seiner weltweiten Vernetzung und seinem Anspruch, der Völkerverständigung zu dienen, dem NS-Regime verdächtig. Trotz Einspruchs seiner Mitglieder, allen voran Eduard Hamms (vgl. Eduard Hamm an Reichsjustizminister Franz Gürtner (Reit i. W., 15. August 1937), BAB, R 3001/24113), wurde die Arbeit der Rotarier als Freimaurerei eingestuft und daher Beamten und NSDAP-Mitgliedern die Mitgliedschaft verboten. Nachdem dieses Verbot ausgeweitet worden war, lösten sich die deutschen Clubs mit Wirkung zum 15. Oktober 1937 selbst auf. 154 Hamm verwies in einem Schreiben an den Rotary-Club Berlin auf eine kurz zuvor stattgefundene Rotary-Konferenz, an der Clubs aus England, Frankreich und Italien teilgenommen hatten, bei der letztere nicht ohne Erfolg um Verständnis für die Abessinien-Politik

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erklärte, dass es nicht darum ginge, die nationalsozialistische Politik im Ganzen zu beschönigen, hielt er es für richtig, die sozialen und wirtschaftlichen Erfolge des Regimes gegenüber dem Ausland hervorzuheben, um einer dort existierenden Kriegsbefürchtung zu begegnen.155 Obwohl er mit der NS-Innenpolitik in vielen Punkten nicht übereinstimmte, nahm Hamm – überzeugt von der grundsätzlichen Berechtigung der deutschen Anliegen und offenbar in Unkenntnis der tatsächlichen Bestrebungen Hitlers – bewusst in Kauf, dass durch seine Arbeit das Ansehen Hitler-Deutschlands im Ausland insgesamt gesteigert würde. Dabei dürfte Hamm von ähnlichen Gedanken geleitet worden sein wie Otto Geßler in einer Rechtfertigungsrede auf der Tagung der Österreichisch-Deutschen Arbeitsgemeinschaft, dem österreichischen Pendant der DÖAG, im März 1937 in Wien. Geßler ging hier auf die außenpolitische Lage und die Rolle des deutschen Volkstums in Europa ein und benannte die notwendigen Maßnahmen auf die sich im Umbruch befindlichen globalen Kräfteverhältnisse.156 In seiner Argumentation, die letztlich in der Überzeugung mündete, dass die Weltgeschichte ein ständiger »Lebenskampf der Völker« untereinander sei, nahm er Bezug auf die machtpolitische Entwicklung in Europa. Demnach haben Frankreich und England, die großen Akteure auf dem europäischen Spielfeld, Deutschland lediglich als »passive Macht« akzeptieren wollen.157 Zudem habe sich Deutschland durch seine innere Zerrissenheit selbst geschwächt. Erst mit ihres Landes geworben haben sollen: »Die italienischen R[otary]-Vertreter haben in Paris eine gewisse Anerkennung eines Naturrechts der Völker auf Beachtung ihrer Ausdehnungsbedürfnisse durchgesetzt. Die Verteilung der Stimm- und Stimmungskräfte innerhalb R[otary] I[nternational] ist der deutschen Sache allerdings weniger günstig als damals Italien. Das bedeutet Schwierigkeiten, aber vielleicht keine Ausweglosigkeit. (…) Weiter schiene mir auf längere Sicht ein geeigneter Gegenstand rotarischen Wirkens für besseres Verständnis für deutsche Forderungen die Frage der kulturellen Rechte nationaler Minderheiten« (Eduard Hamm an Herrn Präsidenten Dr. Matschoss und den Herrn Sekretär Freiherr von Gleichen des Rotary-Klubs Berlin (4. April 1936), BayHStA, NL Hamm 44). 155 Hierauf zielte Hamm mit seinem Schreiben vom November 1936 ab: »Dabei kann es m. E. nicht darauf ankommen, nationalsozialistisches Denken und Handeln im Bereich des Staatlichen schlechthin zu rechtfertigen zu suchen, sondern nur darauf, Verständnis für den geschichtlichen Werdegang zu wecken, die grossen Leistungen besonders auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, in der Beseitigung der Lehre vom Klassenkampf, in der Schaffung einer betriebsgemeinschaftlichen Ordnung zu zeigen, das Eigenrecht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung seiner Lebensordnung darzutun und gegen die Befürchtung von Angriffsabsichten mit guten Gründen Stellung zu nehmen.« (Eduard Hamm an Herrn Präsidenten und den Herrn Sekretär des Rotary-Klubs Berlin (München, 25. November 1936), BayHStA, NL Hamm 44). 156 Vgl. Geßler, Das deutsche Volk, S. 1–16. – Eine Bewertung dieser Rede bereits bei Becker, Der bayerische Widerstandskreis, S. 47 f. 157 Das Interesse Frankreichs sei von jeher gewesen, Deutschland möglichst klein zu halten und einen »mitteleuropäischen Ohnmachtsraum« zu schaffen. England habe dagegen auf das europäische Gleichgewicht gesetzt und versucht die Kräfte auf dem europäischen Festland möglichst auszubalancieren, um sich ungestört ihrem Commonwealth widmen zu können (vgl. Geßler, Das deutsche Volk, S. 5 f.).

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Bismarck sei das Reich geeint worden, das europäische Gleichgewicht zugunsten Deutschlands aus den Fugen geraten und in Mitteleuropa ein »Kraftfeld allerersten Ranges« entstanden.158 Der Erste Weltkrieg und der Versailler Vertrag haben dieser europäischen Ordnung ein künstliches Ende bereitet. Die neue Hegemonialmacht Frankreich habe zwar bereits zu Beginn der 1920er Jahre erkannt, dass sich Deutschland nicht kleinhalten ließ, eine Revision des Versailler Vertrages jedoch ausgeschlossen. Geßler vertrat weiter die »Auffassung, daß ein großes Volk auch große Politik machen muß und vor dem Wort Machtpolitik nicht zurückschrecken darf«.159 In England und Frankreich sei man dagegen zu spät zu der Erkenntnis gelangt, dass die Versailler Friedensordnung den Interessen und Bedürfnissen des deutschen Volkes grundsätzlich widerspreche. Deutschland habe daher seit 1933 eine selbständige Revision vorgenommen und werde dies hinsichtlich der deutschstämmigen Gebiete Europas weiter betreiben, wenn Frankreich und England nicht zur Vernunft kommen würden. Dabei sei eine europäische Einigung laut Geßler zwingend notwendig, damit Europa im bevorstehenden Kampf um die Kulturhoheit mit den aufstrebenden Weltvölkern bestehen könne. Doch sei eine wirkliche europäische Völkerverständigung und Ordnung aus ­Geßlers Sicht nur möglich, wenn das Machtzentrum in Mitteleuropa akzeptiert, das deutsche Volkstum in Europa und in der Welt sein Selbstbestimmungsrecht erhalten und den Interessen und der Kraft des deutschen Volkes Rechnung getragen würde.160 Hamm und Geßler standen mit ihren außenpolitischen Vorstellungen in der Tradition Friedrich Naumanns. Die Schaffung eines mitteleuropäischen Kulturund Wirtschaftsraumes würde aus ihrer Sicht letztlich auch Europa, das sich gegenüber aufstrebenden Kulturräumen und Weltvölkern behaupten müsse, zu Gute kommen. Wie Geßler, so ging es auch Eduard Hamm, der jahrelang als Mitglied der deutschen Delegation zur Internationalen Handelskammer nach Paris reiste, nicht um die Hegemonie in Europa, sondern letztlich um den Ausgleich mit Frankreich im Sinne Naumanns und auf diesem Wege um eine Stabilisierung und Erneuerung Europas.161 Hamms und Geßlers Gedankengänge waren 158 159 160 161

Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 14–16. Vgl. Gerhard Riedberg: »Eduard Hamms Wirken in der Internationalen Handelskammer« (Stockholm, 20. Oktober 1946), BayHStA, NL Hamm 42). – Auch Naumann hatte seine außenpolitische Konzeption im Hinblick auf eine Verständigung mit Frankreich über die Jahre hinweg immer wieder modifiziert. Zum Zeitpunkt der Abfassung von »Mitteleuropa« 1915 sah er keinerlei Möglichkeit, zu einem separaten Frieden mit Frankreich zu kommen, da dieses sich voll und ganz in Abhängigkeit zur britischen Großmacht begeben habe. Er hoffte aber ausdrücklich, »dass sie in ferner Zukunft sich einmal zu Mitteleuropa rechnen werden« (F. Naumann, Mitteleuropa, S. 2). Zu Naumann als Macht- und Verständigungspolitiker gegenüber Frankreich vgl. Alexandre, Friedrich Naumann und Frankreich, S. 95–112.

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weniger nationalistischer denn liberalkonservativer Natur. Ihr Wunsch nach einer Führungsrolle Deutschlands in und für Europa entsprach ihrem Verständnis von der Bedeutsamkeit der deutschen Kultur und der Größe des deutschen Volkes. Ihnen ging es jedoch nicht um die Vormachtstellung, sondern um die Gleichberechtigung und Akzeptanz deutscher Interessen. Entsprechend betonte Geßler 1937, dass sich Deutschland mit seiner Revisionspolitik im Recht befinde und er prophezeite, dass es auch im Hinblick auf die Gebietsabtretungen diese Politik fortsetzen werde, wenn die europäischen Großmächte nicht rechtzeitig zur Vernunft kommen würden. Zu den Notwendigkeiten zählten Geßler wie Hamm insbesondere die Akzeptanz des Anschlusses Österreichs an Deutschland. Hier existierte in der Tat eine Parallele zu den außenpolitischen Absichten des NS-Regimes. Doch bezweckte Hitler mit seinem im März 1938 vollzogenen »Anschluss« – im Gegensatz zu den beiden früheren Reichsministern – nicht die Befriedung Europas und schon gar keine Völkerverständigung. Sie schuf für ihn vor allem die notwendige Voraussetzung für seine weitergehenden Eroberungspläne im Osten Europas.162 Allerdings konnten oder wollten Hamm und Geßler – im Gegensatz zu anderen – im Jahr 1938 diese Stoßrichtung offenbar nicht erkennen.163 Möglicherweise wollten sie dies aufgrund der revisionistischen Erfolge Hitlers, für die auch sie sich über Jahre hinweg mit allen Kräften eingesetzt hatten, auch nur nicht wahrnehmen. Hierzu passt, dass Eduard Hamm sogar noch im Oktober 1939 mit Unverständnis auf die inkonsequente politische Haltung Frankreichs und Englands reagierte: Beide Länder seien zunächst auf die aus seiner Sicht berechtigten Ansprüche Deutschlands nur widerwillig eingegangen, um dann anlässlich der »letzten Bereinigungsfragen« Deutschland doch den Krieg zu erklären.164 Doch gerade diese Haltung 162 Vgl. Kl. Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 38. 163 Das »Münchener Abkommen« Ende September 1938 nahm Eduard Hamm daher als die Grundlage eines »wirklichen inneren Frieden[s]« auf. Ein Schreiben an einen französischen Freund verdeutlicht die innere Zufriedenheit Hamms: »Lassen Sie mich Ihnen heute die Hand reichen, dem französischen Patrioten und dem guten Europäer. Großdeutschland, und das mit französischer Zustimmung – welche Wandlung, die nicht möglich gewesen wäre, wenn nicht gerade hier tiefstes göttliches und menschliches Recht« zu Grunde gelegt worden wäre (Eduard Hamm an Pierre Vasseur (5. Oktober 1938), BayHStA, NL Hamm 94). Auf dem Höhepunkt der so genannten »Appeasementpolitik« der einstigen Siegermächte erblickte Hamm keine diplomatische Schwäche des Westens gegenüber Hitler-Deutschland, sondern einen lobenswerten Schritt in die richtige Richtung. Dies unterschied Hamm von Widerständlern wie Carl Friedrich Goerdeler oder Ludwig Beck, für die das »Münchener Abkommen« einen tiefen Rückschlag in ihrem Bemühen bedeutete, Hitler, der aus ihrer Sicht eindeutig auf einen Krieg zusteuerte, durch einen Umsturz im Inneren zu entmachten (vgl. hierzu das Kapitel »Septemberverschwörung« in Fest, Staatsstreich, S. 76–104). 164 Auch Hamm setzte über Jahre auf die Rückkehr der Vernunft bei den europäischen Großmächten. Dass diese bis zuletzt ausblieb, bedauerte er Mitte Oktober 1939 in einem Schreiben an den ständigen deutschen Vertreter der deutschen Gruppe bei der Internationalen Handelskammer, Gerhard Riedberg: »Die psychologische Einsicht, dass es darauf ankomme, das Notwendige bald und vornehm zu tun und nicht erst von Zeit und Gegner sich abringen zu lassen, fehlte immer wieder. Jetzt haben wir die Folge davon, dass Frankreich

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Hamms im Oktober 1939 verdeutlicht den grundsätzlichen Unterschied zu den tatsächlichen Bestrebungen Hitlers. Dieser sah im Polenfeldzug nicht das Ende einer Revisionspolitik, sondern hierin lediglich eine Zwischenstation seiner Eroberungs- und Lebensraumpolitik sowie den Auftakt seines Krieges zur Vernichtung des Judentums in Europa. Man kann also festhalten, dass bei den beiden zu dieser Zeit bereits aktiven Protagonisten des »Sperr-Kreises« eine grundsätzliche Distanzierung von der deutschen Außenpolitik zumindest bis Oktober 1939 nicht stattgefunden hatte. Zu sehr waren sie selbst davon überzeugt, dass Deutschlands Ansprüche auf ihre ehemaligen Besitzungen sowie auf die Gebiete mit überwiegend deutschsprachigem Bevölkerungsanteil rechtens seien. Sie setzten jedoch im Gegensatz zu Hitler auf die Vernunft des Auslands, Deutschland in dieser Frage entgegenzukommen. Einen Krieg als Mittel der Durchsetzung dieser Ansprüche galt es aus ihrer Sicht zu verhindern, was an späterer Stelle dieser Arbeit noch ausführlicher dargelegt wird.165 In ihren Intentionen unterschieden sich beide deutlich von Hitlers Plänen. Auch das NS-Regime machte sich keine Illusionen über die außenpolitischen Ansichten der ehemaligen »Systempolitiker«. Konnten Hamm und Geßler den »Anschluss« Österreichs noch euphorisch begrüßen166, mussten sie kurz darauf mit Bestürzung die erzwungene Auflösung der DÖAG zur Kenntnis nehmen.167 Obwohl die »Bestrebungen der Organisation auch staatspolitisch« gutheißen konnte, wie es Ende März 1938 in der Begründung für die Auflösung hieß, sei von staatspolizeilicher Seite niemals davon ausgegangen worden, dass von und England nicht selbst an einer sich aufzwingenden Neuordnung rechtzeitig teilnahmen, sondern trotz Einsicht in die Unhaltbarkeit der »Ordnung« von Vers[aille] starr ablehnten. Das besonders Tragische ist wohl, dass man noch wichtigere und größere Bereinigungen wenn auch missmutig hingenommen hatte und jetzt, über die letzten Bereinigungsfragen der Krieg ausbrach. […] Gerade jetzt war der Krieg auch vom Standpunkt der Westmächte widersinnig; entweder früher oder später, wenn wirklich das Reich über die Bereinigung von Versailles und über die Ordnung seines Volksraums und nächsten Umlands hinaus nach der ›Weltherrschaft‹ langen würde« (Eduard Hamm an Gerhard Riedberg (21. Oktober 1939), BayHStA, NL Hamm 91). – Nur einen Monat zuvor hatte Geßler, der die Auffassungen Hamms teilte, in einem Schreiben an Theodor Heuss den gerade ausgebrochenen Krieg als den »weltgeschichtlichen Kampf um die Neuordnung Europas und der Welt« erklärt. Es sei »der alte Streit um die balance of power« zwischen Deutschland und England, der die Hoffnung auf einen schnellen Frieden in weite Ferne rücken lasse, »wenn England nicht ein[en] Kompromiß such[e]« (Otto Geßler an Theodor Heuss (Lindenberg, 16. September 1939), auszugsweise abgedr. bei Gessler, Reichswehrpolitik, S. 525). 165 Vgl. hierzu das Kapitel über die Auslandsbemühungen Otto Geßlers im Vorfeld des Krieges in Kap. VII.1.a. 166 Vgl. Eduard Hamm an Richard Riedl (23. März 1938), BayHStA, NL Hamm 91. 167 Geßler befand sich zu jener Zeit wegen Gelenkrheumatismus im Krankenhaus. Hamm wurde als einzig erreichbares DÖAG-Mitglied ins Wittelsbacher-Palais gerufen, wo ihm die Gestapo die Auflösung der Organisation sowie die Sicherstellung ihrer Akten und ihres Vermögens mitteilte. Ein Einspruch Hamms blieb erfolglos (vgl. Eduard Hamm an Heinrich F. Albert (18. März 1938), BayHStA, NL Hamm 80).

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einem Mann mit einer politischen Vergangenheit wie Geßler an der Spitze der DÖAG eine »ehrliche Annäherungspolitik im nationalsozialistischem Sinne« zu erwarten gewesen wäre.168 Damit hatte die Gestapo zweifelsohne Recht. Geßler hatte den »Anschluss« Österreichs niemals zum Zwecke der Unterdrückung und Zerstörung Europas im Sinne Hitlers, sondern stets zur Gesundung Europas im Sinne Naumanns verstanden. Hieraus lässt sich eindeutig schließen, dass man Geßler lediglich so lange an der Spitze der DÖAG geduldet hatte, wie dieser aus Sicht der Partei nützlich erschien. Die erneute Enttäuschung Geßlers darf für seine anschließenden Auslandsbemühungen im Dienste des »Sperr-Kreises« und der deutschen Widerstandsbewegung nicht zu gering eingeschätzt werden. Somit lässt sich hinsichtlich der eingangs aufgeworfenen Fragen festhalten: Hamm und Geßler  – zwei überaus erfahrene Politiker  – waren aufgrund ihrer eigenen politischen Prägung und außenpolitischen Auffassungen lange mit Hitlers Außenpolitik weitestgehend einverstanden gewesen. Es entsprang ihrer festen Überzeugung, dass die Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht nur Deutschland schadeten, sondern angesichts des am Horizont nahenden Kampfes der Kulturen letztlich auch Europa. Dass erst ein Diktator Hitler kommen musste, um die Siegermächte »zur Vernunft zu bringen«, scheint sie, die über Jahre hinweg das gleiche Ziel verfolgt hatten, einerseits empört, andererseits verblüfft zu haben.169 Sie verschlossen zwar nicht die Augen vor den Problemen und der Unrechtspolitik des Regimes im Innern, ließen sich jedoch lange Zeit von den außenpolitischen Erfolgen Hitlers, die sie fatalerweise mit ihren eigenen außenpolitischen Vorstellungen gleichsetzten, blenden.170 Noch im Oktober 1939 wollte oder konnte Eduard Hamm nicht glauben, dass Hitler über die Revision des Versailler Vertrages hinausgehende Eroberungs- und Vernichtungspläne im Sinn hatte.171 Erst durch das Bekanntwerden der Angriffspläne Hitlers auf Holland und Belgien Ende Oktober 1939 setzte sich bei Hamm und Geßler die grundsätzliche Erkenntnis durch, dass Hitler keine europäische Friedensordnung im Sinne Naumanns, sondern vielmehr die gewaltsame Hegemonie auf dem europäischen Kontinent und die Unterdrückung fremder Völker anstrebte.172 168 Geheime Staatspolizei München an den Bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert (München, 25. März 1938), BayHStA, StK 5215. 169 Eduard Hamm musste wenige Tage nach dem »Anschluss« Österreichs konstatieren, dass »gerade aus 1933 die kühn im rechten Augenblick zupackende Tat erwachsen« sei, was er kaum für möglich gehalten hatte (Eduard Hamm an Heinrich F. Albert (18. März 1938), BayHStA, NL Hamm 80). 170 Hamm brachte seine Empfindungen und seine innere Zerrissenheit im März 1938 deutlich zum Ausdruck: »So sehr ich mir im Inneren manches anders wünschte, mehr deutsch in wohl bemessener Freiheit, so sehr freue ich mich dieses ganz großen Ereignisses. Für uns Leute im Schatten zwischen 1918 und 1933 muss es genügen, selbst sich nach schwachen Kräften zum gleichen Ziel bemüht zu haben« (Eduard Hamm an Friedrich Heilbron (18. März 1938), BayHStA, NL Hamm 85). 171 Vgl. Eduard Hamm an Gerhard Riedberg (21. Oktober 1939), BayHStA, NL Hamm 91. 172 Vgl. hierzu das Kap. V.2.a.

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3. Berufliche Bleibe und Tarnung der konspirativen Bestrebungen Franz Sperr dürfte der Umzug in seine bayerische Heimat nicht leicht gefallen sein. Einerseits sollte er erleichtert gewesen sein, hatten ihn doch die vergangenen 20 Monate an der Spitze der Bayerischen Gesandtschaft in Berlin nicht zur Ruhe kommen lassen. Andererseits hatte er alles aufgeben müssen, wofür er sich in jenem Zeitraum vergeblich eingesetzt hatte. Sein Abschied von Berlin und die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bedeuteten aus seiner Sicht zwar, die Politik Hitlers zukünftig nicht durch seine eigene Arbeit unterstützen zu müssen. Gleichwohl nahm er hiermit bewusst eine Abseitsstellung in Kauf, die für Sperr, den ehemaligen Generalstäbler und höchsten Diplomaten Bayerns auf Reichsebene, völlig neu war. Zunächst nutzte Sperr die freie Zeit, um Familienstudien voranzutreiben. Doch schon wenige Monate nach seinem Umzug nach München traf die Einladung des Kronprinzen Rupprecht ein, die ihm die Rückkehr in eine Führungsposition einbrachte. In der Folgezeit sollte Sperr jedoch nicht irgendeiner Regierung oder einem Generalstab dienen, sondern ausschließlich einem zukünftigen Bayern in einem nicht-nationalsozialistischen Reich. Auch Eduard Hamm und Otto Geßler suchten nach Möglichkeiten, ihrer politischen Exilrolle zu entkommen. Zu lange standen sie in politischer Verantwortung, als dass sie nun tatenlos die Hände in den Schoß legen konnten oder wollten. Zunächst versuchten sie, ihren großen politischen Erfahrungsschatz zum Wohle der deutschen Bevölkerung einzubringen, indem sie ihre Mitarbeit im gehobenen Verwaltungsapparat des Reiches anboten.173 Es muss als Versuch gewertet werden, die Politik des »Dritten Reiches« von innen her positiv zu beeinflussen. Erst im zweiten Schritt scheinen sie nach einer unauffälligen beruflichen Tätigkeit Ausschau gehalten zu haben, um ihre konspirativen Bestrebungen in den Folgejahren zu tarnen. Im Folgenden soll deshalb dargelegt werden, wie die drei führenden Köpfe des »Sperr-Kreises« ihrem konspirativen Handeln im »Dritten Reich« einen unauffälligen Anstrich verliehen. Dieses Kapitel wird bewusst der anschließenden Darstellung von Aufbau und Wirken des Widerstandskreises als Gruppe vorangestellt. Die (institutionelle) Tarnung der konspirativen Bestrebungen war zum einen Teil die individuellen Handlungsspielräume der drei Männer der »Systemzeit« nach 1933 und schuf zum anderen erst die Voraussetzung für ihre Kontaktaufnahme mit möglichen Gleichgesinnten. Sperr fungierte ab 1936 als Leiter der Münchener Zweigstelle der »Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft« (DGWW) und konnte auf 173 Eduard Hamm versuchte mehrfach, im Reichswirtschaftsministerium unterzukommen. Er musste jedoch einsehen, dass auf seine Expertise kein Wert gelegt wurde, galt er doch als ein Politiker der »Systemzeit« (vgl. u. a. Eduard Hamm an Heinrich F. Albert (17. September 1939), BayHStA, NL Hamm 80).

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diese Weise den Kontakt zu militärischen Kreisen stetig ausbauen. Selbst nach seinem Austritt aus der »Gesellschaft« unternahm er weiterhin Vortragsreisen. Seiner freundschaftlichen Verbindung zum ehemaligen Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt verdankte er 1943 die Einstellung als Berater in der »Münchener Rückversicherungsgesellschaft«. Auch Eduard Hamm fand hier als Berater und Gutachter in Fragen der Versicherungswirtschaft eine berufliche Bleibe. Ihre Tätigkeit für die Versicherung nutzten Sperr und Hamm fortan, um ihre Reisen im Rahmen ihrer Widerstandstätigkeit zu tarnen. Einzig Otto Geßler ging einen anderen Weg. Seine Arbeit für die Deutsch-Österreichische Arbeitsgemeinschaft hatte das NS-Regime vorübergehend akzeptiert. Dagegen sollten dem einstigen Reichswehrminister Vorträge im Rahmen von Sperrs DGWW nicht gestattet werden. Vor allem in der Frühphase des Krieges öffnete ihm sein gutes Verhältnis zu seinem früheren Adjutanten, dem Chef des Amtes Ausland / Abwehr im OKW, Admiral Wilhelm Canaris, die Grenzen des Reiches. Später erweckte er gegenüber dem Regime den Anschein, es in seiner Kriegs- und Propagandapolitik voll unterstützen zu wollen. Seiner angeblichen Unterstützung des NS-Sicherheitsapparates mit Hilfe eines so genannten »Stimmungsberichts aus Süddeutschland« soll abschließend als Teil seiner persönlichen Tarnung erörtert werden. a) Franz Sperrs Tätigkeit für die »Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft« 1936 bis 1940 Die »Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften« (DGWW) ging aus der 1929 in Berlin gegründeten »Wehrwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft« hervor und bot ab 1933 sämtlichen sich mit Wehrpolitik, Wehrwissenschaft und Wehrpropaganda beschäftigenden Personen und Institutionen ein Forum.174 Die »Gesellschaft« setzte sich die »Wiederwehrhaftmachung« zum Ziel und stand damit in Kontinuität zu Bestrebungen, die bereits in der Weimarer Republik existent waren.175 Das NS-Regime maß der DGWW in den ersten Jahren des »Dritten Reiches« keine hohe Bedeutung zu. Es genügte ihm offenbar in den Vorkriegsjahren an ihrer Spitze einen Mann zu wissen, der in seinem Sinne die Geschicke der »Gesellschaft« lenken werde. Mit dem Generalleutnant a. D. Friedrich von 174 Die DGWW richtete sich dabei »nicht nur an Militärs sondern auch an Zivilkreise«. Sie nahm sich also vor, »die Probleme des neuzeitlichen Krieges nicht nur vom Standpunkt des Soldaten aus, sondern auch von dem des Politikers, des Gelehrten, des Technikers, des Wirtschaftlers« zu betrachten (Generalleutnant von Cochenhausen an den Reichsminister des Innern, BAB, R 1501/126886, Bl. 54–58, hier Bl. 54, zit. n. Reichherzer, Demilitarisierung, S. 37–48, hier S. 46). Zur DGWW existiert keine aktuelle wissenschaftliche Monographie. Teilweisen, wenn auch leicht tendenziösen Ersatz bietet Kolmsee, Rolle. 175 Siehe hierzu Bergien, Die bellizistische Republik.

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Cochenhausen176 wurde eine der »militärpolitisch einflussreichsten Personen des ›Dritten Reiches‹«177 zum Präsidenten der Gesellschaft ernannt. Dieser entstammte dem »Wehrpolitischen Amt der NSDAP«, als dessen führender Mitarbeiter er die wehrpolitische Arbeit innerhalb der Partei und seinen Gliederungen maßgeblich mit dem Ziel unterstützte, eine wehrpolitisch geschulte Parteielite heranzuziehen.178 Im Oktober 1936 übernahm Franz Sperr, der zwar aufgrund seiner Offiziersvergangenheit durchaus geeignet für die Mitarbeit in der DGWW erschien, der jedoch nie Parteimitglied war und darüber hinaus die Gleichschaltungspläne Hitlers bis zuletzt als bayerischer Gesandter in Berlin bekämpft hatte, die Leitung einer neugegründeten Zweigstelle der DGWW in München. Horst Möller schreibt Sperr sogar die Gründung der Münchener Zweigstelle mit dem Ziel zu, hierdurch das NS-Regime ablehnende Truppenteile für den Widerstand zu gewinnen.179 Nach Lankes und Becker soll Sperr die Leitung lediglich übernommen haben180, womit sie offenbar richtig liegen. Schließlich beklagte der Präsident der DGWW, Cochenhausen, dass in Deutschland »selbst die Aufstellung von Zweigstellen der Wehrwissenschaftlichen Gesellschaft« schwierig sei, »da es in den seltensten Fällen gelingt, Obmänner zu finden, die gleichzeitig für die Partei ›tragbar‹ sind.«181 Zudem bestand innerhalb des NS-Regimes zeitweise Verwirrung darüber, wer an der Spitze der Münchener Zweigstelle stand. In einem Schreiben an den Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, nannte es ein SA-Führer einen unmöglichen Zustand, dass »ein Mann wie Gessler […] an offizieller Stelle (Leiter der Münchener Zweigstelle der Gesellschaft [die DGWW: d. Vf.]) im Rahmen der nationalsozialistischen Wehrpolitik mitarbeiten kann«.182 176 Friedrich von Cochenhausen (1879 in Marburg–1946 in Hochstadt a. M.), 1899 Leutnant, 1907–10 Preußische Kriegsakademie, 1909 Oberleutnant, 1913 Hauptmann, 1914–1918 diverse Generalstäbe, 1917 Major, 1919–20 Referent im Reichswehrministerium in der Heeresausbildungsabteilung (T 4), ab 1920 Kommandierungen zu diversen Reichswehrstäben, ab 1920 verschiedene Militär-Publikationen, 1923 Oberstleutnant, 1925–28 Chef des Stabes der Inspektion des Erziehungs- und Bildungswesens, 1927 Oberst, 1930 Generalmajor, 1932 Charakter als Generalleutnant, 1933–45 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften, 1935 Generalleutnant, 1938 Charakter als General der Flieger, 1939–42 Kommandierender General des Stellvertretenden Generalkommandos des XIII. Armee-Korps und Befehlshaber im Wehrkreis XIII (Nürnberg), 1940 General der Artillerie, 1942 Ausscheiden aus dem aktiven Dienst (zu Cochenhausen vgl. K. F. Hildebrand, Generale, S. 162 f.). 177 Hachtmann, Wissenschaftsmanagement, S. 480 f. 178 Zum »Wehrpolitischen Amt« der NSDAP vgl. Sywottel, Mobilmachung, S. 41–43. 179 Möller, Franz Sperr, S. 710. 180 Vgl. Lankes, Franz Sperr, S. 42; Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 112. Letzterer hat Sperrs Tätigkeit für die Gesellschaft ebenfalls in kausalem Zusammenhang mit seinem Vorhaben gesehen, den Kontakt mit Wehrmachtsangehörigen und Vertretern der Staatsverwaltung voranzutreiben (vgl. ebd., S. 112). 181 Broucek, General im Zwielicht, S. 378. 182 Der Chef der Adjutantur beim Stabschef der SA, Standartenführer Besserer, an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers (Berlin, 29. Dezember 1938), BAB, R 43 II/890c, Bl. 33.

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Dass mit Otto Geßler ein weiterer Hauptakteur des um die gleiche Zeit im Aufbau befindlichen »Sperr-Kreises« ins Spiel kam, kann als Beleg für das bereits bestehende enge Vertrauensverhältnis zu Sperr angesehen werden. Geßler scheint offenbar für Irritationen gesorgt zu haben, als er im Rahmen der DGWW einen Vortrag gehalten hatte. Die Reichskanzlei war zunächst nicht sicher, wie sie »auf das Unerwünschte solchen Auftretens früherer Minister der Systemzeit« reagieren sollte.183 Besagtes Missverständnis löste dann eine handschriftliche Notiz auf: »Die Angelegenheit« habe sich »dadurch erledigt, daß a)  nicht der frühere Minister Geßler Leiter der Zweigstelle München der Ges[ellschaft] für W[ehrpolitik] u[nd] W[ehrwissenschaft] ist, sondern der ehemalige bayr[ische] Ges. Sperr, daß b)  der Vortrag Geßlers im Jahr 1938 ein ganz unpolitisches Thema […] zum Gegenstand hatte u[nd] Sperr dafür sorgen wird, daß Geßler nicht nochmals zu Vorträgen herangezogen wird.«184 Aus diesem Vorgang ergeben sich mehrere Schlussfolgerungen: Erstens lässt sich etwas über den Umfang der Überwachung Otto Geßlers aussagen. Es wurde zwar bekannt, dass Geßler einen Vortrag bei der DGWW hielt. Seine öffentlichen Auftritte behielt man somit im Auge. Doch war dem NS-Regime offenbar nicht klar, welche Ämter Geßler seit 1933 bekleidete, was gegen eine ganzheitliche Überwachung seiner Person spricht. Dennoch galt Geßler seit 1933 als Persona non grata, die allenfalls in bestimmten Positionen geduldet wurde, und die sich später auf anderem Wege eine Tarnung zulegen musste.185 Zweitens wusste man auf Seiten des NS-Regimes offenbar keineswegs über die Personalverhältnisse in Spitzenpositionen der DGWW Bescheid, was wiederum auf die Vernachlässigung von theoretischen, wehrpolitischen und wehrwissenschaftlicher Fragen und Inhalten bis 1939/40 schließen lässt. Für einen Mann wie Sperr, der Vorträge einerseits nutzte, um auf die Folgen eines drohenden Krieges hinzuweisen und andererseits militärische Kontakte für seinen Widerstandskreis knüpfte, musste sich die DGWW zumindest bis zum Beginn des Krieges in gewisser Weise als eine »Lücke im System«186 darstellen, in der man mit entsprechendem Geschick relativ frei von ideologischem Zwang seine eigenen Interessen verfolgen konnte. Hierzu passend dürfte drittens der Einspruch der SA Sperr gezeigt haben, dass zwar Geßler in leitender Funktion dem NS-Regime unerwünscht erschien, dies jedoch keineswegs auf ihn zutraf. Obwohl Sperr ebenfalls kein Parteimit183 Vermerk der Reichskanzlei [unleserlich unterschrieben] (Berlin, 9. Dezember 1938), BAB, R 43 II/890c, Bl. 32. Zunächst hatte man versucht, mehr über den Inhalt des Vortrags in Erfahrung zu bringen und sich deshalb an den zuständigen Referenten beim Oberkommando der Wehrmacht, Dr. Peters gewandt (vgl. Vermerk der Reichskanzlei [unleserlich unterschrieben] (Berlin, 9. Dezember 1938), BAB, R 43 II/890c, Bl. 32. 184 Handschriftliche Notiz auf Rückseite des Schreibens des Chefs der Adjutantur beim Stabschef der SA Standartenführer Besserer an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers (Berlin, 29. Dezember 1938), BAB, R 43 II/890c, Bl. 33 RS. 185 Vgl. die Analyse seines »Stimmungsberichts aus Süddeutschland« (Kap. V.3.c). 186 Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 113.

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glied war187, geriet ihm seine Rolle während der Weimarer Republik nicht zum Nachteil. Er war eben – aus Perspektive des Regimes – in erster Linie Beamter und kein Politiker und deshalb an Weisungen aus München gebunden gewesen. Seine militärische Erfahrung wurde ohnehin nie angezweifelt. Deshalb besaß er das Vertrauen, die Münchener Zweigstelle der DGWW in einem Sinne zu führen, der dem Nationalsozialismus zumindest nicht entgegenstand. Sperr konnte nicht daran interessiert sein, dieses Vertrauen zu verspielen. Deshalb versprach er, Geßler nicht mehr in die wehrpolitischen Vortragsreihen einzubinden. Zugleich nutzte er die Leitung der »Gesellschaft« und die Verantwortung für deren Zeitung »Wissen und Wehr« nicht für eigene Publikationstätigkeit.188 Schließlich war Sperr in eine Position gelangt, die ihm, dem »Gesandten der Systemzeit«189, der sich im einstweiligen Ruhestand befand, die Gelegenheit bot, mit Hilfe wissenschaftlicher Vorträge auf die Konsequenzen eines befürchteten »modernen« Weltkrieges aufmerksam zu machen.190 Zusätzlich – das werden die Ausführungen über die Anwerbung von Vertrauensleuten für den »Sperr-Kreis« zeigen191 – bot Sperr seine Position die Möglichkeit, frühere Kontakte aus seiner Zeit als bayerischer Offizier zu reaktivieren und neue zu knüpfen. Trotz seiner langjährigen zivilen Beschäftigung in Berlin beschäftigte sich Sperr nach seiner Rückkehr nach Bayern sofort mit militärspezifischen Fragen und kam hierbei mit wichtigen Personen in Kontakt, die ihm später beim Aufbau seines Widerstandskreises behilflich sein sollten. Dabei scheinen ihn offenbar vorwiegend Schriften über den Ersten Weltkrieg sowie neuere Schlussfolgerungen über die wirtschaftlichen Vorbereitungen und Voraussetzungen des Krieges in der Heimat interessiert zu haben.192 Wohl nicht zufällig lernte Sperr auf diesem Wege bereits Ende 1934 in München den Sprachforscher und Leiter der Wehrkreisbücherei VII, Dr. Otto Basler, näher kennen.193 Basler machte Sperr 187 Nach seinem Umzug nach München stellte die Bayerische Politische Polizei Erkundigungen hinsichtlich einer möglichen Parteizugehörigkeit Sperrs an, die von der Karteiabteilung der NSDAP verneint wurden. Ob dies Routine oder aufgrund einer möglichen Überwachung Sperrs geschah, lässt sich heute nicht mehr feststellen (vgl. Bayerische Politische Polizei an die NSDAP-Kartei (München, 7. Februar 1935), BAB, PK, L0353, 1110070431 (Sperr, Franz); Karteiabteilung an die Bayerische Politische Polizei (14. Februar 1935), ebd.). 188 Vgl. Lankes, Franz Sperr, S. 42. 189 Ortsgruppe Steinhausen d. NSDAP an die Gauleitung München-Oberbayern (30. April 1943), BAB, PK, L0354, 1110070449 (Sperr, Hans Ludwig). 190 Vgl. Abschrift einer Bestätigung von Prof. Dr. Otto Basler für Maximilian Krieger (München, 27. Juni 1948), StAM, SpkA K 967: Krieger, Maximilian. 191 Vgl. hierzu die Kap. VI.2 u. VI.3. 192 Sperr habe sich für diese Probleme besonders interessiert, weil er sich als Generalstabsoffizier häufig mit diesen auseinandergesetzt hatte (vgl. Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandskreises, S. 4, UAE, G 1/7 Nr. 1). 193 Vgl. Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandskreises, S. 4, UAE, G 1/7 Nr. 1. – Otto Basler (1892 in Kitzingen a. M.–1975 in Freiburg), ev., Studium der Deutschen und Englischen Philologie, Romanistik, Altertumskunde, Indogermanische Sprachwissenschaft, Volkskunde, Nordische Studien, Französisch, Englisch, Geschichte in Freiburg und Leipzig,

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auf dessen Anfrage hin mit dem Erlanger Nationalökonom Prof. Dr. Dr. Ernst Meier bekannt, was sich als ein wegweisender Kontakt herausstellen sollte, wenngleich Sperr zunächst nur an dessen ungedruckter Schrift »Der wirtschaftliche Generalstab und der Weltkrieg« interessiert war.194 Meier hatte sich in Veröffentlichungen schon seit längerem mit wehrwirtschaftlichen Fragen auseinandergesetzt.195 Parteipolitisch engagierte er sich vor 1914–18 Kriegsdienst, 1914 EK II, 1916 EK I, 1920 Promotion, 1920–25 Tätigkeit im höheren Bibliotheksdienst an der Universitätsbibliothek Freiburg, 1926–36 Bibliothekar an der Deutschen Heeresbücherei in Berlin, 1929–38 Außenmitarbeiter (Dudenredaktion) beim Bibliographischen Institut in Leipzig, 1936–45 Hauptmann d. R. und Direktor der Bayerischen Armeebibliothek in München, 1940–41 im Wehrkreis XII mit dem Wiederaufbau der deutschen Truppenbüchereien im alten lothringischen Gebiet befasst, ab 1943 Lehrauftrag für deutsche Philologie und Volkskunde an der Universität München, 1947 als a.o. Prof., 1952–59 o. Prof. an der Universität München, ab 1959 Honorarprof. in Freiburg, Herausgeber des »Deutschen Fremdwörterbuchs«, des »Duden« und der »Deutschen Rechtschreibung« (zu Basler vgl. seine Nachlass-Unterlagen im Otto-Basler-Archiv am Institut für deutsche Sprache (Mannheim) sowie seine Personalakte im BayHStA, MK 54210 und im Universitätsarchiv München, E-II-789). – Neben Basler tauchte auf den Listen der SperrGedenkveranstaltungen der Name eines weiteren Bibliothekars und Schriftstellers Hans Beilhack (1897-?) auf. Dieser schrieb in den 1930er Jahren Artikel für die Münchener und die Frankfurter Zeitung und wurde 1936 wegen satirischer Beiträge mit einem Schreibverbot belegt (vgl. Degener / Habel, Wer ist wer, S. 68). Nach 1945 war er literarischer Beirat der »Congress Library Mission« und begutachtete für die Amerikaner die Bibliothek Adolf Hitlers. Im Artikel »Die Bibliothek eines Dilettanten. Ein Blick in die Privatbibliothek des Herrn Hitler«, in: Süddeutsche Zeitung, 9. November 1945 hat Beilhack seine Ergnisse niedergeschrieben (in Englisch abgedr. als Appendix C in: Ryback, Hitler’s Private Library). Trotz intensiver Recherchen konnte nicht festgestellt werden, in welchem Verhältnis Beilhack zu Franz Sperr und dessen Widerstandskreis stand. An den Wiedersehensfeiern des Widerstandskreises wollte Beilhack selbst nur ungern teilnehmen, was darauf schließen lässt, dass er sich, wenn überhaupt, zumindest nicht dem engeren Kreis zugehörig fühlte (vgl. Hans Beilhack an Ernst Meier (München, 30. November 1950), UAE, G 1/7 Nr. 3). Da über sein Wissen vom Widerstandskreis nichts bekannt ist, kann Beilhack im Folgenden weder als Mitglied noch als Sympathisant der Gruppe verstanden werden. 194 Ernst Meier (1893 München–1965 Haßfurt), kath., Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München, Tübingen u. Berlin, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1920 Oberleutnant der Reserve a. D., 1920 Dr. rer. pol., 1921 Dr. phil. in Erlangen, 1920–33 Dozent an der Nürnberger Volkshochschule, 1921/22 Handelsredakteur des Fränkischen Kuriers, 1924 Habilitation in Erlangen, 1924–34 Privatdozent für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in Erlangen, 1926–33 Mitglied der BVP und der »Bayernwacht«, 1929–33 Mitglied des Stadtrats Erlangen und des Kreistags Mittelfranken, 1934 als Privatdozent Entlassung aus politischen Gründen, 1935 Tätigkeit im Revisionsdienst einer Versicherungsgesellschaft, ab 1937 Referent für allgemeine Wirtschaftsfragen bei der Wehrwirtschaftsinspektion VII, 1939–45 Kriegsdienst u. a. in Frankreich und auf der Krim, 1945 Gefangenschaft, ab 1945 Landrat in Neumarkt (Oberpfalz), 1946 Treuhänder oberpfälzischer Industriebetriebe, 1948 Diätendozent für Volkswirtschaftslehre in Nürnberg, ab 1948 Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in Erlangen sowie zeitweise Lehrbeauftragter in Bamberg, 1962 emeritiert (zu Meier vgl. das bislang einzige ausführlichere Lebensbild bei Anzeneder, Ernst Meier und Hermann Strathmann, S. 99–124). 195 Vgl. u. a. E. Meier, Mobilmachung, Sp. 791 ff. u. Sp. 822 ff.

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1933 für die BVP. Mit den Sozialdemokraten war er offenbar bestrebt, gegenüber den Nationalsozialisten im Erlanger Stadtrat eine gemeinsame Front aufzubauen.196 Für die »Systemopposition aus politischen Gründen«197 brachte Meier 1933 also alle Voraussetzungen mit. Obwohl ihm goldene Brücken gebaut wurden, weigerte er sich aus innerer, nicht zuletzt christlicher Überzeugung dem NS-Regime die Hand zu reichen.198 Aufgrund seiner politischen Vergangenheit wurde er gleich zwei Mal in Schutzhaft genommen199 und Ende März 1934 auf Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem bayerischen Staatsdienst entlassen.200 Auch später gab er seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus klar zu erkennen.201 196 Vgl. Der Kreisleiter der NSDAP und 2. Bürgermeister von Erlangen Alfred Groß an das Rektorat der Universität Erlangen (21. August 1933), BayHStA, MK 44018. 197 Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 99. 198 In einem Schreiben an den Vorsitzenden der BVP-Landtagsfraktion, Georg Wohlmuth, in dem er um Hilfe für eine eventuelle Auswanderung in die Schweiz oder nach Österreich bat, schrieb Meier im Mai 1933: »Aber kein Mensch kann aus seiner Haut, und selbst wenn ich über diese Brücke gehen wollte, ich glaube, ich könnte es nicht, denn der Gewissensdruck würde mich stärker belasten als mir die damit allenfalls zu erringenden beruflichen Vorteile, Nutzen bringen würden« (Ernst Meier an Georg Wohlmuth (20. Mai 1933), BayHStA, MK 44018). Das Schreiben fiel der Polizei bei der Hausdurchsuchung des Adressaten, des Vorsitzenden der BVP-Landtagsfraktion, Georg Wohlmuth, in die Hände (vgl. Schutzmannschaft des Stadtrats Eichstätt an die Polizeidirektion Nürnberg-Fürth (22. Juni 1933), BayHStA, MK 44018). 199 In der Begründung des zweiten Haftbefehls hieß es, Meier habe sich durch seine politische Tätigkeit für die BVP und die Bayernwacht »unbeliebt gemacht«, weshalb »[d]urch die hervorgerufene Erregung eines Großteils der Bevölkerung […] seine Sicherheit bedroht sei« (Schutzhaftbefehl (Erlangen, 30. Juni 1933), StadtAE, 26/1i, abgedr. bei Anzeneder: Ernst Meier und Hermann Strathmann, S. 102, Abb. 2). – Mit seiner geradlinigen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus stellte Meier als Universitätsprofessor durchaus eine Ausnahme dar (vgl. zur Widerstandsbereitschaft an den deutschen Universitäten zusammenfassend Scholtyseck, Eliten, S. 120). Zur Rolle der Universitäten und Studenten nach 1933 sei außerdem verwiesen auf die Betiträge des Sammelbandes von Scholtyseck / Studt, Universitäten. Meier selbst empörte sich in seinem Schreiben an Wohlmuth darüber, dass »[s]einer hiesigen Fachkollegen im Laufe der letzten Wochen ausnahmslos der Nationalsozialistischen Partei beigetreten sind« (Ernst Meier an Georg Wohlmuth (20. Mai 1933), BayHStA, MK 44018). 200 Auch der Einspruch des einstigen Bayernwacht-Führers und späteren Mitverschwörers im »Sperr-Kreis«, Hans Ritter von Lex, half nicht, die Entlassung Meiers abzuwenden (vgl. Hans Ritter von Lex an Konphilister Müller vom Bayerischen Kultusministerium (3. Oktober 1933), BayHStA, MK 44018). Zu den Umständen von Meiers Entlassung und den sich heraus ergebenden materiellen und familiären Folgen vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 100 f. 201 Im Sommer 1944 wurde ihm seine Einstellung fast zum Verhängnis: Zu dieser Zeit war er in Südfrankreich stationiert. Mit einem Oberfeldwebel diskutierte Meier über die »politischen Erfolge« des NS-Regimes und über die »Judenfrage«. Der Oberfeldwebel denunzierte Meier daraufhin. Er gab bei seiner Vernehmung zu Protokoll, dass Meier sich einerseits »zersetzend« hinsichtlich der Lösung des Arbeitslosenproblems durch die Nationalsozialisten geäußert habe. Meier habe dies auf die Aufrüstung zurückgeführt und erklärt, dass,

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Die bereits erwähnte Schrift, die der ursprüngliche Grund für Sperrs Kontaktaufnahme mit Meier Ende 1934 war, hatte aufgrund ihrer kritischen Sicht auf eine zu einseitig gestaltete militärische Vorbereitung zum Krieg im »Dritten Reich« keine Chance auf Drucklegung. Ein aufmerksamer Leser hätte sie als Warnung vor erneuter Aufrüstung und drohendem Krieg verstehen können.202 Doch gerade diese deutliche Stoßrichtung machte seinen Verfasser für Sperr interessant. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Sperr und Meier sollte die Folge sein. Sperr ging sogar soweit, Meier von diesem Zeitpunkt an als seine »rechte Hand« zu bezeichnen.203 Gleichzeitig bezog er ihn in die Tarnung seiner konspirativen Bestrebungen mit ein. Sperr verschaffte Meier 1937 eine Stelle als Wirtschaftssachverständiger bei der Rüstungsinspektion VII in München, an dessen Spitze mit Generalmajor Walter Stahr204 »ein bekannter Gegner des Nationalsozialismus« als Inspekteur stand.205 Sowohl Meier als auch Stahr sollten fortan für Sperrs DGWW als Vortragsredner in Erscheinung treten. Wie Christian Lankes festgestellt hat, lässt sich über Sperrs Arbeitsalltag bei der DGWW nur wenig in Erfahrung bringen.206 1937 und 1939 legte er auf deren Hauptversammlungen in Berlin Rechenschaftsberichte über seine Arbeit in München ab.207 Im Frühjahr 1939 zeigte sich Sperrs Zweigstelle sehr agil. »wenn der Krieg einmal zu Ende ist«, es möglich sei, »dass wir sechs Millionen Verluste haben und dann gibt es keine Arbeitslosen mehr«. Zur »Judenfrage« will der Oberfeldwebel das Beispiel eines auf »unreelle Weise« zu Geld gekommenen Juden genannt haben, der seinen Sohn hätte studieren lassen, wenn der NS nicht gekommen wäre, woraufhin Meier geäußert habe: »Welche Eltern sind nicht bestrebt, ihre Kinder etwas Besseres werden zu lassen, als sie selber sind?« (Abdruck des Vernehmungsprotokolls eines Oberfeldwebels (Bourg, 3. August 1944), StAAm, Spruchkammer Neumarkt M 795). Warum Meier letztlich unbehelligt blieb, ist unklar. 202 Vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 101. 203 Berz: Auf- und Ausbau, S. 4, UAE, G 1/7 Nr. 1. – Sperrs Sohn Hanns Ludwig bestätigte Meier nach Kriegsende, dass dieser »einer der engsten Mitarbeiter [s]eines Vater in der Bayerischen Widerstandsgruppe um Minister Sperr war« (Abschrift einer Bestätigung durch Hanns L. Sperr (München, 10. September 1945), StAAm, Spruchkammer Neumarkt M 795). – Im Auftrage Sperrs beschaffte Meier fortan Informationen über die Stimmung in der Bevölkerung sowie politische Entwicklungen und vermittelte ihm Kontakte zu geeigneten Mitarbeitern, überwiegend auf militärischem Sektor. Auf die Anwerbung von Vertrauensleuten für den »Sperr-Kreis«, bei der Meier eine maßgebliche Rolle spielte, wird im VI. Hauptkapitel ausführlicher eingegangen. 204 Walter Stahr (1882 in Berlin–1948 in Bad Saarow), 1903 Leutnant, 1912 Oberleutnant, 1914 Hauptmann, 1917–20 Kommandeur der Flieger, 1922 Charakter als Major, 1925–29 Leiter der Fliegerschule Lipezk, anschließend bis 1934 militärischer Direktor des Deutschen Test-Instituts für Luftfahrt, 1934 Oberstleutnant, 1935 Oberst, 1937 Charakter als Generalmajor, 1935–39 Wirtschaftsinspekteur im Wehrkreis VII, 1939 Verabschiedung in den endgültigen Ruhestand (zu Stahr vgl. K. F. Hildebrand, Generale, Bd. 3, S. 341 f.). 205 Ernst Meier an die Hoschschule für Wirtschafts und Sozialwissenschaften Nürnberg (Nürnberg, 20. November 1951), BayHStA, MK 44018. 206 Vgl. Lankes, Franz Sperr, S. 42. 207 Vgl. Wissen und Wehr 6 (1937), S. 415 sowie Wissen und Wehr 6 (1939), S. 479.

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Mehrere Vortragsveranstaltungen fanden in kürzester Zeit statt. Der Zeitpunkt verwundert nicht: Das »Münchener Abkommen« vom September 1938 hatte nur vom Papier her einen dauerhaften Frieden in Aussicht gestellt. Tatsächlich deuteten die Vorzeichen im Winter / Frühjahr 1939 eher auf einen baldigen Kriegsausbruch hin.208 Neben einer internen Vortragsreihe209 im Rahmen der »Gesellschaft« trat Sperr auf Vorschlag Meiers mit einer deutlich wichtigeren wehrwissenschaftlichen Vortragsreihe an die Öffentlichkeit.210 Bereits Ende Dezember 1938 hatte der Rektor der Universität München, Prof. Dr. Philipp Broemser, zu der im Wintersemester 1938/39 stattfindenden, kostenfreien Vortragsreihe »Wehrwirt­schaft« die interessierte Öffentlichkeit, wohl vornehmlich Studenten, eingeladen.211 Den Eröffnungsvortrag hielt Sperr am 10. Januar 1939 über »Das Gesicht des modernen Krieges«. Sowohl die Liste der eingeladenen Referenten – neben Sperr hielten Ernst Meier und Walter Stahr sowie der »politisch unzuverlässige« Universitätsprofessor Dr. Guido Fischer212 und der Ministerialrat Dr. Hans Goetz213 208 Vgl. zu den Monaten zwischen »Münchener Abkommen« vom September 1938 und Hitlers so genanntem »Griff nach Prag« im März 1939 zusammenfassend Schmidt, Aussenpolitik, S. 247–315. 209 Im Gegensatz zu der an der Münchener Universität stattfindenden Vortragsreihe über Wehrwirtschaft traten im Rahmen des regulären Vortragszyklus’ der DGWW abgesehen von dem General der Artillerie a. D. Max Ludwig mit dem Direktor des Instituts für allgemeine Wehrlehre, Prof. Oskar Ritter von Niedermayer, sowie dem Chef des Erziehungshauptamts der Obersten SA-Führung, SA-Obergruppenführer Max Luyken, ein unterschwelliger und ein eindeutiger Anhänger des NS-Regimes als Referenten auf. Die Erklärung, Sperr habe »keine Berührungsängste mit dem Regime« (Lankes, Franz Sperr, S. 42) gehabt, führt allerdings an dieser Stelle zu kurz. Im Januar 1939 hatte Hitler durch Verfügung die SA zur »Trägerin der vor- und nachmilitärischen Wehrerziehung« bestimmt (vgl. Studt, Dritte Reich in Daten, S. 94). Dass Ende März der Chef des Erziehungsamtes der Obersten SA-Führung, Luyken, im Rahmen der DGWW über dieses Thema sprechen wollte, war eine logische Konsequenz. Sperr dürften hierbei kaum Handlungsspielräume geblieben sein. 210 Zu den Vortragsabenden im Rahmen der DGWW in München vgl. Ernst Meier: Bemerkungen zum Beitrag über Franz Sperr von Dr. Reisert, S. 3 f., UAE, G 1/7 Nr. 1. 211 Vgl. Programm der Vortragsreihe »Wehrwirtschaft«, UAE, G 1/7 Nr. 1. 212 Guido Fischer (1899 in München–1983 in München), Studium an der Handelshochschule München, 1922 Dr. rer. pol. in Frankfurt, 1927 Habilitation in München, ab 1934 a. o Professor der Wirtschaftswissenschaften in München, im Zweiten Weltkrieg Leiter des Arbeitsstabes »Gruppenpreise beim Oberkommando der Wehrmacht«, 1944 wegen »politischer Unzuverlässigkeit« aus dem Universitätsdienst entlassen, ab 1946 a. o. Professor und Leiter des Instituts für Betriebswitschaft und Sozialpraxis in München, 1964 o. Prof., 1968 em. (zu Fischers Rolle im »Dritten Reich« vgl. vor allem Mantel, Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus, S. 411–415). 213 Hans Goetz (1883 in Augsburg–1944 in München), Studium an der TH München, 1907 Gewerbeinspektor bei der Zentralstelle für Industrie, Gewerbe und Handel, 1909 Promotion, ab 1914 im Staatsministerium des Äußern, 1916 RegRat, 1919 Wechsel ins Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe, 1920 Beauftragter für die Landesauftragsstelle, 1928 Rückkehr ins Staatsministerium des Äußern, 1928 MinRat, 1933 Staatsministerium für Wirtschaft (Abteilung für Handel, Industrie und Gewerbe), 1934 Versetzung in den

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Vorträge – als auch die Titel der gehaltenen Referate214 zeugen von Sperrs und Meiers Anspruch, die Kriegsvorbereitungen des NS-Regimes zu hinterfragen und einen drohenden Krieg insgesamt in ein negatives Licht zu rücken. Gleichzeitig veranschaulicht die Referentenauswahl eine zumindest zu diesem Zeitpunkt noch deutlich demonstrierte Gleichgültigkeit des NS-Regimes: Denn keiner der Referenten, die Sperr einleitend ohne »Deutschen Gruß« vorstellte, war Parteimitglied.215 Darüber hinaus wiesen sämtliche Referenten bewusst auf die Gefahren eines drohenden Krieges hin. Man war davon überzeugt, dass auch die breitere Öffentlichkeit über den »unabwendbaren Zusammenbruch in einem kommenden Krieg« aufgeklärt werden müsse. Tatsache war aus ihrer Sicht, dass das Haager Landkriegsrecht »weit […] hinter der fortgeschrittenen Technik des neuzeitlichen Krieges« zurückgeblieben war.216 Ein wichtiger Mitarbeiter Sperrs und Vortragsredner für das Gebiet der Wehrtechnik, Wehrwirtschaft, Vierjahresplan und Kolonialtechnik bei der DGWW wurde offenbar der Ingenieur Maximilian Krieger. In den 1920er Jahren hatte Krieger als ehemaliger Freikorpsführer mit den Nationalsozialisten sympa­ thisiert. Er war offenbar ein Angeber und Wichtigtuer, wohl aber kein überzeugter Nazi, sondern eher ein Opportunist. Nach 1933 scheint er sich im Verborgenen von der Partei abgewandt zu haben.217 1937 veröffentlichte er einen einstweiligen Ruhestand, ab 1934 kommissarisch als Leiter der Außenstelle des Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministeriums verwendet, 1938 kommissarisch mit der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Regierungsdirektors der Wehrwirtschaftlichen Abteilung beim bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft beauftragt, 1939 Leiter des Bezirkswirtschaftsamts (beim Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft) für den Wehrkreis VII, 1939 zugleich Leiter des Führungstabes Wirtschaft, 1941 Leiter des Landeswirtschaftsamts München, 1942/43 Regierungsdirektor (Ministerialrat a. D.) im Staatsministerium des Innern, 1943 Ruhestand (vgl. zu Goetz’ Ministerialbeamtenzeit diverse Angaben bei Unger, Staatsministerium). 214 Stahr stellte am 17. Januar 1939 »Wehrwirtschaftliche Gedanken« an. Diesen folgte am 24. Januar das Referat Fischers über »Die Bedeutung der Wehrwirtschaft«, dem sich am 31. Januar der Vortrag Meiers über »Die Wirtschaft im Weltkriege« anschloss. Den Abschluss bildete Goetz mit seinen Ausführungen über »Die Wehrwirtschaft im Frieden« am 7. Februar. 215 Vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 112. 216 Abschrift einer Eidesstattlichen Versicherung von Otto Basler (München, 27. Juni 1948), StAM, SpkA K 967: Krieger, Maximilian. 217 Maximilian Krieger (1893 in Bamberg–?), kath., Studium des Siedlungswesens, ländl. Bauwesens u. Landtechnik an der Technischen Hochschule München, Studium der Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft an der Universität Würzburg, Ingenieur und Landwirt. Krieger scheint eine zwielichtige Persönlichkeit gewesen zu sein. Nachdem er mit seiner »Wehrgruppe Krieger« 1919 an der Befreiung Münchens von der Räteherrschaft teilgenommen hatte, lernte er offenbar Hitler und den späteren Polizeipräsidenten von München, Ernst Pöhner, näher kennen und vermittelte nach Hitlers Entlassung aus Landsberg ein Gespräch zwischen diesem und dem bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held. Als Pöhner im April 1925 bei einem Autounfall ums Leben kam, waren Krieger und seine Frau ebenfalls im Wagen. In der Folge kursierten Gerüchte, es habe sich um ein

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Artikel, in dem er ausdrücklich vor den Folgen eines mit moderner Technik geführten Krieges warnte.218 Damals dürfte er Sperr für dessen Bemühen, vor den Folgen eines bevorstehenden Krieges zu warnen, als Vortragsredner in den Sinn gekommen sein. Für Vorträge für die DGWW gewonnen, sprachen Krieger und Sperr offenbar »oft über die Möglichkeiten einer Änderung der damals bestehenden Machtverhältnisse«.219 Inwieweit Krieger allerdings in die gleichzeitig beginnenden Überlegungen und Anstrengungen der Männer um Sperr involviert war, muss offen bleiben. Später trat er offenbar nicht mehr bei Gesprächen des Kreises in Erscheinung und kann daher allenfalls als Sympathisant des Kreises gelten.220 Die Leitung der Münchener Zweigstelle der DGWW machte aus Sperrs Sicht allerdings nur so lange Sinn, wie er verhältnismäßig ungestört die Geschicke der Gesellschaft in München bestimmen konnte und ihm diese Tätigkeit einerseits Tarnung, andererseits Möglichkeiten zur verdeckten Regimekritik und zur vorsichtigen Anwerbung von militärischen Vertrauensleuten bot. Dies änderte sich schlagartig, als Sperr im Herbst 1940 mit dem Generalmajor Albert Ritter von Beckh ein »Gaubeauftragter für das militärische Vortragswesen« vor die Nase gesetzt wurde. Die Initiative dürfte vom Oberkommando der Wehrmacht im Zusammenspiel mit dem Reichspropagandaministerium ausgegangen sein, da die neue Position dem Gaupropagandaamt zugeteilt wurde. Daraufhin habe Sperr zugleich die Leitung der Zweigstelle niederlegt, die ihm »keine rechte Freude

Attentat gehandelt. Krieger und seine Frau wurden 1933 für einige Monate in Schutzhaft genommen, weil sie verdächtigt wurden, etwas damit zu tun zu haben. Daraufhin dürfte sich Krieger innerlich gekränkt vom Nationalsozialismus distanziert haben, wenn er auch aus opportunistischen Gründen in der Öffentlichkeit weiterhin sein besonders gutes Verhältnis zur NS-Bewegung in den frühen 1920er Jahren hervorhob. Nach eigenen Angaben habe er sich besondere »Verdienste um die Person des Führers und die Wiedergründung der Partei 1924/25« erworben (Maximilian Krieger an das Bayerische Ministerium des Innern (München, 10. Januar 1935), StAM, SpkA K 967: Krieger, Maximilian). Mit seinen guten Beziehungen zu Hitler übertrieb er dabei maßlos, vermutlich, um sich selbst dadurch Vorteile zu verschaffen. Jedenfalls ergab eine Überprüfung seiner Angaben in Berlin 1938, dass diese »teils falsch, teils unwahrscheinlich« seien, und er vielmehr eine »von Hitler abgelehnte Persönlichkeit« sei (Heiber, Akten, Regest Nr. 13121, S. 362). In seinem Spruchkammerverfahren gab Krieger an, im Verdacht gestanden zu haben, »mit Nazigegnern zusammenzuarbeiten«, weshalb er »als politisch unzuverlässig« galt, in der Wehrmacht nicht befördert und seitdem dauernd von jeglicher Tätigkeit bei der Wehrmacht ausgeschlossen« worden sei. Auch sei er »nicht beim Volkssturm eingeteilt« worden (Vgl. Kriegers Angaben in seinem Fragebogen, StAM, SpkA K 967: Krieger, Maximilian). 218 Vgl. Krieger, Wehrtechnik, S. 409–411. 219 Eidesstattliche Erklärung von Charlotte Fleischmann (München, 2. Juli 1948), StAM, SpkA K 967: Krieger, Maximilian. 220 Auch Otto Baslers Bestätigung für Krieger beschränkte sich nach dem Krieg voll und ganz auf Kriegers Tätigkeit im Rahmen der DGWW (vgl. Abschrift einer Bestätigung von Prof. Dr. Otto Basler für Maximilian Krieger (München, 27. Juni 1948), StAM, SpkA K 967: Krieger, Maximilian).

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mehr machte«, wie er Meier im November 1940 berichtete.221 Trotzdem setzte Sperr seine Vortragstätigkeit, sogar aufgrund ausdrücklicher Genehmigung General von Beckhs, bis auf weiteres fort, da dieser einen personellen Notstand ausgleichen musste.222 Auch Meier, der in der Zwischenzeit eingezogen worden war, wurde 1942/43 während einer vorübergehenden Abkommandierung zum stellvertretenden Generalkommando des VII. Armeekorps beauftragt, in Südbayern Vorträge über das EK I zu halten. Dies ermöglichte ihm, in jener Zeit intensiv für den »Sperr-Kreis« aktiv zu werden und mögliche »Kandidaten« für die »Auffangorganisation« anzuwerben.223 Im Laufe des Jahres 1943 musste Sperr auch seine militärpolitische Vortragstätigkeit abrupt einstellen, weil er laut späterer Aussage seiner Witwe Probleme mit der Partei bekam.224 Möglicherweise stand dies in Zusammenhang mit einer zwischenzeitlichen Verhaftung von Charlotte Fleischmann225, die seit der Jahreswende 1938/39 Sperrs Privatsekretärin und Mitarbeiterin bei der DGWW war.226 Wie ihr später von Max Krieger bestätigt wurde, war Fleischmann »über viele der besprochenen Dinge, deren Mitwisserschaft allein im 3. Reich schon die Todesstrafe zur Folge gehabt hätte, im Bilde« und hielt auch nach Sperrs Ausscheiden bei der DGWW den Kontakt zu ihm und Krieger aufrecht. Dabei habe sie »wiederholt auf Grund ihrer im Interesse unserer Widerstandstätigkeit aufrecht erhaltenen Verbindung mit Nazi-Kreisen wertvolle Informationen« weitergegeben.227 221 Franz Sperr an Ernst Meier (München, 12. November 1940), UAE, G 1/7 Nr. 1. Erst 1941 wurde die Spitze der Münchener Zweigstelle mit dem General der Infanterie a. D. Hilmar Ritter von Mittelberger neubesetzt (vgl. Wissen und Wehr 5 (1941), S. 191). 222 Vgl. Franz Sperr an Ernst Meier (München, 12. November 1940), UAE, G 1/7 Nr. 1. 223 Vgl. Berz: Auf- und Ausbau, S. 13 f., UAE, G 1/7 Nr. 1; Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 113. 224 Vgl. Aufzeichnung von Ernst Meier über seine »Besprechung mit Frau Sperr am 14. April 1962 in Gauting bei München«, S. 4, UAE, G 1/7 Nr. 1. 225 Charlotte Fleischmann (1908 in München–?), Graphikerin und Innenarchitektin, 1933–45 Berufserziehungskraft der DAF, Lehrkraft als nebenberufliche Tätigkeit in Abendkursen für Kunstschrift und Schönschrift für Erwachsene und zur Umschulung von Verwundeten, halbtags Angestellte für Büroarbeiten bei der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften / Armeemuseum, seit 1946 Mitglied der CSU, Mitarbeiterin der Parteizeitung »Der Gerade Weg«, 2. Vorsitzende des CSU-Bezirksvorstands München, 1949 erfolglose Kandidatur für den Bundestag im Wahlkreis München-Nord, 1949/50 verantwortliche Redakteurin der »CSU-Correspondenz«, 1952 wegen Teilnahme an so genannten Friedensaktionen aus der CSU ausgeschlossen (vgl. Balcar / Schlemmer, Spitze der CSU, S. 596; außerdem StAM, SpkA K 427: Fleischmann, Charlotte). 226 Eidesstattliche Erklärung von Monika Hertlein (München-Obermenzing, 20.  August 1948), StAM, SpkA K 427: Fleischmann, Charlotte. Fleischmann erhielt im Sommer 1943 Besuch von der Gestapo. Ihr Haus wurde durchsucht, sie selbst stundenlang verhört. Nach eigenen Angaben habe man versucht, »Aussagen zu erpressen, die sie und ihre Bekannten als Gegner der Partei gebrandmarkt hätten«. 227 Eidesstattliche Bestätigung von Maximilian Krieger (München, 4. Oktober 1948), StAM, SpkA K 427: Fleischmann, Charlotte.

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Nach Lage der Dinge dürften die Vortragsreisen ohne feste institutionelle Bindung für Sperr zu brenzlig geworden sein. Daher bemühte er sich ab 1943 eine alternative Tätigkeit zu finden, die ihm die Möglichkeit des unauffälligen Reisens bot. Seiner langjährigen Freundschaft zum ehemaligen Reichswirtschaftsminister unter Hitler, Kurt Schmitt, verdankte er es, dass er nicht lange suchen musste. Die Münchener Rückversicherungsgesellschaft entwickelte sich unter Vorsitz Schmitts zu einem Hort des Widerstands, zumindest was das Personal betraf: Neben Sperr sollte unter anderem auch Eduard Hamm dort eine Beschäftigung finden.228 b) Franz Sperr und Eduard Hamm als Mitarbeiter der Münchener Rückversicherungsgesellschaft 1943/44 Franz Sperr war seit Mitte der 1920er Jahre mit Hitlers zweitem Reichswirtschaftsminister, dem späteren Vorstandsvorsitzenden der Münchener Rückversicherungsgesellschaft, Kurt Schmitt229 bekannt. In den Jahren 1933/34 entstand zwischen beiden Männern eine enge Freundschaft, die sich nach Ende ihres beruflichen Wirkens in der Reichshauptstadt und nach der Rückkehr nach München weiter intensivieren sollte.230 Da Schmitts janusköpfige Rolle im »Dritten Reich« als »Financier Hitlers und des Widerstandes« erst kürzlich hinterfragt wurde231, und er für Franz Sperr tatsächlich eine wichtige Vertrauensperson darstellte, erscheint es zwingend notwendig, seine Person an dieser Stelle ausführlicher darzustellen. Die Karriere des 1886 in Heidelberg geborenen und promovierten Juristen begann bei der Allianz Versicherungsgesellschaft, wo er bis 1921 zum Vorstandsvorsitzenden aufstieg.232 Im Herbst 1930 traf er durch Vermittlung eines Allianz-Direktors erstmals mit Hermann Göring zusammen. Im darauffolgenden Jahr begegnete er dann Adolf Hitler, wobei er offenbar in diesem Gespräch der SA eine geldliche Zuwendung in Höhe von fünf Millionen Reichsmark versprach. Noch vor 1933 soll er über die Allianz tatsächlich beträchtliche Summen an die

228 Auch der frühere Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, war eng mit Schmitt befreundet. Letzterer verschaffte auch ihm die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen (vgl. Ilse von Hassell an Kurt Schmitt (Ebenhausen, 8. Mai 1946), StAM, SpkA K 1659: Schmitt, Kurt). 229 Auf Kurt Schmitt (1886 Heidelberg–1950 Heidelberg) wird unten ausführlicher eingegangen (vgl. zu ihm Collado Seidel, Vom Reichswirtschaftsminister zum Gegner des NS-Regimes, S. 53–72; außerdem Schmitts Nachlass im Firmenhistorischen Archiv der Allianz AG, NL 1 (ab sofort: FHA). 230 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Gertraud Sperr (München, 28. Januar 1946), FHA, NL 1/77. 231 Collado Seidel, Vom Reichswirtschaftsminister zum Gegner des NS-Regimes, S. 53–72. 232 Im Folgenden wird sich, wo nicht anders kenntlich gemacht, überwiegend auf die Darstellungen von Collado Seidel und Feldman, Allianz bezogen.

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NSDAP gespendet haben233, was auf Schmitts angebliche Absicht zurückgeführt wurde, einem Erstarken der Sozialisten innerhalb der NSDAP entgegenzuwirken, die eine Verstaatlichung des Banken- und Versicherungssektors anstrebten. Damit einhergehend wurde die These aufgestellt, dass Schmitt mit einer Regierungsbeteiligung Hitlers ernsthaft rechnete und deshalb frühzeitig Einfluss gewinnen wollte.234 Durch zwei Gespräche, die Schmitt im Sommer 1932, damals noch als Generaldirektor der Allianz, mit dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht führte, können diese Bemerkungen über Schmitt grundsätzlich bestätigt werden.235 Schmitt betonte gegenüber Rupprecht zwar, »kein Nationalsocialist« zu sein, sprach aber gleichzeitig davon, »dass Hitler ein durchaus anständiger Mensch sei, der mit sich sprechen liesse […]«.236 Von der Regierungsfähigkeit der NSDAP offenbar überzeugt, betonte Schmitt außerdem, dass er nach Übernahme der Reichskanzlerschaft durch Hitler nicht mit einem »Linkskurs« innerhalb der Partei rechne. Für eine verlässliche Politik würden aus seiner Sicht schon Männer wie Hermann Göring und Gregor Strasser sorgen.237 Im zweiten Gespräch äußerte Schmitt den Wunsch, dass Rupprecht sich mit Hitler treffen solle, wobei er hierfür sogar ein in seinem Besitz befindliches Jagdhaus als möglichen Treffpunkt anbot, um die ganze Sache geheim zu halten.238 Schmitt lag offenbar sehr viel an einem solchen Treffen, hielt er es doch – spätestens nach einem Gespräch mit Hermann Göring239, den er »als guten Typ des alten Offiziers mit einem Ein-

233 Collado Seidel, Vom Reichswirtschaftsminister zum Gegner des NS-Regimes, S. 55 f. In seinem Spruchkammerverfahren versuchte Schmitt, seine Beziehungen zu NS-Größen vor 1933 herunterzuspielen. Geldliche Zuwendungen an die Partei, die SS oder sonst eine Parteiorganisation habe er nie geleistet (vgl. Spruchkammerverfahren gegen Dr. Kurt Schmitt, Tiefenbrunn. 1. Verhandlungstag (11. September 1947), FHA, NL 1/85, S. 1–86, insbes. S. 14 (Seitenangaben beziehen sich auf Manuskript). 234 So Collado Seidel, Vom Reichswirtschaftsminister zum Gegner des NS-Regimes, S. 56. 235 Die Hintergründe dieses Treffens lassen sich nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Rupprecht selbst ging nach einer Mitteilung Enoch zu Guttenbergs davon aus, dass Schmitt im Auftrag Kurt von Schleichers das Gespräch mit ihm gesucht habe (vgl. GHA, AA KPR (14. Juli 1932), Mappe 14, S. 86). 236 GHA, AA KPR (4. Juli 1932), Mappe 14, S. 76. 237 An dieser Stelle sprach Schmitt auch einen wunden Punkt bei Rupprecht an, der ebenfalls eine Regierungsbeteiligung der NSDAP in den folgenden Monaten für möglich hielt, aber sehr wohl einen Aufstand von »links« befürchtete. Schmitts Verweis auf die Verlässlichkeit Görings verwunderte den Kronprinzen besonders. Diesen habe er bis dato »für einen überspannten Fanatiker« gehalten (ebd., S. 77). Gregor Strasser, der in den 1920er Jahren gemeinsam mit Joseph Goebbels als der Vertreter der Linken innerhalb der NSDAP gegolten hatte, verfügte mittlerweile über gute Kontakte in Industrie und Wirtschaft, die ihn nun nicht mehr ganz so kritisch betrachteten (vgl. Neebe, Großindustrie, S. 163). 238 Mit dem Hinweis, dass der preußische Kronprinz Wilhelm »bereits zehnmal« mit Hitler zusammengekommen sei, versuchte Schmitt Rupprecht zum Einlenken zu bewegen (GHA, AA KPR (14. Juli 1932), Mappe 14, S. 87). 239 Dieses fand offenbar zwischen den beiden Gesprächen vom 4. und 14. Juli 1932 statt.

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schlag ins Künstlerische« charakterisierte – nur noch für eine Frage der Zeit, bis Hitler der nächste Reichskanzler werde.240 Was von einer Reichskanzlerschaft Hitlers zu erwarten sei, dass vor allem sein »Programm ein gemäßigtes sei« und er »keine Dauer-Diktatur« beabsichtige, wusste Schmitt Rupprecht gegenüber angeblich genauestens zu berichten.241 Schließlich bemühte sich Schmitt, Rupprecht von der Popularität des Führers zu überzeugen, in dem er von einer »Kolonne von 40000 Nationalsocialisten« berichtete, die »in straffster Haltung die Strassen Berlins« durchzog und »bei deren Vorbeimarsch kein einziger der zahlreichen Zuschauer nicht die Hand zum Grusse der Hackenkreuzfahnen [sic!] hochgehoben hätte«.242 Schmitt verfiel offenbar wie viele seiner Landsleute dem nationalsozialistischen »Bestreben nach permanenter Emotionalisierung der Massen«243. Er war zwar kein offizielles Mitglied, aber sehr wohl ein Anhänger und Unterstützer der Bewegung, was nicht zuletzt sein vergebliches Bemühen veranschaulicht, den bayerischen Kronprinzen vor den Karren der NS-Propaganda zu spannen. Sein Ansehen in führenden Wirtschaftskreisen und seine guten Beziehungen zur NS-Parteispitze, insbesondere zu Hermann Göring, sorgten dafür, dass Schmitt nach dem Ausscheiden Hugenbergs am 30. Juni 1933 dessen Nachfolge als Reichswirtschaftsminister antrat.244 Kronprinz Rupprecht nahm diesen Wechsel an der Spitze des Ministeriums mit der Hoffnung zur Kenntnis, dass sich Schmitt, der ja »ein sehr tüchtiger Mann« sei, gegen absehbare staatliche 240 Diese Zeit sah Schmitt, so Rupprechts Notiz, immer näher rücken: »Wenn Hitler, was zu erwarten sei, auch nur 40 % der Stimmen bei der Reichstagswahl für seine Partei erringen sollte, sei es sicher, dass ihm die Kabinettsbildung übertragen wird, da die ganze Umgebung Hindenburgs dafür sei bis auf einen Herrn, der auf dem alten ablehnenden Standpunkt der Deutschnationalen verharre. Hitler wolle nach den Wahlen dem gegenwärtigen Kabinett eine Gnadenfrist von 4 Wochen gewähren, um während dieser Zeit die Vorbereitungen für die Regierungsübernahme zu treffen« (ebd., S. 87 f.). 241 »Habe Hitler einmal die Gewalt in seinen Händen, dann werde er schon sorgen, dass nichts Unvernünftiges geschehe«, führte Schmitt weiter aus (ebd., S. 87). Bereits diese Auffassung Schmitts erschien Rupprecht als »eine allzu optimistische«. Der Leichtgläubigkeit Schmitts entsprach es, wie Rupprecht treffend feststellte, dass dieser zur Erhärtung dieser Behauptungen eine mögliche Personalentscheidung Hitlers anführte, die besagte, dass »ein Mann wie Hjalmar Schacht« dessen Kabinett angehören könnte. Auch die Aussicht einer »Diktatur auf Zeit«, die Schmitt offensichtlich akzeptabel erschien, bezeichnete der bayerische Kronprinz als »für Bayern untragbar, da sie der Negierung seiner Eigenstaatlichkeit gleichkäme, und […] die übelsten Folgen nach sich ziehen [würde]« (ebd., S. 87). – Anders als von Schmitt erwartet, wurde nicht Schacht ins erste Kabinett Hitlers aufgenommen. Stattdessen hatte Alfred Hugenberg, der Vorsitzende des Koalitionspartners DNVP, den Posten des Reichswirtschaftsministers übernommen. 242 GHA, AA KPR (14. Juli 1932), Mappe 14, S. 89. 243 Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, S. 30. 244 An dieser Stelle würde es zu weit führen, auf die Zeit Schmitts als Reichswirtschaftsminister ausführlich einzugehen. Es sei jedoch verwiesen auf die erst kürzlich erschienene knappe Darstellung der Ministertätigkeit Schmitts bei Kopper, Ministerium Schacht, S. 76–110, insbesondere S. 76–82.

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Eingriffe in die Wirtschaft wenden werde.245 Allerdings gelang es Schmitt nur bedingt, seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen, vielmehr geriet er zusehends in einen konzeptionellen Gegensatz zu Reichsbank­ präsident Hjalmar Schacht.246 Im Sommer 1934 gab Schmitt aus gesundheitlichen Gründen die Führung des Reichswirtschaftsministeriums auf. 1937 verließ er Berlin und trat als Vorstandsvorsitzender an die Spitze der Münchener Rückversicherungsgesellschaft.247 Auf seinem Gut Tiefenbrunn, südwestlich von München, empfing er neben Hitler viele andere Akteure aus Staat und Wirtschaft.248 Besonders interessant sind die im Gästebuch des Guts Tiefenbrunn dokumentierten regelmäßigen Besuche der Familie Sperr. Der erste Aufenthalt des Ehepaars Sperr auf Gut Tiefenbrunn ist hiernach bereits Ende Oktober 1934, also unmittelbar nach dem Umzug der Familie nach München, feststellbar249, was das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Familien verdeutlicht.250 Ab 1938/39 intensivierten sich diese Besuche.251 Hierzu dürfte vor allem die gemeinsame Leidenschaft für die Jagd 245 GHA, AA KPR (30. Juni 1933), Mappe 16, S. 136. Rupprecht verfolgte die Politik des neuen Reichswirtschaftsministers in den folgenden Monaten sehr aufmerksam. Einer Rede vom 13. August widmete er einen Eintrag in sein Tagebuch. Schmitt habe sich in dieser eindeutig für die freie Marktwirtschaft ausgesprochen, was der bayerische Kronprinz mit einem »Bravo!« würdigte (GHA, AA KPR (15. August 1933), Mappe 16, S. 169 f., hier S. 170). 246 Zum Verhältnis zwischen Schmitt und Schacht vgl. Kopper, Schacht, S. 251 f. sowie Ders., Ministerium Schacht, S. 94–97. 247 Vgl. zur Rolle der Münchener Rücherversicherungsgesellschaft im »Dritten Reich« neuerdings Bähr / Kopper, Munich Re, S. 147–244. Bähr und Kopper bestätigen hierin weitgehend die früheren Forschungsergebnisse Feldmans, der bereits feststellte, dass die Münchener Rückversicherung mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Kurt Schmitt an der Spitze zumindest indirekt vom Krieg profitierte, indem sie »wirtschaftliche Kriegführung zugunsten des ›Dritten Reiches‹ [betrieb]« (Feldman, Allianz, S. 419). Erstaunlich ist derweil, dass in der neuen Studie lediglich die Beziehungen Schmitts zu Ulrich von Hassell (Bähr / Kopper, Munich Re, u. a. S. 167) thematisiert werden, während sein freundschaftliches Verhältnis zu Franz Sperr und seine Kontakte zu Eduard Hamm unerwähnt bleiben. 248 Hitler besuchte Schmitt dem Tiefenbrunner Gästebuch zufolge am 5. April 1934. Bereits Ende November 1933 kam u. a. Vizekanzler Franz von Papen nach Tiefenbrunn, im Oktober 1934 der Aufsichtsratsvorsitzende der Philipp Holzmann AG, Alfred Blinzig (vgl. »Tiefenbrunn Gästebuch« (Kopie), FHA, NL 1/180). 249 Vgl. »Tiefenbrunn Gästebuch« (Kopie), FHA, NL 1/180. 250 Ähnliches lässt sich für die Kontakte Schmitts zu Ulrich von Hassell sagen. Nach Hassells Umzug von Rom nach München erweist er Schmitt Ende August 1938 mit seiner Familie die Ehre. In der Folgezeit kommt es zu wiederholten Besuchen auf Tiefenbrunn. Ihre regelmäßigen Treffen bei Hassell in Ebenhausen, die durch Hassells Tagebücher belegt sind, verwundern vor dem Hintergrund dieser Vertrautheit nicht. Erstaunlich ist dagegen, dass die bisher einzige umfangreichere Hassell-Biographie diese Verbindung gänzlich ignoriert (vgl. Schöllgen, Ulrich von Hassell). 251 Schmitt erklärte nach 1945, dass ihn die Familie Sperr sogar »jeden Monat ungefähr eine Woche« lang in Tiefenbrunn und im Jagdhaus besuchte (Spruchkammerverfahren gegen Dr. Kurt Schmitt, Tiefenbrunn, 11. September 1947, Vernehmungsprotokoll aufgenommen von der Münchener Rückversicherung, S. 22, FHA, NL 1/85). Wenn auch diese Intensität

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beigetragen haben.252 Dass in diesen Tagen auch über die politische Lage gesprochen wurde, überrascht nicht.253 So erklärt es sich, dass Franz Sperr nach seinem Ausscheiden bei der Münchener Zweigstelle der »Deutschen Gesellschaft für Wehrwissenschaften und Wehrpolitik« im Frühjahr 1943 in der Münchener Rückversicherung wieder eine berufliche Bleibe fand. Die Anstellung Sperrs in seinem Unternehmen versuchte Schmitt nach 1945 als Beweis seiner antinationalsozialistischen Rolle im »Dritten Reich« anzuführen: »Ich habe Sperr in die Münchener Rück gebracht. Nicht des Geldes wegen, auch nicht der Münchener Rück wegen, sondern um diesen Mann geistig abzulenken und zu beschäftigen. Er bekam das schöne Ressort der Hilfeleistung für die Verfolgten und hatte die vielen Bettelbriefe zu erledigen. Er reiste in diesem Auftrag auch viel. Bald war da einer vor der Hinrichtung zu bewahren, bald dort ein anderer aus Geiselhaft zu befreien. Und Sperr machte das, er war ein wunderbarer Mann.«254 Seine Anstellung bei der Münchener Rück blieb indes für die übrigen Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens ein großes Rätsel, was den konspirativen Charakter seiner Beschäftigung unterstreicht.255 Wie für Ulrich von Hassell, der in Schmitts Versicherungsunternehmen einstieg und in dessen Auftrag Reisen nach Spanien unternahm256, ergab sich also durch das Gästebuch nicht feststellbar ist, heißt dies nicht, dass es so gewesen sein kann. Bei derart regelmäßigen Besuchen hätte sich die Familie Sperr wohl nicht immer wieder aufs Neue im Gästebuch eingetragen. 252 In kleiner Gruppe – meist die Ehepaare Schmitt und Sperr sowie dem Jäger Sepp Veit – brachen sie alljährlich im Herbst zur Hirsch- und Gambsbrunst auf und verbrachten teilweise Wochen zusammen auf einer Jagdhütte. Wie begeistert Sperr die wiederkehrenden Jagdausflüge aufnahm, offenbaren seine Einträge im Tiefenbrunner Gästebuch. Dort drückte er seine Dankbarkeit für das Erlebte nicht selten in einem kleinen Gedicht oder einer Zeichnung aus (vgl. »Tiefenbrunn Gästebuch« (Kopie), FHA, NL 1/180). 253 Durch den Jäger Sepp Veit, der »wirklich vieles« miterlebt habe, »weil das eben die Jagd und die Jagdhütte und die einsamen Abende in den Bergen« mit sich gebracht hätten, ließ sich Schmitt bestätigen, dass er »mit Sperr immer einer Meinung war« und dass sie häufig gemeinsam »mit anderen gestritten« hätten (Kurt Schmitt an Sepp Veit (23. Januar 1946), FHA, NL 1/13). 254 Protokoll des Spruchkammerverfahrens gegen Dr. Kurt Schmitt, Tiefenbrunn (1. Verhandlungstag, 11. September 1947) (protokolliert von der Münchener Rückversicherung), FHA, NL 1/85, S. 22 (Seitenangabe bezieht sich auf Manuskript). Bei Bähr / Kopper finden sich keine Hinweise auf ein entsprechendes »Ressort«. Ein ehemaliger Vorstandskollege bestätigte derweil das Motiv Schmitts, »diesem Mann, der ausgeschaltet war, Beschäftigung zu geben und ihn bei politisch-wirtschaftlichen Interventionen zu verwenden« (Eidesstattliche Erklärung von Alois Alzheimer (Starnberg, 1. Oktober 1948), StAM, SpkA K 1658: Schmitt, Kurt). 255 Ein Dr. Böss wusste auf entsprechender Nachfrage des Unternehmens Jahrzehnte später zu berichten, dass »[u]m Herrn Sperr […] immer ein Geheimnis« geschwebte habe. Er sei von Schmitt und Alzheimer protegiert und mit einem bevorzugten Zimmer in der Vorstandsetage ausgestattet worden (Anruf Herrn Dr. Böss (12. Oktober 1994), Münchener Rück, Historisches Archiv, NA/25). 256 Vgl. Ilse von Hassell an Kurt Schmitt (Ebenhausen, 8. Mai 1946), StAM, SpkA K 1659: Schmitt, Kurt.

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auch für Sperr durch diese Tätigkeit die Gelegenheit, sie für seine Zwecke zu nutzen. Gleichzeitig nahm Sperr, dem ein eigenes Büro bei der Münchener Rückversicherungsgesellschaft in der Königinstraße zur Verfügung stand, regelmäßig am gemeinsamen Mittagessen des Vorstandes teil257, bei dem – neben geschäftlichen Fragen – »von ihm stets die politischen Ereignisse eingehend und in aller Offenheit erörtert« wurden.258 Offenbar ging Sperr hierbei sogar soweit, auf die Notwendigkeit von Vorbereitungen einer Zeit nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes aufmerksam zu machen. Schmitts Vorstandskollege Dr. Alois Alzheimer verwies auf »eingehende politische Besprechungen« mit den Vorstandsmitgliedern und insbesondere mit Kurt Schmitt und führte aus: »Diese gingen vor allem dahin, dass es bei dem bevorstehenden Zusammenbruch des ›Dritten Reiches‹ notwendig sei, personell alle Vorbereitungen zu treffen, damit in einem solchen Falle kein Vakuum entstehe, sondern die Gewalt übernommen werden könne«259. Sperr deutete in diesem Zusammenhang das Wirken seiner Widerstandsgruppe an, offenbar ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen und die Anwesenden in die Planungen mit einzubeziehen.260 Neben Sperr trat auch Eduard Hamm für die Münchener Rückversicherungsgesellschaft beruflich in Erscheinung und nutzte ebenso die Reisemöglichkeiten, die ihm diese Tätigkeit bot. Schmitt stellte Hamm in erster Linie als Rechtsberater ein. Seine Hauptaufgabe bestand im Verfassen von Gutachten und das Halten von Vorträgen auf dem Gebiet der Versicherungswirtschaft. Ein von Hamm in den letzten Kriegsjahren verfasstes 140-seitiges Gutachten legt nahe, dass seine Anstellung nicht nur ihm und seinen Interessen dienlich sein, sondern auch der Münchener Rückversicherungsgesellschaft und der Versicherungswirtschaft insgesamt Vorteile bringen sollte.261 In jenem Gutachten plädierte Hamm  – 257 Eine andere Quelle spricht von einem gemeinsamen Frühstück im Vorstandskasino (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Alois Alzheimer (Starnberg, 1. Oktober 1948), StAM, SpkA K 1658: Schmitt, Kurt). 258 Eidesstattliche Erklärung Gustav Mattfeld (München, 16. Juli 1946), FHA, NL 1/94. 259 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Alois Alzheimer (Starnberg, 1. Oktober 1948), StAM, SpkA K 1658: Schmitt, Kurt. 260 Ob alle Angaben Alzheimers und Schmitts über die »politischen« Gespräche beim Mittagessen des Vorstandes der Wahrheit entsprachen, muss offenbleiben. Natürlich war ihnen nach 1945 die Rolle Sperrs im Widerstand bekannt und ihre Verbindung zu ihm konnte ihnen bei ihren Entnazifizierungsverfahren nur helfen. Da Sperr sich mit Schmitt freundschaftlich eng verbunden fühlte und auch von der Vertrauenswürdigkeit Alzheimers überzeugt schien, dürften ihre späteren Angaben wohl weitestgehend zutreffend sein. 261 Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gab es immer wieder Bestrebungen einzelner NS-Führer, die Versicherungswirtschaft gänzlich zu verstaatlichen. Die Stimmen derer, die sich hierfür aussprachen, wurden mit Kriegsbeginn deutlich lauter und stießen bei Schmitt und seinen deutschen Managerkollegen verständlicherweise auf Widerstand (vgl. hierzu insbesondere das Kapitel »Das Versicherungswesen im System der politisierten Wirtschaft und das Wiederaufleben der Verstaatlichungsdebatte« bei Feldman, Allianz, S. 362–405). Als Exponent eines »militant antikapitalistischen Ansatz[es]« (ebd., S. 395) trat hierbei der Gauleiter Schwede-Coburg hervor, der die radikale Zerschlagung der Privatversicherungen durchzusetzen versuchte. Diese setzte Schmitt seine liberalen Vorstellungen

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wahrscheinlich auf Bitten Schmitts auf mögliche Verstaatlichungspläne des NSRegimes reagierend – für den freien Wettbewerb der Privatversicherungen im Reich.262 Seine sich mit Beginn seiner Tätigkeit vermehrenden Inlandsreisen nutzte Hamm für seine intensiven Bemühungen, mögliche Kandidaten für eine Zeit »Danach« zu erreichen.263 In Person Kurt Schmitts gelang es Sperr und Hamm indes auch, die über den »Sperr-Kreis« hinausgehenden Widerstandskontakte zu erweitern. Über Dr. Hans Walter Schmidt-Polex264, einem ehemaligen Allianz-Vorstandskollegen Schmitts, konnte ab 1939 die Verbindung zum Leiter der Abwehrstelle in Wien, Rudolf Graf von Marogna-Redwitz, hergestellt werden. Marogna-Redwitz, ein Bruder des Kabinettschefs des Kronprinzen Rupprecht, Franz von Redwitz, habe Schmidt-Polex, der Anfang des Krieges als Offizier zur Abwehrstelle nach Wien eingezogen worden war, dazu aufgefordert, »ihn mit Leuten der Wirtschaft in Verbindung zu bringen, die dem Regime feindlich und ablehnend gegenübereines im Wettbewerb stehenden und die Konkurrenz belebenden privaten Versicherungssektors entgegen. Zwischen beiden entbrannte schließlich ein Streit, der sich bis zu persönlichen Anfeindungen ausweitete (vgl. hierzu die Korrespondenz zwischen Schmitt und Schwede-Coburg in: IfZ, MA 454 sowie Bähr / Kopper, Munich Re, S. 184–190). 262 Vgl. Eduard Hamm: »Zu Aufgaben und Fragen der deutschen Privatversicherung und Angriffen gegen sie« (Manuskript), Münchener Rück, Historisches Archiv, P/111; abgedruckt ist das Manuskript bei Beßner, Eduard Hamm, Bd. II, S. 13–162. Hier findet auch eine Einordnung der Schrift statt (insbes. S. 167–170). Entsprechend Hamms eigenen politischen und wirtschaftspolitischen Überzeugungen wandte er sich entschieden gegen die Ausführungen des offenbar NS-hörigen Gutachters Klaus Wilhelm Rath und dessen Schrift »Konkurrenzsystem, Organisationsform und Wirtschaftlichkeit im V.-Wesen«, Leipzig 1942. Das Gesamtmanuskript reichte Hamm abschnittsweise zwischen dem 20. Juli 1944 und seiner Verhaftung am 2. September 1944 ein, womöglich auch, um seine Tätigkeit in den vergangenen Wochen und Monaten belegen und eine Beteiligung am Attentat abstreiten zu können (vgl. Eduard Hamm an Kurt Schmitt (Reit im Winkl, 23. Juli 1944) sowie Eduard Hamm an die Sekretärin Fräulein Weinzierl (9. August, 27. August und 31. August 1944), alle Münchener Rück, Historisches Archiv, P/111). Intensive Kontakte zwischen Schmitt und Hamm lassen sich in den Monaten Juni und Juli 1944 über Hamms Terminkalender nachweisen (vgl. Terminkalender von Eduard Hamm vom 01. Januar bis 31. August 1944, in: Beßner, Eduard Hamm, Bd. II, S. 183–185). 263 Hamm konzentrierte sich seiner politischen Erfahrung entsprechend vornehmlich auf Kontakte in die Wirtschaft, Verwaltung und Justiz (vgl. hierzu die entsprechenden Kap. VI.2. c u. VI.2.d). 264 Hans Walter Schmidt-Polex (1900 Frankfurt–1978 München), ev., Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, 1922 Dr. jur., 1924 Regierungsassessor beim Preußischen Landwirtschaftsministerium, 1931 Eintritt in die Allianz-Versicherungs-AG, 1934–37 Reichskommissar an der Berliner Börse, 1935 Entlassung aus dem Justizdienst auf eigenen Antrag, 1935–38 stellvertretendes Vorstandsmitglied der Bayerischen Versicherungsbank, Direktor und Vorstandsmitglied der Allianz in München, ab 1938 Vorstand der Allgemeinen Versicherungsgesellschaft Phönix in Wien, 1939 seit Beginn des Krieges als Offizier bei der Abwehrstelle in Wien, seit 1949 auch Vorstandsmitglied der Frankfurter VersicherungsAG, 1959 Generaldirektor der Europäischen Güter- und Reisegepäck-Versicherung AG in München (zu Schmidt-Polex vgl. diverse Stellen bei Feldman, Allianz).

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standen«.265 Schmidt-Polex will Schmitt als möglichen Kandidaten genannt und im September 1939 ein Treffen in Tiefenbrunn arrangiert haben, bei dem über die politische Lage diskutiert worden sei.266 Marogna-Redwitz fuhr angeblich sehr zufrieden zurück nach Wien.267 Ein weiteres Gespräch zwischen beiden soll dann in den folgenden Kriegsjahren im Hotel Vierjahreszeiten in München stattgefunden haben.268 Mit Beginn des Jahres 1944 nahm Schmidt-Polex schließlich im Auftrag von Marogna-Redwitz zu Franz Sperr »Fühlung in politischer Hinsicht« auf und übermittelte Nachrichten zwischen seinem Vorgesetzten und dem früheren bayerischen Gesandten. Eine letzte Besprechung zwischen Sperr und Schmidt-Polex fand offenbar Anfang Juli 1944 statt, nachdem MarognaRedwitz in der Zwischenzeit in den Stab von General Friedrich Olbricht zum Oberkommando des Heeres nach Berlin versetzt worden war. Der von SchmidtPolex überlieferte Inhalt dieses Gesprächs offenbart, dass Sperr deutlich mehr über die Aktivitäten Marogna-Redwitz wusste, als ihm hierüber durch SchmidtPolex berichtet wurde.269 Mit Kurt Schmitts schwankender Haltung gegenüber dem NS-Regime konnte sich Sperr indes nur schwer abfinden. Seiner Frau Gertraud gegenüber soll er wiederholt sein Unverständnis gegenüber Schmitts Verhältnis zum Nationalsozialismus geäußert haben.270 Aus Eitelkeit und Opportunität habe Schmitt das 265 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Hans W. Schmidt-Polex (München, 23. September 1948), StAM, SpkA K 1658: Schmitt, Kurt). Hieraus stammen auch die folgenden Zitate. 266 Schmidt-Polex konzentrierte sich dem Zweck seiner Erklärung gemäß auf Schmitts Äußerungen bei diesem Gespräch: »Dr. Schmitt ging sofort aus sich heraus und sprach sich in schärfster Weise über Ribbentrop’s Hetzen zum Krieg und die verpassten Friedensmöglichkeiten aus. Er gab seiner Empörung Ausdruck über die immer mehr sich auswirkenden Terrormassnahmen der Partei, die sich in dieser Zeit schon in Polen hinsichtlich der Liquidierung der dortigen Intelligenzschicht abzuzeichnen begannen« (ebd.). Über das Gästebuch von Tiefenbrunn ließ sich der Besuch von Schmidt-Polex und Marogna-Redwitz nicht nachweisen. Zwischen September 1939 und September 1940 liegen überhaupt keine Einträge vor. Dies lag womöglich am Ausbruch des Krieges und der Tatsache, dass Kurt Schmitt vom Tod seines Sohnes Günther in Polen am 14. September 1939 Mitteilung erhielt. So blieb der einzige Eintrag in diesem Zeitraum Anfang Oktober 1939 Franz Sperr überlassen, der bei seinem Besuch zur Hirschbrunst ein Gedicht »In memoriam« für den verstorbenen Sohn und die trauernden Eltern verfasste (vgl. »Tiefenbrunn Gästebuch« (Kopie), FHA, NL 1/180). 267 Sein Begleiter zitiert ihn mit dem Ausspruch: »Wenn nur alle unserer Wirtschaftsgrössen so viel klaren Blick hätten, wie Dr. Schmitt« (ebd.). 268 Ebd. 269 Das Gespräch zwischen Sperr und Schmidt-Polex vom Juli 1944 muss in unmittelbarem Zusammenhang zum 20. Juli 1944 und das Wissen des »Sperr-Kreises« von den Attentats­ plänen des Berliner Verschwörerkreises gesehen werden. Daher wird diesem im Kapitel »Der Sperr-Kreis und der 20. Juli 1944« besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 270 Gertraud Sperr schrieb im Juli 1946 an Schmitt: »Franz hat mir oft gesagt, daß er über Vieles mit Dir gesprochen, daß er Vieles, was Du getan, abgelehnt hat« (Gertraud Sperr an Kurt Schmitt (11. Juli 1946), FHA, NL 1/94). Die Witwe Franz Sperrs schrieb in diesem Brief – unter dem Eindruck der Trauer – vor allem ihre Enttäuschung darüber von der

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Amt des Reichswirtschaftsministers übernommen, sei nach Beitritt in Partei und SS in den Rang eines SS-Brigadeführers aufgestiegen und habe es sogar zugelassen, dass einer seiner beiden Söhne zur Leibstandarte Adolf Hitler ging. Besonders habe Sperr die Entweihung des Grabes von Schmitts Sohn Günther mit Kränzen und Schleifen von Hitler irritiert. Auch die alljährlichen Fahrten Schmitts zu Hermann Görings Geburtstag und das Aufstellen von Hitler-Bildern in seinem und seines Sohnes Zimmer habe Sperr nicht verstehen und »keinen Tag vertragen« können.271 Zu einer vollständigen Einweihung Schmitts in die Aktivitäten des »SperrKreises« dürfte es deshalb trotz der engen Verbundenheit kaum gekommen sein. Doch verfügte man in ihm – dies belegen vor allem die Tagebücher Hassells272 – Seele, dass Schmitt als besonderer Freund der Familie, nicht mehr getan habe, um ihren Mann vor seinem Schicksal zu bewahren. Nun musste sie zusätzlich erfahren, dass sie beim Spruchkammerverfahren Schmitts für diesen aussagen sollte, wozu sie sich bei allem vorher Geschehenen nicht im Stande sah. Daher sind die nachfolgend zitierten Klagen über Schmitts Haltung im »Dritten Reich«, die Gertraud Sperr aus Gesprächen mit ihrem Mann in Erinnerung blieben, zumindest in ihrer Intensität mit Vorsicht zu betrachten. 271 Ebd.  – Schmitts regelmäßige Dienstreisen nach Berlin führten ihn auch immer wieder mit hohen NS-Funktionären zusammen. Eine Teilnahme an Hermann Görings Geburtstag war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Da der Krieg der Versicherungswirtschaft gleichermaßen Chancen und Risiken bot, war es für seine Anführer wichtig, sich mit dem NS-Regime gut zu stellen. Dem »Opportunisten« Schmitt gelang dies besonders gut (so die zutreffende Einschätzung Heinz Hermann Niemöllers, dem Sohn von Martin Niemöller. Für diesen war Schmitt in den Jahren der KZ-Haft seines Vaters von 1937 bis 1945 eine Art Ersatzvater gewesen. (vgl. Interview mit Dr. Hermann Niemöller, geführt von Prof. Gerald Feldman und Barbara Eggenkämper im September 1997, FHA, NL 1/179). Schmitt hielt als Mitglied der SS auch enge Verbindung zum »Freundeskreis Heinrich Himmler« und versuchte, durch finanzielle Zuwendungen beispielsweise an den »Lebensborn e. V.« seine Einflussmöglichkeiten in Berlin zu festigen und wenn möglich auszubauen (vgl. Feldman, Allianz, S. 366). Seine Einladung an Himmler vom Sommer 1939, als sich der Ausbruch des Krieges bereits deutlich abzeichnete, ihn doch einmal auf seinem Gut Tiefenbrunn zu besuchen, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden (vgl. die Korrespondenz Schmitts mit dem Persönlichen Stab des Reichsführers SS, IfZ, MA 454). Die erst kürzlich im eigenen Firmenhistorischen Archiv erarbeitete Unternehmensgeschichte der Allianz schließt sich im Hinblick auf Kurt Schmitt weitgehend der zwiespältigen bis negativen Bewertung Feldmans an (vgl. Eggenkämper / Modert / Pretzlik, Allianz, insbes. S. 147–154). 272 Die »Hassell-Tagebücher« verdeutlichen, dass auch von Hassell Schmitts Haltung gegenüber dem NS-Regime als »nicht eindeutig« betrachtete. Schmitts Charakter erinnert hiernach an einen Opportunisten mit Hang zur Naivität. So vertraut Hassell seinem Tagebuch am 29. Dezember 1938 an, dass dieser zwar Goebbels und Heydrich für die »gefährlichsten« Parteimitglieder halte, er Himmler dagegen »nicht ganz aufgegeben« habe, da dieser »sicherlich vieles richtig« sehe. Die Berichte über die Berliner Verhältnisse, die Schmitt Hassell bei gemeinsamen Zusammenkünften übermittelte, entsprächen darüber hinaus Schmitts »so leicht beeindruckbaren Natur«, da sie »im Grunde ganz negativ« ausfielen, jedoch zwischendurch »Optimismusraketen« aufblitzten (Tagebucheinträge Hassell (Ebenhausen, 29. Dezember 1938 u. 28. Januar 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 73–75, hier S.74 bzw. S.158–163, hier S. 158).

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trotz seines frühzeitigen Rückzuges aus Hitlers Kabinett über einen wichtigen Informanten mit guten Kontakten in Berlin. Seine Münchener Rückversicherungs­ gesellschaft diente Sperr und Hamm somit nicht nur zur Tarnung ihrer Reisetätigkeit im Dienste des Widerstands. Sie entwickelte sich gleichzeitig selbst zum Ort konspirativer Aktivitäten, die Schmitt zumindest zuließ, womöglich sogar aktiv förderte. Schmitt dagegen blieb zwar als Informant und Finanzier des Widerstandes bei den führenden Köpfen des »Sperr-Kreises« gefragt, mehr jedoch nicht.273 Seine für die Widerstandsbewegung durchaus nützliche Nähe zum Regime verhinderte wohl auch seine vollständige Einweihung in ihre Pläne, sowohl in Bayern als auch im Reich.274 c) Im Auftrag des Regimes? (I) – Otto Geßlers »Stimmungsbericht« aus Süddeutschland Die Tarnung der konspirativen Reisetätigkeiten durch Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit war für Franz Sperr und Eduard Hamm offenbar deutlich leichter umzusetzen, als dies für Otto Geßler möglich war. Wie in späteren Kapi­ teln noch zu zeigen sein wird, fiel ihm im Rahmen des Widerstandskreises die Aufgabe zu, den Kontakt mit dem Ausland herzustellen. Seine guten Kontakte zu Admiral Wilhelm Canaris ebneten ihm hierfür den Weg. Geßlers Reiseberichte sollten ab 1939 den Anschein erwecken, dass er lediglich im Dienste der Abwehr Erkundigungen über die Stimmung im Ausland, insbesondere in Italien einholte.275 Was seine Aktivitäten im Inland betraf, musste er versuchen, seine Reisen gleichermaßen dem Anschein nach in den Dienst der Sache des »Dritten Reiches« zu stellen.276 Ihm war bewusst, dass er unter besonderer Beobachtung 273 Für die übrigen Gesprächspartner, mit denen Sperr und Hamm in den Räumen der Münchener Rückversicherungsgesellschaft zu tun hatten, gilt die gleiche Einordnung wie für Kurt Schmitt. Auch mit Schmidt-Polex und Alzheimer führten die Köpfe des »Sperr-Kreises« Gespräche politischer Art, die sogar manchmal auf die vage Feststellung hinausliefen, dass eine »Auffangorganisation« geschaffen werden müsse. Vgl. ähnliche Gespräche der Widerstandsgruppe mit Ulrich von Hassell, wo die »Notwendigkeit von Aufnahmestellungen« erörtert wurde (Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 13. Juli 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 98f, hier S. 98). Doch wurden diese, ebenso wie Schmitt, nicht in die Pläne des »Sperr-Kreises« eingeweiht. Auch existieren keinerlei Hinweise, dass Sperr und Hamm für Schmitt, Schmidt-Polex oder Alzheimer wichtige Posten für die Zeit »Danach« vorgesehen hätten. 274 Trotz seiner freundschaftlichen Verbundenheit zu Hassell stand Schmitt offenbar nie für einen Ministerposten im Schattenkabinett Beck / Goerdeler zur Debatte. Zumindest taucht sein Name auf den bekannten Ministerlisten nicht auf (vgl. Ministerlisten abgedr. als »Anhang IX« bei G. Ritter, Carl Goerdeler, S. 617–619). 275 Vgl. BAK, NL Geßler (N 1032) 62. 276 Vor allem in Süddeutschland reiste er viel umher und pendelte regelmäßig zwischen Lindenberg im Allgäu und München. Er reiste aber auch häufig nach Berlin. Vgl. hierzu Kap. VII.1.c.

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des Sicherheitsapparates stand.277 Er wurde vom Regime nur geduldet, so lange er sich ruhig verhielt oder er diesem dienlich erschien.278 Im Herbst 1943 brachten Geßler einige Andeutungen, die er womöglich zufällig gegenüber seinem Freund, dem Großadmiral Erich Raeder, machte, in die missliche Lage, sich gegenüber dem NS-Sicherheitsapparat rechtfertigen zu müssen. Gleichzeitig scheint ihm dies jedoch eine günstige Gelegenheit eröffnet zu haben, seine scheinbare Loyalität gegenüber dem »Dritten Reich« unter Beweis zu stellen. Ende Oktober 1943 erteilte der Reichsführer SS Heinrich Himmler dem SS-Obergruppenführer Karl Freiherr von Eberstein den Auftrag, den Reichswehrminister a. D. Otto Geßler an seinem Wohnort in Lindenberg aufzusuchen. Dieser habe gegenüber Raeder einige Andeutungen über die Stimmungslage in der süddeutschen Bevölkerung gemacht.279 Nachdem Raeder den Inhalt der Besprechung sogleich Hitler gemeldet habe, sei Himmler wiederum durch den »Führer« beauftragt worden, »Gessler einmal durch einen [s]einer Herren über seine Beobachtungen zu befragen«. Wie aus dem Schreiben Himmlers an Eberstein deutlich wird, verstanden Hitler und Himmler die Bemerkungen Geßlers keineswegs als defätistische Beobachtungen eines »Systemfeindes«. Vielmehr hatte der Bericht Raeders ihre Neugier geweckt. Man schien an Geßlers Meinung ernsthaft interessiert zu sein.280 Die Besprechung zwischen Eberstein und Geßler fand am 5. November 1943 wahrscheinlich in Lindenberg statt. Hierbei bat Eberstein den ehemaligen Reichswehrminister, seine Wahrnehmungen in einem Exposé für den Reichsführer SS zusammenzufassen.281 Über den eigentlichen Ablauf des Gesprächs ist nichts bekannt. Eberstein habe Himmler aber unverzüglich über dessen Inhalt in Kenntnis gesetzt. Eine Durchschrift seiner für Himmler bestimmten Niederschrift sandte Gessler am 18. November an Eberstein.282 277 Vgl. hierzu den nach 1945 entstandenen Briefwechsel zwischen Otto Geßler und Marie Elisabeth Lüders, BAK, NL Geßler (N 1032) 33, Bl. 60 f. 278 Dies zeigte sich besonders bei seiner Tätigkeit für die Deutsch-Österreichische-Arbeits­ gemeinschaft, die so lange geduldet wurde, wie sie den »Anschluss«-Zielen des NS-Regimes nützlich erschienen (vgl. Kap. V.2.b). 279 Heinrich Himmler an Karl Freiherr von Eberstein (27. Oktober 1943), IfZ, MA 1185. 280 Geßler sollte offenbar nicht das Gefühl bekommen, verhört zu werden. Hierfür spricht die ausdrückliche Anweisung Himmlers, Geßler »nach vorheriger Anmeldung in Lindenberg zu besuchen«. Auch die durchaus einwandfreie Beurteilung Geßlers durch Himmler zeigt, dass man von Seiten des Regimes kein unmittelbares Misstrauen gegenüber Geßler hegte. Denn dieser sei »insgesamt ja ein sehr reichstreuer und sehr positiver Mann«, so Himmler (ebd.). Die im Vergleich zu früheren Jahren positive Einschätzung Geßlers von Seiten der NS-Führung lässt sich nur dadurch erklären, dass Geßler seit dem erzwungenen Ende der DÖAG 1938 sich aus der Öffentlichkeit vollkommen zurückgezogen hatte. Außerdem dürfte Himmler Geßlers Reisetätigkeit im Dienste der Abwehr bekannt gewesen sein und er dessen Reiseberichte als wertvoll erachtet haben. 281 Dieses soll Himmler etwa Mitte November 1943 zugegangen sein (vgl. Karl Freiherr von Eberstein an Rudolf Brandt (7. Januar 1944), IfZ, MA 1185). 282 Vgl. Otto Geßler an Karl Freiherr von Eberstein (18. November 1943), IfZ, MA 1185.

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Der 8-seitige titellose »Stimmungsbericht«283, den Geßler selbst in seinem Anschreiben als »Aufzeichnung über d[ie] Eindrücke u[nd] Beobachtungen« bezeichnete, »die ich in meiner eigenen Heimat über die Stimmung in der Bevölkerung gemacht habe«284, lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen. In der ersten Hälfte seiner Ausführungen wies Geßler auf die »Kriegsmüdigkeit« und »Friedenssehnsucht« weiter Teile der süddeutschen Bevölkerung als Tatsache ebenso hin wie auf die pessimistische Ansicht vieler Landsleute, dass der Krieg verloren und aussichtslos sei. Da die bisherige Propaganda bis dato nicht in der Lage gewesen sei, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, machte Geßler in der zweiten Hälfte seines »Stimmungsberichts« Vorschläge, wie die deutsche Propaganda mit dieser neuen Situation umgehen könne und müsse, um diese Stimmung letztendlich wirksam ummünzen zu können. Die »Krise der Volksmoral«285, die Geßler auszumachen glaubte, basiere im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg nicht auf ideologischen Grundlagen. Es werde nicht wie 1918 der militärische Zusammenbruch Deutschlands »in der Annahme und Hoffnung« gewünscht, »die eigenen politischen Ziele zu erreichen«.286 Die Konsequenzen des verlorenen Weltkrieges hätten sich zu tief in das Gedächtnis vor allem der älteren Generation eingebrannt. Das Kernproblem sah Geßler vielmehr in der sich ausbreitenden Ansicht, »dass auch der gegenwärtige Krieg allmählich über unsere Kraft geht und wir deshalb über kurz oder lang wieder der Uebermacht erliegen«.287 Hinzu komme, dass eigene Erfolge im Felde angezweifelt würden, wobei »die feindliche Propaganda durch Radio und Flugzettel eine grosse Rolle« spielten.288 Hierbei verwies Geßler auf eine Besonderheit der südlichen, ländlichen Bevölkerung des Reiches: »Die Menschen sind hier zu Lande stärker als in den vielen Großstädten, besonders des Nordens, Tatsachenmenschen, die sich ihren ›Vers selbst machen wollen‹ und misstrauisch sind, wenn man ihnen etwas ›einzureden‹ versucht.«289 Jede Propaganda müsse daher zwangsläufig ins Leere laufen, wenn sie weiterhin bloß auf »Schlagworte des Kampfes gegen die Plutokraten oder den Bolschewismus« zurückgreife oder vom »Kampf um die Neuordnung Europas« spreche und dabei missachte, dass sich die Auffassung durchgesetzt habe, »dass der Kampf verloren und aussichtslos« sei. Mit dieser Einstellung, so Geßler 283 Anlage zum Schreiben Otto Geßlers an Karl Freiherr von Eberstein [künftig: Geßler: »Stimmungsbericht«, S. 1–8] (18. November 1943), IfZ, MA 1185. 284 Otto Geßler an Karl Freiherr von Eberstein (18. November 1943), IfZ, MA 1185. 285 Geßler: »Stimmungsbericht«, S. 1, IfZ, MA 1185. Moral definierte Geßler in diesem Zusammenhang als den »Wille[n] Gut und Blut für das Vaterland zu opfern« (ebd.). 286 Geßler hierzu weiter: »Ich glaube nicht, dass die Zahl derjenigen groß ist, die aus fana­ tischer Opposition gegen den nationalsozialistischen Staat eine Niederlage Deutschlands wünschen« (ebd., S. 2). 287 Ebd., S. 2. 288 Ebd., S. 3. Insgesamt habe »die Glaubwürdigkeit der feindlichen Propaganda sehr gewonnen«, so Geßler (ebd., S. 3). 289 Ebd., S. 4.

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weiter, müsse sich die Propaganda »sowohl in der Presse wie im Radio und in Versammlungen« mehr auseinandersetzen. Oberstes Ziel im Radio müsse die Bekämpfung der feindlichen Propaganda sein, wobei Geßler empfahl, »möglichst viele Einzelbehauptungen ohne viel moralische Glossen zurück[zu]weisen […]. Je mehr hier Einzelheiten geboten werden umso wirksamer«.290 Für Versammlungen regte Geßler den Ersatz einer Reihe von Propagandarednern an, die »sich durch ihre bisherige Tätigkeit verbraucht« hätten, etwa durch kriegsgeschädigte Frontkämpfer, die »aus eigenen Anschauungen die besonderen Verhältnisse des modernen Kriegs in Russland und Afrika schildern« könnten. Zusätzlich schlug er vor, dem Auditorium die Möglichkeit zu bieten, »diese oder jene Frage zu stellen«. Ein großes Übel sah Geßler letztlich in der Verklärung der »russischen Gefahr« vor allem durch Bombengeschädigte, die sich momentan durch Tauschhandel über Wasser hielten und »sich nicht auf die Zukunft vertrösten« ließen. Diese versuchten, sich »die Schrecken des bolschewistischen Regime[s] […] möglichst auszureden«, indem »auf die ungeheuren Leistungen Russlands in diesem Kriege« verwiesen werde: »Es könne deshalb nicht so schlimm sein«, höre man nicht selten. Andere würden – das »bolschewistische Chaos« befürchtend – auf das kleinere Übel hoffen, nämlich auf Engländer und Amerikaner, »die auch keine Wilden seien«.291 Auch Anhänger des Aufgehens Süddeutschlands in einer Donaumonarchie seien vereinzelt vorhanden. Alle diese die Existenz des Reiches gefährdenden Optionen würden innerhalb der süddeutschen Bevölkerung diskutiert.292 Dem müsse entschieden entgegengewirkt werden, indem beispielsweise an die Geschichte der Besatzungszeit erinnert werde, als »sich neben den Franzosen besonders die Amerikaner« übel benommen hätten.293 Zum Schluss wies Geßler darauf hin, dass die derzeitige Stimmung »wesentlich durch die derzeitige Kriegslage bedingt« sei. Sobald diese sich jedoch »wieder zu unseren Gunsten befestigt« habe, so Geßler, werde sie »rasch ihren gefährlichen Charakters entkleidet sein«. Wie ist der »Stimmungsbericht« Geßlers nun zu bewerten? Führt dieser alle noch folgenden Ausführungen über dessen Rolle innerhalb des bayerischen »Sperr-Kreises« ad absurdum? War er in Wahrheit ein Verbündeter des NSRegimes oder leiteten ihn andere Motive? In seinem Anschreiben an Eberstein sicherte sich Geßler bereits doppelt ab, indem er einerseits seine unpolitische, objektive Haltung bekräftigte und sich andererseits eindeutig von der Stimmungslage in seiner Heimat distanzierte. Er wies ausdrücklich auf seine Absicht hin, in seinem Bericht »nur den Tatbestand festzustellen« und sich dabei »selbstverständlich jeden Kommentars zu enthal290 Ebd., S. 5 f. 291 Ebd., S. 7. 292 Diese Tendenz bedauerte Geßler ausdrücklich: »Es ist schmerzlich zu sehen, wie fatalistisch die Absicht der Gegner, das Reich zu zerschlagen, hingenommen wird« (ebd., S. 7). 293 Ebd., S. 7 f.

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ten«. Dieser Bekundung fügte er noch seine Versicherung hinzu, dass er selbst »dieser Stimmung immer in jeder Weise entgegentrete«.294 Während Geßler zu Beginn seiner Ausführungen dem selbstgesteckten Ziel einer sachlichen Lagebeurteilung gerecht wurde, lassen es seine anschließenden Vorschläge für eine effektivere deutsche Propaganda kaum zu, seine Ausführungen als »Stimmungsbericht« zu klassifizieren. Zu diesem Zeitpunkt begann sich vor allem im Osten der Krieg deutlich gegen Hitler-Deutschland zu wenden.295 Diese Lage ließ auch einen seit jeher für die Lebensinteressen des deutschen Volkes eintretenden Geßler nicht kalt. Auch die Heimat wurde bereits vom Bombenkrieg heimgesucht. In dieser Situation sprach sich Geßler nicht für weitere Lügen, Beschönigungen und bewusstes Verschweigen in Presse, Radio und Versammlungen aus und distanzierte sich damit deutlich von der herkömmlichen Propaganda, die das eigene Volk im Unklaren ließ und auf Irreführung und Durchhalteparolen setzte. Vielmehr plädierte er dafür, diesen Ansatz grundsätzlich zu überdenken. Seine Vorschläge gingen dahin, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, sich ihrer Sorgen und Empfindungen ernsthaft anzunehmen, um dadurch verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Doch ging Geßler mit seinen Empfehlungen nicht eigentlich zu weit? Konnte ihre Umsetzung von den NS-Machthabern ernsthaft in Erwägung gezogen werden? Um nur einmal seine Ratschläge für eine Neubelebung der Versammlungen aufzunehmen: Kriegsversehrte als Redner und Nachfragen der Zuhörerschaft zuzulassen. Geßlers Absicht war, beides möglichst nachvollziehbar und sachlich als für die künftige deutsche Propaganda nützliche und vertrauensbildende Elemente zu verkaufen. Dahinter verbarg sich jedoch nicht weniger als das Auf­ weichen des bisherigen Prinzips, eine kritische Öffentlichkeit durch bewusste Abschottung von der Außenwelt zu unterbinden. Die als Ausweg aus der »Krise der Volksmoral« gepriesenen, freiheitlichen Gedanken widersprachen grundsätzlich der auf Unterdrückung von Informationen und andersartigen Meinungen basierenden NS-Diktatur. Der umfassend informierte, kritische Volksgenosse konnte nicht im Interesse Hitlers liegen, vor allem nicht Ende 1943, als von der Ostfront ohnehin nur noch wenige positive Nachrichten zu vermelden waren. Dass »kriegsbeschädigte Frontkämpfer« ein positiveres Bild von der Ostfront hätten zeichnen können, ist kaum anzunehmen. Doch genau dies versuchte Geßler den Adressaten seiner Aufzeichnung nahezubringen.296 294 Otto Geßler an Karl Freiherr von Eberstein (18. November 1943), IfZ, MA 1185. 295 Die Lage im Osten wurde auch von der NS-Führungsriege intern als äußerst bedrohlich wahrgenommen. Joseph Goebbels diktierte am 15. November 1943 für sein Tagebuch: »Man macht sich doch jetzt ernsthaft Sorge um die Ostlage. Wohin soll das auf die Dauer führen! Die Sowjets haben Reserven zur Verfügung, von denen wir selbst bei realistischer Betrachtung ihrer Möglichkeiten keine Ahnung gehabt haben« (Tagebücher Goebbels, Teil II, Bd. 10, S. 295). 296 Diese könnten glaubhafter als die bisherigen Propagandaredner darlegen, »dass Raumverlust hier [in Russland und Afrika] bei weitem nicht das bedeutet, wie bei uns« (Geßler: »Stimmungsbericht«, S. 6, IfZ, MA 1185).

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Die Wirkung, die der Besuch des hohen SS-Führers Eberstein in Lindenberg auf Geßler erzielte, darf darüber hinaus nicht unterschätzt werden. War die Absicht Himmlers zwar ausdrücklich nicht, Geßler in irgendeiner Weise einzuschüchtern, ergab sich für den früheren Reichswehrminister sehr wohl eine Drucksituation. Zumindest zeigen seine im Anschreiben verkündeten Rechtfertigungen und Loyalitätsbekundungen deutlich, dass er sich selbst keinesfalls sicher war, wie das Regime seine politische Gesinnung seit 1933 beurteilte. Es kann daher kaum die Rede davon sein, dass Geßler diesen »Stimmungsbericht« aus freien Stücken für Himmler anfertigte. Vielmehr scheint er sich selbst durch seine unvorsichtigen, aber im Vertrauen getätigten Äußerungen gegenüber Großadmiral Raeder in eine brenzlige Situation gebracht zu haben, die er allerdings dann versuchte, für seine Zwecke zu nutzen. Eine weitere Variante wäre möglich: Nach dem 20. Juli 1944 wurde Geßler im Gefängnis offenbar zu seinen »Stimmungsbericht« verhört. Hier gelang es ihm, sich mit dessen Hilfe zu rechtfertigen, so dass aus heutiger Sicht der Eindruck entsteht, Geßler habe den Bericht im November 1943 auch angefertigt, um im Falle einer Verhaftung etwas für seine Verteidigung in der Hand zu haben.297 In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 stand der »Sperr-Kreis« in engem Austausch mit dem »Kreisauer Kreis« und war – wie sich noch zeigen wird – über mögliche Umsturzpläne im Bilde. Mit seinem »Stimmungsbericht« könnte sich Geßler somit auch für den Fall eines missglückten Umsturzversuches abgesichert haben. Wenngleich Inhalt und Adressat des »Stimmungsberichts« auf den ersten Blick misstrauisch machen, so kann diese Aufzeichnung in Anbetracht ihres Entstehungshintergrunds und in Hinblick auf die Absichten und Vorschläge dem Verfassser nicht eindeutig zur Last gelegt werden.298 Auch an der Bewertung von Geßlers Rolle im Widerstand gegen Hitler, die im Folgenden thematisiert 297 Geßler ging im Gefängnis in einer schriftlichen Erkärung seiner Haltung und Tätigkeit im »Dritten Reich« auf die »Kriegsmüdigkeit« im deutschen Volk ein, auf die er seinen Freund, den Großadmiral Raeder, aufmerksam gemacht habe (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 396–398, sowie ausführlich hierzu das Kap. VIII.5.b). 298 Der »Stimmungsbericht« stand natürlich auch nach 1945 im Mittelpunkt des Interesses des Bayerischen Landesentschädigungsamts (LEA). Dort hatte Geßler im Juli 1954 »Antrag auf Entschädigung für entstandene Schäden und entgangene Versorgungsbezüge« gestellt (Antrag auf Wiedergutmachung (München, 24. Juli 1954) BayHStA, LEA 1190). Nachdem vom Berlin Document Center (BDC) Kopien des Stimmungsberichts nach München versandt worden waren, war der zuständige Sachbearbeiter des LEA zunächst davon überzeugt, dass Geßler mit seinen »propagandistische[n] Vorschläge[n] […] eine Vorschubleistung im Sinne des § 1 Abs. 4 BEG« begangen habe, was zur Ablehnung des Entschädigungsantrages zwinge[…]« (Regierungsamtmann Sachgebiet II/9 an Präsident des LEA (18. April 1956), BayHStA, LEA 1190). War der Päsident des LEA nach mündlicher Auskunft des BDC zunächst von Geßlers Schuld überzeugt, bewertete er nach Durchsicht der Kopien diese ausdrücklich »nicht mehr als Vorschubleistung im Sinne des § 1 Abs. 4 BEG«, womit das Verfahren abgeschlossen war (Präsident an Sachgebiert II/9 (11. Mai 1956), BayHStA, LEA 1190).

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wird, ändert sie nichts. Auch wenn Geßler den »Stimmungsbericht« zur eigenen Tarnung gegenüber eventuellen Nachstellungen des NS-Regimes anfertigte und er zu diesem Zeitpunkt gewiss noch auf einen für Deutschland akzeptablen Kriegsausgang hoffte, kann die Existenz dieses »Stimmungsberichts« kaum die Vermutung stützen, dass Geßler im »Dritten Reich« ein »Doppelspiel« getrieben haben könnte.299

299 So jedoch Scholtyseck, Bosch, S. 320, der dies vor dem Hintergrund weiterer Unstimmigkeiten in Bezug auf Geßlers Handeln im »Dritten Reich« vermutete. Auf Geßlers Auslandsreisen 1939/40 wird in Kap. VII.1 genauer eingegangen.

VI. Der »Sperr-Kreis« – Aufbau und Wirken, Ziele und Struktur einer »Auffangorganisation« 1934 bis 1944

Die in dieser Arbeit bislang näher beleuchteten Persönlichkeiten nahmen den Übergang von der Demokratie zur Diktatur sowie die Entwicklung des »Dritten Reiches« mit Besorgnis und innerer Ablehnung zur Kenntnis. Für sie, die nun am Rande der »Volksgemeinschaft« standen, stellte sich die Frage, wie sie an­ gesichts dieser persönlichen Situation Einfluss auf die politische Entwicklung in Berlin nehmen konnten. Es wurde bereits verdeutlicht, dass bloßes Abwarten für sie, die das Gestalten der Gesellschaft gewohnt waren, keine Option war. Doch scheiterten auch alle Versuche, das System von innen her positiv beeinflussen zu können. Der Entschluss, sich im Verborgenen für den Fall eines fest angenommenen Scheiterns des NS-Regimes bereit zu halten und mit Gleichgesinnten eine Zeit »Danach« zu planen, dürfte daher spätestens gefallen sein, als der bayerische Kronprinz Rupprecht zunächst Sperr und Geßler, wenig später auch Hamm, zu sich holte und den Anstoß hierzu gab. Speziell auf Rupprechts Anregung war auch die Beschränkung auf das Land Bayern zurückzuführen, in dessen Diensten seine drei Gesprächspartner über Jahre hinweg standen und dem sie sich nach wie vor eng verbunden fühlten. Obwohl sich Sperr, Geßler und Hamm bereits seit längerem kannten, war es wohl die Initiative Rupprechts, die sie in diesen frühen Jahren des »Dritten Reiches« in München erst zu einer Gruppe werden ließ. Das Konzept der Planung einer »Auffangorganisation« lag aufgrund ihrer eingeschränkten Handlungsspielräume auf der Hand. Da sie ihre Überwachung befürchteten, musste eine »Auffangorganisation« für seine Mitglieder einen auf den ersten Blick unverfänglichen Charakter besitzen.1 In den Jahren nach 1 Woher der Begriff »Auffangorganisation« ursprünglich stammt, ist ungewiss. Auch andere Widerstandsgruppen nutzten ihn, unter anderem mit dem Ziel, ihre Widerstandstätigkeit zu verharmlosen. Der Münchener Rechtsanwalt Adolf Freiherr von Harnier sprach im Verhör 1939 ganz offen von seiner Gruppe als »Auffangorganisation«, »die bei einem Zusammenbruch des Reiches ihre Mitglieder lediglich zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zum Schutze vor dem Bolschewismus einsetzen würde« (»Die illegale monarchistische Bewegung in Bayern« von Regierungsrat Weintz (Oktober 1939), S. 89, StadtAM, Polizeidirektion 1098). Der Kommentar des Untersuchungsbeamten bestritt jedoch entschieden den legalen Charakter einer solchen Organisation und sah hierin vielmehr Hochverrat: »Frhr. von Harnier und alle übrigen Beschuldigten wussten genau, dass das Dritte Reich so fest und gesichert dasteht, dass sich Revolten wie 1918/19 nie mehr wiederholen können. […] Als Jurist klammerte er sich offenbar an eine veraltete Rechtsprechung, die Hochverrat dann verneinte, wenn lediglich Bestrebungen zur Abwehr eines künftigen Angriffes auf die Staatsgewalt vorlagen oder vorgeschützt wurden. Da hier die Zwecklüge so offensichtlich ist, bildet sie für sich ebenfalls

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Der »Sperr-Kreis« – Aufbau und Wirken, Ziele und Struktur

1918/19 hatten sie Verantwortung für Reich und Bayern übernommen und sich stets bemüht die Weimarer Republik zu stabilisieren und gegen extremistische Angriffe von rechts und links zu verteidigen. Dies war aus ihrer Sicht so schwierig und letztlich erfolglos, weil bereits vor ihrer Gründung schwere Fehler begangen wurden. Eine »wehrhafte Demokratie« im heutigen Sinne war die Weimarer Republik nie und konnte es aufgrund der wenig vorausschauenden Politik gegen Ende des Kaiserreiches auch nicht werden. Die »historische Schuld«2 des Bürgertums, in die man nicht erneut verfallen wollte und durfte, war – wie noch eingehender zu zeigen sein wird – eine der Triebkräfte in der Gründungsphase des »Sperr-Kreises«. Die Ausbreitung des Kreises erfolgte schrittweise. Man war sich darüber im klaren, dass die »Auffangorganisation« auf einer breiten thematischen Grundlage geschaffen werden musste, um in allen Bereichen des öffentlichen Lebens nach erfolgtem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« aktiv werden zu können. Eine Aufgabenverteilung sollte diesem Grundgedanken Rechnung tragen. Obwohl man sich nicht in der Lage sah, einen Umsturz in Berlin aktiv vorzubereiten oder voranzutreiben3, suchte man dennoch für den Fall eines Umsturzes oder Zusammenbruchs des NS-Regimes bewusst den Kontakt zu Militärs in den bayerischen Wehrkreisen, um einen möglichen Umsturz in Berlin auch in Bayern zumindest durchsetzen zu können. Da aber auch ein Umsturz in Berlin bei gleichzeitigem Stillhalten in der Region nicht zum Erfolg führen konnte, be-

ein Beweismittel für das tatsächliche Vorhandensein hochverräterischer Absichten« (ebd., S. 90 f.). Ob der »Sperr-Kreis« von ähnlichen Annahmen ausging, ist nicht überliefert. Mit Hamm und Geßler sowie später dem Augsburger Rechtsanwalt Franz Reisert zählten jedoch hervorragende Juristen zum Kreis, weshalb möglicherweise ähnliche Gedankengänge hinsichtlich der schützenden Funktion des Konzepts der »Auffangorganisation« vorherrschten, die allerdings – dies zeigt der Fall »Harnier-Kreis« – ein Trugschluss waren. 2 Vgl. hierzu das Kap. III.2. 3 Geßler hielt dies nach dem Krieg wie folgt fest: »Sie [die Mitglieder des »Sperr-Kreises«: d. Vf.] waren allerdings der Überzeugung, dass nur die Beseitigung Hitlers und seiner nächsten Mitarbeiter eine Änderung der äüßeren- und innenpolitischen Lage ermögliche. Wie die Beseitigung erfolgen könne, stand außerhalb ihrer Erwägungen; sie konnten sich schon wegen der ständigen Überwachung und auch wegen der persönlichen und räumlichen Stellung am Rande des Geschehens darauf keinen Einfluss nehmen. Ihre Tätigkeit war deshalb rein hypothetisch« (Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5). Winfried Becker geht dagegen auf Grundlage von retrospektiven Erinnerungen Ernst Meiers davon aus, dass es zwischen Sperr und Geßler zu Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung des Kreises gekommen sei. Sperr habe früh die Notwendigkeit aktiver Umsturzbemühungen erkannt. Geßler dagegen habe an der Konzeption des »Sperr-Kreises« als »Auffangorganisation« festgehalten (Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 104 u. 144). Geßlers nachträgliche Beschreibung der Handlungsspielräume und Handlungen des »Sperr-Kreises« dürfte aber auch Sperr unterschrieben haben. Im Folgenden wird dargelegt, dass unter anderem die Kontakte mit Offizieren in den bayerischen Wehrkreisen in erster Linie der Durchsetzung eines in Berlin erfolgten Umsturzes in Bayern dienen sollten.

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teiligte man sich im erweiterten Sinne doch aktiv an den Vorbereitungen eines Umsturzes im gesamten Reichsgebiet.4 Gleichzeitig war man sich darüber im Klaren, dass eine bloße Fokussierung auf die bayerische Landeshauptstadt nicht für eine erfolgreiche Verhinderung chaotischer Zustände in ganz Bayern ausreichen würde. Daher ging man zeitgleich dazu über, in den einzelnen Regierungsbezirken Bayerns Vertrauensmänner anzuwerben, die ihrerseits vor Ort für die notwendigen Kontakte sorgen und Widerstandszellen aufbauen sollten. Diese »Stützpunkte der Bewegung« sollte vor allem Ernst Meier im Auftrag Sperrs einrichten sowie »für ihre Besetzung geeignete Vertrauensleute ausfindig […] machen«.5 Meier, den Sperr als seine »rechte Hand« bezeichnet haben soll6, verstand sich in der Tat als eine solche und sollte ab 1942/43 Sperr eine Vielzahl an Vertrauensleuten überwiegend in den südbayerischen Regierungsbezirken und Großstätten vorschlagen und in ihre Aufgaben einweisen. Im Folgenden wird auf diesen hier kurz angeschnittenen Auf- und Ausbau des »Sperr-Kreises« ausführlich eingegangen und insbesondere den einzelnen Mitgliedern des Kreises Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Rekonstruktion der Widerstandsgruppe wird am Ende dieses Hauptkapitels zu einer Struktur­analyse führen. Mit deren Hilfe sollen letztlich wichtige Fragen beantwortet werden, etwa die, ob der Kreis von seinem Aufbau her die Voraussetzungen aufwies, um die sich selbst gesteckten Ziele erfüllen zu können. Auch ermöglicht das Wissen der soziokulturellen Zusammensetzung des Kreises die Vergleichbarkeit mit anderen Widerstandskreisen.

1. »Beratertätigkeit« für Kronprinz Rupprecht von Bayern 1934 bis 1939 Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Bayern am 9. März 1933 konfrontierte den bayerischen Kronprinzen Rupprecht mit der Grundsatzfrage, wie er sich den neuen Machthabern gegenüber verhalten sollte. Eine Anbiederung, wie sie ihm der preußische Kronprinz vormachte7, kam in seinen Augen einer

4 In diesem Zusammenhang sind auch die Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen einzuordnen (vgl. Hauptkap. VIII). 5 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Ernst Meier für Gabriel Brandl (Neumarkt Opf., 28. Juli 1946), StAM, SpkA K 2847: Brandl, Gabriel. 6 Vgl. ebd. 7 Kronprinz Wilhelm von Preußen (1882 in Potsdam–1951 in Hechingen), der älteste Sohn des letzten deutschen Kaisers, protegierte Hitler seit Mitte der 1920er Jahre. Im April 1932 beschwerte er sich bei Reichswehrminister Wilhelm Groener über das Verbot von SA und SS und bezeichnete den Nationalsozialismus in einem Schreiben an den »Führer« vom September 1932 als »so wundervolle Bewegung« (zit. n. Malinowski, Vom König zum Führer, S. 227).

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Unterwerfung gleich.8 Ging er zu sehr auf Distanz, riskierte er wohlmöglich eine Aktion gegen seine Familie, sein Hab und Gut und sich selbst. Daher entschloss er sich, vorerst eine abwartende und neutrale Haltung einzunehmen. Ein Treffen mit Hitler hatte er bereits im Sommer 1932 nicht grundsätzlich abgelehnt – doch müsse dieser zu ihm kommen, nicht er zu ihm.9 Eine Personalentscheidung, die für die weitere Entwicklung von maßgeblicher Bedeutung sein sollte, musste Rupprecht angesichts des veränderten Status-quo allerdings doch treffen. Im November 1933 entließ er seinen langjährigen Kabinettschef, Graf Soden, der für ihn nach Lage der Dinge zu einer »Belastung« geworden sei.10 Ersetzt wurde dieser durch Franz Freiherr von Redwitz.11 Die starken Spannungen innerhalb der NSDAP, die sich im Laufe des Jahres 1933 intensivieren und 1934 immer deutlicher zu Tage treten sollten, sowie der Machtkampf zwischen SA und Reichswehr um die Militärhoheit im Reich, der im »Röhm-Putsch« Ende Juni 1934 gipfeln sollte12, beobachtete der bayerische Kronprinz aufmerksam. Obwohl er das »Dritte Reich« schon Mitte Februar 1933 auf eine »verderbliche Katastrophe« zusteuern sah, ging er noch davon aus, dass 8 Noch vor der »Machtergreifung« war bei einem Treffen mit dem deutschen Kronprinzen Ende November 1932 dieser unterschiedliche Ansatz im Umgang mit dem Nationalsozialismus vollends deutlich geworden. Rupprecht hatte hierzu in sein Tagebuch notiert: »Dass er den Leuten nachläuft, anstatt sie an sich herankommen zu lassen, ist ein taktischer Fehler […].« Auf Wilhelms Wunsch, die Nationalsozialisten »als stärkste Partei zeigen zu lassen, was sie könnten«, habe Rupprecht entgegnet: »Dies wäre ja ganz recht, […] wenn sie nicht eingestandenermassen eine Gewaltherrschaft und die völlige Unterdrückung aller Andersgesinnten erstrebten« (GHA, AA KPR (30. November 1932), Mappe 14, S. 201). 9 Vgl. Rupprechts Erklärung seiner Haltung gegenüber dem Generaldirektor Kurt Schmitt (GHA, AA KPR (14. Juli 1932), Mappe 14, S. 87). 10 Rupprecht rechtfertigte diesen Entschluss folgendermaßen: »Charakterlich einwandfrei und mir treu ergeben, bildet er [Soden] dennoch für mich eine Belastung, insofern er sowohl bei den Deutschnationalen, wie den Nationalsocialisten als Anhänger der bayerischen Volkspartei, ja des Zentrums gilt und von beiden mit Argwohn betrachtet wird. Er ist von nervöser Geschäftigkeit, verliert sich leicht in Kleinkram und ist in der Sprache unvorsichtig. Seiner Abscheu gegen die nationalsocialistischen Methoden gab er zu offenherzigen Ausdruck.« (GHA, AA KPR (6. November 1933), Mappe 16, S. 233 f.; vgl. auch Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 284 f.) 11 Franz Freiherr von Redwitz (1888 in München–1963 in München), kath., 1909–10 Militärakademie München, Studium der Volkswirtschaft an der Universität und Handelshochschule München, 1910 Leutnant, 1915 Oberleutnant, 1916–19 Persönlicher Adjutant von Kronprinz Rupprecht, 1918 Rittmeister, 1920 Rittmeister a. D., 1922 Hofmarschall, 1933 Kabinettschef des Kronprinzen Rupprecht, 1940 Einzug zur Wehrmacht, Leiter der Abteilung für Wehrersatz im Wehrkreis VII (München), gegen Kriegsende aus der Wehrmacht ausgestoßen, 1945 Mitbegründer der Bayerischen Heimat- und Königspartei, 1950 Chef der Haus- und Vermögensverwaltung des Hauses Wittelsbach, später Vorsitzender des Wittelsbacher Ausgleichfonds, 1955–58 Präsident der Kanzlei und Verwaltung des Herzogs Albrecht von Bayern (zu Redwitz vgl. die Unterlagen in seinem Nachlass im GHA München sowie Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern). 12 Zum Machtkampf zwischen Reichswehr und SA in den Jahren 1933/34 vgl. Fallois, Kalkül.

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bis dahin »freilich noch etliche Jahre vergehen« würden.13 Mitte Juni 1933 nahm er bereits erste Anzeichen dafür wahr, dass Hitler  – gleich »dem Zauberlehrling mit dem Besen« – seine Partei und die SA nicht mehr im Griff habe: »Seine Unterführer gehorchen nicht mehr und tun was sie wollen«, notierte er in sein Tagebuch.14 Dem Kronprinzen waren zuvor Informationen zugegangen, wonach »in Stadt und Land lokale Tyrannen« entstünden, denen »das Handwerk zu legen, es höchste Zeit wäre«.15 Diese pessimistische Beurteilung der Zukunft des NS-Regimes sollte sich bis Januar 1934 weiter verschärfen. Spätestens als ihm »ein Herr, der ein hohes Reichsamt«16 inne habe und »seit Jahren die Dinge genau« beobachte, »im strengsten Vertrauen« mitteilte, »dass die nationalsocialistische Herrschaft keinen langen Bestand haben könne«, ging auch Rupprecht vom baldigen Zusammenbruch des »Dritten Reiches« aus. Aus anderer Quelle waren ihm zudem »zunehmende Zwistigkeiten« innerhalb der NSDAP berichtet worden, die vor allem zwischen alten Parteikämpfern und jüngeren Mitgliedern bestünden. Sogar an der Parteispitze sei man sich in vielen Punkten uneinig, wobei insbesondere ein Gegensatz zwischen Goebbels und Göring existiere. Über die meisten Anhänger in den eigenen Reihen verfüge – so Rupprecht in seinem Tagebuch – der Stabschef der SA, Ernst Röhm, der aber auch nicht unumstritten sei.17 Der bayerische Kronprinz erblickte also um die Jahreswende 1933/34 eine sich intensivierende Lagerbildung innerhalb der NSDAP, die mit einer Schwächung der Führungsrolle Hitlers und einem Abdriften von Partei und SA nach links einhergehe.18 13 GHA, AA KPR (12. Februar 1933), Mappe 15, S. 43. 14 GHA, AA KPR (20. Juni 1933), Mappe 16, S. 129. Der Vergleich Hitlers mit dem hochmütigen Protagonisten aus Goethes gleichnamigem Gedicht verdeutlicht Rupprechts Sicht auf den »Führer« und schien ihm in jenen Tagen besonders passend. Es deckt sich mit Rupprechts Ansicht, dass er keinen Grund dafür sehe, Hitler durch einen Besuch die Ehre zu erweisen. 15 GHA, AA KPR (20. Juni 1933), Mappe 16, S. 130. Rupprecht berichtet anschließend von einem ungeheuerlichen Ereignis, das sich kurz zuvor angeblich im Braunen Haus zugetragen haben soll, wonach Hitler »verschiedene seiner Genossen bei einem Saufgelage« erwischt und »in einem Wutanfall das Tischtuch mit allem, was darauf stand, heruntergerissen und mit dem bayerischen Innenminister Wagner, einem notorischen Säufer eine scharfe Auseinandersetzung gehabt« habe (ebd). 16 Während Rupprecht 1933 seinem Tagebuch noch ohne Umschweife die Namen seiner Gesprächspartner anvertraute, schien er nun bereits davon auszugehen, dass diese eines Tages konfisziert werden könnten. Daher vermied er es von nun an, seine Informanten konkret zu benennen. Wer der erwähnte Mann aus Berlin war, konnte nicht festgestellt werden. 17 GHA, AA KPR (4. Januar 1934), Mappe 17, S. 1. Ein paar Tage später vermerkte Rupprecht: »Fortgesetzte Gerüchte über Uneinigkeit und Streitigkeiten in der nationalsocialistischen Partei. Hitler soll einen äußerst nervösen Eindruck machen und schlecht aussehen« (GHA, AA KPR (8. Januar 1934), Mappe 17, S. 5). 18 Auf der einen Seite stand Rupprechts Sicht auf Hitler, dem es in seinen Augen »an der nötigen Energie« fehle. Er fürchte sogar Goebbels, der auf der anderen Seite mit Ley und Darré die Linke der Partei darstelle, die »als nahezu bolschewistisch« bezeichnet werden könne. Rupprecht notierte: »Immer klarer wird der Zug nach links!« (GHA, AA KPR (20. Januar

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Ganz offensichtlich fürchtete Rupprecht eine »zweite Revolution«, die von der SA nun immer lautstarker gefordert wurde.19 Der Kronprinz suchte daher über seinen Kabinettschef von Redwitz den Kontakt zu Ernst Röhm. Tatsächlich habe der Stabschef der SA gegenüber Redwitz seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, bis zum Oktober 1934 »mit der Säuberung der SA fertig zu werden«.20 Eine solche »Säuberung« hielt auch Rupprecht für notwendig. Daher bedauerte er es Anfang März, dass »noch immer keine Sichtung vorgenommen worden« sei und sich in den Reihen der SA »immer noch sehr viele verkappte Kommunisten« befänden.21 Es sei nun sogar schon so weit, dass der Chef des Wehrmachtamtes, General Walter von Reichenau, in einem Gespräch angedeutet habe, »dass die Reichswehr unter Umständen Hitler davor schützen« müsse, »dass er – nicht von der SA – nein vom Volke gehängt« werde.22 Die SA – ursprünglich für Hitler ein wichtiges Element der Machtübernahme und -sicherung  – sei nunmehr, nach Meinung Rupprechts, einerseits Garant, gleichzeitig jedoch auch Gefahr für den Fortbestand des Regimes. Rupprecht sah 1934), Mappe 17, S. 20). Der Kronprinz erfuhr später sogar von einem Programm, welches die »Linken« um Goebbels ausgearbeitet hätten, welches »die Beschlagnahme der Reichswehr als Parteiinstrument« vorsehe, »ferner die Verstaatlichung der Großindustrie, die Beibehaltung der republikanischen Staatsform unter Unterdrückung aller monarchistisch Gesinnten und eine Erzwingung des Anschlusses Oesterreichs an das Reich« (GHA, AA KPR (1. März 1934), Mappe 17, S. 79). Diesen starken linken Flügel machte Rupprecht dafür verantwortlich, dass ein gesteigerter Antimonarchismus die NSDAP bestimme. Er äußerte sogar die Vermutung, dass dieser Kurs von den innerparteilichen Flügelkämpfen ablenken solle und glaubte darin »Gefühle der Unsicherheit« zu erkennen. Tatsächlich rechnete Rupprecht nun verstärkt damit, dass dem raschen Aufstieg des Emporkömmlings Hitler, ein ebenso rascher Absturz folgen werde: »In den Sattel sich zu schwingen ist leicht, im Sattel zu bleiben, schwer, wenn man das Reiten nicht gelernt hat« (GHA, AA KPR (25. Januar 1934), Mappe 17, S. 27). 19 Vgl. Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, S. 8. 20 Röhm habe es dabei offen gelassen, ob ihm eine solche »Säuberung« auch »innerhalb der Partei (…) gelingen werde« (GHA, AA KPR (20. Februar 1934), Mappe 17, S. 66). 21 Rupprechts Wahrnehmung, die an dieser Stelle für seine Gedankengänge in jenen Tagen maßgeblich ist, dass die SA von ehemaligen Kommunisten unterwandert sei, deckt sich zwar mit der Meinung einiger bürgerlicher Zeitgenossen. Allerdings konnte die historische Forschung diese Wahrnehmung nicht bestätigen. Eine Untersuchung von 2560 Personalakten von SA-Männern ergab gerade einmal einen Anteil von 1,7 % ehemaliger Kommunisten (44 Personen) (vgl. Reichardt, Kampfbünde, S. 524 f.; zum Sozialprofil der SA auch C. Fischer, Stormtroopers, S. 25–81, insbes. S. 55 f.). 22 GHA, AA KPR (1. März 1934), Mappe 17, S. 79. – Reichenau ließ offenbar auch Hitler unmissverständlich »wissen, daß jeder Zugriff der revolutionären SA auf die Truppe und ihre Einrichtungen auf entschlossene Abwehr mit der Waffe stoßen werde«. Später habe Reichenau die Wehmacht als »die einzige, letzte größte Hoffnung des Führers« bezeichnet (zit. n. K.-J. Müller, Heer, S. 114 u. S. 194). Rupprecht kamen auch Äußerungen von Mitgliedern der Reichsregierung zu Ohren. So habe zum einen der Reichsfinanzminister Schwerin-Krosigk angeblich die Aussage getätigt: »Einstweilen bleibe ich noch, die Sache währt sowieso nicht mehr lange«. Zum anderen habe sich ein anderer Reichsminister [Gürtner?] »ebenso pessimistisch über die innere Lage, wie über Hitlers Charakter« geäußert (GHA, AA KPR (1. März 1934), Mappe 17, S. 80).

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die Situation zusätzlich dadurch erschwert, dass Hitler, der sich zwischenzeitlich durch die Austritte aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz sowie durch seine Judenpolitik außenpolitisch isoliert hatte, nun auch vom Ausland her dazu aufgefordert wurde, die SA aufzulösen. Dort vermutete man seit längerem eine geheime Aufrüstung Deutschlands und besaß – so die Information Rupprechts – bereits Beweise hierfür, die genutzt wurden, um Hitler zur Auflösung der SA zu zwingen.23 Dieser schien aber zunächst nicht bereit zu sein, sich seiner eigenen Machtbasis selbst zu entledigen. Rupprecht zitiert Hitler mit den Worten: »Dieser Forderung können wir nicht nachkommen, lieber wollen wir mit Ehren untergehen«.24 Zeitgleich erreichten Rupprecht jedoch erste Anzeichen eines Umdenkens Hitlers.25 Auch wenn noch keine Tatsachen geschaffen worden seien26, so sprach nach Rupprechts Ansicht aufgrund dieser Zwangslage nicht mehr viel für eine rosige Zukunft der Hitler-Regierung: »Durch Auflösung der SA würde die Zahl der Arbeitslosen sich wesentlich erhöhen und das Prestige des nationalsocialistischen Partei leiden, erfolgt die Auflösung aber nicht, haben wir mit der Niederringung Deutschlands zu rechnen, das im Ausland nirgends mehr Sympathien geniesst. Die Lage ist für Hitler sehr ernst, alles Folgen einer verkehrten Aussenpolitik. Wir dürfen auf das Schlimmste gefasst sein.«27 Aus Regierungskreisen erreichten den bayerischen Kronprinzen nun sogar schon Meldungen, die besagten, dass man ihn »in absehbarer Zeit […] brauchen 23 Rupprecht wurde eine Anekdote vom Treffen des britischen Lordsiegelbewahrers Anthony Eden am 20. Februar 1934 und des französischen Botschafters in Berlin André FrançoisPoncet bei Hitler bekannt: »Bei seinem Besuche in Berlin teilte der englische Grossiegel­ bewahrer Eden Hitler den Wunsch nach Auflösung der SA mit, der französische Botschafter Poncet aber befrug Hitler, wie es um die Aufrüstung des deutschen Heeres stehe und ob nicht bereits dem Vertrage entgegen schwere Artillerie beschafft worden sei. Als Hitler dies leugnete, entnahm Poncet einer mitgebrachten Mappe Photographien, welche an schweren Geschützen übende Kanoniere zeigten und wies noch anderes Beweismaterial vor« (GHA, AA KPR (15. März 1934), Mappe 17, S. 97). 24 Der bayerische Kronprinz beurteilte diesen Ausspruch Hitlers als abwegig: »Diese Worte, die in einer Volksrede gut klingen mögen, fanden aber nicht den Beifall der anwesenden Militärs, die nüchterner dachten. Denn die Existenz eines ganzen Volkes einem blossen Ehrbegriff zum Opfer zu bringen, kann einem vernünftig denkenden Menschen doch nicht in den Sinn kommen« (ebd.). 25 Dieser habe nun erste »Vorbereitungen für die Auflösung von 3/4 der 4 Millionen Mann zählenden SA-Formationen« und »bis auf Weiteres« die Einstellung aller »militärischen Übungen der SA« angeordnet (ebd). 26 Rupprecht vermutete gar eine Täuschung des Auslandes durch Hitler. Denn laut Mitteilung des »Arbeitsministers eines deutschen Landes« werde bis vor kurzem »fast alles nominell für öffentliche Arbeiten bestimmte Geld für Rüstungszwecke verausgabt« (GHA, AA KPR (15. März 1934), Mappe 17, S. 98). 27 Ebd. – Ein weiterer Grund für die pessimistische Einschätzung der Situation durch Rupprecht war die bedrohliche wirtschaftliche Lage Deutschlands, die es anderen Staaten leicht machen würde, »uns durch wirtschaftlichen und finanziellen Boykott gänzlich zu ruinieren« (GHA, AA KPR (23. März 1934), Mappe 18, S. 115).

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würde«.28 Dem Gerücht, welches Ende April zu Rupprecht drang, wonach man in Berliner Reichswehrkreisen darüber nachdenke, »eine Diktatur der Reichswehr herbeizuführen unter Heranziehung wirtschaftlicher Sachverständiger«29, maß er deshalb besondere Bedeutung zu, da er davon ausging, dass die Reichswehr im Falle einer erzwungenen Selbstentmachtung Hitlers zum entscheidenden Faktor für die politische Zukunft Deutschlands werden würde. Tatsächlich erfuhr Rupprecht kurz darauf »aus sicherer Quelle«, dass Hitler die Auflösung der SA und SS angesichts des Drucks des Auslandes und der Reichswehrführung »als unvermeidlich anerkannte«.30 Am 30. Juni 1934 entledigte sich Hitler tatsächlich Röhms und der SA und schaltete gleichzeitig ihm unliebsame politische Kontrahenten aus. Rupprecht, der sich zum Zeitpunkt des »Röhm-Putsches« in London aufhielt, sollte jedoch mit seinen Vermutungen nur in diesem Punkt recht behalten. Denn an der SS hielt Hitler fest. Diese erwies sich an jenem Tag als treuer Erfüllungsgehilfe und gewann in der Folgezeit maßgeblich an Bedeutung. Und auch die Reichswehr verhielt sich anders, als Rupprecht es erhofft hatte. Auf das Jahr 1934 rückblickend fand er es »unbegreiflich und unverzeihlich«, dass nach der Ermordung der Generäle Schleicher und Bredow »die anderen Generäle sich nicht rührten und nicht zu gemeinsamen Vorgehen sich zusammenscharten«. Tief enttäuscht vermerkte Rupprecht: »Vor dem Feinde tapfer, ermangelten sie der ›Zivilcourage‹.«31 Die Reichswehr hatte also – so Rupprechts Wahrnehmung – die Gelegenheit verpasst, sich des NS-Regimes zu entledigen. Eine Beseitigung Hitlers und damit die Möglichkeit zur Wiedereinführung der Monarchie in Bayern rückten vorerst in weite Ferne. Mehr noch: Die Lage für den Kronprinzen, seine Familie und seine engsten Vertrauten hatte sich weiter verschärft.32 Dennoch waren der bayerische Kronprinz und sein Kabinettschef von Redwitz fest davon überzeugt, 28 GHA, AA KPR (18. März 1934), Mappe 18, S. 102. Die Nachrichten, die Rupprecht in diesen Wochen aus Berlin erreichten, mussten ihn in der Tat an eine Vorbereitung zur Machtübernahme in Bayern denken lassen. Anfang April erreichte ihn die bis dato deutlichste Meldung über die desolate Verfassung der Hitler-Regierung: »Ein mit den Berliner Verhältnissen sehr vertrauter Herr beurteilt die politischen Zustände in Deutschland innen- wie aussenpolitisch schwärzer denn schwarz: ich fürchte mit Recht!« (GHA, AA KPR (3. April 1934), Mappe 18, S. 129). 29 GHA, AA KPR (23. Mai 1934), Mappe 18, S. 173. 30 GHA, AA KPR (8. Juni 1934), Mappe 18, S. 198. – Vgl. zum Druck des Auslands in dieser Frage u. a. Höhne, Mordsache Röhm, S. 228 f. 31 »Mangelndes Rückgrad, Kadaver-Gehorsam und Byzantinismus. Entsittlichung und Verleugnung der Rechtsbegriffe. Judenhetze. Die Hitlerjugend, Hitlers-Regierungskunst. In Böhmen«, GHA, AA KPR (o. D.), Mappe 19, S. 1 f. 32 Kurz nach seiner Rückkehr aus London erfuhr Rupprecht, dass Hitler angeblich den Reichsstatthalter Ritter von Epp angewiesen hatte, seine Reise nach England zu verhindern. Doch war der bayerische Kronprinz bereits außer Landes, als Epp diese Weisung erreicht habe. Stattdessen habe man seinen Kabinettschef Franz von Redwitz verhaften wollen. Aufgrund einer Verwechslung habe man jedoch den Bruder Alfons von Redwitz nach Dachau gebracht und ihn misshandelt (vgl. GHA, AA KPR (14. Juli 1934), Mappe 18, S. 55 f).

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dass das NS-Regime »über kurz oder lang an seiner inneren Unwahrhaftigkeit zu Grunde gehen müsse«.33 An diese übereinstimmende Beurteilung der Lage konnte sich Rupprechts Kabinettschef rückblickend genauestens erinnern: »[…] [D]er Glaube an den Untergang eines so verbrecherischen Systems war feststehend.«34 Der Kronprinz und sein Kabinettschef sahen es deshalb als »ein Gebot der Klugheit« an, »für einen solchen Augenblick entsprechende Vorbereitungen zu treffen.«35 Denn die Konsequenzen eines Zusammenbruchs standen für beide – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der Jahre 1918/19 – fest. Man erwartete »verworrene politische Verhältnisse, vielleicht eine völlige Anarchie«.36 Wie konnte man einer solchen Gefahr begegnen? Und wer sollte im Stande sein, dieses drohende Chaos abzuwenden? Die Weimarer Republik hatte beim bayerischen Kronprinzen die seit jeher bestehende Skepsis gegenüber politischen Parteien in Verachtung gesteigert. Die alten politischen Parteien hatten aus seiner Sicht entweder in entscheidender Situation versagt – wie etwa die BVP – oder aber waren durch ihre konzi­ liante Haltung gegenüber den Nationalsozialisten im Jahr 1933 politisch belastet und damit für eine Zeit nach dem Untergang des »Dritten Reiches« untragbar. Nach Redwitz bestand mit Rupprecht Einigkeit darüber, dass eine »überparteiliche Institution, wie die Monarchie« in besagtem Fall am besten geeignet wäre, »wahrscheinlich zunächst nur in Teilen des Reiches«, Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. In Bayern habe hierfür mit dem Kronprinzen Rupprecht »eine so hervorragende, in weiten Teilen der Bevölkerung in hohem Ansehen stehende Persönlichkeit« bereitgestanden.37 Alleine konnte der Kronprinz diese Aufgabe jedoch nicht bewältigen und sah sich gezwungen, seinen Beraterstab inoffiziell zu erweitern. Dabei kamen für ihn 33 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D.), S. 2, GHA, NL Redwitz 23. Redwitz fertigte dieses Manuskript anlässlich des Spruchkammerverfahrens gegen den Generaloberst a. D. Franz Halder an, was durch seine fast wortgleiche Zeugenaussage in diesem Verfahren unzweifelhaft ist (vgl. Protokoll der Verhandlung gegen Franz Halder (15. September 1948), StAM, SpkA K 611: Halder, Franz). Deshalb ist als Zeitpunkt seiner Entstehung Mitte 1948 höchstwahrscheinlich. 34 Die vielen Gespräche, die Redwitz in diesen Tagen mit dem Kronprinzen Rupprecht führte, brachten diese Ansicht unmissverständlich zum Ausdruck und unterstützen zugleich Rupprechts Tagebuchaufzeichnungen. Es stand demnach für beide fest: »›das tausendjährige Reich‹ der Nationalsozialisten wird nicht von sehr langer Dauer sein und es ist damit zu rechnen, dass wir das Ende dieser Gewaltherrschaft noch erleben werde, ob durch einen inneren Zerfall, durch Machtkämpfe auf Leben und Tod innerhalb der Partei oder durch aussenpolitische Konflikte, einen Krieg – dafür war noch kein Anzeichen zu erkennen« (Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 2, UAE, G 1/7 Nr. 1). 35 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 2, GHA, NL Redwitz 23. 36 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 2, UAE, G 1/7 Nr. 1. 37 Ebd.

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keineswegs nur Adelige in Frage. Seit jeher habe er die Leute »nicht nach ihren Namen, sondern nach ihren Eigenschaften« bewertet.38 Sein Kabinettschef und er besaßen genaue Vorstellungen davon, welche Anforderungen die »Männer« erfüllen mussten, »die berufen waren, ihm zur Seite zu stehen«.39 Die nicht-öffent­ liche »Ausschreibung« sah mindestens zwei, wenn möglich sogar drei »Einstellungsvoraussetzungen« vor: Erstens sollten die Männer »klare Gegner des Nationalsozialismus sein und das Vertrauen des Kronprinzen genießen«.40 Es kamen daher von Beginn an nur Personen in Frage, die Rupprecht entweder aus Gesprächen persönlich kannte oder ihm und Bayern bis zu diesem Zeitpunkt anderweitig ihre Treue bewiesen und damit ihre anti-nationalsozialistische Haltung zum Ausdruck gebracht hatten. Zweite Bedingung war, dass sie »ausgesprochene Persönlichkeiten mit politischer Erfahrung sein« mussten.41 Rupprecht und von Redwitz legten sich hierbei auf ehemalige Reichs-, Landes- und Kommunalpolitiker sowie höhere (Ministerial-)Beamte fest. Denn es sollten Männer sein, die »schon im poli­ tischen Leben gestanden waren, Erfahrungen und einen Namen hatten«.42 Damit trat Rupprecht – was seine Berater anging – entschieden für den Primat der Politik ein, was nicht zuletzt die letzte, offenbar nicht zwingend notwendige, aber doch erwünschte Voraussetzung unterstreicht. Denn für Rupprecht und seinen Kabinettschef stand zwar fest, dass »der bewaffneten Macht eine entscheidende Rolle zufallen musste«. Doch sollten die Kandidaten drittens nur »gegebenenfalls« das Vertrauen der Wehrmacht besitzen.43 Auch wenn zu bezweifeln ist, ob die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ohne Beziehungen zum Militär überhaupt möglich gewesen wäre44, zeigte sich in den Plänen Rupprechts deutlich die Vorrangstellung der Politik gegenüber dem Militär. 38 GHA, AA KPR (4. Januar 1933), Mappe 15, S. 5. 39 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 2, UAE, G 1/7 Nr. 1. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Ebd., S. 3. 43 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 2, GHA, NL Redwitz 23.  44 In Redwitz’ Bericht einige Jahre später fiel das »gegebenenfalls« dann auch weg. Da hieß dann: »Da aber in einem solchen Augenblick nur die Wehrmacht in der Lage sein konnte, eine Machtstellung zu übernehmen, um eine staatliche Ordnung wieder herzustellen, mussten solche Männer auch bei der Wehrmacht Vertrauen und Ansehen genießen« (Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 3, UAE, G 1/7 Nr. 1). Es ist davon auszugehen, dass Redwitz 1948 die Bedeutung Halders im Falle eines Zusammenbruchs hervorheben wollte. Deshalb gab Redwitz auch in dessen öffentlicher Verhandlung zu Protokoll: »Bei Sperrs und meinen Zusammentreffen war immer wieder die Frage, welche Militärs herangezogen würden. Bei diesen Besprechungen kamen wir dann immer wieder auf die Person des Gen. Halder zu sprechen, dessen gegnerische Einstellung zum Nationalsozialismus in unserem Kreise ausser Zweifel stand« (Protokoll der Verhandlung gegen Franz Halder (15. September 1948), StAM, SpkA K 611 (Halder, Franz)).

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Wenn auch die Wehrmacht für die erfolgreiche Durchführung der noch genauer zu beschreibenden Überlegungen unabdingbar war, so ist unverkennbar, dass Rupprecht frei nach Clausewitz im Militär »nur ein Mittel der Politik« sah. Die Aufgaben, die Redwitz zufolge die geeigneten Persönlichkeiten zu erfüllen hatten, verdeutlichen zusätzlich Rupprechts Entscheidung für Männer mit politischer Erfahrung. Diese mussten erstens die »zuverlässige Beratung des Kronprinzen garantieren«, zweitens »staatspolitische und staatsrechtliche Vorbereitungen« treffen und sich drittens mit der »Feststellung von weiteren Persönlichkeiten, die für die Besetzung wichtiger Stellen geeignet waren«, befassen.45 Der Kabinettschef von Redwitz war es dann auch, der dem Kronprinzen den ehemaligen Reichswehrminister Otto Geßler und den letzten bayerischen Gesandten in Berlin, Franz Sperr, als geeignete Persönlichkeiten empfahl.46 In der Tat schienen diese beiden geradezu prädestiniert für die ihnen zufallenden Aufgaben: Beide waren Charaktere mit ausgesprochen großer politischer Erfahrung, die niemals Zweifel an ihrer Treue zu Bayern aufkommen ließen. Ihr Verhältnis zum Kronprinzen dürfte ebenfalls ausgezeichnet gewesen sein, wenn auch nicht ganz klar ist, ob beide Rupprecht persönlich kennengelernt hatten. Mit Geßler führte Rupprecht noch vor der »Machtergreifung« Hitlers ein ausführliches Gespräch. Dieses dürfte ihn von der Vertrauenswürdigkeit und politischen Kompetenz Geßlers überzeugt haben, die – seiner Erinnerung nach – bereits sein Vater König Ludwig III. hochgeschätzt hatte.47 Geßlers Treue zur Wittelsbacher Monarchie und seiner Verbundenheit zu Bayern war sich der Kronprinz ohnehin stets gewiss, auch wenn dieser »eine zeitlang der demokratischen Partei angehörte«48. Von den politischen Fähigkeiten Geßlers war er sogar so sehr überzeugt, dass er »es sehr wohl für möglich« hielt, dem künftigen Reichskanzler oder sogar Reichspräsidenten gegenüber zu sitzen.49 Das Verhältnis zwischen dem bayerischen Kronprinzen und Franz Sperr lässt sich dagegen weniger deutlich für die Jahre bis 1934 bestimmen. ­Rupprecht 45 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 2, GHA, NL Redwitz 23. 46 Ein Vertrauensverhältnis zu Sperr habe nach Angaben Redwitz’ seit dem Februar 1933 bestanden, als Sperr angeblich der »Vertrauensmann der monarchischen Gruppe« in Berlin gewesen sei (Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 2, GHA, NL Redwitz 23). Die Nennung des »Herzensmonarchen« Geßler dürfte derweil aufgrund von dessen politischer Vergangenheit als bayerischer Reichswehrminister nahe gelegen haben. 47 Das Gespräch zwischen Rupprecht und Geßler fand am 29. Oktober 1932 statt. Nach Rupprechts Erinnerung habe sein Vater Geßler »den gescheitesten Kopf in Bayern« genannt (GHA, AA KPR (29. Oktober 1932), Mappe 14, S. 172). 48 GHA, AA KPR (15. Oktober 1932), Mappe 14, S. 163. Rupprecht war sich sicher: »Geßler war immer Monarchist […]« (ebd.). 49 Von Geßlers »Eignung für diese Posten« sei Rupprecht zufolge schon früher gesprochen worden. Als Reichswehrminister habe dieser sich bereits »unter den schwierigsten Verhältnissen […] gut bewährt, besser wie sein Nachfolger und sich in dieser Stellung als durchaus anständiger Charakter erwiesen« (GHA, AA KPR (29. Oktober 1932), Mappe 14, S. 172).

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schätzte Sperr schon seit der Zeit vor 1918 »als einen besonders tüchtigen und hochbegabten Offizier«.50 Eine persönliche Bekanntschaft scheint dagegen bis Ende 1932 nicht bestanden zu haben.51 Mitte Februar 1933 lobte Rupprecht Sperrs Protest gegen die Beteiligung von Reichskommissaren an den Abstimmungen des Reichsrats.52 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern und den damit endgültig gescheiterten Plänen zur Wiedereinführung der Monarchie schwand der Einfluss der Bayerischen Gesandtschaft in Berlin auf die Reichspolitik, wenn Sperr auch weiterhin darum bemüht war, die Eigenstaatlichkeit Bayerns so gut es ging zu bewahren. Rupprechts Aufmerksamkeit galt in diesen Wochen und Monaten hinsichtlich der Zukunft Bayerns vielleicht auch deshalb anderen Entscheidungsträgern, wie etwa der Positionierung des in Bayern eingesetzten Reichskommissars Ritter von Epp.53 Wohl immer noch unter dem Eindruck der »verpassten Chance« vom Februar 1933 stehend, erfuhr Rupprecht im März 1934, »dass am Abend des 9.3.32 [sic! gemeint 1933: d. Vf.] der bayerische Gesandte in Berlin in Gesellschaft den überaus unbesonnenen Ausspruch tat, er erwarte noch in der Nacht ein Telegramm, dass die Monarchie in Bayern ausgerufen werde – und die Trennung Bayerns vom Reich erfolge.« Selbstverständlich zeigte sich Rupprecht über diese angebliche Indiskretion Sperrs äußerst erregt und erklärte: »Es hat diese Äusserung ganz ungemein geschadet. Von einer Trennung vom Reiche war überhaupt nicht die Rede, sondern nur von einer Neuregelung des Verhältnisses Bayerns zum Reich.«54 Umso erstaunlicher ist die Meinungsänderung, die R ­ upprecht nur wenige Tage später vollzog.55 Wie der Kronprinz in der Zwischenzeit die Gewissheit von Sperrs Unschuld erlangte, ist unklar. Möglicherweise fand in dieser Woche eine erste Kontaktaufnahme zwischen beiden statt.56 Denn in einem Tagebucheintrag vom 15. März spricht Rupprecht von »einem vor 4 Tagen von 50 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 1, UAE, G 1/7 Nr. 1. 51 Anlässlich Sperrs geschäftsführender Übernahme der Position des bayerischen Gesandten vermerkte Rupprecht: »Der neue bayerische Gesandte in Berlin Dr. Sperr, ein früherer Offizier, gilt als ausnehmend tüchtig und soll erreicht haben, dass von den 100 Millionen Mark, die zu Siedlungszwecken in Norddeutschland verwendet werden sollten, 10 für die notleidenden Gegenden der bayerischen Ostgrenze reserviert werden« (GHA München, AA KPR (19. Dezember 1932), Mappe 14, S. 213). 52 Vgl. GHA, AA KPR (17. Februar 1933), Mappe 15, S. 48. 53 Zum Gespräch mit Ritter von Epp vgl. GHA, AA KPR (9. September 1933), Mappe 16, S. 188 f.; auch Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 279. 54 GHA, AA KPR (3. März 1934), Mappe 17, S. 82. 55 Dann ist sich der Kronprinz plötzlich gewiss, dass »die angeblich am 8.3.33 gefallene Äusserung des bayerischen Gesandten Dr. Sperr über Errichtung der Monarchie in Bayern und Loslösung Bayerns vom Reiche […] sicher einer böswillige Erfindung« sei (GHA, AA KPR (11. März 1934), Mappe 17, S. 92). 56 Dass Rupprecht ein mögliches Gespräch mit Sperr unerwähnt ließ, wäre zu diesem Zeitpunkt nicht ungewöhnlich gewesen. Entweder berichtete Rupprecht seit der Jahreswende 1933/34 gar nicht von Gesprächen mit Nicht-Nationalsozialisten oder aber er umschrieb

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Berlin zurückgekommenen Herren«.57 Sperr könnte also selbst die dem Kronprinz zu Ohren gekommenen Gerüchte über seine angeblichen Äußerungen vom Februar 1933 widerlegt haben. Sperr und Geßler waren für den bayerischen Kronprinzen also keine Unbekannten, als sie ihm von seinem Kabinettschef als mögliche Berater vorgeschlagen wurden. Daher entschied sich Rupprecht  – wohl auch aufgrund des ausgemalten Schreckensszenarios nach erwartetem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« – keine Zeit zu verlieren und Verbindung mit beiden aufzunehmen. Von Redwitz blieb nicht einmal Zeit, Sperr und Geßler über die Gedankengänge und Absichten des Kronprinzen zu informieren, als er in dessen Auftrag jeden der beiden einzeln zu ihm bat.58 Rupprecht trat also behutsam und vorsichtig an die beiden Männer heran, von denen er sich erhoffte, dass sie ihn in seinen Ansichten über die aktuelle politische Lage bestätigen und sich als seine Berater zur Verfügung stellen würden. Der Kronprinz entschied sich um die Jahreswende 1934/35 bewusst für Einzelgespräche59, nicht, weil er einem der beiden misstraute, sondern weil er wusste, dass jeder seiner Schritte genauestens beobachtet wurde und er gleichzeitig befürchten musste, dass auch Sperr und Geßler als »Männer der Systemzeit« überwacht würden. Daher fiel er nicht gleich mit der Tür ins Haus. Rupprecht wollte zunächst ausloten, wie jeder der beiden, die aktuelle politische Situation beurteilte, um anschließend über die hieraus resultierenden Schlussfolgerungen zu beraten. Von Redwitz wusste einige Jahre später zu berichten, dass die Gespräche in Form eines »offenen Meinungsaustausches […] sehr einheitliche Ansichten« ergeben und sich beim Kronprinzen »grosses Vertrauen zu jedem der beiden« gebildet hatte, weshalb es zu einer »Aussprache darüber kommen konnte, was bei einem, zwar noch in keiner Weise vorauszusehenden Zusammenbruch des

seine Gesprächspartner mit Wendungen wie »ein Herr, der ein hohes Reichsamt inne hat« (GHA, AA KPR (4. Januar 1934), Mappe 17, S. 1) oder »ein aufmerksamer Beobachter der Vorgänge in Berlin« (GHA, AA KPR (7. Februar 1934), Mappe 17, S. 46). 57 GHA, AA KPR (15. März 1934), Mappe 17, S. 96. Dieser »Herr« könnte Sperr gewesen sein. In dem Gespräch ging es in erster Linie um den Zustand der NS-Regierung und die vom Ausland her drohende Erzwingung einer Auflösung der SA. Auch das Verhältnis Röhms zu Hitler spielte eine Rolle. 58 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 3, UAE, G 1/7 Nr. 1. 59 Es ist schwierig, einen genauen Zeitpunkt zu nennen, wann diese stattgefunden haben mögen. Die Gespräche fanden nach Aussage Redwitz’ nach dem »Röhm-Putsch« statt. Dieses Ereignis nahm Rupprecht allerdings auch zum Anlass, kein Tagebuch mehr im bisherigen Stil zu führen. In der Folgezeit beschränkte er sich in erster Linie auf Reiseberichte. Die ersten Gespräche mit Sperr und Geßler könnten um die Jahreswende 1934/35 eingesetzt haben, während Hamm erst nach seinem Umzug nach Bayern 1936 hinzugezogen worden sein dürfte. Redwitz erklärte Jahre später, Sperr habe im Jahr 1935 seine »Aufgabe« im Widerstandskreis übernommen (vgl. Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 3, GHA, NL Redwitz 23).

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Nationalsozialismus geschehen und wie eine Vorbereitung für diesen Fall getroffen werden könne«.60 Hier stimmten Rupprecht und seine beiden Gesprächspartner ebenfalls in ihren Ansichten weitgehend überein.61 Der bayerische Kronprinz erkannte, dass beide – wie er es erhofft hatte – von der Notwendigkeit der Schaffung einer Auffangorganisation für den Fall des Zusammenbruchs des NS-Regimes überzeugt waren. Auch nach ihrem Dafürhalten konnte »nur eine starke, überparteiliche Persönlichkeit von hohem Ansehen in einem solchen Falle in der Lage sein […], die nichtnationalsozialistisch gesinnten Teile der Bevölkerung zusammenzufassen und auf sie gestützt, eine staatliche Ordnung wieder herzustellen«.62 Für Sperr und Geßler stand außer Zweifel, »dass allein Kronprinz Rupprecht eine solche Aufgabe zufallen konnte«, so von Redwitz.63 Ebenso bestand Einigkeit darüber, dass die Beschränkung auf Bayern sinnvoll und vorteilhaft sei, da es einerseits »wahrscheinlich leichter sein werde, zunächst in Teilen des Reiches Ordnung zu schaffen« und andererseits die bayerische Bevölkerung der NS-Ideologie »zweifellos zum grösseren Teil […] nicht verfallen« sei und aufgrund »ihrer traditionsgebundenen Art ihren gesunden Sinn noch weitgehend bewahrt« habe.64 Es schlossen sich nun wiederholt eingehende Besprechungen an, die allerdings wegen der Überwachung des Kronprinzen häufig in dessen Abwesenheit stattfinden mussten. Von Redwitz fungierte in dieser Zeit sozusagen als verlängerter Arm Rupprechts. Denn mit der Feststellung, dass etwas unternommen werden müsse, war die Sache schließlich nicht getan. Vielmehr war ein »Gedankenaustausch« notwendig, »um von diesen Überlegungen zu einer praktischen Nutzanwendung zu kommen«. Daher folgten in den darauffolgenden Monaten viele Treffen zwischen Redwitz, Sperr und Geßler meist in der Wohnung des Kabinettschefs, teilweise aber auch bei Sperr oder bei Geßler, der in München-Bogenhausen eine Wohnung besaß, in der er die Wintermonate zu verbringen pflegte. Geßler war es, der zu diesem kleinen Kreis Eduard Hamm hinzuzog.65 Dies geschah wahrscheinlich nach dessen Umzug von Berlin nach München im Jahr 1936. Dass die Wahl auf ihn fiel, kam nicht von ungefähr. Zunächst muss auf das Vertrauensverhältnis verwiesen werden, welches zwischen ihm, Sperr und 60 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 3, UAE, G 1/7 Nr. 1. 61 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 3, GHA, NL Redwitz 23. 62 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 3, UAE, G 1/7 Nr. 1 63 Ebd. Sperr und Geßler zogen hierbei zugleich die Wirkungsmacht einer solchen Personalentscheidung mit ins Kalkül. Nach Redwitz stellten sie fest: »Eine solche Persönlichkeit werde auch im Ausland das erforderliche Ansehen geniessen, um die sicher notwendige Hilfe von Seiten des Auslands zu erhalten« (ebd.). 64 Ebd. 65 Vgl. ebd., S. 3 f.

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Geßler bestand. Auf seine engen freundschaftlichen Beziehungen zu Geßler wurde bereits hingewiesen. Darüber hinaus pflegte Hamm seit seiner Berliner Zeit auch ein freundschaftliches Verhältnis zu Franz Sperr. Außerdem fehlte der konspirativen Gesprächsrunde eine Persönlichkeit mit ausgeprägtem wirtschaftspolitischen Sachverstand. Hinzu kam, dass Hamm – ähnlich wie Sperr und Geßler – über die notwendige politische Erfahrung verfügte, um dem Anspruch des Kreises, staatsrechtliche Überlegungen für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« anzustellen, gerecht zu werden. Des Weiteren genoss er ebenfalls über die Grenzen Bayerns hinaus hohes Ansehen, so dass er geradezu prädestiniert war für die Anwerbung von weiterem, zuverlässigen und fähigen Personal für die Übernahme wichtiger Ämter in einem post-nationalsozialistischen Deutschland. Angesichts der in den vorherigen Kapiteln dargelegten politischen und geistigen Verortung Hamms als »Herzensrepublikaner« müssen an dieser Stelle allerdings ein paar Worte über dessen Sicht auf eine mögliche Restauration der Wittelsbacher Monarchie während des »Dritten Reiches« verloren werden. Zwar lag für Hamm  – im Gegensatz zu Geßler und Sperr  – die Person Kronprinz Rupprecht als Übergangslösung nicht unbedingt nahe. Doch besaß Hamm die Begabung, sich flexibel auf politische Begebenheiten einzustellen. Die republikanische Staatsform, die er favorisierte, hatte sich aus seiner Sicht in der Weimarer Republik als ungenügend wehrhaft gegenüber politischen Agitationen von links und rechts erwiesen. Außerdem hatte ihr Föderalismus den steten Konflikt zwischen Bayern und Reich nicht lösen können, ihn stattdessen sogar befördert. Deshalb war Hamm in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren bereits von seinen früheren Ansichten abgewichen und hatte eine autoritärere Form der Republik und eine Reichsreform befürwortet. Nach 1933 dürfte er erkannt haben, dass das NS-Regime durch seinen Totalitätsanspruch alle Möglichkeiten, im Geordneten zu einer Republik zurückzukehren, ausgeschlossen hatte, weshalb von einem bedrohlichen Machtvakuum nach einem möglichen Untergang des »Dritten Reiches« ausgegangen werden musste. So erklärt sich Hamms Haltung zu einer möglichen künftigen Staatsform, die er – wahrscheinlich zu Beginn der 1940er Jahre – gegenüber dem früheren Münchener Oberbürgermeister Karl Scharnagl zum Ausdruck brachte: »Bei den Besprechungen mit Dr. Hamm haben wir alle politischen Probleme erörtert, auch die Monarchie. Ich war angenehm überrascht, wie positiv Dr. Hamm zu diesen Fragen eingestellt war. (…) Selbstverständlich erörterten wir auch eine demokratische Staatsführung unter starker Betonung des bayer. Standpunktes.«66 Dass sich Scharnagl von Hamms Einstellung zur Monarchie überrascht zeigte, verdeutlicht einmal mehr, dass der liberale Demokrat Hamm vor 1933 stets als 66 Karl Scharnagl: Die politische Tätigkeit des Herrn ehem. Staatsministers Dr. Hamm (München, 30. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 110. Scharnagl wusste darüber hinaus von der Verbindung Hamms zum Franziskanerpater Erhard Schlund, den dieser insbesondere für Fragen der Monarchie aufsuchte (ebd.).

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Verteidiger der Republik gesehen worden war. Hamm war eben durch und durch Demokrat und er glaubte, dass sich starke demokratische Elemente auch in einer Monarchie unter einem König Rupprecht verwirklichen ließen. Mit Rupprecht an der Spitze Bayerns hätte in seinen Augen die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung gelingen können. Hamms Hinwendung zur Monarchie basierte daher in erster Linie auf einem rationalen Fundament. Er wandelte sich im »Dritten Reich« vom einstigen »Herzensrepublikaner« zum »Vernunftmonarchisten«.67 Mit der Hinzuziehung Hamms hatte sich der Kern des »Sperr-Kreises« zusammengefunden. Aus Sicherheitsgründen kam diese frühe Gruppe des Widerstandskreises vorerst lediglich zusammen, »wenn prinzipielle Fragen zu besprechen waren oder die politische Situation eine Beurteilung erforderte«. Dabei vermied man es generell, über Details zu sprechen, es sei denn, dies war »für die Sache unbedingt notwendig«.68 Außerdem vereinbarte man, keine Aufzeichnungen über die Gespräche anzufertigen. Redwitz war sich sicher, dass sein Telefon und seine Post überwacht wurden.69 Auch Geßler war von seiner ständigen Beobachtung und Überwachung durch die Gestapo überzeugt.70 Um die Gespräche in diesem kleinen Kreis zu tarnen, ging man des Öfteren dazu über, sich im Freien zu treffen. Die Verabredung zu den Zusammenkünfte fand dann über eine Mittelsperson statt, »den mit allen Beteiligten befreundeten« Polizeioberst a. D. Franz Hunglinger.71 Redwitz schilderte den Aufwand, den man 67 Einen Unterschied der Einstellungen Geßlers und Hamms zu denen früherer Deutschnationaler konnte deshalb auch Ulrich von Hassell im Januar 1939 nicht mehr feststellen, der diesen Befund mit den Worten des amerikanischen Schriftstellers Charles Dudley Warner kommentierte: »Politics make strange bed fellows« (Hassell, Vom Andern Deutschland, S. 40). 68 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 3, GHA, NL Redwitz 23. 69 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 5, UAE, G 1/7 Nr. 1. 70 Vgl. Otto Geßler an Marie Elisabeth Lüders (13. Juli 1951), BAK, NL Geßler (N 1032) 33, S. 61. Das verfassungsmäßige Briefgeheimnis war ebenso wie andere Grundrechte aufgrund der Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 mehr oder weniger außer Kraft gesetzt worden. Von diesem Zeitpunkt an »konnte jederzeit über bestimmte einzelne Personen Postüberwachung verhängt werden« (Broszat / Fröhlich, Alltag, S. 518). 71 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 5, UAE, G 1/7 Nr. 1. – Franz Seraph Hans Hunglinger (1883 in Passau–1944 in Starnberg), kath., Reifeprüfung nach sechs Jahren Kadettenkorps, 1902–03 Kriegsschule, 1903 Leutnant, 1910 8. Chev.Regt., 1911 Oberleutnant, 1914 zur Kriegsakademie einberufen, im Stab der 1. Bayer. Inf-Div., Fronteinsatz, 1915 Rittmeister, 1917 als Hauptmann in Generalstab versetzt und zum 2. Generalstabsoffizier der 2. bayr. Infanterie Division ernannt, 1919 Stadtkommandantur München, 1919–28 Referent beim Landespolizeiamt, 1920 Polizeimajor, 1924 Leiter des Offizier-Anwärter-Kurses, 1928 Versetzung zum Kommando München-Land, dort 1930 Ausbildungsreferent und 1933 Stellvertreter des Leiters, 1931 Polzeioberstleutnant, 1931–32 Leiter des Fortbildungskurses für Polizeioffiziere, 1933 Chef des Abschnittkommandos II der Schutzpolizei München, 1933 Polizeioberst, 1933 Ausscheiden aus dem Dienst der Schutzpolizei, 1934 auf eigenen Wunsch

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betrieb, um die Treffen vor der Gestapo zu verbergen, folgendermaßen: »Die Zusammenkünfte erfolgten […] oft in der Weise, dass ich mit meinem Auto an einer durch Hunglinger vereinbarten Stelle Sperr traf, der in meinen Wagen zustieg. Sahen wir uns unbeobachtet, vor allem von keinem Auto verfolgt, dann trafen wir an einer anderen Stelle Gessler und fuhren aus München hinaus in eine entlegene Gegend ins Erdinger oder Dachauer Moos. Dort konnten wir dann unsere Besprechungen ungesehen und von keinem Abhörapparat gefährdet abhalten.«72 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt legte man in Grundzügen gemäß der Exper­tise der Gesprächsteilnehmer eine Aufgabenverteilung fest. Diese wies Geßler und Hamm das Anstellen von staatsrechtlichen Überlegungen für die Übernahme der Regierung in Bayern nach erfolgtem Zusammenbruch des NS-Regimes zu. Sperr sollte dagegen in erster Linie geeignete Persönlichkeiten feststellen und zur Mitarbeit bewegen, wobei Redwitz später zugleich darauf hinwies, dass auch die beiden erstgenannten sich um die Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten bemühen sollten. Alle Verbindungen »mussten« jedoch bei Sperr zusammenlaufen.73 Später wurde die Aufgabenverteilung offenbar konkretisiert, wonach Sperr sich in erster Linie um Beziehungen zur Wehrmacht und zur Polizei bemühen sollte. Hamm sollte dem Widerstandskreis derweil Persönlichkeiten aus den Bereichen Wirtschaft, Verwaltung und Justiz zu­ führen, während Geßler sich um die Kontaktaufnahme mit dem Ausland kümmern sollte.74 Ähnlich aufwendig wie die Treffen in diesem kleinen Kreis gestalteten sich bis ins Jahr 1939 die »alle paar Wochen« stattfindenden Besuche Geßlers und Sperrs beim bayerischen Kronprinzen. Gemeinsam oder auch einzeln trafen sie »unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen« entweder im Leuchtenbergpalais in München oder auf Schloss Leutstetten mit Rupprecht zusammen. Redwitz erläuterte retrospektiv diese für notwendig erachteten Vorsichtsmaßnahmen: »Nach Leut­ stetten fuhren wir nur in meinem Auto in der schon geschilderten Weise. Denn es stand fest, dass in manchen Fällen die Autonummern von Besuchern in Leut­ wegen nachgewiesener Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt, 1934–44 Rückzug ins Privatleben, am 18. September 1944 verstorben im Krankenhaus in Starnberg an den Folgen einer Tuberkulose (zu Hunglinger vgl. Personalakt BayHStA, OP 60020). 72 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 5, UAE, G 1/7 Nr. 1. 73 Vgl. ebd., S. 4. 74 Die Aufgabenverteilung wird in keiner Quelle so konkret benannt, lässt sich jedoch aus unterschiedlichen Quellen zusammentragen (vgl. Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5; Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108; Ausführungen von H. Minister a. D. Dr. Geßler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9. Dezember 1950, BAK, NL Geßler (N 1032) 36 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 164–167, hier S. 166). Auch legt die Aufgabenannahme und -ausführung diese spätere Aufgabenverteilung nahe.

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stetten durch die Gestapo festgestellt wurden.«75 Der Kronprinz wurde bei diesen Treffen über die bereits angelaufene Bildung eines Kreises von Vertrauens­leuten in Kenntnis gesetzt. Diese Mitteilungen ließen ihn erkennen, dass es außer Sperr, Geßler und Hamm noch weitere Persönlichkeiten und Gruppen gab, auf die er im entscheidenden Moment bauen konnte.76 In erster Linie dienten die jetzt geführten Gespräche jedoch dazu, über »die letzten Geschehnisse und die zu erwartende Entwicklung« zu beraten. Seine Haltung gegenüber dem Natio­ nalsozialismus brachte Rupprecht dauerhaft in ernste Schwierigkeiten. Deshalb konnte er sich seinem Kabinettschef zufolge glücklich schätzen, in Sperr und Geßler über die »zuverlässigsten und erfahrenen Berater« zu verfügen.77 Rupprechts Motiv, Gespräche mit Sperr und Geßler zu führen, lag in seiner Sorge um die bayerische Heimat begründet. Die Entwicklung im Reich nahm er zwar wahr, reduzierte aber die möglichen Folgen allein auf Bayern. Dennoch zeigen seine Kontaktaufnahme und sein Zusammentreffen mit Sperr, Geßler und Hamm, dass er im Vergleich zu den frühen 1920er Jahren einen Erkenntnisfortschritt vollzogen hatte. Damals hatte er die Politik des Generalstaatskommissars Gustav Ritter von Kahr unterstützt, die voll und ganz auf die Souveränität Bayerns gedrängt und auf die nationalen Belange politischer Entscheidungen in Berlin wenig Rücksicht genommen hatte. Nun, um die Jahreswende 1934/35, entschied er sich dafür, auf Personen zu vertrauen, die über ein großes An­ sehen in Berlin verfügten. Die Vermutung liegt nahe, dass Rupprecht nach Untergang des »Dritten Reiches« nicht auf Konfrontationskurs mit Berlin hätte gehen wollen, sondern einen Ausgleich in einem föderalen Deutschland angestrebt hätte. Der drohende Kriegsausbruch im Sommer 1939 führte zum Höhepunkt und gleichzeitig zum vorläufigen Abschluss der Beratertätigkeit Sperrs und Geßlers nach bisherigem Muster. Eine undatierte, titellose Aufzeichnung von Franz von Redwitz berichtet ausführlich über die Zwangslage, in der sich Kronprinz Rupprecht in diesen Wochen und Monaten befand.78 Der Kabinettschef nahm an, dass es lediglich »auf die Stimmung in Bayern und auf das Ansehen des Kronprinzen im Ausland« zurückzuführen gewesen sei, dass das NS-Regime, trotz seiner offenen, feindseligen Haltung gegenüber dem bayerischen Kronprinzen, bis zu diesem Zeitpunkt nicht entscheidend gegen dessen Familie und ihn selbst vorgegangen sei. Mit Ausbruch des Krieges sei diese »Rücksicht« jedoch weg­gefallen,

75 Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 5, UAE, G 1/7 Nr. 1. 76 Vgl. ebd. 77 Ebd. 78 GHA, NL Redwitz 14. Die 7-seitige handschriftliche Aufzeichnung trägt auf der ersten Seite unten den Vermerk: »Laufend Aufzeichnungen zu machen, war im Hinblick auf die Gestapo unmöglich. Daher ist diese Niederschrift aus dem Gedächtnis gemacht.« Deshalb soll sie im Folgenden als »Gedächtnisniederschrift Redwitz« bezeichnet werden. Auf diese stützen sich hauptsächlich die nachfolgenden Ausführungen.

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und der Kronprinz habe »selbst sein Leben gefährdet« gesehen.79 Redwitz war der Überzeugung, »daß im Falle eines verlorenen Krieges unser Kronprinz zu den ganz wenigen Persönlichkeiten gehöre, der im Stande sein könne, den Feindmächten gegenüber eine führende u[nd] entscheidende Rolle zu spielen«. Dieser Ansicht schlossen sich Sperr und Geßler an. Man musste den Kronprinzen um jeden Preis schützen, allein schon deshalb, weil seine Stunde noch kommen konnte. Gemeinsam führten diese Überlegungen zu der Überzeugung, dass ein Verbleib Rupprechts und seiner Familie in Deutschland zu gefährlich war. Es stellte sich jedoch die Frage, wohin der Kronprinz ins Exil gehen sollte. Während sich Geßler für England aussprach, habe Redwitz dies für wenig sinnvoll erachtet: Einerseits hielt er es für »sehr unwahrscheinlich, daß die Ausreise nach England überhaupt möglich« sei und ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Ausreise nach England verweigert werde. Wäre dies der Fall, wären »seine Absichten« aufgedeckt und die Lage »schlechter als vorher«.80 Zudem habe aus Redwitz’ Sicht gegen die Ausreise nach England gesprochen, dass sich Rupprecht in diesem Fall »von Beginn des Krieges an im Lande eines Gegners« befunden hätte. Die »größten Schwierigkeiten u[nd] Repressalien« für die übrige Familie und das gesamte Vermögen wären die Folge gewesen.81 Neben England wurden mit der Schweiz, Italien und Ungarn weitere Ausreiseziele diskutiert. Für die Schweiz mussten gleichsam Bedenken artikuliert werden, da dort »die Verhältnisse ähnlich wie bei England« lagen.82 Dagegen sei Italien als »voraussichtlicher Bündnispartner näherliegend« gewesen, so Redwitz. Offenbar war Geßler von seinem Vorschlag, die Ausreise Rupprechts nach England zu unternehmen, nur schwerlich abzubringen. Erst nach »eine[r] lange[n] Besprechung« bei ihm in Lindenberg schloss sich Geßler schließlich der Auffassung des Kabinettschefs anschließen. An dieser Stelle zeigt sich besonders, wie stark der Einfluss der Berater Geßler und Sperr in diesen Wochen und Monaten auf das weitere Vorgehen des Kronprinzen Rupprecht tatsächlich war. Gemeinsam traf man bald darauf die Entscheidung, die gesamte Familie und den Kronprinzen selbst »vorerst außer Landes zu schaffen«, um dann – je nachdem, wie sich die Lage entwickelte – »freie Entschlüsse fassen« zu können. Mitten in die Beratungen über ein mögliches Ausreiseziel platzte die Meldung von der Aufdeckung des Widerstandskreises um den Münchener Rechtsanwalt Adolf Freiherr von Harnier, die  – so befürchtete man zurecht  – ein weiteren Verschärfung der Situation erwarten ließ. In der Rückschau führte Rupprecht seine erste vorübergehende Ausreise am 10. August auf dieses Ereignis zurück und betonte besonders den Einfluss seiner Berater auf diese Entscheidung: »Hinsichtlich meiner Sicherheit besorgte Leute rieten mir übereinstimmend außer 79 Gedächtnisniederschrift Redwitz (o. D.), GHA, NL Redwitz 14. 80 Bereits der Aufenthalt von Rupprechts Sohn Prinz Heinrich und von vier Töchtern, sei in der Partei »anscheinend schon übel vermerkt worden« (ebd.). 81 Ebd. 82 Ebd. Hierher stammen auch die folgenden Zitate dieses Absatzes.

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Landes zu gehen bis sich eine Klärung der Lage ergeben hätte. Ich folgte ihrem Rate und begab mich Mitte August zu meinem Bruder nach Ungarn zur Ausübung der Feldjagd.«83 Wie erwartet, setzten mit Kriegsausbruch die ersten Angriffe gegen Hab und Gut der Wittelsbacher ein.84 Das NS-Regime versuchte gleichsam, Rupprecht nach seiner Rückkehr eine Mitwisserschaft an den Plänen des »Harnier-Kreises« nachzuweisen, jedoch ohne Erfolg.85 Es schien gleichwohl die Zeit gekommen, zumindest vorübergehend den Weg ins Exil zu gehen. In einem Glückwunschschreiben zum 70. Geburtstag des italienischen Königs Viktor Emanuel III. bat Rupprecht im November 1939 um eine Jagdeinladung. Nach dessen Erhalt gewährte ihm auch Hitler die gewünschte Ausreisegenehmigung.86 Am 31. Dezember 1939 brach Rupprecht nach Rom auf. Zu diesem Zeitpunkt galt Mussolinis Italien bereits als Achsenpartner H ­ itler-Deutschlands, obwohl es noch nicht in den Krieg eingetreten war. ­Rupprecht nutzte seine Bewegungsfreiheit, um unmittelbar nach seiner Ankunft in Italien in einer Privataudienz mit Papst Pius XII. zusammenzutreffen.87 Anschließend verließ er Rom, um zunächst bei der Baronin Franchetti88 in Bellosguardo bei Florenz unterzukommen. Erst im Herbst 1940 verlegte er seinen Wohnsitz vollständig nach Florenz. Mit Rupprechts Flucht ins Exil war die Verbindung zwischen ihm und seinen drei »Beratern« in Bayern vorerst gekappt. Otto Geßler gelang es dennoch, den bayerischen Kronprinzen einige Male in Italien aufzusuchen. Hierbei konnte er ihn über den Stand der Dinge in der bayerischen Heimat informieren und gleichzeitig die von Rupprecht verfassten und für die Westalliierten bestimmten Denkschriften kritisch kommentieren.89 In Bayern sollten die Männer um 83 »Von Harniers Monarchisten, Aufenthalt in Ungarn, Ausbruch des 2. Weltkrieges«, GHA, AA KPR (o. D.), Mappe 21, S. 13a-21, hier S. 13a. 84 Franz von Redwitz geht in seiner Gedächtnisniederschrift ausführlich auf die Ereignisse ein, die nun folgten. So wurden bereits Anfang September Schloss Leutstetten und alle Nebengebäude beschlagnahmt (Gedächtnisniederschrift Redwitz (o. D.), GHA, NL Redwitz 14). 85 Vgl. Reinhard Heydrich an die Abteilung I des Reichsministeriums des Innern (Berlin, 30. August 1940), BayHStA, StK 7590. 86 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 303. 87 Über die Privataudienz bei Papst Pius XII. ist bisher kaum etwas bekannt (vgl. ebd., S. 303). Rupprechts Besuch scheint sehr kurzfristig zustande gekommen zu sein, da der deutsche Auslandsgeheimdienst hiervon überrascht wurde. In einem Vermerk des Amtes IV des Reichssicherheitshauptamtes hieß es: »Kronprinz Rupprecht war allein. Wer von der Gegenseite dabei war, entzieht sich noch meiner Kenntnis. Bemerkenswert erscheint, dass der Besuch des Exkronprinzen Rupprecht keineswegs durch die Vermittlung der Deutschen Botschaft am Vatikan erfolgte« (Vermerk des Amtes IV des RSHA (Berlin, 9. Januar 1940), BAB, R 58/5894, Bl. 59). 88 Marion Baronin Franchetti (geb. Freiin von Hornstein Hohenstoffeln) (1870–1948 Florenz), Tochter des Komponisten Robert von Hornstein, war seit 1890 mit dem Florentiner Bankier und Kunstsammler Baron Guido Franchetti verheiratet (zur Baronin Franchetti vgl. Weiß: Kronprinz Rupprecht, S. 194; zu den häufigen Aufenthalten der Kronprinzen-Familie in Florenz auch I. v. Bayern, Jugend-Erinnerungen, S. 230 f.). 89 Vgl. hierzu Kap. VII.2 u. VII.3.

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Franz Sperr derweil – nicht zuletzt durch den negativen Kriegsverlauf befördert – ihre Anstrengungen intensivieren, für den Fall eines politischen Umsturzes oder eines andersgearteten Zusammenbruchs des »Dritten Reiches« eine »Auffangorganisation« vorzubereiten.

2. Personelle und inhaltliche Vorbereitungen für den Fall eines Umsturzes Im Folgenden sollen nun die personellen und inhaltlichen Vorbereitungen für die Schaffung einer »Auffangorganisation« im Mittelpunkt des Interesses stehen. Es soll untersucht werden, wie »breit« sich der »Sperr-Kreis« aufstellte. Waren die Vorbereitungen soweit gediehen, dass die selbstgesteckten Ziele – die Verhinderung choatischer Zustände nach Untergang des »Dritten Reiches« und die Rückkehr zu rechtstaatlichen Verhältnissen in Bayern durch Verhinderung eines Machtvakuums – hätten erreicht werden können? Während sich das Netzwerk der Widerstandsgruppe in personeller Hinsicht weitgehend rekonstruieren lässt, liegt ein größeres Quellenproblem im Hinblick auf die staatsrechtlichen Vorbereitungen einer Zeit »Danach« vor, die laut Aufgabenverteilung in erster Linie in Geßlers und Hamms Kompetenz fielen. Da beide von einer ständigen Überwachung ihrer Personen ausgingen, achteten sie strikt darauf, in Briefen keinerlei politisch brisante Themen anzuschneiden. Die inhaltlichen Vorbereitungen liefen entsprechend vor allem über mündliche Übereinkünfte. Daher war es den Protagonisten der bayerischen Widerstandsgruppe offenbar nur möglich, sich über die grundsätzlichen Rahmenbedingungen eines »Auffangprogramms«, weniger über die Inhalte einer künftigen Verfassung auszutauschen, über die laut Geßler ohnehin nur »weltfremde Menschen« nachdenken konnten.90 a) Die Kontakte zu Militärs in den bayerischen Wehrkreisen und zu ehemaligen paramilitärischen Wehrverbänden Obwohl Franz Sperr in den Jahren der Weimarer Republik mehr als Diplomat denn als Offizier im Dienste Bayerns tätig war, vergaß er seine Militärvergangenheit niemals. Dass er sich von seinen Vertrauten im Widerstand gerne als 90 Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 398. Dabei dürfte Geßler den im Exil lebenden Kronprinzen Rupprecht ausdrücklich ausgenommen haben, der seine staatsrechtliche Gedanken um 1942 zu Papier brachte. Hinsichtlich der Programmatik des »Sperr-Kreises« können diese Denkschriften des Kronprinzen weiteren Aufschluss geben, die er teilweise an die Alliierten übersandte. Sie waren womöglich maßgeblich durch die Überlegungen Sperrs, Geßlers und Hamms beeinflusst, was sich durch die Tatsache belegen lässt, dass Otto Geßler sie bei seinen Besuchen in Florenz kritisch gegenlas (vgl. Kap. VII.2).

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Minister ansprechen ließ91, hatte wohl weniger mit persönlicher Eitelkeit, als mit seiner in Hierarchie verhafteten militärischen Denkweise zu tun, die ihm sehr wichtig war. Daher verwundert es auch nicht, dass Sperr nach seinem Abschied aus Berlin in München sogleich Kontakt zu seiner ehemaligen Division aufnahm. Dieser Schritt erschien Sperr jedoch auch aus einem anderen Grund logisch: In den gleichzeitig einsetzenden Gesprächen bei Kronprinz Rupprecht und dessen Kabinettschef Franz von Redwitz war man sich darüber einig geworden, dass insbesondere Sperr seine guten Beziehungen zur Wehrmacht in ­Bayern wieder auffrischen müsse, um führende militärische Kräfte für die geplante »Auffangorganisation« zu gewinnen. Wie Geßler später erklärte, habe Sperr die Grundbedingung erkannt, dass man »›München – die Hochburg der SS – entweder sofort in die Hand bekommen oder von aussen her nehmen‹« müsse.92 Dies war nur mit der entsprechenden Unterstützung durch die Wehrmacht zu erreichen. Das gemeinsame Erleben des Ersten Weltkrieges, insbesondere so prägende Schlachten wie die von Verdun im Jahre 1916, hatte die Kameradschaft sowohl in der Truppe als auch unter den Offizieren der einzelnen Divisionen gefördert. Sperr war damals, im August 1916, zum Ersten Generalstabsoffizier (Ia) der neu aufgestellten 14. Königlich Bayerischen Infanterie-Division ernannt worden, die unmittelbar in die Kämpfe vor Verdun verwickelt war. Die beiden Kommandeure sowie Sperrs damalige Divisionskameraden trafen sich nach Kriegsende regelmäßig zu gemeinsamen Bierabenden in einem Münchener Restaurant. Solange Sperr sich in Berlin aufhielt, konnte er diesen Wiedersehensfeiern nicht beiwohnen. Dies änderte sich mit seinem Umzug nach München im Herbst 1934. Ein ehemaliger Angehöriger der Division erinnerte sich genau, dass Sperr fortan regelmäßig bei den Abenden erschien. Georg Deininger war zwar erst im Herbst 1917 zur Division gestoßen, als Sperr dieser schon nicht mehr angehörte. Der Leutnant der Reserve lernte Sperr somit erst im Rahmen dieser Wiedersehensfeiern kennen, obwohl er ihm »bereits ein sehr fester Begriff« war, hatten doch seine Divisionskameraden vieles über ihn berichtet. Der politische Gedankenaustausch war offenbar Teil dieser Abende.93 Jedenfalls kamen Sperr und Deininger sehr bald auf politische Fragen zu sprechen. Es zeigte sich, dass beide über gleiche Anschauungen und Meinungen über das »Dritte Reich« verfügten.94 Zwischen beiden sollte in der Folge ein enges Vertrauensverhältnis entstehen, Deininger sich zu einer Art »Personalreferent« für den militärischen Sektor des 91 Als Gesandter Bayerns bei der Reichsregierung war Sperr als höchster Diplomat Bayerns in Berlin faktisch in den Rang eines Ministers aufgestiegen. 92 Geßler zitierte Sperr in seiner Gedenkrede für Sperr im Dezember 1950 wörtlich (Ausführungen von H. Minister a. D. Dr. Geßler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9. Dezember 1950, BAK, NL Geßler (N 1032) 36 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 164–167, hier S. 166)). 93 Georg Deininger an Ernst Meier (12. Juli 1962), UAE, G 1/7 Nr. 3. 94 Ebd.

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»Sperr-Kreises« entwickeln und einer der wichtigsten Vertrauensleute Sperrs für den militärischen Teil der Auffangorganisation werden. Für die militärische Leitung des Widerstandskreises setzte Sperr spätestens ab Frühjahr 1936 auf den aus Bamberg stammenden General Adolf Herrgott95. Dieser hatte sich bei der »Befreiung« Münchens 1919 als Mitglied des Freikorps Epp besondere Verdienste erworben.96 Unmittelbar nach der Niederschlagung der Räterepublik hatte er sogar für ein paar Tage als Stadtkommandant von München fungiert, wodurch er zum sofortigen Eingreifen bei erneuten Unruhen befugt war.97 Als bayerischer Offizier der Wittelsbacher Monarchie stets treu ergeben, hatte sich Herrgott trotz seines aufopferungsvollen militärischen Einsatzes für Sicherheit und Ordnung in Bayern und im Reich mit den neuen Machtverhältnissen insbesondere in seiner bayerischen Heimat nicht anfreunden können. Folgerichtig war er noch 1919 mit seinen politischen Vorgesetzten aneinandergeraten, hatte seinen Posten als Führer des 1. Bayerischen SchützenRegiments aufgeben müssen und das, obwohl es ihm ausdrücklich gelungen sei, »eine gut disziplinierte unbedingt verlässige Truppe zu schaffen, die beste, über die das bayer. Kontingent der Reichswehr verfügt.«98 Zwangsversetzt ins 95 Adolf Herrgott (1872 Bamberg–1957 Lindau), ev., 1890 nach Kadettenausbildung Eintritt in die Kgl. Bayerische Armee, Kompanieoffizier im 2. Königlich Bayerischen InfanterieRegiment »Kronprinz«, 1899 Leutnant, 1902–05 Bayerische Kriegsakademie, 1906 Hauptmann und Adjutant des Chefs des Generalstabes beim Bayerischen Generalstab, 1910 Major im Generalstab der Königlich Bayerischen Infanteriedivision, 1912 Großer Generalstab in Berlin, 1914–18 Kriegsteilnahme als Ia und Kommandeur in verschiedenen Einheiten, 1916 Oberstleutnant, 1918 Bayerisches Kriegsministerium, 1918 Chef des Generalstabes der 6. Armee, 1919 als Kommandeur des Schützenregiments I gehörte er dem Freikorps Epp an, 1919 kurzzeitig Stadtkommandant von München, 1920/21 Leiter der Lehr-Abteilung des Truppenamts, 1920 Oberst, 1921–23 Kommandeur vom 20. (Bayerisches) Infanterie-Regiment in Regensburg, 1923 als Generalmajor aus dem aktiven Dienst verabschiedet, 1926–34 Vorstand des Sportverbandes deutscher Kleinkaliberschützen, 1934–36 Angestellter bei der Heeres-Ausbildungsabteilung, 1936–40 Lehrer an der Akademie für höhere Intendanturbeamte, 1939 Generalleutnant, 1941 Kommandeur der Kriegsgefangenen im Generalgouvernement, 1941/42 Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis V in Stuttgart, 1942 Führerreserve beim Wehrkreiskommando VII in München wegen gesundheitlicher Verhältnisse, 1942 Mobilmachungsverwendung aufgehoben, 1943 Verabschiedung in den Ruhestand (zu Herrgott vgl. seinen Offizierpersonalakt, BayHStA, OP 61507 sowie seinen Spruchkammerakt, StAS, Wü 13 T 2, 2454/014). 96 Vgl. Der Oberbefehlshaber des Bayer. Gruppenkommandos Nr. 4, Generalmajor Möhl, an das Ministerium für mil. Angelegenheiten (19. August 1919), BayHStA, OP 61507. 97 Als Führer der bayerischen Reichswehr-Abteilung hatte er sich außerdem bei der Niederschlagung des Aufstandes in Hamburg ausgezeichnet (vgl. Der Oberbefehlshaber des Bayer. Gruppenkommando Nr. 4, Generalmajor Möhl, an das Ministerium für mil. Angelegenheiten (19. August 1919), BayHStA, OP 61507). 98 Der Oberbefehlshaber des Bayer. Gruppenkommando Nr. 4, Generalmajor Möhl, an das Ministerium für mil. Angelegenheiten (19. August 1919), BayHStA, OP 61507. Herrgott weigerte sich, einen Befehl des Ministers für militärische Angelegenheiten, Ernst Schneppenhorst, auszuführen. Dieser verlangte, ein Forschungsinstitut in den Räumen einer Kaserne zu belassen, obwohl diese Räume dringend für Herrgotts Mannschaften benötigt wurden.

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Reichswehrministerium war Herrgotts militärischer Vorgesetzter, der sich weitestgehend für ihn eingesetzt hatte, dennoch davon überzeugt, dass dieser in Berlin »dem bayer. Kontingent der Reichswehr auch künftig wertvolle Dienste leisten könne […], wobei sein lebhaftes Temperament sich gewiss nicht als nachteilig erweisen wird.«99 In Berlin diente Herrgott in der Ausbildungsabteilung des Reichswehrministeriums unter Otto Geßler, den er persönlich kennenlernte und auch später noch wertschätzte.100 Nach 1933 war es Herrgott dann offenbar gelungen, sich von den Einflüssen der Partei weitgehend fernzuhalten.101 Doch habe er sich dem Staate weder komplett verschließen können noch wollen. Er selbst sprach später von der Existenz einer »Dauer-Wehrpflicht des Berufsoffiziers«: Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sei deshalb »der möglichste militärische Einsatz eine vaterländische Pflicht« gewesen.102 Im Rahmen des Wiederaufbaus der Wehrmacht wurde Herrgott, der 1923 aus dem aktiven Militärdienst verabschiedet worden war, reaktiviert und bis Februar 1936 zu einer Bürotätigkeit bei der Heeres-Ausbildungsabteilung ins Reichskriegsministerium befohlen. Anschließend betätigte er sich als Lehrer an der Akademie für höhere Intendanturbeamte, wo er sich mit Planübungen und technische Grundlagen zur Versorgung der Truppen mit Verpflegung auseinandersetzte.



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Also entfernte Herrgott das Forschungsinstitut, sobald anderweitig Räume bereitgestellt waren. Ein Verfahren wegen Ungehorsams wurde gegen ihn eröffnet, dann jedoch mit der Begründung eingestellt, dass ein Minister einem Offizier nicht unmittelbar einen Befehl erteilen, sondern dieser nur von einem Vorgesetzten erteilt werden kann. Die Geschichte ging für Herrgott aufgrund folgender Bemerkung gegenüber seinem Adjutanten dennoch nicht gut aus: »Und wenn die Herren sich wieder auf Minister berufen, so sagen Sie, darum könne ich mich nicht kümmern; die Minister haben dem König auch nicht gehorcht«. Mit dieser Aussage konfrontiert, erklärte Herrgott uneinsichtig: »Mein Gedankengang, dem ich, wenn ich mich recht erinnere, auch bei dieser Gelegenheit Ausdruck gab, war der, dass mit Gehorsam und Treue die Sache überhaupt nicht mehr so fest stuende, wie frueher, die revolutionaeren Sozialdemokraten haetten ja den Koenig auch davongeschickt. […] Das Gesamtministerium wollte und konnte ich mit meinen Bemerkungen über das Verhalten gegen den König natürlich nicht meinen. Es kann sich nur getroffen fühlen, wer in Vorbereitung und Durchführung der Revolution tätig war« (Abschrift des Schreibens Herrgotts an das bayer. Reichswehrgruppenkommando 4 (19. August 1919), BayHStA, OP 61507). Oberbefehlshaber des Bayer. Gruppenkommando Nr. 4, Generalmajor Möhl, an das Ministerium für mil. Angelegenheiten, (19. August 1919), BayHStA, OP 61507. Vgl. Adolf Herrgott an Otto Geßler (Berlin-Wilmersdorf, 19. Januar 1928), BAK, NL Geßler (N 1032) 18. Von seinem Amt als Vorstand des Sportverbandes deutscher Kleinkaliberschützen trat Herrgott im März 1934 angeblich nach Differenzen mit der neuen nationalsozialistischen Reichssportführung zurück (vgl. Ergänzungsbogen zum Fragebogen des Gouvernement Militaire En Allemagne von Adolf Herrgott (3. April 1949), StAS, Wü 13 T 2, 2454/014). Ergänzungsbogen zum Fragebogen des Gouvernement Militaire En Allemagne von Adolf Herrgott (3. April 1949), StAS, Wü 13 T 2, 2454/014.

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Im Rahmen dieser Tätigkeit dürfte Herrgott auch mehrfach nach München gekommen sein, um an den Vortragsveranstaltungen des Münchener Generalstabsvereins teilzunehmen, der sich bereits in den Nachkriegsjahren in München gebildet hatte und dem die Weiterbildung ehemaliger Generalstabsoffiziere und Anwärter oblag.103 An einem Abend im März 1936 besuchten neben Herrgott auch Kronprinz Rupprecht und Franz Sperr die wöchentliche Veranstaltung.104 Sperr kannte Herrgott, der 1939 als Träger des Pour le merite anlässlich des 25. Jahrestages der Schlacht bei Tannenberg zum Generalleutnant ernannt werden sollte, wahrscheinlich schon aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und schätzte ihn sehr.105 Der Kontakt zwischen beiden dürfte auch während ihrer Berliner Zeit nicht abgebrochen sein. Wahrscheinlich qualifizierte Herrgott aus Sicht Sperrs vor allem dessen militärische Profilierung und Bewährung in den ersten Monaten der Weimarer Republik, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Verhinderung von Verhältnissen wie sie 1918/19 in Bayern bestanden, immer wieder als Argument für die Schaffung einer »Auffangorganisation« heran­ gezogen wurde. Im Anschluss an den Vortrag im Generalstabsverein fand ein Gespräch zwischen Sperr, Herrgott und dem Kriegsarchivar Otto Freiherr von Waldenfels statt. Waldenfels erinnerte sich später, wahrscheinlich auf Grundlage von Notizen über das Gespräch106, dass dabei über die Möglichkeiten gesprochen wurde, die »Stahlhelmer« auch nach Auflösung des Bundes weiter zusammenzuhalten, »da man nie wisse, wie man ihrer noch bedürfe«.107 Es zeigt, dass Sperr und Herrgott zu diesem Zeitpunkt bereits in Gespräche vertieft waren, die sich mit dem Fall eines Umsturzes in Bayern auseinandersetzten. Denn schon im April 1936 seien Sperr und Herrgott bei Waldenfels im Kriegsarchiv erschienen, um auf »die allgemeine Unzufriedenheit im deutschen Volke, das bei weiteren Vorstößen Hitlers den Ausbruch eines Krieges befürchte«, hin103 Einer der regelmäßigen Teilnehmer an diesen Treffen, Otto von Waldenfels, erinnerte sich später an die Zusammenkünfte: »Nachdem die ehemaligen Feinde keine derartige Arbeit im Generalstabsdienst erlaubten, fanden die einmal in der Woche gehaltenen Vorträge älterer Offiziere an uns Jüngere im Kasino der Landespolizei statt, so war gewährleistet, dass im Falle einer Verstärkung des 100.000-Mann-Heeres die nötige Anzahl von jüngeren Generalstabsoffizieren vorhanden war. Die Vortragenden machten natürlich auch von unseren Akten und Kriegstagebüchern im Archiv Gebrauch. Häufiger Gast bei diesen Abenden waren Kronprinz Rupprecht und Prinz Adalbert« (Waldenfels: Mein Leben, S. 191). 104 Ebd., S. 281. 105 Vgl. Abschrift einer Bestätigung von Gertraud Sperr (München, 4. Juni 1946), StAS, Wü 13 T 2, 2454/014. Herrgott war Sperr in seiner militärischen Karriere immer einen Schritt voraus. Er verließ die Bayerische Kriegsakademie 1905, Sperr trat im folgende Jahr dort ein. Kennengelernt haben dürften sich beide spätestens im Jahr 1913, als Sperr zum Großen Generalstab nach Berlin, wo Herrgott bereits Dienst tat, abkommandiert wurde. 106 In Waldenfels’ Erinnerungen liest man im Abschnitt »1945« den Satz: »In meinen damals geführten Notizen habe ich das alles so wie ich es heute niederschreibe, aufgeschrieben, es sind also keine leeren Fantastereien« (Waldenfels: Mein Leben, S. 374). 107 Ebd., S. 281.

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zuweisen. Des Weiteren wussten beide zu berichten, dass auch innerhalb der Wehrmacht »starke Gegensätze zu den Nationalsozialisten vorhanden« seien, weshalb man »mit einem Sturz der Regierung Hitler rechnen« müsse. Für diesen Fall hätten Sperr und Herrgott eigens »Maßnahmen bei Eintritt eines Regierungswechsels« ausgearbeitet, wonach die Wehrmacht an die Macht gelangen, die Bevölkerung gegen die SS geschützt werden, und auf eine Militärdiktatur zügig die Wahl einer geordneten Regierung folgen müsse, die nicht aus Parteimännern, sondern aus territorial gewählten Vertrauensleuten der Bevölkerung bestehen sollte.108 Hierfür suchten beide nun auch die Verbindung zu Waldenfels, der als ehemaliger Landesführer des Stahlhelms über wichtige Kontakte verfügte. Sie baten ihn, Listen von Vertrauensleuten aus Stahlhelm Ortsgruppen-, Kreis- und Gauführern zu erstellen. Eine Kartei aller ehemaligen Mitglieder des Bundes bewahrte Waldenfels bereits im Archiv auf, weshalb es für ihn kein Problem darstellte, dieser Bitte zu entsprechen.109 Mit einigen ehemaligen bayerischen Stahlhelmkammeraden traf sich Waldenfels nach 1935 in der »Studiengesellschaft« des Generalmajors a. D. Wilhelm Kaiser, in der »bis weit in den Krieg hinein die Münchner Führerkameraden immer wieder zu Vorträgen über die politische und militärische Lage« zusammen kamen.110 Kaiser hatte gleich Sperr und Herrgott die Bayerische Kriegsakademie besucht und war in dieser sogar im Abschlussjahr Sperrs als Lehrkraft tätig.111 1921 aus der Reichswehr verabschiedet, trat Kaiser in die Führungsriege des »Bundes Bayern und Reich«112 ein113, der sich nach dem Verbot der Einwohnerwehren in Bayern als paramilitärischer Verband gründen und 1929 im Stahlhelm 108 Dass es sich hierbei um eine oder mehrere Denkschriften handelte, ist wahrscheinlich. Waldenfels setzte diese »Maßnahmen« wie später noch andere offensichtliche Denkschriften Herrgotts in Anführungszeichen (Waldenfels: Mein Leben, S. 281). Recherchen nach dem Verbleib dieser hier erwähnten Schriftstücke im Kriegsarchiv München blieben erfolglos. Die an dieser Stelle angedeutete Skepsis gegenüber den politischen Parteien, resultierte bei Sperr ohne Zweifel aus seinen Erfahrungen gegen Ende der Weimarer Republik. Kronprinz Rupprecht und sein Kabinettschef Franz von Redwitz waren sich – wie bereits dargelegt wurde – darin einig, dass sich die politischen Parteien verbraucht hatten und es daher der Integrationskraft der Monarchie in Person des bayerischen Kronprinzen bedurfte, um im Falle eines Zusammenbruchs des »Dritten Reiches« chaotische Zustände zu vermeiden. Die an dieser Stelle erwähnte Ausarbeitung »Maßnahmen bei Eintritt eines Regierungswechsels« zeigt, dass zumindest Sperr und Herrgott diese Ansicht des Kronprinzen teilten. 109 Vgl. Waldenfels: Mein Leben, S. 281. 110 Ebd., S. 397. 111 Vgl. Hackl, Bayerische Kriegsakademie, S. 487 f. 112 Der »Bund Bayern und Reich« zählte zu den so genannten vaterländischen Verbänden. Er selbst war eine paramilitärische Vereinigung, die föderalistisch-monarchistische Ziele propagierte und 1923 vorübergehend den Sturz der Reichsregierung mit vorbereitete, ehe es zu einer Spaltung innerhalb des Lagers der Vaterländischen Verbände kam (vgl. hierzu Nußer, Konservative Wehrverbände, S. 215–255). 113 Waldenfels nannte Kaiser im Januar 1923 als den Führer des »Bundes Bayern und Reich« in Nürnberg (vgl. Waldenfels: Mein Leben, S. 194).

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aufgehen sollte. Später war Kaiser dann Führer des Stahlhelm-Kreisverbandes Groß München.114 Nach faktischer Auflösung des Stahlhelm durch Überführung in die SA war es Kaiser, der jeden Mittwochabend im Schelling-Salon im Herzen Münchens unter dem Decknamen »Studiengesellschaft« einige ehemalige Stahlhelmkammeraden zusammenrief. Hier schloss sich einem kurzen Rückblick auf die Ereignisse der letzten Woche in der Regel eine Diskussion an, die sich laut Waldenfels darum gedreht habe, »wie Hitler und seine Führercliquen beseitigt werden könnten«.115 Unmittelbar nach dem »Anschluss« Österreichs im März 1938 habe Kaiser im Schelling-Salon in einem Vortrag präzise ausgeführt, »was geschehen müsse, um das NS-Regime zu beseitigen und etwas Besseres an seine Stelle zu setzen.«116 Die Besprechungen und Reden in diesem Kreis gingen damit weit über sonst übliche Gespräche im Rahmen von Ehemaligentreffen oder Wiedersehensfeiern hinaus. Waldenfels nahm diese als selbstverständlich wahr, entsprachen sie doch auch seiner gegenüber Sperr und Herrgott signalisierten Einstellung. Die Treffen sollten bis weit in den Krieg hinein fortgesetzt werden. Waldenfels habe dabei – wohl im Sinne Sperrs – auch seine Stahlhelm-Kontakte in anderen Städten Bayerns aufrecht erhalten117, womit er die Voraussetzung dafür schaffte, dass diese Kameraden im Fall der Fälle einen Umsturz in Bayern militärisch unterstützen konnten. Allerdings dürfte Sperr zugleich Waldenfels Überzeugung im Jahr 1942 geteilt haben, dass »eine Beseitigung Hitlers nur durch die Armee erfolgen könne«118, weshalb eine Ausweitung der Verbindungen in Wehrmachtskreise für Sperr weiterhin Priorität behielt. In jedem Fall sollte sich die Verbindung zu Waldenfels für den »Sperr-Kreis« in doppelter Hinsicht als gewinnbringend erweisen. Neben seinen Bemühungen, ehemalige Stahlhelm-Kameraden auf den Ernstfall vorzubereiten, fungierte Wal114 Vgl. ebd., S. 263. 115 Ebd., S. 288. 116 Was geschehen müsse, habe Kaiser ebenfalls vorgetragen, wie Waldenfels in seinen Erinnerungen festhielt: »Das könne nur die Wiedereinrichtung der Monarchie in Deutschland und den Bundesländern sein. Nur die Wehrmacht kann das System der Gewaltherrschaft beseitigen, ein mutiger, energischer, gebildeter Mann muss an ihrer Spitze stehen.« Waldenfels vermutete, im Wissen um spätere Entwicklungen, dass Kaiser zu diesem an den damaligen General der Artillerie Franz Halder gedacht haben könne, den er allerdings fälschlicherweise zu diesem Zeitpunkt bereits zum Generalstabschef des Heeres erklärte (vgl. ebd., S. 293). 117 Für das Jahr 1937 erwähnt Waldenfels in seinen Erinnerungen Besuche in Rosenheim, Nürnberg und Aschaffenburg sowie ein Treffen mit oberbayerischen Kameraden in einem abgelegenen Forsthaus bei Ebersberg (vgl. ebd., S. 288 f.). 1942 seien geheime Treffen mit ehemaligen Stahlhelmkameraden aus Nürnberg, Fürth, Erlangen und Würzburg arrangiert worden: »Um nicht der Gestapo verdächtig zu werden, tarnten wir solche Zusammenkünfte mit solchen der NS-Organisation »Kraft durch Freude«. Im kleinen Kreis der ehemaligen Stahlhelm Landesleitung besprach ich im Restaurant Schottenhamel vor allem mit den Kameraden Müller und Ilsemann die Lage« (ebd., S. 341). 118 Ebd., S. 341.

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denfels in gewisser Weise als »Archivar« der Gruppe. Seinem Ratschlag, keinerlei eigene Aufzeichnungen privat zu verwahren, leisteten Sperr und Herrgott, wie offenbar auch alle anderen Mitglieder des Kreises, in den Jahren darauf Folge. Zusätzlich empfahl Waldenfels, sämtliche Schriftstücke, Listen und Aufrufe, die mit den Planungen einer Zeit »Danach« oder einem etwaigen Regierungswechsel zu tun hatten, ihm zur sicheren Aufbewahrung im Kriegsarchiv zu überlassen, was ebenfalls von Sperr und Herrgott so gehandhabt worden sei.119 Neben der erhofften Unterstützung aus den Reihen früherer Stahlhelm-Anhänger dürfte für den Widerstandskreis auch die Verbindung zur einstigen Wehrorganisation der BVP, der so genannten Bayernwacht, interessant gewesen sein, um sich möglichst umfangreich für den Fall eines Umsturzes militärisch aufzustellen. Engen Kontakt hielt man wahrscheinlich auch deshalb zu Hans Ritter von Lex, dem ehemaligen Landesführer der Bayernwacht, von dessen antinationalsozialistischer Gesinnung man – trotz der Karriere als Ministerialbeamter, die er im »Dritten Reich« machte – überzeugt gewesen sein dürfte.120 Die Verbindung zu Lex stellte jedoch nicht Sperr, sondern Eduard Hamm her. Sie waren Konphilister121 und seit Jahren befreundet. Hamm habe Lex nach dessen Angaben in den Jahren des »Dritten Reiches« häufig in Berlin besucht.122 Möglicherweise äußerte man auch gegenüber Lex die Bitte, dass er die Verbindung zu seinen ehemaligen Bayernwacht-Kameraden wieder auffrischen sollte. Doch dürften bei Lex im Vergleich zu Waldenfels, dem es leichter fiel, regelmäßig mit ehemaligen Stahlhelmern zusammenzukommen, andere Voraussetzungen vorgeherrscht haben. Lex, der seit 1933 im Reichsinnenministerium in Berlin tätig war, dürfte nicht die Möglichkeit gehabt haben, sich regelmäßig mit seinen einstigen Gefolgsleuten auszutauschen. Er hätte wohl im Falle des Zusammenbruchs des NS-Regimes 119 Waldenfels gab hierzu später an: »Ich konnte alles in meinen großen Aktenbestand der Weltkriegsakten so unterbringen, dass auch Durchsuchungen durch die Gestapo erfolglos bleiben mussten« (ebd., S. 281). Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 habe er dann sämtliches kompromittierendes Material verschwinden lassen: »Ich habe gleich am Tag nach dem Bekanntwerden des misslungenen Attentats, alle diese Schriften und vorbereiteten Drucksachen, die mir General Herrgott und der ehemalige Minister Sperr gegeben hatte, im Archiv so versteckt, dass ich sie teilweise nach dem Krieg selbst nicht mehr wieder fand« (ebd., S. 358). 120 Schließlich hatte Lex als Führer der Bayernwacht Ende Februar 1933 wahrscheinlich folgende gegen die Regierung Hitler gerichtete Erklärung abgegeben: »Wir werden uns weder einen preußischen Prinzendiktator, noch einen braunen Parteivogt gefallen lassen. Wenn wir in der Stunde der höchsten Gefahr einen Mann brauchen, dann holen wir uns unseren Stammesherzog aus altem tausendjährigen Geschlecht. Wenn man die 51 Prozent am 5. März nicht erreicht und sich dann die Macht mit Gewalt nehmen will, so werden wir marschieren und dafür bürgen, daß unsere bayerische Heimat intakt bleibt, und wir werden, wenn nötig, auch fallen für Glaube, Heimat und Recht« (»NS-Kurier« Nr. 44, zit. n. Der bayerische Gesandte in Stuttgart an das Bayer. Staatsministerium des Äußern (28. Februar 1933), BayHStA, StK 5247). 121 Vgl. Anschriftenbuch und Vademecum, S. 79. 122 Vgl. Hans Ritter von Lex an Carl von Merz (19. September 1954), BAK, NL Lex (N 1147) 6.

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vor allem auf seine Integrationskraft bauen müssen, um die Anhänger der früheren Bayernwacht zusammenzutrommeln. Die Männer um Sperr dürften ihn deshalb wohl eher für eine zivile Verwendung in ihre Pläne mit einbezogen haben, worauf nicht zuletzt die Kontaktaufnahme durch Hamm hindeutet.123 Für den militärischen Sektor des »Sperr-Kreis« dürften jedoch mit Beginn und im Verlauf des Krieges andere Beziehungen innerhalb der bayerischen Wehrkreise relevanter geworden sein: Der Kontakt zu General Herrgott schlief zwar aufgrund dessen zeitweiliger Verwendung als Kommandeur der Kriegsgefangenen im Generalgouvernement und später in gleicher Funktion im Wehrkreis V (Stuttgart) vorübergehend ein. Allerdings dürfte diese Verbindung im März 1942, als Herrgott wegen gesundheitlicher Probleme in die Führerreserve beim Wehrkreiskommando VII nach München versetzt und zwei Monate später seine Mobilmachungsverwendung aufgehoben wurde, wieder enger geworden sein. Deininger konnte sich für diesen Zeitpunkt an mehrere Besprechungen erinnern, an denen er selbst teilgenommen habe und bei denen sich Herrgott »vorbehaltlos für seine [Sperrs: d. Vf.] Ziele zur Verfügung gestellt« habe.124 Sperr dürfte es im Zusammenspiel mit Herrgott in der Folgezeit darum gegangen sein, den Kreis der militärischen Vertrauensleute innerhalb der Kommandobehörden der beiden bayerischen Wehrkreise, nämlich im Wehrkreis VII (Süd-Bayern, Hauptquartier München), später auch im Wehrkreis XIII (NordBayern, Hauptquartier Nürnberg) zu erweitern, die dann wiederum für die »Auffangorganisation« innerhalb ihrer Dienststelle militärische Einheiten ihres Vertrauens um sich scharen sollten, die bestenfalls ebenso antinazistisch eingestellt waren wie sie selbst. Unmittelbar nach Kriegsausbruch 1939 lernte Sperr  – wahrscheinlich zunächst dienstlich bei Vortragsveranstaltungen im Rahmen der DGWW125 – den 123 Vgl. hierzu das Kap. VI.2.c. 124 Deininger war offenbar nicht bekannt, dass Sperrs Kontakt zu Herrgott schon seit einigen Jahren bestand und Herrgott in Sperrs Planungen schon längst als »militärischer Führer« des Widerstandskreises auserkoren war, als er nach dem Krieg für Herrgott eidesstattlich erklärte: »Herr Sperr hat bereits im Jahr 1942 auch Herrn General a. D. Adolf Herrgott in seine Pläne eingeweiht und ihm Aufgaben militärischer Art zugedacht. Ich war wiederholt bei derartigen Besprechungen zugegen. Herr Herrgott hat sich seinerzeit Herrn Sperr vorbehaltlos für seine Ziele zur Verfügung gestellt« (Eidesstattliche Versicherung von Georg Deininger (München, 3. Juni 1946), StAS, Wü 13, Nr. 2454/014). 125 Vgl. Erklärung von Dr. Georg Bögl (Grünwald bei München, 31. Januar 1946), S. 1–16, hier S. 11, StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. Hierin erklärte der Hauptmann beim stellv. Generalkommando im Wehrkreis VII, Georg Bögl, dass er »die Freizeitgestaltung der Truppe den KdF-Dienststellen mit ihren minderwertigen und tendenziösen Darbietungen entreissen wollte durch Schaffung eines eigenen Vortragswesens […]. Die Schwierigkeiten wuchsen wegen des Vortragswesens, dessen Seele Minister Sperr war. Seine zahlreichen Vorträge an die Offiziere wurden wegen ihrer objektiven, unpropagandistischen Haltung und wegen ihres erstaunlichen Freimutes sehr gelobt, nur wenige fanden sie defaitistisch« (ebd.). Zu Sperrs Tätigkeit und Tarnung seiner Widerstandstätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft vgl. Kap. V.3.a.

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Hauptmann Georg Bögl im Stab des stellvertretenden Generalkommandos im Wehrkreis VII (München) kennen, der im Zivilberuf als Oberregierungsrat im bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus tätig war.126 Rasch sei zwischen beiden eine vertrauliche Basis entstanden, sodass Sperr Bögl anschließend nahezu jede Woche im Generalkommando aufsuchte. Ab 1943 sei Bögl nach eigenen Angaben von Sperr in dessen Gedankengänge und Pläne eingeweiht worden, sodass er »klar erkennen konnte, dass er an einer Organisation arbeitete, die in Bayern auf die Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hinarbeitete«.127 Nachdem ihm Sperr das »Ehrenwort abgenommen« habe, »in diesen Angelegenheiten keine Zeile schriftlich« niederzulegen, sei Bögl von Sperr die Aufgabe übertragen worden, »stets 5 zuverlässige, antinazistische eingestellte Kompanien mit mir ergebenen Führern im Standort München an der Hand« zu haben. Bögl habe sich dem früheren Gesandten gegenüber hierzu verpflichtet und ihm gleichzeitig garantiert, »dass die Münchener Wehrmacht jederzeit in der Lage sein würde, eintreffende Befehle auch gegen die Münchener Parteiführung mit Gewalt durchzudrücken«. Seine regelmäßigen Besprechungen mit Sperr wurden Bögl nach dem Krieg von Sperrs Witwe bestätigt: Demnach kam Bögl »häufig« mit ihrem Mann zusammen, wie sie »aus telefonischen Anrufen Dr. Bögls und aus Mitteilungen [ihres] Mannes« wusste.128 Nach eigenen Angaben hielt Bögl sein Versprechen gegenüber Sperr ein: Er habe »ständig 5 Einheitsführer nach reiflicher Prüfung ihrer Persönlichkeit und ihrer politischen Einstellung an der Hand gehalten«, ohne sie in die Gesamt126 Georg Bögl (1892 Regensburg–1964 München), kath., 1898–1905 Seminarschule in Freising, 1905–08 Präparandenschule in Freising, 1908–10 Kgl. Lehrerbildungsanstalt Freising, 1910–12 Hilfslehrer in Partenkirchen und München, 1914–18 Kriegsteilnehmer, 1916 Leutnant der Reserve, 1918 Bezirkskommando München, zur Weiterbildung Besuch der Universität und Promotion, 1925–29 Berufsschullehrer, ab 1929 Stadtschulrat in München, 1932 Eintritt als RegDirektor ins Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 1938 Oberregierungsrat, Referat über die Lehrerbildung und die Berufsschulen, 1937 Beitritt zur NSDAP, 1942 Hauptmann der Landwehr im Stab des stellv. Generalkommandos in München, 1942 Major der Landwehr, 1943 Adjutant der Wehmachtskommandantur München, nach 1945 zunächst Versetzung an die Lehrerbildungsanstalt München-Pasing bei gleichzeitiger Beurlaubung, um dem Staatsministerium unmittelbar zur Verfügung zu stehen, dann Dienstenthebung auf Weisung der Militärregierung, 1946/47 von zwei Spruchkammern als »Entlasteter« eingestuft, 1948 RegDir im Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 1952 MinRat, 1956 MinDir und Leiter der Abteilung für Volks- u. Berufsschulen, Lehrerbildung, Mittelschulen und Volksbildung und zugleich Referent für die Ausbildung der Lehrer an Volks-, Berufs- und Mittelschulen, 1957 Eintritt in den Ruhestand (zu Bögl vgl. seinen Personalakt, BayHStA, MK 54117). 127 Georg Bögl an die Berufungskammer für Oberbayern (München, 15. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. Hieraus stammen auch die folgenden Zitate. 128 Bestätigen konnte Gertraud Sperr auch Bögls geheimen Auftrag: »Dr. Bögl hatte hierbei den wichtigen Auftrag, sich ständig über einige in ihrer partei-gegnerischen Einstellung absolut zuverlässige Offiziere zu vergewissern, deren Einheiten im Ernstfalle gegen die Partei eingesetzt werden konnten und für andere Aufgaben zur Verfügung stünden« (Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Gertraud Sperr, StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg).

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pläne Sperrs einzuweihen.129 Im stellvertretenden Generalkommando standen ihm hierfür ab 1939 bis zu seiner Versetzung zur Wehrmachtskommandantur im Jahr 1943 die Offiziere Joseph Oesterle und Alfons Müller zur Seite. Oesterle, promovierter Staatswissenschaftler und Verlagsprokurist, war von 1925 bis 1933 stellvertretender Generalsekretär der BVP gewesen.130 Im stellvertretenden Generalkommando teilte er sich mit Georg Bögl über drei Jahre ein Büro, das in dieser Zeit zum »Treffpunkt aller Gleichgesinnten« wurde. Ihre Haupttätigkeit habe darin bestanden, so Oesterle, in »täglichem Gedankenaustausch […] regelmässig die Nachrichten der Auslandssender« zu besprechen und gleichsam »die Terrormethoden der Partei und die Parteihörigkeit gewisser Offiziere« zu brandmarken«.131 Mit Müller, im Zivilberuf Landgerichtsdirektor in Traunstein, war ein ehemaliger Regimentskamerad Sperrs mit ihnen im Bunde.132 Dieser leistete seinen Dienst im Stab des Kommandeurs der Kriegsgefangenen. Man habe gemeinsam nach Wegen gesucht, um »Deutschland von Hitler und seinem Anhang zu befreien« und sei dabei wiederum mit Sperr in ein »engeres und vertrautes Verhältnis« gekommen.133 129 Georg Bögl an die Berufungskammer für Oberbayern (München, 15. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. 130 Joseph Oesterle (1899 Weißensberg bei Lindau–1959 München), kath., 1917–20 Kriegsteilnehmer und Lazarettaufenthalt, Studium der Volkswirtschaftslehre in München, 1924 Dr. oec. publ., 1925–33 stellv. Generalsekretär der BVP, gemeinsam mit Dr. Anton Pfeiffer Herausgeber der »Mitteilungen für die Vertrauensleute der Bayerischen Volkspartei«, 1933 verantwortlich für die Herausgabe der »Briefe aus der Bayerischen Volkspartei«, 1934–46 Prokurist und Vorstand der Verlagsanstalt Buch- und Kunstdruckerei Manz AG, 1939–44 stellv. Generalkommando München, nach 1945 von der allierten Militärregierung als unbedenklich anerkannt, seit 1946 Präsident des bayerischen Landesamtes für Vermögensverwaltung, 1949–57 Mitglied des Landesvorstands der CSU, 1949–59 MdB (CSU), 1954–59 MdEP (CSU) (vgl. Balcar / Schlemmer, Spitze der CSU, S. 614; Personalakt, BayHStA, MF 77554). 131 Abschrift einer »Bürgschafts Erklärung« von Dr. Joseph Oesterle (München, 19. Dezember 1945), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. 132 Alfons Müller (1892 Weißenburg i. B.–nach 1972), kath., Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen, 1910 Fahnenjunker im 12. Inf.-Regt »Prinz Arnulf«, 1911 Fähnrich, 1913 Leutnant, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1916 Oberleutnant, 1920 Hauptmann a. D., ab 1920 bei bayerischen Landesdienststelle für Versorgungswesen, 1923 Dr. jur. in Erlangen, 1919–28 Mitglied der DNVP, 1922–24 Kommissar der Pensionsabteilung für ehem. aktive bayerische Offiziere, 1925 Gerichtsassessor im Oberlandesgerichtsbezirk München, 1925 Amtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Kempten, dort ab 1926 III. Staatsanwalt, ab 1928 Amtsrichter am Amtsgericht Rosenheim, ab 1932 I. Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Augsburg, ab 1934 Landgerichtsrat am Landesgericht Augsburg, ab 1937 Landgerichtsdirektor am Landesgericht Traunstein, ab 1939 Hauptmann z. V. beim stellv. Generalkommando München sowie im Stab des Kommandeurs der Kriegsgefangenen im Wehrkreis VII, 1941 Major z. V., nach 1945 von der alliierten Militärregierung als Richter vereidigt, 1945 Direktor beim Landgericht Traunstein, ab 1950 Landgerichtspräsident beim Landgericht Traunstein, 1957 Ruhestand (zu Alfons Müller vgl. dessen Personalakten BayHStA, MJu 25716 u. OP 53200). 133 Bestätigung von Dr. Alfons Müller (Traunstein, 4. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg.

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Auch nach seiner Versetzung zur Adjutantur der Wehrmachtkommandantur München habe Bögl nach Angaben Müllers für die bayerische Widerstandsgruppe weiterhin eine »Schlüsselstellung« inne gehabt.134 Im Dezember 1943 sorgte er für die Versetzung des von der Ostfront nach München heimgekehrten Hauptmanns der Reserve Hans Hechtel135 zu seiner Dienststelle. Dieser war wiederum seit seiner Jugendzeit mit Eduard Hamm bekannt und stand mit ihm in freundschaftlichem Kontakt.136 Während eines Fronturlaubs 1942 habe Hamm dem promovierten Juristen gegenüber Andeutungen gemacht, dass »ernste Bestrebungen im Gange« seien, »um das nazistische Schreckensregiment zu beseitigen«. Der frühere Reichswirtschaftsminister habe Hechtel dann, nachdem er ihm klar gemacht habe, dass man auf seine Mitwirkung rechne, mit Franz Sperr zusammengebracht. Dieser habe ihn gefragt, ob er sich »jederzeit zur Verfügung stelle und auch entsprechend rasch im Bedarfsfalle vom Osten nach München kommen könne«.137 Unter Bögl habe Hechtel dann als Abteilungsleiter bei der Wehrmachtkommandantur München seinen Dienst verrichtet. Spätestens Mitte Juli 1943 trat Sperr an den Stabszahlmeister bei der Wehrmachtkommandantur Augsburg, Dr. Gregor Weber138, heran, um auch in der Hauptstadt Schwabens militärische Vorbereitungen für den Fall des Umsturzes 134 Vgl. ebd. 135 Hans Hechtel (1897 Vohenstrauß / Oberpfalz–1974), ev., 1916–19 Leutnant der Reserve, Studium der Rechtswissenschaften in München und Erlangen, 1922 Dr. jur., 1925 Rechtsanwalt in München, 1926 3. Staatsanwalt Staatsanwaltschaft München I, ab 1929 Amtsrichter am Amtsgericht München, ab 1933 1. Staatsanwalt Staatsanwaltschaft München II, 1935 Landgerichtsrat Landgericht München II, 1940 vom Kriegsdienst freigestellt, 1941–45 Hauptmann der Reserve, nach 1945 Oberstaatsanwalt Landgericht München II, ab 1947 MinRat im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben, ab 1949 Senatspräsident beim Oberlandesgericht München, 1954–62 Generalstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München, 1962 Ruhestand (zu Hechtel vgl. dessen Personalakt, BayHStA, MJu 26599). 136 Hechtels Vater Otto war Hamms Vorgesetzter in Memmingen gewesen (vgl. Lebenserinnerungen Eduard Hamm, NL Hamm (Privatbesitz Hamburg). Die Freundschaft der beiden Familien war so eng, dass die Hamms sogar an der Konfirmation Hans Hechtels im April 1911 teilnahmen (vgl. Familienchronik von Eduard und Maria Hamm. 1. Buch (1907–1918), NL Hamm (Privatbesitz München)). 137 Eidesstattliche Versicherung von Dr. Hans Hechtel (München, 13. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. 138 Gregor Weber (1898 München–?), kath., 1916–18 Kriegsteilnahme, Studium der Staatswirtschaften an der Universität München, 1920–22 Assitent und Bibliothekar an der Universität München, 1922 Promotion in München, 1922/23 Buchprüfer und Finanzbeamter in Berlin, 1923 Landesfinanzamt München, 1923–41 Finanzamt Kempten, seit 1937 Mitglied der NSDAP, ab 1941 Wehrmachtkommandantur und Sanitätsabteilung Augsburg, 1941 Oberzahlmeister der Stadtkommandantur Augsburg, 1941–45 Stabszahlmeister, nach 1945 am Finanzamt Kemten zunächst entassen, von der Spruchkammer Kempten entlastet, bis 1955 Rückkehr ins Finanzamt Kempten, ab 1955 ORegRat Finanzamt München-Ost, 1963 Ruhestand (zu Weber vgl. seinen Personalakt, BayHStA, MF 77877 sowie seinen Spruchkammerakt, StAA, Spk. Kempten Akten W 111).

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zu treffen.139 Ein unmittelbarer Untergebener Webers erinnerte sich später, dass sein Vorgesetzter in seinem Dienstzimmer regelmäßig Besprechungen abgehalten habe, in denen sämtliche Einzelheiten für den Fall eines möglichen Umsturzes erörtert worden seien. So habe Weber unter anderem mit einem Major seiner Dienststelle geplant, mit den Batterien einer schweren Artillerie-Abteilung die südlich von Augsburg gelegenen Flugplätze Penzing und Lechfeld »unter konzentrische Feuer [zu] nehmen, falls diese Fliegerhorste im Sinne des Nazismus Widerstand leisten sollten«.140 Darüber hinaus sei Weber in Augsburg selbst die Aufgabe zugefallen, im geeigneten Augenblick und mit Hilfe von zuverlässigen Angehörigen der 1. und 2. Standortkompagnie den Wehrmachtkommandanten Generalmajor Franz Fehn festnehmen zu lassen, falls sich dieser den Anordnungen der Umstürzler widersetzen sollte, sowie für die »sofortige Besetzung der Standortnachrichtenvermittlungsstelle« zu sorgen.141 In Nürnberg gestaltete sich der Aufbau von Beziehungen zu vertrauenswürdigen Verbindungsleuten offenbar schwieriger. Franz Sperr gelang es immerhin, die besonders wichtige Verbindung zum Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos XIII, Oberst Viktor Kolbe142, herzustellen.143 Dieser sei als fanatischer Gegner des NS-Regimes bekannt gewesen und deshalb in den Widerstandskreis mit einbezogen worden.144 Am 20. Juli 1944 sollte Kolbe in Nürn139 Vgl. Bestätigung von Dr. Ernst Meier (Neumarkt / Oberpfalz, 27. Juli 1946), StAA, Spk. Kempten Akten W 111. – Weber wurde durch Sperr jedoch nicht nur wegen seiner militärischen Einflussmöglichkeiten kontaktiert, sondern sollte gleichzeitig neben dem Augsburger Unternehmer Ludwig Berz sein wichtigster Vertrauensmann für Schwaben werden. Er erhielt von ihm den Auftrag, in schwäbischen Städten Vertrauensleute für die Widerstandsgruppe zu gewinnen (vgl. zur »Augsburger Gruppe« um Ludwig Berz und Franz Reisert sowie speziell zu Webers Aktivitäten in Schwaben Kap. VI.3.a). 140 Es sei hiermit beabsichtigt worden, »eine schlagartige Vernichtung beider Fliegerhorste« zu erreichen, »falls diese der Garnison Augsburg Schwierigkeiten bereiten sollten« (Erklärung von Christian Vaas (Augsburg, 30. Juli 1946), StAA, Spk. Kempten Akten W 111). 141 Ebd. 142 Viktor Kolbe (1886 Sondershausen–1962 Aumühle), ev., Großvater nationalliberaler Reichstagsabgeordneter im Kaiserreich, Berufslandwirt und Gutsbesitzer in Pommern und Mecklenburg, Eintritt in Husarenregiment 13, 1905 Leutnant, 1912–14 Kriegsakademie, 1915 Rittmeister u. zum Generalstab versetzt, 1940 als Generalstabsoffizier wiederverwendet, 1942/43 Ia des Generalkommando LXXXI. Armeekorps in Nordfrankreich, 1943/44 Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos XIII in Nürnberg, nach dem 20. Juli 1944 seiner Stellung enthoben, 1945 »als Mann des 20. Juli« verhaftet und ins Gefängnis Neubrandenburg geworfen, von der Roten Armee befreit, nach 1945 zum Verlassen seiner Güter gezwungen, Flucht nach Buchholz bei Ratzeburg (zu Kolbes Rolle am 20. Juli 1944 vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 382 sowie die Angaben zu seiner eigenen Person in der Abschrift seiner Eidesstattlichen Erklärung für Fritz Schade (Buchholz bei Ratzeburg, 28. März 1947), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 143 Die Verbindung erfolgte über Sperrs Vertrauensmann in Nürnberg, Dr. Fritz Schade. Auf Schade wird in den Kap. VI.2.b und VI.3.b ausführlicher eingegangen. 144 Vgl. Verteidigungsschrift Schade (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 1–7, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz.

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berg eine wichtige Rolle bei der teilweisen Umsetzung der »Walküre«-Pläne spielen.145 Den für die weitere Entwicklung wichtigsten militärischen Kontakt ver­ mittelte Georg Deininger Sperr hingegen Ende 1942 in der Person Philipp Schuberts.146 Der Zahnarzt und Major der Reserve Schubert stand seit Ende 1939 als Erster Generalstabsoffizier (Ia)  und Adjutant in Diensten der Münchener Ersatzdivision 157, ab Oktober 1942 der Ersatzdivision 467. Sperrs Hoffnung, durch Schubert Einblick in die militärische Lage und Personalstruktur im Wehrkreis VII zu erhalten, sollte dieser nicht enttäuschen. Schubert erhielt im Gegenzug von Sperr »Einblick in die über das ganze Reich verzweigten Widerstandskräfte, vor allem auch über die lokalen bei Polizei und Luftwaffe«.147 Doch waren es nicht nur diese Informationen, die Schubert für Sperr zu einem wichtigen Vertrauensmann machten. Die regelmäßig stattfindenden Gespräche zwischen beiden dienten vor allem auch der Erörterung der »verschiedenen Möglichkeiten […], die den Sturz des Nazi-Regimes zum Ziel hatten«148. Zwei Aufgaben kamen Schubert in diesem Zusammenhang zu: Erstens sollte er »als Vorarbeit die Umbesetzung aller Kommandeurstellen der Div[ision] durch verlässige Offiziere« übernehmen. Dass der Oberstleutnant Ludwig Ritter von Finsterlin149 auf Betreiben Schuberts als Kommandeur an die Spitze der Infanterie-ErsatzBataillone 19 und 61 trat, ist nicht auszuschließen. Zumindest galt dieser in den Reihen des »Sperr-Kreises« als wichtiger Verbindungsmann in die Ersatz-

145 Vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 382. 146 Philipp Schubert (1894 München–1963 München), kath., 1914–18 Kriegsteilnahme, 1918 Oberleutnant, 1920 Entlassung aus der Reichswehr wegen zu nachgiebigen Verhaltens gegenüber den Soldatenräten während der Revolutionszeit, Studium der Zahnmedizin in München, Promotion, Hauptmann der Reserve im Verband der Panzeraufklärungstruppe, 1935–37 Reserveübungen bei der Aufklärungsabteilung 7 in München, 1938 Teilnahme am Einmarsch in Österreich, 1939 Teilnahme am Krieg gegen Polen, ab 1939 Ia und Adjutant im Stab der Münchner Ersatzdivision Nr. 157, 1942 Major d. Res., 1942–45 Stab der umbenannten Münchner Ersatzdivision Nr. 467, 1945 als Oberstabsarzt zu den San.-Offizieren überführt, 1945 Kriegsgefangenschaft in Garmisch, im Gefangenenlager Eintritt in die Dienste des amerikanischen Militärgeheimdienstes CIC, später Vertrauensarzt des Landesamts für Wiedergutmachung (zu Schubert vgl. seinen Personalakt BayHStA, OP 49331 sowie die Nachlass-Unterlagen in BayHStA, HS 965). 147 Philipp Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (Manuskript) (München, im Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 3–7, hier Bl. 5. 148 Eidesstattliche Erklärung Dr. Philipp Schuberts gegenüber Rechtsanwalt Dr. Laternser (München, 1. Mai 1946), IfZ, ZS 391, Bl. 9. 149 Ludwig Ritter von Finsterlin (1895–1969), kath., Humanistisches Gymnasium Kempten, Adjutant der Offiziersschule München, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Kompanieführer des 4./5. Infanterie-Regiments, EK II, EK I, durch Halsdurchschuss schwer verwundet, Ritter des Bayerischen Militär-Max-Joseph-Ordens, Angehöriger der Freikorps Schwaben und Oberland, als Hauptmann a. D. entlassen (1920), im Zweiten Weltkrieg Kommandeur der Ersatztruppenteile 19 und 61 (vgl. BayHStA, OP 24437).

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truppenteile.150 Im zweiten Schritt ging es für Schubert wohl ab August 1943 darum, einen Ersatzmann für Herrgott als militärischen Führer zu gewinnen.151 Als Adjutant der Münchener Ersatzdivision lernte Schubert bereits zu Beginn des Krieges den Adjutanten des Münchener Artillerie-Regimentes Oberleutnant Günther Caracciola-Delbrück152 kennen. Rasch erkannte er, dass Caracciola eine ähnlich ablehnende Haltung gegenüber dem NS-Regime vertrat, wie er selbst. Befehlshaber des Wehrkreises VII war zu jener Zeit der General der Artillerie Edmund Wachenfeld, den Schubert früh als »parteifeindlich und kameradschaftlich« wahrnahm. Als bei diesem der Posten des persönlichen Adjutanten frei geworden war, schlug Schubert Wachenfeld sogleich Caracciola als geeigneten Mann vor, »der in Kürze in diese wichtige Vertrauensstellung« einrückte.153 Nicht auszuschließen ist freilich, dass bei dieser Besetzung neben Schubert auch der Leiter des Allgemeinen Heeresamtes im OKH, General Friedrich Olbricht, seine Finger im Spiel hatte, mit dem Caracciola offenbar seit längerem gut bekannt war.154 Das ohnehin schon kameradschaftliche Verhältnis zwischen Schubert und Caracciola entwickelte sich fortan zu einer echten Freundschaft.155 Für Franz Sperr wurde Caracciola bereits zu diesem Zeitpunkt interessant, weil es diesem 150 Vgl. Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich sowie »Gespräch mit Herrn Präsident Riedmayr« (9. Juli 1962), UAE, G 1/7 Nr. 1. 151 Mit diesem Komplex wird sich das Kapitel über die Kontakte des »Sperr-Kreises« zu Generaloberst Franz Halder eigens beschäftigen (vgl. Kap. VIII.3). 152 Günther Caracciola-Delbrück (1898 Frankfurt a. M.–1945 München), 1915–18 Kriegsteilnahme, 1922 Oberleutnant a. D., Studium der Theaterwissenschaften, Bayerisches Staatstheater, 1928 Mitinhaber des Bavaria-Verlags für moderne Graphik, Gauting, 1939 Adjutant des Wehrkreisbefehlshabers VII, 1943–45 Major und Verbindungsoffizier der Wehrmacht zu Reichsstatthalter Ritter von Epp, 1945 an der »Freiheitsaktion Bayern« maßgeblich beteiligt, wurde Caracciola am 28. April 1945 standrechtlich erschossen (zu Caracciolas Rolle vgl. diverse Stellen bei Diem, Freiheitsaktion). 153 Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 3–7, hier Bl. 4. 154 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Franz Halder (Steinlager Allendorf, 11. Februar 1947), StAM, SpkA K 1749: Staimer, Max Josef). Der später am Entwurf des »Walküre-Plans« für den 20. Juli 1944 maßgeblich beteiligte General Olbricht soll nach Gerhard Ritter bereits im November 1942 anlässlich eines Treffens mit Carl Goerdeler und Henning von Tresckow angekündigt haben, »in Berlin, Wien, Köln und München eine Organisation aufzubauen, die in diesen Städten der Staatspartei die Macht entreißen sollte, sobald von anderer Seite der erste Schlag gegen Hitler geführt wäre«. Obricht habe in der Folgezeit damit begonnen, »Vertrauensoffiziere in jedes stellvertretende Wehrmachtskommando zu entsenden« (G. Ritter, Carl Goerdeler, S. 349). Als Vertrauensoffizier Olbrichts im Wehrkreis VII kam somit auch vom Zeitpunkt her Caracciola-Delbrück in Frage. 155 Schubert schrieb hierzu: »Nachdem ich nun mit Carr. im gleichen Hause war, waren wir täglich zusammen, hielten uns gegenseitig auf dem Laufenden und liessen uns auch durch die damaligen militärischen Erfolge in unserer Gesinnung nicht beirren. Wir wurden engste Freunde fürs Leben« (Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 4).

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nun möglich war, »als ständiger Begleiter des Befehlshabers Verbindungen zur Luftwaffe [und] Polizei zu bekommen und Einblick und Fühlung mit den Parteidienststellen zu gewinnen«156. Darüber hinaus unterstützten Schubert und Caracciola Sperr in seinem Vorhaben sein Netzwerk an vertrauenswürdigen Militärs im Wehrkreis VII weiter auszubauen. Bei einer Zusammenkunft im Münchener Hotel Vierjahreszeiten Anfang März 1943 gelang es Schubert und Caracciola »unbedingte Klarheit und Vertrauen« vom Ia des Generalkommandos, Bruno Grosser, zu erlangen.157 Zumindest den Namen des Oberstleutnants Grosser scheint Caracciola auch nach Berlin an General Olbricht ins Allgemeine Heeresamt im OKH weitergegeben zu haben, womit zu diesem Zeitpunkt bereits eine Verbindung des »Sperr-Kreises« zu den später maßgeblich am Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligten Militärs existiert haben dürfte, eine Verbindung, die einen durchaus unterstützenden Charakter aufwies.158 Im Sommer 1943 fanden mehrere Zusammenkünfte in der Wohnung Sperrs mit den späteren Leitern der »Freiheitsaktion Bayern«159, dem Chef der Dol-

156 Ebd. 157 Ebd. – In dem Schreiben ist neben Bruno Grosser auch die Rede vom Ib Elsässer, der im weiteren aber offenbar nicht mehr in Erscheinung trat. Neben Grosser zählte Schubert auch Zivilisten zu seinen Vertrauensleuten: So etwa den Kaufmann aus Wolfratshausen, Hans Gloning, den Schubert zu Beginn des Krieges kennengelernt hatte, der ihm im Fall der Fälle Unterschlupf versprach, und den er »über die wichtigsten Vorgänge auf dem Laufenden gehalten« habe, so dass er schließlich – wie Schubert selbst – von der »Attentatsaffaire im Juli 1944« Bescheid gewusst habe (Eidesstattliche Erklärung von Dr. Philipp Schubert (München, 30. Juni 1947), StAM, SpkA K 3692: Gloning, Hans). Zudem stand Fritz Schade, ein enger Vertrauter Franz Sperrs, offenbar seit Ende 1944 eng mit dem Major der Reserve bei der Kraftfahr-Ersatz-Abt. 7 der 467. Division, Karl Rothmüller, in Verbindung, der im Zivilberuf Goldschmiedemeister war. Dieser diente ihm als Verbindungsmann zur in Garmisch stationierten Hauptabteilung des Divisionsstabes. Schade habe Rothmüller über seine Widerstandsverbindungen in Kenntnis gesetzt. Dieser habe wiederum für die Widerstandsbewegung wertvolle Dienste geleistet (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Philipp Schubert (München, 10. Oktober 1946), BayHStA, HS 965). Da Rothmüller offenbar erst nach dem 20. Juli 1944 mit Schubert in Kontakt kam, kann er weder als Mitglied noch als Sympathisant des »Sperr-Kreises« gelten. Dennoch taucht sein Name auf den Listen der Gedenkveranstaltungen nach 1945 wiederholt auf. 158 Schließlich war Bruno Grosser offenbar – ebenso wie Kolbe in Nürnberg – fest als Vertrauensmann bei den Männern des 20. Juli 1944 vorgesehen (vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 382). Dagegen scheint der bei Hoffmann als weiterer Kontaktmann angegebene Oberst Max Ulich nicht auf Betreiben des »Sperr-Kreises« der Berliner Militäropposition zugeführt worden zu sein, da dieser erst recht spät nach München versetzt wurde. Über das geplante Attentat sei dieser vielmehr – wie im Übrigen auch Oberstleutnant Grosser (vgl. Hoffmann: Widerstand – Staatsstreich – Attentat, S. 551) – erst wenige Tage vor dem Attentat durch seinen Vorgänger als Chef des Stabes im Wehrkreis VII, Oberst von Linstow, informiert worden (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Heinrich Kreisel (München 21. Juni 1947), StAM, SpkA K 1851: Ulich, Max). – Zur Rolle des »Sperr-Kreises« beim Attentat vom 20. Juli 1944 vgl. Kap. VIII.5.a. 159 Zur »Freiheitsaktion Bayern« vgl. die Dissertation von Diem, Freiheitsaktion.

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metscherkompanie 7, Rupprecht Gerngross160, dem Dolmetscher in britischen Kriegsgefangenenlagern, Ernst Falkner161, und dem Rechtsanwalt Ottheinrich Leiling162 statt, an denen nach Angaben Gerngroß’ außer Sperr nur noch General Herrgott als auserkorener militärischer Leiter der Widerstandsbewegung in Bayern teilnahm.163 Laut Gerngross habe Sperr damals bereits »die Verschwörung in 160 Rupprecht Gerngross (1915 Shanghai–1996 Deisenhofen), Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München, London und Erlangen, 1939 Einberufung zur Wehrmacht, 1941 an der Ostfront verwundet, in München im Lazarett für nicht mehr »kriegsverwendungsfähig« befunden, 1941 Dienstantritt bei der Dolmetscher-Kompanie des Wehrkreises VII, 1942 Dr. jur. in Erlangen, 1942 Chef der Dolmetscher-Kompanie, 1943 Hauptmann, 1945 gilt er als Anführer der »Freiheitsaktion Bayern«, nach 1945 ist er als Rechtsanwalt in München tätig (vgl. ebd.). 161 Ernst Falkner (1909 München–1950 Leipheim), Studium der Philosophie und Rechtswissenschaften in München und Freiburg, Promotion zum Dr. phil., Journalist, 1932 Beitritt zum Bayerischen Heimat- und Königsbund, 1937 Beitritt zur NSDAP, seit 1938 Honararkonsul der Dominikanischen Republik in Bayern, 1943–45 als Sonderführer mit der Betreuung des englischen Offizierslagers in Steinburg zuständig, nach 1945 Landrat in Bogen / Niederbayern, 1945 Regierungspräsident von Niederbayern und der Oberpfalz, Mitbegründer der CSU, 1945–47 Bezirksvorsitzender der CSU in Niederbayern, 1947 Eintritt in die Bayernpartei, wo er als Generalsekretär und Schatzmeister fungierte und 1949 als Abgeordneter in den ersten Deutschen Bundestag einzog (vgl. ebd.). 162 Ottheinrich Leiling (1910 Pirmasens–1990), Studium der Rechtswissenschaften in München, London und Würzburg, Promotion, Ausbildung bei der Bayerischen Treuhand AG, RegRat bei der Reichsfinanzverwaltung, seit 1940 Mitglied der NSDAP, 1941 Einberufung in die Wehrmacht, 1941 als Schütze zur Dolmetscher-Kompanie versetzt, 1942 als Sprachmittler für Englisch als Sonderführer zum Stab der 167. Infanterie-Division in die Niederlande versetzt, 1943 Rückkehr zur Dolmetscher-Kompanie nach München, nach 1945 als Rechtsanwalt und Justiziar beim Bayerischen Rundfunk tätig (vgl. ebd.). 163 Rupprecht Gerngross an Ernst Falkner (München, 5. Januar 1948), StAM, SpkA K 387: Falkner, Ernst. – Georg Bögl bestätigte später die Kontakte Sperrs zu Gerngross. Er selbst stand als Ic des Generalkommandos der Dolmetscherkompanie und somit auch Gerngross vor. Nachdem Sperrs Sohn Hanns Ludwig verwundet von der Front heimgekehrt sei, habe Bögl ihn in der Dolmetscherkompanie untergebracht. Sperr habe bei seinen regelmäßigen Besuchen manchmal von Gerngross gesprochen und erklärt, dass »dessen Leute doch sehr zuverlässig seien« (»Aufschreibung über die Vorgänge in der Wehrmachtkommandantur München unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner« von Georg Bögl (21. Januar 1946), ZS / A 4/6, Bl. 73–77, hier Bl. 73). Der auf den Listen der Wiedersehensfeiern für Franz Sperr auftauchende Münchener Stadtschulrat Anton Fingerle (1912 München–1976 München) gehörte in den Jahren des Krieges ebenfalls zur Dolmetscherkompanie, sprach dieser doch insgesamt acht Sprachen. Die Vorbereitungen zum Aufstand der »Freiheitsaktion Bayern« seien teilweise in Fingerles Wohnung getroffen worden (vgl. hierzu diverse Zeitungsberichte im Nachlass von Rupprecht Gerngross, BayHStA, NL Gerngross 16). Dagegen erwähnte Fingerle nach dem Krieg eine Verbindung zum »Sperr-Kreis« nicht, sondern verwies lediglich auf seine vor 1933 bestehende Mitgliedschaft in der BVP sowie seine nach 1939 erfolgte Teilnahme an Treffen der »Bayerischen Freiheitspartei«, womit er wohl die »Freiheitsaktion Bayern« meinte (vgl. Fingerles Angaben im Fragebogen der Militärregierung, NL Anton Fingerle (Privatbesitz München), zu seinem beruflichen Werdegang seinen Personalakt, BayHStA, MK 54445 sowie zu seiner Tätigkeit als Stadtschulrat

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Berlin« angesprochen. Er selbst habe von Sperr den Auftrag erhalten, »den militärischen Plan für den Aufstand in München« sowie »Vorschläge […] für die Aufstellung einer bewaffneten ›Antichaos‹-Streitkraft« zu entwerfen.164 Sperrs eigene Vorstellungen seien laut Gerngross dahin gegangen, dass »militärische Organisationen nach Art von Freikorps« geschaffen werden sollten, »so z. B. hinsichtlich der Klärung der Frage der Entlöhnung der Truppen«. Die Bezeichnung »bayerische Landwehr« habe im Raum gestanden.165 Falkner sei die Aufgabe zugefallen, »besonders unter den englischen Kriegsgefangenen Vorbereitungen zu treffen, damit diese gegebenenfalls bewaffnet und eingesetzt werden könnten«.166 Im Falle eines Umsturzes wäre die Unterstützung durch ausländische Kriegsgefangene mit Sicherheit von Vorteil gewesen, nicht nur für die unmittelbare Überwältigung von SS- und Parteianhängerschaft. Schließlich war man zur Durchsetzung der eigenen Pläne auch auf Fürsprecher bei den möglichen Besatzungsmächten angewiesen.167 Des Weiteren hätte man die ausländischen

von München nach 1945 Fleischer-Schumann, Bildungs- und Erziehungswesen). Daher scheint Anton Fingerle in erster Linie als Vertreter der Stadt München und als Vertreter der aus dem Widerstandskreis mitentstandenen »Freiheitsaktion Bayern« an den Gedenkveranstaltungen teilgenommen zu haben und eher nicht – wie Becker annimmt – als Mitglied des »Sperr-Kreises« (vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 121). 164 Rupprecht Gerngross an Ernst Falkner (München, 5. Januar 1948), StAM, SpkA K 387: Falkner, Ernst. 165 Rupprecht Gerngross an den öffentlichen Kläger der Spruchkammer Bad Tölz (15. August 1948), BayHStA, NL Gerngross 53). Da Sperr in der Tat militärische Gruppen innerhalb verschiedener Wehrmachtsabteilungen (Wehrkreiskommandos, Stadtkommandanturen), aber auch innerhalb der früheren paramilitärischen Verbände und Wehrorganisationen Stahlhelm und Bayernwacht zu bilden suchte, könnten dessen Vorstellungen tatsächlich in diese Richtung gegangen sein, obwohl nur Gerngross nach 1945 diese möglichen Gedanken Sperrs erwähnte. Die Niederschlagung der Münchner Räterepublik war 1919 maßgeblich durch Beteiligung der Freikorps erfolgt. In ihrer paramilitärischen, oftmals improvisierten Organisationform hatten sie sich, unabhängig von der republikfeindlichen, politischen Gesinnung vieler ihrer Mitglieder, aus Sicht des »Sperr-Kreises« durchaus bewährt. Mehrere »Sperr-Kreis«-Mitglieder, insbesondere der lange Zeit als militärische Leiter auserkorene Adolf Herrgott, waren frühere »Freikorps«-Mitglieder. 166 Rupprecht Gerngross an Ernst Falkner (München, 5. Januar 1948), StAM, SpkA K 387: Falkner, Ernst; vgl. auch Politischer Lebenslauf von Dr. Ernst Falkner, S. 1–14, hier S. 9, StAM, SpkA K 387: Falkner, Ernst. 167 Vgl. hierzu das Kap. VII.3. Nach eigenen Angaben habe Falkner kurze Zeit nach diesen Gesprächen mit dem »Sperr-Kreis« den gleichen Auftrag in Berlin auch von dem Legationsrat im Auswärtigen Amt, Adam von Trott zu Solz erhalten, der einer der führenden Persönlichkeiten des »Kreisauer Kreises« war: Falkner solle in einem eigens in der Nähe von Berlin errichteten Kriegsgefangenlager herausfinden, ob unter den dortigen kriegsgefangenen, britischen Offizieren »nicht Sympathien für  – wie er sagte  – ›das andere Deutschland‹ vorhanden seien« (Politischer Lebenslauf von Dr. Ernst Falkner, S. 1–14, hier S. 10, StAM, SpkA K 387: Falkner, Ernst). Ob sich dies tatsächlich so zugetragen hat und ob Falkners Entsendung nach Berlin womöglich auf Vermittlung Sperrs im Rahmen seiner Kontakte zu Moltke geschah, konnte nicht geklärt werden.

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Zwangsarbeiter unmittelbar nach einem Umsturz durch solche Kontakte besser unter Kontrolle halten können.168 Der Zeitpunkt der Treffen mit Gerngross und Co. – parallel zu den Treffen mit dem »Kreisauer Kreis«169 – verdeutlicht, dass man in diesen Wochen die Vorbereitungen für einen Umsturz in München und ganz Bayern intensivierte und konkretisierte. In der Zwischenzeit hatte man von möglichen Umsturzplänen in Berlin gehört, was Gerngross durch seine Angaben bestätigte. Weitere Treffen in diesem Rahmen fanden später nicht mehr statt. Dies war insofern auch nicht notwendig, weil die Aufgaben klar verteilt und für Gerngross und Falkner nur noch deren Erfüllung ausstand. Da ein Attentat bis zum 20. Juli 1944 ausblieb, und an jenem Tag die Situation in München offenbar zu unsicher und unklar blieb170, der »Sperr-Kreis« anschließend zudem seiner Spitze beraubt wurde, dürften eventuelle Pläne von Gerngross und Falkner für den nächstmöglichen bzw. letztmöglichen Zeitpunkt, nämlich den 28. April 1945, dem Tag des Aufstandes der »Freiheitsaktion Bayern« unter Leitung von Gerngross und ­Caracciola, in der Schublade verblieben sein.171 Neben der Verbindungsaufnahme zu potentiellen Kandidaten für die militärischen Vorbereitungen im Falle eines Umsturzes dienten die Kontakte zu ehemaligen und aktiven Offizieren selbstverständlich auch der Information über die militärische Lage an der Front. Auch hierfür dürfte Sperr in Bayern über den größten Freundes- und Bekanntenkreis verfügt haben. Jährlich nahm er an den Jahrestreffen des »Vereins Lehrgang 1906/09« teil, an dem die Offiziere seines Jahrgangs an der Bayerischen Kriegsakademie zusammenkamen. Besonders eng war dabei offenbar die Verbindung zum Oberstleutnant a. D. Rudolf Giehrl172, der einer ruhmreichen Offiziersfamilie entstammte.173 Dieser hatte seine Militärlaufbahn 1894 als Fähnrich beim 2. Bayerischen Infanterie-Regiment »Kron­ prinz« aufgenommen, bei dem zeitgleich Adolf Herrgott seinen Dienst als 168 Dass sich die Diskussionen innerhalb des »Sperr-Kreises« nach Stalingrad auch um solche Fragen drehten, berichtete Paul Helfrich im Rahmen der Schilderung seiner Gespräche mit Eduard Hamm (vgl. Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108). 169 Zu diesen Treffen vgl. das Kap. VIII.2. 170 Vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 550 f. 171 Auf die Beteiligung früherer Mitglieder des »Sperr-Kreises« an der »Freiheitsaktion Bayern« wird in Kap. VIII.5.c näher eingegangen. 172 Rudolf Giehrl (1876 München–1963), kath., Sohn eines Offiziers, 1894 Fähnrich beim 2. Bayerischen Infanterie-Regiment »Kronprinz«, 1900/01 Teilnahme an einer China-Expedition, 1905 Oberleutnant, 1906–09 Bayerische Kriegsakademie, Lehrer an Kriegsakademie und Kriegsschule, 1911 Hauptmann, Teilnahme als Kompagniechef am Ersten Weltkrieg, 1915 Major, Oberstleutnant a. D. (zu Giehrl vgl. BayHStA, OP 7343). 173 Bereits sein Vater Maximilian Ritter von Giehrl war Generalleutnant und Chef des Generalstabs der Bayerischen Armee. Sein Bruder Oberstleutnant Hermann Ritter von Giehrl war ebenfalls mit Sperr befreundet und wie dieser als Oberleutnant zur Zentralstelle des Bayerischen Generalstabs versetzt worden. Er verstarb allerdings bereits im Februar 1923 (vgl. Kramer / Waldenfels / Pechmann, Vituti pro Patria, S. 296).

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Kompanieoffizier tat und dem Kronprinz Rupprecht ab 1899 für ein Jahr als Regimentskommandeur vorstand. Herrgott und Giehrl sollten hier nahezu parallel zum Leutnant befördert werden. Es ist somit davon auszugehen, dass sich auch Herrgott und Giehrl und vielleicht bereits der bayerische Kronprinz gut kannten, und es nicht erst die Bekanntschaft mit Sperr durch den gleichzeitigen Besuch an der Kriegsakademie war, die Giehrl als Vertrauensmann für den militärischen Sektor der Widerstandsgruppe in Frage kommen ließ. Daneben tauschte Sperr sich möglicherweise mit seinem früheren Kammeraden im 12. Bayrischen Infanterie-Regiment »Prinz Arnulf«, Oberstleutnant a. D. Ernst Ferdinand Demmler174, aus. Dieser hatte sich zu Beginn der 1930er Jahre federführend mit der Aufarbeitung der Geschichte seines Regiments beschäftigt175, weshalb die Verbindung zu Sperr spätestens seit dieser Zeit existiert haben könnte. Da Demmler nach 1945 auf keinerlei Beziehungen zum Widerstandskreis verwies, sich keineswegs als Widerständler ausgab, sondern sich selbst wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft 1928–1930 und 1937–1945 als »Zahlender Mitläufer« einstufte, scheint keine engere Verbindung zu Sperr bestanden zu haben.176 Franz Sperr war also aufgrund seiner Vergangenheit als Generalstabsoffizier dazu prädestiniert, für den Widerstandskreis die Kontakte zum Militärapparat herzustellen. Diese Aufgabe ging er – in vielen Fällen getarnt durch seine Tätigkeit als Leiter der Münchener Zweigstelle der DGWW – akribisch und mit der gebotenen Vorsicht an. Ihm gelang es nicht nur, wichtige Stellen innerhalb der bayerischen Wehrkreise mit Vertrauensleuten für den Widerstandskreis zu besetzen, sondern sich auch – für die militärische Durchführung eines Umsturzes in Bayern unverzichtbar – der Unterstützung von führenden Mitgliedern frü­ herer, in der Weimarer Republik bedeutsamer, paramilitärischer Verbände wie des Stahlhelms und der Bayernwacht zu vergewissern. 174 Ernst Ferdinand Demmler (1880 Landau / Pfalz–?), ev., 1899 Fähnrich, 1901 Leutnant im 12. Inf.-Reg. Prinz Arnulf, 1908 Instruktionsoffizier am Kadettenkorps, 1910 Oberleutnant, 1914 Hauptmann, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1920 Major a. D., 1928–30 u. 1937–45 Mitglied der NSDAP, Mitglied des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland (zu Demmler vgl. seinen Personalakt, BayHStA, OP 6381 sowie seinen Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 269: Demmler, Ernst Ferdinand). 175 Vgl. Ernst Demmler / Karl von Wucher / Ludwig Leupold: Das K. B. Reserve-InfanterieRegiment Nr. 12. Nach den Kriegsakten und Mitteilungen ehemaliger Angehöriger des Regiments, Oldenburg 1934. 176 Es scheint so, als habe Demmler, dessen Name auf den Teilnehmerlisten der von Ernst Meier organisierten Gedenkveranstaltungen auftaucht, diesen lediglich als kundiger Vertreter des Regiments beigewohnt. Ziel der Gedenkveranstaltungen war es, auch über das Leben und Wirken Sperrs mehr in Erfahrung zu bringen. Aus dem gleichen Grund dürfte auch Alban Haas (Mitarbeiter Sperrs in der Bayerischen Gesandtschaft in Berlin) hierzu eingeladen worden sein, der in den Jahren des »Dritten Reiches« zwar noch regelmäßig mit Sperr zusammengetroffen war, sich für den »Sperr-Kreis« aber angeblich aufgrund seiner Abwesenheit von Bayern nicht zur Verfügung stellte (vgl. Beglaubigte Abschrift einer Erklä­ rung von Gertraud Sperr (München, 5. Dezember 1945), StAM, SpkA K 588: Haas, Alban).

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Der Zufall wollte es, dass auch Eduard Hamm an einer außerordentlich zuverlässigen militärischen Informationsquelle saß. Dessen Münchener Wohnung in der Friedrichstraße 17 befand sich im Haus des Generals der Panzertruppen Oswald Lutz177. Der in Militärkreisen als »Vater der Heeresmotorisierung«178 geltende Lutz war im Zusammenhang mit der so genannten »Blomberg-FritschKrise«179 im Februar 1938 als Chef der Schnellen Truppen entlassen180, dann jedoch mit Beginn des Krieges reaktiviert worden. Als Kommandeur des Verbindungsstabes Transnistrien hatte er sich seit September 1941 »stark deplatziert« gefühlt und sogar darüber nachgedacht, unter irgendeinem Vorwand zurückzutreten.181 Aus Pflichtgefühl war er allerdings auf seinem Posten verblieben und wurde schließlich Zeuge der im Osten begangenen Gräueltaten. Dabei bekam er den »Eindruck, daß Transnistrien in erster Linie ausgebeutet, nicht aufgebaut werden soll« und die »Entjudung […] mit rigorosen Mitteln durchgeführt« werde.182 Sein Wunsch, »in München abwarten zu können, bis eine 177 Oswald Lutz (1876 Öhringen–1944 München), ev., 1894 Fahnenjunker, 1895 Fähnrich im Kgl.-Bayr. Eisenbahn-Bataillon, 1896 Leutnant, 1900 Oberleutnant, Kompaniechef der 1. Komp. des Kgl.-Bayr. Eisenbahn-Bataillons, 1911 Hauptmann, 1913–15 Adjutant der bayr. Inspektion des Ingenieur-Korps, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1915 Kommandeur der Kraftfahrtruppen der 6. Armee, Stabsoffizier beim Stab des Feldeisenbahnchefs, 1917 Major, 1918/19 Sektionschef bei der Armee-Abteilung im Bayer. Kriegsministerium, später Führer der bayr. Reichswehr-Kraftfahr-Abteilung 21, Erster Kommandeur der 7. bayr. Kraftfahrabteilung, Abteilungsleiter bei der Inspektion für Waffen und Gerät in Berlin, Kraftfahrinspizient im Stab des Gruppenkommandos 1, ab 1928 Oberst und Chef des Stabes der Inspektion der Kraftfahrtruppen des Reichsheeres, 1933 Generalleutnant, 1934 Kommandeur / Inspekteur der Kraftfahrtruppen, 1935 General der Panzertruppen, 1938 Entlassung als Chef der Panzertruppen, 1941 Kommandeur des Verbindungsstabes Transnistrien, 1942 aus der Wehrmacht verabschiedet (zu Lutz vgl. dessen Personalakt, BayHStA, OP 61569 sowie seinen Nachlass im BA-MA, N 107). 178 Nehring, Panzerwaffe, S. 90. 179 Zur »Blomberg-Fritsch-Krise« vgl. K.-J. Müller, Heer, S. 255–299; Janßen / Tobias, Sturz. 180 Von seiner Entlassung erfuhr der als unbequem geltende Lutz aus dem Radio, ohne dass er ein Abschiedsgesuch eingereicht hatte (vgl. Handschriftliche Notiz von Lutz unter Schreiben vom Chef des Heerespersonalamts an Lutz (Berlin, 4. Februar 1938), BA-MA, NL Lutz (N 107) 1). Die Danksagung Hitlers wenige Wochen später dürfte Lutz daher als Verhöhnung empfunden haben. In dieser hieß es: »Unter Zurückstellen Ihrer eigenen Person haben Sie Ihre Stelle zur Verfügung gestellt im vollen Verstehen meiner Absicht, auch jüngere Kräfte schon in Friedenszeiten für die Aufgaben höherer Führung zu schulen« (Adolf Hitler an Oswald Lutz (28. Februar 1938), BA-MA, NL Lutz (N 107) 1). 181 Abschrift eines Schreibens Lutz an den Generalstabschef des Heeres, Franz Halder (23. November 1941), BA-MA, NL Lutz (N 107) 1. 182 Abschrift eines Entwurfs über die »Lage in Transnistrien aufgrund der Erfahrungen in der Zeit vom 24.10–16.12.1941« (19. Dezember 1941), BA-MA, NL Lutz (N 107) 1. – Von einer »Entjudung« durch deutsche Truppen berichtete Lutz in diesem Bericht zwar nicht. Es scheint vielmehr so, als habe sich Lutz vor allem auf die von Rumänen begangenen Verbrechen bezogen. Der Judenmord setzte bereits im Juli 1941 in Bessarabien und der Bukowina ein, wo weit über 10.000 Juden ermordet wurden. Über diese Gräueltaten dürfte Lutz  – wie die späteren Gespräche mit Hamm nahe legen  – bereits informiert gewesen

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entsprechende Verwendung für [ihn] frei wird«183, sollte sich nicht erfüllen, da er im Mai 1942 aus der Wehrmacht verabschiedet wurde. So blieb Lutz im Anschluss viel Zeit, sich mit seinem Nachbarn – Hamm und ihn trennte nur der Hausflur voneinander – über die politische und militärische Lage und vor allem über die Verbrechen an der Ostfront auszutauschen. Wenn Hamm auch als Politiker über »Kindlichkeit und Wankelmut« seines Hausherrn erstaunt war184, sollen ihn dessen Erzählungen sehr interessiert und nicht selten schockiert haben.185 Hamms Tochter glaubte später, ihr Vater habe die Freundschaft zu Lutz bewusst angestrebt, »um ihn über die Stimmung der Militärs auszuhorchen und ihn gegebenenfalls auf seine Seite zu ziehen«.186 Zu letzterem scheint er sich schließlich tatsächlich entschlossen zu haben, nahm der General doch in der Folgezeit regelmäßig an Gesprächen teil, die Hamm mit Vertrauensleuten aus der Wirtschaft über die Zeit »Danach« führte.187 Durch Lutz’ Tod Ende Februar 1944 verlor Hamm demnach einen engen Vertrauensmann. Seine Beerdigung auf dem Münchener Nordfriedhof bot ihm dann allerdings Gelegenheit, mit dessen früherem Schüler, dem General der Panzertruppen Heinz Guderian188,

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sein. Schließlich wurden die Rumänen hierbei maßgeblich durch deutsche Einsatzgruppen unterstützt. Zu Lutz’ Dienstzeit ereignete sich die Deportation der bessarabischen Juden nach Trans­nistrien. Diese waren dabei – zu Fuß unterwegs – Hunger und Seuchen schutzlos ausgesetzt, weil medizinisch so gut wie nicht versorgt. Nach einem Anschlag auf das rumänische militärische Hauptquartier in Odessa erfolgte ein durch die Rumänen durchgeführtes Massaker an den Juden (vgl. hierzu Baum, Varianten des Terrors, insbes. S. 487–496). Abschrift eines Schreibens Lutz an den Generalstabschef des Heeres, Franz Halder (23. November 1941), BA-MA, NL Lutz (N 107) 1. Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110. Hamms Tochter Gertrud erinnerte sich nach dem Krieg an ein Abendessen zu Dritt, bei dem Lutz »schon sehr früh und vollkommen unverblümt von den Verbrechen wider die Menschlichkeit, die er im Osten mit angesehen habe«, berichtet habe. Damals habe sie mit ansehen müssen, wie ihr Vater »förmlich zusammenbrach«. Er habe »so schwer […] unter den Erzählungen« gelitten, »die ihm auch schon von anderen Seiten zugetragen worden waren«, und »mit erschreckender Klarheit« vorausgesagt, »wie jeder Deutsche für die Grausamkeiten verantwortlich gemacht werden würde« (Gertrud Hardtwig-Hamm: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm, (Frühjahr 1947), BayHStA, NL Hamm 110). Gertrud Hardtwig-Hamm: Aus der privaten Lebenssphäre von Eduard Hamm, (Frühjahr 1947), BayHStA, NL Hamm 110. Lutz verfügte auch nach seinem Ausscheiden aus der Wehrmacht noch über enge Kontakte zur Generalität – so etwa zu seinem früheren Stabschef, dem späteren Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, mit dem er bis Stalingrad die Verbindung aufrecht erhielt (vgl. den Auszug aus einem Glückwunschschreiben von Lutz an Paulus vom Februar 1942 nach dessen überraschender Beförderung zum General der Panzertruppen und zum Oberbefehlshaber der 6. Armee, abgedr. bei Diedrich, Paulus, S. 195). Vgl. Kap. VI.2.d. Heinz Guderian (1888 Kulm / Westpreußen–1954 Schwangau), 1901 Eintritt ins Kardettenkorps in Karlsruhe, 1907 Fähnich im kaiserlichen Heer, 1908 Leutnant, ab 1913 Kriegsakademie Berlin, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1914 Oberleutnant, 1922 Inspekteur der Verkehrstruppen, 1924 Stab der 2. Division der Reichswehr, 1927 Major, ab 1928 Heeres-Abteilung des Truppenamtes im Reichswehrministerium, ab 1930 Kommandeur der 3. KraftfahrAbteilung, 1931 Oberleutnant, 1931 Chef des Stabes bei der Inspektion der Kraftfahrtruppen, 1933 Oberst, 1935 Kommandeur der 2. Panzer-Division in Würzburg, 1936 Ge-

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sowie mit Generaloberst Franz Halder189 ins Gespräch zu kommen. Beide beurteilte Hamm in der Folgezeit positiv und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem er für die Haltung des aktiven Offizierskorps längst kein Verständnis mehr hatte.190 Er gab sich offenbar der trügerischen Hoffnung hin, mit ihnen im Fall der Fälle rechnen zu können.191 neralmajor, 1938 Generalleutnant, 1938 General der Panzertruppen und Chef der schnellen Truppen im Oberkommando des Heeres, 1939 Kommandierender General des XIX. Armeekorps, 1939/40 Teilnahme am Polen- und Frankreichfeldzug, 1940 Generaloberst, 1941 Russlandfeldzug, für mehrere Monate seines Kommandos enthoben, 1943 Inspekteur der Panzertruppen, nach dem 20. Juli 1944 Chef des Generalstabs des Heeres und Mitglied des so genannten »Ehrenhofs«, der die am Umsturzversuch beteiligten Offiziere aus der Wehrmacht ausstieß, 1945 von Hitler nach Unstimmigkeiten entlassen, 1945–48 in amerikanischer Gefangenschaft (zu Guderian vgl. Macksey, Heinz Guderian, S. 80–87). 189 Franz Halder (1884 Würzburg–1972 Aschau / Chiemgau), 1902 Fähnrich in Amberg, 1904 Leutnant, 1911–14 Bayerische Kriegsakademie, 1914–18 Kriegsteilnahme, zuletzt als Hauptmann bei der Heeresgruppe »Kronprinz Rupprecht«, 1919 Adjutant der Zentralstelle des Generalstabs in München, 1923 Major, 1925 Generalstab der 7. Bayerischen Division der Reichswehr, 1929 Oberstleutnant, 1931 Oberst und Chef des Stabes der 6. Division, 1934 Generalmajor, 1935 Kommandeur der 7. Infanterie-Division in München, 1936 Generalleutnant, 1938 General der Artillerie, 1938–42 Chef des Generalstabs des Heeres, 1942 Versetzung in die Führerreserve, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, 1945 offiziell aus der Wehrmacht entlassen, 1945 als SS-Geisel von amerikanischen Truppen in Südtirol befreit, 1946–61 Leiter der deutschen Abteilung der kriegsgeschichtlichen Forschungsgruppe der United States Army (»Historical Division«) (zu Halder vgl. vor allem Hartmann, Halder; außerdem Halders Spruchkammerakten, StAM, SpkA K 611–613: Halder, Franz). 190 Hamms Schwiegersohn, Erwin Hardtwig, berichtete von einem Meinungswandel, der sich bei Hamm im Verlauf des Krieges im Hinblick auf das aktive Offizierskorps vollzogen habe: »Seine Einstellung zur Generalität war ursprünglich […] nicht ganz ablehnend. Er nahm mir gegenüber, der ich für das aktive Offizierskorps im Allgemeinen und für die Generale im Besonderen nur ablehnende Auffassungen vorbrachte, die Generale wenigstens in Einzelfällen in Schutz, hielt aber nicht viel von deren politischer Einsicht und Fähigkeit. […] In den letzten zwei Jahren etwa aber hat er sich ebenfalls zu solch einer pessimistischen Auffassung durchgerungen, wenn auch schweren Herzens. Er sprach zuletzt eigentlich nur noch mit Verachtung von den Generalen und ihrem Kadavergehorsam Hitler gegenüber« (Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (Manuskript), BayHStA, NL Hamm 110). Hieraus lässt sich schließen, dass Hamm über die vergeblichen Versuche – vor allem Goerdelers – informiert war, hohe Generäle für den Widerstand gegen Hitler zu gewinnen. Zu den Kontakten Hamms zu Goerdeler siehe Kap. VIII.1. 191 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (Manuskript), BayHStA, NL Hamm 110. Hardtwig erinnerte sich, »daß der kurze Bericht des Vaters über dieses Zusammentreffen den Eindruck machte, als ob er Guderian auf der Seite der Gegner Hitlers wüsste«. Hamm habe demnach erzählt, »man werde von Guderian noch viel hören, er sei ein fähiger Mann und werde in der Zukunft eine große Rolle spielen«. Die Rolle, die Guderian später wirklich spielen sollte, »als nach der Affaire vom 20. Juli Guderian geradezu zum Oberrichter über die abtrünnigen Offiziere bestimmt wurde«, ließ Hardtwig vermuten, »daß entweder Guderian umgefallen sei oder aber, daß er mit Absicht eine verschwommene Rolle gespielt habe« (ebd., S. 4). Guderian gab später in seinen Erinnerungen an, nur zwei Gespräche mit Carl Friedrich Goerdeler geführt zu haben, dessen Pläne er jedoch unter Berufung auf seinen Fahneneid abgelehnt habe (vgl. Heinz Guderian: Erinne-

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Auf den ersten Blick erscheint es so, als habe der »Sperr-Kreis« als »Auffangorganisation« die militärischen Voraussetzungen für eine Zeit »Danach« in Bayern erfüllen können. Dass man jedoch trotz dieser vielfältigen Kontakte das eigene Netzwerk innerhalb der bayerischen Wehrkreise nicht als ausreichend für die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen im Falle eines Umsturzes betrachte, sollte die Reaktion Franz Sperrs auf die im Verlauf des Jahres 1943 nach Bayern durchsickernden Umsturzpläne der Berliner Militäropposition zeigen.192 b) Die Kontakte zur bayerischen Polizei Bereits der frühe Gesprächskreis um den bayerischen Kronprinzen Rupprecht und seinem Kabinettschef Franz von Redwitz war sich im klaren darüber, dass man neben entschlossenen militärischen Vertrauensleuten innerhalb der bayerischen Wehrkreise auch zwingend Fühlung zu polizeilichen Kräften in Bayern, insbesondere in München, aufnehmen müsse. Die Ziele waren in beiden Fällen identisch: Einerseits sollten Informationen über Truppenstandorte gesammelt, andererseits vertrauenswürdige Männer ausgemacht werden, die im Falle eines Umsturzes zur Verfügung stehen sollten. Nicht ohne Grund sollte sich Franz Sperr, zusätzlich zu seiner Hauptaufgabe, seine breiten Kontakte innerhalb der bayerischen Offizierskreise zu reaktivieren und auszubauen, nach geeigneten Verbindungsleuten innerhalb der bayerischen Polizei umschauen. Einer seiner wichtigsten Vertrauten sollte im Verlauf des Krieges der Münchener Bankier Hein Martin193 werden. Dieser trat bereits 1932 nach eigenen Angaben aus wirtschaftlichen und politischen Gründen der NSDAP bei, obwohl rungen eines Soldaten, Heidelberg 1951, S. 274 f.). Über seine Nicht-Beteiligung am 20. Juli 1944 führte Guderian aus: »Ich habe von dem Attentat nichts geahnt, habe mit niemandem darüber gesprochen […]« (ebd., S. 306). Über Hamms Sicht auf Franz Halder schrieb seine Tochter: »Übrigens nahm Halder in seiner Beurteilung der Militärs eine Ausnahmestellung ein. Sein scharfes Urteil über die Militärs machte vor ihm halt« (Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110). 192 Vgl. hierzu das Kap. VIII.2.a. 193 Heinrich, gen. Hein Martin (1890 St. Ingbert / Pfalz–1968 München), kath., 1909–13 Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, München und Würzburg, 1918 Dr. jur. et. rer. pol., 1914–18 Kriegsteilnahme u. a. als Oberleutnant d. Reserve im 7. Bayer. Feld Art. Reg., seit 1920 Bankier in München, ab 1939 Alleininhaber der Privatbank Martin & Co., Finanzberater des Kronprinzen Rupprecht, 1923–34 Vorstandsmitglied der Bayerischen Börse, 1933–42 Mitglied der IHK München, 1935–38 Stellv. Börsenpräsident, 1939–45 Präsident der Bayerischen Börse, nach 1945 von der Spruchkammer München II als »entlastet« eingestuft. Von Arisierungsgeschäften soll sich Hein Martin nach Aussage eines jüdischen Treuhänders, der Einsicht in die Bücher der Bank Martin & Co. hatte, ferngehalten haben, obwohl er »gute Gelegenheiten« gehabt habe (Zeugenaussage zum Protokoll gegen Hein Martin von Dr. Harry Philippi (10. November 1948), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich). Dagegen geht eine jüngere Darstellung über die »Arisierung« der Privatbanken im »Dritten Reich« davon aus, dass Martin von den »Arisierungen« zumindest profitiert hat (vgl. Köhler, »Arisierung«, S. 295, Anm. 331).

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er sich in der Rückschau eher als Anhänger der rechtsliberalen DVP bezeichnete.194 Nach Gesprächen mit Gregor Strasser, dessen Bankier er war und den er auch noch in der Nachkriegszeit als einen der fähigsten Nationalsozialisten bezeichnete, habe er eine realistische Chance gesehen, dessen Einfluss und Ziele innerhalb der Partei zu stärken, um Hitler von der Spitze zu verdrängen.195 Auf dem Höhepunkt der so genannten »Strasser-Krise« innerhalb der NSDAP will Martin in München an Besprechungen Strassers mit Kronprinz Wilhelm von Preußen und Oswald Spengler teilgenommen haben.196 Die Ermordung Strassers im Zuge des »Röhm-Putsches« markierte für Martin rückblickend den entscheidenden Einschnitt in seinem zuvor offenbar lavierenden Umgang mit der NSDAP: »An dem Mordtag des 30. Juni [1934] beschloß ich alles zu tun u[nd] nichts zu unterlassen um die Partei zu schädigen.«197 Seit 1921 stand der Monarchist Martin in freundschaftlichem Kontakt zum bayerischen Kronprinzen Rupprecht. Eine intensivere Verbindung entstand noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Martin zählte in jenen Jahren zu den wenigen Leuten, die regelmäßig im Leuchtenbergpalais ein- und ausgingen.198 194 Martin rechtfertigte seine offenbar tatsächlich bestandene frühe positive Einschätzung des Nationalsozialismus in der Rückschau als eine Entscheidung für das aus seiner Sicht kleinere Übel: »1931 wurde ich Mitglied der N. S. D. A.P. Deutschland hatte die Wahl zwischen Hitler u. Thälmann«, weshalb er sich für Hitler entschieden, ihm allerdings stets misstraut habe (handschriftlicher Lebenslauf von Heinrich Martin (o. D.), StadtAM, Familien 805). 195 Vgl. Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), S. 1–11, hier S. 2 f., StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. 196 Vgl. ebd., S. 3. Die »Strasser-Krise« sorgte Ende 1932 für eine zeitweilige Spaltung der NSDAP hinsichtlich der künftigen Ausrichtung der Partei im Falle einer möglichen Regierungsübernahme. Auf der einen Seite standen Männer wie Goebbels und Göring, die ein »Alles oder Nichts« forderten, auf der anderen Seite der linke Flügel der NSDAP um Strasser, der für eine Beteiligung an der Reichsregierung Kurt von Schleichers eintrat. In letzterem Falle stand im Raum, dass Strasser bei gleichzeitiger Ausschaltung Hitlers das Amt des Vizekanzlers zugekommen wäre (vgl. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 3, S. 1040–1043). Schleicher selbst entwickelte die so genannte »Querfront-Konzeption«, wonach sich eine Regierung unter seiner Kanzlerschaft auf eine »parteiübergreifende Gewerkschaftsachse« stützen sollte, der auch der linke Flügel der NSDAP um Gregor Strasser angehören sollte (vgl. Pyta, Weimarer Republik, S. 148–150). Kronprinz Wilhelm von Preußen berichtete in einem Gespräch mit Kronprinz Rupprecht Ende November 1932 von seinen Kontakten zu Strasser. Rupprecht konnte nicht verstehen, wieso der preußische Kronprinz diesen »Leuten« nachlief. Auf Wilhelms Bemerkung »Das richtige wäre die Nationalsocialisten als stärkste Partei zeigen zu lassen, was sie könnten« reagierte er mit den Worten: »Dies wäre ja ganz recht, […] wenn sie nicht eingestandenermassen eine Gewaltherrschaft und die völlige Unterdrückung aller Andersgesinnten erstrebten« (GHA, AA KPR (30. November 1932), Mappe 14, S. 200f, hier S. 201). 197 Handschriftlicher Lebenslauf von Heinrich Martin (o. D.), StadtAM, Familien 805. 198 Vgl. Handschriftlicher Lebenslauf von Heinrich Martin (o. D.), StadtAM, Familien 805. – Martins Name tauchte neben zehn weiteren in einem undatierten, von der Gestapo angefertigten »Verzeichnis des persönlichen Umgangs des ehem. Kronprinzen Rupprecht« auf (StAM, Gestapo 13 Bl. 2). Franz Sperr und Otto Geßler finden sich dagegen in diesem Verzeichnis nicht.

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Hier machte er auch 1939 zunächst flüchtig die Bekanntschaft mit Franz Sperr. Ab 1942 will Martin den früheren bayerischen Gesandten fast jede zweite Woche bei sich zu Hause begrüßt und mit ihm die politische Lage sowie mögliche Konsequenzen hinsichtlich eines eventuellen Umsturzes besprochen haben.199 Schon 1937 hatte Martin den ihm seit dem Ersten Weltkrieg bekannten Stabsoffizier der Schutzpolizei in München, Martin Riedmayr200, näher kennengelernt.201 Dieser war gleichzeitig Referent der Regierung von Oberbayern, zeitweise sogar bei der Regierung von Schwaben und übernahm in dieser Funktion auch die Bearbeitung aller Angelegenheiten der Gemeindepolizei der einzelnen Städte in den beiden südbayerischen Regierungsbezirken. In dieser Stellung erhielt Riedmayr umfangreichen Einblick in die personellen Gemeindestrukturen, die seiner Erkenntnis nach größtenteils, aber nicht durchgängig, nationalsozialistisch durchdrungen waren.202 Anfang Oktober 1941 war er mit einem Kommando Darmstädter Polizeibeamter nach Smolensk versetzt worden, wo er offenbar den Judenmord durch die Einsatzgruppen organisatorisch vorbereiten und durchführen sollte. Inwieweit Riedmayr dieser Anordnung Folge geleistet hat, lässt sich heute kaum mehr belegen. Nach eigenen Angaben habe er seine Vorgesetzten um eine andere Verwendung gebeten, bevor er wegen Erkrankung im November 1941 nach München zürückversetzt wurde.203

199 Vgl. Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), S. 1–11, hier S. 8, StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. 200 Martin Riedmayr (1896 München–1989), kath., 1915–18 Kriegsteilnahme, zuletzt als Leutnant der Reserve, Mitglied des Freikorps Epp und des Bund Oberland, 1919 Übertritt zur Schutzpolizei in München, 1921 Polizeisekretär u. Kriminalkommissar, 1923–27 Grenzpolizeikommissar in Eger (CSR), 1929 Kriminalinspektor, 1933 Polizeihauptmann, 1938 Polizeimajor, 1941 kurzzeitig nach Smolensk versetzt, 1942 Oberstleutnant der Schutzpolizei, 1944 nach Köln versetzt, nach 1945 vom Dienst suspendiert, 1945 Mitbegründer der Bayerischen Heimat- und Königspartei, anschließend enge Kontakte zur Organisation Gehlen, 1954–60 Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (zu Riedmayr vgl. neuerdings Meinl / Schreiner-Bozic, Martin Riedmayr, S. 175–207; außerdem sei auf seine Personalakten im BayHStA, MInn 84717 und OP 10238 sowie auf seinen Spruchkammerakt StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin verwiesen). 201 Vgl. Zeugenaussage zum Protokoll gegen Hein Martin von Martin Riedmayr (10. November 1948), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. 202 Vgl. Erklärung des Oberstleutnant der Schutzpolizei a. D. Martin Riedmayr für die Spruchkammer München-Land (Neu-Grünwald, 4. Juni 1947), S. 1–25, hier S. 13, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 203 Ob die »Konfrontation mit dem Massenmord« den Widerstandswillen Riedmayrs verstärkte, lässt sich nicht belegen. Seine »nicht belegbare Weigerung, bei der Ermordung der Juden mitzutun«, blieb zumindest »ohne Folgen« (Meinl / Schreiner-Bozic, Martin Riedmayr, S. 183). Meinl und Schreiner-Bozic zeichnen ansonsten von Riedmayr das Bild eines politischen Wendehalses mit ausgezeichneten kommunikativen Fähigkeiten und großem persönlichen Netzwerk. Privat scheint er ein unsteter Lebemensch gewesen zu sein, der offenbar sieben Mal verheiratet und sechs Mal geschieden war.

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In der Rückschau bezeichnete Riedmayr sich selbst als »Schlüsselfigur für unsere Widerstandsgruppe«.204 Auf polizeilichem Gebiet war er dies offenbar tatsächlich. Durch Vermittlung Martins trat Riedmayr noch Ende 1942 mit Sperr in Kontakt.205 Für die Widerstandsgruppe eröffneten sich durch diese Verbin­ dung zusätzliche Handlungsspielräume, die es nun zu nutzen galt. Im Falle eines Umsturzes sollte neben der Wehrmacht, die man gleichzeitig zu »infiltrieren« begann, die Polizei als zweiter Faktor zur Machterlangung und Machtsicherung hinter sich vereinigt werden. Darüber hinaus verfügte man mit Riedmayr aufgrund seiner exponierten Stellung innerhalb der Schutzpolizei über einen weiteren wichtigen Informationskanal. Hier versuchte man offenbar auch Riedmayrs Vorgesetzten, den Kommandeur Oberst Ludwig Mühe, für den »Sperr-Kreis« zu gewinnen. Dieser habe tatsächlich an einem Gespräch mit Sperr, Riedmayr, Martin und drei weiteren, namentlich nicht erwähnten Personen im April 1943 in Martins Wohnung teilgenommen. Mühe sei jedoch nach Angaben Martins anschließend nicht weiter kontaktiert worden, weil er sich als »ungeeignet« erwiesen habe.206 So blieb der Einfluss der Männer um Sperr innerhalb der Münchener Polizei begrenzt. Bei gemeinsamen Besprechungen in Martins Wohnung seien in der Folgezeit dennoch ganze Truppenteile und Landabschnitte erörtert und besprochen worden, »wie man sie in politischer Hinsicht zu nehmen habe und ob man mit ihnen

204 Zeugenaussage zum Protokoll gegen Hein Martin von Martin Riedmayr (10. November 1948), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. – Riedmayr gehörte nach eigenen Angaben zuvor bereits als Mitglied des »Bund Oberland« dem Widerstandskreis um Ernst Niekisch an, für den er sich am Ausbau einer bayerischen Gruppe beteiligt und für konspirative Gespräche seine Wohnung zur Verfügung gestellt habe (vgl. Erklärung des Oberstleutnant der Schutzpolizei a. D. Martin Riedmayr für die Spruchkammer München-Land (Neu-Grünwald, 4. Juni 1947), S. 1–25, hier S. 5, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin). Im Kapitel »Die Nürnberger Gruppe der Niekisch-Widerstandsbewegung um Dr. Joseph Drexel und Karl Tröger« bei Helmut Beer: Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Nürnberg 1933–1945, Nürnberg 1976, S. 236–278 taucht der Name Riedmayr allerdings nicht auf. 205 Aussage Hein Martins, Protokoll des Spruchkammerprozesses gegen Riedmayr [1947], StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 206 Ebd.  – Riedmayr bestätigte Mühe nach dem Krieg, an zwei Besprechungen im Hause ­Martin teilgenommen zu haben, wobei dieser bereits zum Befehlshaber der Ordnungspolizei ernannt worden sei. Demnach müssten die Gespräche, in denen »auch über eine mögliche Bereitstellung von Kräften im Falle eines Umsturzes gesprochen« worden sei, frühestens im Februar 1944 erfolgt sein. Mühe habe Sperr anschließend mit seinem Wagen bis in die Nähe seiner Wohnung gebracht (Eidesstattliche Versicherung (Neu-Grünwald, 19. Juni 1948), StAM, SpkA K 1198: Mühe, Ludwig). Ob nun Martin oder Riedmayr sich in der Datierung der Gespräche irren, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Feststeht allerdings, dass auch Riedmayr eine weitere Einbindung Mühes in die Vorbereitungen des »Sperr-Kreises« unerwähnt lässt, wenn er auch angibt, diesen über seine eigenen Widerstandsvorbereitungen und den Umfang der Organisation in Kenntnis gesetzt zu haben (vgl. ebd.). Inwiefern Mühe »ungeeignet« war, muss letztlich offen bleiben.

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etwas anfangen könnte«.207 Zusätzlich beabsichtigte man, die Kapazitäten der kurz zuvor in der bayerischen Landeshauptstadt ins Leben gerufenen Stadtwacht, die formal die Polizeiarbeit unterstützen sollte, im entscheidenden Moment als weiteres Vehikel für die Durchführung eines Umsturzes in München zu nutzen. Wie der Zufall es wollte, war Hein Martin als Kompanieführer an die Spitze der Stadtwacht getreten.208 1943 wurde Martin von Riedmayr aufgefordert, vor den vier Abschnittskommandeuren der Schutzpolizei über die Stadtwacht zu sprechen. Riedmayrs Ziel war es »von vornherein eine einheitliche Ausrichtung sicherzustellen.209 Martin habe den Herren mitgeteilt, »wie wichtig es wäre, zuverlässige Kompanie-Führer für die Stadtwacht zu finden«.210 Vom Gruppenleiter I bei der Wehrersatzinspektion Wehrkreis VII, Oberst Heinrich Graf von Holnstein, erbat Riedmayr die UK-Stellung einer Reihe von verlässlichen Leuten innerhalb der Stadtwacht.211 Sein Vorhaben, die Stadtwacht weitgehend von Parteieinflüssen freizuhalten, sei hier auf vollstes Verständnis gestoßen.212 Auf diese Weise gelang es Riedmayr nach eigener Aussage, »daß im Schneeball-System in verhältnismäßig kurzer Zeit die Mehrzahl der für München vorgesehenen 90 Kompanien wenigstens soweit durchorganisiert war, daß die zuverlässigen Männer jeweils in einem Zug zusammengefaßt waren«.213 Gleichzeitig habe er  – unterstützt durch einen ihm bekannten Hauptwacht­ meister – dafür gesorgt, dass Waffen, Munition, eine große Anzahl von Kraft-

207 Zeugenaussage zum Protokoll gegen Hein Martin von Martin Riedmayr (10. November 1948), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich.  – Riedmayr will in diesem Zusammenhang Sperr gegenüber genaue Auskünfte über die politische Haltung der Landräte und Polizeileiter in Oberbayern geben haben (vgl. Mündliche Erklärung Riedmayrs, Protokoll des Spruchkammerprozesses [1947], StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin; vgl. Zeugenaussage Riedmayrs für Eduard-Josef Fergg nach Protokoll der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Bad Tölz (29. April 1947), StAM, SpkA K 3617: Fergg, EduardJosef). 208 Riedmayr gab nach dem Krieg an, dass er darüber hinaus den ihm seit vielen Jahren bekannten Vorstand der »Baywa«, Erich Netschert, für den Posten des stellvertretenden Kompanieführers der Stadtwacht gewinnen konnte, »um im Ernstfalle für die Führung nach [s]einen persönlichen Weisungen bereit zu sein« (Erklärung von Martin Riedmayr (NeuGrünwald, 28. Juni 1946), StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich). 209 Erklärung des Oberstleutnant der Schutzpolizei a. D. Martin Riedmayr für die Spruchkammer München-Land (Neu-Grünwald, 4. Juni 1947), S. 1–25, hier S. 20, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 210 Aussage Hein Martins, Protokoll des Spruchkammerprozesses gegen Riedmayr [1947], StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 211 Vgl. Aussage Heinrich Graf von Holnsteins, Protokoll des Spruchkammerprozesses gegen Riedmayr [1947], StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 212 Vgl. Erklärung des Oberstleutnant der Schutzpolizei a. D. Martin Riedmayr für die Spruchkammer München-Land (Neu-Grünwald, 4. Juni 1947), S. 1–25, hier S. 20, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 213 Ebd.

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wagen sowie mindestens 3000 Liter Treibstoff abgezweigt und diese für den Fall eines Umsturzes bereitstanden.214 Sperrs Hauptansprechpartner für den Sektor »Polizei« war zum einen ­Martin Riedmayr. Zum anderen brachte Ernst Meier schon 1941 einen ehemaligen Studienkollegen mit Franz Sperr zusammen: Fritz Schade215 war Ende 1936 als Polizeimajor der Schutzpolizei bei der Polizeidirektion Nürnberg-Fürth zum Leiter der Polizeischule in Fürstenfeldbruck ernannt worden. War es ihm zuvor gelungen, dem Druck von Seiten des Regimes standzuhalten, war aus seiner Sicht der Eintritt in die Partei – anders als er es wohl erwartet hatte – nun unumgänglich geworden.216 Zum Parteieintritt riet ihm sein langjähriger Freund und politischer Weggenosse, Dr. Walther Baerwolff217, der in den Jahren 1920 bis 1933 Hauptgeschäftsführer der DNVP in Bayern war und 1932/33 sogar Reichstagsabgeordneter seiner Partei.218 Mit Baerwolff, der sich in den frühen Jahren des »Dritten Reiches« im so genannten »Deisenhofener Kreis« um Rupprecht Gerngroß betätigte, einem Vorläufer der späteren Freiheitsaktion Bayern219, und der

214 Vgl. ebd. – Den Hauptwachtmeister Alois Schimmer ließ Riedmayr allerdings im Unklaren darüber, wofür er die Kraftwagen und das Benzin benötigte (vgl. Aussage Alois Schimmers, Protokoll des Spruchkammerprozesses gegen Riedmayr [1947], StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin). 215 Fritz Schade (1894 Neustadt in Sachsen-1972 München), ev., Studium der Medizin, 1914–18 Kriegsteilnahme, Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen, 1922 Dr. jur., 1920 Landespolizei Regensburg, 1920 Landespolizei Nürnberg-Fürth, 1925 Polizei-Hauptmann, 1934 Schutzpolizei bei der Polizeidirektion Nürnberg-Fürth, 1935 Polizei-Major, 1936–39 Leiter der Polizeischule in Fürstenfeldbruck, ab 1939 Polizeipräsidium München, 1939 Führer des Polizei-Bataillons 203 in Mährisch-Ostrau, ab 1937 Mitglied der NSDAP, 1939–43 Sachbearbeiter für Schutzpolizei und Luftschutzangelegenheiten im Staatsministerium des Innern in München, 1940 Oberstleutnant der Schutzpolizei, ab 1943 Kommandeur der Schutzpolizei Nürnberg, 1944 Oberst der Schutzpolizei, 1948 durch Spruchkammer Fürstenfeldbruck entlastet, 1948 wiedereingestellt und in den Ruhestand versetzt, ab 1955 Angestellter beim Bayer. Landesamt für Verfassungsschutz (vgl. zur Militärzeit Schades Personalakte: BayHStA, OP 66080. Zu seiner Polizeikarriere vgl. den Personalakt Schades im StadtA Nürnberg, C 18/II Nr. 11203). 216 Schade trat im Winter 1938/39 in die NSDAP ein. Sein Beitritt wurde allerdings auf den 1. Mai 1937 zurückdatiert (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Fürstenfeldbruck (27. Januar 1948), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 217 Walther Baerwolff (1896 in Stuttgart–1969 in München), ev., Studium der Neueren Philologie, dann Staatswissenschaften in Stuttgart, Tübingen und Marburg, 1914–18 Kriegsteilnehmer, 1919 Promotion in Tübingen, Lehrer und Direktor, Augsburger Kultur- und Literaturhistoriker, 1920–33 Hauptgeschäftsführer der DNVP in Bayern, 1924–32 Mitglied des Bayerischen Landtags, 1932/33 MdR, ab 1935 Direktionssekretär der Bayerischen Versicherungsbank, ab 1949 Vorstandsmitglied der Bayerischen Versicherungsbank (vgl. zu Baerwolffs Tätigkeit für die DNVP insbesondere seine Korrespondenz in IfZ, ED 714/1–3). 218 Vgl. Fritz Schade an den Vorsitzenden der Spruchkammer Fürstenfeldbruck (Fürstenfeldbruck, 6. Januar 1948), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. 219 Zum so genannten »Deisenhofener Kreis« und Baerwolffs Mitgliedschaft vgl. Diem, Freiheitsaktion, S. 82–85 u. S. 109.

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auch über Kontakte zum »Sperr-Kreis« verfügte, habe Schade sich früh über die politische Lage ausgetauscht, feindliche Schriften besprochen und ausländische Zeitungen gelesen.220 In Fürstenfeldbruck musste Schade dagegen auch ver­ schiedene Reden, unter anderem anlässlich des »Führer-Geburtstages« halten, was er nach eigenem Bekunden jedoch nur unter Zwang tat.221 Wie glaubwürdig Schades spätere Angaben vor der Spruchkammer Fürstenfeldbruck tatsächlich waren, lässt sich nicht mehr genau einschätzen. Es muss allerdings bezweifelt werden, dass er bereits während seiner dreijährigen Tätigkeit als Leiter der Polizeischule Fürstenfeldbruck »ungeheure Schwierigkeiten«222 aufgrund seiner angeblich allseits bekannten politischen Einstellung hatte.223 Denn obwohl inzwischen Parteimitglied wäre Schade wohl kaum im April 1939 zunächst mit der Leitung der Ausbildungsabteilung der Schutzpolizei München und dann von Ende September bis Mitte November 1939 mit der Führung des Polizeibataillons 203 in Mährisch-Ostrau betraut worden, wenn derartige Zweifel an seiner politischen Gesinnung bestanden hätten. Am 15. November 1939 erfolgte sogar seine Versetzung zur Polizeiabteilung ins Staatsministerium des Innern nach München und dort die Beförderung zum Polizeioberleutnant.224 Ob Fritz Schade tatsächlich unter dem Druck der NSDAP beitrat, dürfte für Franz Sperr und Ernst Meier allerdings zweitranging gewesen sein. Sie beurteilten den Menschen nicht nach der Parteimitgliedschaft. Abgesehen davon, dass 220 Vgl. Fritz Schade an den Vorsitzenden der Spruchkammer Fürstenfeldbruck [künftig: Verteidigungsschrift Schade] (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 4, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. 221 In seinem Spruchkammerverfahren gab Schade an, dass er damals von seinem eigenen Adjutanten überwacht worden sei (Protokoll der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Fürstenfeldbruck (27. Januar 1948), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 222 Ebd. 223 Zumindest bis 1935 schien Schade aus Sicht seiner Vorgesetzten nicht als politisch unzuverlässig aufgefallen zu sein: »Seine politische Einstellung ist durchaus nationalsozialistisch. […] In der Behandlung seiner Untergebenen ist er sicher, gerecht, taktvoll und hat es verstanden sich deren Vertrauen und Zuneigung zu gewinnen. Er weiß sie geschickt im nationalsozialistischen Geiste zu erziehen« (Beurteilung des Kommandeurs der Schutzpolizei Major Will (Nürnberg, 19. August 1935), StadtAN, C 18/II, 11203). Seine Beförderung zum Major wurde damals ausdrücklich begrüßt. Diese hervorragende Beurteilung dürfte sich auch positiv auf seine Versetzung nach Fürstenbeldbruck ausgewirkt haben. Demgegenüber wurde Schade nach 1945 der auf ihn ausgeübte Druck von Seiten der Partei auch seitens Ernst Meiers bestätigt, der einige Male mit Schade über einen Parteieintritt sprach: »Da ihm, wie er mir glaubhaft versicherte, im Falle nochmaliger Weigerung die Dienstentlassung drohte, gab ich ihm den Rat, der Partei beizutreten […]. Herr Dr. Schade trat daraufhin, wenn auch nur schweren Herzens, der Partei bei« (Abschrift einer Bestätigung von Ernst Meier (Neumarkt, Oberpfalz, 26. November 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz); vgl. auch Abschrift einer Erklärung von Walther Baerwolff (München, 21. November 1945). 224 Vgl. Fritz Schade an den Vorsitzenden der Spruchkammer Fürstenfeldbruck [künftig: Verteidigungsschrift Schade] (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 2, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz).

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beide von der zuverlässigen und tadellosen Gesinnung Schades überzeugt waren, konnte er aus ihrer Sicht der »gegen das Dritte Reich gerichteten Sache« deutlich besser »im aktiven Dienst« dienen als ein »entlassener Polizeioffizier«.225 Nachdem sein Kontakt zu Ernst Meier nie abgebrochen war und man sich häufig über politische Entwicklungen ausgetauscht hatte, stellte Meier 1941 schließlich den Kontakt zu Sperr her. Schade stellte sich rückhaltlos in den Dienst des Widerstandskreises in München. In der bayerischen Landeshauptstadt erfüllte er zunächst die wichtige Funktion eines Verbindungsmanns innerhalb der bayerischen Polizei. Regelmäßig legte er Sperr Aufstellungen über SS-Formationen vor.226 Derartige Informationen waren für Sperr, der sich insbesondere um die militärische Einnahme Münchens im Falle eines Umsturzes oder sonstigen Zusammenbruchs des NS-Regimes bemühte, von besonders hohem Wert. Durch Sperr erhielt Schade daher zunächst den Auftrag, »beim Verschwinden der Nazis die Besetzung der führenden Stellen in der Schutzpolizei Bayerns sicher­zustellen«.227 Zwischen beiden entstand in dieser Zeit offenbar ein so gutes Vertrauensverhältnis, dass Sperr Schade möglicherweise über einige seiner weiteren Kontaktleute in Kenntnis setzte.228 Nach Schades Versetzung nach Nürnberg im Jahr 1943 verfügte die Widerstandsgruppe somit über zwei hochrangige Polizeioffiziere in den beiden größten Städten Bayerns. Auch wenn Schade in Nürnberg eng mit dem Höheren SSund Polizeiführer Benno Martin229 zusammenarbeitete und dieser auch regel-

225 Abschrift einer Bestätigung von Ernst Meier (Neumarkt, Oberpfalz, 26. November 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. 226 Vgl. Erklärung von Gertraud Sperr (10. Februar 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. 227 Verteidigungsschrift Schade (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 1–7, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 228 So wusste Schade der Spruchkammer Fürstenfeldbruck gegenüber von Sperrs Beziehungen zu Otto Geßler, Eduard Hamm, Anton Fehr, Ulrich von Hassell und Ernst Müller-Meiningen zu berichten (vgl. Verteidigungsschrift Schade, (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 5, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). Die Möglichkeit, dass Schade diese Informationen erst nach 1945 von anderer Seite erhielt, kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht verifiziert werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Sperr und Schade war aber offenbar so eng, dass er ihn angeblich nach seinem Treffen mit Stauffenberg am 6. Juni 1944 auf seiner Rückfahrt von Bamberg sogleich von dem Inhalt des Gesprächs berichtete. Hierauf wird an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen werden (vgl. Kap. VIII.4). 229 Benno Martin (1893 Kaiserslautern–1975 München), Studium der Forstwirtschaft und Rechtswissenschaften, 1914–18 Kriegsteilnehmer, 1919 Angehöriger des Freikorps Epp, 1920 Eintritt in die bayerische Landespolizei, 1923 Dr. jur. in Erlangen, 1923 Regierungsassessor in Ansbach, 1923 RegRat Polizeidirektion Nürnberg-Fürth, 1933 Beitritt zur NSDAP, 1933 stellv. Polizeipräsident von Nürnberg-Fürth, ab 1934 Polizeipräsident, 1934 Aufnahme in die SS, ab 1937 Leiter der Staatspolizeistelle Nürnberg, 1942 Generalmajor der Polizei, 1942 SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, 1944 General der Waffen-SS und Polizei, 1944 SS-Obergruppenführer, 1944 Höherer Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis XIII, 1945–48 in allierter Haft, mehrere Gerichtsverfahren, mehrere Freisprüche (zu Martin vgl. vor allem Grieser, Himmlers Mann in Nürnberg).

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mäßig an den Besprechungen seines konspirativen Gesprächskreises teilnahm, vertraute er ihm offenbar nicht voll und ganz.230 Aufgrund ihrer Verstrickung in die nationalsozialistischen Verbrechen in Nürnberg und Franken dürften weder Benno Martin noch dessen Nachfolger im Amt des Nürnberg Polizeipräsidenten Otto Kuschow aus Sicht des »Sperr-Kreises« als Kandidaten für eine Zeit »Danach« in Frage gekommen sein.231 Daher erhielt Schade von Sperr persönlich den Auftrag, »nach dem Sturze der Nazis zunächst die Besetzung der Stelle des Polizeipräsidenten sicherzustellen«232. Folglich ließ sich auch in der zweitgrößten Stadt Bayerns die Spitze der Polizei nicht für den Widerstandskreis gewinnen. Dennoch war auch hier mit Fritz Schade ein hochrangiger Polizeioffizier in der Lage, die notwendigen Vorkehrungen für den Fall eines Umsturzes im Reich zu treffen. Ob auch in anderen Städten Bayerns entsprechende Bemühungen unternommen wurden, um die Polizei im Fall der Fälle hinter sich vereinen zu können, ist kaum mehr zu verifizieren. Auffällig ist allerdings, dass sich zumindest in Augsburg, wo sich die Verbindungen des »Sperr-Kreises« gut rekonstruieren lassen, eine solche Initiative feststellen lässt.233 c) Die Kontakte zur bayerischen Stadt- und Ministerialverwaltung sowie zur Justiz Die Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus in alle Bereiche des öffentlichen Lebens eingedrungen war und ein Zusammenbruch des »Dritten Reiches« eben dieses zum Erliegen bringen würde, zwang den Widerstandskreis um Sperr dazu, Vorbereitungen auf dem Gebiet der Verwaltung und der Justiz in Bayern zu treffen und für deren Spitzen kompetente, vertrauensselige und vor allem von den Machenschaften des NS-Regimes unbelastete Persönlichkeiten zu gewinnen. Der Befund, dass in der Widerstandsgruppe tatsächlich einige Staats- und Kommunalbeamte, sowohl der Verwaltung als auch der Justiz, zusammenkamen, ist besonders erwähnenswert. Schließlich war aus den Reihen dieser traditionellen bürgerlichen Eliten – einer »an das Dienen gewöhnten Beamtenschaft« – nach 1933 nicht unbedingt Widerstand zu erwarten.234 Durch seine vielfältigen Kontakte hierzu prädestiniert, übernahm Eduard Hamm die unmittelbare Fühlungnahme mit Politikern, Juristen sowie Ministerial- und Kommunalbeamten in Bayern, um einen geordneten Verwaltungs- und 230 Zur »Nürnberger Gruppe« des »Sperr-Kreises« um Fritz Schade vgl. Kap. VI.3.b. 231 Vgl. Eidesstattliche Versicherung von Otto Geßler (Lindenberg im Allgäu, 9. August 1946), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter. 232 Verteidigungsschrift Schade (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 1–7, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. 233 Zu den Verbindungen des Sperr-Kreises nach Augsburg vgl. Kap. VI.3.a. 234 Scholtyseck, Eliten, S. 121.

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Justizapparat für die Übergangszeit zu errichten.235 Gleichzeitig nutzte er die Gelegenheit, mit diesem Personenkreis die politischen Leitlinien und teilweise sogar das politische System in einem künftigen bayerischen Staat zu diskutieren. München stand naturgemäß im Zentrum der Bemühungen der Männer um Sperr. Für den Posten des Oberbürgermeisters legte man sich offenbar früh auf den 1933 aus eben diesem Amt geschiedenen ehemaligen BVP-Politiker Karl Scharnagl236 fest. Scharnagl und Hamm erörterten ab 1943 nicht nur die Aufgaben der Münchener Stadtverwaltung, sondern auch die zukünftige Staats- und Regierungsform, kurzum »alle politischen Probleme« des Reiches, »auch die Monarchie«.237 Dass Hamm auch über die politische Zukunft jenseits der bayerischen Grenzen Überlegungen anstellte, muss vor dem Hintergrund seiner politischen Vita nicht näher erläutert werden. Die Gespräche mit Scharnagl standen zusätzlich unter dem Eindruck der ab diesem Zeitpunkt bestehenden Kontakte des »Sperr-Kreises« zum reichsweiten Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler.238 Denn gleichsam sei »eine demokratische Staatsführung unter starker Betonung

235 Laut Geßler war Hamm damit beauftragt »den nötigen Personalstatus für die innere Verwaltung […] und für die Justiz [zusammenzustellen]« (Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5). – Der für einen wichtigen Verwaltungsposten in Oberfranken auserkorene Dr. Otto Hirschmann umschrieb die Bemühungen Hamms in Bezug auf die Pläne und Aufgaben einer neuen Verwaltung wie folgt: Es sei dem »Sperr-Kreis« darum gegangen, »für den Fall des erstrebten Sturzes der Hitlerregierung eine neue demokratische Regierung und eine neue bayerische Verwaltungsorganisation ins Leben zu rufen.« Dabei habe »[d]er neue Verwaltungsapparat […] vor allem den Zweck« erfüllen sollen, »im Moment des Umsturzes die Macht zu übernehmen und ein Chaos zu vermeiden« (Eidesstattlichen Erklärung von Dr. Otto Hirschmann (16. Dezember 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65). 236 Karl Scharnagl (1881 München–1963 München), kath., Bäckermeister, 1911–18 MdL für die Deutsche Zentrumspartei, seit 1918 Mitglied der BVP, seit 1919 Mitglied des Stadtrats von München, 1920–24 u. 1928–32 MdL, 1925–1933 Erster Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister von München, 1933 von den Nationalsozialisten zum Rücktritt gezwungen, Rückzug ins Privatleben, nach dem 20. Juli 1944 einige Monate im KZ Dachau inhaftiert, 1945–48 erneut Oberbürgermeister von München, 1947–49 Mitglied des Bayerischen Senats, 1948/49 stellv. Oberbürgermeister, 1949 Ruhestand.  – Eine umfassende (politische) Biographie zu Karl Scharnagl existiert bislang nicht. Bis auf weiteres sei verwiesen auf Angermair, Karl Scharnagl, S. 430–437; Stephan, Karl Scharnagl, S. 103–116. 237 Karl Scharnagl: Die politische Tätigkeit des Herrn ehem. Staatsministers Dr. Hamm (München, 30. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 110. Dass sich Scharnagl über Hamms positive Einstellung zu den die Monarchie betreffenden Fragen überrascht zeigte, verdeutlicht indes die in Kap. III.4 angestellte Einordnung Hamms als »Herzensrepublikaner«; als einen solchen hatte Scharnagl Hamm offenbar bis dato auch eingeschätzt. Hamms positive Einstellung zur Monarchie bekräftigt erneut, dass er – gedanklich flexibel genug – auch eine erneute Rückkehr zur Monarchie als Alternative zum totalitären »Dritten Reich« nicht ausschloss, wenn diese dem Wohle Bayerns diente und die Einheit des Reiches nicht gefährdete. 238 Auf diese von Scharnagl vermittelte Verbindung des »Sperr-Kreises« zum früheren Leipziger Oberbürgermeister wird in Kap. VIII.1 ausführlich eingegangen.

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des bayer[ischen] Standpunktes« diskutiert worden.239 Somit war es die weitgehend föderale Struktur des Reiches, ob nun im Rahmen eines monarchischen oder demokratischen Systems, auf die Hamm in den Besprechungen mit ­Scharnagl besonderen Wert legte. Ebenfalls in München vermittelte Georg Deininger Franz Sperr unmittelbar nach dessen Umzug in die bayerische Landeshauptstadt den Kontakt zu seinem Nachbarn, den Direktor des Münchner Arbeitsamtes, Dr. Robert Adam.240 Der gebürtige Münchener – politisch liberal gesinnt, jedoch zugleich im katholischen Milieu verwurzelt  – war nach kurzer Beamtentätigkeit in der Provinz bereits 1927 an die Spitze des Münchner Arbeitsamts getreten. Seit 1933 gelang es ihm, sich weitgehend des Einflusses der neuen Machthaber zu entziehen, so dass er 1941/42 der einzige Vorstand einer größeren Behörde in München war, der noch nicht Mitglied der NSDAP war.241 Konzessionen machte er kaum, und wenn doch, nur vordergründig.242 Er habe vielmehr seine Stellung dazu genützt, um – 239 Karl Scharnagl: Die politische Tätigkeit des Herrn ehem. Staatsministers Dr. Hamm (München, 30. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 110. 240 Robert Adam (1894 München–nach 1979), kath., Studium der Rechtswissenschaften, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1919 Hilfsdienst beim Stadtrat München in der Armenpflege, 1920 Dr. jur., 1921–25 Beamtenlaufbahn im Bayerischen Innenministerium hauptsächlich im Gemeindefinanzreferat und im Referat für Staatsvereinfachung, 1925–27 Bezirksamtmann in Alzenau, 1928 MinRat, 1928–44 Direktor des Münchener Arbeitsamtes, 1942/43 NSDAP-Anwärter, 1944 Entlassung auf Veranlassung der Gauleitung, 1945 wieder eingesetzt, 1946 Oberverwaltungsgerichtsrat und Direktor des Oberversicherungsamtes, ­1948–51 Ministerialdirigent und Stellvertreter des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen, 1951–59 Senatspräsident am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, anschließend mehrere Studienaufenthalte in den USA (vgl. zu Adam bereits Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 114 f.).  – Die im Folgenden dargelegten Entlastungsmomente im Hinblick auf Adams Rolle im »Dritten Reich« stehen im fundamentalen Gegensatz zu einer Bewertung aus dem Jahr 1997. Adam wurde dort als ein Mann beschrieben, der »die Arbeitsmarktpolitik der nationalsozialistischen Machthaber in einer Weise« unterstützte, »die weit über das von Spitzenbeamten geforderte Mindestmaß an politischer Loyalität hinausging« (Brunner, Arbeitslosigkeit, S. 55). Eine Aussage darüber, welches »Mindestmaß« von Beamten zu erwarten war, blieb Brunner indes schuldig. Die Tatsache, dass Adam noch 1937/38 bei einer Bewerbung um die Stelle eines Beigeordneten der Stadt München nicht berücksichtigt und erst 1942 NSDAP-Anwärter wurde, lassen die Bewertung Brunners im Hinblick auf seine Regimeverbundenheit bereits zweifelhaft erscheinen. Der im Amt geleistete »Rettungswiderstand« legt derweil ein gänzlich anderes Bild nahe (vgl. hierzu die folgenden Anmerkungen). 241 Erst unter erhöhtem Druck habe Adam 1942 seinen Antrag zur Aufnahme in die NSDAP gestellt, vor allem um seinen Posten nicht zu verlieren. Dabei legte er nach dem Krieg wert darauf zu betonen, dass ihn hierzu nicht wirtschaftliche Gründe bewogen hatten  – er habe so gute Beziehungen zur Privatwirtschaft gehabt, dass er ohne Probleme eine Stelle gefunden hätte, wo er deutlich mehr verdient hätte, sondern vielmehr die Möglichkeiten, von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen zu helfen (vgl. Beilage 1 zum Fragebogen Dr. Robert Adam (o. D.), StAM, SpkA K 5: Adam, Robert). 242 Im Juli 1937 bewarb sich Adam vergeblich um die Stelle eines Beigeordneten bei der Stadt München, wahrscheinlich um seinen Einfluss in der Stadt weiter auszubauen. Er musste zu-

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wie er es später selbst formulierte – »viel Unheil [zu] verhüten«.243 Dabei machte er offenbar tatsächlich keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden. Aus der »Judenkartei« habe er »so manche Karte verschwinden« lassen, wodurch er »Abstellungen zu gewöhnlichen Arbeiten oder zum Arbeitsdienst vereitelt[e]«.244 Inwieweit Sperr über die Aktivitäten Adams informiert war oder diese gar unterstützte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Aus den Besprechungen mit dem früheren bayerischen Gesandten, in denen ganz offen die politischen Zustände diskutiert worden sein dürften245, will Adam zumindest den Eindruck gewonnen haben, dass Sperr sich in erster Linie ein Bild von seiner Person habe machen und dabei prüfen wollen, ob er »für ein Amt in der künftigen Regierung« hätte in Frage kommen können.246 Die Bereitschaft hierfür hatte Adam Sperr gegenüber offenbar signalisiert, weshalb er nach dessen Verhaftung jederzeit mit seiner eigenen rechnete.247 Adams langjährige Tätigkeit im Bereich der Arbeitsvermittlung legt die Vermutung nahe, dass man ihn nach einem möglichen Umsturz auf seinem Posten belassen und seine Befugnisse und Aufgaben womöglich um den als sehr wichtig erachteten Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ergänzt hätte.248 Den Ministerialbeamten Hans Ritter von Lex, der sich trotz seiner BVP-Vergangenheit wegen seines freundschaftlichen Verhältnisses zum NSDAP-Poli­ tiker Rudolf Buttmann seit 1933 als Oberregierungsrat im Reichsinnenministerium halten konnte, soll Eduard Hamm häufig in Berlin besucht und ihn in den Kreis jener miteinbezogen haben, die für den Wiederaufbau nach erfolgtem Zugeben, dass er bis zu diesem Zeitpunkt die »formellen Voraussetzungen« für die Aufnahme in die NSDAP nicht erfüllt habe. Daher verwies er auf seine angeblich im Rahmen seiner Tätigkeit bewiesene nationalsozialistische Gesinnung: So habe er »an die 7000 Altkämpfer wieder in das Wirtschaftsleben eingegliedert« (Bewerbung von Dr. Robert Adam um die Stelle eines Beigeordneten bei der Stadt München (17. Juli 1937), StadtAM, Personalakt 11221). Mit Schreiben vom 7. April 1938 wurde seine Bewerbung allerdings abgelehnt (ebd.). 243 Robert Adam an die Spruchkammer X München (München, 22. Januar 1948), StAM, SpkA K 5: Adam, Robert. 244 Ebd. – Bestätigt wurde Adams »Rettungswiderstand«, der 1942 unter anderem die Deportation von 150 Jüdinnen nach Riga verhinderte, durch ein knappes Dutzend eidesstattlicher Erklärungen jüdischer Frauen und ihrer Angehörigen aus dem Jahr 1946 (vgl. hierzu die Dokumente im StAM, SpkA K 5: Adam, Robert sowie im Personalakt Adams, BayHStA, MInn 83010). 245 Adam besaß offenbar die Angewohnheit, sich bereits beim ersten Kennenlernen sehr offen über die politischen Missstände auszulassen (vgl. Bestätigung des Rechtsanwalts Dr. Fürnrohr (München, 31. Dezember 1945), StAM, SpkA K 5: Adam, Robert). 246 Robert Adam an Ernst Meier (München, 7. Februar 1962), UAE, G 1/7 Nr. 3. 247 Ebd. 248 Vgl. hierzu das Kap. VI.2.d. Da Adam jedoch die Aktivitäten des »Sperr-Kreises« nicht durch eigene Handlungen aktiv unterstützte, kann man ihn lediglich dem Sympathisantenkreis der Widerstandsgruppe zurechnen (vgl. Kap. VI.4).

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sammenbruch in Deutschland in Frage gekommen wären.249 Welche Rolle ihm Hamm dabei genau zugedacht hatte, kann aufgrund der ungünstigen Quellenlage nur vermutet werden. Einerseits dürfte er für den »Sperr-Kreis« besonders interessant gewesen sein, da er bis 1933 an der Spitze des BVP-Kampfverbandes »Bayernwacht« gestanden hatte und möglicherweise ehemalige Anhänger im richtigen Moment hätte rekrutieren können. Andererseits galt er als erfahrener Politiker und Ministerialbeamter und hätte problemlos an die Spitze eines bayerischen Ministeriums treten können. Auch außerhalb Münchens unternahm die Widerstandsgruppe um Sperr, Geßler und Hamm große Anstrengungen, um fähiges Personal für wichtige Verwaltungsposten in Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« zu gewinnen. Während er bis zuletzt an einer möglichen Besetzung des Nürnberger Oberbürgermeisteramtes arbeitete250, hatte er von seinen Vertrauensleuten entweder die konkrete Zusage für die Übernahme von bayerischen Verwaltungsstellen, wie des Regierungspräsidentenpostens in Ansbach251 und des Landratsamts in Neuburg a. d. Donau252 erhalten oder hatte einzelne etwa »für einen wichtigen Verwaltungsposten in Oberfranken«253 vorgesehen. Durch den bereits erwähnten Martin Riedmayr, der neben seiner Polizeioffizierstätigkeit als Referent der Regierung von Oberbayern umfangreichen Einblick in die Gemeindestrukturen besaß, konnten weitere Kandidaten für die Verwaltung ins Auge gefasst werden. Als zuverlässigen Landrat habe Riedmayr Sperr beispielsweise den ihm seit 1937 dienstlich bekannten Landrat von Bad Tölz, Eduard-Josef Fergg genannt, von dem er wusste, dass dieser der Partei ein Dorn im Auge war.254 Dieser soll unter Tarnung der Landwacht versucht haben, von Riedmayr Gewähre zu besorgen, um im geeigneten Moment durch Bewaffnung ihm zuverlässig erscheinender Bauern »die Grundlagen für einen wirksamen Widerstand zu schaffen«.255 Riedmayr habe dessen regionales Vorhaben

249 Vgl. Hans Ritter von Lex an Carl von Merz (19. September 1954), BAK, NL Lex (N 1147) 6. 250 Offenbar waren hierfür die Kontakte zum 2. Bürgermeister der Stadt, Walter Eicke­ meyer, weit gediehen, so dass er für dieses Amt wohl ausgewählt worden wäre (vgl. hierzu Kap. VI.3.b). 251 Kommissarisch sollte offenbar Fritz Schade an diese Stelle treten. Auch Konrad Frank wurde hierfür ins Auge gefasst. 252 Hierfür war offenbar Felix Brandl vorgesehen für den Fall, dass er seinen Vorgesetzten nicht zur Mitarbeit bewegen könnte (vgl. Kapitel VI.3.a)). 253 Hamm hatte hier offenbar an Otto Hirschmann gedacht (Eidesstattlichen Erklärung von Dr. Otto Hirschmann (16. Dezember 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65; vgl. Kap. VI.3.b). 254 Vgl. Eidesstattliche Versicherung von Martin Riedmayr (Neu-Grünwald, 9. Februar 1947) sowie Zeugenaussage Riedmayrs für Eduard-Josef Fergg nach Protokoll der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Bad Tölz (29. April 1947), beides StAM, SpkA K 3617: Fergg, Eduard-Josef. 255 Eidesstattliche Versicherung von Martin Riedmayr (Neu-Grünwald, 9. Februar 1947), StAM, SpkA K 3617: Fergg, Eduard-Josef.

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voll unterstützt und Fergg über ein Waffengeschäft Waffen zukommen lassen.256 Wenn Riedmayr Fergg gegenüber auch nie den Namen Sperr erwähnt habe, will er ihn in jenen Kreis der Männer eingezogen haben, die für den Widerstand gegen die Partei vorgesehen waren.257 Neben Fergg habe Riedmayr Sperr auf den Oberbürgermeister von Ingolstadt, Dr. Josef Listl, hingewiesen. Auch von ihm waren Riedmayr Konflikte mit der NSDAP-Kreisleitung bekannt geworden. Er ging daher davon aus, dass man mit diesem möglicherweise rechnen könne, umso mehr, als dieser positiv auf seinen Vorschlag reagiert habe, »die Männer der Polizeireserve einzeln und außerhalb der Partei zu erfassen, um das Eindringen der Partei-Gliederungen (SA u. SS) zu vermeiden«.258 Eine engere Einbindung Listls sollte allerdings nicht erfolgen. Obwohl Listl offenbar versuchte, den Parteieinfluss innerhalb seiner Stadt möglichst klein zu halten, hatte er die Durchsetzung der nationalsozialistischen Kommunalpolitik und die Unrechtsmaßnahmen des Regimes in der Stadt zu verantworten, weshalb Sperr diesen Kontakt gescheut haben dürfte.259 Wie weit die personellen Vorbereitungen innerhalb der Verwaltungsapparate für die Zeit nach Hitler in den einzelnen Regionen gediehen waren, lässt sich dennoch nur vermuten.260 Verständlicherweise konzentrierte man sich in erster Linie auf die größeren Städte Bayerns, musste jedoch auch hierbei vorsichtig vorgehen. Ehemalige oder aktive Verwaltungsbeamte zu gewinnen, die sich innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs möglichst nicht an den NS-Unrechtsmaßnahmen beteiligt hatten, fiel den Männern um Sperr offensichtlich nicht besonders leicht. Mit Riedmayr besaß man zwar einen guten Informanten für Oberbayern und Teile Schwabens. Doch stieß man ansonsten, was die Beziehungen in die einzelnen Regionen anging, an seine Grenzen. Nicht ohne Grund musste Eduard Hamm, dem die Aufgabe der Kontaktaufnahme auf Verwaltungsebene zugefallen war, teilweise Otto Geßler um Rat fragen, der als ehemaliger Oberbürgermeister von Regensburg und Nürnberg über einen größeren Bekanntenkreis in diesen Städten und Regionen Bayerns verfügte.261 Das Beispiel des Vertrauensmanns Konrad Frank im Regierungsbezirk Oberfranken lässt vermuten, dass

256 Vgl. Aussage des Betroffenen Ferggs sowie Zeugenaussage Riedmayrs für Eduard-Josef Fergg nach Protokoll der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Bad Tölz (29. April 1947), StAM, SpkA K 3617: Fergg, Eduard-Josef). 257 Vgl. ebd. 258 Eidesstattliche Versicherung von Martin Riedmayr (Neu-Grünwald, 5. Oktober 1947), StAM, SpkA K 2870: Listl, Josef. 259 Vgl. die Bewertung der Rolle Listls bei Schlemmer, Industriemoderne, S. 154 sowie insbesondere den Hinweis auf die Forschungsdesiderate »Ingolstadt in der NS-Zeit« und »Oberbürgermeister Listls Rolle im ›Dritten Reich‹« in Anm. 349. 260 Vgl. hierzu Kap. VI.3. 261 Vgl. Beglaubigte Abschrift Otto Geßler an Konrad Frank (Lindenberg im Allgäu, 19. Dezember 1945), BayHStA, MInn 83557 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 162 f.).

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man womöglich nur einen Bruchteil der bayerischen Landkreis- und Gemeindeverwaltungen tatsächlich mit fähigem Personal hätte besetzen können.262 Auf dem Gebiet der Justiz stand mit dem Augsburger Rechtsanwalt Dr. Franz Reisert263 spätestens seit der Jahreswende 1942/43 ein geradliniger Strafverteidiger in den Reihen des »Sperr-Kreises«.264 Auch im »Dritten Reich« wollte Reisert sich für die Rechte des Einzelnen vor Gericht einsetzen. Er selbst stand deshalb bereits 1938 vor einer schwerwiegenden, persönlichen Gewissensentscheidung: Wollte er weiterhin als Anwalt im »Dritten Reich« wirksam agieren, musste er gegenüber den Machthabern einen Kompromiss eingehen. Deshalb sei er 1938 nach wiederholten Aufforderungen der NSDAP beigetreten.265 Ihm war bewusst, dass er sich als Rechtsanwalt im Vergleich zu Richtern und Staatsanwälten noch auf einer relativ komfortablen Seite im NS-Unrechtsstaat befand, die es ihm nach seiner eigenen Risikobereitschaft erlaubte, für die Rechte des jeweiligen Angeklagten einzutreten, ohne dabei Anordnungen von oben grundsätzlich folgeleisten zu müssen.266 Mit dieser Grundeinstellung begab sich Reisert jedoch frühzeitig auf gefährliches Terrain: Richter und Anwälte wurden bei ihrem Auftreten vor Gericht genauestens beobachtet und anschließend beurteilt, ob sie im Sinne eines nationalsozialistischen Rechtswahrers agiert hatten. In diesem Zusammenhang fiel Reisert den nationalsozialistischen Machthabern als besonders negatives Beispiel auf.267 Auch während des Krieges setzte er sich mit aller Kraft für aus politischen Gründen verfolgte Personen ein. In München vertrat er 1943 unter anderem mit Erfolg den Maler und Graphiker Wilhelm Geyer, der mit der »Weißen Rose« in Verbindung gestanden hatte.268Abseits seines Bemühens, als Rechtsanwalt den nationalsozialistischen Unrechtsstaat zu bekämpfen, trat 262 Die Rolle Konrad Franks, den Eduard Hamm offenbar als eine Art »Personalreferent« für Mittel- und Oberfranken ansah, wird in Kap. VI.3.b ausführlicher beschrieben. 263 Franz Reisert (1889 Augsburg–1965 Augsburg), kath., Studium der Rechtswissenschaften in Grenoble, München und Erlangen, 1915 Dr. jur. in Erlangen, 1917 Rechtsanwalt beim Landgericht Augsburg, ab 1920 auch beim Oberlandesgericht München zugelassen, seit 1919 Mitglied der BVP und des Bayerischen Heimat- und Königsbundes, 1922 Gründer und Vorstandsmitglied des »Deutschen Clubs Augsburg«, seit 1938 Mitglied der NSDAP, verteidigte als Rechtsanwalt viele NS-Gegner vor Gericht, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und vom Volksgerichtshof zu fünf Jahren Haft verurteilt, nach 1945 erneut als Rechtsanwalt tätig (zu Reisert vgl. den Lebensbericht dessen Sohns P. Reisert, Franz Reisert, S. 547–570, hier S. 561; vgl. nun auch Seliger, Dr. Franz Reisert, S. 159–204). 264 Reisert trat zusammen mit einigen Augsburger Freunden mit dem »Sperr-Kreis« in Kontakt. Auf diese »Augsburger Gruppe« wird in Kap. VI.3.a näher eingegangen. 265 Vgl. Erklärung des Rechtsanwalts Dr. Franz Reisert zum Fragebogen (Prettelshofen, o. D.), NL Reisert (Privatbesitz). 266 Vgl. hierzu Reiserts Ausführungen über das Rechtssystem im »Dritten Reich« (Antwort auf Frage 9 und 10 des Ergänzungsfragebogens für Richter, Staatsanwälte, Notare und Rechtsanwälte (Augsburg, Oktober 1945), S. 1–12, insbesondere S. 8 ff., NL Reisert (Privatbesitz)). 267 Vgl. P. Reisert, Franz Reisert, S. 557. 268 Reisert vertrat den Kunstmaler Wilhelm Geyer aus Ulm, der mit der Familie Scholl bekannt war, bei dessen Prozess vor dem Sondergericht 2 beim Landgericht München. Geyer wurde im Juli 1943 mangels Beweisen freigesprochen (vgl. hierzu StAM, Staatsanwaltschaften

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Reisert im Verlauf des Krieges als Mitglied seines Augsburger Freundeskreises mit dem sich in Bayern im Aufbau befindlichen »Sperr-Kreis« in Kontakt. Daneben konnte Eduard Hamm mit seinem langjährigen Freund Rudolf Flach269 einen wichtigen Mann für den Justizbereich für die Widerstandsgruppe gewinnen. Dieser entstammte einer seit Jahrhunderten im bayerischen Allgäu ansässigen großbürgerlichen Familie.270 Ebenso wie Hamm, war auch Flach als Student Mitglied des Akademischen Gesangvereins München gewesen.271 Kennengelernt haben dürften sich beide allerdings aufgrund des fünfjährigen Altersunterschieds erst am Bezirksamt in Memmingen, als Flach dort im Rahmen seines juristischen Vorbereitungsdienstes im Jahr 1910 einige Monate als Rechtspraktikant arbeitete. Im Anschluss an Revolution und Räterepublik holte ihn Hamm zunächst in die Presseabteilung der bayerischen Regierung Hoffmann (SPD), wo Flach dessen »rechte Hand« wurde.272 Anschließend nahm ihn der DDP-Justizminister Ernst Müller-Meiningen als persönlichen Sekretär in sein Ministerbüro auf.273 Nach dessen Austritt aus dem bayerischen Kabinett folgten für Flach diverse Stationen als Richter und Staatsanwalt in München und Bad-Reichenhall, ehe ihm aufgrund seiner Qualifikation und offenbar auf persönliches Verlangen des Reichsjustizministers Gürtner zum 1. September 1938 das Präsidentenamt beim Landgericht Kempten angeboten wurde, ohne dass 12530 sowie Beglaubigte Abschrift einer Erklärung von Wilhelm Geyer (Ulm, 24. Juni 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten R 226). 269 Rudolf Flach (1884 Memmingen–1969 Kempten), ev., Studium der Rechtswissenschaften in München, Tübingen und Würzburg, vor 1914 Mitglied der Nationalliberalen Partei, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1919 Amtanwalt in Lauf, 1919 Dritter Staatsanwalt in Ansbach, 1919 zur Pressestelle der bayerischen Regierung beordnet, 1919 persönlicher Sekretär des bayerischen Justizministers, ab 1919 Mitglied der DDP, ab 1920 Amtsrichter in München, 1923 Zweiter Staatsanwalt beim Landgericht München I, ab 1929 Oberamtsrichter u. Amtsgerichtsvorstand in Bad Reichenhall, ab 1934 Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht München, ab 1938 Landgerichtspräsident in Kempten, nach 1945 Mitglied der CSU, Ruhestand 1952 (zu Flach vgl. Personalakt, BayHStA, MJu 24986 u. OP 19272 sowie seinen Spruchkammerakt StAA, Spk. Kempten Akten F 155). 270 Flachs ältester bekannter Vorfahre Michael Flach war bereits im 16. Jahrhundert Bürgermeister von Kempten gewesen. Rudolfs Vater Eduard Flach wurde als Geschäftsmann 1928 Ehrenbürger der Stadt Memmingen (vgl. Der Landgerichtspräsident a. D. Rudolf Flach an die Militärregierung in Bayern (Kempten, 14. Januar 1946), S. 1–14, hier S. 2, BayHStA, MJu 24986). 271 Gemeinsam traten Hamm und Flach nach der Umbenennung des AGV in »Kameradschaft Theodor Körner« in den NS-Altherrenbund ein, was eine Voraussetzung für das Fortbestehen des Vereins war, womit jedoch keine besonderen Verpflichtungen verbunden waren (vgl. 1. Beilage zum Fragebogen des Landgerichtspräsidenten Rudolf Flach (o. D.), StAA, Spk. Kempten Akten F 155). 272 Rudolf Flach an den Gouverneur von Schwaben und Neuburg Oberst Avery (Kempten, 28. April 1946), StAA, Spk. Kempten Akten F 155. 273 Vgl. Der Landgerichtspräsident a. D. Rudolf Flach an die Militärregierung in Bayern (Kempten, 14. Januar 1946), S. 1–14, hier S. 2, BayHStA, MJu 24986. Hierher stammt  – wenn nicht anders vermerkt – auch die folgende Darstellung der Karriere Flachs.

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daran die Bedingung geknüpft war, in die Partei einzutreten. Dem Range nach stieg Flach damit zum höchsten Beamten im Allgäu auf. Mit Hamm, den Flach wiederholt in München aufsuchte, habe er alle »für den Zusammenbruch des Regimes erforderlichen Gesetze, die Listen von Persönlichkeiten, die als nazifeindliche Beamte und Richter in Frage kamen, die Richtlinien für eine vernünftige Denazifizierung, welche alle Kriminellen erfassen, die Mitläufer aber erhalten sollte«, besprochen.274 Es ging Hamm somit, was den Umgang mit Parteimitgliedern anging, um einen »weichen« Übergang vom »Dritten Reich« zum neuen Staat. Schließlich hatte er als gleichzeitiger Beauftragter des »Sperr-Kreises« für den Bereich Wirtschaft dafür Sorge zu tragen, dass Wirtschaft und Industrie im Anschluss an einen Umsturz nicht kollabieren würden. Er dürfte sich der Schwierigkeit bewusst gewesen sein, diese lediglich mit einwandfreien, unbelasteten Charakteren am laufen zu halten und plädierte daher für eine »vernünftige Denazifizierung«. Trotzdem sei man sich innerhalb der bayerischen Widerstandsgruppe darüber einig gewesen, dass in den unmittelbar auf einen Umsturz folgenden Tagen »möglichst rasch einige Schau­prozesse durchgeführt werden« müssten, um den einen Bevölkerungsteil von einer »Lynchjustiz« abzuhalten und den anderen von der Selbstbereicherung der Parteibonzen zu überzeugen. Dies wusste Otto Geßler aus Gesprächen mit Hamm nach dem Krieg ebenso zu berichten, wie er sich daran erinnerte, dass Hamm Flach entweder als »Staatskommissar für die Justiz« oder als »Vorsitzende[n] zur Aburteilung des Gerichtshofes für die Verbrechen der P[artei]g[enossen]« eingeplant habe.275 Für die Stelle eines »Sondergerichtsvorsitzenden« konnte Flach offenbar den Münchener Amtsgerichtsdirektor, Dr. Hans Knör276 gewinnen.277 Dieser war während seiner Studienzeit, die er 1914 mit der Promotion zum Doktor der Rechtswissenschaft in Erlangen beendete, wie Hamm und Flach Mitglied im Akademischen Gesangverein (AGV) München gewesen.278 Nach Angaben Knörs habe Flach in den Jahren 1934 bis 1937 gemeinsam mit ihm und anderen Juristen einen Gesprächskreis in München gebildet, in dem die »üblen Erfahrungen«, die man mit dem Regime gemacht habe, ausgetauscht habe sowie nach Wegen gesucht worden sei, »wie man dienstlich die Interessen der Naziregierung schädigen konnte«.279 Aufgrund dieser gemeinsamen Jahre in München dürfte Flach, nach274 Ebd. 275 Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5. 276 Johann, gen. Hans Knör (1884 Eichstätt–?), kath., 1902–07 Studium der Rechtswissenschaften in München und Erlangen, 1914 Dr. jur. in Erlangen, anschließend Amtsrichter in München, vor 1933 verschiedene juristische Veröffentlichungen, 1946–53 Präsident des Kassationshofes sowie Leiter der Rechtsabteilung beim Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben, 1947–53 Mitglied und stellvertretender Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (zu Knör vgl. seinen Personalakt, BayHStA, MJu 25442). 277 Bestätigung von Dr. Hans Knör (München, 16. Februar 1946), StAA, Spk. Kempten Akten F 155. 278 Vgl. Anschriftenbuch und Vademecum, S. 71. 279 Bestätigung von Dr. Hans Knör (München, 16. Februar 1946), StAA, Spk. Kempten Akten F 155.

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dem ihn die Aufforderung Hamms erreicht hatte, Persönlichkeiten für wichtige Ämter im Bereich der Justiz zu benennen, sogleich an Knör gedacht haben, dem es darüber hinaus gelungen war, sich von der Partei und seinen Gliederungen fernzuhalten. Folglich dürfte feststehen, dass Hamm Flach als Staatskommissar der Justiz fest eingeplant, und dieser ihm mit Hans Knör einen Sondergerichtsvorsitzenden vermittelt hatte. Für die Übergangszeit nach erfolgtem Zusammenbruch des NS-Regimes waren also die wichtigsten personellen Weichen auf dem Gebiet der Justiz gestellt. Was die innere Verwaltung anbelangt, konnten in den größten Städten und einigen Regionen Bayerns Verwaltungsfachleute gewonnen werden, die im Stande gewesen wären, in ihrem Verantwortungsbereich einen geordneten Verwaltungsapparat zu installieren und einen geregelten Neuanfang zu gewährleisten. d) Die Kontakte zur bayerischen Wirtschaft und Industrie sowie wirtschaftspolitische Vorstellungen Damit ein Neuaufbau in Bayern überhaupt gelingen konnte, musste neben der Arbeit an der Aufrechterhaltung eines Verwaltungsapparats dafür Sorge getragen werden, dass nach einem wie auch immer erfolgten Zusammenbruch des NS-Regimes nicht auch Industrie und Wirtschaft zum Erliegen kommen würden. Geradezu prädestiniert für die Kontaktaufnahme mit möglichen Vertrauensleuten in der bayerischen Wirtschaft erschien Eduard Hamm aufgrund seines jahrzehntelangen beruflichen Wirkens in diesem Bereich. Deshalb wurde ihm im »Sperr-Kreis« die »Spezialaufgabe« der »wirtschaftspolitischen Vorbereitung des Umsturzes in Bayern«280 übertragen, wofür er auf einen sehr großen Freundeskreis zurückgreifen konnte.281 Als eine Art Referent für die wirtschaftspolitische Vorbereitung des Umsturzes in Bayern fungierte für Hamm der Syndikus der Industrie- und Handels­ kammer (IHK) München, Dr. Paul Helfrich.282 Dieser hatte zu Beginn der 1920er

280 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 281 Becker näherte sich den wirtschaftspolitischen Vorstellungen des »Sperr-Kreises« sowie seinen Verbindungen zu Vertrauensleuten aus Wirtschaft und Industrie über die »Augsburger Gruppe« des Widerstandskreises an, die zum Teil aus Unternehmern bestand, sowie über die unten noch näher zu beschreibenden Beziehungen zum »Kreisauer Kreis« (vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 123 f. u. 133). 282 Paul Helfrich (1900 Neustadt / Haardt–1980), Studium der Volkswirtschaft in Frankfurt, Freiburg und München, Promotion in München, seit 1923 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter der IHK München, 1937–45 Mitglied der NSDAP, 1941–66 Syndikus der IHK München (zu Helfrich vgl. seinen Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 671: Helfrich, Paul; 40 Jahre im Kammerdienst, S. 3).

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Jahre in München Volkswirtschaft bei Prof. Adolf Weber283 studiert und war dort promoviert worden. Als Schüler dieses herausragenden Vertreters einer letztlich der Sozialpolitik dienenden Freien Marktwirtschafts-Idee284, stieg Helfrich bereits 1923 in die IHK München als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter ein, von wo aus er innerhalb von 20 Jahren zum Syndikus und stellvertretenden Hauptgeschäftsführer der Kammer aufsteigen sollte.285 Hamm hatte er schon vor dessen Eintritt in die Geschäftsführung beim DIHT kennengelernt und »bewunderte […] an ihm sein ungeheuer vielseitiges Wissen und die Klarheit, mit der er verwickelte Wirtschafts- und andere Problem darzustellen und [zu] entwirren verstand«. Dem »Sperrkreis« [sic!] sei Helfrich »frühzeitig […] nahegebracht« worden.286 Nannte Helfrich auch keine Jahreszahl, ist davon auszugehen, dass Hamm ihn nicht zuletzt aufgrund seiner exponierten Stellung im Wirtschaftsapparat Bayerns als einen der ersten Männer aufsuchte, um mit dessen Unterstützung die ihm zugefallene Aufgabe, die wirtschaftspolitischen Vorbereitungen einer Zeit in Bayern nach Zusammenbruch des NS-Regimes zu treffen, bestmöglich zu erfüllen. Hierfür sprechen vor allem die in den gemeinsamen Besprechungen angerissenen Themen287: Hamm wünschte sich demnach von Helfrich Unterstützung 283 Adolf Weber (1876 Mechernich–1963 München), Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, Berlin und Leipzig, 1900 Dr. jur. in Freiburg, 1902 Dr. phil. in Bonn, Habilitation 1903 in Bonn, 1908 Prof. an der Handelshochschule Köln, 1914–19 o. Prof. an der Universität Breslau, 1919–21 Universität Frankfurt, 1921–48 Universität München. Zu Weber existiert trotz seiner wissenschaftlichen Bedeutsamkeit bis heute keine quellengestützte Biographie. Daher sei an dieser Stelle verwiesen auf den in erster Linie die Nachkriegszeit und Webers wirtschaftspolitische Vorstellungen betreffenden Abschnitt »Adolf Weber und die ›Volkswirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Bayern‹« bei Grüner, »Wirtschaftswunder«, S. 67–71. 284 Weber vertrat die Auffassung, dass sich der Staat in der Sozialpolitik so wenig wie nötig engagieren, sondern vielmehr ein aufgeklärtes, freies Unternehmertum sich dieser verpflichtet fühlen sollte. Soziale Umverteilung aus ideologischen Gründen lehnte er ab und sah stattdessen in einer guten Wirtschaftspolitik, die den freien Wettbewerb garantierte, die beste Sozialpolitik. Er verstand Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik als Einheit (zu Webers wirtschaftstheoretischen Entwürfen vgl. zusammenfassend ebd.). 285 Vgl. 40 Jahre im Kammerdienst, S. 3. 286 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 287 Hamm sei ab 1942 häufiger in Helfrichs IHK-Büro in München erschienen. Dabei habe er äußerste Vorsicht walten lassen: Seine Besuche »pflegte er telefonisch nach vorhergehender Vereinbarung unter dem Decknamen ›Haller‹ anzukündigen«. Bevor Hamm auf die ihn interessierenden politischen Fragen zu sprechen gekommen sei, habe er sich zuvor ein »Alibi« verschafft, indem er Helfrich »einleitend nach irgendeinem Gegenstand [s]eines Tätigkeitsbereiches« gefragt habe. Die anschließende politische Aussprache habe dann allerdings entweder auf neutralem Boden, etwa »in nahegelegenen Lokalen«, oder aber in Hamms Wohnung in der Friedrichstraße 17 in München-Schwabing stattgefunden (Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108).

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bei der Auswahl kompetenter und vertrauensseliger Persönlichkeiten. Die einen sollten ihm als Verbindungs- und Vertrauensleute auf dem wirtschaftlichen Gebiet zur Verfügung stehen. Da Hamm sie in die wirtschaftspolitischen Vorbereitungen der Zeit »Danach« einbeziehen wollte, musste er auf deren absolute Zuverlässigkeit vertrauen können. Helfrich habe nach eigenen Angaben beispielsweise seinen Augsburger Kollegen, den Syndikus der dortigen IHK, Dr. Johannes Meier, als Verbindungsmann vorgeschlagen.288 Die anderen sollten für »die Übernahme der Regierungsgeschäfte im Wirtschaftsministerium und leitenden Stellen in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung (Industrie- und Handelskammer)« gefunden werden. Gleichzeitig besprachen Hamm und Helfrich die aus ihrer Sicht dringendsten wirtschaftspolitischen Zukunftsfragen: Zu diesen zählten sie die Währungspolitik, die Arbeitsmarktpolitik sowie die Sozialpolitik.289 In welche Richtung diese Themen inhaltlich liefen, lässt sich lediglich vermuten, da Helfrich hierzu keine genaueren Angaben machte. Es ist nicht davon auszugehen, dass Hamm die Währungspolitik des künftigen Deutschen Reiches grundsätzlich auf die Gliedstaaten übertragen wollte. Wahrscheinlich ging es in den Gesprächen mit Helfrich darum, für den Übergang in Bayern Maßnahmen zu ergreifen, um die bayerische Wirtschaft nicht zum Erliegen zu bringen. Hierzu dürfte er entsprechende Initiativen wie die der Geldwertstabilität und des Geldumlaufs gezählt haben, damit die Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien des Wettbewerbs, der im »Dritten Reich« vollkommen abgeschafft war, und damit der Wiederaufbau einer gesunden bayerischen Wirtschaft gelingen konnte.290 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dürften wohl für die Übergangszeit angedacht gewesen sein, um die zu erwartende hohe Arbeitslosigkeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Griff zu bekommen. Hamm und Helfrich, die ansonsten planwirtschaftliche Eingriffe in den Markt ablehnten, dürften die staatlichen Investitionen in diesem Bereich zwar für notwendig erachtet haben, allerdings nur solange, bis eine gesunde Wirtschaft selbst zur Entlastung des Arbeitsmarktes geführt haben würde. 288 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. – Dass über Helfrich bereits ein erster Kontakt zu Johannes Meier hergestellt wurde, bevor Franz Sperr durch den Unternehmer Ludwig Berz die »Augsburger Gruppe«, der Meier bereits angehörte, zugeführt wurde, ist nicht auszuschließen (zu Johannes Meier, Ludwig Berz und die »Augsburger Gruppe« siehe Kap. VI.3.a). Später soll Helfrich nach Angaben Meiers als Verbindungsmann zwischen ihm und Hamm fungiert haben (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Johannes Meier (Augsburg, 10. Oktober 1947), StAM, SpkA K 671: Helfrich, Paul). 289 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 290 Auch Kronprinz Rupprecht erkannte in einem an die Alliierten gerichteten Schreiben die Geldentwertung als eines der unmittelbarsten Probleme für die Wirtschaft und Ernährungslage in Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches«. Dieses war Teil des Chaos, das er in Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern, zu denen nicht zuletzt Eduard Hamm zählte, in seiner Heimat verhindern wollte (vgl. hierzu das Kap. VII.3).

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Dass die Arbeiterschaft in Bayern eine wichtige Rolle nach dem erhofften Umbruch spielen würde, stand für den »Sperr-Kreis« außer Frage. Daher war es aus seiner Sicht ratsam, frühzeitig Informationen über die Stellung der Arbeiter einzuholen, eine Aufgabe, der sich insbesondere Eduard Hamm durch seine guten Kontakte zur bayerischen Industrie und Wirtschaft widmete.291 In diesem Zusammenhang dürfte Hamm mit Helfrich die künftige Sozialpolitik in Bayern diskutiert haben. Hamms Verständnis von Demokratie beinhaltete die Überwindung der Klassengegensätze.292 Gleichzeitig ergaben sich seine sozialpolitischen Vorstellungen aus seiner Auffassung über das normative Verhältnis von Staat und Wirtschaft.293 Als Anhänger der »Jungliberalen« war Hamm schon im Kaiserreich für eine aktive Sozialpolitik eingetreten. Wenn er auch gegen Ende der Weimarer Republik zunehmend darauf gedrängt hatte, die staatlichen Sozialausgaben zu senken, hatte er dennoch als Vertreter des DIHT – im Gegensatz zu den Vertretern der Schwerindustrie im RDI – an der Errungenschaft des Sozialstaats von Weimar, insbesondere an der 1927 eingeführten Arbeitslosenversicherung, selbst auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise grundsätzlich festgehalten.294 Soziale Umverteilung konnte aus seiner Sicht jedoch nicht die Lösung der Probleme bringen. Stattdessen hatte er auf die Vernunft der Unternehmer gesetzt, auch im eigenen Interesse ausreichend hohe Löhne zu zahlen.295 Mit Helfrich dürfte er deshalb darin übereingestimmt haben, dass soziale Missstände im Idealfall aufgrund einer gesunden Wirtschaft, die es nach Untergang des »Dritten Reiches« in erster Linie zu erreichen galt, erst gar nicht entstehen würden. Hierüber sollten nach ihren Vorstellungen  – wie bereits in Weimar, so auch im künftigen Deutschland – erneut die Gewerkschaften wachen. Dass Hamm in späterer Zeit die Sozialpolitik nicht mehr in den Mittelpunkt seines Diskurses mit Helfrich stellte, führte letzterer darauf zurück, dass es den Männer

291 Vgl. Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110. 292 Vgl. Verhandlungen des Reichstags. 1. Wahlperiode 1920, Bd. 356, S. 8469–8477, hier S. 8475 f. 293 Hamm trat seit den frühen 1920er Jahren öffentlich für eine ausgewogene Wirtschaftspolitik und eine sozial eingehegte, freie Marktwirtschaft ein. Dabei wandte er sich einerseits gegen die »sozialistische Zwangswirtschaft«, andererseits aber auch gegen die »zügellos freie Wirtschaft«: »Nicht Wirtschaft machen soll der Staat, aber Wirtschaft pflegen, um zu fördern oder Auswüchse abzuschneiden« (Hamm, Zwangswirtschaft, S. 187–192, hier S. 192). Wenige Jahre später erklärte er, dass der Staat auch »Wohlfahrtsstaat« sein müsse, »um Lebens- und Kulturrechte des Schwächeren zu schützen« (Mitteilungen der Handelskammer Hamburg, S. 273). 294 Vgl. Hardtwig, Eduard Hamm, S. 333. 295 Auf der DIHT-Vollversammlung im April 1929 hatte Hamm entsprechend erklärt: »Ein Unternehmertum, das sich von vornherein gegen hohe Löhne ausspräche, würde nicht nur die politischen Zeichen der Zeit verkennen und soziale Aufgaben gering schätzen, sondern auch gegen seinen eigenen wirtschaftlichen Nutzen handeln« (zit. n. ebd., S. 332).

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um Sperr, Geßler und Hamm »gelungen war, auch die Verbindungen mit alten Gewerkschaftlern aufzunehmen«.296 Es waren auf dem Gebiet der wirtschaftspolitischen Vorbereitungen des Umsturzes allerdings auch schwere Rückschläge hinzunehmen. Während seiner Studien­zeit in München hatte Helfrich den Assistenten Adolf Webers Adolf Lampe kennengelernt, der während des »Dritten Reiches« eines der führenden Mitglieder der so genannten »Freiburger Kreise« sein sollte.297 Zwischen Lampe und Helfrich hatte sich in der Folgezeit eine sehr enge Freundschaft entwickelt.298 Ihr besonderes Vertrauensverhältnis und ihre unbedingte Ablehnung des Nazionalsozialismus führten sie 1943 gemeinsam zum Präsidenten der IHK München und gleichzeitigem Leiter der Reichswirtschaftskammer, Dr. Albert Pietzsch299, um diesen für den Widerstand gegen das NS-Regime zu gewinnen. Obwohl Helfrich und Lampe auf Pietzsch mehrerer Stunden einredeten, habe dieser letztlich »nicht die innere Kraft« besessen, »aus klaren wirtschaftlichen

296 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. – Um wen es sich hierbei handelte, verriet Helfrich nicht und konnte auch nicht ermittelt werden. Es unterstreicht jedoch die grundsätzliche Bereitschaft des »Sperr-Kreises«, zur Erreichung seiner Ziele Gespräche über frühere Partei- und Milieugrenzen hinweg zu führen. 297 Zu den Freiburger Kreisen siehe nun den Sammelband Ha. Maier, Die Freiburger Kreise. – Adolf Lampe (1897 Frankfurt a. M.–1948 Reinhausen), 1914–18 Kriegsteilnahme, Studium der Nationalökonomie in Frankfurt, ab 1921 Assistent bei Prof. Adolf Weber in München, 1922 Dr. oec. publ., 1925 Habilitation, ab 1926 a. o. Prof. in Freiburg, ab 1938 führendes Mitglied der »Freiburger Kreise«, nach dem 20. Juli 1944 u. a. im KZ Ravensbrück inhaftiert, nach 1945 Rückehr nach Freiburg, 1948 Annahme eines Rufes der Universität Bonn, vor Amtsantritt verstorben (zu Lampe vgl. Rüther, Adolf Lampe, S. 125–132). – Eduard Hamm war außerdem mit Constantin von Dietze gut bekannt (vgl. Erwin Hardtwig an Constantin von Dietze (8. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 108). Die engen Verbindungen nach Freiburg zeugen einerseits von der Wirtschaftskompetenz des »Sperr-Kreises« und bestätigen andererseits erneut seine wirtschaftspolitische Ausrichtung, der – wie in Freiburg – den »dritten« Weg zwischen Freier Marktwirtschaft und Planwirtschaft zum Ziel hatte, wenngleich der »Sperr-Kreis« noch mehr auf die freien Kräfte des Marktes gesetzt haben dürfte. Zu den alternativen wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen innerhalb des deutschen Widerstands, insbesondere der Freiburger Kreise, vgl. Kißener, Ordnungs­ vorstellungen, S. 85–98. 298 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Prof. Dr. Adolf Lampe (Freiburg im Breisgau, 25. September 1946), StAM, SpkA K 671: Helfrich, Paul. 299 Albert Pietzsch (1874 Zwickau–1957 München), 1894–98 Maschinenbau-Studium an der TU Dresden, 1900–08 als Ingenieur in Halle (Saale) tätig, 1911 Gründung der Elektrochemischen Werke München (EWM), ab 1925 finanzielle Unterstützung und Mitarbeit in der NSDAP, 1927 und ab 1930 Mitglied der NSDAP, ab 1933 Präsident der Industrie- und Handelskammer München, 1933/34 ab 1936 Leiter der Reichsstelle für Wirtschaftsmoral, 1936–1944 Leiter der Reichswirtschaftskammer in Berlin, 1945–48 interniert, 1948 in die Gruppe der »Belasteten« eingestuft, 1949 nach Berufung und Gnadengesuch in die Gruppe der »Mitläufer« eingereiht, bis 1956 im Vorstand der EWM (zu Pietzsch vgl. seinen Nachlass, IfZ, ED 458; Stremmel, Kammern, u. a. S. 200 f.).

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Erkenntnissen, die ihm beizubringen waren, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen«.300 Im Rahmen seines Engagements für den Münchener Rotary Club beteiligte sich Eduard Hamm bis in die späten 1930er Jahre an politischen Gesprächskreisen in München. Nach Auflösung des Clubs im Oktober 1937 trafen einige ehemalige Mitglieder weiterhin zu einem gemeinsamen wöchentlichen Mittagessen in verschiedenen Lokalen zusammen.301 An diesen Treffen nahm neben Hamm auch der Senatspräsident am Reichsfinanzhof, Dr. Heinrich Schmittmann, regelmäßig teil.302 Dieser – ein Bruder des 1939 von der SS ermordeten katholischen Sozialpolitikers Benedikt Schmittmann303 – hatte 1933 aus politischen Gründen seine Heimatstadt Düsseldorf verlassen und sein dortiges Amt als Präsident des Landesfinanzgerichts aufgeben müssen.304 Für Zusammenkünfte in noch kleinerem Kreise stellte Schmittmann schon bald seine eigene Wohnung zur Verfügung. Regelmäßige Teilnehmer an diesen Treffen waren neben Schmittmann der Kgl.-Rumänische Generalkonsul und Unternehmer, Dr. Hermann Aumer305, der Ministerialrat a. D. und Vorstand der Bayernwerk AG, Dr. Rudolf Decker, der 300 Eidesstattliche Erklärung von Prof. Dr. Adolf Lampe (Freiburg im Breisgau, 25. September 1946), StAM, SpkA K 671: Helfrich, Paul. 301 Vgl. Hermann Aumer an Gertrud Hardtwig-Hamm (München, 2. August 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 302 Heinrich Schmittmann (1878 Düsseldorf–1956 München), kath., Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Leipzig und Bonn, 1902 im preußischen Justizdienst, 1903 Dr. jur., 1907 Regierungsassessor, 1915 RegRat, ab 1919 in der Reichsfinanzverwaltung, 1921 ORegRat, 1923–25 Präsident des Finanzgerichts Düsseldorf, 1925–33 Präsident des Landesfinanzamts Düsseldorf, 1933 aus politischen Gründen abgesetzt, ab 1933 Senatspräsident am Reichsfinanzhof in München, nach 1945 Präsident des Obersten Finanzgerichtshofs, 1950/51 erster Präsident des Bundesfinanzhofs (zu Heinrich Schmittmann vgl. die biographischen Angaben in: Deutsche Biograpische Enzyklopädie (DBE), Bd. 9, S. 77). 303 Benedikt Schmittmann (1872 Düsseldorf–1939 KZ Sachsenhausen), kath., Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg, Leipzig, München, Rom, 1897 Promotion in Erlangen, widmete sich früh der Sozialpolitik, 1906 Landesrat und Leiter des Wohlfahrtswesens der rheinische Provinzialverwaltung, 1919–1933 o. Prof. an der Universität Köln, 1919–1921 Mitglied konstituierende Landesversammlung Preußen, 1933 »Schutzhaft« und Lehrverbot, 1939 erneut verhaftet und im KZ Sachsenhausen ermordet (zu Benedikt Schmittmann vgl. Hu. Maier, Schmittmann, S. 249 f.). 304 Über die Umstände seiner politischen Entfernung aus dem Präsidentenamt gab Schmittmann später selbst in einem Bericht Auskunft (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Heinrich Schmittmann (München, 7. Juli 1948), IfZ, ZS 512/2). 305 Hermann Aumer (1889 München–1974), kath., Studium an der Münchener Handelshochschule, Einstieg in die Unternehmensgruppe Hauser & Sobotka, während des Ersten Weltkrieges kaufmännisches Vorstandsmitglied der Bayer. Rumpler-Werke A. G. in Augsburg, seit 1919 im Aufsichtsrat der Diamalt AG in München, 1920–28 Donauländische KreditGesellschaft AG, ab 1928 Vorstandsmitglied und ab 1934 alleiniger Vorstand der Diamalt AG, seit 1927 Kgl.-Rumänischer Honar-Konsul für Bayern, Württemberg und Baden, 1928–36 Vizepräsident des Münchener Rotary-Clubs, 1940 Generalkonsul, ab 1943 NSDAP-Anwärter, seit 1948 Vizepräsident der IHK München (zu Aumer vgl. »Generalkonsul a. D. Hermann Aumer 70 Jahre«, S. 3).

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Schwedische Generalkonsul und Bankier Dr. Otto Schniewind, ferner Eduard Hamm, Otto Geßler und Franz Sperr. In diesem Kreis seien einerseits »die Lage des hoffnungslosen Krieges und seine Wirkungen« besprochen und andererseits »politisch vorausschauend erörtert« worden, »was bei dem zu erwartenden Zusammenbruch zu geschehen habe«.306 Dass alle drei führenden Köpfe des bayerischen Widerstandskreises an Besprechungen bei Schmittmann teilnahmen, verdeutlicht, welch hohen Stellenwert man den wirtschaftspolitischen Vorbereitungen einer Zeit »Danach« beimaß. Aumer, den Hamm bereits 1919 während seiner Zeit als Handelsminister beruflich kennengelernt hatte307, trat 1928 in den Vorstand des Nahrungsmittelherstellers Diamalt AG ein, dessen einziges Vorstandsmitglied er ab 1934 sein sollte.308 Wegen seiner guten Beziehungen zu Rumänien und dessen Königshaus wurde er schon 1927 zum Kgl. Rumänischen Honar-Konsul für Bayern, Württemberg und Baden ernannt. 1940 erfolgte die Ernennung zum Generalkonsul.309 Gleichzeitig fungierte er als Vizepräsident des Münchener Rotary-Clubs bis zu dessen Auflösung. Hamm habe Aumer während des Krieges häufig in dessen Büro aufgesucht, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft in der Münchener Friedrichstraße befand, wo er ihm »in offenster Weise […] seine Gedankengänge bekanntgab«.310 Durch Hamm wurde Aumer zunächst mit Franz Sperr zusammengebracht, mit dem er in seiner Gegenwart nach eigenen Angaben Besprechungen in den Jahren 1941, 1942 und 1944 gehabt habe.311 Später sei er dann sogar zu Gesprächen mit dem früheren Leipziger Oberbürgermeister und Kopf des zivilen Widerstandes gegen Hitler, Carl Friedrich Goerdeler, hinzugezogen worden.312 Dass insbesondere mit Aumer die wirtschaftspolitische Lage Deutschlands, im Speziellen Bayerns, sowie die wirtschaftspolitischen Perspek306 Vgl. Bescheinigung von Dr. Heinrich Schmittmann (München, 6. September 1946), StAM, SpkA K 45: Aumer, Hermann. 307 Vgl. Hermann Aumer an Gertrud Hardtwig-Hamm (München, 2. August 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 308 In einer firmeninternen Jubiläumsfestschrift 1952 hieß es über die Arbeit Aumers in der Zeit des »Dritten Reiches«: »Natürlich warf das Schicksal der Gesamtwirtschaft auch seine Schatten auf das Werk. Während der allgemein schwierigen Wirtschaftsverhältnisse des Jahres 1928 nahm Generalkonsul Hermann Aumer, der schon seit 1906 der Firma eng verbunden war, die Leitung des Hauses im Sinne und in Gemeinschaft mit Generalkonsul Felix Sobotka fest in die Hand. Sein Verdienst ist es, das Unternehmen damals, wo mancher Firma der Untergang drohte, sicher über alle Klippen hinweggesteuert zu haben. Seiner erfahrenen und weitblickenden Führung gelang der darauf folgende Aufstieg, der auch über den Ausbruch des zweiten Weltkriegs hinaus bis heute anhielt« (50 Jahre Diamalt A. G. 1902–1952, S. 10 f.). 309 Vgl. »Generalkonsul a. D. Hermann Aumer 70 Jahre«, S. 3. 310 Hermann Aumer an Gertrud Hardtwig-Hamm (München, 2. August 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 311 Ebd. 312 Vgl. Bericht Hermann Aumers gegenüber der Spruchkammer München IX (München, 25. Februar 1947), StAM, SpkA K 45: Aumer, Hermann.

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tiven Bayerns nach Untergang des »Dritten Reiches« diskutiert sowie strukturelle und personelle Vorbereitungen erörtert wurden, lässt sich durch die Tatsache belegen, dass dieser im »Sperr-Kreis« als »kommender Kammerpräsident« von München gehandelt wurde.313 Noch länger lag die Bekanntschaft Hamms zu Rudolf Decker314 zurück. Ihn dürfte Hamm als Vertrauensmann in Wirtschaftsfragen vor allem deshalb an seine Seite geholt haben, weil ihm dessen wirtschaftspolitische Erfahrungen und Ansichten bestens bekannt waren. Schließlich verlief die Karriere der beiden im bayerischen Staatsdienst bis zum Beginn der 1920er Jahre nahezu identisch. Gemeinsam arbeiteten sie in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zunächst im Bayerischen Staatsministerium des Innern. Im Ersten Weltkrieg sollte sich Decker als Soldat und als »außergewöhnlich befähigter Verwaltungsbeamter, [und als] ein ganzer, unbedingt zuverlässiger Charakter« auszeichnen315, woraufhin er als Vertreter Bayerns in den Vorstand der Zentral-Einkaufsgesellschaft (ZEG) nach Berlin abgeordnet wurde316. In dieser Position sollte ihm Hamm 313 Paul Helfrich an Gertrud Hardtwig-Hamm (München, o. D. [1946]), BayHStA, NL Hamm 108. 314 Rudolf Decker (1875 Rathskirchen–1953 München), ev., Studium der Rechtswissenschaften in Jena und München, Rechtspraktikant Bezirksamt Speyer, 1903 Bezirksamtsassessor in Wunsiedel, ab 1909 im Kgl. Statistischen Landesamt, ab 1910 Regierungsassessor im Bayerischen Staatsministerium des Innern, 1912 Kgl. Bezirksamtmann in Lauf, 1914–16 Kriegsteilnahme, Aufstieg bis in den Rang eines Hauptmann der Landwehr, Zentral-Einkaufsgesellschaft, 1916 RegRat im Staatsministerium des Innern für das Referat über die Landesfettstelle, 1917 vom Staatsministerium des Innern zum Verwaltungsstab der Militärverwaltung nach Rumänien abgestellt, 1917 beim Verwaltungsstab Leiter der Abt. »Landesfinanzverwaltung«, 1918 Chef des Verwaltungsstabes beim Oberkommando Mackensen, 1919 als Spezialist für Rumänien Teilnahme an den Friedensverhandlungen in Spa, 1919 Oberregierungsrat im Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe, 1919 MinRat, Kommissär für den Landtag, 1924 aus dem bayer. Staatsdienst entlassen, 1921–1940 Vorstand der Bayernwerk AG, ab 1940 in deren Aufsichtsrat (zu Decker vgl. seine Personalakte, BayHStA, MHIG 75 u. OP 39141). 315 Beurteilung Deckers durch den Chef des Genstbs. des Inf. Heeres in Rumänien (H.Qu. Föth, 29. Dezember 1918), BayHStA, OP 39141. Mit dieser im Personalakt Deckers befindlichen Beurteilung zeigte sich sogar der damalige Generalfeldmarschall August von Mackensen einverstanden und notierte am 3. Januar 1919 darunter: »Ein Mann mit Zukunft« (ebd.). Nach Wunsch des Auswärtigen Amtes sollte Decker gegen Ende des Krieges die Stelle eines Reichskommissars für das besetzte Rumänien übernehmen, wozu er sich auch bereit erklärte (vgl. Rudolf Decker an Bayerischen Staatsminister des Innern (22. August 1918), BayHStA, MHIG 75). 316 Die ZEG war während des Ersten Weltkriegs als staatlich kontrollierte Außenhandelsgesellschaft unter anderem für die Überwachung und Reglementierung der Ein- und Ausfuhr von Lebensmitteln zuständig. Die Gründung des Kriegsernährungsamtes 1916 sorgte dann für eine Kompetenzverlagerung: Während das neu geschaffene Amt, dem Hamm ebenfalls angehörte, nun für die Sicherung und Stabilisierung der Ernährungslage zuständig war, sollte sich die ZEG auf den Außenhandel beschränken und wurde nach dem Krieg in das umbenannte Reichsernährungsamt übernommen (vgl. hierzu Roerkohl, Hungerblockade, insbes. S. 77–79).

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1916 nachfolgen. Nach dem Krieg holte Hamm Decker zu sich ins bayerische Handelsministerium, wo dieser die Leitung der Industrieabteilung übernahm und auf Betreiben Hamms zum Ministerialrat befördert wurde. 1923 trat Decker schließlich hauptamtlich in den Vorstand des zu einhundert Prozent staatlichen Energieversorgungsunternehmens Bayernwerk AG ein, dessen Mitbegründer er 1921 gewesen war.317 Dieser »Trägerin der bayerischen Stromversorgung«318 blieb D ­ ecker bis zum Erreichen der Altersgrenze Ende 1940 als Vorstandsmitglied treu. Anschließend wechselte er in den Aufsichtsrat.319 Als Aufsichtsratsmitglied diverser Energieversorger320 konnte Decker für die Widerstandsgruppe wertvolle Informationen beschaffen. Auf seine mögliche Rolle für die unmittelbare Nachkriegszeit wird noch zurückzukommen sein. Helfrich konnte sich nach Kriegsende zumindest an eine Zusammenkunft mit Eduard Hamm erinnern, an der neben Decker ursprünglich auch Franz Sperr hätte teilnehmen sollen, der jedoch kurzfristig abgesagt habe. Bei diesem Treffen sei es, so Helfrichs Erinnerung, »vor allem um die Frage« gegangen, »auf welche Weise es möglich sei, die ausländischen Arbeiter in Schach zu halten, bevor die Verhältnisse, sei es durch eigene Kraft oder durch die Ankunft alliierter Truppen sich stabilisiert hätten«.321 Dieses Szenario ging entsprechend davon aus, dass ein Umsturz in Deutschland einer alliierten Besetzung vorausgehen würde. Die Frage dürfte sich zu einem Zeitpunkt gestellt haben, als den Männern um Sperr konkrete Umsturzpläne bekannt wurden. In Bayern rechneten nicht nur der »Sperr-Kreis«, sondern auch Partei und Gestapo im Frühjahr 1943 damit, dass sich die nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeiter an der deutschen Bevölkerung rächen könnten.322 Von ähnlichen Übergriffen ging offenbar auch der »Kreisauer Kreis« in seiner »Sonderweisung an die Landesverweser« aus, 317 Zur Bayernwerk AG vgl. Pohl, Bayernwerk. 318 Grüner, »Wirtschaftswunder«, S. 274. 319 Vgl. Pohl, Bayernwerk, S. 78 u. S. 223. Ab 1942/43 fusionierten außerdem die Walchenseewerk AG sowie die Mittlere Isar AG mit der Bayernwerk AG. An beiden war die Bayernwerk AG innerhalb der Betriebsführung beteiligt, so dass Decker auch in die Aufsichtsräte der beiden Werke einstieg. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in den Aufsichtsräten habe er nach dem Krieg einen Fragebogen bei der Militärregierung einreichen müssen, der jedoch zu Beanstandungen keinen Anlass gegeben habe (vgl. Bestätigung von Rudolf Decker (14. November 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65). Schließlich war es Decker im Gegensatz zu anderen Mitgliedern von Vorstand, Geschäftsführung und Aufsichtsrat der Bayernwerk AG gelungen, sich von der NSDAP weitestgehend fernzuhalten. 320 Vgl. Bestätigung von Rudolf Decker (14. November 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. 321 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 322 Beunruhigung und Angst vor Racheakten der Zwangsarbeiter nahmen im Frühjahr 1943 in Bayern zeitweise Formen einer »Frühjahrspsychose« an (vgl. Grossmann, Fremd- und Zwangsarbeiter, S. 481–521, hier S. 518). Zur Zwangsarbeit in München vgl. Heusler, Ausländereinsatz.

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weshalb es möglich erscheint, dass die Gespräche sich zeitlich überlappten und sich eventuell gegenseitig beeinflussten.323 Zu dem Gesprächskreis bei Schmittmann zählte außerdem noch der aus Köln stammende vormalige Ministerialdirektor im Reichswirtschaftsministerium und Mitglied des Reichsbankdirektoriums, Otto Schniewind.324 Als Beamter in der Wirtschaftspolitischen Abteilung des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe ab 1925 könnte er die bayerischen Reichspolitiker Geßler und Hamm – letzteren bestimmt in seiner DIHT-Funktion – sowie den bayerischen Diplomaten Sperr bereits in der Reishauptstadt kennengelernt haben. Im März 1939 zog Schniewind von Berlin nach München um. Aufgrund seines Renommees, das er sich in Bankkreisen bis zu diesem Zeitpunkt erworben hatte, war er der Bitte des Seniorchefs des Bankhauses Aufhäuser & Co. nachgekom323 Vgl. »Sonderweisung« [9. August 1943], in: Bleistein, Dossier, S. 321 f. Die »Kreisauer« sprachen hierbei allerdings von der Möglichkeit einer feindlichen Besetzung, wobei sie den »Landesverwesern« die »vornehmste Aufgabe« zusprachen, »die Interessen Ihrer Landesbevölkerung zu wahren und die eigenständige Entfaltung ihrer wirtschaftlichen und politischen Ordnungen vor willkürlichen Übergriffen, vor landesverräterischer Zersetzung und vor nationalistischen Ausschreitungen zu schützen« (ebd., S. 321). Nach Brakelmann spielten die »Kreisauer« hierbei unter anderem auf mögliche »Übergriffe der befreiten Fremdund Zwangsarbeiter gegenüber deutschen Bürgern und Einrichtungen« an (Brakelmann, Helmuth James von Moltke. Zeitgenosse, S. 25). Zu den Gesprächen des »Sperr-Kreises« mit dem »Kreisauer Kreis« vgl. Kap. VIII.2. 324 Otto Schniewind (1887 Köln–1970 Starnberg), kath., Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Freiburg, München, Edinburgh, Berlin und Bonn, 1912 Promotion in Heidelberg, 1913 Gerichtsassessor, 1914–18 Kriegsteilnahme, seit 1919 »Hilfsarbeiter« im Reichsschatzamt, 1919 RegRat, 1920–22 persönlicher Mitarbeiter von Reichsschatzminister Hans von Raumer (DVP), 1922 Wechsel in die Privatwirtschaft, Lehrling bei der Mitteldeutschen Creditbank, 1923–25 Dezernent im Chefkabinett der DiscontoGesellschaft, seit 1925 in der Wirtschaftspolitischen Abteilung des Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe, 1927 MinRat, 1928–30 Finanzberater der Persischen Regierung, bis 1931 Informations- und Studienreise durch Asien, 1931 Rückkehr ins Preußische Handelsministerium, nach 1933 Reichs- und preußischer Staatskommissar der Berliner Börse, seit 1935 MinDir im Reichswirtschaftsministerium, 1937–38 Mitglied im Direktorium der Reichsbank, ab 1938 Privatbankier für das Bankhaus Seiler & Co. in München, Schwedischer Generalkonsul, nach dem 20. Juli 1944 aufgrund seiner Kontakte zu Carl ­Goerldeler verhaftet und im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert, nach 1948–49 Leiter der Dienststelle des Beraters für den Marshallplan beim Vorsitzeenden des Verwaltungsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, 1948–58 Vorsitzender des Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau (zu Schniewind vgl. den bislang ausführlichsten biographischen Abriss durch Scholtyseck, Otto Schniewind, S. 373–385). – Aufgrund seines wirtschaftspolitischen Horizonts und seiner Auslandserfahrungen konnte sich der »Kosmopolit« Schniewind mit der Wirtschaftspolitik des NS-Regimes nie anfreunden. Sein »Gespür für die Sensibilitäten anderer Nationen ging mit der gleichzeitigen Absage an provinzielle Enge und nationale Autarkiebestrebungen einher« (ebd., S. 376). Aus dem Staatsdienst trat er freiwillig ohne Pension aus, da offenbar zeitweilig gegen ihn wegen angeblicher staats- und parteifeindlicher Betätigung ermittelt wurde (vgl. Lehmann, Schniewind, S. 324–325).

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men und als vollhaftender Komplementär in das von der Arisierung betroffene Bankhaus eingetreten, das nach erfolgter Arisierung in Seiler & Co. umbenannt wurde. Durch Unterstützung des Mitinhabers Siegfried Aufhäuser erhielt Schniewind schon bald das von jeher mit der Bank eng verbundene schwedische Generalkonsulat, das ihm, der sich aufgrund seiner kritischen Distanz zum Regime an der Schwelle zur offenen Ablehnung bewegte, diplomatischen Schutz von Außen im Falle einer sicherheitspolizeilichen Maßnahme gegen ihn versprach.325 Im »Sperr-Kreis« dürfte er einerseits als Finanzfachmann in Banken-, Versicherungs- und Währungsfragen fungiert haben, eine Tätigkeit, die er auch in der Nachkriegszeit ausüben sollte.326 Andererseits wirkte er durch seine guten Kontakte nach Berlin als Bindeglied zwischen dem bayerischen Wider­standskreis und der reichsweiten Widerstandsbewegung um Carl Friedrich Goerdeler.327 Der Kreis setzte sich somit aus Mitgliedern der Münchener, teilweise der bayerischen und sogar der reichsweiten Finanz- und Wirtschaftselite zusammen. Die Diskussionen innerhalb dieses Gesprächszirkels drehten sich ab 1939 vor allem um die allgemeine Kriegslage und seine Folgen für Deutschland, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet. Gleichzeitig suchte man nach möglichen Anknüpfungspunkten, um einen Neuaufbau in Bayern nach erfolgtem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« sicherstellen zu können. Deckers Nachfolger im Vorstand der Bayernwerk AG sollte 1940 Franz ­R inecker328 werden, der nach dem Ersten Weltkrieg im bayerischen Finanz325 Weder beteiligte sich Schniewind an der Arisierung des Bankhauses noch bereicherte er sich (vgl. Bestätigung des Staatskommissars für die Befreiung der Juden in Bayern, Hermann Aumer [Sohn des bereits erwähnten Hermann Aumer: d. Vf.] (München, 30. Juli 1946), StAM, SpkA K 1677: Schniewind, Otto). Vielmehr war er einer Bitte Martin Aufhäusers, des Seniorchefs des Bankhauses, vom September oder Oktober 1938 nachgekommen, den Posten eines vollhaftenden Komplementärs zu übernehmen. Man vereinbarte, dass nach Rückkehr der Familie Aufhäuser nach Deutschland ein Anteil an der Firma an diese zurückgehen werde (vgl. Eidesstattliche Versicherung von Josef Bayer (München, 2. September 1946), StAM, SpkA K 1677: Schniewind, Otto). Das Angebot, auch das schwedische Generalkonsulat zu übernehmen, sei für seinen Entschluss, in das Unternehmen Aufhäuser einzutreten, entscheidend gewesen, obwohl ihm auch andere Angebote vorgelegen hätten, wie Schniewind später stichpunktartig zugab: »Im Hinblick auf eigene politische Gefährdung Entschluß, das wirtschaftlich ungleich verlockendere Angebot Delbrück [Bankhaus Delbrück, Schickler & Co. in Berlin: d. Vf.] abzulehnen und bei Seiler-Aufhäuser einzutreten« (Anlage »Betr. Dr. Otto Schniewind« an ein Schreiben Schniewinds an Staatsminister für Sonderaufgaben Alfred Loritz (München, 24. Februar 1947), StAM, SpkA K 1677: Schniewind, Otto). 326 Im Auftrag der Bayerischen Staatsregierung leitete er im Herbst 1947 eine Währungskommission. Anschließend trat er als Berater, Gutachter und Verhandlungsführer für die Marschallplan-Hilfe in Erscheinung (vgl. Scholtyseck, Otto Schniewind, S. 379 f.). 327 Vgl. hierzu das Kap. VIII.1. 328 Franz Rinecker (1887 Nürnberg–1944), kath., Studium der Rechtswissenschaften in München und Erlangen, Promotion, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1920 Finanzamt Starnberg, ab 1920 im Bayer. Staatsministerium der Finanzen, 1921 RegRat, 1929 ORegRat, 1934 MinRat,

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ministerium Karriere gemacht hatte. Er ist deshalb zu erwähnen, weil er wahrscheinlich spätestens als Mitglied des Wittelsbacher Ausgleichfonds ab 1938 den Bankier Hein Martin und wahrscheinlich auch den Kronprinzen Rupprecht kennenlernte. Von 1942 an habe Rinecker an konspirativen Besprechungen mit Franz Sperr in Martins Wohnung teilgenommen, wurde dann allerdings bei einem Bombenangriff im Juli 1944 getötet.329 Ebenso wie Decker dürfte wahrscheinlich auch Rinecker aufgrund seiner exponierten Stellung bei der Bayernwerk AG in den Planungen für eine Zeit »Danach« eine wichtige Rolle gespielt haben. Der »Sperr-Kreis«, der sich zum Ziel gesetzt hatte, chaotische Zustände in Bayern nach einem möglichen Umsturz zu verhindern, dürfte mit Decker und Rinecker schon frühzeitig die Aufrechterhaltung der Energieversorgung in der unmittelbaren Nachkriegszeit beraten haben. Neben der Energieversorgung stand vor allem die Sicherstellung der Volksernährung im Fokus der Bemühungen der bayerischen Widerstandsgruppe um Sperr.330 Angesichts der zu erwartenden schwierigen Versorgungslage in der unmittelbaren Nachkriegszeit stellte Georg Deininger um die Jahreswende 1943/44 im Auftrage Sperrs den wichtigen Kontakt zum Vorstandsmitglied der »Bayerischen Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG« (BayWa)331,

ab 1940 nach Entlassung aus dem Landesdienst Eintritt in den Vorstand der Unternehmen Bayernwerk, Mittlere Isar AG und Walchenseewerk, hier Nachfolger von Rudolf Decker, am 12. Juli 1944 durch Bombe getötet (zu Rinecker vgl. seinen Personalakt, BayHStA, MF 77619). 329 Vgl. Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), S. 1–11, hier S. 8 f., StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. – Im Gegensatz zu Decker scheint Rinecker dem Nationalsozialismus sehr viel näher gestanden zu haben. Schließlich wurde er eigens von der NSDAP in den Vorstand der Bayernwerk AG berufen und besaß ihr Vertrauen (vgl. Pohl, Bayernwerk, S. 224). Als Betriebsführer an der Spitze des zentralen Energieversorgers in Bayern dürfte der Kontakt zu ihm für den »Sperr-Kreis« dennoch von großem Interesse gewesen sein. Aufgrund seines Ablebens bereits im Juli 1944 kann lediglich sein Personalakt für die Beurteilung seiner Person herhalten, der das Bild eines von den Nationalsozialisten akzeptierten Betriebsführers bestätigt (vgl. Personalakt Franz Rinecker, BayHStA, MF 77619). 330 Im »Sperr-Kreis« bearbeitete auch der ehemalige Reichsernährungsminister Anton Fehr dieses Aufgabenfeld. Allerdings bewegten sich seine Anstrengungen mehr im südlichen Teil Schwabens und waren vorwiegend durch Kontakte zur Bauernschaft, der er als ehemaliger »Bauernbündler« besonders nahe stand, geprägt (vgl. hierzu Kap. VI.2.f). 331 Die BayWa startete 1923 ihren Betrieb mit über 400 Lagerhäusern zunächst vornehmlich im südlichen Bayern. Sie entstand auf Initiative der genossenschaftlichen Bayerischen Zentral-Darlehenskasse (BZDK), die es für notwendig erachtete, angesichts der Hyperinflation eine Trennung von Warengeschäft und Geldgeschäft vorzunehmen. Verschiedene Zukäufe steigerten diese Zahlen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Mit der Eingliederung der »Gewa« (Genossenschaftliche Warenzentrale) konnte die BayWa ab 1934 auch die Region Oberpfalz sowie Teile Niederbayerns und Frankens mit ihren Lagerhäusern abdecken. Nach dem Tod des Vorstandsvorsitzenden Josef Haselberger 1935 übernahmen mit Friedrich Eichinger und Johann Deininger zwei aktive Nationalsozialisten den Vorsitz

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Dr. Erich Netschert332, her.333 Dieser habe ebenfalls an den Treffen mit ­R inecker, Riedmayr und Sperr im Hause Martins teilgenommen.334 Dies lässt darauf schließen, dass Rinecker und Netschert in der Tat für die Sicherstellung der notwendigsten Lebensgrundlagen bereitstehen sollten. Sowohl Deininger als auch Riedmayr bestätigten Netschert nach dem Krieg, dass er im Fall der Fälle für die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung zuständig gewesen wäre. Hierfür scheint er als Vorstandsmitglied der BayWa der richtige Ansprechpartner gewesen zu sein.335 Schließlich habe die BayWa laut Deininger über rund 500 Lagerhäuser in ganz Bayern verfügt.336 Sie hätte im entscheidenden Moment »monopolartig« eingeschaltet werden sollen. Noch im Sommer 1944 sei dies »in allen Details besprochen« worden.337 Nach eigenen Angaben will Netschert hierfür eine geheime Dienstanweisung »für ungefähr 250 grössere Betriebe in

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in Vorstand und Aufsichtsrat. Durch Bombenangriffe wurden dann allerdings zahlreiche Lagerhäuser zerstört (vgl. hierzu die von der BayWa AG durchaus kritisch verfasste eigene Unternehmenshistorie: 90 Jahre BayWa). Erich Netschert (1897 Erlangen–?), kath., 1915–18 Kriegsteilnahme, 1917 Leutnant, 1926 Promotion, 1923–29 als Diplomlandwirt Eintritt in das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten, Landeshauptabteilungsleiter des Landesbauernrates Bayern, Mitglied der NSDAP, 1933–34 Verbandsdirektor des Bayerischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften – Raiffeisen, Reichsnährstand, Rentenbank, Vorstandsmitglied der Bayerischen Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG (BayWa) (zu Netschert vgl. seinen Personalakt, BayHStA, ML 8966 sowie dessen Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich). Deininger habe Netschert seit 1937 gekannt, da er – im Zivilberuf Automobilvertreter – mit der BayWa geschäftlich zu tun hatte. Dabei habe er in Netschert einen Mann kennengelernt, mit dem man offen und frei über die politische Lage sprechen konnte. Dass dieser Mitglied der NSDAP war, habe Deininger nicht gewusst und aufgrund dessen missbilligender Äußerungen über die politischen Zustände auch nicht ahnen können (vgl. Anlage 3 zum Protokoll in Sachen Dr. Kurt Erich Netschert (1. Juni 1948), StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich). Eine Anfrage beim Bundesarchiv wegen des »Altparteigenossen« Netschert ergab allerdings, dass in der personenbezogenen Sammlung sowie in der Überlieferung des Reichsnährstandes und Reichsbauernrates keine Unterlagen zu einer Mitgliedschaft Netscherts in der NSDAP ermittelt werden konnten (E-Mail des Bundesarchivs-Lichterfelde an den Verfasser (14. Januar 2015)). Vgl. Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), S. 1–11, hier S. 8 f., StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. Es waren wohl in erster Linie die freundschaftlichen Beziehungen, die Netschert als Vorstandsmitglied der BayWa für den »Sperr-Kreis« in Frage kommen ließen. Nur durch dieses enge Verhältnis konnte man sich, obwohl Netschert wahrscheinlich ein Alt-Parteigenosse war, von der Eignung Netscherts überzeugen. Die beiden anderen führenden Köpfe der BayWa, Friedrich Eichinger und Johann Deininger, standen aufgrund ihrer deutlich positiveren Einstellung zum NS-Regime offenbar nie zur Debatte. Zumindest geben die vorliegenden Quellen hierüber keine Auskunft. Vgl. Aussage des Zeugen Georg Deininger, Anlage 3 zum Protokoll in Sachen Dr. Kurt Erich Netschert (1. Juni 1948), StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich. Aussage des Zeugen Martin Riedmayr, Anlage 5 zum Protokoll in Sachen Dr. Kurt Erich Netschert (1. Juni 1948), StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich.

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46 Punkten« ausgearbeitet haben, die den Titel »Was ist zu tun wenn es durch Feindeinmarsch zur Umstürzung kommt« getragen habe.338 Neben Netschert und Rinecker bestand möglicherweise über Franz Sperr auch eine Verbindung zum Holzindustriellen Reinhart Kloepfer.339 Kloepfer habe zu jenen »Männer[n] des Wirtschaftslebens« gezählt, die Hein Martin zufolge von Sperr herangezogen worden seien.340 Allerdings machte Kloepfer, der nach 1945 auf Anfrage des Münchener Oberbürgermeister Scharnagls das Amt des Präsidenten der IHK München übernahm, hierzu sogar im Rahmen seines Spruchkammerverfahrens keinerlei Angaben, weshalb seine Teilnahme an den Aktivitäten des »Sperr-Kreises« höchst fraglich ist.341 Auf wirtschaftspolitischem Sektor beabsichtigten die Männer um Sperr, Geßler und Hamm also die Weichen für eine neue Wirtschaftsordnung in Bayern nach Hitler zu stellen. Gleichzeitig schufen sie durch die frühzeitige personelle Neubesetzung der Industrie- und Handelskammern die Voraussetzung für einen geordneten Neubeginn der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in Bayern. Vor allem aber ging es dem Kreis um die Aufrechterhaltung der staatlichen Grund338 Zeugenaussage von Dr. Erich Netschert zum Protokoll gegen Hein Martin (10. November 1948), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. – Dies wurde Netschert im eigenen Spruchkammerverfahren von zwei Geschäftsführern von Zweigniederlassungen der BayWa in Bamberg und Regensburg bestätigt. Dabei erklärte der Regensburger Ludwig Rodner, dass ihn Netschert in der zweiten Kriegshälfte zu einer Besprechung nach München gerufen habe, auf der die zu treffenden Maßnahmen im Falle eines Einmarsches feindlicher Truppen besprochen worden seien. Hierbei sei von Netschert festgelegt worden, »dass im Falle des Einmarsches unsere Betriebe keinen Widerstand leisten, nichts vernichten, sondern ihre ernährungswirtschaftlich wichtigen Aufgaben im Interesse der Bevölkerung weiterführen und mit den Besatzungsmächten in vernünftiger Weise zusammenarbeiten sollten« (Erklärung von Ludwig Rodner (Regensburg, 14. Mai 1946), StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich). Der Geschäftsführer der BayWa-Zweigniederlassung Bamberg ergänzte diese Darstellung: »Bereits im Sommer 1944 […] gab er [Netschert: d. Vf.] auch eine schriftliche Anweisung heraus, was für den Fall des Einmarsches feindlicher Truppen zu geschehen habe. Alles war darauf abgestellt, die Sachwerte der Baywa dem Volksganzen zu erhalten« (Bestätigung des ehemaligen Geschäftsführers der BayWa-Zweigniederlassung Bamberg [Name unleserlich] (Regensburg, 6. Mai 1946), StAM, SpkA K 1239: Netschert, Erich). 339 Reinhart Kloepfer (1901 Krottenmühl / Obb.–1976), seit 1923 Mitinhaber der Sägewerke und Holzgroßhandlung Klöpfer & Königer, 1928–30 Mitglied des Vorstands des Reichsverbandes Deutscher Holzinteressenten, 1930–33 Vorsitzender des Reichsverbandes Deutscher Holzinteressenten, 1933–38 Leiter der »Wirtschaftsgruppe Sägeindustrie«, Weigerung in die NSDAP einzutreten, 1945–52 Präsident der IHK München, 1952–59 Vizepräsident der IHK München, Mitglied des Vorstands des Industrie- und Handelstages Bonn, Mitglied des Landesverbandes der Bayerischen Industrie, stellv. Vorsitzender des Bayerischen Holzeinfuhrhandelsverbandes (zu Kloepfer vgl. dessen Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 894: Kloepfer, Reinhart sowie Fuchs, Die Bayerischen Industrie- und Handelskammern, u. a. S. 86f). 340 Hein Martin: »Politische Verfolgungen« (München, 25. Juni 1946), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. 341 Vgl. Kloepfers eigene Angaben und die Anlagen für seine Entnazifizierung vor der Spruchkammer I, München in StAM, SpkA K 894: Kloepfer, Reinhart.

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versorgung in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Gesicherte Ernährungslage und Stromversorgung sollten letztlich nicht nur die Überlebensgrundlagen für die bayerische Bevölkerung schaffen, sondern auch dem Wiederaufbau der bayerischen Wirtschaft dienen. e) Die Kontakte zur Kirche Es wurde bereits dargelegt, dass in Bayern seit jeher ein besonderes Verhältnis zur Kirche bestand. Dies galt sowohl für die ländlichen Räume, in denen sich der Katholizismus stark ausbreitete als auch für die vor allem in Franken liegenden protestantischen Landesteile. Aus der Führungsriege des bayerischen Widerstandskreises besaß offensichtlich Eduard Hamm den engsten Bezug zur Kirche. Leider, so hatte er bereits in einem Gespräch mit Elly Heuss-Knapp342 vermutlich Ende der 1920er Jahre feststellen müssen, würden seine Kinder »nicht genügend von ihrer Kirche herangebildet […], weniger als er in seiner frühen Jugend«. Knapp bat er daher darum, sie möge ihm mitteilen, »wo und wann gute Prediger zu hören seien, evangelische wie katholische«.343 Noch 1932 hatte Hamm zwar geglaubt, dass gerade die besondere Verwurzelung im christlichen Glauben zumindest den katholischen Teil Bayerns befähigen würde, der Ideologie des Nationalsozialismus etwas entgegenzusetzen.344 Doch zurück in der bayerischen Heimat dürfte er spätestens seit Mitte der 1930er Jahre seine frühere Beobachtung, dass die Kirchen die christlich-humanistische Heranbildung der Jugend vernachlässigt habe und dies auch weiterhin tue, bestätigt gesehen haben. Gerade in den Köpfen der Heranwachsenden hatte sich die nationalsozialistische Ideologie eingenistet und verfestigt. Die Kirchen kämpften derweil in erster Linie um ihre eigene Existenz im »Dritten Reich«.345 Wenn Hamm auch nicht mehr öffentlich zu außen- und innenpolitischen Themen Stellung beziehen konnte, bedeutete dies nicht, dass 342 Elly Heuss-Knapp (1881 Straßburg–1952 Bonn), 1899 Lehrerinnenexamen in Straßburg, ab 1905 Studium der Volkswirtschaftslehre in Freiburg und Berlin, hier tritt sie dem »Naumann-Kreis« bei, seit 1908 mit Theodor Heuss verheiratet, 1918–20 als Kandidatin der DDP bewirbt sie sich ohne Erfolg für ein Reichstagsmandat, anschließend verstärkt Publikationen und Vorträge zu Frauen- und Sozialfragen, ab 1933 Auftrittsverbot, in der Folgezeit Übernahme von Aufträgen im Bereich der Werbung, 1946–49 MdL von WürttembergBaden (DVP / FDP), 1950 Mitbegründerin des Deutschen Müttergenesungswerks (vgl. vor allem Goller, Elly Heuss-Knapp). 343 Heuss-Knapp schrieb weiter, dass man sich in der Folgezeit, auch nach Hamms Rückkehr nach Bayern, häufig über kirchliche Fragen ausgetauscht habe (Elly Heuss-Knapp: »Persönliche Erinnerungen an Dr. Eduard Hamm« (Manuskript, o. D.), NL Hamm (Privatbesitz München). 344 Vgl. Abschrift Eduard Hamm an Fritz Klein (18. August 1932), BAB, R 3001/24111, Bl. 1–7, insbes. Bl. 2 f. 345 Zur Geschichte der katholischen und evangelischen Kirche im »Dritten Reich« vgl. Scholder, Kirchen, 3 Bde.

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er sich nicht weiterhin intensiv mit ihnen auseinandersetzte. Die Rolle der Kirche im »Dritten Reich« beschäftigte ihn sehr. Trotz der Gefahr einer wahrscheinlichen Überwachung von Post und Telefon ging er in zwei Briefen an den evangelischen Theologen und Kirchenhistoriker Walther von Loewenich346, der mit Hamms Frau Maria verwandt war, mit den beiden christlichen Kirchen in Deutschland hart ins Gericht. Seine Briefe sind einerseits Zeugnis seiner humanistischen und rechtsstaatlichen Gesinnung und sie geben andererseits Auskunft über seine Verabscheuung der nationalsozialistischen Rassenideologie und Judenpolitik. Die so genannte Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erlebte Hamm offenbar in München. Nur wenige Tage später, am für die evangelischen Christen so bedeutsamen Buß- und Bettag, schrieb Hamm an Loewenich: »Wo liegen Ansätze zu einer in der Formung unserer Zeit angepassten Darstellung einer echten christlichen Sittenlehre? Mir scheint, daß danach gerade unsere Generation, unsere unmittelbarste Gegenwart schreit. Hier hätten die Kirchen eine über sie selbst hinausreichende Zeitaufgabe an unserem Volk zu erfüllen, die nur sie – beim Schweigen aller anderen Kräfte – erfüllen könnten.«347 Hamm forderte somit ausdrücklich beide Kirchen auf, sich ihrer Verantwortung für die deutsche Gesellschaft bewusst zu werden und aktiv gegen die ausufernde, menschenverachtende Politik des NS-Regimes Stellung zu beziehen. Die Kirchen dürften eben nicht bloß ihrer eigenen Zerschlagung entgegenwirken, sondern sollten ihre Möglichkeiten als einzig verbliebene, wenn auch eingeschränkte, moralische Instanz im »Dritten Reich« nutzen und dem deutschen Volk durch Vermittlung einer »echten christlichen Sittenlehre« eine Alternative zur Ideologie des Nationalsozialismus bieten. Mitte Mai 1944 prangerte Hamm noch deutlicher das bisherige Versagen der Kirchen im »Dritten Reich« an, indem er sich inhaltlich mit einigen theologischen Schriften von Loewenichs Schwager Helmut Thielicke auseinandersetzte: »In der Schrift ›Wo ist Gott‹ fand ich viel mich Ansprechendes über das Ziel, das so weit über jeden Läuterungssinn hinausgeht. Dabei sind ja wirklich nicht Erdbeben u[nd] Vulkanausbrüche als das Schlimmste zu empfinden, sondern die Greuel, die von Menschen selbst ausgehen, u[nd] zwar nicht von unentwickelten, ›wildem‹ Zustand naher Menschen, sondern von zivilisierten, bewusst grausamen Menschen, die darin Rechte eines Übermenschentums sehen, das über den einfachen, nicht zu Gewalt u[nd] Größe berufenen Menschen anderer Prägung u[nd] Auffassung hinweggehen darf u[nd] muß. Aber woher kommt 346 Walther von Loewenich (1903 Nürnberg–1992 Erlangen), ev., Studium der Germanistik, Geschichte, Englisch, Philosophie und Theologie, in Erlangen, Tübingen, Göttingen und Münster, 1928 Promotion in Erlangen, 1931 Habilitation, 1935–45 Studienrat für evangelische Religion an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Erlangen, 1946–71 o. Prof. und Vorstand des Seminars für Kirchengeschichte und Kunstgeschichte der Universität Erlangen, (vgl. die Autobiographie von Loewenich, Erlebte Theologie, in der Eduard Hamm allerdings nicht auftaucht, sowie Kuhn, Walther von Loewenich, Sp. 960–963). 347 Eduard Hamm an Walther von Loewenich (München, 16. November 1938), NL Hamm (Privatbesitz Hamburg).

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diese entsetzliche Greuelfähigkeit des Menschen? Dazu wird gesagt, das ungeheure Maß der möglichen Entmenschung u[nd] Vertierung sei nur durch die Höhe des Sturzes zu erklären. Und dazu wird noch darauf hingewiesen, daß Gott duldete, daß sein eigener Sohn an dieser Welt sterbe. […] Dabei scheint mir manchmal der Ausweg nach der Stelle des geringeren Widerstands genommen zu werden, nach der Seite der Armseligkeit des Menschen, der eben nicht hoffärtig zu enträtseln suche, sondern ›glauben‹ solle, wobei dieses Wort wie mir scheint bei evang[elischen] u[nd] kath[olischen] Theologen eine gewisse Absenkung gegenüber landläufigen Vorstellungen von einem handfesten wörtlichen für ›wahr‹ halten, d[as] h[eißt] für geschichtliche Realität Annahmen erfahren zu haben scheint. Aber das lassen die Kirchen wohl mit einer gewissen Absicht im Halbdunklen. Ob es dabei bleiben kann?«348 Aus diesen Zeilen wird deutlich, dass Hamm immer noch von den Einflussmöglichkeiten der Kirchen auf ihre Gemeinden überzeugt war. Sie trugen daher Verantwortung für ihr Handeln bzw. Nichthandeln, woran er in seinen Briefen erinnern wollte. Es verwundert daher nicht, dass es in erster Linie Eduard Hamm war, der für den »Sperr-Kreis« den Kontakt zur Geistlichkeit suchte. Naheliegend wäre wohl die Kontaktaufnahme zum Erzbischof von München und Freising, Michael Kardinal von Faulhaber, gewesen, der ein früher energischer Gegner des Nationalsozialismus war. Während des »Dritten Reiches« äußerte er sich – wohl auch zum Leidwesen Hamms – jedoch lange Zeit, trotz der klaren Erkenntnis über das Unrecht, nicht öffentlich zu den sittlichen Fragen und den Grundrechten des Menschen, die das NS-Regime mit Füßen trat.349 Schließlich wurde der Kardinal im Laufe des Krieges immer vorsichtiger und galt – trotz seiner Kontakte zum »Kreisauer Kreis« – als schwankend.350 Unmittelbare Kontakte der Männer um Sperr und Hamm zu Kardinal Faulhaber ließen sich nicht ermitteln. Die zögerliche Haltung Faulhabers verhinderte eine solche Verbindung womöglich.351 Mit Sicherheit wurde jedoch der Versuch unternommen, mit dem Bischof von Augsburg, Joseph Kumpfmüller352, ins Gespräch zu kommen. Nach eigenen späteren Angaben ließ Geßler dem Bischof mitteilen, dass sich »im Auftrag von 348 Eduard Hamm an Walther von Loewenich (Reit im Winkl, 16. Mai 1944), NL Hamm (Privat­besitz Hamburg). 349 Erst in seinem Passionshirtenbrief 1942 setzte sich Faulhaber klar für die »gottverliehenen Menschenrechte« ein (zit. n. Leugers, Positionen, S. 122–142, hier S. 137). 350 Vgl. ebd., S. 138. 351 Auch die mit dem Nachlass und den Tagebüchern Faulhabers bestens vertraute Dr. Antonia Leugers erklärte in einer E-Mail an den Verfasser, dass ihr die Namen Sperr, Hamm oder Geßler bisher bei der Durchsicht der stenographisch verfassten Tagebücher nicht begegnet sind (vgl. E-Mail von Antonia Leugers an den Verfasser (21. Oktober 2014)). 352 Joseph Kumpfmüller (1869 Schwarzenberg–1949 Augsburg), kath., Studium und Promotion in Rom, 1894 Priesterweihe in Rom, 1896 Sekretär des Bischofs von Regensburg, 1900–1908 Kirchenprediger und später Direktor des bischöflichen Seminars in Obermünster, 1908 Domprediger in Regensburg, ab 1917 Domkapitular und Dompfarrer in Regensburg. 1930–49 Bischof von Augsburg (vgl. Rummel, Kumpfmüller, S. 420 f.).

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Herrn Sperr ein Herr« an ihn wenden werde.353 Ob es letztlich zu einer engeren Verbindung kam, ist unklar.354 Eduard Hamm soll darüber hinaus laut Karl Scharnagl Beziehungen zum Franziskanerpater Erhard Schlund355 gepflegt und sich mit diesem über Fragen der Monarchie ausgetauscht haben.356 Unwahrscheinlich ist allerdings, dass es bei Treffen zwischen einem Franziskanerpater und dem an religiösen Dingen so interessierten Eduard Hamm tatsächlich bei diesem einen Thema blieb. Vielmehr dürfte Hamm in diesen Gesprächen die ihm auf dem Herzen liegenden Fragen zur Rolle der Kirche im »Dritten Reich« und eines künftigen Verhältnisses von Staat und Kirche zur Sprache gebracht haben. Für die Außenbeziehungen der Widerstandsgruppe besonders wichtig wurde der Anschluss an einen Kreis von Jesuitenpatres in München. Zunächst soll Ernst Meier Sperr mit Rupert Mayer SJ357 zusammengebracht haben, mit dem dieser gut befreundet gewesen sei.358 Der Jesuitenpater Mayer wurde nach 1933 bereits wegen regimekritischer Predigten einige Male verhaftet. Später soll er Kontakte zum bayerisch-monarchistischen »Harnier-Kreis« unterhalten haben, woraufhin er Ende Dezember 1939 ins KZ Sachsenhausen verbracht wurde. Bereits im April 353 Ausführungen von H. Minister a. D. Dr. Geßler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9. Dezember 1950, BAK, NL Geßler (N 1032) 36 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 164–167, hier S. 166). 354 Das Bistumsarchiv Augsburg geht davon aus, dass der Nachlass des Bischofs Kumpfmüller vernichtet worden ist (vgl. E-Mail des Bistumsarchivs Augsburg an den Verfasser (12. März 2013)). 355 Lorenz Schlund (1888 Siegenburg / NDB–1953 München), kath., 1907 Eintritt in den Franziskanerorden (OFM), Annahme des Ordensnamens Erhard, Studium der Theologie, 1912 Priesterweihe in Freising, 1913 Seminarpräfekt in Bamberg, 1914–18 Feldgeistlicher, 1921 Promotion, 1921–33 Cartellverband-Seelsorger in München, ab 1927 Leiter des Consilium a vigilantia im Erzbistum München und Freising, 1943 Schlaganfall und anschließend auf Rollstuhl angewiesen (zu Schlund vgl. ausführlich Fellner, Pater Erhard Schlund OFM, S. 131–214).  – Dass Schlund zwar die kirchlichen Stellen seit 1927 als Beauftragter von Kardinal Michael Faulhaber im Kampf gegen »Schmutz und Schund« über die NS-Bewegung informierte, dann aber in dieser Funktion 1937 entsprechend der damals nicht nur in kirchlichen Kreisen weit verbreiteten Ansichten für das aktive Vorgehen gegen Homosexuelle eintrat, wurde jüngst herausgearbeitet (vgl. Forstner, Priester, S. 403). 356 Vgl. Karl Scharnagl: Die politische Tätigkeit des Herrn ehem. Staatsministers Dr. Hamm (München, 30. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 110. 357 Rupert Mayer SJ (1876 Stuttgart–1945 München), Studium der Philosophie und Katholischen Theologie in Fribourg (Schweiz), München, Tübingen und Rottenburg, 1899 Priesterweihe, 1900 Beitritt zum Jesuitenorden, 1901–12 Noviziat und Missionarstätigkeit in den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz, seit 1912 als Seelsorger in München, 1914–16 Kriegsteilnahme als Feld- und Divisionsgeistlicher, 1916 schwer verwundet (Beinamputation), ab 1933 scharfe Kritik u. a. an NS-Kirchenpolitik, 1937 reichsweites Redeverbot, 1937–39 nach wiederholten Predigten trotz Redeverbots mehrfach in Haft, 1939/40 Häftling im KZ Sachsenhausen, ab 1940 Internierung im Kloster Ettal, 1945 nach München zurückgekehrt, verstarb er an den Folgen seiner Haft (vgl. vor allem Bleistein, Rupert Mayer). 358 Vgl. Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes, S. 5, UAE, G 1/7 Nr. 1.

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1940 aufgrund seines Gesundheitszustandes entlassen, wurde er bis zum Ende des Krieges in der Abtei Ettal, südlich von München, festgesetzt, weshalb es wohl zu keiner engeren Anbindung an den »Sperr-Kreis«, dessen Hauptaufbauphase erst in die zweite Hälfte des Krieges zu datieren ist, kommen sollte. Von Pater Mayer soll Ernst Meier zumindest – wohl ausschließlich vor Ausbruch des Krieges – viele wertvolle Informationen bezogen haben.359 Für die weitere Entwicklung bedeutsamere Beziehungen pflegte der »SperrKreis« seit Mitte des Krieges zu drei anderen Jesuiten. Der Provinzial der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten Augustin Rösch360 hatte seine Mitbrüder Alfred Delp SJ361 und Lothar König SJ362 schon 1942 mit Helmuth James Graf von Moltke363, dem Kopf des »Kreisauer Kreises« in Verbindung gebracht. Sie sollten fortan den katholischen Flügel der »Kreisauer« in München bilden. Delp wirkte 359 Vgl. ebd. Darüber hinaus sei Rupert Mayer SJ es gewesen, der seine jesuitischen Brüder Augustin Rösch SJ und Alfred Delp SJ mit Sperr zusammengebracht habe (ebd.). Aufgrund der ausführlicheren Schilderungen und auch zeitlich passenderen Angaben Franz Reiserts über seine Vermittlung des Kontakts Sperrs zu den Münchener Jesuiten und damit zum »Kreisauer Kreis«, dürfte Berz an dieser Stelle wohl falsch informiert gewesen sein (vgl. hierzu das Kap. VIII.2). Dass Rupert Mayer SJ eine flüchtige Bekanntschaft zu Sperr hergestellt haben könnte, ist jedoch nicht auszuschließen. 360 Augustin Rösch SJ (1893 Schwandorf–1961 München), 1911 Beitritt zum Jesuitenorden, 1914–18 Kriegsteilnahme, anschließend Studium der Philosophie und Theologie, 1925 Priesterweihe, 1928 Generalpräfekt, später Rektor der Jesuitenschule Stella Matutina in Feldkirch, seit 1935 Provinzial der Oberdeutschen Provinz der Jesuiten, seit 1941 Mitglied des »Kreisauer Kreises«, 1945 in Folge des Attentats vom 20. Juli 1944 verhaftet, im Berliner Zellengefängnis Lehrter Straße inhaftiert und kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee freigelassen, 1947–61 Landesdirektor der Caritas in Bayern sowie Mitglied des Bayerischen Senats (vgl. Bleistein, Rösch, S. 737). 361 Alfred Delp SJ (1907 Mannheim–1945 Berlin-Plötzensee), 1926 Beitritt zum Jesuitenorden, Studium der Philosophie und Theologie, 1937 Priesterweihe, seit 1939 Seelsorger in der Pfarrei Heilig Blut in München-Bogenhausen, bis 1941 Redakteur der Zeitschrift »Stimmen der Zeit«, seit 1942 Mitglied des »Kreisauer Kreises«, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet (vgl. vor allem Delp, Gesammelte Schriften, 5 Bde.). 362 Lothar König SJ (1906 Stuttgart–1946 München), 1924 Beitritt zum Jesuitenorden, Studium der Philosophie, Theologie und Naturwissenschaften in München, Pullach, Frankfurt und im niederländischen Valkenburg, Dr. phil. in München, 1936 Priesterweihe, seit 1939 Sekretär und Bevollmächtigter des Jesuitenprovinzials Augustin Rösch, ab 1939 Prof. für Kosmologie im Berchmanskolleg in Pullach, seit 1942 Mitglied des »Kreisauer Kreises«, nach dem 20. Juli 1944 hielt er sich im Berchmanskolleg im Kohlenkeller versteckt, blieb unentdeckt, erkrankte jedoch schwer, 1946 verstarb er an den Folgen seiner Krankheit (vgl. Bleistein, Lothar König, S. 313–326). 363 Helmuth James Graf von Moltke (1907 Kreisau–1945 Berlin-Plötzensee), ev., Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Breslau, Wien und Berlin, seit 1935 als Rechtsanwalt in Berlin tätig, 1935–38 englische Ausbildung zum Rechtsanwalt in London und Oxford, ab 1939 in der völkerrechtlichen Abteilung des Amts Ausland / Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht tätig, 1940 Bildung des »Kreisauer Kreises«, 1944 von der Gestapo verhaftet, 1945 zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 hingerichtet (vgl. insbes. Helmuth James von Moltke 1907–1945).

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seit 1939 als Seelsorger in München-Bogenhausen. Die Pfarrkirche »Heilig Blut« befand sich nur wenige Meter vom Wohnhaus Franz Sperrs entfernt. Es ist daher wahrscheinlich, dass Sperr Delp zumindest flüchtig kannte, bevor er im Frühjahr 1943 auf Vermittlung des Augsburger Rechtsanwalts Franz Reisert mit ihm und den Männern um Moltke zusammengebracht wurde.364 Die Kontakte zu geistlichen, teilweise hochrangigen Würdenträgern dienten dem Widerstandskreis einerseits, um die geplante »Auffangorganisation« von kirchlicher Seite durch deren Einfluss auf das Kirchenvolk frühzeitig abzusichern. Andererseits konzentrierte sich der Widerstand der Gruppe im Hinblick auf den kirchlichen Sektor auf die Anprangerung kircheninterner Entscheidungen im Umgang mit dem NS-Regime. Die Kontaktaufnahme zu regimekritischen Bischöfen und regimefeindlichen Geistlichen diente darüber hinaus der Erörterung von Vorstellungen über das künftige Verhältnis von Staat und Kirche.365 f) Die Kontakte zur Bauernschaft In den Verhören der Gestapo gab Otto Geßler nach dem 20. Juli 1944 an, Fragen der Ernährung mit dem früheren Reichsernährungsminister und ehemaligen Bauenbündler Anton Fehr besprochen zu haben.366 Bis 1930 bayerischer Landwirtschaftsminister, hatte sich Fehr bereits in den Jahren der Weimarer Republik Anfeindungen der Nationalsozialisten ausgesetzt gesehen, insbesondere in der Person des Gauleiters von Mittelfranken Julius Streicher.367 Auch nach 1933 hatten sich die Angriffe gegen ihn fortgesetzt, wenn er auch vorübergehend vom bayerischen Kultusministerium geschützt worden war.368 Streicher hatte 364 Angeblich habe Sperr den Namen Delp bereits vor dem Krieg gegenüber Ernst Meier erwähnt (vgl. Ernst Meier an Franz Reisert (Haßfurt, 10. Oktober 1962), UAE, G 1/7 Nr. 2). 365 Auf jene Erörterungen im Rahmen der Gespräche mit dem »Kreisauer Kreis« wird in Kap. VIII.2.b eingegangen. 366 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 394. 367 Vgl. den »Stürmer« Nr. 8, 9, 10, 13 von 1929 sowie die Äußerungen Streichers in der Sitzung des bayerischen Landtags, in der Streicher gegenüber Fehr den Vorwurf der Bestechlichkeit durch Juden äußerte: »Zusammengefaßt, der Führer der Bauern und jetzige Landwirtschaftsminister Fehr hat sich mit Juden eingelassen und das genügt« (Verhandlungen des Bayerischen Landtags. 1928/1929. I. Band, 27. Sitzung, 28. Februar 1929, S. 826). 368 Dabei wurde die in den Jahren vor 1933 bereits thematisierte »Affäre Bauernfreund« in einer Sondernummer des »Stürmers« 1935 erneut hochgekocht. Die Angriffe gegen Fehr, der in der Zwischenzeit als Professor das Milchwirtschaftliche Institut in Weihenstephan leitete, und gegen seinen Schwiegersohn, den Ministerialrat im Bayerischen Landwirtschaftsministerium, Wilhelm Niklas, wurden nun deutlich heftiger. Beiden wurde vorgeworfen, in Fehrs Ministerzeit unbezahlte Wurstpakete von einem jüdischen Fabrikanten empfangen zu haben. Nachdem Niklas seine Versetzung in den dauernden Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit beantragt hatte, setzte Fehr auf die Unterstützung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, die tatsächlich erfolgte (vgl. Schreiben Staatsrat Dr. Böpple an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (7. Juni 1935), BayHStA, MK 35881).

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sich jedoch letztlich durchgesetzt, mit der Konsequenz, dass Fehr als Leiter des Milchwirtschaftlichen Instituts in Weihenstephan entlassen worden war, und später auch den Vorsitz des Deutschen Milchwirtschaftlichen Reichsverbandes hatte abgeben musste.369 Aufgrund seiner Parteivergangenheit war Fehr den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Auch eine spätere Rehabilitierung scheiterte am Urteil der Sicherheitsbehörden, dass an »eine innere Umstellung des alten Parteidemokraten […] nicht geglaubt« werde.370 In der Rückschau ging Otto Geßler in der Einordnung von Anton Fehrs Rolle im Widerstandskreis einen Schritt weiter und stellte ihn, was dessen Beteiligung an den Aktivitäten des »Sperr-Kreises« anging, auf eine Stufe mit Sperr, Hamm und sich selbst.371 Dass Fehr als früherer Reichsminister eine natürliche Autorität verkörperte, die es verstand, geeignete Persönlichkeiten für den Widerstandskreis zu gewinnen, ist gewiss. Was den Bereich Ernährung und Landwirtschaft sowie die Vernetzung in Bauernkreisen anging, dürfte er für die Männer um Sperr in der Tat eine Bereicherung dargestellt haben. Dort fiel ihm insbesondere die Aufgabe zu, im Bereich Ernährung und Landwirtschaft nach Verbindungsleuten Ausschau zu halten. Diese Aufgaben dürfte er allerdings erst auf Anfrage der drei Hauptprotagonisten übernommen haben. Als »Berater« des Kronprinzen trat er in den frühen Jahren des »Dritten Reiches« nicht in Er-

369 Die Gauleitung Franken hatte sich der Argumentation des Staatsministeriums, das sich gegen eine Entlassung Fehrs ausgesprochen hatte, nicht angeschlossen: »Sie erklären, die Gerichtsakten Bauernfreund ergäben keine derartige Belastung Fehrs, dass gegen ihn eingeschritten werden könne. Einer solchen Auffassung von Beamtenehre und Beamtenpflichten vermögen wir einfach nicht zu folgen. Niklas und Fehr haben sich Korruption im übelsten Sinne zu schulden kommen lassen. […] Sie haben ihr Amt missbraucht, um den Juden Bauernfreund zu begünstigen und um seine Gaunereien zu vertuschen. Sie haben gleichzeitig durch ihre politische Einstellung bewiesen, dass sie Gegner des Nationalsozialismus sind. Dies muss genügen. Wir denken gar nicht daran, uns dabei in Einzelheiten zu verlieren. Und nun erklären Sie, Herr Staatsrat, es sei nicht möglich, gegen Fehr vorzugehen. Wenn Sie wollen, Herr Staatsrat und wenn Sie nationalsozialistisch, finden Sie mehr Gründe, als Sie benötigen, Fehr aus seinem Amte zu entfernen« (Schreiben des Stellvertretenden Gauleiters von Franken, Karl Holz, an den Staatsrat im Kultusministerium Dr. Boepple (27. Juni 1935), BayHStA, MK 35881). Doch auch ohne Einleitung eines Disziplinarverfahrens wurde Fehr am 18. September 1935 auf Grund des § 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus seinem Amt entfernt. (Abschrift des Schreibens des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Fehr, BayHStA, MK 35881). 370 Politisch halte sich Fehr seit 1936 zurück. Dagegen wurden »manche Anzeichen«, die als Hinwendung zum Nationalsozialismus verstanden werden könnten, »auf seine berechnende Anpassungsfähigkeit zurückgeführt« (Schreiben der Sicherheitspolizei und des SD an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (28. April 1941), BayHStA, MK 35881). 371 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 391; Beglaubigte Abschrift Otto Geßler an Konrad Frank (Lindenberg im Allgäu, 19. Dezember 1945), BayHStA, MInn 83557 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 162 f.).

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scheinung.372 Auch waren seine konspirativen Aktivitäten bei weitem nicht so ausgeprägt wie bei Sperr, Hamm und Geßler. Um das Jahr 1942/43 trat Anton Fehr mit dem Ökonomierat Jakob Herz-Durach373 enger in Kontakt, dem er sich seit Jahren freundschaftlich verbunden fühlte. Obwohl er 1935 aufgrund seiner wirtschaftlichen und kulturellen Verdienste in die Partei eingetreten war, stellte ihn die NSDAP-Kreisleitung im Gau Schwaben 1944 als »unpolitische Natur« dar, der »alles vom Standpunkt des Bauernhofes an[sehe]«.374 Diese Haltung dürfte ihn trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft für die Männer um Sperr interessant gemacht haben. Vor allem im südlichen Bayern stieß die nationalsozialistische Agrarpolitik, die sich im so genannten »Reichserbhofgesetz« vom September 1933 manifestierte, durchaus auf Widerstand.375 Gemäß der »Blut-und-Boden-Ideologie« sollten durch das Gesetz Bauernhöfe, die über eine bestimmte Größe verfügten, zu »Erbhöfen« erklärt und damit unveräußerlich, unbelastbar und unteilbar werden. Um im »Dritten Reich« fortan als Bauer gelten zu können, musste man deutscher Staatsbürger sowie »deutschen oder stammesgleichen Blutes« sein.376 Jakob Herz-Durach habe vor 1933 offensichtlich mit dem Nationalsozialismus sympathisiert, da er »eine Hebung des Bauernstandes auch in ethischer Weise« erhofft habe, was das »Sperr-Kreis«-Mitglied Hans Schellerer erklärte. Doch spätestens durch das »Erbhofgesetz« sei er ein entschiedener Gegner der 372 Zumindest nannte der über diesen Sachverhalt gut informierte Franz von Redwitz Fehr bei seiner Darstellung des Zustandekommens des Kreises um Kronprinz Rupprecht nicht (vgl. Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), UAE, G 1/7 Nr. 1 sowie Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D.), GHA, NL Redwitz 23). 373 Jakob Herz, gen. Herz-Durach (1884 Humbach–1946 Durach), Oekonomierat, 1919 Hauptausschussmitglied des Milchwirtschaftlichen Vereins im Allgäu, seit 1921 Leiter des Milchwirtschaftlichen Vereins im Allgäu, 1924 Vorstand der Bezirksbauernkammer Kempten, vor 1933 Mitglied des Bauernbundes, 1933–35 Gemeinderat bzw. Zweiter Bürgermeister von Durach, 1934–38 Ortsbauernführer, 1935–45 Mitglied der NSDAP, 1947 post mortem von der Spruchkammer Kempten in die Gruppe der »Minderbelasteten« eingestuft (zu Herz vgl. dessen Spruchkammerakt, StAA, Spk. Kempten Akten H 512). 374 Abschrift einer Politischen Beurteilung von Jakob Herz durch die NSDAP-Kreisleitung Kempten-Land (Kempten (Allgäu), 22. März 1944), StAA, Spk. Kempten Akten H 512. 375 Vgl. Bauer, Nationalsozialistische Agrarpolitik, S. 69. Hier außerdem das Kapitel »Maßnahmen auf dem Ernährungssektor ab 1933«, S. 42–49. 376 Die Präambel des Gesetzes präzisierte diese Zielvorgaben: »Die Reichsregierung will unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutsquell des deutschen Volkes erhalten. Die deutschen Bauernhöfe sollen vor Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang geschützt werden, damit sie dauernd als Erbe der Sippe in der Hand freier Bauern verbleiben. Es soll auf eine gesunde Verteilung der landwirtschaftlichen Besitzgrößen hingewirkt werden, da eine große Anzahl lebensfähiger kleiner und mittlerer Bauernhöfe, möglichst gleichmäßig über das ganze Land verteilt, die beste Gewähr für die Gesundung von Volk und Staat bildet« (Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933, in: RGBl. I, 1933, S. 685–692, hier S. 685). – Zum »Reichserbhofgesetz« und seiner praktischen Umsetzung im Reich vgl. Münkel, Bäuerliche Interessen, S. 549–580.

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Partei geworden. Herz habe immer wieder öffentlich davor gewarnt, dass »durch den Nationalsozialismus die Seele des Bauern vernichtet werde und im rein Materiellen aufgehe«.377 Fehr scheint Herz fortan nicht nur als einen »über die Stimmung gut unterrichteten Bauern« geschätzt zu haben, sondern von ihm gleichzeitig mögliches Personal für den Widerstandskreis zugeführt worden zu sein.378 Nach 1945 erklärte die Spruchkammer Kempten-Land zum bereits verstorbenen Herz, dass dieser »aus einem falsch verstandenen Idealismus und Optimismus« geglaubt habe, seine Ämter als Ortsbauernführer und 2. Bürgermeister von Durach halten zu müssen.379 Obwohl gegen ihn 1938 ein Parteiausschlussverfahren anhängig war, blieb er nach seiner Rehabilitierung Parteimitglied. Die Spruchkammer kam zu dem Schluss, dass Herz zwar einen »Positions-Machtkampf« geführt, jedoch keinen handfesten Widerstand gegen das NS-Regime geleistet habe. Dennoch stellte sie eine innere Ablehnung des Nationalsozialismus aufgrund seiner christlichen Gesinnung fest. Zu dieser differenzierten Einschätzung gelangte die Spruchkammer wohl nicht zuletzt aufgrund der Erklärung Anton Fehrs. Dieser gab an, dass sich Herz zwar »erneut einspannen« ließ, »in der Absicht, seinem Berufe als Bauer und Wahrer der Bauerninteressen zu dienen.« Dennoch habe er politisch nie der Partei nahegestanden. Seine politische Einstellung sei demokratisch gewesen. Herz habe frühzeitig mit Fehr an Plänen zur Beseitigung des Regimes zusammengearbeitet: »Ich rechnete ihn zu unserem Kreise der ›Namenlosen‹, der mit der Widerstandsbewegung Gördeler [sic!] über Hamm zusammenhing«, so Fehr wörtlich.380 Diese Zusammenarbeit beschränkte sich offenbar in erster Linie auf den Austausch über tagespolitische Ereignisse. Auch Rudolf Flach gab später an, dass man sich mit Herz »speziell über Fragen des Bauerntums« unterhalten habe.381 Dass Herz tatsächlich in den Planungen des Widerstandkreises eine Rolle gespielt haben dürfte, lässt eine Bemerkung Flachs vermuten; so sei dieser »für den Wiederaufbau unserer Ernährungswirtschaft ein Richtung gebender Führer gewesen«.382 Da Herz offenbar nicht in die Pläne der Widerstandsgruppe eingeweiht war, dürfte er immerhin als wichtiger Informant in landwirtschaft-

377 Eidesstattliche Bestätigung von Dr. Hans Schellerer (Kempten, 28. Mai 1947), StAA, Spk. Kempten Akten H 512. 378 Abschrift eines Attests von Anton Fehr (Lindenberg im Allgäu, 8. Januar 1946), BayHStA, MJu 24986. Auf Nachfragen Fehrs habe Herz ihm mit den bereits erwähnten Rudolf Flach und Hans Schellerer mögliche Vertrauensleute in Wehrmacht und Beamtentum genannt. 379 Vgl. Spruch der Spruchkammer Kempten-Land gegen Jakob Herz (Kempten, 12. Juni 1947), StAA, Spk. Kempten Akten H 512. 380 Bestätigung von Anton Fehr (Kempten, 5. Dezember 1946), StAA, Spk. Kempten Akten H 512. 381 Abschrift einer Eidesstattlichen Versicherung von Rudolf Flach (Kempten, 28. Mai 1947), StAA, Spk. Kempten Akten H 512. 382 Ebd.

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lichen Fragen, jedoch kaum als Mitglied, allenfalls dem Sympathisantenkreis der Gruppe zugerechnet werden. Ob es darüber hinaus weitere Beziehungen zu Bauern in anderen Regierungsbezirken Bayerns gegeben hatte, konnte nicht ermittelt werden. Für den in Schwaben so wichtigen Agrarsektor sah man sich offenbar durch Fehr und seine Beziehungen zu Jakob Herz-Durach gut aufgestellt. Insbesondere Fehrs politische Kontakte und landwirtschaftspolitische Erfahrung hätte die Widerstandsgruppe im Falle eines wie auch immer gearteten Zusammenbruchs des »Dritten Reiches« in die Waagschale werfen können, um auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft chaotische Zustände zu verhindern und einen geordneten Übergang von der Diktatur in den Rechtsstaat in Bayern zu gewährleisten.

3. Die strategische Ausdehnung des »Sperr-Kreises« in Bayern Da die ersten Gespräche im Kreis des Kronprinzen Rupprecht in München und Umgebung stattfanden und man die Hauptstadt des einstigen Freistaats als notwendiges Zentrum der eigenen konspirativen Aktivitäten ausmachte, liegt es nahe, dass man sich bei der Kontaktaufnahme mit möglichen Vertrauensleuten zunächst auf diese Region konzentrierte. Doch standen – entsprechend des selbstgesteckten Ziels, Vorkehrungen für ganz Bayern zu treffen  – neben München vor allem die Hauptstädte von Franken und Schwaben für den »SperrKreis« als notwendige Standorte für eine erfolgsversprechende »Auffangorganisation« auf der Agenda. Mit Beginn des Krieges warb man in Augsburg und Nürnberg Vertrauensleute an, denen man zutraute, weitgehend eigenständig sowie mit der gebotenen Vorsicht, eigene Widerstandszellen in ihrem Verantwortungsbereich zu installieren. Sperr und Hamm, die sich zugleich auf die Suche nach fähigem Personal machten, stand mit Ernst Meier ein ausgesprochen umtriebiger Mann zur Seite, der einen Großteil der Kontakte im südlichen Bayern herzustellen vermochte. a) Die »Augsburger Gruppe« und die Ausdehnung des »Sperr-Kreises« im Regierungsbezirk Schwaben Wie in München, so entstand auch in Augsburg bereits wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ein Gesprächskreis, in dem sich Männer bürgerlicher Herkunft zusammenfanden, um einerseits gesellschaftliche und theologische Fragen, andererseits jedoch auch aktuelle politische Entwicklungen im Reich und in Bayern zu erörtern. Viele dieser Gespräche fanden samstags zur Teestunde im Hause des bereits erwähnten Rechtsanwalts Dr. Franz Reisert statt. Dieser besaß in der alten Fuggerstadt einen beachtlichen Freundeskreis, dem neben lokalen Unternehmern auch Freiberufler

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und Geistliche angehörten.383 Sie alle waren gläubige Katholiken, die in ihrer Ablehnung gegenüber den neuen politischen Machthabern übereinstimmten. Jener Gesprächskreis kann letztlich mit den Worten des Sohnes Peter Reisert als der »Humus« bezeichnet werden, »in dem das Verhalten des Franz Reisert wurzelte«384 und das ihn auch über Augsburg hinaus zu einer bedeutsamen Persönlichkeit für den »Sperr-Kreis« werden ließ. Daher sollen zunächst dessen soziale und politische Herkunft näher beschrieben werden, bevor auf das Zustandekommen der Verbindung Widerstandsgruppe um Sperr, Geßler und Hamm eingegangen wird. Als Sohn des Rechtsanwalts Friedrich Ludwig Reisert und dessen Frau Maria Anna wurde Franz Reisert am 28. Juni 1889 in Augsburg geboren.385 Die Eltern erzogen ihre vier Söhne streng katholisch und nach konservativ-humanistischen Grundsätzen. Dem Sohn Franz wurde also seine kritische Art zu denken bereits in die Wiege gelegt. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums St. Stephan, das auch Eduard Hamm besucht hatte, begann Reisert – in die Fußstapfen seines Vaters tretend – in Grenoble, München und Erlangen ein Studium der Jurisprudenz. Der Promotion 1915 folgten verschiedene Stationen als Rechtsanwalt in Augsburg und München. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters 1920 übernahm er dann schließlich dessen Kanzlei in der Fuggerstadt. Als tief gläubiger Katholik beschäftigte sich Reisert bereits in jungen Jahren mit theologischen und philosophischen Fragen. Für ihn stand fest, dass das »Böse« als Teil der Schöpfung anzusehen sei. Dem Rechtsstaat schrieb er daher die Aufgabe zu, für eine »Entbarbarisierung« der Menschheit zu sorgen, während das Christentum deren »Humanisierung« zum Ziel haben müsse.386 Wie sein Vater, der der Zentrumspartei in Bayern angehört hatte, schloss sich auch Reisert in der Weimarer Republik deren bayerischem Pendant an, der BVP. Reisert verband seit Jugendtagen eine enge Freundschaft mit dem Augsburger Unternehmer Dr. Ludwig Berz. Dieser hatte 1919 während seiner Studienzeit in Erlangen Ernst Meier kennengelernt und seither mit diesem »in teils mehr, teils weniger enger Fühlung […] gestanden«.387 Als sich Meier im Jahr 1940 für einige 383 Zum Freundeskreis zählten unter anderem der Unternehmer Dr. Ludwig Berz (1891–1975), die Patres Bernward Dietsche OP (1902–1973) und Dr. Gregor Lang OSB (1884–1962), der städtische Beamte und spätere Bundestagsabgeordnete Dr. Joseph Ferdinand Kleindinst (1881–1962), der städtische Musikdirektor Arthur Piechler (1896–1974), der Arzt Dr. Sebastian Weidner (1888–1945) sowie der Architekt Thomas Wechs (1893–1970) (vgl. P. Reisert, Franz Reisert, S. 561). 384 Ebd. 385 Die folgenden Ausführen basieren – wenn nicht anders vermerkt – auf dem Lebensbericht von ebd., S. 547–570. 386 So die Deutung eines Teils der Weltanschauung Reiserts durch dessen Sohn (ebd., S. 553). 387 Eidesstattliche Versicherung von Ernst Meier (Neumarkt / Opf., 11. April 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten B 468. – Ludwig Berz (1891 Augsburg–1975), kath., 1914–17 Kriegsteilnahme und Verlust des linken Auges, Studium der Nationalökonomie in München und Erlangen, Promotion zum Dr. phil., 1934 Übernahme der Leitung der Eisengroßhandlung Siller & Laar gemeinsam mit seinem Bruder Carl, 1934–45 Mitglied des Beirats

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Monate in Augsburg aufhielt, konnte er sich davon überzeugen, dass sich – wie von ihm nicht anders erwartet – an Berz’ ablehnender Haltung gegenüber dem NS-Regime nichts geändert hatte, auch wenn dieser 1938 in die Partei eingetreten war.388 Meier führte dies auf die katholische Weltanschauung zurück, die Berz niemals verleugnet hatte.389 Ab 1942 intensivierte sich der Kontakt. Zunächst übertrug Meier Berz im Einvernehmen mit Sperr die Aufgabe, in Augsburg die Organisation des Widerstandes voranzutreiben. Dann vermittelte er im Herbst 1942 ein Treffen zwischen Sperr und Berz in Augsburg. Von Sperrs Persönlichkeit tief beeindruckt, versprach Berz »alte Freunde, deren ehrliche Überzeugung ich kannte, für die Mitarbeit zu werben«.390 Eine Selbstverständlichkeit stellte für Berz die Einweihung seines Jugendfreundes Franz Reisert dar, mit dem ihn der Widerstandsgedanke »[b]esonders eng verband«.391 Diese dürfte ebenfalls im Herbst 1942 erfolgt sein, obwohl sich Reisert und Sperr wohl erst 1943 persönlich kennenlernten.392 Auch die weiteren Männer, die Berz nun nach und nach in Augsburg für den Widerstandskreis anwarb, stammten in erster Linie aus dem gemeinsamen Augsburger Freundeskreis. So zählten spätestens ab 1943 der Syndikus der Industrie- und Handelskammer Augsburg Dr. Johannes Meier393 und der Unternehmer Otto

der Industrie- und Handelskammer Augsburg, ab 1935 Handelsrichter am Landgericht Augsburg, 1937–45 Bezirksobmann der Fachgruppe Eisen-Stahlhandel, ab 1938 Mitglied der NSDAP, 1948–1966 Vizepräsident der IHK für Augsburg und Schwaben, 1954–1958 Stadtrat (CSU) in Augsburg, Mitglied des Wirtschaftsbeirats der CSU, Handelsrichter, 1966 Ausscheiden aus der Geschäftsleitung der Firma Siller & Laar (zu Berz vgl. Balcar / Schlemmer, Spitze der CSU, S. 590 sowie seinen Spruchkammerakt StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten B 468). 388 Meier ließ sich von Berz davon überzeugen, dass er der NSDAP lediglich deshalb beigetreten sei, um seine Stellung bei der Industrie- und Handelskammer Augsburg halten zu können und diese nicht den Nationalsozialisten zu überlassen (vgl. Eidesstattliche Versicherung von Ernst Meier (Neumarkt / Opf., 11. April 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten B 468). 389 Vgl. ebd. 390 Ludwig Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes (Manuskript), S. 1–17, hier S. 14, UAE, G 1/7 Nr. 1. 391 Ebd. 392 Vgl. Franz Reisert an Gertraud Sperr (23. September 1947), UAE, G 1/7 Nr. 2. 393 Johannes Meier (1887 Lehmingen–1952), ev., Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in Würzburg, 1917 Promotion, seit 1917 Mitglied der IHK Augsburg, ab 1925 Syndikus und Hauptgeschäftsführer der IHK Augsburg, 1920–34 Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes kaufmännischer Betriebe, 1929 Teilnahme am Kongress der Internationalen Handelskammer in Holland, vor 1933 Mitglied der DVP, 1934–36 Geschäftsführer der Bezirksgruppe Schwaben des Einzelhandels, 1936–43 Geschäftsführer der Zweigstelle Augsburg der Industrieabteilung der Wirtschaftskammer Bayern, seit 1937 Mitglied der NSDAP, 1945–47 Überprüfung von Dr. Johannes Meier und seinen Angehörigen durch die Militärbehörden, anschließend Hauptgeschäftsführer der IHK Augsburg (zu Johannes Meier vgl. StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406).

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A. H. Vogel394 zu jenem kleinen Kreis von Personen, den man als »Augsburger Gruppe« des »Sperr-Kreises« bezeichnen kann. Johannes Meier erklärte später, dass es schon seit 1933 sein Ziel war, zusammen mit »politisch Gleichgesinnten […] in geeigneter Weise zur Beseitigung der NS-Parteiregierung beizutragen«.395 Meier erwies sich laut Reisert »als ein in Wirtschaftsfragen besonders kenntnisreicher Sachverständiger«. Auch Vogel war eine durch und durch antinationalsozialistisch eingestellte Persönlichkeit.396 Folglich weigerte sich dieser nach 1933 als Vorstand der Nähfadenfabrik Julius Schürer AG, in die NSDAP einzutreten. Trotz der Androhung einer Überführung nach Dachau wandte er sich auch bis zum Schluss gegen einen Beitritt zur DAF.397 Dessen Wirtschaftskompetenz und sein Einfluss in schwäbischen Wirtschafts- und Industriellenkreisen wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass Vogel unmittelbar nach 1945 von der amerikanischen Militärregierung mit dem Vorsitz der IHK Augsburg betraut werden sollte. Wann genau die einzelnen Treffen zwischen den Augsburger und Münchener Mitgliedern des Widerstandskreises stattgefunden haben, lässt sich heute nur noch schwer rekonstruieren.398 Insbesondere Reisert machte später unter­ schiedliche, teilweise höchst widersprüchliche Angaben. So glaubte er von einer 394 Otto A. H. Vogel (1894 Augsburg–1983 Augsburg), kath., 1914–18 Kriegsteilnahme, 1915 Leutnant, ab 1918 Vertreter deutscher Industrieunternehmen in Spanien und Argentinien, 1928–55 Vorstand der Nähfadenfabrik Julius Schürer AG, 1945 von der amerik. Militärregierung mit dem Vorsitz der IHK Augsburg betraut, 1946/47 Vorsitzender des Verbandes der Südbayerischen Textilindustrie, 1948–58 Präsident der IHK Augsburg, ab 1947 Mitglied des Senats, 1948–54 Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Textilindustrie, 1949 Mitbegründer und bis 1957 Vizepräsident des Landesverbands der Bayerischen Industrie, Vizepräsident des BDI (zu Vogel vgl. dessen Nachlass im Bayerischen Wirtschaftsarchiv (N 002), seinen Spruchkammerakt StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III, V 34 sowie Moser, Unternehmer in Bayern, S. 25–86, insbes. S. 65). 395 Anlage 2 zum Meldebogen von Johannes Meier (Augsburg, 4. Mai 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406. 396 Während eines Abendessens anlässlich der Leipziger Messe 1933 oder 1934 will Vogel gegenüber einem Amtsträger der NSDAP geäußert haben, dass er »Adolf Hitler für den grössten Verbrecher halte, der herumläuft«. Daraufhin habe der betreffende Herr seine Verhaftung verlangt, die nur wegen des Einsatzes eines Werner Rechlin verhindert worden sei, für den Vogel diese Geschichte nach 1945 aus seiner Erinnerung ausgrub (Eidesstattliche Erklärung Vogels für Werner Rechlin (2. Dezember 1946), BWA, NL Vogel (N 002) 1 J-Z). 397 Von Seiten des Regimes sei er häufig auf die Untragbarkeit seiner Verweigerungshaltung hingewiesen worden, die ihn angeblich zum einzigen Betriebsführer des Gaues Schwaben gemacht habe, der weder der Partei noch der DAF angehörte (vgl. Otto A. H. Vogel an das Bayerische Ministerium für Sonderaufgaben (München, 12. Juli 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III, V 34). 398 Auch Prof. Ernst Meier hatte Anfang der 1960er Jahre Schwierigkeiten, die einzelnen Besprechungen zu datieren, da sich die ehemaligen Augsburger Mitglieder des »Sperr-Kreises« kaum mehr erinnern konnten (vgl. Ludwig Berz an Ernst Meier (Augsburg, 4. Februar 1964), UAE, G 1/7 Nr. 2).

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ersten Zusammenkunft 1941 oder 1942 berichten zu können, an der neben Sperr und ihm selbst, auch Hamm, Berz und vermutlich auch Johannes Meier teilgenommen haben sollen.399 Berz dagegen ging von einer ersten konspirativen Besprechung zwischen Sperr, Meier und ihm selbst erst im Juli 1943 aus.400 Offenbar traf man sich dann Mitte September 1943 zu einer größeren Aussprache in der Wohnung von Berz, an der auch Eduard Hamm teilnahm.401 Dieser folgten in den Monaten darauf weitere Gespräche, denen Hamm ebenfalls »als besonderer Wirtschaftsexperte« wiederholt beiwohnte.402 Zu einem dieser Gespräche soll Eduard Hamm eine von ihm selbst ausge­ arbeitete »Proklamation an das deutsche Volk« mitgebracht haben.403 Angeblich plante Hamm, »sich bei Gelingen des Unternehmens an das deutsche Volk zu wenden«.404 Das Schriftstück ist nicht erhalten geblieben und über den Inhalt ist nichts bekannt. Trotzdem war es selbst für die damaligen Gesprächsteilnehmer verwunderlich, dass Hamm etwas Derartiges verfasst hatte und mit sich trug. War man sich doch schließlich darüber einig gewesen, dass zum Schutze des gesamten Kreises keinerlei schriftliche Aufzeichnungen angefertigt werden sollten.405 Tief beeindruckt schrieb Reisert später, dass Hamm sich nicht be399 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Franz Reisert (Augsburg, 13. Dezember 1949), BayHStA, LEA 3356. Da Reisert Sperr jedoch über Berz kennenlernte und dieser Sperr über Ernst Meier, können diese Angaben Reiserts nicht stimmen. Denn Meier war zumindest bis Mitte 1942 in Russland an der Front, kam dann aufgrund seines Rheumas nach Augsburg in Garnison und kann erst zu diesem Zeitpunkt Berz wieder getroffen haben (vgl. Ernst Meier an Franz Reisert (Haßfurt, 10. Oktober 1962), UAE, G 1/7 Nr. 3). 400 Berz vermutete, dass an dieser möglicherweise auch bereits Dr. Johannes Meier und der bereits erwähnte Stabszahlmeister bei der Stadtkommandantur Augsburg Dr. Gregor ­Weber teilgenommen haben (vgl. Schreiben Berz an Meier (Augsburg, 4. Februar 1964), UAE, G 1/7 Nr. 2). 401 Vgl. Ludwig Berz an Ernst Meier (Augsburg, 4. Februar 1964), UAE, G 1/7 Nr. 2. 402 Ludwig Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes (Manuskript), S. 1–17, hier S. 14, UAE, G 1/7 Nr. 1. 403 Vgl. Franz Reisert: Bayern im Deutschen Widerstand und Franz Sperr (Vortrag, gehalten am 27. Januar 1952 in München), UAE, G 1/7 Nr. 1; vgl. auch Franz Reisert an Gertraud Sperr (23. Dezember 1947), UAE, G 1/7 Nr. 2. 404 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Franz Reisert (Augsburg, 7. April 1949), BayHStA, LEA 1406. 405 Dementsprechend fiel auch die Reaktion der an jenem Gespräch beteiligten Mitverschwörer aus: »Hamm, ein Feuerkopf, hatte bereits eine Proklamation an das deutsche Volk entworfen. Herr Dr. Berz wird sich noch erinnern, daß wir in einer Besprechung etwas erschraken, als er diesen Entwurf aus seiner Brieftasche nahm und ich ihn frug [sic!] – er machte damals auf uns einen besonders erschöpften Eindruck – welche Wirkung er sich wohl davon verspräche, wenn ihn etwa ein Übelbefinden überfiele und die Polizei diesen Aufruf in seiner Brusttasche fände« (Franz Reisert: Bayern im Deutschen Widerstand und Franz Sperr (Vortrag, gehalten am 27. Januar 1952 in München), UAE, G 1/7 Nr. 1, S. 13). Im Schreiben an Gertraud Sperr wird Reiserts Sorge um die Geheimhaltung des »Kreises« wegen der »Leichtsinnigkeit« Hamms noch deutlicher: »Ich war damals etwas besorgt, denn Hamm machte einen körperlich sehr verfallenen Eindruck, unbeschadet seiner geistigen Frische, sodass ich glaubte ihn warnen zu müssen. Ich wies ihn darauf hin, welche Gefahr

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irren ließ und »mit hohem Mut all die Bedenken zu beseitigen verstand«, die er »gestützt auf [s]eine Erfahrungen als politischer Verteidiger« glaubte vortragen zu müssen.406 Das mitgebrachte Schriftstück Hamms sagt, obwohl der Inhalt nicht überliefert ist, dennoch einiges über die Augsburger Gespräche aus. Es verdeutlicht Angaben von Ludwig Berz, der rückblickend betonte, dass diese Besprechungen weniger auf die »gewaltsame[…] Beseitigung des Führers und seines Regimes« abzielten, als vielmehr die zu treffenden Maßnahmen für den sich abzeichnenden Zusammenbruch ins Auge fassten.407 Damit widersprach er auf dem ersten Blick früheren Angaben seines Mitstreiters Franz Reisert. Dieser bestätigte zwar in einer eidesstattlichen Erklärung für Johannes Meier kurz nach Kriegsende, dass er sich schon kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit seinen Augsburger Freunden Berz, Meier und Vogel ins Benehmen gesetzt habe, um die Frage zu erörtern, welche Schritte zu erfolgen hätten, »wenn der erwartete wirtschaftliche Zusammenbruch den baldigen Zusammenbruch auch des Regimes brächte«.408 Im Verlauf des Krieges habe man dann aber Reisert zufolge feststellen müssen, dass sich der wirtschaftliche Zusammenbruch »wider Erwarten hinauszögerte« und man daher zur Organisation eines »aktiven Widerstand[s]« übergegangen sei.409 Dieser Widerstand dürfte jedoch kaum auf die aktive Beteiligung an der Beseitigung des NS-Regimes abgezielt haben.410 Ob neben Reisert, Berz, Meier und Vogel noch weitere Personen zur »Augsburger Gruppe« gehörten, ist durchaus möglich. Meier gab an, dass die Gruppe »in der Hauptsache« aus den genannten Personen bestand. Daraus lässt sich schließen, dass noch andere Personen in Beziehung zur Gruppe standen, aber offenbar keine so bedeutende Rolle gespielt haben. Da auch von den übrigen er, aber auch wir liefen, wenn er beispielsweise einmal einen Ohnmachtsanfall bekäme und derartig kompromittierende Schriftstücke bei ihm gefunden würden« (Franz Reisert an Gertraud Sperr (23. Dezember 1947), UAE, G 1/7 Nr. 2). 406 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Franz Reisert (Augsburg, 7. April 1949), BayHStA, LEA 1406. 407 Ludwig Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes (Manuskript), S. 1–17, hier S. 14, UAE, G 1/7 Nr. 1. 408 Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Franz Reisert (Augsburg, 31. Juli 1945), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406. 409 Ebd. 410 Es stellt sich somit die Frage, was Reisert unter »aktivem Widerstand« verstand und ob dies tatsächlich in Widerspruch zu Berz’ Angaben stand. Offenbar sah Reisert in den Vorbereitungen für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« noch nicht den Übergang zum »aktiven Widerstand« erfolgt. Eigenständige Pläne für eine gewaltsame Beseitigung des NS-Regimes dürften allerdings wohl kaum geschmiedet worden sein. Denn auf solche wäre Reisert ohne Zweifel in seiner Erklärung eingegangen. Es scheint so, als habe Reisert zum einen die Kontaktaufnahme und die Intensivierung der konspirativen Gespräche mit dem Münchener Kern des »Sperr-Kreises«, zum anderen die fast parallel einsetzenden Verhandlungen mit Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« als Übergang zum »aktiven Widerstand« verstanden. Auf die Verbindung zum »Kreisauer Kreis« wird im Kap. VIII.2 ausführlich eingegangen.

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Gruppenmitgliedern keine Namen genannt werden, lassen sich diese heute nicht mehr feststellen. Hingegen wies Meier darauf hin, dass »viele andere Personen« mit ihnen »verkettet« waren, die Gruppen jedoch bewusst – wohl aus Sicherheitsgründen – auf wenige Männer beschränkt blieben. »[N]ur einer kannte jeweils einen Mann der anderen Gruppe«, so Meier.411 So soll auch der mit Reisert seit Jahren befreundete Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött412 zu einer dieser anderen Gruppen gehört haben.413 Nach dem Treffen im September 1943 fanden nur noch höchstens drei weitere Treffen zwischen der »Augsburger Gruppe« und Sperr in Berz’ Wohnung statt, welche im Februar 1944 zerstört wurde. Berz glaubte sich zu erinnern, dass danach noch eine weitere Besprechung bei Sperr in München abgehalten worden sei.414 Über die »Augsburger Gruppe« des »Sperr-Kreises« lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sie bereits eigenständig vor Beginn des Krieges bestand, sich jedoch erst mit Aufnahme der Gespräche mit Sperr und Co. auf konkretere politische Gespräche über eine Zeit »Danach« einließ.415 Der entscheidende Impuls, sich nun nicht mehr auf eine bloße Lagebeurteilung zu beschränken, sondern aktiv an den Planungen für eine Zeit nach dem Nationalsozialismus in Bayern mitzuwirken, ging somit letztlich von Franz Sperr, dessen engen Vertrauten Ernst Meier und Eduard Hamm aus. Wenn auch mit Johannes Meier ein gläubiger Protestant zu der Gruppe zählte, stand sie – im Vergleich zu der vorwiegend dem politischen Liberalismus zuzuordnenden Münchener Gruppe um Sperr, Hamm und Geßler – von ihrer Weltanschauung her in der Tradition des politischen Katholizismus. Darüber hinaus ist zu ihrer Zusammensetzung anzumerken, dass sie über ein hohes Maß an wirtschaftspolitischer Kompetenz verfügte, was wohl einer der Gründe war, warum Eduard Hamm, der Beauftragte 411 Anlage Fragebogen von Johannes Meier, StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406. 412 Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött (1895 Kirchheim–1981 Miesbach), kath., 1914–18 Kriegsteilnahme, Studium der Landwirtschaft an der Universität Hohenheim, Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs seines Vaters, 1939 Einberufung zur Wehrmacht, aufgrund des so genannten »Prinzenerlasses« aus der Wehrmacht ausgeschlossen, 1946 Mitbegründer der CSU in Mindelheim, 1946–48 Mitglied des Kreistags in Mindelheim, ­1949–53 MdB, 1954–62 Mitglied des Bayerischen Landtages (zu Fugger vgl. Faust, Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött, S. 571–588; Löffler, Joseph-Ernst Fugger von Glött, S. 187–196). 413 Anlage Fragebogen von Johannes Meier, StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406. In einem Bericht für den Historiker Eberhard Zeller erwähnte Fugger den »Augsburger Kreis«, zu dem er selbst – wie im Übrigen auch Sperr – gehört habe. Fugger verwandte diesen Begriff also adäquat für den gesammten »Sperr-Kreis«, sah die »Augsburger Gruppe« also nicht als eigenständige Gruppe (vgl. Bericht Fürst Joseph Ernst Fugger von Glötts (o. D.), IFZ, ED 88/1, Bl. 73–75). 414 Vgl. Ludwig Berz an Ernst Meier (Augsburg, 4. Februar 1964), UAE, G 1/7 Nr. 2. 415 Zurückgewiesen werden muss ohnehin jene Sichtweise, die den »Sperr-Kreis« insgesamt als Teil des Augsburger Widerstands bezeichnet (so bei Filser / Sobczyk, Augsburg, S. 614–637, insbes. S. 620 f.).

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der Widerstandsgruppe für Wirtschaftsfragen, sich häufig in Augsburg aufhielt.416 Die Gespräche in diesem Kreis dürften sich entsprechend in erster Linie um wirtschaftspolitische Fragen gedreht haben. Doch beschränkten sich die Aktivitäten der »Augsburger Gruppe« nicht allein auf die Fuggerstadt. Im Auftrag Sperrs warb Berz auch in weiteren schwäbischen Städten Vertrauensleute für die »Auffangbewegung an – so im Februar 1943 den überzeugten Katholiken Felix Brandl, den Berz als Freund der Familie seit Jugendtagen kannte, und der als Regierungsrat ans Landratsamt nach Neuburg a. d. Donau versetzt worden war.417 Brandl sollte »im gegebenen Falle insbesondere mit den Offizieren des Standortes Neuburg in Verbindung treten und entweder [s]einen Amtsvorstand für die Sache zu gewinnen suchen oder selbst die Geschäfte des Landratsamtes in die Hand nehmen«.418 Für den Widerstandskreis noch wichtiger als der durch persönliche Beziehung hergestellte Kontakt zu Brandl, war die Fühlungnahme mit dem Stabszahlmeister bei der Wehrmachtkommandantur Augsburg, Dr. Gregor Weber.419 Bei einer ersten Zusammenkunft420 – wahrscheinlich im Juli 1943 – erhielt Weber neben militärischen Aufgaben421 von Sperr und Ernst Meier den Auftrag, in Zusammenarbeit mit der Gruppe um Berz und Reisert den Widerstand in Augsburg mitzuorganisieren, vor allem jedoch Verbindung mit möglichen Vertrauensleuten im bayerischen Allgäu aufzunehmen, in erster Linie in Kempten, der 416 Über die Kontakte des »Sperr-Kreises« zur Wirtschaft vgl. Kap. VI.2.d. 417 Felix Brandl (1896 in Straubing–1963 in München), kath., Studium der Rechtswissenschaften in München, 1927 Bezirksamtmann in Dingolfing, 1929 RegRat bei der Polizeidirektion Regensburg, 1933 in »Schutzhaft«, 1933 RegRat Bezirksamt Marktoberdorf, 1935 Nachrichtenabteilung München A, ab 1936 Oberleutnant der Abwehr, 1936 RegRat Neuburg a. d. Donau, 1938 stellv. Ausbildungsleiter im Reichsluftschutzbund, 1938 Nachrichtenabteilung 27 Augsburg, 1939 Hauptmann der Landwehr, 1939 4. Funk-Komp. Nachr. Ers. Abt. 10 in Regensburg, 1939/40 2. Funk-Komp. Nachr. 76, 1940 Ortskommandantur 1/653, 1940–42 Feldzeugbatl. 22, 1941 Major der Landwehr, 1942 Feldnachrichtenkommandantur 56, 1943 Heeresentlassungsstelle 4/VII Augsburg, Major der Reserve, seit 1945 Landrat Neuburg a. d. Donau, 1945 stellv. Polizeipräsident von München, 1946 Oberrechtsrat beim Stadtrat München, 1947 MinRat im Bayerischen Staatsministerium des Innern, 1950 MinDir und Leiter der Polizeiabteilung, 1952 Senatspräsident am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, 1961 Versetzung in den Ruhestand (zu Felix Brandl vgl. Personalakt, BayHStA, MInn 83243 sowie sein Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 184: Brandl, Felix). 418 Felix Brandl an die Berufungskammer München (München, 25. Juli 1946), StAM, SpkA K 184: Brandl, Felix; vgl. außerdem die Bestätigung von Ludwig Berz, wonach Brandl »für einen wichtigen Regierungsposten vorgesehen« war (Bestätigung Ludwig Berz (Augsburg, 29. Juli 1946), StAM, SpkA K 184: Brandl, Felix). 419 Vgl. Bestätigung von Ludwig Berz (Augsburg, 29. Juli 1946), StAA, Spk. Kempten Akten W 111. 420 Weber soll später Berz gegenüber berichtet haben, dass Sperr ihn bei seiner Dienststelle in Augsburg aufgesucht, mit ihm einen Spaziergang durch den Siebentischwald gemacht habe und anschließend zu Berz in die Wohnung aufgebrochen sei (vgl. Ludwig Berz an Ernst Meier (Augsburg, 4. Februar 1964), UAE, G 1/7 Nr. 2). 421 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. VI.2.a.

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zweitgrößten Stadt Schwabens. Dort arbeitete Weber im Zivilberuf seit 1923 am städtischen Finanzamt, seit 1941 im Range eines Regierungsrates. In Kempten befand sich sich derweil bereits eine Widerstandszelle in der Entstehungsphase, die sich am »Sperr-Kreis« anlehnte. In Lindenberg im Allgäu hatte sich Otto Geßler nach seinem Ausscheiden aus der Reichspolitik einen Hof gekauft. Das Leben in der Allgäuer Idylle war ihm von seinem einstigen Reichsministerkollegen Anton Fehr empfohlen worden, der gebürtiger Lindenberger war und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft ebenfalls seit 1927 einen Hof besaß. Geßler hatte Fehr frühzeitig über die im Umfeld des Kronprinzen Rupprecht abgehaltenen Besprechungen informiert. Womöglich hatte dieser auch bereits an Treffen in München teilgenommen.422 Zu einem Zeitpunkt, »als die Erkenntnis, daß Deutschland ins Verderben geführt werde und Abwehr not tue, allgemein wurde und weitere Kreise erfaßte«, vermutlich unmittelbar nach Stalingrad, habe Fehr nach eigenen Angaben den »über die Stimmung gut unterrichteten Bauern«, den bereits erwähnten Ökonomierat Jakob Herz-Durach, um Auskunft gebeten, welche Personen aus der Wehrmacht und dem höheren Beamtentum zuverlässig seien.423 Herz habe ihm daraufhin den ohnhin schon mit Hamm und Geßler eng verbundenen Landgerichtspräsidenten von Kempten, Rudolf Flach, genannt sowie den Notar und Oberstleutnant der Reserve, Dr. Hans Schellerer, ins Gespräch gebracht. Mit beiden habe Fehr nach vorheriger Rücksprache mit seiner »Gemeinschaft ›Namenlos‹«424 Kontakt aufgenommen und Feststellungen über deren absolut antinazistische Einstellung gemacht. Auch Weber und Flach waren sich schon länger bekannt. Im Jahr 1940 hatte sie ein gemeinsamer Freund, der Rechtsanwalt Dr. Kaspar Schmid, einander vorgestellt.425 Etwa um die gleiche Zeit, als Fehr an Flach und Schellerer herantrat, 422 Geßler stellte Anton Fehrs Beteiligung an den Widerstandsplanungen des »Sperr-Kreises« später auf eine Stufe mit denjenigen Sperrs, Hamms und seiner eigenen (vgl. Ausführungen von H. Minister a. D. Dr. Geßler anlässlich der Gedenkstunde für Franz Sperr in München am 9. Dezember 1950, BAK, NL Geßler (N 1032) 36 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 164–167, insbesondere S. 166). Winfried Becker ist dieser Darstellung weitgehend gefolgt (vgl. ebd., S. 95f). Allerdings konnten dies noch so detaillierte Recherchen nicht bestätigen. Es scheint vielmehr so, als habe Geßler sich verpflichtet gefühlt, die Rolle Fehrs gleichrangig zu beschreiben, schon allein deshalb, weil er ebenfalls Reichsminister a. D. sowie sein Nachbar und enger Freund war. Über die Funktion eines Vertrauensmannes im Allgäu sowie die eines Experten auf dem Gebiet der Ernährung wuchs Fehr wohl nicht hinaus. Jedenfalls ist im Vergleich zu Sperr und Hamm keine derart intensive Werbetätigkeit bei Fehr feststellbar. 423 Zu den Kontakten des »Sperr-Kreises« zur Bauernschaft vgl. Kap. VI.2.f. 424 Als Männer dieser Gemeinschaft habe Fehr gegenüber Flach und Schellerer die Namen Hamm, Gessler und Dr. Rudolf Decker erwähnt (vgl. Abschrift eines Attests von Anton Fehr (Lindenberg im Allgäu, 8. Januar 1946), BayHStA, MJu 24986), 425 Vgl. Erklärung von Rudolf Flach (Kempten, 7. August 1946) sowie Eidesstattliche Erklärung von Hildegard Schmid (Kempten, 2. Juli 1946), beides StAA, Spk. Kempten Akten W 111. – Der im November 1940 verstorbene Schmid schien ein schwerer Verlust für die Widerstandsbewegung im Allgäu gewesen zu sein: »Wohl kaum ein Mann in Kempten war in Nazi- und Nichtnazikreisen als so scharfer Gegner des Nazismus bekannt wie Rechts-

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scheint auch die »Rekrutierung« Schellerers durch Weber erfolgt zu sein. Auch sie kannten sich bereits »seit vielen Jahren persönlich«. Doch erst im Frühjahr 1943 habe Weber seinem Auftrag entsprechend versucht, Schellerer als »Mitglied und Unterführer« des »Sperr-Kreises« zu gewinnen.426 Dieser will sich hieraufhin sofort zur Übernahme von Aufgaben bereiterklärt haben und verstand sich in der Folgezeit als Leiter der Widerstandsgruppe in Kempten.427 Den Regierungsbezirk Schwaben und insbesondere dessen Hauptstadt Augsburg hatten die Männer um Sperr somit spätestens im Verlauf des Jahres 1943 mit Vertrauensleuten durchdrungen, mit dessen Rückendeckung im Falle eines Umsturzes in Berlin ernsthaft gerechnet werden konnte. Bevor nun auf die Verbindungen in fachlicher und programmatischer Hinsicht näher eingegangen wird, soll zunächst der Ausbreitung der Widerstandsgruppe nach Nürnberg und Franken sowie in weitere Regionen und Städte Bayerns nachgespürt werden. b) Die »Nürnberger Gruppe« und die Ausdehnung des »Sperr-Kreises« in den Regierungsbezirken Mittel- und Oberfranken Im März 1943 erfolgte Fritz Schades Versetzung nach Nürnberg, die für seine weitere Rolle innerhalb des bayerischen Widerstandskreises um Sperr richtungsweisend sein sollte. In der fränkischen Hauptstadt wurde er als Kommandeur der Schutzpolizei zugleich Führer der Revier- und Luftschutzpolizei. Die Ver-

anwalt Dr. Schmid« (Erklärung eines Landgerichtsrats Steinhauser für Rudolf Flach (o. D.), StAA, Spk. Kempten Akten F 155). Die Witwe Hildegard Schmid attestierte Weber, dass die freundschaftliche Beziehung zu ihrem Mann seit 1923 bestanden habe und beide gemeinsam seit 1933 bis zum Tod ihres Mannes »an der Aufrechterhaltung einer gewissen gegnerischen Organisation gearbeitet« haben (Eidesstattliche Erklärung von Hildegard Schmid (Kempten, 2. Juli 1946), StAA, Spk. Kempten Akten W 111). 426 Vgl. Eidesstattliche Bestätigung von Dr. Hans Schellerer (Kempten, 16. August 1946), StAA, Spk. Kempten Akten W 111. – Hans Schellerer (1889 Kempten–?), 1914–18 Kriegsteilnahme, 1916 Oberleutnant, 1931–45 Ehrenvorsitzender der Vereinigung ehem. Angehöriger des 10. Infanterie Regiments, Notar in Kempten, 1928–33 Vorstand der Bezirksgruppe der Notare, 1933 entlassen, bis 1933 für die BVP Stadtrat in Kempten, ab 1933 StahlhelmFührer der Bezirks- und Kreisgruppe Kempten, 1937 Major d. Res., 1943 Oberstleutnant d. Res., nach 1945 Notar in München, 1962 als Notar im Ruhestand zum Ehrenbürger der Stadt Viechtach ernannt (zu Schellerer vgl. dessen Spruchkammerakt StAA, Spk. Kempten Akten SCH 86). 427 Vgl. Bestätigung von Dr. Hans Schellerer (Kempten, 7. Januar 1946), StAA, Spk. Kempten Akten F 155. Die Informationen zu Hans Schellerer sind eher dürftig. Obwohl er an den Gedenkveranstaltungen für Franz Sperr in den 1950er Jahren nicht teilnahm, gibt es keinerlei Hinweise, seinen Angaben zu misstrauen. Da die hier erwähnte »Bestätigung« vor Erscheinen des Artikels »In memoriam Franz Sperr« Ende Januar 1946 abgegeben wurde, lässt sich Schellerers umfangreiches Wissen um den »Sperr-Kreis« hiermit auch nicht erklären. Zumindest eine engere Verbindung zu den »Sperr-Leuten« im Allgäu ist daher zu vermuten.

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setzung kam nicht unerwartet und wurde von Schade sogar vorangetrieben.428 Sperr begrüßte dessen Entscheidung ausdrücklich, hatte er doch damit weniger einen engen Vertrauten in München verloren als einen solchen in Nürnberg gewonnen, dem er es zutraute, in Franken »Verbindung mit geeigneten oppositionellen Persönlichkeiten« aufzunehmen und für die Sache des »Sperr-Kreises« zu gewinnen.429 Sperr forderte Schade folglich auf, sowohl in Kontakt mit der zivilen als auch der militärischen Führung in Nürnberg zu treten sowie Informationen über diese einzuholen.430 Durch seinen langjährigen Freund, den Chefredakteur des Fränkischen ­Kuriers, Dr. Rudolf Kötter431, kam Fritz Schade schon bald nach seiner Versetzung nach Nürnberg mit dem Großkaufmann Gustav Schickedanz432 und 428 Bereits im Herbst 1942 war Schade angedeutet worden, dass er »überfällig sei und irgendwohin versetzt werden sollte«. Schade hatte anschließend befürchtet, dass er möglicherweise in ein besetztes Gebiet versetzt würde. Der Zufall wollte es, dass ihm dann um die Jahreswende 1942/43 bekannt wurde, dass in Nürnberg die Stelle des Kommandeurs der Schutzpolizei frei würde. Schade bat seinen Kameraden des Ersten Weltkrieges, den Höheren SS- und Polizeiführer und Polizeipräsident von Nürnberg, Dr. Benno Martin, sich für ihn zu verwenden – letztlich erfolgreich (Vgl. Anlage zum Verhandlungsprotokoll gegen Dr. Benno Martin (14. Juni 1950), StAM, SpkA K 1123: Martin, Benno). 429 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Fritz Schade (Garmisch-Partenkirchen, 19. Juli 1946), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter. 430 Sperr dachte hierbei offenbar in erster Linie an Informationen über den Oberbürgermeister von Nürnberg Willy Liebel heranzukommen und womöglich den Chef des Stabes des Wehrkommandos XIII, Oberst Viktor Kolbe, der als »scharfer Gegner des Regimes« galt, für den »Sperr-Kreis« zu gewinnen (vgl. Erklärung von Gertraud Sperr (10. Februar 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz; Verteidigungsschrift Schade (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 1–7, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 431 Rudolf Kötter (1893–1964), 1919 Eintritt in die Redaktion des »Fränkischen Kuriers«, Mitglied des antirepublikanischen und monarchistischen Wehrverbandes »Reichsflagge«, 1932–1944 Chefredakteur des »Fränkischen Kuriers«, hierbei 1932/33 durch die antirepublikanische Ausrichtung der Zeitung einflussreich auf die bürgerlich-nationalkonservative Haltung der Nürnberger Bevölkerung gegenüber der NSDAP, nach 1945 zeitungswissenschaftlicher Lehrauftrag an der Universität Erlangen, nach 1951 Chefkorrespondent und Leitartikler der »Nürnberger Zeitung« (zu Kötters Tätigkeit als Chefredakteur des »Fränkischen Kuriers« vgl. Dittrich, Pressegeschichtliche Aspekte, insbes. S. 34–37, S. 208 u. 241). 432 Über die Haltung des »Quelle«-Gründers Gustav Schickedanz (1895 in Fürth–1977 ebd.) im »Dritten Reich« versucht seit kurzem eine Biographie aus der Feder Gregor Schöllgens grundlegend Auskunft zu geben. Schickedanz, der seit 1932 Mitglied der NSDAP und ab 1935 Mitglied des Fürther Stadtrats war, wird hierin bescheinigt, die Umstände der Zeit kaum für den eigenen Unternehmensgewinn ausgenutzt zu haben. Dies gelte insbesondere für die Arisierungen jüdischer Unternehmen, an denen er sich nicht oder zumindest nicht mit Vorsatz beteiligt habe (vgl. Schöllgen, Gustav Schickedanz). Dagegen haben frühere Beiträge gezeigt, dass Schickedanz den Wert seines Unternehmens im »Dritten Reich« deutlich ausbauen konnte und sich sehr wohl aktiv an Arisierungen beteiligte (vgl. Berghoff / RauhKühne, Fritz K., insbes. Kap. 6: »Kiehn und Gustav Schickedanz im Arisierungswettlauf«; D. Ziegler, Dresdner Bank, S. 198–201; Zinke, Gustav Schickedanz, S. 63–80). Schickedanz scheint in der Tat ein Nutznießer des NS-Regimes gewesen zu sein. Gleichsam legte er eine

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durch diesen wiederum mit dem Leiter des Landeswirtschaftsamtes Fürth und ehemaligem BVP-Reichstagsabgeordneten Dr. Otto Graf433 zusammen.434 Zwischen Kötter und Schickedanz sollen schon vor Kriegsausbruch »zwanglose […] Zusammenkünfte« stattgefunden haben, denen des Öfteren auch der Nürnberger Polizeipräsident Dr. Benno Martin, Schades ehemaliger Kriegskamerad und späterer Vorgesetzter, beigewohnt habe.435 Ende 1942 sei dann durch Hinzuziehung Grafs, im Frühjahr 1944 durch die des Oberfinanzpräsidenten Professor Dr. Hans Rauch436 eine Erweiterung dieses Kreises erfolgt. Graf und

opportunistische Einstellung an den Tag: Solange für sein Unternehmen die Umstände günstig schienen, hielt er dem Regime die Treue. Er dürfte mit Beginn des Krieges, was seine im Folgenden dargestellte angeblich frühe Widerstandshaltung anging, allenfalls zweigleisig gefahren sein. Möglicherweise setzte ein grundlegender Wandel seiner Einstellung ein, als im August 1943 sein Unternehmen bei einem alliierten Luftangriff komplett zerstört wurde und von da an lediglich ein Notbetrieb organisiert werden konnte. Das Ende vor Augen hat er sich möglicherweise intensiver mit einer Zeit nach Hitler beschäftigt. 433 Otto Graf (1894 Ludwigshafen–1953 Bonn), kath., Studium der Rechtswissenschaften in München, Würzburg und Heidelberg, Dr. jur. et. rer. pol., 1914–18 Kriegsteilnahme als Leutnant der Reserve des 2. bayerischen Pionierbataillons, nach 1918 Mitglied der BVP, mit Edgar Julius Jung befreundet, 1924 Beteiligung am Attentat auf Franz-Josef Heinz (Orbis) in Speyer, Gauführer der »Bayernwacht« in der Oberpfalz, 1927–32 Bezirksamtmann in Amberg, 1932/33 MdR, 1932–36 Regierungsrat bei der Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz, 1933 in »Schutzhaft« genommen, seit 1935 Mitglied der NSDAP und Mitarbeiter im Stab des NSDAP-Ortsgruppenleiters Fürth-Ost, 1936 RegRat im Bayerischen Wirtschaftsministerium, 1936–38 ORegRat und Leiter der Außenstelle des Reichswirtschaftsministeriums Nürnberg-Fürth, ab 1938 RegDir der Abteilung für Wehrwirtschaft für den Wirtschaftsbezirk XIII in Fürth, seit Juni 1942 Leitender RegDir im Landeswirtschaftsamt Fürth, Führungsstab Wirtschaft, 1945 an der kampflosen Übergabe Fürths beteiligt, 1945 Landrat des Kreises Fürth, Mitglied der CSU, 1947/48 Präsident des Bayerischen Landeswirtschaftsamts, 1949–53 Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium und an der Verwirklichung des Schuman-Planes führend beteiligt (vgl. seinen Personalakt, BayHStA, MInn 83678; Löffler, Soziale Marktwirtschaft, insbes. S. 104–110). 434 Es soll im Folgenden verdeutlicht werden, dass diese so genannte »Nürnberger Gruppe« bereits vor Schades Versetzung nach Nürnberg teilweise existierte, sich nach seiner Versetzung im Verlauf des Jahres 1943 weiterentwickelte und nicht erst – wie kürzlich geschrieben – nach dem 20. Juli 1944 entstand (so bei Diem, Freiheitsaktion, S. 111–114, hier S. 111, insbes. Anm. 455). Die von Diem unter Berufung auf eine Eidesstattliche Erklärung Schades erwähnte »Zäsur« steht hierzu nicht in Widerspruch. Nach dem 20. Juli 1944 scheinen sich die Treffen der Gruppe tatsächlich gehäuft zu haben. 435 »Kurze Skizze über die Widerstandsgruppe Nürnberg-Fürth« (o. Verf. u. D.), IfZ, ZS / A 4/3, Bl. 31–33, hier Bl. 31. 436 Hans Rauch (1885 Amberg–1963 Heiden / Schweiz), kath., Studium der Naturwissenschaft, Landwirtschaft und Volkswirtschaft in München und Jena, 1914–16 Kriegsteilnehmer, 1917–33 Mitglied des Bayerischen Landtags für die BVP, 1917 Leiter der Bayerischen Landesbuchstelle in Weihenstephan, 1918 Ernennung zum Professor in Weihenstephan (ohne vorherige Promotion), seit 1921 MinRat, Generalreferent für Buch- und Betriebsprüfung im Reichsfinanzministerium, ab 1923 am Landesfinanzamt München, ab 1939 MinRat am Reichsfinanzhof in München, 1940–44 Mitglied der NSDAP, 1941 Finanzpräsident und

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Rauch verband seit langem ihr ambivalentes Verhältnis zum NS-Regime.437 Das Zustandekommen dieser »Nürnberger Gruppe« sowie Sinn und Zweck des Zusammenseins beschrieben zwei Beteiligte nach 1945 wie folgt: »Die Beteiligten waren jeder für sich längst widerstandsmäßig tätig und zwar jeweils auf eigenen Gleisen, sodaß der Sinn dieser so zusammenkommenden Widerstandsgruppe in der Hauptsache war, daß sie durch Austausch von wichtigen Nachrichten und gegenseitige Unterstützung die Tätigkeit des jeweils Einzelnen förderten.«438 Die nachträgliche Selbstbezeichnung der damaligen Aktivitäten als Widerstand ist klar auf den Entstehungskontext dieser Aussage zurückzuführen. Dass ein Teil dieser Gruppe jedoch gleichzeitig in die verbrecherischen Aktivitäten des NS-Regimes zumindest verwickelt, wenn nicht sogar an diesen beteiligt war, verschwiegen die Autoren dieses für die Entlastung aller Mitglieder der Gruppe bestimmten Manuskripts. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Schade als Vertrauensmann des »SperrKreises« in Nürnberg nicht bei Null anfangen, sondern auf bereits bestehende Kapazitäten und Informationsquellen zurückgreifen konnte. Schade hätte nach erfolgtem Zusammenbruch sehr wohl auf diesen Personenkreis, der offenbar weitestgehend sein Vertrauen genoss, zurückgreifen können. Denn obwohl aus dieser Gruppe nur Schade unmittelbar mit Sperr in Kontakt zu stehen Leiter der Abteilung II (Steuern) des Oberfinanzpräsidenten München, 1944/45 geschäftsführend Oberfinanzpräsident in Nürnberg, nach 1945 zeitweise Oberfinanzpräsident in Nürnberg und München, Generalbevollmächtigter der Herzoglichen Verwaltung in Tegernsee, seit 1948 Landestreuhänder für die Erfassung des ehemaligen Reichsnährstandsvermögens in Bayern (vgl. Lilla, Der Bayerische Landtag, Nr. 444 sowie Rauchs Spruchkammerakte, StAM, SpkA K 3405: Rauch, Hans). – Bereits im Januar 1944 hatte Rauch auf einer Schweizreise Schickedanz kennengelernt. Damals wie auch bei späteren Reisen in die Schweiz war Rauch nach eigenen Angaben unter anderem mit Exilanten wie dem Reichskanzler a. D. Joseph Wirth und Wilhelm Hoegner zusammengetroffen (vgl. Zeugenaussage Hans Rauch. Anlage zum Verhandlungsprotokoll gegen Dr. Benno Martin (14. Juni 1950), StAM, SpkA K 1123: Martin, Benno). Ziel dieser Auslandsreisen von Schickedanz und Rauch sei es gegen Ende des Krieges gewesen, eine »Persönlichkeit von Format« ausfindig zu machen, die eine Zusammenfassung aller Widerstandswilligen in Deutschland durch Radiopropaganda vom Ausland her erreichen konnte (»Der Fränkische Widerstandskreis« von Dr. Otto Graf und Dr. Rudolf Kötter (Nürnberg, 4. Mai 1947), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 437 Sowohl Hans Rauch als auch Otto Graf werden in der jüngeren Forschungsliteratur kritisch gesehen. Rauch habe als Leiter der Steuerabteilung im Münchener Oberfinanzpräsidium bei der Enteignung kirchlicher und jüdischer Vermögenswerte unterschiedliche Maßstäbe angelegt und sich womöglich bereichert (vgl. Kuller, Bürokratie, S. 413 f.). Als Hospitant der NSDAP-Reichstagsfraktion 1933 war Graf zwar früh aufgrund von Hitler-kritischen Äußerungen entlassen worden; seine anschließende Karriere in verschiedenen fränkischen Wirtschaftsbehörden wurde hierdurch jedoch nicht gefährdet. Sein Eintritt in die NSDAP 1937 und sein Engagement in verschiedenen NSDAP-Ortsgruppen dürften ihm hierbei zugute gekommen sein (vgl. Löffler, Soziale Marktwirtschaft, S. 187). 438 »Der Fränkische Widerstandskreis« von Dr. Otto Graf und Dr. Rudolf Kötter (Nürnberg, 4. Mai 1947), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz.

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schien439, wussten die Übrigen – ausgenommen Schades Vorgesetzter Martin – genauestens über dessen Rolle im »Sperr-Kreis« Bescheid.440 Ihrer stillschweigenden Zustimmung zu dessen Vorbereitungen einer Zeit »Danach« könnte man entnehmen, dass sie im Falle eines Zusammenbruchs, sich der Widerstandsgruppe um Sperr zur Verfügung gestellt hätten; um so mehr noch, als es auch gemeinsames Ziel dieser »Nürnberger Gruppe« gewesen sei, »Maßnahmen zu treffen, um nach einem verlorenen Kriege, der uns von Anfang an verloren schien, möglichst viel menschliche und wirtschaftliche Substanzen in den Frieden rüber zu retten«.441 Einstweilen diente die »Nürnberger Gruppe« Fritz Schade und damit dem Widerstandskreis um Sperr vorwiegend als wichtiger Informationspool: »Es handelte sich um eine Verschwörung ernsthaften Charakters, in der fast alle Sachgebiete durch Kapazitäten vertreten waren.«442 Schade seinerseits informierte seine Gesprächsteilnehmer »über die pol. Erfahrungen und wahren Erlebnisse des Luftkrieges«, während Kötter die geheimen Unterrichtungen und Weisungen von Goebbels Reichspropagandaministerium mitbrachte, »die oft in krassem Gegensatz zu den sonstigen Verlautbarungen standen«. Graf berichtete regelmäßig von seinen Erfahrungen als Leiter des Landeswirtschaftsamts Fürth, dabei vor allem von Auseinandersetzungen mit Parteidienststellen. Des Weiteren versorgte er den Kreis mit wichtigen und neuesten Informationen über die Kriegs- und Rüstungsproduktion, Versorgung der Bevölkerung und wirtschaftlichen Reserven. Außerdem hielt er, als ehemaliger Mandatsträger der BVP, den Kontakt zu seinem alten Wahlkreis aufrecht, wodurch er vieles über 439 Daher führen auch die in den 1950er Jahren im Rahmen der Gedenkveranstaltungen für Franz Sperr durch Ernst Meier erstellten »Mitgliederlisten« des Widerstandskreises in die Irre. Dort wurden die erwähnten Personen gleichrangig tabellarisch aufgelistet, dabei jedoch der Beziehungsgrad zum »Sperr-Kreis« nicht berücksichtigt. Aus der »Nürnberger Gruppe« tauchten hier Fritz Schade und Otto Graf auf. Dabei kam jedoch weder die herausragende Rolle, die Schade für Sperr in Nürnberg einnahm, zum Ausdruck, noch wurde deutlich, dass Graf lediglich über Schade über die Existenz des Kreises informiert war. 440 Vgl. Anlage zum Verhandlungsprotokoll gegen Dr. Benno Martin (14. Juni 1950), StAM, SpkA K 1123: Martin, Benno. Dass er Martin im Unwissen ließ, begründete Schade mit dem Argument, das ihm von Otto Graf auf seine Frage, ob er Matin »reinen Wein einschenken« solle, vorgebracht wurde, dass man »seinen Vorgesetzten nicht unnötig belasten« solle (ebd.). Angesichts der Tatsache, dass Schade ansonsten alle anderen, sogar den erst 1944 zur Gruppe stoßenden Hans Rauch einweihte, liegt die Vermutung allerdings nahe, dass Schade Benno Martin doch nicht uneingeschränkt vertraute, was er jedoch vor der Spruchkammer zugunsten des Angeklagten verschwieg. 441 Zeugenaussage Otto Graf. Anlage zum Verhandlungsprotokoll gegen Dr. Benno Martin (19. Juni 1950), StAM, SpkA K 1123: Martin, Benno. 442 »Kurze Skizze über die Widerstandsgruppe Nürnberg-Fürth« (o. Verf. u. D.), IfZ, ZS / A 4/3, Bl. 31–33, hier Bl. 31 f. Da der Wortlaut dieses Berichts sich mit dem im Spruchkammerakt Schades befindlichen Manuskript »Der fränkische Widerstandskreis« in weiten Teilen ähnelt, kommen als Autoren ebenfalls Otto Graf und Rudolf Kötter in Frage. Als Entstehungszeitraum wird aus den gleichen Gründen das Ende der 1940er Jahre vermutet. Aus dieser »Skizze« stammen auch die übrigen Informationen dieses Absatzes.

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die Stimmung vor Ort zu berichten wusste. Ebenfalls wertvolle Informationen sollen Schickedanz, Rauch und sogar Martin beigesteuert haben: Während der Unternehmer Schickedanz Nachrichten aus seinem großen Bekanntenkreis in führenden Kreisen der Wirtschaft, ebenso die Ergebnisse seines Konsulats und seiner Arbeit mit Ausländern vortrug, konnte Rauch von seinen engen Kontakt zum Klerus und zu weiten Kreisen der Steuerzahler Einzelheiten übermitteln. Die Zusammensetzung der »Nürnberger Gruppe« drängt allerdings die Frage auf nach der Glaubwürdigkeit der Angaben ihrer Mitglieder in Bezug auf ihre tatsächliche Haltung im »Dritten Reich«. Neben Gustav Schickedanz zeigt noch wesentlich deutlicher das Beispiel Benno Martin, »Himmlers Mann in Nürnberg«443, welch zwiespältige, nahezu paradoxe Charakterzüge sich in den Jahren zwischen 1933 und 1945 herausbilden konnten. Martin, der mit den Oberen der Stadt Nürnberg ein Verhältnis »ohne größere dauerhafte Spannungen« pflegte und maßgeblich für die Deportation der Nürnberger Juden in die Vernichtungslager im Osten verantwortlich war444, konnte offenbar gleichzeitig an konspirativen Besprechungen mit langjährigen Weggefährten und Freunden teilnehmen, ohne dass er dabei in einen Gewissenskonflikt oder – aus seiner Sicht – in einen Konflikt mit seiner Dienstpflicht geriet. Sein Beispiel zeigt zugleich, dass man es sich im »Dritten Reich« oft nicht aussuchen konnte, mit wem man zu einem bestimmten Zweck befreundet sein sollte und mit wem aus Überzeugung befreundet bleiben wollte. Martins Persönlichkeit war etwa einem Fritz Schade von früher her bekannt, was ein Grund dafür war, warum er, als seine Versetzung nach Nürnberg anstand, unbedingt zu diesem wollte.445 Martins kritische Einstellung gegenüber dem Gauleiter Julius Streicher hatte diese Haltung aus Sicht der Gruppe bestätigt. Allein deshalb genoss Martin bereits »ein großes persönliches Vertrauen«.446 Der Kontakt zu ihm diente einerseits dem Schutz 443 So der Titel der oben genannten Martin-Biographie von Grieser. 444 Vgl. zur Zusammenarbeit Martins mit dem Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel Braun, Willy Liebel, S. 623–625, hier S. 623. Bis 1938 setzte Martin die staatliche Gewalt durch und unterband daher Angriffe gegen die Juden (vgl. ebd., S. 673). Eine Affäre um unlautere Geschäfte wollten Martin und Liebel nutzen, um den Gauleiter Streicher loszuwerden (vgl. ebd., S. 696). Er unternahm eigenständig Versuche, Streicher durch Flugblätter und weitere anonyme Schriften zu belasten (vgl. ebd., S. 707). Nach Streichers Verschwinden entstand ein »Dualismus« zwischen Liebel und Martin (ebd., S. 747). Gleichzeitig stieg Martins Anteil an den gegen die Juden gerichteten Unrechtsmaßnahmen. Er entschied mit über Enteignungen (vgl. ebd., S. 782), und führte die Deportationen im Zusammenspiel mit Liebel durch (vgl. ebd., S. 786). 445 Vgl. Anlage zum Verhandlungsprotokoll gegen Dr. Benno Martin (14. Juni 1950), StAM, SpkA K 1123: Martin, Benno. 446 »Kurze Skizze über die Widerstandsgruppe Nürnberg-Fürth« (o. Verf. u. D.), IfZ, ZS / A 4/3, Bl. 31–33, hier Bl. 32. – Walter Ziegler stellte hierzu sogar unlängst die Frage, ob es im Sinne der Widerstandsforschung sein könne, von zu statischen Fronten zwischen NS-Gegnern und NS-Befürwortern bzw. Führern auszugehen. Hierzu führte er auch das Beispiel Benno Martin an und wies auf dessen Kontakte zu Streicher-Gegnern hin und plädierte in diesem Zusammenhang für eine intensivere Betrachtung der Herrschaftsseite (vgl.

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der Gruppe vor Überwachung. Andererseits gelangte man über ihn an geheime Informationen des Reichssicherheitshauptamtes, die für die konspirativen Besprechungen gewinnbringend genutzt werden konnten. Schade dürfte versucht haben, über Martin an Informationen über den Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel heranzukommen.447 Doch wie weit ging die Einbeziehung eines Mannes wie Benno Martin und wie nahm man dessen Rolle in Nürnberg wahr? Versuchte man das gute Verhältnis zu ihm eventuell zu nutzten, um Einfluss auf seine bzw. die Entscheidungen der Partei und der SS zu gewinnen? In der Tat fanden derartige Versuche statt: Mehrfach will die Gruppe versucht haben, Martin dazu zu bringen, im Falle des Vorrückens der Amerikaner, spätestens mit Erreichen der bayerischen Grenze, die drei Gauleiter in Nordbayern448 zu verhaften und das Gebiet geschlossen den Amerikanern zu übergeben, »um auf beiden Seiten Blut und außerdem weitere Zerstörungen zu ersparen.«449 Martin habe sich jedoch stets geweigert450 und sogar eine passende Gelegenheit verpasst, die ihm Otto Graf später gebo­ten habe.451 Im Nachhinein wurde dessen damalige Begründung hierfür als menschlich verständlich dargestellt.452 Dennoch dürfte Martins damalige Haltung die übrigen Gruppenmitglieder frustriert haben und für Aufgaben nach Zusammenbruch W. Ziegler, Widerstandsforschung in Bayern, S. 280 f.). Zieglers Einwurf kommt sicherlich nicht zu unrecht, doch darf insbesondere bei einem Mann wie Benno Martin nicht verkannt werden, dass es sich bei seiner partiellen Gegnerschaft nicht um eine grundsätzliche Distanz zum Nationalsozialismus, sondern in erster Linie um Kompetenzstreitigkeiten und Machtansprüche in Nürnberg handelte, die ihn zu einem Gegner von Gauleiter Streicher werden und ihn gemeinsam mit Oberbürgermeister Liebel den Sturz des Gauleiters betreiben ließen (vgl. hierzu Kuller / Drecoll, Inszenierter Volkszorn, S. 77–101). 447 Hiermit war Schade zumindest von Sperr nach seiner Versetzung nach Nürnberg beauftragt worden (vgl. Erklärung von Gertraud Sperr (10. Februar 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 448 Es handelte sich um die Gauleiter Otto Helmuth (Mainfranken), Karl Holz (Franken) und Fritz Wächtler (Bayerische Ostmark). 449 »Kurze Skizze über die Widerstandsgruppe Nürnberg-Fürth« (o. Verf. u. D.), IfZ, ZS / A 4/3, Bl. 31–33, hier Bl. 33. 450 Gegenüber Hans Rauch soll er auf dessen Drängen hin bemerkt haben: »Wenn diese Aussprache Herr Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs hören würde, würden wir beide gehängt werden« (Erläuterungen zum Meldebogen von Hans Rauch (20. Mai 1946), StAM, SpkA K 3405: Rauch, Hans). 451 Graf habe Anfang März 1945 offiziell den Antrag gestellt, einen regionalen Kreisleiter »wegen Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen des LWA und wegen Plünderungen zu verhaften«. Schickedanz habe daraufhin auf Martin eingeredet, dem Antrag nachzukommen. Man habe auf diese Weise versuchen wollen, eine offene Eskalation zwischen Partei und SS zu provozieren, in deren Verlauf auch ein Einschreiten gegen den Gauleiter Wächtler hätte erfolgen können (»Kurze Skizze über die Widerstandsgruppe Nürnberg-Fürth« (o. Verf. u. D.), IfZ, ZS / A 4/3, Bl. 31–33, hier Bl. 33). 452 Martin habe »zum Teil aus Sorge um das Leben seines einzigen Sohnes (Sippenhaft), z. Teil weil es ihm später wohl an Vollzugskräften gebrach, z. Teil auch weil bürokratische Hemmungen gesehen wurden, die Gelegenheit dazu versäumt« (»Kurze Skizze über die Widerstandsgruppe Nürnberg-Fürth« (o. Verf. u. D.), IfZ, ZS / A 4/3, Bl. 31–33, hier Bl. 33).

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des NS-Regimes disqualifiziert haben.453 Nicht ohne Grund weihte man Martin nicht in die Aktivitäten des »Sperr-Kreises« ein454, und nicht ohne Grund erhielt Fritz Schade von Sperr den Auftrag, unmittelbar nach erfolgtem Sturz des NS-Regimes zunächst selbst die Besetzung der Stelle des Polizeipräsidenten sicherzustellen. Erst anschließend sollte Schade die Stelle des Regierungspräsidentenpostens in Ansbach kommissarisch übernehmen, bevor ihn Sperr wieder nach München zurückgeholt hätte.455 Neben der Beteiligung an den Gesprächen dieser »Nürnberger Gruppe«, die für Schade sowohl wichtige Informationen als auch Kontakte zu möglichen Kandidaten für eine Zeit »Danach« bereithielt, versuchte Schade, weitere Verbindungen in Nürnberg zu knüpfen. Die ihm von Sperr aufgetragene Kontaktaufnahme mit dem erst im Januar 1943 zum Chef des Stabes des Wehrkommandos XIII ernannten Oberst Viktor Kolbe, erfolgte bereits kurz nach seinem Umzug nach Nürnberg. Beide tauschten des Öfteren unter vier Augen ihre Gedanken aus. Dies ging bis zum 20. Juli 1944, in dessen Zusammenhang Kolbe eine wichtige Rolle in Nürnberg spielte und auch die Konsequenzen zu spüren bekam.456 Neben München stellte Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage, die wichtigste Großstadt Bayerns dar, wo es für die Widerstandsgruppe Fuß zu fassen galt, um das gesetzte Ziel, anarchische Verhältnisse nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands zu verhindern, erreichen zu können. Mehr noch als in München erwies es sich dort jedoch als äußerst schwierig, in den von der Partei tief durchdrungenen Verwaltungsstrukturen Anknüpfungspunkte zu finden. Der letzte Oberbürgermeister der Stadt und Nachfolger Otto Geßlers, der DDPPolitiker Dr. Hermann Luppe, wurde bereits im März 1933 aus dem Amt gejagt und hatte Nürnberg verlassen müssen. Er wäre jedoch ohnehin – im Gegensatz zu Karl Scharnagl in München – aus Sicht Otto Geßlers nicht für die Rückkehr ins Amt in Frage gekommen; dies jedoch weniger aufgrund seiner Haltung zum NS-Regime als aufgrund seiner persönlichen Charaktereigenschaften.457 Mit 453 Die späteren positiven Zeugenaussagen für Martin dürften daher in erster Linie ein Ausdruck der Dankbarkeit für den während der NS-Zeit gewährten Schutz der Gruppe sowie für die mit manchen Mitgliedern bestehende, langjährige persönliche Freundschaft gewesen sein als eine Folge seiner tatsächlichen Unterstützung des Widerstandes. Martins Verurteilung zu drei Jahren Haft folgten wiederholt Revisionen, die tatsächlich erfolgreich sein sollten (vgl. zu den »Martin-Prozessen« in der frühen Bundesrepublik und den Bewertungsstreitigkeiten von Justiz und Staat in diesem Zusammenhang Eichmüller, Generalamnestie, S. 412–417). 454 Vgl. die Aussage Schades in der Anlage zum Verhandlungsprotokoll gegen Dr. Benno Martin (14. Juni 1950), StAM, SpkA K 1123: Martin, Benno. 455 Verteidigungsschrift Schade (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), S. 1–7, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. 456 Vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 382. 457 Insbesondere Geßler hielt nicht allzu viel von seinem früheren Parteigenossen und Nachfolger im Amt des Oberbürgermeisters von Nürnberg. Luppe sei zwar ein »tüchtiger, energischer Verwaltungsbeamter« gewesen, jedoch gleichzeitig ein »aufgeregter Doktrinär mit starkem Selbstbewußtsein« und »diktatorische[n] Manieren«. Diese hatten sich laut Geßler

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dem Gauleiter Julius Streicher kamen die wenigsten NS-Größen in Nürnberg und Mittelfranken aus – so auch die führenden Köpfe in Politik, Verwaltung und Polizei, wie etwa der Oberbürgermeister Willy Liebel, und die Polizeipräsidenten Benno Martin und Otto Kuschow. Dies führte dazu, dass man sich zunächst offenbar innerhalb des »Sperr-Kreises« Gedanken machte, den Hebel bei den Streicher-Gegnern anzusetzen und diese für den Widerstand zu gewinnen. Im Herbst und Winter 1943/44 wurden wahrscheinlich durch Schade die Information an die Führungsriege des Widerstandskreises herangetragen, dass sowohl Liebel als auch Kuschow zu sehr in die nationalsozialistischen Unrechtstaten verstrickt waren, als dass sie in den Überlegungen zur Schaffung einer »Auffangorganisation« eine Rolle spielen konnten. Dies dürfte die Männer um Sperr zwar nicht überrascht haben, stellte sie jedoch vor Personalprobleme hinsichtlich der Vorbereitungen für ein postnationalsozialistisches Nürnberg.458 Geßler, der mit den Verwaltungsstrukturen der mittelfränkischen Großstadt und seinem Personal auch nach 25 Jahren Abwesenheit offenbar immer noch vertraut war, versuchte daher, den Kontakt zum 2. Bürgermeister von Nürnberg, Dr. Walter Eickemeyer459, wieder aufzufrischen.460 Nach wiederholten Einladungen erfolgte im Frühjahr 1944 in München ein Treffen, bei dem Geßler seinem früheren Mitarbeiter in der Nürnberger Stadtverwaltung seine Auffassungen über die politische Lage mitteilte. Gleich zu Beginn des Gesprächs besonders dadurch gezeigt, dass Luppe »jede Meinungsverschiedenheit […] persönlich« genommen und »deshalb überall ›Krach‹« gehabt habe. Insgesamt sei Luppe »ein Demokrat« gewesen, »der keinen Widerspruch vertragen konnte« (Otto Geßler an Walter Eickemeyer (Lindenberg im Allgäu, 12. August 1947), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter). 458 Vgl. Eidesstattliche Versicherung von Otto Geßler (Lindenberg im Allgäu, 9. August 1946), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter. 459 Walter Eickemeyer (1886 München–1959 Prien am Chiemsee), ev. (ausgetreten 1936), Studium der Staatswissenschaften in Tübingen, Promotion in Tübingen, seit 1920 Stadtrat in Nürnberg, 1921–32 Mitglied der DDP / DStP, Stadtkämmerer von Nürnberg, vor 1933 zunächst kommissarischer Stellv. des Ersten Bürgermeisters, 1933 Übernahme der Verantwortung und Vorsitz im Verwaltungsrat der städtischen Handelshochschule, 1933 gewählter 2. Bürgermeister von Nürnberg, 1933 Beitritt zur NSDAP, 1933 Gauamtsleiter für Kommunalpolitik, 1937 Vorstand der Landesdienststelle Bayern des Deutschen Gemeindetags, nach 1945 im Internierungslager Moosburg inhaftiert, 1948 von der LagerSpruchkammer Moosburg als Minderbelasteter, 1949 von der Berufungskammer Nürnberg zum »Mitläufer« erklärt, lebte seitdem von seiner Beamtenpension (zu Eickemeyer vgl. StadtAN, Personalakt: C 18/II, Nr. 1754; Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter). 460 Bereits im Mai 1914 hatte Gessler in seiner damaligen Funktion als Oberbürgermeister von Nürnberg den Antrag gestellt, Dr. Walter Eickemeyer als Hilfsarbeiter für das Finanzreferat zu engagieren (vgl. Antrag Geßler (Nürnberg, 5. Mai 1914), StadtAN, C 18/II, 1754). Im April 1917 beschloss der Personalausschuss des Magistrats von Nürnberg unter dem Vorsitz von Otto Geßler einstimmig, Eickemeyer in den ständigen Dienst der Stadt aufzunehmen, weil er sich »während seiner bisherigen Dienstzeit in allen ihm übertragenen Stellen auf das allerbeste bewährt« habe (Gutachten des Personausschusses (Nürnberg, 4. April 1917), StadtAN, C 18/II, 1754).

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habe Geßler nach eigenen Angaben erklärt, »dass der Krieg möglicherweise verloren sei und deshalb auch örtlich für Nürnberg Vorkehrungen getroffen werden müssten, um beim Zusammenbruch die Stadt vor dem Schlimmsten zu bewahren«.461 Außerdem habe Geßler seinem Gesprächspartner gegenüber durchblicken lassen, dass man ihn dann für gewisse Aufgaben in Nürnberg nach Zusammenbruch des NS-Regimes vorsehe.462 Er habe für seine Auffassung bei Eickemeyer »volles Verständnis« gefunden, weshalb Geßler kurz darauf Sperr vorschlug, seinen Nürnberger Vertrauensmann Schade mit Eickemeyer in Kontakt treten zu lassen.463 Schade musste allerdings später im Spruchkammerverfahren gegen Eickemeyer angeben, dass er »in der Folgezeit keine Gelegenheit gehabt« habe, mit Eickemeyer in Kontakt zu treten, weil er dienstlich einfach zu wenig mit ihm zu tun hatte. Daher sei der Plan, ihn für die Widerstandsgruppe zu gewinnen, »nicht zur Ausführung gekommen«464. Dennoch dürfte dies nichts an der Tatsache geändert haben, dass Sperr und Geßler Eickemeyer im Falle des Zusammenbruchs des NS-Regimes zumindest als einen Kandidaten für den Oberbürgermeisterposten in Nürnberg in Betracht zogen. Ob sie dabei vollends über die Involvierung Eickemeyers in die NS-Verbrechen in Nürnberg im Bilde waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Offenbar überwog das persönliche Vertrauensverhältnis, das Geßler mit Eickemeyer verbunden hatte.465

461 Eidesstattliche Versicherung von Otto Geßler (Lindenberg im Allgäu, 9. August 1946), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter. 462 Vgl. ebd. Obwohl Geßler keine Angaben über die vorgesehene Verwendung Eickemeyers macht, liegt es auf der Hand, dass man ihn als neuen Oberbürgermeister von Nürnberg im Blick hatte. 463 Ebd. 464 Die hier von Schade vorgenommene strenge Trennung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern der Widerstandsbewegung verdeutlicht, dass Schade nicht willkürlich so genannte »Persilscheine« verteilte, obwohl er offenbar keinen Groll gegenüber Eickemeyer hegte, ihn vielmehr aufgrund verschiedener gemeinsamer Anlässe als »leidenschaftliche[n] Gegner« des NS-Regimes bezeichnete (Eidesstattliche Erklärung von Dr. Fritz Schade (GarmischPartenkirchen, 19. Juli 1946), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter). Diese Tatsache verstärkt in besonderem Maße die Glaubwürdigkeit seiner nach 1945 gemachten Zeugenaussagen und abgegebenen Eidesstattlichen Erklärungen. 465 Zudem scheint Eickemeyer in gewisser Weise ein Wendehals gewesen zu sein. Der LiebelBiograph Braun skizziert von Eickemeyer das Bild eines Opportunisten, der ebenso wie Liebel in die NS-Verbrechen in Nürnberg involviert war. Mit Liebel geriet der Stadtkämmerer Eickemeyer demnach zwar über Fragen der städtischen Finanzen bereits vor 1933 aneinander (vgl. Braun, Willy Liebel, S. 271 f., S. 316 u. S. 422 Anm. 260). Dagegen sprach Gauleiter Julius Streicher Eickemeyer, der als Nicht-Parteimitglied 2. Bürgermeister von Nürnberg blieb, das Vertrauen aus und verband damit die Hoffnung, dass dieser demnächst den Weg zur Partei finden werde (vgl. ebd., S. 402). Die einstimmige Wahl des parteilosen Eickemeyers 1933 »spiegelte zum einen die fortgesetzte parteiübergreifende Anerkennung des Stadtkämmerers wider, als auch die letztlich falsche Hoffnung, daß dieser die neuen Machthaber irgendwie mäßigen könnte« (ebd., S. 404). Eickemeyer zeigte sich »zu loyalster

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Doch konzentrierten sich die Bemühungen der Männer um Sperr nicht bloß auf Mittelfranken und dessen Hauptstadt Nürnberg. Neben Schade sollte mit dem früheren DDP-Mitglied Konrad Frank466 ein weiterer Vertrauensmann auch in Oberfranken für den Widerstandskreis tätig sein.467 Hamm und Frank lernten sich vermutlich während Hamms Tätigkeit als Bayerischer Handelsminister kennen, als Frank einem engen Freund Hamms als Gehilfe in der Industrieabteilung des Ministeriums zur Verfügung stand.468 Als Bezirksoberamtmann in Wunsiedel hatte Frank, der mit der Weltanschauung der NSDAP nichts anfangen konnte und daraus keinen Hehl machte, ab 1933 einen schweren Stand.469 Lange Zeit weigerte er sich der Partei beizutreten. Im Oktober 1937 Mitarbeit im Sinne der nationalen Erhebung bereit« (zit. n. ebd., S. 421). Zwischen Liebel und Eickemeyer entstand in der Folgezeit ein Vertrauensverhältnis (vgl. ebd., S. 434), infolge dessen Eickemeyer zeitweise als »administrativer Kopf der Verwaltung« bezeichnet werden kann (zit. n. ebd., S. 437). 1937 kam es allerdings zu Spannungen im Verhältnis Liebel / Eickemeyer, in deren Zusammenhang Eickemeyer, der sich zu häufig übergangen fühlte, »aus gesundheitlichen Gründen« ein Rücktrittsgesuch einreichte, das Liebel jedoch ablehnte (vgl. ebd., S. 437 f.). Eickemeyer blieb im Amt. Über die Deportationen der Juden im Gau Franken war er zumindest informiert, wie Berichte über die Entlassung von in dieser Frage zu unzuverlässig handelnden Gemeindeleitern zeigen (vgl. ebd., S. 493). Außerdem beteiligte er sich im Dienste der Stadt Nürnberg an Enteignungen (vgl. ebd., S. 636 f.) sowie während des Krieges am Kunstraub (vgl. ebd., S. 800). Ab 1942 ging die tägliche Verwaltungsarbeit in Nürnberg auf Eickemeyer über, weil Liebel häufig in Berlin weilte (vgl. ebd., S. 890). 1944/45 scheint sich Eickemeyer für von der Deportation bedrohte jüdische Beamtenfamilien eingesetzt zu haben (vgl. ebd., S. 486). 466 Konrad Frank (1888 Hersbruck–1970), ev., Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen, 1914–23 Bezirksamtsassesssor in Lauf, Laufen, Schrobenhausen und Erding, ab 1919 Mitglied der DDP, 1923 RegRat, 1928 Titel u. Rang eines ORegRats, 1928–33 Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe, dort als Sachbearbeiter für Wirtschaftsfragen zuständig, 1933–38 Amtsvorsteher in Wunsiedel, 1937–45 Mitglied der NSDAP, 1946 von Spruchkammer Ansbach (Stadt) als »Mitläufer« eingestuft, 1948 von Berufungskammer Ansbach als »Entlasteter« eingestuft, ab 1948 Beamter an der Regierung Regensburg, 1949/50 Regierungsvizepräsident in Augsburg, 1951–53 MinRat im bayerischen Innenministerium, 1953 Ruhestand, 1954–57 Verwaltungsgerichtsrat am Verwaltungsgericht München (zu Frank vgl. seinen Personalakt in BayHSta, MInn 83557 sowie seinen Spruchkammerakt StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt), F 65). 467 Vgl. hierzu Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 118 f. 468 Vgl. Bestätigung von Rudolf Decker (14. November 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. Der Ministerialrat Rudolf Decker zählte zu Hamms längsten und besten Freunden und sollte für ihn innerhalb des »SperrKreises« einer der wichtigsten Vertrauensleute für den Bereich Wirtschaft sein (vgl. hierzu Kap. VI.2.d). 469 Noch Jahre später erinnerte die NSDAP-Kreisleitung Ansbach, als sie über einen Aufnahmeantrag Franks zur NSDAP entscheiden musste, an einen »Fehlgriff« Franks: »Bekannt ist seine Verfügung vom 8.8.34 betreffend ›Lageberichte‹ an die Bürgermeister, in der diese aufgefordert werden, neben den Kirchen, Juden und Freimaurern auch die NSDAP und ihre Gliederungen zu überwachen und hierüber laufend zu berichten« (Abschrift eines Schreibens der Kreisleitung Ansbach an das Amt für Beamte der Gauleitung Bayr. Ostmark in

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stellte er schließlich doch einen Antrag zur Aufnahme, um weiterhin an verantwortlicher Stelle arbeiten zu können.470 Obwohl die Partei feststellte, dass Frank »zuwenig in der Volksgemeinschaft und in der nat.-soz. Weltanschauung verankert [sei], als dass er zum Führer einer größeren Verwaltungsbehörde des NS-Staates geeignet«471 erscheine, erfolgte seine Aufnahme. Dennoch musste er kurze Zeit später seinen Posten in Wunsiedel räumen und wurde nach Ansbach versetzt. Seit wann Frank mit dem Widerstandskreis um Sperr in Verbindung stand, lässt sich kaum mehr nachvollziehen. Er habe allerdings zu jenem »Freundeskreis« gezählt, »der sich seit langer Zeit mit Überlegungen darüber beschäftigte, wie im Falle eines Zusammenbruchs der nationalsozialistischen Herrschaft dem [sic!] dann zu befürchtenden Chaos zu steuern wäre«.472 Hierfür habe Frank an gelegentlichen Beratungen des Kreises in München teilgenommen, was für eine frühe Hinzuziehung Franks zu den Gesprächen der Gruppe spricht. Geßler wusste nach dem Krieg zu berichten, dass Hamm in Frank eine Art »Personalreferent« für Mittel- und Oberfranken gesehen habe.473 Als solcher hat sich Frank auch selbst begriffen: Hamm habe ihn wiederholt in Ansbach besucht, um ihm »persönlich die Aufträge der Widerstandsbewegung für den Reg. Bezirk Oberu. Mittelfranken zu überbringen«. Diese hätten »nicht nur« darin bestanden, »weitere Vertrauensmänner für eine demokratische Regierung zu werben, sondern auch eine Liste von Beamten aufzustellen, die für die Übernahme von leitenden Posten für die neue Regierungsgewalt in Mittel- u. Oberfranken in Betracht kämen«.474

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Bayreuth (13.11.38), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65). Seinem Sohn Herbert erlaubte Frank, mit dessen Schulfreund Robert Limpert in seiner Wohnung Plakate und Zettel zu drucken, die beide nachts in der ganzen Stadt verteilten. Während Herbert Frank Glück hatte, wurde sein Freund Limpert von der Polizei verhaftet und wenige Tage vor Eintreffen der Amerikaner ermordet (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Rosa Limpert (21. November 1946), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65). Decker bestätigte Frank nach dem Krieg, dass es »für einen Bezirksamtsvorstand auf die Dauer unmöglich« gewesen sei, »sich diesem Druck zu entziehen, wenn er nicht sein Amt verlieren wollte« (Bestätigung von Rudolf Decker (14. November 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65). Abschrift eines Schreibens der Kreisleitung Ansbach an das Amt für Beamte der Gauleitung Bayr. Ostmark in Bayreuth (13.11.38), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. Bestätigung von Rudolf Decker (14. November 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. Beglaubigte Abschrift Otto Geßler an Konrad Frank (Lindenberg i. Allg., 19. Dezember 1945), BayHStA, MInn 83557 (abgedr. bei Becker: Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 162 f., hier S. 163). Konrad Frank an die Spruchkammer für den Stadtkreis Ansbach (17. Juli 1946), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65.

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Eine solche Liste will Frank gemeinsam mit dem Oberregierungsrat Johannes Petri475, dem Kirchenamtsdirektor Friedrich von Praun476 sowie dem Bürgermeister von Marktredwitz, Dr. Otto Hirschmann477, erstellt und Hamm bei einem späteren Besuch in München ausgehändigt haben.478 Gleichzeitig setzte Frank jene Personen davon in Kenntnis, »daß sich in München einflußreiche frühere Staatsbeamte unter Führung des ehemaligen Reichswirtschaftsministers Dr. Hamm, der seinerseits mit Reichswehrminister Geßler Beziehungen unterhielt, zusammengetan hätten, um für den Fall des erstrebten Sturzes der Hitlerregierung eine neue demokratische Regierung und eine neue bayerische Verwaltungsorganisation ins Leben zu rufen«.479 Hirschmann sei durch Frank von den häufigen Besuchen Hamms in Ansbach und die Erteilung des Auftrags, für dessen Widerstandskreis zu wirken, unterrichtet worden. Dabei habe Frank auch ihn aufgefordert, »geeignete Männer zu gewinnen«. Später habe Hirschmann dann erfahren, dass Hamm ihn selbst »für eine wichtigen Verwaltungsposten in Oberfranken bestimmt« habe.480 Auch Petri habe sich in gleicher Weise auf Vermittlung Franks »einer um die Zeit der Stalingrader Tragödie unter Leitung von Reichsminister a. D. Hamm und anderer in Bildung begriffenen Widerstandsbewegung […] zur Verfügung gestellt«.481 Ob Frank noch weitere Persönlichkeiten für die Widerstandsgruppe in der Region Mittel- und Oberfranken anwarb, ist wahrscheinlich, kann aber nicht verifiziert werden.482 475 Johannes Petri (1873 Odenheim–?), bis 1938 ORegRat im Staatsministerium des Innern, später zusammen mit Konrad Frank Treuhänder der Vereinsbank in Nürnberg (Hypothekenbank) (vgl. Petris Personalakt, BayHStA, MInn 78852). 476 Friedrich von Praun (1888 Hersbruck–1944), ev., Studium der Rechtswissenschaften in München, Kriegsdienst und Anwaltstätigkeit, 1920 Eintritt in den Dienst der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern, u. a. im Münchener Landeskirchenamt, seit 1930 Leiter der Evangelischen Landeskirchenstelle in Ansbach, Mitglied der »Bekennenden Kirche«, 1943 wegen regimekritischer Äußerungen verhaftet, 1944 Tod in NS-Haft (zu Praun vgl. die kritische Auseinandersetzung mit einer im Praunschen Familienkreis entstandenen Biographie durch W. Huber, Friedrich von Praun, S. 227–284). 477 Otto Hirschmann (1885–1952), Dr. jur. 1912, ab 1914 Landgericht Nürnberg, bis 1934 1. Bürgermeister von Marktredwitz, ab 1934 2. Bürgermeister von Marktredwitz, nach 1945 Mitglied der CSU, 1948–52 Oberbürgermeister von Marktredwitz. 478 Vgl. Konrad Frank an die Spruchkammer für den Stadtkreis Ansbach (17. Juli 1946), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. 479 Eidesstattlichen Erklärung von Dr. Otto Hirschmann (16. Dezember 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. – Die hier von Hirschmann im Dezember 1945 genannten Einzelheiten können als glaubhaft angesehen werden, weil die breite Öffentlichkeit erst durch den SZ-Artikel »In memoriam Franz Sperr« von Ende Januar 1946 über die Existenz des »Sperr-Kreises« unterrichtet wurde. 480 Ebd. 481 Abschrift einer Eidesstattlichen Versicherung von Oberregierungsrat i. R. Johannes Petri (10. Dezember 1945), Spruchkammerakt Konrad Frank, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65. 482 Der Kirchenamtsdirektor Friedrich von Praun (1988–1944), ein Mitarbeiter des Landesbischofs Hans Meiser, den Frank offenbar ebenfalls über die Existenz des Widerstands-

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Mit der Ausbreitung nach Franken vollzog der »Sperr-Kreis« eine Voraussetzung, um im Falle eines Zusammenbruchs des NS-Regimes die Regierungsgewalt in Bayern übernehmen zu können. Neben Augsburg und Nürnberg knüpften Sperr und Co. zusätzlich Kontakte in weiteren Regionen und Städten Bayerns, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. c) Die Ausdehnung in die übrigen Regionen Bayerns In Ingolstadt stand mit dem Oberbürgermeister Dr. Josef Listl483 seit 1930 ein zunächst parteiloser, aber von der BVP gewählter Mann an der Spitze der damals noch kleinen Mittelstadt.484 Unmittelbar nach 1933 trat dieser jedoch der SA, später der NSDAP bei. Seine gegenüber den neuen Machthabern signalisierte Bereitschaft zur Kooperation dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass offenbar eine Kontaktaufnahme des »Sperr-Kreises« mit Listl trotz Kontaktempfehlung letztlich unterblieb.485 Dennoch wurde Ingolstadt als notwendiger Stützpunkt des Widerstandskreises betrachtet, weshalb man an den ehemaligen Stahlhelm-Führer Gabriel Brandl486 herantrat. Dieser besaß in Ingolstadt ein sogenanntes Landesproduktengeschäft und gab später an, nur unter Druck des Kreisbauernführers, der ihm angedroht habe, den Ankauf von Getreide durch Brandl zu unterbinden, 1938 mit Rückwirkung zum 1. Mai 1937 in die NSDAP eingetreten zu sein. Es war wiederum Ernst Meier, der die Verbindung zu Brandl herstellte und diesen Franz Sperr als Vertrauensmann für Ingolstadt und Umgebung vorschlug.487 Die Verbindung zu ihm dürfte aus Sicht der Gruppe vor allem auch dem Zweck gedient haben, über Brandl ehemalige Anhänger des

kreises in München in Kenntnis setzte, habe seine antinationalsozialistische Gesinnung zu deutlich kundgetan, was dieser mit dem Leben bezahlt habe (vgl. Konrad Frank an die Spruchkammer für den Stadtkreis Ansbach (17. Juli 1946), Spruchkammerakt Konrad Frank, StAN, Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65). Möglicherweise war auch Praun ein »Kandidat« für den »Sperr-Kreis« gewesen. 483 Vgl. zu Listl bislang nur Hausfelder, Kommunalpolitik, S. 124–141. 484 Ingolstadt sollte sich erst nach 1945 zu einer Großstadt entwickeln und spielte daher wohl zunächst eher wegen seiner Nähe zu München eine nicht unbedeutende Rolle für den »Sperr-Kreis«. 485 Listl war Sperr durch den Polizeioffizier Martin Riedmayr als möglicher Kontaktmann empfohlen worden. Doch ließ sich Sperr hierauf offenbar nicht ein. Zu den Hintergründen der Empfehlung Riedmayrs und möglichen Gründen für die offenbar nicht erfolgte Kontaktaufnahme vgl. Kap. VI.2.c. 486 Gabriel Brandl (1885 Gerolfing–1955), Stahlhelm-Bezirksführer in Ingolstadt, 1934–45 Eingliederung in die SA, ab 1937 Mitglied der NSDAP, Inhaber eines Landesproduktengeschäfts / Lagerhausinhaber (zu Brandl vgl. die Angaben und Dokumente in seinem Spruchkammerakt, StAM, SpkA K 2847: Brandl, Gabriel). 487 Vgl. Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Ernst Meier (Neumarkt / OPF., 28. Juli 1946), StAM, SpkA K 2847: Brandl, Gabriel.

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»Stahlhelms« für den Widerstandskreis zu gewinnen.488 Noch im Frühjahr 1944 habe Sperr Brandl in Ingolstadt besucht und sei mit dessen eigeleiteten Maßnahmen »durchaus einverstanden« gewesen.489 Die größte Stadt der Oberpfalz, Regensburg, konnte im Herbst 1943 ebenfalls mit einem Vertrauensmann besetzt werden. Als Bürgermeister von Regensburg war Otto Geßler an der Gründung des Bayerischen Lloyd als Dampfschifffahrtsgesellschaft maßgeblich beteiligt.490 In die Hauptverwaltung des Unternehmens trat 1924 der gebürtige Regensburger Volkswirt Dr. Albert Schlegel ein.491 Im Jahr 1937 sollte dieser in den Vorstand des Bayerischen Lloyds aufrücken. Dass er überhaupt bis an die Spitze des Unternehmens aufsteigen und sich dort auch halten konnte, führte er nach dem Krieg auf seine Beitritte zur NSDAP 1935 und zur SS 1943 zurück. Diese seien nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern aus kühler Analyse der Zweckmäßigkeit erfolgt. Das Hauptmotiv sei gewesen, den Bayerischen Lloyd als selbständiges Unternehmen zu erhalten.492 Trotz dieser offiziellen Regime-Verbundenheit wurde und blieb Schlegel für den Widerstand interessant. Doch war es zunächst nicht der »Sperr-Kreis«, der Schlegel anwarb. Der spätere Geßler- und Kronprinz Rupprecht-Biograph Kurt Sendtner – von Haus aus Journalist – trat im Frühjahr 1939 als Ergänzungsoffizier in die Wehrmacht ein.493 Im Wehrkreis VII (München) wurde er der Abwehrstelle zugeteilt. Seine 488 In gleicher Weise trat Sperr in München an den Stahlhelm-Führer Otto Freiherr von Waldenfels heran, der darüber hinaus als »Archivar« des Widerstandskreises eine wichtigere Rolle spielte (vgl. hierzu das Kap. VI.2.a). 489 Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Ernst Meier (Neumarkt / OPF., 28. Juli 1946), StAM, SpkA K 2847: Brandl, Gabriel. 490 Vgl. Otto Geßler an den bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (25. Juli 1951), BAK, NL Geßler (N 1032) 37. 491 Albert Schlegel (1897 Regensburg–?), kath., 1915–18 Kriegsteilnahme, Studium der Nationalökonomie in München und Erlangen, Dr. der Staatswissenschaften, ab 1924 Hauptverwaltung der Firma Bayerischer Lloyd Regensburg, ab 1937 Vorstand der Bayerischen Lloyd Regensburg, 1939 Hauptmann zur Fernaufklärungstruppe, 1943 Major der Reserve, 1944 Wehrwirtschaftsführer, 1948 durch Spruch der Spruchkammer I Regensburg in Gruppe der »Entlasteten« eingestuft (zu Schlegel vgl. dessen Spruchkammerakt StAAm, Spruchkammer Regensburg I 1628). 492 Vgl. Aussagen Schlegels und Kurt Sendtners in der Spruchkammerverhandlung gegen Dr. Albert Schlegel (29. Januar 1948), Bl. 15, StAAm, Spruchkammer Regensburg I 1628. 493 Kurt Sendtner (1893 Regensburg–1966), 1912–19 Studium der Staatswirtschaft in München, 1914–18 Kriegsteilnahme, 1919–38 Journalist und Redakteur, u. a. Stellv. Chefredakteur des Bayerischen Staatsanzeigers, 1919–25 Mitglied der DDP, 1938–45 Berufsoffizier, zuletzt Oberstleutnant, 1939 als Ergänzungsoffizier in die Wehrmacht eingezogen, bis Ende Mai 1944 Abwehrstelle beim Stellv. Generalkommando VII München, 1944/45 Referent beim Kommando Meldegebiet München, nach 1945 Publizist verschiedener historischer Abhandlungen und Biographien (u. a. über Kronprinz Rupprecht und Otto Geßler), ab 1952 Mitglied der »Europäische Publikationen« zur Aufarbeitung der Geschichte der militärischen Widerstandsbewegung (zu Sendtner vgl. Unterlagen im IfZ, ZS 1984 sowie die Sendtner betreffenden Hinweise seiner Bekannten Klebe, Autobiographie, insbes. S. 128–134).

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Instruktionen lauteten, Admiral Canaris mit Material zu versorgen, damit dieser seinen Einfluss geltend machen konnte, »um einen Krieg wenn möglich zu verhindern, wenn nicht möglich, doch zeitig zu beenden.«494 Informationen aus erster Hand über die bayerische Wirtschaft sowie die Donauschifffahrt erhoffte man sich durch Kontakte zum Bayerischen Lloyd. Bereits Schlegels Vorgänger habe über Beziehungen zu Canaris verfügt, wie Schlegel nach dem Krieg erklärte. Er selbst sei zunächst in München mit Rudolf Graf Marogna-Redwitz zusammengekommen. Später seien die Verbindungen bis zu General Hans Oster und den Oberst i. G. Georg Hansen gegangen. Seine unmittelbaren Ansprechpartner in der Abwehr wurden jedoch ab 1939 Erich von Lossow und Kurt Sendtner. Letzterer will Schlegel im Herbst 1939 informiert haben, »dass er einer hochverräterischen Gruppe« angehöre.495 Otto Geßler kannte sowohl Albert Schlegel als auch Kurt Sendtner seit einigen Jahren. Im Herbst 1943 suchte er Sendtner auf, um ihm mitzuteilen, dass »mit einer Änderung in ausserpolitischen [sic!] Beziehungen zu rechnen sei«.496 Nachdem er ihm von den Plänen der »Auffangorganisation« zur Verhinderung des Chaos’ berichtet hatte, habe Geßler Sendtners Bereitschaft ermittelt, eine bestimmte Funktion nach dem Zusammenbruch zu übernehmen. Anschließend sei er darauf zu sprechen gekommen, dass auch in den übrigen Regionen Bayerns Persönlichkeiten ausgemacht werden müssten, um das befürchtete Chaos zu verhindern. Fast gleichzeitig sei man für Regensburg auf Albert Schlegel gekommen. Eine Unterredung zwischen Geßler, Sendtner und Schlegel habe in Sendtners Büro stattgefunden. Auf die Frage, ob Schlegel als Vertrauensmann für Regensburg und die Oberpfalz fungieren wolle, habe dieser seine Bereitschaft erklärt und darauf verwiesen, dass er schon einige Vertrauensleute habe, die er einsetzen könne. Schlegel habe anschließend verschiedene Namen genannt und versichert, dass man sich »im entscheidenden Moment« auf ihn verlassen könne.497 Für die weiteren Regionen Bayerns, insbesondere die Regierungsbezirke Unterfranken, mit dessen Hauptstadt Würzburg, und Niederbayern liegt ein Quellenproblem vor. Auch ist fraglich, ob der »Sperr-Kreis« die linksrheinische, bayerische Pfalz in seine Überlegungen miteinbezog.498 Konnte bereits Albert Schlegel als Vertrauensmann für die Oberpfalz nur durch einen Zufallsfund im Nachlass Otto Geßlers identifiziert werden, fehlen derartige Hinweise für die genannten Regionen gänzlich. Da es der Anspruch der Widerstandsgruppe war, 494 Vgl. Aussage Kurt Sendtners in der Spruchkammerverhandlung gegen Dr. Albert Schlegel (29. Januar 1948), Bl. 16, StAAm, Spruchkammer Regensburg I 1628. 495 Vgl. ebd. 496 Ebd., Bl. 17. 497 Ebd., Bl. 16. 498 Hinweise auf Reisen von Geßler, Hamm oder Sperr in die bayerische Pfalz ab 1935 konnten nicht ermittelt werden. Kronprinz Rupprecht zählte dagegen auch nach 1945 die bayerische Pfalz selbstverständlich zum traditionellen Herrschaftsbereich des Hauses Wittelsbach. Daher bedauerte er es sehr, als die französische Militärregierung 1946 das Land Rheinland-Pfalz bildete (vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 339 f.).

Die strategische Ausdehnung des »Sperr-Kreises« in Bayern 

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Vorkehrungen für ganz Bayern zu treffen, ist anzunehmen, dass Kontaktversuche in diese Regionen dennoch stattgefunden haben und womöglich erfolgreich waren. Ohne Anknüpfungsmöglichkeiten erscheint es jedoch kaum mehr möglich, diese eventuellen Verbindungen ausfindig zu machen. Da allerdings sogar der einzige Überlebende der Führungsriege, Otto Geßler, sich nach Kriegsende nur an ihm bekannte Vertrauensleute in Mittel- und Oberfranken, Schwaben und die Oberpfalz erinnern konnte499, könnte es ebenso sein, dass sich das bayerische Netzwerk an Vertrauensleuten zum Zeitpunkt der Zersprengrung des Kreises nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 immer noch in seinem Aufbau befunden hatte. Anhand der beiden hier genannten Beispiele, Brandl und Schlegel, lässt sich indes verdeutlichen, welche Persönlichkeiten als Vertrauensmänner für den Widerstandskeis um Sperr in Betracht kamen. Weder die Mitgliedschaft in der NSDAP, noch nicht einmal eine in der SS diente als Ausschlusskriterium. Man glaubte sich der tatsächlichen, inneren Haltung in persönlichen Gesprächen vergewissern zu können. Wichtigste Voraussetzung, um dem »Sperr-Kreis« als möglicher Vertrauensmann in der Region dienlich sein zu können, war neben dieser inneren Haltung die Fähigkeit, eigenständig und mit der notwendigen Vorsicht weitere Kontakte zu knüpfen. Hierzu waren weitreichende Beziehungen und hohes Ansehen innerhalb der besagten Regionen zwingend erforderlich. Die Vertrauensmänner für Ingolstadt und Regensburg erfüllten diese Kriterien durchaus. Brandl in Stahlhelm-Kreisen und Schlegel in Wirtschaftskreisen dürften über genügend Kontakte verfügt haben, um als Mitglieder der Widerstandsgruppe ihren Auftrag zu erfüllen und innerhalb der jeweiligen Regionen die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Es wurde dargelegt, wie sich der Widerstandskreis um Sperr von München aus strategisch in die einzelnen Regionen und Städte Bayerns ausbreitete. Insbesondere in Schwaben, Franken und der Oberpfalz konnten hierbei wichtige »Filialen« geschaffen und mit Vertrauensleuten besetzt werden. Die Frage, ob man dabei in sämtliche Regionen Bayerns vorstoßen konnte, ließ sich nicht zufriedenstellend beantworten. Da jedoch mit wenigen Ausnahmen die zentralen und traditionell bevölkerungsreichsten Städte und Regionen, vor allem im südlichen Bayern und Mittelfranken, mit bekannten, teils hochrangigen Persönlichkeiten durchdrungen wurden, dürfte der »Sperr-Kreis« von seiner räumlichen Ausbreitung her im Stande gewesen sein, im Falle eines Zusammenbruchs des »Dritten Reiches« – durch inneren Umsturz oder Kriegsniederlage herbeigeführt – Sicherheit und Ordnung in Bayern wiederherzustellen und die Regierungsgeschäfte weitestgehend zu übernehmen.

499 Vgl. Beglaubigte Abschrift Otto Geßler an Konrad Frank (Lindenberg im Allgäu, 19. Dezember 1945), BayHStA, MInn 83557 (abgedr. bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 162 f., hier S. 163). Es hat sich hierbei um Frank (Mittel- und Oberfranken), Berz oder Weber (Schwaben) und Schlegel (Oberpfalz) gehandelt.

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Der »Sperr-Kreis« – Aufbau und Wirken, Ziele und Struktur

4. Strukturanalyse des Kreises Der Rupprecht-Biograph Dieter Weiß verweist zurecht darauf, dass der bayerische Kronprinz sich einerseits aktiv für den Aufbau der Auffangorganisation um Sperr, Geßler und Hamm einsetzte. Andererseits haber er nähere Kontakte zur bayerisch-monarchistischen Widerstandsgruppe um Adolf Freiherr von Harnier gescheut500, die bereits 1939 von der Gestapo zerschlagen werden sollte.501 Doch was waren die Gründe, die Rupprecht und seinen Kabinettschef Franz von Redwitz dazu bewogen, die Entstehung des einen Kreises und seine Arbeit maßgeblich zu unterstützen, während die Zusammenarbeit mit einem deutlich monarchistischeren Kreis ausgeschlossen wurde? Ein Vergleich der beiden Kreise, des »Sperr-Kreises« und des »Harnier-Kreises«, anhand von ausgewählten Strukturmerkmalen soll helfen, diese Frage zu beantworten. Die Strukturanalyse des »Sperr-Kreises« soll zugleich Hinweise dafür bieten, ob der Kreis theoretisch in der Lage gewesen wäre, die von seinen Gründern ins Auge gefassten Ziele nach Untergang des »Dritten Reiches« tatsächlich umzusetzen. In seiner Gedächtnisniederschrift ging der Kabinettschef des Kronprinzen, Franz von Redwitz, schwer mit dem »Harnier-Kreis« ins Gericht und kritisierte dabei insbesondere dessen Anführer. Er habe den Rechtsanwalt Harnier »als einen etwas zu geschäftigen, nicht allzu klugen jungen Mann von Geltungsbedürfnis« kennengelernt. Dieser habe zu jener Sorte Menschen gehört, die er ansonsten »scheue«.502 Obwohl Harnier häufig in sein Büro gekommen sei, habe er versucht, sich von ihm fernzuhalten. Im Nachhinein sah sich der Kabinettschef in seinem damaligen Gefühl bestätigt, Harnier »könne vielleicht einmal etwas dummes machen«. Durch die Gestapo habe er nämlich gehört, dass dieser eine Gruppe von über hundert Personen zusammengetrommelt habe, »mit denen er Zusammenkünfte veranstaltete, meist kleine Leute«. Schließlich beschrieb Redwitz die Bestrebungen Harniers geringschätzig als »ziemlich kindisches Unternehmen von jugendlicher Romantik«.503 In seiner Kritik spielte Redwitz ohne 500 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 288–298. 501 Vgl. hierzu ausführlich Förster, Harnier-Kreis, S. 432–437. 502 Gedächtnisniederschrift von Franz von Redwitz (o. O., o. D.), GHA, NL Redwitz 14.  503 Ebd. In der Tat hatte Harnier gemeinsam mit Gesinnungsgenossen einen monarchistischen Widerstandskreis aufgezogen und sich bemüht, Kronprinz Rupprecht von seiner Existenz zu berichten und ihn von ihm legitimieren zu lassen. Die häufigen Versuche wurden zumeist bereits von Rupprechts Kabinettschef abgeblockt. Auf Rupprechts 70. Geburtstagsfeier gelang es Harnier, der »mit etlichen besonders eifrigen Monarchisten zur Gratulation gekommen war«, mit dem Kronprinzen in Kontakt zu treten. Rupprecht nutzte die Gelegenheit, Harnier »zur Mäßigung« zu mahnen und warnte ihn zugleich »eindringlich vor der Neuschaffung einer monarchistischen Organisation«, die er »als vorzeitig und gefährlich« bezeichnete. »Der Nationalsozialismus könne nur an sich selbst zu Grunde gehen und werde es«, so Rupprechts Überzeugung (GHA, AA KPR, Mappe 21, »Von Harniers Monarchisten, Aufenthalt in Ungarn, Ausbruch des 2. Weltkrieges« (o. O., o. D.), S. 13a – 21, hier S. 13a).

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Umschweife auf die soziale und berufliche Herkunft, das Alter und die politische Erfahrung der Gruppe um Harnier an, die als Hauptgründe für das Nichtzustandekommen einer Zusammenarbeit mit dem bayerischen Kronprinzen angesehen werden müssen. Doch was unterschied den »Harnier-Kreis« in diesen Punkten vom »Sperr-Kreis«? Welche Gemeinsamkeiten gab es? Vorab ist festzuhalten, dass sich die Harniers Anhängerschaft als Kollektiv problemloser untersuchen lässt als die Gruppe um Franz Sperr. Die Gestapo legte nach der Verhaftung der im Umfeld des »Harnier-Kreises« festgestellten Personen zu jedem einzelnen Verhörten eine Personenakte an. Die Auswertung dieser Akten und die des Volksgerichtshofs lassen auf eine Anzahl von mindestens 170 vernommenen Personen schließen, von denen mindestens 130 als gesicherte Mitglieder des »Harnier-Kreises« gelten können.504 Die tatsächliche Mitgliederzahl könnte zwar durchaus höher gelegen haben. Doch gelang es Christina M. Förster, mit dem vorhandenen Material, das Daten zu Alter, Geburtsort, Beruf und politische Sozialisation beinhaltete, ein aussagekräftiges, soziographisches Profil des »Harnier-Kreises« zu erstellen.505 Beim Widerstandskreis um Sperr fehlen diese Art Quellen gänzlich. Eine klar abzugrenzende Mitgliedschaft erscheint bei der losen Organisationsform des Kreises ohnehin fraglich. Dennoch soll auch hier der Begriff »Mitglied« bei jenen Personen Anwendung finden, die sich als Teil dieses Widerstandskreises verstanden, in die Pläne der »Auffangorganisation« eingeweiht und dieses Vorhaben aktiv unterstützt haben – sei es durch Führen politischer Gespräche über die Zeit »Danach«, Anwerbung weiterer Vertrauensleute oder die bloße Zusage, nach Untergang des »Dritten Reiches« ein Amt in Bayern zu übernehmen. Mitglieder des »Sperr-Kreises« waren hiernach zumindest eine Gruppe von 49 Personen. Namentlich waren dies in alphabetischer Reihenfolge: Hermann Aumer, Otto Basler, Ludwig Berz, Georg Bögl, Felix Brandl, Gabriel Brandl, Günther Caracciola-Delbrück, Rudolf Decker, Georg Deininger, Ernst Falkner, Anton Fehr, Rudolf Flach, Konrad Frank, Joseph-Ernst Fugger von Glött, Rupprecht Gerngroß, Otto Geßler, Franz Halder, Eduard Hamm, Hans Hechtel, Paul Helfrich, Adolf Herrgott, Otto Hirschmann, Franz Hunglinger, Hans Knör, Maximilian Krieger, Ottheinrich Leiling, Hans Ritter von Lex, Hein Martin, Ernst Meier, Johannes Meier, Alfons Müller, Erich Netschert, Josef Oesterle, Johannes Petri, Franz Freiherr von Redwitz, Franz Reisert, Martin Riedmayr, Fritz Schade, Karl Scharnagl, Hans Schellerer, Albert Schlegel, Heinrich Schmittmann, Otto Schniewind, Philipp Schubert, Kurt Sendtner, Franz Sperr, Otto A. H. Vogel, Otto Freiherr von Waldenfels, Gregor Weber. Als Sympathisanten der Gruppe können jene Persönlichkeiten bezeichnet werden, die teilweise von der Existenz des Widerstandskreises wussten, sich in politischen Gesprächen mit den Protagonisten des Kreises kritisch über das »Dritte Reich« äußerten und von diesen ohne ihr Wissen zumindest für eine Auf504 Vgl. Förster, Harnier-Kreis, S. 24–26. 505 Vgl. ebd., S. 25.

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gabe für die Zeit »Danach« vorgesehen waren. Nach diesen Kriterien konnten zumindest folgende 17 Personen als Sympathisanten des »Sperr-Kreises« ausgemacht werden: Robert Adam, Walther Baerwolff, Ernst Ferdinand Demmler, Walter Eickemeyer, Charlotte Fleischmann, Walther Frisch, Rudolf Giehrl, Otto Graf, Bruno Grosser, Jacob Herz-Durach, Rudolf Kötter, Viktor Kolbe, ­Oswald Lutz, Friedrich von Praun, Hans Rauch, Gustav Schickedanz und Erhard Schlund.506 Sie werden an dieser Stelle ebenfalls dem Widerstandskreis zugerechnet und für die Erstellung eines aussagekräftigen soziographischen Profils der Gruppe Berücksichtigung finden.507 Die Gemeinsamkeiten der Kreise um Harnier und Sperr lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Beide Kreise konzentrierten sich in ihrer Widerstandstätigkeit auf die Zeit »Danach« in Bayern, wobei die Männer um Sperr auch stets die politische Entwicklung im Reich im Auge behielten und den Kontakt mit reichsweiten Widerstandsgruppen sowie eine Beteiligung an den Planungen für eine Neuordnung Deutschlands nicht scheuten.508 Das Konzept der »Auffangorganisation« lag beiden Kreisen zugrunde, wobei dem bayerischen Kronprinz Rupprecht jeweils die Rolle des zukünftigen bayerischen Königs zukommen sollte, wenn auch beim »Sperr-Kreis« womöglich nur für eine Übergangsperiode. Was die soziale Herkunft anging, war auf beiden Seiten die überwiegende Mehrheit nicht-adliger Abstammung. Zudem spielte entsprechend der Verteilung innerhalb der bayerischen Gesellschaft die Religionszugehörigkeit eine bedeutsame Rolle. Auch im »Sperr-Kreis« dominierte der Katholizismus, doch bei Weitem nicht so stark wie innerhalb des »Harnier-Kreises«. Knapp ein Drittel der Mitglieder des »Sperr-Kreises« gehörte der evangelischen Konfession an. Zunächst sind Unterschiede hinsichtlich des Rekrutierungsraumes und -zeitraums auszumachen: Während der »Harnier-Kreis« fast ausschließlich im südlichen Bayern auf Mitgliederwerbung ging, unternahmen die Männer um Sperr den Versuch, ausgehend vom Zentrum München und Oberbayern, in alle Regionen Bayerns vorzudringen und Vertrauensleute zu werben. Dies ergab sich aus dem eigenen Verständnis als »Auffangorganisation« für ganz Bayern. Was 506 Die besondere Vorsicht, die Franz Sperr und Co. bei der Suche nach Vertrauensleuten an den Tag legten, ließ oftmals ein Einweihen bis ins kleinste Detail nicht zu. Dennoch war man sich der unbedingten Verlässlichkeit dieser Sympathisanten sicher und zählte auf ihre aktive Unterstützung am Tag X. Persönlichkeiten, die in späteren Kapiteln dieser Arbeit eine Rolle spielen und mit dem »Sperr-Kreis« über die Zeit »Danach« Gespräche führten, aber in erster Linie anderen Widerstandsgruppen zuzuordnen sind, können weder als Mitglieder noch als Sympathisanten des »Sperr-Kreises« gelten. In der Regel fühlten diese sich jenen anderen Gruppen zugehörig. Dies betrifft vor allem die Mitglieder des »Kreisauer Kreises«, die mit dem »Sperr-Kreis« 1943 in engem Kontakt standen (vgl. Kap. VIII.2). 507 Dies erscheint schon allein deshalb sinnvoll, weil eine klare Abgrenzung zwischen Mitgliedern und Sympathisanten oftmals nicht eindeutig ist sowie die Grenzen zwischen »Wissen«, »Vermuten« und »Nicht-Wissen«, »Handeln«, »sich zur Verfügung stellen« und »in Frage kommen« in der Regel fließend waren. 508 Vgl. hierzu das Hauptkap. VIII.

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den Zeitpunkt der Anwerbung betraf, lässt sich festhalten, dass der »HarnierKreis« deutlich früher und offensiver damit begann, potenzielle Mitglieder anzusprechen. Seine Aufdeckung erfolgte bereits 1939, weshalb unklar ist, wie sich der Kreis im Verlauf des Krieges weiterentwickelt hätte. Die Männer um Sperr schienen dagegen, ihre eigenen Möglichkeiten und die Stimmung innerhalb der Bevölkerung realistisch einschätzend, nach anfänglicher Kontaktaufnahme zu Vertrauensleuten Mitte der 1930er Jahre, zumindest bis Mitte des Krieges ihre Anwerbebemühungen gedrosselt zu haben. Erst 1942, dann deutlich forciert seit der deutschen Niederlage von Stalingrad Anfang 1943, nahmen die Werbe­ anstrengungen der Gruppe wieder zu und sollten bis zum Sommer 1944 nicht mehr abbrechen. Wie der Kabinettschef des Kronprinzen Rupprecht in der Rückschau lapidar formulierte, wurde der »Harnier-Kreis« hauptsächlich von »kleinen Leuten« getragen. In der Tat gehörte fast die Hälfte der rund 130 Personen den Berufsgruppen der Handwerker, Arbeiter sowie Land- und Forstwirte an. Lediglich ein Fünftel seiner Anhänger stammte dagegen aus dem öffentlichen Dienst, stand Unternehmen vor oder arbeitete als Rechtsanwälte, Ärzte, Schriftsteller und Künstler.509 Demgegenüber wies der »Sperr-Kreis« einen deutlich elitäreren Charakter auf und rekrutierte sich überwiegend aus dem Lager der traditionellen, bürgerlichen Eliten Bayerns.510 Der Bildungsgrad der Mitglieder des Kreises war sehr hoch. Über die Hälfte waren promovierte Akademiker511, überwiegend Juristen. In der Widerstandsgruppe vereinten sich vor allem Beamte, Unternehmer, Richter und Anwälte sowie Politiker, während die Berufsgruppen der Arbeiter und Angestellten nicht vertreten waren.512 Bereits dies entsprach dem eigenen Anspruch, eine Art »Revolution von Oben« vorzubereiten. Hinzu kommt, dass einige Mitglieder Erfahrungen in mehreren Berufssparten, teilweise als Beamte in der Ministerialbürokratie, dann wieder in der freien Wirtschaft gesammelt hatten und für beide Berufsfelder als mögliche Kandidaten für eine Zeit »Danach« in Fragen kamen. Bei diesem Personenkreis konnte man – gemäß dem Verständnis als »Auffangbewegung« – im Vergleich zum »HarnierKreis« eine weitaus höhere politische und verwaltungstechnische Erfahrung voraussetzen.513

509 Vgl. Schaubild E bei Förster, Harnier-Kreis, S. 315. 510 Schwierig gestaltete sich in Ausnahmefällen die eindeutige Zuordnung zu einer Berufsgruppe. So wurde beispielsweise Eduard Hamm gleich in drei Gruppen, nämlich der Politiker, der Beamten und der Juristen eingereiht. Da sich ansonsten auf die Haupttätigkeit der jeweiligen Person bezogen wird, ist das Gesamtbild weiterhin aussagekräftig. 511 Siehe zum Bildungsgrad des »Sperr-Kreises« im Anhang, Grafik 1. 512 Siehe Anhang, Grafik 2. 513 Laut Marion Detjen habe der »Sperr-Kreis« im Vergleich zum »Harnier-Kreis« über »ein völlig anderes, elitäres Selbstverständnis« verfügt. Ihm sei es weniger um eine »Breitenwirkung«, sondern vielmehr um die Vorbereitung der »eigene[n] Regierungsfähigkeit« gegangen (Detjen, Staatsfeind, S. 179).

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Deutliche Unterschiede zwischen beiden Kreisen sind anhand der Partei- und Verbandszugehörigkeit vor 1933 auch im Hinblick auf die traditionelle Milieubezogenheit feststellbar. Während der »Harnier-Kreis« seine Mitglieder vorwiegend im katholisch-konservativen und monarchistischen Milieu anwarb, ist beim »Sperr-Kreis« ein etwa gleich hoher Anteil an links- und nationalliberaler sowie an katholisch-konservativer Parteiverbundenheit auffällig.514 Besaßen die früheren Mitglieder bzw. Wähler von BVP, DDP und DVP bereits eine Affinität zum monarchischen Prinzip, traf dies bestimmt auf die früheren Anhänger der DNVP zu, die gleichsam im »Sperr-Kreis« prominent vertreten waren. Dass auch der »Bayerische Bauernbund« in Person Anton Fehrs im Widerstandskreis reprä­sentiert war, zeigt, dass der »Sperr-Kreis« innerhalb des bürgerlichen Lagers auf eine politische Ausgewogenheit wert legte.515 Im Gegensatz zum »HarnierKreis« beschränkten sich die Männer um Sperr jedoch auf eine Rekrutierung im bürgerlichen Lager und griffen nicht auf ehemalige Sozialdemokraten oder gar Kommunisten zurück, wenn auch eine Kontaktaufnahme zu ehemaligen Gewerkschaftskreisen gegen Ende des Krieges erfolgt sein soll.516 Sehr interessant erscheint darüber hinaus das offizielle Verhältnis der Mitglieder der beiden Widerstandskreise gegenüber der NSDAP nach 1933. Auffällig ist der sehr niedrige Anteil an NSDAP-Mitgliedern innerhalb des »HarnierKreises«. Sogar die so genannten »Angeschlossenen Verbände« der NSDAP wurden von vierzig Prozent der Mitglieder gemieden. Förster legt dar, dass Harnier besonderen Wert darauf legte, dass seine Vertrauten sich vom Parteieinfluss möglichst fernhielten. Die ihm 1936/37 zugeführte Gruppe habe Harnier als »Gegenstück zur politischen Charakterlosigkeit« verstanden.517 Den Mitgliedern des Kreises könne man tatsächlich »eine auch nach außen sichtbare Distanz zum Regime mehrheitlich nicht absprechen«.518 Beim »Sperr-Kreis« lagen die Dinge gänzlich anders. Zumindest bei einem Drittel seiner Anhänger ist eine NSDAP-Mitgliedschaft feststellbar.519 Auch aus den »Angeschlossenen Verbänden« der NSDAP fanden seine Reihen Zulauf. Von einer nach außen getragenen Distanz zum Regime lässt sich nur bei einigen wenigen Mitgliedern ernsthaft sprechen. Die führenden Köpfe des Kreises Sperr, Geßler und Hamm traten niemals in die Partei ein. Dennoch sahen sie  – im Gegensatz zu Harnier  – nicht bereits in der Parteimitgliedschaft etwas Verwerfliches. Sie beurteilten die Menschen nicht nach ihrem offiziellen Verhältnis zur NSDAP, sondern aufgrund ihrer Haltung und ihres Handelns im »Dritten 514 Was die Konfessionszugehörigkeit betraf, dominierte zwar der Katholizismus; doch waren immerhin ein Drittel der Mitglieder und Sympathisanten des »Sperr-Kreises« evangelisch (siehe Anhang, Grafik 3). 515 Siehe Anhang, Grafik 4. 516 Vgl. Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 517 Förster, Harnier-Kreis, S. 265. 518 Ebd., S. 267. 519 Siehe Anhang, Grafik 5.

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Reich«. Aus ihrer Sicht konnte es gute bis zwingende Gründe geben, um in die Partei einzutreten.520 Nicht die innere Überzeugung, sondern ausschließlich das Ziel, im Amt bleiben zu können, war dementsprechend nach 1945 das am häufigsten genannte Motiv der NSDAP-Mitglieder innerhalb des »Sperr-Kreises« zum Parteieintritt. Dieser sei erfolgt, um zu verhindern, dass ein Nationalsozialist in verantwortliche Position gerät, gab etwa Johannes Meier an, der sich durch seinen Parteieintritt als Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Augsburg halten konnte.521 Dass man als Parteimitglied besser gegen die Partei habe arbeiten können, war offenbar auch für den späteren Kommandeur der Schutzpolizei in Nürnberg, Fritz Schade, sowie für den späteren Stabszahlmeister der Stadtkommandantur Augsburg, Gregor Weber, das auschlaggebende Motiv.522 Hein Martin geriet dagegen nach 1945 in Erklärungsnot: Er war bereits um die Jahreswende 1931/32 der NSDAP beigetreten. Seine Begründung, er habe seine wirtschaftspolitischen Ideen an die NSDAP herantragen und schließlich den Strasser-Flügel innerhalb der NSDAP stärken wollen, weshalb er bereits vor der »Machtergreifung« Widerstand gegen Hitler geleistet habe,523 klingt nicht sehr glaubwürdig. Dies bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass Martin von der Ideologie des Nationalsozialismus innerlich überzeugt war, wofür es in der Tat keine Hinweise gibt. Vielmehr dürfte er durch Unterstützung der aufstrebenden NSDAP auf ökonomische Vorteile als Bankier spekuliert haben. Allerdings setzte Martin dabei 1932 auf den falschen Mann, nämlich Gregor Strasser, der schon sehr bald entmachtet und 1934 im Zuge des so genannten »Röhm-Putsches« er520 Vgl. einerseits Abschrift einer Bestätigung von Ernst Meier (Neumarkt, Oberpfalz, 26. November 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. Andererseits sei auf die Umstände des Parteieintritts von Dr. Gertrud Hardtwig-Hamm verwiesen. Die Tochter Eduard Hamms erklärte nach 1945 gegenüber der Spruchkammer, dass sie auf Wunsch ihres Vaters, Eduard Hamm, 1938 der Partei beigetreten sei: »Er hielt es damals für zweckmäßig, dass wenigstens ein Familienmitglied aus Tarnungsgründen der Partei beiträte. So erklärte ich mich auf ausdrücklichen Wunsch des Vaters bereit, das Opfer auf mich zu nehmen« (Gertrud Hardtwig-Hamm (Reit im Winkl, 26. Juni 1947), StAM, SpkA K 2550: Hardtwig, Gertrud). 521 Vgl. Anlage Fragebogen von Dr. Johannes Meier, StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406. 522 Vgl. Fritz Schade an den Vorsitzenden der Spruchkammer Fürstenfeldbruck (Fürstenfeldbruck, 6. Januar 1948), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz. Ernst Meier habe Schade ausdrücklich zum Parteieintritt geraten (vgl. Abschrift einer Bestätigung von Ernst Meier (Neumarkt / Oberpf., 26. November 1945), StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 523 Vgl. Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. – Auf Gregor Strasser ließ Martin auch nach 1945 nichts kommen: »Eine spätere Geschichtsschreibung wird Gregor Strasser als Mann schildern, der das Beste für Deutschland wollte, im Kampf gegen Hitler sein Leben wagte und verlor, nicht durch eigene Schuld, noch nicht einmal durch die Überlegenheit seiner Gegenspieler, sondern vermutlich durch das Versagen jener Männer, in deren Hand die Staatsgewalt damals ruhte, nämlich Hindenburg und Schleicher« (ebd., S. 4). Zu Strasser vgl. immer noch Kissenkoetter, Gregor Straßer.

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mordet wurde.524 Eine Bekämpfung der Regierung Hitler und eine Unterstützung der Regierung Schleicher, die Martin für sich proklamierte, hätte dagegen um die Jahreswende 1932/33 auch ohne Eintritt in die NSDAP erfolgen können. Bei einem weiteren Fall ist die Lage wiederum verschieden: Franz Reisert hätte wohl kaum als Rechtsanwalt Freunde der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« vor dem Sondergericht München verteidigen dürfen, ohne Mitglied der NSDAP zu sein. Für die Männer um Sperr, die in ganz Bayern auf der Suche nach Vertrauensleuten waren, konnten Persönlichkeiten in Führungsposition deutlich nützlicher sein, als im Exil lebende Privatiers. Dies galt einerseits für die Vorbereitung auf die Zeit »Danach«, noch vielmehr jedoch, um Einblick in die Strukturen von Partei, SS, Wehrmacht, Justiz und Verwaltung in Bayern während des Krieges zu gewinnen. Auf Informationen war die Widerstandsgruppe um Sperr angewiesen, wollte sie tatsächlich, im Falle eines wie auch immer gearteten Zusammenbruchs des NS-Regimes in Bayern, Sicherheit und Ordnung garantieren und rechtsstaatliche Strukturen wiederherstellen. Nach Förster habe der »Harnier-Kreis« »im Schnitt über eine hohe Lebenserfahrung« verfügt, und vermutet hierin einen Grund für die »Resistenz« des Kreises gegenüber dem NS-Regime.525 Wenn man allerdings bedenkt, dass über vierzig Prozent seiner Anhänger bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges höchstens 40 Jahre alt waren526 und Harnier selbst gerade einmal 36 Jahre alt war, entstehen Zweifel an dieser Aussage. Vielmehr lässt sich aus diesen Zahlen schließen, dass ein großer Teil der Anhängerschaft des »Harnier-Kreises« eben nicht über die politische Erfahrung und das notwendige Ansehen innerhalb des bayerischen Volkes verfügte, so dass eine Zusammenarbeit für den Kronprinzen Rupprecht nicht in Frage kam. Unterschiede lassen sich für die Altersstruktur des »Sperr-Kreises« festhalten. Hier waren 1939 nicht einmal 15 Prozent der Mitglieder und Sympathisanten 40 Jahre oder jünger.527 Eine deutlich höhere Lebenserfahrung, resultierend aus dem tatsächlichen Erleben von drei verschiedenen politischen Systemen, konnte bei diesen vorausgesetzt werden. Nicht zuletzt den Umbruch durch Revolution und Räterepublik 1918/19 nahmen nahezu alle Mitglieder bewusst wahr. Einige waren sogar an deren Überwindung unmittelbar beteiligt, sei es durch Übernahme politischer oder verwaltungstechnischer Verantwortung oder durch aktive Bekämpfung in Form einer Mitgliedschaft in den Freikorps. Was die Zusammenarbeit mit dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht betraf: Der »Harnier-Kreis« war in weitaus höherem Maße monarchistisch gesinnt. Sein Widerstand war in erster Linie getragen vom Gedanken einer Wittelsbacher Restauration. Für Rupprecht war es zwar angenehm zu wissen, dass im 524 Zu Vorgeschichte und Verlauf des »Röhm-Putsches« vgl. Longerich, Die braunen Bataillone, S. 206–219; speziell zu Bayern Domröse, NS-Staat. 525 Förster, Harnier-Kreis, S. 310. 526 Vgl. Schaubild C (ebd., S. 311). 527 Siehe zur Altersstruktur des »Sperr-Kreises« im Anhang, Grafik 6.

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bayerischen Volk der monarchistische Gedanke offenbar nach wie vor weit verbreitet war. Doch konnte ihn ein »Harnier-Kreis« mehr gefährden, denn helfen. Sperr, Geßler und Hamm zählten dagegen zu jener Art von Männern, auf die keineswegs die von Redwitz in Bezug auf Harnier verwendeten Attribute – »zu geschäftig«, »nicht allzu klug«, »junger Mann von Geltungsbedürfnis«, »politische Unreife«528  – zutrafen. Sie agierten in der Regel besonnen, galten als außerordentlich klug und erfahren, und hatten die Zeiten, in denen man ihnen vielleicht Geltungsbedürfnis oder Unbesonnenheit nachsagen konnte, längst hinter sich gelassen. Die späteren Aussagen der Mitglieder des »Sperr-Kreises« über ihre Motivation zum Widerstand lassen ebenfalls auf eine nüchternere Einstellung zur monarchischen Frage schließen. Aus Sicht der führenden Mitglieder des Widerstandskreises, Sperr, Geßler und Hamm, schien Rupprecht vor allem als Integrationsfigur in Bayern dienen zu können. Ihm traute man es zu, den Übergang von der Diktatur zu einer neuen Ordnung sowie die Durchsetzung und Aufrechterhaltung von Recht und Sicherheit zu gewährleisten, unabhängig von der Frage der endgültigen Staatsform, ob also Monarchie oder Republik. Es war somit zu Beginn ihrer Widerstandstätigkeit vor allem die Sorge um die Zeit »Danach«, die das Spitzentrio des »Sperr-Kreises« zum Widerstand motivierte. Mit Fortdauer der NS-Diktatur trat innerhalb der Widerstandsgruppe der seit 1933 existierende weltanschauliche Gegensatz zum Nationalsozialismus weiter in den Vordergrund. Die Ablehnung der nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen, insbesondere der Judenpolitik, sowie der Kriegskurs, schließlich der völkerrechtswidrige Krieg und die Erkenntnisse über den Holocaust bestärkten Sperr, Geßler und Hamm in ihrer Widerstandshaltung.529 Die übrigen Mitglieder des »Sperr-Kreises« gaben in der Regel nach dem Krieg ihre Motive zum Widerstand zu Protokoll. Neben der Sorge um die Zeit »Danach« galt die Ablehnung der Ziele der Partei, der Gewaltherrschaft und des Krieges fast durchgängig als Hauptmotiv, der Antisemitismus der Partei als nachgeordnetes Motiv zum Widerstand. Dabei führte man einerseits staatspolitische, wirtschaftspolitische oder auch kulturpolitische Gründe an (Helfrich, Netschert, Vogel, Bögl), berief sich andererseits auf die eigene christliche, zumeist katholische Weltanschauung (Berz, Reisert, Fugger, Felix Brandl) oder aber auf die demokratische, liberale Gesinnung (Flach, Frank, Frisch, Schade). Von einem vorrangig monarchistischen Motiv zum Widerstand lässt sich deshalb bei den Männern um Franz Sperr keineswegs sprechen. Die Fokussierung auf die Zeit »Danach« mit dem bayerischen Kronprinzen an der Spitze Bayerns wurde aus der Mitte des Kreises vorgegeben und mit den übrigen Mitgliedern des Kreises offenbar gar nicht diskutiert. Dies dürfte vor allem auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass Rupprecht seit Januar 1940 in seinem italienischen Exil ausharrte und die umfangreiche Mitgliederwerbung 528 Gedächtnisniederschrift von Franz von Redwitz (o. O., o. D.), GHA, NL Redwitz 14. 529 Vgl. hierzu die Aussagen im Verhör nach dem 20. Juli 1944 in Kap. VIII.5.b.

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Der »Sperr-Kreis« – Aufbau und Wirken, Ziele und Struktur

erst nach der Niederlage von Stalingrad einsetzte. Zu diesem Zeitpunkt dürfte es unklar gewesen sein, ob sich der Plan, Rupprecht nach Kriegsende sofort nach Bayern zurückzuholen530, tatsächlich hätte umsetzen lassen. Außerdem wollten Sperr, Hamm und Geßler ihre Verbindung zum bayerischen Kronprinzen wohl auch möglichst geheim halten, um ihn und seine Familie nicht zu gefährden. Dennoch waren der Kronprinz und die Wittelsbacher-Dynastie natürlich auch in den Reihen des »Sperr-Kreises« besonders hoch angesehen. Dass man sich Rupprecht als idealen Kandidaten an der Spitze Bayerns nach erfolgtem Zusammenbruch vorstellen konnte, wäre für die Männer um Sperr allerdings – im Gegensatz zum »Harnier-Kreis« – in erster Linie ein Mittel zum Zweck gewesen. Durch seine Integrationskraft sollte ein geordneter Übergang erreicht werden, um Zustände wie in den Jahren 1918/19 zu verhindern. Das »Trauma« des Bürgertums wirkte bei den meisten Mitgliedern des »Sperr-Kreises« nach wie vor nach. Nicht nur die Motivation zum Widerstand war bei den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« höchst unterschiedlich, sondern auch ihre Beteiligung an aktiven Widerstandshandlungen während des »Dritten Reiches«. Das Ziel der Schaffung einer »Auffangorganisation« und die damit verbundene Widerstandstätigkeit der staatsrechtlichen und personellen Vorbereitung für die Zeit nach dem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« in Bayern wurden von der Mitte des Kreises vorgegeben. Durch ihre Mitarbeit an den Plänen und ihrer Zusage der Übernahme eines Amtes signalisierten die einzelnen Mitglieder ihre Zustimmung zu diesem Ziel. Daneben traten früh, das zeigten die Gespräche Sperrs und Herrgotts mit Otto von Waldenfels, Überlegungen zur militärischen Übernahme der Macht in Bayern im Falle eines Umsturzes im Reich. Hierfür waren umfangreiche Besprechungen und Informationen aus den Reihen des reichsweiten Widerstandes notwendig, auf die noch ausführlicher eingegangen wird.531 Dies blieben bis 1944 die Konstanten innerhalb des Widerstandes des »Sperr-Kreises« als Gesamtgruppe. Doch leisteten die einzelnen Mitglieder des Kreises entsprechend ihrer Fähigkeiten und Handlungsspielräume auch eigenständig vielfältigen Widerstand, der nicht unerwähnt bleiben soll. Schließlich zeigt er die ganze Bandbreite widerständigen Handelns, wie er aus den Reihen des Bürgertums zwischen 1933 und 1945 geleistet werden konnte. Dieser reichte von der einfachen Verweigerung des »Hitler-Grußes« und der Weigerung des Eintritts in die Partei oder seiner angeschlossenen Verbände, über die Verschleppung und Vernichtung von Befehlen und Anordnungen des NS-Regimes, bis hin zur Weitergabe von Informationen und der eigenständigen Verhinderung von NS-Unrechtsmaßnahmen. Innerhalb seiner Augsburger Fabrik seien beispielsweise Otto A. H. Vogel alle von 530 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 6, UAE, G 1/7 Nr. 1 sowie B Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S, 129. 531 Vgl. Hauptkap. VIII.

Strukturanalyse des Kreises 

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Parteistellen eingehenden Briefe ungeöffnet zugegangen. Anschließend habe er alle »Schriftstücke des Inhalts zugunsten des Aufbaues des Dritten Reiches und seiner Wirtschaft […] vernichtet oder selbst in Verwahrung genommen«.532 Währenddessen habe Paul Helfrich Informationen über bevorstehende Maßnahmen gegen die Juden an den Direktor und Referenten im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen, Dr. Karl Kreuser, zur Übermittlung an den Jesuitenpater Alfred Delp weitergegeben. Dieser, ein Mitglied des »Kreisauer Kreises«533, habe in zahlreichen Fällen noch rechtzeitig Vorsorge treffen können, wie Kreuser nach 1945 Helfrich bestätigte.534 Auch Martin Riedmayr habe seine Stellung und Beziehungen innerhalb des Münchener Polizeiapparates nach eigenen Angaben dazu benutzt, um Missbrauch der Polizeigewalt zu verhindern sowie Regimegegnern und verhafteten Juden zu helfen.535 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der »Sperr-Kreis« unterschied sich vom »Harnier-Kreis« in nahezu allen für den bayerischen Kronprinzen relevanten Kriterien. Daher kam für Rupprecht eine Zusammenarbeit ohne Weiteres in Frage. Die Gruppe um Sperr setzte sich aus einer bayerischen Führungsschicht zusammen, die nicht dem Adel, sondern überwiegend dem liberalen und katholischen Bürgertum entstammte. Die Personalstruktur des Kreises gab bereits die Ziele des Kreises vor: Die Übernahme der Macht sowie Durchsetzung und Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in Bayern konnte nur gelingen, wenn der staatsrechtliche Neuanfang geplant und mit erfahrenen Verwaltungs- und Wirtschaftsexperten das notwendige Personal bereitstand. Hierauf zielten die Bemühungen des »Sperr-Kreises« ab. Ob diese letztlich ausgereicht hätten, lässt sich nur spekulieren. Von Beginn an war zumindest klar, dass die eigenen Bemühungen ins Leere laufen würden, wenn das Ausland diese Anstrengungen nicht unterstützen und man den Zeitpunkt eines eventuellen Umsturzes auf Reichsebene falsch wählen würde. Daher richtete sich der Blick der führenden Köpfe des Widerstandskreises frühzeitig auf diese zwei Gesichtspunkte, die in den folgenden Hauptkapiteln ausführlich thematisiert werden sollen.

532 Otto A. H. Vogel an das Bayerische Ministerium für Sonderaufgaben (Augsburg, 12. Juli 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I+III Akten V-34. 533 Auf die Zusammenarbeit des »Sperr-Kreises« mit dem »Kreisauer Kreis« und Alfred Delp wird an späeterer Stelle noch ausführlicher eingegangen (vgl. Kap. VIII.2). 534 Bestätigung von Dr. Karl Kreuser (München, 29. Oktober 1945), StAM, SpkA K 671: Helfrich, Paul. 535 Vgl. Erklärung des Oberstleutnant der Schutzpolizei a. D. Martin Riedmayr für die Spruchkammer München-Land (Neu-Grünwald, 4. Juni 1947), S. 1–25, hier S. 12–14, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin.

VII. Der »Sperr-Kreis« – Auslandsinitiativen und Verfassungsentwürfe 1939 bis 1945

Wie verschiedene andere Widerstandsgruppen unternahmen auch die Männer um Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm in der unmittelbaren Vorkriegszeit den Versuch, den Frieden in Europa zu erhalten. Dies geschah in dem Wissen um die verheerenden Folgen eines neuerlichen Krieges, was Geßler bereits vor 1933 beschrieb.1 Auch Sperr hatte in seiner Funktion als Leiter der Münchener Zweigstelle der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften früh Aufklärungsarbeit über die Konsequenzen eines Zweiten Weltkrieges betrieben.2 Die deutsche Besetzung der restlichen Tschechoslowakei im März 1939 und das erneute Stillhalten der Westmächte führte zu einer regen Reisetätigkeit deutscher Oppositioneller, vor allem nach London. Ziel dieser Reisen war es, das britische Königreich über Hitlers tatsächliche Pläne aufzuklären. Ihre Warnungen zielten darauf ab, London zu notwendigen Vorkehrungen und unmissverständlichen Reaktionen gegenüber dem deutschen Diktator zu bewegen.3 In diesem Kontext muss auch die Aufnahme von Auslandskontakten durch Otto Geßler im Sommer 1939 gesehen werden. Für den bayerischen Kronprinzen Rupprecht und seine Berater war es in diesen Monaten zur Gewissheit geworden, »dass Hitler bei einer weiteren schwachen Haltung des Auslandes zum Krieg entschlossen war«.4 Deshalb entschloss man sich den Kontakt mit dem Ausland

1 Geßler war klar, dass der »moderne Krieg« verheerende Auswirkungen für die deutsche Bevölkerung und die deutschen Städte haben würde, vor allem dann, wenn in der Aufrüstungsfrage auf mehr Quantität statt Qualität, auf die allgemeine Wehrpflicht statt einer Berufsarmee gesetzt würde (vgl. Otto Geßler: Vortrag vor dem Industrie-Club Düsseldorf (26. Januar 1931), zit. n. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 465 f.). 2 Vgl. hierzu das Kap. V.3.a. 3 Im Mai 1939 war der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler nach London gereist, um dort die politische Lage zu erörtern. Anfang Juni begab sich der Diplomat Adam von Trott zu Solz in offizieller Mission nach England, um die Haltung Englands gegenüber Deutschland auszuloten. Auch er versuchte diesen Besuch zu nutzen, um die maßgeblichen politischen Kräfte Londons zu einem energischeren Auftreten gegenüber Hitler zu bewegen. Ähnliche Motive veranlassten im Laufe des Sommers 1939 unter anderem die Rechtsanwälte Fabian von Schlabrendorff und Helmuth James Graf von Moltke, den Journalisten Rudolf Pechel sowie den Diplomaten Erich Kordt zu Reisen nach London (vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 139–142). 4 Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 4, GHA, NL Redwitz 23.

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Der »Sperr-Kreis« – Auslandsinitiativen und Verfassungsentwürfe

zu suchen, um dort für eine entschlossenere Politik gegenüber Hitler-Deutschland zu werben. Mit Beginn des Krieges zielten die Bemühungen Otto Geßlers, der gedeckt durch den Chef des Amts Ausland / Abwehr im OKW, Admiral Wilhelm Canaris, ins Ausland reisen durfte, darauf ab, einen möglichen Friedensschluss zu sondieren. Gleichzeitig übernahm Geßler die Aufgabe, die Möglichkeiten einer Restauration der Wittelsbacher Monarchie nach einem möglichen Umsturz in Deutschland auszuloten. Ab 1943 ergriff Kronprinz Rupprecht aus seinem Exil in Florenz vermehrt die Initiative. Er übergab den westlichen Alliierten Großbritannien und USA umfangreiche Denkschriften, in denen er nicht zuletzt die staatliche Neugestaltung Deutschlands und Bayerns in den Mittelpunkt stellte und sich selbst als mögliche Führungsfigur für eine Zeit nach Kriegsende ins Spiel brachte. Inwieweit diese Verfassungsvorstellungen vom »Sperr-Kreis« unmittelbar bzw. gedanklich beeinflusst waren, soll in den darauffolgenden Kapiteln erörtert und beurteilt werden.

1. Otto Geßlers Auslandsmissionennach England, Italien und die Schweiz vor dem Hintergrund der Nachkriegspläne des »Sperr-Kreises« Otto Geßlers Auslandskontakte in den Jahren 1939–1942 geben bis heute einige »Rätsel« auf.5 Auch wenn es sich aufgrund der Quellenlage äußerst schwierig gestaltet, Geßlers Wege und Intentionen nachzuzeichnen, zielen die folgenden Kapitel darauf ab, dessen Auslandsmissionen vor dem Hintergrund der Nachkriegsplanungen des »Sperr-Kreises« in die Friedensbemühungen der deutschen Opposition dieser Jahre einzuordnen. Dabei soll eine Dreiteilung vorgenommen werden: Zunächst werden die unmittelbare Vorkriegszeit 1939 und Geßlers Auslandsreisen nach England und in die Schweiz betrachtet. Anschließend wird ausführlich seine geradezu geheimdienstliche Rolle vom Kriegsbeginn bis zum deutschen Angriff auf Holland und Belgien im Mai 1940 unter die Lupe genommen, ehe ein finales Kapitel über Geßlers Reisen bis ins Jahr 1942 diesen Komplex abschließt.

5 Vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 649, Anm. 197.

Otto Geßlers Auslandsmissionen 

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a) Initiativen zur Verhinderung des Krieges Im Sommer 1939 lud Kronprinz Rupprecht den ihm bekannten, ehemaligen englischen Diplomaten James C. Durham6 nach München ein.7 An einer Zusammenkunft auf Schloss Leutstetten nahm auch Otto Geßler teil. Dieses Treffen mit Durham muss als Ausgangspunkt der weiteren Bemühungen des »Sperr-Kreises« durch die Person Otto Geßlers gewertet werden. Dem früheren Reichswehrminister oblag ab diesem Zeitpunkt die Aufgabe, in Abstimmung mit Kronprinz Rupprecht durch Auslandssondierungen eine Zeit Bayerns nach Untergang des »Dritten Reiches« vorzubereiten. Schließlich war man bereits in den ersten vorbereitenden Gesprächen mit dem bayerischen Kronprinzen zu der Überzeugung gelangt, dass man der Unterstützung des Auslandes bedürfen werde, um in Bayern mit der Integrationsfigur Kronprinz Rupprecht an der Spitze, Sicherheit und Ordnung nach Untergang des »Dritten Reiches« wiederherzustellen.8 Das Treffen mit Durham erfüllte daher für Rupprecht den Zweck, »im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beizutragen, einen kommenden Krieg vielleicht noch zu verhindern« und Durham darüber zu informieren, »dass im Falle einer Beseitigung des nationalsozialistischen Regimes in Bayern gewisse Vorbereitungen getroffen seien«.9

6 James Cuninghame Durham (1879–1954), Studium in Hannover, 1903 Hochzeit mit Lady Agnes Townshend (Tochter des John Villiers Stuart Townshend, 5th Marquess Townshend), 1908–11 Appointed Honorary Attaché der Britischen Botschaft in Berlin, 1916 Secretary beim War Trade Intelligence Department (zu Durham vgl. dessen Nachlass im Norfolk Record Office in Norwich, England. Dieser ist allerdings für den hier relevanten Zeitraum unergiebig (E-Mail des Norfolk Record Offices an den Verfasser (8. November 2012)). Seit welcher Zeit Rupprecht mit Durham bekannt war, ließ sich nicht feststellen. Möglicherweise war diese Verbindung Teil der engen Beziehungen des bayerischen Kronprinzen zum britischen Adel. 7 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm« (Manuskript, o. D. [1948]), S. 4, GHA, NL Redwitz 23. 8 Vgl. Franz Freiherr von Redwitz: Franz Sperr und seine Beziehungen zu S. K. H. Kronprinz Rupprecht [1960] (Manuskript), S. 3, UAE, G 1/7 Nr. 1. 9 »Widerstandsgruppe Gessler, Sperr, Hamm.« (Manuskript, o. D.), GHA, NL Redwitz 23. – Konstantin von Bayern, ein entfernter Verwandter des bayerischen Kronprinzen, wusste zu Beginn der 1960er Jahre von dem Besuch des englischen Diplomaten zu berichten, »der als ›Tourist‹ aus London angereist kam, um die Lage in Deutschland zu studieren« (K. v. Bayern, Ohne Macht, S. 142). Rupprecht habe hiernach Durham zum Abschied erklärt: »Statt sich Illusionen hinzugeben, sollte man in London die Aufgaben ins Auge fassen, die sich aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus ergeben werden« (zit. n. ebd., S. 142). Ob dieses Zitat tatsächlich so gefallen ist, muss angesichts der Darstellungsform des Buches im Stile eines Dramas zweifelhaft erscheinen. Doch scheint Konstantin von Bayern zumindest bei Franz von Redwitz um ausführliche Informationen zu diesem Kompfex angefragt und diese auch erhalten zu haben. Redwitz berichtete unter anderem von Rupprechts »engsten Beratern Minister Gessler, dem früheren Gesandten Sperr und Minister Hamm« (Franz von Redwitz an Redwitz an Prinz Konstantin von Bayern (München, 16. Februar 1960), GHA, NL Prinz Konstantin A 103).

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Der »Sperr-Kreis« – Auslandsinitiativen und Verfassungsentwürfe

Durham schien nach dem Gespräch in München von den ernst gemeinten Absichten Rupprechts und Geßlers, einen Beitrag zur Verständigung Deutschlands mit England zu leisten, überzeugt gewesen zu sein. Eine erneute Zusammenkunft, diesmal in England, wurde offenbar geplant und dürfte Hauptanlass einer Reise Geßlers nach England im Sommer 1939 gewesen sein. Seinem Reisebericht zufolge traf der frühere Reichswehrminister am 22. Juni in England ein.10 Dort hielt er sich zunächst ein paar Tage in Oxford auf, wo er unter anderem mit Alexander Dunlop Lindsay11, 1st Baron Lindsay of Birker, zusammentraf, der damals Master des Balliol Colleges in Oxford war.12 Anschließend sei er in Norfolk Gast bei einem Angehörigen der englischen Aristo­ kratie gewesen, bevor er noch einige Tage in London verbrachte, wo er »mit verschiedenen Persönlichkeiten aus dem Spectatorkreis« zusammentraf. Bei dem Aristokraten aus Norfolk handelte es sich um James Durham. Dieser teilte am 5. Juli dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht mit, dass man sich sehr über Geßlers Besuch gefreut habe.13 Zum Inhalt der Gespräche mit dem früheren Reichswehrminister machte Durham keine Angaben. Allerdings schloss er seiner Bemerkung »I have too much hope for peace – in fact I feel it must be peace for the world« unmittelbar die Aussage an, dass es sehr interessant gewesen sei, »to talk quite openly to Dr. Gessler«. In seinem offiziellen Bericht für Canaris musste Geßler naturgemäß den hauptsächlichen Inhalt seiner Gespräche verschweigen, kündigte jedoch an, ausführlicher mündlich zu berichten.14 Geßler machte indes deutlich, dass er einen Kriegsausbruch für immer wahrscheinlicher 10 Vgl. »Eindrücke von einer Reise in England vom 22. Juni bis 7. Juli 1939« (Manuskript), BAK, NL Geßler (N 1032) 62. 11 Eine enge Verbindung zwischen Geßler und Lord Lindsay wurde in den 1970er Jahren bereits von Ernest K. Bramsted angedeutet (vgl. Kettenacker, Das »Andere Deutschland«, S. 102). Lindsay hatte sich bei der Oxford by-election im Oktober 1938 für einen Sitz im House of Commons zur Wahl gestellt, unterlag jedoch seinem konservativen Gegenkandidaten. Im Wahlkampf hatte er sich gegen das Münchener Abkommen vom September 1938 ausgesprochen und eine härtere Gangart gegenüber Deutschland gefordert. – Eine Anfrage bei der Keele University Library, die den Nachlass Lord Lindsays verwahrt, ergab, dass Lindsay in seinen Tagebüchern den Namen Otto Geßler nicht erwähnte (E-Mail der Keele University Library an den Verfasser (8. März 2013)). 12 Geßler habe nach eigenen Angaben von Lindsay die Hoffnung auf Frieden vernommen. Gleichzeitig habe dieser ihm aber auch deutlich gemacht, dass England um seiner »Existenz in der Welt« Willen zum Kampf bereit sei, woraufhin ihm Geßler – die tatsächlichen Absichten Hitlers verkennend und vom deutschen Anspruch auf die nach dem Ersten Weltkrieg abgetretenen Gebiete überzeugt – erklärt habe: »Auch für uns ist Danzig kein Eroberungszug, sondern die Wiedergutmachung eines durch Wortbruch begangenen Unrechts« (»Eindrücke von einer Reise in England vom 22. Juni bis 7. Juli 1939« (Manuskript), BAK, NL Geßler (N 1032) 62). 13 James Durham an Kronprinz Rupprecht (London, 5. Juli 1939), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 866. 14 Bei einem geplanten Treffen Ende Juli 1939 wollte Geßler Canaris »auch noch Einzelheiten von England erzählen, die nicht in den Bericht gehören« (Otto Geßler an Wilhelm Canaris (München, 14. Juli 1939), BAK, NL Geßler (N 1032) 62).

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halte: Die Machtansprüche Deutschlands und Italiens würden demnach in England als Herausforderung wahrgenommen. Das Vereinigte Königreich sei geschlossen zum Kampf gegen die Achsenmächte bereit und nutze insbesondere die deutsche Innenpolitik, wie die Kirchenpolitik des »Dritten Reiches«, für eigene Propagandazwecke.15 Zurück aus England teilte Geßler seinen Verbündeten im Widerstandskreis seine auf der Insel gesammelten Eindrücke mit.16 Für ihn selbst blieb nur eine kurze Verschnaufpause. Kurz nach seiner Heimkehr erreichte ihn in Lindenberg überraschend die Postkarte eines politischen Weggefährten aus Berliner Tagen: Reichskanzler a. D. Joseph Wirth lud ihn und seine Frau zu sich in die Schweiz ein.17 Dass Wirth seinem ehemaligen Ministerkollegen ein wichtiges Anliegen vorzutragen hatte, wird bereits durch die Tatsache verdeutlicht, dass er, der in Luzern wohnte, Geßler und dessen Frau, die wahrscheinlich am 11. Juli unter einem Decknamen in die Schweiz einreisten, ein ganzes Stück entgegenkam, sodass man sich zu einem Gespräch im bischöflichen Palais in St. Gallen traf. Wirth sollte in der Folgezeit für die Auslandskontakte Otto Geßlers eine zentrale Bedeutung zukommen. Über das Treffen mit Geßler am 11. Juli 1939 vermerkte der ehemalige Reichskanzler: »Gessler kommt von England. Er ist zweifellos dort gewesen, um im Auftrage der Reichswehr zu sondieren. Die Englishmen in Oxford haben ihm tüchtig eingeheizt. Gessler ist ganz geschmissen. Er sieht die Lage sehr ernst an. 15 Vgl. »Eindrücke von einer Reise in England vom 22. Juni bis 7. Juli 1939« (Manuskript), BAK, NL Geßler (N 1032) 62. – Geßlers Reisebericht weist Ähnlichkeiten mit den Berichten auf, die der frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler von seinen Reisen ins westliche Ausland für das NS-Regime, hohe Militärs und einflussreiche Industrielle anfertigte. Goerdeler verfolgte hierbei eine Doppelstrategie: Einerseits wollte er durch seine Reisen den Westen zu einem energischeren Auftreten gegenüber dem Reich bewegen. Andererseits erhoffte er sich, durch Hinweise auf eine durchaus vorhandene Verhandlungsbereitschaft des Westens, die »gemäßigten« Kräfte innerhalb des NS-Regimes zu stärken und damit unmittelbar Einfluss auf die Außen- und Innenpolitik in Deutschland ausüben zu können (vgl. Gillmann / Mommsen, Politische Schriften, S. 477–487). Eine letzte Verständigungsbereitschaft bestand auch den Ausführungen Geßlers zu Folge in England nach wie vor. 16 Am 13. Juli 1939 trafen Geßler, Sperr und Hamm im Haus des Professors Walter Goetz in München mit dem ehemaligen deutschen Botschafter in Rom Ulrich von Hassell zusammen, der anschließend in sein Tagebuch notierte: »G[eßler] war mehrere Wochen in England und hat viele Leute von Bedeutung gesehen.« Er habe dort den Eindruck gewonnen, daß die Engländer einen erneuten Vorstoß Hitlers nicht mehr hinnehmen würden. Dennoch hegten diese, so Geßler gegenüber von Hassell, nach wie vor die Hoffnung, Hitler werde, bevor die Lage eskaliere, einlenken. Die klare Botschaft, die der ehemalige Reichswehrminister demnach aus England vernahm, lautete trotzdem: Wenn Hitler-Deutschland sich einer Verständigung verschließe, »sei man entschlossen, mit Hitler und seinen Leuten keinen Frieden zu machen« (Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 13. Juli 1939), in: Hassell, Die HassellTagebücher, S. 98). 17 Seit seiner kurz zuvor erfolgten Rückkehr aus Paris, wo Wirth sich vier Jahre lang aufgehalten hatte, lebte dieser wieder in Luzern.

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England macht auch ernst«.18 Sogar über die englische Strategie in einem möglichen Krieg habe Geßler etwas erfahren.19 Das Treffen in St. Gallen ist nicht nur deshalb interessant, weil es einige zusätzliche Details über Geßlers Reise nach England hervorbringt. Wirths Zeilen legen nahe, dass Geßler bereits jetzt enge Beziehungen zur Wehrmachtsspitze insbesondere zum Generalstabchef des Heeres, Franz Halder, und dem Oberbefehlshaber der Marine, Großadmiral Erich Raeder, pflegte. Es verdeutlicht gleichsam, dass Geßler sich nicht mit dem erfolglosen Bemühen, eine Verständigung Deutschlands mit England herbeizuführen und damit einen möglichen Krieg zu verhindern, abfinden wollte. Denn er entsprach nun der Bitte Wirths, auch zur französischen Seite hin zu sondieren, indem er eine Besprechung zwischen einem französischen und einem deutschen Abgesandten in der Schweiz zu vermitteln versprach.20 Obwohl Wirth Geßler seit über acht Jahren nicht mehr gesehen hatte, hatte der ehemalige Reichskanzler eine besonders hohe Meinung vom ehemaligen Reichswehrminister.21 Geßlers Ansehen in Deutschlands und im Ausland schätzte er sehr hoch ein. In ihm sah er eine der wenigen Persönlichkeiten, die »diese Dinge überhaupt besprechen« könnten.22 Wirth wusste um Geßlers ausgezeichnete Beziehungen zu hohen Offizieren des Reichswehrministeriums.23 Dieser konnte gut informiert berichten, dass ein Krieg während der Sudetenkrise im September 1938 »unmöglich« gewesen sei.24 Und auch nun, im Sommer 1939, seien der neue Generalstabschef des Heeres, General Franz Halder, und der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, nicht zum Krieg bereit.25 Dies genügte Wirth offenbar, um Geßler über die französische Initiative ins Bilde zu setzen. Geßler versprach, mit General Halder Kontakt aufzunehmen, der »die einzige Persönlichkeit«26 sei, an die er sich wenden könne, 18 Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123. 19 Vgl. ebd. 20 Vgl. Otto Geßler an Gerhard Ritter (17. März 1954), BAK, NL Geßler (N 1032) 35. Wirth habe Geßler erklärt, dass seine »französische[n] Freunde«, die in Verbindung zu Daladier ständen, »nichts unterlassen« würden, »um – ohne Hitler, mit dem es keine Verträge mehr gibt, – mit der Reichswehr in Kontakt zu kommen« (Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123). 21 Wirth zählte Geßler »zum Fähnlein der Aufrechten« und fügte diesem Bild pathetisch hinzu: »Seine Ehre ist unsere Ehre« (Aufzeichnung Joseph Wirth (Luzern, 14. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123). 22 Ebd. 23 Vgl. Otto Geßler an Gerhard Ritter (17. März 1954), BAK, NL Geßler (N 1032) 35. 24 Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123. Geßler schien somit über die Haltung der deutschen Militäropposition während der Sudetenkrise, insbesondere über die Haltung des damaligen Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, zumindest informiert gewesen zu sein (zur so genannten »Septemberverschwörung« 1938 vgl. Fest, Staatsstreich, S. 76–104). 25 Vgl. Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123. 26 Ebd. Die Frage, an wen Geßler sich wenden könnte, schien beide sehr zu beschäftigen. Wirth gab daher in seinem Vermerk über das Gespräch zu bedenken: »Ob sich nach den Änderungen im Oberkommando der Reichswehr noch selbständige Menschen, die Deutschland nicht

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und Wirth bei seinem nächsten Schweiz-Aufenthalt Mitte August über das Ergebnis zu unterrichten.27 Geßler trat nicht unmittelbar mit Halder in Kontakt. Für Ende Juli hatte sich Admiral Canaris bei ihm in Lindenberg angekündigt. Dass er über äußerst interessante Neuigkeiten aus Frankreich verfüge, teilte Geßler diesem unmittelbar nach seiner Rückkehr aus der Schweiz zunächst mit.28 Ein Treffen mit dem Spionagechef hielt Geßler nun für dringend erforderlich.29 Das Anliegen Wirths nahm er ernst, so dass er Canaris anbot, ihm in München und »notgedrungen« auch in Berlin Vortrag zu halten.30 Offenbar fand ein Treffen zwischen beiden tatsächlich Ende Juli statt. Geßler gab später an, er habe den Auftrag Wirths wunschgemäß ausgeführt, indem er über Canaris Verbindung zu Halder aufgenommen habe.31 Der Generalstabschef des Heeres habe ihm daraufhin einen Zettel zukommen lassen, »daß es ihm ganz unmöglich sei, in diesem Sinne zu vermitteln, da Hitler ihm und den meisten Generälen ohnehin mit dem größten Mißtrauen gegenüberstehe«. Dies habe Geßler seinem Auftraggeber Wirth bei einer zweiten Besprechung in der Schweiz unverzüglich mitgeteilt.32 Nur vor dem Hintergrund dieses Gesprächs zwischen Geßler und Wirth vom 11. Juli 1939 lassen sich die nachfolgenden Entwicklungen und die Rolle, die Geßler dabei spielte, nachvollziehen.33 Denn bereits hier deutete Geßler – neben einem 2. Versailles zuführen lassen wollen, bei den Waffenträgern finden, ist sehr zweifelhaft« (Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123) Geßler dürfte sich auch für Halder entschieden haben, weil er aller Wahrscheinlichkeit nach auch über dessen Vertrauensverhältnis zum Kronprinzen Rupprecht informiert war. 27 Ebd. 28 In seinem Schreiben an Canaris, dem der Bericht über seine Englandreise beigefügt war, sprach Geßler bereits davon, dass ihm nach seiner Rückkehr aus England »über die Schweiz Mitteilungen aus Paris und von den obersten Regierungskreisen dort durch eine Persönlichkeit, die in hoher Stellung war, die ich aber seit Jahren aus den Augen verloren habe«, zugegangen seien (Otto Geßler an Wilhelm Canaris (München, 14. Juli 1939), BAK, NL Geßler (N 1032) 62). 29 Ob Geßler die Unterhaltung in der Schweiz im August fortsetzen werde, wolle er vom Interesse Canaris’ abhängig machen, weshalb er ihm »mündlich Vortrag erstatten« müsse (Otto Geßler an Wilhelm Canaris (München, 14. Juli 1939), BAK, NL Geßler (N 1032) 62). 30 Ebd. 31 Otto Geßler an Gerhard Ritter (17. März 1954), BAK, NL Geßler (N 1032) 35. 32 Ebd. Ob dieses Treffen tatsächlich am 15. August 1939 stattfand, bei dem Geßler auch mit Wirths Stuttgarter Kontaktleuten aus dem »Boschkreis« zusammenkommen sollte, ließ sich nicht verifizieren. Auch Scholtyseck, Robert Bosch, erwähnt ein solches Treffen nicht. 33 Das Gespräch vom 11. Juli 1939 wird bei Klemperer, Schlie und Scholtyseck gar nicht, bei Hörster-Philipps nur knapp erwähnt (vgl. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S 550). Obwohl Schlies Untersuchungszeitraum, der Zweite Weltkrieg, erst später einsetzt, hätte er mit dem Hinweis auf dieses Gespräch der Frage nach der Rolle Geßlers bei den Auslandskontakten der deutschen Opposition näher kommen können. Klemperer dagegen stand der Nachlass Joseph Wirths (BAK, N 1342) noch nicht zur Verfügung. Für Scholtyseck spielte Geßler vor Kriegsausbruch wohl vor allem deshalb keine wichtige Rolle, da er »weder mit Goerdeler noch mit dem Boschkreis direkten Kontakt hatte« (Scholtyseck, Robert Bosch, S. 649, Anm. 197).

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seiner Bereitschaft als Vermittler zwischen den Konfliktparteien und späteren Kriegsgegnern zu fungieren  – seinem Gesprächspartner gegenüber an, dass man sich in Deutschland, insbesondere in seiner bayerischen Heimat, intensive Gedanken über eine Zeit »Danach« mache. Bei dem Treffen riss man einige dies­bezügliche Themen an, wobei Geßler der Aufzeichnung Wirths zufolge die Erwartungen an die Zukunft überwiegend pessimistisch beurteilt habe: Hinsichtlich der Bedeutung der früheren Länder habe Geßler resignierend festgestellt, »dass der alte Gedanke der Länderstaatlichkeit« zurücktrete, während der »Einheitsstaatsgedanke […] gesiegt« habe.34 Die »monarchische Bewegung« in Deutschland soll Geßler noch pessimistischer beurteilt haben: »Das Länderkönigtum tritt zurück«. Es sei auch »kein mutiger Thronprätendent in den Ländern da«. Die preußischen Prinzen habe er als Taugenichtse charakterisiert, während Kronprinz Rupprecht von Bayern bereits 70 Jahre alt sei.35 Trotz dieses personellen Desasters »erwache« zumindest »die Sehnsucht nach einem Reichskönigtum«.36 Wirth wollte außerdem von Geßler wissen, ob seiner Meinung nach »eine revolutionäre Situation« erreicht sei. Der ehemalige Reichswehrminister habe dies verneint. Trotzdem seien erste Anzeichen zu sehen, dass das deutsche Volk, den »Irrsinn«, den Geßler vor allem in den verschwenderischen Staatsausgaben sah, nun langsam erkenne: »Die Augen gehen auf.« Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 und die anschließende Kriegserklärung Englands an Deutschland manifestierte die Wirkungs­ losigkeit von Otto Geßlers und Kronprinz Rupprechts England-Initiative im Frühjahr / Sommer 1939. Bis in britische Regierungskreise schien ihr Vorstoß jedenfalls nicht gelangt zu sein.37 Dies könnte an den fehlenden Einflussmöglichkeiten des ehemaligen englischen Diplomaten Durham und der anderen Gesprächspartner Geßlers gelegen haben. Weniger wahrscheinlich ist dagegen, dass man Geßler und den im Hintergrund die Fäden ziehenden Rupprecht aufgrund ihrer im »Dritten Reich« bestehenden Abseitsstellung gar nicht erst als ernstzunehmende Gesprächspartner wahrnahm. Schließlich sollten ihre anschließenden Unternehmungen in der Schweiz, in Italien und im Vatikan, ihre politische Haltung gegenüber dem NS-Regime und ihre schriftlich ausgearbei-

34 Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123. Hieraus stammen auch die nachfolgenden Zitate dieses Absatzes. 35 Dies disqualifizierte den Wittelsbacher in Geßlers Augen sicherlich nicht. Er wollte hiermit wohl lediglich zum Ausdruck bringen, dass man aufgrund dessen gehobenen Alters nicht all seine Hoffnungen auf Rupprecht setzten sollte. Dies vor allem nicht angesichts der Tatsache, dass ein Zusammenbruch des NS-Regimes für ihn noch nicht erkennbar war. 36 Geßler gab damit die Stimmung in Deutschland wieder, wie er sie unter anderem aus persönlichen Gesprächen mit Ulrich von Hassell im Januar 1939 selbst wahrgenommen hatte (vgl. Hassell, Vom Andern Deutschland, S. 40). 37 Dies ergaben Recherchen in den National Archives in London / Kew. Auch die Überraschung der Engländer von Geßlers plötzlichem Auftauchen in den folgenden Monaten unterstützt diese These. Hierauf soll im folgenden Kapitel ausführlich eingegangen werden.

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teten Nachkriegspläne in der Folgezeit sehr wohl von der »Feindesseite« wahrgenommen werden. b) Der deutsch-britische Nachrichtenkanal über Otto Geßler und Joseph Wirth in Schweiz und Vatikan in Winter und Frühjahr 1939/40 Mit Ausbruch des Krieges ging es dem »Sperr-Kreis« darum, in Erfahrung zu bringen, unter welchen Bedingungen die Alliierten sich mit Deutschland auf einen Friedensschluss einigen könnten. Für die Bayern war dabei insbesondere von Interesse, wie sich die Alliierten ein Deutschland nach Zusammenbruch des NS-Regimes vorstellten. Spannungen mit anderen deutschen Widerständlern waren vorprogrammiert. Schließlich warf der im Exil lebende bayerische Kronprinz Rupprecht über seine Mitarbeiter in Bayern seinen Hut in den Ring und bewarb sich geradezu um eine Führungsrolle in Nachkriegsdeutschland.38 Daher sollen die Auslandsmissionen Geßlers an dieser Stelle zwar im Gesamtkontext der Auslandsbemühungen des deutschen Widerstands dargestellt, dabei jedoch das spezifisch bayerische Interesse stets im Blick behalten werden. Geßler versuchte in den ersten Monaten des Jahres 1940, über zwei geheime Kanäle Kontakte zum feindlichen Ausland herzustellen: Zum einen über Joseph Wirth in der Schweiz und zum anderen über seine Vertrauten Prälat Ludwig Kaas und Pater Robert Leiber SJ im Vatikan. Sein Ziel war es, auf diesen Wegen die Möglichkeiten eines Friedensschlusses mit Großbritannien auszuloten und gleichzeitig bei den Alliierten für die Akzeptanz der Wittelsbacher Monarchie als post-nationalsozialistischer Ordnungsfaktor in Bayern zu werben. Die folgenden Monate sollten zeigen, dass Geßler, trotz des missglückten Versuches, den Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, vor Kriegsbeginn als Vermittler eines deutsch-französischen Deeskalationsgesprächs zu gewinnen, die Verbindung zu ihm aufrechterhielt. Obwohl sich an der zaudernden und teilweise opportunistischen Haltung Halders gegenüber Hitler und seinen Kriegsplänen bis zu seinem Ausscheiden als Generalstabschef des Heeres nicht viel ändern sollte, ließ man auch auf oppositioneller Seite keine Gelegenheit unversucht, ihn doch unwiderruflich auf ihre Seite zu ziehen.39 Noch vor Ende des Polenfeldzugs kündigte Hitler gegenüber seiner hohen Generalität an, schon bald gegen Holland und Belgien, zwei neutralen Staaten, vorgehen zu wollen.40 Dies stieß beim Oberbefehlshaber des Heeres, General Walter von Brauchitsch, und bei dessen Generalstabschef Halder auf Ab­ 38 Vgl. Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 22. März 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tage­ bücher, S. 182 f. 39 Vgl. hierzu beispielsweise die Bemühungen Carl Goerdelers und die Argumente Halders, die dieser im November 1939 für seinen »Gehorsam« gegenüber Hitler anführte (Tagebucheintrag Hassell (5. Dezember 1939), in: ebd., S. 143–147, insbes. S. 144 f.). 40 Der »Sperr-Kreis« erfuhr über Franz Kempner Ende Oktober 1939 von den Angriffsplänen Hitlers (vgl. Kap. V.2.a).

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lehnung.41 Otto Geßler sei, so erinnerte sich Joseph Wirth nach 1945, noch vor Weihnachten 1939 erneut in die Schweiz gekommen, um ihm »den Wunsch des General Halder« zu übermitteln, »mit England Fühlung zu nehmen, um zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen England bereit sei, mit der deutschen Armee zu einem Waffenstillstand und Frieden zu kommen«.42 Wirth setzte somit auf Geßlers Initiative hin einen Brief an den englischen Premierminister Neville Chamberlain auf.43 Ob Geßlers Auftraggeber wiederum tatsächlich Halder war, darf dagegen bezweifelt werden. Dessen ablehnende Haltung gegenüber einem Angriff auf Holland und Belgien war der deutschen Opposition genauso bekannt wie dessen »Kadaver-Gehorsam« gegenüber dem Führer.44 Geßler unternahm gemeinsam mit Ulrich von Hassell noch einige Tage vor Weihnachten 41 Man stimmte darin überein, dass ein längerer Abnutzungskrieg gegen die Westmächte aufgrund der eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht gewonnen werden könne (vgl. Ueberschär, Für ein anderes Deutschland, S. 46). 42 Joseph Wirth an F. de la Fontaine (Luzern, 24. April 1948), BAK, NL Wirth (N 1342) 117. In fast gleichem Wortlaut beschrieb Wirth diesen Vorgang in einem Schreiben an den Berner Bundesrat Eduard von Steiger: »Herr Dr. Gessler überbrachte mir die Anregung des Herrn Generals von Halder, mit England Fühlung zu nehmen, um zu erfahren, unter welchen Bedingungen die Englische Regierung bereit wäre, mit der deutschen Armeeführung einen Frieden zu schliessen« (Joseph Wirth an Bundesrat von Steiger (Luzern 28. Januar 1948), BAr, E4001C#1000/783#2968*; auch in BAK, NL Wirth (N 1342) 116 – diese Abschrift allerdings auf den 28. Februar 1948 datiert). Vgl. hierzu außerdem Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S. 553, insbes. Anm. 113. In einem Schreiben an den Industriellen Fritz Thyssen schrieb Wirth zudem Anfang Dezember: »Ohne eigenes Zutun ist mir eine gewisse Mission zugefallen, nach Friedensmöglichkeiten auszuschauen« (Joseph Wirth an Fritz Thyssen (Luzern, 1. Dezember 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 117). Hierin verwies Wirth zudem auf prominente Persönlichkeiten aus Deutschland, mit denen er in der Schweiz Rücksprache gehalten habe. 43 Die Forschung war sich bisher uneinig, wer das Schreiben Wirths in Auftrag gab. Was die Wirth-Biographin Hörster-Philipps in diesem Zusammenhang bereits zutreffend dargelegt hat (vgl. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S. 553 f.), schien dem Historiker Gerhard Ritter in den 1950er Jahren zumindest bekannt: »Soviel ich weiß, war Wirth durch Geßler veranlaßt worden, seine Londoner Verbindungen zu mobilisieren« (Gerhard Ritter an Hans Ritter (8. März 1954), BAK, NL Ritter (N 1166) 493). Diese Information verwertete Ritter jedoch nicht in seiner Goerdeler-Biographie. Klemperer sprach Jahrzehnte später von einer Initiative Wirths, ohne näher auf die Hintergründe einzugehen (vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 149). Ihm stand der Nachlass Wirths noch nicht zur Verfügung. Laut Schlie habe angeblich der deutsche Luftwaffenattaché Hans Ritter Wirth überredet, den Brief an Chamberlain zu schreiben (vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 168; so auch Scholtyseck, Robert Bosch, S. 306). Es gibt allerdings keine plausible Erklärung dafür, warum Wirth in den oben zitierten Erklärungen nach 1945 die Unwahrheit gesagt haben sollte. Darüber hinaus gab Hans Ritter auf Nachfrage Gerhard Ritters nach 1945 selbst zu, dass er erst Ende Dezember 1939 von seinem englischen Freund Christie gebeten worden war, sich mit Wirth bekannt zu machen: »Ob und welche Schritte vorher etwa von Herrn Dr. W[irth] selbst unternommen worden waren«, war ihm »nicht bekannt« (Hans Ritter an Gerhard Ritter (Urach / Württemberg, 12. März 1954) BAK, NL Ritter (N 1166) 493). 44 Vgl. Tagebucheintrag Hassell (5. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 143–147, insbes. S. 144 f.).

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1939 verzweifelt den Versuch, den »Ruhrkapitän« Paul Reusch dazu zu bewegen, Halder von einem notwendigen Handeln zu überzeugen. Zu diesem Zeitpunkt konnte sich Halder also noch nicht dazu entschlossen haben, den Widerstand gegen Hitler aktiv zu unterstützen.45 Als Auftraggeber kommt er deshalb kaum in Frage. Es scheint, als habe Geßler entweder auf eigene Faust oder aber – dies ist wahrscheinlicher – nach Absprache mit Admiral Canaris, der sein Verbindungsmann zum Generalstabschef des Heeres war, gehandelt. Da man sich Halders Haltung noch nicht sicher sein konnte, die Zeit jedoch drängte, spekulierte man womöglich darauf, dass Halder und auch Brauchitsch eher einlenken würden, wenn erst einmal eine englische Antwort eingetroffen war. Wirth jedenfalls ging davon aus, dass er gemäß Halders Willen handelte, als er im Dezember 1939 sein Schreiben an den britischen Premierminister verfasste. Einen ersten Entwurf ließ er von einem seiner Verbindungsleute nach England gegenlesen, bevor er den Brief an Heiligabend 1939 nach England verschickte.46 Gleich im zweiten Absatz des Briefes erwähnte Wirth eine »bürgerliche Opposition« in Deutschland.47 Wirth erwähnte weiter, dass der rasche Erfolg in Polen zwar zu einem »Rausch- und Trancezustand[…]« innerhalb des deutschen Volkes geführt habe, dem allerdings durch die konsequente Haltung Englands und Frankreichs ein »endgültiges Aufwachen der Militärs und der Industrie« gefolgt sei.48 Nun seien weitere positive Signale aus Frankreich und England notwendig, um »Gedanken zur Wendung der politischen Dinge und zu mutvollem Handeln« im gesamten deutschen Volk zu wecken. Wirth wies daher auf die kommende Rede Chamberlains am 9. Januar 1940 hin, zu der er ihm nun – im Auftrag seiner Verbindungsleute in Deutschland – Anregungen unterbreiten wolle: Man habe es in deutschen Oppositionskreisen begrüßt, dass die führenden westlichen Staatsmänner eine vollkomme Zerstörung Deutschlands bislang zumindest in ihren Reden nicht in Betracht gezogen haben. Gegen 45 Vgl. Tagebucheintrag Hassell (21. Dezember 1939), in: ebd., S. 148–150, insbes. S. 148 f.; Scholtyseck, Robert Bosch, S. 300 f.  – Gleiches traf im Übrigen auf Geßlers Freund, den Großadmiral Raeder, zu, der Ende Dezember 1939 in einem Gespräch mit Goerdeler zwar erklärt habe, »daß die Verhältnisse unerträglich seien«, er aber erst bei einer Aktion dabei wäre, »wenn die Armee handle« (Tagebucheintrag Hassell (30. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 152–155, hier S. 154). 46 Vgl. Joseph Wirth an Neville Chamberlain (Luzern, 24. Dezember 1939), BAK, NL Wirth (N 1342), 80. 47 Auf ihre Existenz sei er durch »Nachforschungen und persönliche Rücksprachen mit deutschen Industriellen und ehemaligen Politikern, die ihrerseits gute Beziehungen zu führenden Militärs haben«, aufmerksam geworden (ebd.). Einer der »ehemaligen Politiker« war ohne Zweifel Otto Geßler. Bei den »deutschen Industriellen« handelte es sich einerseits um Personen aus dem Umfeld Robert Boschs. Andererseits erhielt Wirth regelmäßig Besuch durch den Industriellen Fritz Thyssen. 48 Wirth war diesbezüglich durch Geßler – womöglich mit Absicht – zu optimistisch informiert worden. Denn von einem endgültigen Aufwachen der Militärs konnte, wie bereits gezeigt wurde, zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede sein, was sich in der Folgezeit als fatal erweisen sollte.

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eine vollkommene Zerstörung Deutschlands werde sich das deutsche Volk stets »bis zum letzten Mann wehren«. Hiervon klar zu unterscheiden sei eine vollkommene Zerstörung des NS-Regimes, die auch von der deutschen Opposition erhofft werde, und auch weiterhin Programm des Westens bleiben müsse. Wirth regte weiter an, dem deutschen Volk seine politische Souveränität zu garantieren und ihm zu vertrauen, dass es den Weg zu Rechtsstaatlichkeit und Humanität selbst beschreiten werde. Er empfahl Chamberlain, das Scheitern des »totale[n] Einheitsstaats mit preußischem Zuschnitt und mit wirtschaftlicher und geistiger wie seelischer Gleichschaltung« zu verkünden. Gleichzeitig solle dieser hinzufügen, dass »ein klarer und tiefgreifender Foederalismus, in dem auch die ruhmvollen kulturellen Kräfte Süd- und Westdeutschlands in Wissenschaft, Kunst und Religion wie im staatlichen und politischen Leben zur Geltung kommen, schon ein bedeutender Lichtblick in dieser unheilvollen Zeit« seien.49 Otto Geßler dürfte insbesondere diese beiden Vorschläge zur staatlichen Neuordnung Deutschlands begrüßt haben, da sie im Falle ihrer Umsetzung einem post-nationalsozialistischen Bayern einige politische Spielräume geboten hätten. Chamberlains Rede am 9. Januar 1940 konnte man tatsächlich als Antwort auf Wirths Brief auffassen.50 Über die Vertrauenswürdigkeit Wirths, seine Verbindungen nach Deutschland und die tatsächliche Putschbereitschaft der Militärs wollte man im Foreign Office derweil mehr in Erfahrung bringen. Zu diesem Zweck beauftragte man Ende Dezember 1939 den deutschen Offizier Hans Ritter, der schon seit längerem ein Gegner des NS-Regimes war und über ausgezeichnete Kontakte noch London verfügte, mit Wirth in Kontakt zu treten.51 Neben der Schweiz erwies sich der Vatikan als Tummelplatz alliierter und deutscher Spione. Die Winterbemühungen der deutschen Opposition 1939/40, eine angekündigte Westoffensive Hitler-Deutschlands gegen Holland und Belgien durch geheime Verhandlungen unter anderem mit London zu verhindern, spielten sich daher vor allem an diesen beiden Orten ab. Auch Otto Geßlers regelmäßige Reisen in die Schweiz und nach Rom im ersten Quartal des Jah49 Joseph Wirth an Neville Chamberlain (Luzern, 24. Dezember 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 80. 50 Vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 309. Scholtyseck betont jedoch, dass man sie auch als Kompromisslosigkeit gegenüber Deutschland deuten konnte. 51 Nach Hans Ritter habe ihn sein langjähriger Freund der Group Captain Malcolm Christie zu diesem Schritt aufgefordert (vgl. Hans Ritter an Gerhard Ritter (Urach / Württemberg, 12. März 1954) BAK, NL Ritter (N 1166) 493). – Hans Ritter (1886–1972), 1933–35 Delegierter des Reichsverbandes der Deutschen Luftfahrtindustrie in Paris, 1935–38 Sachbearbeiter für Luftfahrtfragen bei der Deutschen Botschaft in Paris, 1939 Kuraufenthalt in der Schweiz, 1940 Emigration nach London, 1946–52 Landrat des Landkreises Münsingen in Württemberg-Hohenzollern (zur Rolle Hans Ritters bei den Auslandsaktivitäten der deutschen Opposition vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, insbes. S. 236–243 u. S. 303–330; zu Ritters Ankunft in der Schweiz im August 1939 vgl. Abschrift Polizeikommando des Kantons Luzern an den Chef des Polizeidienstes bei der Bundesanwaltschaft in Bern (Luzern, 5. November 1939), BAr, E2001D#1000/1553#5556*).

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res 1940 müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden. Ende November 1939 hatte der einstige Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler in einem Gespräch mit dem ehemaligen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, erstmals die Überlegung angestellt, Geßler zu veranlassen, »nach Rom zum Vatikan zu fahren, um eine Äußerung des Papstes in dem Sinne, daß er sich immer noch für einen anständigen Frieden einsetzen werde, herzubringen«.52 Geßlers Kontakte im Vatikan waren vielfältig. Zu nennen sind hierbei insbesondere sein politischer Weggefährte, der ehemalige Vorsitzende der Zentrumspartei Prälat Ludwig Kaas, und der persönliche Mitarbeiter des Papstes Pius XII., Robert Leiber SJ. Tatsächlich schien Geßler Anfang Januar 1940 eine Vermittlerrolle des ­Papstes ins Kalkül gezogen zu haben. Ob der frühere Reichswehrminister allerdings von Goerdeler oder Hassell den Auftrag zur Kontaktaufnahme mit dem Vatikan erhielt, ist unklar. Womöglich gab ihm Admiral Canaris, den er ständig über seine Reisen auf dem Laufenden hielt, entsprechende Instruktionen.53 Am 5. Januar 1940 traf Geßler jedenfalls erneut in der Schweiz ein54, um Joseph Wirth 52 Tagebucheintrag Hassell (5. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 143–147, hier S. 146). – Goerdeler hatte bereits im März 1939 einen »Vorschlag für eine päpstliche Initiative« ausgearbeitet. Hiernach sollte der Papst sich für »einen wahren, gerechten und glücklichen und dauernden Frieden« einsetzen (Gillmann / Mommsen, Politische Schriften, S. 762 f., hier S. 763). Der »Vorschlag« scheint allerdings seinen Adressaten Papst Pius XII. nie erreicht zu haben (vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 419, Anm. 237). 53 Goerdeler und Hassell standen in jenen Tagen laufend mit Admiral Canaris in Verbindung. Ein Gespräch zwischen Hassell und Canaris fand nur einen Tag nach Goerdelers Hinweis gegenüber Hassell statt, dass man Geßler für eine Vatikan-Mission gewinnen müsse. Es ist durchaus möglich, dass Hassell gegenüber Canaris, mit dem er »ganz offen sprach«, diesen Weg, zu einer Friedensmöglichkeit zu gelangen, angeregt hatte (Tagebucheintrag Hassell (5. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 143–147, hier S. 147). Auch könnte der Kreis um Robert Bosch, der mit Goerdeler enge Kontakte unterhielt, als Auftragsübermittler in Frage kommen. Bei seinem Treffen mit Wirth im Juli 1939 hatte sich Geßler schließlich bereiterklärt, mit Wirths Stuttgarter Freunden Mitte August 1939 zusammenzukommen (vgl. Aufzeichnung Joseph Wirth (11. Juli 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 123). Ob ein solches Treffen tatsächlich, wie verabredet, im August 1939 in der Schweiz stattfand, ließ sich nicht ermitteln. Auch Scholtyseck erwähnt eine solche Zusammenkunft nicht. Allerdings hielt sich Geßler nach seinen folgenden Schweiz- und Vatikanreisen auch immer wieder für kurze Zeit in Stuttgart auf, so dass man zumindest von einer Verbindung ausgehen darf, die informatorischen Charakter besaß. 54 Über diese Reise vom 5. bis zum 20. Januar 1940 fertigte Geßler für Canaris einen Bericht an. Hierin gab er als Zweck seiner Reise wissenschaftliche Studien über die politische Zeitschriftenliteratur Frankreichs und der Schweiz an. Außerdem berichtete er über Stimmung, politische und militärische Lage in der Schweiz, Frankreich, England und Italien basierend auf seinen Eindrücken und Unterhaltungen, die er auf seiner Reise führte. Wichtiger Gesprächspartner sei ihm hierbei der schweizerische Oberstdivisionär Eugen Bircher gewesen, der als Militärschriftsteller – so meinte Geßler – die militärische Lage in Europa bestens einschätzen könne. Von ihm erfuhr er unter anderem, dass England mit militärischen Mitteln kaum niederzuringen sei. Dagegen seien die Spätfolgen des letzten Krieges besonders in Frankreich sichtbar, wo eine auffällige Kriegsmüdigkeit zu verzeichnen sei. Dort sorge

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»sozusagen händeringend« darum zu ersuchen, Verbindung mit Rom aufzunehmen. Papst Pius XII. solle seinen Einfluss auf Mussolini geltend machen, damit dieser wiederum Hitler von der Aufgabe seiner Angriffspläne gegen Holland und Belgien überzeuge. Daneben solle der Papst versuchen, »auf andere geeignete Weise die Deutsche Reichsregierung zu beeinflussen«.55 Neben dem unmittelbaren Versuch einer Einflussnahme auf Chamberlain sollte nun der Papst als Vermittler und vertrauenswürdige Instanz gewonnen werden56, um in England der anti-deutschen Stimmungslage entgegenzuwirken.57 Dies galt als Grundvoraussetzung, um dem deutschen Volk die Angst vor einem zweiten »Versailles« zu nehmen und die Militärs endlich zum Handeln bewegen zu können. Aus Rom ließ Wirth deshalb einen »sehr bekannten Mann kommen«, dem er das Anliegen Geßlers vortrug.58 Hierbei handelte es sich um den deutschen Jesuiten und Professor für Sozialethik Gustav Gundlach SJ. Während seiner Professur an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom gehörte Gundlach man sich vor allem wegen der wirtschaftlichen Lage Englands, die auch Frankreich in Mitleidenschaft ziehen könnte. Ein längerer Wirtschaftskrieg sei nicht im Interesse Englands, das nachgeben werde, wenn durch den Krieg sein Empire ruiniert werde. Auch hinsichtlich der Kriegsziele bestehe zwischen England und Frankreich Uneinigkeit. Einen Kriegseintritt Italiens hielt Geßler nach seinen Erkundigungen für unwahrscheinlich (Reisebericht Geßlers (o. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 62, Bl. 51–57). 55 Wirth schrieb weiter, dass er »auf das furchtbarste erstaunt« gewesen sei. Er bezeichnete das Gespräch mit Geßler als »eine der schwersten Stunden, die ich im politischen Leben durchgemacht habe«. Die in Briefform verfasste Notiz war wahrscheinlich ursprünglich an den Schweizerischen Bundesrat Giuseppe Motta gerichtet, dem Wirth insbesondere versichern wollte, dass sich alle seine Schritte »ganz vertraulich vollziehen [und] sich im Rahmen der schweizerischen Neutralität bewegen« (Notiz Wirths (Bern, 1. Februar 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 47). Motta war jedoch kurz zuvor am 23. Januar 1940 im Amt verstorben. 56 Dies dürfte ganz im Sinne Chamberlains und Halifax’ gewesen sein, die den Papst, nach Aussage Robert Leibers SJ, schon im Herbst 1939 hatten wissen lassen, dass sie bei kommenden Friedensverhandlungen größten Wert auf seine Mitwirkung legten (vgl. Abschrift eines Protokolls Josef Müllers über seine Besprechungen in Rom beim Vatikan vom 6.–12. November 1939, IfZ, ZS 659/1, Bl. 2–31, hier Bl. 30). 57 Die Gespräche in der Schweiz bestätigten Geßler zusätzlich in seiner Meinung, dass es nicht ausreichte, lediglich an Chamberlain unmittelbar heranzutreten. Der britische Premierminister gehöre zwar jenen Kreisen in England an, die keine Zerschlagung Deutschlands propagierten. Doch sei die »ursprüngliche Taktik, zwischen Führer und Partei einerseits und dem deutschen Volk andererseits zu unterscheiden«, wie Wirth sie in seinem Schreiben an Chamberlain an-geregt und dieser in seiner Rede vom 9. Januar 1940 formuliert hatte, in England offenbar auf wenig Resonanz gestoßen. Sogar Gerüchte von einem baldigen Sturz Chamberlains hätten in der Schweiz die Runde gemacht (Reisebericht Geßlers (o. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 62, Bl. 51–57, hier Bl. 55). Dass die »Identifikation von ›System‹ und ›Deutschland‹« zunehme, hatte Hassell bereits Mitte Dezember 1939 im Gespräch mit dem »Sperr-Kreis« im Hause Eduard Hamms festgestellt. Er beschrieb hierbei wohl die Perspektive Englands und fragte sich zugleich, wie lange man noch zu einem »anständigen Frieden« kommen könne (Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 15. Dezember 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 148). 58 Notiz Wirths (Bern, 1. Februar 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 47.

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neben dem Pater Robert Leiber SJ zum engsten päpstlichen Beraterkreis. Beide arbeiteten an mehreren Enzykliken für Papst Pius XII. mit. Gundlach, der mit Leiber und Wirth seit längerem daran arbeitete, den Papst in seiner öffentlichen Haltung gegenüber Deutschland zu beeinflussen59, hatte offenbar bereits im Vorfeld ein Schreiben Wirths erreicht, in dem dieser ankündigt hatte, dass in Deutschland starkes Interesse an einer Vermittlerposition des Papstes bestehe. Die verschlüsselte Antwort Gundlachs deutete an, dass er mit dem Papst gesprochen hatte und über Details der Aussprache zwischen dem 18. und 22. Januar 1940 mit Wirth in der Schweiz sprechen wolle.60 Über den Inhalt des Treffens in Luzern ist nur wenig bekannt.61 Dass allerdings über eine eventuelle Vermittlerfunktion des Papstes diskutiert wurde, ist gewiss.62 Nach Rom zurückgekehrt, bezeichnete Gundlach das Gespräch »als sehr ergibig«, zumal man im Vatikan »gleichlaufende Funde gemacht habe«.63 Diese »gleichlaufenden Funde« 59 So schrieb Gundlach bereits im Sommer 1939 an Wirth, dass der neue Papst Pius XII. das NS-System zwar unbedingt ablehnt, sich jedoch  – zur Enttäuschung Gundlachs  – noch nicht öffentlich zu deutlich positionieren will: »Alle Bemühungen, die ganze Stellungnahme aus der Ebene des Taktischen ins Grundsätzliche zu erheben, sind einstweilen vergeblich. Sie können sich denken, wie unsereinem, der das aus der Nähe sehen muss und der dabei noch fruchtlose Stilübungen leisten muss, zu Mute ist« (Gustav Gundlach an Joseph Wirth (4. August 1939), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). 60 Vgl. Gustav Gundlach SJ an Dr. Karl Zeller [Joseph Wirth; »Karl« war der Vorname von Wirths Vater und »Zeller« der Mädchenname seiner Mutter Agathe: d. Vf.] (handschriftlich falsch datiert: 10.1.39: laut Poststempel: Rom, 10. Januar 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. Hörster-Philipps hat bereits die Relevanz dieser Korrespondenz zwischen Wirth und Gundlach für das Verständnis der Rolle Papst Pius XII. in den ersten Monaten des Zweiten Weltkrieges angedeutet (vgl. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S. 559). Die hier nun erfolgte, detaillierte Entschlüsselung zeigt, dass sie unbedingt eine grundlegende Quelle darstellt, um die außenpolitischen Interessen des Papstes und den Ablauf seiner Friedensinitiativen zu Beginn des Krieges nachzuvollziehen. Sie wirft allerdings auch weitere Fragen auf, die – wenn überhaupt – erst mit der Öffnung des Vatikanischen Archivs für das Pontifikat Pius XII. zufriedenstellend beantwortet werden können. 61 Gundlach berichtete in der Rückschau von einer »Winterreise nach Luzern«, wo er »Informationen aus dem Kreis des ehemaligen Wehrministers Gessler erhalten« hatte, »der im übrigen auch mehrmals in Rom selbst war«. (»Meine Bestimmung zur Sozialwissenschaft« von Gustav Gundlach (1962), in: Rauscher, Wider den Rassismus, S. 192–208, hier S. 205). Ein mögliches, unmittelbares Treffen mit Geßler dürfte zwischen dem 18. und 20. Januar stattgefunden haben. Anschließend kehrte Geßler nach Deutschland zurück (vgl. Reise­bericht Geßlers (o. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 62, Bl. 51–57). 62 Gundlach sollte einige Jahre später bestätigen, dass seine Reise nach Luzern durch Papst Pius XII. veranlasst war, an den sich Wirth im Auftrag Geßlers gewandt habe, um ihn eventuell für eine Vermittlungsaktion bei den Westmächten zu gewinnen. Gundlach habe die Ernsthaftigkeit dieser Initiative sondieren sollen (schriftl. Mitteilung von Prof. Anton Rauscher an den Verfasser (15. März 2013). 63 Gustav Gundlach SJ an Dr. Carl Zeller [Joseph Wirth: d. Vf.] (Vatikanstadt, 6. Februar 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. »Über alles Gehörte« habe Gundlach ein Memorandum in Rom abgeliefert (»Meine Bestimmung zur Sozialwissenschaft« von Gustav Gundlach (1962), in: Rauscher, Wider den Rassismus, S. 206). Später habe sich Gundlach eher negativ über die

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dürften sich auf die Mission des Münchener Rechtsanwalts und Abwehroffiziers Josef Müller, genannt »Ochsensepp«, bezogen haben.64 So teilte der Papst dem britischen Gesandten Francis Osbourne etwa zeitgleich mit, dass er erneut eine Mitteilung seines »reliable intermidiary« erhalten habe.65 Es scheint tatsächlich so, als habe Geßler – bewusst oder unbewusst – im Auftrag der Goerdeler-Gruppe deren Wunsch nach einer Friedensvermittlung des Papstes an den Vatikan weitergetragen. Sein Handeln schuf im Vatikan zusätzliches Vertrauen in die Friedensabsichten einer deutschen Widerstandsbewegung, die zuvor lediglich über den Kanal des »Ochsensepps« belegt schienen. Geßler war somit in die Friedensbemühungen der deutschen Widerstandsbewegung involviert und arbeitete keineswegs ausschließlich für eine bayerische Nachkriegsordnung. Dies entsprach ohne Zweifel seiner Haltung, die er auch in den Jahren der Weimarer Republik an den Tag gelegt hatte, in denen er als bayerischer Reichspolitiker, in erster Linie die Geschicke des Reiches mitbestimmt hatte. Auch in den folgenden Monaten sollte Geßler eine tragende Rolle im Rahmen der Auslandsbemühungen des deutschen Widerstands zukommen. Anfang Februar 1940 ergriff zunächst das britische Foreign Office die Initiative. Auf Anweisung des Chief Diplomatic Advisors, Robert Vansittard, und mit Wissen des britischen Außenministers Halifax schickte es zwei Emissäre, den Group Captain Malcolm Graham Christie und Philip Conwell-Evans, in die Schweiz, um sich ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit und Nützlichkeit des Kontakts zu dem früheren Reichskanzler Wirth zu machen.66 Erfolgsaussichten des Gesprächs in Luzern geäußert. Er habe aufgrund seiner »früheren Erfahrungen, die er in Berlin gemacht hatte, nicht viel von dem Gespräch in Luzern erwartet […]«. Er sei davon überzeugt gewesen, »dass auf Generäle und Wirtschaftsführer als politische Akteure« kein Verlass sei (schriftl. Mitteilung von Prof. Anton Rauscher an den Verfasser (15. März 2013)). 64 Der Abwehroffizier Müller versuchte im Auftrag der Widerständler Hans Oster, Hans von Dohnanyi und Admiral Canaris über den Vatikan eine Verbindung nach London herzustellen, mit dem Ziel, die Möglichkeiten eines Verständigungsfriedens zu sondieren (zu den »Vatikanischen Verhandlungen« Müllers vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 158–168). 65 Vgl. Francis Osbourne an Lord Halifax (7. Februar 1940), TNA, FO 371/24405. 66 Sir Robert Vansittard (1881–1957) war schon seit längerem ein dezidierter Gegner der Appeasement-Politik Chamberlains. Seit Mitte der 1930er Jahre stand er bereits mit späteren deutschen Oppositionellen, insbesondere mit Carl Friedrich Goerdeler, in Kontakt. Von 1930 bis 1937 in der Funktion des Permanent Under-Secretary des Foreign Office wurde er 1938 aufgrund seiner Kritik an der Haltung Chamberlains gegenüber Deutschland auf den Posten des »Diplomatischen Chefberaters« der britischen Regierung abgeschoben. Seitdem verfügte er nur noch über begrenzten Einfluss auf die britische Außenpolitik, den er allerdings zu nutzen verstand. Ende Dezember 1939 hatten Vansittard bereits durch Christie Pläne aus dem süddeutschen Raum erreicht, die im sogenannten »Boschkreis« entwickelt wurden und ein seinen Vorstellungen entsprechendes, realistisches Gegenmodell zu ›preußischen‹ Vorstellungen eines Europa nach Hitler« anregten. Christie wies er daher an, die Verbindung nach Süddeutschland weiter zu pflegen. (vgl. hierzu Scholtyseck, Robert Bosch, S. 306 f.).

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Am 11. Februar 1940 erfolgte ein erstes Zusammentreffen der Englishmen mit Joseph Wirth. In den nächsten Tagen folgten zwei weitere Treffen.67 Als Beweis ihrer Verständigungsbereitschaft brachten die Emissäre den Entwurf einer Rede mit, die Chamberlain am 24. Februar in Birmingham halten wollte. Hierin erklärte Chamberlain zwar dem deutschen Expansionsstreben entschieden entgegenzutreten, ließ jedoch zugleich Verhandlungsspielraum durchblicken.68 Am 12. Februar wurde Wirth von einem Vertrauensmann der gegen Hitler eingestellten deutschen Militärs aufgesucht69, der ihm den Auftrag übermittelt habe, mit den Alliierten in Kontakt zu treten. Hierüber setzte Wirth Christie am folgenden Tag in Kenntnis.70 Ein Treffen Christies mit Hans Ritter sorgte dann jedoch am 14. Februar für große Verwirrung. Ritter berichtete seinem englischen Freund von einem Gespräch, dass er am 10. Februar mit dem Bosch-Direktor Willy Schloßstein geführt habe. Schloßstein habe, wie Ritter in einem durch Christie noch am gleichen Tag dem Foreign Office zugespielten Bericht erklärte71, kurz zuvor mit Carl Friedrich Goerdeler die politische Lage erörtert. Goerdeler habe Schloßstein beauftragt, über Ritter den Kontakt zur britischen Regierung herzustellen, um ein Treffen Goerdelers mit britischen Emissären in der Schweiz zu arrangieren.72 Der Bosch-Direktor habe weiter erklärt, dass führende Generäle in Deutschland zu einem Putsch bereit seien. Diese würden allerdings eine Erklärung der britischen Regierung verlangen, wie diese sich gegenüber einem Deutschland nach Hitler verhalten würden.73 Die Zeit dränge, da »ab Ende März mit dem Beginn von Grosskämpfen gerechnet werden« müsse »und dann die Chance vorüber wäre«74. Nach der postalischen Erklärung Wirths, dass eine zum Umsturz bereite Militäropposition in Deutschland existiere, wurde dies nun auch durch Schloß-

67 Vgl. hierzu vor allem das über seine Schweizreise angefertigte Memorandum Christies (19. Februar 1940), TNA, FO 371/24389; vgl. zu dieser Reise auch die Ergebnisse der Überwachung durch die Schweizer Behörden (Abschrift Polizei-Korps des Kantons Luzern an das Polizeikommando des Kantons Luzern (Luzern, 19. Februar 1940), BAr, E4320B#1984/ 29#691*). 68 Vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 314. 69 Bei dem Emissär aus der Großindustrie dürfte es sich um den Bosch-Sekretär Willy Schloßstein gehandelt haben (vgl. handschriftliche Aufzeichung Christies (12. Februar 1940), CAC, CHRS 1/35). 70 Vgl. Handschriftliche Aufzeichnung Christies (Luzern, 13. Februar 1949), CAC, CHRS 1/35. 71 Bericht von Johnie [Ritter] an Grahame [Christie] (11. Februar 1940, CAC, CHRS 1/33 sowie Christie an Vansittard (14. Februar 1940), TNA, FO 371/24405. 72 Vgl. Malcolm Christie an Robert Vansittard (14. Februar 1940), TNA, FO 371/24405. 73 Vgl. ebd. Was die Beteiligung Goerdelers an solchen Sondierungsgesprächen betraf, war man im Foreign Office durchaus skeptisch. In einer Randnotiz bemerkte Vansittard: »As you know I am not a great believer in Dr. Goerdeler a[nd] the Generals. There is always too much ›jam tomorrow‹ about them« (Robert Vansittard an Alexander Cadogan (14. Februar 1940), TNA, FO 371/24405). 74 Bericht von Johnie [Ritter] an Grahame [Christie] (11. Februar 1940), CAC, CHRS 1/33.

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stein mündlich bestätigt. London musste sich nun die Frage stellen, ob sich beide Mitteilungen auf ein und dieselbe Quelle beriefen.75 Man gerate in ein schreckliches Durcheinander, wenn man sich nicht auf einen vertrauenswürdigen Kanal beschränken würde, erklärte Christie daher gegenüber Wirth am 14. Februar.76 Der ehemalige Reichskanzler bedauerte die entstandene Verwirrung. Die Darstellung seiner vielseitigen Verbindungen nach Deutschland und zum Vatikan dürften den Briten jedoch nur zusätzlich irritiert haben. Durch Otto Geßler verfüge Wirth nach eigenen Angaben über Kontaktmöglichkeiten zum Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, und zu anderen, nicht weiter namentlich genannten Generälen.77 Goerdelers Einfluss im Reich spielte Wirth derweil in seinen Gesprächen mit Christie herunter: Dieser zähle »in an lesser capacity« zu der Gruppe der Verschwörer in Deutschland78, weshalb dessen Informationen womöglich veraltet seien.79 Daher verwies Wirth erneut darauf, dass er persönlich durch den Emissär der Militärs beauftragt worden sei, mit den Briten in Kontakt zu treten.80 Zunächst wolle er jedoch noch eine 75 Zudem hatte sich in jenen Wochen auch der amerikanische Journalist Max Jordan in die Vermittlungsbemühungen eingeschaltet, was zusätzlich für Verwirrung sorgte. Dessen Involvierung kritisierte Christie in seinem Gespräch mit Wirth am 14. Februar ausdrücklich. (vgl. zu den Verbindungen Jordans zu Wirth, Goerdeler, zum »Boschkreis« und nach London, die bis zum Winter 1940/41 bestehen sollten, Scholtyseck, Robert Bosch, S. 315–317). 76 Vgl. Memorandum Christies (19. Februar 1940), TNA, FO 371/24389. 77 Vgl. ebd.; außerdem Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 175. 78 Aufzeichnung Christies »Meeting with W[irth]« (Luzern, 13. Februar 1940), CAC, CHRS 1/35 sowie Scholtyseck, Robert Bosch, S. 313. 79 Vgl. Memorandum Christies (19. Februar 1940), TNA, FO 371/24389. Wirth bat daher darum, Goerdeler über Ritter die Nachricht zu übermitteln, dass er nun persönlich mit den Engländern gesprochen habe und diese seine Ausführungen nach London übermitteln werden (ebd.). 80 Christie hielt die Bemerkungen Wirths in seinem Memorandum fest: »He [Wirth: d. Vf.] assured me that the German emissary, a big industrialist, who hat come specially to see him two days previously had made it clear to him that he came by order of the Generals an the leaders of the Opposition to charge him to communicate their message to his British friends, as indeed he had done to me« (ebd.). Warum Schloßstein in seinem Gespräch mit Ritter am 10. Februar ausdrücklich eine Kontaktaufnahme Goerdelers mit britischen Emissären angeregt, dann aber offenbar am 12. Februar in Basel gegenüber Wirth signalisiert hatte, dass dieser im Auftrag der Militärs mit London in Kontakt treten solle, ist nicht ganz durchsichtig. Womöglich wollte man die Beziehungen Wirths lediglich nutzen, um den Kontakt mit den Briten auszubauen. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Schreiben, das Wirth wenige Tage nach den Gesprächen in der Schweiz von Gundlach aus Rom erhielt, indem es hieß: »Sollte je der Archäologe, den sie kürzlich in Basel sprachen, sich an Sie wenden, so geben Sie ihm bitte keinerlei Auftrag. Er ist nicht verläßlich!« (Reiner [=Gundlach] an Dr. Karl Zeller [=Wirth] (Rom, 15. Februar 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). Ob der »Archäologe« tatsächlich Willy Schloßstein war, konnte nicht verifiziert werden. Ein paar Tage zuvor hatte Wirth auch den amerikanischen Journalisten Max Jordan in Basel getroffen. Sollte jedoch Schloßstein gemeint sein, könnte dies bedeuten, dass man im Vatikan womöglich den Kanal Schloßstein / Goerdeler für weniger zielführend erachtete und deshalb versucht haben könnte, Wirth die Vermittlung eines Gesprächs Goerdelers mit den Briten auszureden.

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schriftliche Erklärung mit genaueren Details abwarten, die ihn in den folgenden Tagen aus Deutschland erreichen sollte. Anschließend wollte Wirth einen Brief an Chamberlain schreiben.81 Indem er seine Legitimation hervorhob, als Vermittler des deutschen Widerstandes aufzutreten und Goerdeler gleichzeitig in die zweite Reihe verwies, mag sich Wirth »gegen eine konservative Ausrichtung im Widerstand« gestellt haben.82 Wichtiger dürfte ihm jedoch sein persönlicher Einfluss auf die weitere Entwicklung gewesen sein. Schließlich durfte er davon ausgehen, dass erst sein Schreiben an Chamberlain den Anstoß für die Schweizer Kontakte nach England gegeben hatte. Nun wollte er auch künftig das Heft des Handelns in der Hand behalten. Darüber hinaus stellte Wirth in den Gesprächen mit Christie deutlich seine freundschaftlichen Beziehungen zu Otto Geßler heraus, von dessen Einflussmöglichkeiten auf den deutschen Generalstab er ohnehin überzeugt war.83 Obwohl Christie im Memorandum seine Schweizreise als insgesamt sehr ergiebig beschrieb, da er einige Informationen über die Lage in Deutschland und über die aus Deutschland in die Schweiz entsandten Vertrauensleute der zum Umsturz bereiten hohen Militärs gesammelt hatte, wurden weder Goerdeler noch Geßler von London als vertrauenswürdige und einflussreiche Persönlichkeiten eingestuft.84 Da jedoch insbesondere Christie den von Wirth empfohlenen Weg über Geßler als unkomplizierter wahrnahm als ein Hinzuziehen G ­ oerdelers85, sollte Geßler tatsächlich in den folgenden Wochen eine besondere Rolle als Mittelsmann zukommen. Obwohl ein zweites Schreiben Wirths an Chamberlain ausblieb, erhielten Christie und Conwell-Evans Anfang März 1940 erneut durch Vansittard den Auftrag, in der Schweiz Erkundigungen einzuholen. Sollten diese positiv ausfallen, wollte man einen letzten Versuch wagen und den angeblich zum Umsturz bereiten Generälen in Deutschland eine bereits mitgeführte Nachricht zukommen lassen.86 81 Vgl. Memorandum Christies (19. Februar 1940), TNA, FO 371/24389. 82 Scholtyseck, Robert Bosch, S. 313. Wirth zählte bereits in der Weimarer Republik zum linken Flügel der Zentrumspartei. In der zweiten Hälfte des Krieges sollte er sich im Exil mit den Sozialdemokraten Otto Braun und Wilhelm Hoegner zusammentun (vgl. hierzu HörsterPhilipps, Joseph Wirth, S. 587 ff.). 83 Aufzeichnung Christies »Meeting with W[irth]« (Luzern, 13. Februar 1940), CAC, CHRS 1/35; Scholtyseck, Robert Bosch, S. 313. 84 Nach Ansicht des S. I. S. lohnte es sich kaum, mit einem von beiden in Kontakt zu treten: »We feel that, to say the least, much of what Goerdeler says lacks authority. We also wonder whether Gessler, who has been out oft he picture for years, really cuts any ice« (Gutachten des S. I. S. (29. Februar 1940), TNA, FO 371/24389). 85 Christie schrieb: »It will be seen, therefore, that W’s request as communicated to me is a very much simpler affair than the official assurances asked for by Dr. Goerdeler« (Memorandum Christies (19. Februar 1940), TNA, FO 371/24389). 86 Vansittard machte auf Wunsch Cristies eine Aktennotiz, in der er vermerkte, dass weder Christie noch er an einen Erfolg dieses Experiments glaubten. Für den Fall, dass es tatsächlich wie angenommen scheitern sollte, erklärte er, werde man danach keinen weiteren Versuch unternehmen (vgl. Notiz Vansittard (11. März 1940), TNA, FO 371/24389).

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Im Vatikan war man über den nun bestehenden deutsch-britischen Kanal über Wirth und Geßler in diesen Wochen gut informiert. Einen Tag bevor die britischen Emissäre am 12. März erneut in der Schweiz eintrafen, sollte der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop überraschend dem Papst einen Besuch abstatten. Im Vatikan befürchtete man, dass dieses Treffen eine mögliche Übereinkunft der deutschen Militärs mit den Engländern in der Schweiz negativ beeinflussen könnte. Daher wies Gundlach in einem Schreiben an Wirth nachdrücklich darauf hin, dass man dringend »abschließen« müsse.87 Diesen Abschluss erhoffte man sich von der Zusammenkunft mit Wirth in LausanneOuchy, zu der Christie und Conwell-Evans tatsächlich eine schriftliche Erklärung ihrer Regierung mitbrachten. Es war ein »Stillhalteangebot« im Falle eines Umsturzes in Deutschland.88 Nach späteren Angaben Hans Ritters habe Christie im Vorfeld bereits eine Mitteilung des Foreign Office angekündigt und verlangt, dass bei der Übermittlung der ehemalige Reichskanzler Wirth anwesend sein müsse.89 Bei dem Treffen hielt Christie Wirth zunächst vor, dass dieser es versäumt habe, einen zweiten Brief an Chamberlain mit konkreten Details eines Umsturzes zu übermitteln. Wirth begründete daraufhin sein Verhalten: Er habe die Ankunft von Otto Geßler erwartet, der ihn mit näheren Informationen aus dem deutschen Generalstab versorgen sollte.90 Im Februar sei diese nicht mehr erfolgt. Doch habe sich Geßler nun für den darauffolgenden Tag angekündigt. Der ehemalige Reichskanzler sicherte den Engländern zu, dass er sich sogleich über die britische Gesandtschaft an das Foreign Office wenden werde, sollte Geßler eine klare Haltung der Militärs überbringen.91 Den Briten genügte offenbar schon die vage Zusicherung der Handlungsbereitschaft der deutschen Militärs. Denn im Anschluss trug Christie Wirth das bereits erwähnte »Stillhalteangebort« mündlich vor. Besonders betonte er den Umstand, dass alle Zusicherungen nur bis Ende April 1940 Gültigkeit haben würden. Hans Ritter, der im Nebenraum gewartet hatte, wurde im Anschluss an das Gespräch gestattet, sich einige Bleistiftnotizen zu machen92, ehe das mitgebrachte Dokument durch Conwell-Evans verbrannt wurde. 87 Vgl. Gustav Gundlach an Joseph Wirth (12. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16.  88 Die wichtigsten Punkte der Botschaft lauteten, dass die britische Regierung »eine vorübergehende Krise, wie sie im Anschluß an eine Aktion der deutschen Opposition entstehen könnte, nicht militärisch zum Nachteil Deutschlands, etwa durch einen Angriff im Westen, ausnützen« würde, wenn im Gegenzug der »Preussengeist« ausgeschaltet und in einer neuen deutschen Regierung kein Mitglied des NS-Regimes vertreten sein würde (Notizen über eine vertrauliche Mitteilung des Auswärtigen Amtes (o. D.), BAK, NL Ritter (N 1166) 493). 89 Vgl. Hans Ritter an Gerhard Ritter (Urach / Württ., 23. März 1954), BAK, NL Ritter (N 1166) 493. Diese Angaben Ritters unterstreicht die Relevanz des Kanals Wirth / Geßler aus Londoner Sicht. 90 Vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 318. 91 Vgl. Aufzeichnung Christie (16. März 1940), CAC, CHRS 1/35. 92 Diese bildeten die Grundlage der Fassung, die wahrscheinlich nach dem Krieg durch Hans Ritter maschinenschriftlich erstellt wurde (vgl. Notizen über eine vertrauliche Mitteilung des Auswärtigen Amtes (o. D.), BAK, NL Ritter (N 1166) 493 sowie BAK, NL Wirth (N 1342) 80).

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Wirth erhielt somit »eine konkrete und autorisierte britische Zusage an die Verschwörer, die ein positives Endergebnis des Ringens zwischen der deutschen Opposition und dem britischen Foreign Office versprach«93. London hatte sich entschieden, den Weg über Wirth / Geßler zu gehen. Von entsprechenden Gesuchen Goerdelers hatten sich die Briten also vorerst distanziert. Auch Ritter sicherte Christie zu, Wirths Position als deutsch-britischer Vermittler in der Schweiz gegenüber den deutschen Militärs zu stärken.94 Das britische Foreign Office unterstrich durch sein Handeln, dass es die »süddeutsche Verbindung« gegenüber dem »Preußengeist« bevorzugte. Die Frage, »ob die ›süddeutsche Verbindung‹ [….] überhaupt im Zentrum der Verschwörung lag«95, dürfte sich in London gar nicht gestellt haben. Hier ging es in erster Linie um den Zugang zum aktiven Generalstab. Wirth hatte mehrfach die engen Beziehungen Geßlers zur militärischen Führung im Reich hervorgehoben. Aufgrund dessen früherer Rolle als Reichswehrminister erschien dies auch für Außenstehende durchaus einleuchtend und realistisch. Auf die These Klemperers, dass Wirth seine Verbindungen nach Deutschland übertrieb, und die Briten deshalb aufs falsche Pferd setzten, als sie ihre Botschaft an Wirth mit der Bitte um Weiterleitung an Geßler mit finaler Bestimmung beim deutschen, oppositionell eingestellten Generalstab übergaben96, wird noch einmal zurückzukommen sein. Bevor auf das anschließende Treffen Wirth / Geßler eingegangen wird, soll zunächst noch einmal kurz die Perspektive gewechselt werden. Den Vatikan hielt Wirth über seine Kontakte nach England und Deutschland durchgängig auf dem Laufenden.97 Jedoch hatte er offenbar verschwiegen, dass von Einigkeit und Handlungsbereitschaft innerhalb der deutschen Militäropposition bis zu diesem Zeitpunkt kaum die Rede sein konnte. So war sein dortiger Vertrauter Gundlach zwar sehr erfreut, dass das Treffen mit den britischen Emissären erfolgreich verlaufen war. Gleichzeitig zeigte sich der deutsche Jesuit jedoch verwundert darüber, dass man nun die maßgeblichen militärischen Kreise im Reich erst noch überzeugen müsse.98 Während England aus Gundlachs Sicht wiederholt auf die 93 Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 152. 94 Vgl. Aufzeichnung Christie (16. März 1940), CAC, CHRS 1/35. 95 So jedoch Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 152 f. Klemperer begründete seine »Zweifel« mit dem Argument, dass weder Geßler noch Wirth über ernsthafte Verbindungen zu Goerdeler verfügten und auch zwischen Beck und Halder »keineswegs enge Beziehungen« bestanden. Fraglich ist jedoch, ob Beck / Goerdeler, die Klemperer offenbar als »Zentrum der Verschwörung« ausmachte, tatsächlich über bessere Beziehungen zum aktiven Generalstab verfügten, als der ehemalige Reichswehrminister Otto Geßler. 96 Vgl. ebd., S. 153 f. 97 Dies zeigt seine Korrespondenz mit den Jesuiten Gundlach, Gutzwiller und Leiber sowie mit dem früheren Vorsitzenden der Zentrumspartei Ludwig Kaas (vgl. BAK, NL Wirth (N 1342) 7, 16, 25, 29 u. 47). 98 Gundlach schrieb wörtlich: »Es freut mich, daß der ›letzte Test der soziologischen Studien abgeschlossen ist‹, wie Sie schreiben. Leider fügen Sie hinzu: ›jetzt geht es an Band II‹. Das ist schlimm, weil ich dachte: Abschluß sei Abschluß« (Gustav Gundlach an Carl Zeller [Joseph Wirth: d. Vf.] (Rom, 13. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16).

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deutschen Bemühungen eingegangen sei und Kooperationsbereitschaft signa­ lisiert habe, müsse man an der deutschen Zuverlässigkeit ernsthaft zweifeln, weil nichts Konkretes zurückkomme.99 Über die gleichzeitig laufenden Bemühungen Josef Müllers, für den Pater ­Robert Leiber SJ und Prälat Ludwig Kaas beim Papst und beim britischen Gesandten beim Vatikan, Osbourne, vermittelten, schien Gundlach im Bilde zu sein. Diese Verhandlungen waren bereits im Februar 1940 zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Die von Müller über diese Gespräche angefertigten Notizen, die als Grundlage für den so genannten »X-Bericht« dienen sollten, waren jedoch der eventuell zum Putsch bereiten Spitze im OKH, Brauchitsch und Halder, noch nicht vorgelegt worden.100 Im Vatikan befürchtete man, dass diese Mission im Sande verlaufen war. Laut Gundlach zweifelte man nun auch an den Erfolgsaussichten der Schweizer Verhandlungen: Papst Pius XII. hätte womöglich den deutschen Außenminister gar nicht erst empfangen, wenn er sich hätte sicher sein können, dass ein Umsturz in Deutschland unmittelbar bevorstehe. Ribbentrop sei zwar beim Papst auf taube Ohren gestoßen101, und auch die italienische Regierung habe sich erneut nicht zum Kriegseintritt überreden lassen, doch verliere man – so musste Gundlach Wirth am 13. März mitteilen – »allmählich hier auch das Vertrauen zu unserer These«. In Hinblick auf »Band II«, womit Wirth die ausstehende Antwort aus Deutschland codierte, riet Gundlach entschieden: »Deshalb bald veröffentlichen!«102 99 Vgl. Gustav Gundlach an Carl Zeller [Joseph Wirth: d. Vf.] (Rom, 13. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. Der Soziologieprofessor erklärte: »Sehen Sie: unser literarischer Gegenpartner ›schließt dauernd ab‹. Wenn es auch nur sehr vorläufige Resultate sein mögen, die eine spätere Forschung wieder umstürzen kann, so fehlt doch von unserer Forschungseinrichtung irgendein sichtbares Resultat überhaupt« (ebd.). 100 Nach seiner Rückkehr nach Deutschland Ende Februar / A nfang März erstellte Hans von Dohnanyi auf Grundlage der Notizen den so genannten »X-Bericht«. Mit »X« soll in diesem Bericht der Name Josef Müller verschlüsselt worden sein. Der »X-Bericht« wurde im September 1944 von der Gestapo in einem Safe in Zossen gefunden und den am Bericht beteiligten Personen zur Last gelegt. Offenbar wurde er kurz vor Kriegsende mit anderen Gestapo-Akten verbrannt (vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 160 f.). 101 Über den Besuch Ribbentrops hatte Gundlach am Tag zuvor bereits informiert und mit einem Appell, die Schweizer Verhandlungen zum Abschluss zu bringen, verbunden: »Daß der Verkauf unserer Mineralien-Sammlung noch nicht zustandegekommen ist, hat leider bewirkt, daß gestern die Konkurrenz auf dem Plan erschien. Man war hier vollkommen überrascht; am Freitag wußte hier niemand von der Absicht der Konkurrenz. Aber man konnte ihr nicht ausweichen. Die Sache war aber völlig negativ. Die Konkurrenz bot das Bild völliger Unsachlichkeit und suchte durch Forschheit im Auftreten und dauerndes Versagen von längst gehörten Gemeinplätzen Eindruck zu machen. Sie hat mit völliger Bestimmtheit erklärt, daß bis Ende des Jahres alle anderen Marktgenossen dem Monopol sich gebeugt haben würden. Trotzdem: wir müssen abschließen (Schreiben Gustav Gundlach SJ an N. N. [Joseph Wirth: d. Vf.] (Vatikanstadt, 12. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. 102 Gustav Gundlach an Carl Zeller [Joseph Wirth: d. Vf.] (Rom, 13. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16.

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Gundlach wusste nicht, dass am gleichen Tag die Übermittlung des Stillhalte­ angebots der Briten an Otto Geßler erfolgen sollte. Wirth und Geßler trafen sich im katholischen Pfarrhaus in Küssnacht am Rigi. Der frühere Reichswehrminister habe ihm erneut seine umfangreichen Kontakte in Deutschland aufgezeigt103 sowie umfangreiche Informationen über die militärische Leitung übermittelt.104 Alle von ihm konsultierten Verbindungsleute seien davon überzeugt, »dass das System des Dritten Reiches fallen müsse, wenn man zum Frieden kommen [wolle]«, so Geßler.105 Daraufhin habe Wirth seinem früheren Kabinettskollegen das britische Angebot »Punkt für Punkt« unterbreitet und ihm unmissverständlich klar gemacht, dass Deutschland hiermit eine einmalige Chance erhalte.106 Geßler habe versprochen, alles Notwendige zu tun, um möglichst rasch eine positive Antwort aus Deutschland einzuholen. In London musste man sich in Geduld üben. Die Deadline für eine Antwort hatte man schließlich für Ende April 1940 ausgegeben. Joseph Wirth konnte in der Schweiz ebenfalls nur abwarten, ob Geßler bei seinen Besuchen in Deutschland Erfolg haben würde. Gundlach versprach ihm, er werde in seinem Sinn immer wieder zur Geduld mahnen, verlieh jedoch der berechtigten Angst seiner eingeweihten Kollegen Leiber und Kaas und vermutlich auch des Papstes Ausdruck, »daß bei der langen Zeitdauer irgendeine unerwünschte Neu-Erscheinung kommt, die Ihr ganzes Werk und seine Herausgabe illusorisch macht«.107 Wahrscheinlich hatte man im Vatikan die Mission Josef Müllers nun endgültig als gescheitert angesehen. Um zu verdeutlichen, wie wichtig die Schweizer Verhandlungen nun seien, erklärte Gundlach gegenüber Wirth, »daß der Chef unserer Bibliothek [der Papst: d. Vf.] hier alles Vertrauen auf die von Ihnen be103 Wirth bezeichnete Geßler als den »wohl best unterichtete[n] Mann«, nachdem dieser ihm von seinen unmittelbar vor seiner Abreise in die Schweiz stattgefundenen Treffen mit »prominenten Industriellen in Stuttgart, in München und im Rheinland« berichtet hatte (Aufzeichnung Wirth (14. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 124). 104 Geßler habe demnach ausgeführt, dass in Deutschland im Grunde genommen zwei Generalstäbe existieren: Der »Privat-Generalstab« mit General Wilhelm Keitel an der Spitze sowie der eigentliche Generalstab mit Halder, der mit dem Oberbefehlshaber des Heeres Brauchitsch in engem Austausch stehe. Zwischen beiden Gruppen sei in den vergangenen Wochen heftig gestritten worden, insbesondere im Hinblick auf Hitlers Angriffspläne auf Holland und Belgien. Da diese nun auf unbestimmte Zeit vertagt worden seien, hätten sich auch die Spannungen gelegt. Unter Berufung auf ein offenbar kurz zuvor stattgefundenes Gespräch mit Halder habe Geßler mitgeteilt, dass »auf viele Monate [im Original unterstrichen: d. Vf.] hinaus von deutscher Seite aus überhaupt nichts geschieht«. Trotzdem habe er erklärt, dass die hohen deutschen Militärs natürlich die Gefahr eines deutschen Angriffs im Westen kennen würden (ebd.). 105 Ebd. Wirth führte dies weiter aus: »Es steht fest, so rief Tell aus, die Tyrannen müssen weg. Nicht das ›dass‹ steht zur Diskussion, sondern das ›wie‹. Und selbstverständlich auch das ›wann‹« (ebd.). 106 Die Übermittlung des Angebots sei lediglich mündlich erfolgt, da Geßler kein Papier mit über die Grenze habe nehmen können (vgl. ebd.). 107 Gustav Gundlach an Karl Zeller [Joseph Wirth: d. Vf.] (Rom, 20. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. Hierher stammt auch das folgende Zitat.

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triebenen Studien gesetzt hat und im Augenblick nur in dieser Richtung eine Möglichkeit sieht«. Diese Sicht des Vatikans unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung der Friedensbemühungen Joseph Wirths und Otto Geßlers im Frühjahr 1940, deren oberstes Ziel es war, mit den Westmächten einen Friedensschluss ohne Hitler herzustellen.108 Otto Geßler kehrte am 18. März 1940 nach Deutschland zurück. Er hatte Wirth zuvor wissen lassen, dass er »sofort nach Berlin und an andere wichtige Punkte« weiterreisen werde.109 Zunächst legte er noch einen Zwischenstopp in München ein, um mit Ulrich von Hassell zusammenzutreffen. Gegenüber dem ehemaligen deutschen Botschafter in Rom verschwieg er seinen Aufenthalt in der Schweiz zwar nicht, beließ es jedoch bei vagen Andeutungen.110 Hassell bat ihn darum »einen geeigneten Kameraden und Landsmann« zu Halder zu schicken, »da das Eisen geschmiedet werden müsse, solange es heiß sei«.111 Dieses Ansinnen zeugt davon, dass man – angesichts der immer noch nicht erfolgten Unterrichtung Halders über die »Papst-Mission« Josef Müllers – erneut Geßlers ganzes Gewicht in die Waagschale werfen wollte. Geßler dürfte seine Bereitschaft erklärt haben, in Hassells Sinne zu agieren. Jedenfalls vermerkte der frühere Botschafter nichts Gegenteiliges in seinem Tagebuch. Aus Geßlers Sicht rückte nun ein Umsturz in Deutschland und die damit im Kalkül des »Sperr-Kreises« liegende Zeit »Danach« näher. Die Engländer hatten zugesagt, einen möglichen Umsturz in Deutschland nicht für ihre Kriegsziele zu nutzen. Von der Notwendigkeit eines Umsturzes war Geßler überzeugt. Doch könne »die von ihm und seinen Freunden mit größtem Risiko geleistete Arbeit […] nicht auf Stunden abgestellt werden«, sondern sei »eine Frage […] von Monaten«.112 Geßler hatte somit bereits gegenüber Wirth in der Schweiz durchblicken lassen, dass er den Zeitpunkt eines Umsturzes für noch nicht gekommen und die bislang getroffenen Vorbereitungen für noch nicht ausreichend erachtete. Diese Ansicht wurde auch beim Treffen mit Hassell deutlich. Hier lenkte Geßler ebenfalls das Gespräch auf die Zeit »Danach« und drängte dabei ohne Umschweife auf die Herstellung der Monarchie. Kein gutes Wort hatte er für die Hohenzollern übrig, eine Meinung, die in Süddeutschland geteilt werde.113 108 Daher muss dem Urteil Klemens von Klemperers widersprochen werden, der die Bedeutung der Friedensmissionen Joseph Wirths für den deutschen Widerstand als »marginal« hinstellte und Geßler sogar überhaupt nicht der deutschen Opposition zurechnete (vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 153). 109 Aufzeichnung Wirth (14. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 124. 110 Vgl. Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 22. März 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 182 f. – Wenn auch keine Aufzeichnungen hierüber vorliegen, dürfte es wahrscheinlich sein, dass Geßler bei seinen Aufenthalten in München sowohl seinen engsten Freund Eduard Hamm als auch seinen Bogenhausener Nachbarn Franz Sperr über den Stand seiner Auslandsreisen in Kenntnis setzte. 111 Ebd., S. 183. 112 Aufzeichnung Wirth (14. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 124. 113 Scholtyseck geht davon aus, dass Geßler mit »Süddeutschland« den »Boschkreis« gemeint habe (vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 320).

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Seine Sympathie für den bayerischen Kronprinzen Rupprecht gab Geßler deutlich zu erkennen, sodass Hassell mutmaßte, Geßler favorisiere diesen sogar als künftigen Deutschen Kaiser. Leicht verstimmt stellte der Botschafter a. D. im Anschluss an das Gespräch fest: »Mir scheint, daß die monarchische Frage noch sehr im argen liegt.«114 Grundlegende Fragen, insbesondere die der künftigen Staatsform und des Reich-Länder-Verhältnisses, schienen folglich innerhalb des deutschen Widerstands noch nicht beantwortet, während gleichzeitig die Zeit drängte. Dies erklärt Geßlers Reisetätigkeit, die sich an das Gespräch mit Hassell anschloss. Von München aus begab er sich nach Stuttgart, womöglich zu Robert Bosch. Von dort reiste er weiter ins Rheinland, womöglich zu Paul Reusch, um letztendlich in Berlin Rücksprache mit der Heeresführung zu halten.115 Auf diesen Reisen dürfte es auch um die Pläne für eine Zeit »Danach« gegangen sein sowie darum, den seit fast drei Monaten im Exil in Florenz lebenden bayerischen Kronprinzen als »Kandidaten« ins Gespräch zu bringen. Am 30. März 1940 teilte der Papst dem britischen Botschafter beim Vatikan mit, dass er noch immer keine Nachricht aus Deutschland erhalten habe.116 In Berlin kam der Stein nun allerdings fast zeitgleich ins Rollen, bewegte sich jedoch aus Sicht der zum Umsturz bereiten Militäropposition in eine Sackgasse. Endlich erfolgte die Unterrichtung Halders über die Informationen, die Josef Müller im Vatikan aus England erhalten hatte.117 Nachdem Halder ein Gespräch mit ­Hassell noch abgelehnt hatte, traten die handelnden Personen 114 Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 22. März 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 182 f., hier S. 183. 115 Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. 116 Vgl. Francis Osbourne an Lord Halifax (3. April 1940), in: Ludlow, Papst Pius XII., S. 299–341, hier S. 314 f., Dok. Nr. XVI und FO 800/318. 117 Die römischen Verhandlungen, in die Josef Müller involviert war, waren vor allem Friedensgespräche. Wie in den Gesprächen mit Wirth ging es um einen möglichen Friedensschluss vor einem deutschen Angriff im Westen. Allen Beteiligten war klar, dass es hierzu nur mit einer anderen verhandlungsfähigen deutschen Regierung kommen könnte. Nur im Falle eines Putsches in Deutschland sei auch der Papst zu einer Vermittlerrolle bereit gewesen. Klemperer geht mit Verweis auf die Nachkriegsberichte Josef Müllers und die Akten des Foreign Offices davon aus, dass es in Rom lediglich zu einer ersten Fühlungnahme gekommen war und man nicht von Verhandlungsergebnissen ausgehen sollte. Unter anderem scheint es ein »Gentlemen’s Agreement« gegeben zu haben, das eine britische Anerkennung der territorialen Integrität des Deutschen Reiches von 1937 beinhaltet habe (vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 162). Es bestehen bis heute jedoch erhebliche Zweifel am tatsächlichen Inhalt des »X-Berichts«, da unter anderem die Aussagen Müllers und Halders nach dem Krieg in dieser Frage sehr weit auseinanderliegen. Um die Widersprüche aufzulösen, wird vermutet, dass Hans von Dohnanyi vom Amt Ausland / Abwehr im OKW, dem Müller seine Notizen zur Anfertigung des X-Berichts vorlegte, diesen um einige Punkte ergänzt haben könnte (vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 154 f.; zu Josef Müllers eigener Sichtweise auf das Entstehen und den Inhalt des »X-Berichts« vgl. J. Müller, Konsequenz, S. 124–139). Auf diese Punkte wird unten noch zurückzukommen sein.

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um Beck, G ­ oerdeler und Dohnanyi an General Thomas heran, der schließlich am 4. April 1940 dem Generalstabschef des Heeres den so genannten »X-Bericht« vorlegte. Bereits wenige Tage zuvor hatte Halder erklärt, dass er »eine Aktion zur Zeit! ablehne«.118 Der »X-Bericht« habe ihm zufolge neben den von General Thomas bestätigten Punkten (»Beseitigung Hitlers und Ribbentrops, Neubildung einer Regierung (Person Göring untragbar), kein deutscher Westangriff, Regelung der gesamten Ostfragen zu Gunsten Deutschlands«119) zusätzlich die Abgabe Elsaß-Lothringens an Deutschland und die deutsche Westgrenze von 1914 beinhaltet.120 Neben der Tatsache, dass der »X-Bericht« keine Namen und auch keine Unterschrift enthielt, habe dies Halder höchst misstrauisch gemacht.121 Dennoch legte er am darauffolgenden Tag seinem Vorgesetzten den Bericht vor. Brauchitsch habe den Verfassern des Schriftstücks, deren Namen er verlangte, auf der Stelle »Landesverrat« vorgeworfen.122 Der Oberbefehlshaber des Heeres habe erklärt, dass es sich bei dem derzeitigen Krieg um eine Auseinander­setzung zweier Weltanschauungen handele und daher Friedensverhandlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnlos seien.123 Die Bemühungen des »Ochsensepps« 118 Goerdeler hatte Hassell am 3. April ein Schreiben Halders vorgelegt, in dem dieser mit »sehr naiven Argumenten« seine Ablehnung eines Umsturzes vorerst erklärt hatte: »England und Frankreich hätten uns den Krieg erklärt, der nun durchgeschlagen werden müßte; ein Kompromißfriede sei sinnloss. Nur in höchster Not – also doch!! – dürfe man so handeln, wie Rohde [Goerdeler] wolle«, fasste Hassell das Schreiben Halders zusammen (Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 6. April 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 184–188, hier S. 184). 119 Zit. n. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 154. 120 Vgl. Franz Halder zum Protokoll über die Aussagen des Herrn Staatsministers a. D. Dr. Josef Müller vom 4. Juni 1952 (Koenigstein / Ts., 24. Juni 1952), IfZ, ZS 240/4. 121 Vgl. ebd. Nach Leiber sei in Rom lediglich besprochen worden, dass in Österreich eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zum Reich stattfinden solle, die Zugehörigkeit des Sudetenlandes nicht in Frage gestellt werde und Deutschland alle »gewaltsam besetzten Gebiete« herauszugeben habe (Niederschrift über Gespräche mit P. Robert Leiber am 25.6.1952 in Rom, IfZ, ZS 660). Beim Abgleich der nach dem 20. Juli 1944 aufgefundenen Notizen Müllers mit dem »X-Bericht« will auch der im RSHA für die Spionageabwehr zuständige SS-Standartenführer Walter Huppenkothen eine Schönung des Berichts, der Halder vorgelegt worden war, festgestellt haben (vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 155 sowie Abschrift Aussage Huppenkothen »Der 20. Juli 1944«, IfZ, ZS 249/1). Auszuschließen ist aber auch nicht, dass Halder womöglich in der Nachkriegszeit den Inhalt des Berichts um den Punkt Elsaß-Lothringen deshalb erweiterte, um sein Nichthandeln im Nachhinein aufgrund eines berechtigten Misstrauens rechtfertigen zu können. 122 Vgl. Franz Halder zum Protokoll über die Aussagen des Herrn Staatsministers a. D. Dr. Josef Müller vom 4. Juni 1952 (Koenigstein / Ts., 24. Juni 1952), IfZ, ZS 240/4. Auf Brauchitsch’ Verlangen nach Nennung der Verantwortlichen will Halder mutig geantwortet haben: »Namen werden Sie von mir nicht erfahren. Wenn jemand verhaftet werden soll, so stehe ich Ihnen zur Verfügung« (ebd.). Ob sich Halder tatsächlich derart offen vor die Verantwortlichen stellte, muss indes aufgrund seiner sonstigen Haltung in diesen Wochen bezweifelt werden. 123 Vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 156.

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sowie seiner Auftraggeber im Amt Ausland / Abwehr des OKW, über den Vatikan mit London in Friedensverhandlungen einzutreten, endeten somit in der ersten Aprilwoche 1940 in der Spitze des OKH in der Sackgasse. Der »heiße Draht« über Joseph Wirth in der Schweiz war jedoch noch nicht abgekühlt. Die dort geführten Gespräche mit den britischen Emissären konnten womöglich im Gegensatz zu den bereits im Februar geendeten Gesprächen im Vatikan noch einen Durchbruch herbeiführen. Denn die in der Schweiz erfolgte Zusicherung der Westmächte, im Falle eines Umsturzes in Deutschland nicht einzugreifen, war offenbar bei den römischen Verhandlungen noch nicht ge­ geben worden.124 Vielleicht konnten die Generäle Halder und Brauchitsch also doch noch für einen Putsch gegen Hitler gewonnen werden. Zunächst überschlugen sich jedoch die Ereignisse. Am 9. April 1940 startete Hitler seinen Angriff auf Norwegen und Dänemark. Halders zögerliche und Brauchitschs ablehnende Haltung gegenüber einem Umsturz hatten aus Sicht der Widerständler alle Optionen zerstört, vor diesem Ereignis einen Friedensschluss zu erreichen. Auch in der Schweiz war Joseph Wirth tief enttäuscht und befürchtete nicht zu Unrecht, »dass die von ihm so sehr erhoffte Lösung im Guten unmöglich gemacht werden wird«.125 Hans Ritter ließ seinen Verbindungsmann in der englischen Hauptstadt wissen, dass man mit »kleinen« deutschen Emissären künftig keinen Kontakt mehr pflegen brauche. Ausdrücklich nahm er hiervon aber die Kontakte zu Wirth und Geßler aus: »Es bleiben, soweit ich es übersehen kann, nur Joseph und Tell [Wirth und Geßler: d. Vf.] übrig. Alles andere gehört in den Müllkasten«.126 Offenbar hegte man in London nach wie vor die Hoffnung, über Wirth und Geßler doch noch etwas erreichen zu können.127 Doch hatte Otto Geßler die ihm übertragene Aufgabe, die Botschaft der Briten an die deutschen Generäle weiterzuleiten, nun bereits erfüllt?128 Am 16. April 124 Vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 163. 125 Johnnie (=Hans Ritter) an Grahame (=Christie) (11. April 1940), CAC, CHRS 1/35. 126 Ebd. Es trifft also nicht zu, dass Ritter Christie bereits zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Ausbleibens des angekündigten Berichts von der Aufrechterhaltung der Verbindung zu Wirth und Geßler abriet (so bei Scholtyseck, Robert Bosch, S. 323). Hierzu sollte es erst Anfang Mai 1940 kommen, als Ritter zweifelhafte Gerüchte über die Vertrauensseligkeit Geßlers an London weitergab. Auf diesen Sachverhalt wird unten noch ausführlicher eingegangen. 127 Ulrich von Hassell teilte man im schweizerischen Arosa mit, wo er wie bereits im Februar 1940 nun auch kurz nach dem deutschen Überfall auf Norwegen mit dem britischen Amateurdiplomaten James Lonsdale-Bryans zusammentraf, dass man bereits auf eine Antwort auf anderem Wege warte. Ob hierbei die Vatikan-Mission Josef Müllers oder der Kanal Wirth / Geßler gemeint war, ist nicht eindeutig festzustellen (vgl. Tagebucheintrag Hassell (Arosa, 15. April 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 188–191, hier S. 189). 128 Sowohl Schlie als auch Scholtyseck gehen davon aus, dass Geßler die Botschaft überhaupt nicht an die militärischen Adressaten weitergab. Über die Gründe spekulieren beide und vermuten letztlich, dass die Gerüchte, die in diesen Wochen in der Schweiz und in Rom kursierten und auf die noch zurückzukommen sein wird, nämlich dass Geßler im Auftrag des »Dritten Reiches« arbeitete, womöglich stimmten (vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutsch-

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1940 brach er erneut mit Wissen von Admiral Canaris Richtung Italien auf.129 Bei einem Zwischenhalt in Luzern traf er mit Joseph Wirth zusammen. Knapp drei Wochen später erreichte Wirths Freunde im Vatikan eine ausführliche Mitteilung des ehemaligen Reichskanzlers über seine Begegnung mit Geßler, wonach ihm dieser keine guten Nachrichten aus Deutschland übermittelt hatte.130 Allerdings wusste man im Vatikan offenbar bereits von den negativ verlaufenen Sondierungen Geßlers.131 Denn am 1. Mai teilte Gundlach Wirth mit, dass er schon seit dem 6. April wisse, »daß Band II der soziologischen Studien so dünn ausfallen würde«, was »ja dann in den folgenden Funden der B. Staatsbibliothek auch allgemein deutlich« wurde. Es deutet also alles darauf hin, dass den Vatikan sehr kurzfristig Informationen über Inhalt und negativen Verlauf des Gesprächs zwischen Halder und Brauchitsch, dass am 5. April stattfand, zugespielt worden waren. Der Papst hielt es laut Gundlach anschließend nicht mehr für sinnvoll, sich weiterhin als Vermittler zur Verfügung zu stellen.132 Die »B[ayerische] Staatsbibliothek«, die an dieser Stelle offenbar den Namen Geßler verschleierte, hatte demnach ebenfalls keinen Erfolg gehabt, womit erwiesen ist, dass Geßler tatsächlich – gemäß seines Auftrages – in Berlin bei hohen Militärs, wahrscheinlich bei Halder vorsprach und ihnen vergeblich das Angebot der Engländer unterbreitete. Damit dürfte auch die These Klemperers nicht haltbar sein, wonach sich London durch Bevorzugung des Kanals Wirth / Geßler gegenüber Goerdeler eine Chance »verbaute«.133 Im Raum steht derweil die Frage, ob Geßler zu viel Zeit für die Botschaftsübermittlung verstreichen ließ? Schließlich hatte er als Mitglied des »SperrKreises« aus bayerischem Interesse heraus vor seiner Reise nach Berlin noch land, S. 179 sowie Scholtyseck, Robert Bosch, S. 320). Während Klemperer die Frage offen lässt (vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 152 f.), will Hörster-Philipps dagegen »keinerlei Beleg für die Annahme« sehen, dass die Botschaft Halder nicht erreicht habe (Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S. 570). 129 Vgl. »Situationsbericht« von Otto Geßler für Canaris (München, 21. Mai 1940), BAK, NL Geßler (N 1032) 62. 130 Vgl. Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16.  131 Wahrscheinlich hatte Geßler seine Ergebnisse bei seiner Weiterreise nach Italien im Vatikan selbst vorgetragen oder aber Wirth hatte zuvor bereits eine Nachricht an den Vatikan versendet. 132 Gundlach beschrieb die Empfindungen des Vatikans folgendermaßen: »Leider sind die Auffassungen, die bei dem entscheidenden Fund – 5. [April: d. Vf.] – zu Tage traten, teilweise so, daß hier eine fruchtbare Mitarbeit bei den Kapazitäten unseres Faches nicht mehr verlockend erscheint. Die Diskussionsbeiträge der Akademie v. 5. wurden hier am 7. vorgelegt und führten zu dem erwähnten Ergebnis, daß man den Weg, den bisher die Forschung ging, nicht mehr mitgehen will. Wenn ich mir die mir bekanntgewordene entscheidende Diskussion der Akademiesitzung v. 5. vergegenwärtige, kann ich nur wieder die in der jüngsten und jüngeren Vergangenheit schon mehrfach bewiesene Blickenge gewisser soziologischer Schulen feststellen, die ja auch Sie schon mehrfach früher feststellen mußten.« (Gustav Gundlach an Carlo Zeller [Joseph Wirth: d. Vf.] (1. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). 133 Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 153.

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mehrere Gespräche mit maßgeblichen Personen über die Zeit »Danach« geführt. Ein Treffen mit führenden Militärs dürfte tatsächlich erst nach dem Angriff auf Norwegen und zwar zwischen dem 9. und 15. April erfolgt sein, also knapp einen Monat nach Geßlers Zusammenkunft mit Wirth in Küssnacht.134 Die Gespräche in Berlin schienen sich vor allem um die eine Woche zuvor erfolgte »Norwegen-Aktion« gedreht zu haben. Geßler habe Wirth gegenüber erklärt, dass gewisse Militärs zwar gegen das »Gesamtunternehmen im Norden« im Vorfeld Bedenken erhoben hätten, die gleichen Militärs es nun jedoch – unter Berufung auf ihren geleisteten Eid – kategorisch ablehnten, »dem jetzt siegreich nach Norden ausbrechenden Heere in den Rücken zu fallen.«135 Die »Norwegen-Aktion« schwächte demnach die Widerstandsbereitschaft der führenden Militärs. Zu fragen, was gewesen wäre, wenn Geßler seine Informationen aus der Schweiz unmittelbar nach Berlin übermittelt hätte, ist mühsam. Ob ein alliiertes »Stillhalteangebot«, das offenbar noch nicht Teil des »X-Berichts« war, den von einem »Krieg der Weltanschauungen« überzeugten Brauchitsch doch zu einem Putsch hätte bewegen können, muss bezweifelt werden. Im Vorfeld der »Norwegen-Aktion« hätte ein solches »Stillhalteangebot« aber womöglich Halders Vorbehalte gegen einen Umsturz in Deutschland entkräftet. Bedauerlich dürfte deshalb aus Sicht des deutschen Widerstands gewesen sein, dass nun Ende April / Anfang Mai 1940 auch der Generalstabschef seinen zuvor nicht gänzlich erloschenen Umsturzwillen verloren hatte. Geßler selbst war von der Unentschlossenheit der Militärs enttäuscht, zeigte jedoch auch ein gewisses Verständnis für ihre Haltung.136 Einige »prominente Leute« in Deutschland seien der Ansicht, »dass Frankreich sozusagen am Vorabend einer sozialen Revolution stände«. Er selbst habe diese Gerüchte vernommen, die aus seiner Sicht nicht zu Unrecht bei den Militärs »gewisse Hoffnungen« weckten, »Frankreich werde aus der Gegnerschaft zum III. Reich ausscheiden«.137 Denn eine mögliche Isolierung Großbritanniens könne aus Sicht der Militärs »die Möglichkeit eines glänzenden Totalsieges« eröffnen, weshalb es »unpatriotisch« sei, »diese Möglichkeit eines entscheidenden deutschen Sieges voreilig durch eine Beseitigung Hitlers zu verschütten«.138 Obwohl Wirth Geßler mehr 134 Zwei ausführliche Aufzeichnungen – eine von Ritter für London und eine zweite von Wirth für den Vatikan – geben über das Gespräch Wirths mit Geßler vom 17. April Auskunft und dienten dazu, die Sicht Geßlers und der Militärs näher zu erläutern (vgl. Bericht Ritters (27. April 1940), CAC, CHRS 1/33 sowie Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). 135 Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. 136 Diese befänden sich gleich den »Deutschen beiderlei Geschlechts unter 40 Jahren« in einem »Rauschzustand«, den man im Ausland nur schwer nachvollziehen könne (Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). In diesem Zusammenhang habe Geßler von der »allgemeinen Verdummung des deutschen Volkes gesprochen«. Das NS-Regime ersticke »jede besonnene und kritische Aeusserung« (ebd.). 137 Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. 138 Aufzeichnung Wirth (27. April 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 124.

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als deutlich gemacht habe, dass er diese Hypothesen der Militärs höchst abenteuerlich finde139, versprach er ihm, im Rahmen einer Parisreise hierüber Nachforschungen anzustellen. Während Geßler unmittelbar nach dem Treffen mit Wirth am 17. April 1940 weiter nach Italien reiste, wo er unter anderem mit Kronprinz Rupprecht zusammentreffen wollte140, brach Wirth zu einer Reise nach Paris auf.141 Dort führte der frühere Reichskanzler Gespräche mit Mitarbeitern des Quai d’Orsay und mit deutschen Exilanten.142 Bei allen Gesprächspartnern riefen die Gerüchte von einer möglichen sozialen Revolution in Frankreich Kopfschütteln hervor.143 Das Exposé eines christlichen Gewerkschafters, das Wirth erhielt und Geßler nach seiner Rückkehr in die Schweiz vorlegen wollte, habe klar festgestellt, dass nirgendwo in Frankreich auch nur die Anzeichen hierfür vorlägen.144 Es sei schlicht »Selbstbetrug« und ganz offenkundig ein »Propagandatrick der führenden deutschen Parteikreise, um die militärischen höheren Führer, die Bedenken am Enderfolg haben könnten, wieder einzulullen«, erklärte Wirth in seiner Aufzeichnung für den Vatikan.145 Der Vizepräsident des französischen Senats, Ernest Pezet, verfasste später über sein Treffen mit Wirth einen Bericht. Der frühere Reichskanzler, der mit den angeblichen Exponenten des deutschen Widerstands Geßler und Halder in engem Kontakt stehe, habe sich nach der Wahrscheinlichkeit einer Trennung Frankreichs von England erkundigt. Außerdem habe er in Erfahrung bringen 139 Vgl. Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. 140 Über die Inhalte seiner Gespräche beim bayerischen Kronprinzen ist nichts bekannt, doch dürften sich diese zweifelsohne um die aktuellen politischen Ereignisse, den Stand der Verhandlungen mit dem Ausland und die Sondierungen über die Zeit »Danach« innerhalb Deutschlands gedreht haben. Hans Ritter berichtete Christie von Geßlers Weiterreise zu Rupprecht nach Florenz und hielt dies für »bedeutsam« (Johnnie [d. i. Ritter] an Grahame [d. i. Christie] (18. April 1940), CAC, CHRS 1/33). 141 Zweck dieser Reise waren angeblich private Angelegenheiten. In Wirklichkeit sollte Wirth – nach Rücksprache mit einem französischen Kontaktmann in der Schweiz – die französische Regierung unmittelbar über die deutsche Militäropposition informieren (vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 180). Dies erklärt, warum es aus Sicht Wirths dringend notwendig war, Geßler noch vor seiner Abreise zu sprechen. 142 Über die Parisreise Joseph Wirths existiert ein Überwachungsprotokoll, welches wahrscheinlich vom französischen Geheimdienst angefertigt wurde. In diesem sind Wirths Treffen mit französischen Politikern und Journalisten sowie mit deutschen Exilanten ausführlich dokumentiert. Hieraus ist ersichtlich, dass Wirth am 17. April in Paris eintraf und die Stadt am 24. April wieder in Richtung Schweiz verließ (vgl. Überwachungsprotokoll des französischen Geheimdienstes über Wirths Parisreise (24. April 1940), Sonderarchiv Moskau, 600-1-521, Bl. 123 f.). 143 Über seine Parisreise informierte Wirth ausführlich den Vatikan (vgl. Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). Von französischer Seite fertigte ein Gesprächspartner Wirths, der Vizepräsident des französischen Senats, Ernest Pezet, einen Bericht an (abgedruckt in Pezet, Contre Hitler, S. 289–305, hier S. 298 ff.). 144 Dieses Exposé konnte nicht ermittelt werden. 145 Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16.

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wollen, wie sich Frankreich nach einer möglichen Niederlage Deutschlands verhalten werde, und dabei insbesondere wissen wollen, wie Frakreich zur Frage der Wiedereinführung der Wittelsbacher Monarchie stehe.146 Pezet sollte Wirth in diesem Punkt nicht missverstehen: Es war lediglich die Rede »au sujet d’une restau­ration monarchique des Wittelsbach, en Bavière«.147 Wirths Anfrage bezog sich also keineswegs auf Gesamtdeutschland.148 Seine Einschätzung, dass sich für Frankreich die Frage einer Restauration des Hauses Wittelsbach in Bayern derzeit nicht vorrangig stellte, sollte ihm sein Gesprächspartner derweil ohne Widerspruch bestätigen.149 Dem ehemaligen Reichskanzler schien seine Anfrage in gewisser Weise unangenehm, weshalb er empfahl, sie zu ignorieren. Die Relevanz der Wirth / Geßler-Gespräche sowie insbesondiere die Sondierungen Wirths in Paris wurden in der Vergangenheit unterschätzt.150 Der »Vorschlag einer Restauration der Wittelsbacher« habe nach Klemperer »keinesfalls das Denken der wichtigsten Widerständler« repräsentiert und das Vorgehen Wirths sei ohnehin nur von »marginaler Bedeutung« für den deutschen Widerstand gewesen.151 Diese Schlussfolgerung ist in zweierlei Hinsicht zu hinterfragen. Erstens war – wenn eine Bewertung der Widerstandstätigkeit unter dem Gesichtspunkt der »Wichtigkeit« überhaupt zulässig ist – um die Jahreswende 1939/40 noch nicht absehbar, wer im Verlauf des Krieges die »wichtigsten Widerständler« sein würden. Zweitens konnte dargelegt werden, dass insbesondere in den ersten Monaten nach Kriegsausbruch die Frage nach der künftigen Staatsund Regierungsform in Deutschland in den Gesprächen des gesamtdeutschen Widerstands sehr wohl eine entscheidende Rolle spielte.152 146 Vgl. Pezet, Contre Hitler, S. 300 f. Warum Wirth dem Vatikan gegenüber diese Anfrage Geßlers verschwieg, kann nur vermutet werden. Womöglich befürchtete er, dass man dort den Kontakt zu Geßler komplett beenden könnte, in der Annahme, der ehemalige Reichswehrminister verfolge mit seiner Mission ausschließlich monarchistische Einzelinteressen. 147 Ebd., S. 300. 148 So schrieb Schlie irrtümlich: »Mit Beharrlichkeit schnitt Wirth schließlich in seinen Gesprächen die Einführung der Wittelsbachermonarchie in Deutschland an. Zweifelsohne griff er hier die Überlegungen seines Freundes Otto Geßler auf, der eine Kandidatur Kronprinz Rupprechts von Bayern als deutschem Kaiser protegierte« (Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 181). 149 Pezet, Contre Hitler, S. 301. 150 Klemperer verwies zwar darauf, dass Wirths »Disskussionen« über ein Deutschland nach Hitler in Paris »ohne greifbare Ergebnisse blieb«, hielt jedoch zugleich abschließend fest, dass dessen »Frankreichmission […] zu den ganz seltenen Fällen« zählte, »bei denen die Franzosen in Angelegenheiten des deutschen Widerstandes angesprochen wurden« (Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 153 f.). 151 Ebd., S. 153. Sich auf Klemperer beziehend, der nicht eindeutig den Ursprung dieser bayernspezifischen Anfrage deutete, stellte bereits die Wirth-Biographin Hörster-Philipps fest, dass Wirth mit der Frage das Haus Wittelsbach betreffend einzig und allein dem Wunsch Geßlers nachkam (vgl. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S. 572, Anm. 215). 152 Hierzu sei erneut auf den Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 22. März 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 183 verwiesen: »Mir scheint, daß die monarchische Frage noch sehr im argen liegt«.

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Entsprechend seiner früheren Haltung als bayerischer Reichspolitiker in der Weimarer Republik trat Otto Geßler auch bei seinen Auslandsreisen 1939/40 für die Zukunft des Reiches und Bayerns gleichermaßen ein. Als führender Kopf des »Sperr-Kreises« hob er bei seinen Initiativen und Gesprächen, die letztlich dem Ziel eines Friedensschlusses dienen sollten, stets die bayerischen Interessen für die Zeit »Danach« hervor. Er fuhr somit zweigleisig, wodurch er in Gegensatz zu anderen Widerständlern im Reich geriet. c) Im Auftrag des Regimes (II) – Spionagetätigkeit zur Verschleierung der deutschen Angriffspläne? Aus Paris zurückgekehrt, fertigte Wirth das bereits mehrfach erwähnte Schreiben für den Vatikan an, in dem er zum einen ausführlich auf sein letztes Gespräch mit Geßler am 17. April 1940 sowie auf die Ergebnisse seiner Parisreise einging.153 Bei der Erstellung dieses Schreibens waren dem ehemaligen Reichskanzler noch nicht die aus Deutschland eingetroffenen Vorwürfe gegen den ehemaligen Reichswehrminister bekannt geworden, über die Hans Ritter seine britischen Kontaktleute am 9. Mai informierte.154 Diese lassen sich einerseits als Ergebnis des Richtungsstreits innerhalb des deutschen Widerstands um die zukünftige Neuordnung Deutschlands interpretieren. Andererseits legen die Vorwürfe nahe, dass Geßlers Auslandsreisen – trotz des Rückhalts aus dem Amt Ausland / Abwehr – vom NS-Regime mit Argwohn betrachtet wurden. Der Bosch-Direktor Willy Schloßstein, der schon häufig zu Wirth und Ritter in die Schweiz gekommen war155, habe Ritter gegenüber berichtet, dass Geßler »innerhalb der ganzen deutschen Opposition als nicht zuverlässig betrachtet« werde.156 Schloßstein selbst habe als Grund hierfür Geßlers sehr enge Beziehungen zu Canaris angeführt, aus denen er wiederum gute Beziehungen Geßlers 153 154 155 156

Vgl. Aufzeichnung Wirth (6. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. Vgl. Johnnie [d. i. Ritter] an Grahame [d. i. Christie] (9. Mai 1940), CAC, CHRS 1/18. Vgl. hierzu Scholtyseck, Robert Bosch, S. 311–324. Johnnie [d. i. Ritter] an Grahame [d. i. Christie] (9. Mai 1940), CAC, CHRS 1/18. Dass Geßler seine Schweizer Kontaktleute bei seinem letzten Aufenthalt auch inhaltlich in Luzern in die Irre führte, konnte Schloßstein indes nicht bestätigen. Die Stimmung in Deutschland beschrieb der Bosch-Direktor ähnlich wie der frühere Reichswehrminister. Er gab zu, dass an ein »Umschwung dieser Stimmung« nicht zu denken sei, »bevor nicht die deutsche Wehrmacht eine schwere und nicht geheim zu haltende Niederlage erhalten« habe. Auch bestätigte er die von Geßler beschriebenen ursprünglichen Vorbehalte der »alten Generale« Halder und von Brauchitsch gegen eine Aktion in Norwegen und deren 180-GradWende nach Erfolg des Unternehmens. Die Generale seien zunächst bei Hitler in Ungnade gefallen. Der Führer habe »mit Unterstützung einiger skrupelloser jüngerer Generale […] die Leitung der Operationen selbst in die Hand« genommen. Nachdem die Aktion dann erfolgreich verlaufen war, sollen sich die alten Generale »reumütig zum Genie des Führers« bekannt haben und machten nun »wieder voll mit« (ebd.). Interessant ist, dass die im Folgenden näher beschriebenen Vorwürfe ausgerechnet von Schloßstein übermittelt wurden,

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zum Reichsführer SS Heinrich Himmler abgeleitet habe.157 Ritter ergänzte seine Warnung vor Geßler durch den Inhalt eines Berichts, den er von Prälat Ludwig Kaas aus Rom erhalten habe. Hiernach sei der Vatikan durch den Apostolischen Nuntius in Berlin, Monsignore Cesare Orsenigo, informiert worden, dass Geßler im Auftrag des NS-Regimes im Vorfeld der Norwegen-Aktion die Alliierten durch die von ihm durchgeführte Friedensoffensive in Sicherheit wiegen sollte. Als Beweis habe der päpstliche Nuntius auf ein Gespräch mit Ribbentrop verwiesen. Der deutsche Außenminister habe erklärt, dass er von Geßlers Reisen wisse und sie billige: Geßler habe »schon viel genützt«.158 Vollständig werden sich diese im Raum stehenden Vorwürfe heute kaum mehr belegen oder als Missverständnisse auflösen lassen, da die angeblichen Beweise auf mündlichen Berichten basierten. Einige Widersprüche legen aller­ dings die Vermutung nahe, dass die Gerüchte über Geßler bewusst gestreut worden sein könnten. Merkwürdig erscheint etwa der Vorwurf, dass die »ganze« deutsche Opposition dem früheren Reichswehrminister misstrauisch gegenüberstehe. Als ursprünglicher Übermittler einer solchen Nachricht kam vermutlich allein Carl Friedrich Goerdeler in Frage, da Schloßsteins eigene Kontakte kaum so umfangreich gewesen sein dürften. Der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister stand mit Bosch in enger Verbindung, der seine konspirativen Aktivitäten finanziell wie ideell förderte.159 Dass im »Boschkreis« offenbar Ende April / Anfang Mai 1940 mit Goerdeler über die Umstände der Auslandsreisen Geßlers gesprochen worden war, kann aus Schloßsteins Bemerkung abgeleitet werden: Geßler sei im Gegensatz zu Goerdeler, dem nun eine Auslandsreise verweigert worden sei, durch seine engen Kontakte zu Canaris und mit Wissen Himmlers bislang jede Ausreise genehmigt worden. Sollte Goerdeler also tatsächlich der Urheber dieser Warnung gewesen sein? Für ihn kann Geßlers enge Verbindung zu C ­ anaris keinesfalls ein Grund gewesen sein, dem ehemaligen Reichswehrminister zu misstrauen, stand er doch selbst mit dem Geheimdienstchef in regelmäßigem konspirativen Austausch. Was aber hätte ihn dann veranlassen sollen, Geßler über seinen Verbindungsmann Schloßstein in der Schweiz zu diskreditieren? der selbst im Vatikan als »nicht verläßlich« angesehen wurde und vor dem Gundlach Wirth ausdrücklich warnte (vgl. Reiner [=Gundlach] an Dr. Karl Zeller [=Wirth] (Rom, 15. Februar 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16). 157 Canaris habe Geßler die Auslandsreisen ermöglicht, die aber »nur von einem Himmler direkt unterstehenden Büro« genehmigt werden könnten, woraus Schloßstein folgerte, dass Himmler über die Reisen Geßlers informiert sein müsste, und diese in seinem Sinne erfolgten. Goerdeler sei dagegen erst kürzlich von dem Büro Himmler keine Erlaubnis für eine Auslandsreise erteilt worden (Johnnie [d. i. Ritter] an Grahame [d. i. Christie] (9. Mai 1940), CAC, CHRS 1/18). 158 Ebd. 159 Bereits 1937 hatte er mit der Firma Bosch einen Beratervertrag abgeschlossen, um die wahren Gründe seiner vielen Reisen im In- und Ausland zu verschleiern (vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 226 f.).

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Ein möglicher Anlass könnte der ungelöste Richtungsstreit und die Entscheidung der Briten gewesen sein, von nun an nur noch über den »Kanal« Wirth /  Geßler mit dem deutschen Widerstand in Kontakt zu treten. Bis Mitte März 1940 hatte Geßler mit Goerdeler nach eigenen Angaben »nicht verhandelt«.160 Andererseits habe er bis dato auch »nichts Nachteiliges über Goerdeler gehört«. Den Wunsch der Briten, »die verschiedenen Fäden, die zwischen der deutschen Opposition nach England und Frankreich laufen« nun zusammenzufassen, sollte Geßler bei seiner Rückkehr nach Deutschland seinen Gesprächspartnern übermitteln. Hierfür sollte er, »wenn nötig«, auch mit Goerdeler Fühlung aufnehmen. Zu einem Treffen zwischen dem früheren Reichswehrminister und dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister ist es womöglich in den folgenden Wochen gekommen. Im Verhör nach dem 20. Juli 1944 gab Goerdeler über seine Verhältnis zu Geßler an: »Gessler sagte mir, er wolle mit mir kein politisches Gespräch führen, da er größte Vorsicht walten lassen müßte. Er bat mich gleichzeitig, ihn nicht mit Einzelheiten zu belasten. Wir sollten uns in Berlin nicht den bayerischen Kopf zerbrechen. Sie wüßten in Bayern im gegebenen Fall schon allein, was sie zu tun hätten.«161 Ob sich ein solches Gespräch tatsächlich so zugetragen hatte und wenn ja, wann, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Nach Kriegsende gab Geßler an, erst in der Gestapo-Haft erfahren zu haben, dass ihn die »Gruppe Goerdeler« im Falle eines gelungenen Umsturzes als politischen Beauftragten für den Wehrkreis VII vorgesehen hätte. Dies konnte er sich damals nicht erklären, da er doch bei einem »zufälligen Zusammentreffen mit Goerdeler in Augsburg seine Annäherung bestimmt« abgelehnt habe.162 Auch seinen Freund Eduard Hamm versuchte er offenbar von dessen Verbindung zu Goerdeler, die von Januar 1943 bis Januar 1944 bestand, abzubringen.163 Darüber hinaus wäre eine Tuchfühlung Goerdelers mit Geßler, um diesen als politischen Beauftragten zu gewinnen, in den Jahren 1943/44 höchst merkwürdig, da Geßler ja angeblich schon seit 1940 in der ganzen deutschen Opposition als unzuverlässig gegolten hatte. Entweder hatte Geßlers Ablehnung gegenüber Goerdeler also früher stattgefunden oder aber die Gerüchte über Geßler im Jahr 1940 waren frei erfunden. Oder traf vielleicht beides zu? Rein inhaltlich klingt die Aussage Goerdelers über Geßlers Ablehnung der Zusammenarbeit sehr plausibel und würde zeitlich durchaus zur Situation im März / April 1940 passen.164 Auf eine Kanalisierung der verschiedenen Fäden, 160 Aufzeichnung Wirth (14. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 124. Hierher stammen auch die folgenden Zitate dieses Absatzes. 161 Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 523. 162 Beglaubigte Abschrift des Schreibens Geßler an den öffentlichen Ankläger bei dem Spruchgericht Hiddesen (Lindenberg, 15. September 1948), StAOs, Rep. 945, Akz. 6/1 983 Nr. 576. 163 Vgl. Hermann Hasinger an Ricarda Huch (23. Oktober 1946), IfZ, ZS / A 26a/1, Bl. 231–233, hier Bl. 232. Zu den Verbindungen des »Sperr-Kreises«, insbesondere Hamms, zu Goerdeler vgl. Kap. VIII.1. 164 Dass vor allem hinsichtlich der monarchischen Frage Differenzen innerhalb des deutschen Widerstandes bestanden, und Otto Geßler seine Präferenz für den Kronprinzen Rupprecht

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die vom deutschen Widerstand ins Ausland gingen, sollte Geßler bei seinen Gesprächen auftragsgemäß drängen.165 Die Briten hatten sich für die Inanspruchnahme des Kanals Wirth / Geßler entschieden, was faktisch bedeutete, dass ­Geßler mit dafür sorgen sollte, dass die anderen Verbindungslinien abgeschnitten würden.166 Womöglich hatte Geßler hierzu anlässlich seiner Gespräche unter anderem in Stuttgart gedrängt und dabei gleichzeitig auf sein weiteres Vorgehen im Sinne Bayerns hingewiesen. Es ist nicht auszuschließen, dass seine Ge­sprächspartner sich anschließend darauf verständigt hatten, sich von Geßler zu distanzieren und seine Verbindungen ins Ausland zu kappen. Denn wollte man im Ausland als »Widerstandsbewegung« ernst genommen werden, hieß es, geschlossen aufzutreten. Zudem galt im Boschkreis eine monarchische Restauration »als inakzeptabel, wenn sie nicht durch eine ausdrückliche Zustimmung der Bevölkerung legitimiert wurde«.167 Ungeachtet der ablehnenden Haltung der Militärs und des Gegenwindes, auf den er bei seinen Gesprächen in Deutschland unter anderem bei Hassell stieß, bereitete Geßler womöglich mit Kronprinz Rupprecht, zu dem er Ende April 1940 reiste, einen bayerischen Alleingang vor.168 Wirth ließ er sogar in seinem Auftrag hinsichtlich einer Restauration des Hauses Wittelsbach in Paris sondieren. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Männer um Goerdeler daher entschieden, Geßlers Ruf im Ausland zu beschädigen. Schließlich ist besonders auffällig, dass die widersprüchlichen Gerüchte über Geßler gerade in jenen Wochen aufkamen, als London und der Vatikan sich entschlossen hatten, alle ihre Hoffnungen in den »Kanal« Wirth / Geßler zu setzen. Allerdings blieb es – wie bereits erwähnt – nicht bei dem einen Vorwurf gegenüber Geßler. Denn Hans Ritter erhielt parallel von Prälat Ludwig Kaas aus Rom die Nachricht, dass der frühere Reichswehrminister im Auftrag des NSRegimes arbeite. Auch diese Mitteilung wirft einige Fragen in Bezug auf ihre Plausibilität auf: Warum wurde bei einem Treffen des Berliner Nuntius Orsenigo mit dem deutschen Außenminister Ribbentrop angeblich zufällig über die Auslandsreisen eines früheren Weimarer Reichsministers gesprochen? Aus anderer, ungenannter Quelle habe der päpstliche Nuntius erfahren, dass Geßler die Alliierten tatsächlich hinters Licht geführt habe. Da man den politischen Machenschaften des Vatikans von Seiten des NS-Regimes höchst misstrauisch gegenüberstand, hätte Orsenigo es eigentlich so auffassen müssen, dass Geßler

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klar herausstellte, haben bereits die zitierten Tagebucheinträge Ulrich von Hassells gezeigt (vgl. Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 22. März 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tage­ bücher, S. 182 f.). Vgl. Aufzeichnung Wirth (14. März 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 124. So auch die Interpretation von Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 179. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 320. Ulrich von Hassell, der in jenen Wochen eng mit Goerdeler in Kontakt stand, hatte bereits im November 1939 erfahren, dass Geßler das Vertrauen der Wittelsbacher besitze (vgl. Tage­bucheintrag Hassell (16. November 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 141 f., hier S. 142).

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auch den »Heiligen Stuhl« hintergangen hatte. Doch hätte Ribbentrop damit ausgerechnet so offen vor einem der »Hintergangenen« herumgeprahlt? Zusätzlich zu den bereits vorgebrachten Zweifeln, ist es erstaunlich, dass ausgerechnet der Nuntius Orsenigo den Vatikan so deutlich vor Otto Geßler warnte, galt Orsenigo doch selbst – insbesondere in den vatikanischen Kreisen, in denen Geßler sich aufhielt – als »stark profaschistisch eingestellt« und »dem Nazismus gegenüber viel zu weich« auftretend.169 Auch sollte man sich Folgendes in Erinnerung rufen: Geßler benötigte für seine häufigen Auslandsreisen die Unterstützung und Deckung des Abwehr-Chefs Canaris. Diese Tatsache führt allerdings zu einem Widerspruch. Wenn Geßler im Auftrag des NS-Regimes gearbeitet hätte, hätte er sich wohl kaum die Auslandsreisen über den Umweg Canaris genehmigen lassen müssen. Es hat folglich den Anschein, als habe – neben den Männern um Goerdeler – auch das NS-Regime die Reisen Geßlers beargwöhnt. Einerseits lieferte er zwar interessante Stimmungsberichte aus der Schweiz und Italien bei Canaris ab. Andererseits dürfte man ihm wegen seiner dortigen Treffen mit Exilanten wie Joseph Wirth und vor allem mit Kronprinz Rupprecht von Wittelsbach misstraut haben. Hätte Geßler tatsächlich dem NS-Regime »schon viel genützt«, hätte man wohl auch gerne in Zukunft auf ihn gesetzt und seine angebliche Mission nicht selbst aufgedeckt. Offenbar hatten demnach beide Seiten, die Wider­ standsgruppe um Goerdeler, unterstützt durch den »Boschkreis«, sowie das NS-Regime, aus unterschiedlichen Gründen durchaus ein Interesse daran, dass sowohl die Alliierten, allen voran die Briten, als auch der Vatikan ihre Fäden zu Otto Geßler abreißen lassen würden. Die Konsequenzen der »Verleumdungen« waren indes schwerwiegend: Enttäuscht über die erfolglos verlaufenen Verhandlungen teilte Gundlach Joseph Wirth Anfang Mai mit, dass der Vatikan seine Vermittlungsbemühungen vorerst insgesamt einstellen werde, da offensichtlich geworden sei, dass sich die deutschen Militärs nicht zu einer Aktion gegen Hitler entschließen könnten. Was Geßler betraf, versprach er zwar, dass man ihn weiterhin höflich empfangen, zu seinen Hintermännern jedoch auf Distanz gehen werde.170 Hans Ritter zog aus den erfolglosen Vermittlungsbemühungen über Joseph Wirth seine Konsequenzen: Er brach den Kontakt zum ehemaligen Reichskanzler ab und riet auch London, nicht länger auf dieses Pferd zu setzen.171 Trotz dieses Ratschlags blockten die Briten auch in den nächsten Monaten die Annäherungsversuche Wirths nicht vollständig ab. Dies versuchte auch Otto Geßler weiterhin zu nutzen. 169 Unterredung mit Pater Robert Leiber (26./27. August 1960), IfZ, ZS 660, Bl. 2–7, hier Bl. 7. Für eine ausgewogenere Gesamtbeurteilung Cesare Orsenigos plädiert dagegen der Herausgeber der digitalen Edition von Orsenigos Nuntiaturberichten (vgl. Brechenmacher, Cesare Orsenigo, S. 299–309). 170 Vgl. Gustav Gundlach an Carlo Zeller [=Joseph Wirth: d. Vf.] (1. Mai 1940), BAK, NL Wirth (N 1342) 16. 171 Vgl. Schlie, Kein Friede mit Deutschland, S. 182. Im Sommer 1940 verließ Ritter die Schweiz und siedelte nach London über (vgl. ebd., S. 277).

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d) Bemühungen um einen günstigen Verständigungsfrieden Joseph Wirth schenkte den Gerüchten über Otto Geßler, die ihm aus Deutschland und Rom zugetragen wurden, nur vorübergehend Glauben, da Geßler nicht wie versprochen auf seiner Rückreise von Italien Mitte Mai 1940 durch die Schweiz gekommen war.172 Dies lag jedoch nicht an der Unzuverlässigkeit des früheren Reichswehrministers. Es war die Schweiz, die alle Passvisen, die vor dem 10. Mai 1940, dem Tag des deutschen Angriffs auf die Niederlande und Belgien, erteilt waren, strichen, weshalb Geßler kurzfristig über den Brenner zurückreisen musste.173 Deshalb empfing Wirth seinen früheren Kabinettskol­legen Geßler erst wenige Monate später erneut in der Schweiz. Die nun bis 1942 unregelmäßiger stattfindenden Reisen Geßlers in den Süden sowie die wenigen Quellen, die über diese Auskunft geben, legen die Vermutung nahe, dass Geßler sich – gleich den deutschen Militärführern – von den kriegerischen Erfolgen Hitlers zeitweise blenden ließ. Am Ziel des »Sperr-Kreises«, eine Zeit »Danach« vorzubereiten, orientierte er sich zwar weiterhin und verlor dabei seinen Auftrag, im Ausland in diesem Sinne zu sondieren, nicht aus den Augen. Doch schien er vorerst den für Deutschland positiven Kriegsverlauf für seine Zwecke nutzen zu wollen. Er hoffte offenbar, dass Großbritannien im Spätsommer und Herbst 1940 angesichts der über seinem Territorium stattfindenden Luftschlacht und einer drohenden deutschen Invasion, bereit sein würde, einen hohen Preis bei etwaigen Friedensverhandlungen zu zahlen, also auch Bayern in wichtigen Punkten entgegenzukommen. Ende August 1940 brach Geßler für eine Woche in die Schweiz auf, wo er unter anderem mit Wirth zusammentraf.174 Der ehemalige Reichskanzler nahm in den darauffolgenden Tagen Kontakt mit den britischen Stellen in Bern auf. Sein Versuch, ein Visum nach England zu bekommen, wurde von London abgelehnt.175 Auch auf das Angebot Geßlers, als Vermittler zwischen London und dem deutschen Generalstab zu fungieren176, gingen die Briten nicht ein. In London hatte 172 Ritter, der selbst offenbar daran zweifelte, schrieb am 22. Mai an Christie: »Mir persönlich interessant ist die Tatsache, dass Herr Wilhelm Tell [=Otto Geßler] immer noch nicht auf der Rückreise hier durchgekommen ist, was nach seinen Worten doch spätestens am 6. Mai hätte der Fall sein sollen. Er scheint immer noch bei den Achsenbrüdern im Süden zu weilen. Ob der Verdacht des Nuntius Orsenigo berechtigt war? Onkel Joe [=Joseph Wirth] jedenfalls läuft herum wie ein Huhn, das sein verlorenes Ei sucht. Er seufzt über die Schlechtigkeit der Menschen« (Flip and Flap [=Ritter] an Grahame [=Christie], CAC, CHRS 1/33). 173 Vgl. »Situationsbericht« von Otto Geßler für Canaris (München, 21. Mai 1940), BAK, NL Geßler (N 1032) 62. 174 Vgl. »Bericht« Geßler für Canaris (o. O. u. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 62. 175 Vgl. Telegramm des britischen Gesandten in der Schweiz, Kelly, an das Foreign Office (5. September 1940) sowie Antwort des Foreign Office (13. September 1940), beides TNA, FO 371/24408. 176 Vgl. Telegramm des britischen Gesandten in der Schweiz, Kelly, an das Foreign Office (4. September 1940), TNA, FO 371/24408.

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man in den Monaten zuvor zu schlechte Erfahrungen mit den »self-styled emissaries of the General Staff« gemacht.177 Der britische Gesandte in der Schweiz, David Kelly, beauftragte dennoch den britischen Militärattaché in Bern, genaueres über die Anfragen Wirths und den Kontakt zu Geßler in Erfahrung zu bringen. Wahrscheinlich als Reaktion auf die britischen Vorbehalte habe Wirth diesem versichert, dass Geßler ihn während der letzten zwanzig Jahre niemals belogen habe. Er wies erneut ausdrücklich auf dessen Verbindung zum deutschen Generalstab hin. Dort sei man durch die erfolgreiche Mai-Offensive im Westen, was die Gunst bei Hitler betraf, in die Defensive gelangt. Die Militärs würden zwar an die Möglichkeiten eines »totalen Sieges« glauben, jedoch davon ausgehen, dass bei langwierigen Kampfhandlungen letztlich alle Parteien verlieren müssten. Ernsthafte Verhandlungen stellte Wirth für den Fall eines Rückschlags in Aussicht. Geßler dagegen sei nicht in die Schweiz gekommen, um bereits jetzt etwas zu erreichen. Er wollte vorerst seine Fühler ausstrecken und London mitteilen lassen, dass er jederzeit für Verhandlungen in die Schweiz kommen könne. In mögliche Verhandlungen werde man von Seiten der Militärs laut Wirth wohl mit den Bedingungen gehen, dass unter anderem der Besitz der eroberten Kanalhäfen von Dünkirchen bis Bou­ logne für einige Jahre garantiert und man im Osten freie Hand erhalten werde.178 Abschließend habe Wirth erneut darauf hingewiesen, dass Geßler weiterhin in engem Kontakt zum Vatikan stehe.179 Die Bedingungen der Militärs für einen möglichen Friedensschluss gab G ­ eßler offenbar ohne eigene kritische Anmerkungen an Wirth weiter. Demnach dürfte er sie geteilt haben. Den verbrecherischen Charakter des von Deutschland ausgegangenen Krieges scheint er zu diesem Zeitpunkt aus taktischen Erwägungen ignoriert zu haben. Wenn er auch nach wie vor – darauf lassen seine Kontaktbemühungen schließen – das NS-Regime grundsätzlich ablehnte, hinderte ihn dies nicht daran, sich dessen kriegerische Erfolge vorübergehend zunutze zu machen. In der Schweiz erfuhr Geßler, dass England trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten fest an einen Sieg über Hitler-Deutschland glaubte, falls es eine Invasion angehen werde. Hinzu komme, dass die Briten sich sicher seien, dass ihnen die USA über kurz oder lang zur Seite stehen würden.180 Obwohl Geßler in den folgenden Monaten immer wieder auf die deutsche Stärke und die englische Schwäche verwies, dürfte er sich unter einem gewissen Zeitdruck gesehen haben. Als ein Mann, der über Jahre hinweg die Geschicke des Reiches maßgeblich politisch mitbestimmt hatte, sah er sich dazu verpflichtet, die Gunst der 177 Telegramm des Foreign Office an den britischen Gesandten in der Schweiz, Kelly (9. Sep­ tember 1940), TNA, FO 371/24408. 178 Vgl. Telegramm des Foreign Office an den britischen Gesandten in der Schweiz, Kelly (8. September 1940), TNA, FO 371/24408. – Wirth ließ hierbei insofern Verhandlungsbereitschaft durchblicken, da er erklärte, dass man in Verhandlungen naturgemäß mit einem hohen Preis eintrete (vgl. ebd.). 179 Vgl. ebd. 180 Vgl. »Bericht« Geßler für Canaris (o. O. u. D.), BAK, NL Geßler (N 1032) 62.

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Stunde im Interesse des Reiches und für eine Zeit »Danach« zu nutzen, um eventuelle Verhandlungen mit London an möglichst hohe Bedingungen zu knüpfen. ­Geßlers Ziele dürften sich insofern mit jenen Wirths gedeckt haben, dem es nach eigenen Angaben darum ging, »to make contacts which might eventually lead to a compromise peace with anti Nazis and to save as much as possible for Germany«.181 Der ehemalige Reichswehrminister dürfte zusätzlich darauf spekuliert haben, dass ein noch immer als möglich erachteter Verständigungsfriede auch die Zukunft Bayerns regeln würde, zumindest jedoch darauf, dass Einfluss auf seine neuzugestaltende Ordnung genommen werden könne. Dies legt der Inhalt einer erneuten Besprechung zwischen Geßler und Wirth am 22. Oktober 1940 nahe. Neben einigen militärischen Insiderinformationen sowie Hinweisen auf deutsche Truppen- und Versorgungskapazitäten klärte Wirth London über Geßlers monarchistische Gesinnung und seine guten Beziehungen zum Hause ­Wittelsbach auf.182 Was Kronprinz Rupprecht betraf, verwies Wirth darauf, dass sich dieser derzeit in Italien aufhalte und ihm seine Rückkehr nach Deutschland verboten werde. Nachdem Wirth wenige Monate zuvor die Haltung der Franzosen zu einer Restauration der Wittelsbacher Monarchie sondiert hatte, hob er nun Geßlers Beziehungen zum Haus Wittelsbach gegenüber den Briten hervor. Es dürfte kein Zufall, sondern im Kalkül Otto Geßlers gelegen haben: In beiden Fällen brachte Wirth in seinem Auftrag die Wittelsbacher Monarchie und den Kronprinzen Rupprecht ins Spiel, als sich die kontaktierten Länder in einer bedrohlichen Situation befanden und vermeintlich für entsprechende Annäherungsversuche und Offerten zugänglich erschienen. In London wurden die Verbindungen und die Persönlichkeit des ehema­ ligen Reichskanzlers allerdings in der Zwischenzeit fast ausschließlich negativ eingeschätzt.183 Insbesondere seine Kontakte zu Geßler, von dessen Überlaufen zum NS-Regime die Briten nun überzeugt waren, sprachen gegen seine Zuverlässigkeit.184 Ließ dies bereits die Erfolgsaussichten der Bemühungen Geßlers schwinden, zu einem Verhandlungsfrieden beizutragen und dort ein günstiges Ergebnis für Deutschland erzielen zu können, so veränderten sich ab Januar 1941 die Rahmenbedingungen und Chancen für einen möglichen Friedensschluss grundsätzlich: Angesichts der enttäuschenden Erfahrungen des Vorjahres gab 181 Telegramm des britischen Militärattachés in Bern an das Foreign Office (11. Oktober 1940), TNA, FO 371/24385. 182 Vgl. Telegramm des britischen Gesandten in der Schweiz, Kelly, an das Foreign Office (25. Oktober 1940), TNA, FO 371/24385. 183 Wirth sei, obwohl einst in hochrangiger politischer Position in Deutschland, nun kaum mehr interessant: »he drinks and is probably a typical German Fifth Column Agent whose task is to preach the desirability and practicability of an early compromise peace« (William Cavendish-Bentinck an Beaumont Nesbitt (22. Oktober 1940), TNA, FO 371/24385). 184 Vansittard legte Wirth insbesondere zur Last, dass er noch lange, nachdem Geßler zu den Nazis übergelaufen sei, sich weiterhin von diesem habe manipulieren lassen (Notiz von Vansittard (28. Oktober 1940), TNA, FO 371/24385.

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der seit wenigen Monaten amtierende Premierminister Winston Churchill die interne Weisung einer »absolute silence« heraus, womit weitere Annäherungsversuche von Seiten des deutschen Widerstands von vornherein zum Scheitern verurteilt waren.185 Eine neuerliche Annäherung ließ das Foreign Office im Februar 1941 unbeantwortet. Über Wirth betonte Geßler Mitte des Monats erneut die Zweiteilung im deutschen Generalstab und in der Admiralität. Die moderaten Generäle würden eine Mitteilung über die Kriegsziele Londons an die deutsche Regierung begrüßen, insbesondere mit einer Erklärung über die künftige Autonomie der besetzten Staaten und der Kanalhäfen. Die Theorie sei, dass Hitler eine entsprechende Mitteilung ablehnen werde, woraufhin sich die moderaten Militärs von Hitler und der Partei distanzieren würden.186 Zu diesem Zeitpunkt des Krieges erschien die Möglichkeit einer internen Spaltung des Generalstabs jedoch aus der Luft gegriffen. Der Generalstab hatte seit Sommer 1940 gegen Hitlers Planungen einer Ostoffensive gegen die Sowjetunion keine nennenswerten Einwände erhoben. Zu sehr war er in die operative Planung des Kampfes gegen die Rote Armee involviert, als dass er sich ernsthaft mit den Gründen und Zielen der politischen Führung beschäftigen konnte und wollte.187 Von der Unhaltbarkeit dieser These zeigte sich auch Vansittard überzeugt, der scharfe Kritik an der erneuten britischen Gesprächsaufnahme mit Wirth in der Schweiz übte: »I think I have mentioned that Gessler is quite unreliable«.188 Es scheint so, als habe Geßler eine Doppelstrategie verfolgt: Einerseits wollte er die deutsche militärische Stärke hervorheben, um den Preis eines Friedensschlusses in die Höhe zu treiben, andererseits wollte er in London nicht den Eindruck vermitteln, als sei man in Deutschland unter keinen Umständen zu Friedensgesprächen bereit. Den ersten Schritt müssten allerdings erneut die Briten gehen. Im Mai 1941 teilte Wirth in verschlüsselter Form dem Jesuitenpater Robert Leiber mit, dass Geßler ab und an noch in die Schweiz komme, dabei jedoch mehr Informationen erhalten wolle, als er selbst aus Deutschland mitbringe.189 Seit Sommer 1941 musste der frühere Reichskanzler die briefliche Korrespondenz mit Rom aus Sicherheitsgründen über die »Umschaltstation«, den Jesuitenpater und Leiter des Katholischen Akademikerhauses in Zürich, Dr. Richard Gutzwiller, nehmen.190 Nachdem Geßler schon längere Zeit nicht mehr in der Schweiz gewesen sei, kündigte Wirth dessen Kommen im September 1941 an.191 185 Vgl. Winston Churchill an Anthony Eden (20. Januar 1941), TNA, FO 371/26542 (gedruckt in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe I, Bd. 1, S. 269). 186 Vgl. Telegramm von Kelly an Foreign Office (17. Februar 1941), TNA, FO 371/26517. 187 Vgl. Hürter, Hitlers Heerführer, S. 223. 188 Notiz Vansittards auf Telegramm von Kelly an Foreign Office (17. Februar 1941), TNA, FO 371/26517. 189 Joseph Wirth an Pater Robert Leiber (24. Mai 1941), NL Wirth (N 1342) 25. 190 Vgl. Hörster-Philipps, Joseph Wirth, S. 580. 191 Joseph Wirth an Gustav Gundlach (4. September 1941), NL Wirth (N 1342) 47.

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Geßler ließ sich allerdings mit seiner Schweizreise offenbar bis Dezember 1941 Zeit. Am 7. Dezember, dem Tag des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor, traf Geßler, von Italien kommend, in der Schweiz ein. In einer eingehenden Aussprache am Vierwaldstättersee berichtete er Wirth von der Kriegsmüdigkeit der Italiener.192 Dies könnte ein Absichern der Poebene von deutscher Seite aus notwendig machen. Daneben seien die strategischen Kriegsziele im Osten nicht erreicht worden, wobei man vorläufig die weitere Entwicklung abwarten müsse. Nachdem Geßler amerikanische Gerüchte über eine Rohstoffknappheit Deutschlands ausgeräumt hatte, erkundigte er sich – sehr zur Verwunderung Wirths – nach den Rohstoffreserven in England und das, obwohl er offenbar über die britischen Erfolge im Atlantik bestens informiert war. Sein ehemaliger Kabinettskollege teilte seinen Freunden im Vatikan wenige Tage später mit: »Es war nötig, einige Auffassungen Tell’s zu korrigieren. Er und seine Herren sehen die Dinge in England etwas zu prekär an. Unserer Meinung nach, die ziemlich gut begründet ist, sind alle Rohstoffvorräte und Nahrungsmittelvorräte in England grösser, als Tell selbst anzunehmen scheint. Man will halt aus jeder Brennnessel Honig saugen.«193 Geßler war nach wie vor bemüht, den Preis für mögliche Friedensverhandlungen in die Höhe zu treiben. Sowohl im Vatikan als auch in der Schweiz wurde man derweil ungeduldig. Aus Rom erreichte Wirth Ende des Jahres die Nachricht, dass Geßler »immer noch in Sachen des Verkaufs der Mineralien-Sammlung«, also der Verhandlungen um möglichst günstige Friedensbedingungenen, herumreise: »Natürlich hat er ein Interesse daran festzustellen, daß seine Auftraggeber [die »oppositionswilligen« Militärs: d. Vf.] nicht unbedingt verkaufen müssen, während die andere Seite mehr oder weniger kaufen müsse.« Dagegen sei man im Vatikan »regelmäßig auch anders über die starke Kreditbedürftigkeit seiner Firma [Deutschlands: d. Vf.] orientiert« gewesen.194 Wirth schätzte die Lage für Deutschland ähnlich düster ein wie seine Freunde im Vatikan. Er war sichtlich bemüht, Geßler hinsichtlich der Kriegslage die Augen zu öffnen. Zur Weiterleitung an dessen »Auftraggeber« habe er in der Besprechung im Dezember 1941 betont, »dass es diesmal keinen Erzberger geben« werde, »der mit der weissen Fahne in den berüchtigten Wald gehen wird.« Die Zeit laufe unaufhaltsam gegen Deutschland.195 Wie Geßler auf diese deutlichen Worte reagiert hatte, ist nicht überliefert. Bis nach England drangen seine Fühler in jenen Tagen ohnehin nicht mehr durch. Zumindest lassen sich nach dem Februar 1941 keine Kontakte Geßlers über Wirth nach London mehr nachweisen. Im Hinblick auf den gesamten Komplex der Auslandsmissionen Otto ­Geßlers lässt sich zusammenfassen: Die Rolle Geßlers als möglicher Emissär einer deut192 Vgl. Aufzeichnung Wirth (Luzern, 12. Dezember 1941), NL Wirth (N 1342) 124. 193 Joseph Wirth an Gustav Gundlach und Robert Leiber (10. Dezember 1941), NL Wirth (N 1342) 47. 194 Gustav Gundlach an Joseph Wirth (Rom, 30. Dezember 1941), NL Wirth (N 1342) 7. 195 Joseph Wirth an Richard Gutzwiller (Luzern, 23. Januar 1942), BAK, NL Wirth (N 1342) 16.

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schen Opposition wurde in London zunächst mit Skepsis wahrgenommen, weil der frühere Reichswehrminister zu lange von der Bildfläche verschwunden war und man daher an dessen tatsächlichen Einflussmöglichkeiten zweifelte. Andererseits waren den Briten und Franzosen, später den Amerikanern, süddeutsche Nachkriegsplanungen deutlich sympathischer als eventuelle preußische Pläne, die man etwa mit Carl Goerdeler verband. Die süddeutschen Pläne waren immer auch gegen eine künftige Vormachtstellung Preußens im Reich gerichtet. Den preußischen Militarismus betrachtete man als Ursprung des Nationalsozialismus. Geßler war anfangs offenbar im Auftrag Canaris, hinter dem unter anderem Carl Goerdeler stand, in die Winterbemühungen der Berliner Widerständler involviert, nutzte jedoch diese Gelegenheit zugleich, um im Ausland die Interessen Bayerns vorzutragen. Geßlers Zusammenarbeit mit Wirth sollte sich bis März 1940 als erfolgversprechend herausstellen. Die gemeinsamen Bemühungen, die im Erhalt des britischen »Stillhalteangebots« im Falle eines militärischen Umsturzes ihren Höhepunkt fanden, sollten jedoch letztlich durch die zögerliche Haltung des deutschen Generalstabs um Brauchitsch und Halder und offenbar auch durch die Uneinigkeit innerhalb des deutschen Widerstands über die staatliche Neuordnung Deutschlands ad absurdum geführt werden. Die Unzuverlässigkeit Geßlers wurde in der Folgezeit klar herausgestellt. Sowohl das NS-Regime als auch die Widerstandsgruppe um Goerdeler hatten ein Interesse daran, die Verbindungen des früheren Reichswehrministers ins Ausland abreißen zu sehen. Joseph Wirth schenkte den Gerüchten keinen Glauben und traf sich bis Ende 1941 weiterhin mit seinem früheren Kabinettskollegen. Geßler bot sich als Vermittler von Friedensverhandlungen an. Strategisch ging er dazu über, unter anderem Informationen über Rohstoffvorräte der Kriegsparteien zu sammeln, um die Kräfteverhältnisse so aufzuzeigen, dass mögliche Friedensverhandlungen von deutscher Seite offensiv und mit einem für das Reich möglichst günstigen Ergebnis geführt werden könnten. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass nach »Pearl Harbor« und der Kriegserklärung Deutschlands an die USA die Vermittlungsbemühungen Geßlers über Wirth abrissen. Ohnehin hatte er seit Monaten kaum mehr etwas erreicht. Nun verschoben sich die Kräfteverhältnisse deutlich zu Ungunsten Deutschlands, was auch Geßler nicht weiter zu verdecken vermochte. Sein Ruf in London war ohnehin ruiniert. Zumindest war es Geßler gelungen, immer wieder den bayerischen Kronprinzen Rupprecht bei den Alliierten ins Gespräch zu bringen, der nun ab Mitte des Krieges den Versuch unternahm, den Alliierten seine Neuordnungsvorstellungen über ein Nachkriegsdeutschland zu unterbreiten und sich selbst und seine Dynastie als geeignete Übergangslösung vorzuschlagen.

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2. Kronprinz Rupprechts Verfassungsentwurf für eine Zeit »Danach« Obwohl Italien inzwischen als Kriegsteilnehmer an der Seite Hitler-Deutschlands kämpfte, ließ der bayerische Kronprinz Rupprecht im Florentiner Exil seinen politischen Gedankengängen freien Lauf. Seine staatstheoretischen Vorstellungen, die er seit Mitte des Ersten Weltkrieges allenfalls in kurzen Denkschriften niedergeschrieben hatte, wollte er nun ausführlich und strukturiert zu Papier bringen. Hierfür ließ er sich mindestens zwei Jahre Zeit. Das Ergebnis war ein 241 Seiten starkes Schreibmaschinenmanuskript mit dem Titel »Bemerkungen über den Staat, seine Formen und Aufgaben mit besonderer Berücksichtigung Deutschlands«.196 Der Rupprecht-Biograph Dieter Weiß hat sich ausführlich mit diesem Manuskript beschäftigt und es als einen »Verfassungsentwurf aus dem deutschen Widerstand«197 bezeichnet. Dabei hat er darauf verwiesen, dass Rupprecht beim Verfassen der Denkschrift durch die Überlegungen des »SperrKreises« beeinflusst worden sei.198 Daher scheint es angebracht, sich im Folgenden eingehend mit dem Verfassungsentwurf Rupprechts auseinanderzusetzen, diesen in seinen zeitlichen Kontext einzubinden sowie dem tatsächlichen Einfluss der Mitglieder des »Sperr-Kreises« auf diese Ausarbeitung nachzugehen. Wie bereits dargelegt, konnte einzig Otto Geßler den bayerischen Kronprinzen in den Jahren 1940 bis 1943 einige Male in seinem Exil in Florenz oder im Badeort Forte die Marmi besuchen. In einem Rückblick auf das Jahr 1943 schrieb Rupprecht: »Sehr freute es mich, auch in diesem Jahre Minister Gessler in Forte begrüssen zu können, dem ich eine Abhandlung über die dynamische Entwicklung der deutschen Staaten und des deutschen Reiches zu lesen gab, sowie Aufsätze, die sich mit dem Staat im allgemeinen befassten, und die ich während der Zeit geschrieben hatte, in der ich am Gehen behindert war.«199 Es steht somit fest, dass Geßler Rupprechts umfangreiche Aufzeichnungen zur Begutachtung vorgelegt wurden. Inwiefern er diese kritisch beurteilte oder gar ergänzte, lässt sich nur vermuten. Zweifelsohne legte Rupprecht Geßler seine Abhandlungen deshalb vor, weil er an dessen kritischer Meinung interessiert war. Der bayerische Kronprinz zählte Geßler trotz dreijähriger Exilzeit und damit seltener gewordenen Begegnungen noch immer zu seinen engsten Beratern und Mitarbeitern in Fragen, die sich mit der Zukunft Deutschlands nach Untergang des »Dritten Reiches« beschäftigten. 196 Vgl. »Bemerkungen über den Staat, seine Formen und Aufgaben mit besonderer Berücksichti­ gung Deutschlands« (Manuskript) [1941–1943], GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 1–241 (Seitenzahlen beziehen sich auf Manuskript). Auf dem Titelblatt heißt es »Verfasst ­1941–42«, während Rupprecht in seiner Vorbemerkung die Jahre 1942/43 als Entstehungszeitraum angibt. 197 Vgl. Weiß, Staatsauffassung, S. 547–560. 198 Vgl. ebd., S. 553. 199 »Das Jahr 1943« [Rückblick, Entstehungszeitraum Ende 1943/Anfang 1944], GHA, AA KPR, Mappe 24, S. 62–67, hier S. 64.

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Man sollte annehmen, Rupprecht hätte sich in seinem Memorandum in erster Linie mit der staatlichen Neugestaltung Bayerns beschäftigt. Dies war jedoch nicht der Fall.200 Der Kriegsverlauf dürfte zu der Erkenntnis geführt haben, dass das Schicksal Deutschlands nicht mehr in den Händen der Deutschen, sondern der Siegermächte liegen würde. Die Westalliierten sollten entsprechend die späteren Adressaten der Denkschrift sein. Rupprecht blieb nur die Möglichkeit, um Verständnis für die organische Entwicklung der deutschen Staaten, für einen ausgeprägten Föderalismus sowie die Vorzüge einer neuzeitlichen Monarchie zu werben. Dass er damit auf die Wiedereinsetzung der Wittelsbacher Monarchie in Bayern hoffte, liegt auf der Hand, obwohl sich Rupprecht im Verlauf des Krieges offenbar zeitweise auch ein Aufgehen Bayerns in einem süddeutschen Teilstaat unter Einbeziehung Österreichs vorstellen konnte.201 Gleich im Vorwort wandte sich Rupprecht deutlich gegen jede Art von Impe­ rialismus und brachte seine Verachtung dem Begriff des »totalen Krieges« gegenüber zum Ausdruck.202 Um künftig Kriege zu verhindern, empfahl er, im Verhältnis der Staaten und Kontinente zueinander häufiger das Verbindende als das Trennende zu betonen, und wies in diesem Zusammenhang auf die gemeinsame christliche Kultur hin, auf deren Grundlage etwa Amerika und Europa sich verständigen sollten.203 200 »Baiern« taucht in seiner Denkschrift lediglich im ersten Teil seiner Ausführungen einige Male auf. Der Abschnitt trägt den Titel »Kurze Darstellung der staatlichen Entwicklung Deutschlands bis zum Ende des 2. Reiches« (Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 1–163). 201 Diese Überlegungen Rupprechts, die kurzzeitig sogar die Briten unter Churchill ins Auge gefasst hatten, wird unten in der Besprechung des Abschnitts »Über Bundesstaaten und Kleinstaaten« erörtert. Außerdem tauchte dieser Aspekt im Mai 1943 in einem an die Briten gerichteten Memorandum erneut auf (vgl. Kap. VII.3). 202 »Nur wenn alle anderen Mittel versagen«, so Rupprecht, sei »ein Krieg als einzig möglicher Ausweg gerechtfertigt«: »Jeder Krieg, der aus Machtgier eines Staatsoberhauptes aus Begehrlichkeit nach fremdem Gebiet und seinen Reichtümern geführt wird, ist hingegen verwerflich. […] Der totale Krieg nähert sich ins Riesige übertragen in seiner unerbitterlichen Vernichtungstendenz den Fehden vorzeitlicher barbarischer Stämme« (Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. XIf.). Da der »totale Krieg« für ihn besondere Aktualität besaß, ist zu vermuten, dass Rupprecht zumindest das Vorwort erst nach der Rede Joseph Goebbels’ im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943 verfasste. 203 Vgl. ebd., S. XIV. Das Vorwort lässt bereits einen Einfluss der führenden Protagonisten des »Sperr-Kreises« vermuten. Auch Eduard Hamm verstand das Christentum als Grundlage der europäischen Kultur, die es gegenüber anderen aufstrebenden Kulturnationen zu verteidigen galt. Sein Engagement im Münchener Rotary Club galt in erster Linie der Völkerverständigung. Geßler und er arbeiteten über Jahre hinweg an einer Vereinigung Mitteleuropas, nicht mit dem Ziel der Teilung Europas. Sie hegten die Hoffnung, Verständnis für die aus ihrer Sicht berechtigten deutschen Bedürfnisse und Wünsche zu erlangen, um schließlich zu einem wahren Frieden in Europa zu gelangen. Dagegen könne es im Krieg zwischen den europäischen Ländern nur einen »sicheren Besiegten«, nämlich Europa, und einen »sicheren Sieger«, nämlich Asien geben (Eduard Hamm an Gerhard Riedberg (21. Oktober 1939), BayHStA, NL Hamm 91). Vgl. zu diesem Komplex außerdem das Kap. V.2.b.

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Im ersten Abschnitt des Hauptteils der Denkschrift gab Rupprecht einen umfangreichen Überblick über die geschichtliche Entwicklung Deutschlands, beginnend mit dem Ende der Völkerwanderung und der Herrschaft der Merowinger gegen Ende des 5. Jahrhunderts bis hin zum »Versailler Friedensdiktat«.204 Mit dem bedeutsamen Jahr 1740, in dem Friedrich der Große in Preußen und Maria Theresia in Oesterreich die Macht erlangten, habe laut Rupprecht die jüngere deutsche Geschichte eingesetzt. Im Rahmen einer Generalkritik am friderizianischen Preußen warf der Kronprinz dem preußischen König vor, dass dieser mit dem ersten schlesischen Krieg – »der erste bewusst geführte Eroberungskrieg, den innerhalb der Reichsgrenzen ein deutscher Staat gegen einen anderen unternahm« – maßgeblich für die Auflösung des alten Reiches und für den preußisch-österreichischen Antagonismus verantwortlich war, der die folgenden Jahrzehnte bestimmt habe.205 Der nach dem Wiener Kongress 1814/15 geschaffene Deutsche Bund sei eine »Verlegenheitslösung«206 gewesen. Dem unüberhörbaren Ruf nach Verfassungen in den Einzelstaaten, welche »die Vorstufe für die weitere Ausgestaltung der Bundesverfassung sein musste«, habe sich Preußen zu lange verweigert. Parallel seien auch in anderen Staaten Stimmen laut geworden, die auf die Ausschaltung der Landesregierungen gedrängt hätten.207 Die Revolution von 1848/49 sei die logische Konsequenz gewesen: »Man muss eben einen Neubau stets vom Fundamente aus beginnen, und das Fundament waren in diesem Falle die Bundesstaaten. Nur aus ihnen heraus und nicht über sie hinweg konnte des Reiches Neubau entstehen.«208 Dieser Aspekt ist besonders wichtig, um Rupprechts Neuordnungspläne für ein föderales Deutschland nach Untergang des »Dritten Reiches« nachvollziehen zu können. Die Bismarck-Ära und die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 betrachtete Rupprecht äußerst kritisch. In der Schaffung des Norddeutschen Bundes 1866/67 und die in diesem Zusammenhang vollzogene Annexion des Königreichs Hannover und anderer Bundesstaaten durch Preußen, sah er »einen Verstoss gegen das monarchische Prinzip, das Bismarck für Preussen auf das nachdrücklichste verfocht« habe.209 Diese Art der Bevormundung durch Preußen sei auch bei den späteren Verhandlungen über die Vereinigung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund zum Vorschein gekommen, als von preußischer Seite Forderungen erhoben worden seien, die über das Nötige, wozu Rupprecht den Verzicht auf eine auswärtige Politik zählte, hinausgingen.210 Seiner Kritik an einigen Punkten der Reichsverfassung211 ließ er die an zwei »Ausnahmegesetzen« folgen. Sowohl die Maigesetze des Kulturkampfes als auch 204 205 206 207 208 209 210 211

Vgl. Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 1–163. Ebd., S. 60. Ebd., S. 92. Ebd., S. 92 f. Ebd., S. 101. Ebd., S. 124. Vgl. ebd., S. 101. Vgl. ebd., S. 129–135.

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die »Sozialistengesetze« hätten »etwas Gehässiges« in sich gehabt und sich »auf die Dauer nicht aufrecht erhalten« lassen.212 Soziale Unruhen ließen sich aus seiner Sicht ohnehin nicht durch repressive Gesetze eindämmen. Richtig seien daher die durch kaiserlichen Erlass 1881 einsetzende Förderung der Arbeiterwohlfahrt und die Einführung der Kranken- und Unfallversicherung gewesen.213 Während Bismarck in seinen letzten Lebensjahren erkannt habe, dass starke Bundesstaaten wertvoll und nützlich seien, habe der Kaiser eher dazu geneigt, die Fürsten der einzelnen Länder möglichst auszuschalten. Das Kaiserreich unter preußischer Vormachtstellung habe bereits Grundzüge eines Einheitsstaates aufgewiesen, wie sie Rupprecht nun im »Dritten Reich« wiederfand. Hieraus leitete Rupprecht seine nächste Grundüberzeugung ab: »Wenn in einem Staate alles nach einer Schablone erfolgt, erstirbt jede Arbeitsfreude und jeder Anreiz zu selbstständigem Handeln. Die Leute werden zu geist- und seelenlosen leicht zu handhabenden Maschinen, versagt aber die Leitung, versagen auch sie.«214 Mit Abtritt Bismarcks habe die deutsche Führung unter preußischer Leitung dann auch außenpolitisch versagt und ihre Politik schließlich in den Ersten Weltkrieg gemündet. So war für Rupprecht der Hauptschuldige für den Untergang des Kaiserreichs schnell ausgemacht: »Unter preussischer Führung entstanden, ging es in der grössten Katastrophe der deutschen Geschichte an preussischer Leitung zu Grunde.«215 Die Jahre der Weimarer Republik außer Acht lassend, war für Rupprecht der Weg von diesem Punkt in der deutschen Geschichte bis hin zum »Dritten Reich« nur kurz: »Der von den verbündeten Mächten veranlasste Sturz der monarchischen Staatsgewalten in Deutschland und die demütigenden Bedingungen des Versailler Friedensdiktates schufen die Vorbedingungen für das Aufkommen des so verhängnisvollen nationalsozialistischen Irrwahnes.«216 Rupprecht wollte mit seiner Tour d’Horizon durch die deutsche Geschichte vor allem seine Überzeugung mitteilen, dass nicht zuletzt der innerdeutsche Hegemonialanspruch Preußens erst unter Friedrich dem Großen, dann unter Otto von Bismarck und schließlich unter Kaiser Wilhelm II. zur »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« (George F. Kennan) beitrug und die Voraussetzung für das Entstehen des Nationalsozialismus schuf.217 Durch diese zugespitzte Argu212 Ebd., S. 136.: »›Gebt dem Caesar, was des Caesars ist und Gott, was Gottes ist‹. Dieses Wort besitzt Ewigkeitswert«, so Rupprechts Kritik am Kulturkampf. Hinsichtlich des 1878 erlassenen Sozialistengesetzes erklärte er: »Es war, wie wenn man die Symptome einer Krankheit beseitigen wollte, statt diese von Grund aus zu heilen« (ebd., S. 136 u. 138). 213 Vgl. ebd., S. 138. 214 Ebd., S. 154. 215 Ebd., S. 162. 216 Ebd., S. 163. 217 An dieser Stelle bestanden deutliche Unterschiede zwischen Rupprechts Interpretationen der deutschen Geschichte und denen Geßlers und Hamms. Letztere sahen vor allem in der europäischen Dimension, insbesondere dem Antagonismus Frankreich / Deutschland, der im Versailler Vertrag gipfelte, den Hauptgrund für die Entwicklung hin zum »Dritten

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mentation deutete Rupprecht bereits sein Eintreten für einen möglichst föderalen Staatsaufbau unter Ausschaltung einer erneuten preußischen Vormachtstellung an. Das zweite Kapitel »Der Staat. Republik und Monarchie«, in dem Rupprecht die beiden Staatsformen gegenüberstellt, beginnt mit einer Beschreibung der Rolle des Staates, wie ihn sich Rupprecht als wünschenswertes Ideal im Gegensatz zum omnipotenten und omnipräsenten preußischen Staat sowie zur totalitären Herrschaft des NS-Regimes vorstellte: »Der Staat soll […] der individuellen Entwicklung des Einzelnen keine Hindernisse bereiten und nur insofern dessen Betätigung Schranken setzen oder ihn zu Dienstleistungen heranziehen, als dies zum Wohle der Gesamtheit erforderlich ist.«218 Ein solch liberales Staatsverständnis klingt aus der Feder eines Kronprinzen ungewöhnlich und lässt auf einen starken Einfluss seiner liberalen Berater im »Sperr-Kreis« schließen. Trat Rupprecht hier für die individuelle Freiheit des Einzelnen ein, so wandte er sich zugleich entschieden gegen die Herrschaft der Masse, die er als ein »unerreichbares Ideal«219 bezeichnete: »Immer sind es nur wenige, die zur Leitung eines Staates befähigt sind, niemals die Masse. Diese ist urteilslos und unstet, von Instinkten getrieben und augenblicklichen Gefühlswallungen unterworfen.«220 Für Rupprecht stand des Weiteren fest, dass Regierungsformen grundsätzlich »Ergebnisse der geschichtlichen Entwicklung der Völker und Zeugnisse ihrer Sinnesart« seien, sozusagen »ein fester Kitt, der das Staatsgefüge zusammenhält.«221 Einen Wechsel der Regierungsform hielt er ohne negative Folgen für das jeweilige Land für unmöglich. So beurteilte er die weltweit existierenden Republiken nur in Einzelfällen positiv.222 Außerdem seien für ihr Entstehen weniger innenpolitische Missstände als vielmehr außenpolitische Begebenheiten verantwortlich. Abschließend erklärte Rupprecht, dass »die Rückkehr zur monarchischen StaatsReich«. Die Vereinigung Deutschlands im Bismarck-Reich schwebte beiden dagegen als Ideal vor. Allenfalls die unklar definierte Rolle Preußens in der Weimarer Republik war auf Geßlers und Hamms scharfe Kritik gestoßen (vgl. hierzu die Kap. III.3.a). 218 Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 164. 219 Ebd. 220 Ebd. Später präzisierte Rupprecht seine Aussage: »Mit nichts lässt die Masse leichter sich ködern als mit Verheissungen von Freiheit und Gleichheit, Verheissungen, welch der Eitelkeit schmeicheln und die Begehrlichkeit wecken. Dass eine absolute Gleichschaltung der Menschen unmöglich, wurde schon im Vorworte betont. Das gedankenlos hierauf abzielende Streben führt zwangsläufig zur Aufhebung jeder persönlichen Freiheit, selbst jener der Meinungsäußerung und des Gewissens, die Tyrannei der Masse aber endet, bei deren Unfähigkeit sich selbst zu regieren, regelmässig in jener brutaler Emporkömmlinge« (ebd., S. 165). 221 Ebd., S. 165. 222 Mit den USA und der Schweiz nannte Rupprecht zwei gelungene Beispiele. Dagegen zählte er mit Frankreich, Spanien, Portugal, China, Russland, die baltischen Länder, Deutschland und Österreich Beispiele auf, wo sich die Ablösung der Monarchie durch eine republikanische Staatsform negativ auf die innere Entwicklung der Länder ausgewirkt hatte (vgl. ebd., S. 166–168).

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form, dort wo sie erfolgte, auf der Erkenntnis ihrer Vorzüge beruhte«223, womit er zugleich zur Kernbotschaft seiner Denkschrift überleitete. In dem Bewusstsein, dass man ihn als »Reaktionär« abstempeln und die Umsetzung seiner Pläne von verschiedenen Faktoren – vor allem dem Wohlwollen der Siegermächte – abhängen werde, hob der bayerische Kronprinz im nächsten Kapitel die Vorzüge der Monarchie gegenüber der Republik hervor224 und beschrieb seine Vorstellungen über die Ausgestaltung einer »neuzeitlichen« Monarchie, die deutlich liberale Züge trug. Rupprechts Verfassungsentwurf zielte – wenn auch nicht ausdrücklich erklärt – auf ein Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« ab.225 Diesen hätte er womöglich mit Unterstützung des »SperrKreises« in Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« umsetzen wollen. Der Unterschied zwischen Monarchie und Republik bestand für Rupprecht vor allem in der Funktion des Staatsoberhauptes. Neben der größeren Stetigkeit, die für einen über den Parteien stehenden und von wechselnden Mehrheiten unabhängigen König spreche226, könne dieser vor allem in Kriegszeiten als Vermittler zwischen leitendem Staatsmann und Heerführer fungieren und als oberster Richter unabhängiger und unparteiischer auftreten als der Präsident einer Republik. Um diese Unabhängigkeit zu gewährleisten, müsse dem König »ein von der Bewilligung eines Parlamentes unabhängiges Einkommen« zugestanden werden. Nach dieser klaren Positionierung für die Monarchie, beschäftigte sich Rupprecht mit der Frage der Ernennung des Königs. Eigentlich favorisierte er das Prinzip die Erbmonarchie.227 Da er mit seinem Verfassungsentwurf für die Berechtigung einer »neuzeitlichen Monarchie« warb, verschloss sich aber nicht grundsätzlich einem Wahlkönigtum. Eine solche Wahl des Königs dürfe aber keinesfalls durch ein Parlament erfolgen. Dagegen könne man das Prinzip der Wahl des Königs im Heiligen Römischen Reich durch die Kurfürsten »erneut aufgreifen und den neuzeitlichen Verhältnissen anpassen«.228 Rupprecht sprach 223 Ebd., S. 170. 224 Vgl. ebd., S. 171. 225 Weiß hat bereits darauf hingewiesen, dass diesen Verfassungsentwurf »ein König Rupprecht wohl verwirklicht hätte« (Weiß, Staatsauffassung, S. 555). 226 Das Kapitel trägt daher den Titel »Möglichkeiten und Berechtigung einer neuzeitlichen Monarchie« (Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 171–186). 227 Kronprinz Rupprecht erklärte hierzu: »Wie der Bauer an dem ihm von seinem Vorfahren überkommenen Besitz hängt, hängt der Fürst mit allen Fasern seines Herzens an seinem Stammlande. Das Prinzip der Erblichkeit hebt sein Verantwortungsgefühl und lässt das Streben nach lockenden aber unsicheren Augenblickserfolgen zu Gunsten jenes nach Dauererfolgen zurücktreten. Auch bietet es den Vorteil früher Vorbereitung auf den künftigen Beruf« (ebd., S. 171 f.). 228 Auch hier sprach Rupprecht der »Masse« die Fähigkeit ab, eine solche Wahl durchzuführen: »Je verantwortungsvoller der zu besetzende Posten, desto wichtiger ist es den hierfür geeigneten Mann zu finden, dies aber kann niemals die Masse, sondern können nur solche, welche aus persönlicher Kenntnis die in Frage kommenden Leute zu beurteilen vermögen, woraus sich ergibt, dass je höher die zu besetzende Stelle ist, desto enger das Gremium sein muss, dem die Entscheidung hierüber zusteht« (ebd., S. 176 f, hier S. 177).

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sich zwar für die Stärkung der verfassungsrechtlichen Stellung des künftigen Staatsoberhauptes aus. Es müssten aber auch Kontrollmechanismen existieren, um etwa einen unfähigen König zu entmachten.229 Neben dem König sollten in Bayern nach Rupprechts Vorstellungen ein Staatsrat sowie ein Zweikammersystem aus Landtag und Oberhaus als Verfassungsorgane existieren. Der Staatsrat solle aus dem Thronfolger, den Ministern und sieben vom König auf je 10 Jahre ernannten Mitgliedern bestehen, »die im Staatsdienste oder politischer Tätigkeit sich Erfahrung erwarben«.230 In Rupprechts Bayern solle dieser Staatsrat mit weitreichender Machtbefugnis ausgestattet werden. Der Kronprinz sprach ihm sogar ein Mitbestimmungsrecht bei der Thronfolge zu, um den Regierungsantritt eines unfähigen Monarchen auszuschließen.231 Der König solle das Recht haben, die Minister nach Anhörung des Staatsrates zu ernennen und zu entlassen sowie aus ihren Reihen einen leitenden Minister, den Kanzler, zu ernennen. Ansonsten solle sich der Monarch mit politischen Äußerungen zurückhalten, »um nicht die Kritik über seine Person herauszufordern«. Ebenso schränkte Rupprecht den König in seinen Befugnissen ein, indem er ihm zwar die Möglichkeit zuwies, königliche Erlasse zu verkünden, die jedoch »zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Kanzlers und des einschlägigen Fachministers« bedürfe. Dem König wies er bei der Gesetzgebung vielmehr eine Kontrollfunktion zu. Sowohl der Staatsrat als auch der König sollten stets unmittelbar durch die Minister über Vorhaben innerhalb ihrer Ressorts in Kenntnis gesetzt werden. In den Ministerien angefertigte Gesetzentwürfe und Verordnungen müssten zur letzten Überprüfung dem Staatsrat vorgelegt werden, bevor sie in den Landtag eingebracht würden. Der Landtag sollte nach Rupprechts Auffassung die eine Hälfte der zweigliedrigen Volksvertretung darstellen. Hatte Rupprecht noch 1932 im Gespräch mit Kurt Schmitt die Einführung eines Pluralwahlrechts, das nach Alter und Familienstand unterschied, gefordert232, trat er nun von diesem Gedanken zurück und empfahl ein allgemeines und gleiches Wahlrecht. Ebenso modifizierte er seine Vorstellungen über die Voraussetzungen der Wahlberechtigung und der Wählbarkeit und plädierte nun für das aktive Wahlrecht ab dem vollendeten 25., für das passive ab dem 30. Lebensjahr. Wohl auch das Erstarken der Nationalsozialisten und Kommunisten gegen Ende der Weimarer Republik ließ Rupprecht zu der Überzeugung gelangen, dass ein gewisser Reifegrad dringend erforderlich sei, um verantwortungsvoll mit seinem Wahlrecht umgehen zu können.233 229 »Ein fähiger König muss wirken können, ein wenig befähigter behindert werden, seinen Einfluss in ungünstiger Hinsicht wirksam zu machen. Ein blosses Schatten-Königtum hat als dauernde Institution keine Berechtigung, ebenso wenig der Präsident einer Republik, dem lediglich repräsentative Pflichten zustehen«, so Rupprecht (ebd., S. 179). 230 Ebd., S. 181. 231 Vgl. ebd., S. 176. 232 Vgl. GHA, AA KPR (4. Juli 1932), Mappe 14, S. 77. 233 Rupprecht griff hierbei gleichsam auf persönliche Erfahrung zurück: »Wenn man sich zurückerinnert, welch unreife Gedanken man selbst als 21 jähriger hegte, wird man sich

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Was die Parteien betraf, empfahl Rupprecht, deren Anzahl zu begrenzen. Das Ende der Weimarer Republik vor Augen vertrat er die Ansicht, dass zu viele Parteien ein Parlament zu einem Marktplatz verkommen ließen, auf dem es nur noch um das »Markten« und »Feilschen« gehe.234 Der einzelne Abgeordnete dürfe sich allein seinem Gewissen und dem Wohle des Landes verpflichtet fühlen.235 Hinsichtlich der Stellung des Landtags im Staat hielt sich Rupprecht eher bedeckt. Als Aufgabe der Volksvertretung bezeichnete er es, »die Wünsche des Volkes zur Sprache zu bringen, Schäden im Staate aufzudecken, die für dessen Bedürfnisse erforderlichen Mittel zu bewilligen und deren richtige Verwendung zu überwachen«.236 Dem Subsidiaritätsprinzip folgend plädierte Rupprecht im künftigen Bayern für Dezentralisierung und eine weitgehende kommunale Selbstverwaltung in Form von Distrikt-, Bezirks- und Provinzialvertretungen: »In den Provinziallandtagen erledigte Fragen dürften vor das Forum des Landtages nicht mehr gelangen.«237 Das Verhältnis des Landtages zur Regierung beschrieb Rupprecht ausführlicher. Wohl auch aufgrund der Tatsache, dass Kanzler und Minister nicht aus seinen Reihen hervorgehen müssten, führe die Ablehnung einer Regierungsvorlage durch die Volksvertretung nicht zum Rücktritt eines einzelnen Ministers oder der gesamten Regierung. Dennoch könne die Regierung auch nicht über den Landtag hinwegregieren, da Rupprecht der Volksvertretung das Recht zuwies, den Rücktritt der Regierung durch ein in beiden Kammern »mit der erfor­ derlichen Mehrheit ausgesprochenes Misstrauensvotum« zu erzwingen. Allerdings könne nach Rupprechts Vorstellung der künftige König, der einerseits für die Eröffnung des Landtages verantwortlich sei, diesen andererseits vor Ablauf der Legislaturperiode wieder auflösen, »wenn ein gedeihliches Zusammen­ wirken zwischen dem Landtage und der Regierung sich als nicht mehr möglich erweist«. Damit schränkte der Kronprinz die präventive Wirkungskraft des Misstrauensvotums ein, die eine Regierung zur konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Parlament zwingen konnte. Denn Rupprecht gab dem König die Möglichkeit, seine eigens eingesetzte Regierung durch Auflösung des Landtages vor Aussprechen eines Misstrauensvotums zu schützen. Dass Rupprecht damit Gefahr lief, einen der »Geburtsfehler« der Weimarer Reichsverfassung zu wieder­ darüber klar, dass vor dem vollendeten 25. Jahre niemand wahlberechtigt sein sollte« (Bemer­kungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 184). 234 Vgl. ebd., S. 185. 235 »Nie darf die Parteizugehörigkeit die Abgeordneten nötigen, ihre Stimmen in der vom Parteivorstande vorgesehenen Weise abzugeben«, so Rupprecht (ebd., S. 185). An dieser Stelle nahm der Kronprinz wahrscheinlich auch Bezug auf die ablehnende Haltung des BVP-Ministerpräsidenten Heinrich Held, eine Restauration der Wittelsbacher Monarchie durch Änderung der bayerischen Verfassung im Februar 1933 in die Wege zu leiten (vgl. hierzu Kap. IV.2). Die Abgeordneten der in weiten Teilen monarchisch gesinnten BVP hätten bei einer freien Abstimmung eine solche womöglich befürwortet. 236 Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 182. 237 Ebd., S. 185.

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holen, der ab 1930 zu den Präsidialregierungen geführt hatte, war ihm offenbar teilweise bewusst. Deshalb wollte er diese Vorgehensweise auch nur in Ausnahmefällen angewandt wissen und zwar nur dann, wenn offensichtlich sei, dass die Regierung den Rückhalt des Volkes genieße, der Landtag jedoch diesem Volkswillen zu wider handele.238 Ferner liege es an der Regierung selbst, ob sie volksnah arbeite und die »Forderungen der Zeit« erkenne.239 Neben dem Landtag solle laut Rupprecht als zweite legislative Volksvertretung ein Oberhaus auf berufsständiger Grundlage geschaffen werden.240 Diesem müssten neben Vertretern der freien Berufe, des Gewerbes und der Landwirtschaft auch solche der hohen Geistlichkeit, der Hochschulen und Großstädte angehören. Hier behielt sich der bayerische Kronprinz für den König das Recht vor, »einen gewissen Prozentsatz seiner Mitglieder zu ernennen, um hierdurch die Berufung durch besondere Eigenschaften oder Fähigkeiten ausgezeichneter Persönlichkeiten zu ermöglichen«.241 Im Anschluss an den Verfassungsentwurf für ein Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« stellte Rupprecht im Kapitel »Über Bundesstaaten und Kleinstaaten« die Überlegung an, in welchem staatlichen Gebilde dieser künftige bayerische Staat womöglich existieren könnte. Dabei wurden seine Vorstellungen weniger durch die vergangenen zehn Jahre des totalitären Hitler-Deutschlands bestimmt, als vielmehr durch die Erfahrungen, die er gegen Ende der Weimarer Republik machte, als sich aus seiner Sicht der Bundesstaat nach und nach in Richtung Einheitsstaat bewegt habe. Im Hinblick auf die künftige staatliche Verfasstheit Deutschlands bevorzugte Rupprecht die Form des Staatenbundes nach dem Vorbild des britischen Commonwealth242, bei dem die einzelnen Länder nahezu autark existierten. Dagegen war er skeptisch, was die Rückverwandlung Deutschlands in einen Bundesstaat betraf. Denn wie sein Kabinettschef in Deutschland betrachtete auch Rupprecht den Reichsgedanken nach verlorenem Krieg, zumindest auf unbegrenzte Zeit, für erledigt. Deshalb zog er Bayerns 238 »Da eine derartige Auflösung des Landtages einem Appell an das Volk gleichkommt, wird man von diesem Mittel nur ausnahmsweise und nur dann Gebrauch machen, falls begründete Aussicht besteht, dass die Neuwahlen ein für die Regierung günstiges Ergebnis liefern, denn sonst würde die Lage nicht besser sondern schlimmer«, so der bayerische Kronprinz (ebd., S. 182). 239 Dies alles sei laut Rupprecht Teil der großen »Kunst des Regierens«: »Sind Zugeständnisse nötig, müssen sie freiwillig und ohne Säumen erfolgen. Halbe Zugeständnisse sind schlechter wie keine, sie verärgern nur, werden obendrein als Zeichen der Schwäche erkannt und haben bei den Gegnern der Regierung die Zuversicht nicht nur das Gewünschte sondern noch mehr nach und nach zu erlangen« (ebd., S. 182). 240 Eine solche zweite Kammer hatte Rupprecht bereits 1932 in einem Gespräch mit Kurt Schmitt befürwortet (vgl. GHA, AA KPR (4. Juli 1932), Mappe 14, S. 77). 241 Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 185. 242 Die positive Einschätzung des einzig existierenden Staatenbundes der Welt legt eine solche Vermutung nahe. Das britische Commonwealth habe sich unter anderem bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges bewährt, als sich alle Dominions um das Mutterland scharten (vgl. ebd., S. 187).

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Verbleib in einem reaktivierten Bundesstaat erst nach einer Zeit des autarken Übergangs der Einzelstaaten und nur im Falle des Erhalts oder der Rückgewinnung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands in Betracht.243 Offenbar ging Rupprecht von einer Aufspaltung Deutschlands durch die Alliierten aus und konnte sich daher ein Aufgehen Bayerns in einem süddeutschen Teilstaat durchaus vorstellen. Während einer Reise in die Schweiz im Sommer 1942 soll Rupprecht gegenüber einem Bekannten des britischen Generalkonsuls in Zürich erklärt haben, dass er für einen ausgeprägten Föderalismus Deutschlands nach dem Krieg eintrete, »possibly  a monarchic union between South Germany and what is left of Austria«.244 Für den Fall einer Rückverwandlung Deutschlands in einen »Bundesstaat monarchisch und republikanisch regierter Länder« hielt der bayerische Kronprinz zumindest die »Einbeziehung« Österreichs »zur Stärkung des süddeutschen Elements« für wünschenswert.245 Voraussetzung für einen Bundesstaat sei nämlich für Rupprecht die Gleichberechtigung seiner Gliedstaaten, die nur dann bestehen könne, »wenn die in ihm vereinten Länder von annähernd gleicher Grösse« seien. Die Einbeziehung Österreichs auf süddeutscher Seite wäre somit die eine Variante gewesen. Die andere Variante, die Zersplitterung Preußens, nannte Rupprecht nicht, schloss diese allerdings auch nicht aus. Schließlich wandte er sich entschieden gegen eine Rückkehr der preußischen Hegemonie des Kaiserreiches.246 Anschließend stellte Rupprecht weitere Überlegungen über einen möglichen deutschen Bundesstaat an und ging dabei insbesondere auf das Verhältnis der Gliedstaaten zum Reich ein. Die föderale Struktur habe für ihn oberste Prio­ rität: »Je ausgedehnter ein Bundesstaat ist, desto mehr muss der Verschiedenheit 243 Vgl. Abschrift Memorandum Kronprinz Rupprecht (o. D., wahrscheinlich Frühjahr 1943), TNA, FO 371/34458, S. 1–6, hier S. 4. Die Seitenzahl bezieht sich auf die Seite des Memorandums. Außerdem Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 20. Juli 1945 u. 8. September 1945), beide GHA, NL Redwitz 51. Wie eine Aufzeichnung von Redwitz vom Oktober 1945 verdeutlicht, gelangte dieser bereits während des Krieges, auch durch die Gespräche mit Franz Sperr, zu der Überzeugung, »dass nach einem verlorenen Krieg der deutsche Reichsgedanke erledigt sein werde und ein Reich weder im Weimarer noch im Bismarckschen Sinne mehr bestehen und auch nicht wieder erstehen werde« (Aufzeichnung Freiherr von Redwitz (11. Oktober 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008). 244 Schreiben der britischen Gesandtschaft in Bern an das Central Department des Foreign Office (Bern, 9. Juni 1942), TNA, FO 371/33219. – Noch im Dezember 1941 hatte der britische Außenminister Eden gegenüber Stalin in Moskau über das künftige Staatsgebiet Deutschlands gesprochen. Demnach waren die Briten zu diesem Zeitpunkt gewillt, in jedem Fall Preußen durch Abtrennung des Rheinlandes zu schwächen. Was Bayern anbetraf, gab Eden an, dass Bayern gleich Österreich ebenfalls als unabhängiger Staat in Frage komme (vgl. Dokumente zur Deutschlandpolitik, Reihe I, Bd. 1, S. 593). Rupprechts Ideen waren somit zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift keinesfalls aus der Luft gegriffen. 245 Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 191. 246 Sollte nämlich innerhalb des Bundesstaates »eines seiner Länder die Gesamtheit der übrigen an Umfang wie Volkszahl« übertreffen, werde »das Übergewicht dieses stärksten Landes zu dessen Hegemonie führen«, und die übrigen zu Ländern zweiter Klasse werden (ebd., S. 191).

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seiner Glieder hinsichtlich deren Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse Rechnung getragen werden.«247 Durch »Bestimmungen zur Abgrenzung der Befugnisse der Bundesregierung und der einzelnen Landesregierungen« sollten die Gliedstaaten vor einer »Vergewaltigung auf dem Wege einer Verfassungsänderung geschützt werden.248 Als Beispiele führte Rupprecht die USA und die Schweiz an, wo der Einfluss der Zentrale auf die Gliedstaaten nur über hohe Hürden möglich sei.249 Zu den wesentlichen Aufgaben der Bundesregierung zählte Rupprecht die Außenpolitik, das Heerwesen sowie die Währungs- und Zollpolitik. Dagegen müsse den Einzelstaaten die Verwaltung und Rechtsprechung sowie die Bildungs- und Kulturpolitik obliegen. Auch auf Reichsebene solle nach Rupprechts Vorstellungen ein Monarch an der Spitze stehen: »Nicht Kaiser dürfte sich das neue Reichsoberhaupt nennen, wegen der mit diesem Namen verbundenen imperialistischen Erinnerungen, sondern ›deutscher König‹«.250 Dieser König solle von den Oberhäuptern der möglichst gleich großen Gliedstaaten auf Lebenszeit gewählt werden. Anschließend müsse ihm von dem gleichen Personenkreis eine Vorschlagsliste mit zum Bundeskanzler geeigneten Männern unterbreitet werden. Für die Legislative stellte sich Rupprecht ebenfalls ein Zweikammersystem vor. Als obere Kammer solle ein Staatenhaus gebildet werden, das aus Vertretern der Gliedstaaten bestehen und Gesetzentwürfe ausarbeiten solle. Der Reichstag als untere Kammer dürfe nicht nach Reichstagswahlen zusammentreten, sondern solle aus von den Einzellandtagen erwählten und mit parlamentarischer Erfahrung ausgestatteten Delegierten bestehen.251 Im Kapitel »Über den Volksstaat« äußerte sich Rupprecht überwiegend positiv über die politische Kultur in der Schweiz und in England. Die Vorzüge der Parlamentsregierung zählte der Kronprinz auf, die neben dem guten Brauch der Beiziehung von Experten zu Verhandlungen aber auch seine Schattenseiten aufweise. Denn die gründliche Auseinandersetzung mit Sachverhalten und das stete Abwägen des Für und Wider schränke die Handlungsfähigkeit der Regierung vor allem in außenpolitisch kritischen Zeiten ein.252 Gleichzeitig plädierte der bayerische Kronprinz mit Hinweis auf die beiden erwähnten Länder erneut für einen starken Föderalismus: »Was wir von der Schweiz und von England zweifellos lernen können«, so schloss Rupprecht das Kapitel ab, »ist der Wert einer weitgehenden Selbstverwaltung. Sie lehrt die an ihr Beteiligten an den kleinen Schwierigkeiten ihrer Amtstätigkeit, die weit grösseren ermessen, die einer Regierungstätigkeit entgegenstehen und erweckt bei ihnen Interesse und Verständnis für die Aufgaben des Staates.«253 247 248 249 250 251 252 253

Ebd., S. 189. Ebd., S. 187. Vgl. ebd., S. 187 f. Ebd., S. 192. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 195. Ebd., S. 196.

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Mit dem »kollektivistisch-totalitären Staat« ging Rupprecht anschließend hart ins Gericht. Dieser sei oft die Folge der Auflösung der föderativen Struktur eines Staates und der Unterdrückung der Individualität des Einzelnen. Vom absolutistisch regierten Einheitsstaat sei der Weg zum totalitären-kollektivistischen Staat nicht weit.254 Entschieden wandte sich Rupprecht gegen ein Recht des Stärkeren und sprach sich für die Wiederherstellung der Rechtstaatlichkeit aus: Denn »das Recht« sei »gerade gegen den Missbrauch der Stärke geschaffen« worden.255 Mit Hinweis auf den französischen Staatsmann und Diplomaten Talleyrand sah Rupprecht in der totalitären Herrschaft »keine wahre Ordnung, sondern ein Angstprodukt«. Schon Aristoteles habe darüber hinaus erkannt, dass ein Tyrann stets »Krieg führen müsse, um seine Untertanen zu beschäftigen« und »die Aufmerksamkeit von seiner Missregierung abzulenken«.256 Fast wie eine Rechtfertigung der bereits vor 1940 noch in Deutschland begonnenen Überlegungen und Vorbereitungen einer Zeit »Danach« klang Rupprechts pessimistische Einschätzung der Erfolgsaussichten eines gewaltsamen Umsturzes in Deutschland: »Eine Gewaltherrschaft war in älterer Zeit viel leichter abzuschütteln wie in neuerer, in der bessere Nachrichten und Verkehrsmittel es ermöglichen, jeden Aufstand im Keime zu ersticken, so dass eigentlich nur die Niederlage in einem durch die Machtgier des Tyrannen heraufbeschworenen Kriege dessen Sturz zu bewirken vermag, wie dies bereits bei Napoleon I. der Fall war.«257 Dass nach einer solchen Kriegsniederlage ein Neuanfang möglich sei, stand für Rupprecht außer Frage: »Wohl sind grosse Reiche zu Grunde gegangen, niemals grosse Völker, und es hat sich gezeigt, dass scheinbar dem Untergang nahe sich wieder erholten und aufs Neue erblühten.«258 Hieraus bezog Rupprecht die Motivation für sein bisheriges und künftiges Handeln. Anschließend wandte er sich noch der praktischen Politik zu. Die Kapitel »Aussenpolitik« und »Heerwesen und Krieg« hielt Rupprecht sehr knapp. Einen Primat der Außenpolitik vor der Innenpolitik wollte er nicht zulassen: »Mass254 Vgl. ebd., S. 197. 255 Ebd., S. 198. Diesen Gedanken griff Rupprecht im Kapitel »Gedanken über das Rechtswesen« erneut auf: »Bei aller Ungleichheit der Menschen und ihrer gesellschaftlichen Stellung muss in einem geordneten Staate für alle Gleichheit vor dem Gesetze bestehen. Das Recht ist die Grundlage des Staates und Rechtsunsicherheit führt unfehlbar zu seiner Auflösung. Gesetze sind nicht für die Ewigkeit geschaffen, sie müssen den Bedürfnissen der Zeit angepasst sein, unveränderlich hingegen sind die in der menschlichen Natur begründeten naturrechtlichen Begriffe, denen Gesetze nicht widersprechen dürfen« (ebd., S. 214–219, hier S. 214). 256 Ebd., S. 198. Charakteristisch für einen totalitären Staat sei zudem die »Geringschätzung, ja geflissentliche Herabsetzung des Kleinen, […] die abgöttische Verehrung alles Kolossalen, das Denken und Reden in Superlativen, der Zahlenrausch, all dies sind Symptome kulturlosen Denkens. So auch die falsche Monumentalität klobiger Bauten« (ebd., S. 199). 257 Ebd., S. 200. 258 Ebd., S. 201. Ähnliches gab wenig später Otto Geßler in Gestapo-Haft zu Protokoll. Dort hieß es: »Große Völker können fallen, zugrunde gehen nur liederlich« (Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 398).

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nahmen, die innenpolitisch richtig sind, können aussenpolitisch falsch sein und umgekehrt und es handelt sich bei ihrer Beurteilung darum, welche Rücksicht im gegebenen Falle die wichtigere ist.«259 Die »Kunst eines Diplomaten« sah er keinesfalls in der Fähigkeit, »seinen Gegenspieler an der Nase herumzuführen und ihn zu betrügen«, als vielmehr durch Taktgefühl und Offenheit die Balance zwischen Durchsetzungskraft und Ausgleich zu finden.260 Diese Offenheit, mit der man am weitesten komme, gelte für Menschen wie für Staaten.261 Perspektivisch sah Rupprecht die Möglichkeit eines vereinigten Europas nach dem Vorbild des britischen »Commonwealth«, um künftige Kriege womöglich auszuschließen. Allerdings seien »alle diesbezüglichen Hoffnungen […] einstweilen wenig begründet.«262 Hinsichtlich der künftigen deutschen Beamtenschaft riet Rupprecht, sich erneut ein Beispiel an Staaten mit weitgehender Selbstverwaltung wie England und die Schweiz zu nehmen. In beiden Ländern würden neben besoldeten auch ehrenamtliche Beamte ihren Dienst leisten. Ehrenamtliche, von den Mitbürgern ihres Heimatortes gewählte Beamte, könnten weitaus persönlicher und vertrauter auf die Bedürfnisse ihrer Mitbürger eingehen, als ein Staatsbeamter. Auf diese Weise könne man auch der staatsbürgerlichen Erziehung des deutschen Volkes, wie sie Rupprecht vorschwebte, näher kommen: Um das deutsche Volk nach und nach zur Mitarbeit an den Aufgaben des Staates zu erziehen, dürfte sich die schrittweise Übernahme einiger englischer und schweizer Einrichtungen empfehlen.«263 Während eines siebenwöchigen Aufenthalts in der Schweiz von Mai bis Mitte Juli 1942, ließ sich Rupprecht wegen eines Fußleidens von einem Arzt behandeln.264 Er wohnte zu dieser Zeit in Zürich bei der aus Bamberg stammenden Komponistin und Liszt-Schülerin Lily Reiff.265 In dem Bewusstsein, dass jeder seiner Schritte genauestens beobachtet würde, bemühte er sich, die deutschen Behörden in Sicherheit zu wiegen und keinen Anlass zu liefern, gegen ihn vor-

259 Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 204. 260 Vgl. ebd., S. 204 f., hier S. 204. 261 Vgl. ebd., S. 205. 262 Ebd., S. 208. 263 Ebd., S. 212. Die Erziehung zum Staatsbürger war auch eines der Hauptanliegen Eduard Hamms in der frühen Weimarer Republik gewesen. Dieser verstand die Demokratie nicht bloß als ein Hort größerer Rechte sondern vor allem größerer Pflichten (vgl. hierzu das Kap. III.4). 264 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 307. 265 Die Einladung bei Frau Reiff hatte die Baronin Franchetti arrangiert (vgl. ebd., S. 307). – Lily Reiff (geb. Sertorius) (1866 Bamberg–1958 Zürich), ev., 1881–83 Klavierstudium am Münchener Konservatorium, 1884 Schülerin von Franz Liszt, 1891 durch Heirat mit dem Schweizer Seidenindustriellen und Kunstmäzen Hermann Reiff Umzug nach Zürich, in der Folgezeit Konzerte, weiterführende Studien und Kompositionen, führte in Zürich einen bekannten Künstlersalon, wo sich die gehobene Züricher Gesellschaft versammelte (zu Reiff in Zürich vgl. Naegele, Himmelblau, insbes. S. 28).

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zugehen.266 Dennoch wirkte sich sein Aufenthalt in Zürich auf sein politisches Denken durchaus bedeutsam aus. Durch Vermittlung von Frau Reiff lernte Rupprecht den Nationalökonomen Wilhelm Röpke kennen, der heute als einer der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft gilt, und dessen Schriften auf Rupprecht »einen sehr günstigen Eindruck hinterlassen hatten, welcher bei persönlicher Begegnung mit ihm sich noch verstärkte«.267 Rupprechts wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die auch in seinen »Bemerkungen über den Staat« deutlich werden, wurden maßgeblich durch Röpke beeinflusst. Sowohl Eduard Hamm, der im »Sperr-Kreis« für das Ressort Wirtschaft zuständig war und in Bayern Kontakte mit Experten der Wirtschaft und Industrie unterhielt268, als auch Otto Geßler, mit dem Rupprecht ohne Zweifel seine von Röpke beeinflussten wirtschaftspolitischen Vorstellungen besprach, dürften die Wirtschafts­ auffassungen Röpkes überwiegend geteilt haben. In Anlehnung an Röpke plädierte Rupprecht im Kapitel »Staat und Wirtschaft« für einen dritten Weg zwischen der liberalen Wirtschaftsdoktrin und der sowohl in sozialistischen wie in autoritären Staaten vorherrschenden kollektivistischen Planwirtschaft: »Beide Doktrinen haben sich in ihren Folgen als irrig erwiesen und wie so häufig zwischen 2 sich widerstreitenden Theorien liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte. Der Staat ist nicht dazu berufen, sich mit der Wirtschaft zu identifizieren und ihre Führung zu übernehmen, wohl aber die Wirtschaft zu kontollieren und ihr Abgleiten auf abschüssige Bahnen zu verhüten.«269 Indem Rupprecht dem Staat eine Kontroll- und Schiedsfunktion über die Wirtschaft zuwies, sprach er einen Grundgedanken der späteren sozialen Marktwirtschaft aus. Allerdings solle der Staat nach Rupprechts Vorstellungen weiterhin die Hoheit über Bahn, Post, Radio, Gas, Elektrizität, unter Umständen auch über die Kohleförderung und den Bergbau besitzen. Vor allem 266 Nach Information des Deutschen Generalkonsulats in Zürich enthielt sich Rupprecht während seines Schweizaufenthalts »jeder politischen Betätigung« und habe Einladungen etwa von deutschen Landsleuten wie dem Schriftsteller Ernst Zehn nur angenommen, wenn »er nicht zusammen mit Juden oder Emigranten eingeladen und über Politik nicht gesprochen« würde (Deutsches Generalkonsulat Zürich (Voigt) an das Auswärtige Amt (Zürich, 27. Juli 1942), PA AA, Inland IIg, 123). Auch die Schweizer Behörden konnten nach Kriegsende nicht feststellen, dass Rupprechts »Anwesenheit zu irgendwelchen Unannehmlichkeiten Anlass gegeben« hätten (Bericht zum Einreisegesuch des Kronprinzen Rupprecht von Bayern (Bern, 20. Juli 1945), BAr, E4301#1992/36#183*). 267 »Das Jahr 1942« [Rückblick, Entstehungszeitraum Ende 1942/Anfang 1943], GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 51. 268 Vgl. Kap. VI.2.d. 269 Bemerkungen über den Staat, GHA, AA KPR, Mappe 23, S. 224. Entschieden wandte sich Rupprecht abermals gegen eine freie Marktwirtschaft ohne staatliche Regulierungsbefugnis: »Das liberale Wirtschaftsprinzip des ›Gehen-Lassens‹ hat, wie schon gesagt, sich als unzulänglich erwiesen uns es ist nötig, dass der Staat wie in vergangenen Zeiten sich wieder seines schiedsrichterlichen Amtes in wirtschaftlichen Dingen besinnt und durch Überwachung des Marktes und entsprechender Rechtsgestaltung unlauteren oder gemeinschädlichen Machenschaften den Boden entzieht« (ebd., S. 231).

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aber müsse er dafür Sorge tragen, dass Monopolisierung und Machtkonzentra­ tion in wenigen Händen verhindert werde, um den Wettbewerb und die Wirtschaftsfreiheit zu garantieren. Den Prinzipien des modernen Sozialstaats folgend hielt der Kronprinz die »Fürsorge für die Arbeiter« und den »Schutz des kleinen Gewerbes, der Handwerker und Bauern« für besonders wichtig.270 Dem föderativen Staatsgedanken entsprechend wollte sich Rupprecht auch für eine dezentralisierte Industrie einsetzen. Diesen Gedanken münzte er sogleich auf die Weltwirtschaft um. Rupprecht widersprach einerseits Autarkieüberlegungen eines Staates und bezeichnete andererseits mit den Worten Röpkes »die Er­ reichung einer föderativ aufgebauten aus regionalen Untergruppen zusammengesetzten Weltwirtschaft« als »ideale Lösung«, »ein Ziel, das immerhin noch eher er­reichbar als das gleich erstrebenswerte eines politischen Zusammenschlusses der verschiedenen Völker«.271 Im abschließenden Kapitel »Kultur und Kunst« setzte Rupprecht sich mit dem künftigen Bildungssystem sowie der Kunst und Kunstförderung auseinander. Inhaltlich ist hier der deutliche Bruch mit der NS-Bildungs- und Erziehungspolitik erwähnenswert. Er wandte sich gegen »die überflüssige und wissenschaftlich nicht gesicherte Rassenkunde« im Schulunterricht.272 Zusätzlich wies er in Anlehnung an den schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi in erster Linie dem Elternhaus und nicht dem Staat die Aufgabe der Kindererziehung zu.273 Nach Rupprecht sollten Kinder also kein Selbstzweck des Staates sein. Auch in diesem Punkt setzte er ein klares Zeichen gegen den Kollektivismus im »Dritten Reich« und für die individuelle Freiheit des Einzelnen. Zusammengefasst stand für Rupprecht über alle Kapitel seines Manuskripts hinweg ein starker Föderalismus im Zentrum seiner Überlegungen über die künftige Neugestaltung Deutschlands. Als ideale Herrschaftsform in den einzelnen Staaten schwebte dem bayerischen Kronprinzen naturgemäß die Monarchie vor. Hing er in dieser Hinsicht noch eher reaktionären Wunschvorstellungen an, unterstrich er im Hinblick auf seine Rechtsauffassungen und die Sozialstruktur des künftigen Reiches seine zeitgemäße Gedankenwelt, in wirtschaftlichen Fragen sogar zukunftsweisende Denkansätze. Sowohl Deutschland als auch seine möglichen Teilstaaten sollten wieder rechts- und sozialstaatlichen Prinzipien folgen und diese weiter ausbauen. Sein Bekenntnis zur individuellen Freiheit des Einzelnen trug deutlich liberale und keinesfalls rückwärtsgewandte Züge. Der Einfluss Otto Geßlers und seiner Verbündeten in Bayern zeigten sich an dieser Stelle mehr als deutlich. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Rupprechts Idee des Aufgehen Bayerns in einem künftigen deutschen Bundesstaat. Aus Nachkriegsbriefen des Kronprinzen geht hervor, dass er schon während seiner Zeit im Florentiner Exil – entgegen seiner hier vorgestellten Denkschrift – 270 271 272 273

Ebd., S. 233. Ebd., S. 236. Ebd., S. 238. Vgl. ebd., S. 239.

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zumindest in Betracht gezogen hatte, Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« von Deutschland abzuspalten.274 Offenbar hatte er diesen Gedanken auch mit Geßler diskutiert, der ihn schließlich vom Erhalt der Reichseinheit überzeugen konnte.275 Jedenfalls zeigt Rupprechts Memorandum, dass er diesen Gedanken zumindest für die Jahre bis Kriegsende hintanstellte. Der »Sperr-Kreis«, vertreten durch Otto Geßler, wirkte insofern nicht nur als Impulsgeber und Unterstützer von Rupprechts Plänen, sondern auch als Korrektiv radikalerer programmatischer Vorstellungen. Die Denkschrift muss zwar überwiegend als Summe der Erfahrungen und Gedankengänge des Kronprinzen gewertet werden. Dennoch darf der Einfluss der bayerischen Widerstandsgruppe aufgrund des regelmäßigen Austausches sowie der Tatsache, dass der »SperrKreis« selbst die Niederschrift von Neuordnungsvorstellungen in Bayern während des Krieges aus Angst vor Entdeckung unterließ, nicht unterschätzt werden. Als »Mitarbeiter« des Kronprinzen hätten Sperr, Geßler und Hamm wahrscheinlich auf einige Ideen Rupprechts zurückgegriffen, da sie ihren eigenen politischen Grundsätzen und ethischen Wertvorstellungen größtenteils ähnelten. Allerdings beabsichtigte Rupprecht keinesfalls, seine Denkschrift lediglich seinen »Autobiographischen Aufzeichnungen« vorzubehalten oder erst im Falle eines Umsturzes in Deutschland dem »Sperr-Kreis« als »Programm« zur Verfügung zu stellen. Vielmehr waren seine Vorstellungen einer »neuzeitlichen Monarchie« sein Angebot an die westlichen Alliierten, das er ihnen in den Folgejahren schrittweise unterbreitete.

3. Kronprinz Rupprechts Versuche der Einflussnahme auf London und Washington Der Kriegsverlauf, insbesondere an der Ostfront, hatte im Winter 1942/1943 einen »günstigen« Verständigungsfrieden, um den sich Geßler wahrscheinlich im Einvernehmen mit Rupprecht bemüht hatte, unmöglich gemacht.276 Die 274 Vgl. Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 20. Juli 1945 u. 8. September 1945), GHA, NL Redwitz 51. 275 Seine erneute Kehrtwende im Juli 1945, auf die an späterer Stelle noch eingegangen wird, zwang Rupprecht daher zu einer Rechtfertigung gegenüber Geßler: »Meine Denkschrift bitte ich Gessler zu zeigen, ich glaube aber jetzt, dass eine radikalere Massnahme nötig. Das Reich hatte seine Daseinsberechtigung solange es auswärtige Politik treiben konnte, hiermit ist es aber nun zum mindesten auf Dezennium vorbei. Auch dies wäre G[eßler] zu sagen […]« (Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 20. Juli 1945), GHA, NL Redwitz 51). 276 Die Jahreswende 1942/43 markierte den großen Wendepunkt an der Ostfront. Die Wehrmacht konnte zwar zu Beginn des Jahres 1942 und bis in den Herbst hinein immer wieder kriegerische Erfolge erzielen. Doch zeichnete sich spätestens im November mit der Einkesselung der Wehrmachtstruppen in Stalingrad ab, dass die Achsenmächte den Krieg nicht gewinnen würden können (vgl. grundlegend Wegner, Krieg gegen die Sowjetunion, S. 758–1102).

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Kräfteverhältnisse sprachen nun klar für die Alliierten. Der bayerische Kronprinz musste Geßlers Missionen – inwieweit er im Einzelnen über diese informiert war, muss offen bleiben – als gescheitert ansehen. Jetzt musste man sich auf die neue Situation, die auf eine Niederlage und auf eine Zerstückelung Deutschlands hinauslief, einstellen. Den Untergang des »Dritten Reiches« hatte Rupprecht in Bayern zusammen mit seinen Beratern schon einige Jahre früher erwartet. Die Umstände wollten es, dass die Vorbereitungen, die man bereits vor dem Krieg theoretisch erörtert hatte, nun schon bald in die Praxis umgesetzt werden könnten. In Bayern wurden daher die Bemühungen, geeignete Persönlichkeiten für eine Zeit »Danach« zu gewinnen, ab dem Winter 1943 intensiviert.277 Ein Vertrauensmann Eduard Hamms berichtete nach Kriegsende, dass es bei allen Gesprächen mit dem ehemaligen Reichswirtschaftsminister stets »die grosse Unbekannte« gegeben habe, »wie sich die Besatzungsmächte nach einem Einmarsch verhalten würden«. Die undurchschaubare Sachlage habe »starre Dispositionen unmöglich« gemacht.278 Folglich dürfte man sich in der Heimat diesbezüglich auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet haben. In seinem Florentiner Exil wollte der bayerische Kronprinz dagegen nicht bloß abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Er war sich darüber im Klaren, dass man sich bei den Alliierten frühzeitig und nachhaltig ins Gespräch bringen müsse, wenn man von diesen überhaupt eine Chance auf einen selbstbestimmten Neuanfang erhalten wolle. Es ging somit darum, ihnen konkrete Nachkriegsoptionen anzubieten. Durch den Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione ließ Rupprecht der britischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl deshalb Anfang Mai 1943 ein Memorandum zukommen.279 Hierin erklärte der bayerische Kronprinz gleich zu Beginn, dass man sich keine Illusionen mehr über den Kriegsverlauf, geschweige denn über den Kriegsausgang machen dürfe: »Wenn der gegenwärtige Krieg nicht durch einen unter den Kriegführenden rechtzeitig vereinbarten Frieden zu Ende geht, ist anzunehmen, dass der Kampf bis zum Weissbluten der einen Partei fortgesetzt wird, wie das Deutschland im Jahre 1918 getan hat.«280 Dass es wie 25 Jahre zuvor wiederum Deutschland sein werde, das den Krieg mit großen Verlusten verlieren werde, stand für Rupprecht fest. Er wollte die Briten schon jetzt mit der Lage konfrontieren, in der sich Deutschland unmittelbar nach Beendigung der Kampfhandlungen befinden würde. Denn für ihn stellten sich

277 Vgl. hierzu insbesondere das Kap. VI.3. 278 Abschrift Paul Helfrich an den Hauptausschuss Opfer des Faschismus (Gräfelfing, 21. Juli 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 279 Die genauen Umstände der Übergabe sind kaum zu rekonstruieren. Der Kardinal habe sich jeglicher Kommentare über das Dokument enthalten und betont, dass der Vatikan ausschließlich als »post-office« in dieser Angelegenheit agiere (vgl. Hugh Montgomery an Sir Orme Sargent, Foreign Office (Vatikanstadt, 3. Mai 1943), TNA, FO 371/34458). 280 Abschrift Memorandum Kronprinz Rupprecht (o. D., wahrscheinlich Frühjahr 1943), TNA, FO 371/34458, S. 1–6, hier S. 1. Die Seitenzahl bezieht sich auf die Seite des Memorandums. Die folgende Zitate stammen ebenfalls aus diesem Dokument.

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die derzeitigen »inneren Verhältnisse« Deutschlands aufgrund des Totalitätsanspruchs des nationalsozialistischen Regimes »wesentlich« anders dar als im Jahr 1918. Rupprecht charakterisierte das »Dritte Reich« als »absolute[n] Polizeistaat«. In allen Bereichen des Staates herrsche ausschließlich die Partei, wobei sich einzig die christlichen Kirchen einen Teil ihrer Eigenständigkeit hätten bewahren können: »Wenn deshalb der Einsturz der staatlichen Organisationen als Folge der militärischen Niederlage erfolgen sollte, wird er nicht mehr wie im Jahre 1918 nur die oberste Spitze beseitigen, die Regierung – er wird vielmehr das ganze Gebäude des Staates bis in die letzten Fundamente zerstören.« Die Folge wäre in diesem Fall großes Chaos. Hierüber müsse sich die Gegenseite im Klaren sein und anders als nach dem Ersten Weltkrieg281 »rechtzeitig Vorsorge […] treffen für die Zeit bevor sein eigenes Friedenssystem wirksam werden« könne.282 Dabei müssten die Siegermächte beachten, dass dem größten Teil des deutschen Volkes »zunächst jeder Halt eines psychologisch-moralischen Faktors« fehlen werde, der nach 1918 etwa durch die politischen Parteien oder die kirchlichen Organisationen verkörpert wurde. Außerdem werde nach dem Einsturz »jede Aufnahmestellung für eine staatliche Ordnung« fehlen, »die 1918 die Opposi­ tionsparteien boten«. Der Hass der Bevölkerung werde sich gegen die untersten Verwaltungsstellen richten, welche diesmal nicht wie 1918 »das letzte Chaos mit Ausnahme von einigen Grossstädten, unter anderem in München« verhindern würden können. Auch der Zeitpunkt des Niederbruchs sei entscheidend, ob man die deutsche Ernte noch einholen könne, um im Winter das Verhungern von Millionen zu verhindern. Nach dem Ersten Weltkrieg habe die kurz nach dem Zusammenbruch ins Amt gelangte Zentralregierung alle diesbezüglichen Dinge organisiert. Hier sah Rupprecht das Hauptproblem für das zu erwartende Kriegsende: »Eine solche Zentralinstanz ist wenigstens zur Zeit nicht sichtbar, da jede Gegenorganisation oder Improvisation bei dem herrschenden Terror bis ins letzte Dorf unmöglich ist; jeder Versuch zu einer solchen würde nur mit dem nutzlosen Untergang derjenigen enden, die ihn unternehmen.«283 So fasste Rupprecht die gegenwärtige Lage in Deutschland durchaus realistisch zusammen, um anschließend den Briten sein Fazit zu unterbreiten: »Wahrscheinlich wird deshalb jeder Reichsteil zunächst versuchen müssen, von sich aus eine bescheidene Ordnung zu schaffen, soweit dies unmittelbar nach dem Umsturz möglich ist«. Da der bayerische Kronprinz davon überzeugt war, dass zumindest in Süddeutschland eine »erdrückende[…] Mehrheit die Wieder­ 281 Rupprecht gab in diesem Zusammenhang den damaligen Siegermächten eine Mitschuld am Aufkommen des Nationalsozialismus. Dem französischen Marschall Foch unterstellte er, dass dieser das Chaos in Deutschland nach 1918 sogar beabsichtigt habe, »was dem Vertrag von Versailles den giftigen Charakter gab und in der Folge im Nationalsozialismus die Bewegung einer hoffnungslos gewordenen Jugend erzeugte« (ebd., S. 2). 282 Ebd. 283 Ebd., S. 4.

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herstellung der heimatlichen Monarchie« wolle284, warf er für diesen deutschen Landesteil seinen Hut in den Ring: »Ich habe die Absicht und bin entschlossen, wenn die gegenwärtige Regierung abtritt, sofort in die Heimat zurückzukehren, die mir von ihr seit 3 Jahren verschlossen ist. Ich hoffe mit der jahrhundertalten Tradition unserer Dynastie und meiner eigenen Autorität von ihr das Chaos abzuwehren.«285 Gleichsam gab er den Briten gegenüber zu erkennen, dass er schon Vorbereitungen für diesen Zeitpunkt getroffen habe, indem er die Existenz eines Unterstützerkreises, des »Sperr-Kreises«, andeutete: »Ich hoffe dabei mit Mitarbeitern, welche mit der Praxis des gegenwärtigen Regimes nicht belastet sind und die man als redliche und erfahrene Männer kennt, Deutschland vor dem Schlimmsten zu bewahren und die Grundlagen einer neuen Ordnung ohne unnützes neues Blutvergiessen zu schaffen.«286 Durch die Übergabe des Memorandums bezweckte Rupprecht nicht, den Alliierten seinen kompletten Verfassungsentwurf für die Zeit »Danach« zu unterbreiten. Vielmehr hatte er die Absicht, für die Übergangszeit vom Untergang des »Dritten Reiches« bis zur Realisierung des alliierten Friedenssystems zunächst die Wiederherstellung von einzelstaatlichen Ordnungen anzuregen und sich dabei als möglichen Kandidaten an der Spitze Bayerns ins Spiel zu bringen. Interessant ist die Tatsache, dass Rupprecht dieses erste Memorandum – im Gegensatz zu den späteren Denkschriften – offenbar nur an die Briten versandte, obwohl zu erwarten war, dass auch die Amerikaner eine wichtige Rolle bei den Diskussionen über ein Nachkriegs-Deutschland spielen würden. Wahrscheinlich ging Rupprecht davon aus, dass England aufgrund seiner monarchischen Tradition, einer Wiederherstellung der Monarchie in Deutschland oder zumindest in seinen Landesteilen offener gegenüberstehen werde, als die in republikanischer Tradition stehenden Vereinigten Staaten von Amerika. Im britischen Foreign Office war man sich uneins, wie mit dem Memorandum Rupprechts umzugehen sei. Manch einer vertrat die Meinung, dass der bayerische Kronprinz zu blauäugig und unkonkret sei, um sich ernsthaft ein Urteil über dessen Absichten erlauben zu können.287 Andere fanden das Schriftstück wenig aussagekräftig. Eine Ausnahme bildete hingegen die Ankündigung 284 Dies galt aus Sicht Rupprechts zumindest für die Bauern und Bürger. Was die Arbeiterschaft betraf, war er sich nicht ganz sicher. Zwar gebe es erste, positive Signale aus Reihen der alten Sozialdemokratie, doch vermutete Rupprecht zugleich, dass viele Kommunisten innerhalb der »geschulten Arbeiterschaft« Aufnahme gefunden hätten und auch der Zerfall der NSDAP, die seiner Meinung nach schon früh von Kommunisten unterwandert gewesen sei, zum Erstarken des Kommunismus beitragen könnte (vgl. ebd., S. 4–5). 285 Weiter erklärte Rupprecht: »Ich weiss, dass Millionen darauf warten, was wohl der Grund ist, warum man die Verbannung über mich verhängt hat, und ich werde mich dieser mir aus meiner fürstlichen Stellung gestellten Aufgabe nicht entziehen« (ebd., S. 6). 286 Bei den »Mitarbeitern« handelte es sich ohne Zweifel um Otto Geßler, Eduard Hamm und Franz Sperr, sowie den Kreis, der sich in der Zwischenzeit um sie gebildet hatte. 287 So urteilte etwa der Mitarbeiter im Foreign Office, D. Allen, nach Prüfung des Memorandums: »All rather vague and naive« (Minute von D. Allen (25. Mai 1943), TNA, FO 371/34458).

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Rupprechts, nach Untergang des »Dritten Reiches« in die Heimat zurückkehren zu wollen, um von ihr das Chaos abzuwenden. Allerdings bestanden Zweifel, ob Rupprecht hierzu tatsächlich in der Lage sein würde: »He is I believe a harmless old boy of advanced age«, urteilte ein weiterer Mitarbeiter des Foreign Office.288 Die Vermutung der britischen Gesandtschaft beim Vatikan, dass Rupprecht nicht nur auf die Krone in Bayern, sondern im Reich spekuliere, sorgte indes in London für Verwirrung.289 Auch hier gingen die Meinungen auseinander, ob Rupprecht überhaupt im gesamten Reich Akzeptanz finden würde.290 Zur Unklarheit über die tatsächlichen Herrschaftsansprüche des bayerischen Kronprinzen trug womöglich bei, dass Rupprecht in seinem Memorandum  – wie auch in seinem »Verfassungsentwurf« – kein einziges Mal von »Bayern« sprach. Wahrscheinlich wollte er den Eindruck verhindern, ihm ginge es ausschließlich um seine eigenen Interessen. Des Weiteren sprach er, wie bereits in seinem Verfassungsentwurf, von »Süddeutschland«, in dessen Namen er in gewisser Weise für die Wiederherstellung der Monarchie eintrat. Er gab seiner Argumentation damit noch stärkeres Gewicht, dürfte bewusst den Briten ein Gegenmodell zu norddeutschen bzw. preußischen Vorschlägen in Aussicht gestellt und damit auf die im Foreign Office weit verbreiteten anti-preußischen Ressentiments ab­ gezielt haben.291 Eine unmittelbare Reaktion der Briten auf sein Memorandum wird Rupprecht nicht erwartet haben. Im Foreign Office entschied man sich offenbar erst einmal abzuwarten, wie sich der Krieg weiter entwickelte. Vermutlich versuchte man in der Schweiz mehr über Rupprechts Verbindungen nach Deutschland in Erfahrung zu bringen. Unbedacht streute man dabei womöglich Gerüchte, die 288 Ebd. 289 Hugh Montgomery von der britischen Gesandtschaft beim Vatikan hatte diese Behauptung aufgestellt: »It is interesting that Prince Rupprecht should already be envisaging the complete defeat of Germany, also that he should apparently hope for the Crown, not only for Bavaria, but fort he whole country.« Neben diesen Satz wurde handschriftlich, wahrscheinlich von einem Mitarbeiter des Foreign Office, ein Fragezeichen gesetzt (Schreiben Hugh Montgomery an Sir Orme Sargent, Foreign Office (Vatikanstadt, 3. Mai 1943), TNA, FO 371/34458). Das Missverständnis konnte durchaus durch den letzten Satz des Memorandums entstehen, wo Rupprecht schrieb, dass er »Deutschland vor dem Schlimmsten […] bewahren« wolle. Dennoch dürften Rupprechts Gedankengänge eindeutig sein. Er beabsichtigte, »in seine Heimat« Bayern zurückzukehren, um dort in der Übergangszeit ein drohendes Chaos zu verhindern, wie es in anderen deutschen Landesteilen ebenfalls erfolgen müsse. 290 Siehe hierzu den Kommentar des Leiters des Central Departments des Foreign Office, Frank K. Roberts: »Circumstances may once in which Rupprecht would be welcomed back to Bavaria, but it would surprise me if this extended to the Reich as a whole« (Minute von F. K. Roberts (27. Mai 1943), TNA, FO 371/34458). Der Chef vom Reconstruction Department notierte dagegen auf Deutsch: »Alles ist möglich« (Minute von Gladwyn Jebb (29. Mai 1943), TNA, FO 371/34458). 291 Das »Schwarzweißdenken« im Foreign Office, also die Unterscheidung zwischen »norddeutschem«, preußischen Geist und den »Süddeutschen«, beschreibt Scholtyseck, Robert Bosch, S. 306–310.

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einige unangenehme Folgen hätten nach sich ziehen können. Fakt ist, dass kurz nach Eingang des kronprinzlichen Memorandums in London Joseph Wirth in der Schweiz »durch eine fremde Delegation« Gerüchte über eine Verbindung zwischen ihm und dem bayerischen Kronprinzen zugespielt wurden. Wirth sei von einer zweiten privaten Stelle in Zürich bestätigt worden, dass er dabei, außer mit Kronprinz Rupprecht, auch mit dem kürzlich in den Ruhestand versetzten Generaloberst Halder in Zusammenhang gebracht und beschuldigt werde, eine Verschwörung gegen Hitler angezettelt zu haben.292 Ob Mitarbeiter des Foreign Office hinter der »fremden Delegation« steckten, kann nur vermutet werden. Der Name des Kronprinzen war diesen bereits früher im Zusammenhang mit den Kontakten Wirth / Geßler / Halder in der ersten Jahrhälfte 1940 bekannt geworden. Neben diesen wussten auch die Franzosen von Wirths indirekten Kontakten zum Hause Wittelsbach.293 Für Wirth, Kronprinz Rupprecht und Halder hätte die Lage durchaus ernst werden können. Von den möglichen Erkundigungen der Briten bekam der deutsche SD in der Schweiz Wind. Die schweizerische Bundesstaatsanwaltschaft informierte Wirth, dass angeblich bereits ein deutscher Agent »nach Deutschland zu Himmler gereist« sei, »um die Denuntiation gegen Prinz Rupprecht, Halder und [ihn] anzubringen«.294 Letztlich zog die Angelegenheit jedoch für alle drei keine Konsequenzen nach sich.295 Die Briten rührten sich nicht weiter. Eine Antwort auf sein Memorandum ließen sie Rupprecht nicht zukommen. Seine tatsächlichen, staatsrechtlichen Neuordnungsvorstellungen hielt der bayerische Kronprinz so lange zurück, bis die Kriegslage Ende 1944 aus seiner Sicht offenbar günstig genug erschien. Anfang November 1944 reiste er nach Rom. Im Vatikan wurde er in Privataudienz vom Papst empfangen. Zumindest die Alliierten sahen hierin zunächst ein Ereignis von wenig politischer Relevanz.296 Gerüchte, wonach Rupprecht mit dem Papst über die staatliche Neugestaltung Bayerns sprach, dürften tatsächlich nicht der Wahrheit entsprochen

292 Vgl. Abschrift Joseph Wirth an Bundesrat Philipp Etter (Luzern, 28. Juni 1943), BAK, NL Wirth (N 1342), 13 sowie Joseph Wirth an Philipp Etter (Luzern, 30. Juni 1943), BAK, NL Wirth (N 1342), 13. 293 Vgl. die Ausführungen über Wirths Parisreise im April 1940 in Kap. VII.1.b. 294 Joseph Wirth an Philipp Etter (Luzern, 30. Juni 1943), BAK, NL Wirth (N 1342), 13. 295 Recherchen im Bundesarchiv ergaben keinerlei Hinweise auf die Anschuldigungen oder eventuelle Ermittlungen gegen Wirth, Kronprinz Rupprecht und Halder. 296 Der britische Botschafter beim Vatikan, Osbourne, berichtete nach Rücksprache mit dem Papst nach London, dass das Gespräch die Privatangelegenheiten des bayerischen Kronprinzen zum Thema gehabt habe und somit keinen politischen Hintergrund aufwies (Francis Osbourne an Foreign Office (11. November 1944), TNA, FO 371/39223). Peter Jakob Kock zitierte dagegen aus verschiedenen Zeitungsartikeln, die sich mit Rupprechts Romreise auseinandersetzten. Die wahren Hintergründe der Reise konnte Kock zwar nicht klären, glaubte aber aus den Pressemeldungen »forcierte Aktivitäten« Rupprechts herauszulesen, »sich bei den Alliierten als bayerischer Monarch ins Gespräch zu bringen« (Kock, Bayerns Weg, S. 73).

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haben.297 Doch nutzte Rupprecht die Reise, um dem neuen Generalvikar der Franziskaner, P. Polykarp Schmoll, offenbar eine Kurzfassung seiner 241-seitigen Aufzeichnung zu übergeben, die dieser einen Monat später im Auftrag des Kronprinzen sowohl dem amerikanischen Gesandten Myron C. Taylor als auch dem britischen Gesandten Francis Osbourne zukommen ließ. Während der Amerikaner das Dokument sogleich an Präsident Roosevelt weiterleitete298, ließ sich der Brite zunächst die Erlaubnis zur Annahme des Manuskripts erteilen.299 In London war man skeptisch, ob der Kontakt zum Kronprinzen Rupprecht und dessen Zukunftsvorstellungen von Interesse sein könnten.300 Zu diesem Zeitpunkt konnte sich das Foreign Office für die ausführlichen, staatsrechtlichen Vorstellungen über Nachkriegsdeutschland aus der Feder eines 75-jährigen ehemaligen Kronprinzen von Bayern kaum Zeit nehmen. Zu sehr hielt es das aktuelle Kriegsgeschehen in Atem.301 Anlässlich seines Romaufenthalts im März 1945 übergab der bayerische Kron­ prinz den diplomatischen Vertretern der USA und Großbritanniens ein weiteres Memorandum, diesmal in englischer Sprache.302 Rupprecht wollte offenbar diesmal mögliche Übersetzungsfehler ausschließen und gleichzeitig ein Vertrauenssignal aussenden. Den britischen Botschafter in Italien, Sir Noel Charles, dem Rupprecht das Memorandum offenbar unmittelbar überreichte, bat er darum, 297 Vgl. die Zitate aus den Artikeln der Schweizer »Weltwoche« und des Basler »Abendblatts« ebd., S. 73, insbes. Anm. 180. Rupprecht selbst räumte diese Gerüchte in seinen Aufzeichnungen aus: »Die Ansicht, dass der Papst auf die Behandlung von Fragen der internationalen Politik Einfluss habe, ist irrig« (GHA, AA KPR, Mappe 24, S. 34). Spätestens mit Beginn der alliierten Konferenzen über die staatliche Neugestaltung Deutschlands nach erfolgter Kapitulation des »Dritten Reiches« Ende 1943, bei denen der Heilige Stuhl keine Rolle spielte, dürfte Rupprecht zu dieser Erkenntnis gekommen sein. 298 Vgl. Myron C. Taylor an Franklin D. Roosevelt (Rom, 22. Dezember 1944), President’s Secretary’s File (PSF), Vatican: Myron C. Taylor, Jan.-Apr. 1945, Franklin D. Roosevelt Library and Museum Website (http://www.fdrlibrary.marist.edu/_resources/images/psf/bpsfc000006.pdf, abgerufen am 19. März 2016). 299 In dem Schreiben von Francis Osbourne an das britische Foreign Office ist die Rede von einem 170-seiti­gen Dokument (Francis Osbourne an Foreign Office (22. Dezember 1944), TNA, FO 371/39223). 300 Das Foreign Office akzeptierte zwar die Annahme des Manuskripts, versprach sich jedoch nicht viel davon: »From what we have seen and heard of Prince Rupprecht’s effusion in the past this document is unlikely to prove of much interest. But we can hardly refuse to ­accept it and there seems to be no special reason why we should refuse« (Minute by D. Allen (26. Dezember 1944), TNA, FO 371/39223). 301 Ein Mitarbeiter des Foreign Office warf unverhohlen die Frage auf: »Who’s going to read it?« (ebd.). 302 Ein in deutsch verfasstes Manuskript vom 6. März 1945 befindet sich im Nachlass des bayerischen Kronprinzen (GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1003; abgedruckt bei Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach, S. 673–675). Die englischen Originale sind datiert vom 12. März 1945 und wurden von Rupprecht handschriftlich unterzeichnet (künftig: Memo­ randum Rupprecht (12. März 1945), TNA, FO 371/46891). Da die englische Endfassung vom deutschen Manuskript teilweise abweicht, wird sich auf diese im Folgenden bezogen.

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es an König George VI. weiterzugeben.303 Inhaltlich wies der Kronprinz auf die Notwendigkeit von vorläufigen Verfassungen hin, die angesichts des großen Bevölkerungsverlustes von erfahrenen Männern ausgearbeitet werden müssten und die eines Tages von Verfassungen abgelöst werden sollten, die dem Willen des gesamten Volkes entsprächen. Ausdrücklich wählte Rupprecht hierbei den Plural »constitutions«, womit er seine Ansicht unterstrich, dass ein wirklicher Neuanfang nur aus der Region heraus und auf föderaler Basis gelingen könne. Seiner Meinung nach sei die Schaffung von fünf bis sieben weitgehend autonomen Staaten notwendig, wobei er auf die schweizer Kantone und US-Bundesstaaten als Vorbilder hinwies. Die Staatsform eines jeden Staates müsse vom Willen des Volkes abhängen. In Bayern habe vor den beiden Kriegen eine »gesunde« Demokratie existiert, wobei soziale Unterschiede wie im Norden des Reiches nicht bestanden hätten; ebenso wenig Großgrundbesitzer und Großindustrien. Rupprecht räumte zwar ein, dass der Nationalsozialismus in den chaotischen Jahren zu Beginn der 1920er Jahre in Bayern seine Wurzel hatte. Er sei aber gegen Ende der Weimarer Republik nicht in dem Maße unterstützt worden, wie in anderen Reichsteilen. München verstehe sich heute nicht als »Stadt der Bewegung«, sondern vielmehr als »Stadt der Gegenbewegung«. Er selbst fühle sich verpflichtet, seinem Land Bayern304 zu helfen, weshalb er den Alliierten sein Memorandum unterbreite.305 Das Foreign Office diskutierte erneut die Relevanz des Memorandums. Verwundert zeigte man sich darüber, dass Rupprecht die britische Regierung nicht ausdrücklich zur Unterstützung seines Kurses aufrief. Dennoch ging man davon aus, dass dies stillschweigend angenommen wurde. Tatsächlich hielt sich Rupprecht im Vergleich zum Mai 1943, wo er den Briten seine Machtansprüche mitgeteilt hatte, mit offensiven Forderungen zurück. Das Ende des Krieges rückte näher und der bayerische Kronprinz war sich bewusst, dass es Fingerspitzengefühl bedurfte, um die alliierten Nachkriegspläne für Deutschland, die ohnehin schon weit gediehen waren, noch irgendwie in seinem Sinne beeinflussen zu können. Inhaltlich nahm man im Foreign Office daher in erster Linie zur Kenntnis, dass Rupprecht die Realisierung eines Staatsverbands von fünf bis sieben autonomen deutschen Staaten empfahl.306 Auch vernahm man mit Interesse, wie Rupprecht das bayerische Volk und sein Verhalten dem Nationalsozialismus gegenüber bewertete.307

303 Vgl. Noel Charles an Anthony Eden (Rom, 23. März 1945), TNA, FO 371/46891. Gleichzeitig überreichte Rupprecht sein Memorandum dem amerikanischen Militärgouverneur der Toskana zur Weiterleitung an das State Department in Washington (vgl. Färber, Bayern, S. 163–182, hier S. 165). 304 Die linksrheinische Pfalz schloss Rupprecht in seine Ausführungen an dieser Stelle ausdrücklich mit ein (vgl. Memorandum Rupprecht (12. März 1945), TNA, FO 371/46891). 305 Vgl. ebd. 306 Minute von Selby (17. April 1945), TNA, FO 371/46891. 307 »His apologie for the conduct of Bavaria vis à vis the Nazis is also worthy of note« (ebd.).

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Anders als bei den beiden vorherigen Memoranden, diskutierte man diesmal im Foreign Office ernsthaft, wie man reagieren solle. Hierbei bestimmte R. W. Selby von der Deutschland-Abteilung des Foreign Office mit seinem Kommentar das weitere Vorgehen: Einerseits sah dieser es als selbstverständlich an, den bayerischen Kronprinzen auf jegliche Art und Weise zu unterstützen. Auf lange Sicht ging er davon aus, dass die Wiederherstellung einiger angesehener Königshäuser, zu denen er die Wittelsbacher Monarchie durchaus zählte, dem Einfluss des britischen Königreiches auf das wohl künftig zersplitterte Deutschland zugute kommen könnte. Andererseits gab er zu Bedenken, dass eine offene Unterstützung auf lange Sicht auch Probleme bereiten und damit einen gegenteiligen Effekt haben könne: »We have learned however, in this war, that the danger about supporting Kings is that they ars so liable to lose their jobs.«308 Daher kam er zu dem Schluss, dass nur von innen heraus entstandene Monarchien über ausreichend Stabilität verfügen würden, um für Großbritannien von Nutzen sein zu können.309 Obwohl man sich dagegen entschied, Rupprecht unmittelbar zu unterstützen, überlegte man weiter, ob man das Memorandum eventuell für Propagandazwecke verwenden könnte. Eine Veröffentlichung hätte jedoch, darüber war man sich im Klaren, einige peinliche Fragen aufgeworfen. Auch um kein Misstrauen auf sowjetischer wie amerikanischer Seite hervorzurufen, entschied man sich gegen eine Bekanntmachung. Man nahm somit Rücksicht auf die Verbündeten, obwohl man in London für Rupprechts Sache durchaus Sympathien hegte. Doch verboten sowohl der Zeitpunkt als auch die unübersichtliche Lage in Deutschland aus britischer Sicht eine offene Unterstützung.310 Deshalb empfahl Selby 308 Minute von Selby (17. April 1945), TNA, FO 371/46891. – Selby dürfte hierbei auf den griechischen König Georg II. angespielt haben, dessen Rückkehr aus dem ägyptischen Exil die Briten zu unterstützen versuchten, um eine drohende kommunistische Diktatur zu verhindern. Eine Rückkehr in die Heimat ließ sich jedoch vorerst nicht realisieren, weil die politische Stimmung in Griechenland gegen die Monarchie eingestellt war, woraufhin Georg II. mit dem Erzbischof von Athen Damaskinos einen Regenten ernannte (vgl. hierzu Dreidoppel, Der griechische Dämon, S. 481, der die »Londoner Fixierung auf Georg II.« als »Desaster« bezeichnet). 309 Vgl. Minute von Selby (17. April 1945), TNA, FO 371/46891. Dass die Wittelsbacher Monarchie in Bayern durchaus über einige Anhänger verfügte, erfuhren die Briten um die gleiche Zeit durch Abhören des Ende Dezember 1944 festgenommenen Oberstleutnant der Fallschirmjägertruppe, Friedrich August Freiherr von der Heydte. Dieser habe am 7. April 1945 im Kriegsgefangenlager Trend Park bei London erklärt: »The monarchy in Bavaria is very popular. If you will make a plebicite on monarchy, you will get a majority in Bavaria I am sure« (Abstract from CSDIC (UK) GG report 280, TNA, FO 371/46891). Die Abhörprotokolle deutscher Stabsoffiziere in britischer Gefangenschaft, auch die abgehörten Aussagen von der Heydtes, sind bereits ediert (vgl. Neitzel, Abgehört). Die hier zitierte Passage klammerte Neitzel in seiner Edition aus (vgl. ebd., Dokument 187, S. 421–424, hier S. 424). Das Original-Abhörprotokoll befindet sich in TNA, WO 208/4177. 310 Dass man sich zu jenem Zeitpunkt auf keine Partei in Deutschland öffentlich festlegen wollte, hatte das Foreign Office kurz zuvor in ähnlichem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht. Angeblich hatte der Sohn Rupprechts, Prinz Heinrich von Bayern, angeboten,

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ein paar Wochen später, das Memorandum des bayerischen Kronprinzen zwar an den König weiterzuleiten, es jedoch mit einem Anschreiben zu versehen, in dem erklärt werde, »that the question of  a restoration of the Bavarian Royal House does not arise for the time being«.311 Da die Weiterleitung der Schrift an den britischen König erst nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 erfolgte, strich man diesen Halbsatz aus dem Anschreiben heraus und erklärte lediglich, dass man eine öffentliche Anerkennung des Memorandums durch den König nicht für ratsam erachte.312 König Georg VI. selbst habe zwar sehr großes Interesse an den Ausführungen des bayerischen Kronprinzen gezeigt. Doch ergriff er keinesfalls die Initiative und unterstützte Rupprecht in seinem Anliegen nicht.313 Der Buckingham Palace entsprach folglich der Empfehlung des Foreign Office und unternahm in dieser Angelegenheit keine weiteren Schritte. Die Vorstöße des bayerischen Kronprinzen seit Mai 1943 blieben damit bis Kriegsende erfolglos: Ihm war es nicht gelungen, die Gegenseite von den Vorzügen einer Wittelsbacher Restauration, nicht einmal für eine Übergangszeit und gestützt auf seinen »Mitarbeiter«-Stab, den »Sperr-Kreis«, zu überzeugen. Anknüpfungspunkte hatte er bewusst beim britischen Königreich gesucht. Er nahm offenbar an, dass man dort seine Interessen am ehesten als die eigenen wahrnehmen würde. In London bestimmte jedoch das Foreign Office die außenpolitischen Leitlinien. Weder der Zeitpunkt von Rupprechts Initiativen noch die außenpolitische Konstellation und Frontenbildung erschien den britischen Außenpolitikern bis Mai 1945 günstig, um sich mit Rupprechts Gedankengängen ernsthaft zu befassen, geschweige denn für diese im Rahmen der großen Konferenzen mit den übrigen Alliierten zu werben.

für die britische Armee gegen Deutschland zu kämpfen (vgl. Anhang eines Schreibens von Mr. Rowan (Prime Minister Department) an Nicholas Lawford (Foreign Office), TNA, FO 371/46866). Selby, der auch in diesem Fall federführend dieses Anliegen beurteilt hatte, hatte sich festgelegt, dass Prinz Heinrich als Staatsbürger einer feindlichen Macht nicht in der britischen Armee dienen könne. Im Übrigen wünsche man nicht, mit dem Haus Wittelsbach in Kontakt zu treten, zumindest nicht »at this stage of the war« (Minute von Selby (27. März 1945), TNA, FO 371/46866). An dieser Stelle hatte Selby seine Entscheidung mit der Befürchtung begründet, eine öffentliche Förderung von Rupprechts Sache würde die Nazis dazu veranlassen, die noch in Deutschland befindliche Familie Rupprechts umzubringen. Dann hätte zwar Prinz Heinrich als Erbprinz in Erscheinung treten können, katholisch, in Christ Church ausgebildet und zur Hälfte Englisch aufgezogen und man würde sich in Deutschland wohl keinen besseren Herrscher wünschen können. Doch Selby hatte dann doch die britische Haltung bekräftigt: »[…] we do not want to commit ourselves to any party in Germany« (Minute von Selby (27. März 1945), TNA, FO 371/46866). 311 Minute von Selby (17. April 1945), TNA, FO 371/46891. 312 V. G. Lawford (Foreign Office) an Sir Alan Lascelles (Buckingham Palace) (15. Mai 1945), TNA, FO 371/46891. 313 Lediglich für die eigenen Akten verlangte der Buckingham Palace nach einer Kopie des Memorandums (vgl. Sir Alan Lascelles an V. G. Lawford (17. Mai 1945), TNA, FO 371/46891).

VIII. Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

Die Beschäftigung mit dem bayerischen »Sperr-Kreis« rückt zwangsläufig die Bedeutung der Region für den gesamtdeutschen Widerstand in den Mittelpunkt des Interesses. Die in den folgenden Kapiteln dargelegten Kontakte der bayerischen Gruppe um Sperr zu anderen Widerstandskreisen auf Reichsebene führt also zu der Frage, wie Regionalinteressen innerhalb des deutschen Widerstandes wahrgenommen wurden. Spielten diese bei den Planungen einer Zeit »Danach« eine gewichtige Rolle? Wie der Titel dieses Kapitels bereits verdeutlicht, verschloss sich der »Sperr-Kreis« keineswegs Kontaktmöglichkeiten über die bayerischen Grenzen hinweg und geriet dadurch ins Fahrwasser des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944. Aufgrund der sozialstrukturellen Zusammensetzung des »Sperr-Kreises« und der Widerstandsgruppen, die führend an der Planung und Durchführung des Attentatversuchs auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt waren, lassen sich beide grob als Elitenwiderstand beschreiben. Allerdings repräsentierte der »SperrKreis«, der in erster Linie ein ziviler Widerstandskreis mit guten Kontakten zu Militärs war, überwiegend eine bürgerliche Mitte. Dagegen wiesen die Kreise des 20. Juli 1944, deren Verbindungen zu den Männern um Sperr im Folgenden thematisiert werden sollen, eine heterogenere Sozialstruktur auf, wurden aber nicht zuletzt maßgeblich von den alten, aristokratisch geprägten Eliten Preußens getragen. Trotz des traditionell spannungsreichen Verhältnisses zwischen den »Bayern« und den »Preußen« erschien eine Zusammenarbeit auf beiden Seiten wünschenswert. Den Kern der bayerischen Widerstandsgruppe bildeten mit Sperr, Hamm und Geßler nicht nur das »Who’s who« der Weimarer Republik1, sondern gleichsam die wohl hervorragendsten Protagonisten der diplomatischen Beziehungen zwischen München und Berlin der Jahre 1919 bis 1933. In jenen Jahren waren sie stets  – der eine mehr, der andere weniger  – als gemäßigte Vertreter bayerischer Interessen aufgetreten. Reichseinheit und außenpolitische Notwendigkeiten verloren sie nie aus den Augen. Sie waren erfahren genug, um zu wissen, dass sich ihre eigenen bayerischen Pläne – gesetzt dem Fall einer alliierten Unterstützung – nur im Konsens mit den zukünftigen politischen und militärischen Kräften im Reich durchsetzen lassen würden. Dennoch war von ihnen keine kritiklose Annahme sämtlicher Neuordnungsvorstellungen für ein Deutschland nach Untergang des »Dritten Reiches« zu erwarten. Ihre Haltung war allgemein bekannt und dürfte in den Überlegungen der Widerstandsgruppen, die mit Be1 Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 97.

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Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

ginn des Krieges und verstärkt ab 1943 an den »Sperr-Kreis« herantraten, eine Rolle gespielt haben. An dieser Stelle wird deshalb auch untersucht, was etwa Carl Friedrich ­Goerdeler und den »Kreisauer Kreis« um Helmuth James Graf von Moltke im Jahr 1943 sowie Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Juni 1944 dazu bewogen, die Nähe der bayerischen Widerstandsgruppe zu suchen. Ging es ihnen hierbei lediglich um die personelle Ausbreitung des eigenen Netzwerkes zwecks Vorbereitung der Neuordnung bzw. des Umsturzes oder aber erkannten sie, insbesondere in Bayern, die Notwendigkeit der Rücksprache ihrer Pläne und somit im »Sperr-Kreis« den Repräsentanten und Verfechter bayerischer Interessen? Des Weiteren wird auf den folgenden Seiten thematisiert, wie die Männer um Sperr in den Gesprächen mit den reichsweit agierenden Widerständlern auftraten. Zeigten sie sich kooperativ oder gingen sie auf Konfrontationskurs? Ließen sie sich von anderen staatstheoretischen Neuordnungsplänen überzeugen, ergänzten sie diese durch eigene mündliche Hinweise bzw. schriftliche Vorschläge oder wollten sie sich nicht in ihre »bayerischen Angelegenheiten« hineinreden lassen? Abschließend soll die Frage im Mittelpunkt stehen, wie die tatsächliche Beteiligung des bayerischen Widerstandskreises am Attentat vom 20. Juli 1944 aussah und welche Konsequenzen sein Scheitern für seine Mitglieder hatte.

1. Die Gespräche mit Ulrich von Hassell und Carl Friedrich Goerdeler Neben der Aufrechterhaltung der langjährigen politischen und freundschaftlichen Kontakte2 gingen Sperr, Geßler und Hamm bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges neue politische Verbindungen ein, die ebenfalls dem Zweck dienten, sich ein eigenes Bild über die politische Lage machen zu können. Durch die Kontaktaufnahme mit dem ehemaligen deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, beabsichtigte man, spätestens ab Januar 1939 die außenpolitische Situation besser beurteilen zu können.3 Zudem scheinen die Männer um Sperr darum bemüht gewesen zu sein, frühzeitig Einfluss auf eventuell im Reich vorhandene oder in der Vorbereitung befindliche Pläne für die Zeit nach einem möglichen Umsturz zu nehmen. Im Juli 1939 wiesen die Protagonisten des »Sperr-Kreises« aufgrund der drohenden Kriegsgefahr, die Geßler nach seiner England-Reise Ende Juni besonders hoch einschätzte4, auf die »Notwendigkeit von Aufnahmestellungen« hin, »für 2 Vgl. Kap. VI.2.a. 3 Ein erstes Treffen fand vermutlich Mitte Januar 1939 statt (vgl. Tagebucheintrag Hassell (17. Januar 1939), in: Hassell, Vom Andern Deutschland, S. 40). 4 Auf die England-Reise Geßlers wird im Kapitel über seine Auslandsbemühungen näher eingegangen (vgl. Kap. VII.1.a). In diesem Kapitel werden auch die Kontakte zu Ulrich von Hassell regelmäßig erwähnt.

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den Fall, daß die Geschichte schief gehe«.5 Während man in Bayern diesbezüglich seit längerem Vorkehrungen traf, sollte offenbar durch Vermittlung Hassells auch in anderen deutschen Reichsteilen hiermit begonnen werden. Aus Sicht Geßlers müsse im Falle eines Zusammenbruchs auf die Monarchie zugegangen werden, wenn er auch zugab, dass zu einem Umsturz bereite Militärs in der Spitze der Wehrmacht fehlten. Im November 1939 erfuhr Hassell durch Karl Ludwig Freiherr zu Guttenberg, »daß Geßler das Vertrauen der Wittelsbacher« besitze.6 Dies dürfte auf Hassell durchaus Eindruck gemacht sowie das Ansehen und die Bedeutung Geßlers und der mit ihm verbündeten Männer in München gesteigert haben. Auch die Relevanz ihrer Positionen und Ziele für eine Zeit nach dem erhofften Zusammenbruch des »Dritten Reiches« dürfte Hassell spätestens ab diesem Zeitpunkt ernst genommen haben. Mitte Dezember 1939 erörterte man nach Abschluss des Polenfeldzugs und in dem Wissen um Hitlers Pläne in Bezug auf Holland und Belgien gemeinsam die Kriegslage sowie die wirtschaftliche Lage Deutschlands. In jenen Wochen dürfte Hassell die Verbindung insbesondere zu Geßler bewusst aufrechterhalten haben, gelang es doch, durch ihn und dessen Beziehungen den Druck auf die hohen Militärs, speziell auf Halder, zu erhöhen. An den Vorbereitungen des »Sperr-Kreises« für eine Zeit »Danach« war Hassell nicht beteiligt. In der Folgezeit traf er sich nur noch ein einziges Mal mit Geßler im März 1940. Dabei interessierten den ehemaligen Botschafter vor allem Geßlers Reise in die Schweiz, während er die von ihm vorgebrachten bayerischen Interessen hinsichtlich einer möglichen Rückkehr zur Monarchie im Reich zwar zur Kenntnis nahm, jedoch aufgrund entgegenstehender eigener Vorstellungen nicht weiter verfolgte.7 Ulrich von Hassell sollte in der Folgezeit einer der ak­tivsten Widerständler bleiben und an den Beratungen über die Neuordnung Deutschlands nach Hitler teilnehmen.8 Hingegen hielt er sich – zumindest lassen dies seine Tagebücher vermuten – von den führenden Köpfen des bayerischen Widerstandskreises fern. Stattdessen trat eine andere namhafte Persönlichkeit aus dem deutschen Widerstand im Verlauf des Krieges an den »Sperr-Kreis« heran. Carl Friedrich Goerdeler gilt als »Motor des zivilen Widerstandes« gegen Hitler.9 Nach seinem 5 Tagebucheintrag Hassell (Ebenhausen, 13. Juli 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 98 f., hier S. 98. 6 Tagebucheintrag Hassell (16. November 1939), in: ebd., S. 141 f., hier S. 142. 7 Der bereits mehrfach erwähnte Richtungsstreit könnte schließlich für den Abbruch der Beziehungen Hassells zum »Sperr-Kreis« geführt haben (vgl. hierzu das Kap. VII.1.c). 8 Dem Kabinett von Carl Friedrich Goerdeler hätte Hassell nach einem erfolgreichen Umsturz als Außenminister dienen sollen. Nur wenige Tage nach dem 20. Juli 1944 wurde er von der Gestapo festgenommen, am 8.  September 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am selben Tag in Berlin-Plötzensee ermordet (vgl. zu Hassells Rolle im Widerstand, allerdings ohne Aufnahme der Kontakte zum »Sperr-Kreis«, Schöllgen, Ulrich von Hassell, S. 96–174). 9 Bereits Roland Freisler sollte Goerdeler in seiner Urteilsbegründung im September 1944 als »Haupt und Motor« des zivilen Widerstandes bezeichnen (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 534). Die Widerstandsforschung nach 1945 sollte sich diese Bezeichnung zu eigen machen (vgl. exemplarisch Thamer, Carl Friedrich Goerdeler, S. 71–93).

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Rücktritt als Oberbürgermeister von Leipzig im November 1936 verschaffte ihm eine Anstellung bei Robert Bosch die Möglichkeit, Reisen ins westliche Ausland zu unternehmen, um hier für ein entschiedeneres Handeln gegenüber dem NS-Regime zu werben.10 An den Putsch-Plänen in der so genannten »Sudetenkrise« im Sommer / Herbst 1938 war er führend beteiligt. Die Friedensbemühungen um die Jahreswende 1940 trieb er von Berlin aus durch zahlreiche Gespräche voran. Dabei stand er auch mit dem Chef des Amtes Ausland / Abwehr im OKW, Admiral Canaris, in regem Informationsaustausch. Womöglich erhielt er durch diesen den Hinweis auf die Möglichkeit, Otto Geßler als Mittelsmann zu Papst Pius XII. zu schicken. Es wurde gezeigt, dass Goerdeler Geßlers Einbindung in die Auslandsbemühungen des deutschen Widerstands zunächst befürwortete, sich später aber womöglich wegen Geßlers »bayerischen Alleingängen« im Ausland von ihm distanziert und ihn bei den Alliierten in Verruf gebracht haben könnte. Seine Kontakte zu militärischen und geheimdienstlichen Kreisen in Berlin baute Goerdeler im Verlauf des Krieges weiter aus. Die Niederlage von Stalingrad im Winter 1943 führte zu einer Intensivierung der Umsturzbemühungen. ­Goerdeler baute sich im gesamten Deutschen Reich ein Netz an Vertrauensleuten auf, wobei ihm eine regional wie politisch breit aufgestellte Widerstandsbewegung vorschwebte.11 Auch in Bayern versuchte er nun Kontakte zu knüpfen, die ihm für seine »Auffangregierung« zur Verfügung stehen sollten.12 Hierbei waren ihm mit dem schwedischen Generalkonsul und Bankier, Otto Schniewind, und dem ehemaligen Münchener Oberbürgermeister, Dr. Karl Scharnagl, zwei bereits mit dem »Sperr-Kreis« in Verbindung stehende Persönlichkeiten behilflich.13 Im Januar 1943 nutzte Goerdeler die Wohnung Schniewinds als »Absteigequartier« in München. Dem Bankier teilte er mit, dass »führende Militärs, an ihrer Spitze Generaloberst Beck«, den Entschluss gefasst hätten, »Hitler und sein Regime gewaltsam zu beseitigen« und verlangt hätten, »dass eine zivile Regierung bereitstehen müsse, um die Regierungsgewalt zusammen mit den Militärs sofort zu übernehmen.«14 Schniewind habe Goerdeler gegenüber seine 10 Vgl. zu den Beziehungen Goerdelers zum »Boschkreis« verschiedene Stellen bei Scholtyseck, Robert Bosch. 11 Politisch sah sein Netzwerk Verbindungen zu Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten gleichermaßen vor. Die Fähigkeit, auf politisch Andersgesinnte zuzugehen und Kompromisse auszuhandeln, hatte Goerdeler bereits seit seiner ersten administrativen Arbeit als juristischer Beigeordneter in Solingen von 1911 bis 1920 verinnerlicht (vgl. hierzu Sassin, Carl Goerdeler; zu Goerdelers Verhältnis zu den Sozialdemokraten, ebd., S. 59–77). 12 Etwa um die gleiche Zeit häuften sich auch die Bemühungen Goerdelers, in Württemberg neben dem »Boschkreis« weitere Persönlichkeiten für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« zusammenzufassen (vgl. Scholtyseck, Robert Bosch, S. 470–500). 13 Insbesondere Schniewind stand dem »Sperr-Kreis« in wirtschaftspolitischen Fragen seit längerem zur Verfügung (vgl. das Kap. VI.2.d). Zu Karl Scharnagl vgl. das Kap. VI.2.c. 14 Abschrift einer Eidesstattlichen Versicherung von Dr. Otto Schniewind (München, 19. Januar 1948) [abgegeben für Dr. Ewald Loeser (Angeklagter im Krupp-Prozess)], BAK, NL Ritter (N 1166) 155.

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Bereitschaft erklärt, in eine Reichsregierung nach Hitler als Reichswirtschaftsminister einzutreten.15 Von Schniewinds Wohnung aus soll sich Goerdeler zu seinem früheren Oberbürgermeister-Kollegen Scharnagl begeben haben. Diesen setzte er über seine Auffassung in Kenntnis, dass der Zusammenbruch aufgrund der militärischen Lage kurz bevorstehe und er deshalb seine Pläne der Schaffung einer »Auffangregierung«, die nach einem Umsturz sofort die Regierungsgeschäfte übernehmen könne, nun auch auf Bayern ausdehnen wolle. Da er von Scharnagl erwartete, dass dieser in einem solchen Moment sogleich seinen alten Posten in München wieder einnehmen werde, habe er sich an ihn zwecks Benennung und Vermitt­ oerdeler konlung von möglichen Vertrauensleuten gewandt.16 Dabei soll sich G kret nach Persönlichkeiten erkundigt haben, die für die Verwaltung der Kulturaufgaben, der Wirtschaft, der Ernährung und der Landwirtschaft in Frage kämen. Explizit habe er nach möglichen Kandidaten aus Süddeutschland verlangt. Für die Wirtschaft habe Scharnagl nach eigenem Bekunden die Kontaktaufnahme mit Eduard Hamm angeregt, ein Vorschlag, der bei Goerdeler auf ausdrückliche Zustimmung gestoßen sei.17 Der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister habe Hamm, den er spätesstens seit dessen Zeit beim DIHT kannte18, sogleich von Scharnagls Wohnung aus angerufen und ein Treffen mit ihm vereinbart. Einige Besprechungen zwischen Goerdeler und Hamm sollen insbesondere um die Jahreswende 1943/1944 stattgefunden haben.19 In Goerdelers Denken spielte die Sicherstellung der Reichseinheit eine wesentliche Rolle, weshalb er Schniewind zu seinem ständigen Verbindungsmann nach Bayern auserkor. Über seine Münchener Kontakte zu Geßler, Sperr und Hamm dürfte Schniewind Goerdeler spätestens bei jenem Besuch im Januar 1943 informiert haben. Goerdeler zeigte sich als Organisator des reichsweiten Widerstandes in den folgenden Monaten an einer engeren Zusammenarbeit mit den »Bayern« sehr interessiert. Nach Ansicht Schniewinds schien diese zeitweise so eng, dass er davon sprach, dass der »Sperr-Kreis« »mitten im Kreise 15 Goerdeler habe ihm zunächst das Reichsfinanzministerium angeboten. Nachdem Schniewind Goerdeler jedoch klargemacht habe, dass ihm der Posten des Reichswirtschaftsministers »mehr zusage«, habe Goerdeler anschließend mit Ewald Loeser gesprochen, der ursprünglich für dieses Amt vorgesehen war, der sich bereiterklärte, stattdessen Reichsfinanzminister zu werden (vgl. ebd.). Die Zusage gegenüber Goerdeler sollte Schniewind im Mai 1944 aus noch zu erörternden Gründen zurückziehen (vgl. Kap. VIII.4). 16 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Karl Scharnagl (München, 24. Mai 1947), StAM, SpkA K 1584: Scharnagl, Anton. 17 Vgl. ebd. Für die Kulturaufgaben benannte Scharnagl den früheren Regensburger Oberbürgermeister, Dr. Otto Hipp, für die Landwirtschaft und Ernährung Dr. Alois Hundhammer, für die innere Verwaltung den früheren Oberbürgermeister von Augsburg, Dr. Otto Bohl. 18 Goerdeler hatte im Januar 1932 vor dem DIHT über »Probleme des Preisabbaus« referiert (vgl. Hardtwig, Eduard Hamm, S. 339 f.). 19 Vgl. Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110.

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von G[oerdeler]« stand.20 Der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister dürfte bei seinem Bemühen, Bayern in die Planungen der Berliner Widerstandsbewegung frühzeitig einzubinden, die erheblichen Differenzen zwischen Bayern und Reich vor 1933 vor Augen gehabt haben. Tendenzen, die zu einem Alleingang Bayerns führen und wie damals die Möglichkeit eines Ausscheiden Bayerns aus dem Reich verstärken könnten, mussten aus seiner Sicht bekämpft werden. Nach Goerdeler habe der Widerstandskreis um Sperr in diesem Zusammenhang die übergeordnete »Aufgabe« erfüllen sollen, »eine Lösung Bayerns vom Reich zu verhindern«.21 Laut Goerdelers programmatischen Schriften sollte die künftige deutsche Wirtschaftspolitik auf Wettbewerb und die Entmonopolisierung von Märkten setzen.22 Die wirtschaftlichen Organisationen, die von einzelnen Berufs­gruppen wie Bauern und Handwerkern getragen wurden, sollten ihre Selbstverwaltung zurückerhalten. Für die gewerbliche deutsche Wirtschaft sah Goerdeler zwar den Erhalt der Industrie- und Handelskammern vor, jedoch nicht die im März 1935 geschaffenen und aus seiner Sicht »unorganische[n]« und »unfruchtbar« arbeitenden Wirtschaftskammern.23 Für deren Neugründung wie für den Staatsaufbau insgesamt beabsichtigte er »berufsständische Ideen […] mit dem Selbstverwaltungsprinzip zu koppeln«.24 An dieser Stelle dürfte sich Hamm, der mit Goerdeler wohl in erster Linie wirtschaftspolitische Fragen erörterte, mit diesem nicht vollends einig gewesen sein. Später soll er zudem dessen ständestaatlichen Vorstellungen »als etwas verworren« bezeichnet haben.25 In der Weimarer Republik war Hamm einige Jahre Mitglied im »Vorläufigen Reichswirtschaftsrat« gewesen, einem auf berufsständischer Grundlage aufgebautem Beratungs- und Begutachtungsgremium in wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzesfragen. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise hatte er später vor dem DIHT eine Unterstützung der Idee Reichskanzler Brünings gefordert, den seit 1919 in der Weimarer Reichsverfassung in Aussicht gestellten »Reichswirtschaftsrat« einzuberufen26, den er womöglich als zweite, berufsständische Kammer neben dem Reichstag in20 Mitteilungen von Dr. Otto Schniewind für Dr. Heinrich v. zur Mühlen [16. Februar 1948], BAK, NL Ritter (N 1166) 156. 21 Ebd. 22 Vgl. hierzu wie im Folgenden die Kapitel »Wirtschaftsorganisationen« und »Wirtschaftspolitik« in Carl Friedrich Goerdelers Schrift »Das Ziel« [1941], in: Gillmann / Mommsen, Politische Schriften, S. 873–944, insbesondere S. 903–909, hier S. 907 f. 23 Ebd., S. 906. 24 Mommsen, Ludwig Beck und Carl Goerdeler, S. 89–102, hier S. 101. 25 Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110. Hamm habe Goerdeler außerdem als »Hitzkopf« bezeichnet (vgl. ebd.), womit er vermutlich Goerdelers von verschiedenen Seiten kritisierte, unvorsichtige Betriebsamkeit bei der Kontaktaufnahme mit vermeintlichen Verbündeten im Widerstand tadelte. 26 Vgl. Hamm, Problem des berufsständischen Aufbaus, S. 709–716.

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stallieren wollte.27 Auf Landesebene gab es zu diesem Zeitpunkt zwar Bezirksgruppen, etwa der Industrie- und Handelskammern. Doch wurden alle Organisationen der gewerblichen Wirtschaft umfassende Wirtschaftskammern erst im »Dritten Reich« auf Landesebene eingeführt. Die Eigenständigkeit der Industrie- und Handelskammern blieb davon zunächst unberührt. Erst 1942 wurden diese schließlich in ähnlich strukturierte Gauwirtschaftskammern überführt. Goerdelers Ziel der berufsständischen Strukturierung der Wirtschaftskammern, die einzelnen Stände, insbesondere die Angestellten und Arbeiter, »in die verantwortliche Mitarbeit in Wirtschaftsfragen« einzubeziehen28, dürfte Hamm grundsätzlich begrüßt haben. Doch sah er wahrscheinlich auch zukünftig das Problem, vor dem er bereits 1932 gewarnt hatte, »daß Bedürfnis und Fähigkeit zu zusammenfassender Organisierung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Organisation zu ordnenden Angelegenheiten sehr verschieden ist«.29 Um ein Beispiel zu geben, wo Goerdelers und Hamms Vorstellungen hier womöglich aufeinanderprallten: Sozialpolitisch hatte sich Goerdeler nach Gesprächen mit führenden, ehemaligen Gewerkschaftern, die zu seinen engsten Vertrauten in den letzten Kriegsjahren zählten, auf die künftige Zwangsmitgliedschaft aller Arbeitnehmer und Angestellten in einer »Deutschen Gewerkschaft« geeinigt.30 Dem Staat wollte er weitgehend die Aufgabe der sozialen Absicherung aus der Hand nehmen und diese jener Einheitsgewerkschaft übertragen. Bei den Verhandlungen über Arbeitsverträge zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberorganisationen sollte der Staat lediglich bei Nicht-Einigung ein­schreiten und Streiks und Aussperrungen, die nach Goerdelers Konzept ausgeschlossen blieben31, unnötig machen. Da er auf die Verantwortung der Arbeitgeber und die Vernunft der Arbeitnehmer zugleich setzte, dürften dem »Sperr-Kreis«, insbesondere Eduard Hamm, diese Vorstellungen zunächst einmal grundsätzlich näher gelegen haben, als jene des »Kreisauer Kreises«, der von vornherein mehr Mitbestimmungsrechte und eine Gewinnbeteiligung auf die Arbeitnehmerschaft übertragen wollte.32 Ein gravierendes Problem, das Hamm bereits 1932 angesichts des arbeitsrechtlichen Zusammenfindens von Arbeitgeber und Arbeitnehmer erkannt hatte, sah er darin, »unter der Zusammenfassung der vielen zu einer kollektiven Gesamtheit, nicht die Lebensbedürfnisse des einzelnen, seine Selbstverantwortung und seine notwendige Freiheit zu kurz kommen zu 27 Vgl. Hardtwig, Eduard Hamm, S. 335 f. 28 »Das Ziel« [1941], in: Gillmann / Mommsen, Politische Schriften, S. 906. 29 Hamm, Problem des berufsständischen Aufbaus, S. 714. 30 Zur Diskussion über die »Gewerkschaftsfrage« innerhalb des deutschen Widerstandes vgl. Mommsen, Gesellschaftsbild, S. 53–158, hier S. 128–131. 31 Goerdeler betrachtete Streiks und Aussperrungen als »ein Mißbrauch individueller Freiheit gegenüber dem Wohle des Ganzen« (»Das Ziel« [1941], in: Gillmann / Mommsen, Politische Schriften, S. 905). 32 Zu den unterschiedlichen sozialpolitischen Vorstellungen Goerdelers und des »Kreisauer Kreises« vgl. Mommsen, Kreisauer Kreis, S. 361–377]. Zu den Beziehungen des »Sperr-Kreises« zum »Kreisauer Kreis« vgl. Kap. VIII.2.

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lassen«.33 Doch dürfte die Zusammenfassung aller Angestellten und Arbeitnehmer in einer Einheitsgewerkschaft aus Hamms Sicht wohl kaum diesem Problem Rechnung getragen, dieses vielmehr verschärft haben. Wahrscheinlich wird Hamm die Pläne Goerdelers zur Schaffung eines Reichswirtschaftsrates unterstützt haben. Allerdings werden ihm dessen berufsständische Pläne auf Landesebene hinsichtlich der Schaffung von Wirtschaftskammern zu weit gegangen sein. Für die Männer um Sperr, Geßler und Hamm war die Sicherstellung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in Bayern eines der wichtigsten und vorrangigsten wirtschaftspolitischen Ziele.34 Dennoch dürften sich Hamm und seine wirtschaftspolitischen Vertrauensleute gegen die Schaffung kollektiver, berufsständischer Organisationen gewandt haben, die – trotz Untergliederung in einzelne Abteilungen – die »Vielgestaltigkeit« und »Buntheit« der bayerischen Wirtschaft zu stark vereinheitlicht hätten. Schon 1932 stellte für Hamm berufsständischer Aufbau kein Selbstzweck dar, sondern könne »immer nur eine Stützung und Anlehnung bieten […], nicht aber einen Ersatz für die persönliche Kraft des einzelnen«.35 Dass der »Sperr-Kreis« »seinen« künftigen Präsidenten der IHK München, Hermann Aumer, mehrfach mit Goerdeler zusammenbrachte36, lässt darauf schließen, dass er durchaus bereit war, die Pläne in Bayern mit jenen auf Reichsebene abzustimmen und auf Goerdelers Ideen entsprechend Einfluss zu nehmen. Ein Zusammentreffen zwischen Goerdeler und Hamm soll sogar noch im Juni 1944 im Berliner Hotel Astoria geplant gewesen sein. Hamm sei, nach späteren Angaben seines Schwiegersohns, zu diesem Treffen erschienen, zu dem ­Goerdeler jedoch nur einen ihm nicht vertrauenswürdig erscheinenden Mittelsmann geschickt. Daher habe Hamm es zu keinem ausführlichen Gespräch kommen lassen.37 Dennoch war er offenbar über Goerdelers Rolle im Widerstand gegen Hitler und dessen späterer Beteiligung am 20. Juli 1944 gut informiert.38 33 Hamm, Problem des berufsständischen Aufbaus, S. 714. 34 Dies spiegelte sich nicht zuletzt in den Gesprächen Hamms mit Paul Helfrich wider (vgl. hierzu das Kap. VI.2.d). 35 Hamm, Problem des berufsständischen Aufbaus, S. 716. 36 Vgl. Bericht Hermann Aumers gegenüber der Spruchkammer München IX (München, 25. Februar 1947), S. 1–9, hier S. 7, StAM, SpkA K 45: Aumer, Hermann. 37 Erwin Hardtwig, der Schwiegersohn Eduard Hamms, erklärte später, er habe diese Informationen in einem ausführlichen Gespräch mit seinem Schwiegervater nach dem 20. Juli 1944 erhalten. Mit dem Vertreter Goerdelers habe Hamm demnach »nichts Näheres […] reden können, da er nicht wußte, wie weit der andere im Bilde sei. Auf seine vorsichtigen Tastversuche, ob der andere von der Verbindung Goerdelers mit Militärs nichts wisse, habe der andere nicht positiv reagiert und daher sei es bei diesem Anlaß zu keiner Besprechung gekommen« (Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110). 38 Seinem Schwiegersohn erklärte er, dass Goerdeler »das politische Zentrum der Verschwörung« sei und »die Generale […] nur die Ausführenden [seien]. Denn ohne Wehrmacht könne ein Putsch nicht durchgeführt werden. Die brauchte man eben aus technischen Gründen. Aber dahinter stehen politische Kräfte, an der Spitze Goerdeler« (ebd.).

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Er scheint sich sogar Goerdeler für dessen Pläne zur Verfügung gestellt zu haben, wenn er auch letztlich auf keiner der Regierungslisten auftauchte.39 Seinem Schwiegersohn soll er später berichtet haben, dass er  – wäre das Attentat geglückt – nicht mehr bei seiner Familie in Reit im Winkl wäre, sondern in München amtieren würde. Welche Rolle ihm dort zugefallen wäre, habe er nicht erklärt. Womöglich hätte man Hamm für das Amt des Bayerischen Wirtschaftsministers vorgesehen, das er schon zu Beginn der Weimarer Republik ausgeübt hatte. Schließlich ließ sich Goerdeler im Januar 1943 Hamm ausdrücklich als süddeutschen Wirtschaftsexperten empfehlen. Neben Hamm und Schniewind hielt auch Karl Scharnagl die Kontakte zu seinem früheren Oberbürgermeisterkollegen Goerdeler bis ins Jahr 1944 aufrecht. Mehr noch: Er nutzte diese Verbindung offenbar, um Einfluss auf das »Widerstandszentrum« in Berlin zu gewinnen. Ob er dies im Auftrag des »SperrKreises« tat, ist ungewiss, aber nicht unwahrscheinlich. In einem Schreiben von Mitte Februar 1944 empfahl Goerdeler Scharnagl, dem Verfasser eines nicht näher umschriebenen »Manuskripts« zu raten, es an Hermann Kaiser, Goerdelers Verbindungsmann zur Berliner Militäropposition, weiterzuleiten. Kaiser solle es an eine »Dienststelle« weitergeben, »die willens und in der Lage« sei, »in der von dem Schriftsteller gewünschten Richtung zu wirken«.40 Über den so genannten »Schriftsteller« gab Goerdeler keine weitere Auskunft. Gleichsam blieb der Inhalt des erwähnten Manuskripts im Dunkeln. Es lässt sich allenfalls zeitlich einordnen. Möglicherweise stand es im Zusammenhang mit der Verhaftung Helmuth James Graf von Moltkes, dem Kopf des »Kreisauer Kreises«, die wenige Tage zuvor erfolgt war.41 Im gleichen Schreiben kündigte Goerdeler gegenüber Scharnagl eine baldige Reise nach München an, »um bei ›Seiler & Co.‹ eine Verhandlung zu führen«.42 39 Vgl. die Ministerlisten des Schattenkabinetts Beck / Goerdeler abgedr. als »Anhang IX« bei G. Ritter, Carl Goerdeler, S. 617–619. In den Tagen nach dem 20. Juli 1944 habe Hamm viele nachdenkliche Gespräche mit seinen Angehörigen in Reit im Winkl geführt. Einmal habe er dabei die Bemerkung gemacht, dass er hoffe, dass man Goerdeler nicht schnappen werde. Nach dessen Verhaftung habe er dann befürchtet, dass Goerdeler Listen mit jenen Persönlichkeiten aufgestellt haben könnte, die sich für eine Zeit »Danach« zur Verfügung gestellt hatten: »Wenn mich Goerdeler nur nicht auf einer Liste stehen hat«, zitierte ihn in der Rückschau seine Tochter (Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110). 40 Kopie eines Schreibens von Carl Friedrich Goerdeler an Karl Scharnagl, (Leipzig, 16. Februar 1944), Bl. 3, StadtAM, Bürgermeister u. Rat 2063/1. 41 Zu den Kontakten des »Sperr-Kreises« zum »Kreisauer Kreis« vgl. Kap. VIII.2. Aus den Reihen der übrigen Kreisauer erwuchs im Frühjahr 1944 die Initiative zu einem Treffen Stauffenbergs mit Franz Sperr, zu dem es am 6. Juni 1944 tatsächlich kommen sollte. Möglicherweise gehörte Stauffenberg jener »Dienststelle« an, an die Hermann Kaiser das Manuskript weiterleiten sollte. Stauffenberg war seit September 1943 Stabschef beim Chef des Allgemeinen Heeresamts, General Friedrich Olbricht, der ebenfalls einer der führenden Widerständler gegen Hitler war. 42 Kopie eines Schreibens von Carl Friedrich Goerdeler an Karl Scharnagl, (Leipzig, 16. Februar 1944), S. 3, StadtAM, Bürgermeister u. Rat 2063/1.

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Von Schniewind wissen wir, dass Goerdeler des Öfteren nach München kam und die Besprechungen mit Scharnagl und anderen Mitgliedern des »SperrKreises« häufig in seiner Bank stattfanden.43 An einer Aussprache im Frühjahr 1944 schien Goerdeler offenbar sehr gelegen zu sein. Einerseits verschärfte sich die Kriegslage aus deutscher Sicht immer mehr. Andererseits war der frühere Leipziger Oberbürgermeister über die im Abstand von wenigen Monaten vorbereiteten, dann jedoch immer wieder gescheiterten Attentatspläne auf Hitler informiert. Aus seiner Sicht war offenbar eine weitere Abstimmung mit den »Bayern« in dieser entscheidenden Phase des Krieges notwendig. Dabei schien Goerdeler insbesondere Otto Schniewind von der Aufrechterhaltung seiner Zusage überzeugen zu müssen, seinem Kabinett als Wirtschaftsminister anzu­ gehören. Dies sollte Goerdeler jedoch letztlich – womöglich wegen der in der Zwischenzeit stärkeren Einbindung der Stauffenberg-Gruppe in die Umsturzpläne – nicht gelingen.44 Zu einer vollständigen Übereinstimmung besonders in Fragen der künftigen Wirtschaftspolitik kam es zwischen »Sperr-Kreis« und Goerdeler bei ihren regelmäßigen Treffen zwar nicht. Dennoch schien man von bayerischer Seite an einer engeren Abstimmung und Zusammenarbeit ebenfalls großes Interesse zu haben, was die vielfältigen Kontakte belegen. Eduard Hamm ging sogar so weit, sich Goerdeler für ein Amt in München zur Verfügung zu stellen. Otto Geßler hingegen sollte seine skeptische Haltung bis zuletzt nicht aufgeben.45 In Berlin schien man sich jedoch bewusst zu sein, dass ein Neuanfang in Bayern ohne ihn, der das Vertrauen der Wittelsbacher besaß46, auch nicht möglich war. Daher entschieden sich die Männer um Goerdeler, Geßler am 20. Juli 1944 – womöglich ohne sein Wissen47 – zum Politischen Beauftragten für den Wehrkreis VII (München) zu benennen, der am Tag des Attentatsversuchs die zivile Führung im südlichen Bayern übernehmen sollte.48

43 Otto Schniewind an Karl Scharnagl, (31. Dezember 1947), S. 146, StadtAM, Bürgermeister u. Rat 2063/1. 44 Vgl. hierzu das Kap. VIII.4. 45 Ein Schreiben an Ricarda Huch von 1946 belegt einen der wenigen gegensätzlichen Haltungen von Hamm und Geßler: »In diesem Brief schrieb mir Frau Dr. Hardtwig auch, dass ihr Vater Eduard Hamm Goerdeler mehrfach in seiner Münchener Wohnung empfangen habe, zum letzten Mal am 1. Jan. 44. Auch Scharnagl sei mit ihrem Vater und Goerdeler zusammengekommen. Dr. Gessler dagegen sei streng gegen eine Verbindung zu Goerdeler hinüber gewesen und habe auch Hamm von einer solchen abhalten wollen. Gessler hänge mehr mit v. Hassel zusammen« (Hermann Hasinger an Ricarda Huch (23. Oktober 1946), IfZ, ZS / A 26a/1, Bl. 231–233, hier Bl. 232). 46 Vgl. Tagebucheintrag Hassell (16. November 1939), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 141 f., hier S. 142. 47 Vgl. Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg i. Allg., 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5. 48 Auf den 20. Juli 1944 in Bayern wird in Kap. VIII.5.a ausführlich eingegangen.

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2. Die Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis« Unabhängig von den Kontakten zu Ulrich von Hassell und Carl Friedrich ­Goerdeler erfolgte die Kontaktaufnahme einer der bedeutendsten Widerstandskreise gegen Hitler mit dem bayerischen »Sperr-Kreis«. Im Rahmen der Untersuchungen nach dem 20. Juli 1944 fand die Gestapo heraus, dass der so genannte »Kreisauer Kreis« um Helmuth James Graf von Moltke »in München einen Ableger hatte«. Zu diesem »Münchener Zweig des Kreisauer Kreises« zählte sie, neben den Jesuiten Augustin Rösch, Alfred Delp und Lothar König, irrtüm­ licherweise auch Franz Sperr. Insbesondere durch die Vernehmung Sperrs unmittelbar nach seiner Verhaftung Ende August 1944 stellte sich heraus, dass im Jahr 1943 Treffen des »Kreisauer Kreises« in München stattgefunden hatten.49 Dass damals zwei eigenständige Gruppen zusammenkamen, um über eine Zusammenarbeit zu beraten, blieb der Gestapo verborgen. Doch wie kam es zu den Kontakten zwischen den »Bayern« und den »Kreisauern« und was hatten die Gespräche zum Inhalt? Den so genannten »Kaltenbrunner-Berichten« zufolge fanden im Verlauf des Jahres 1943 genau vier Besprechungen zwischen einzelnen Mitgliedern der beiden Gruppen in München statt.50 Hiernach wurden Treffen im Frühjahr 1943, Mai / Juni 1943, Juli / August 1943 und August / September 1943 einerseits im Pfarrhaus St. Georg, also der Wohnung Delps in München-Bogenhausen, andererseits in der Pfarrei von St. Michael in der Münchener Innenstadt abgehalten. Tatsächlich lassen sich ohne Heranziehung dieser Quelle Anzahl und Termine der Besprechungen nur noch schwer feststellen, da die wenigen zeitgenössischen Quellen hierfür nur geringfügige Anhaltspunkte bieten. Ein dieser Quellen hierfür sind Moltkes »Briefe an Freya«51. Durch diese für die Forschungen zum »Kreisauer Kreis« elementaren Dokumente konnten die Kenntnisse über Arbeit und Struktur der »Kreisauer«, ihre politischen Ansichten und Pläne für eine Zeit »Danach« und ihre Beziehungen zu anderen Widerstandsgruppen deutlich erweitert werden. Man sollte meinen, dass es möglich sein müsse, mit Hilfe dieser Briefe, die Kontakte zwischen »Krei­sauer Kreis« und »Sperr-Kreis« nachzuvollziehen. Ein solches Vorhaben gestaltet sich jedoch äußerst schwierig. Franz Reisert etwa, den Moltke – wie noch zu zeigen sein wird – wahrscheinlich als erstes Mitglied des bayerischen Widerstandskreises kennenlernte, erwähnte dieser erstmalig anlässlich eines gemeinsamen Frühstücks in Augsburg Ende September 1943.52 Ansonsten umschrieb Moltke ihn in den Briefen immer als den »Anwalt« oder den »Augsburger

49 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 331. 50 Vgl. ebd., S. 389 f. 51 Vgl. H. J. v. Moltke, Briefe an Freya. 52 Brief Moltke an Freya (Sigmaringen, 20. September 1943), in: ebd., S. 543 f.

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Anwalt«.53 Den Namen Reisert gebrauchte Moltke dann erst wieder nach Reiserts Festnahme im September 1944 und vor dem Volksgerichtshof. Diese extreme Vorsicht erscheint ungewöhnlich angesichts der Tatsache, dass Moltke ansonsten vergleichsweise häufig seine Gesprächspartner beim Namen nannte. Abgesehen davon, dass später manch ein Anhänger des »Kreisauer Kreises« Reisert als vollwertiges Mitglied der Gruppe ansah54, verwundert es noch mehr, dass die Namen der beiden anderen Teilnehmer an den angeblich vier Gesprächen, Franz Sperr und Joseph Ernst Fugger von Glött, erst während der gemeinsamen Gefangenschaft Ende 1944 bis Anfang 1945 in den Briefen Moltkes Erwähnung finden.55 Auch die Tagebücher des Jesuitenpaters König erwähnen den Namen Reiserts lediglich im Jahr 1943, allerdings auch nur zweimal.56 Dieses Faktum lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass Moltke und die übrigen »Kreisauer« in den Treffen mit den »Bayern« bereits die Phase des Übergangs von den theoretischen Planungen zur praktischen Umsetzung der Vorbereitungen der Zeit nach dem Untergang des »Dritten Reiches« sahen und sich dadurch die Gefahr einer Aufdeckung erhöhte. Möglicherweise hielt sich Moltke aber auch nur an die Verschwiegenheitsregel der Männer um Sperr, die besagte, dass man über die konspirativen Gespräche keinerlei Aufzeichnungen machen dürfe. Abgesehen von den Gesprächen zwischen Moltke und Reisert lassen sich also die Kontakte zwischen »Sperr-Kreis« und »Kreisauer Kreis« aus keiner vor Kriegsende entstandenen Quelle – außer den »Kaltenbrunner-Berichten« – unmittelbar erschließen. Da allerdings kaum anzunehmen ist, dass die festgenommenen Kreisauer- und Sperr-Leute die gemeinsamen Besprechungen in ihren Verhören frei erfanden, sollte man den dort angeblich gemachten Aussagen nicht von vornherein gänzlich misstrauen. Sie können durchaus hilfreich sein, wenn man sie mit den Überlieferungen, die durch die Gesprächsteilnehmer nach 1945 entstanden, quellenkritisch abgleicht. Durch diese ist es möglich, einen ungefäh-

53 So in den Briefen Moltkes an Freya (München, 28. August 1943 u. Berlin, 22. September 1943), in: ebd., S. 532 bzw. S. 546. Peter Graf Yorck von Wartenburg, neben Moltke die herausragende Persönlichkeit des »Kreisauer Kreises«, folgte der Vorgehensweise Moltkes in zwei Briefen, indem er Reisert mit »Anwalt« oder »Korrespondenzanwalt« umschrieb (vgl. Brief Yorcks vom 9. August 1943, abgedruckt in: Bleistein, Dossier, S. 340 f. sowie Brief Yorcks vom 20. August 1943, ebd., S. 342). 54 Theodor Steltzer äußerte sich nach 1945 wie folgt: »Als Kern des Kreises würde ich daher neben Moltke und Yorck, von Trott zu Solms [sic!], Adolf Reichwein, Pater Roesch, Dr. van Husen, Prof. Peters, Dr. Gerstenmaier, Justizrat Franz Reisert, Harald Poelchau und mich bezeichnen. […] Eben fällt mir ein, daß ich auch einige sehr wichtige Persönlichkeiten nicht angeführt habe: Prof. Delp, Haubach und Mierendorff« (Theodor Steltzer an Walter Hammer (11. Oktober 1954), IfZ, ED 106/42, Bl. 77). Reisert erfuhr auch im Gefängnis, dass man ihn als Mitglied des »Kreisauer Kreises« ansah (vgl. Franz Reisert an Walter Hammer (12. Februar 1955), IfZ, ED 106/96, Bl. 174). 55 Vgl. hierzu vor allem den teilweise erstmals veröffentlichten Briefwechsel von H. J. v. Moltke /  F. v. Moltke, Abschiedsbriefe. 56 Vgl. Notizkalender im Nachlass Lothar König, ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2.

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ren zeitlichen Ablauf der Begegnungen sowie den jeweiligen Stand und Fortgang der Verhandlungen aufzuzeigen. Ein noch größeres Quellenproblem liegt hinsichtlich der programmatischen Übereinstimmungen und Differenzen vor. Diese lassen sich anhand der »Kaltenbrunner Berichte« kaum und anhand retrospektiver Aufzeichnungen nach 1945 nur mühsam nachzeichnen. Dennoch soll im Anschluss an die Rekonstruktion von Ablauf und Inhalt der Gespräche zwischen »Kreisauern« und »Bayern« ein entsprechender Versuch in dieser Hinsicht unternommen werden. Abschließend soll noch der Frage nachgegangen werden, ob sich der »Sperr-Kreis« darüber hinaus an den theoretischen Arbeiten des »Kreisauer Kreises« beteiligte. a) Ursprung, Ablauf und Inhalt der Gespräche Das zufällige Aufeinandertreffen zweier späterer Angehöriger der jeweiligen Widerstandsgruppen ist als Ursprung der Beziehungen zwischen »Sperr-Kreis« und »Kreisauer Kreis« zu bezeichnen, die in den Jahren 1943/44 ihren Höhepunkt erreichten. Bereits 1941 hatte der Augsburger Rechtsanwalt Dr. Franz Reisert den Münchener Pater Alfred Delp SJ bei einer von Jesuiten, Dominikanern und Benediktinern gemeinsam veranstalteten Vortragsreihe in Augsburg reden hören. Delps Vortrag habe auf ihn »den tiefsten Eindruck« gemacht und sei von allen in Augsburg gehaltenen Vorträgen »der Glänzendste« gewesen, betonte Reisert später.57 Kurze Zeit später sei ihm Delp durch den Schwager seiner Tochter, Johannes B. Lotz SJ58, persönlich vorgestellt worden.59 Es trafen hier 57 Franz Reisert: Vortrag anlässlich der Gedenkfeier zum Jahrestag des Todestages von Pater Alfred Delp am 2.2.1960 im »Alfred-Delp-Haus« in Frankfurt (Manuskript), NL Reisert (Privatbesitz, abgedruckt in Becker, Alfred Delp SJ, S. 657–682; der Vortrag S. 663–682, hier S. 665). Winfried Becker veröffentlichte den 22-seitigen Vortrag Reiserts aus dem Privatbesitz von Reiserts Tochter Doris Lotz. Dem Verfasser dieser Arbeit liegt eine Kopie des 27-seitigen Originalmanuskripts vor, das sich im Nachlass Reiserts bei dessen Sohn Peter Reisert befindet. Da der quellenkritische Abdruck bei Becker nur von der Seitenanzahl von diesem Manuskript abweicht, der Inhalt jedoch identisch ist, wird von nun an mit Reisert: Delp-Vortrag (1960), in: Becker, Alfred Delp SJ, S. 663–682 auf diesen Bezug genommen. 58 Im Nachlass Lotz im Jesuitenarchiv München befinden sich einige persönliche, nach 1945 verfasste Briefe von Reisert, die allerdings keinerlei Hinweise auf dessen Widerstandstätigkeit erbringen. Auch für Johannes B. Lotz lässt sich hierüber eine mögliche Teilnahme an oder ein Wissen um diese Aktivitäten nicht nachweisen (vgl ADPSJ, 47  – Nr. 1019 II A2 – 333). 59 Vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117. »Aus diesem Kennenlernen« habe sich, so Reisert, »eine Freundschaft« entwickelt, »die in zahlreichen Begegnungen ihre Vertiefung erfuhr« (ebd., Bl. 115). Oft habe der Jesuitenpater die Familie Reisert in Augsburg besucht. Weihnachten 1943 erschien Delp zum letzten Mal bei den Reiserts in Augsburg, wobei er Franz Reiserts Sohn Peter eine Bibel mit Widmung geschenkt habe (vgl. Reisert: Delp-Vortrag (1960), in: Becker, Alfred Delp SJ, S. 666 sowie Gespräch mit Peter M. Reisert (Pforzheim, 23. November 2010)).

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zwei Männer aufeinander, die – trotz ihres großen Altersunterschieds60 – aufgrund ihrer politischen und christlichen Gesinnung zueinander passten. Dem tief im katholischen Glauben verwurzelten Reisert, der die politische Lage im Reich seit 1933 sowie die hieraus resultierenden weltpolitischen Verwerfungen und Konflikte, die letztlich im September 1939 im Zweiten Weltkrieg eskalierten, als verheerend empfand, stand mit dem Jesuitenpater Delp eine Person gegenüber, der die gleichen Ansichten vertrat. Beide erkannten offenbar früh, dass es keinerlei Kompromisse verlangte, um in politischen Fragen einen gemeinsamen Nenner zu finden. Ende August 1942 besuchte Delp Reisert erstmals gemeinsam mit seinem Mitbruder Lothar König SJ in Augsburg.61 König stand bereits zu diesem Zeit­ punkt – wie Delp, ebenfalls durch Vermittlung des Provinzials Augustin Rösch – in Kontakt zu Helmuth James Graf von Moltke.62 Später dürfte er als wichtiger Bote zwischen den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« und den Männern um Moltke fungiert haben, da sich einige weitere Treffen zwischen Reisert und König in den folgenden Monaten belegen lassen.63 Es liegt auf der Hand, dass spätestens mit der Beiziehung Königs zu diesem Treffen in Augsburg Reisert aus Sicht der Jesuitenpatres als möglicher Vertrauensmann des »Kreisauer Kreises« in Bayern in Frage kam. Allerdings ließen Delp und König den Augsburger Rechtsanwalt in diesem frühen Stadium noch über das Ausmaß der Konspiration im Unklaren. Sie erwähnten weder einen Widerstandskreis in Kreisau noch den Namen Moltke. Dies änderte sich bei einem Familientreffen im Hause Reisert im Spätherbst 1942. Aufgrund des inzwischen auf beiden Seiten entstandenen Vertrauens­ verhältnisses unterrichtete Delp Reisert nun über die Existenz und die Pläne des um Moltke gebildeten Gesprächszirkels.64 Von dem Jesuitenpater erfuhr Reisert, dass der »Kreisauer Kreis« – ähnlich wie seine »Augsburger Gruppe«, 60 Reisert (Jg. 1889), Delp (Jg. 1907). 61 Vgl. Tagebuch König (30. August 1942), ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2. Dort notierte König: »Delp. Prinzregenten 8 [Augsburg] RA Reisert«. 62 Anfang Mai 1942 erwähnte Moltke bereits einen »Mann von Rösch«, mit dem er vor allem über die Kontakte zur Kirche sprach (Brief Moltke an Freya (Berlin, 9. Mai 1942) in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 370 f). Leugers schließt allerdings aus, dass es sich hierbei um König gehandelt habe, da dieser krank gewesen sei (vgl. Leugers, Mauer, S. 473, Anm. 408). Ende Juni 1942 wird König dann von Moltke erstmals namentlich als »Sekretär« Röschs erwähnt (Brief Moltke an Freya (Berlin, 30. Juni 1942), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 386 f). 63 Auch die weiteren Treffen zwischen König und Reisert lassen sich über dieses Tagebuch verifizieren (vgl. ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2). Die hieraus ersichtlichen Angaben der Gespräche Königs sind neben Treffen anderer Mitglieder des Ausschusses für Ordensangelegenheiten in den Datenüberblick bei Leugers, Mauer, S. 375–415 eingearbeitet. 64 Vgl. Auskünfte Reiserts gegenüber Ger van Roon (Augsburg, 29. Juli 1961), IfZ, ZS / A 18/14, Bl. 140; Van Roon, Neuordnung, S. 262.  – Delp traf mit Moltke wahrscheinlich erstmals durch Vermittlung des Provinzials Augustin Rösch SJ im Frühjahr 1942 aufeinander (vgl. H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, FN 7, S. 396 f.).

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mit der er schon zuvor einige Besprechungen hatte65  – staatsrechtliche Überlegungen für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« anstellte. Reisert ging später davon aus, dass gerade seine Beteiligung an den konspirativen Gesprächen in Augsburg Delp dazu veranlasste, sich an ihn zu wenden und für den Widerstandskreis um Moltke zu gewinnen.66 Denn umgekehrt hatte Moltke von Delp erfahren, dass Reisert sich in Augsburg »in ähnlichen Gedankengängen bewegte«.67 Delp beließ es in dem Gespräch mit Reisert indes nicht bei dieser Information, sondern übermittelte ihm die Bitte Moltkes, »für seinen Kreis zu wirken« und »ihm Männer zuzuführen, die nach meiner Überzeugung geeignet waren, mit mir zusammen in Bayern im Sinne seiner Gedankengänge eine Organisation aufzubauen, die im geeigneten Augenblick mit dem Kreisauer Kreis zusammengehen sollte«.68 Nach den Plänen der »Kreisauer« sollte die »Mittelinstanz«, damit waren die neu zu gliedernden Länder gemeint, einerseits drei Leitungsorgane der Selbstverwaltung umfassen, nämlich den »Landeshauptmann« als Leiter der Verwaltung, den »Landtag« und die »Landesregierung«, andererseits mit dem »Landesverweser« und dem »Landesrat« zwei Einrichtungen erhalten, die über eine Repräsentations- bzw. Wächterfunktion verfügen sollten. Den »Landes­ verweser« stellten sich die »Kreisauer« als eine Art Landespräsidenten vor, dem im Unterschied zum »Landeshauptmann« die »Gesamtvertretung eines Landes«, insbesondere gegenüber dem Reich, obliegen sollte.69 Seit Herbst 1942 befanden sich die »Kreisauer« auf der Suche nach geeigneten Persönlichkeiten, die nach erfolgtem Zusammenbruch des NS-Regimes in den neu zu strukturierenden Landesteilen die Führung übernehmen und eben jene Funktion eines »Landesverwesers« ausüben sollten. Die Hoffnung, den dies­ bezüglichen »Personalplan« schon vor Weihnachten 1942 fertigzustellen70, hatte Moltke jedoch schon bald aufgeben müssen. In diesem Kontext ist die Anfrage Delps zu verstehen, die er im Auftrag Moltkes an Reisert richtete, ob dieser sich

65 Anlage I E. 114.), 115.) und 116.) zum Fragebogen der Military Government of Germany (o. D.), S. 1–4, hier S. 3, NL Reisert (Privatbesitz). 66 Vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113. 67 Bericht von Franz Reisert (Prettelshofen, Juli 1945) (Manuskript), S. 1–10, hier S. 8, NL Reisert (Privatbesitz); Abschrift des Berichts auch im Nachlass Zeller im Institut für Zeitgeschichte (IfZ, ED 88/2, Bl. 66–70). 68 Bericht von Franz Reisert (Prettelshofen, Juli 1945) (Manuskript), S. 1–10, hier S. 8, Nachlass Reisert (Privatbesitz); vgl. ebenso den Bericht Fürst Joseph Ernst Fugger von Glötts (o. D.), IfZ, ED 88/1, Bl. 73–75, insbes. Bl. 74. 69 Vgl. hierzu das »Kreisauer«-Schriftstück »Das Deutsche Verfassungsproblem«, in: Bleistein, Dossier, S. 200–216, hier S. 206 f. – »Landesverweser« sollten laut Freya von Moltke »Personen sein, die bereit waren, beim Zusammenbruch in den einzelnen Teilen Deutschlands, die innere Einheit auf Grund der Kreisauer Beschlüsse aufrechtzuerhalten und dem Zerfall entgegenzutreten« (F. v. Moltke, Erinnerungen, S. 65). 70 Vgl. Brief Moltke an Freya (Berlin, 26. November 1942), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 441 f., hier S. 442.

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bereit erkläre, nach erwartetem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« das Amt eines »Landesverwesers« für Süd-Bayern zu übernehmen.71 Ebenso wie es sich für andere Regionen des Reiches als schwierig erwies, kompetente Persönlichkeiten für diese Aufgabe zu gewinnen72, sah sich auch Moltkes erste Option für Bayern, Franz Reisert, nicht fähig und politisch erfahren genug, ein solches Amt auszuüben. Dagegen brachte der Augsburger den auf politischem, verwaltungstechnischem und militärischem Gebiet außerordentlich versierten Franz Sperr als einen möglichen Kandidaten für diese Position ins Spiel. Allerdings dürfte Reisert Sperr zu diesem Zeitpunkt noch nicht persönlich gekannt haben, sondern nur über dessen Augsburger Verbindungsmann Berz von der Existenz eines Münchener Widerstandskreises um Sperr gewusst haben. Daher schlug Reisert zunächst mit Joseph Ernst Fugger von Glött, mit dem er sich »einig wusste in dem Kampf gegen das Nazi-Regime und in der Sorge um unser Vaterland«73, eine gleichsam geeignete Persönlichkeit vor, die darüber hinaus »den Namen eines bekannten Geschlechts trug«74. Es scheint so, als habe man sich anschließend auf Fugger von Glött als möglichen Kandidaten für das Amt des »Landesverwesers« in Süd-Bayern konzentriert. Denn es wurde  – wie im Folgenden gezeigt wird – erst einmal dieser mit Moltke in Verbindung gebracht. Zu der Erkenntnis, dass die bayerische Widerstandsgruppe geradezu prädestiniert sei, um in Moltkes Sinne zu agieren, dürfte Reisert im Anschluss an die ersten Gespräche mit Sperr gelangt sein, die erst nach »Stalingrad« einsetzten. Die Aussagen Reiserts, die mit äußerster Vorsicht zu genießen sind, da er die Gespräche mit den »Kreisauern« entweder gar nicht, nur sehr vage oder in einigen Quellen unterschiedlich früh datierte, zeigen zumindest, dass eine umfangreiche Koordinierung im Rahmen der Gespräche der »Augsburger Gruppe« mit dem »Sperr-Kreis« jenen konkreten Besprechungen mit dem »Moltke-Kreis«

71 Vgl. Auskünfte Reiserts gegenüber Ger van Roon (Augsburg, 29. Juli 1961), IfZ, ZS / A 18/14, Bl. 140–141, hier Bl. 140. Reisert gab im Interview mit dem holländischen Historiker Ger van Roon an, dass ihn Delp bereits in diesem Gespräch darüber informierte, dass die »Kreisauer« eine Neugliederung des Reiches nach Stammeszugehörigkeit planten, wozu unter anderem »Landesverweser« an der Spitze Frankens, Sachsens und Süd-Bayerns benötigt würden. 72 Sehr anschaulich im Brief Yorcks [wahrscheinlich an Alfred Delp SJ] (9. August 1943), in: Dossier: Kreisauer Kreis, S. 340 f. Der mögliche Adressat Delp ist wahrscheinlich, da er einerseits eingeweiht war und andererseits die im Brief erwähnten Personen Lothar König SJ und den »Anwalt« Reisert bestens kannte.  – Wie viele Landesverweser letztendlich gefunden wurden, ist unklar. Bereit erklärt, dass Amt am Tag X zu übernehmen, hatten sich offenbar Theodor Steltzer (Schleswig-Holstein), Hans Schlange-Schöningen (Pommern), Heinrich Graf zu Dohna-Schlobitten (Ostpreußen), Rudolf Freiherr von Twickel (Westfalen) und Hans Lukaschek (Schlesien). Konrad Adenauer sollte offenbar Landesverweser für Mittelrhein werden. 73 Bericht von Franz Reisert (Prettelshofen, Juli 1945) (Manuskript), S. 1–10, hier S. 8, Nachlass Reisert (Privatbesitz). 74 Auskünfte Reiserts gegenüber Ger van Roon (Augsburg, 29. Juli 1961), IfZ, ZS / A 18/14, Bl. 140–141, hier Bl. 140.

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vorausgingen.75 Die Unsinnigkeit des Nebeneinanders zweier ähnlicher Gruppen, von der Reisert später sprach, dürfte er erst danach erkannt und sich entschlossen haben, beide Kreise in Verbindung zu bringen und wenn möglich zusammenzuführen.76 Daher sind die Ergebnisse jüngerer Forschungen, die von einer ersten Begegnung Moltkes mit Sperr, Reisert und Fugger von Glött im Anschluss an ein Treffen Moltkes mit den drei Jesuitenpatres Rösch, Delp und König sowie dem Rechtsanwalt Josef Müller in München am 10. Januar 1943 ausgehen, kritisch zu sehen.77 Da die Gespräche der »Augsburger Gruppe« mit Franz Sperr und Eduard Hamm frühestens im Februar 1943 eingesetzt haben, ist es unwahrscheinlich, dass ein größeres Treffen mit Moltke bereits in den ersten Januartagen des gleichen Jahres stattfand.78 Einleuchtender klingt die Vermutung Ger van Roons, dass Moltke die Personalüberlegungen Reiserts hinsichtlich eines bayerischen Landesverwesers bei seinem Besuch in München am 10. Januar 1943 durch Delp oder König lediglich mitgeteilt wurden.79 Erst später dürften 75 Nach Reisert war zu diesem Zeitpunkt bereits keine umfangreichere Abstimmung mehr mit Sperr nötig, weil man in den zuvor geführten Besprechungen der »Augsburger Gruppe« mit dem »Sperr-Kreis« »völlige Übereinstimmung erzielt hatte« (Bericht von Franz Reisert (Prettelshofen, Juli 1945) (Manuskript), S. 1–10, hier S. 9, Nachlass Reisert (Privatbesitz)). 76 Vgl. Franz Reisert an Gertraud Sperr (23. September 1947), UAE, G 1/7 Nr. 2. Reisert begründete in diesem Schreiben sein Vorgehen auch damit, dass er für den »Sperr-Kreis« weitere gesellschaftliche Kreise erreichen wollte. Dabei habe er Moltke vor allem als einen Mann gesehen, der wegen seiner Position im OKH als möglicher Kontaktmann zur Generalität fungieren konnte. Die schwierige Fühlungnahme mit der aktiven Generalität, die im Falle eines Umsturzes aber unverzichtbar gewesen wäre, habe Reisert nämlich als ein Hauptproblem des »Sperr-Kreises« ausgemacht. Spätestens mit dem Abtritt Halders als Generalstabchef des Heeres dürfte Reisert mit dieser Behauptung richtig gelegen haben. 77 Vgl. Brakelmann, Helmuth James von Moltke 1907–1945, S. 237. 78 Reisert lernte Sperr erst 1943 kennen (vgl. Franz Reisert an Gertraud Sperr (23. September 1947), UAE, G 1/7 Nr. 2). Auch die so genannten »Kaltenbrunner-Berichte« datieren eine erste Besprechung im größeren Kreis auf Frühjahr 1943 (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 389). 79 Vgl. Van Roon, Neuordnung, S. 263. Van Roon berief sich hierbei auf das Schreiben Moltkes an seine Frau Freya. Hier ist die Rede von mehrstündigen Gesprächen mit den Münchener Jesuitenpatres Rösch, König, Delp sowie mit »einem Anwalt, den ich immer besuche«. Insgesamt seien die Besprechungen »in Niveau und Inhalt sehr befriedigend« gewesen (Brief Moltke an Freya (Berlin, 11. Januar 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 451 f.). Der Anwalt dürfte in diesem Fall allerdings nicht Franz Reisert, sondern der bereits in anderem Zusammenhang mehrfach erwähnte »Ochsensepp«, der Münchener Rechtsanwalt und Verbindungsmann der Abwehr zum Vatikan, Josef Müller, gewesen sein, den Moltke schon länger kannte. Gesprochen wurde in erster Linie über die Verhandlungen, die am Vortag in Berlin mit dem Beck / Goerdeler-Kreis geführt wurden. Über seine weiteren Quellen, insbesondere hinsichtlich des in diesem Gespräch angeblich besprochenen Vorschlags Reiserts, Fugger oder Sperr als »Landesverweser« zu installieren und zu einem ersten Gespräch zwischen Moltke und Sperr kurze Zeit später, macht van Roon in diesem Zusammenhang keine näheren Angaben. Auch in den Papieren van Roons im Institut für Zeitgeschichte finden sich keine näheren Hinweise auf den Inhalt der Besprechung Moltkes mit den Jesuitenpatres am 10. Januar 1943.

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interne Verhandlungen in Augsburg sowie die ersten Besprechungen mit dem Münchener »Sperr-Kreis« Klarheit darüber geschaffen haben, inwieweit man tatsächlich auf das Ersuchen Moltkes eingehen sollte und konnte. Bei einem Treffen zwischen König und Reisert am 11. April 1943 in Augsburg, über dessen Inhalt nichts bekannt ist, könnte der Augsburger Rechtsanwalt seine Bereitschaft zu einem ersten Treffen mit Moltke signalisiert haben.80 Sowohl dieses Gespräch mit König als auch ein anschließendes Treffen mit Moltke dürften organisatorischen und sondierenden Charakter gehabt haben. Ger van Roon datierte ein Gespräch zwischen Moltke und Reisert in München dagegen bereits für die Tage unmittelbar nach der Begegnung Moltkes mit den Jesuitenpatres am 10. Januar 1943.81 Dies ist merkwürdig angesichts der Tatsache, dass Reisert ihm gegenüber angegeben hatte, dass ein solches Treffen durch Vermittlung Delps erst im Frühling 1943 in München stattgefunden habe: »Moltke erzählte mir von den Plänen und daß das System gestürzt werden sollte. Der Deckmantel für die Begegnung war ein Scheinrechtsfall. Auch der Kontakt mit Fugger wurde von einem Scheinrechtsfall gedeckt. Darauf gingen wir beide nach Delp in St. Georg.«82 Da Moltke seine Frau in der Regel über größere Reisen postalisch in Kenntnis setzte, scheint es so, als habe ihn nach dem 10. Januar 1943 sein Weg erst wieder im Mai 1943 nach München geführt, wo er sich ab dem 7. Mai bei einem ge­ meinsamen Urlaub mit seiner Frau maximal drei Tage aufhielt.83 Auf dem Rückweg nach Berlin legte Moltke am 15. Mai erneut einen Zwischenhalt in München ein, wo er mit König und Rösch zusammentraf.84 Hier könnte es zu jener ersten Besprechung zwischen Reisert und Moltke und vielleicht auch zwischen Moltke und Fugger gekommen sein.85 Reisert hatte in der Zwischenzeit mit Fugger über das »Kreisauer Anliegen« gesprochen.86 Im Rahmen dieses ersten Kennenlernens 80 Vgl. Tagebuch König (11. April 1943), ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2. 81 Van Roon, Neuordnung, S. 263. 82 Auskünfte Reiserts gegenüber Ger van Roon (Augsburg, 29. Juli 1961), IfZ, ZS / A 18/14, Bl. 140–141, hier Bl. 140. 83 Folgt man Moltkes Reiseplänen, traf er offenbar am 7. Mai in München ein, wo er sich die folgenden zwei Tage mit Freya aufhielt, um am Abend des 9. Mai gemeinsam mit ihr weiter nach Stuttgart und Heidelberg zu fahren. Spätestens am 17. Mai kehrte Moltke nach Berlin zurück (vgl. Brief Moltke an Freya (Berlin, 18. April 1943) und Moltke an Freya (Berlin, 17. Mai 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 474 f. u. 481). 84 Vgl. Brakelmann, Kreisauer, S. 83. 85 Zumindest Reisert war von April 1943 bis Mitte Juli 1943 regelmäßig in München, weil er die Verteidigung von Wilhelm Geyer vor dem Sondergericht München übernommen hatte. Geyer war wegen seiner Beteiligung an der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« angeklagt (vgl. Beglaubigte Abschrift einer Erklärung von Wilhelm Geyer (Ulm / Donau, 24. Juni 1946), StAA, Spk. Augsburg Stadt I + III Akten R 226). 86 »Besonders war er [Reisert] der Ansicht, dass ich das Amt eines Landesverwesers für Baiern übernehmen sollte, falls sich in den Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern des Kreisauer und Augsburger Kreises eine Einigung in der Durchführung der Ziele für die er kämpfte, erreichen liesse« (Bericht Fürst Joseph Ernst Fugger von Glötts (o. D.), IfZ, ED 88/1, Bl. 73–75, hier Bl. 74).

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einigte man sich offenbar auf ein erstes größeres Treffen mit weiteren Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« im Frühsommer 1943.87 Jenes Treffen fand vermutlich Ende Juni 1943 nur wenige Tage nach der dritten »Kreisauer Tagung«88 bei Pater Alfred Delp SJ in München-Bogenhausen statt.89 Fugger hatte offenbar im Vorfeld vorsichtig seine Bereitschaft signalisiert, für das Amt eines »Landesverwesers« in Süd-Bayern zur Verfügung zu stehen. Aus diesem Grund spielte die Personalie Sperr vorerst nur eine sekundäre Rolle. Jedenfalls sollte dieses erste große Treffen zwischen Mitgliedern des »SperrKreises« und des »Kreisauer Kreises« zunächst ohne ihn stattfinden. Auch Moltke nahm an der Besprechung nicht teil90, dafür aber neben Reisert und Fugger die »Kreisauer« Theodor Steltzer91 und Carlo Mierendorff92. Über den Inhalt des Treffens sind nur wenige Einzelheiten bekannt. Eine Notiz von Peter Yorck von Wartenburg vom 2. Juli 1943 gibt Auskunft über un87 So auch Van Roon, Neuordnung, S. 263 f. 88 Auf der dritten »Kreisauer Tagung« vom 12. bis zum 14. Juni 1943 wurden unter anderem Grundsätze einer »Bestrafung der Rechtsschänder« sowie Fragen der Wirtschafts- und Außenpolitik besprochen. Spätestens nach diesem Pfingswochenende intensivierten die »Kreisauer« ihre Bemühungen, die personellen Voraussetzungen für die Umsetzung ihrer Neuordnungspläne zu schaffen (die Dokumente der dritten »Kreisauer Tagung« sind zusammengefasst in: Bleistein, Dossier, S. 240–299). 89 Aus Königs Notizkalender lässt sich ein Treffen mit Reisert am 25. Juni 1943 entnehmen (vgl. ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2). Im Anschluss an das Gespräch brach König am 27. Juni nach Berlin auf, wo er mit Moltke am 28. Juni Rücksprache hielt (vgl. Leugers, Mauer, S. 404 sowie Brief Moltke an Freya (Berlin, 28. Juni 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 498). 90 Moltke erhielt in Berlin zwischen dem 21. und 25. Juni 1943 Besuch von seiner Frau und konnte – wenn er es überhaupt zuvor geplant haben sollte – deshalb kurzfristig nicht nach München fahren. 91 Theodor Steltzer (1885 Trittau / Holstein–1967 München), 1904/05 Offiziersanwärter der Infanterie, Studium der Nationalökonomie in München, 1912–14 Kriegsakademie Berlin, 1914–18 Kriegsteilnahme, zuletzt als Generalstabsoffizier beim Feldeisenbahnwesen im Großen Hauptquartier der Obersten Heeresleitung, 1920–33 Landrat des Kreises Rendsburg, 1933 aus seinem Amt entfernt, ab 1940 als Offizier im Generalstab des Oberbefehlshabers von Norwegen, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, Aufschub seiner Hinrichtung, seit 1941 Mitglied des »Kreisauer Kreises«, 1945 aus Haft entlassen, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin und in Schleswig-Holstein, 1946/47 Mitglied des Landtags von Schleswig-Holstein, 1945 zunächst Oberpräsident, dann 1946/47 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, 1955–60 Geschäftsführender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (zu Steltzer vgl. Alberts, Theodor Steltzer; außerdem autobiographisch Steltzer, Zeitgenosse). 92 Carlo Mierendorff (1897 Großenhain / Sachsen–1943 Leipzig), 1914–18 Kriegsteilnahme, Studium der Volkswirtschaftslehre in Heidelberg, Freiburg und Frankfurt a. M., 1920 Eintritt in die SPD, 1922 Dr. phil., 1926–28 Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion und Presse­ referent des damaligen hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner, 1930–33 MdR, 1933 stimmte er gegen Hitlers »Ermächtigungsgesetz«, 1933–38 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, seit 1941 Mitglied des »Kreisauer Kreises«, am 4. Dezember 1943 bei einem alliierten Luftangriff auf Leipzig getötet (zu Mierendorff vgl. immer noch R. Albrecht, Carlo Mierendorff; daneben den aktuelleren Beitrag bei Brakelmann, Kreisauer, S. 299–372).

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mittelbar zuvor stattgefundene Sondierungen: »Das Geschäft kann nach dem Ergebnis der geführten Verhandlungen in der ursprünglich vorgesehenen Form nicht zustande gebracht werden. Der Eintritt als persönlich haftender Gesellschafter wurde abgelehnt und nur eine stille Beteiligung für möglich erklärt. Zur Zeit wird wegen des Eintrittes mit anderen haftenden Gesellschaftern in demselben Sinn verhandelt. Es wird versucht, diese Verhandlungen zu beschleunigen und im Laufe der Woche zu einem Abschluss zu kommen.«93 Wer hier das Amt des »personlich haftenden Gesellschafters«, also das Amt des »Landesverwesers«, ablehnte, konnte die Forschung bisher nicht klären oder aber stellte Mutmaßungen an.94 Aus einem Interview van Roons mit Reisert erfahren wir immerhin Folgendes: »Im Frühsommer kamen im Pfarrhof Bogenhausen Mierendorff (unter Deckname), Steltzer, Rösch, König, Delp, Fürst Fugger und ich zusammen. Moltke war im letzten Moment verhindert. Da sagte ich schon Mitglied des Sperr-Kreises zu sein und schlug vor zusammenzuarbeiten und Sperr telefonisch aufzufordern. Alle waren einverstanden und Sperr kam. […] Fugger lehnte eine Ernennung zum Landesverweser ab; lieber Sperr, womit alle einverstanden waren.«95 Yorck dürfte demnach von Fuggers Weigerung zur Übernahme des Landesverweseramtes berichtet haben. Reisert stellte indes in der Rückschau die Abfolge der Ereignisse missverständlich dar. Denn erst, nachdem Fugger auch dem Drängen der übrigen Gesprächsteilnehmer nicht Folge geleistet hatte96, dürfte er erneut Franz Sperr als Kandidaten für das Amt des Landesverwesers vor93 Vgl. Brief Yorcks (2. Juli 1943), in: Dossier: Kreisauer Kreis, S. 339 f. 94 Bleistein brachte die Namen Sperr und Reisert ins Gespräch (vgl. Anm. 5 zum Brief Yorcks (2. Juli 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 339 f.), während Detlef Graf von Schwerin eine Ablehnung Sperrs für »wahrscheinlich« hielt (Schwerin, »Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt«, S. 317). 95 Auskünfte Reiserts gegenüber Ger van Roon (Augsburg, 29. Juli 1961), IfZ, ZS / A 18/14, Bl. 140–141, hier Bl. 140; vgl. auch Franz Reisert: »Bericht über die Zugehörigkeit des RA Dr. Franz Reisert im Kreisauer Kreis« (o. D.), S. 1–18, hier S. 15, NL Franz Reisert (Privatbesitz). Die Angaben Reiserts über dieses Treffen decken sich mit einer Aussage Theodor Steltzers gegenüber der Gestapo. In seinem Verhör nach dem 20. Juli 1944 erwähnte Steltzer ein Treffen in München, zu dem er im Auftrag Moltkes geschickt worden sei, um über die militärische Lage zu referieren. Hieraus lässt sich schließen, dass Moltke selbst an diesem Treffen nicht teilnahm. Steltzer datierte es auf Spätfrühjahr 1943. Von dieser Aussage Steltzers soll in der Anklageschrift die Rede gewesen sein, aus der Moltke bruchstückhaft in einem Brief an seine Frau berichtete (vgl. Brief Moltkes an Freya (18. Dezember 1944), in: H. J. v. Moltke / F. v. Moltke, Abschiedsbriefe, S. 351–353, hier S. 352). 96 Reisert berichtete, dass sich Fugger, aber auch er selbst, vor allem dem Druck Carlo Mierendorffs ausgesetzt sah: »Er [Mierendorff] setzte damals Fürst Fugger zu, doch das Amt eines Landesverwesers in Bayern zu übernehmen, was dieser ablehnte. Von mir verlangte er die Zustimmung, dass ich in einem Kabinett Moltke das Justizministerium übernehmen sollte, was ich erst nach langem Drängen aller Anwesenden zusagte« (Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier Bl. 116). Obwohl van Roon dieses Schreiben Reiserts offenbar als Quelle vorlag und er es für seine Darstellung heranzog, schrieb er, dass Fugger das Amt »nicht ablehnte« (Van Roon, Neuordnung, S. 258).

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geschlagen haben, mit dessen Ernennung die übrigen Anwesenden nach dessen Eintreffen einverstanden gewesen seien.97 Doch knüpfte Sperr die Übernahme des Amtes offenbar an Bedingungen, die Yorck in seiner Notiz weiter ausführte: Es müssten, so Yorck, »die noch offenen Vorfragen mit Nachdruck geklärt werden, damit das Vertragswerk dann vollständig vorbereitet ist«.98 Die »Kreisauer« waren somit fest entschlossen, nach Klärung der »offenen Vorfragen«, offenbar bei einem größeren Treffen in den kommenden Wochen, mit den »Bayern«, insbesondere mit Sperr, eine Einigung zu erzielen.99 Während man die allgemeine Lage ähnlich einschätzte100, bestand eine dieser »offenen Vorfragen«, laut Yorcks Notiz, in der »gleichzeitige[n] Errichtung eines Filialgeschäftes im Westen«, die für »notwendig« gehalten werde. Da nicht davon auszugehen ist, dass bei dem Gespräch über die Gliederung der Länder außerhalb Bayerns und deren Besetzung mit Landesverwesern diskutiert wurde, könnte es sich hierbei um die Errichtung einer »Filiale« in Augsburg / Schwaben gehandelt haben. Da eine Filiale immer nur in Abhängigkeit zu einer Zentrale besteht, welche in diesem Fall München gewesen wäre, versuchte der »Sperr-Kreis« an dieser Stelle womöglich seine eigenen Vorstellungen mit denen des »Kreisauer Kreises« in Einklang zu bringen. Allerdings dürfte Sperr bereits in diesem Gespräch deutlich gemacht haben, dass man zwar für die traditionelle Unterteilung Bayerns in Regierungsbezirke, jedoch nicht für eine Aufteilung in ein Nord- und Südbayern eintrete.101 Da Sperr nicht beabsichtigte, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, nahm er in der unmittelbaren Folgezeit Verbindung mit Vertrauensleuten in Augsburg und kurz darauf auch in Nürnberg auf. Terminlich verwundert daher die kurz darauf stattfindende erste größere Aussprache zwischen Franz Sperr, Ernst Meier und potentiellen Vertrauensleuten in Schwaben nicht. Hierbei dürfte wahrscheinlich die »Errichtung eines Filialgeschäfts« besprochen worden sein.102 Be97 Anders bei Winterhager, Kreisauer Kreis, S. 139 f., der – wahrscheinlich in Anlehnung an van Roon – davon ausgeht, dass Fugger sich für das Amt des Landesverwesers zur Verfügung stellte. 98 Brief Yorcks (2. Juli 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 339 f., hier S. 340. Yorck zeigte sich jedoch diesbezüglich optimistisch und hielt es daher nicht für notwendig, dass Moltke seinen anstehenden »Urlaub« nach Istanbul unterbrechen müsse (ebd., S. 340). 99 Dabei dürfte es sich um das Treffen in München vom 31. Juli und 1. August gehandelt haben, auf das unten ausführlicher eingegangen wird. 100 Yorck schrieb: »Dabei besteht über die Standortfragen Einigkeit […]« (ebd., S. 339 f., hier S. 340). 101 Diese Botschaft scheint zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht entsprechend bei den Kreisauern angekommen zu sein, wie die erst später überarbeitete Karte des neugegliederten Deutschen Reiches belegt (vgl. Deutschlandkarte, in: ebd., S. 344). 102 Der Augsburger Ludwig Berz konnte sich einige Jahre später an eine erste Besprechung der »Augsburger Gruppe« mit Sperr im Juli 1943 erinnern, an der neben ihm nur Ernst Meier und Gregor Weber teilgenommen hätten. Über den Inhalt dieser Besprechung sind keine Einzelheiten bekannt (vgl. Ludwig Berz an Ernst Meier (Augsburg, 4. Februar 1964), UAE, G 1/7, Nr. 2). Doch bestätigte Ernst Meier Weber in dessen Spruchkammerverfahren,

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reits am 16. Juli 1943 kündigte Moltke seiner Frau eine Reise nach München am 1. August an. Am 20. Juli 1943 konnte König bei einem Besuch bei Moltke und Yorck in Berlin »einige herrliche Geschichten aus dem Süden« übermitteln.103 Moltke ging offenbar von einem positiven Ausgang der anstehenden Verhandlungen mit den Männern um Sperr aus, die man ebenso wie die parallelen Verhandlungen mit der Goerdeler-Leuschner-Gruppe in Berlin als notwendige Voraussetzung für ein Fortkommen bei den Vorbereitungen einer Neuordnung betrachtete.104 Für den »Sperr-Kreis« war nach Schaffung einer »Filiale« in Schwaben der Weg für weitere Verhandlungen mit den »Kreisauern« frei, die am 31. Juli und 1. August 1943 in München-Bogenhausen geführt wurden. Womöglich brachte Moltke zu diesem Treffen je drei von seiner Frau Freya angefertigte Abschriften der »Kreisauer Haupttexte« mit.105 Diese könnten Moltkes Vertrauten, den Jesuiten Rösch, König und Delp als Verhandlungsgrundlage für die an diesem Wochenende abgehaltenen Gespräche mit Sperr, Reisert und Fugger gedient haben.106 Ein großes Programm nahm man sich an diesem Wochenende Anfang August 1943 vor. »Das Ergebnis war recht befriedigend und ich habe den Eindruck, daß wir mit ihnen voll rechnen können. So haben wir hier glaube

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dass Sperr diesen »mit der Organisation dieser Bewegung [der Widerstandsbewegung] in den Städten Augsburg und Kempten beauftragt« habe (Bestätigung von Ernst Meier (Neumarkt / Oberpfalz, 27. Juli 1946), StAA, Spk. Kempten Akten W 111. Vgl. hierzu das Kap. VI.3.a über die »Augsburger Gruppe« des »Sperr-Kreises«. Brief Moltke an Freya (Berlin, 21. Juli 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 510. Nicht ohne Grund schrieb Moltke kurz vor seiner Abreise nach München an seine Frau: »Gehen die Wochenenden hier [in Berlin: d. Vf.] und in München erfolgreich aus, dann wird die Füllung in der nächsten Zeit noch viel massiver werden« (Brief Moltke an Freya (Berlin, 30. Juli 1943), in: ebd., S. 514 f., hier S. 514). Die Gleichstellung der Relevanz der Gespräche mit den beiden Widerstandsgruppen in Berlin und München durch Moltke unterstreicht die Bedeutung des »Sperr-Kreises« im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Dies lässt zumindest ein Schreiben Moltkes an seine Frau von Ende Juli 1943 vermuten. Dort schrieb er: »Ich bitte Dich, die Kreisauer Haupttexte: K[irche] + St[aat] + Erziehung, Pfingsten 42, Staatsaufbau + Wirtschaftsaufbau, Okt. 42 und Grundsätze einer Aussenpolitik Pfingsten 43 3x selbst abzuschreiben. Natürlich nur die vereinbarten Haupttexte und nicht die Vorarbeiten wie etwa das Trott’sche Elaborat. Ferner bitte ich Dich, Marion anzurufen und sie zu bitten, diese 3 Sätze Abschriften mit nach Berlin zu bringen, und zwar so, daß sie bis Freitag mittag hier sind« (Brief Moltke an Freya (28. Juli 1943), in: ebd., S. 512). Moltke reiste am Freitagabend, den 30. Juli 1943, mit dem Nachtzug nach München. Im Gepäck könnte er die drei Sätze Abschriften mitgeführt haben. Möglich wäre allerdings auch, dass die Texte für die am gleichen Wochenende in Berlin stattfindenden Verhandlungen mit Wilhelm Leuschner bestimmt waren. Dies würde erklären, wie die Dokumente später in den Aktenschrank Lothar Königs gelangen konnten. Dagegen ist es eher unwahrscheinlich, dass den drei bayerischen Verhandlungsführern die Texte unmittelbar vorgelegt wurden. Zumindest gab Reisert einige Jahre später an, er habe »Dokumente über die Verhandlungen des Kreisauer Kreises […] nie gesehen« (Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier Bl. 115).

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ich, alles erreicht, was nötig war«, konnte Moltke anschließend seiner Frau Freya berichten.107 Über den Inhalt der Besprechung ist wenig bis gar nichts bekannt und kann erneut nur aus einem Brief Yorcks erschlossen werden. Dieser schrieb am 9. August 1943 an einen unbekannten Adressaten: »Die Korrekturen sind auf der Karte vermerkt.«108 Übereinstimmend berichteten Reisert und Fugger später, dass zu einem der Treffen eine Deutschlandkarte mitgebracht worden sei, woraufhin sich der Konflikt zwischen »Kreisauer-Kreis« und »Sperr-Kreis« erst richtig verschärft habe.109 Moltke habe erklärt, dass er sich ein neues Deutschland auf föderalistischer Grundlage vorstelle, in dem die einzelnen Länder nach Stammeszugehörigkeit aufgeteilt würden und keines dieser Länder mehr als vier Millionen Einwohner aufweisen solle. Für ihn habe außerdem festgestanden, dass eine Aufteilung Bayerns notwendig sei. Denn ohne eine solche sei auch eine Aufteilung Preußens nicht durchzusetzen.110 Sperr habe Moltke gegenüber unmissverständlich erklärt, dass für ihn eine Aufteilung Bayerns in Nord und Süd nicht in Frage komme und sei in dieser Ansicht von Augustin Rösch unterstützt worden.111 Reisert und Fugger waren sich darin mit Sperr ohnehin einig.112 Der letzte bayerische Gesandte in Berlin habe insbesondere auf den »eingespielten«, jedoch »zentralistisch aufgebauten« Verwaltungsapparat hin­gewiesen, der in Bayern existiere. In Preußen besäßen die Provinzen im Vergleich zu den bayerischen Regierungsbezirken dagegen »einen viel grösseren Grad an Selbständigkeit«, weshalb »eine Aufteilung Preussens« ein nicht so »gefährliches Experiment« darstelle, wie eine Aufteilung Bayerns.113 Auch wenn Reisert später schrieb, dass der Konflikt zwischen Moltke und Sperr um die Aufteilung Bayerns »nicht zum Austrag« gekommen sei und sich 107 Brief Moltke an Freya (München, 1. August 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 515 f., hier S. 515. 108 Brief Yorcks [wahrscheinlich an Alfred Delp SJ] (9. August 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 340 f., hier S. 340. – In der Nacht vom 8./9. August 1943 bereiteten die »Kreisauer« in einer mehrstündigen Sitzung, die erst morgens um 5 Uhr endete, weitere Dokumente für die »Neuordnung« vor. Es handelte sich im einzelnen um die »Erste Weisung an die Landesverweser«, die »Sonderanweisung« und die »Grundsätze für die Neu­ordnung«. Außerdem wurde die Karte – wahrscheinlich entsprechend der Bedingungen des »SperrKreises« – korrigiert. 109 Vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117. Reisert ging allerdings davon aus, dass Steltzer die Deutschlandkarte zu einer der ersten Unterredungen mitgebracht habe. Da Steltzer an dieser Besprechung jedoch nicht teilnahm, könnte er allenfalls später eine korrigierte Fassung der Karte mitgebracht haben. 110 So die Angaben Augustin Röschs SJ (vgl. Aktennotiz von Petzolt (SpK (28.11.47), IfZ, ZS / A 4/5, Bl. 200 f.). 111 Vgl. Aktennotiz von Petzolt (SpK (28.11.47), IfZ, ZS / A 4/5, Bl. 200 f., hier Bl. 201. 112 Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier. Bl. 115. 113 Vortrag des RA. Dr. Franz Reisert, Augsburg, über das Thema: Bayern im Deutschen Wider­stand und Franz Sperr. Gehalten am Sonntag, den 27.1.52 im Restaurant Holzmüller in München (Manuskript), S. 1–20, hier S. 15, NL Reisert (Privatbesitz).

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»in theoretischen Betrachtungen, die zu keinem konkreten Beschluss führten«, erschöpft hätten114, scheint es so, als habe insbesondere die Unterstützung der bayerischen Vorstellungen durch Rösch, Moltke dazu bewogen, den »Bayern« in diesem Punkt entgegenzukommen. Auch Moltkes Wortwahl gegenüber seiner Frau, die Gespräche seien »recht befriedigend« verlaufen und man habe das Nötigste erreicht115, lassen darauf schließen, dass Moltke in diesem Punkt nachgeben musste, um die bayerische Widerstandsgruppe um Sperr als Verbündeten nicht zu verlieren. Am darauffolgenden Wochenende wurde daher die Deutschlandkarte korrigiert.116 Wäre man sich in diesem Punkt nicht einig geworden, was angesichts des zeitlichen Drucks kaum vorstellbar war, wären Yorcks weitere Ausführungen in seinem Brief überflüssig gewesen, wo er schrieb: »Es wird gebeten, nunmehr die übrigen Exemplare fertigzustellen und die Karten bis zum Samstag hierher zu schicken. Pater König bringt sie bei seinem Besuch zweckmäßig mit und läßt sich von dem Anwalt begleiten, der die Einweisung der Landesverweser, soweit sie von dort vorgenommen wird, durchführen soll. Eine baldige Besprechung mit dem Anwalt scheint dringend geboten.«117 Der Anwalt, der »die Einweisung der Landesverweser« in Bayern vornehmen sollte, dürfte höchstwahrscheinlich Reisert gewesen sein.118 Nun könnten Yorcks Bemerkungen vermuten lassen, es seien für Bayern weiterhin mehrere Landesverweser vorgesehen gewesen. Doch 114 Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier Bl. 115. 115 Brief Moltke an Freya (München, 1. August 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 515 f., hier S. 515. 116 Vgl. Brief Yorcks [wahrscheinlich an Alfred Delp SJ] (9. August 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 340. Sollten die Kreisauer tatsächlich auf die Bedingung des »Sperr-Kreises«, Bayern als Einheit zu erhalten, eingegangen sein und dies in der Deutschlandkarte vermerkt haben, muss eine noch spätere Deutschlandkarte existiert haben, als jene Skizze, die im Nachlass Königs erhalten geblieben ist und in der jene erste Unterteilung Bayerns in Oberbayern und Franken vorgenommen worden war (vgl. ebd., S 344 f.). Eine solche Karte ist allerdings nicht überliefert, weshalb ihre Existenz Spekulation bleiben muss, wenn auch angeführte Argumente dafür sprechen. Dass die Skizze Königs die endgültige Fassung darstellte, ist aus weiteren Gründen zu bezweifeln. Freya von Moltke soll sich später erinnert haben, dass ein Beschluss über die Einteilung der Länder, zumindest solange sich Moltke auf freiem Fuß befand, nicht gefasst, sondern die Karte »nur besprochen« worden sei (Van Roon, Neuordnung, S. 396). Des Weiteren vermutete Bleistein, dass eine endgültige Aufteilung der Länder ohnehin erst Ende Februar 1944 vorgenommen worden sein könnte, als Delp sich eine gedruckte Deutschlandkarte beschafft haben soll (vgl. Bleistein, Dossier, S. 345). 117 Brief Yorcks [wahrscheinlich an Alfred Delp SJ] (9. August 1943), in: ebd., S. 340. 118 An anderer Stelle wurde vermutet, dass es sich bei dem »Anwalt« um den Justitiar Georg Angermeier gehandelt haben könnte, der ein enger Vertrauter Augustin Röschs SJ war und mit diesem im »Ausschuss für Ordensangelegenheiten« zusammenarbeitete, der sich gegen die Angriffe des NS-Regimes auf die Kirche zur Wehr setzte (vgl. Leugers, Georg Angermeier, S. 161). Angermeier dürfte in diesem Fall jedoch nicht gemeint sein, da dieser sich an der Diskussion über und an der Einsetzung von »Landesverwesern« in Bayern im Gegensatz zu Reisert nicht beteiligte, sondern vielmehr im Vorfeld der »Kreisauer Tagungen« programmatischen Input geliefert hatte.

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kamen die »Kreisauer« den »Bayern« offenbar tatsächlich entgegen. Denn bezüglich Frankens sprach Yorck nun ausdrücklich nicht mehr von einem »Landesverweser«: »Für Franken kann ein Arbeiter nicht benannt werden. Herr Fröhlich muß sich deshalb selbst nach einem geeigneten Landeshauptmann umsehen und diesen benennen.«119 Nach den Vorstellungen der »Kreisauer« sollten die »Landeshauptmänner« als Leiter der Verwaltung in den einzelnen Ländern eingesetzt werden und waren im Gegensatz zum »Landesverweser« nicht für die Gesamtvertretung des Landes gegenüber dem Reich zuständig. Das lässt darauf schließen, dass man für Franken keinen eigenen »Landesverweser« benennen wollte und der »Landesverweser« für Bayern – wahrscheinlich »Herr Fröhlich« – auch Franken in den Beziehungen zum Reich vertreten sollte. Daher wurde jenem »Herrn Fröhlich« auch aufgetragen, einen geeigneten »Landeshauptmann« für Franken selbst zu benennen. Nach den zuvor geführten Verhandlungen dürfte feststehen, dass »Herr Fröhlich« der Deckname für Franz Sperr war, der offenbar zu diesem Zeitpunkt Moltke gegenüber seine Bereitschaft erklärt hatte, als möglicher »Landesverweser« für Gesamtbayern für die Übergangszeit zur Verfügung zu stehen. Tatsächlich benannte Sperr in diesen Wochen eine Art »Landeshauptmann« für Franken.120 Da kurz zuvor den »Kreisauern« mögliche Umsturzpläne bekannt geworden waren, die als frühesten Termin den 13. August nannten121, war es für Moltke wie für den »Sperr-Kreis«, der nun in den »Kreisauer Plänen« für die Neu­ ordnung fest eingeplant war, gleichermaßen wichtig, in engem Kontakt zu bleiben, um bei dem erhofften Umsturzversuch koordiniert vorgehen zu können. Daher war Moltke unmittelbar im Anschluss an die Gespräche in München froh berichten zu können, dass »sie [die »Bayern«: d. Vf.] uns für die nächsten 14 Tage einen ständigen Boten nach Berlin gelegt« haben.122 Da der »Anwalt« Reisert – laut Angaben Yorcks – König nach Berlin begleiten sollte, ist davon auszugehen, dass Reisert dieser Bote war. Als der Umsturz im Osten bis Mitte August nicht stattfand, entschieden die »Kreisauer« eine entsprechende Initiative im Westen zu unternehmen. Offenbar wusste man im »Kreisauer Kreis« bereits, dass man sich dort nur zum Handeln bewegen lassen würde, wenn man gleichzeitig entscheidend gegen das 119 Brief Yorcks [wahrscheinlich an Alfred Delp SJ] (9. August 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 341. 120 Sperr benannte Fritz Schade zu seinem Vertrauensmann für Franken. Vgl. das Kap. VI.3.b über die »Nürnberger Gruppe« des »Sperr-Kreises«. 121 Vgl. Van Roon, Neuordnung, S. 284. Hiernach habe Moltke seinem Verbündeten im Widerstand, Hans Lukaschek, am 10. August 1943 mitgeteilt, dass Hitler gemeinsam mit Göring und Himmler drei Tage später, in seinem ostpreußischen Hauptquartier »Wolfschanze« durch eine zum Umsturz bereite Panzerdivision festgenommen werden würde. Moltke seien dabei Einzelheiten der Umsturzpläne aus dem Umfeld Generaloberst Becks bekannt gewesen. 122 Brief Moltke an Freya (München, 1. August 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 515 f., hier S. 515.

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NS-Regime im Inland vorgehen würde. Daher stellte man, parallel zu Sondierungen, die Adam von Trott zu Solz ab dem 18. August 1943 in Brüssel beim Militärbefehlshaber in Belgien, Alexander von Falkenhausen, unternahm, eine erste Anfrage bei den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« anlässlich eines Treffens in München am 20. August 1943.123 Moltke konnte aufgrund einer Erkrankung nicht an dem Treffen teilnehmen, versprach jedoch, eine Woche später nach München zu kommen.124 Theodor Steltzer erinnerte sich später, dass Moltke ihn mit dem Auftrag nach München geschickt habe, über die »Möglichkeit einer militärischen Unternehmung von Bayern aus gegen den Obersalzberg« Verhandlungen zu führen.125 Allerdings überließ Steltzer, wenn er es überhaupt ansprach, die Überzeugungsarbeit in dieser Angelegenheit Moltke für die kommende Woche. Dies wohl auch deshalb, weil man sich in der Zwischenzeit Informationen von der Westfront erhoffte. Daher drehten sich die Diskussionen, die ohne Moltke stattfanden, hauptsächlich um Sachthemen der »Neuordnung«, wie etwa dem Verhältnis von Staat und Kirche im künftigen deutschen Staat.126 Aus Brüssel nach Berlin zurückgekehrt, berichtete Trott Moltke, was er bei General von Falkenhausen erreicht hatte.127 Der Kopf der »Kreisauer« nahm nun an, dass man im Westen einen Umsturz, wahrscheinlich durch Öffnen der Front, Vorschub leisten werde. Doch dürfte Falkenhausen Trott gegenüber seine Beteiligung am Umsturz erneut an die Bedingung einer gleichzeitig stattfindenden Aktion im Inneren geknüpft haben. Als Moltke endlich am 27. August 1943 in München eintraf, suchte ihn Reisert sogleich in dessen Hotel auf.128 Gemeinsam brach man zu einem Treffen 123 An dem Treffen in München St. Georg nahmen aller Wahrscheinlichkeit nach Reisert, Steltzer und Mierendorff sowie die Jesuitenpatres König, Delp und Rösch teil. Ob auch Sperr und Fugger anwesend waren, kann nicht belegt werden. Nach späteren Angaben Reiserts habe König ihn bereits am 19. August aus Kochel abgeholt (vgl. Abschrift eines Schreiben Reiserts an Familie König (8. Mai 1946), ADPSJ, zit. n. Leugers, Mauer, S. 475, Anm. 444; ein Treffen mit Reisert am 19. August vermerkte König auch in seinem Notizkalender, ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2). 124 Vgl. Briefe Moltkes und Yorcks an König (20. und 21. August 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 342–344. König wurde hierin über die Verhinderung Moltkes informiert und zur Vorbereitung einer Besprechung eine Woche später aufgefordert. Hierzu sollte er Unterhaltungen mit Reisert alias »Korrespondenzanwalt«, Faulhaber alias »Herrn Kardinal« und Sperr alias »Bauer Fr[öhlich]« vorbereiten. 125 Van Roon, Neuordnung, S. 284. Moltke dürfte Steltzer hierzu in einem Telefongespräch am 17. August 1943 aufgefordert haben. Steltzer, der gleichzeitig in Oslo Möglichkeiten eines Umsturzes sondierte, konnte in jenem Gespräch Moltke mitteilen, dass er in dieser Richtung »Fortschritte« erzielt hatte (Brief Moltke an Freya (Berlin, 17. August 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 525). 126 Vgl. hierzu das anschließende Kapitel über programmatische Übereinstimmungen und Differenzen beider Kreise. 127 »Adam hat in Brüssel einen erstaunlichen Erfolg gehabt, finde ich. Jedenfalls viel mehr als ich erwartete […]«, schrieb Moltke seiner Frau (Brief Moltke an Freya (Berlin, 25. August 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 530–532, hier S. 531). 128 Vgl. Brief Moltke an Freya (München, 28. August 1943), in: ebd., S. 532 f.

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auf, das wahrscheinlich bei Pater Rösch in der Pfarrei der Michaelskirche stattfand.129 Hier dürfte Moltke den Männern um Sperr seine Informationen über die Umsturzbereitschaft an der Westfront mitgeteilt haben. Wer außer Reisert und Rösch bei dem Gespräch zugegen war, ist ungewiss. Doch dürfte auch zumindest »Herr Fröhlich«, alias Franz Sperr, den König zu dem Treffen einladen sollte130, an dem Treffen teilgenommen haben. Nach den Besprechungen, die sich bis zum Abend des nächsten Tages erstreckten, reiste Moltke »sehr wohl befriedigt«131 nach Salzburg und Graz weiter, wo er weitere »Landesverweser« gewinnen wollte. In München dürfte er nur noch organisatorische und thematische Fragen erörtert haben. Möglicherweise besprach Moltke mit den Bayern noch einmal die korrigierte Karte, die in der Vorwoche bereits von Steltzer präsentiert worden war.132 Ansonsten dürfte in erster Linie über die veränderte politisch-militärische Lage gesprochen und die Möglichkeiten eines Umsturzes erörtert worden sein. Moltke war lediglich im Besitz der Informationen, die ihm Trott übermittelt hatte. Sperr dürften diese Nachrichten zu vage gewesen sein und Moltke deshalb mitgeteilt haben, dass zunächst Näheres in Erfahrung gebracht werden müsse, wenn man in Bayern in irgendeiner Weise voranschreiten solle. Gleichzeitig dürfte der »Sperr-Kreis« jedoch versprochen haben, ihre Vorbereitungen hinsichtlich des militärischen Flügels der »Auffangbewegung« in Bayern zu intensivieren.133 Nach Berlin zurückgekehrt, sammelte Moltke zugleich seine engsten Vertrauten um sich und besprach mit ihnen seinen »Reisebericht« sowie seine »neue Instruktion für Brüssel«.134 Ob er letztere aus dem Süden mitgebracht hatte, ist unklar. Die Tatsache, dass Moltke erst eine Woche später in den Westen aufbrach, seine Verhandlungen im Süden jedoch unmittelbar zuvor stattgefunden hatten, lässt allerdings vermuten, dass man ihn dort aufgefordert hatte, die Informationen, die Trott aus Brüssel übermittelt hatte, erneut zu verifizieren.

129 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 390. 130 Vgl. Brief Yorcks an König (20. August 1943), in: Bleistein, Dossier, S. 342. 131 Brief Moltke an Freya (München, 28. August 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 532 f., hier S. 533). 132 Reisert konnte sich später erinnern, dass Steltzer einmal eine Deutschlandkarte mitge­ bracht habe (vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier Bl. 116). Im »Kaltenbrunner-Bericht« vom 15. September 1944 heißt es, dass die Karte zu einer Besprechung im August / September mitgebracht worden sei, an der Steltzer nicht teilnahm (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 390). Es könnte sich somit um diese Besprechung am 27./28. August gehandelt haben. 133 Am 4. September 1943 trafen der Generaloberst Franz Halder und Reichsstatthalter Franz von Epp auf Vermittlung des »Sperr-Kreises« zusammen. Eigentlich eine Zusammenkunft, die schon länger geplant war, bekam sie nun durch die Informationen, die man von der Westfront erhalten hatte, zusätzliche Brisanz. Über die Hintergründe dieses Gesprächs informiert das Kap. VIII.3. 134 Brief Moltke an Freya (Berlin, 6. September 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 535 f., hier S. 535.

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Moltke brach am 11. September 1943 nach Brüssel und Paris auf. Nachdem er mehrere Versuche unternommen hatte, mit General von Falkenhausen alleine ins Gespräch zu kommen, gelang es ihm schließlich, ihn zu einer eindeutigen Positionierung zu bewegen.135 Nur wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Berlin musste Moltke am 19. September 1943 geschäftlich ins württembergische Sigmaringen, wohin das Reichsfinanzministerium evakuiert worden war. Er nutzte diese Reise, um erneut Rücksprache mit seinen bayerischen Verbindungsleuten und dem »Sperr-Kreis« zu halten. Bereits seine Hinfahrt unterbrach Moltke in Augsburg, wo er am Morgen des 20. September bei Reisert frühstückte. Angeblich seien hierbei »keine organisatorischen Fragen behandelt« worden. Vielmehr habe man, so Reisert später, »die allgemeine Sachlage nur noch einmal besprochen und die Möglichkeiten erörtert, die sich für die Durchsetzung des Widerstandes ergaben.«136 Auch wenn Reisert an dieser Stelle die Gesprächsinhalte nicht konkreter wiedergab, ist davon auszugehen, dass Moltke ihn bereits über die Kapitulationsbereitschaft des Generals von Falkenhausen in Kenntnis setzte und ihn zur Koordinierung eines gleichzeitigen Umsturzes von Bayern aus mit diesem zusammenbringen wollte. Angeblich sei nämlich für Mitte Oktober 1943 eine Besprechung zwischen Falkenhausen, Moltke und Reisert in Godesberg137 oder Aachen138 geplant gewesen.

135 Euphorisch schrieb Moltke im Anschluss seiner Frau: »Und in 30 Minuten war alles erfolgreich und bestens entschieden; jedenfalls hatte ich genau das erreicht, was ich erreichen wollte. Es war eine merkwürdige Unterhaltung, denn F[alkenhausen] redete so gut wie allein und ganz frei. Es ergab sich, daß er die Brocken, die ich ihm in den drei kurzen Unterhaltungen in Seneffe zugeworfen hatte, bedacht und richtig zusammengesetzt hatte und nun zu einem Entschluss gekommen war« (Brief Moltke an Freya (Paris, 15. September 1943), in: ebd., S. 538–541, hier S. 540). – Anschließend reiste Moltke nach Paris weiter, wo er mit General von Stülpnagel und Caesar von Hofacker zusammentraf. Es ist anzunehmen, dass Moltke in Paris in gleicher Mission unterwegs war, wie in Brüssel. Seiner Frau schrieb er, dass es dort »nichts Besonderes« gab (ebd., S. 541). Ob von Stülpnagel ebenfalls einen »Entschluss« gefasst hatte, muss daher unklar bleiben. Da Moltke jedoch im Anschluss gegenüber dem »Sperr-Kreis« fest von einer Kapitulation der Westfront ausging, ist auch von einer Zusage des Militärbefehlshabers in Paris auszugehen, die dieser jedoch – wie von Falkenhausen – nur unter der Bedingung eines Umsturzes im Inneren gegeben haben dürfte (vgl. hierzu auch Schwerin, »Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt«, S. 320). 136 Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier Bl. 115. – Auch Moltke machte seiner Frau kaum inhaltliche Angaben zu seinem Gespräch mit Reisert: »Was für ein netter Mann das ist. Der würde dir sehr gefallen. Unser Frühstück und die sich daran anschließende Unterhaltung waren überschattet von der Nachricht, daß am Nachmittag wieder 12 Leute hingerichtet werden sollen, von denen er 2 verteidigt hat« (Brief Moltke an Freya (Sigmaringen, 20. September 1943), in: in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 543 f., hier S. 544). 137 Vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (30. Mai 1963), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 118 sowie Aufzeichnung von Dr. Franz Reisert (Juli 1945), NL Reisert (Privatbesitz), S. 1–10, hier S. 9 (Seiten des Manuskripts). 138 Vgl. Anlage I zum Fragebogen der Militärregierung (o. D.), NL Reisert (Privatbesitz).

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Spätestens am darauffolgenden 21. September 1943, als Moltke sich auf der Rückreise von Sigmaringen vier Stunden in München aufhielt, dürfte dieser sich gegenüber Sperr, Reisert, Rösch und König offen für einen Umsturz von Bayern ausgesprochen haben, der als Initialzündung für die von Falkenhausen in Aussicht gestellte Kapitulation an der Westfront dienen sollte.139 Rösch zufolge habe Moltke Sperr »die entscheidende Frage« gestellt, »ob Bayern hierzu bereit sei«. Die Reaktion Sperrs sei äußerst zurückhaltend ausgefallen und dieser habe die Anfrage schließlich deshalb verneint, so Röschs nachträgliche Interpretation, »da die von ihm in Bayern geschaffene Organisation so locker war und praktisch so wenig Mitarbeiter umfasste, dass die Erfolgsaussichten nicht bejaht werden konnte.«140 In der Rückschau betrachteten Reisert und Rösch dieses Gespräch als das Ende der Beziehungen zwischen »Kreisauer Kreis« und »Sperr-Kreis«. Pater Rösch erklärte später sogar, dass Falkenhausen nach der Absage der bayerischen Widerstandsgruppe gleichsam den Willen zur Kapitulation aufgegeben habe, woraufhin Moltke mit den Worten »nun ist alles verloren, nun müssen wir die Dinge treiben lassen’«, reagiert habe.141 Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Sperr tatsächlich bereits Ende September 1943 gegenüber Moltke einen Umsturz in Bayern allein aufgrund seiner pessimistischen Einschätzung der Erfolgsaussichten und mit Rücksicht auf seinen »kleinen« Widerstandskreis grundsätzlich verneint hatte. Ohne Zweifel äußerte Sperr gegenüber Moltke mit Rücksicht auf die Sicherheit Bayerns schärfste Bedenken.142 Doch scheint Rösch später die angeblichen Argumente Sperrs als plausibelste Erklärung vor allem deshalb angeführt zu haben, weil ihm die tatsächlichen Gründe unbekannt waren. Schließlich war er in die weiteren Sondierungen des Widerstandskreises in Bayern, die sich 139 Moltke selbst ging in seinem Schreiben an Freya kaum auf die vierstündige Besprechung in München ein: »In München hatte ich 4 Stunden Zeit und traf mich mit dem Augsburger Anwalt und Rösch. Was für nette und gute Menschen das sind. Tröstliches wussten sie auch nicht zu erzählen, aber immerhin ist man bei ihnen so ausgesprochen geborgen« (Brief Moltke an Freya (Berlin, 22. September 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 546 f., hier S. 546). Dagegen bezog sich Moltkes Mitteilung an Freya vom 20. September »Gestern nachmittag sind wir ganz nett weitergekommen« (Brief Moltke an Freya (Sigmaringen, 20. September 1943), in: ebd., S. 543 f., hier S. 544) nicht auf das Gespräch mit Sperr in München, welches erst am nächsten Tag stattfinden sollte. Einen solchen Bezug leitet allerdings eine neuere Monographie über den »Kreisauer Kreis« her (vgl. Philippi, Genese, S. 323, Anm. 1885). 140 Aktennotiz von Petzolt (SpK, 28.11.47), IfZ, ZS / A 4/5, Bl. 200 f., hier Bl. 201. 141 Ebd. 142 Reisert berichtete retrospektiv, Sperr habe »überzeugend« nachgewiesen, dass »ein solcher Aufstand einer totalen Vernichtung Bayerns gleichkäme, da er nicht daran zweifelte, daß Hitler unter Anwendung aller Machtmittel, insbesondere unter Einsatz von Fliegern einen solchen Versuch mit blutiger Hand unterdrücken würde und daß den Bayern damit die Rolle der Vendée in der französischen Revolution zugemutet würde« (Vortrag des RA. Dr. Franz Reisert, Augsburg, über das Thema: Bayern im Deutschen Widerstand und Franz Sperr. Gehalten am Sonntag, den 27.1.52 im Restaurant Holzmüller in München (Manuskript), S. 1–20, hier S. 15, NL Reisert (Privatbesitz)).

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mit der Frage der Möglichkeit eines Umsturzes von Bayern aus beschäftigten, nicht involviert.143 Auch Reiserts widersprüchliche Angaben in der Rückschau, warum ein angeblich geplantes Treffen zwischen Falkenhausen, Moltke und ihm im Oktober 1943 nicht mehr stattgefunden habe144, legen die Vermutung nahe, dass man in dem Gespräch mit Moltke Ende September 1943 zwar die anvisierten Pläne Falkenhausens und Moltkes zum damaligen Zeitpunkt und mit damaligem Informationsstand verworfen, jedoch eine mögliche Beteiligung an einem Umsturz unter bestimmten Voraussetzungen nicht gänzlich ausgeschlossen hatte. Warum sollte man sich sonst überhaupt auf ein Treffen mit Falkenhausen eingelassen haben? Tatsächlich scheint man sich in diesen Tagen in München auf zwei Wege verständigt zu haben, um eine Entscheidung in der Frage der Beteiligung Bayerns an einem Umsturz herbeizuführen: Erstens wollten sich die Männer um Sperr so rasch wie möglich selbst eingehend über die Ernsthaftigkeit der Umsturzbereitschaft der hohen Offiziere an der Westfront sowie über die Möglichkeiten der Unterstützung einer Aktion durch das Heimatheer informieren. Zweitens erhielt Reisert offenbar erst jetzt den »Auftrag«145, gemeinsam mit Moltke nach Godesberg zu Falkenhausen zu fahren, um sich dort ein eigenes Bild zu machen sowie ein mögliches weiteres Vorgehen abzustimmen. Dass es letztlich nicht zu diesem Treffen kam und auch die in dieser Form stattfindende Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis« ein vorrübergehendes Ende fand, dürfte schließlich im Zusammenhang mit einem Gespräch des »Sperr-Kreises« mit Generaloberst Franz Halder am 4. Oktober 1943 in München gestanden haben, in dem unter anderem die Umsturzbereitschaft der Militärs an der Westfront diskutiert 143 Auch scheint es so, als habe Rösch von der Haltung Sperrs erst im Berliner Gefängnis nach dem 20. Juli 1944 gehört und daraus nachträglich seine Schüsse gezogen: »Ich habe auch späterhin in der Zeit meines Aufenthaltes in Berlin in der Lehrter Strasse erfahren, dass Gesandter Sperr die Zeit damals für noch nicht gekommen erachtete und immer wieder zum Ausdruck brachte, dass er und seine Freunde in Bayern selbständig handeln und nach bayerischen Rücksichten vorangehen würden. Selbstverständlich war er aber bereit, in diesem Sinne mit den übrigen führenden Widerstandsgruppen zusammen zu gehen« (Bericht Augustin Röschs (26. September 1947), IfZ, ZS / A 4/5, Bl. 199). 144 Reisert schrieb im Juli 1945 zunächst, dass die Zusammenkunft mit General von Falkenhausen unterbleiben musste »durch die Entwicklung, die die Dinge in der Folge nahmen«, und verwies in diesem Zusammenhang auf die Verhaftung Moltkes im Januar 1944 (Aufzeichnung von Dr. Franz Reisert (Juli 1945), NL Reisert (Privatbesitz), S. 1–10, hier S. 9 (Seiten des Manuskripts). Später fand Reisert eine andere Erklärung: Die Unterredung habe nicht stattgefunden, »weil der Generalstabschef des Generals von Falkenhausen [Bodo von Harbou: d. Vf.] Selbstmord verübte, als er von der Gestapo verhaftet werden sollte und von Falkenhausen bei dieser Gelegenheit erfuhr, daß auch er von der Gestapo beschattet war« (Franz Reisert an Ger van Roon (30. Mai 1963), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 118). Doch auch diese Behauptung dürfte Reisert später lediglich dazu gedient haben, die tatsächlichen Gründe für das Nicht-Zustandekommen des Treffens zu verschleiern. Denn Verhaftung und Selbstmord von Harbous ereigneten sich erst Mitte / Ende Dezember 1943. 145 Aufzeichnung von Dr. Franz Reisert (Juli 1945), NL Reisert (Privatbesitz), S. 1–10, hier S. 9 (Seiten des Manuskripts).

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wurde.146 Allerdings sollten die Kontakte zwischen beiden Kreisen sogar nach der Verhaftung Helmuth James Graf von Moltkes bestehen bleiben.147 In dem Maße, wie einzelne Mitglieder des »Kreisauer Kreises« näher an die Gruppe um Stauffenberg und die Attentäter vom 20. Juli 1944 heranrückten, geriet auch der Widerstandskreis um Sperr in deren Blickfeld und gewann an Relevanz für die Umsetzung der Umsturzpläne.148 Fest steht, dass die Initiative für die Gespräche zwischen »Sperr-Kreis« und »Kreisauer Kreis« eindeutig von Seiten der »Kreisauer« ausging. Moltke und seine Mitstreiter gingen nach der zweiten »Kreisauer Tagung« vom Oktober 1942 dazu über, ihre theoretischen Planungen in die Praxis umzusetzen. Dabei standen sie zunehmend unter Zeitdruck. Die Kriegslage veränderte sich um die Jahreswende 1942/43 gravierend, so dass eine militärische Niederlage Deutschlands immer wahrscheinlicher wurde. Zusätzlich erreichten die »Kreisauer« ab diesem Zeitpunkt immer wieder Hinweise auf mögliche Attentatspläne, die – sollten sie erfolgreich in die Tat umgesetzt werden – eine kurzfristige Umsetzung der Neuordnungspläne erforderlich machen würden. Darüber hinaus ging es vermutlich um einen Richtungsstreit. Etwa um die gleiche Zeit nahm Goerdeler Kontakt mit bayerischen Persönlichkeiten auf, um sie für seine Pläne zu gewinnen. Aus den »Briefen an Freya« wird deutlich, dass es für Moltke im Konflikt mit der Gruppe um Goerdeler um einen weltanschaulichen Wettstreit ging149 und darum, wer wen auf seiner Seite wusste.150 Womöglich erfuhr Moltke von den Münchener Kontakten Goerdelers, über die er nicht erfreut gewesen sein dürfte. Politisch stand der »Sperr-Kreis« zwischen den teilweise obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen des »Goerdeler-Kreises« und dem für politische und wirtschaftliche Gleichheit eintretenden »Kreisauer Kreis«. In Bezug auf Goerdeler wurden bereits die inhaltlichen Differenzen erwähnt. Interessant erscheint die Tatsache, dass die Mitglieder des »Sperr-Kreis« auch für die »Kreisauer« nicht bloß mögliche Kandidaten für die Übernahme von Posten, etwa den des »Landesverwesers«, waren, sondern man auch mit ihnen inhaltliche Fragen, unter anderem die künftige Wirtschaftsordnung und das Verhältnis von Staat und Kirche erörterten.

146 Vgl. hierzu Kap. VIII.3. 147 Der Notizkalender Königs belegt Treffen mit Reisert am 29. März und 13. Juni 1944 (vgl. ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2). 148 Vgl. hierzu das Kap. VIII.4 über das Treffen Sperrs mit Stauffenberg. 149 So auch Brakelmann, Helmuth James von Moltke 1907–1945, S. 236 f. 150 Zwischen »Kreisauer Kreis« und Goerdeler-Kreis schwankende Persönlichkeiten waren etwa Wilhelm Leuschner und Carlo Mierendorff, was aus diversen Briefen Moltkes an seine Frau herauszulesen ist.

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Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

b) Inhaltliche Überschneidungen und Differenzen Ein Vergleich der inhaltlichen Ausrichtung beider Kreise ist unlängst von Horst Möller vorgenommen worden.151 Als wohl wichtigste Gemeinsamkeit machte er zutreffend aus, dass beide Kreise »zumindest anfangs nicht auf ein Attentat ausgerichtet« waren.152 Weiter nannte Möller »ethische Motive und rechtsstaatliches Ideal« sowie den überwiegend christlichen Glauben als handlungsleitende Übereinstimmungen.153 Neben der bereits festgehaltenen Differenz hinsichtlich der künftigen Rolle und Gestalt Bayerns, erkannte Möller Unterschiede in wirtschaftspolitischer Hinsicht, indem er erklärte, dass Moltke »eher zu einem freiheitlichen Sozialismus, Sperr eher zur liberalen, kapitalistischen Marktwirtschaft« tendierte.154 Damit wurden tatsächlich bereits die wesentlichen Merkmale im Vergleich beider Widerstandskreise benannt. Allerdings lassen sich die Differenzen, die in den Gesprächen zwischen beiden Kreisen offensichtlich wurden, noch konkretisieren und teilweise ergänzen. Franz Reisert hob nach dem Krieg zum einen die unterschiedliche personelle Zusammensetzung der Kreise als Hindernis für erfolgreiche Verhandlungen hervor. Demnach habe der Jesuitenprovinzial Augustin Rösch SJ  – laut Reisert ein »realistisch denkender Politiker«  – als Korrektiv wirken müssen, wenn »allzu stürmische Jugend mit übertriebenen Hoffnungen die dem Widerstand gegebenen Möglichkeiten überschätzten«.155 Tatsächlich lag ein deutlicher Altersunterschied zwischen den führenden Köpfen der beiden Kreise vor: Während Sperr, Jahrgang 1878, im Bismarck-Reich und Königreich Bayern aufgewachsen war und als Offizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, hatte Moltke, Jahrgang 1907, den Krieg lediglich als Kind miterlebt und war in der Weimarer Republik politisch sozialisiert worden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die fast 30 Jahre größere Lebenserfahrung und die Berliner Diplomaten-Karriere Sperrs Moltke von vornherein skeptisch machten.156 Im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Vorstellungen beider Kreise zeigten sich im Verlauf der gemeinsamen Gespräche tatsächlich deutliche Unterschiede. Franz Reisert bezeichnete Moltke später als Vertreter eines »nicht-marxistischen Sozialismus« englischer Prägung, während seiner Ansicht nach Sperr 151 Vgl. Möller, Franz Sperr, S. 705–714. 152 Ebd., S. 711. 153 Ebd., S. 712. 154 Ebd. 155 Franz Reisert an Provinzial zum Tode von Pater Rösch (10. November 1961), ADPSJ, 52 – Nr. 374. 156 Schließlich hielt Moltke bisweilen wenig von früheren, hochrangigen staatlichen oder lokalen Beamten und Politikern, die er gerne als »Exzellenzen« und »Honoratioren« bezeichnete und deren teilweise reaktionären Zielsetzungen er brandmarkte. Bestes Beispiel ist hierfür Moltkes angespanntes Verhältnis zu Carl Goerdeler, das sich in seinen Briefen an seine Frau niederschlägt (vgl. diverse Briefe aus dem Jahr 1943).

Die Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis« 

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»Anhänger einer liberalen kapitalistischen Wirtschaftsauffassung« war.157 Mit dieser groben Aufteilung lag Reisert sicherlich nicht ganz falsch. Die Wirtschaftsauffassung der »Kreisauer«158 wiesen durchaus planwirtschaftliche und sozialistische Tendenzen auf, während der »Beauftragte für künftige Wirtschaftsfragen« innerhalb des »Sperr-Kreises«, Eduard Hamm, konsequent einen Mittelweg zwischen staatlich gelenkter Planwirtschaft und schrankenlosem Kapitalismus suchte. Die Männer um Moltke verstanden nach Brakelmann die Wirtschaft als ein »Instrument« des Staates, »das er politisch-kreativ einsetzt, um die Staatsziele zu erreichen: ein Gemeinwesen, das von personaler Freiheit und sozialer Gerechtigkeit lebt«.159 Moltkes Ziel eines Sozialstaats sei nach Reisert so weit gegangen, dass Grund und Boden Staatseigentum werden sollten. Diese Auffassung sei sowohl von Sperr als auch von Reisert bekämpft worden.160 Im bayerischen »Sperr-Kreis« hingegen wollten die führenden Wirtschaftsfachleute um Hamm, Helfrich und Decker zwar die Errungenschaften des Sozialstaatsprinzips wieder etablieren, jedoch der Wirtschaft deutlich mehr Vertrauen entgegenbringen, dass sie im eigenen Interesse für faire Löhne und Arbeitsbedingungen sorge, und ihr daher lediglich einen Ordnungsrahmen auferlegen. Auch über das künftige Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland ergaben sich Differenzen. In den Gesprächen mit den Mitgliedern des »Krei­ sauer Kreises« setzten sich die Männer um Sperr unter anderem mit der Frage eines säkularisierten oder christlichen Deutschlands auseinander. Der Gewerkschaftler Carlo Mierendorff habe den »christliche[n] Charakter des künftigen Reiches als unverzichtbare Bedingung für den Neuaufbau des Staates verlangt« sowie »die Wahrung der Interessen der Kirche im Sinne des abgeschlossenen Konkordates«.161 Franz Reisert will sich dagegen gegen eine »rein christliche« Widerstandsbewegung ausgesprochen haben. Obwohl selbst tief gläubiger Katholik, vertrat er den liberalen Standpunkt, der innerhalb des bürgerlich, liberalkonservativen »Sperr-Kreises« überwiegend vertreten worden sein dürfte, »dass sehr viele Nichtchristen aus ihrer abendländischen humanen Einstellung heraus zwar mit dem Grundgedanken der Widerstandsbewegung einig wären, sich aber nicht irgendwie religiös oder konfessionell festlegen lassen wollten«. Laut Reisert sei daher die Grundüberzeugung der bayerischen Widerstandsgruppe »die Wiederherstellung einer echten deutschen Staatsverfassung« gewesen, allerdings »auf Grund liberaler Grundsätze« und ausdrücklich »nicht konfessionell gebunden«. Die Rechte der Kirche sollten dennoch unbedingt gewahrt bleiben. Trotz der Uneinigkeit in wirtschaftspolitischen und religiösen Fragen sowie anderen Sachthemenkomplexen bestand Einigkeit in der grundsätzlichen Ab157 Reisert: Bayern im Deutschen Widerstand und Franz Sperr, S. 14, NL Reisert (Privatbesitz). 158 Vgl. Brakelmann, Wirtschaftsauffassung, S. 139–145. 159 Ebd., S. 144. 160 Vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 113–117, hier Bl. 116. 161 Ebd. Hierher stammen auch die folgenden Zitate dieses Absatzes.

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lehnung des NS-Regimes. Das Ende des Unrechtsstaates und des unmenschlichen Krieges sowie die Rückkehr zu rechtstaatlichen Verhältnissen und Frieden in Europa schrieben sich beide Kreise als Hauptziele auf die Fahnen. Dies war Grundlage genug, um trotz Meinungsverschiedenheiten in durchaus wichtigen Bereichen nicht den Abbruch der Gespräche herbeizuführen. Selbst wenn sich der »Sperr-Kreis« tatsächlich – wie oben ausgeführt – dem Anliegen der »preußischen Militärs« verweigerte, mit einem Aufstand in Bayern voranzuschreiten, und auch der Überlegung der »Kreisauer«, Bayern aufzuteilen, deutlich widersprach, scheint der Kontakt zwischen beiden Kreisen nie aufgehört zu haben.162 Sowohl der »Kreisauer Kreis« als auch der »Sperr-Kreis« zeichneten sich durch ein außerordentlich hohes Verantwortungsbewusstsein aus, das die Arbeit an einer Zeit »Danach« über persönliche Interessen und Befindlichkeiten stellte. Die Männer um Sperr richteten ihr Hauptaugenmerk zwar auf die staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Neuordnung in Bayern, und traten entsprechend in den Verhandlungen mit den »Kreisauern« als Bewahrer bayerischer Interessen auf. Sie verschlossen jedoch niemals die Augen vor der gesamtstaatlichen Entwicklung im Reich. c) Schriftliche Ausarbeitungen für den »Kreisauer Kreis«? Roman Bleistein hat bei der Zusammenstellung der Kreisauer Dokumente die Vermutung angestellt, dass Sperr im Juni 1942 einen »Kommentar zum deutschen Verfassungsproblem« verfasst und dem »Kreisauer Kreis« zur Verfügung gestellt haben könnte.163 An anderer Stelle wurde diese Annahme als gegebene Tatsache aufgefasst.164 Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich der »Sperr-Kreis« somit auch schriftlich an den Arbeiten des »Kreisauer Kreises« und den Vorarbeiten für die »Kreisauer Tagungen« beteiligte, erscheint deshalb zwingend erforderlich. Im Hinblick auf das oben genannte Dokument lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Franz Sperr als sein Verfasser ausschließen. Die Kontakte zwischen Sperr und den einzelnen Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« entstanden erst im Verlauf des Jahres 1943. Neben diesem zeitlichen Widerspruch ist zudem aus den Quellen, die über die wenigen Gespräche mit den »Kreisauern« 1943 Auskunft geben, keinesfalls ersichtlich, dass es Sperr vorrangig um Einflussnahme auf die zukünftige Ausgestaltung des Wahlsystems in Deutschland ging. Hierauf nimmt jedoch das erwähnte Dokument nahezu ausschließlich Bezug.165

162 Vgl. hierzu das Kap. VIII.4. 163 Bleistein, Dossier, S. 216–224, hier S. 216. 164 Vgl. Karpen, Deutschland und Europa, S. 45–65, hier S. 55. 165 Da Sperr als Verfasser ausgeschlossen wird, soll sich an dieser Stelle nicht näher mit dem Dokument befasst werden.

Die Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis« 

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Aus den Reihen des »Sperr-Kreises« stand der Augsburger Rechtsanwalt Franz Reisert am frühesten und engsten mit dem »Kreisauer Kreis« in Kontakt. Tatsächlich gibt es Hinweise, die auf eine deutlich engere Zusammenarbeit Reiserts mit der Gruppe um Moltke schließen lassen, als bisher angenommen.166 Aufgrund der engen Freundschaft und weitgehenden Übereinstimmung in politischen Fragen bat Alfred Delp SJ Reisert im Sommer 1943 darum, für die ­»Kreisauer« eine »Verfahrensordnung […] für die Verbrechen der Deutschen in den besetzten Ländern« zu verfassen.167 Reisert erinnerte sich Jahre später, dass er eine Schrift ausgearbeitet habe, die von Delp maschinenschriftlich abgetippt und zu Besprechungen im »Kreisauer Kreis« mitgenommen worden sei. Was mit seiner Schrift anschließend passiert sei, konnte er nicht sagen. Auch nur wenige Einzelheiten über den Inhalt waren Reisert noch bekannt. Demnach habe er die Einrichtung von Sondergerichten in den besetzten Ländern gefordert, die »mit einem neutralen Vorsitzenden, drei Richtern aus besetzten Ländern, drei deutschen Juristen und mit einem neutralen Staatsanwalt als Ankläger« ausgestattet werden sollten. Was die Rechtsgrundlage betraf, sei Reisert der Meinung Delps gefolgt, dass es nur konsequent sei, das nationalsozialistische »Kriegssonderstrafrecht« anzuwenden, um »das verbrecherische Tun der Nazis nach ihrem eigenen Strafrecht« zu beurteilen. Berufung sollte derweil beim Haager Gerichtshof möglich sein. Wenn man die wenigen, jedoch grundlegenden Einzelheiten, an die sich Reisert noch erinnerte, mit den Schriften abgleicht, die im Umfeld des »Krei­ sauer Kreises« entstanden und Jahrzehnte nach Kriegsende in das von Bleistein herausgegebene »Dossier: Kreisauer Kreis« einflossen, so lassen sich deutliche Ähnlichkeiten mit einem Dokument feststellen, dass Bleistein in Anlehnung an den ersten Satz des Schriftstücks mit der Überschrift »Wiederherstellung der gebrochenen Rechtsordnung« versah.168 Die Autorenschaft schrieb er »mit großer Wahrscheinlichkeit« Paulus von Husen zu und berief sich dabei auf Nachkriegsaufzeichnungen Eugen Gerstenmaiers.169 166 In den einschlägigen Forschungsarbeiten zum »Kreisauer Kreis« taucht Reisert bisher nur als Randfigur in Erscheinung. Dies wohl nicht ganz zu Unrecht, weil er schließlich an keiner der »Kreisauer Tagungen« persönlich teilnahm. Dass Reisert zum »Kern« des »Krei­ sauer Kreises« zählte, kann tatsächlich ausgeschlossen werden, obwohl ein führendes Mitglied der »Kreisauer«, Theodor Steltzer, dies nach dem Krieg erklärte (vgl. Theodor Steltzer an Walter Hammer (11. Oktober 1954), IfZ, ED 106/42, Bl. 77). Dennoch scheint Reisert nicht nur wegen seiner Beziehungen zum »Sperr-Kreis« für die »Kreisauer« interessant gewesen zu sein, sondern auch aufgrund seiner juristischen Expertise. Dies zeigen die folgenden Bemerkungen. 167 Auskünfte Reiserts gegenüber Ger van Roon (Augsburg, 29. Juli 1961), IfZ, ZS / A 18/14, Bl. 140–141, hier Bl. 141. Hierher stammen auch die folgenden Zitate dieses Abschnitts. 168 Vgl. Bleistein, Dossier, S. 296–299. 169 Gerstenmaier erinnerte sich Jahrzehnte später an die dritte »Kreisauer Tagung« Pfingsten 1943. Auf dieser habe Husen seine Vorschläge für die »Bestrafung von Rechtsschändern« entwickelt (vgl. Gerstenmaier, Streit und Friede, S. 165 u. 171).

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Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

Husen galt in den Reihen der »Kreisauer« als hervorragender Jurist, dem die Aufgabe zugefallen war, sich dem Komplex der Nachkriegsjustiz zu widmen.170 Allerdings lassen die Angaben Reiserts darauf schließen, dass zumindest das von Bleistein als »Vorentwurf« bezeichnete Schriftstück aus der Feder des Augsburger Rechtsanwalts stammte, während spätere ausführlichere Dokumente eher Husen zuzuordnen sind, der schließlich auf der dritten »Kreisauer Tagung« über die mögliche »Bestrafung von Rechtsschändern« referierte.171 Schließlich tauchen im Dokument »Wiederherstellung der gebrochenen Rechtsordnung« nahezu alle von Reisert erwähnten Punkte auf, wenn auch teilweise in leicht abgewandelter Form: Ausdrücklich ist die Rede von Sondergerichten, die sich aus einem neutralen Vorsitzer sowie vier Beisitzern zusammensetzen sollten, von denen zwei Angehörige desjenigen Staates sein sollten, dem der Angeklagte angehöre, während die beiden anderen Angehörige desjenigen Staates sein sollten, in dem das Verbrechen verübt worden sei. Der Ankläger solle wie in Reiserts Entwurf ebenfalls einem neutralen Staat angehören. Unter Punkt III. des Dokuments wird außerdem empfohlen, dass das deutsche Strafgesetzbuch bzw. das deutsche Militärstrafrecht Anwendung finden solle.172 Einzig die Berufung vor dem Haager Gerichtshof taucht an dieser Stelle nicht auf; dafür jedoch in den späteren Husen zuzuordnenden Fassungen.173 Es spricht daher vieles dafür, dass das Dokument im Nachlass Lothar Königs das von Franz Reisert auf Wunsch Alfred Delps erstellte Schriftstück ist.174 Es erscheint durchaus möglich, dass sowohl Husen als auch Reisert beauftragt wurden, entsprechende Vorarbeiten für den juristischen Umgang mit den deutschen Verbrechen in den besetzten Gebieten zu treffen. Doch nur Husen trug seine Vorschläge auf der »Kreisauer Tagung« im Juni 1943 vor und nur seine Vorschläge scheinen abschließend von den »Kreisauern« verabschiedet bzw. überarbeitet worden zu sein.175 Über die Gründe, warum Reiserts Text nicht in

170 Zu Husen vgl. Schindler, Paulus von Husen. 171 Vgl. Gerstenmaier, Streit und Friede, S. 165 u. 171. Das entsprechende Dokument findet sich bei Bleistein, Dossier, S. 302–305. 172 Vgl. ebd., S. 298 f. 173 Die Schriftstücke tragen den Titel »Deutsche Beteiligung an der Bestrafung für Schandtaten« und »Instruktionen für Verhandlungen über die Bestrafung von Rechtsschändern durch die Völkergemeinschaft« (vgl. ebd., S. 306–309 bzw. 310–314). Die Provenienz dieser zwei Dokumente sowie des zuvor erwähnten Schriftstücks »Bestrafung von Rechtsschändern« diskutiert auch Frank Schindler, der ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass alle drei Dokumente von Husen stammen (vgl. Schindler, Paulus von Husen, S. 51). Was das Schriftstück »Wiederherstellung der gebrochenen Rechtsordnung« spricht sich auch Schindler eindeutig gegen eine Autorenschaft Husens aus, da sich dessen »endgültiger Entwurf gänzlich anders gestaltete« (ebd., S. 54). 174 Zu Recht weist Schindler darauf hin, dass der Entwurf von anderer Seite in den Nachlass Königs gelangt sein muss, als über Paulus von Husen, wobei er Spekulationen über die Tatsächliche Urheberschaft unterlässt (vgl. ebd., S. 55). 175 Vgl. ebd., S. 49–55.

Die Verbindung zu Franz Halder 

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die Kreisauer Texte miteinfloss und er an entsprechenden Beratungen nicht teilnahm, lässt sich nur spekulieren.176 Dennoch erscheint die Existenz eines solchen Schriftstücks aus den Reihen des »Sperr-Kreises« im Nachlass Lothar Königs sehr aufschlussreich und weist auf die enge Verknüpfung beider Kreise hin, vor allem durch das freundschaftliche Verhältnis Reisert / Delp.

3. Die Verbindung zu Franz Halder Am 4. Oktober 1943 kam es zu einem Zusammentreffen zwischen Franz Sperr, zwei seiner militärischen Vertrauensleute und dem ehemaligen Generalstabchef des Heeres, Generaloberst Franz Halder in München. Bereits das Datum der Zusammenkunft legt die Vermutung nahe, dass zwischen diesem Gespräch und der Begegnung mit Helmuth James Graf von Moltke am 21. September 1943 ein Zusammenhang bestand. Halder war knapp ein Jahr zuvor nach einer Auseinandersetzung mit Hitler seines Postens enthoben und in die Führerreserve versetzt worden. Seine Rolle als Generalstabschef des Heeres ist bis heute nicht unumstritten.177 Schon vor seinem Amtsantritt als Generalstabschef im September 1938 hatte er die kriegerischen Absichten Hitlers erkannt und sich gemeinsam mit seinem Vorgänger, dem Generaloberst Ludwig Beck, und anderen darum bemüht, dessen Treiben ein Ende zu setzen. Bis ins Frühjahr 1940 sollte Halder diese Haltung auch in führender militärischer Funktion aufrechterhalten, wenn er auch ein mögliches Handeln seinerseits immer an Bedingungen knüpfte und sein Status daher wankend blieb, was nicht zuletzt Joseph Wirth in der Schweiz bitter und Otto Geßler mit teilweisem Verständnis zur Kenntnis nehmen mussten.178 Mit dem Einmarsch in Norwegen, dem Angriff auf Holland und Belgien und nicht zuletzt dem raschen Sieg über Frankreich war die Entscheidung im Westen gefallen. Bei all diesen Unternehmungen hatte Halder Hitler gegenüber seine Bedenken zum Ausdruck gebracht. Der militärische Erfolg gab allerdings dem Diktator recht und stellte zugleich Halders militärische Kompetenz derart in Frage, dass 176 Neben der Möglichkeit, dass sowohl Reisert als auch Husen Vorschläge im Vorfeld der »Kreisauer Tagung« unterbreiten sollten, wäre es möglich, dass Reisert seinen Text erst nach der »Kreisauer Tagung« verfasste. Offenbar hatten die Ausführungen Husens zu einigen Diskussionen geführt, da sich eine grundlegende Überarbeitung seines Entwurfs der Tagung anschloss (vgl. ebd., S. 51). Womöglich hatte man darüber nachgedacht, auf Reisert auszuweichen, falls man mit Husens Vorschlägen nicht weiter kam. Doch konnte man sich letztlich offenbar auf eine zufriedenstellende Fassung verständigen, weshalb ein Rückgriff auf Reiserts Vorschlag nicht mehr nötig erschien. 177 Zu Halders Rolle als Generalstabschef des Heeres immer noch maßgeblich: Hartmann, Halder. Wenn nicht anders vermerkt, beziehen sich die folgenden Ausführungen dieses Absatzes auf dieses Werk. 178 Vgl. das Kap. VII.1.b.

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bei diesem in gewisser Weise ein Umdenken einsetzte. Seine Militärkarriere erhielt von nun an für ihn Vorrang. Halder bemühte sich in der Folgezeit nach allen Regeln der militärischen Kunst, nicht bei Hitler in Ungnade zu fallen. In exponierter Stellung bereitete er folgerichtig die Operation »Barbarossa«, den Angriff auf die Sowjetunion, vor und trug in diesem Zusammenhang auch für die Massenverbrechen im Osten eine Mitverantwortung.179 Erst »als alle wesentlichen Entscheidungen in der deutschen Strategie des Zweiten Weltkriegs bereits gefallen waren«, zog Halder die Konsequenz aus seinem zuvor selbst vermiedenen Gewissenskonflikt.180 Philipp Schubert erklärte in einem nach Kriegsende verfassten Bericht, der als Entlastung für Franz Halder in dessen Spruchkammerverfahren dienen sollte, dass sich der »von Sperr mitgebrachte milit[ärische] Leiter der Bewegung Herrgott« als »ungeeignet« erwiesen, man sich daher auf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten gemacht und sich schließlich für Halder entschieden habe.181 Dass man Herrgott austauschen wollte, scheint Tatsache zu sein. Darüber, wie man zu dieser Erkenntnis gelangte, lässt sich nur spekulieren. Einerseits könnte das fortgeschrittene Alter und sein Gesundheitszustand eine Rolle gespielt haben. Wenn man Herrgotts Temperament bedenkt, welches er 1918/19 während seiner Dienstzeit in München an den Tag legte, könnte man andererseits aber auch vermuten, dass es zwischen ihm und Sperr zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sein könnte. Sperrs Witwe Gertraud äußerte sich Jahre nach Kriegsende dahingehend, man habe Herrgott nicht mehr vertrauen können, da dieser Namen aufgeschrieben habe.182 Schubert vermittelte allerdings den Eindruck, als hätten Sperr und er die Eignung Herrgotts, die an ihn zu übertragenden Aufgaben zu erfüllen, bereits in den ersten Gesprächen, also Ende 1942 bzw. Anfang 1943, in Frage gestellt, weshalb man sich über mögliche neue Kandidaten unterhalten habe. Zur Debatte standen demnach bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die beiden im Ruhestand

179 Wenn Halder auch gewillt war, sein Gewissen rein zu halten, indem er strikt zwischen militärischen und politisch-ideologischen Dingen unterschied und erklärte, dass letztere nicht in seinen Aufgabenbereich fielen, und er im Notfall andere zur Erledigung solcher Aufgaben voranschickte, gilt unbedingt das Urteil Ulrich von Hassells, der zu Recht darauf verwies, dass sich führende Militärs, zu denen Halder ohne Zweifel zählte, nicht auf militärischen Gehorsam berufen konnten, um ihr jeweiliges Handeln bzw. Nicht-Handeln zu rechtfertigen. »Der preußische Gehorsam« müsse laut Hassell im Januar 1940 in der militärischen Führung eigentlich »durch eigenes Urteil und politische Verantwortung ergänzt werden«. Doch das Gegenteil sei der Fall: »Diese Generale, die Regierungen stürzen wollen, verlangen deren Befehl, um zu handeln!!« (Tagebucheintrag Hassell (28. Januar 1940), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 158–163, hier S. 161). 180 Hartmann, Halder, S. 434. 181 Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 5. 182 Dies habe Gertraud Sperr Anfang der 1970er Jahre gegenüber der Historikerin Elke Fröhlich erklärt (Gespräch mit Dr. Elke Fröhlich (München, 19. Januar 2012)).

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befindlichen Generalobersten Wilhelm Adam und Franz Halder. Schubert, der nach eigenem Bekunden beide Generäle »so gut kannte, um an sie herantreten zu können«, habe dann, nachdem sich Sperr für Halder ausgesprochen hatte, sogleich persönlich die »Betreuung« Halders »mit Kraftwagen durch die Div[ision]« übernommen.183 In wiederholten Aussprachen habe Schubert die »nazifeindliche Einstellung« des früheren Generalstabschefs des Heeres feststellen können, sei von ihm sogar über dessen Berliner Verbindungen informiert und mit seinem dortigen Vertrauensmann Oberst Rohowsky bekannt gemacht worden. Der Bitte Sperrs, sich mit ihm zu treffen, habe Halder auf der Stelle entsprochen.184 Doch dürfte sich dieser Prozess tatsächlich komplexer dargestellt haben, als ihn ­Schubert in seinen Erklärungen für Halder bei dessen Spruchkammerverhandlung beschrieben hatte. Zunächst dürfte General Adolf Herrgott länger als von Schubert beschrieben, als vorgesehener militärischer Leiter des »Sperr-Kreises« aktiv gewesen sein. Denn bei dem bereits erwähnten Treffen mit den späteren Leitern der »Freiheitsaktion Bayern« im Sommer 1943 war nach Angaben Gerngroß’ außer Sperr nur noch General Herrgott anwesend gewesen.185 Warum hätte Herrgott an dieser wegweisenden Besprechung, die genau in seinen Aufgabenbereich als militärischer Führer des bayerischen Widerstandskreises in Bayern fiel, teilnehmen sollen, wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits als »ungeeignet« erkannt worden wäre und man sich stattdessen für den Generaloberst Halder entschieden hätte? Die Annäherung an Halder vollzog sich tatsächlich weitaus langwieriger, als Schubert es nach Kriegsende darstellte. Mehr noch: Es scheint so, als habe man den früheren Generalstabschef des Heeres zunächst lediglich als Mittelsmann angesehen, um einen anderen General für den Widerstandskreis zu gewinnen: Mit dem Reichsstatthalter von Bayern, General Franz Ritter von Epp, hätte man nicht nur eine in bayerischen Wehrmachtskreisen angesehene Persönlichkeit hinter sich sammeln, sondern gleichzeitig auch Einblick in die Strukturen der bayerischen NSDAP gewinnen können. Es war Philipp Schubert, der in Zusammenarbeit mit Caracciola-Delbrück für den »Sperr-Kreis« Kontakt zu Reichsstatthalter Epp knüpfte. Als Caracciola im Frühjahr 1943 den Posten des Verbindungsoffiziers bei Epp übernahm, erhielt dieser tieferen Einblick in das Parteigeschehen und bekam zusätzliches Nachrichtenmaterial zu Gesicht.186 Außerdem schien nun die Möglichkeit in greifbarer Nähe, den in seiner Haltung zum Nationalsozialismus ohnehin labilen General für die Gegenseite zu gewinnen.

183 Eidesstattliche Erklärung Dr. Philipp Schuberts gegenüber Rechtsanwalt Dr. Laternser (München, 1. Mai 1946), IfZ, ZS 391, Bl. 9. 184 Vgl. ebd. 185 Vgl. Rupprecht Gerngross an Ernst Falkner (München, 5. Januar 1948), StAM, SpkA K 387: Falkner, Ernst. 186 Vgl. ebd.

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Caracciola gelang es, rasch das Vertrauen des Reichsstatthalters zu gewinnen und konnte nach Angaben Schuberts sehr bald Einfluss auf ihn ausüben: »[E]r [Caracciola: d. Vf.] verstand es ihn [Epp: d. Vf.] zu nehmen, ihm wieder zum Bewusstsein zu bringen, dass er auch General sei, und ihn für die Tätigkeit der Wehrmacht zu interessieren […]«. Epp entfernte sich nun immer weiter vom NS-Regime, was wohl auch – wie es Schubert später vermutete – dessen schwindendem Einfluss innerhalb der Partei geschuldet war, der sich seit der Ernennung Paul Gieslers zum bayerischen Ministerpräsidenten eingestellt hatte. Ganz abwenden konnte sich Epp indes noch nicht. Es ist davon auszugehen, dass Sperr über den Versuch Caracciolas, Epp endgültig auf die Seite der Gegner des NS-Regimes zu ziehen, informiert war, er diesen sogar instruierte. Seinem Freund Schubert überließ Caracciola jedenfalls regelmäßig Nachrichtenmaterial aus Radio und Feindpresse, die dieser zweifelsohne an Sperr weitergab. Gemeinsam hielten Sperr, Caracciola und Schubert, auf den sich der Widerstandskreis nach Caracciolas Wechsel zu Epp nun im Wehrkreis VII weitgehend stützte187, regelmäßig Besprechungen über die aktuelle Lage und Vorkommnisse innerhalb der Wehrmacht und der Partei ab.188 Spätestens ab Sommer 1943 versuchten die Männer um Sperr den Druck auf Epp zu erhöhen. Unterstützung fand dieses Vorhaben in den Personen des Obersten der Reserve Wilhelm Arendts189 und des Generalobersts Franz Halder. Arendts, im Zivilberuf Generaldirektor der Bayerischen Versicherungsbank, hatte als Präsident des Münchener Rotary-Clubs nach dem 30. Januar 1933 zunächst Sympathien für den Nationalsozialismus gezeigt und die jüdischen Club-Mitglieder sowie politisch-literarische Gegner, darunter den Schriftsteller Thomas Mann, aus dem Club ausgeschlossen.190 Sein Jugendfreund Franz Halder will ihn bereits im Herbst 1938 über seine Putsch-Pläne im Vorfeld der »Münchener Konferenz« unterrichtet haben. Damals habe dieser »die Schwere eines solchen Entschlusses und seiner Folgen durchaus gewürdigt, den Gedankengängen aber rückhaltlos zugestimmt«.191 Ab Frühjahr 1942 fungierte der wiederverwendete Oberst Arendts auf Veranlassung Halders als 1. Generalstabsoffizier (Ia) des Militärbefehlshabers in Frankreich, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, der sich im Verlauf des Krieges zu einem der aktivsten militärischen

187 Vgl. ebd. 188 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 1 f. 189 Wilhelm Arendts (1883 München–1958), 1914–18 Kriegsteilnahme, zuletzt als Hauptmann i. G., ab 1919 Leiter der Geschäftsstelle der Kreditversicherungsanstalt AG, Generaldirektor der Bayerischen Versicherungsbank, nach 1939 wiederverwendet als Oberst i. G. Ia beim Militärbefehlshaber in Frankreich (vgl. zu Arendts dessen Spruchkammerakt StAM, SpkA K 34: Arendts, Wilhelm sowie diverse Stellen bei Feldman, Allianz). 190 Vgl. Kuschel, Thomas Mann, S. 106–113. 191 Eidesstattliche Erklärung Franz Halders (Neustadt, 23. Juli 1947), IfZ, ZS 240/2, Bl. 18 f., hier Bl. 18.

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Widerständler gegen Hitler entwickeln und dann auch nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 als Mitverschwörer hingerichtet werden sollte.192 Auf einer Dienstreise im Januar 1943 in Berlin besuchte Arendts Halder und informierte ihn über die in Paris im Umfeld Stülpnagels in Planung befindlichen und mit Berlin abgestimmten Umsturzvorbereitungen. Auch stand Arendts in Berlin in Kontakt zu dem aus Oberfranken stammenden Generalquartiermeister im OKH, Eduard Wagner.193 Sowohl Stülpnagel als auch Wagner sollten in den folgenden Monaten des Jahres 1943 zwar einen Umsturz grundsätzlich befürwortet, jedoch den psychologischen Moment für noch nicht gekommen erachtet haben.194 In München habe Arendts auch mit Franz Sperr und Eduard Hamm 192 Carl Heinrich von Stülpnagel (1886 Berlin–1944 Berlin-Plötzensee), Berufsoffizier, 1914–18 Kriegsteilnahme, zuletzt als Hauptmann und Ia der 18. Division an der Westfront, nach 1918 ins Reichsheer übernommen, anschließend bei diversen Regimentern bis 1932 Aufstieg zum Oberst i. G., im Reichswehrministerium Chef der Abteilung Fremde Heere im Truppenamt, 1935 Generalmajor, 1936 Kommandeur der 30. Infanterie-Division, 1937 Generalleutnant, 1938 Oberquartiermeister II im Generalstab des Heeres, 1939 General der Infanterie, 1940 Kommandierenden General des II. Armeekorps, 1940 Oberbefehlshaber der 17. Armee und Teilnahme am Ostfeldzug, ab 1942 Militärbefehlshaber in Frankreich, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. – Über Stülpnagel gehen die Meinungen der neueren Forschung auseinander. Die eine Seite hebt seine Widerstandstätigkeit hervor und versucht Stülpnagel gegenüber Vorwürfen zu verteidigen, die ihn der Unterstützung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen an der Ostfront bezichtigen (vgl. Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel). Dagegen wird im Rahmen einer erst kürzlich erschienenen Untersuchung zu Verbrechen der Heeresgruppe Süd und der in ihrem Verantwortungsbereich agierenden Einsatzgruppen in der Westukraine, Stülpnagel, der bis Oktober 1941 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe war, durchaus eine Beteiligung an Pogromen gegen Juden zugeschrieben (vgl. Struve, Deutsche Herrschaft, S. 370–373). 193 Eidesstattliche Erklärung Franz Halders (Neustadt, 23. Juli 1947), IfZ, ZS 240/2, Bl. 18 f. – Eduard Wagner (1894 Kirchenlamitz–1944 Zossen), 1914–18 Kriegsteilnahme, zuletzt als Oberleutnant, nach 1918 in das Reichsheer übernommen, 1924 Hauptmann im 7. Bayer. Artillerie-Regiment, 1932 Major, 1935 Oberleutnant, 1936 Abteilungschef im Generalstab des Heeres, 1937 Oberst i. G., 1938 Chef der 6. Abteilung beim Oberquartiermeister I, 1939 Kommandeur des 10. Artillerie-Regiments in Regensburg, 1939 Chef des Stabes des Generalquartiermeisters, 1940 Generalmajor und Generalquartiermeister des Heeres, 1942 Generalleutnant, 1943 General der Artillerie, am 23. Juli 1944 Selbstmord in Zossen.  – Generalmajor Eduard Wagner beteiligte sich bis 1943 an den Massenverbrechen des NS-Regimes in der Sowjetunion. Später erkannte er die Aussichtslosigkeit des Krieges und trat dem militärischen Widerstand in Berlin bei. An der Planung und Durchführung des Attentats vom 20. Juli 1944 wirkte er mit. So ließ er unter anderem Stauffenberg jenes Flugzeug zur Verfügung stellen, das diesen an jenem Tag zum Führerhauptquartier nach Rastenburg und wieder nach Berlin zurückbrachte. Seiner Verhaftung durch die Gestapo entzog sich Wagner durch Selbstmord (vgl. zu Wagners Rolle in der Sowjetunion vor allem Gerlach, Militärische »Versorgungszwänge«, S. 175–208). 194 Vgl. zur Haltung von Stülpnagels die Tagebuchnotizen Hermann Kaisers vom Mai 1943 (Kaiser, Mut zum Bekenntnis, S. 530 f.). Im August 1943 erschien von Stülpnagel dann der Moment offenbar günstiger und er gab den Berliner Verschwörern zu erkennen, dass er nun dazu bereit sei, »aus eigener Initiative zu handeln«. Diese Lösung befürworteten Olbricht, Tresckow und Co. für den Fall, dass Plan A, ein angebliches Losschlagen des Generalfeld-

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»in Gedankenaustausch« gestanden und später als Vermittler zwischen Sperr und Halder fungiert.195 Die Verbindungen zwischen dem »Sperr-Kreis« in München und den Widerständlern in Berlin waren enger als bisher angenommen.196 Geßlers Verbindung zu Canaris, Hamms Kontakte zu Goerdeler und Kempner sowie Sperrs Gespräche mit dem »Kreisauer Kreis« wurden bereits thematisiert. Weitere Verbindungen zum militärischen und zivilen Widerstand in Berlin hielten unter anderem die im bayerischen Widerstandskreis vertretenen Militärs. So war Caracciola offenbar bereits länger mit dem Leiter des Allgemeinen Heeresamtes im OKH, General Friedrich Olbricht, bekannt.197 Die Aktivitäten in München ließen sich daher von Berlin aus genauestens beobachten. Anfang August 1943 kursierten im Umfeld der Berliner Militär­ opposition Gerüchte, Bayern könnte unter Führung des Reichsstatthalters Epp aus der Phalanx einer angeblich möglichen oder sogar schon existierenden reichsweiten Widerstandsbewegung ausscheren.198 Die Nachricht über die Bemühungen Caracciolas, seinen Vorgesetzten Epp für den Widerstandskreis um Sperr zu gewinnen, hatte Berlin offensichtlich erreicht. Allerdings war man in Berlin – das sollten die folgenden Sondierungen in München zeigen – weder über Fortschritt und Ziele dieser Anstrengungen noch über die tatsächliche Haltung Epps im Bilde. Paradox klingt zusätzlich der Umstand, dass man einen solchen Vorstoß Bayerns in Berlin nicht für zweckmäßig, sogar gefährlich hielt, obwohl nahezu zeitgleich Moltke Sperr den Wunsch »preußischer Offiziere« übermittelte, dass Bayern im Hinblick auf einen Umsturz voranschreiten solle. Letztendlich veranschaulicht dieser Widerspruch jedoch lediglich die in diesen Tagen offensichtlichen, unterschiedlichen Auffassungen über Art und Weise eines Umsturzversuches. Während im Westen die Generäle Stülpnagel

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marschalls von Kluge, nicht eintreten werde (ebd., S. 642). Schließlich trat weder das eine noch das andere ein. Zu den möglichen Gründen siehe ebd., S. 645, Anm. 851. – Wagner brachte seine Bedenken hinsichtlich des Zeitpunkts einer Aktion gegenüber Arendts bei einem Gespräch Anfang August 1943 auf dem Fliegerhorst Neubiberg bei München zum Ausdruck. Seiner Ansicht nach seien weder in der Truppe noch in der Heimat »die Erkenntnis über die Hoffnungslosigkeit der Lage und die Notwendigkeit einer Beseitigung der Führung […] genügend vorhanden« (Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Wilhelm Arendts (Allendorf, 16. Juni 1946), IfZ, ZS 201, Bl. 7). Eidesstattliche Erklärung Franz Halders (Neustadt, 23. Juli 1947), IfZ, ZS 240/2, Bl. 19. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, erwähnt ausschließlich die Verbindung Geßler / Canaris und Sperr / Moltke bzw. Stauffenberg. Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Franz Halder (Steinlager Allendorf, 11. Februar 1947), StAM, SpkA K 1749: Staimer, Max Josef. Aus den Tagebüchern des Hauptmanns Hermann Kaiser geht hervor, dass man in Berlin von den Verhandlungen mit Epp wusste und darüber nicht erfreut war, wie Goerdeler Kaiser in einem Gespräch im August 1943 mitteilte: »M. [Goerdeler] weist auf Zustände in Bayern hin. Gefahr, daß Bayern alleine vorgeht unter v. Epp. Dabei kommt es jetzt mehr denn sonst darauf an, daß D. zusammen hält« (Kaiser, Mut zum Bekenntnis, S. 643).

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und Falkenhausen der Ansicht waren, dass ein Umsturz innerhalb der Reichsgrenzen oder aber im Rahmen einer koordinierten, gleichzeitigen Aktion an Ost- und Westfront zu geschehen habe, setzte man in Berlin zunächst die Hoffnungen auf den Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Günther von Kluge, und falls dieser Plan fehlschlage, auf die »Westlösung« von Stülpnagel. Was die Aktion innerhalb der Reichsgrenzen anging, gab der Generalquartiermeister Wagner Anfang August 1943 Arendts gegenüber offenbar die Auffassung der Berliner Verschwörer wieder, als er hinsichtlich des Zeitpunkts eines Umsturzes davon sprach, dass »mit einer spontanen Volkserhebung« im Reich, »die als Gegengewicht gegen einen Einsatz der SS erforderlich sei«, noch nicht zu rechnen sei. Auch befürchtete man, »dass durch zu frühes Losschlagen den ›Osttruppen das Rückgrat gebrochen würde‹«.199 Ein eventuelles Losschlagen Epps konnte man daher in Berlin nicht gutheißen, während man es an der Westfront wohl als Initialzündung und Rückendeckung für eine mögliche Kapitulation begrüßt hätte. Dass der »Sperr-Kreis« keineswegs einen baldigen Umsturz in Bayern beabsichtigte, schätzten allerdings die Militärbefehlshaber im Westen, allen voran Falkenhausen, falsch ein. Trotzdem zielten ihre folgenden Initiativen darauf ab. Nach Absage von Kluges an die Berliner Militäropposition war auch in Paris General von Stülpnagel trotz vorheriger Ankündigung offenbar nicht bereit, »in eigener Initiative« loszuschreiten.200 Stattdessen ließ er Oberst Arendts weitere Sondierungen in der Heimat vornehmen. Ende August 1943 traf dieser in München mit Major Caracciola-Delbrück zusammen, der ihm »schon seit Jahren als antinazistisch« bekannt war.201 Zwischen Caracciola und von Stülpnagel habe Arendts zuvor bereits als Vermittler von Informationen gedient.202 Nun habe 199 Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Wilhelm Arendts (Allendorf, 16. Juni 1946), IfZ, ZS 201, Bl. 7. Arendts teilte diese Ansicht nach eigenem Bekunden nicht und lag damit wohl auf Linie seines Vorgesetzten von Stülpnagel: »Ich vertrat die Auffassung, dass man lange genug gewartet habe und handeln müsse, solange die Truppenverbände noch intakt seien« (ebd.). 200 Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg hatte Anfang August 1943 von Stülpnagels grundsätzliche Bereitschaft, »aus eigener Initiative zu handeln«, den Mitverschwörern in Berlin übermittelt (Kaiser, Mut zum Bekenntnis, S. 642). Nach Kluges Absage war von der Schulenburg offenbar erneut bei von Stülpnagel in Paris gewesen, wo er erfuhr, dass man eine Einzelaktion im Westen ablehne (vgl. Schwerin, »Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt«, S. 320). 201 Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Wilhelm Arendts (Allendorf, 16. Juni 1946), IfZ, ZS 201, Bl. 6–8, hier Bl. 7. 202 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Franz Halders (Neustadt, 23. Juli 1947), IfZ, ZS 240/2, Bl. 19. Mit dem vormaligen Regierungsdirektor beim Reichsstatthalter Epp, Friedrich von Teuchert, hatte Caracciola neben Arendts einen weiteren Verbindungsmann bei Stülpnagel in Paris und war somit über eine mögliche Umsturzbereitschaft an der Westfront bestens informiert (vgl. Bestätigung von Bernhard von Mutius (München, 5. Oktober 1946), StAM, SpkA K 45: Aumer, Hermann sowie den Bericht Friedrich von Teucherts (o. D.), IfZ, ZS 309).

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ihn Caracciola »über die Pläne, die in Bayern für die Organisation nach einem Staatsstreich bestünden, die Auswahl einzelner Persönlichkeiten, den Aufbau einer ›Auffangbewegung‹« unterrichtet und ihn darum gebeten, seinen Freund »Halder dazu [zu] bewegen, mit General Ritter von Epp zusammenzutreffen und zu sondieren, ob dieser nicht für ein aktives Mithandeln gewonnen werden könne«.203 Caracciola könnten kurz zuvor die Informationen des »Kreisauer Kreises« zu Ohren gekommen sein, die der »Sperr-Kreis« bei den beiden Treffen Ende August 1943 erhielt und die besagten, dass zumindest der Militärbefehlshaber von Belgien, General Alexander von Falkenhausen, eine Öffnung der Westfront bei gleichzeitigem Umsturz im Inneren befürwortete.204 Nachdem sich Arendts anlässlich eines Treffens mit dem Reichsstatthalter selbst ein Bild von der Haltung Epps gemacht hatte205, regte er kurzfristig ein Treffen zwischen diesem und Halder an. Auch den Generaloberst musste Arendts nicht lange zu einer Besprechung mit Epp überreden, obwohl Halder keine hohen Erwartungen hieran geknüpft habe.206 Zur Tarnung des Gesprächs fand dieses am 4. September 1943 in Arendts’ Landhaus im oberbayerischen Ober-Grainau statt. Neben den Gattinnen Halders und Arendts war C ­ aracciola als Begleiter Epps anwesend. Bei dem etwa zwei Stunden dauernden Gespräch unter vier Augen im Arbeitszimmer Arendts’ habe Halder Epp gegenüber seine »Auffassungen über Adolf Hitler und die Notwendigkeiten seiner Beseitigung« mitgeteilt.207 Nach Abfahrt Epps und Caracciolas habe sich Halder gegenüber Arendts unzufrieden über den Verlauf des Gesprächs geäußert und Epps Auffassungen als naiv bezeichnet: Nach gemeinsamer Feststellung der aussichtslosen militärischen Lage sowie der Wahrscheinlichkeit der Niederlage und des Zusammenbruchs des »Dritten Reiches« will Halder – dem Wunsch Caracciolas entsprechend  – den Reichsstatthalter auf die »Notwendigkeit einer ›Auffangbewegung‹ zur Verhinderung chaotischer Zustände« aufmerksam gemacht haben, »die man bei der scharfen Überwachung nicht einheitlich fürs ganze Reich aufbauen könne, wohl aber z. B. für Bayern«.208 Diesem Hinweis habe H ­ alder die vordringliche Frage folgen lassen, ob man im entscheidenden Augenblick mit Epp als »populäre Persönlichkeit« für die Führung dieser »Auffangbewegung« rechnen könne. Epp habe daraufhin zwar den allgemeinen Ausführungen zu-

203 Niederschrift von Wilhelm Arendts (Grainau, 28. März 1948) (Manuskript), S. 1–11, hier S. 9, StAM, SpkA K 34: Arendts, Wilhelm. 204 Vgl. hierzu das Kap. VIII.2.a. 205 Epp habe ihm gegenüber »die Gesamtlage als aussichtslos« bezeichnet und »eine Änderung des Regimes für notwendig« gehalten (Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Wilhelm Arendts (Allendorf, 16. Juni 1946), IfZ, ZS 201, Bl. 7). 206 Vgl. ebd. 207 Franz Halder an Elke Fröhlich (Aschau (Chiemgau), 19. August 1971), Slg. Fröhlich (Pri­vatbesitz). 208 Niederschrift von Wilhelm Arendts (Grainau, 28. März 1948) (Manuskript), S. 9, StAM, SpkA K 34: Arendts, Wilhelm.

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gestimmt, dagegen im Hinblick auf die Schaffung einer »Auffangbewegung« und »seines persönlichen Einsatzes hierfür« eine klare Antwort vermissen lassen.209 Arendts und Halder wollen im Anschluss über weitere mögliche Kandidaten nachgedacht haben, mit denen man in Kontakt treten könne. Zur Debatte standen wohl die beiden im Ruhestand befindlichen Generäle, der Generaloberst Wilhelm Adam und der Generalfeldmarschall Wilhelm List. Während Adam jedoch den Angaben Arendts’ zufolge aufgrund von nicht genauer beschriebenen unvorsichtigen Äußerungen keine Rolle mehr spielte, führte ein Gespräch Arendts’ mit List zu der Erkenntnis, dass man auf diesen »unbedingt zählen könne«.210 Dieser Kontakt wurde dann aber offenbar nicht weiter verfolgt.211 In der Besprechung von Ende September 1943 dürfte Graf Moltke, der kurz zuvor von Besprechungen bei von Falkenhausen und von Stülpnagel heim­ gekehrt war, dem »Sperr-Kreis« gegenüber den bereits erwähnten Wunsch übermittelt haben, dass Bayern die Initialzündung eines Umsturzes liefern solle. Wie deutlich man Moltke tatsächlich in dieser Frage eine Absage erteilt hatte, muss hinterfragt werden. Wahrscheinlich hatte man ihm gegenüber erklärt, man müsse zunächst noch das Ergebnis der Sondierungen bei Reichsstatthalter Ritter von Epp abwarten, dass man aber grundsätzlich von den Erfolgsaussichten einer lediglich von Bayern ausgehenden Aktion nicht überzeugt sei.212 Vermutlich brachte Sperr auch seine Zweifel gegenüber der Umsturzbereitschaft jener »preußischen Generäle« zum Ausdruck.213 Die Aufarbeitung des Gesprächs mit Epp sowie die Erörterung weiterer Sondierungsmöglichkeiten dürften der ursprüngliche Grund dafür gewesen sein, dass sich der »Sperr-Kreis« am 4. Oktober 1943 bei Philipp Schubert in der Münchener Franz-Joseph-Straße mit Generaloberst Franz Halder traf. Wahrscheinlich hatte Sperr bei seinem letzten Zusammentreffen mit Moltke Ende September bereits angekündet, mit Halder unmittelbar in Kontakt zu treten.214 209 Ebd. – »Für aktives Handeln sei von Epp zu entschlusslos und alt«, habe Halder resümierend und entmutigt feststellen müssen (Abschrift einer Eidesstattlichen Erklärung von Wilhelm Arendts (Allendorf, 16. Juni 1946), IfZ, ZS 201, Bl. 8). 210 Niederschrift von Wilhelm Arendts (Grainau, 28. März 1948) (Manuskript), S. 9, StAM, SpkA K 34: Arendts, Wilhelm. – Hierüber wie über das Gespräch Halder / Epp habe Arendts unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Paris General von Stülpnagel informiert, der diese Mitteilung sofort an General Olbricht nach Berlin weitergeleitet habe (vgl. ebd). Zu Wilhelm List vgl. Stahl, Wilhelm List, S. 116–122. 211 Jedenfalls konnten hierfür keine weiteren Belege ermittelt werden. 212 Ansonsten ließe sich auch nicht erklären, warum Franz Reisert angeblich im Oktober 1943 gemeinsam mit Moltke einer Besprechung mit General von Falkenhausen beiwohnen sollte (vgl. Franz Reisert an Ger van Roon (30. Mai 1963), IfZ, ZS / A 18/6, Bl. 118). 213 Diese Zweifel äußerte Sperr zumindest gegenüber Franz Halder, mit dem im Anschluss unmittelbar Kontakt aufgenommen wurde (vgl. Franz Halder an Ernst Meier (Aschau / Chiemgau, 18. April 1963), UAE, G 1/7, Nr. 2). 214 Fugger von Glött erklärte in einem nach 1945 verfassten Bericht, dass sich die »Kreisauer« mit der »Augsburger Gruppe« [Fugger meinte hiermit den »Sperr-Kreis«: d. Vf.] auf Generaloberst Halder als Landesverweser geeinigt hätten: »Als Halder darüber befragt wurde,

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Die Einladung zu dem Treffen erhielt der Generaloberst durch Wilhelm Arendts. Er selbst vermutete jedoch deren Ursprung bei Caracciola.215 Halder ging davon aus, dass Epp seinen Adjutanten über die Gesprächsinhalte und die Haltung Halders in Kenntnis gesetzt hatte und glaubte, dass Caracciola ihn deshalb bei Sperr empfohlen und ihn habe zu sich kommen lassen. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Caracciola wollte, dass Halder seine Meinung über Epp unmittelbar Sperr vortragen sollte. Nicht erklärlich wäre ansonsten, warum Caracciola zunächst noch einmal auf seinen Vorgesetzten Epp als möglichen »militärischen Leiter« der Widerstandsbewegung in Bayern zu sprechen kam.216 Für Sperr, der vermutlich über Ablauf und Inhalt des Gesprächs Epp / Halder bereits durch Arendts oder Caracciola selbst informiert war, kam die Begegnung mit dem Generaloberst sehr gelegen. Dessen Meinung über den NS-Reichsstatthalter interessierte ihn jedoch keineswegs mehr. Sperr lehnte eine weitere Diskussion über die Einbindung Epps entschieden ab.217 Die Entschlusslosigkeit, wie Epp sie offenbart hatte, war zu dem Zeitpunkt, an dem führende Generäle ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Aufgabe der Westfront erklärt hatten, im Interesse Bayerns nicht gefragt. erklärte er sich bereit, dieses Amt zu übernehmen, unter der Voraussetzung, dass nach glücklicher Durchführung der Aktion, die in seiner Person vereinigten Befugnisse unverzüglich auf zivile Kräfte übertragen werden sollten, die ihm von der Zivilregierung benannt werden sollten. Seine Aufgabe sollte sich auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit während der Uebergangsperiode beschränken« (Bericht Fürst Joseph Ernst Fugger von Glötts (o. D.), IFZ, ED 88/1, Bl. 73–75, hier Bl. 74 f.; in englischer Sprache Bl. 69–72). Es ist allerdings davon auszugehen, dass in den Gesprächen mit dem »Krei­sauer Kreis« lediglich der Name Halder fiel, Fugger ansonsten jedoch seine Erinnerungen mit den Berichten von dem anschließenden Gespräch mit Halder vermischte. Ansonsten wäre nicht zu erklären, warum Sperr Halder – wie im Folgenden gezeigt wird – nicht das Amt des »Landesverwesers«, sondern lediglich die militärische Leitung des »Sperr-Kreises« antrug. 215 Vgl. Franz Halder an Elke Fröhlich (Aschau (Chiemgau), 19. August 1971), Slg. Fröhlich (Privatbesitz). 216 Vgl. die Ausführungen Deiningers in: Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandskreises, S. 11–13, hier S. 11 f., UAE, G1/7 Nr. 1. Caracciola hatte den Reichsstatthalter offenbar noch nicht gänzlich aufgeben. Epp hatte sich eben alle Optionen offen gehalten, und Caracciola war wohl davon überzeugt, man könne den diesen doch noch gewinnen. Interessant ist, dass die Passage über das »Liebäugeln« Caracciolas mit Epp, in dem Berz zur Verfügung stehenden Dokument enthalten war, während eine solche in der für die Verteidigung Halders bestimmten eidesstattlichen Erklärung Deiningers vom April 1946 fehlte (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 1 f., hier Bl. 2). Offenbar sollte es dort so aussehen – ähnlich wie Schubert sich mit Sperr bereits in den ersten gemeinsamen Gesprächen auf Halder als »geeigneten« militärischen Leiter für die Widerstandsbewegung geeinigt haben will –, als ob man im »Sperr-Kreis« Halder schon früh als erste Option gehandelt habe. Diese Handlungsweise unterstreicht zugleich die These, dass das Treffen am 4. Oktober 1943 ursprünglich dem Zweck weiterer Sondierungen im Hinblick auf Epp gedient hatte. 217 Vgl. die Ausführungen Deiningers in: Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandskreises, S. 11–13, hier S. 11 f., UAE, G1/7 Nr. 1.

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Obwohl man bei Epp abgeblitzt war, hatte diese Angelegenheit für Sperr doch einen Erkenntnisgewinn gebracht: Man konnte auf Franz Halder bauen. Auch wenn er diesen wegen seiner militärischen Qualitäten immer hoch geschätzt haben dürfte, war dessen Rolle als Generalstabschef des Heeres, insbesondere im Rahmen der Friedensbemühungen der deutschen Oppositionen im Frühjahr 1940, an denen sich der »Sperr-Kreis« mit Geßler maßgeblich beteiligt hatte, niemals eindeutig gewesen. Daher hatte Sperr nach Halders Ausscheiden als Generalstabschef des Heeres Philipp Schubert angewiesen, die »Betreuung« des heimgekehrten Generaloberst zu übernehmen.218 Ziel war es wohl zunächst, lediglich dessen Haltung gegenüber dem NS-Regime im Jahr 1943 zu verifizieren und sein Vertrauen zu gewinnen, um ihn eventuell für besondere Aufträge oder später gänzlich für die Widerstandsgruppe zu gewinnen. Nach Feststellung der Eignung Halders219 war man dann über Caracciola und Arendts an ihn in Sachen Reichsstatthalter Epp herangetreten. Durch die Erfüllung dieses Auftrags dürfte er sich aus Sperrs Sicht endgültig für die Widerstandsgruppe bewährt haben. Warum hätte man nun nicht versuchen sollen, Halder, der im übrigen auch dem Kronprinzen Rupprecht stets treu ergeben war220, als »militärischen Leiter« der Widerstandsgruppe in Bayern zu gewinnen? Dringend interessierte Sperr zunächst, wie Halder die Kriegslage und die angeblich existierenden Umsturzgedanken von Teilen des Feldheeres sowie eine mögliche Unterstützung durch das bayerische Heimatheer einschätzte.221 Ihm ging es hierbei um eine Rückversicherung, ob seine Ansicht, die er dem Grafen Moltke mitgeteilt hatte, bei dem ehemaligen Generalstabschef des Heeres, der wie kein anderer ehemaliger Generalstabsoffizier die militärischen Verhältnisse im Feld und in der Heimat sowie die dort befehlenden Generäle einzuschätzen verstand, auf Zustimmung stoßen würde. Als dieser ihm bestätigte, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass das Heimatheer, geschweige denn das Feldheer, trotz aussichtsloser Kriegslage einen zivilen oder militärischen Umsturzversuch unterstützen werde, allenfalls mit Zurückhaltung zu rechnen sei222, stand für Sperr fest, dass seine Skepsis, die er gegenüber Moltke zum Ausdruck gebracht hatte, uneingeschränkt angebracht war. Die endgültige Erkenntnis lautete daher: Ein Umsturz von Bayern aus war – zumindest zum damaligen Zeitpunkt – unmög218 Eidesstattliche Erklärung Dr. Philipp Schuberts gegenüber Rechtsanwalt Dr. Laternser (München, 1. Mai 1946), IfZ, ZS 391, Bl. 9. 219 Vgl. ebd. 220 Das Treueverhältnis Halders zum Kronprinzen Rupprecht kam wohl am deutlichsten durch die Tatsache zum Ausdruck, dass der Generalstabschef des Heeres auf seinem Schreibtisch neben einer Büste Napoleons I. stets eine Fotographie des bayerischen Kronprinzen aufgestellt hatte (vgl. Hartmann, Halder, S. 348, Anm. 7). 221 Vgl. Franz Halder an Elke Fröhlich (Aschau / Chiemgau, 19. August 1971), Slg. Fröhlich (Privatbesitz) sowie Franz Halder an Ernst Meier (Aschau / Chiemgau, 18. April 1963), UAE, G 1/7 Nr. 2. 222 Vgl. Franz Halder an Elke Fröhlich (Aschau / Chiemgau, 19. August 1971), Slg. Fröhlich (Privatbesitz).

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lich. Diese Gewissheit konnte nicht ohne Konsequenzen für die Zusammenarbeit des »Sperr-Kreises« mit dem »Kreisauer Kreis« bleiben. Moltkes Reaktion auf die Absage Sperrs fiel entsprechend wenig schmeichelhaft aus.223 In Bayern galt es trotzdem weiter Vorbereitung für die unaufhaltsame mili­ tärische Niederlage zu treffen, um »in die Bresche zu springen und die Herrschaft des Hitlerschen Klüngels zu beseitigen«.224 Sperr habe daher im Laufe des Gesprächs mit Halder seine Gedanken über Zeitpunkt und Umfang eines möglichen Umsturzes zu einem späteren Zeitpunkt konkretisiert: »Minister Sperr ging von dem Gedanken aus, dass nach einer geglückten Invasion der Alliierten im Westen, spätestens aber beim Erreichen des Rheins, die Zeit gekommen wäre, die Nazi-Herrschaft zu beseitigen. Ein zuverlässig antinazistisch eingestellter General von Namen u[nd] Ansehen sollte nach den Weisungen Sperrs den Befehl über die militärischen Machtmittel in Bayern übernehmen, Widerstand der Nazi-Parteistellen mit Gewalt brechen, für Ruhe und Ordnung sorgen bis zu dem erwarteten Einmarsch der Alliierten und das Land Bayern intakt und ohne dass ein Schuss fallen sollte, diesen übergeben.«225 Ohne Zweifel waren diese Gedanken Sperrs von Moltkes Idee beeinflusst, ein Kriegsende mit den westlichen Alliierten zustande zubringen.226 Das Ziel der »Kreisauer« war es, dem Westen klar zu machen, dass ein Chaos in Deutschland nicht in dessen Interesse liegen könne, auch im Hinblick auf den Osten. Eine Kapitulation im Westen bei gleichzeitigem Umsturz im Inneren sollte daher als Auftakt eines gemeinsamen Bollwerks gegen den Osten verstanden werden und genau umgekehrten Lösungsansätzen zuvorkommen.227 »Sperrs – begrenzterer  – Plan«228, der auch durch die gleichzeitigen Sondierungsversuche des 223 Am 20. Oktober 1943 schrieb Moltke an seine Frau: »Mittags [19. Oktober] war Adam da und anschliessend kam ein Mann aus München. Dort scheint es ziemlich übel auszusehen, Delp’s Haus ist abgedeckt, und die Kirche hat auch etwas abbekommen; die andere Bogenhausener Kirche ist ausgebrannt. Was er sonst zu berichten hat, war im ganzen nicht erfreulich und man hat den Eindruck, daß einige Leute da unten ganz einfach kindisch geworden sind« (Brief Moltke an Freya (Berlin, 20. Oktober 1943), in: H. J. v. Moltke, Briefe an Freya, S. 558 f., hier S. 558). Wen Moltke aus München empfing, konnte trotz eingehender Recherchen nicht ermittelt werden. 224 Franz Halder an Ernst Meier (Aschau / Chiemgau, 18. April 1963), UAE, G 1/7 Nr. 2. 225 Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 2. 226 Vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 141. 227 Vgl. hierzu die Aufzeichnung Hassells über ein Gespräch mit Trott zu Solz (Ebenhausen, 15. August 1943), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 382. Laut Hassell war es ein »Mühlespiel« zwischen Ost und West. Denn immer wieder drang bereits um diese Zeit bei einigen Widerständlern die Variante durch, einen möglichen Sonderfrieden mit Russland zu erreichen. Eine solche Variante war auch Hassell zur Erhaltung Deutschlands durchaus bereit, in Kauf zu nehmen (ebd.). Diese sich später mehr und mehr für die Ost-Variante plädierende Haltung des reichsweiten Widerstandes sollte sich im Verlauf des Jahres 1944 auch auf die Bereitschaft des »Sperr-Kreises«, sich am reichsweiten Widerstand zu beteiligen, auswirken. 228 Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 141.

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Kronprinzen Rupprecht bei den Alliierten vorbereitet werden sollte229, hatte zwar eindeutig eine Verständigung mit dem Westen zum Ziel, drehte allerdings – eine Haltung, die sich nicht zuletzt durch das Gespräch mit Halder verfestigt hatte – den Ablauf eines möglichen Umsturzes um: Nicht die Deutschen, geschweige denn die Bayern allein, würden bzw. könnten aus seiner Sicht den Alliierten durch eine gegen das NS-Regime gerichtete Aktion Tür und Tor nach Deutschland öffnen, sondern die Alliierten würden erst durch ihr weiteres Vordringen den entscheidenden Impuls für Bayern und die übrigen Reichsteile liefern können. Ein militärischer Leiter der »Auffangbewegung« wurde trotzdem mehr denn je benötigt, da sich General Herrgott als »ungeeignet« – womöglich im Ausland nicht angesehen genug und auch zu unvorsichtig hinsichtlich der Geheimhaltung der Pläne – erwiesen hatte. Da Epp aus besagten Gründen auch nicht in Frage kam, die Kriegslage allerdings eine »durch Dienstgrad und Autorität legitimierte Persönlichkeit«230 mit Ansehen im In- und Ausland bedingte, traf Sperr eine naheliegende Entscheidung: Er stellte Halder die Frage, ob er sich hierfür zur Verfügung stellen wolle. Der frühere Generalstabschef des Heeres erfüllte zwar aus seiner Sicht alle Voraussetzungen für die ihm hierbei zufallenden Aufgaben. Dennoch war seine Aufnahme in den Widerstandskreis auch mit einem gewissen Risiko verbunden. Denn es war davon auszugehen, dass Halder rund um die Uhr überwacht wurde. Ihm würde es daher nur unter größten Sicherheitsvorkehrungen möglich sein, bereits im Vorfeld mit möglichen militärischen Verbindungsleuten in Bayern Kontakt aufzunehmen. Halder habe die Frage Sperrs nach eigenen späteren Angaben und nach Aussage der anwesenden Deininger und Schubert »vorbehaltlos bejaht«.231 Sein Vertrauen Sperr gegenüber lag wohl in erster Linie darin begründet, dass er Sperr, den er bereits 1912 kennengelernt hatte, sowohl als militärischen wie auch als politischen und verwaltungstechnischen Fachmann schätzte, und er ihm daher zutraute, alle zu berücksichtigenden Aspekte für eine solche Auffangorganisation zu beachten. Speziell für seinen Aufgabenbereich dürften den Generaloberst 229 Vgl. hierzu das Kap. VII.3. 230 Franz Halder an Ernst Meier (Aschau / Chiemgau, 18. April 1963), UAE, G 1/7 Nr. 2. 231 Ebd. – vgl. außerdem Eidesstattliche Erklärung Dr. Philipp Schuberts gegenüber Rechtsanwalt Dr. Laternser (München, 1. Mai 1946), IfZ, ZS 391, Bl. 9 sowie Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 2. Laut Deininger habe Halder gegenüber Sperr erklärt: »Es sind schon von anderer Seite Ansinnen ähnlicher Art an mich heran getragen worden; ich habe mich bisher anderen Leuten nicht zur Verfügung gestellt, da mir einerseits die vorgeschlagenen Pläne nicht genügend fundiert schienen und da andererseits mir die betreffenden Persönlichkeiten nicht genügend Gewähr für die Durchführung solcher gefährlicher Unternehmungen boten. Bei Ihnen aber, Herr Minister Sperr, weiss ich, dass andere Voraussetzungen vorhanden sind, zu Ihnen habe ich Vertrauen, wie Sie zu mir und ich erkläre mich daher vorbehaltlos bereit, mich zu Ihrer Verfügung zu halten. Die politische Leitung müsste bei Ihnen liegen und nach Ihren Weisungen werde ich die mir zu übertragenden Aufgaben ausführen« (ebd.).

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Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

die bereits eingeholten Erkundigungen über Standorte und Truppenstärke der SS zufriedengestellt haben.232 Allerdings schränkte er seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit dann doch ein. Er wies darauf hin, dass er »noch einige Zeit« benötige, um sich »Unterlagen für die Erfüllung dieses Auftrages zu beschaffen«.233 Welche Art von Unterlagen er damit meinte, ist unklar. Womöglich ging es ihm darum, genauere Kenntnisse über das militärische Führungspersonal in den bayerischen Wehrkreisen zu erhalten. Hierbei hätte ihm Franz Sperr mit seinem bereits vorhandenen Netz von militärischen Vertrauensleuten sicherlich behilflich sein können. Doch obwohl man mit dem »Versprechen künftiger Zusammenarbeit« auseinanderging, und Sperr »von sich hören lassen« wollte, schlief der Kontakt ein. Von Sperr habe Halder nach diesem Treffen »nie mehr etwas gehört«.234 Womöglich ist die Verbindung jedoch durch Deininger und Schubert bis zum 20. Juli 1944 aufrechterhalten worden.235 Schubert berichtete nach dem Krieg, Halder habe an einer Besprechung in Schuberts Wohnung teilnehmen sollen, in der Sperr nach seiner Begegnung mit Stauffenberg im Juni 1944 von den beabsichtigten Attentatsplänen berichtet habe. Halder habe jedoch aus unbekannten Gründen München zuvor kurzfristig verlassen müssen.236 Der einstige Generalstabschef des Heeres dagegen erklärte Jahre später, dass er nach dem Treffen im Oktober 1943 »auch nicht auf dem Umweg über meinen Freund Ahrendts [sic!] und über Caraggiola [sic!]« mehr von Sperr gehört habe.237 Dieser Widerspruch lässt sich wohl heute nicht mehr auflösen. Da Halder jedoch ebenfalls nach dem Krieg bestätigte, dass er sich den Männern um Sperr als militärischer Leiter der »Auffangorganisation« zur Verfügung gestellt habe, wäre eine Einladung Halders zu einem entsprechenden Treffen unmittelbar im Vorfeld des 20. Juli 1944 nur folgerichtig gewesen. Schließlich hätte man besprechen müssen, wie man im Fall eines erfolgreichen Attentats auf den »Führer« vorgehen würde. Es erscheint jedoch möglich, dass Halder seine kurzfristige Absage und damit sein bewusstes Raushalten aus den Vorgängen um den 20. Juli 1944 nach dem 232 Vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 140. – Halder selbst gab später an, dass er nach seinem Ausscheiden aus dem OKH im Jahre 1943 im Rahmen der Widerstandsgruppe Sperr an dem Aufbau einer »Auffang-Organisation« arbeitete. Daher sei ihm Max Joseph Staimer »[s]eine beste Hilfe« gewesen: Als Zollfahnder habe Staimer über enge Verbindung zur Gestapo verfügt und konnte Halder daher mit Informationen aus diesen Kreisen versorgen. Außerdem sei Staimer Halders »staendiger Verbindungsmann« zu Caracciola-Delbrück gewesen (Eidesstattliche Erklärung von Franz Halder (Steinlager Allendorf, 11. Februar 1947), StAM, SpkA K 1749: Staimer, Max Josef). 233 Franz Halder an Ernst Meier (Aschau / Chiemgau, 18. April 1963), UAE, G 1/7 Nr. 2. 234 Ebd. 235 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 2. 236 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Dr. Philipp Schuberts gegenüber Rechtsanwalt Dr. Laternser (München, 1. Mai 1946), IfZ, ZS 391, Bl. 9. 237 Vgl. Franz Halder an Elke Fröhlich (Aschau (Chiemgau), 19. August 1971), Slg. Fröhlich (Privatbesitz).

Das Gespräch mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 6. Juni 1944 

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Krieg zu verschleiern versuchte und er dabei auf Unterstützung aus den Reihen ehemaliger »Sperr-Kreis«-Mitglieder bauen konnte.238 Für den Herbst 1943 lässt sich derweil festhalten: Der Widerstandskreis um Sperr hatte sich nach dem Gespräch mit Halder Anfang Oktober endgültig festgelegt, dass man von Bayern aus einen Umsturzversuch erst unterstützen würde, wenn eine Initialzündung, etwa durch ein Attentat auf den »Führer« oder durch Kapitulation an den Fronten, spätestens aber durch die Ankunft der Alliierten am Rhein gegeben wäre. Der Zeitpunkt, wann Letzteres eintreten könnte, war in der zweiten Jahreshälfte 1943 noch nicht absehbar. Was einen Umsturzversuch im Inland betraf, wollte und musste man dagegen versuchen, stets auf dem Laufenden zu bleiben. Ebenso wie einige Mitglieder des »Kreisauer Kreises« sich nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 deutlich der Gruppe um Stauffenberg annäherten, rückte auch die bayerische Widerstandsgruppe in den Fokus jener Männer, die nun verstärkt auf ein Attentat auf den »Führer« drängten. Aus Sicht der »Bayern« konnte ein solches Unterfangen nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn der passende Zeitpunkt gewählt und auch die Zeit »Danach« in den Planungen berücksichtigt würde. Das Ziel des »Sperr-Kreises« musste es mit Beginn des Jahres 1944 sein, in diesem Sinne seinen Einfluss geltend zu machen.

4. Das Gespräch mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 6. Juni 1944 in Bamberg Am 6. Juni 1944 erfolgte die erste und einzige Zusammenkunft Franz Sperrs mit dem späteren Attentäter vom 20. Juli 1944, Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Eine Rekonstruktion der Gesprächsinhalte gestaltet sich schwierig. Die im Verhör und vor dem Volksgerichtshof gemachten Aussagen Sperrs und Delps, der am gleichen Tag239 – womöglich mit Sperr gemeinsam – mit Stauffenberg zusammengetroffen war, sind aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte mit äußerster 238 Denn auch Georg Deininger scheint in dem ursprünglichen Bericht, den Ludwig Berz offenbar vollständig zitierte, Halders Abwesenheit zum Thema gemacht zu haben: »Weitere unmittelbare Besprechungen zwischen Sperr und Halder haben dann nicht mehr stattgefunden; eine in der ersten Juni-Hälfte angesetzte Besprechung wurde verfehlt. Ständige Fühlungnahme zwischen den beiden Herren war jedoch über Schubert und mich dauernd vorhanden« (Ausführungen Deiningers zit. n. Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandskreises, S. 11–13, hier S. 13, UAE, G1/7 Nr. 1). In der Eidesstattlichen Versicherung Deiningers für Halder hieß es dann jedoch nur noch: »Weitere unmittelbare Besprechungen zwischen Sperr und Halder haben meines Wissens nicht mehr stattgefunden. Ständige Fühlungnahme zwischen den beiden Herren war jedoch über Schubert und mich dauernd vorhanden« (Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 2). 239 Becker irrt sich in der Datierung des Besuches von Delp bei Stauffenberg in Bamberg, wenn er schreibt, dass dieser im Frühjahr 1944 stattfand (vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 142).

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Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

Vorsicht zu genießen. Es muss an dieser Stelle vor allem um eine Einordnung des Gesprächs in den zeitlichen Kontext gehen. Warum fand es überhaupt statt? Wie kam es dazu? Was waren die Motive Stauffenbergs und was beabsichtigte Sperr hiermit? Im Folgenden wird auf Zustandekommen und Inhalt der Besprechung Stauffenberg / Sperr näher eingegangen und das Gespräch in das bisher bekannte Verhaltensmuster und die eingeleiteten Schritte Stauffenbergs im Vorfeld des Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 eingeordnet. Nach der Verhaftung Helmuth James Graf von Moltkes im Januar 1944 drohte einer der wichtigsten Kanäle des »Sperr-Kreises« zum reichsweiten Widerstand abgeschnitten zu werden. Obwohl sich Sperr im Herbst 1943, nach Rücksprache mit Halder, endgültig gegen einen von Bayern ausgehenden Umsturz ausgesprochen hatte, lehnte man eine weitere Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis« nicht grundsätzlich ab. Die Verhaftung Moltkes scheint in dieser Hinsicht nur zu einer kurzen Schockstarre geführt zu haben. Denn insbesondere Franz Reisert hielt die Verbindung zu Lothar König SJ aufrecht. Der Jesuitenpater trat weiterhin als Kontaktperson zwischen München und Berlin in Erscheinung.240 Die Vermutung liegt nahe, dass König in der Folgezeit eine noch engere Zusammenarbeit des bayerischen Widerstandskreises mit Peter Graf Yorck von Wartenburg anstrebte, dem anderen führenden Kopf des »Kreisauer Kreises« und Moltkes engstem Vertrauten.241 Über Moltkes Kontakte zum bayerischen »Sperr-Kreis« war Yorck zwar zweifelsohne im Bilde.242 Ihm ging es jedoch in den folgenden Monaten zunächst einmal darum, die Lücke, die die Verhaftung Moltkes gerissen hatte, zu schließen. Er suchte daher den engeren Kontakt mit den Kreisen des militärischen und zivilen Widerstandes in Berlin.243 Dort rückte Claus von Stauffenberg – von der Afrika-Front im April 1943 schwer verwundet nach Deutschland heimgekehrt – ab Herbst 1943 in die militärische Widerstandsspitze um Ludwig Beck und Friedrich Olbricht in Berlin auf.244 Für Stauffenberg war ein Attentat auf den Führer aufgrund der völkerrechtswidrigen Kriegsführung, des Massenmords an den Juden und der Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten nicht nur berechtigt, sondern notwendig. Ende 1943 und verstärkt ab 1944 ging er dazu über, für den Staatsstreich Verbindungsleute innerhalb der einzelnen Wehrkreise anzuwerben. So rief er im Dezember 1943 den bayerischen Major Ludwig Freiherr von Leonrod zu sich nach Berlin. Diesem teilte Stauffenberg seine Absicht zum Umsturz 240 Der Notizkalender Königs belegt Treffen mit Reisert am 29. März und 13. Juni 1944 (vgl. Nachlass Lothar König, ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2). 241 Vgl. zu Yorck nun ausführlich Brakelmann, Peter Yorck von Wartenburg. 242 Brakelmann geht davon aus, dass Yorck nach Moltkes Verhaftung aufgrund des zuvor betehenden ständigen Informationsaustauschs untereinander an dessen Pläne anknüpfen und auf dessen Kontaktpersonen zurückgreifen konnte (vgl. ebd., S. 262). 243 Vgl. ebd., S. 259. 244 Zu Stauffenberg vgl. vor allem Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Biographie. Hierin wird allerdings auf das Gespräch Stauffenberg / Sperr nicht eingegangen. Einzelheiten zum Gespräch finden sich dagegen bei C. Müller, Oberst i. G. Stauffenberg, S. 398 f.

Das Gespräch mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 6. Juni 1944 

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infolge eines Attentats auf den Führer mit. Hierfür habe er Leonrod als Verbindungsoffizier für den Wehrkreis VII auserkoren.245 Stauffenberg nahm demnach bereits Ende 1943 Kontakt mit möglichen Verbindungsleuten in Bayern auf.246 Laut Urteilsniederschrift des Volksgerichtshofprozesses gegen Moltke, Delp und Sperr sei es zum Treffen Sperr / Stauffenberg folgendermaßen gekommen: »Der Jesuitenpater Delp hatte ihm [Sperr] gesagt, ein Oberst Stauffenberg, führender Mann im OKH, wolle ihn sprechen und bitte ihn, zu ihm nach Bamberg zu kommen; er habe wohl Interessantes zu erzählen. Zwar war Sperr, wie er sagt, einigermaßen verärgert, weil er meinte, wer etwas von ihm wolle, könne zu ihm kommen. Aber schließlich ging er doch hin.«247 Dass das Treffen in etwa auf diese Weise zustande kam, lassen auch andere Quellen vermuten: Ein Aufenthalt des Jesuitenpaters König in Berlin vom 27. bis 29 Mai 1944 lässt sich durch dessen Notizen belegen.248 Dort könnte ihm die Aufforderung aus dem »Stauffenberg-Kreis« übermittelt worden sein. Nach München heimgekehrt, traf König am 31. Mai mit Delp zusammen.249 Über den Wunsch nach einem Treffen könnte König Delp bei diesem Gespräch informiert und ihn darum ersucht haben, diesen Sperr zu übermitteln. Nachdem der Jesuiten­pater Delp seinen Bogenhausener Nachbarn dieses Anliegen vorgetragen hatte, tauschte sich Sperr zuerst mit seiner Frau Gertraud250, dann mit ­Eduard Hamm über die Sinnhaftigkeit eines solchen Treffens aus. Angeblich habe Hamm Sperrs Bedenken, zu Stauffenberg nach Bamberg zu reisen, ausgeräumt, indem er ihm riet, zu fahren, »um einmal zu hören, was Stauffenberg will. Dies verpflichte ja zu nichts.«251 Auch aus dem angeblichen Inhalt der Besprechung lässt sich auf die beiderseitigen Interessen an diesem Treffen schließen: »Graf Stauffenberg erzählte ihm [Sperr], er sei Chef beim BDE [Befehlshaber des Ersatzheeres: d. Vf.], sprach davon, die Invasion habe gerade an diesem Tage begonnen und er müsse gleich 245 Bereits in diesem Gespräch wurde Leonrod eröffnet, dass Otto Geßler als Politischer Beauftragter im Wehrkreis VII vorgesehen sei, und er diesen über das Bankhaus Schniewind in München erreichen könne (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 258 f.). Wie bereits mehrfach erwähnt, habe Geßler von seiner »Ernennung« zum »Politischen Beauftragten« erst nach dem Krieg erfahren (vgl. Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg im Allgäu, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5). Die Liste der Politischen Beauftragten war durch Goerdeler angefertigt worden. Dieser hatte Stauffenberg aber die Liste vorgelegt (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 145). 246 Ob Leonrod in irgendeiner Verbindung zum »Sperr-Kreis« stand, konnte nicht ermittelt werden. Allerdings hatte der ansonsten gut informierte Ernst Meier den Namen Leonrod von Franz Sperr niemals genannt bekommen (vgl. Ernst Meier an Ludwig Berz (Haßfurt, 5. April 1963), UAE, G 1/7 Nr. 2). 247 Urteilsniederschrift (o. D.), S. 20, BAB, R 3017/VGH Z-M510. 248 Vgl. ADPSJ, 47 – Nr. 321 – 2. 249 Ebd. 250 Vgl. Mündlich abgegebene Eidesstattliche Versicherung von Gertraud Sperr (München, 26. Januar 1953), BayHStA, LEA 3356. 251 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 390.

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nach Berlin; redete davon, daß der große Mannschaftsersatz der größte Engpaß sei, und erklärte den Krieg für verloren. Er sprach weiter davon, man müsse Menschen sparen und zu einem Frieden kommen; und das sei nur möglich, wenn in Deutschland selbst eine Veränderung herbeigeführt werde; dabei mußten auch die Gliedstaaten eine größere Selbständigkeit bekommen.«252 Ergänzen lassen sich diese angeblichen Inhalte des Gesprächs mit Stauffenberg in diesem Punkt durch die Aussagen Sperrs im Gestapogefängnis, wo er den Bundesstaat, wie ihn sich Stauffenberg vorstellte, genauer beschrieb. Dieser müsse neben einer starken Selbsttätigkeit in der Verwaltung, »mit sozialen Reformen« sowie »der Mitbeteiligung der Arbeiter an Lohn-, Arbeitszeit- und Urlaubsfestsetzung« einhergehen.253 Auf Sperrs angebliche Durchhalteparolen habe Stauffenberg mehrfach die aus seiner Sicht einzige Möglichkeit, mit dem Ausland in Verhandlungen eintreten zu können, aufgezeigt: Der Führer müsse beseitigt werden.254 Es ist zunächst einmal notwendig, diese im Verhör durch Sperr gemachten Aussagen und die sich aus der Urteilsniederschrift ergebenden Angaben über Inhalt und Ablauf des Treffens mit Stauffenberg auf ihren möglichen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Hierfür lohnt es sich, diese mit den Aussagen Delps über sein Gespräch mit Stauffenberg am gleichen Tag abzugleichen. Im Gegensatz zu Sperr, der angeblich entsetzt auf die ihm eröffneten Attentatsabsicht reagiert habe255, stritt Delp sowohl im Verhör der Gestapo als auch vor Freisler vehement ab, von Stauffenberg über dessen Absichten informiert worden zu sein. Er gab stattdessen über das Zustandekommen der Aussprache Sperr / Stauffenberg an, Pater König habe ihm mitgeteilt, dass sich Sperr mit Stauffenberg in Bamberg treffen solle. Sperr und er seien dabei von Königs Auftraggeber Yorck übel getäuscht worden. Dieser habe es so aussehen lassen, als sei Stauffenberg ein Anhänger des »Moltke-Kreises« und somit ein Gespräch mit ihm aus seiner Sicht unbedenklich gewesen. Auch in seinen Briefen an Freunde und Bekannte im Vorfeld der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof stritt Delp sämtliche für ihn tödlich erscheinende Verbindungen zum 20. Juli 1944 ab. Ein Treffen mit Stauffenberg habe zwar am 6. Juni 1944 stattgefunden, doch habe ihm Sperr erst am 21. Juli berichtet, dass Stauffenberg diesem am gleichen Tag von den Attentatsplänen erzählt habe. Vor dem 20. Juli 1944 habe er nichts von den Attentatsplänen gewusst.256 Wie glaubhaft diese Angaben Delps sind, lässt sich nur schwer beurteilen. Fest steht

252 Urteilsniederschrift (o. D.), S. 20, BAB, R 3017/VGH Z-M510. Ähnlich klangen die vorherigen Aussagen Sperrs im Verhör der Gestapo. Der »Mannschaftsersatz [werde] 1945 zu einem Engpaß werden, demgegenüber die Materialfrage kaum ins Gewicht falle. Man müsse weitere unnütze Opfer sparen« (Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 331). 253 Ebd. 254 Vgl. Urteilsniederschrift (o. D.), S. 20, BAB, R 3017/VGH Z-M510. 255 Vgl. ebd. 256 Vgl. Alfred Delp an Pater Franz von Tattenbach (18. Dezember 1944), in: Delp, Gesammelte Schriften. Bd. 4, S. 57–61, hier S. 58.

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allerdings, dass Delp in seinen Briefen auch unstrittig anzusehende Tatsachen vehement abstritt. So stellte er etwa in Abrede, dass er Reisert Moltke jemals als »Landesverweser« vorgeschlagen habe.257 Die Strategie Delps liegt aus heutiger Sicht auf der Hand: Ihm ging es darum, den Anschein zu wahren, im »Kreisauer Kreis« habe man nur geredet, nicht gehandelt.258 Bleistein zog im Rahmen seiner Forschungen über Delp einige strittige Erinnerungsberichte heran, die ihn einerseits die angeblich unabhängigen Besuche Sperrs und Delps in Bamberg nicht hinterfragen ließen und ihn andererseits in der Ansicht bestärkten, dass Stauffenberg dem Jesuitenpater im Gegensatz zu Sperr seine Attentatsabsichten nicht offenbarte.259 Aufgrund ihrer sehr guten Bekanntschaft, der bereits in den Monaten zuvor erfolgten gemeinsamen, konspirativen Treffen mit Moltke, der Vermittlung des Gesprächs durch Delp und der angeblich zufälligen, am gleichen Tag aus »beruflichen« Gründen erforderlichen Anwesenheit des Jesuitenpaters in Bamberg260 darf ernsthaft angezweifelt werden, dass Sperr und Delp am 6. Juni 1944 tatsächlich getrennt bei Stauffenberg in Bamberg erschienen und nur der ehemalige bayerische Gesandte in Stauffenbergs Attentatspläne eingeweiht wurde. Um den Grad der Konspiration abzumildern, könnten sowohl Sperr als auch Delp die Taktik verfolgt haben, dass man getrennt bei Stauffenberg gewesen sei. Sperr machte sich im Gegensatz zu Delp jedoch keine Illusionen darüber, dass man ihm abnehmen könne, dass Stauffenberg ihm knapp anderthalb Monate vor dem 20. Juli 1944, nicht in seine Pläne eingeweiht haben soll. Seine Verteidigungstaktik zielte offenbar darauf ab, lediglich seinen eigenen Gesprächspart zu entschärfen.261 Was allerdings die Ausführungen Stauffenbergs anging, den 257 Vgl. »Die Münchener Besprechungen« (o. D.), in: ebd., S. 342. 258 Vgl. Alfred Delp an Pater Franz von Tattenbach (18. Dezember 1944), in: ebd., S. 57–61, hier S. 58 u. 60. 259 Vgl. Bleistein, Alfred Delp, S. 283–289, insbes. S. 286. Bleisteins Quellen stellen zum Teil Erinnerungsberichte aus zweiter Hand dar. So etwa der Bericht des Bamberger Domkapitulars Gerhard Boß, der nur die Erinnerungen des Bamberger Jugendseelsorgers Prälat Jupp Schneider wiedergab, der angeblich vor und nach dem Besuch Delps mit ihm zusammenkam (vgl. ebd., S. 283 f.). Gleiches gilt für den Bericht der Diözesanvorsitzenden Kunigunde Kemmer, die sich auf Aussagen Nina Gräfin von Stauffenbergs bezog (vgl. ebd., S. 283 f.). Letztlich ließ es selbst Bleistein entgegen seiner These ein paar Seiten zuvor ebenfalls offen, inwieweit Delp in die Pläne des 20. Juli 1944 eingeweiht war (vgl. ebd., S. 289). 260 Delp hielt sich in Bamberg auf, um einen Vortrag über »Die Quellen der Zuversicht« zu halten (vgl. Bleistein, Alfred Delp, S. 283). 261 Über seine Verteidigungsstrategie habe Sperr in Gefangenschaft mit Franz Reisert gesprochen, der den Inhalt dieses Gesprächs nach 1945 dessen Witwe übermittelte: »Die Gelegenheit der Aussprache nützten wir dazu aus, die Verteidigungsvorbringen aufeinander abzustimmen. Ich erkannte sofort, dass weniger gefährlich für Ihren Mann die Beteiligung an unseren Unterredungen war, deren Inhalt das RSH[A] nicht herausgebracht hatte, dass aber die Besprechung mit Stauffenberg, vom dem sie leider wussten, wie er mir sagte, für ihn die grösste Gefahr insichschloss [sic!]; denn aus dem ihm gemachten Vorhalt wusste er, dass die Gestapo herausgebracht hatte, dass bei der fraglichen Unterredung in Bamberg die Möglichkeit eines Attentates besprochen worden war. Die Unterlassung der Anzeige

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er ohnehin nicht mehr belasten konnte, entschied sich Sperr, bei der Wahrheit zu bleiben, um vielleicht auf diese Weise – durch ein scheinbares Geständnis – dem Galgen zu entgehen. Da Sperr nicht einmal abstritt, dass ihm Stauffenberg von seiner Attentatsabsicht berichtete, ist kaum anzunehmen, dass er bei den – in Relation hierzu – weniger brisanten Punkten, Stauffenbergs Ideen verschleierte. Dass sich Stauffenberg in jenen Tagen über die »Personalersatzlage« kritisch äußerte, wurde im Übrigen auch an anderer Stelle bestätigt.262 Inhaltlich drehte sich das Gespräch Sperrs mit Stauffenberg also aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich um die bundesstaatliche Neuordnung Deutschlands nach Sturz des NS-Regimes und dürfte der ursprüngliche Hauptgrund für die Zusammenkunft gewesen sein. Von wem allerdings die Initiative zu dem Treffen ausging, lässt sich kaum mehr belegen. Ein Interesse zur Abstimmung dürfte auf beiden Seiten bestanden haben. Der Zeitpunkt des Treffens war gut gewählt, wenn wohl auch nicht mit Absicht. Bereits am Morgen des 6. Juni erreichten beide Gesprächsteilnehmer erste Meldungen von der erfolgten Invasion der Alliierten in der Normandie. Dieser für den Kriegsausgang so entscheidende Schritt dürfte auch im Mittelpunkt der Erörterungen Sperrs mit Stauffenberg gestanden haben. Die Landung der Alliierten wird Sperr und Stauffenberg in jedem Fall noch einmal verdeutlicht haben, dass die Zeit der Entscheidung und die Zeit »Danach« näher rückten – unabhängig davon, ob das Ende durch ein vorzeitiges Attentat oder die endgültige militärische Niederlage Deutschlands herbeigeführt werden würde. Der »Sperr-Kreis« war seit geraumer Zeit im Begriff, sich so zu konzipieren, dass sich Bayern vor einem erwarteten Chaos nach Untergang des »Dritten Reiches« bewahren ließ. Da jedoch nicht beabsichtigt wurde, Bayern aus dem Reich auszugliedern, war eine gewisse Koordinierung mit einer möglichen neuen Reichsführung bereits im Vorfeld notwendig. Diese hatte im Rahmen der Gespräche mit dem »Kreisauer Kreis« bereits stattgefunden. Auch die Treffen Hamms mit Goerdeler verfolgten dieses Ziel. Für Sperr dürfte beim Gespräch mit Stauffenberg von Interesse gewesen sein, ob nach der Verhaftung Moltkes die mit ihm vereinbarten Punkte und weitgehend ausgeräumten strittigen Themen dieses beabsichtigten Attentates bedeutete für den Fall, dass sie ihm nachgewiesen wurde, zweifellos den Tod. Das hatte er auch geahnt, weshalb er in seiner Verteidigung darauf abstellte, dass er zwar aus dem Gespräch mit Stauffenberg die Vermutung gewonnen habe, als ob Stauffenberg ein Attentat beabsichtige, er ihm aber dringend abgeraten hätte. Diese Verteidigung war nicht sehr glücklich, weil sie praktisch das Eingeständnis seiner Mitwisserschaft in sich schloss. Dies hat sich dann leider auch in der Folgezeit erwiesen« (Franz Reisert an Gertraud Sperr (23. Dezember 1947), UAE, G 1/7 Nr. 2). 262 Laut Volksgerichtsurteil gegen Hermann Kaiser habe Kaiser nach einem Gespräch mit Stauffenberg am 24. Juni 1944 dessen »Bemerkung« in sein Tagebuch notiert, dass die »Personalersatzlage« so aussehe, »daß ganz in Kürze Schluß sei, und daß Stauffenberg das selbst als seine Meinung beim Vortrag kundgetan habe« (Urteil des Volksgerichtshofs vom 17. Januar 1945, abgedruckt in: Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 726–731, hier S. 729).

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wie die beabsichtigte Zweiteilung Bayerns weiter bzw. wieder auf der Agenda der nun führenden militärischen und zivilen Widerstandskräfte in Berlin standen. Außerdem dürfte er sich Informationen über mögliche Umsturzabsichten der Militärs erhofft haben. Stauffenberg, der mit führenden Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« in engem Kontakt stand, dürfte den bayerischen »Sperr-Kreis« als Exponenten des Wider­ standes in Bayern gesehen haben. Die Münchener Gespräche des Vorjahres dürften für Berlin von nachhaltiger Wirkung gewesen sein. Die Erkenntnis: Pläne über eine Neuordnung des Reiches mussten mit den Bayern abgesprochen werden, wollte man die Reichseinheit nach einem erfolgten Zusammenbruch nicht riskieren. Wenn Sperr und seine Verbündeten eine mögliche Separation Bayerns auch nie zum Thema gemacht hatten, hatte die Vergangenheit alle mit der Politik vor 1933 beschäftigten Männer gelehrt, dass Bayern großen Wert auf eine weitgehende Souveränität legte. Sperr war sozusagen der personifizierte Inbegriff jener Politik gewesen.263 Dass er sich nach wie vor als der Interessensvertreter Bayerns verstand, hatte er 1943 in den Gesprächen mit Moltke gezeigt. Stauffenberg, der sich anschickte, auch auf politischem Feld seine Vorstellung kundzutun, dürfte in dem Gespräch mit Sperr die Fortsetzung der von Moltke und Goerdeler angestoßenen Interessensabstimmung zwischen Berlin und München gesehen haben. Gleichzeitig war die Zeit jedoch so weit fortgeschritten, dass er auch die baldige Ausführung eines Attentats auf Hitler ankündigte und um Unterstützung des Umsturzes bat. Was Stauffenbergs programmatische Zielsetzungen betraf, werden diese Sperr beruhigt haben: Ein Bundesstaat »mit weitgehender Selbständigkeit der Gliedstaaten« und »starker Selbsttätigkeit in der Verwaltung« entsprach dem Denken der Männer um Sperr und deckte sich auch mit den programmatischen Entwürfen des Kronprinzen Rupprecht.264 Es wurde bereits oben dargelegt, dass sich der bayerische Widerstandskreis insbesondere für die Übergangszeit eine Restauration der Wittelsbacher Monarchie vorstellen konnte. Es wurde hierbei jedoch nicht die Rückkehr zu einer ständestaatlichen Ordnung angestrebt, sondern vielmehr geglaubt, durch die Integrationswirkung Rupprechts ein wahrscheinliches Chaos in Bayern nach Zusammenbruch des »Dritten Reiches« verhindern zu können. In diesem Punkt dürfte sich der »Sperr-Kreis« vom Grundsatz her mit Stauffenberg einig gewusst haben, für den allerdings eine Restauration nicht in Frage kam.265 Von den sozialen Errungenschaften der Vergangenheit wollte weder Stauffenberg noch Sperr Abstand nehmen. Dennoch sollte dieser Punkt im Verhältnis der Widerstandsgruppen untereinander in 263 Vgl. hierzu das Kap. III.3.b. 264 Vgl. Kap. VII.2. 265 Um die gleiche Zeit herum, kam es zu einer Besprechung zwischen Stauffenberg und Jakob Kaiser, dem ehemaligen Führer der christlichen Gewerkschaften. Hierbei habe Stauffenberg gefordert: »Herr Kaiser, es darf aber nicht zu einer Restauration kommen« (zit. n. Hoffmann, Widerstand, S. 452).

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Der »Sperr-Kreis« und sein Weg zum 20. Juli 1944

jenen Wochen für Irritationen sorgen und offenbar auch den »Sperr-Kreis« aufhorchen lassen. In Berliner Widerstandskreisen war man sich zunehmend uneinig darüber, wie man mit Sozialisten und Kommunisten umgehen solle. Das Gerücht, dass die Gruppe um Stauffenberg mit dem bisherigen Vorgehen, eine Verständigung mit dem Westen zu erzielen, brechen wolle, um stattdessen einer Ostorientierung insbesondere durch Kontaktaufnahme mit dem »Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD)« in Moskau Vorrang zu geben, stammt jedoch wahrscheinlich erst aus den letzten Kriegstagen.266 Womöglich ging es Stauffenberg tatsächlich darum, den Einfluss des »NKFD« auf die sich im deutschen Untergrund befindlichen Kommunisten und Sozialisten dadurch zu beschneiden, dass er einen Schritt auf Letztere zuging.267 Einem Treffen der Sozialdemokraten Adolf Reichwein – früher Anhänger des »Kreisauer Kreises« – und Julius Leber mit den Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob stimmte Stauffenberg zu.268 Dass der »Sperr-Kreis« von diesen »linken« Inlandskontakten erfuhr, ist nicht auszuschließen und hatte womöglich unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidung, ob man sich an den Berliner Umsturzplänen beteiligen sollte. Otto Schniewind hatte Carl Goerdeler bereits im Januar 1943 zugesagt, in ein mögliches Reichskabinett nach Hitler als Wirtschaftsminister einzutreten. Seine Zusage zog er allerdings Mitte Mai 1944 zurück. Gegenüber Hassell begründete Schniewind seine Abkehr mit dem Argument, dass er Goerdeler »nicht für den geeigneten Mann« halte, da er bei ihm die »Entschlußkraft« vermisse.269 Er ließ damals den Grund für seine Entscheidung mehr oder weniger offen.270 Erst 266 Die angebliche »Ostorientierung« Stauffenbergs beschäftigt die Widerstandsforschung seit Jahrzehnten. Den Ursprung dieser Behauptung bildete ein Bericht von Hans Bernd ­Gisevius an den amerikanischen Geheimdienst vom Januar 1945 (vgl. Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Biographie, Anhang VII, S. 503–505, hier S. 503). Hans Mommsen interpretierte die »angebliche Hinwendung Stauffenbergs zu Rußland als eine in Analogie zum deutsch-russischen Verhältnis der zwanziger Jahre stehende taktische Entscheidung bei grundsätzlicher Ablehnung des Sowjetsystems« (Mommsen, Gesellschaftsbild, S. 138). Die angebliche Ostorientierung Stauffenbergs verneint Peter Hoffmann ausdrücklich und geht vielmehr vom Gegenteil aus: »Es kam darauf an, sich der Haltung der Kommunisten für die Zeit nach dem Umsturz zu vergewissern, wenn man hoffte, den Krieg im Westen beenden und die Front halten zu können« (Hoffmann, Handlungsbedingungen, S. 1003–1020, hier S. 1014; vgl. zu diesem Komplex Ders., Colonel, S. 520–542). 267 Vgl. Mommsen, Gesellschaftsbild, S. 138. 268 Stauffenberg gab offenbar im Mai 1944 entgegen der Bedenken Goerdelers seine Zustimmung, dass Kontakte mit ehemaligen Kommunisten aufgenommen werden sollten (vgl. Hoffmann: Stauffenberg, S 341 sowie S. 600, Anm. 75); zur so genannten »Saefkow-JacobBästlein-Gruppe« vgl. Hochmuth, KPD. 269 Tagebucheintrag Hassell (27. Mai 1944), in: Hassell, Die Hassell-Tagebücher, S. 426–430, hier S. 430. 270 Hassell habe von Schniewind das wenig plausible Argument vernommen, dass er befürchte, dass »die Mitglieder einer künftigen Regierung als nachher verdammte Liquidatoren« dastehen, »die unerträgliche Bedingungen unterschreiben müssen« (ebd.). Es ist allerdings

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Jahre später nannte Schniewind Einzelheiten für seinen Entschluss, der zu jenem Zeitpunkt gefallen sei, »als mit dem Auftauchen der von dem Grafen Stauffenberg geführten Gruppe die bisherige Linie der Verständigung mit dem Westen gegen den Osten drohte eine Umkehrung zu erfahren und Herr Goerdeler nach [s]einer Meinung nicht die genügende Tatkraft besass, um diese Entwicklung abzubremsen«.271 Ob Schniewind diesen Grund in Anlehnung an die Gerüchte der letzten Kriegstage nur nutzte, um die tatsächlichen Gründe für die Rücknahme seiner Zusage zu verschleiern, muss dahingestellt bleiben.272 Dennoch dürfte der »Sperr-Kreis« zumindest von Stauffenbergs verstärkter Unterstützung des linken Flügels der beabsichtigten Umsturzregierung, insbesondere einer Reichskanzlerschaft des ehemaligen Sozialdemokraten Julius Leber, erfahren haben. Gleich Goerdeler in Berlin dürfte dies auch in Bayern für Verwirrung gesorgt haben, weshalb sich das Gespräch Stauffenberg / Sperr verstärkt auch um die sozialen Reformen drehte, die Stauffenberg sich vorstellte. Ob man sich in diesen Punkten einigen konnte oder perspektivisch hätte einigen können, muss aufgrund der dürftigen Informationen über den tatsächlichen Gehalt von Stauffenbergs Reformvorstellungen offen bleiben. Sicher ist dagegen, dass Sperr bereits am 6. Juni 1944 durch Stauffenberg über das geplante Attentat vom 20. Juli 1944 informiert wurde, ansonsten hätte er dies wohl kaum in seinen Gestapo-Verhören und auch im Prozess bestätigt. Fraglich ist allerdings, wie konkret Stauffenberg gegenüber Sperr wurde und ob Sperr tatsächlich, wie er Freisler erklärte, auf die Ankündigung entsetzt und mit Durchhalteparolen reagierte. Nur wenige Quellen geben hierüber Aufschluss. Unmittelbar nach dem Gespräch mit Stauffenberg brach Sperr wieder in Richtung München auf. Sein Zug legte einen Zwischenhalt in Nürnberg ein. Am Hauptbahnhof informierte Sperr seinen Vertrauensmann Fritz Schade über sein Treffen mit dem späteren HitlerAttentäter. Schade schilderte die ihm durch Sperr zugegangenen Informationen kaum anzunehmen, dass ein politisch erfahrener Mann wie Schniewind diese im Verlauf des Krieges immer wahrscheinlicher werdende Eventualität nicht bereits zuvor erkannt haben dürfte. 271 Otto Schniewind an Walter Hammer (24. Juli 1954), IfZ, ED 106/41, Bl. 52. 272 Gegen seine Behauptung, sein Rückzug habe etwas mit der angeblichen »Ostorientierung« Stauffenbergs zu tun gehabt, spricht vor allem, dass Stauffenberg wohl erst im Juni 1944 seine Zustimmung zur Kontaktaufnahme mit den im Untergrund befindlichen Kommunisten gegeben hatte. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte Schniewind Goerdeler bereits seine Entscheidung mitgeteilt. Dass man im »Sperr-Kreis« sehr wohl von einer »Ostorientierung« des Widerstandes nichts hielt, dürfte angesichts des eigenen Vorgehens auf der Hand liegen. Auf die Verständigung mit dem Westen zielten sowohl die Initiativen des »Kreisauer Kreises« im Jahr 1943, als auch die des »Sperr-Kreises« und des Kronprinzen Rupprecht ab. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Schniewind, der im Übrigen weiterhin Goerdelers »Verbindungsmann zu der bayerischen Gruppe Gessler-Sperr-Hamm« blieb, den Entschluss zur Rücknahme seiner Zusage nach Erörterungen innerhalb des »SperrKreises« traf. Ob dabei eine angebliche »Ostorientierung« eine Rolle spielte, ist jedoch aus den angeführten Gründen zweifelhaft.

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folgendermaßen: »Wenn auch Einzelheiten aus begreiflichen Gründen nicht besprochen wurden, so stand doch fest, daß auf Grund der hoffnungslosen militärischen Lage Deutschlands Hitler beseitigt und damit das Naziregime erledigt werden sollte. Der Anschlag sollte durch die Wehrmacht als der damals wohl allein für diese Aufgabe in Betracht kommenden Organisation auf das sog. ›Führerhauptquartier‹ erfolgen, um dadurch mit einem Schlage Hitler und die nächsten Leute seiner Umgebung unschädlich zu machen. Als Zeitpunkt nannte mir Minister Sperr für die Durchführung den Zeitraum ›im Verlauf der nächsten Wochen‹«.273 Zurück in München erklärte Sperr dann auch seiner Frau Gertraud, »dass mit der Beseitigung Hitlers durch den Kreis um Stauffenberg in nächster Zeit zu rechnen sei«.274 Ebenso informierte er in den darauffolgenden Tagen seine Vertrauten und Kontaktleute in München und Augsburg.275 Es ging ihm anscheinend darum, diese auf den Ernstfall vorzubereiten. Reisert berichtete später, Sperr habe zwar von Stauffenberg erfahren, dass ein Attentat geplant sei, jedoch nicht gewusst, dass Stauffenberg dieses selbst ausführen würde.276 Diese Angabe lässt sich durch den zeitlichen Ablauf der Attentatsvorbereitungen bestätigen: Stauffenberg erhielt Ende Mai den Sprengstoff für das Attentat. Er war spätestens ab diesem Zeitpunkt bereit, das Attentat selbst auszuführen, sollte sich die Gelegenheit dafür ergeben.277 Da er allerdings bis zu seinem inoffiziellen Dienstantritt als Stabschef des Ersatzheeres am 20. Juni 1944 keinen regelmäßigen Zugang zu 273 Fritz Schade an den Vorsitzenden der Spruchkammer Fürstenfeldbruck (Fürstenfeldbruck, Herbst 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade Fritz. – Für sein Spruchkammerverfahren bestätigte Gertraud Sperr Schade diesen Sachverhalt: »Aus den Erzählungen meines Mannes, der am 23.1.1945 wegen Hochverrates hingerichtet wurde, weiß ich, daß er sich nach seinem Besuch bei Graf Stauffenberg am 6.6.1944 auf dem Bahnhof in Nürnberg mit Herrn Schade getroffen hat und ihm von seiner Besprechung mit Stauffenberg Mitteilung gemacht hat« (Erklärung Gertraud Sperr (10. Februar 1946), StAM, SpkA K 2781: Schade Fritz). 274 Mündlich abgegebene Eidesstattliche Versicherung von Gertraud Sperr (München, 26. Januar 1953), BayHStA, LEA 3356. 275 In München klärte Sperr zunächst Eduard Hamm und dieser wiederum Otto Geßler über die Gesprächsinhalte auf (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 390). Weiter gab er Einzelheiten an seine militärischen Vertrauensleute Georg Deininger und Philipp Schubert (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Georg Deininger für Franz Halder (München 16. April 1946), IfZ, ZS 2134, Bl. 2) sowie an die »Augsburger Gruppe« um Reisert, Berz und Johannes Meier (vgl. Ludwig Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes (Manuskript, o. D.), S. 1–17, S. 16, UAE, G 1/7 Nr. 1). Somit waren seine engsten Vertrauten und seine Verbindungsleute in den wichtigsten Regierungsbezirken informiert, München, Nürnberg und Augsburg in Alarmbereitschaft versetzt. Hamm wiederum reiste Mitte Juni 1944 nach Berlin, wo er mit Heinrich Albert und Franz Kempner zusammentraf, und diese ebenfalls über die Attentatspläne informierte (vgl. Heinrich F. Albert an Gertrud HardtwigHamm (27. April 1946), BayHStA, NL Hamm 108. Zu den möglichen Konsequenzen dieses Gesprächs siehe das Kap. VIII.5.b). 276 Vgl. Eidesstattliche Erklärung von Dr. Franz Reisert (Augsburg, 13. Dezember 1949), BayHStA, LEA 3356. 277 Vgl. Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Biographie, S. 412.

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Hitler hatte, seine erste Begegnung mit dem »Führer« vielmehr unerwartet am 7. Juni – am Tag nach der Invasion der Alliierten in der Normandie und Stauffenbergs Treffen mit Sperr – auf dem Obersalzberg stattfand, konnte er bei der Begegnung mit Sperr noch nicht fest mit der eigenständigen Ausführung des Attentats rechnen.278 Bestätigt wird dies durch die Angaben Sperrs, die er nach dem 20. Juli 1944 gegenüber seiner Familie machte.279 Was Sperrs eigenen Gesprächspart betraf, müssen  – nach Kenntnis seiner grundsätzlichen Ablehnung des NS-Regimes und seiner langjährigen konspirativen Tätigkeit für ein Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« – seine angeblichen Durchhalteparolen gegenüber Stauffenberg als Teil seiner Verteidigungstaktik gegenüber Gestapo und Freisler angesehen werden und entsprachen somit nicht der Wahrheit. Zwischen Stauffenberg und Sperr dürfte Einigkeit darüber bestanden haben, dass etwas geschehen musste. Als erfahrener Offizier im Ruhestand war Sperr klar, dass ein Umsturz nur aus den Reihen der Wehrmacht entspringen konnte. Doch war er zugleich erfahrener Verwaltungsbeamter und Politiker genug, dass er auch über die möglichen Konsequenzen eines Attentats auf den »Führer« nachdachte. Und hier scheinen ihm die Vorbereitungen für die Zeit »Danach« und vor allem der beabsichtigte Zeitpunkt der Attentatsausführung nicht ausreichend durchdacht gewesen zu sein. Durch Ludwig Berz ist überliefert: »Als im Sommer 1944 Sperr uns anvertraute, daß man sich in Offizierskreisen mit dem Gedanken eines Staatsstreiches durch ein Attentat auf den Führer trage, teilten wir mit Sperr die große Besorgnis, daß ein solcher Gewaltstreich ohne genügende Vorbereitung im Falle seines Gelingens oder auch Mißlingens einen Bürgerkrieg und damit ein unübersehbares Chaos zur Folge haben würde. Wir rieten daher allgemein davon ab und baten Sperr seinen Einfluß in diesem Sinne geltend zu machen. Die Vorbereitungen waren aber nicht mehr zu stoppen […].«280 Offenbar hatte Sperr durch Stauffenberg auch Einzelheiten im Hinblick auf die Geschlossenheit der Wehrmacht und die Umsturzbereitschaft des Offizierskorps erfahren, die ihn jedoch in seiner Überzeugung einer unzureichenden Vorbereitung der Umsturzpläne nur bestätigt hatten.281 278 Hoffmann schreibt, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass Stauffenberg bereits am 7. Juni auf dem Obersalzberg das Attentat ausführen wollte. Den Sprengstoff dürfte er auf seiner vorherigen Reise nach Bamberg zu seiner Familie nicht mitgeführt haben. Die Aufforderung, nach Berchtesgaden zu fahren, wird ihn überrascht haben. Außerdem habe die Invasion der Alliierten in der Normandie die Verschwörer vor einen völlig veränderten Status quo gestellt. Eine Rücksprache mit seinen Verbündeten in Berlin sei daher dringend erforderlich gewesen (vgl. ebd., S. 415 f.). 279 Sperr sei es »ganz unbegreiflich« gewesen, »dass Stauffenberg selbst der Taeter war« (Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I). 280 Ludwig Berz: Auf- und Ausbau des Widerstandes (Manuskript, o. D.), S. 1–17, S. 16, UAE, G 1/7 Nr. 1. 281 Gegenüber Deininger und Schubert soll Sperr »seine große Besorgnis über die zu einem solchen Vorgehen unbedingt erforderliche Geschlossenheit der Wehrmacht und ihres Offizierskorps« geäußert haben (Ausführungen Deiningers zit. n. ebd., S. 11–13, hier S. 13). Womöglich hatte Sperr Stauffenberg unmittelbar nach dem Rückhalt innerhalb der Wehr-

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Es besteht kein Zweifel, dass man auch im »Sperr-Kreis« das Ende der NSDiktatur herbeisehnte. Doch bestand offenbar Einigkeit darüber, dass ein falsch gewählter Zeitpunkt eines Umsturzes jegliche Vorbereitungen für eine Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« in Bayern ad absurdum führen müsste. Daher habe Eduard Hamm nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 seinem Schwiegersohn anvertraut, dass »das Ganze […] offenkundig ungeschickt gemacht worden« sei, »nicht nur technisch, sondern vor allem auch hinsichtlich des Zeitpunktes der Tat.« Ein Attentat hätte seiner Ansicht nach entweder früher, nach »Stalingrad«, oder bei der nächsten ins Auge springenden Niederlage erfolgen müssen.282 Die Erfahrungen der Jahre 1918/19 und die der frühen Jahre der Weimarer Republik hatten sich tief in das Gedächtnis der Männer des »Sperr-Kreises« eingebrannt. Eine zweite »Dolchstoßlegende« musste in ihren Augen einen Neuanfang in Deutschland und – auf Bayern begrenzt – die Umsetzung der von ihnen seit knapp zehn Jahren getroffenen Vorbereitungen für eine Zeit »Danach« gefährden. Das Offizierskorps und letztlich auch das deutsche Volk müssten bereit sein, einen Umsturz mitzutragen. Entgegen der im Oktober 1943 gegenüber Halder geäußerten Bemerkung, sah Sperr nun die erfolgte Invasion der Alliierten im Westen anscheinend nicht mehr als hinreichende Voraussetzung für die Beseitigung der NS-Diktatur an. Vielmehr scheint er Stauffenberg seine Position verdeutlicht zu haben, wonach erst das alliierte Erreichen des Rheins als günstiger Zeitpunkt für einen Umsturzversuch anzu­ sehen sei.283 Dennoch wird Sperr die Zusammenarbeit mit Stauffenberg nicht grundsätzlich abgelehnt haben. Die Motive Stauffenbergs, mit einem Attentat dem NS-Regime ein Ende zu bereiten sowie Krieg und Holocaust zu beenden, wird er nicht übersehen und auch für richtig gehalten haben. Doch war Sperr – aus heutiger Perspektive womöglich zu sehr – davon überzeugt, dass dem ersten Schritt in die richtige Richtung ein zweiter folgen müsse. Die Richtung dieses zweiten Schritts schien ihm allerdings noch nicht klar genug erkennbar, weshalb er bei der Unterstützung der Stauffenbergschen Pläne zögerte. Ohne den Einfluss Franz Sperrs auf die Gedankenwelt und Pläne Stauffenbergs zu wichtig zu nehmen, ließ die veränderte Kriegslage nach erfolgter Invamacht gefragt, da er an einer solchen mit Bestimmtheit ernsthaft zweifelte. Nach seinen im Herbst 1943 durch Halder zugegangenen Informationen war die Wehrmacht und ihr Offizierskorps zu sehr gespalten, als dass sie geschlossen auf einen Umsturz hinarbeiten könnte (vgl. hierzu das Kap. VIII.3). 282 Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm (Manuskript, o. D.), BayHStA, NL Hamm 110. 283 Martin Riedmayr erklärte in seinem Spruchkammerverfahren: »Sperr hatte am 6. Juni 1944 mit Stauffenberg eine scharfe Aussprache, in der Sperr jede Aktion ablehnte, bevor die Alliierten am Rhein waren« (Erklärung von Martin Riedmayr in seinem Spruchkammerprozess, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin). Ob Sperr Riedmayr über sein Gespräch mit Stauffenberg selbst informiert hatte, konnte zwar nicht ermittelt werden, ist jedoch anzunehmen, da Riedmayr einer seiner wichtigsten Vertrauten in München war.

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sion der Alliierten in der Normandie offenbar auch Stauffenberg in den darauffolgenden Tagen vorübergehend an der politischen Sinnhaftigkeit des Attentats hinsichtlich des Zeitpunkts zweifeln. Kurze Zeit nach dem 6. Juni 1944 ließ Stauffenberg über den in die Umsturzpläne eingeweihten Oberleutnant der Reserve Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort bei der treibenden Kraft des militärischen Widerstandes und einem seiner engsten Vertrauten, dem Generalmajor Henning von Tresckow, anfragen, ob ein Attentat nun überhaupt noch politisch zweckmäßig sei. Daraufhin habe ihm Tresckow die Antwort zukommen lassen, dass das Attentat unbedingt erfolgen müsse, da es nun nicht mehr »auf den praktischen Zweck« ankomme, »sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt« habe.284 Dies unterschied die Widerstandsgruppe um Stauffenberg und Tresckow vom »Sperr-Kreis«. Der bayerische Wider­standskreis agierte nahezu ausschließlich zweckorientiert, in dem er in erster Linie die Zukunft Bayerns im Blick hatte. An einem Vabanquespiel wollte man sich in Bayern nicht beteiligen. Natürlich planten die Männer um Sperr seit einiger Zeit auch bereits die Durchsetzung eines etwaigen Berliner Umsturzes in Bayern. Deshalb bezog sich Sperrs Kritik an der unzureichenden Vorbereitung wohl vor allem auf die ihm durch Stauffenberg mitgeteilte Umsturzbereitschaft der Wehrmacht außerhalb Bayerns. Denn was Bayern selbst betraf, scheint Sperr zu diesem Zeitpunkt durchaus mit den eigenen Vorbereitungen zufrieden gewesen zu sein. Hierauf lässt zumindest ein Gespräch Sperrs mit einem Verbindungsmann von Rudolf Graf Marogna-Redwitz, dem Bruder des Kabinettschef des Kronprinzen, der mit Stauffenberg verwandt und dessen Regimentskamerad war, schließen.285 Sperr habe Anfang Juli 1944 bei einem Treffen in der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft gegenüber Hans Schmidt-Polex die »Zuverlässigkeit der verschiedenen Truppenkommandeure in Bayern und die Möglichkeit, sie bei einem Putsch aktiv einzusetzen«, angedeutet. Auf die Nachfrage Schmidt-Polex’ hin, ob er Marogna-Redwitz hierüber Bericht erstatten solle, habe Sperr erwidert, dass

284 Zit. n. Grabner, Weg zur Wahrheit, S. 103–119, hier S. 116. Zu Henning von Tresckow immer noch maßgeblich Scheurig, Henning von Tresckow. Parallel zum Erscheinen der Neuauflage der Scheurig-Biographie 2004 setzte eine wissenschaftliche Debatte unter anderem über Treschows Rolle als Stabschef der 2. Armee der Heeresgruppe Mitte und dessen Wissen um die SS-Verbrechen hinter der Ostfront ein, die einige neuere, teils kritische Beiträge zu Tage förderte. Die Debatte wurde maßgeblich angetrieben durch die Historiker Christian Gerlach und Johannes Hürter, die unter anderem Treschows frühe Kenntnis von den Massenmorden hervorhoben (vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde; Ders., Hitlergegner, S. 62–76; Hürter, Militäropposition, S. 527–562). Demgegenüber nahmen unter anderem Hermann Graml und Günther Gillessen Tresckow ausdrücklich in Schutz (vgl. Graml, Massenmord, S. 1–24; Gillessen, Tresckow, S. 365–386). 285 Marogna-Redwitz war von den Berliner Verschwörern als Verbindungsoffizier im Wehrkreis XVII (Wien) vorgesehen (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 27).

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dieser »über diese Dinge bestens orientiert« sei.286 Da Marogna-Redwitz in der Zwischenzeit zum Stab des Generals Olbricht versetzt worden war, könnte er diese Informationen womöglich unmittelbar von Stauffenberg erhalten haben. Stauffenberg dürfte nach dem Gespräch mit Sperr am darauffolgenden 7. Juni 1944 mit gemischten Gefühlen nach Berchtesgaden gereist sein, wo er auf dem Obersalzberg erstmals an einer Lagebesprechung bei Hitler teilnahm. Nach Berlin zurückgekehrt, wird er seine Vertrauensleute im Bendlerblock womöglich von seinen Bamberger Gesprächen berichtet haben. Entsprechend der Gespräche der »Kreisauer« mit den »Bayern« im Jahr zuvor war es auch Stauffenberg darum gegangen, den Widerstand gegen Hitler zu bündeln, indem er seine programmatischen Vorstellungen für eine Zeit »Danach«, die für den »Sperr-Kreis« entscheidende Bedeutung besaßen, vorstellte. Wenn auch die Offenlegung der Attentatsabsicht für Sperr die alles andere überragende Botschaft seines Gesprächs mit Stauffenberg gewesen sein dürfte, hätte er, der in den Gesprächen mit Moltke 1943 leidenschaftlich den bayerischen Standpunkt vertreten hatte, gegenüber seinen Münchener und Augsburger Vertrauten mit Sicherheit auch auf die bundesstaatliche Neuordnung Deutschlands á la Stauffenberg verwiesen, wenn ihm diese grundsätzlich missfallen hätte. Was die Programmatik betraf, scheint man sich somit zumindest nicht uneinig gewesen zu sein. Anders sah dies im Hinblick auf den geplanten Attentatsversuch aus. Von der Notwendigkeit eines Umsturzes hatte Stauffenberg Sperr zwar nicht überzeugen müssen. Es dürfte ihm jedoch um die Erlangung einer bayerischen Zusage zur Unterstützung des geplanten Umsturzes gegangen sein. Hätte Sperr Stauffenberg mitgeteilt, dass man in Berlin mit der Umsetzung entsprechender Maßnahmen in Bayern nach einem erfolgten Attentat auf den »Führer« nicht rechnen dürfe, hätte sich dies ohne Zweifel in den Diskussionen der Berliner Widerständler im Vorfeld des 20. Juli niedergeschlagen. Hierfür gibt es keinerlei Hinweise. Es ist folglich davon auszugehen, dass Sperr Stauffenberg die Unterstützung zumindest nicht verweigerte, obwohl er – wie beschrieben – schärfste Bedenken hinsichtlich des Zeitpunkts und der getroffenen Vorbereitungen geäußert hatte. Die Haltung des »Sperr-Kreises« war in gewisser Weise konsequent, zugleich jedoch – aus heutiger Perspektive – zu sehr auf das eine Ziel fixiert. Ihrer bürgerlichen Sozialisation entsprechend, fühlten sich die Mitglieder des Kreises verantwortlich für das deutsche, insbesondere für das bayerische Volk nach Untergang des »Dritten Reiches«. Sie schoben damit jedoch eine Verantwortung für die Millionen von Menschen, die im Sommer 1944 von Krieg und Verfolgung betroffen waren, von sich. Indem sie aus Rücksicht und mit Hinweis auf die Folgen eines zu wenig vorbereiteten Umsturzversuches, einen solchen zum damaligen Zeitpunkt nicht mit allen Kräften zu unterstützen versprachen, nahmen sie, im vollen Bewusstsein um die Gräueltaten des NS-Regimes, deren Fortsetzung in

286 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Hans W. Schmidt-Polex (München, 23. September 1948), StAM, SpkA K 1658: Schmitt, Kurt).

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Kauf. Mit dieser Haltung stand die Widerstandsgruppe um Sperr allerdings innerhalb des deutschen Widerstandes nicht alleine.287 Im Gegensatz zu vielen anderen war der »Sperr-Kreis« zumindest über den anstehenden Umsturzversuch informiert. Es verwundert daher sehr, dass am 20. Juli 1944 in München und Bayern die Botschaft vom Attentatsversuch eher mit Überraschung aufgenommen und die Aufforderung des Bendlerblocks zur Umsetzung der Umsturzpläne offenbar nicht mit tatkräftiger Unterstützung beantwortet wurde.

5. Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 und seine Folgen für den »Sperr-Kreis« Da die Männer um Sperr durch ihre Verbindungen zu Stauffenberg, ­Goerdeler und dem »Kreisauer Kreis« mit den Protagonisten des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 in Kontakt waren, ist im ersten Kapitel dieses Abschnitts von Interesse, ob der »Sperr-Kreis« sich am Tag des Attentats an den Umsturzbemühungen der Berliner »Verschwörer« beteiligte? Eine maßgebliche Beteiligung ist allein deshalb bereits anzunehmen, da die gesamte Führungsriege des Wider­standskreises sowie einige Vertraute in München und Augsburg nach dem 20. Juli 1944 verhaftet werden sollten. Die Umstände ihrer Festnahmen sowie der Prozess gegen einzelne Mitglieder der Gruppe sollen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen. Abschließend wird in diesem Abschnitt untersucht, ob der »Sperr-Kreis« nach der Festnahme seiner Führungsspitze als Organisation in Takt bleiben konnte und ob eine Mitarbeit in der so genannten »Freiheitsaktion Bayern« zustande kam, die in den letzten Kriegstagen im April 1945 Bayern vom NS-Regime befreien wollte.

287 Richard von Weizsäcker beschrieb dies unter Erwähnung seiner eigenen Erfahrungen sehr anschaulich und wies auf die perfiden Konsequenzen hin, die man damals außer Acht ließ: »Wie erbittert war oft unter oppositionell Gesinnten darüber gestritten worden, ob es einen richtigen Zeitpunkt für ein Attentat auf Hitler gebe. Manche meinten, es dürfe nicht zu früh kommen, um keine zweite Dolchstoßlegende wie am Ende des Ersten Krieges entstehen zu lassen. Erst wenn die Alliierten tief genug in Deutschland eingedrungen seien, werde die Bevölkerung begreifen, worum es gehe. Ich erinnere mich an eine solche heiße, die ganze Nacht dauernde Diskussion wenige Wochen vor dem 20. Juli 1944 im Hause meines Bruders […]. Es ist schwer erträglich, im nachhinein an diese Debatten zu denken wie auch an die vielen Hindernisse und Versäumnisse im Widerstand. Warum konnten damals kluge und tapfere Leute nicht erkennen, daß es längst nicht mehr um Legenden oder um das spätere Verständnis historischer Rollen und Taten ging, sondern um die Menschenleben eines jeden Tages? Die Zahl der Opfer in den Vernichtungslagern und bei der kämpfenden Truppe, bei Luftangriffen und auf der Flucht war in den Monaten nach dem gescheiterten Attentat größer als in der ganzen Kriegszeit davor zusammengenommen. Wir haben es nicht geschafft« (Weizsäcker, Vier Zeiten, S. 91).

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a) Der 20. Juli 1944 in Bayern – Beteiligung des »Sperr-Kreises«? Das von Stauffenberg gegenüber Sperr angekündigte Attentat scheiterte am 20. Juli 1944. Stauffenberg selbst unternahm den Versuch, Hitler bei einer Lage­ besprechung im Führerhauptquartier »Wolfschanze« nahe Rastenburg an der Ostfront mit einem in seiner Aktentasche befindlichen Sprengsatz zu töten. Letzterer trug jedoch nur leichte Verletzungen davon. Stauffenberg, der noch gerade so dem Schauplatz des Geschehens entkommen konnte, suchte in Berlin sogleich den Bendlerblock auf, von wo aus er bis in die Nacht hinein mit Gleichgesinnten den Umsturz trotz nach und nach durchsickernder Nachrichten vom Überleben des Führers vorantrieb. Bevor der Umsturzversuch mit der noch in der Nacht erfolgten Hinrichtung Stauffenbergs und seiner Gefährten endgültig scheiterte, zählte es in diesen schicksalhaften Stunden zu den Hauptaufgaben, die einzelnen Wehrkreise des Reiches zu alarmieren und die dortigen Befehlshaber anzutreiben, im Rahmen der »Walküre«-Pläne gegen die SS in ihren Wehrkreisen vorzugehen, um auf diese Weise Sicherheit und Ordnung im Reich zu erhalten.288 In Bayern waren die Wehrkreise VII (München) und XIII (Nürnberg) für die Verschwörer relevant. Doch wer waren die dortigen Vertrauensleute und was für eine Rolle spielten sie am 20. Juli 1944? Trotz Stauffenbergs Ankündigung wurde der bayerische Widerstandskreis um Franz Sperr vom Attentatsversuch »überrascht«.289 Während Sperr am 20. Juli zu Besuch in Tiefenbrunn bei Kurt Schmitt gewesen sei290, befand sich Eduard Hamm mit seiner Familie in Reit im Winkl. Die Durchsage vom Misslingen des Attentats hörten sie »zufällig gemeinsam am Rundfunk«.291 Dem ersten Anschein nach hatte der »Sperr-Kreis« somit mit den Vorgängen am 20. Juli 1944 nichts zu tun. Doch standen die bayerischen Vertrauensleute der »Attentäter« womöglich mit der Gruppe um Sperr in Verbindung? Als zivile Kontaktleute in den einzelnen Wehrkreisen versuchte Carl G ­ oerdeler ab 1943 so genannte »Politische Beauftragte« für den Widerstand zu gewinnen. Er erstellte hierüber eine Liste, die er einigen Mitstreitern im Widerstand, unter 288 Zu den Ereignissen des 20. Juli 1944 im Berliner Bendlerblock siehe ausführlich Hoffmann, Widerstand; Fest, Staatsstreich. 289 Martin Riedmayr gab unter anderem an, dass er vom 20. Juli 1944 überrascht worden sei (vgl. Erklärung von Martin Riedmayr in seinem Spruchkammerprozess, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin). 290 Aussage von Kurt Schmitt in seinem Spruchkammerverfahren (11. September 1947), FHA, NL 1/85, S. 22. 291 Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110. Bei Hamm scheint sich die Überraschung in Grenzen gehalten und die Verärgerung über das Scheitern des Attentats überwogen haben. Gegenüber seiner Frau Maria soll er wenige Tage nach dem 20. Juli zugegeben haben, dass er von den Atten­ tatsplänen gewusst habe und »dass schon zwei Termine dafür geplant gewesen seien«. Ob mit den »Terminen« die beabsichtigten, aber nicht zur Ausführung gekommenen Attentatspläne Stauffenbergs in den Tagen vor dem 20. Juli gemeint waren, muss dahingestellt bleiben.

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anderem Stauffenberg, vorlegte. Im Wehrkreis VII verzeichnete die Liste Otto Geßler als »Politischen Beauftragten«, der über Otto Schniewind im Bankhaus »Seiler & Co.« zu erreichen sei. Da seine Erreichbarkeit ausschließlich über den Weg Schniewind erfolgen sollte, ist nicht auszuschließen, dass Geßler tatsächlich von der Aufnahme seines Namens in die Liste nichts wusste, wie er nach dem Krieg felsenfest behauptete.292 Als »Politischen Beauftragten« für den Wehrkreis XIII habe man den Gewerkschaftler Georg Böhme gewinnen können. Die Wahl Böhmes habe mit derjenigen Geßlers im Wehrkreis VII in enger Verbindung gestanden. Böhme sollte nach Aussage Goerdelers, »für das stark industrielle Gebiet« als ein »besonderer Unterbeauftragter beigegeben werden«. Er sei im Herbst 1943 über seine Aufgaben unterrichtet worden.293 Auf militärischem Sektor sind die »Vertrauensleute« in den einzelnen Wehrkreisen, nachdem Stauffenberg die Staatsstreichvorbereitungen übernommen habe, in zwei Kategorien unterteilt worden294: Erstens habe man bewusst hochrangige Angehörige der Stäbe in den einzelnen Wehrkreiskommandos angesprochen und auf deren Unterstützung am Tag X gebaut. Zweitens habe man einzelne Offiziere in die Umsturzvorbereitungen unmittelbar eingeweiht, die am Tag des Attentats als Verbindungsoffiziere zwischen dem Allgemeinen Heeresamt, der »Staatsstreichzentrale«, und den einzelnen Wehrkreisen fungieren sollten. Jene zweite Gruppe, die Verbindungsoffiziere, sollten also als unmittelbare Vertrauensleute in den einzelnen Wehrkreisen zur Verfügung stehen. Doch zeigte sich insbesondere für die beiden bayerischen Wehrkreise, dass es bei der Findung entsprechender Persönlichkeiten zu Schwierigkeiten kommen konnte, die sich schließlich auch bei der Durchsetzung der Umsturzbefehle am 20. Juli 1944 als erschwerend erweisen sollten. Im Wehrkreis VII (München) wirkte sich womöglich problematisch aus, dass unmittelbar im Vorfeld des 20. Juli 1944 der ursprünglich vorgesehene Verbindungsoffizier Ludwig Freiherr von Leonrod nach Berlin beordert wurde, und an seiner Stelle dessen Jugendfreund Max Ulrich Graf von Drechsel eingesetzt wurde.295 Drechsel sei von Leonrod zwar darauf vorbereitet worden, dass »er einen telegraphischen Befehl erhalten würde, daß außerdem das Stichwort mit einem Rundfunkaufruf gegeben sei, der mit dem Satz beginne ›Der Führer ist tot‹, daß er sich zum stellvertretenden Generalkommando zu begeben habe usw«.296 Allerdings sollte sich – was noch 292 Vgl. Otto Geßler an Rudolf Flach (Lindenberg im Allgäu, 28. Februar 1946), BayHStA, NL Hamm 5. Da Geßlers Name gegenüber dem vorgesehenen Verbindungsoffizier Ludwig Freiherr von Leonrod bereits im Herbst 1943 erwähnt wurde, erscheint es möglich, dass Otto Schniewind, Goerdelers Kontaktperson nach Bayern, Geßler als möglichen Verbindungsmann nach Berlin ins Spiel gebracht hatte, da die Aktivierung Geßlers am Tag des Umsturzversuchs über ihn erfolgen sollte. 293 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 358. 294 So Hoffmann, Widerstand, S. 381 f. 295 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 259 u. 296. 296 Ebd., S. 311.

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dargelegt wird – dieser wohl durchdachte Plan am 20. Juli 1944 nicht wie beabsichtigt umsetzen lassen. Im Wehrkreis XIII (Nürnberg) versuchte Stauffenberg im Januar 1944 den Hauptmann d. R. Freiherr Truchseß von Wetzhausen als Verbindungsoffizier zu gewinnen, der jedoch zögerte und zudem nicht in Nürnberg stationiert war.297 So stand der Wehrkreis XIII am Tag des Attentats ohne wirklichen Verbindungsoffizier da, während im Wehrkreis VII ein unbedingtes Vertrauensverhältnis durch den kurzfristigen Wechsel des Verbindungsoffiziers nicht gegeben sein konnte. Die Voraussetzungen für eine Unterstützung des Umsturzes von München und Nürnberg aus schienen bereits in dieser Hinsicht nicht günstig zu sein. Somit rückte in den beiden bayerischen Wehrkreisen aus Sicht der Berliner Verschwörer die erste Gruppe in den Vordergrund, also jene Offiziere, von denen man sich versprach, am Tag X auf sie zählen zu können. Beim Befehlshaber im Wehrkreis XIII (Nürnberg), General der Infanterie Mauritz von Wiktorin, dürfte dies mehr, im Wehrkreis VII (München) bei General der Infanterie Karl Kriebel weniger der Fall gewesen sein.298 Was die ihnen nachfolgenden Ränge betraf, ließ sich auf bereits bestehende konspirative Verbindungen zurückgreifen. Im Wehrkreis VII (München) setzte man die Hoffnungen insbesondere auf den Ersten Generalstabsoffizier (Ia), Oberstleutnant Bruno Grosser, sowie im Wehrkreis XIII (Nürnberg) auf den Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos XIII, Oberst i. G. Viktor Kolbe. Beide standen mit dem »Sperr-Kreis« seit Monaten in engem Kontakt und dürften von der Tatsache, dass sich in Berlin führende Militärs und Zivilisten auf einen Umsturzversuch vorbereiteten, nicht überrascht gewesen sein.299 Als Grosser im Wehrkreis VII (München) sowie der Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos VII, Oberst Max Ulich, über das un297 Vgl. Beer, Widerstand, S. 299; Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 312 f. 298 Der »österreichische[…] Edelmann alter Schule« General von Wiktorin geriet mit den Parteistellen in Nürnberg bereits im Vorfeld des 20. Juli 1944 in Konflikt (Kunze, Kriegsende, S. 76). Was Kriebel betraf, habe vor allem Caracciola geglaubt, diesen soweit zu haben, dass man auf ihn setzen könne. Schubert schrieb hierzu nach dem Krieg, dass sich Kriebel aber auch wirklich nur gegenüber Caracciola als Nazi-Gegner offenbart, ansonsten aber nicht viel Mut aufgebracht habe, offen aufzutreten (vgl. Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung, IfZ, ZS 391/5). In besonders engem Kontakt stand naturgemäß der Ia im Stabe Kriebel, Oberstleutnant Bruno Grosser, zu seinem Vorgesetzten. Auch er beurteilte Kriebel nach dem Krieg entsprechend: »Kriebel ließ in seiner undurchsichtigen, zurückhaltenden, fast mimosenhaften Art nur seine allernächste Umgebung wahrnehmen, daß er gegen den Nationalsozialismus eingestellt war« (Eidesstattliche Erklärung von Bruno Großer über General d. Inf. Karl Kriebel (Berchtesgarden, 2. Februar 1948), IfZ, ZS 2403, Bl. 2–8, hier Bl. 2). Kriebel war offenbar sehr undurchsichtig, was seine tatsächliche politische Haltung betraf und dürfte entsprechend für die Berliner Verschwörer nur schwer einzuschätzen gewesen sein. Dass man zurecht nicht in erster Linie auf ihn setzte, sollte sich nach dem 20. Juli 1944 als richtig herausstellen, als Kriebel als Vertreter mit zum so genannten »Ehrenhof der Wehrmacht« zählte, der die am Umsturz beteiligten Offiziere aus der Wehrmacht ausstieß (zu Kriebel vgl. Bradley, Generale, S. 221–222). 299 Vgl. hierzu die Kap. VI.2.a u. VI.3.b.

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mittelbar bevorstehende Attentat informiert wurden, dürfte beide allenfalls die kurze Frist bis zum Attentat überrascht haben. Die Information erfolgte jedoch nicht aus den Reihen des bayerischen Widerstandskreises, sondern durch Ulichs Vorgänger als Generalstabschef, Oberst i. G. Hans Otfried von Linstow, der als Chef des Stabes beim Militärbefehlshaber in Paris zu den Hauptbeteiligten des Umsturzes zählte.300 Ob Kolbe im Wehrkreis XIII (Nürnberg) in den Tagen vor dem 20. Juli 1944 ebenfalls informiert wurde, lässt sich nicht ermitteln. Neben der alles andere als optimal verlaufenen Personalplanung im Vorfeld des 20. Juli 1944 sorgte der zeitliche Ablauf der Ereignisse am Tag des Umsturzversuchs für erhebliche Probleme für eine mögliche Unterstützung aus den einzelnen Wehrkreisen, insbesondere den bayerischen Wehrkreisen VII und XIII. Die ersten Fernschreiben mit den »Walküre«-Befehlen wurden aus Berlin fataler Weise mit hoher Geheimhaltungsstufe versehen, weshalb die Übertragung an die einzelnen Wehrkreise sehr lange dauerte. Teilweise gingen die Befehle erst nach Dienstschluss und nach der ersten Rundfunknachricht vom Überleben Hitlers am frühen Abend des 20. Juli ein.301 Für den Wehrkreis VII (München) steht fest, dass zumindest die ersten Fernschreiben aus der Berliner Bendlerstraße gar nicht ankamen, bevor der Umsturzversuch zusammengebrochen war.302 Eine Aktivierung Geßlers und Drechsels war entsprechend kaum möglich gewesen. Doch selbst wenn das vorbereitete und abgeschickte Fernschreiben, in dem der »Politische Beauftragte« und der »Verbindungsoffizier« benannt wurden, durchgekommen wäre, hätte dies wohl für Verwirrung gesorgt. Denn obwohl sich in der Zwischenzeit Drechsel als neuer »Verbindungsoffizier« bereit erklärt hatte, tauchte im Fernschreiben der Name Leonrod auf, der sich jedoch am Tag des Attentats in der Schaltzentrale des Umsturzversuchs, im Bendlerblock, aufhielt.303 Die Nachricht konnte Drechsel somit gar nicht erreichen, unabhängig davon, ob sie rein technisch im Wehrkreiskommando VII ankam.304 Die potentiellen Unterstützer des Umsturzes im Wehrkreiskommando VII, Ulich und Grosser, blieben demnach bis in die frühen Abendstunden des 20. Juli 300 Zu Linstow vgl. Klewitz, Aktion, S. 61–85. Auch Linstow war für den »Sperr-Kreis« kein Unbekannter. 1943 führte er ein konspiratives Gespräch mit Kurt Schmitt (vgl. Feldman, Allianz, S. 520 f.). Allerdings ließen sich weitere Verbindungen zum »Sperr-Kreis« nicht feststellen. 301 Über die Fernschreiben aus der Bendlerstraße vgl. Meldung der Ag N / H NV über die Vorgänge am 20.7.1944, etwa 16.30–21.7.1944, 05.00 Uhr, die Durchgabe der Fernschreiben betreffend, in: Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 63–65. 302 Grund hierfür scheint die in den Tagen zuvor durch alliierte Luftangriffe erfolgte weitgehende Zerstörung der für die Nachrichtenübertragung notwendigen Funkverbindungen gewesen zu sein (vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 550). 303 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 78. 304 Ob Drechsel am 20. Juli 1944 irgendwelche Befehle erreichten oder er auf eigene Initiative etwas unternahm, konnte weder die Gestapo nach seiner Verhaftung feststellen noch lässt sich dies heute rekonstruieren. Es scheint so, als seien ihm lediglich die Aussagen Leonrods zur Last gelegt worden, dass er die Aufgabe des »Verbindungsoffiziers« an dessen Stelle übernommen habe.

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ohne Informationen aus Berlin, obwohl sie für den Tag des Umsturzes bereits Vorbereitungen zur Machtübernahme in München getroffen hatten.305 Erst am späten Nachmittag wurde Grosser aus Berlin aufgefordert, unverzüglich bei Oberst Stauffenberg in der Bendlerstraße anzurufen. Da in der Zwischenzeit das Scheitern des Attentats über den Rundfunk bekannt wurde, entschloss man sich jedoch im Wehrkreiskommando VII gegen einen Anruf und zu einer abwartenden Haltung.306 Im Wehrkreis XIII (Nürnberg) erreichten die Berliner Fernschreiben über Hitlers Tod und die Befehle zur Übernahme der Vollziehenden Gewalt sowie zur Festnahme von SS- und Parteimitgliedern ihre Adressaten. Nach telefonischer Rücksprache Oberst Kolbes mit Stauffenberg entschied man sich zur Umsetzung der Anordnungen und Ausgabe der Befehle.307 Anschließend nahm man jedoch vorsichtshalber Kontakt mit den benachbarten Wehrkreisen auf, um zu erfahren, wie dort verfahren werde. Nachdem man von dort erfahren hatte, dass widersprüchliche Meldungen und Ansichten über die tatsächliche Befehlsgewalt, »Bendlerblock« oder »Führerhauptquartier«, bestanden308, entschied man sich, nachdem man den inzwischen festgesetzten Befehlshaber des Ersatzheeres Generaloberst Fromm nicht erreichen konnte, unmittelbar in der »Wolfsschanze« anzurufen. Generalfeldmarschall Keitel machte den verunsicherten Offizieren im Wehrkreis XIII unmissverständlich klar, dass Hitler am Leben sei und nur Keitels Befehle zu befolgen seien. Auch ein erneuter Rückruf bei Stauffenberg in Berlin, der noch einmal versichert habe, dass Hitler tot sei, lies »ein energisches Handeln nicht verantwortbar« erscheinen.309 Man habe sich in Nürnberg daher auch entschieden, eine »abwartende Stellung« einzunehmen und letztendlich die vorbereiteten Befehle auf der Toilette verbrannt und hinuntergespült.310 Der für 305 Grosser hatte in den Tagen vor dem Attentatsversuch vorsorglich verfügbare Einheiten der Infanterie, der Pioniere und der Panzertruppen zur Geländeausbildung an den Starnbergersee in die Nähe des nach Kempfenhausen verlegten Wehrkreiskommandos verlegt (vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 551). Grosser handelte höchstwahrscheinlich eigenständig. Es ist jedoch zu vermuten, dass ein solcher Schritt – der Zusammenziehung von zur Verfügung stehenden Einheiten  – seit 1943 im Rahmen der Gespräche mit Caracciola und Schubert abgesprochen worden war. Schließlich hatte Schubert im Vorfeld dafür gesorgt, dass Oberst Grosser anstelle des »Nazi-Offiziers« Oberst Josef Gollé Kommandeur von Garmisch wurde (vgl. Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 5). 306 Hoffmanns Erklärung hierfür klingt einleuchtend: »Hitler war noch am Leben und hatte das Kommando, jedes Vorgehen wäre Meuterei gewesen und die hätte wahrscheinlich – so dachten jedenfalls die Offiziere – das Heer zerbrochen« (Hoffmann, Widerstand, S. 551). 307 Vgl. ebd., S. 562. 308 Im Wehrkreis VII (München) hatte in der Zwischenzeit der Chef des OKW, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, von der »Wolfsschanze« aus angerufen, um sich zu versichern, dass dort nichts im Sinne der »Berliner Verschwörung« unternommen werde (vgl. ebd., S. 551). 309 Ebd., S. 563. 310 Zit. n. ebd.

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den Wehrkreis XIII vorgesehene »Politische Beauftragte« Georg Böhme wurde derweil offenbar am 20. Juli 1944 gar nicht aktiv.311 Weder in München noch in Nürnberg waren somit die Vorbereitungen im Vorfeld des 20. Juli 1944 soweit gediehen und die technischen und personellen Voraussetzungen gegeben sowie der Ablauf der Ereignisse exakt geplant, dass eine Unterstützung des Umsturzversuchs von Bayern aus hätte erfolgreich stattfinden können. Mit Sicherheit hatte Franz Sperr nicht alle hier aufgezählten und eingetretenen Eventualitäten, Zufälle und Probleme im Kopf, als er im Hinblick auf die Vorbereitungen und den Zeitpunkt die Umsturzpläne gegenüber Stauffenberg kritisiert hatte. Feststeht, dass es innerhalb der Wehrmacht im Sommer 1944 noch zu viele Gegner eines Umsturzes gab. Wohl nur bei einer optimal vorbereiteten und erfolgreich verlaufenden Operation, dem Tod Hitlers, dem Ausbleiben technischer Störungen und der fehlerfreien Zuverlässigkeit der zum Umsturz bereiten Offiziere und Zivilisten hätte der Umsturzversuch tatsächlich gelingen können. So aber blieben die für einen Umsturz in München getroffenen personellen und inhaltlichen Maßnahmen des »Sperr-Kreises« außen vor und die von ihm in Bayern seit Monaten angestellten Pläne einer »Auffangorganisation« für die Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« in der Schublade. Vermutlich wäre aufgrund des Berliner Befehls an die Wehrkreise, der die Heranziehung der »Politischen Beauftragten« vorsah, als erstes Mitglied des »Sperr-Kreises« Otto Geßler kontaktiert worden. Zweifelsohne hätte er versucht, mit seinen engen Vertrauten Sperr und Hamm das weitere Vorgehen abzustimmen. Ob die Vorbereitungen des Widerstandskreises vor allem in militärischer Hinsicht ausreichend gewesen wären, um in Bayern den Umsturz voranzutreiben, muss dahingestellt bleiben. Mit Sicherheit hätten die erschwerten Bedingungen der Nachrichtenübermittlung in die einzelnen Regierungsbezirke auch dem »Sperr-Kreis« erhebliche Probleme bereitet und so die Umsetzung der »Auffangorganisations«-Pläne vermutlich unmöglich gemacht. Ein Umsturz in Bayern, insbesondere in München, wäre durch den Ablauf der Ereignisse ähnlich wie in Paris, Prag und Wien, wo zunächst erfolgreich SS- und Parteifunktionäre verhaftet wurden, letztlich doch niedergeschlagen worden. Sperr, Geßler und Hamm sowie ihre Vertrauensleute innerhalb der Widerstandsgruppe hätten ihre »sichere« Deckung verlassen müssen und wären als Unterstützer des Umsturzes unmittelbar aufgeflogen und verhaftet worden. Da den »Sperr-Kreis« die

311 Vgl. Beer, Widerstand, S. 298. Beer ging davon aus, dass die Gestapo Böhme nicht auffinden und verhaften konnte, da sie zu ihm nur sehr vage Angaben machte. Selbst umfangreiche Recherchen Beers im Hinblick auf die Identität Böhmes blieben bereits Mitte der 1970er Jahre ohne Erfolg. Auch in gewerkschaftlichen Kreisen war er unbekannt (vgl. ebd., S. 372 f.). Eigene Nachforschungen des Verfassers im Stadtarchiv Nürnberg sowie schriftliche Erkundigungen wurden ebenfalls negativ beantwortet (vgl. E-Mail des Staatsarchiv Nürnbergs an den Verfasser vom 25. März 2014), so dass die Person Georg Böhme und sein Bezug zum Widerstand vom 20. Juli 1944 und mögliche Beziehungen zum »Sperr-Kreis« weiterhin im Dunkeln bleiben.

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Informationen vom eingeleiteten Umsturz aus Berlin gar nicht erreichten, blieb auch der »Blutzoll«, den er nach dem 20. Juli 1944 zu zahlen hatte, vergleichsweise gering. b) Verhaftungen, Verurteilungen, Opfer Die Akten der Vernehmungen und des Volksgerichtshofprozesses gegen die Mitglieder des »Sperr-Kreises« sind verschollen.312 Lediglich die so genannten »Kaltenbrunner-Berichte« und die Urteilsniederschriften können Anhaltspunkte bieten. Durch Rückgriff auf diese Quellen sollen nun die Versuche des Reichssicherheitshauptamtes untersucht werden, den Kreis der Beteiligten am Attentatsversuch auf Hitler vom 20. Juli 1944 zu rekonstruieren. Es wird hierbei dargestellt, wer, wann und wieso verhaftet wurde und was den einzelnen Mitgliedern des Widerstandskreises zur Last gelegt wurde. Dabei gilt letztlich die Frage zu klären, ob der Gestapo das ganze Ausmaß des Widerstands der Männer um Franz Sperr bekannt war. Schwerwiegende Konsequenzen für die bayerische Widerstandsgruppe dürften zunächst einmal nicht zu erwarten gewesen sein, hatte man sich doch kaum bis gar nicht am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt. Die Folgen für die unmittelbar am Tag des Attentatsversuchs in den bayerischen Wehrkreisen handelnden und mit dem »Sperr-Kreis« in Kontakt stehenden Offizieren fielen tatsächlich vergleichsweise glimpflich aus: Während Oberstleutnant Grosser überhaupt nicht belangt wurde, sondern vielmehr Ende März 1945 zum Nachfolger Ulichs als Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos VII berufen wurde313, verlor Oberst Kolbe gemeinsam mit seinen unmittelbar Vorgesetzten und Untergebenen aufgrund seiner bereitwilligen Umsetzung der Befehle der Verschwörer seine Stelle als Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos XIII.314

312 Auch Nachforschungen im Sonderarchiv Moskau, wo mögliche Prozessakten im Fond 1361: Justizeinrichtungen Deutschlands (Sammlung) vermutet werden konnten, blieben erfolglos. 313 Vielmehr geriet Philipp Schubert, der Grosser anstelle von Oberst Gollé in Garmisch hatte einsetzen lassen, in ernsthafte Schwierigkeiten. Gollé ließ seine Absetzung nicht auf sich sitzen und zeigte Schubert wenige Tage nach dem 20. Juli 1944 beim Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos VII, Oberst Ulich, an, der offenbar nun versuchte – wenn er überhaupt jemals als Unterstützer des Umsturzes in Frage gekommen wäre – durch eine kompromisslose Haltung zu überzeugen. Schubert verdankte es seinem Vorgesetzten, dem Kommandeur der Münchener Ersatzdivision, Generalleutnant Rudolf Sintzenich, dass er aufgrund der ihm von Gollé unterstellten, regimekritischen Äußerungen nicht belangt wurde (vgl. Josef Gollé an Max Ulich (München, 13. August 1944) sowie Rudolf Sintzenich an Max Ulich (Garmisch, 16. August 1944), beides BayHStA, HS 965; zu weiteren Angaben Schuberts in dieser Angelegenheit und zu seinem Urteil über Oberst Ulich vgl. Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 5). 314 Vgl. Hoffmann, Widerstand, S. 845 f., Anm. 225.

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Da der »Sperr-Kreis« ansonsten weder in die bayerischen noch in die Berliner Geschehnisse am 20. Juli unmittelbar involviert war, blieben seine Mitglieder von der ersten Verhaftungswelle weitestgehend verschont. Wohl erwartete man, dass Hitler nun jene Persönlichkeiten in Gewahrsam nehmen würde, die im Falle eines Umsturzes aufgrund ihrer politischen Erfahrung in der Lage sein würden, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen.315 Gefährlich konnte zudem das unvorsichtige Notieren von Namen gewesen sein. Gegenüber seinen Kindern äußerte Eduard Hamm nach dem 20. Juli wiederholt die Befürchtung, dass G ­ oerdeler ihn auf einer Liste verzeichnet haben könnte, weshalb Hamm vor allem die Angst umtrieb, der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister könne verhaftet worden sein.316 Tatsächlich fand die Gestapo bei Durchsuchungen von Büros und Wohnungen des unmittelbar am Umsturz beteiligten Personenkreises, Namenslisten und vorbereitete Fernschreiben. Doch sollte nicht Eduard Hamm auf diesen Dokumenten auftauchen, sondern Otto Geßler als »Politischer Beauftragter« für den Wehrkreis VII, weshalb dessen Verhaftung nur wenige Stunden nach dem gescheiterten Umsturz angeordnet und am 22. Juli erfolgte. Geßler war an jenem Tag in Begleitung seines Lindenberger Nachbarn und Vertrauten im bayerischen Widerstandskreis, Anton Fehr, nach Achberg gereist, um – wie in jedem Jahr – Kirschen zu pflücken.317 Offenbar zufällig befand sich auch der frühere Reichsfinanzminister Andreas Hermes in der Gegend, der seine Familie besuchte, die zu Verwandten nach Achberg evakuiert worden war. Hermes gehörte einem Kreis von katholischen Widerständlern in Köln an und wurde von Goerdeler als möglicher Landwirtschaftsminister auf einer provisorischen Kabinettsliste geführt, die die Gestapo nach dem 20. Juli entdeckte. Dass bei dem Treffen der drei ehemaligen Reichsminister der Weimarer Republik auch über die Folgen des 20. Juli und die Möglichkeiten einer Verschleierung der eigenen Beteiligung gesprochen wurde, dürfte wahrscheinlich sein. Unmittelbar nachdem Geßler am Abend nach Lindenberg heimgefahren war, wurde er von vier Beamten des SD auf seinem Hof festgenommen. Gemeinsam mit den ebenfalls verhafteten Fehr und Hermes wurde Geßler zunächst für eine Nacht im Polizeigefängnis in Augsburg festgehalten, ehe alle in der darauffolgenden Nacht mit dem Schnellzug nach Berlin verbracht wurden. Fehr wurde auf dem Anhalter Bahn-

315 Vgl. Maria Hamm an die Allierte Militärregierung in Deutschland (16. Oktober 1945), BayHStA, NL Hamm 108. 316 Vgl. Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110. 317 Die folgende Darstellung der Umstände der Verhaftungen von Otto Geßler, Anton Fehr und Andreas Hermes beruhen im Wesentlichen auf einem Schreiben von Andreas Hermes an seine Frau Anna (Lehrterstraße 3 [Berlin], 15. Januar 1945), ACDP, 01-090-176/1 sowie dem Bericht Geßlers über seine Zeit im Gefängnis (vgl. »Kurzer Bericht über meine Erlebnisse im KZ-Lager Ravensbrück und Zentral-Zellen-Gefängnis Berlin nach dem Attentat vom 20. Juli 1944« (o. D.), in: Gessler, Reichswehrpolitik, S. 511–515).

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hof von Geßler und Hermes getrennt.318 Alle drei wurden jedoch ins KZ Ravensbrück gebracht. In der sieben Kilometer entfernten KZ-Außenstelle Fürstenberg-Drögen erfolgten in den Tagen darauf ausführliche Vernehmungen, in denen vor allem Geßler schweren Foltermaßnahmen ausgesetzt war.319 In erster Linie ging es den Gestapo-Beamten darum, Geßler seine unmittelbare Beteiligung am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 dadurch nachzuweisen, dass er die durch Auftreten seines Namens in den Listen der »Verschwörer« von den Beamten angenommene Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einer Umsturzregierung Goerdeler einräumte. Mit falschen Behauptungen und Androhung von Folter versuchte man auch Hermes zu einer Belastung Geßlers zu bewegen320, der jedoch bei seiner Aussage 318 Anton Fehrs Verhaftung scheint tatsächlich vor allem deshalb erfolgt zu sein, weil er in Begleitung von Geßler und Hermes aufgefunden worden war. Angeklagt wurde er nicht und bereits Mitte September 1944 wieder aus der Haft entlassen (vgl. hierzu seine Briefe aus dem Gefängnis, BayHStA, NL Fehr 119 u. 120). 319 Vgl. hierzu Geßlers »Bericht über meine Erlebnisse im KZ-Lager Ravensbrück und Zentral-Zellen-Gefängnis Berlin nach dem Attentat vom 20. Juli 1944« (o. D.), in: Gessler, Reichswehrpolitik, S. 512. Die Misshandlungen seiner Hände wurde vor allem durch den Leiter der Komission »Lange«, der SS-Sturmbannführer und Kriminalrat Herbert Lange ausgeführt, der mit der Verfolgung der »Attentäter« betraut wurde. Zur Seite stand ihm dabei im Fall Geßler der SS-Hauptsturmführer und Kriminalkommissar Adolf John. Über Art und Weise der Folterung Geßlers und die Rolle Johns bei diesen Maßnahmen gibt ein Schreiben Geßlers an den Staatsanwalt im Verfahren gegen Adolf John (vgl. Beglaubigte Abschrift des Schreibens Geßler an den öffentlichen Ankläger bei dem Spruchgericht Hiddesen (Lindenberg, 15. September 1948), StAOs, Rep. 945, Akz. 6/1 983 Nr. 576) sowie das Protokoll über Johns Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft Auskunft (vgl. Aussage John bei seiner Befragung durch Staatsanwalt Kleiss (Papenburg, 17. Februar 1950), StAOs, Rep. 945, Akz. 6/1 983 Nr. 576). 320 Noch in Ravensbrück beschrieb Andreas Hermes das Vorgehen der Gestapo-Beamten wie folgt: »Bereits in den ersten Vernehmungen während der ersten Augusthälfte 1944 wurde ich von dem vernehmenden Kommissar Herrn Obersturmführer John mit körperlichen Misshandlungen bedroht. In dieser Vernehmung versuchte er immer wieder mich zu einer belastenden Aussage über die Beteiligung von Dr. Geßler an der Aktion von Dr. Goerdeler zu bringen. Ich konnte eine solche Aussage nicht machen, sondern mußte im Gegenteil bekunden, daß Dr. Geßler in einigen Unterhaltungen mit mir die Person Dr. Goerdeler vollkommen abgelehnt habe und von seinen Bestrebungen nichts wissen wollte. Der Herr Kommissar drohte mir in einer dieser Vernehmungen mit der Anwendung anderer Mittel zur Erreichung der von ihm erwarteten Aussage. Er sagte dabei u. a. wörtlich: ›Sie haben doch wohl schon von den berühmten oder berüchtigten Methoden der Gestapo gehört.‹ Als auch dieser Hinweis nicht fruchtete, erklärte er mir eines Tages, Dr. Gessler habe nun mehr ein Geständnis dahin abgelegt, dass er an der Aktion Dr. G[oerdeler] beteiligt gewesen sei; er sei damit als Hochverräter erwiesen und man brauche meine Aussage nicht mehr zu seiner Überführung. Er brauche sie aber, um meine Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit festzustellen. Als ich auch trotz dieses Hinweises auf meiner früheren Aussage beharren musste, erklärte er, es würde mir sehr schlecht ergehen, wenn er später die Unwahrheit meiner Aussage feststellen würde« (Aufzeichnung über die von Dr. Andreas Hermes während seiner Vernehmung in der Sicherheitspolizeischule Drögen erlittene körperliche Mißhandlung (Ravensbrück, 8. September 1944), ACDP, 01-090-176/1).

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blieb, dass er jegliche Zusammenarbeit mit Goerdeler abgelehnt habe und sich die Aufnahme seines Namens in die Listen der »Attentäter« nicht erklären könne. Die Verhaftung Geßlers und Fehrs blieb deren engen Vertrauten Franz Sperr und Eduard Hamm nicht verborgen. Beide mussten davon ausgehen, dass ihre eigene Inhaftierung unmittelbar folgen könne.321 Hamm traf die Festnahme seines engen Freundes Geßler besonders. Nur mit großer Mühe habe ihn seine Familie davon abhalten können, nach Lindenberg zu Frau Geßler zu fahren.322 Sperr und Hamm sollten allerdings vorerst nicht ins Visier der Gestapo geraten, da ihre Namen offenbar auf keinerlei nach dem 20. Juli 1944 aufgefundenen Dokumenten aufgetaucht waren. Neben Otto Geßler war der Gestapo allerdings ein weiterer Name aus den Reihen des »Sperr-Kreises« bekannt geworden. Über Otto Schniewind und das Bankhaus Seiler & Co. hätte Geßler am 20. Juli 1944 laut vorbereitetem Fernschreiben des »Bendlerblocks« an den Wehrkreis VII (München) aktiviert werden sollen. Schniewinds Verhaftung wegen des »Verdachts der Mitwissenschaft und Mittäterschaft an den Vorgängen vom 20.7.«323 erfolgte daher nur wenige Tage nach derjenigen Geßlers am 29. Juli 1944 auf Schloss Haldenberg bei Burgau in Schwaben. Otto Schniewind hatte durch die Übernahme des schwedischen General­ konsulats vorgesorgt. War sein ursprünglicher Gedanke, dass ihn die Nationalsozialisten in Ruhe lassen würden, rettete ihm dieses Amt nun nach dem 20. Juli 1944 womöglich sein Leben. Am 4. September erreichte die Reichskanzlei ein Schreiben aus Stockholm. Es stammte von dem schwedischen Asienforscher Sven Hedin, der sich in den 1930er Jahren öffentlich durch Reden und Publikationen auf die Seite der deutschen Regierung und des Nationalsozialismus’ gestellt hatte und wiederholt mit Hitler zusammengetroffen war.324 Hierin hieß 321 Gegenüber Rudolf Decker soll Hamm wenige Tage vor seiner Verhaftung seine Verteidigungsrede vorgetragen haben: »Ich weiß nicht, ob er sie – gegen meinen Rat – gehalten und damit vielleicht unnötig Angriffspunkte geboten hat«, erklärte Decker nach 1945 (Rudolf Decker: Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110). 322 Hamms Schwiegersohn beschrieb die Situation folgendermaßen: »Ich begleitete ihn ein Stück des Weges […] und redete ihm zu, nicht nach Lindenberg zu fahren, aus dem einfachen Grund, um die Gestapo, für den Fall, daß sie noch nicht auf seinen Namen gestoßen sein sollte, nicht geradezu künstlich auf seinen Namen zu führen. Er sah dies Argument ein und versprach, bloß bis München zu fahren und dann zurückzukehren. Er hat dies auch dann so gehalten« (Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm, BayHStA, NL Hamm 110). 323 SS-Gruppenführer Müller an Reichsleiter Martin Bormann (9. September 1944), IfZ, ED 17. 324 Hedin kritisierte zwar Auswüchse der NS-Judenpolitik. Zugleich rechtfertigte er sie aber mit antisemitischer Terminologie. Ebenso verfuhr er während der zweiten Hälfte des Krieges, als er einerseits für Hafterleichterungen von einzelnen, jüdischen Deportierten sorgte, die ihm in der Regel persönlich bekannt waren, andererseits den Holocaust und seine Unterstützung des Regimes bis zu seinem Tod 1952 nicht eingestand (vgl. hierzu das knappe Lebensbild von Bachner, Sven Hedin, S. 341 f.; zum Verhältnis Hedins zum Nationalsozialismus vgl. Danielsson, Hedin).

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es: »Es ist zu meiner Kenntnis gekommen, daß der schwedische Generalkonsul in München Dr. Schniewind verhaftet worden ist und daß er mit einer strengen Strafe zu rechnen hat. Da ich ihn von meinen Besuchen in München gut kenne und schätze, unter anderem wegen seiner tiefen Kenntnisse derjenigen Teile von Persien, die ich bereist habe, wäre ich außerordentlich dankbar, wenn Sie, Herr Reichskanzler, es für möglich finden würden, ihn freizugeben beziehungsweise zu begnadigen. In alter Verehrung Sven Hedin.«325 Der Chef der Präsidialkanzlei, Otto Meissner, leitete das Telegramm an Martin Bormann mit der Bitte weiter, es dem »Führer« vorzulegen und ihm, ­Meissner, anschließend mitzuteilen, wie er darauf antworten solle.326 Daraufhin holte sich Bormann beim Gestapo-Chef und Leiter der »Sonderkommission 20. Juli 1944«, SS-Gruppenführer Heinrich Müller, Erkundigungen über die neuesten Ergebnisse der Verhöre Schniewinds über dessen Beteiligung am Umsturz­versuch ein.327 Müller hielt zunächst die Tatsache fest, dass bei der Festnahme der am Umsturzversuch unmittelbar Beteiligten einerseits eine Liste der Politischen Beauftragten und andererseits ein vorbereitetes Fernschreiben an das Wehrkreiskommando VII entdeckt worden sei. Auf beiden Dokumenten sei für den Wehrkreis VII Otto Geßler als Politischer Beauftragter angegeben worden, der in München, über Schniewind, Bankhaus Seiler & Co. zu erreichen sein sollte. Darüber hinaus habe Carl Friedrich Goerdeler in seinem Verhör Schniewind schwer belastet.328 Der frühere Leipziger Oberbürgermeister habe ausgesagt, »daß er sich des öfteren mit Schniewind eingehend über die politische und militärische Lage des Reiches unterhalten habe und daß dabei Schniewind die gleichen defaitistischen Gedankengänge wie er geäußert habe.«329 Die Untersuchungen zu diesem Komplex seien noch nicht abgeschlossen. Wenige Tage später informierte Bormann den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, darüber, dass er das Fernschreiben der »Sonderkommission 20. Juli 1944« Hitler vorgelegt habe und übermittelte den Auftrag Hitlers, in dieser Sache weiter auf dem Laufenden gehalten zu werden, »obwohl nach Lage der Dinge die Intervention Sven Hedin’s nicht berücksichtigt 325 Telegramm von Sven Hedin an Adolf Hitler (Stockholm, 4. September 1944), IfZ, ED 17. 326 Der Chef der Präsidialkanzlei des Führers und Reichskanzlers Staatsminister Otto Meissner an den Sekretär des Führers Reichsleiter Martin Bormann (4. September 1944), IfZ, ED 17. 327 In den so genannten »Kaltenbrunner-Berichten« sind kaum Einzelheiten über die Einbindung Schniewinds in die Vorbereitungen des 20. Juli 1944 verzeichnet. Hier findet sich lediglich die Angabe, dass der Politische Beauftragte für den Wehrkreis VII, Otto Geßler, über Schniewind im Bankhaus Seiler & Co. zu erreichen sei (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 78). 328 Nach seiner Verhaftung am 12. August 1944 habe Goerdeler laut »Kaltenbrunner-Bericht« vom 16. August 1944 »außerordentlich weitgehende Angaben« gemacht, »durch die u. a. zahlreiche Personen, die sich in wichtigen Stellungen des öffentlichen Lebens befinden«, belastet wurden (ebd., S. 232). Schniewind wird an dieser Stelle nicht erwähnt, doch scheint Goerdeler auch über ihn einige Angaben gemacht zu haben, die im Folgenden dargelegt werden sollen. 329 SS-Gruppenführer Müller an Reichsleiter Martin Bormann (9. September 1944), IfZ, ED 17.

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werden kann.«330 Aufgrund der Aussagen Goerdelers wurde die Situation für Schniewind somit so brenzlig, dass selbst dem Wunsche eines langjährigen, ausländischen Freundes des NS-Regimes und Hitlers persönlich vorerst nicht entsprochen werden konnte. Tatsächlich gab offenbar erst eine Gegenüberstellung Goerdeler / Schniewind am 9. Januar 1945, bei der Goerdeler die »unglaublichsten Sachen«, die er zuvor behauptet hatte, »zurückgenommen« hatte331, den Ausschlag dafür, dass der Bitte Hedins doch noch entsprochen wurde. Am 2. März 1945 wusste Schniewind von seiner unmittelbar bevorstehenden Entlassung zu berichten.332 Bereits am darauffolgenden Tag wurde er aus dem Gefängnis Lehrter Straße entlassen und konnte nach München zurückkehren.333 Nach Schniewind erfolgten zunächst längere Zeit keine Verhaftungen aus den Reihen des »Sperr-Kreises«. Franz Sperr, der sich am 20. Juli bei Kurt Schmitt in Tiefenbrunn aufgehalten haben soll334, habe jeden Augenblick mit seiner Verhaftung gerechnet, während er »mit tiefer Empoerung« von der Behandlung der unmittelbar Beteiligten in der Zeitung las.335 Nachdem knapp ein Monat seit dem Umsturzversuch vergangen und es keinerlei Anzeichen für eine Verhaftung seinerseits gegeben hatte, soll Sperr seine Augsburger Freunde mit den Worten beruhigt haben, »dass nach seiner Überzeugung das Reichssicherheitshauptamt 330 331 332 333

Telegramm von Martin Bormann an Ernst Kaltenbrunner (12. September 1944), IfZ, ED 17. Otto Schniewind an Josef Bayer (2. März 1945), BWA, F 20/37. »Im Büro hängt bereits eine Liste der zu Entlassenden, vier Namen, darunter ich« (ebd.). Vgl. Bescheinigung vom 3. März 1945 mit der Unterschrift von SS-Untersturmführer Arthur Knuth, BayHStA, LEA 3217. Schniewind selbst führte seine Entlassung gegenüber dem bayerischen Landesentschädigungsamt im Oktober 1945 auf eine Intervention der schwedischen Regierung zurück (vgl. Eidesstattliche Erklärung von Otto Schniewind (18. Oktober 1945), BayHStA, LEA 3217). Ob sich über den Einspruch Sven Hedins hinaus auch die schwedische Regierung für Schniewind einsetzte oder Schniewind nicht bekannt war, dass sich Sven Hedin persönlich für ihn eingesetzt hatte, konnte nicht geklärt werden. 334 Vgl. Spruchkammerverfahren gegen Dr. Kurt Schmitt, Tiefenbrunn. 1. Verhandlungstag (11. September 1947), FHA, NL 1/85, S. 1–86, insbes. S. 22 (Seitenangaben beziehen sich auf Manuskript). 335 Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. – Daneben ging Sperr wohl weiterhin jeden Tag ins Büro der Münchener Rückversicherungsgesellschaft. Alois Alzheimer berichtete später, dass Anfang August die Tochter des früheren BVP-Vorsitzenden Fritz Schäffer ihn wegen der Verhaftung ihres Vaters um Hilfe gebeten habe. Alzheimer will daraufhin sofort Franz Sperr um Rat gefragt haben, mit dem er »bereits in einer Reihe anderer Fälle, gefährdete Personen vor der Gestapo zu retten, zusammmengewirkt« habe. Sperr habe erklärt, dass »bereits mehrere seiner engeren Freunde (Geßler, Halder u.s.w.) verhaftet« worden seien, und er den Eindruck habe, »daß die Gestapo den Anlaß des 20. Juli 1944 dazu benütze, nicht nur die am Attentat Beteiligten zu treffen, sondern alle Personen auszuschalten, die später einmal eine führende Stellung übernehmen könnten und die über eine gewisse Resonanz im Volke verfügen«. Sperr sei daher der Ansicht gewesen, »daß es sogar besser sei, nichts zu tun, da jede Intervention nur die Bedeutung der verhafteten Person und die Resonanz, die sie im Volke habe, unterstreiche und deshalb eher einen schädlichen, als einen nützlichen Effekt haben werde« (Eidesstattliche Erklärung von Dr. Alois Alzheimer (16. Juli 1946), FHA, NL 1/94).

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offenbar von der süddeutschen Gruppe nichts wisse und dass infolgedessen nach seiner Meinung die Gefahr für seinen Kreis […] beseitigt sei«.336 Dies war jedoch ein Trugschluss: »Am Nachmittag des 28. August 1944, als er an einem der letzten Urlaubstage seines Sohnes mit seiner Familie am Kaffeetisch sass, wurde er verhaftet. Er sollte angeblich nach Berlin gebracht werden. Seine letzten Worte, die er zu den Seinen sagen konnte, waren: ›Nimm’ es nicht zu schwer, ich bin in bester Gesellschaft.‹«337 Es lässt sich kaum rekonstruieren, was der Auslöser seiner Festnahme war. Hierfür kommen zwei mögliche Varianten in Frage: Erstens könnten seine engen Vertrauten Otto Geßler oder Otto Schniewind in ihren Verhören den Namen Sperr erwähnt haben. Zumindest Otto Geßler gab dies nach dem Krieg offen zu, während für Schniewind hierüber Informationen fehlen.338 Doch war Geßler zunächst über seine mögliche Beteiligung am 20. Juli 1944 ausführlich und unter Folter befragt worden. Seine Beziehungen in Bayern spielten dagegen vorerst keine große Rolle. Erst später sei ein neues Verfahren gegen ihn eingeleitet worden, in dessen Zusammenhang er über seine Beziehungen zu Sperr und dessen Treffen mit Stauffenberg im Juni 1944 verhört worden sei.339 Dass Geßler oder gar Schniewind durch ihre Aussagen in den Verhören zu Sperrs Festnahme beigetragen haben, ist daher unwahrscheinlich. Zweitens könnten mögliche Angaben Alfred Delps SJ zu Sperrs Verhaftung geführt haben. Hierfür gibt es zwar keine unmittelbaren Beweise, doch lässt sich aus mehreren Tatsachen darauf schließen. Nachdem Sperr in Berlin angekommen war, wurde er sogleich über seine Beziehungen zum »Kreisauer Kreis« 336 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Franz Reisert (Augsburg, 7. April 1949), BayHStA, LEA 1406. 337 Lebenslauf Franz Sperr (o. O. u. D.), StadtAM, Familien 544/I. Die Witwe Gertraud Sperr und der Sohn Hanns Ludwig waren höchstwahrscheinlich die Verfasser dieses Lebenslaufes, indem beide ergänzten, dass vier Tage nach ihrem Mann auch Gertraud Sperr verhaftet wurde und ihr Sohn an die Balkanfront versetzt worden sei. Winfried Becker hat als Datum der Verhaftung Sperrs fälschlicherweise den 2. September 1944 angegeben (vgl. Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 147). 338 Geßler verwies auf die von ihm ohnehin seit Jahren angenommene staatspolizeiliche Überwachung: »Bei meinen Vernehmungen im KZ Ravensbrück konnte ich meinen Verkehr mit den Ministern Hamm und Sperr natürlich nicht in Abrede stellen, denn dies war amtsbekannt« (»Zusatzerklärung zu der Erklärung vom 9.8.1946 in der Spruchkammersache gegen Herrn Bürgermeister Dr. Walter Eickemeyer« von Otto Geßler (Lindenberg / A llg., 13. August 1947), StAM, SpkA K 3857: Eickemeyer, Walter). Otto Schniewind hat es offenbar geschafft, seine Verbindung zu Sperr und Hamm gänzlich zu verbergen. Zumindest wurden in der Zusammenfassung seiner bisherigen Verhöre am 9. September 1944 zu diesen keinerlei Angaben gemacht (vgl. SS-ruppenführer Müller an Reichsleiter Martin Bormann (9. September 1944), IfZ, ED 17). 339 Vgl. »Kurzer Bericht über meine Erlebnisse im KZ-Lager Ravensbrück und Zentral-ZellenGefängnis Berlin nach dem Attentat vom 20. Juli 1944« (o. D.), in: Gessler, Reichswehrpolitik, S. 513. Auch die »Kaltenbrunner-Berichte« lassen dies vermuten, die erst nach den Verhören Sperrs eine Verbindung Sperr / Geßler erwähnen (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 332 und S. 390).

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befragt, was die Vermutung nahe legt, dass sein Name in diesem Zusammenhang genannt worden war. Im Mittelpunkt seines Verhörs standen seine Beziehungen zum Grafen Moltke sowie zum Jesuitenpater Delp. Als Anknüpfungspunkt für die Kontakte Sperrs zu Stauffenberg diente wiederum Delp, der das Treffen Anfang Juni 1944 vermittelt habe.340 Da Moltke zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet und daher mit diesem Treffen nichts zu tun hatte, liegt es auf der Hand, dass Delp den Namen Sperr in diesem Zusammenhang womöglich nur am Rande erwähnt hatte. Hierfür spricht auch, dass sich die Hauptbeteiligten an den »Kreisauer Tagungen« offenbar darauf verständigt hatten, in ihren Verhören mit den Gesprächen in diesem Rahmen offen umzugehen: »[…] wir haben alle erklärt, daß wir damit niemand stürzen, nur etwas erhalten wollten«.341 Es ist folglich denkbar, dass durch Delp, der zu jenem Zeitpunkt der einzige festgenommene »Kreisauer« aus München war, auch die Gespräche mit den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« angerissen wurden. Was das Treffen Sperrs mit Stauffenberg anging, könnte die Gestapo ebenfalls durch Delp hierauf gestoßen sein. Denn die Beziehungen Stauffenbergs zu Delp waren bereits vor der Verhaftung Franz Sperrs bekannt geworden.342 Diese sollen dem Ziel gedient haben, »höhere Kirchenpersonen für eine Unterstützung des Anschlags zu gewinnen«.343 Den »noch im einzelnen zu klärenden Verbindungen zur katholischen Kirche (Pater Delp)«, hatte man in den darauffolgenden Wochen genauer nachgehen wollen.344 Delp könnte in seinen Verhören erklärt haben, dass das Treffen Sperrs bei Stauffenberg – aufgrund der fälschlichen Zuordnung Stauffenbergs als Mitglied des »Kreisauer Kreises« – als Fortführung dieser angeblich unverfänglichen Gespräche der »Kreisauer« verstanden wurde. In Fortsetzung dieser Verteidigungsstrategie hielt Delp im Vorfeld seines Prozesses vor dem Volksgerichtshof fest, dass erst durch die Aussagen Sperrs die eigentlich schwere Belastung – die angebliche Kenntnis um die Attentatspläne – erfolgt sei: »Als Sperr dann verhaftet war – er war bis zu diesem Zeitpunkt durch keine meiner Aussagen belastet – sagte er u. a. aus, er habe mir von seinem Gespräch mit Stauffenberg berichtet.«345 Die Angabe, dass Delp Sperr durch keine seiner Aussagen belastet habe, schließt angesichts dieser Kreisauer Verteidigungsstrategie nicht aus, dass er den Namen Sperr zumindest erwähnt hatte.

340 Vgl. ebd., S. 331. 341 Vgl. Alfred Delp an Pater Franz Tattenbach (Nach dem 18. Dezember 1944), in: Delp, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 62 f., hier S. 63. 342 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 101. Ob sich die hier genannte »Verbindungsaufnahme« Stauffenbergs mit Delp auf das Gespräch am 6. Juni 1944 bezieht, ist unklar. Ebenso ist nicht zu erkennen, ob der SD durch eine mögliche Überwachung Delps oder erst durch sein Verhör nach dem 20. Juli auf die Verbindung mit Stauffenberg aufmerksam wurde. 343 Ebd., S. 101. 344 Ebd., S. 168. 345 »Warum ich vor Gericht komme« (o. D.), in: Delp, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 332 f.

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Sperr verfolgte die Taktik, seine Kenntnis von den Umsturzplänen Stauffenbergs nicht zu verschweigen, während er gleichzeitig angab, dass er dem späteren Attentäter und dessen defätistischen Äußerungen entschieden widersprochen habe. Allerdings zog er durch seine Angaben, dass er unmittelbar nach dem 6. Juni 1944 Delp und Geßler – später hieß es, dass er mit Hamm und dieser wiederum mit Geßler gesprochen habe346 – über den Inhalt seines Gesprächs mit Stauffenberg informiert habe, diese mit in den Strudel.347 Während Geßler und Delp bereits verhaftet waren, erfolgte die Festnahme Eduard Hamms am 2. September 1944 auf seinem Hof in Reit im Winkl.348 Delp versuchte in der Folgezeit dieses für ihn und alle anderen womöglich tödliche Geständnis Sperrs irgendwie zu entkräften und den ehemaligen bayerischen Gesandten bestenfalls von einer Rücknahme seiner Aussage zu überzeugen.349 Ebenso machte Sperr in seinem ersten Verhör recht genaue Angaben im Hinblick auf die Gespräche, die er mit Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« in München geführt hatte. Den Namen Franz Reisert konnte er an dieser Stelle offenbar

346 Da Hamms Verhaftung am 2. September 1944 erfolgte, ist davon auszugehen, dass Sperr seine Angaben, er habe mit Hamm über sein Gespräch mit Stauffenberg gesprochen, bereits in seinem ersten Verhör Ende August gemacht hatte, dies im »Kaltenbrunner-Bericht« vom 31. August jedoch verkürzt dargestellt und Hamms Name deshalb weggefallen war (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 331 f.). Im späteren »KaltenbrunnerBericht« vom 15. September ist dies präzisiert worden (vgl. ebd., S. 390). Dass Hamm wegen der Aussagen Sperrs festgenommen wurde, ist darüber hinaus aufgrund der nahezu gleichzeitigen Verhaftung von Sperrs Frau Gertraud wahrscheinlich. Gemeinsam wurden Hamm und Gertraud Sperr im Zug nach Berlin verbracht (vgl. Erklärung von Gertraud Sperr (München, 27. April 1949), BayHStA, LEA 1406). 347 Entsprechend bezeichnete Delp in seinen Briefen in Haft die Aussage des ehemaligen bayerischen Gesandten als »Sperrhaken« (Alfred Delp an Pater Franz Tattenbach (16. Dezember 1944), in: ebd., S. 59). 348 Die Umstände seiner Verhaftung wurden eindringlich von Hamms Tochter Gertrud Hardtwig-Hamm beschrieben: »Ein grosser Mercedeswagen fuhr in den Abendstunden des 2. September vor dem Hofe vor; drin sassen der Gendarm von Reit i. Winkl und ein Gestapobeamter. Sie mussten etwa 10 Minuten warten, bis der Vater, vom Himbeer­ pflücken kommend, oben am Hang erschien. Der Gestapobeamte ging ihm entgegen und nach kurzem Gespräch begab sich der Vater in’s Haus um seinen Koffer zu packen. Er sollte zu einer kurzen Einvernahme nach München, hiess es. Der Gestapobeamte liess den Vater nicht mehr aus den Augen, blieb beim Umkleiden sogar im Schlafzimmer zugegen, verhinderte, dass er noch zu Abend essen konnte und liess die Mitnahme von mehr Gepäck nicht zu. Lediglich ein Nachthemd und Waschzeug durfte mitgenommen werden. Der Gestapobeamte sagte mir, ich sollte die Abfahrt etwas zu beschleunigen versuchen, da sie noch den Abendschnellzug erreichen müssten. Der Vater war ruhig und gefasst und seine letzten Worte wiesen nicht darauf hin, dass er diesen Abschied für den letzten hielt« (Gertrud Hardtwig-Hamm: Nachtrag zum Lebenslauf Dr. E. Hamm für Ricarda Huch, BayHStA, NL Hamm 110). 349 Vgl. Delps ausführliche Korrespondenz u. a. mit Pater Franz Tattenbach sowie seine Verteidigungsschrift in: Delp, Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 59–95 u. S. 349–355.

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nicht verschweigen350, da er wohl hatte erklären müssen, wie die Gespräche zustande kamen. Auch der Name von Joseph-Ernst Fugger von Glött dürfte gefallen sein. Schließlich wurden Reisert und Fugger-Glött fast zeitgleich wenige Tage später von der Gestapo in Augsburg verhaftet.351 Die Nennung der Namen durch Sperr erfolgte derweil ausschließlich im Zusammenhang mit den Münchener Besprechungen mit der Gruppe um Moltke oder bezog sich auf die Tage vor und nach seinem Gespräch mit Stauffenberg, so dass sowohl die »Augsburger Gruppe« des »Sperr-Kreises« nicht aufgeflogen war und auch der personelle Umfang und die inhaltlichen Arbeiten des Widerstandskreises für eine Zeit »Danach« in Bayern insgesamt der Gestapo verborgen blieben. Das Reichssicherheitshauptamt ging daher fälschlicherweise davon aus, dass der »Kreisauer Kreis« in München einen »Ableger« besaß352, zu dem es die genannten Personen – Sperr, Reisert und Fugger sowie Geßler und Hamm – zählte.353 Dass die Ermittlungsbeamten überhaupt von den Gedanken und Plänen einer »Auffangorganisation« in Bayern Wind bekamen, diese jedoch in keinen größeren Zusammenhang – wie etwa den des »Kreisauer Kreises« – zu stellen vermochten, war Otto Geßler zuzuschreiben. Er gab an, dass er aufgrund seines Verantwortungsgefühls gegenüber dem Staat mit einigen langjährigen Freunden und politischen Weggefährten, Gespräche über eine Zeit nach einem für Deutschland negativen Kriegsausgang geführt habe. Als Gesprächspartner, die mit ihm »die Erfahrung des Jahres 1918 hinter sich hatten« und »deren Diskretion [er] auch sicher war«, nannte er Anton Fehr »in Ernährungsfragen«, Franz Sperr »zur Schaffung einer Polizeimacht«, Eduard Hamm »über allgemeine Wirtschaftsfragen«. Neben seinen ohnehin bereits festgenommenen engen Vertrauten erwähnte Geßler außerdem Walther Frisch354, mit dem er »über Währungsprobleme« gesprochen habe, und einen gewissen »Sendter«355, mit dem er »Fragen der Propaganda« behandelt habe.356 Geßler machte somit recht genaue 350 Im »Kaltenbrunner-Bericht« vom 31. August 1944 heißt es, dass Reiserts »Verhaftung angeordnet« sei (Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 331). 351 Die Umstände seiner Verhaftung am 3. September 1944 beschrieb Fugger von Glött, Weg in den inneren Widerstand., S. 86 f. Franz Reiserts Verhaftung erfolgte am 5. September 1944. 352 Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 331. 353 Hamm und Geßler wurden offenbar zur »erweiterten bayerischen Gruppe« des »Kreisauer Kreises« gezählt (ebd., S. 394). 354 Zumindest das letzte Treffen bei Walther Frisch im Sommer 1943 in Lindau war der Gestapo offenbar bekannt geworden, weshalb Geßler zumindest Frisch im Verhör als Gesprächspartner nannte. Die Zusammenkunft sei Geßler nach eigenen Angaben »als besonders belastendes Moment ausgelegt« worden (Otto Geßler an Walther Frisch (6. September 1950), BAK, NL Geßler (N 1032) 29). 355 Bei dem Namen »Sendter« [sic!] dürfte es sich um Kurt Sendtner, Geßlers späteren Biographen, gehandelt haben, der als Abwehr-Offizier mit Geßler in engem Kontakt stand (vgl. Kap. VI.3.c). 356 Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 394.

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und durchaus zutreffende Angaben über die im »Sperr-Kreis« vorgenommene Aufgabenverteilung. Darüber hinaus legte Geßler ausführlich Zeugnis über die von ihm vollzogenen Gedankengänge und Handlungen nach dem 30. Januar 1933 ab.357 Hierbei schien ihm besonders wichtig, auf seine dem Nationalsozialismus grundsätzlich wohlgesonnene Einstellung zu rekurrieren, seine Auffassung des von Deutschland losgetretenen Krieges als »Präventivkrieg« kundzutun und die von ihm nicht bestrittene Teilnahme an Gesprächen über die Zeit »Danach« möglichst in die zweite Hälfte des Krieges, nämlich die Zeit nach dem »Unglück von Stalingrad«, zu datieren.358 Um diese Zeit habe sich in Deutschland eine allgemeine »Kriegsmüdigkeit« breit gemacht. Geßler knüpfte in diesem Zusammenhang an den von ihm ein Jahr zuvor an die SS verschickten »Stimmungsbericht« an, den er nun für seine Verteidigung zu nutzen suchte.359 »Sieg oder Chaos« und »Sieg oder Untergang« seien die Parolen Hitlers gewesen. Aufgrund der Kriegsentwicklung habe Geßler mit Beginn des Russland­ feldzugs und nach Eintritt der USA in den Krieg praktisch nur mehr einen Verständigungsfrieden für möglich gehalten, der allerdings im Felde durch Erfolge erzwungen werden musste. Die »Idee, durch den Wechsel der Regierung zu einem besseren Frieden zu kommen«, habe er dagegen »für einen verbrecherischen Wahnsinn« gehalten. An dieser Stelle bestritt Geßler seine Reisen nach England 1939 und Rom 1943 keineswegs. Alle »etwaigen Versprechungen« seiner ausländischen Gesprächspartner hätten allerdings nur das Ziel gehabt, »Zwietracht« zu sähen und eine »innere Krise« herbeizuführen, was er sogleich erkannt habe. Der Frage, warum er sich dennoch an Gesprächen über eine Zeit »Danach« beteiligte, konnte Geßler derweil nicht ausweichen. Er führte diese auf sein Ethos zurück, stets für das Wohl des Vaterlandes einzutreten. Er habe es als seine Pflicht empfunden, Vorbereitungen auch für den Fall zu treffen, dass ein Sieg oder ein Verständigungsfriede nicht erreicht werden könne.360 Eine gegenteilige Haltung hätte er für feige gehalten: »Ja, wir mußten dies tun, denn auch nach der nat. soz. Weltanschauung ist das Volk ewig, und außerdem gibt es in der Landkarte kein Loch. […] Für mich wäre mit dem Zusammenbruch die deutsche Geschichte noch nicht zu Ende gewesen: Große Völker können fallen, zugrunde gehen nur liederliche.«361 357 Vgl. ebd., S. 396–398. 358 Vgl. ebd., S. 396. 359 Geßler erwähnte an dieser Stelle seine Kontaktaufnahme mit Raeder: »Ich schrieb deshalb meine Sorge dem Großadmiral als dem Rangältesten meiner früheren Mitarbeiter. Ich selbst befand mich aus tiefster Überzeugung im vollsten Gegensatz zu diesem defaitistischen Treiben« (ebd., S. 396). 360 Geßler erklärte hierzu: »Gelang es nicht, zu siegen oder aus der militärischen Lage heraus zu einem Verständigungsfrieden zu kommen, so war mit der Zerstörung des Reiches als mit einer festen Tatsache zu rechnen« (ebd., S. 398). 361 Ebd.

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Abschließend bezeichnete Geßler noch den Zusammenbruch des Jahres 1918 als prägende Erfahrung, aus denen er seine Konsequenzen gezogen habe: »Schaffung von Macht zur Wiederherstellung einer gewissen Ordnung, Bereitstellung des täglichen Brotes, die Werterhaltung der Geldzeichen und Arbeitsbeschaffung, um die Menschen von der Straße zu holen«. Dies seien seine Gedankengänge im Jahr 1943 gewesen, die sich damit »weitab von Verfassungsfragen und anderem« bewegt hätten. Mit solchen hätten sich in jenen Tagen nur »weltfremde Menschen« befassen können, während er sich auf das für »die Masse« Wesentliche beschränkt habe, nämlich »primum vivere«.362 Damit umschrieb Geßler die grundsätzlichen Gedankengänge und Handlungen des »Sperr-Kreises«, die sich in der Tat primär um die Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« gedreht hatten. Natürlich verschwieg er, dass die Konspiration des bayerischen Widerstandskreises in politisch-ideologischem Gegensatz zum Nationalsozialismus bereits Mitte der 1930er Jahre durch Besprechungen mit dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht eingesetzt hatten. Außerdem gab er nicht an, dass diese Gespräche nicht zuletzt mit dem Ziel, das Ausland für die bayerische Sache zu gewinnen, zumindest bis 1943 durch ihn fortgesetzt worden waren. Darüber hinaus verheimlichte er natürlich auch, dass Franz Sperr bereits vor 1939 engen Kontakt zur Wehrmacht in Bayern geknüpft hatte, um im geeigneten Augenblick, etwa eines Umsturzes in Berlin, die SS- und Parteistellen in Bayern auszuschalten. Geßler hoffte wohl, dass man ihm aus seinen zugegebenen Handlungen und Gedanken, die lediglich die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes zu erhalten gesucht hätten, keinen Strick drehen würde. Otto Geßler reduzierte demnach seine »Widerstandsrolle« auf seine patriotische Gesinnung und sein verantwortungsvolles Handeln für das Überleben des deutschen Volkes und vermied offene Kritik am nationalsozialistischen System. Auf diese Weise versuchte er, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dagegen nahmen Eduard Hamm und Franz Sperr kein Blatt vor den Mund. Während Hamm erklärte, dass er nach 1933 die »nationalsozialistischen Rechtsauffassungen« beanstandet habe363, was einer Fundamentalkritik am »Dritten Reich« gleichkam, wandte sich Sperr explizit gegen die Unfreiheit des NS-Systems und betonte seine Ablehnung der »Judenmaßnahmen«.364 Damit sind allerdings nur die reinen Tatsachen festgestellt und eben auch nur jene, die uns die so genannten »Kaltenbrunner-Berichte« überliefert haben. Ein abschließendes, moralisches Urteil über die Standhaftigkeit der drei führenden Köpfe des »Sperr-Kreises« gegenüber dem »Dritten Reich« während ihrer Haftzeit verbietet sich. In einer Situation, in der das eigene Leben auf dem Spiel 362 Ebd. 363 Ebd., S. 390. 364 Ebd., S. 520. Ähnliche Ansichten vertrat auch der mit Eduard Hamm nach 1933 in engem Kontakt verbliebene, ehemalige Staatssekretär in der Reichskanzler, Franz Kempner, der die NS-Weltanschauung aufgrund der »Behandlung der Kirchen- und Judenfrage« sowie »der Einengung der persönlichen Freiheiten«, die sich insbesondere durch die Errichtung der Konzentrationslager manifestiert habe, abgelehnt habe (ebd.).

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steht, reagiert jeder Mensch, wie es seinem Charakter entspricht. Leichtfertig wird in dieser Lage keiner der Festgenommenen seine eigene Rolle im Widerstand preisgegeben und zusätzlich seine Gesprächspartner belastet haben.365 Die Gestapo setzte bei den Verhören zudem bewusst auf die Unkenntnis der Inhaftierten im Hinblick auf getätigte oder nicht getätigte Aussagen der gleichzeitig verhörten Mitgefangenen.366 Für Otto Geßler ist zudem im Gegensatz zu Hamm und Sperr der Versuch der Aussagenerpressung durch brutale Foltermaßnahmen belegt.367 Sperr, Reisert und Fugger von Glött wurden öffentlich angeklagt368 und mussten gemeinsam mit den »Kreisauern« Moltke, Gerstenmaier und Delp vor dem Volksgerichtshof Roland Freislers erscheinen. Dass ihnen nicht eigenständig der Prozess gemacht wurde, belegt erneut, dass den Ermittlern die unabhängige Rolle der bayerischen Widerstandsgruppe um Sperr unbekannt blieb. So nahmen alle drei beim Prozess vom 9. bis zum 11. Januar 1945 zum Leidwesen der »Kreisauer« in erster Linie eine Statistenrolle bei deren Aburteilung ein.369 Ein Prozessbeobachter beschrieb ihr Auftreten und ihre Rolle im Widerstand als bayerisch-provinziell, naiv und feige.370 Freisler verstand den Prozess als eine 365 Franz Sperr als »offenbar ebenso geschwätzigen wie unvorsichtigen Diplomaten« zu bezeichnen (Feldmann, Alfred Delp, S. 81), berücksichtigt derweil kaum die außerordentliche Drucksituation, der sich die Gefangenen in ihren Verhören ausgesetzt sahen. 366 Der Rechtsanwalt Franz Reisert beschrieb dieses Vorgehen folgendermaßen: »Zwischen Moltke, Sperr und mir wurde anlässlich der letzten Begegnung in Tegel die Erfahrungen ausgetauscht, die wir bei unserer Vernehmung im Reichssicherheitshauptamt gemacht hatten und bei dieser Gelegenheit festgestellt, mit welch’ verlogenen Methoden die vernehmenden Beamten gearbeitet hatten. So hatten sie beispielsweise behauptet, dass wir uns gegenseitig schwerstens belastet hätten, was eine klare Unwahrheit war. Es wurden Vorhaltungen gemacht aus Angaben, die angeblich verhaftete Mitglieder des Kreisauer Kreises gemacht haben sollten, obwohl es sich später herausstellte, dass dieselben noch gar nicht verhaftet waren« (Franz Reisert an Ger van Roon (11. Oktober 1961), IfZ, ZS / A 18/6). Mitte Dezember schien Sperr schließlich, zumindest was die Gespräche mit dem »Kreisauer Kreis« betraf, sich auf eine Verteidigungsstrategie mit den »Kreisauern« verständigt zu haben (vgl. Brief Moltke an Freya (Tegel, 16. Dezember 1944), in: H. J. v. Moltke / F. v. Moltke, Abschiedsbriefe, S. 341–345, insbes. S. 343). 367 Vgl. zu den Haftbedingungen Sperrs recht ausführlich Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 148–150. Becker hält es für möglich, dass Sperr zwar »kategorisches Ableugnen geholfen« hätte, »wodurch er sich jedoch wahrscheinlich verschärfte Verhöre und Folterungen, über die Fesselung hinaus, zugezogen hätte« (ebd., S. 150). 368 Die Anklagen der Oberreichsanwaltschaft gingen beim Volksgerichtshof am 23. Oktober und 9. November 1944 ein. Die Anklageschriften sind nicht überliefert. 369 Als Reaktion auf den Prozessverlauf und die offensichtliche Verzweiflung Delps über die Rolle der Bayern im Prozess, schrieb Moltke an Delp: »Wenn Sie meinen, dass Sperr, Reisert und Fugger nicht gerade Säülen für uns waren, so tut das nichts. Wer kann wissen, wozu dies alles im Plan des Herrn nötig ist« (Helmuth James Graf von Moltke an Alfred Delp (zw. 13. u. 23. Januar 1945), in: H. J. v. Moltke / F. v. Moltke, Abschiedsbriefe, S. 564–566, hier S. 564 f.). 370 Vgl. Pg. Lorenzen an Martin Bormann (9. Januar 1945), in: Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 702 f.

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Abrechnung des NS-Regimes mit dem Christentum, für das stellvertretend der Protestant Moltke sowie der Katholik und Jesuit Delp herhalten mussten, und sich den Hasstiraden des Volksgerichtshof-Präsidenten ausgesetzt sahen. Doch dürfte auch Reiserts und Fugger-Glötts geschickte Verteidigung dafür gesorgt haben, dass sie aufgrund ihres angeblich arglosen Verhaltens mit Gefängnisstrafen von fünf und drei Jahren davonkamen.371 Sperr wäre es womöglich ebenso ergangen. Doch wurde ihm sein Wissen um die Attentatsabsichten Stauffenbergs und seine diesbezügliche Aussage zum Verhängnis. Im Urteilsspruch gegen ihn hieß es: »Ein Mann wie Sperr mußte wissen und hat sich auch gesagt, daß es eine höchste Gefahr für den Staat be­ deutet, wenn ein Offizier in diesem Rang und in dieser Stellung Derartiges sagt. Er konnte das auch nicht für eine einmalige Explosion oder Entgleisung Graf von Stauffenbergs halten; zumal ein treuer Offizier, wenn er schon einmal im Ärger explodiert, nicht in dieser Richtung seinem Ärger Luft macht. Er durfte solche Äußerungen eines Mannes an dieser Stelle gegenüber einem ihm bis dahin völlig Fremden nicht für nichtig ansehen. Er mußte wissen und wußte auch, daß diese schwere Gefahr für unser Reich, die schon allein darin liegt, daß ein so treuloser defaitistischer und daher ungeeigneter Mann an dieser Stelle steht, unter allen Umständen beseitigt werden mußte. Wenn er deshalb das nicht meldete, obgleich wir uns im scharfen Ringen um Sein oder Nichtsein befanden, so hat er damit Zeugnis dafür abgelegt, daß in ihm keine Spur von Ehre vorhanden ist. Deshalb mußten wir ihn für dieses sein verräterisches Unterlassen mit dem Tode bestrafen […].«372 Das Todesurteil wurde am 23. Januar 1945 in BerlinPlötzensee durch Erhängen vollstreckt. Eduard Hamm hätte wahrscheinlich das gleiche Schicksal ereilt, da auch ihm nachgewiesen werden konnte, dass er von den Stauffenbergschen Attentats­ plänen Kenntnis erlangt hatte.373 Ihm gelang es jedoch, sich dem Urteil des Volksgerichtshofs zu entziehen. Bereits am 23. September 1944 hatte er – nach späteren Angaben eines Gestapo-Beamten  – nach seiner letzten Vernehmung einen ihm günstigen Moment abgepasst, um aus dem Fenster im 3. Stock des Gefängnisses Lehrter Straße zu springen. Hamm war noch auf dem Weg ins 371 Peter M. Reisert beschrieb die Verteidigungsstrategie seines Vaters, wie sie aus dem Bericht des Prozessbeobachters ersichtlich ist, zutreffend als »Meisterwerk anwaltlicher Camou­ flage« (P. Reisert, Franz Reisert, S. 563). 372 Urteilsniederschrift (o. D.), S. 21, BAB, R 3017/VGH Z-M510. 373 Sperr soll kurze Zeit nach dem Treffen mit Stauffenberg Eduard Hamm in München aufgesucht haben und ihm von der Unterredung berichtet haben (vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 390). Seinem Bruder Max Hamm teilte man Anfang Oktober im Reichssicherheitshauptamt mit Verweis auf die Verhörakte Hamms mit, dass dieser »seit längerem persönlich von maßgebend beteiligten Männern ins Vertrauen gezogen worden sei und zum Mindesten die erlangte Kenntnis der Bestrebungen nicht angezeigt habe«. Dies habe aber ausgereicht, »um selbst schuldig zu werden« (Max Hamm an Medi und Gertrud [Maria Hamm und Gertrud Hardtwig-Hamm: d. Vf.] (Münster, 13. Oktober 1944), NL Hamm (Privatbesitz München)).

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Krankenhaus verstorben. Über die tatsächlichen Umstände und möglichen Gründe seines angeblichen Freitods lässt sich heute nur spekulieren.374 Warum dagegen Otto Geßler mit dem Leben davon kam und es bei ihm nicht einmal zur Anklage vor dem Volksgerichtshof kam, ist rätselhaft. Schließlich war er durch die Aussagen Sperrs ebenfalls belastet worden. Ihm hätte wie Sperr und Hamm auch die Nichtanzeige zur Last gelegt werden müssen. Eine unmittelbare Beteiligung an den Umsturzvorbereitungen vom 20. Juli 1944 hatte man ihm nicht nachweisen können. Sogar Goerdeler, dessen Strategie es war, in seinen Verhören Größe und Bedeutsamkeit der Widerstandsbewegung in Deutschland hervorzuheben und in diesem Zusammenhang auch sein Netzwerk von Vertrauensleuten teilweise offenlegte, der – auf Geßler angesprochen – zu Protokoll gab, dass dieser sich einer Zusammenarbeit verweigert habe.375 Hinzu kam womöglich, dass Geßler in Großadmiral Erich Raeder einen Fürsprecher mit Zugang zu Hitler hatte, der sich offenbar tatsächlich für seinen langjährigen Freund einsetzte.376 Nach siebenmonatigem KZ- und Gefängnisaufenthalt wurde G ­ eßler

374 Neben der Möglichkeit, dass er seine Familie und seine engen Vertrauten schützen wollte, kommt auch eine bereits vor seiner Verhaftung bewusst getroffene Entscheidung als mögliches Motiv seines Freitods in Frage. Hermann Aumer schrieb nach dem Krieg an Hamms Tochter: »Wenn er den Tod einer Verhandlung vor dem Volksgerichtshof vorgezogen hat, so geschah dies aus einer Einstellung heraus, die wir gewonnen hatten, nachdem ich der Volksgerichtshofsitzung gegen Prof. Huber und Genossen in München beigewohnt hatte, die ich in ihren ganzen krassen und schrecklichen Formen einem engeren Freundeskreis geschildert habe. Sicherlich war er sich bewusst, dass es besser war seinem Leben selbst ein Ende zu machen, als sich den Qualen und der Niedertracht eines Dr. Freissler auszusetzen, der in sadistischer und tyrannischer Weise ja doch nur ein bereits vorgefasstes Urteil verfügte« (Brief Hermann Aumer an Gertrud Hardtwig-Hamm (24. Juli 1946) (BayHStA, NL Hamm 108). Seine Familie glaubte zunächst nicht an einen Selbstmord. Doch erinnerte sie sich später der Bemerkungen Eduard Hamms: »Nichts hat der Vater so verabscheut wie den sog. Volksgerichtshof, und mehrmals, zuletzt im Zusammenhang mit einer möglich bevorstehenden Verhaftung hat er die Äusserung getan, dass er sich nicht vor solche Burschen und juristische Ignoranten stellen lassen würde. Wenn die Aussagen des Herrn Hahnenbrog stimmen, dass die Vernehmung abgeschlossen war und der Vater nunmehr dem Volksgerichtshof übergeben werden sollte, blieb kein anderer Ausweg« (Erwin Hardtwig: Nachtrag zur Lebensskizze von Eduard Hamm, (BayHStA, NL Hamm 110). Eduard Hamms Bruder Max Hamm hatte im Auftrag der Familie sich mehrere Wochen nach der Verhaftung in Berlin nach dem Verbleib seines Bruders erkundigt. Ihm sei von dem Sturmbannführer Erich Hahnenbruch Mitteilung vom Tod seines Bruders gemacht worden. Vom Tod des geliebten Ehemanns und Vaters unterrichtete Max Hamm die Angehörigen Eduard Hamms wenige Tage später (vgl. Max Hamm an Medi und Gertrud [Maria Hamm und Gertrud Hardtwig-Hamm: d. Vf.] (Münster, 13. Oktober 1944), NL Hamm (Privatbesitz München)). 375 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 522 f. 376 Vgl. Gessler, Reichswehrpolitik, S. 515. Angeblich will Raeder sein »Goldenes Parteiabzeichen« der NSDAP abgelegt und vernichtet haben, nachdem er von den Misshandlungen Geßlers erfahren habe (vgl. Raeder, Mein Leben, Bd. 2, S. 302).

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ins Berliner St. Hedwig-Krankenhaus verlegt.377 Gepflegt wurde er in jener Zeit von Anna Hermes, der Frau von Andreas Hermes. Dieser war zugleich sehr daran interessiert, dass Geßler für ihn, der bereits zum Tode verurteilt worden war, aussagen würde, um doch noch eine Revision des Urteils zu erreichen. Enttäuscht musste Hermes allerdings feststellen, dass Geßler in einem Gespräch mit Hermes’ Anwalt, sich an für ihn möglicherweise entlastende Details aus gemeinsamen Gesprächen nicht mehr erinnern konnte oder wollte: »G[eßler] sei vollkommen fertig, […] und das wäre auch für mich die einzige Erklärung für sein Versagen. Er hat offenbar in Fürstenberg so schwer gelitten, dass er jetzt nur den einen Wunsch hat, mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun zu haben. Ich habe ihn bei meinen Vernehmungen stets in jeder Weise in Schutz genommen und bedauere daher, jetzt von ihm im Stich gelassen zu werden. Aber wir wollen nicht rechten, wir werden mit Gottes Hilfe auch so zurecht kommen.«378 Die Vermutung des ehemaligen Kabinettskollegen war mit Sicherheit zutreffend: Einerseits sollte Geßler bis zu seinem Tode am 24. März 1955 unter den Folgen seiner schweren Misshandlungen leiden. Andererseits dürfte er im Krankenhaus im März 1945 immer noch befürchtet haben, man könne ihm einen Strick aus eventuellen Gesprächen mit bereits zum Tode verurteilten Bekannten drehen, weshalb er – der sich später an viele Einzelheiten aus Gesprächen erinnern sollte, die viel weiter zurücklagen – ein Eintreten für Hermes bewusst abgelehnt haben dürfte. Franz Reisert, der schwer unter den Haftbedingungen litt, wurde dank des beherzten Einsatzes seiner Frau im März 1945 zur Verbüßung seiner Haftstrafe nach Kaisheim bei Donauwörth in Bayern verlegt.379 Erst am 1. Mai 1945 377 Geßler wurde ohne Prozess am 24. Februar 1945 aus der Haft entlassen und ins Berliner St. Hedwig-Krankenhaus eingeliefert (vgl. Entschädigungsakte Otto Geßler, BayHStA, LEA 1190). Hier erklärte er gegenüber dem Pfarrer Johann Neumaier, dass er im Gefängnis seinen Herrgott wiederentdeckt und das Beten gelernt habe (vgl. Johann Neumaier: Mein Leidensweg, S. 11 f., ADPSJ, 47 – Nr. 805). 378 Andreas Hermes an seine Frau Anna (23. März 1945), ACDP, 01-090-176/1. Andreas Hermes’ Frau erreichte wiederholt den Aufschub der Urteilsvollstreckung, zu der es letztlich durch den Einmarsch der Roten Armee in Berlin nicht mehr kommen sollte. Hermes überlebte das Kriegsende und sollte nach 1945 Mitbegründer der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone werden (vgl. zu Hermes’ politischem Leben zusammenfassend Morsey, Andreas Hermes, S. 129–149). 379 Die Schwester des Mitgefangenen und ehemaligen Staatssekretärs in der Reichskanzlei, Hermann Pünder, notierte am 7. März 1945 in ihr Tagebuch: »Die letzten Tage waren erfüllt von Vorbereitungen für den Abtransport des Herrn Ulrich [Franz Reisert]. Bevor Berlin durch das Vorrücken der Front ganz eingekesselt sein wird, soll er auf jeden Fall heraus aus dieser ›halben Hölle‹ in die ›Geborgenheit‹ eines süddeutschen Zuchthauses. ›Dort wird er bestimmt nicht in letzter Sekunde umgebracht. Dort hole ich, wenn nötig, die anrückenden feindlichen Truppen zu seiner Befreiung selbst ins Zuchthaus‹, meinte seine weitblickende, temperamentvolle Frau. Wie eine Löwin hat sie um diesen Transport gekämpft. Nichts konnte sie abhalten. […] Gestern ging Frau Ulrich als Siegerin hervor. Heute fuhren sie im Sonderabteil zur Heimat« (»Christen unter dem Galgen. Tagebuchblätter aus den letzten Monaten der Hitlerzeit« von Marianne Pünder, S. 74 f., ADPSJ, 47 – 23 J Nr. 98). Marianne

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sei er dort durch Offiziere der US-Army »beurlaubt« worden.380 Im Februar 1945 wurde Fugger-Glött gemeinsam mit Eugen Gerstenmaier ins Gefängnis St. Georgen in Bayreuth verlegt. Im Mai 1945 wurden die politischen Häftlinge des Gefängnisses von den Alliierten befreit.381 Die Verhaftungen der Führungsriege des »Sperr-Kreises« sowie der Augsburger Reisert und Fugger-Glött erfolgten somit eindeutig als Reaktion auf den 20. Juli 1944 bzw. standen in Bezug zur Zusammenarbeit mit dem »Kreisauer Kreis«. Sie blieben zugleich hierauf beschränkt. Den Kontakten zu Ulrich von Hassell aus der Vorkriegszeit kam die Gestapo zwar auf die Spur.382 Sie wurden jedoch weder Hassell, der wegen seiner unmittelbaren Verwicklung in die Vorgänge vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt wurde, noch den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« spürbar zur Last gelegt. Eine Verbindung zu Franz Halder konnte trotz Verhaftung des ehemaligen Generalstabschef des Heeres nicht festgestellt werden. Was die übrigen Mitarbeiter in München, Augsburg, Nürnberg und den bayerischen Regierungsbezirken betraf, sollte sich eine bewusste Schutzmaßnahme des Widerstandskreises als wirksam erweisen. Das so genannte »Schotten­ system«, in dem jeder nur seinen nächsten Vertrauten kannte und selbst innerhalb der Führung des »Sperr-Kreises« nicht jeder jeden kannte383, führte dazu, dass nur ein Bruchteil der übrigen Mitarbeiter überhaupt von der Gestapo aufgesucht oder verhört wurde. Hermann Aumers »rücksichtslose Vernehmung« durch die Gestapo erfolgte am 1. September 1944 in der Staatspolizeileitstelle in der Münchener Dietlindenstraße. Er wurde über seine Beziehungen zu Eduard Hamm, der am nächsten Tag in Reit im Winkl verhaftet werden sollte, Franz Sperr und Carl Goerdeler befragt.384 Auch Heinrich Schmittmann wurde von der Gestapo vernommen. Seiner Ansicht nach habe die Gestapo von den Treffen nach Auflösung des »Rotary Clubs« gewusst und diese nach dem 20. Juli 1944 für brisant erachtet: »Bei der Gestapo kam nun der Verdacht auf, daß bei dem Mittagessen des aufgelösten Rotary Clubs Äußerungen über die bevorstehenden revolutionären Absichten Gördelers bekannt gewesen und weitergegeben worden seien, daß also in dem Kreise mit Gördeler und seinem Putsch vom 20. Juli 1944 sympathisiert

Pünder und Marianne Hapig, die beiden »Mariannen«, waren Teil eines »informelle[n] Netzwerk[s] der Hilfe für die Gefangenen innerhalb des Zellengefängnisses Lehrter Straße in Berlin (vgl. das Kapitel »Hilfen von Außen« bei Tuchel, Zellengefängnis Lehrter Straße, S. 120–125). 380 Anlage I E. zum Fragebogen der Militärregierung (o. D.), NL Franz Reisert (Privatbesitz). 381 Vgl. Faust, Joseph-Ernst Fürst Fugger von Glött, S. 582 f. 382 Vgl. Jacobsen, »Spiegelbild einer Verschwörung«, S. 390. 383 Anschaulich beschrieben ist das Ganze bei Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 154. 384 Vgl. Bericht Hermann Aumers gegenüber der Spruchkammer München IX (München, 25. Februar 1947), S. 1–9, hier S. 7, StAM, SpkA K 45: Aumer, Hermann.

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wurde«.385 Ob beide der Gestapo von dem kleinen Kreis berichteten, der sich regelmäßig in Schmittmanns Wohnung traf, zu dem Geßler, Hamm, Sperr und Schniewind zustießen, ist unwahrscheinlich. Zusammenkünfte, auf denen »politisch vorausschauend erörtert« wurde, »was bei dem zu erwartenden Zusammenbruch zu geschehen habe«386, und an denen solch hochrangige Persönlichkeiten der Weimarer Republik teilnahmen, hätten mit Sicherheit eine eingehende Untersuchung nach sich gezogen. Hein Martin wurde am 6. Oktober 1944 von der Gestapo in die »Hansaheime« in der Münchener Dietlindenstraße »eingeladen« und »einem mehrstündigen Verhör« unterzogen. Es habe sich ausschließlich um seine Beziehungen zu Franz Sperr gedreht. Zweck der Vernehmung sei es gewesen, »den weiteren Kreis um seine Person in Bayern aufzudecken«. Es war Martin nach 1945 nicht bekannt, ob »noch andere Personen in die Untersuchung hineinbezogen worden sind«.387 Wie die Gestapo auf ihn aufmerksam wurde, gab Martin derweil nicht an.388 Auch Georg Bögl wurde 1944 und 1945 in Sachen »20. Juli 1944« von der Gestapo vernommen, dabei einmal von SS-Obergruppenführer Eberstein. Er geriet in Schwierigkeiten, weil bei der Hausdurchsuchung in der Wohnung Sperrs ein Exemplar der »Neuen Zürcher Zeitung« gefunden worden sei, »die aus den Beständen des Generalkommandos stammte und die ich [Bögl] Herrn Sperr zur Verfügung gestellt hatte«.389 Da diese Zeitungen im Generalkommando als »Geheime Kommandosache« eingestuft und nur an leitende Offiziere ausgegeben wurden, geriet Bögl in Erklärungsnot. Er habe sämtliche belastende Beziehungen zu Sperr abgeleugnet und sei wohl nur deshalb einem Hochverratsverfahren entgangen. Mit seiner Festnahme habe er dennoch jeden Tag bis zur Hinrichtung Sperrs rechnen müssen.390

385 Bescheinigung für Hermann Aumer durch Heinrich Schmittmann (München, 6. September 1946), StAM, SpkA K 45: Aumer, Hermann. 386 Ebd. 387 Hein Martin an die Spruchkammer II München (München, 19. Mai 1947), S. 1–11, hier S. 9, StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. Er selbst habe versucht, Sperr zu entlasten, was ihm jedoch nicht gelingen konnte, da er »ja allein wegen ›unterlassener Anzeige‹ zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde« (ebd.). 388 Doch auch Martin Riedmayr wusste vom Verhör Martins, dass er fälschlicherweise als Verhaftung wahrnahm und daher auch seine eigene Verhaftung näherkommen sah (vgl. Erklärung von Martin Riedmayr in seinem Spruchkammerprozess, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin). Allerdings sei bei Hein Martins Vernehmung weder von Seiten der Gestapo noch von Martin selbst der Name Riedmayr erwähnt worden (vgl. Aussage von Hein Martin im Spruchkammerprozess gegen Martin Riedmayr, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin). 389 Georg Bögl an die Berufungskammer für Oberbayern (München, 15. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. Sperr habe von Bögl »regelmäßig jeden Freitag von [ihm] die im Laufe der Woche eingetroffenen schweizer Tageszeitungen erhalten.« 390 Vgl. ebd.

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Von den langjährigen politischen Freunden Otto Geßlers und Eduard Hamms wurden – wie bereits gezeigt wurde391 – einige Persönlichkeiten im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 verhaftet. Auf die Verhaftung zweier Freunde, Franz Kempner und Heinrich F. Albert, soll noch einmal genauer geblickt werden, da diese womöglich im Zusammenhang mit einem Treffen mit Hamm im Berliner Hotel Esplanade im Juli 1944 erfolgte. Albert schrieb im April 1946 an die Tochter Hamm: »In der Tat bin ich zunächst verhaftet worden wegen eines Zusammenseins mit Ihrem Vater und Kempner, in dessen Verlauf mir von Kempner die Mitarbeit in der Goerdeler’schen Regierung angeboten und von Ihrem Vater Mitteilung von dem geplanten Attentat bis in die letzten Details gemacht wurde.«392 Bei diesem Frühstück soll ein Kellner das Gespräch belauscht und der Gestapo Meldung gemacht haben.393 Da Hamm dieses Gespräch in keiner Weise zur Last gelegt wurde, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass die Verhaftungen aus diesem Grunde erfolgten.394 Erst ein Aktenvermerk Heinrich Alberts soll die Besprechung im Hause von Walther Frisch in Lindau im Sommer 1943 aufgedeckt haben.395 Frisch selbst war es nach 1945 ein Rätsel, dass er bis Kriegsende unbehelligt blieb, obwohl auch Geßler seinen Namen im Verhör genannt hatte. Die oben erwähnten Vernehmungen der übrigen Mitglieder des »Sperr-Kreises« erfolgten in der Regel weniger, weil die Gestapo eine tatsächliche Spur witterte oder durch vorherige Verhöre neue Namen ins Spiel gebracht wurden, sondern vielmehr aufgrund zufälliger Funde, die sich aus Überwachung und Hausdurchsuchungen ergaben. Wenn es auch nicht um Legendenbildung gehen kann396, 391 Vgl. das Kap. V.2.a. 392 Heinrich F. Albert an Gertrud Hardtwig-Hamm (27. April 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 393 Vgl. Friedrich Heilbron an Gertrud Hardtwig-Hamm (17. Mai 1946), BayHStA, NL Hamm 108. 394 Kempner dürfte seine Verbindung zu Goerdeler und seine engen Beziehungen zu einzel­ nen Mitgliedern des so genannten »Solf-Kreises«, der bereits im September 1943 aufge­ flogen war, zum Verhängnis geworden sein (vgl. Ringshausen, Solf-Kreis, S. 431–470). Albert dagegen soll nach eigenen Angaben von September 1944 bis kurz vor Kriegsende in Haft gewesen sein (Heinrich F. Albert an Otto Geßler (20. Juni 1953), BAK, NL Geßler (N 1032) 27). Wenn auch das bei ihm aufgefundene Material offenbar andere Bekannte belastete, so unter anderem Walther Frisch, taucht sein Name trotzdem im Rahmen der Ermittlungen nach dem 20. Juli 1944 nicht auf. Daher kann zumindest bei Albert davon ausgegangen werden, dass seine Verhaftung im Zeichen der »Aktion Gewitter« erfolgte, der nach dem 20. Juli 1944 viele ehemalige Politiker der Weimarer Republik zum Opfer fielen (vgl. zu den auf das Attentat vom 20. Juli 1944 erfolgten Maßnahmen des NS-Regimes den kurzen Beitrag von Hett / Tuchel, Reaktion des NS-Staaates, S. 522–538). 395 Vgl. Walther Frisch an Zollfinanzrat a. D. Otto Biehl (Lindau, 13. September 1950), StAS, Wü 13 T 2, 2438/133. 396 Winfried Becker schreibt im Hinblick auf die Verschwiegenheit des Ehepaars Sperr: »Mit großem Mut, mit außerordentlicher Standhaftigkeit und Treue unterließen Franz und Gertrud Sperr jede ihre Freunde belastende Aussage« (Becker, Franz Sperr und sein Widerstandskreis, S. 153). Dass Sperr zumindest Geßler, Hamm und Delp durch seine Aussage, er habe diesen von den Attentatsabsichten Stauffenbergs berichtet, schwer belastet hatte, kann als sicher gelten.

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lässt sich zumindest festhalten, dass es dem »Sperr-Kreis« gelang, durch das Gebot der Unterlassung schriftlicher Fixierungen seiner Pläne, das »Schottensystem« und die ausschließliche Kontaktaufnahme mit engen, langjährigen, persönlichen Bekannten sowie letztlich auch aufgrund der weitgehenden Verschwiegenheit der Verhafteten, die ihr Wissen teilweise mit in den Tod nahmen, dass der Gestapo nach dem 20. Juli 1944 nicht ansatzweise das Ausmaß der Konspiration des wohl am gründlichsten vorbereiteten und strukturierten Widerstandskreises in Bayern bekannt wurde. Ohne die »Anführer« Sperr, Geßler und Hamm war der Kreis jedoch seiner Spitze beraubt. Die Angst, ebenfalls in die Fänge des Regimes zu gelangen, ließen nur wenige der Vertrauten und Verbindungsleute erneut Mut fassen. Im Folgenden soll auf die Beteiligung einzelner Mitarbeiter des einstigen »Sperr-Kreises« an der so genannten »Freiheitsaktion Bayern« eingegangen werden, dessen Ziel es war, München und den südlichen Teil Bayerns in den letzten Kriegstagen im April 1945 vom NS-Regime zu befreien. c) »Der Spitze beraubt« – Die »Freiheitsaktion Bayern« Unmittelbare Folge des Attentats vom 20. Juli 1944 war die praktische Auflösung der in ihrem Aufbau weit fortgeschrittenen »Auffangorganisation«. Die Verfolgungsmaßnahmen ließen zwar einen Großteil der dem »Sperr-Kreis« zuzuordnenden Mitglieder und Sympathisanten unbehelligt. Doch verlor der Kreis mit Sperr, Hamm und Geßler seine Führungsriege. Insbesondere bei Sperr waren sämtliche Fäden zusammengelaufen. Selbst wenn der Wille, trotz der Gefahr, doch noch entdeckt zu werden, bei den einzelnen Mitgliedern des »Sperr-Kreises« vorhanden gewesen wäre, die Arbeit der Gruppe fortzusetzen, wäre ein solcher Schritt kaum zu realisieren gewesen. Einzig Sperr, Hamm und Geßler verfügten aus den Reihen des Widerstandskreises über die natürliche Autorität und die notwendigen Kontakte, um eine »Auffangorganisation« in ganz Bayern aufzubauen und im geeigneten Moment zu etablieren. An eine Fortsetzung der Vorbereitungen nach bisherigem Muster war nicht zu denken. Dennoch wollten einige Mitglieder des Kreises auch nach dem 20. Juli 1944 nicht untätig das Ende des »Dritten Reiches« abwarten. Manche von ihnen hatten im April 1945 nicht unerheblichen Anteil an dem Umsturzversuch der »Freiheitsaktion Bayern« (FAB), die in den letzten Kriegstagen München und Teile des südlichen Bayerns von der NS-Herrschaft zu befreien beabsichtigte.397 Hinterfragt werden soll an dieser Stelle die These von Veronika Diem, ob es tatsächlich »nicht plausibel« ist, die FAB »als Erbe des gescheiterten Sperr-Kreises« zu betrachten.398 397 Es kann an dieser Stelle nicht umfassend auf die Hintergründe, Ereignisse und Abläufe des Umsturzversuches vom 28. April 1945 eingegangen werden. Zur weiteren Vertiefung sei verwiesen auf die neuere Dissertation von Diem, Freiheitsaktion. 398 So das Urteil von ebd., S. 111.

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Die Namen der Anführer der FAB tauchten zumindest bereits im Zusammenhang mit den militärischen Verbindungen des »Sperr-Kreises« auf 399: Wenn auch das einseitige »Losschlagen der Heimat« vom »Sperr-Kreis« im Sommer 1943 abgelehnt wurde400, zog der »Sperr-Kreis« aktive Vorbereitungen zur militärischen Durchsetzung eines möglichen Umsturzes in München und Bayern mit in Erwägung. Deshalb erörterten Sperr und General Herrgott mit den Militärs Rupprecht Gerngross, Ernst Falkner und dem Rechtsanwalt Ottheinrich Leiling die militärische und politische Lage. Alle drei konnten für Vorbereitungen im Sinne der »Auffangorganisation« gewonnen werden. Nach dem Krieg gaben Gerngross und Leiling an, dass sie bis zum 20. Juli 1944 davon ausgegangen seien, dass sie »in einem größeren Rahmen eine Teilaufgabe erfüllen« hätten sollen.401 Doch sei ein Gegensatz zwischen der »älteren Generation«, zu der Sperr gezählt habe, und der »jüngeren Generation« um Gerngross erkennbar gewesen. Während die »Jüngeren« damals bereits zum Umsturz bereit gewesen seien, habe man die »Älteren« hierzu drängen müssen.402 Dennoch sei die Verhaftung Sperrs ein schwerer Verlust für die Widerstandsbewegung in Bayern gewesen.403 Gerngross und Leiling wollen nach der Verhaftung Sperrs und Halders alle Hoffnungen in die Aufstandspläne im Umfeld des Oberleutnants Günther ­Caracciola-Delbrück gesetzt haben.404 Caracciola-Delbrück, einer der ehemals engsten, militärischen Vertrauensleute Sperrs, hatte den bereits seit 1943 ent399 Vgl. Kap. VI.2.a. 400 Vgl. die Kap. VIII.2 u. VIII.3 sowie Dr. Rupprecht Gerngroß: Der Bayerische Widerstandswille. Erinnerungen an die Freiheits-Aktion Bayern (28. April 1945) (Manuskript, o. D.), BayHStA, NL Gerngross 6. 401 Rupprecht Gerngross / Ottheinrich Leiling: Abschliessender Tatsachenbericht der FAB (Manuskript, o. D.), S. 1–23, hier S. 5, IfZ, ZS 383, Bl. 2–24, hier Bl. 6. 402 Dass Sperr und Herrgott im Sommer 1943 noch nicht zur Tat schreiten wollten, wurde in den vorherigen Kapiteln gezeigt. Ob ein Gegensatz zwischen den »Älteren« und »Jüngeren« tatsächlich bestanden hat, ist zweifelhaft. Es ist kaum anzunehmen, dass der Hauptmann Rupprecht Gerngross versucht haben könnte, den Oberst a. D. Franz Sperr zum Umsturz anzutreiben. Plausibler ist wohl die Vermutung, dass Gerngross nach 1945 das aktive Vorgehen der FAB als Fortentwicklung der eher »passiven« Haltung des »Sperr-Kreises« darzustellen versuchte und zu verdeutlichen, dass er selbst bereits 1943 den aktiven Umsturz befürwortet habe. Gerngross und Leiling gaben deshalb gerne den »Sperr-Kreis« als eine der Wurzeln der späteren FAB an (vgl. Rupprecht Gerngross / Ottheinrich Leiling: Abschliessender Tatsachenbericht der FAB (Manuskript, o. D.), S. 1–23, insbes. S. 5, IfZ, ZS 383, Bl. 2–24). 403 Vgl. Rupprecht Gerngross an den öffentlichen Kläger der Spruchkammer Bad Tölz (15. August 1948), BayHStA, NL Gerngross 53. 404 Vgl. Diem, Freiheitsaktion, S. 164. Da sich der »grosse Plan Sperr-Halder erledigt« habe, und »die Gefahr immer näher rückte«, wollte sich auch Philipp Schubert im Zusammenspiel mit Caracciola auf die Arbeit innerhalb des Wehrkreises VII konzentrieren. Als großen Vorteil habe man gewertet, dass dort Ende März 1945 mit Bruno Grosser ein verlässlicher Mann zum Chef des Stabes aufgestiegen sei (Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 6).

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wickelten Plan, seinen Vorgesetzten, den Reichsstatthalter von Bayern, General Franz Ritter von Epp, für einen militärischen Umsturz in Bayern zu gewinnen, niemals aufgegeben. Epp sollte – so die Hoffnung der führenden Köpfe der FAB – nach einem erfolgreich verlaufenden Aufstand mit den alliierten Truppen einen Waffenstillstand vereinbaren. Zur Unterstützung des Umsturzes stellte man die Verbindung zu bereits früher mit Franz Sperr in Kontakt stehenden Wehrmachtsoffizieren her. Neben Philipp Schubert, der seine Unterstützung fest zusagte und mit Caracciola viele Gespräche führte, aber am Tag des Aufstandes mit seiner Truppe an der Donau stationiert war405, zählte auch Georg Bögl zu den FAB-Unterstützern, den Sperr einst als Verbindungsmann im Stab des stellvertretenden Generalkommandos im Wehrkreis VII (München) und später bei der Stadtkommandantur München gewinnen konnte. Bögl kannte Hauptmann Gerngross seit etwa 1940, hatte sich mit Sperr häufig über diesen unterhalten und Sperrs Sohn bei Gerngross’ Dolmetscher-Kompagnie untergebracht. Von dessen Aufstandsplänen habe er Anfang 1945 durch Gerngross persönlich erfahren. Seit Ende 1944 habe Bögl bereits »unbemerkt in der Kommandantur Waffen sammeln und verwahren lassen«.406 Am Tag vor dem Umsturzversuch sei Gerngross bei ihm auf der Kommandantur erschienen und habe ihm in Anwesenheit der Offiziere Adolf Hieber und Hans Hechtel erklärt, dass er in der kommenden Nacht losschlagen werde. Bögl habe ihm zugesagt, dass er in Zusammenarbeit mit dem Offizier vom Dienst Hauptmann Hieber den Aufstand durch Verzögerung der Alarmierung der Garnison und Aushändigung der gesammelten Waffen unterstützen werde. Da der Aufstand blutig niedergeschlagen wurde, mussten Bögl, Hechtel und Hieber tagelang mit ihrer Verhaftung rechnen, war doch der Besuch Gerngross’ am Tag vor dem Umsturzversuch nicht unbemerkt geblieben.407 Neben der militärischen Unterstützung durch Waffen und Störung der Befehlskette am Tag des Umsturzes, stellten die früher bereits mit dem »SperrKreis« in Verbindung stehenden Offiziere jedoch vor allem die Gewinnung von Reichsstatthalter Epp ins Zentrum ihrer Bemühungen. Allerdings sollte die von Sperr schon 1943 vermutete, aber von Caracciola offenbar unterschätzte

405 Schubert: Bericht über meine Zusammenarbeit mit Caracciola für die Widerstandsbewegung (München, Dezember 1947), IfZ, ZS 391, Bl. 6. 406 Georg Bögl an die Berufungskammer für Oberbayern (München, 15. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. 407 Vgl. Georg Bögl an die Berufungskammer für Oberbayern (München, 15. März 1947), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg. Vgl. zu Bögls Rolle am 28. April 1945 außerdem »Aufschreibung über die Vorgänge in der Wehrmachtkommandantur München unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner« von Georg Bögl (21. Januar 1946), ZS / A 4/6, 73–77. Seine Beteiligung am Aufstand wurde Bögl bereits einen Tag nach dem Umsturzversuch von Major Alois Braun bestätigt, der mit seiner Panzer-Abwehr-Abteilung 17 in Freising stationiert war und sich ebenfalls am Aufstand beteiligt hatte (vgl. Abschrift einer Erklärung des Major Braun (29. April 1945), StAM, SpkA K 162: Bögl, Georg).

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Wankelmütigkeit und Unzuverlässigkeit Epps in der Nacht des Umsturzes vom 27. auf den 28. April 1945 fatale Folgen haben. Zur Beteiligung am Aufstand aufgefordert, zögerte Epp zunächst, um dann eine solche in den frühen Morgenstunden endgültig abzulehnen. Da der Aufstand nur in Ansätzen erfolgreich verlief – unter anderem konnte über mehrere Stunden die Münchener Bevölkerung über Rundfunk aufgefordert werden, den Aufstand zu unterstützen – und die Führung von Partei, SS und Wehrmacht in München und Umgebung nicht festgenommen werden konnte, gelang es der Gegenseite, frühzeitig Maßnahmen zur Niederschlagung des Aufstandes einzuleiten. Gauleiter Giesler hatte sich der Gefangennahme entziehen können und gab noch auf der Flucht Befehle zur Liquidierung der festgenommenen Aufständigen heraus. Günther Caracciola-Delbrück wurde noch am gleichen Tag im Hof des Zentralministeriums standrechtlich erschossen. Ebenso wie es schwierig ist, Anhängern der FAB frühere Kontakte zu den Männern um Franz Sperr nachzuweisen408, lassen sich auch die Beteiligungen des 1945 nur noch in Bruchstücken bestehenden »Sperr-Kreises« an der FAB nur an einzelnen Personen belegen, die nach Ende des Krieges mit der FAB in Verbindung gebracht wurden. Martin Riedmayr beispielsweise will mit der FAB keine Verbindung gehabt haben.409 Zunächst nach Köln versetzt, wurde er schon bald als Verbindungsoffizier zum Oberbefehlshaber West eingesetzt. Ende April 1945 war Riedmayr in dieser Funktion kurze Zeit in Oberbayern unterwegs, wo er unter anderem den Bürgermeister von Tölz wegen der kampflosen Übergabe seiner Gemeinde beraten habe.410 In der Nacht des Aufstandes habe er zwar eine Besprechung mit Angehörigen der FAB gehabt, sei dann aber noch in der Nacht zurück nach Gut Reith gefahren, wo er als Angehöriger des Stabes Oberbefehlshaber West untergebracht war. Er selbst habe zwar beim Aufstand der FAB nichts getan411, doch habe die »geleistete Vorarbeit«, für die sich Riedmayr in München verantwortlich zeigte und die darin bestanden hatte, die Stadt- und Landwacht sowie die Luftschutzpolizei mit verlässlichen Persönlichkeiten zu besetzen und mit Treibstoff, Waffen und Munition zu versorgen, dafür gesorgt, dass entsprechende Kräfte für die FAB bereit standen.412 An anderer Stelle schrieb Riedmayr, dass die Pläne nicht zur Durchführung gelangten, weil die Stadtwacht im September 1944 aufgelöst und an ihrer Stelle

408 Diesen Versuch unternahm Diem, Freiheitsaktion, S. 109 f. 409 Vgl. Erklärung von Martin Riedmayr in seinem Spruchkammerprozess, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 410 Vgl. Aussage von Alfons Stollreiter im Spruchkammerprozess gegen Martin Riedmayr, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 411 Vgl. Riedmays Richtigstellung der Aussage von Alois Schimmer im Spruchkammerprozess gegen Martin Riedmayr, StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin. 412 Vgl. Erklärung des Oberstleutnant der Schutzpolizei a. D. Martin Riedmayr für die Spruchkammer München-Land (Neu-Grünwald, 4. Juni 1947), S. 1–25, hier S. 22 f., StAM, SpkA K 1428: Riedmayr, Martin.

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der Volkssturm eingesetzt worden sei.413 Es scheint so, als habe Riedmayr in seinem eigenen Spruchkammerverfahren die »geleistete Vorarbeit« besonders betonen wollen, obwohl ihm klar war, dass durch die Auflösung der Stadtwacht, diese Vorarbeit zunichte gemacht worden war. Eine entscheidende Beteiligung am Aufstand der FAB gab er indes niemals vor. Ähnliches lässt sich für Hein Martin konstatieren: Dieser wurde durch den Aufstand der FAB überrascht und reagierte auf die Rundfunkansprache Gerngross’ mit großer Skepsis.414 Auch nach dem Krieg verneinte er jegliche Verbindungen zur FAB und wies zudem auf den Widerspruch hin, dass er selbst von Franz Sperr »nie ein Wort« von ihr gehört habe, die FAB nun aber Sperr für sich in Anspruch nehme.415 Daneben habe – so Diem – auch eine Verbindung der FAB zur »Nürnberger Gruppe« des »Sperr-Kreises« bestanden.416 In Franken schliefen die Aktivitäten nach der praktischen Auflösung des Kreises um Sperr infolge des 20. Juli 1944 nicht ein. Hans Rauch soll offenbar zu einer kleineren Gruppe gehört haben, »die unter Beteiligung Leilings beim Oberfinanzpräsidenten geschaffen worden war«.417 Dadurch habe vermutlich auch eine Verbindung zu Otto Graf bestanden. Die »Nürnberger Gruppe« habe unter anderem versucht, Kontakte in die Schweiz zu Joseph Wirth und den Amerikanern herzustellen.418 Allerdings stellt auch Diem fest, »dass der Kontakt einzelner Nürnberger Gruppenmitglieder sehr viel stärker ausgeprägt war«, als die Verbindung Wirths zu einzelnen FAB-Mitgliedern.419

413 Vgl. Zeugenaussagen zum Protokoll gegen Hein Martin von Martin Riedmayr (10. November 1948) sowie die Eidesstattlichen Versicherungen von Lothar Blankenheim (München, 4. April 1946) und Georg Trettenbach (München, 6. April 1946), alles in StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. 414 Vgl. die Auszüge aus Martins Tagebucheinträgen in den letzten Kriegstagen bei Diem, Freiheitsaktion, S. 233. 415 Hein Martin: »Politische Verfolgungen« (München, 25. Juni 1946), StAM, SpkA K 1124: Martin, Heinrich. 416 Vgl. Diem, Freiheitsaktion, S. 111–114. 417 Ebd., S. 112. 418 Die angeblichen Bemühungen der »Nürnberger Gruppe«, Joseph Wirth für den Widerstand zu gewinnen, um vom Ausland her über das Radio alle Gegner des NS-Regimes zusammenzuführen, versuchte Diem in die Nähe der FAB zu rücken. Allerdings erbrachte sie den Nachweis einer Beteiligung an diesen Bemühungen nicht. Dass die gescheiterten Pläne, über den Höheren SS- und Polizeiführer, Benno Martin, die drei nordbayerischen Gaue geschlossen an die Alliierten zu übergeben, den US-Geheimdienst Anfang April 1945 gemeinsam mit der Botschaft erreichten, dass Benno Martin über Kontakt zur FAB verfüge, lässt schon eher eine Verbindung vermuten (vgl. Diem, Freiheitsaktion, S. 114). Doch wurde Benno Martin – im Gegensatz zu den übrigen Nürnberger Gruppenmitgliedern – nicht über die Kontakte zu Franz Sperr informiert, die über Schade liefen, weshalb von einer Verbindung des einstigen »Sperr-Kreises« zur FAB nicht gesprochen werden kann (vgl. hierzu das Kap. VI.3.b). 419 Diem, Freiheitsaktion, S. 113.

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Dass die führenden Köpfe der FAB, Gerngross und Leiling, in der Rückschau ihren Widerstand gerne in der Kontinuität der Arbeiten des »Sperr-Kreises« wissen wollten, ist nicht verwunderlich. Obwohl offenbar nur ein größeres Treffen im Sommer 1943 stattgefunden hatte, dürfte man, um nicht als Militärs zu gelten, die sich erst in letzter Sekunde einen Vorteil für die Zeit »Danach« verschaffen wollten, die eigene Beteiligung an den langjährigen Planungen des »Sperr-Kreises« im Nachhinein als Vorarbeit der späteren »Freiheitsaktion« dargestellt haben. Bei Gerngross kam zudem offenbar noch ein hohes Maß an Eitelkeit hinzu.420 Insgesamt waren die personellen Überschneidungen zwischen dem Widerstandskreis um Sperr und der FAB überschaubar. Neben Gerngross, Leiling und Falkner stellte vor allem der Oberleutnant Caracciola-Delbrück eine gewisse Kontinuität dar, der im Auftrag Sperrs bereits für die Gewinnung des Reichsstatthalters von Epp eingetreten war. Dass mit Schubert ein enger Vertrauter ­Caracciolas ebenfalls an der Aktion der FAB beteiligt war, dürfte ebenfalls kein Zufall gewesen sein. Darüber hinaus nahm Georg Bögl, der mit Gerngross ohnehin bekannt war, bei der Stadtkommandantur München eine zentrale Stelle ein, die am Tag des Aufstandes für die FAB von Interesse sein musste. Enge Beziehungen zur Münchener Polizei dürften ebenfalls wichtig gewesen sein, bestanden jedoch weder zu Martin Riedmayr noch zu Hein Martin. Es lässt sich somit sicher von sechs Personen sprechen, die sowohl im »Sperr-Kreis« aktiv waren, als auch beim Aufstand der FAB eine Rolle spielten. Was die konkrete Widerstandshandlung betraf, unterschieden sich die Männer um Sperr und jene um Gerngross grundsätzlich. Während Sperr und Co. vor allem eine Art »Auffangorganisation« für die Zeit »Danach« aufzubauen beabsichtigten, unternahm die FAB in den letzten Kriegstagen den Versuch, Bayern von den Nationalsozialisten zu befreien. Es muss Spekulation bleiben, ob ein Umsturzversuch des »Sperr-Kreises« mit dem Erreichen des Rheins durch die Alliierten ähnlich erfolglos verlaufen wäre, wie der Aufstand der FAB. Feststehen dürfte, dass die langjährige Planung der Zeit »Danach« dem Widerstandskreis um Sperr wesentlich weniger Improvisationsgeschick abverlangt hätte, als der FAB, die erst ab Januar 1945, also erst vier Monate vor dem Aufstand, aus bereits zuvor nebeneinander existierenden Gruppen entstand und einen gemeinsamen Aktionsplan entwickelte.421 Hinsichtlich der Programmatik verkündete die FAB am 28. April 1945 über Rundfunk ein »Zehn-Punkte-Programm«.422 Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich das bayerische Volk »in gleicher und freier Wahl« eine Verfassung geben würde, sollten die Regierungsgeschäfte von einem »Regierungsausschuss« geführt werden. Die zehn Punkte umfassten entsprechend die Maßnahmen für die Übergangszeit von der Diktatur zur Demokratie. Neben dem Sturz des NS-Regimes, 420 Vgl. ebd., S. 139. 421 Vgl. ebd., S. 139–143. 422 Vgl. hier und im Folgenden die Edition bei ebd., S. 150–152.

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der Beseitigung des Militarismus und der Wiederherstellung des Friedens stand auch für die FAB der »Kampf der Anarchie«, die »Sicherstellung der Ernährung«, die »Wiederherstellung geordneter wirtschaftlicher Verhältnisse«, der »Wiederaufbau des Rechtsstaates«, die »Errichtung einer sozialen Ordnung«, die »Wiedereinführung der Grundrechte« sowie die »Wiederherstellung der Menschenwürde« auf der Agenda. Es lassen sich insofern deutliche Parallelen im Hinblick auf die programmatischen Ziele der FAB und des »Sperr-Kreises« feststellen. Zumindest kamen nahezu identische Ziele bei den Treffen mit den einzelnen Vertrauensleuten des »Sperr-Kreises« zur Sprache. Ob die Widerstandsgruppe um Sperr diese jemals kompakt formulierte, ist fraglich. Möglicherweise hatte der oben erwähnte »Aufruf an das deutsche Volk« von Eduard Hamm ähnliche programmatische Aussagen enthalten. Das »Zehn-Punkte-Programm« der FAB wurde wahrscheinlich vom Juristen Ottheinrich Leiling verfasst. Da er in seinem Spruchkammerverfahren aussagte, dass er das Programm »lange vor dem Aufstand entworfen habe«423, ist es durchaus möglich, dass er hierin auch eine Zusammenfassung der programmatischen Ziele des »Sperr-Kreises« erstellte. Schließlich war Leiling es, der offenbar mit Franz Sperr sogar nach dem 20. Juli 1944 noch in engstem Kontakt stand.424 Die FAB war zwar nicht »Erbe« des gescheiterten »Sperr-Kreises«, doch durchaus von dessen Widerstand beeinflusst.425 Dass es auf personeller Ebene »keine Schnittmenge« gegeben habe426, ist allerdings nicht zutreffend. Es gab  – wie dargelegt – Überschneidungen in personeller und programmatischer Hinsicht. Einerseits waren die führenden Köpfe der FAB bereits Mitglieder des »SperrKreises« gewesen, konnten jedoch andererseits nur in sehr geringem Maße auf dessen Vorarbeiten zurückgreifen. Innerhalb der Widerstandsgruppe um Sperr, Geßler und Hamm zählten sie – abgesehen von Caracciola für den militärischen Bereich  – nicht zur Führungsriege. Daher mussten sie, zusätzlich erschwert durch die Kriegslage und die zerstörte Infrastruktur, im Frühjahr 1945 in erheblichem Maße improvisieren. Der Schwerpunkt der FAB lag im Vergleich zum »Sperr-Kreis« deutlicher auf dem militärischen Sektor und dem Ziel der Befreiung Bayerns vom Nationalsozialismus. Ob dagegen die Kontakte Gerngross’ und Co. ausgereicht hätten, und eine zivile »Regierungsmannschaft« tatsächlich vorhanden gewesen wäre, um das »Zehn-Punkte-Programm« in Abstimmung mit den Alliierten in ganz Bayern umzusetzen, muss dahingestellt bleiben. Für entsprechende Vorbereitungen in diese Richtung, wie sie die Männer um Sperr bereits lange Zeit vor dem 20. Juli 1944 getroffen hatten, dürfte der FAB schlichtweg die Zeit gefehlt haben. 423 Eidesstattliche Erklärung von Ottheinrich Leiling (15. Juni 1948), StAM, SpkA K 1034: Leiling, Ottheinrich. 424 Vgl. Diem, Freiheitsaktion, S. 111. 425 Vgl. ebd., S. 141. 426 Ebd.

IX. Der »Sperr-Kreis« nach 1945 – Nachkriegskarrieren und Gedenken

Da die überwiegende Mehrheit der Mitglieder und Sympathisanten des »SperrKreises« das Ende des Zweiten Weltkrieges und des NS-Regimes erlebte, ist in den folgenden Kapiteln von Interesse, wie diese sich in die deutsche und bayerische Nachkriegsgesellschaft integrierten, und wie der Widerstandskreis nach 1945 öffentlich wahrgenommen wurde. Im ersten Unterkapitel steht die Frage nach den möglichen Nachkriegskarrieren im Mittelpunkt. Wie in den vorherigen Kapiteln verdeutlicht, setzte sich der »Sperr-Kreises« fast ausschließlich aus bürgerlichen Eliten der Wirtschaft, der Verwaltung und der Justiz zusammen und verfügte darüber hinaus über enge Kontakte zu militärischen Eliten in Bayern. Da einige jedoch im »Dritten Reich« Mitglied der NSDAP waren, wäre zu erwarten, dass sich ihre Karrieren nicht nahtlos fortsetzen ließen. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob der bayerische Kronprinz Rupprecht nach 1945 mit Hilfe seiner früheren Mitarbeiter seine Ansprüche auf den bayerischen Thron – trotz bis dato fehlender Zusage der Alliierten – anzumelden gedachte. Hieran schließt sich die Frage an, inwieweit die politischen Realitäten obgleich möglicher Favorisierung der monarchischen Staatsform von den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« anerkannt und akzeptiert wurden. Im Anschluss soll das private und öffentliche Gedenken an die Widerstandsgruppe nach 1945 näher untersucht werden. Im Fokus stehen hierbei – neben Darstellung und Ablauf der überwiegend privaten Gedenkveranstaltungen auf Initiative der Angehörigen – die erinnerungspolitischen Chancen eines öffentlichen Gedenkens in den ersten Nachkriegsjahrzehnten sowie der heutige, politische und wissenschaftliche Umgang mit dem »Sperr-Kreis«.

1. Die Mitglieder des »Sperr-Kreises« in der Nachkriegszeit Den bayerischen Kronprinzen Rupprecht erreichten erst kurz vor Kriegsende Gerüchte vom Schicksal seiner engsten Mitarbeiter. Damals dürfte seine Hoffnung auf eine Umsetzung seiner Überlegungen für ein Nachkriegsbayern vorerst in weite Ferne gerückt sein.1 Erst knapp zwei Monate nach Kriegsende wurden diese Gerüchte größtenteils zur traurigen Gewissheit, als Rupprecht 1 Rupprecht gingen zunächst falsche Informationen zu, die besagten, dass auch »Minister Gessler mit 500 anderen darunter seinem Freunde dem Admiral Canaris vor Ostern erhängt« worden sei. Sein tiefes Bedauern brachte der Kronprinz hierüber zum Ausdruck: »Sein Tod

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ein Schreiben seines Kabinettschefs Franz von Redwitz erhielt.2 In diesem Schreiben berichtete Redwitz von einem Treffen mit Otto Geßler Anfang Juni in Lindau. Mit dem ehemaligen Reichswehrminister habe er die weitere Vorgehensweise hinsichtlich einer Rückkehr Rupprechts nach Deutschland besprochen: »Er meint, eine nicht allzuferne Rückkehr Eurer Kgl. Hoheit sei wünschenswert, um einen Mittelpunkt aller staatserhaltenden Kräfte zu bilden.«3 Geßler gab somit die Möglichkeit einer integrativen Wirkung des Wittelsbacher Kronprinzen in Bayern zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf, und das, obwohl die eigenen Vorstellungen und Vorbereitungen einer staatsrechtlichen und personellen Neugestaltung Bayerns zur Verhinderung von chaotischen Zuständen durch den Tod Sperrs und Hamms kaum mehr umzusetzen waren. Redwitz wollte sich deshalb bemühen, bei der Militärregierung ein mögliches Treffen zwischen Rupprecht und Geßler zu arrangieren.4 Im Antwortschreiben an seinen Kabinettschef bedauerte Rupprecht ausdrücklich den Tod Sperrs, »an dem [er] viel verliere«.5 Die Nachricht vom Überleben Geßlers weckte in ihm jedoch erneut die Zuversicht. Er wies Redwitz sogleich an, ein Treffen mit dem früheren Reichswehrminister noch vor seiner Heimkehr nach Bayern zu organisieren6 und diesem seine letzte Denkschrift

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bedeutet für mich einen schweren Verlust, verlor ich doch in ihm einen treu ergebenen trefflichen Berater« (GHA, AA KPR [1945], Mappe 25, S. 11). Franz von Redwitz an Kronprinz Rupprecht (München, 20. Juni 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008. – Die Diktion des Schreibens lässt erahnen, wie schwer Redwitz die Verluste an Mitarbeitern und Gesinnungsgenossen, insbesondere aus den Reihen des »Sperr-Kreises«, für die unmittelbare Nachkriegszeit tatsächlich einschätzte: »Viele wertvolle Menschen sind in den letzten Monaten umgekommen«, unter anderem »der frühere Minister Hamm und auch auch Sperr, ein besonders schwerer Verlust, der jetzt sehr schmerzlich ist« (ebd.). Der bayerische Kronprinz nahm diese Neuigkeiten aus München mit gemischten Gefühlen wahr: »Minister Gessler ist nicht wie ich befürchtete tot, wurde aber in der Gefangenschaft mit Daumenschrauben gefoltert. Gehängt wurde sein Mitarbeiter Oberst Sperr, der letzte bayerische Gesandte in Berlin, der frühere bayerische Minister Hamm und von mir nahe stehenden Persönlichkeiten Graf Redwitz-Marogna und Freiherr Ludwig von Guttenberg. Graf Berthold Stauffenberg starb im Gefängnis« (GHA, AA KPR (2. Juli 1945), Mappe 25, S. 30 f.). Franz von Redwitz an Kronprinz Rupprecht (München, 20. Juni 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008. Dem Wunsch Rupprechts, bald persönlich über das Geschehen in Bayern informiert zu werden, wollte Redwitz gerne sofort entsprechen: »Am liebsten wäre es mir, wenn es durch eine so gewichtige Persönlichkeit wie Gessler geschehen könnte. Den möglichen Weg muss ich erst einzuleiten versuchen, es wird nicht ganz einfach sein, durch die Militärregierung einen Weg zu finden« (Franz von Redwitz an Kronprinz Rupprecht (München, 20. Juni 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008). Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 1. Juli 1945), GHA, NL Redwitz 51. Vgl. Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 1. Juli 1945), GHA, NL Redwitz 51. – In einem weiteren Schreiben erwähnte Rupprecht, dass ursprünglich mit Geßler vereinbart worden sei, dass Polizeioberst Hunglinger – wohl im Falle des Zusammenbruchs – Rupprecht entgegenfahren und ihn abholen hätte sollen. Da dieser jedoch verstorben sei, wünschte sich Rupprecht, dass Geßler kommen würde (vgl. Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 21. Juli 1945), GHA, NL Redwitz 51).

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auszuhändigen.7 Seine Briefe in den folgenden Monaten verdeutlichen eine  – wenn auch wahrscheinlich durch die lange Zeit im Exil verstärkte – völlige Fehleinschätzung der politischen Lage und vor allem der sich ihm selbst, nach einer möglichen, jedoch hinsichtlich des Zeitpunkts ungewiss erscheinenden Rückkehr, bietenden Handlungsspielräume. Am 4. Mai 1945 war Karl Scharnagl durch die US-Militärregierung in sein früheres Amt als Oberbürgermeister von München sowie auf Empfehlung des Münchener Kardinals Faulhaber am 28. Mai der frühere BVP-Vorsitzende Fritz Schäffer als vorläufiger Ministerpräsident Bayerns eingesetzt worden.8 Die Er­ nennung Schäffers begegneten Rupprecht und Redwitz mit gemischten Gefühlen: Einerseits befürchtete man offenbar eine Rückkehr zur Parteipolitik früherer Tage.9 Andererseits nahm man die Einsetzung der Regierung Schäffer positiv auf, »da diese nur Bayern eingeräumte Vorzugsstellung eher auf einen eigenständigen Staat als auf eine Einbindung in ein Reich oder einen Bund«10 hinweise, und sich Schäffer klar gegen den »preussischen Zentralismus« ausgesprochen habe.11 Kurze Zeit nachdem der Kontakt zwischen Kronprinz Rupprecht und Otto Geßler über Franz von Redwitz wieder hergestellt war, wurde der ehemalige Reichswehrminister von Ministerpräsident Schäffer zur Mitarbeit in dessen Re­ gierung aufgefordert. Obwohl Geßler fast zeitgleich in seiner Heimat vom Gouverneur von Lindau zur Übernahme eines Amtes an der Spitze des Sonderverwaltungsgebiets »Kreis Lindau« angefragt worden war12, habe er »dem ›größeren‹ Ruf den Vorzug« gegeben, »weil er sich sagen durfte, daß seine Erfahrung und seine Kapazität in der Verwaltung eines Landes nötiger seien als in einem einzelnen Kreis«.13 Nach einer mündlichen Besprechung und einem Schriftwechsel erfolgte am 13. Juli 1945 Schäffers schriftliche Aufforderung, ihm »als Freund und Berater« zur Seite zu stehen.14 Angeblich habe Geßler Schäffer im Vorfeld 7 Vgl. Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 20. Juli 1945), GHA, NL Redwitz 51 8 Als Chef der »Zivilverwaltung in Bayern« sollte dieser jedoch gegenüber den Amerikanern weisungsgebunden bleiben (vgl. Gelberg, Einleitung, S. 11–129, hier S. 28). 9 Vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 327. Redwitz schrieb Rupprecht am 20. Juni 1945: »Nach aussen hin stehen Angehörige der früheren B. Volkspartei zu sehr im Vordergrund, was jetzt schon wieder starke Kritik in allen anderen Lagern hervorruft« (Franz von Redwitz an Kronprinz Rupprecht (München, 20. Juni 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008). 10 Gelberg, Einleitung, S. 32. 11 Lina Maier an Kronprinz Rupprecht (Leutstetten, 26. Juni 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 998. 12 Der Kreis Lindau war nach der Besetzung Bayerns durch die alliierten Truppen der französischen Besatzungszone zugeschlagen worden und damit verwaltungsmäßig von Bayern, das unter amerikanischer Verwaltung stand, abgetrennt worden (vgl. hierzu Stauder, Ein zweites »Fürstentum Liechtenstein«, S. 127–156). 13 Gessler, Reichswehrpolitik, S. 91. 14 Zit. n. ebd., S. 91.

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noch darauf aufmerksam gemacht, dass die amerikanischen Besatzer möglicherweise Schwierigkeiten mit seiner früheren Rolle als Reichswehrminister haben könnten. Der Ministerpräsident habe jedoch erklärt, dass von dieser Seite keine Einwände erhoben worden seien.15 Als Staatsrat in der Staatskanzlei war Geßler faktisch der engste politische Mitarbeiter und Berater des Ministerpräsidenten. Fortan nahm er an Ministerratssitzungen teil und meldete sich dabei insbesondere im Hinblick auf Personalfragen in den einzelnen bayerischen Regierungsbezirken16 sowie bei der Frage über die Verwendung von ehemals aktiven Offizieren zu Wort. Was letzteren Punkt betraf, lag dem Ministerrat ein Erlass des Arbeitsministeriums zur Beratung vor, wonach alle aktiven Offiziere als aktive Nazis gewertet wurden und zum Arbeitsdienst herangezogen werden sollten. Geßler wandte sich entschieden gegen diese Vorlage. Seiner Ansicht nach müsse man zwischen Offizieren unterscheiden, die zur Waffen-SS gegangen und jenen, die bei der Wehrmacht geblieben seien. Letztere seien »bis auf Ausnahmen Gegner der Nazi-Partei gewesen«.17 Geßler maß den aktiven Offizieren vor allem beim Aufbau der Polizei Bedeutung zu, wo zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung Offiziere, »die mit der Waffe umgehen und energisch zugreifen könnten«, benötigt würden.18 Er vertrat damit eine damals weitverbreitete Sichtweise, die zugleich die frühere Position des »Sperr-Kreises« wieder aufnahm. Eduard Hamm hatte sich für eine »vernünftige Denazifizierung« nach dem Krieg ausgesprochen, um Verwaltung, Wirtschaft und Polizei wieder aufbauen zu können und auf diese Weise Sicherheit und Ordnung in Bayern zu gewährleisten.19 Otto Geßler war somit in den ersten Wochen nach Kriegsende und Beendigung der Nazi-Herrschaft am Wiederaufbau einer staatlichen Ordnung in Bayern an führender Stelle beteiligt. Die von ihm kritisierte Vorlage fiel in den Bereich der Entnazifizierung. In Bayern musste jeder Erwachsene einen Fragebogen mit 131 Fragen zur eigenen Person und Rolle im »Dritten Reich« ausfüllen. Anschließend urteilten deutsche Laiengerichte, so genannte Spruchkammern, über die einzelnen Fälle, wurden dabei jedoch von der Militärregierung überwacht. Die Entnazifizierungspraxis entpuppte sich aber in der Rückschau als Farce, was wohl mit der hohen Anzahl der zu behandelnden Einzelfälle zu tun hatte. Ob sich die Ankläger und Vorsitzenden der Spruchkammern der Tatsache bewusst waren oder nicht: die freimütige und gegenseitige Ausstellung von 15 Vgl. ebd., S. 91. 16 Vgl. Ministerratsprotokoll Nr. 7 (22. August 1945), in: Protokolle des Bayerischen Ministerrates 1945–1954. Kabinett Schäffer, S. 184–215, hier S. 193. 17 Ministerratsprotokoll Nr. 7 (22. August 1945), in: ebd., S. 184–215, hier S. 197. 18 Ebd. Aus heutiger Sicht machte es sich Otto Geßler nachweislich zu einfach, als er pauschal zwischen Offizieren der Waffen-SS und der Wehrmacht im Hinblick auf deren Rolle im »Dritten Reich« unterschied. Denn auch die Liste der Forschungsliteratur zu Wehrmachtsverbrechen ist lang (vgl. hierzu exemplarisch und den Forschungsstand zusammenfassend Hartmann / Hürter / Jureit, Verbrechen). 19 Vgl. hierzu Kap. VI.2.c.

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so genannten »Persilscheinen« führte dazu, dass das Spruchkammersystem zu einer Art »Mitläuferfabrik« wurde.20 Auch verloren die Amerikaner mit Aufziehen des »Kalten Krieges« und der Not, Deutschland in diesem Weltkonflikt zu einem Verbündeten zu machen, den notwendigen Ehrgeiz, eine konsequente Entnazifizierung zu betreiben. Eilverfahren waren die Folge. In dieser Interessens- und Gemengelage wurden auch die Mitglieder des »Sperr-Kreises« entnazifiziert, von denen einige – wie bereits dargelegt wurde – der NSDAP oder deren angeschlossenen Verbänden beigetreten waren. Die zu ihren Verfahren eingereichten Bescheinigungen und »Eidesstattlichen Versicherungen« von ehemaligen Vertrauten im Widerstand unterschieden sich kaum von denjenigen, die andernorts für lokale NS-Größen, SS-Offiziere und Arisierungsgewinner eingereicht wurden. Während letztere nicht selten als »Mitläufer« davonkamen, wurden die ehemaligen Mitglieder des »Sperr-Kreises«, die Parteimitglieder waren, in der Regel in die Gruppe 5 der »Entlasteten« eingereiht. Dies hatte zur Folge, dass sie wieder einem geregeltem Beruf, etwa im Staatsdienst oder der Wirtschaft, nachgehen durften. Die Nicht-Parteimitglieder waren teilweise schon kurz nach Kriegsende von der US-Militärregierung in diverse, teils hochrangige Ämter eingesetzt, andere wegen ihres Alters schon während des »Dritten Reiches« in den Ruhestand verabschiedet worden. Aus den Reihen des »Sperr-Kreises« zählten aufgrund ihrer Rolle im »Dritten Reich«, aber auch wegen ihrer in allen gesellschaftlichen Bereichen gesammelten Erfahrungen und Expertise, neben Otto Geßler schon früh weitere Mitglieder zu den Beratern des bayerischen Ministerpräsidenten oder aber wurden von diesem für wichtige Posten im bayerischen Staatsdienst ins Auge gefasst. Außer dem Münchener Oberbürgermeister Karl Scharnagl, der wie Geßler an den Ministerratssitzungen teilnahm, schöpfte Schäffer das Reservoir an Wirtschafts- und Finanzfachleuten aus, das sich gegen Kriegsende in Bayern aufhielt, um das Wirtschaftsleben wieder in Gang zu setzen. Beratend trat hierbei insbesondere Otto Schniewind in Erscheinung, der mehrere Einzelgespräche mit dem Ministerpräsidenten führte.21 Schniewind sollte später auf Bundesebene Karriere machen. Im April 1948 wurde er zum Leiter des Büros für die Koordinierung der Angelegenheiten des Marschall-Planes ernannt, ehe er noch im gleichen Jahr den Vorsitz des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau übernahm.22 Neben Schniewind war Otto Graf aus der früheren »Nürnberger Gruppe« des »Sperr-Kreises« für den Posten des Staatssekretärs im bayerischen Wirtschaftsministerium vorgesehen. Doch legte die US-Militärregierung 20 So auch der Titel bei Niethammer, Mitläuferfabrik. 21 Vgl. Itinerar Ministerpräsident Schäffers, in: Protokolle des Bayerischen Ministerrates ­1945–1954. Kabinett Schäffer, S. 131–143, hier S. 137 f., wo Gespräche am 21. Juni, 30. Juni und 4. Juli vermerkt sind. Kontakte zwischen Schniewind und Schäffer hatten auch während des »Dritten Reiches« bestanden (vgl. hierzu Altendorfer, Fritz Schäffer, S. 846, insbes. Anm. 1545). 22 Zur Nachkriegskarriere Schniewinds vgl. Scholtyseck, Otto Schniewind, S. 377–385.

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hierbei ihr Veto ein.23 1947/48 erfolgte dafür Grafs Ernennung zum Präsidenten des Bayerischen Landeswirtschaftsamtes, ehe er 1949 als Ministerialdirektor ins Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard eintrat, wo ihm die wichtige Leitung der Abteilung I (Wirtschaftspolitik) übertragen wurde, und er federführend an der Umsetzung des »Schuman-Planes« beteiligt sein sollte.24 Darüber hinaus ernannte Schäffer Heinrich Schmittmann Ende Juli 1945 zum Präsidenten des Bayerischen Obersten Finanzgerichtshofs.25 Im Jahr 1950 sollte Schmittmann erster Präsident des Bundesfinanzhofes werden, aber schon nach einem Jahr aus Altersgründen zürücktreten. Als bayerischen Innenminister wollte Fritz Schäffer unbedingt Hans Ritter von Lex einsetzen. Allerdings scheiterte dieses Vorhaben Ende August 1945 am Einspruch der US-Militärregierung, die Lex wegen seiner Reichstagsrede zum »Ermächtigungsgesetz« im März 1933 für untragbar hielt.26 Dennoch sollte Lex in der Folgezeit – wenn auch nicht in vorderster Front – im Staatsministerium des Innern Karriere machen. Bis 1948 stieg er zum Ministerialdirektor auf. Bereits im Oktober 1949 nach Bonn abgeordnet, befasste er sich ab August 1950 unter den CDU-Ministern Robert Lehr und Gerhard Schröder als Staatssekretär im Bundesinnenministerium hauptsächlich mit Fragen der internen Personalpolitik, der öffentlichen Sicherheit, der Verfassung und des Staatsrechts.27 Anschließend stand Lex ab 1961 noch ganze sechs Jahre an der Spitze des Deutschen Roten Kreuzes.

23 Vgl. Ministerratsprotokoll Nr. 1 (8. Juni 1945), in: Protokolle des Bayerischen Ministerrates 1945–1954. Kabinett Schäffer, S. 155–259, hier S. 156, insbes. Anm. 5. Die Ablehnung Grafs dürfte in seiner Tätigkeit als Hospitant in der Reichstagsfraktion der NSDAP 1933 gelegen haben. 24 Vgl. zu Grafs Rolle im Bundeswirtschaftsministerium Löffler, Soziale Marktwirtschaft, insbes. S. 186 f. u. S. 503. 25 Gelberg geht davon aus, dass Schäffer von Schmittmanns Expertise in Finanz- und Wirtschaftsfragen besonders überzeugt war, da eine Reihe der Rundschreiben des Ministerpräsidenten an die entsprechenden Ressorts auch an Schmittmann gerichtet waren (vgl. Gelberg, Einleitung, S. 48, Anm. 204). 26 Vgl. ebd., S. 29, insbes. Anm. 109. Hier findet sich auch der Hinweis auf die Ministerratssitzungen, in denen die Personalie Lex besprochen wurde. 27 Über Lex’ Zeit im Bundesinnenministerium geben nun die Ergebnisse eines Forschungsprojekts des Instituts für Zeitgeschichte und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam ausführlich Auskunft. Nicht ohne Kritik stellen die Verfasser fest, dass Lex maßgeblichen Einfluss auf die Einstellungspolitik des Ministeriums im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik ausübte. Er sei dabei äußerst pragmatisch vorgegangen: Eine NS-Mitgliedschaft sei für ihn kein Ausschlusskriterium gewesen. Vielmehr habe er mögliche Bewerber auf ihre Expertise hin überprüft (vgl. Bösch / Wirsching, Hüter der Ordnung; Hieraus vor allem den Beitrag über die frühen leitenden Beamten Stange, Bundesinnenministerium, S. 55–121, insbes. S. 59–74); Stange wird zudem im Rahmen des Projekts eine Biographie über Lex anfertigen (vgl. Bösch / Wirsching, Die deutschen Innenministerien, S. 737, Anm. 14). Darüber hinaus sei auf Lex’ Engagement für einen Neuanfang staatlicher, politischer Bildung verwiesen (vgl. diverse Stellen bei Hentges, Staat).

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Anton Fehr wirkte nach 1945 als Berater des Bayerischen Landwirtschaftsministers und späteren Bundeslandwirtschaftsministers Wilhelm Niklas, den Fehr noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kannte.28 Gleichzeitig wurde er Beauftragter des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums für die Neuordnung der Milchwirtschaft in Bayern und im Allgäu und nahm seine Professur an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Weihenstephan wieder auf. In seiner Heimat Lindenberg und im Kreis Lindau wirkte er zudem an der Organisation der Lebensmittelversorgung mit und wurde Mitbegründer und 3. Vorsitzender des Bayerischen Bauernverbandes, der sich als Berufsvertretung der bayerischen Bauernschaft die Förderung der bayerischen Landwirtschaft zum Ziel setzte.29 Wenn auch nicht in vorderster Front, übernahm Fehr nach 1945 mithin in jenem Bereich Verantwortung, für den er bereits innerhalb des »Sperr-Kreises« Überlegungen anstellte und für die Zeit »Danach« vorgesehen war. Auch in den Industrie- und Handelskammern im südlichen Bayern sollten ehemalige »Sperr-Kreis«-Mitglieder führend den Wiederaufbau der bayerischen Wirtschaft und Industrie vorantreiben.30 Mit Otto A. H. Vogel, Johannes Meier und Ludwig Berz bildeten drei Mitglieder der »Augsburger Gruppe« des »SperrKreises« über Jahre das Führungstrio der IHK Augsburg.31 Ähnlich sah die Situation in München aus. Dem Holzunternehmer Reinhart Kloepfer, der möglicherweise mit dem »Sperr-Kreis« Kontakt hatte32 und von Oberbürgermeister Scharnagl zum ersten Münchener Kammerpräsidenten nach 1945 ernannt wurde, standen im ersten Nachkriegsjahrzent mit Paul Helfrich als Syndikus und Hermann Aumer als Vizepräsident zwei wichtige, ehemalige Vertraute Eduard Hamms zur Seite. Im bayerischen Staats- und Verwaltungsdienst traten ebenfalls einige ehemalige »Sperr-Kreisler« in führende Positionen ein. Georg Bögl stieg nach seiner erfolgreichen Entnazifizierung als »Entlasteter« ab 1948 im Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus bis in den Rang eines Ministerialdirigenten auf, wurde Leiter der Abteilung für Volks- u. Berufsschulen, Lehrerbildung, Mittelschulen und Volksbildung und zugleich Referent für die Ausbildung der Lehrer an Volks-, Berufs- und Mittelschulen. Er war somit in den entscheidenden ersten Jahrzehnten nach dem Krieg für den Aufbau eines Schulsystems und eines Lehrkörpers verantwortlich, die der freiheitlich demokratischen Grund-

28 Vgl. Stoller, Anton Fehr, S. 66. 29 Vgl. ebd., S. 78; Andrian-Werburg, Anton Fehr S. 49; vgl. zum Bayerischen Bauernverband Kirchinger, Bauernvereinstradition, 183–226. 30 Vgl. zur Neubegründung der Industrie- und Handelskammern nach 1945 Fuchs, Die Bayerischen Industrie- und Handelskammern; speziell für die IHK München vgl. Winkel, Wirtschaft. 31 Vogel wurde zunächst 1945 von der Militärregierung mit dem Vorsitz der Industrie- und Handelskammer Augsburg betraut und Meier als Hauptgeschäftsführer eingesetzt. 1948 erfolgte Vogels Wahl zum Präsidenten, die von Berz zum Vizepräsidenten der IHK Augsburg. 32 Vgl. Kap. VI.2.d.

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ordnung der sich etablierenden Bundesrepublik Deutschland und des Freistaats Bayern entsprachen. Neben Bögl blieb auch Otto Basler seinem staatlichen Bildungsauftrag treu und widmete sich nach 1945 als Professor für deutsche Philologie und Volkskunde an der Universität München wie bereits in den Jahrzehnten vor dem Krieg vor allem der Erforschung und Vermittlung der deutschen Sprache. Hans Rauch, der durch Fritz Schade über den »Sperr-Kreis« informiert war, schien unmittelbar nach Kriegsende die Krönung seiner Karriere zu gelingen, als ihn die US-Militärregierung als Oberfinanzpräsidenten in Nürnberg und München einsetzte. Sein Entnazifizierungsverfahren ließ ihn allerdings kurz darauf mit 60 Jahren frühzeitig in den Ruhestand eintreten. Nur mit Mühe gelang es ihm, seine »Entlastung« durch die Spruchkammer zu erreichen.33 Der einstige Leiter des Münchner Arbeitsamtes, Robert Adam, wurde Direktor des Oberversicherungsamtes, später Ministerialdirigent und Stellvertreter des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen Theodor Oberländer. Zuletzt war er als Senatspräsident am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof tätig. Konrad Frank durchlief diverse Beamtenstationen im Freistaat Bayern. Von der Regierung Regensburg ging er 1949 kurzzeitig als Regierungsvizepräsident nach Augsburg, um kurz darauf als Ministerialrat ins Bayerische Innenministerium einzutreten. Seine letzte Station im Staatsdienst war die des Verwaltungsgerichtsrats am Verwaltungsgericht München. Auch im bayerischen Kommunaldienst sollten sich »Sperr-Kreis«-Mitglieder etablieren. Walther Frisch, der als Sympathisant des »Sperr-Kreises« anzusehen ist, war noch vor Kriegsende ehrenamtlicher Bürgermeister seiner Heimatstadt Lindau am Bodensee geworden. Unmittelbar nach Kriegsende war er dann zum Oberbürgermeister der Stadt Lindau ernannt worden. Nachdem er zeitweise parallel den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitz der Rhein-Main Bank AG in Frankfurt übernommen hatte, trat er nach seinem Ausscheiden als Oberbürgermeister 1957 als Mitglied in den Zentralrat der Dresdener Bank ein, dessen Vorstand er in den Jahren der Weimarer Republik gewesen war. Vor 1933 war Otto Hirschmann 1. Bürgermeister der oberfränkischen Stadt Marktredwitz gewesen. Eduard Hamm hatte ihn durch Vermittlung von Konrad Frank für einen hohen Verwaltungsposten in Oberfranken vorgesehen. 1948 kehrte Hirschmann an die Spitze Marktredwitz’ zurück, diesmal als Ober­ bürgermeister. Auf dem Gebiet der Justiz führte Franz Reisert seine Anwaltskanzlei in Augsburg gemeinsam mit seinem Bruder bis zu seinem Tod 1965 fort. Rudolf Flach baute als Landgerichtspräsident von Kempten die Gerichte im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts überwiegend im südlichen Allgäu wieder auf. Sperrs alter Regimentskamerad Alfons Müller wurde bereits im Oktober 1945 von der US-Militärregierung als Richter vereidigt, um anschließend zunächst Direktor, ab 1950 Landgerichtspräsident beim Landgericht Traunstein zu werden. Der 33 Vgl. Kuller, Bürokratie, S. 414; zu Rauchs Rolle im »Dritten Reich« außerdem Kap. VI.3.b.

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Jurist Hans Hechtel, den Eduard Hamm seit Jahrzehnten kannte, stieg  – als Nicht-Parteimitglied unbelastet – nach 1945 zum Oberstaatsanwalt beim Landgericht München II auf, übernahm dann als Ministerialrat Aufgaben im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben wahr, um anschließend beim Oberlandesgericht München zunächst Senatspräsident, später für einige Jahre Generalstaatsanwalt zu werden.34 Hatte Eduard Hamm den Münchener Amtsgerichtsdirektor Hans Knör noch als »Sondergerichtsvorsitzenden« im Auge, sollte dieser nach 1945 Karriere im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben, als Präsident des Kassationshofes sowie als Leiter der Rechtsabteilung und der Abwicklungsstelle machen, während er gleichzeitig als stellvertretender Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs über die Einhaltung der bayerischen Verfassung wachte.35 Felix Brandl, der Vertrauensmann des »Sperr-Kreises« für Neuburg a. d. Donau, sollte tatsächlich unmittelbar nach Kriegsende zunächst kommissarisch, ab Juli 1945 hauptamtlich Landrat von Neuburg werden. Ende November erfolgte seine Versetzung nach München, wo er zunächst als stellvertretender Polizeipräsident wirkte, dann nach einer Zwischenstation als Oberrechtsrat beim Stadtrat München 1947 ins Staatsministerium des Innern wechselte, wo er ab 1950 als Ministerialdirigent unter anderem zum Leiter der Polizeiabteilung aufstieg. Als Senatspräsident am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München wurde er 1961 in den Ruhestand versetzt.36 Einige ehemalige »Sperr-Kreis«-Mitglieder und -Sympathisanten dürften die nahtlose Fortsetzung bzw. Wiederbelebung ihrer Karriere nach 1945 ihrer früheren Parteizugehörigkeit zur BVP und ihrer jetzigen zur neugegründeten CSU verdankt haben. Karrierefördernd wirkte sich diese wohl insbesondere bei Ludwig Berz aus, der für die CSU im Stadtrat von Augsburg und im Wirtschaftsbeirat der Partei saß. Die oben bereits beschriebenen Ministerialkarrieren von Hans Ritter von Lex und Otto Graf wären gleichsam ohne Parteimitgliedschaft nicht denkbar gewesen. Ähnliches trifft auf den ehemaligen stellvertretenden BVP-Generalsekretär Josef Oesterle zu, der als Mitglied des Deutschen Bundestags von 1949 bis 1959 und ab 1954 zudem als Mitglied des Europaparlaments die Politik der CSU vertrat. Es darf jedoch angenommen werden, dass der Beitritt zur CSU nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Karriereförderlichkeit erfolgte. Vielmehr unterstrich ein Teil der früheren »Sperr-Kreis«-Leute hiermit ihre dem christlichen Glauben und Menschenbild entsprechenden Wertvorstellungen, die sie in der CSU am deutlichsten abgebildet sahen. Zugleich gab es aus den Reihen des früheren »Sperr-Kreises« vereinzelt Bestrebungen, den Wiederaufbau Bayerns in Richtung einer Monarchie zu lenken sowie eine monarchistische Partei zu gründen. Noch vor der Rückkehr des bayerischen Kronprinzen in seine Heimat tat sich hierbei insbesondere dessen Kabi34 Vgl. Personalakt von Dr. Hans Hechtel, BayHStA, MJu 26599. 35 Vgl. Personalakt von Dr. Hans Knör, BayHStA, MJu 25442. 36 Vgl. Personalakt von Dr. Felix Brandl, BayHStA, MInn 83243.

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nettschef Franz von Redwitz hervor. Durch die Gründung der »Bayerischen Heimat- und Königspartei«37 sollten die als legitim verstandenen Ansprüche des Kronprinzen auf den bayerischen Thron mit einem programmatischen Unterbau versehen und seine Anhängerschaft gleichsam in einer monarchistischen Interessensgruppe gebündelt werden. Neben dem Monarchisten Erwein von Aretin beteiligten sich mit Martin Riedmayr und Hein Martin auch zwei ehemalige Mitglieder des »Sperr-Kreises« maßgeblich an diesem Vorhaben. Aus Florenz erreichten Redwitz im Juli und September 1945 zwei Schreiben des Kronprinzen, die darauf hindeuten, dass Rupprecht eine Separation Bayerns vom Reich durchaus ins Kalkül zog und auch Redwitz in diese Richtung lenken wollte.38 Der Kronprinz deutete mit Verweis auf frühere Gespräche mit Geßler an, dass nun, da das Reich »seine Daseinsberechtigung« aufgrund des Verlusts seiner außenpolitischen Souveränität verloren habe, eine »radikalere Massnahme nötig« sei.39 Diese Aussage konkretisierte er einige Wochen später mit den Worten: »Gerade die allerletzten Übergriffe der Russen in Berlin lassen es klar erscheinen, dass jetzt die Zeit für eine Abtrennung gekommen [ist]. Ich hielt dies anfänglich für vermeidbar, jetzt aber ist sie dringend geboten, wirtschaftliche Fragen sind später zu lösen, besser noch wie die Schweiz kann Bayern für sich bestehen. Sämtliche Verkehrsanstalten müssen in eigene Hand genommen, der Betrieb energisch aufgenommen werden.«40 Durch die politische Lage und die Schreiben Rupprechts angetrieben, arrangierte Redwitz am 18. September 1945 ein Treffen mit Erwein von Aretin, Martin Riedmayr und Hein Martin.41 Bei dieser ersten Besprechung entstand eine Denkschrift, in der die Möglichkeiten der Rückkehr zur Monarchie und der Gründung einer monarchistischen Partei erörtert und letztlich positiv beschieden wurden.42 In den folgenden Tagen traf man sich daher wiederholt in 37 Vgl. hierzu vor allem Mildenberger, Flucht, S. 303–312; außerdem Färber, Bayern, S. 163–182. 38 Der Rupprecht-Biograph Weiß geht auf diese Schreiben des Kronprinzen nicht ein. Dass Rupprecht – wie im Folgenden gezeigt werden soll – teilweise sogar die »radikalere Maßnahme«, die Separation Bayerns vom Reich, befürwortete und damit weiterging, als die unten noch näher zu erläuternden Programmvorstellungen der im Aufbau befindlichen »Königspartei«, lässt Weiß unerwähnt. 39 Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 20. Juli 1945), GHA, NL Redwitz 51. 40 Kronprinz Rupprecht an Franz von Redwitz (Florenz, 8. September 1945), GHA, NL Redwitz 51. Redwitz sollte nun auch im Auftrag des Kronprinzen Otto Geßler eine ganze Reihe von weiteren Denkschriften zur »Begutachtung« übermitteln. Der frühere Reichswehrminister solle dem Willen Rupprechts nach darüber entscheiden, ob sich diese Schriftstücke zur Veröffentlichung eigneten. Damit wird deutlich, dass Rupprecht nun offensiv seinen Anspruch auf einen möglicherweise bald wieder existierenden, bayerischen Thron geltend machen wollte. 41 Vgl. Niederschrift Franz von Redwitz (26. September 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008. 42 Hierin schrieb Redwitz: »Eine Partei, die Bayern als Staat bejaht, darf die Frage der Staatsform nicht unausgesprochen lassen. Eine solche Partei muss daher den Mut haben zu erklären, dass sie die Monarchie für Bayern als die geeignete Staatsform ansieht. Aus dem

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unterschiedlicher Zusammensetzung. Redwitz schätzte die Lage vor Ort jedoch realistischer als Rupprecht ein. Eine Separation sei sinnlos, weil sie faktisch bereits existiere, nämlich durch die Spaltung Deutschlands in eine östlich-russische und eine westliche: »Aufgabe Bayerns« müsse es daher sein, »ein starker Block in der westlichen Hälfte zu werden, der gegebenen Falls expansiv wirken muss oder magnetisch andere süddeutsche und westdeutsche Staates an sich heranzieht.«43 In Zusammenarbeit mit Hein Martin arbeitete Redwitz ein Parteiprogramm aus.44 Zu einem Konflikt mit den ehemaligen führenden Mitgliedern der BVP kam es, als die Absichten zur Gründung einer monarchistischen Partei öffentlich wurden. Versuche, Redwitz und Co. für die Mitgliedschaft in der in Gründung befindlichen CSU zu gewinnen, sie also einzubinden, um das »rechte« Lager nicht zu spalten, scheiterten an der Bedingung der Monarchisten, dass eine solche Partei das monarchische Ziel klar betonen müsse.45 Obwohl Redwitz selbst eine gewisse Unsicherheit darin sah, »ob eine monarchische Partei von den Amerikanern zugelassen« werden würde, stellte man terminmäßig Antrag auf Zulassung.46 Die Befürchtung war nicht unberechtigt. Konnte Rupprecht, mit den Denkschriften, die er während seiner Exilzeit vor allem nach London schickte, noch eine gewisse Sympathie für die monarchische Staatsform voraussetzen, fehlte Washington, das nun in Bayern den Ton angab, hierzu jeglicher Bezug. Wenn selbst die Briten sich  – wie bereits dargelegt wurde – im April 1945 endgültig entschieden hatten, keine offene Parteinahme für die Wittelsbacher Monarchie zu unternehmen47, war eine solche von Seiten der Amerikaner kaum zu erwarten. Der sich nach dem 8. Mai 1945 abzeichnende Bruch der Allianz gegen Hitler und der aufkeimende Ost-WestKonflikt dürften ihnen auch in der Folgezeit keinerlei Spielraum in diese Richtung gelassen haben. Die »Bayerische Heimat- und Königspartei« (BKP) hatte in Bayern daher auch nur eine kurze Bestandsdauer. Sie wurde zwar im Januar 1946 provisorisch für den Stadtkreis München zugelassen, dann aber bereits Mai 1946, noch Widerhall im Volk muss die Partei erkennen wollen, ob die Monarchie in Bayern möglich und tragbar ist oder nicht. Ich bin überzeugt, dass der Widerhall trotz aller Bedenken ein positiver und ein starker sein wird. […] Ist die frühere Bayer. Volkspartei für eine klare Bayerische Politik zu haben, dann kann man mit ihr zusammenarbeiten. Dann müssen ihre bisherigen Führer aber gezwungen werden, die Ziele klar auszusprechen und eindeutig zu verfolgen. Sonst lieber eine eigene Partei. Denn mit den alten Methoden der B. V. P. sind die jetzigen Probleme nicht zu lösen« (Denkschrift »Königspartei 1945« von Franz von Redwitz (18. September 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008). 43 Niederschrift von Franz von Redwitz (11. Oktober 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008. 44 Vgl. ebd. – An dieser Stelle und im Folgenden sei außerdem auf die Darstellung bei Kock, Bayerns Weg, S. 159–164 verwiesen. 45 Niederschrift von Franz von Redwitz (11. Oktober 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008. 46 Ebd. 47 Vgl. Kap. VII.3.

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vor den ersten freien Münchener Stadtratswahlen, von der US-Militärregierung aufgelöst.48 Der Bankier Hein Martin scheint trotz dieses Misserfolgs sein Leben lang Anhänger der Monarchie geblieben zu sein und die Bundesrepublik Deutschland als Staatsform abgelehnt zu haben.49 Was die steile Karriere Riedmayrs nach 1945 angeht, müsste man wohl von einem Paradoxon sprechen, wenn man Menschen allgemein die Fähigkeit absprechen wollte, eine 180-GradMeinungswende vollziehen zu können: Riedmayr, der seit jeher die republikanische Staatsform abgelehnt hatte, trat 1954 für sechs Jahre an die Spitze des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz.50 Redwitz hatte für den Fall, dass eine Ablehnung der Parteigründung von Seiten der Besatzungsmacht erfolgen würde, die Möglichkeit erwähnt, »mit entsprechenden Leuten, die ein Gewicht haben, in die Union oder eine Gruppe von ihr einzutreten, um dort für die Monarchie zu wirken«.51 Doch auch diese Strategie, sollte sie jemals ernsthaft betrieben worden sein, konnte die rasche Hinwendung zur Republik, auch in Bayern, nicht verhindern.52 Im November 1945 kehrte Rupprecht von Wittelsbach in seine bayerische Heimat zurück.53 Er konnte allerdings aufgrund der alliierten Besatzung nicht 48 Als einen gewichtigen Verbotsgrund nennt Kock die Befürchtung des State Departments, »die Königspartei könnte undemokratische Kräfte einschließlich der Nazis an sich ziehen« (Kock, Bayerns Weg, S. 164). 49 Nur einen Tag vor Erlass des Grundgesetzes wandte er sich in einem Schreiben gegen dieses »Experiment«, in dem er die »Ermächtigung« erblickte, »einen sozialistischen Staat aufzubauen« (Hein Martin an Frau S. (Eyach, 22. Mai 1949), StadtAM, Familien 805). 50 Wohl durch Unterstützung Riedmayrs fand auch der zweite Vertraute Franz Sperrs innerhalb der bayerischen Polizei, Fritz Schade, im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz ab März 1955 eine berufliche Bleibe (vgl. Personalakt Fritz Schade, StadtAN, C 18/II Nr. 11203 sowie Spruchkammerakt Fritz Schade, StAM, SpkA K 2781: Schade, Fritz). 51 Niederschrift Redwitz (11. Oktober 1945), GHA, NL Kronprinz Rupprecht 1008. 52 Schon eine im Februar 1946 durch die US-Militärregierung durchgeführte Befragung unter bayerischen Politikern zeigte, dass nicht einmal 20 % der befragten Personen sich eine monarchistische Mehrheit bzw. eine Monarchie nur in einem Land innerhalb eines föderativen deutschen Staates vorstellen konnten. Die Befragung veranschaulichte zugleich ein deutliches Meinungsgefälle zwischen Altbayern, Franken und Schwaben (vgl. Kock, Bayerns Weg, S. 157 f.). Franz von Redwitz hatte bei dieser Befragung im übrigen mit 65 % Monarchisten in Bayern gerechnet. Inwieweit diese Umfrage unter politischen Eliten tatsächlich im Hinblick auf das tatsächliche Meinungsbild innerhalb der bayerischen Bevölkerung repräsentativ war, lässt sich schwer sagen. Es dürfte zumindest keinerlei Aussagewert für die Beliebtheit und das Ansehen des Kronprinzen Rupprecht gehabt haben. Auch eine Aussage darüber, ob er angesichts dieser Zahlen überhaupt jene Integrationsfigur hätte sein können, die die führenden Köpfe des »Sperr-Kreises« zumindest in ihm sahen, wäre spekulativ, da Rupprecht nach den Vorstellungen der Widerstandsgruppe viel früher nach Bayern hätte zurückkommen sollen und nicht erst zu einem Zeitpunkt, an dem die Zonenaufteilung und die amerikanische Besatzung jegliche Handlungsspielräume unterbunden hatten. 53 Seine Rückkehr hatte sich insbesondere aufgrund der Weigerung der Schweizerischen Bundesanwaltschaft verzögert, Rupprecht die Einreise über die Schweiz zu genehmigen. Diese habe befürchtet, dass dadurch »die Zentrale der bayerischen Autonomie-Bewegung in unser

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in die Rolle schlüpfen, die er für sich beanspruchte. Die Thronbesteigung sollte ihm zeit seines Lebens verwehrt bleiben.54 Dennoch stellte er für viele Bayern, insbesondere jene bürgerlich-monarchistischer Gesinnung, eine Integrationsfigur dar.55 Wenn er auch nicht die politischen Verhältnisse gestalten konnte, ermöglichten seine öffentlichen Termine und Auftritte, eine Zusammenführung von bayerisch-monarchischer Tradition und demokratischem Neuanfang. Rupprecht starb am 2. August 1955 auf Schloss Leutstetten. Staatsbegräbnis und hohe Anteilnahme der Münchener Bevölkerung verdeutlichten die nach wie vor enge Verbundenheit mit dem Hause Wittelsbach.56 Auch für Otto Geßler sollte sich trotz anfänglicher Zuversicht eine neuerliche politische Karriere an der Spitze Bayerns nicht ergeben. Eine amerikanische Sonderuntersuchungskommission unter einem Major Howard Ordway befasste sich offenbar ab Juli 1945 eingehender mit jenen Persönlichkeiten, die von Ministerpräsident Schäffer eingesetzt worden waren. Zur Entnazifizierung sollten alle führenden Beamten der Ministerien ihre Fragebögen einreichen. Geßler habe den Fragebogen nicht beantwortet. Außerdem legte man ihm seine politische Rolle als Reichswehrminister während der Weimarer Republik zur Last, in der er die Wiederbewaffnung Deutschlands vorangetrieben habe. Geßler sei daher aus seinem Amt als inoffizieller Berater Schäffers verdrängt worden.57 Der frühere Reichswehrminister glaubte dagegen offenbar, einer Denunziation zum Opfer gefallen zu sein.58 In jedem Fall erging am 27. August 1945 der Befehl der Militärregierung, dass Geßler das Büro des Ministerpräsidenten zu verlassen habe und »auch keine Dienststelle der Regierung mehr betreten« dürfe, »unter Androhung der Verhaftung«.59 Geßler kehrte daraufhin umgehend in seine Heimat Lindenberg im Allgäu zurück. Nun kam er allerdings auch nicht mehr für die ihm ursprünglich in Aus-

Land verlegt« würde (Der Chef der Eidgenoessischen Fremdenpolizei an das Schweizerische Konsulat in Florenz (Bern, 11. August 1945), BAr, E4301#1992/36#183*). 54 Zu seinen letzten Lebensjahren, in denen Rupprecht zeitweise in Melancholie verfiel, die Nachkriegsverhältnisse kritisch betrachtete und vereinsamte, vgl. Weiß, Kronprinz Rupprecht von Bayern, S. 337–355. 55 Vgl. hierzu ebd., S. 344 f. 56 Vgl. ebd., S. 354 f. 57 Vgl. McLaughlin, Americans, S. 15. 58 Nach Darstellung seines Biographen Sendtner sei »ein wackerer Deutscher (Hochschullehrer)« gefunden worden, »der der Militärregierung begreiflich macht, daß dieser Reichswehrminister völlig ›untragbar‹ sei« (Gessler, Reichswehrpolitik, S. 92). Nelly Planck, der Witwe des früheren Staatssekretärs in der Reichskanzlei, Erwin Planck, schrieb Geßler im Juli 1946: »Versuche in München und Lindau mich wieder einzuspannen sind glücklicherweise von außen her sabotiert worden, worüber meine Frau natürlich sehr glücklich ist […]« (Otto Geßler an Nelly Planck (Lindenberg im Allgäu, 23. Juli 1946), SBB, NL Planck (NL 334) 114). 59 Aufzeichnung über die Besprechung Schäffers mit der Militärregierung (27. August 1945), in: Protokolle des Bayerischen Ministerrates 1945–1954. Kabinett Schäffer, S. 346.

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sicht gestellte Position im Landkreis Lindau in Frage.60 Dass er in der Folgezeit nicht aktiv am »Neubau der Verfassung« von Bayern mitwirken durfte, empfand Geßler als »bitter«.61 Nach seiner Ausbootung habe er zutiefst unter seiner »aufgestaute[n] Aktivität« gelitten.62 In seinen Briefen aus den ersten Nachkriegsjahren erkennt man in der Tat einen verbitterten Mann, der die Nachkriegsverhältnisse als entmutigend empfand und jeglichen Lebenssinn verloren hatte: »Für welche Zukunft? Hitler hat wohl für immer eine gemeindeutsche Zukunft verspielt, die nach 1918 als Ziel und Hoffnung unsere Arbeit begleitete. Jetzt werden wir zu zwei oder drei Vasallenstaaten zerfallen bis sich das Schicksal Europas […] erfüllt: Ex oriente lux! An den Komposthaufen der abendländischen Moral kann ich nicht mehr glauben, von hier kommt keine Erneuerung mehr. Aber die junge Generation muß versuchen zu überleben und »umzulernen«. Wir Alten haben die Wohltat, daß es für uns in der schnöden Welt nicht mehr zu lange dauert«63, schrieb er im Juli 1948 an Nelly Planck, die Witwe seines langjährigen politischen Weggefährten Erwin Planck, der am gleichen Tag wie Franz Sperr im Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden war. Erst mit der Übernahme der Präsidentschaft des Deutschen Roten Kreuzes 1950 fasste Geßler erneut Lebensmut. Als gleichzeitiger Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes gehörte er von 1950 an dem Bayerischen Senat an, der nach der bayerischen Verfassung die ständestaatliche zweite Kammer innerhalb der Legislative darstellte. Seine politische Erfahrung konnte er hier einbringen und fungierte mehrere Jahre sogar als Präsident des Senats. Seine Expertise war zudem auf Bundesebene gefragt. Bundeskanzler Konrad Adenauer erbat im Februar 1954 Geßlers Meinung im Hinblick auf konkrete wehrpolitische Fragestellungen und lud ihn zu sich nach Bonn ein.64 Zu dem beabsichtigten Treffen zwischen dem Bundeskanzler und Geßler sollte es jedoch nicht mehr kommen. Im Mai 1954 erlitt Geßler einen Herzinfarkt. Er kam zwar noch einmal für ein paar Monate zu Kräften, verstarb schließlich jedoch am 24. März 1955 in Lindenberg im Allgäu. Franz Sperr und Eduard Hamm, die im Widerstandskreis die Personalsuche vorangetrieben hatten, hatten sich in den von ihnen angesprochenen bzw. vorgesehenen Kandidaten für eine Zeit »Danach« nicht getäuscht. Vor allem lagen sie richtig, dass die überwiegende Mehrheit dieser Persönlichkeiten auch von

60 Nach Sendtner habe Geßler »fürs erste den Glauben verloren, daß sich eine Verwaltung nach erprobten gesunden Maximen aufbauen lasse und daß auch eine verfassungsmäßige Ordnung geschaffen werden könne, die besser sei als die frühere diskreditierte Parteidemokratie« (Gessler, Reichswehrpolitik, S. 92). 61 Otto Geßler an Theodor Heuss (Lindenberg, 12. April 1946), abgedruckt in ebd., S. 529. 62 Ebd., S. 92. 63 Otto Geßler an Nelly Planck (Lindenberg im Allgäu, 12. Juli 1948), SBB, NL Planck (NL 334) 114. 64 Vgl. Konrad Adenauer an Otto Geßler (Bonn, 25. Februar 1954), abgedruckt in: Gessler, Reichswehrpolitik, S. 516.

Privates und öffentliches Gedenken 

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den alliierten Besatzern bei der Besetzung wichtiger, zukunftsweisender Stellen akzeptiert wurden. Manch einem blieb zwar der Wunsch der Wiederherstellung der Wittelsbacher Monarchie verwehrt, da die bedingungslose Kapitulation und die alliierte Besatzung Überlegungen in diese Richtung nicht zuließen. Doch dürfte sich die überwiegende Mehrheit bewusst gewesen sein, dass eine mögliche Restauration auch in den Vorstellungen des »Sperr-Kreises« immer nur als Mittel zum Zweck gedacht worden war. Für den »Sperr-Kreis« bildeten die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und die Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung nach Untergang des »Dritten Reiches« stets die übergeordneten Ziele, die nicht zwingend an eine Rückkehr zur Monarchie gekoppelt sein mussten. Daher fanden sich die allermeisten, überlebenden Mitglieder der Widerstandsgruppe auch problemlos in der deutschen und bayerischen Nachkriegsgesellschaft zurecht und wirkten aktiv am Wiederaufbau der rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Ordnung Bayerns, und später sogar der Bundesrepublik Deutschland mit. Ehemalige Vertrauensleute innerhalb des Widerstandskreises traten an die Spitze einiger bayerischer Städte und Gemeinden, bayerischer Landesbehörden sowie Körperschaften wirtschaftlicher Selbstverwaltung und übernahmen damit tatsächlich die ihnen im »Sperr-Kreis« für eine Zeit nach dem Krieg vorgesehenen Aufgaben und Funktionen.

2. Privates und öffentliches Gedenken Dem frühen Gedenken an den »Sperr-Kreis« sollte sich Sperrs langjähriger Vertrauter im Widerstand, Ernst Meier, verdient machen. Nachdem dieser nach Kriegsende von der US-Militärregierung kurzzeitig als Landrat von Neumarkt in der Oberpfalz eingesetzt worden war und anschließend treuhänderisch zwei Industriegebiete in der Oberpfalz verwaltet hatte, nahm Meier im April 1948 seine akademische Lehrtätigkeit wieder auf, zunächst als Dozent in Nürnberg, dann als Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaft an der Universität Erlangen.65 Nebenher sah er sich verpflichtet, das Gedenken an Franz Sperr hochzuhalten. In Zusammenarbeit mit Gertraud Sperr und Fritz Schade gelang es ihm, eine Liste von Mitgliedern des »Sperr-Kreises« und Freunden Franz Sperrs zu erstellen66 und eine erste Gedächtnis- und Wiedersehensveranstaltung zu organisieren. 65 Politisch betätigte sich Meier erst wieder nach seiner Pensionierung, als er sich als Mitglied der Deutschen Friedensunion (DFU) bei der Bundestagswahl 1965 für den Wahlkreis Schweinfurt aufstellen ließ. Meier verstarb jedoch noch vor der Wahl am 17. September 1965 infolge eines Schlaganfalls (vgl. Anzeneder, Ernst Meier und Hermann Strathmann, S. 104–106, hier S. 106). 66 Die Listen wurden laufend aktualisiert (vgl. diverse Exemplare im Nachlass Meiers, UAE, G 1/7 Nr. 1).

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Der »Sperr-Kreis« nach 1945

Diese fand am 9. und 10. Dezember 1950 in München statt.67 Unter den über 30 Teilnehmern befanden sich unter anderem der bayerische Kronprinz Rupprecht in Begleitung seines Sohnes Herzog Albrecht sowie die früheren Reichsminister Anton Fehr und Otto Geßler. Begrüßung und Wiedersehen bzw. Kennenlernen fand im Restaurant Holzmüller statt. Hier hielten Ernst Meier und Otto Geßler Vorträge über Sperr als Diplomat und den Widerstandskreis. Am folgenden Morgen kamen alle zu einem Gedächtnisgottesdienst in der Kirche St. Georg in Bogenhausen zusammen, in der Pater Delp gewirkt hatte und in dessen Pfarrhof manche der Besprechungen mit den Männern um Moltke stattgefunden hatten. Anschließend erfolgte eine Kranzniederlegung an der Gedenktafel für Franz Sperr außerhalb der Kirche, bevor man sich zum Mittagessen erneut ins Restaurant Holzmüller begab. Die Wiedersehensfeier war ein voller Erfolg. Viele Teilnehmer äußerten anschließend den Wunsch nach einer Wiederholung zu gegebener Zeit. Tatsächlich sollte der »Freundeskreis um Franz Sperr« in den folgenden Jahren wiederholt zusammenkommen. Sie nahmen im Großen und Ganzen einen ähnlichen Verlauf, wenn auch die Teilnehmerzahl durch das Ableben früherer Mitglieder von Mal zu Mal geringer wurde. Lediglich die Referenten wurden ausgetauscht. Bei der Veranstaltung am 27. Januar 1952 hielt auch Franz Reisert einen Vortrag »Bayern im deutschen Widerstand und Franz Sperr«68. Die 10-jährige Gedächtnisfeier an Franz Sperr fand am 23. Januar 1955 statt. Da Otto Geßler sich aufgrund seiner Krankheit nicht in der Lage sah, an dieser teilzunehmen, übernahm Franz Reisert die ehrenvolle Aufgabe der Kranzniederlegung. In seiner Ansprache warf Reisert die Frage auf, ob die Überlebenden des Krieges die »Ideale, für die er [Franz Sperr: d. Vf.] und seine politischen Freunde ihr Leben am Galgen gaben«, erfüllten. Im Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR, wo das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit erneut zu Tage getreten sei, erblickte Reisert ein Fortleben der Ideale Sperrs. Die Kranzniederlegung sollte somit auch die enge Verbundenheit mit den Brüdern und Schwestern in der DDR und den Wunsch nach einem vereinigten Deutschland in einem geeinten Europa zum Ausdruck bringen.69 Anlässlich der vierten Gedächtnisveranstaltung am 22. Februar 1959 wurde das bisherige Programm um den »Besuch der letzten Ruhestätte S. Kgl. Hoheit

67 In einem Schreiben an Hans Ritter von Lex, der nicht anwesend sein konnte, gab Ernst Meier einen kurzen Veranstaltungsbericht (vgl. daher im Folgenden Ernst Meier an Hans Ritter von Lex (Nabburg, 18. Dezember 1950), BAK, NL Lex (N 1147) 6). 68 Vgl. Franz Reisert: Bayern im Deutschen Widerstand und Franz Sperr (Vortrag, gehalten am 27. Januar 1952 in München), UAE, G 1/7 Nr. 1. 69 Das Ende seiner Ansprache hob dies eindeutig hervor: »Und so lege ich diesen Kranz nieder, nicht nur im Namen des Freundeskreises Franz Sperr, sondern im Namen aller, die da wünschen, hoffen und glauben an ein glückliches Bayern in einem freien Deutschland in einem geeinten Europa!« (Ansprache von Franz Reisert anlässlich der 10-jährigen Gedächtnisfeier für Franz Sperr (23. Januar 1955), GHA, NL Redwitz 23).

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des Kronprinzen Rupprecht« erweitert.70 Den Vortrag hielt mit CSU-Stadtrat Franz Xaver Fackler ein früheres Mitglied des »Harnier-Kreises«, der zugleich geschäftsführender Vorsitzender des Landesverbandes Bayern im »Zentralverband demokratischer Widerstandskämpfer und politisch Verfolgter« war. Fast 14 Jahre nach Kriegsende lautete das Thema seines Vortrags »Entwicklung der Organisation der Widerstandskämpfer und politisch Verfolgten in der Bundesrepublik seit 1945«. Thema und Referent dürften von Meier bewusst gewählt worden sein, strebte er doch offenbar eine stärkere Institutionalisierung des »Freundeskreises um Franz Sperr« und eine Integration in die Verbände und Gremien bereits existierender, deutschlandweiter Angehörigenorganisationen an. Obwohl nur noch 14 Mitglieder und Sympathisanten des ehemaligen »Sperr-Kreises« an der Veranstaltung teilnahmen, erfolgte die Beantragung des Beitritts der Widerstandsgruppe um Franz Sperr unter Beibehaltung ihrer bisherigen losen Form zum »Zentralverband demokratischer Widerstandskämpfer und politisch Verfolgter«.71 Ob eine für Anfang November 1962 geplante fünfte Gedenk- und Wiedersehensveranstaltung, zu der Ernst Meier ein geplantes Buch »Erinnerungen an Franz Sperr« mitbringen wollte, stattgefunden hat, ist unklar.72 Ein größeres, institutionelles Gedenken wurde folglich erst Ende der 1950er Jahre durch den »Freundeskreis um Franz Sperr« in Erwägung gezogen, setzte jedoch zu spät ein, um die Erinnerung auf eine höhere Ebene zu verlagern. Hierin dürfte ein Hauptgrund dafür gelegen haben, warum der »Sperr-Kreis« in Vergessenheit geriet. Dem privaten Gedenken im Rahmen der alle paar Jahre erfolgenden Gedenkveranstaltungen in München ging von Beginn an kein öffentliches, überregionales Gedenken einher. Der Widerstand des »Sperr-Kreises« wurde – im Übrigen auch von seinen eigenen Mitgliedern – zunächst vor allem als eigenständiger, bayerischer Widerstand betrachtet und damit weniger mit dem bereits früh in der deutschen Nachkriegspolitik zunächst im negativem, später immer deutlicher im positiven Sinne beurteilten Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht. Durch die mangelhafte Institutionalisierung fehlte, wenn man den »Freundeskreis um Franz Sperr« etwa mit der Stiftung »Hilfswerk 20. Juli 1944« vergleichen möchte, die bereits 1949 auf Initiative einiger Hinterbliebener und durch Unterstützung des Bundespräsidenten Theodor Heuss ent­standen war, von Beginn an ein geeigneter Fürsprecher auf Bundesebene. Ein70 Vgl. Einladung zu der Franz-Sperr-Gedächtnis- und Wiedersehensfeier am Sonntag, den 22.2.1959 in München (Haßfurt, 12. Februar 1959), UAE, G 1/7 Nr.1. 71 Der Stadtschulrat Anton Fingerle, der mit der »Freiheitsaktion Bayern« um Rupprecht Gerngross in engerem Kontakt gestanden hatte, sei von den Anwesenden einstimmig als Vertreter des Freundeskreises im Zentralverband gewählt worden. Außerdem habe der Widerstandskreis eine Einladung der Stiftung »Hilfswerk 20. Juli 1944« zur Gedenkfeier am 20. Juli 1959 in Berlin erhalten, so Ernst Meier in einem Rundschreiben an alle Mitglieder (vgl. Ernst Meier an die Angehörigen der Widerstandsgruppe um Franz Sperr (Hassfurt, 3. Juni 1959), UAE, G 1/7 Nr. 1). 72 Vgl. Rundschreiben I/1962 an den Freundeskreis um Franz Sperr (Haßfurt / Main, 30. Januar 1962), BAK, NL Lex (N 1147) 6.

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Der »Sperr-Kreis« nach 1945

zelne »Sperr-Kreis«-Mitglieder wurden zwar auch in das Hilfswerk aufgenommen, spielten dort jedoch nur eine untergeordnete Rolle.73 Auch verweigerte man dem »Sperr-Kreis« in den ersten Jahrzehnten der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit ganz offensichtlich die erinnerungspolitische und geschichtswissenschaftliche Aufmerksamkeit: »Die Gründe dafür sind freilich nachvollziehbar. Ein Widerstandskreis um bayerische Liberale mit Kontakten zum Kronprinzen – so etwas hatte in der frühen Bundesrepublik erinnerungspolitisch keine Chance.«74 Seit 1947, als ein kleiner Weg in MünchenFeldmoching nach Franz Sperr benannt wurde, sind zwar Straßen auch nach Otto Geßler und Eduard Hamm benannt worden, die sich allerdings allesamt an einer Hand abzählen lassen.75 Erst um die Jahrtausendwende herum wurde im Zuge des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin auch das geschichtspolitische Interesse der bayerischen Landesregierung am ehemaligen bayerischen Gesandten Franz Sperr geweckt. In der neuen bayerischen Vertretung in Berlin wurde öffentlichkeitswirksam ein Besprechungsraum nach dem bayerischen Widerstandskämpfer und überzeugten Föderalisten eingeweiht. Eine Gedenktafel folgte 2004.76 Diese geschichtspolitische Initiative bot zugleich den Anstoß für eine erste ernst-

73 Innerhalb des »Hilfswerks« geriet Franz Reisert in Konflikt mit Fabian von Schlabrendorff, dem früheren Widerstandskämpfer im Umfeld von Henning von Tresckow im Stab der Heeresgruppe Mitte und späteren Bundesverfassungsrichter. Reisert beabsichtigte, die Verteidigung eines SS-Mannes zu übernehmen, und erklärte hierzu seine Beweggründe: »Ich halte mich als Rechtsanwalt für verpflichtet, eine Verteidigung ohne Rücksicht auf die politische Einstellung des Angeklagten und ohne Rücksicht auf meine Stellung im deutschen Widerstand auch für einen Angehörigen der SS zu übernehmen, wenn ich den Eindruck habe, daß der SS-Mann in Gefahr ist, das Opfer eines Fehlurteils zu werden. Diese Verpflichtung bejahe ich allerdings nur dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, es sich nicht um Morde handelt, die von verbrecherischen Funktionären des Systems begangen worden sind, wie beispielsweise Morde an Konzentrationshäftingen usw. […] Falls Sie zu der Überzeugung kommen, daß die Übernahme der Verteidigung unvereinbar ist mit meiner Zugehörigkeit zum Ausschuß des Hilfswerks 20. Juli, bitte ich mir das mitzuteilen. Ich werde dann selbstverständlich hieraus die nötige Konsequenz ziehen und meinen Rücktritt vom Ausschuß erklären« (Franz Reisert an Fabian von Schlabrendorff (6. November 1958), NL Franz Reisert (Privatbesitz). Schlabrendorff teilte die Auffassung Reiserts nicht. War er es offenbar, der Reiserts Aufnahme in das Kuratorium der Stiftung »Hilfswerk 20. Juli 1944« vorgeschlagen und durchgesetzt hatte, war er es nun auch, der Reisert sein Ausscheiden nahelegte (vgl. Fabian von Schlabrendorff an Franz Reisert (Wiesbaden, 26. Januar 1959), NL Franz Reisert (Privatbesitz). Seine Austrittserklärung fügte Reisert seinem Schreiben vom 30. Januar 1959 bei. 74 Hardtwig / Limbach, Bürger gegen Hitler, S. 12. 75 In Ludwigsburg und Nürnberg existieren Otto-Geßler-Straßen, in Lindenberg im Allgäu ein Dr. Otto Geßler-Platz, in Passau entstand auf Familieninitiative eine Eduard-Hamm-Straße. 76 Zum 60. Jahrestag der Hinrichtung Franz Sperrs fand zudem ein Festakt mit Minister­ präsident Edmund Stoiber zum Gedenken an Sperr in der Bayerischen Staatskanzlei statt. Eine Gedenkfeier zum 70. Jahrestag im Jahr 2015 erfolgte derweil nicht.

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hafte, geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung Franz Sperrs und seines Widerstandskreises.77 Allerdings sollte erst um 2010 herum das öffentliche Gedenken an den »SperrKreis« und seine geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung insbesondere durch das familiäre Engagement der Angehörigen Eduard Hamms erneut Fahrt aufnehmen. An seinem 67. Todestag wurde Eduard Hamm im Rahmen einer großen Gedenkfeier in Reit im Winkl unweit seines früheren Hofes ein Gedenkstein gesetzt. Auf Bundesebene folgte die politische Würdigung der Verdienste Hamms im September 2014, als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Bibliothek seines Ministeriums nach Eduard Hamm benannte. Die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung erfolgte derweil im Rahmen dieser Arbeit.

77 In diesem Zusammenhang entstand der in dieser Arbeit häufig zitierte und in der Einleitung besprochene Sammelband »Franz Sperr und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Bayern« (vgl. Einleitung, 1).

X. Schlussbetrachtung Der »Sperr-Kreis« war ein bürgerlicher Widerstandskreis von etwa 66 Personen. Seine personelle Zusammensetzung und programmatische Zielsetzung waren nicht zuletzt durch die staatliche Tradition Bayerns und des hier entstandenen bayerisch-bürgerlichen Selbstverständnisses beeinflusst. Sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus bewegte sich im traditionellen Spannungsverhältnis zwischen Bayern und Reich, dem in dieser Arbeit entsprechend besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Mitglieder des Kreises entstammten überwiegend dem städtischen Bürgertum Bayerns und waren durch die politischen und religiösen Strömungen des Liberalismus, des Konservatismus und des Katholizismus sozialisiert worden. Allen drei Strömungen konnten – bedingt durch die über Jahrhunderte in Bayern bestehende monarchische Tradition und Eigenstaatlichkeit – bayerischspezifische Unterschiede gegenüber ihren in Preußen und auf Reichsebene existierenden »Mutter-Bewegungen« sowie eine auf die Souveränität Bayerns abzielende Haltung gegenüber unitarischen Bestrebungen Berlins nachgewiesen werden. Dieses bayerische Selbstbewusstsein prägte auch die führenden Köpfe des »Sperr-Kreises« und sollte ihre Widerstandstätigkeit gegen den National­ sozialismus nachhaltig beeinflussen. Doch war es nicht die bayerisch-bürgerliche Sozialisation allein, die die hinreichende Voraussetzung schuf, um den mannigfaltigen Herausforderungen nach 1933 gewachsen zu sein und sich der tagtäglichen Versuchung und Aufforderung zum »Mitmachen« zu widersetzen: »Auch ein ›Bürger‹ ist im Moment einer totalitären Herausforderung nur ein Mensch, wenn es um Fragen der Moral geht.«1 Dass sich später auch aus dem Umfeld der bürgerlichen Eliten Weimars einzelne Persönlichkeiten dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus anschlossen, war eher ihrem individuellen Charakter als ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu zuzuschreiben.2 Die »bürgerliche Herkunft« der »Sperr-Kreis«Mitglieder beeinflusste derweil durchaus ihre Handlungsspielräume, die Art und Weise ihres Vorgehens sowie die Motive und Ziele ihrer Widerstandstätigkeit. Entscheidend für Aufbau, Ausrichtung und Handeln der bayerischen Widerstandsgruppe sollten die drei Hauptprotagonisten Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm sein. Auch ihr Widerstand gegen den Nationalsozialismus war in erster Linie ihrem Charakter zuzuschreiben, basierte jedoch von seinen Motiven, Formen und Zielen her ihrer politischen Sozialisation im Königreich Bayern 1 Scholtyseck, »Bürgerlicher Widerstand«, S. 57. 2 Vgl. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer, S. 13. Diesen Grundsatz lässt derweil die Tatsache unberührt, dass sich im »Sperr-Kreis« eine vergleichsweise homogene Gruppe von Persönlichkeiten nahezu ausschließlich aus den Reihen des Bildungsbürgertums zusammenfand.

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Schlussbetrachtung

vor 1918 sowie den politischen Erfahrungen, die sie in der Weimarer Republik gemacht hatten. Daher war es notwendig, sich Herkunft und Lebensweg sowie prägende Erlebnisse und politische Ansichten der drei zentralen Persönlichkeiten des »Sperr-Kreises« bis ins Jahr 1933 genauer anzusehen. Die biographischen Skizzen Sperrs, Geßlers und Hamms wiesen sowohl Parallelen als auch Unterschiede auf. Als verbindende Elemente ließen sich die gemeinsame bürgerliche Herkunft sowie die positive Haltung gegenüber dem Bismarck-Reich und dessen föderaler Struktur attestieren. Sperr stand als Offizier im Dienste des bayerischen Königreiches und entsprechend seiner familiären Prägung bis 1918 treu zur Wittelsbacher Monarchie. Gleiches galt für Geßler und Hamm, deren Verbundenheit mit der Monarchie ebenfalls familienbedingt insbesondere auf ihre Beamtentätigkeit im Königreich Bayern zurückzuführen war. Im Gegensatz zu Sperr, der Zeit seines Lebens parteipolitisch ungebunden blieb, ließen sich seine beiden späteren Mitstreiter im Widerstand vom Liberalismus Friedrich Naumanns mitreißen. Für sie stand frühzeitig das Reich im Mittelpunkt ihres Interesses. Sie entwickelten sich zu Reichspolitikern, die vom föderalen Aufbau des Reiches überzeugt waren. Einschneidende Erlebnisse bildeten für alle drei der Ausbruch der Revolution und die Ausrufung der Münchner Räterepublik in den Jahren 1918/19. Sie empfanden es als Niederlage und große Schande des Bürgertums, dass keinerlei Schutzvorkehrungen getroffen worden waren, um den Zusammenbruch in Bayern zu verhindern. Die Ereignisse der Jahre 1918/19 sollten sich tief in ihrem Gedächtnis verankern und ein grundlegendes Motiv ihrer Widerstandstätigkeit im »Dritten Reich« bilden. Die besondere politische Rolle von Sperr, Hamm und Geßler in der Weimarer Republik konnte skizziert werden. Alle drei bewegten sich zwischen 1919 und 1933 im Spannungsfeld einer auf außenpolitische Zwänge Rücksicht nehmenden Reichspolitik und einer auf seine souveräne Selbstbestimmung beharrenden, zum Teil mit separatistischen Gedankengängen spielenden, bayerischen Landespolitik. In dieser innerdeutschen Dauerkrise, dem Konflikt zwischen Bayern und Reich, befanden sich Hamm und Geßler zwischen den Fronten, während Sperr als Diplomat in Berlin zum verlängerten Arm der bayerischen Staatsregierung heranreifte. Besonders deutlich konnte Eduard Hamms Rolle herausgearbeitet werden. Dieser akzeptierte früh, dass die Weimarer Reichsverfassung die föderale Struktur des Reiches zuungunsten Bayerns neu geregelt hatte. Eine mögliche Änderung dieses Zustandes durfte seiner Ansicht nach ausschließlich auf rechtsstaatlichem Wege erfolgen. Ansonsten müsse man auf beiden Seiten, in Berlin und München, Rücksicht auf die politischen Bedürfnisse und kulturellen Gegebenheiten des gegenüber nehmen. Zunächst als bayerischer Staatsminister, später als Staatssekretär in der Reichskanzlei und Reichswirtschaftsminister warb Hamm auf beiden Seiten um Verständnis für Meinungen und Positionen der jeweiligen anderen Seite. Diese Haltung Hamms wurde besonders deutlich an den Beispielen der bayerischen Einwohnerwehren, der bayerischen Nichtanwendung

Schlussbetrachtung

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des Republikschutzgesetzes, die letztlich zu Hamms Rücktritt als bayerischer Staatsminister führte, sowie in seinem Schreiben an Gustav Ritter von Kahr unmittelbar nach dem gescheiterten »Hitler-Ludendorff-Putsch« im November 1923. Auch als Interessensvertreter der gewerblichen deutschen Wirtschaft wich Hamm von seiner grundsätzlichen Ablehnung eines künstlich geschaffenen Einheitsstaats nicht ab, auch wenn er – wie Otto Geßler – für eine Reichsreform eintrat, die in erster Linie einen Bürokratieabbau bezwecken sollte. Hamm sah insbesondere eine Neujustierung des Verhältnisses von Preußen und Reich für dringend geboten. Nach dem »Preußenschlag« Franz von Papens im Juli 1932 bat Hamm wiederum um Verständnis für die bayerischen Proteste gegen das Vorgehen in Berlin. Während Eduard Hamm und Otto Geßler als bayerische Reichsminister versuchten, gleichsam den Interessen des Reiches und den Interessen Bayerns gerecht zu werden, trat Franz Sperr seit seiner Ernennung zum Militärbevollmächtigten für die Belange Bayerns ein. Besonders deutlich wurde seine entschiedene Grundhaltung ab dem Sommer 1932, als mit besagtem »Preußenschlag« auch die Eigenständigkeit Bayerns bedroht schien. Sperr blieb stets bayerischer Föderalist, was sich auch im späteren Widerstand im »Dritten Reich« zeigen sollte. Im Hinblick auf das Verhältnis zur Weimarer Republik stellte sich das Bild anders dar: Während Eduard Hamm als »Herzensrepublikaner« bezeichnet werden kann, fällt Otto Geßler aus heutiger Perspektive nicht einmal in die Kategorie des »Vernunftrepublikaners«, sondern blieb Zeit seines Lebens Monarchist und dies, obwohl er der am längsten amtierende Reichsminister der Weimarer Republik war. Hamm dagegen befürwortete früh und klar die demokratischen und staatsbürgerlichen Vorteile des republikanischen Systems. Auch Franz Sperr, der aus dem bayerischen Offizierskorps stammte und daher eine natürliche Treue zur bayerischen Monarchie empfand, konnte sich mit der republikanischen Staatsform frühzeitig arrangieren. Als Militärbevollmächtigter und später als bayerischer Gesandter in Berlin versuchte er bis zuletzt, zumindest die in der Weimarer Reichsverfassung garantierte Eigenstaatlichkeit Bayerns im Reichsverbund zu verteidigen. Er trat somit im Dienste Bayerns für den Status quo der Weimarer Republik ein und wandte sich entschieden gegen Reichsreformbestrebungen. Für diese setzten sich die bayerischen Reichspolitiker Geßler und Hamm leidenschaftlich ein. Allerdings ließ sich zeigen, dass ihr Einsatz nicht einer Beschneidung der Souveränität und kulturellen Eigenheit Bayerns galt, sondern in erster Linie einer Vereinfachung der Staatsverwaltung. Im letzten Kapitel des Abschnitts über die Weimarer Republik ging es um die »Bayern« als mögliche »Wegbereiter des Nationalsozialismus«. Es konnte gezeigt werden, dass tatsächlich die innenpolitische Gesamtsituation innerhalb des Freistaats in den frühen 1920er Jahre den Aufstieg der NSDAP befördert hat. Später jedoch trat mit Ministerpräsident Heinrich Held ein entschiedener Gegner der NSDAP an die Spitze des Landes. Dessen Partei, die katholisch-bürgerliche, in weiten Teilen monarchistisch gesinnte BVP, der auch einige spätere »SperrKreis«-Mitglieder angehörten, geriet jedoch gegen Ende der Weimarer Republik,

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als die Unitarisierungsbestrebungen in Berlin ihren Höhenpunkt erreichten, in einen innerparteilichen Zwist um die Haltung gegenüber der NSDAP. Franz Sperr teilte eher die Ansicht des BVP-Vorsitzenden Fritz Schäffer, dass sich die Nationalsozialisten in Regierungsverantwortung abnutzen würden, während Eduard Hamm entschieden vor möglichen Plänen einer Beteiligung der NSDAP an der Regierung warnte und damit den Kurs Heinrich Helds befürwortete. Die wirtschaftspolitische Inkompetenz der Hitler-Partei suchte Hamm zugleich in einer von ihm angeregten Artikelreihe in der »Deutschen Wirtschafts-Zeitung« zu belegen. Von einer konsequenten, bayerischen Ablehnung des Nationalsozialismus ließ sich um die Jahreswende 1932/33 dennoch keineswegs sprechen. Die »Bayern« waren 1933 zwar im Kollektiv keine »Wegbereiter des Nationalsozialismus«, das katholisch-monarchistische Lager aber im Februar / März 1933 zumindest nicht stark genug, um die Machtübernahme der NSDAP in Bayern zu verhindern. Der bayerische Kronprinz Rupprecht wurde in dieser Arbeit nicht als Mitglied des »Sperr-Kreises« betrachtet, da er am personellen Ausbau des Widerstandskreises, insbesondere in den Jahren des Zweiten Weltkrieges, sowie an den Gesprächen mit anderen deutschen Widerstandsgruppen keinen Anteil hatte. Die Darstellung seiner Herkunft und Prägung bis 1933 erfolgte wegen seiner späteren Rolle als Mitinitiator der ersten Gespräche des Widerstandskreises und vor allem aufgrund seiner möglichen Relevanz als Integrationsfigur für die Nachkriegszeit in Bayern. Als Sohn des letzten bayerischen Königs und Heerführer einer bayerischen Armee hatte sich bei Rupprecht im Verlauf des Ersten Weltkrieges die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine schrittweise Demokratisierung der bayerischen Monarchie notwendig und auf die gestiegenen sozialen Bedürfnisse des bayerischen Volkes einzugehen sei. Mit Sorge registrierte er die immer deutlicher auftretenden Spannungen zwischen Berlin und München. Das Beharren auf der Eigenständigkeit Bayerns und die ablehnende Haltung gegenüber politischen Parteien sollte eine Konstante in Rupprechts politischem Denken bleiben. Seit dem Zusammenbruch der Monarchie sehnte er den Moment seiner Inthronisation herbei, ohne sich dabei im Vorfeld monarchistischen Umsturz- oder Separationsbestrebungen angeschlossen zu haben. Seine Auffassung blieb bis hinein ins »Dritte Reich«, dass seine Erhebung zum König ausschließlich auf Veranlassung des bayerischen Volkes erfolgen müsse. Eine Zusammenarbeit mit Hitler lehnte Rupprecht 1933 entschieden ab. Allerdings war er in den entscheidenden Wochen zu Beginn des Jahres auch nicht bereit, seine Einsetzung zum Generalstaatskommissar durch eine bürgerliche Partei, etwa der BVP, zu akzeptieren. Ob sich dadurch letztlich die »Machtergreifung« der NSDAP in Bayern hätte verhindern lassen können, musste offen bleiben. Eindeutig ließ sich derweil festhalten, dass die bayerischen Restaurationsbestrebungen des Jahres 1933 weder personell noch programmatisch mit den Vorstellungen des späteren »Sperr-Kreises« in Zusammenhang standen. Die Betrachtung der Handlungsspielräume der Männer der »Systemzeit« – Franz Sperr, Eduard Hamm und Otto Geßler – im »Dritten Reich« offenbarte

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Übereinstimmungen und Unterschiede. Sperr unternahm zunächst als bayerischer Gesandter in Berlin den Versuch, Einfluss auf die Politik der Reichsregierung auszuüben, insbesondere im Hinblick auf deren Gleichschaltungspläne. Den bayerischen Monarchisten, die eine Königsproklamation in Bayern planten, riet er aus Sorge um die staatliche Integrität Bayerns von diesem Vorhaben ab. Sein wahrscheinlich einziges Gespräch mit dem neuen Reichskanzler Hitler Anfang März 1933 dürfte ihm die Gewissheit gebracht haben, dass eine Machtübernahme der Nationalsozialisten in Bayern unmittelbar bevorstehen würde. Trotz fortwährender Auseinandersetzung mit den Berliner Regierungsstellen konnte Sperr diese am 9. März nicht verhindern. Zu einer unmittelbaren Aussprache mit Hitler, von der er sich ohnehin nicht viel erwartet hätte, sollte es nicht kommen. Im Anschluss konnte er die schrittweise Gleichschaltung Bayerns mit dem Reich lediglich diplomatisch begleiten. Die Frustration, dem nationalsozialistischen Streben nach Macht nichts entgegensetzen zu können, dürfte Sperr, der von der »unheimlichen Konsequenz« des Nationalsozialismus sprach, nachhaltig geprägt haben. Sein Entschluss, in die bayerische Heimat zurückzukehren, schien bereits gefallen zu sein, bevor der »Röhm-Putsch« und dessen nachträgliche Legitimierung das Fass zum Überlaufen brachten. Sperr reichte seinen Rücktritt ein und kehrte mit seiner Familie nach München zurück. Konnte sich Sperr in Berlin zunächst noch halten, erging es seinen späteren Verbündeten im Widerstand Geßler und Hamm anders: Aufgrund ihrer parteipolitischen Vergangenheit und ihrer Weigerung, der NSDAP beizutreten, mussten sie beim DIHT bzw. beim VDA ihren Hut nehmen. Ihre politischen Verbindungen nach Berlin hielten sie allerdings aufrecht und unterliefen damit das Informationsmonopol des NS-Regimes. Auf diese Weise erhielten sie von aktuellen politischen Entwicklungen und Plänen frühzeitig Kenntnis, und konnten dies für ihre Widerstandsarbeit nutzbar machen. Für die »Stabilisierung« der eigenen Widerstandsgesinnung hatte dies besondere Bedeutung. Denn während Franz Sperr sich außenpolitisch – nach Aussage eines späteren Mitarbeiters im Widerstand – von Beginn an keinen Illusionen über den Kriegskurs Hitlers hingab und stattdessen die Verblendung der traditionellen, bürgerlichen Eliten kritisierte, blieben Geßler und Hamm aufgrund ihrer politischen Sozialisation bis in den Krieg hinein schwankend in ihrer Haltung gegenüber der NS-Außenpolitik. Mit der Vorgehensweise Hitlers auf außenpolitischem Felde dürften sie zwar nicht immer einverstanden gewesen sein. Sie hätten sich eine gütliche Einigung mit den europäischen Mächten über eine Revision des Versailler Vertrages gewünscht. Allerdings nötigte ihnen die zupackende Art Hitlers Respekt ab. Mit dessen angeblich begrenztem Ziel der Aufkündigung Versailles waren sie ohnehin einverstanden. Mehr noch: Sie ließen sich in gewisser Weise instrumentalisieren. Durch ihre Tätigkeit in der Deutsch-Österreichischen Arbeitsgemeinschaft, dem Verein für das Deutschtum im Ausland und dem Münchener Rotary Club trugen sie unbewusst zur Verharmlosung von Hitlers Plänen vor Kriegsbeginn bei. Die Eduard Hamm durch Franz Kempner im Oktober 1939 übermittelte Nachricht von den Planungen eines Angriffs auf Holland und

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Belgien durchbrach dann aber die für beide dem Anschein nach bestehende Zielidentität einer Revision des Versailler Vertrages und einer friedlichen Einigung Mitteleuropas unter deutscher Hegemonie. Was die Innenpolitik des »Dritten Reiches« betraf, war man sich in der späteren Führungsriege des »Sperr-Kreises« weitgehend einig. Die im Liberalismus des Kaiserreiches politisch sozialisierten Hamm und Geßler, die in der Weimarer Republik stets den freiheitlichen Rechtsstaat verteidigt hatten, lehnten das nach 1933 vorherrschende »Klima der gesetzmäßigen Rechtsunsicherheit«3 ab. Gleiches galt für Franz Sperr, der aus den Vorgängen rund um den »Röhm-Putsch« seine politischen Konsequenzen gezogen hatte. Insbesondere bei Hamm und Sperr ließen sich zudem Dokumente ermitteln, die auf eine tiefe Ablehnung der NS-Judenpolitik schließen lassen. Politisch und beruflich im Abseits, ging es Sperr, Hamm und Geßler zunächst darum, Nischen für die eigene geistige Schaffenskraft zu finden. Erst einmal gefunden, erweiterten diese Nischen ihre Handlungsspielräume und versetzten sie in die Lage, ihre politischen Ansichten, die dem »Dritten Reich« entgegenstanden, und ihre konspirativen Aktivitäten zu tarnen. Franz Sperr war es als Leiter der Münchener Zweigstelle der »Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft« (DGWW) möglich, seine Widerstandsgesinnung einerseits zu verbergen und andererseits die hier abgehaltenen Vortragsveranstaltungen zu nutzen, um in den Reihen der aktiven Offiziere mögliche Verbündete für den Widerstandskreis zu gewinnen. In diesem Zusammenhang lernte Sperr unter anderem den ehemaligen Erlanger Staatswirtschaftsprofessor Dr. Ernst Meier kennen, der zu einem seiner wichtigsten Vertrauten und zu einer Art »Personalreferent« im Widerstandskreis werden sollte. Nach Sperrs Ausscheiden bei der DGWW fand er eine berufliche Bleibe bei der Münchener Rückversicherungsgesellschaft, deren Vorstandsvorsitzender Kurt Schmitt ein enger Freund von ihm war. Regelmäßig besuchte die Familie Sperr Schmitt auf Gut Tiefenbrunn. Obwohl Sperr die opportunistische Haltung des ehemaligen Reichswirtschaftsministers gegenüber dem »Dritten Reich« nicht guthieß, führte er mit ihm und seinen Mitarbeitern regelmäßig regimekritische Gespräche. Später sollte auch Eduard Hamm Rechtsfragen für die Versicherung klären und Gutachten über die Versicherungswirtschaft insgesamt verfassen. Beide nutzten ihre Anstellung bei der Münchener Rückversicherungsgesellschaft, um unter deren Deckmantel deutschlandweit Reisen zu unternehmen sowie in Bayern Vertrauensleute für den Widerstandskreis zu kontaktieren. Als Teil der Verschleierungstaktik muss nach gründlicher Untersuchung seines Entstehungskontexts auch der von der Forschung bislang als Beleg für die zwielichtige Rolle Otto Geßlers im »Dritten Reich« angeführte, so genannte »Stimmungsbericht aus Süddeutschland«, angesehen werden. Unvorsichtig hatte sich Geßler gegenüber seinem Freund, dem Großadmiral Raeder, über die Stimmung innerhalb der bayerischen Bevölkerung geäußert und dadurch das In3 Kl. Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 4.

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teresse der SS geweckt. Seine Vorschläge, eine grundsätzliche Änderung der deutschen Propaganda unter anderem durch Aufklärung der Bevölkerung über die tatsächliche Kriegslage einzuleiten, konnten vom NS-Regime, das auf den unaufgeklärten, gehorsamen Volksgenossen setzte, nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Zudem konnte Geßler in den Verhören nach dem 20. Juli 1944 auf seinen »Stimmungsbericht« verweisen und ihn zur eigenen Verteidigung nutzen, so dass die Vermutung nahe liegt, er habe sich mit dem Bericht bereits für den Fall seiner Verhaftung absichern wollen. Die ausführliche Untersuchung der politischen Sozialisation, der politischen Erfahrungen und Vorstellungen der maßgeblichen Protagonisten vor 1933 sowie die Betrachtung ihrer Handlungsspielräume und politischen Ansichten und Absichten seit 1933 schuf die Grundlage für die anschließende Beschreibung und Analyse von Aufbau, Wirken, Ziele und Struktur des »Sperr-Kreises«. Motiv und Ziel des Widerstands der Männer um Franz Sperr war insbesondere ihrem gemeinsamen, spezifisch bayerisch-bürgerlichen Erfahrungshorizont geschuldet: Das Trauma von Revolution und Räterepublik in Bayern 1918/19, die »historische Schuld« des Bürgertums, nicht rechtzeitig Vorkehrungen getroffen zu haben, muss als motivierendes Moment für die von Kronprinz Rupprecht und seinem Kabinettschef Franz von Redwitz zusammengebrachte Gründungsgruppe um Franz Sperr, Otto Geßler und Eduard Hamm gelten. Eine »Auffangorganisation« für die Zeit nach Untergang des »Dritten Reiches« sollte dieses Mal zumindest in Bayern das erwartete Machtvakuum füllen und damit Zustände wie in den Jahren 1918/19 verhindern. Es wurde ausührlich dargelegt, wie die ersten Gespräche der Gruppe im Umfeld des Kronprinzen um die Jahreswende 1934/35 einsetzten und 1939 vorläufig mit Rupprecht Flucht ins Exil endeten. Als »Berater« wiesen Sperr, Geßler und Hamm die vom bayerischen Kronprinzen geforderten Eigenschaften auf: Sie waren klare Gegner des Nationalsozialismus, verfügten über ein hohes Maß an politischer Erfahrung sowie gute Beziehungen zur Wehrmacht und genossen das Vertrauen des Kronprinzen. Rupprechts Wahl dürfte auf sie gefallen sein, weil sie auch über die Grenzen Bayerns hinaus eine hohe gesellschaftliche Reputation genossen. Eine programmatische Festlegung war nicht das vorrangige Ziel des »SperrKreises«. Die Schaffung einer »Auffangorganisation« verdeutlichte vielmehr den eigenen Anspruch, für die Wiederherstellung und den Erhalt von Sicherheit und Ordnung nach Untergang des »Dritten Reiches« Sorge zu tragen. In jedem Fall überschritt der Widerstandskreis im Sinne der Widerstandskategorisierung Winfried Beckers bereits im Rahmen dieser ersten Gespräche die »Schwelle zur Aktivität«. In den folgenden Jahren sollte sich diese deutlich intensivieren. Praktisches Handeln war an erster Stelle gefragt, während theoretische, staatsrechtliche Planungen innerhalb der Gruppe zwar insbesondere durch Eduard Hamm angestellt wurden, jedoch nicht über allgemeine Grundsatzentscheidungen hinausgegangen zu sein schienen. Entsprechend orientierte sich die in dieser Gründungsgruppe vorgenommene Aufgabenverteilung an dem

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primären Ziel, den als notwendig erachteten Personalkorpus zusammenzustellen. Während Geßler seine Beziehungen ins Ausland im Sinne des »Sperr-Kreises« intensivieren sollte, waren Sperr und Hamm für die Anwerbung von Vertrauensleuten in Bayern zuständig. Sperr sollte demnach seine guten Verbindungen zum bayerischen Offizierskorps nutzen sowie Kontakte zur Polizei herstellen. Hamm fiel – seiner politischen Vita entsprechend – die Aufgabe zu, Verbindungen in die bayerische Verwaltung, die Wirtschaft und zur Justiz zu knüpfen. Der Ausbau des »Sperr-Kreises« vollzog sich auf zwei Ebenen: Zuallererst erfolgte die Ausbreitung in die für die Übernahme der Regierungsgeschäfte in Bayern wichtig erachteten Berufssparten. Diese erste Ebene wurde vor allem von Sperr und Hamm vorangetrieben. Die Verbindungsaufnahme zu Wehrmachtsoffizieren, zu ehemaligen Mitgliedern früherer paramilitärischer Wehrverbände sowie zur Polizei verdeutlicht die klare Absicht des »Sperr-Kreises«, den wie auch immer erfolgenden Umsturz im Reich auch in Bayern durchzusetzen, chaotische Zustände zu verhindern und eine geordnete Regierungsübernahme zu garantieren. Wichtigster Vertrauensmann zum Militär wurde Georg Deininger, den Sperr auf den Wiedersehensfeiern seiner Division ab 1934 näher kennenlernte. Deininger sollte ihm bereits vor dem Krieg einige Kontakte zu bayerischen Offizieren herstellen. Für die militärische Leitung des Widerstandskreises sah Sperr spätestens ab dem Frühjahr 1936 General Adolf Herrgott vor, der als ehemaliger Stadtkommandant von München hierfür prädestiniert erschien. Mit ihm erarbeitete Sperr militärische Pläne, so genannte »Maßnahmen bei Eintritt eines Regierungswechsels« aus, die sie mit dem Kriegsarchivar Otto Freiherr von Waldenfels, einem ehemaligen »Stahlhelmer«, besprachen. Waldenfels sollte seine Verbindungen in Stahlhelm-Kreise wieder auffrischen, auf die man sich im Fall der Fälle ebenfalls stützen wollte. Dem gleichen Ziel dürfte die Gewinnung von Hans Ritter von Lex für den Widerstandskreis gedient haben, der als ehemaliger Landesführer der »Bayernwacht« ebenfalls über einen großen kampferprobten Freundeskreis verfügte. Lex war zudem aufgrund seiner politischen und verwaltungstechnischen Erfahrung innerhalb der Widerstandsgruppe für eine zivile Verwendung vorgesehen. Die Ausweitung der Kontakte in die beiden bayerischen Wehrmachtskreise nahm im Verlauf des Krieges weiter zu. Mit Georg Bögl, Joseph Oesterle und Alfons Müller standen im stellvertretenden Generalkommando des Wehrkreises VII (München) drei Offiziere als enge Vertrauensleute dem »Sperr-Kreis« zur Verfügung. Mit Hans Hechtel trat ein weiterer Offizier, den Eduard Hamm seit Jahren kannte, aus der Münchener Wehrmachtkommandantur in den Dienst des Widerstandskreises. In Augsburg konnte Gregor Weber für den Kreis um Sperr gewonnen werden, der Pläne ausarbeitete, um im Falle eines Umsturzes etwaige Gegenmaßnahmen des NS-Regimes aus der Luft zu verhindern. Im Wehrkreis XIII (Nürnberg) konnte der Chef des Stabes des Wehrkreiskommandos, Oberst Viktor Kolbe, über Fritz Schade zum Widerstandkreis hinzugewonnen werden. Der Zahnarzt und Major der Reserve Philipp Schubert brachte zu Beginn des Jahres 1943 Sperr mit dem persönlichen Adjutanten des Befehlshabers im Wehr-

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kreis VII, Oberleutnant Günther Caracciola-Delbrück, zusammen, der erheblichen Anteil am Ausbau des Netzwerkes der bayerischen Widerstandsgruppe im Wehrkreis VII haben sollte. Auch mit den späteren Leitern der »Freiheitsaktion Bayern« fanden im Sommer 1943 mehrere Gespräche statt, die sich gleichsam um die Aufstellung einer »Antichaos-Streitkraft« sowie um die Möglichkeit der Unterstützung durch ausländische Kriegsgefangene im Fall eines Umsturzes drehten. Mit den Oberstleutnants a. D. Rudolf Giehrl und Ernst Ferdinand Demmler sowie den von Eduard Hamm an den »Sperr-Kreis« herangeführten ehemaligen Panzergeneral Oswald Lutz, war der Widerstandskreis zusätzlich hochrangig militärisch besetzt. Auch wenn Sperr selbst im Sommer 1943 die militärische Stärke seines Wider­ standskreises für den Fall eines auf einen Umsturz erfolgenden Gegenangriff des NS-Regimes nicht ausreichend genug erschien, lässt sich zumindest konstatieren, dass die Männer um Sperr über ein großes Netzwerk an hochangesehenen militärischen Vertrauensleuten in den bayerischen Wehrkreisen verfügten, das die in Bayern stationierten Ersatzdivisionen im Falle des Zusammenbruchs des NS-Regimes zumindest nicht unbeeindruckt gelassen hätte. Sicherheit und Ordnung konnten ebenso im Fall der Fälle nur gewährleistet werden, wenn es gelang, die Polizeistreitkräfte hinter sich zu versammeln. Als wichtigste Verbindungsleute Sperrs zur Polizei dienten der dem Kronprinzen Rupprecht nahe stehende Bankier Hein Martin, der Stabsoffizier der Schutzpolizei, Martin Riedmayr in München sowie Fritz Schade in Nürnberg. Riedmayr bezeichnete sich nach dem Krieg als »Schlüsselfigur« für den »Sperr-Kreis«, was er innerhalb der Münchener Polizei tatsächlich war. Als Vehikel für die Durchsetzung eines Umsturzes in München sollte die neugeschaffene Stadtwacht dienen. Im Auftrag des Widerstandskreises ging Riedmayr dazu über, Kompanien für den Widerstand umzuorganisieren sowie eine große Anzahl an Waffen, Munition, Kraftwagen und Treibstoff bereitzuhalten. Hein Martin war zuvor als Kompanieführer an die Spitze der Stadtwacht getreten. Gemeinsam arbeitete man an Plänen für ihre einheitliche Ausrichtung. Ehe Fritz Schade nach Nürnberg versetzt wurde, leistete er als Sachbearbeiter für Schutzpolizei- und Luftschutzangelegenheiten im Staatsministerium des Inneren wertvolle Arbeit für den »Sperr-Kreis«. Im Falle des Untergangs des »Dritten Reiches« habe Schade die führenden Stellen in der Schutzpolizei Bayerns mit zuverlässigen Männern besetzen sollen. In Nürnberg versuchte Schade, dazu für die bayerische Widerstandsgruppe mögliche Verbindungen zu den jeweiligen Polizeipräsidenten zu knüpfen, musste jedoch einsehen, dass weder Benno Martin noch Otto Kuschow für den Widerstandskreis in Frage kamen. Daher erhielt Schade selbst den Auftrag im entscheidenden Moment die Stelle des Polizeipräsidenten zu übernehmen. München, und mit Abstrichen Nürnberg, war somit im Bereich der Polizei durch den »Sperr-Kreis« für den Fall eines Umsturzes abgesichert worden. In Augsburg und den übrigen Regionen Bayerns ließen sich keine entsprechenden Initiativen nachweisen, weshalb offen bleiben muss, ob die Vorbereitungen zur

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Unterstützung der militärischen Streitkräfte durch die Polizei in ganz Bayern ausreichend gewesen wären. All dies diente dem Ziel, den geordneten Übergang von der totalitären Diktatur in den Rechtsstaat sicherzustellen. Für diesen staatlichen Neuanfang erschien der Führungsriege des Widerstandskreises einerseits ein personeller Wandel in der bayerischen Staats- und Ministerialverwaltung sowie der Justiz und andererseits in der bayerischen Wirtschaft zwingend notwendig. Eduard Hamm trat hierfür an ihm seit langem bekannte Persönlichkeiten heran. Wichtige Informationen über die Zuverlässigkeit der Landräte in Oberbayern lieferte Riedmayr. Für das Amt des Oberbürgermeisters von München verließ man sich auf Karl Scharnagl, der das Amt bereits bis 1933 bekleidet hatte. Ebenfalls in der bayerischen Landeshauptstadt verkehrte Sperr freundschaftlich mit dem Leiter des Münchener Arbeitsamtes, Robert Adam, der wahrscheinlich nach erfolgtem Zusammenbruch des »Dritten Reiches« diesen Posten erneut bekleidet hätte. Als Oberbürgermeister von Nürnberg konnte sich der »Sperr-Kreis« den bisherigen 2. Bürgermeister Walter Eickemeyer vorstellen. Des Weiteren verfügte man mit Konrad Frank und Fritz Schade über zwei Kandidaten für den Regierungspräsidentenposten in Ansbach. Für weitere Verwaltungsämter in der bayerischen Provinz hielten sich gleichsam zuverlässige Männer bereit. Hans Ritter von Lex wäre aufgrund seiner Ministerialerfahrung womöglich an die Spitze eines bayerischen Ministeriums getreten. Auf dem Gebiet der Verwaltung war der Widerstandskreis um Sperr in seinem Bemühen, die Zeit »Danach« vorzubereiten, entsprechend weit fortgeschritten, wobei er sich zunächst auf die bayerischen Großstädte und Hauptstädte der Regierungsbezirke konzentrierte. Die Idee dahinter war, von oben herab einen funktionierenden Verwaltungsapparat in Bayern aufzubauen. Auf dem Gebiet der Justiz stellte Eduard Hamm die wichtigsten Weichen: Als Staatskommissar der Justiz hielt sich Rudolf Flach bereit. Für den Posten des Sondergerichtsvorsitzenden zur Aburteilung der NS-Verbrecher war es Hans Knör. Beide waren wie Hamm Mitglieder des Akademischen Gesangvereins München gewesen. Seither bestand zwischen allen dreien ein enges Vertrauensverhältnis. Für die Übergangszeit von der Diktatur in den Rechtsstaat plädierte Hamm für eine »vernünftige Denazifizierung«, die die Hauptverantwortlichen der NS-Verbrechen zur Rechenschaft ziehen, die zahlreichen Mitläufer jedoch für den Wiederaufbau verschonen sollte. In wirtschaftspolitischer Hinsicht agierte Hamm, der aufgrund seiner politischen Erfahrung auf diesem Gebiet für die Anwerbung von Vertrauensleuten geradezu prädestiniert war, ebenso engagiert wie vorsichtig. Auch hier trat er vor allem an langjährige Bekannte heran. Mit dem Syndikus der IHK München, Paul Helfrich, besprach Hamm sämtliche wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die Zeit »Danach« und ging mit ihm mögliche Kandidaten für Wirtschaft und Industrie nach dem Krieg durch. Zu den angerissenen Themen zählten die künftige Währungspolitik, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie die Sozialpolitik. Alle besprochenen Maßnahmen hätten dem einen Ziel gedient, die baye-

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rische Wirtschaft nach Untergang des »Dritten Reiches« nicht zum Erliegen zu bringen und Überlebensgrundlagen für die bayerische Bevölkerung zu schaffen. Neben Helfrich besprach sich Hamm regelmäßig mit dem Senatspräsidenten am Reichsfinanzhof, Heinrich Schmittmann, dem Kgl.-Rumänischen Generalkonsul und Unternehmer, Hermann Aumer, dem Ministerialrat a. D. und Vorstand der Bayernwerk AG, Dr. Rudolf Decker sowie dem Schwedischen Generalkonsul und Bankier, Otto Schniewind. Sperr trat zusätzlich mit dem Vorstandsmitglied der BayWa, Erich Netschert, in Verbindung, der für die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung zuständig gewesen wäre. Welche Rolle den einzelnen Persönlichkeiten nach dem Krieg zugefallen wäre, ließ sich oftmals nur vermuten. Zumindest Aumer war offenbar innerhalb des »Sperr-Kreises fest als zukünftiger Präsident der IHK München eingeplant. Die Widerstandsgruppe setzte sich somit aus Mitgliedern der Münchener, teilweise der bayerischen und sogar der reichsweiten Finanz- und Wirtschaftselite zusammen. Für den wirtschaftspolitischen Wiederaufbau Bayerns schien er bestens gerüstet. Über die Einbindung der Kirche, insbesondere der katholischen Kirche in Bayern, war man sich im »Sperr-Kreis« im Klaren. Daher diente die frühzeitige Kontaktaufnahme mit geistlichen Würdenträgern und Ordensleuten dazu, Verständnis für die Ziele der geplanten »Auffangorganisation« zu wecken. Darüber hinaus prangerte vor allem Eduard Hamm kircheninterne Entscheidungen im Umgang mit dem NS-Regime an. In den Diskussionen mit Mitgliedern des »Kreisauer Kreises« sollte später auch das künftige Verhältnis von Staat und Kirche eine wichtige Rolle spielen. Obwohl der Katholizismus unter den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« stark vertreten war, entsprach es dem grundsätzlich bürgerlich-liberal eingestellten Widerstandskreis, sich für eine strikte Trennung von Staat und Kirche in einem Nachkriegsdeutschland auszusprechen. Ebenso wie der kirchliche Sektor wurde auch der Agrarsektor innerhalb des »Sperr-Kreises« als besonders relevant erachtet. Im Regierungsbezirk Schwaben bemühte sich vor allem der ehemalige Reichsminister Anton Fehr darum, dem Widerstandskreis auf dem Gebiet der Landwirtschaft Personal mit entsprechender Expertise zuzuführen. In dem Bauern und Ökonomierat Jacob Herz-Durach glaubte Fehr einen Mann gefunden zu haben, der für die Gruppe um Sperr den Wiederaufbau der Ernährungswirtschaft in Bayern mitorganisieren konnte. Was Fehr selbst betraf, konnten die bisherigen Forschungsergebnisse nicht bestätigt werden, die ihn von seiner Bedeutung für den »Sperr-Kreis« auf einer Stufe mit der Führungsriege Sperr, Hamm und Geßler sehen. Um sich noch breiter aufzustellen, gingen Sperr, häufig vertreten durch seine »rechte Hand« Ernst Meier, und Hamm in einer zweiten Ebene auf mögliche Vertrauensleute in den einzelnen Regierungsbezirken und größeren Städten und Gemeinden Bayerns zu. In Augsburg konnte über den Unternehmer Ludwig Berz auf eine bereits existierende Gesprächsrunde gebaut werden. Diese »Augsburger Gruppe« mit ihren Protagonisten Ludwig Berz, Franz Reisert, Johannes Meier, Ott A. H. Vogel und Joseph Ernst Fugger von Glött war in erster Linie katholisch geprägt, parteipolitisch mit ehemaligen BVP-Anhängern durchsetzt und lehnte

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die Politik des NS-Regimes von Beginn an ab. Ihr Wert für den Widerstandskreis lag eindeutig in der wirtschaftspolitischen Expertise ihrer Mitglieder, weshalb insbesondere Eduard Hamm in regem Austausch mit der Gruppe stand. Durch die Versetzung des Polizeioffiziers Fritz Schade im März 1943 nach Nürnberg bot sich für die Männer um Sperr, Geßler und Hamm die Möglichkeit, auch in der Hauptstadt Frankens Fuß zu fassen. Schade stand über seinen ehemaligen Studienkollegen Ernst Meier seit 1941 im Kontakt zu Sperr. In Nürnberg sollte er Eintritt finden in einen bereits existierenden, jedoch im Vergleich zur »Augsburger Gruppe« weitaus heterogeneren Gesprächskreis. Dies betraf insbesondere das Verhältnis der einzelnen Gesprächsteilnehmer zu Partei und Staat. Anhand der »Nürnberger Gruppe« ließ sich deutlich zeigen, dass widerständiges Verhalten häufig nur sehr langsam entstand und nicht selten ein Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konfrontation existierte. Der innerhalb des traditionellen bürgerlichen Milieus am häufigsten gewählte Weg wurde auch hier beschritten: Dem Abwarten und Mitmachen folgte eher selten der Versuch, die Politik der Partei von innen heraus zu beeinflussen. Mit Otto Graf, Rudolf Kötter, Hans Rauch und Gustav Schickedanz gehörten vier Personen dieser »Nürnberger Gruppe« an, die zumindest von der Existenz des »SperrKreises« wussten und mit deren Unterstützung Fritz Schade für den Fall des erwarteten Zusammenbruchs des »Dritten Reiches« fest rechnete. Einstweilen diente die Gruppe dem »Sperr-Kreis« vor allem als Informationsbeschaffer. Mit dem Nürnberger Polizeipräsident Benno Martin stand der Gruppe zudem ein wichtiger Insider aus dem Zentrum von Partei und SS in Nürnberg nahe, der gleichzeitig dem Kreis als Schutzgarant diente. Nach 1945 setzten sich die einzelnen Gruppen­mitglieder daher vor Gericht für Martin ein. Ob man um dessen massive Ver­strickung in die NS-Verbrechen wusste, muss offen bleiben. Zumindest schien man ihm nicht uneingeschränkt vertraut zu haben, da man ihn über die Aktivitäten des bayerischen Widerstandskreises nicht informierte. Für eine Position in der Nachkriegszeit kam Martin für Sperr nicht in Frage. In Augsburg und Nürnberg gelang es dem »Sperr-Kreis« folglich, die nach München wichtigsten bayerischen Städte mit Gruppen von Verbindungsleuten zu besetzen. Wenn auch nicht in gleichem Ausmaß, so erfolgte die Rekrutierung von Verbindungsmännern gleichsam in den Regierungsbezirken Oberfranken und Oberpfalz sowie in zentralen Großstädten wie Ingolstadt und Regensburg. Ob die strategische, bayernweite Ausbreitung des Kreises bis in die Regierungsbezirke Unterfranken und Niederbayern sowie die linksrheinische bayerische Pfalz erfolgte, musste aufgrund unzureichender Quellenlage offen bleiben. Es erscheint möglich, dass sich der Kreis, was seine regionale Ausbreitung betraf, zum Zeitpunkt seiner weitgehenden Zerschlagung in Folge des Attentats vom 20. Juli 1944 noch im Aufbau befand. Die Ergebnisse der Strukturanalyse der Widerstandsgruppe um Sperr, die auf dem Wege eines Vergleichs mit dem fast gleichzeitig in Bayern agierenden »Harnier-Kreis« angestellt wurde, können folgendermaßen zusammengefasst werden: Innerhalb des »Sperr-Kreises« dominierte der Katholizismus, doch gehörte

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knapp ein Drittel der Mitglieder der evangelischen Konfession an. Ähnlich wie im »Harnier-Kreis« waren im »Sperr-Kreis« nahezu alle Mitglieder nicht-adeliger Abstammung. Im Unterschied zu den Männern um Harnier gingen Sperr und Co. in sämtlichen Regierungsbezirken Bayerns auf die Suche nach Verbündeten. Was den Zeitpunkt der Anwerbung von Vertrauensleuten betraf, konnte festgestellt werden, dass der »Sperr-Kreis« schon Mitte der 1930er Jahre erste Werbemaßnahmen unternahm, um dann erst wieder Mitte des Krieges, spätestens mit »Stalingrad«, diese erneut zu intensivieren. Da der Widerstandskreis mit dem zu erwartenden Zusammenbruch des »Dritten Reiches« argumentieren musste, konnte dies in jener Phase des »stabilen« NS-Regimes nicht erfolgen. Im Gegensatz zum »Harnier-Kreis« setzte sich die Gruppe um Sperr nicht aus »kleinen Leuten« zusammen. Die Altersstruktur des vor allem durch Sperr und Hamm zusammengestellten Widerstandskreises unterstrich den Anspruch, auf Persönlichkeiten mit hoher Lebenserfahrung für die Zeit nach dem Untergang des »Dritten Reiches« in Bayern zu bauen. Der »Sperr-Kreis« rekrutierte sich überwiegend aus dem Lager der traditionellen, bürgerlichen Eliten. Auch der Bildungsgrad innerhalb der Widerstandsgruppe um Sperr war sehr hoch, denn über die Hälfte der Mitglieder waren promovierte Akademiker, die ihrer Arbeit als Beamte, Unternehmer, Richter und Anwälte sowie Politiker nachgingen. Von ihrer politischen Sozialisation her waren die Mitglieder des »SperrKreises« dem bürgerlichen Lager zuzuordnen. Ein hoher Anteil an links- und nationalliberaler sowie katholisch-konservativer Parteiverbundenheit ließ sich feststellen, ebenso eine hohe Affinität zur monarchischen Staatsform. Über dieses bürgerliche Milieu hinaus ergaben sich keinerlei Hinweise auf Mitglieder mit sozialdemokratischem oder gar kommunistischem Hintergrund. Dass eine Zusammenarbeit in diese Richtung jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen wurde, ließ sich einerseits über wahrscheinliche Kontakte zu ehemaligen Gewerkschaftlern und andererseits über die Verbindung zum »Kreisauer Kreis« belegen. Dennoch gehörte es für den »Sperr-Kreis« zum traditionellen bürgerlichen Selbstverständnis und Verantwortungsbewusstsein, dass ein erfolgreicher Neubeginn in erster Linie Aufgabe des Bürgertums sei. Für die Zeit nach 1933 stellte sich bei knapp einem Drittel der Mitglieder und Sympathisanten der Widerstandsgruppe um Sperr eine NSDAP-Mitgliedschaft heraus. Knapp die Hälfte der »Sperr-Kreis«-Mitglieder ging zwar keine offizielle Verbindung zur Partei ein. Allerdings zählten einige weitere zu Parteianwärtern oder gehörten den so genannten »Angeschlossenen Verbänden« der NSDAP an. Die überwiegende Mehrheit trat der Partei nicht aus innerer Überzeugung bei, sondern um in Amt und Würden verbleiben zu können. Sperr, Geßler und Hamm, die der NSDAP nicht beitraten, erkannten diese Motivation als guten Grund an. Sie beurteilten mögliche Kandidaten für den Widerstandskreis nicht nach dem Parteibuch, sondern nach deren Charakter. Ein Parteimitglied in wichtiger Position konnte dem »Sperr-Kreis« womöglich besonders nützlich sein, um Einblick in die Strukturen von Partei, SS, Wehrmacht, Justiz und Verwaltung in Bayern während des Krieges zu erhalten.

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Was die Motivation der einzelnen Mitglieder der Widerstandsgruppe betraf, ließ sich zeigen, dass der ursprüngliche Grund für die Schaffung einer »Auffangorganisation«, um chaotischer Zustände nach Untergang des »Dritten Reiches« zu verhindern, durch eine Vielzahl weiterer Motive ergänzt wurde: Die Ablehnung des Unrechtsstaates, die Ablehnung des Krieges und die Ablehnung der Judenverfolgung. Sie erfolgte auf Grundlage staats-, wirtschafts- und kulturpolitischer Vorstellungen, auf der Basis christlicher, meist katholischer Weltanschauung oder aber auf dem Boden demokratisch, liberaler Gesinnung. Ein primär monarchistisches Motiv zum Widerstand ist bei den Männern um Sperr insgesamt nicht erkennbar, obwohl die Führungsriege des »Sperr-Kreises« den Kronprinzen Rupprecht bis zuletzt zumindest als Übergangslösung für Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« favorisierten, dies jedoch den übrigen Mitgliedern des Widerstandskreis aus Gründen der Vorsicht nicht zur Kenntnis brachten. Schließlich konnte nachgewiesen werden, dass sich der Widerstand der einzelnen Mitglieder nicht in ihrer Bereitschaft erschöpfte, an Gesprächen über den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit teilzunehmen oder sich als geeignete Kandidaten für hochrangige Posten zur Verfügung zu stellen oder zu empfehlen. Vielmehr belegt die Beschäftigung mit dem »Sperr-Kreis« die gesamte Bandbreite widerständigen Handelns, wie er aus den Reihen des Bürgertums geleistet werden konnte: Hierzu zählten die Verweigerung des »Hitler-Grußes«, die Weigerung zum Eintritt in die Partei oder seiner angeschlossenen Verbände, die Verschleppung und Vernichtung von Befehlen und Anordnungen des NS-­Regimes, die Weitergabe von Informationen und die eigenständige Verhinderung von NS-Unrechtsmaßnahmen, etwa in Form des Rettungswiderstands. Den Auslandsreisen Otto Geßlers im Dienste des Widerstands widmete sich ein eigenes Hauptkapitel. Sie wurden an dieser Stelle in die bisher bekannten Friedensbemühungen der deutschen Militäropposition eingeordnet. Geßler versuchte bis zum Kriegsausbruch im September 1939 seine auswärtigen Kontakte zu nutzen, um die Möglichkeiten des Friedenerhalts in Europa auszuloten. Es konnten dabei unter anderem Umstände und Zweck seiner Reise nach England im Sommer 1939 rekonstruiert werden, wo Geßler mit hochrangigen aktiven und ehemaligen Diplomaten zusammentraf. Der frühere Reichswehrminister erfuhr  – zu diesem Zeitpunkt offenbar noch an einen »anständigen Frieden« zugunsten Deutschlands glaubend  – von der Entschlossenheit des britischen Königreiches, sollte Hitler einen Krieg beginnen. Kurze Zeit später traf Geßler in der Schweiz erstmals nach vielen Jahren wieder mit dem ehemaligen Reichskanzler Joseph Wirth zusammen. Durch diesen angetrieben, unternahm er noch vor Kriegsausbruch den Versuch, den deutschen Generalstab zu Geheimverhandlung mit Frankreich zu bewegen. Wenn auch diese Aktion erfolglos blieb, sollte zumindest das Wiedersehen mit Wirth die folgenden Entwicklungen maßgeblich beeinflussen: Der ehemalige Reichskanzler, der in seinem Schweizer Exil die Fühler zu den europäischen Großmächten ausstreckte, erkannte in Geßler einen Vertrauensmann mit exzellenten

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Beziehungen in Deutschland, insbesondere in höhere Wehrmachtskreise. Die Gespräche zwischen Wirth und Geßler in der Schweiz sollten sich mit Kriegsbeginn im September 1939 häufen. Geßler selbst verfolgte eine Doppelstrategie: Einerseits trat er als Verbindungsmann der deutschen Militäropposition gegenüber dem Ausland in Erscheinung, andererseits sondierte er die Stimmung im Ausland für eine Rückkehr der Wittelsbacher Monarchie in Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches«. Joseph Wirths Schreiben an Chamberlain vom 24. Dezember 1939, das als Ursprung für den in den folgenden Monaten eingerichteten deutsch-britischen Nachrichtenkanal in der Schweiz anzusehen ist, scheint auf Veranlassung Otto Geßlers entstanden zu sein. Der Nachrichtenkanal Wirth / Geßler sollte den Briten und dem Vatikan lange Zeit als eine der bedeutendsten, inoffiziellen Verbindungen nach Deutschland und zum deutschen Widerstand in der Frühphase des Zweiten Weltkrieges dienen. Die in der Forschung bereits eingehend beschriebenen Umstände der britischen Offerte für eine »Stillhalteerklärung« im Falle eines Umsturzes in Deutschland wurden nachgezeichnet. Die undurchsichtige Rolle Geßlers in dieser Angelegenheit konnte transparent gemacht werden. Dass er die britische Nachricht dem deutschen Generalstab, wahrscheinlich Halder vortrug, kann als erwiesen gelten. Allerdings blieben seine Bemühungen ebenso erfolglos wie die nahezu gleichzeitig scheiternde, jedoch von der Forschung nach 1945 deutlich mehr beachtete »Mission« Josef Müllers. Womöglich hatte auch Geßlers zögerliches Handeln – vor allem die »monarchische Frage« schien innerhalb des deutschen Widerstands noch nicht im Interesse Bayerns beantwortet zu sein – einen möglichen »Durchbruch« bei Brauchitsch und Halder verhindert. Spätestens der deutsche Überfall auf Holland und Belgien beendete die Zuversicht auf beiden Seiten, doch noch eine Übereinkunft zu erreichen. Die Verbindung mit Geßler wurde von London in der Folgezeit abgeblockt, nicht zuletzt deshalb, weil dem Foreign Office Informationen über die angebliche politische Unzuverlässigkeit des früheren Reichswehrministers zugespielt worden waren. Ein Interesse daran, die Verbindung Geßlers nach London zu kappen, dürfte einerseits das NS-Regime sowie andererseits der Widerstandskreis um Goerdeler gehabt haben, dem der politische und nicht zuletzt bayerisch-motivierte Alleingang Geßlers, insbesondere sein Werben für die Wittelsbacher Monarchie im Ausland, nicht gefallen konnte. Otto Geßler hatte zwar im Ausland für den »Sperr-Kreis« wichtige Informationen über die Kriegslage sammeln können, war jedoch ansonsten mit seinen Initiativen für eine Wiederherstellung der Wittelsbacher Monarchie gescheitert. Der Versuch, diese im Zuge eines Verständigungsfriedensprozesses ins Gespräch zu bringen, wurde in jenem Moment obsolet, als sich mit »Stalingrad« der Krieg eindeutig gegen Deutschland drehte und mit dem Beginn der alliierten Konferenzen über das Ziel der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands und Plänen über ein Nachkriegsdeutschland ein solcher Friede in weite Ferne rückte. Deshalb schaltete sich seit dem Frühsommer 1943 Kronprinz Rupprecht aus seinem Florentiner Exil in die Auslandsbemühungen des bayerischen Wider-

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standskreises ein. Den Briten gegenüber verkündete er zunächst seine Auffassung, dass ein Wiederaufbau Deutschlands nur aus der Region heraus erfolgen könne. Für seine Heimat brachte er die Wiederherstellung der Wittelsbacher Monarchie ins Gespräch, an deren Spitze er treten wolle. Dabei verwies er auf jene »Auffangorganisation« seiner »Mitarbeiter«, den »Sperr-Kreis«, auf die er sich stützen wolle. Seine Staatsvorstellungen unterbreitete Rupprecht einige Monate später dann auch den Amerikanern. In diesen verbanden sich ständestaatliche Auffassungen mit liberalen Grundgedanken, die einerseits Rupprechts Charakter und Sozialisation entsprachen, andererseits auf einen erheblichen Einfluss der bayerischen Widerstandsgruppe um Sperr schließen ließen. Während die politischen Gespräche der Führungsriege des »Sperr-Kreises« über die Zeit »Danach« vor Kriegsbeginn ihre Wirkung auf den bayerischen Kronprinzen offenbar nicht verfehlt hatten, konnte Geßler auch während des Krieges einige Male Rupprecht in seinem Exil in Florenz besuchen und mit ihm gemeinsam seine in der Zwischenzeit verfassten Denkschriften diskutieren. Gemäß ihrer Naumannschen Prägung standen insbesondere Hamm und Geßler der Idee einer Verbindung von Monarchie und Demokratie sehr nahe, wie sie im »Verfassungsentwurf« Kronprinz Rupprechts deutlich wurde. Die Umsetzung von Rupprechts Staatsvorstellungen wären daher von den Männern um Sperr, Geßler und Hamm zweifelsohne unterstützt worden. Die Kriegslage, alliierte Bündniszwänge sowie die Unsicherheit und teilweise Unfähigkeit der westlichen Alliierten, Rupprechts Initiativen richtig zu deuten, verhinderten noch während des Krieges eine positive Reaktion sowie gegen Kriegsende eine nachhaltige Unterstützung der Anliegen des Kronprinzen. Es war dem »Sperr-Kreis« und Kronprinz Rupprecht somit während des gesamten Krieges nicht gelungen, im westlichen Ausland Verständnis für ihre Pläne zu wecken. Der parallel erfolgende Auf- und Ausbau des Kreises in regionaler, personeller und programmatischer Hinsicht diente dem einen Ziel: Der Übernahme der Regierungsgeschäfte in ganz Bayern im Moment des Zusammenbruchs des NS-Regimes. Zeitpunkt und Art und Weise dieses Zusammenbruchs wurde für den »Sperr-Kreis« im Verlauf des Krieges immer wichtiger, was eine enge Zusammenarbeit mit jenen Kräften notwendig machte, die im Reich auf einen Umsturz hinarbeiteten. Hierdurch geriet der bayerische Widerstandskreis zwangsläufig in das Fahrwasser des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944. An einem engen Austausch bestand auch auf Seiten des reichsweiten Widerstands großes Interesse. Sowohl die Kreise um Goerdeler, Hassell und Stauffenberg als auch der »Kreisauer Kreis« setzten auf ein geschlossenes Vorgehen gegen Hitler und auf die Ausarbeitung von Plänen, die Gesamtdeutschland nach Untergang des »Dritten Reiches« in den Blick nahmen. Der »Sperr-Kreis« hingegen hielt an der Konzeption einer »Auffangorganisation« für Bayern fest. Wie Rupprecht war auch er überzeugt, dass die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zu aller erst in der Region erfolgen müsse. Doch war es wichtig,

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über etwaige Umsturzpläne im Reich im Vorfeld informiert zu sein, um entsprechende Maßnahmen auch in Bayern einleiten zu können. Zudem hatte die Rolle Bayerns in der Weimarer Republik die Notwendigkeit gelehrt, frühzeitig den bayerischen Standpunkt über die staatliche Verfasstheit des Reiches zu verdeutlichen. Noch vor Kriegsausbruch traf sich die Führungsriege des »Sperr-Kreises« bereits mit Widerständlern, die später im Umfeld des Attentats vom 20. Juli 1944 eine gewichtige Rolle spielen sollten. So fanden 1939 Gespräche mit dem ehemaligen deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, statt. Diese hatten überwiegend die Beurteilung der politischen Lage in Deutschland und Europa zum Inhalt. Doch wurde auch hier bereits die Notwendigkeit von »Aufnahmestellungen« festgestellt. Im Januar 1943 trat Carl Friedrich Goerdeler auf der Suche nach süddeutschen Persönlichkeiten an Eduard Hamm heran. Am Zustandekommen mehrerer Treffen waren Karl Scharnagl und Otto Schniewind  – beide Mitglieder des »Sperr-Kreises« und Verbindungsleute Goerdelers in München – beteiligt. ­Goerdeler habe laut Schniewind im bayerischen Widerstandskreis um Sperr einen Garanten für einen Verbleib Bayerns im Reichsverbund gesehen, was die besondere Relevanz des »Sperr-Kreises« in den Augen des reichsweiten Widerstandes verdeutlichte. Hamm und Goerdeler kamen hinsichtlich ihrer wirtschaftspolitischen Vorstellungen zwar nicht vollends zusammen. Dennoch scheint Hamm sich dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister für ein Amt in Bayern, womöglich dem des bayerischen Wirtschaftsministers, zur Verfügung gestellt zu haben. Mit dem »Kreisauer Kreis« kam der »Sperr-Kreis« in der ersten Jahreshälfte 1943 in Verbindung. Die Initiative ging von den Männern um Helmuth James Graf von Moltke aus, die in diesen Wochen und Monaten einen »Landesverweser« für Bayern suchten. Es konnte ausführlich beschrieben werden, wie es zu den Gesprächen zwischen beiden Widerstandsgruppen kam und was diese zum Inhalt hatten. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass Franz Sperr gegenüber den »Kreisauern« seine Bereitschaft erklärte, als »Landesverweser« zur Verfügung zu stehen. Allerdings musste in den Gesprächen zuvor eine strittige Hauptfrage gelöst werden: Der Plan der »Kreisauer«, Bayern im Zuge der Neuordnung in zwei Teile aufzuspalten, stieß auf erhebliche Gegenwehr Sperrs, der in dieser Angelegenheit in seine alte Rolle als Verteidiger der staatlichen Integrität Bayerns zurückfiel. Es scheint tatsächlich so, als sollten sich die »Bayern« in dieser Frage durchgesetzt haben. Einige weitere strittige Diskussionen insbesondere über das künftige Verhältnis von Staat und Kirche sollten folgen, wodurch der Beweis erbracht ist, dass der »Sperr-Kreis« mitnichten ausschließlich für die Interessen Bayerns eintrat, sondern für sich in Anspruch nahm, die Gesamtentwicklung in Deutschland mitzugestalten. Dies belegt nicht zuletzt jenes im Nachlass L ­ othar Königs befindliche, höchstwahrscheinlich aus der Feder des Augsburger Rechtsanwalts Franz Reisert stammende Schriftstück »Wiederherstellung der gebrochenen Rechtsordnung«.

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Schlussbetrachtung

Darüber hinaus spielte der Widerstandskreis um Sperr bereits in der zweiten Jahreshälfte 1943 eine nicht unbedeutende Rolle in den Umsturzplänen der Berliner Militäropposition. Die deutschen Militärbefehlshaber von Belgien und Frankreich waren nach Auskunft Moltkes bereit, bei gleichzeitigem Umsturz im Reich die Westfront zu öffnen. Dieser Umsturz sollte – dies trug Moltke dem »Sperr-Kreis« vor – von Bayern ausgehen. Es ließ sich zeigen, dass Sperr nicht unmittelbar ablehnte, sondern zunächst eigene Erkundigungen einholen wollte. Ein Treffen mit dem früheren Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, im Oktober 1943 führte Sperr die Aussichtslosigkeit eines Umsturzes aufgrund mangelnden Rückhalts sowohl im Heimat- als auch im Feldheer vor Augen. Daher erfolgte schließlich die Absage an Moltke. Dennoch war das Gespräch mit Halder für den »Sperr-Kreis« im Sinne der Schaffung einer »Auffangorganisation« zielführend. Da unmittelbar zuvor der Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp eine Teilnahme am Widerstand abgelehnt und sich der bisherige militärische Leiter der bayerischen Widerstandsgruppe, General Adolf Herrgott, als »unbrauchbar« erwiesen hatte, stellte Sperr Halder diesen Posten in Aussicht. Der Generaloberst erklärte sich offenbar bereit, als militärischer Anführer bei der Übernahme der Macht nach erfolgtem Zusammenbruch des NS-Regimes in Bayern zur Verfügung zu stehen. Als jedoch im Juni 1944 Sperr von den Plänen aus dem Kreis um Stauffenberg erfuhr, machte Halder möglicherweise einen Rückzieher. Zumindest nahm er an einem Gespräch des »Sperr-Kreises«, zu dem er offenbar nach München eingeladen war, nicht teil. Ausführlich wurde auf das Treffen Stauffenbergs mit Sperr am 6. Juni 1944 in Bamberg eingegangen. Es sollte sich zeigen, dass auf beiden Seiten ein Interesse an einer Aussprache bestand. Stauffenberg wollte Sperr über das geplante Attentat informieren und sich hierfür die Zustimmung und Rückendeckung der »Bayern« einholen. Sperr ging es vor allem um Stauffenbergs staatsrechtliche Vorstellungen für die Zeit »Danach«, hierbei insbesondere im Hinblick auf das künftige Verhältnis von Reich und Ländern. Das Treffen mit Stauffenberg war in dieser Hinsicht die Fortsetzung der bereits mit den »Kreisauern« 1943 und Goerdeler 1943/44 geführten Diskussionen und Verhandlungen. Da die Männer um Sperr, Geßler und Hamm keineswegs die Absicht besaßen, Bayern aus dem Reich auszugliedern, erschien eine Koordinierung mit einer möglichen neuen Reichsführung bereits im Vorfeld eines beabsichtigten Umsturzes zwingend notwendig. Die Aussprache mit dem späteren Hitler-Attentäter dürften Sperr in der für ihn wichtigsten Frage beruhigt haben: Stauffenberg sprach sich für einen stark föderalistischen Bundesstaat aus. Dagegen schienen Sperr die Vorbereitungen für die Zeit »Danach« und der anvisierte Zeitpunkt eines Attentats nicht hinreichend durchdacht gewesen zu sein. Im »Sperr-Kreis« war man sich einig, dass ein Umsturz nur gelingen konnte, wenn die Stimmung innerhalb des deutschen Volkes sich gegen die eigene Regierung wandte. Eine erneute »Dolchstoßlegende« musste dagegen die vom bayerischen Widerstandskreis seit einiger Zeit angestellten Bemühungen zur Schaffung einer »Auffangorganisation« in Bayern gefährden. Sperr dürfte Stauffenberg zwar die Gefolgschaft nicht

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grundsätzlich versagt haben. Er offenbarte durch seine Kritik an Zeitpunkt und Vorbereitung der geplanten Tat zwar eine im »Sperr-Kreis« bestehende, auf Vorsicht bedachte, konsequente Geisteshaltung, zugleich jedoch eine der Realität des Sommers 1944 nicht mehr gerecht werdende, gedankliche Inflexibilität: Denn während die Männer um Stauffenberg zur Tat schreiten wollten, um nicht zuletzt den Gräueltaten des NS-Regimes ein Ende zu setzen, zögerten Sperr und Co., indem sie unbeirrbar die Zeit nach dem näher rückenden Zusammenbruch des »Dritten Reiches«, vor allem in ihrer bayerischen Heimat, ins Kalkül zogen. Was die unmittelbare Beteiligung der bayerischen Widerstandsgruppe am gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 angeht, galt es zu erörtern, warum in Bayern am Tag des misslungenen Stauffenberg-Attentats, trotz vorheriger Kenntnis der baldigen Ausführung, kaum bis gar nicht am Umsturz mitgewirkt wurde. Die Führungsriege des »Sperr-Kreises« befand sich zum Zeitpunkt des Attentats nicht in München. Im Gegensatz zu Eduard Hamm, der gedanklich flexibler und bereit war, Kompromisse einzugehen, hatte Otto Geßler bis zuletzt eine Zusammenarbeit mit Goerdeler abgelehnt. Dennoch hatte man in Berlin entschieden, Geßler auch ohne dessen Einverständnis als »Politischen Beauftragten« für den Wehrkreis VII (München) einzuplanen, womöglich weil man um dessen enge Beziehungen zum bayerischen Kronprinzen wusste und er in Bayern nach wie vor ein hohes Ansehen genoss. Eine Aktivierung Geßlers war am 20. Juli 1944 wahrscheinlich aus technischen Gründen nicht erfolgt. Die mit dem »Sperr-Kreis« in Kontakt stehenden Offiziere der beiden bayerischen Wehrkreise, die Obersten Grosser und Kolbe, die zugleich Vertrauensleute der Berliner »Attentäter« waren, agierten aufgrund der undurchsichtigen Nachrichtenlage höchst vorsichtig. Es sollte sich zeigen, dass der Berliner »Bendlerblock« weder die technischen und personellen Rahmenbedingungen für den 20. Juli 1944 in Bayern geschaffen hatte, noch der Ablauf der Ereignisse für die militärischen Kontaktmänner des »Sperr-Kreises« auf Basis der Nachrichtenlage berechenbar genug war, um den Berliner Umsturzversuch erfolgsversprechend zu unterstützen. Dass eine Unterstützung unter positiveren Vorzeichen tatsächlich erfolgt wäre, ist anzunehmen; ob sie Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, ist eher unwahrscheinlich. Obwohl die Männer um Franz Sperr somit am 20. Juli 1944 nicht offen den Umsturz vorantrieben und auch die in der Zwischenzeit weitgehend bestehende »Auffangorganisation« nicht hervortrat, wurden dennoch die Führungsriege sowie führende Mitglieder der Widerstandsgruppe in den folgenden Wochen als Beteiligte des Umsturzversuchs verhaftet. Die jeweiligen Umstände und Gründe der Verhaftungen sowie die Art und Weise der Verhörmaßnahmen und Haft­ bedingungen konnten rekonstruiert werden. Die zuständigen Ermittlungsbeamten konnten hierbei nicht ansatzweise das Ausmaß der Konspiration des Widerstandskreises aufdecken. Die Schicksale der einzelnen, von der Verhaftungswelle betroffenen »Sperr-Kreis«-Mitglieder wurden beschrieben und dabei insbesondere die schwere Misshandlung Otto Geßlers dargestellt sowie den Umständen und Gründen für den vermutlichen Freitod von Eduard Hamm nachgegangen.

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Schlussbetrachtung

Die Untersuchung des Prozesses gegen Sperr, Reisert und Fugger vor dem Volksgerichtshof sollte zeigen, dass dessen Vorsitzender Freisler den Prozess voll und ganz als Abrechnung mit dem »Kreisauer Kreis« verstand und den Mitgliedern des »Sperr-Kreises« hierbei lediglich eine Statistenrolle zukam. Die Verteidigungsstrategien Reiserts und Fuggers, die lediglich ihre Beziehungen zu den »Kreisauern« erklären mussten, können vor diesem Hintergrund in der Rückschau als strategisch klug bewertet werden. Sie kamen mit Haftstrafen davon. Sperr hingegen, den das Treffen mit Stauffenberg schwer belastete, ging von der fatalen Fehlannahme aus, dass Freisler ein weitgehendes Geständnis strafmildernd bewerten würde und musste dies mit seinem Leben bezahlen. Für die Zeit nach der faktischen Zerschlagung des »Sperr-Kreises« ließ sich zeigen, dass manche Mitglieder sich teilweise führend an der »Freiheitsaktion Bayern« beteiligten, die Ende April 1945 in München und Südbayern einen Umsturzversuch wagten. Wenn auch die personellen Überschneidungen überschaubar blieben, ließen sich programmatische Parallelen zwischen FAB und der Widerstandsgruppe um Sperr feststellen. Letztlich musste konstatiert werden, dass die FAB zwar nicht »Erbe« des »Sperr-Kreises« war, aber durchaus von dessen Widerstandsarbeit beeinflusst schien. Die Betrachtung der Nachkriegskarrieren der einzelnen Mitglieder der Widerstandsgruppe lässt den Schluss zu, dass diese die in sie gesetzten Hoffnungen der Führungsriege um Franz Sperr nicht enttäuscht hätten. Die überwiegende Mehrheit trug, wohl nicht zuletzt aufgrund ihres bürgerlichen Selbstverständnisses, in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zum rechtsstaatlichen Neu­aufbau Bayerns, zum Teil auch auf Bundesebene, bei. In welch hohem Maße sie dabei von der Akzeptanz der Alliierten abhängig waren, verdeutlicht Otto Geßlers Rolle nach 1945: Ihm wurde es nicht gestattet, seinen Beitrag am Wiederaufbau in beratender politischer Funktion wahrzunehmen. Manche im Umfeld des Kronprinzen Rupprecht sahen in der zweiten deutschen Republik die aus ihrer Sicht berechtigten Forderungen nach einer Restauration der Monarchien, insbesondere der bayerischen Wittelsbacher Monarchie, nicht berücksichtigt. Die Etablierung einer monarchistischen Partei scheiterte ebenfalls am Einspruch der amerikanischen Militärregierung. Der aus dem Exil heimgekehrte Kronprinz Rupprecht blieb bis zu seinem Lebensende ein »ungekrönter Monarch«. Seine Popularität innerhalb des bayerischen Volkes litt hierunter nicht. Im Gegenteil: In bürgerlichen Kreisen war er tatsächlich jene Integrationsfigur, die er in den Gedankengängen der Männer um Sperr hätte spielen sollen. Wenn er auch selbst nicht gestaltend eingreifen konnte, schlug er durch seine öffentlichen, repräsentativen Auftritte eine Brücke zwischen bayerisch-monarchischer Tradition und demokratischem Neuanfang. Im Hinblick auf das private Gedenken an den »Sperr-Kreis« nach 1945 wurde auf das Zustandekommen und die Durchführung der maßgeblich durch Ernst Meier organisierten Gedenkveranstaltungen eingegangen. Sowohl die erinnerungspolitische als auch die geschichtswissenschaftliche Aufmerksamkeit galt in der Nachkriegszeit den unmittelbar am Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligten

Schlussbetrachtung

531

Widerständlern. Dem bayerischen Widerstandskreis um Sperr, der maßgeblich von traditionellen bürgerlichen Eliten getragen wurde, fehlten bis in die 1990er Jahre die institutionellen Fürsprecher. Erst um die Jahrtausendwende setzte das politische Gedenken ein, das seitdem vor allem durch Familieninitiativen immer wieder aufs Neue angestoßen werden muss. Ob die ergriffenen Maßnahmen und Vorbereitungen des »Sperr-Kreises« ausgereicht hätten, um die selbst gesteckten Ziele der Übernahme der Macht und Besetzung der Verwaltungsstrukturen zu erreichen, lässt sich nur vermuten. Die umfangreichen, personellen Verbindungen sprechen zwar für die Annahme, dass zumindest für eine Übergangszeit eine staatliche Neuordnung Bayerns mit dem bayerischen Kronprinzen Rupprecht an der Spitze hätte gelingen können. Zu Recht ging man jedoch von Beginn an von einer zwingend notwendigen Bedingung für die Umsetzung der eigenen Pläne aus: Die Nachkriegszeit in Bayern würde man nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Alliierten mitgestalten können. Da diese Zustimmung nicht erfolgte, ist kaum anzunehmen, dass der bayerische Widerstandskreis um Sperr, wäre er in Folge des 20. Juli 1944 nicht seiner Spitze beraubt worden, im Bayern der Nachkriegszeit jene Rolle zugefallen wäre, die er selbst als »Auffangorganisation« für sich beanspruchte. Das Zusammenspiel von bürgerlich-liberaler Tradition, christlichen, überwiegend katholischen Wertvorstellungen, bayerischem Regionalbewusstsein sowie hoher wirschaftspolitischer und verwaltungstechnischer Kompetenz machte den besonderen Charakter des Widerstandes des »Sperr-Kreises« aus. Wenn seine Pläne der »Auffangorganisation« letztlich nicht zum Tragen kamen, war sein Widerstand dennoch nicht nutzlos. Seine Mitglieder offenbarten bürgerliches Verantwortungsbewusstsein für Bayern und Deutschland und verfielen nicht der Versuchung, sich insbesondere in gefährlichen Zeiten aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Dies erhielt ihre Fähigkeiten und Erfahrungen für die Nachkriegszeit, in der sie am Wiederaufbau des Rechtsstaates führend mitwirkten. Das übergeordnete Ziel des Widerstandskreises, Sicherheit und Ordnung in Bayern nach Untergang des »Dritten Reiches« wiederherzustellen und zu erhalten, wurde nach 1945 verwirklicht. Die Hauptverantwortung trug hierfür zweifelsohne in den unmittelbaren Nachkriegsjahren die amerikanische Besatzungsmacht. Maßgebliche Unterstützung erfuhr sie jedoch im Verlauf der Jahre nicht zuletzt durch ehemalige Mitglieder des »Sperr-Kreises«.

Anhang nur Studium kein Studium Studium mit Promotion

23,08%

55,38%

21,54%

Grafik 1: Bildungsgrad des »Sperr-Kreises«

Beamte

9,38%

Unternehmer

4,69%

Militärs 28,13%

Politiker Richter und Anwälte

6,25%

Journalisten Landwirte Sonstige

14,06%

18,75% 10,94% 7,81%

Grafik 2: Berufsgruppen innerhalb des »Sperr-Kreises«

534

Anhang 1,89% katholisch evangelisch konfessionslos

32,08%

66,04%

Grafik 3: Konfessionszugehörigkeit innerhalb des »Sperr-Kreises«

30,00%

27,27%

25,00% 21,21%

21,21%

20,00% 15,15%

15,00%

9,09%

10,00% 6,06% 5,00% 0,00%

BVP

DDP/DStP

DVP

DNVP

Bauernbund

Grafik 4: Parteimitgliedschaft vor 1933

NSDAP

535

Anhang

Mitglied Anwärter angeschlossene Verbände keine Verbindung 33,85%

47,69%

3,08% 15,38%

Grafik 5: Offizielles Verhältnis zur NSDAP nach 1933

25,00% 22,73% 21,21%

21,21%

20,00%

15,00%

13,64%

10,00%

9,09%

9,09%

5,00%

0,00%

3,03%

U40

41–45

46–50

51–55

56–60

61–65

Grafik 6: Altersstruktur des »Sperr-Kreises« (Stichjahr 1939)

>65

Abkürzungen AA KPR Autobiographische Aufzeichnungen des Kronprinzen Rupprecht Abb. Abbildung ACDP Archiv für Christlich-Demokratische Politik ACSP Archiv für Christlich-Soziale Politik a. D. außer Dienst ADPSJ Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten AG Aktiengesellschaft AGV Akademischer Gesangverein Anm. Anmerkung a. o. außerordentlich BAB Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BAK Bundesarchiv Koblenz BA-MA Bundesarchiv-Militärarchiv BAr Schweizerisches Bundesarchiv BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv BB Bayerischer Bauernbund BDC Berlin Document Center BdL Bund der Landwirte BER Bund zur Erneuerung des Reiches Betr. Betreff BHKB Bayerischer Heimat- und Königsbund BKP Bayerische Heimat- und Königspartei BMP Bayerische Mittelpartei BVP Bayerische Volkspartei BWA Bayerisches Wirtschaftsarchiv CAC Churchill Archives Center CDU Christlich-Demokratische Union CSU Christlich-Soziale Union DAF Deutsche Arbeitsfront DDP Deutsche Demokratische Partei ders. derselbe DGWW Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft dies. dieselbe(n) DIHT Deutscher Industrie- und Handelstag Diss. Dissertation Div. Division DNVP Deutschnationale Volkspartei DÖAG Deutsch-Österreichische Arbeitsgemeinschaft Dok. Dokument d. R. der Reserve Dr. jur. doctor iurisprudentiae Dr. oec. publ. doctor oeconomiae publicae Dr. rer. pol. doctor rerum politicarum DStP Deutsche Staatspartei DVP Deutsche Volkspartei

538

Abkürzungen

ebd. Ebenda ehem. ehemals EK Eisernes Kreuz em. emeritiert ev. evangelisch FAB Freiheitsaktion Bayern FDP Freie Demokratische Partei FHA Firmenhistorisches Archiv der Allianz AG FO Foreign Office Frhr. Freiherr gen. genannt GHA Geheimes Hausarchiv GSPK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem HA Hauptabteilung Hg. Herausgeber HS Handschriftensammlung HZ Historische Zeitschrift IfZ Institut für Zeitgeschichte IHK Industrie- und Handelskammer i. G. im Generalstab Inf. Infanterie insbes. Insbesondere i. R. im Ruhestand Kap. Kapitel kath. katholisch KdF Kraft durch Freude kgl. königlich KPD Kommunistische Partei Deutschlands KZ Konzentrationslager LEA Landesentschädigungsamt MA Ministerium des Äußern / Bayern MdB Mitglied des Bundestages MdEP Mitglied des Europäischen Parlaments MdL Mitglied des Landtags MdR Mitglied des Reichstags MInn Ministerium des Innern / Bayern MinRat Ministerialrat MinDir Ministerialdirektor MF Ministerium der Finanzen / Bayern MHIG Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe / Bayern MJu Ministerium der Justiz / Bayern MK Ministerium für Unterricht und Kultus / Bayern ML Ministerium für Landwirtschaft und Forsten / Bayern MNN Münchner Neueste Nachrichten MSPD Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands MWT Mitteleuropäischer Wirtschaftstag N, NL Nachlass Nr. Nummer NS nationalsozialistisch, Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Obb. Oberbayern

Abkürzungen o. D. ohne Datum OFM Ordo Fratrum Minorum (Franziskaner) OKH Oberkommando des Heeres OKW Oberkommando der Wehrmacht o. O. ohne Ortsangabe OP Offizierspersonalakten OP Ordo Fratrum Praedicatorum (Dominikaner) Opf. Oberpfalz ORegRat Oberregierungsrat OSB Ordo Sancti Benedicti (Benediktiner) o. Verf. ohne Verfasserangabe PA AA Politisches Archiv Auswärtiges Amt Pg. Parteigenosse PK Parteikorrespondenz RA Rechtsanwalt Reg. Regiment RegDir Regierungsdirektor RegRat Regierungsrat RGBl. Reichsgesetzblatt RSHA Reichssicherheitshauptamt RWWA Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv SA Sturmabteilung SBB Staatsbibliothek Berlin SD Sicherheitsdienst SJ Societas Jesu (Jesuiten) S. K. H. Seine Königliche Hoheit Slg. Sammlung Sp. Spalte(n) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Spk. Spruchkammer SpkA Spruchkammerakte SS Schutzstaffel StAA Staatsarchiv Augsburg StAAm Staatsarchiv Amberg StadtAM Stadtarchiv München StadtAN Stadtarchiv Nürnberg StAM Staatsarchiv München StAN Staatsarchiv Nürnberg StAOs Staatsarchiv Osnabrück StAS Staatsarchiv Sigmaringen stellv. stellvertretend StK Staatskanzlei StS Staatssekretär TNA The National Archives Kew u. a. und andere, unter anderem UAE Universitätsarchiv Erlangen USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VDA Verein für das Deutschtum im Ausland VfZ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte VGH Volksgerichtshof vgl. vergleiche

539

540

Abkürzungen

zit. zitiert z. V. zur Verfügung ZEG Zentral-Einkaufsgesellschaft ZS Zeugenschrifttum

Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) Bestand NL Andreas Hermes 01-090-176/1 Archiv für Christlich-Soziale Politik (ACSP) Bestand NL Josef Müller V 11 Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten (ADPSJ) Bestand NL Roman Bleistein SJ 52 – Nr. 374 Bestand NL Lothar König SJ 47 – Nr. 321 – 2 Bestand NL Johannes B. Lotz SJ 47 – Nr. 1019 II A2 – 333 Bestand NL Augustin Rösch SJ 47 – Nr. 805 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. II (BayHStA) Bestand Bayerische Gesandtschaft Berlin 1508, 1787 Bestand Landesamt für Statistik 85 u. 86 (Haas, Alban) Bestand LEA 1190, 1406, 3217, 3356, Bestand MA 975, 103245, 103302, 103322 Bestand MInn 57604 (Hamm, Eduard) 78852 (Petri, Johannes) 80408 (Geßler, Otto) 83010 (Adam, Robert) 83243 (Brandl, Felix) 83557 (Frank, Konrad) 83678 (Graf, Otto) 84260 (Lex, Hans Ritter von) 84717 (Riedmayr, Martin)

542

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bestand MF 77554 (Oesterle, Joseph) 77619 (Rinecker, Franz) 77877 (Weber, Gregor) Bestand MHIG 75 (Decker, Rudolf) 305 Bestand MJu 24986 (Flach, Rudolf) 25442 (Knör, Hans) 25716 (Müller, Alfons) 26599 (Hechtel, Hans) Bestand MK 35881 (Fehr, Anton) 44018 (Meier, Ernst) 45449 (Waldenfels, Otto von) 54117 (Bögl, Georg) 54210 (Basler, Otto) 54445 (Fingerle, Anton) Bestand ML 8966 (Netschert, Erich) Bestand StK 4401 (Sperr, Franz), 4997, 5215, 5247, 5282/1, 5283/1, 5284, 5287, 5288, 5330, 5338, 5491, 7590, 9518 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. III: Geheimes Hausarchiv (GHA) Bestand Autobiographische Aufzeichnungen des Kronprinzen Rupprecht (AA KPR) Mappe 14 (Jan. 1932 – Dez. 1932) 15 (Jan. 1933 – Mai 1933) 16 (Juni 1933 – Dez. 1933) 17 (1934/1) 18 (1934/2) 19 (1935/36) 21 (1938/39) 23 (1942 und »Betrachtungen über den Staat«) 24 (1943/44) 25 (1945) Bestand NL Prinz Konstantin A 103 Bestand NL Franz von Redwitz 14, 23, 51 Bestand NL Kronprinz Rupprecht (KPR) 59, 774, 866, 998, 1000, 1003, 1008 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV: Kriegsarchiv (BayHStA) Bestand HS 965

Quellen- und Literaturverzeichnis Bestand Offizierspersonalakten (OP) 6381 (Demmler, Ernst Ferdinand) 7343 (Giehrl, Rudolf) 24437 (Finsterlin, Ludwig Ritter von) 26379 (Sperr, Franz) 39141 (Decker, Rudolf) 39160 (Deininger, Georg) 49331 (Schubert, Philipp) 53200 (Müller, Alfons) 58525 (Waldenfels, Otto von) 60020 (Hunglinger, Franz) 61507 (Herrgott, Adolf) 61569 (Lutz, Oswald) 66080 (Schade, Fritz) Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. V: (BayHStA) Bestand NL Rudolf Buttmann 135 Bestand NL Anton Fehr 119, 120 Bestand NL Rupprecht Gerngross 6, 16, 53 Bestand NL Eduard Hamm 5, 29, 42, 44, 74, 79, 80, 85, 86, 91, 94, 97, 108, 110, Bestand NL Heinrich Held 1653 Bayerisches Wirtschaftsarchiv (BWA) Bestand NL Otto A. H. Vogel (N 002) 1 J-Z Bestand F 20/37 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB) Bestand PK, L0353, 1110070431 (Sperr, Franz) L0354, 1110070449 (Sperr, Hans Ludwig) Bestand R 43-I 2754–2760 (Albert, Heinrich F.) 3010 3030 f. (Heilbron, Friedrich) 3223–3233 (Luther, Hans) 3326 (Planck, Erwin) 3602 (Wever, Karl) Bestand R 43-II 890c 1583–1586 (Kempner, Franz)

543

544

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bestand R 58 5894, 9612, 9630 Bestand R 1501 126886 208640–208643 (Lex, Hans Ritter von) Bestand R 3001 24109, 24111, 24113 Bestand R 3017 VGH Z-M510 Bundesarchiv Koblenz (BAK) Bestand NL Anton Erkelenz (N 1072) 127 Bestand NL Otto Geßler (N 1032) 9, 18, 27, 29, 33, 35, 36, 37, 53, 62 Bestand NL Walter Goetz (N 1215) 118 Bestand NL Hans Ritter von Lex (N 1147) 6, 16 Bestand NL Gerhard Ritter (N 1166) 155, 156, 493 Bestand NL Paul Silverberg (N 1013) 235 Bestand NL Joseph Wirth (N 1342) 7, 13, 16, 25, 29, 47, 80, 116, 117, 123, 124 Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA) Bestand NL Lutz (N 107) 1 Churchill Archives Center, Churchill College, Cambridge (CAC) Bestand CHRS 1 18, 33, 35 Firmenhistorisches Archiv der Allianz AG (FHA) Bestand NL 1 [Kurt Schmitt] 13, 77, 85, 94, 179, 180 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GSPK) Bestand VI. HA, NL Heinrich Schnee 26 Institut für Zeitgeschichte München (IfZ) Bestand ED 17, 88/1–2, 106/41, 106/42, 106/96, 458, 714/1–3

Quellen- und Literaturverzeichnis Bestand MA 454, 1185 Bestand ZS 201, 240/2, 240/4, 249/1, 309, 383, 391, 512/2, 659/1, 660, 1984, 2134, 2403 Bestand ZS / A 4/3, A 4/5, A 18/6, A 18/14, A 26a/1, A 26a/3 Münchener Rück, Historisches Archiv Bestand NA/25 Bestand P/111 Politisches Archiv Auswärtiges Amt (PA AA) Bestand Inland IIg 123 Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv (RWWA) Bestand 40010123 25 a Bestand 400101290 15 b [NL Paul Reusch] Schweizerisches Bundesarchiv, Bern (BAr) E2001D#1000/1553#5556* E4001C#1000/783#2968* E4301#1992/36#183* E4320B#1984/29#691* Sonderarchiv im Russisch-Staatlichen Militärarchiv (Sonderarchiv Moskau) 600-1-521 Staatsarchiv Amberg (StAAm) Bestand Spruchkammer Neumarkt M 795 [Meier, Ernst] Bestand Spruchkammer Regensburg I 1628 [Schlegel, Albert] Staatsarchiv Augsburg (StAA) Bestand Spk. Augsburg Stadt I + III Akten B 468 [Berz, Ludwig] Bestand Spk. Augsburg Stadt I + III Akten M 406 [Meier, Johannes] Bestand Spk. Augsburg Stadt I + III Akten R 226 [Reisert, Franz] Bestand Spk. Augsburg Stadt I + III Akten V 34 [Vogel, Otto A. H.]

545

546

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bestand Spk. Kempten Akten F 155 [Flach, Rudolf] Bestand Spk. Kempten Akten H 512 [Herz, Jakob] Bestand Spk. Kempten Akten SCH 86 [Schellerer, Hans] Bestand Spk. Kempten Akten W 111 [Weber, Gregor] Staatsarchiv München (StAM) Bestand Gestapo 13 Bestand Spruchkammerakten (SpkA) K 5: Adam, Robert K 34: Arendts, Wilhelm K 45: Aumer, Hermann K 162: Bögl, Georg K 184: Brandl, Felix K 269: Demmler, Ernst Ferdinand K 387: Falkner, Ernst K 427: Fleischmann, Charlotte K 588: Haas, Alban K 611–613: Halder, Franz K 671: Helfrich, Paul K 894: Kloepfer, Reinhart K 967: Krieger, Maximilian K 1034: Leiling, Ottheinrich K 1123: Martin, Benno K 1124: Martin, Heinrich K 1198: Mühe, Ludwig K 1239: Netschert, Erich K 1428: Riedmayr, Martin K 1584: Scharnagl, Anton K 1658 u. 1659: Schmitt, Kurt K 1677: Schniewind, Otto K 1749: Staimer, Max Josef K 1851: Ulich, Max K 2550: Hardtwig, Gertrud K 2781: Schade Fritz K 2847: Brandl, Gabriel K 2870: Listl, Josef K 3405: Rauch, Hans K 3617: Fergg, Eduard-Josef K 3673: Wiethaus, Erich K 3692: Gloning, Hans K 3857: Eickemeyer, Walter Bestand Staatsanwaltschaften 12530

Quellen- und Literaturverzeichnis

547

Staatsarchiv Nürnberg (StAN) Bestand Spruchkammer Ansbach (Stadt) F 65 [Frank, Konrad] Staatsarchiv Osnabrück (StAOs) Rep. 945, Akz. 6/1 983 Nr. 576. Staatsarchiv Sigmaringen (StAS) Bestand Wü 13 T 2, 2438/133 [Frisch, Walther] 2454/014 [Herrgott, Adolf] Staatsbibliothek Berlin (SBB) Bestand NL Erwin Planck NL 334 114 Stadtarchiv München (StadtAM) Bestand Bürgermeister u. Rat 2063/1 Bestand Familien 544/I [Sperr] 805 [Martin], Bestand Personalakt 11221 [Adam] Bestand Polizeidirektion 1098 The National Archives Kew (TNA) Bestand FO 371/ 24385, 24389, 24405, 24408, 26517, 26542, 33219, 34458, 39223, 46819, 46866, 46891 Bestand WO 208/4177 Privatbesitz Bestand NL Anton Fingerle (München) Bestand NL Franz Reisert (Pforzheim) Bestand NL Eduard Hamm (Hamburg u. München) Bestand Slg. Elke Fröhlich (München)

Gedruckte Quellen Akten der Reichskanzlei. Das Kabinett Cuno 1922/23. Bd. 1, bearb. v. Karl-Heinz Harbeck, Boppard am Rhein 1968. Akten der Reichskanzlei. Das Kabinett Marx III / IV, Bd. 2, bearb. von Günter Abramowski, Boppard am Rhein 1988. Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette Brüning I / II, Bd. 2, bearb. v. Tilman Koops, Boppard am Rhein 1982. Bleistein, Roman (Hg.): Dossier: Kreisauer Kreis. Dokumente aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Aus dem Nachlaß von Lothar König S. J., Frankfurt a. M. 1987.

548

Quellen- und Literaturverzeichnis

Delp, Alfred: Gesammelte Schriften, 5 Bde., hg. v. Roman Bleistein, Frankfurt a. M. 1982–1988. Die Protokolle des Bayerischen Ministerrates 1945–1954. Das Kabinett Schäffer: 28. Mai bis 28. September 1945, bearb. v. Karl-Ulrich Gelberg, München 1995. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II, Diktate 1941–1945. Bd. 10, Oktober–Dezember 1943, hg. v. Elke Fröhlich, München 1994. Dokumente zur Deutschlandpolitik Reihe I, Bd. 1, hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen u. bearb. von Rainer A. Blasius, Frankfurt a. M. 1984. Elsas, Fritz: Ein Demokrat im Widerstand. Zeugnisse eines Liberalen in der Weimarer Republik, hg. von Manfred Schmid, Gerlingen 1999 (= Zeugen der Zeit). Gillmann, Sabine / Mommsen, Hans (Hg.): Politische Schriften und Briefe Carl Friedrich Goerdelers, 2 Bde., München 2003. Hassell, Ulrich von: Die Hassell-Tagebücher 1938–1944. Aufzeichnungen vom Andern Deutschland, nach d. Handschr. rev. u. erw. Ausg., hg. v. Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen, Berlin 1988. Ders.: Vom Andern Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern 1938–1944, Frankfurt a. M. 1964 [EA: Zürich 1946]. Heiber, Helmut u. a.: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Teil 1. Regesten, Bd. 1, München 1983. Heuss, Theodor: Aufzeichnungen 1945–1947, hg. v. Eberhard Pikart, Tübingen 1966. Ders.: In der Defensive. Briefe 1933–1945, hg. v. Elke Seefried, München 2009 (= Stuttgarter Ausgabe, Bd. 3). Jacobsen, Hans-Adolf (Hg.): Hans Steinacher. Bundesleiter des VDA 1933–1937. Erinnerungen und Dokumente, Boppard am Rhein 1970 (= Schriften des Bundesarchivs, Bd. 19). Ders.: »Spiegelbild einer Verschwörung«. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD- Berichterstattung, 2 Bde., Stuttgart 1984. Kaiser, Peter M.: Mut zum Bekenntnis. Die geheimen Tagebücher des Hauptmann Hermann Kaiser 1941/1943, Berlin 2010. Kessler, Harry Graf: Das Tagebuch 1880–1937: Neunter Band, 1926–1937, hg. v. Roland S. Kamzelak / U lrich Ott, Stuttgart 2010. Moltke, Helmuth James von: Briefe an Freya 1939–1945, hg. v. Beate Ruhm von Oppen, München 32005. Ders. / Moltke, Freya von: Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel, September 1944–Januar 1945, hg. v. Helmuth Caspar von Moltke / U lrike von Moltke, München 32011. Neitzel, Sönke: Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942–1945. Mit einem Geleitwort von Ian Kershaw, Berlin 22007. Politik und Wirtschaft in der Krise 1930–1932. Quellen zur Ära Brüning, 2 Bde., eingel. v. Gerhard Schulz, bearb. v. Ilse Maurer und Udo Wengst, Düsseldorf 1980. Reichsgesetzblatt 1919, Berlin 1919. Reichsgesetzblatt 1933 I., Berlin 1933. Reichsgesetzblatt 1934 I., Berlin 1934. Verhandlungen des Bayerischen Landtags. I. Tagung 1928. II. Tagung 1928/1929, Stenographische Berichte Nr. 1 bis 35. I. Bd., München o. J. Verhandlungen des Reichstags. 1. Wahlperiode 1920. Bd. 356. Stenographische Berichte, Berlin 1922. Verhandlungen des Reichstags. 8. Wahlperiode 1933. Bd. 457. Stenographische Berichte, Berlin 1934. Verhandlungen des Reichstags. Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung, Bd. 341, Berlin 1920.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Mündliche und schriftliche Auskünfte Gespräch mit Dr. Elke Fröhlich-Broszat am 19. Januar 2012 Gespräch mit Peter M. Reisert am 23. November 2010 Schriftliche Mitteilung von Dr. Elke Fröhlich-Broszat vom 3. August 2011

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Personenregister Kursiv dargestellt ist die namentliche Erwähnung von Personen in den Fußnoten, die über die einfache Literatur- und Quellenangabe hinausgeht. Adam, Robert  258 f., 316, 498, 520 Adam, Wilhelm  431, 437 Adenauer, Konrad  408, 504 Albert, Heinrich F.  158, 162 f., 166 f., 482 Alzheimer, Alois  193, 197, 469 Angermeier, Georg  416 Arco auf Valley, Anton Graf von  80 Arendts, Wilhelm  432–439 Aretin, Erwein von  131, 136, 141, 500 Aretin, Karl Ottmar von  16 Aufhäuser, Siegfried  274 f. Aumer, Hermann  270 f., 315, 400, 478, 480, 497, 521 Baerwolff, Walther  57–59, 253, 316 Basler, Otto  180 f., 186, 315, 498 Bauer, Gustav  84 Bayern, Albrecht von  125, 208, 506 Bayern, Heinrich von  223 Bayern, Konstantin von  327 Bayern, Ludwig III. von (König)  68, 78, 102, 122, 124, 215 Bayern, Maximilian II. von (König)  69 Bayern, Rupprecht von (Kronprinz) ­ 189–191, 194, 205, 207–226, 229 f., 244, 248 f., 267, 276, 286, 288, 296, 311 f., ­314–317, 320–323, 325–328, 331, 332 f., 349, 354 f., 358, 359 f., 363, 366–391, 439, 441, 449, 451, 475, 491–493, 500–503, 506 f., 514, 517, 519, 524–526, 530 f. Beck, Ludwig  173, 330, 396, 417, 429, 444 Becker, Winfried  13, 17–19, 22 f., 25 f., 178, 517 Beckh, Albert Ritter von  186 f. Berz, Ludwig  237, 267, 283, 289 f., 292–295, 313, 315, 321, 408, 413, 438, 443, 453, 497, 499, 521 Bismarck, Otto von  32, 40–42, 45, 48, 55 f., 75–77, 95, 100, 105, 107, 109, 172, ­369–371, 376, 424, 512 Bleistein, Roman  412, 416, 426–428, 447 Blinzig, Alfred  191

Blomberg, Werner von  134, 163, 245 Bögl, Georg  233, 234–236, 241, 315, 321, 481, 485, 488, 497 f., 518 Böhme, Georg  459, 463 Bohl, Otto  397 Bormann, Martin  468 Bosch, Robert  160, 164, 331, 335, 337, ­340–342, 348, 349, 356 f., 359, 360, 396 Brandl, Felix  260, 295, 315, 321, 499 Brandl, Gabriel  310 f., 313, 315 Brauchitsch, Walter von  333, 335, 346 f., 350–353, 356, 366, 525 Braun, Otto  397 Bredow, Ferdinand von  212 Brentano, Lujo  43, 44 Bretschneider, Heike  13, 16, 22 Broemser, Philipp  184 Brüning, Heinrich  110–112, 398 Büchner, Fritz  131, 141 Buttmann, Rudolf  53, 259 Canaris, Wilhelm  165, 177, 197, 312, 326, 328, 331, 335, 337, 340, 352, 356 f., 360, 366, 396, 434, 491 Caprivi, Leo von  45 Caracciola-Delbrück, Günther  239 f., 243, 315, 431 f., 434–436, 438 f., 442, 460, 462, 484–486, 488 f., 519 Chamberlain, Neville  334–336, 338, 340 f., 343 f., 525 Charles, Noel  388 Christie, Malcolm Graham  334, 336, ­340–345, 354, 361 Churchill, Winston  364, 368 Cochenhausen, Friedrich von  178 Conwell-Evans, Philip  340, 343 f. Cossmann, Paul Nikolaus  141 Cuno, Wilhelm  89, 156, 158 Darré, Walther  209 Decker, Rudolf  79, 104, 270, 272 f., 275 f., 296, 308, 315, 425, 467, 521

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Personenregister

Deininger, Georg  14, 31, 153, 226, 233, 238, 258, 276 f., 315, 438, 441 f., 443, 452 f., 518 Deininger, Lully  154 Delbrück, Clemens von  97 Delp, Alfred  15, 283 f., 323, 403–412, ­414–417, 418, 427–429, 440, 443, ­4 45–447, 470–472, 476 f., 482, 506 Demmler, Ernst Ferdinand  244, 316, 519 Dietrich, Hermann  160, 162, 167 Dietze, Constantin von  269 Dohnanyi, Hans von  340, 346, 349, 350 Dohna-Schlobitten, Heinrich Graf zu  408 Donohoe, James  12 f. Drechsel, Max Ulrich Graf von  459, 461 Durham, James C.  327 f., 332 Eberstein, Karl Freiherr von  198, 200, 202, 481 Ebert, Friedrich  87, 105, 107 Eckener, Hugo  161 f. Eden, Anthony  211 Eickemeyer, Walter  260, 305 f., 307, 316, 520 Eisner, Kurt  49, 78–80, 96, 103, 125 Elsas, Fritz  160, 167 Elser, Georg  14, 34 Engels, Friedrich  27 Epp, Franz Ritter von  53, 146–148, 150, 212, 216, 227, 239, 250, 255, 419, 431 f., 434–439, 441, 485 f., 488, 528 Erzberger, Matthias  83, 87, 365 Esser, Hermann  150 Fackler, Franz Xaver  507 Falkenhausen, Alexander von  418, ­420–422, 435–437 Falkner, Ernst  241–233, 315, 484, 488 Faulhaber, Michael Kardinal von  281 f., 418, 493 Fehn, Franz  237 Fehr, Anton  18, 45, 161 f., 255, 276, ­284–288, 296, 315, 318, 465–467, 473, 497, 506, 521 Fergg, Eduard-Josef  260 f. Fingerle, Anton  241 f., 507 Finsterlin, Ludwig Ritter von  238 Fischer, Guido  184 f. Flach, Rudolf  81, 263–265, 287, 296, 315, 321, 498, 520 Fleischmann, Charlotte  187, 316 Förster, Christina M.  315, 318, 320

Franchetti, Marion Baronin  224, 379 François-Poncet, André  211 Frank, Konrad  260–262, 307–309, 313, 315, 321, 498, 520, Freisler, Roland  11, 17, 303, 395, 446, 451, 453, 476, 530 Frick, Wilhelm  134, 139–141, 146, 149 Frisch, Walther  161 f., 316, 321, 473, 482, 498 Fröhlich, Elke  9, 17 f., 22, 142, 144 f., 430 Fromm, Friedrich  462 Fugger von Glött, Joseph-Ernst  77, 294, 315, 323, 404, 408–415, 418, 437, 473, 476 f., 480, 521, 530 Gayl, Wilhelm von  98 Gerngross, Rupprecht  31, 241–243, 253, 315, 431, 484 f., 487–489, 507 Gerstenmaier, Eugen  404, 427, 476, 480 Geßler, Liberat  68 Geßler, Otto  12, 14 f., 18–20, 22–24, 29–36, 40–43, 45, 46 f., 61, 63, 68–85, 87, 92, 95 f., 100, 104, 105–113, 121, 129, 135, 137 f., 153–162, 163, 165, 167–177, 179 f., 197–203, 205 f., 215, 217–226, 228, 249, 255, 257, 261, 264, 269, 271, 274, 278, 281 f., 284–286, 289, 294, 296, 304–306, 308 f., 311–315, 318, 321 f., 325–349, ­351–367, 368, 370 f., 378, 380–383, 385, 387, 393, 397, 400, 402, 429, 434, 439, 445, 452, 459, 461, 463, 465–470, ­472–476, 478 f., 481–483, 489, 492–495, 500, 503 f., 506, 508, 511–518, 521–526, 528–530 Geyer, Wilhelm  262, 410 Giehrl, Hermann Ritter von  243 Giehrl, Maximilian Ritter von  243 Giehrl, Rudolf  243 f., 316, 519 Glaise von Horstenau, Edmund  105 f. Gloning, Hans  240 Goebbels, Joseph  189 f., 196, 201, 209 f., 249, 301, 368 Goerdeler, Carl Friedrich  36, 56, 158 f., 160, 163, 164–166, 173, 197, 239, 247, 257, 271, 275, 325, 329, 331, 333, 334 f., 337, 340–343, 345, 350, 352, 357–360, 366, 394–403, 409, 414, 423, 434, 445, ­4 48–451, 457–459, 465–469, 478, 480, 482, 525–529 Göring, Hermann  140, 149, 188–190, 196, 209, 249, 350, 417

Personenregister Goetz, Hans  184 f. Goetz, Walter  43, 155 f., 329 Gollé, Josef  462, 464 Graf, Otto  51, 54, 299–301, 303, 316, 487, 495 f., 499, 522 Grosser, Bruno  240, 316, 460–462, 464, 484, 529 Guderian, Heinz  246 f., 248 Gürtner, Franz  57, 94, 129, 134, 152, 155, 210, 263 Gundlach, Gustav  338 f., 342, 344–347, 352, 357, 360 Guttenberg, Enoch Freiherr zu  130 f., 136, 189 Guttenberg, Karl Ludwig Freiherr zu  395, 492 Gutzwiller, Richard  345, 364 Haas, Alban  142, 145, 147, 244 Halder, Franz  14, 36, 213 f., 231, 239, 247 f., 315, 330 f., 333–335, 342, 346–354, 356, 366, 387, 395, 409, 419, 422, 429–444, 454, 469, 480, 484, 525, 528 Halifax, Lord (Edward Wood)  338, 340 Hamm, Eduard  12, 14 f., 18 f., 21–23, 24, 29–35, 39, 41, 43 f., 46 f., 61, 63, 68–96, 100, 102–108, 110–116, 118, 121, 137 f., 153–177, 188, 191, 193 f., 197, 205 f., 217, 218–222, 225, 232 f., 236, 243, 245–247, 248, 255, 256–274, 278–282, 285–289, 292–294, 296, 307–309, 312, 314 f., ­317–319, 321 f., 325, 327, 329, 338, 348, 358, 368, 370 f., 379, 380, 382 f., 385, 393 f., 397–402, 409, 425, 433 f., 445, 448, 452, 454, 458, 463, 465, 467, 470, 472 f., 475–478, 480–483, 489, 492, 494 f., ­497–499, 504, 508 f., 511–523, 526–529 Hamm, Gottfried  71 Hamm, Johann Baptist  69 Hamm, Luise  69 Hamm, Maria (geb. von Merz)  70, 72, 75, 157, 162, 280, 458 Hamm, Max  477 f. Hansen, Georg  312 Hapig, Marianne  480 Harbou, Bodo von  422 Hardtwig, Erwin  190, 400 Hardtwig-Hamm, Gertrud  246, 319, 472 Harnier, Adolf Freiherr von  13, 32, 35, 121, 205, 223 f., 282, 314–318, 320–323, 507, 522 f.

573

Hassell, Ulrich von  24, 36, 153, 159, 163 f., 165, 188, 191, 192, 196, 220, 255, 329, 332, 334, 337 f., 348–350, 351, 359, 394 f., 403, 430, 450, 480, 526 f. Haubach, Theodor  404 Hauptmann, Gerhard  70 Hausmann, Wilhelm  57 Hechtel, Hans  236, 315, 485, 499, 518 Hedin, Sven  467–469 Heilbron, Friedrich  156, 159, 161, 163, 165, 166, 482 Heim, Georg  48 Heinz-Orbis, Franz Josef  51, 299 Held, Heinrich  51–53, 98, 115–117, 119, 130–135, 139 f., 142 f., 144, 147, 185, 374, 513 f. Held, Josef  131, 146 Helfrich, Paul  243, 265–268, 269, 273, 315, 321, 323, 400, 425, 497, 520 f. Hermes, Andreas  465 f., 479 Herrgott, Adolf  227–233, 239, 241–244, 315, 322, 430 f., 441, 484, 518, 528 Hertfelder, Thomas  103 Hertling, Georg von  124, 126 Herz-Durach, Jakob  286, 288, 296, 316, 521 Heß, Rudolf  169 Heuss, Theodor  42 f., 44, 160, 174, 279, 507 Heuss-Knapp, Elly  42, 279 Heydrich, Reinhard  196 Hieber, Adolf  485 Hilpert, Hans  57 Himmler, Heinrich  196, 198, 202, 302, 357, 387, 417 Hindenburg, Paul von  58, 67, 117, 132 f., 135, 142–144, 158, 161, 190, 319 Hipp, Otto  397 Hirschmann, Otto  257, 260, 309, 315, 498 Hirtsiefer, Heinrich  99 Hitler, Adolf  12, 15 f., 18–20, 26, 28 f., 33–36, 47, 51–54, 56, 58 f., 65, 66, 70, 77, 90 f., 94, 99 f., 106, 110, 115–119, 125 f., 128, 130 f., 134, 137–145, 147–149, 151–155, 160 f., 163 f., 165, 167, 169–171, 173–176, 178, 181, 184, 185 f., 188–191, 196–198, 201 f., 206, 207–212, 215, 217, 224, 229–232, 235, 239, 245, 247, 249, 261, 271, 278, 291, 299, 300, 304, 309, 319 f., 322, 325 f., 328, 329–331, 333, 335 f., 338, 340, 341, 347, 348, 350 f., 353–355, 356, 360–362, 364, 367, 375, 387, 393, 395–397, 400–403, 411, 417,

574

Personenregister

421, 429 f., 433, 436, 440, 449, 450–453, 456–458, 461–465, 467–469, 478 f., 504, 513–515, 524, 526, 528 Hoegner, Wilhelm  300, 343 Hörster-Philipps, Ulrike  20 Hofacker, Caesar von  420 Hoffmann, Johannes  80 f., 84, 106, 263 Hohmann, Georg  43, 46, 72 Holnstein, Heinrich Graf von  252 Hugenberg, Alfred  56–58, 94, 155, 190 Hundhammer, Alois  397 Hunglinger, Franz  220 f., 315, 492 Imbusch, Heinrich  118 Imhoff, Karl von  150 f. Jacob, Franz  450 John, Adolf  466 Jordan, Max  342 Jung, Edgar Julius  51, 299 Kaas, Ludwig  333, 337, 346 f., 357, 359 Kahr, Gustav Ritter von  49–51, 79, 87, 88, 90 f., 106, 114–116, 131, 222, 513 Kaiser, Hermann  401, 433 f., 448 Kaiser, Jakob  449 Kaiser, Wilhelm  230 f. Kaltenbrunner, Ernst  468 Keitel, Wilhelm  347, 462 Kelly, David  362 Kempner, Franz  110 f., 158, 163–167, 333, 434, 452, 475, 482, 515 Kennan, George F.  370 Kessler, Harry Graf  107 Klein, Fritz  94, 113 f. Klemperer, Klemens von  20, 108, 345, 352, 355 Kloepfer, Reinhart  278, 497 Kluge, Günther von  434, 435 Knilling, Eugen von  50, 90 Knör, Hans  264 f., 315, 499, 520 Koch-Weser, Erich  86 König, Lothar  15, 283, 403 f., 406, 408, 409 f., 411, 412, 414, 416 f., 418, 419, 421, 428 f., 444–446, 527 Kötter, Rudolf  298 f., 301, 316, 522 Kolbe, Viktor  237, 240, 298, 304, 316, 460– 462, 464, 518, 529 Kreuser, Karl  323 Kriebel, Karl  460 Krieger, Maximilian  185–187, 315

Kumpfmüller, Joseph  281 f. Kuschow, Otto  256, 305, 519 Lammers, Hans Heinrich  146, 178 Lampe, Adolf  269 Lange, Herbert  466 Lankes, Christian  17, 65 f., 178, 183 Leber, Annedore  15 Leber, Julius  15, 28, 450 f. Leeb, Wilhelm Ritter von  134 Lehndorff-Steinort, Heinrich Graf von  455 Lehr, Robert  496 Leiber, Robert  333, 337–339, 345, 346 f., 350, 364 Leiling, Ottheinrich  241, 315, 484, 487–489 Leonrod, Ludwig Freiherr von  444 f., 459, 461 Lerchenfeld-Köfering, Hugo Max von  88 f. Lex, Hans Ritter von  53 f., 148, 182, 232, 259, 315, 496, 499, 506, 518, 520 Ley, Robert  209 Liebel, Willy  298, 302, 303, 305 f., 307 Lindsay, Alexander Dunlop  328 Linstow, Hans Otfried von  250, 461 Listl, Josef  261, 310 Loeser, Ewald  396 f. Loewenich, Walther von  280 Lohmann, Walter  107 Lossow, Erich von  312 Lossow, Otto von  51, 87 Lotz, Johannes B.  405 Ludendorff, Erich  51, 59, 67, 90, 115, 125, 513 Ludwig, Max  184 Lüders, Marie Elisabeth  31, 198 Lukaschek, Hans  408, 417 Luppe, Hermann  304 f. Luther, Hans  91, 95, 98, 108, 116, 157 f. Lutz, Oswald  245 f., 316, 519 Luyken, Max  184 Männle, Ursula  16 Maglione, Luigi  383 Mann, Thomas  39, 170, 432 Marogna-Redwitz, Rudolf Graf von  194 f., 312, 455 f., 492 Marx, Karl  27 Marx, Wilhelm  91 Martin, Benno  255 f., 298, 299–305, 487, 519, 522 Martin, Hein  248–253, 276–278, 315, 319, 481, 487 f., 500–502, 519

Personenregister Mayer, Rupert  282 f. Meier, Ernst  22 f., 30, 67, 181–185, 187, 206, 207, 244, 253–255, 282 f., 284, 288–291, 292, 294 f., 301, 310, 315, 319, 413, 445, 505–508, 516, 521 f., 530 Meier, Johannes  267, 290–294, 315, 319, 452, 497, 521 Meinecke, Friedrich  33, 103 f. Meiser, Hans  309 Meissner, Otto  99, 146 f., 468 Mierendorff, Carlo  28, 404, 411 f., 418, 423, 425 Mittelberger, Hilmar Ritter von  187 Möller, Horst  178, 424 Möllers, Heiner  20, 106 Moltke, Freya von  407, 409 f., 414 f., 416, 421 Moltke, Helmuth James Graf von  11, 15, 24, 36, 242, 283 f., 325, 394, 401, 403 f., 406–425, 427, 429, 434, 437, 439 f., ­4 43–449, 456, 471, 473, 476 f., 506, 527 f. Mommsen, Hans  21, 450 Motta, Giuseppe  338 Mühe, Ludwig  251 Müller, Alfons  235 f., 315, 498, 518 Müller, Heinrich  468 Müller, Josef  22, 145, 338, 340, 346–350, 351, 409, 525 Müller-Meiningen, Ernst  46, 255, 263 Mussolini, Benito  224, 338 Naumann, Friedrich  41–44, 46, 71 f., 75–77, 102, 105, 108, 113, 154, 160, 167 f., 172, 175, 279, 512, 526 Netschert, Erich  252, 277 f., 315, 321, 521 Neumaier, Johann B.  70, 479 Neurath, Konstantin von  134 Niedermayer, Oskar Ritter von  184 Niemöller, Heinz Hermann  196 Niemöller, Martin  196 Niklas, Wilhelm  284 f., 497 Oberländer, Theodor  498 Oesterle, Joseph  235, 315, 499, 518 Oettingen-Wallerstein, Eugen zu  132 f., 134, 141 Olbricht, Friedrich  195, 239 f., 401, 433, 434, 437, 444, 456 Oppenheim, Heinrich Bernhard  44 Ordway, Howard  503 Orsenigo, Cesare  357, 359 f., 361

575

Osbourne, Francis  340, 346, 387 f. Oster, Hans  312, 340 Papen, Franz von  52, 58, 93 f., 98, 100, 130, 134, 140, 143, 152, 159, 161, 191, 513 Paulus, Friedrich  246 Pestalozzi, Johann Heinrich  381 Petri, Johannes  309, 315 Pezet, Ernest  354 f. Pfeiffer, Anton  235 Pietzsch, Albert  269 Pius XII.  224, 337–339, 346, 396, Planck, Erwin  503, 504 Planck, Nelly  503, 504 Poelchau, Harald  404 Popitz, Johannes  159, 163 Posse, Hans  156 Praun, Friedrich von  309 f., 316 Preger, Konrad Ritter von  96 f., 98, 116, 157 f. Preußen, Wilhelm von (Kronprinz)  122, 125, 127, 189, 207, 249 Preußen, Wilhelm II. von (Kaiser)  102, 370 Pünder, Hermann  479 Pünder, Marianne  479 f. Quadt zu Wykradt und Isny, Eugen Graf von 69, 148 Quidde, Ludwig  108 Raeder, Erich  198, 202, 330, 335, 474, 478, 516 Rathenau, Walther  83, 88 Rauch, Hans  299–302, 303, 316, 487, 498, 522 Redwitz, Alfons Freiherr von  132–134, 141, 212 Redwitz, Franz Freiherr von  15, 194, 208, 210, 212–218, 220–223, 224, 226, 230, 248, 286, 314 f., 321, 327, 376, 492 f., 500–502, 517 Reichenau, Walter von  210 Reichwein, Adolf  404, 450 Reiff, Lily  379 f. Reisert, Franz  49 f., 55, 206, 237, 262 f., 284, 288–295, 315, 320 f., 403–412, 414–425, 427–429, 437, 444, 447 f., 452, 472 f., 476 f., 479 f., 498, 506, 508, 521, 527, 530 Reisert, Ludwig  289 Reisert, Maria Anna  289 Reusch, Paul  95, 159, 335, 349

576

Personenregister

Ribbentrop, Joachim von  195, 344, 346, 350, 357, 359 f. Riedberg, Gerhard  165, 173 Riedl, Richard  174 Riedmayr, Martin  250–253, 260 f., 277, 310, 315, 323, 454, 458, 481, 486–488, 500, 502, 519 f. Rieker, Karlheinrich  118 Rinecker, Franz  275–278 Ritter, Gerhard  239, 334 Ritter, Hans  334, 336, 341 f., 344 f., 351, 353 f., 356 f., 359 f., 361 Roedern, Siegfried Graf von  95 Röhm, Ernst  147, 150–152, 208–210, 212, 217, 249, 319, 515 f. Röpke, Wilhelm  380 f. Rösch, Augustin  15, 283, 403, 406, 409 f., 412, 414–416, 418, 419, 421 f., 424 Rohrbach, Paul  43 f., 71, 75 Roosevelt, Franklin D.  388 Rosenberg, Alfred  169 Roth, Christian  57 Rothmüller, Karl  240 Rumschöttel, Hermann  16 Saefkow, Anton  450 Savoyen, Viktor Emanuel III. (ital. König)  224 Schacht, Hjalmar  190, 191 Schade, Fritz  46, 237, 240, 253–256, 260, 297–307, 315, 319, 321, 417, 451, 452, 487, 498, 502, 505, 518–520, 522 Schäffer, Fritz  52, 94, 117 f., 130 f., 132, 140, 148, 469, 493, 495 f., 503, 514 Scharnagl, Karl  219, 257 f., 278, 282, 304, 315, 396 f., 401 f., 493, 495, 497, 520, 527 Schellerer, Hans  286, 287, 296 f., 315 Scheubner-Richter, Max-Erwin von  125 f. Schickedanz, Gustav  298 f., 300, 302, 303, 315, 522 Schiffer, Eugen  160 Schimmer, Alois  253, 486 Schlabrendorff, Fabian von  325, 508 Schlange-Schöningen, Hans  408 Schlegel, Albert  311–313, 315 Schleicher, Kurt von  52, 99, 159, 189, 212, 249, 319, 320 Schlie, Ulrich  20, 331, 334, 351, 355 Schloßstein, Willy  341, 342, 356 f. Schlund, Erhard  219, 282, 316 Schmid, Kaspar  296

Schmidt-Polex, Hans Walter  194 f., 197, 455 Schmitt, Kurt  128, 177, 188–197, 208, 373, 375, 458, 461, 469, 516 Schmittmann, Benedikt  270 Schmittmann, Heinrich  270 f., 274, 315, 480 f., 496, 521 Schmoll, Polykarp  388 Schneppenhorst, Ernst  227 Schniewind, Otto  271, 274 f., 315, 396–398, 401 f., 445, 450 f., 459, 467–470, 481, 495, 521, 527 Scholtyseck, Joachim  20, 331, 336 f., 348, 351 Schröder, Gerhard  496 Schubert, Philipp  238–240, 315, 430–432, 437–439, 441 f., 443, 452 f., 460, 462, 464, 484, 485, 488, 518 Schwerin von Krosigk, Johann Ludwig Graf  184, 210 Seeckt, Hans von  87, 106 Selby, R. W.  390, 391 Seldte, Franz  60 Sendtner, Kurt  20, 125, 311 f., 315, 473, 503 f. Severing, Carl  98 f. Siebert, Ludwig  147, 149 f. Soden-Fraunhofen, Joseph Maria Graf von  125, 131, 142, 208 Spengler, Oswald  249 Sperr, Franz  11–19, 21–24, 29–37, 46, 52, 60 f., 63–68, 76 f., 81–83, 93, 96–102, 113, 116–119, 121, 133–154, 158, 166, 176–180, 183–188, 191–197, 205–207, 214–223, 225–244, 248, 250 f., 253–261, 267, 269, 271, 273 f., 276–278, 281–286, ­288–290, 292, 294 f., 297 f., 300 f., ­304–308, 310 f., 313–318, 320–323, 325, 327, 329, 348, 376, 382, 385, 393 f., 397 f., 400, 403, 408 f., 411–419, 421–426, 429–434, 436–449, 451–458, 463 f., 467, 469–473, 475–478, 480–489, 492, 498, 502, 504–509, 511–531 Sperr, Frida  65 Sperr, Gertraud  18, 22, 65–67, 151, 152, 154, 195, 196, 234, 292, 430, 445, 452, 470, 472, 505 Sperr, Hanns Ludwig  22, 65, 183, 241, 470 Sperr, Karl  65 Sperr, Ludwig  64 f. Sperr, Therese  65 Stahr, Walter  183 f., 185 Staimer, Max Josef  442

Personenregister Stauffenberg, Claus Schenk Graf von  29, 34, 37, 166, 255, 394, 401, 402, 423, 433 f., 442–460, 462 f., 470–473, 477, 482, 492, 526, 528–530 Steiger, Eduard von  334 Steinacher, Hans  169 f. Steltzer, Theodor  404, 408, 411 f., 415, 418 f., 427 Stoecker, Adolf  56 Strasser, Gregor  118, 189, 249, 319 Streicher, Julius  284, 302 f., 305 f. Stresemann, Gustav  46, 50, 89–91, 107, 111 Stülpnagel, Carl Heinrich von  420, ­432–435, 437 Stützel, Karl  145, 147 Sudermann, Hermann  70 Taylor, Myron C.  388 Thielicke, Helmut  280 Thomas, Georg  350 Thyssen, Fritz  334 f. Tresckow, Henning von  239, 433, 455, 508 Trott zu Solz, Adam von  242, 325, 404, 414, 418 f., 440 Twickel, Rudolf Freiherr von  408 Ulich, Max  240, 460 f., 464 Van Husen, Paulus  404, 427 f., 429 Van Roon, Ger  15 f., 24, 408–413 Vansittard, Robert  340, 341, 343, 363 f. Veit, Otto  162

577

Veit, Sepp  192 Vogel, Otto A. H.  291, 293, 315, 321 f., 497, 521 Von der Heydte, Friedrich August Freiherr  390 Von der Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf  435 Wachenfeld, Edmund  239 Wagner, Adolf  145 f., 209 Wagner, Eduard  433–435 Waldenfels, Otto Freiherr von  58–60, ­229–232, 311, 315, 322, 518 Weber, Adolf  266, 269 Weber, Gregor  236 f., 292, 295–297, 313, 315, 319, 413, 518 Weiß, Dieter J.  19, 122, 125, 314, 367 Westarp, Kuno Graf von  56 Wever, Karl  158, 163 Wiethaus, Erich  31 Wiktorin, Mauritz von  460 Wilson, Woodrow  168 Windsor, George V.  128 Windsor, George VI.  389 Wirsching, Andreas  104 Wirth, Joseph  20, 87, 300, 329–349, ­351–366, 387, 429, 487, 524 f. Wohlmuth, Georg  182 Yorck von Wartenburg, Peter Graf  404, 411–417, 444, 446 Zarden, Arthur  159, 167 Zeller, Eberhard  294