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German Pages 890 [892] Year 1995
Brandenburgische Geschichte
Brandenburgische Geschichte herausgegeben von Ingo Materna und Wolfgang Ribbe mit Beiträgen von Kurt Adamy, Helmut Assing, Rosemarie Baudisch, Friedrich Beck, Heidelore Böcker, Laurenz Demps, Harald Engler, Felix Escher, Kristina Hübener, Detlef Kotsch, Ingo Materna, Hans-Heinrich Müller, Harald Müller, Wolfgang Neugebauer, Wolfgang Ribbe und Gertraud Eva Schräge
Akademie Verlag
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek: Brandenburgische Geschichte / hrsg. von Ingo Materna und Wolfgang Ribbe. Mit Beitr. von Kurt Adamy ... - Berlin : Akad.-Verl., 1995 ISBN 3-05-002508-5 NE: Materna, Ingo [Hrsg.]; Adamy, Kurt
Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z. 39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Rein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: deutsch-türkischer fotosatz, Berlin Druck und Bindung: Druck- und Verlagshaus Erfurt Herstellerische Betreuung: Rarla Henning Schutzumschlag und Einband: Ralf Michaelis Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Brandenburgische Geschichte Zur Einführung
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Geographische Grundlagen und historisch-politische Gliederung Brandenburgs von Rosemarie Baudisch
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Geographie Landschaften Grenzen und Verwaltungsgliederung
Ur- und Frühgeschichte von Gertraud Eva Schräge Das brandenburgische Territorium im Paläolithikum und Mesolithikum: Jäger und Sammler Neolithische Kulturgruppen und das erste Metall Bronzezeitliche Kulturen: Aunjetitz, Lausitzer Kultur und Nordischer Kreis Die frühe Eisenzeit: Billendorfer und Göritzer Gruppe Lausitzer Kultur, Nordischer Kreis und Jastorfkultur: Illyrer und Germanen? Die Römische Kaiserzeit Die Völkerwanderungszeit Germanen - Slawen - Deutsche
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45 45 49 53 59 62 65 70 72
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Inhalt
Die Landesherrschaft der Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger (Mitte des 12. bis Anfang des 15. Jahrhunderts) von Helmut Assing 85 Die Entstehung der Mark Brandenburg Die Entwicklung der Mark Brandenburg zu einem der größten deutschen Fürstentümer (Ende des 12. bis Anfang des 14. Jahrhunderts) Die Umgestaltung der Agrarverfassung und die Veränderungen in den ländlichen Sozialbeziehungen im 12./13. Jahrhundert Die Entstehung eines brandenburgischen Städtenetzes und städtischer Rechtsnormen. Die Rolle der märkischen Städte in Wirtschaft und Politik im 12./13. Jahrhundert Die Kirchenorganisation in der Mark Brandenburg und die Entstehung klösterlicher Institutionen im 12./13. Jahrhundert Die allmähliche Herausbildung staatlicher Strukturen in der Mark Brandenburg Die Stellung der frühen Markgrafschaft innerhalb des Deutschen Reiches und der Anteil der askanischen Markgrafen an der Reichspolitik Die kulturellen Hinterlassenschaften aus der Frühzeit der Mark Brandenburg Das Ende der Askanier, das märkische Interregnum und der Übergang der Markgrafschaft an die Wittelsbacher (1308 bis 1323/24) Die Bemühungen der Wittelsbacher um die Rückgewinnung der märkischen Territorien und um die Festigung der Landesherrschaft (1323/24 bis 1343/44) Die Wittelsbacher unter dem Druck der Luxemburger und ihr schließlicher Verzicht auf die Markgrafenwürde (1343/44 bis 1373) Kurzzeitige Stabilisierungsversuche unter Kaiser Karl IV. (1373 bis 1378) Die Veränderungen in den Sozialbeziehungen. Neuansätze und Krisensymptome in Wirtschaft, Verfassung und Rechtsprechung Die märkische Kultur unter den Bedingungen wachsenden bürgerlichen Selbstbewußtseins und krisenhafter gesellschaftlicher Umstände Der Zerfall der politischen Ordnung unter den Luxemburgern nach dem Tode Kaiser Karls IV. (1378 bis 1411)
85
91 102
109 116 121 126 128 132
136 141 145 149 157 160
Inhalt
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Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollernschen Rurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts von Heidelore Böcker 169 Die Belehnung Burggraf Friedrichs VI. Fürstliche Friedenssatzungen und Gewalt Konturen eines nordöstlichen Verbund-Territoriums Stützung der patrizischen Ratsverfassung Brechung des Berliner »Unwillens« Von der Reise- zur Residenzherrschaft Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit der Bischöfe Ausbau eigener Verwaltungsorgane und der Exekutive Rückführung und Zugewinn des Landes Reorganisation der Finanzwirtschaft Zurückdrängung des Einflusses der Stände Regionalverwaltung Landfrieden Rückblick am Ende des Jahrhunderts
169 171 174 178 184 188 192 196 200 208 212 221 224 226
Das Rurfürstentum Brandenburg im Zeitalter des Ronfessionalismus von Felix Escher
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Die Trennung Brandenburgs von den hohenzollernschen Stammlanden Wirtschaftswandel und landesherrlich-ständische Machtteilung Brandenburg in der Frühphase der Reformation: Hauspolitik und Reichspolitik Ständische Macht und Reformation in der Niederlausitz Stufen des Ronfessionswechsels: Landesteilung und Reformation in der Neumark Bekenntniswechsel in der Kurmark Der Ausbau des frühneuzeitlichen Territorialstaates: Landesherr und Stände seit der Reformation Hofhaltung und Zentralverwaltung Staat, Wirtschaft und Kultur zur Jahrhundertwende Ständisches Luthertum und höfischer Kalvinismus
231 235 253 261 264 268 275 281 285 288
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Inhalt
Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert von Wolfgang Neugebauer Brandenburg und die europäische Krise im frühen 17. Jahrhundert Strukturen von langer Dauer und Krisenkompensation im 17. Jahrhundert Brandenburg in Brandenburg-Preußen seit 1648. Politik und Staatsbildung Zentralprovinz und monarchische Autokratie: Staatskrise und Hochabsolutismus bis 1740 Zentralprovinz in der Zeit von Absolutismus und Aufklärung Krisensymptome und Vorreformen
Brandenburg als preußische Provinz. Das 19. Jahrhundert bis 1871 von Hans-Heinrich Müller und Harald Müller Brandenburg in der Reformzeit Die neugeschaffene Provinz im Verband des preußischen Staates (1815 bis 1830) Die ökonomische Entwicklung der Provinz Brandenburg (1815 bis 1871) Soziale und politische Entwicklungsprozesse im Vormärz (1830 bis 1847) Ereignisse und Ergebnisse der Revolution von 1848/49 Von der »Ära Manteuffel« zur Reichsgründung
Die preußische Provinz Brandenburg im Deutschen Raiserreich (1871 bis 1918) von KurtAdamy (unter Mitarbeit von Kristina Hübener) Brandenburg auf dem Weg zur Agrar-/Industrie-Provinz Bevölkerungsentwicklung in Kreisen, Städten und Gemeinden Die administrative Gliederung der Provinz Brandenburg und Berlin um die Jahrhundertwende Landwirtschaft, Industrie, Verkehrswesen Politische Parteien und Wahlen in der Provinz Geistiges und kulturelles Leben in der Provinz Erster Weltkrieg
291 291 304 317 334 353 379
395 395 407 415 465 475 493
503 503 505 510 520 524 539 544 553
Inhalt
Brandenburg als preußische Provinz in der Weimarer Republik (1918 bis 1933) von Ingo Materna Die Revolution 1918/19 Die Provinz Brandenburg im Freistaat Preußen Politik in der republikanischen Provinz Brandenburgs Wirtschaft zwischen Krieg und Krise »Goldene Zwanziger« in der Provinz? Bildung und Kultur zwischen Tradition und Moderne Die Provinz und das Ende der Weimarer Republik
Die Provinz Brandenburg in der NS-Zeit (1933 bis 1945) von Laurenz Demps Die NS-Machtergreifung in der Provinz Brandenburg Organisation des NS-Regimes in Brandenburg Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in der Vorkriegszeit Die Provinz Brandenburg im Zweiten Weltkrieg Die Schlacht um Berlin und das Ende des Zweiten Weltkriegs
Das Land Brandenburg in der SB Z/DDR (1945 bis 1952) von Wolfgang Ribbe
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561 561 568 574 583 601 607 613
619 619 633 642 651 668
677
Die Lage bei Kriegsende: Auswirkungen der NS-Herrschaft und sowjetische Besatzung Sowjetische Besatzungsmacht und deutsche Selbstverwaltung Veränderung der Sozial- und Eigentumsstruktur Transformation in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft
677 690 709 721
Die Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952 bis 1990) von Detlef Kotsch
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Die Auflösung des Landes Brandenburg und die Bildung der Bezirke Offener Kurs zum Sozialismus Der 17. Juni 1953 in den brandenburgischen Bezirken Neugestaltung unter staatlichen Zwängen Die Sorben - Zur Lage einer nationalen Minderheit Die brandenburgischen Bezirke und Berlin
727 731 738 744 750 752
Inhalt
10
Der Bau der Mauer 1961 und die Folgen der Grenzschließung Die sechziger Jahre - Eine Phase begrenzter Stabilität Die märkischen Bezirke in der »Ära Honecker« Siedlungsentwicklung und Städtebau Die Militärpräsenz in den Bezirken Das Ende der Bezirke und die Neugründung des Landes Brandenburg
757 762 771 777 781 785
Das Bundesland Brandenburg (1990 bis 1993) - Ausblick 795
von Detlef Kotsch Neubildung des Landes Brandenburg * *
795 *
Quellen zur brandenburgischen Landesgeschichte von Friedrich Beck
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Mittelalterliche Quellen Quellen aus der frühen Neuzeit (bis 1808/15) Quellen des 19. und des 20. Jahrhunderts (1808/15 bis 1945) Die zeitgeschichtlichen Quellen (ab 1945)
803 807 811 815
Literaturhinweise von Rosemarie Baudisch
Anhang
bearbeitet von Harald Personenregister Ortsregister Abbildungsnachweis Verzeichnis der Mitarbeiter
825
Engler 853 866 889 891
Brandenburgische Geschichte
Zur Einführung Das neue »Bundesland Brandenburg« knüpft mit den in ihm lebenden Menschen, mit seiner Kulturlandschaft und den darin gewachsenen Dörfern und Städten, aber auch mit seinen zivilisatorischen und kulturellen Institutionen an den preußischen Rernstaat an, der nach Völkerwanderung und slawischer Landnahme im Zuge der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung unter den askanischen Markgrafen entstand, und der nach einer Interimsherrschaft der Wittelsbacher und Luxemburger über fünfhundert Jahre hinweg unter der Herrschaft der Hohenzollern entwickelt worden ist, wobei er selbst nach deren unrühmlicher Abdankung noch geraume Zeit als preußische Provinz weiter bestand, bis ihn die herrschende Staatspartei 1952 - vermeintlich für immer - zerschlug. In Brandenburg lag die preußische Haupt- und Residenzstadt Berlin, und in Brandenburg lag und liegt seit 1871 die deutsche Hauptstadt Berlin. Angesichts der auch damit bezeugten historischen Bedeutung der Mark, der Provinz bzw. des Landes Brandenburg ist es erstaunlich, wenn dieses deutsche Territorium bisher keine umfassende Darstellung seiner Geschichte erhalten hat. Solange die Hohenzollernherrschaft auf Brandenburg beschränkt blieb, sorgten seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert die kurfürstlichen Hofhistoriographen für eine offizielle Geschichtsdarstellung des Landes und seines Herrschergeschlechts. Nachdem aber die Mark und später die Provinz Brandenburg nur noch ein Glied in der Rette des preußischen Staatswesens bildeten, schwand das landesherrliche Interesse an einer Darstellung der einzelnen Landesteile. So blieb es im 18. Jahrhundert im wesentlichen der Bürokratie vorbehalten, topographisch-statistische Kompilationen vorzulegen, während die mit dem 19. Jahrhundert entstehende moderne Geschichtswissenschaft den preußischen Gesamtstaat im Auge hatte. Die gleichzeitig unter dem Einfluß der politischen Romantik entstehenden historischen Vereine waren vorrangig an der Erschließung der Quellen interessiert sowie an der Detailforschung und haben ebenfalls keine Gesamtdarstellung der brandenburgischen Geschichte hervorgebracht. Dies gilt auch noch für den als »Honoratiorenclub« gegründeten und betriebenen »Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg«, dem vorrangig Universitätsprofessoren und Museumsdirektoren angehörten. Selbst die Schaffung eines landesgeschichtlichen Lehrstuhls am Historischen Seminar der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zu Beginn der dreißiger
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Zur Einführung
Jahre unseres Jahrhunderts führte nicht zum Ziel. Das von Willy Hoppe in mehreren Auflagen publizierte »Märkische Heimatbuch« war auch sicher nicht als eine »Geschichte Brandenburgs« gedacht, zeugt aber von den dürftigen Ergebnissen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit unter dem Hakenkreuz. So blieb es nach Ende des Zweiten Weltkrieges dem Archivar und langjährigen Herausgeber der »Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte«, Johannes Schultze, vorbehalten, gegen den vehementen Widerstand einiger seiner Fachgenossen die erste und bisher einzige moderne Geschichte Brandenburgs vorzulegen. Sein fünfbändiges Werk »Die Mark Brandenburg« ist die Summe seines wissenschaftlichen Lebenswerkes. Freilich handelt es sich bei dieser Darstellung eher um eine »politische Geschichte« Brandenburgs, die in ihrer Struktur dynastisch orientiert ist und damit - insoweit - heutigen wissenschaftlichen Anforderungen nicht mehr genügt. Vor allem aber ließ Schultze sein opus magnum bereits mit der Bildung der preußischen Provinzen 1815 enden. Durch die Abtrennung der Altmark und den Anschluß der Niederlausitz hatte für ihn die alte Mark Brandenburg aufgehört zu bestehen. Dies sehen wir heute, selbst nach dem Verlust der Neumark im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, anders. Aus den Kernlandschaften zwischen Elbe und Oder ist mit dem Bundesland Brandenburg ein Territorium entstanden, das in seiner Ausdehnung etwa den Bezirken Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus entspricht, die es von 1952 bis 1990 gegeben hat, und die wiederum in etwa der alten preußischen Provinz Brandenburg entsprachen, allerdings unter Wegfall der Neumark. Die Geschichte dieses Territoriums im zeitlichen Anschluß an die Darstellung von Johannes Schultze hat Hans Herzfeld mit dem vor einem Vierteljahrhundert erschienenen, bisher einzigen Band eines Sammelwerkes unter dem Titel »Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert« behandelt. Es enthält Einzelbeiträge über Politik, Verfassung, Wirtschaft, aber auch solche über Kunst, Musik, Presse und Sport. Viele dieser Einzelbeiträge orientieren sich mehr auf Berlin denn auf Brandenburg und sie ersetzen auch insgesamt keine »Geschichte« dieses Territoriums. Dies gilt - mutatis mutandis - auch für das sachthematisch gegliederte Sammelwerk »Brandenburg. Historische Landeskunde Mitteldeutschlands«, das Hermann Heckmann 1988 herausgegeben hat. Daher haben seit Ende der achtziger Jahre zwei Historikerteams in Ost und West unabhängig voneinander jeweils ein Werk zur Geschichte Brandenburgs, das modernen Ansprüchen genügen sollte, geplant. Mit der Intensivierung und Normalisierung unserer wissenschaftlichen Beziehungen erschien es uns wünschenswert, daraus ein Gemeinschaftswerk werden zu lassen, das, aufbauend auf unserer jeweiligen, oft jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Materie, ein neues Gesamtbild der brandenburgischen Geschichte von ihren Anfängen bis zu unseren Tagen bieten soll. Auf der Grundlage des Forschungsstandes, teilweise auch unter Einbeziehung eigener, weiterführender Untersuchungen, haben die Autoren eine aktuelle Interpretation der brandenburgischen Geschichte erarbeitet. Für die Zeit nach 1815, insbesondere aber zur Geschichte Brandenburgs im 20. Jahrhundert, legen sie erstmals eine zusammenfassende Untersuchung vor. Die Darstellung ist als geschlossener Überblick zur Geschichte Brandenburgs in einem Band angelegt und richtet sich sowohl an die Fachwelt als auch an breitere Leserund Benutzerschichten. Die Publikation soll auch das Studium an Hochschulen
Zur Einführung
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und Universitäten fördern, den Lehrern bei der Durchführung des Geschichtsunterrichts dienlich sein und wendet sich darüber hinaus an alle historisch Interessierten. Die Herausgeber möchten an dieser Stelle allen Beteiligten für die gewährte Unterstützung danken. Unser Dank gilt in erster Linie den Autoren, die sich auf das Wagnis eingelassen haben - trotz unterschiedlicher Forschungsansätze im Detail - eine Gesamtdarstellung zu versuchen. Daneben hat Harald Engler mit Kompetenz für die Illustrierung des Bandes gesorgt, unterstützt durch zahlreiche Leihgeber, von denen hier - neben den Pressearchiven in der Märkischen Allgemeinen Zeitung in Potsdam sowie der Märkischen Oderzeitung Frankfurt (Oder) - vor allem die Bildersammlung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Ruiturbesitz und die Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg mit ihrem Archivar Peter Bahl genannt sein sollen. Alle Neuaufnahmen steuerte der Fotograf Georg Krause bei und der Grafiker Michael Bock hat alte und neue Bildvorlagen bearbeitet. Zahlreiche thematische Karten verdanken wir Karsten Bremer, dem Kartographen der Historischen Kommission zu Berlin. Die Computer-Karten erarbeitete Joachim Robert Moesehl, die Diagramme Petra Zimmerling. Wichtige Zuarbeiten während des Herstellungsprozesses leisteten Dr. Gaby Huch, Diana Schulle und Andreas Vucovic sowie Heidemarie Kruschwitz und Günter Hertel vom Akademie Verlag. Wesentliche Unterstützung verdanken wir der Historischen Kommission zu Berlin, vor allem ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. Dr. Wolfram Fischer, und dem Leiter der Sektion für brandenburgisch-preußische Landesgeschichte, Prof. Dr. Gerd Heinrich. Der besondere Dank der Herausgeber gilt Rosemarie Baudisch, die das Projekt von der Entstehungsphase an betreut und uns von vielen Aufgaben entlastet hat. Berlin, am 23. Juni 1994 Univ.-Prof. Dr. Ingo Materna Humboldt-Universität zu Berlin Historische Kommission zu Berlin
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Ribbe Freie Universität Berlin Historische Kommission zu Berlin
Geographische Grundlagen und historischpolitische Gliederung Brandenburgs von Rosemarie Baudisch
Geographie Menschliche Siedlung und Lebensformen sind im besonderen Maße abhängig von natürlichen Gegebenheiten, also von Bodenbeschaffenheit, topographischer Lage und Klima. Dies gilt insbesondere für agrarisch bestimmte Gesellschaftsformen und eine Zeit, die künstliche Bodenverbesserungen nicht kannte und in der sich natürliche und technische Hilfen für Ackerbau und Viehzucht erst in einem jahrhundertelangen Entwicklungsprozeß durchsetzten. Daher soll hier zunächst die Geographie des Raumes erörtert werden, der als »des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse« in die Geschichte eingegangen ist. Die Mark Brandenburg, das »Gebiet der großen Täler und Platten«, erhielt, wie der schwedische Geologe Otto Toreil 1875 an Gletscherschrammen auf den Rüdersdorfer Kalkbergen erkannte, ihr Gesichtim Eiszeitalter.1 In drei Kaltzeiten, die nach den Flüssen Elster, Saale und Weichsel benannt werden, entwickelten sich aus skandinavischen Gletschern mächtige Eisschilde, und während der Elster-Vereisung waren Skandinavien, Großbritannien, die Nord- und Ostsee mit dem angrenzenden nördlichen Kontinent sowie die russische Tiefebene zeitweise mit einer bis zu 3 000 Meter starken Eismasse bedeckt. Die Vereisungen brachten gewaltige Mengen Gesteinschutt aus Skandinavien, Finnland, dem Baltikum und aus dem Gebiet der späteren Ostsee mit und hinterließen im Norddeutschen Flachland und den angrenzenden Gebieten eine nahezu geschlossene Decke von 100 bis 150 Metern starken Ablagerungen. Nur bei Rüdersdorf treten in der Mark Brandenburg ältere Schichten aus Perm und Ίϊ-ias - 210 bis 155 Millionen Jahre alt - als Muschelkalk-Klippe an die Oberfläche. Sie wurden bereits im Mittelalter ausgebeutet. 1 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen die zusammenfassende Darstellung von Anneliese Krenzlin, Die naturräumlichen Grundlagen Brandenburgs, in: Jahrbuch fiir die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28 (1979), S. 1-41; dies., Höhenschichten - Gewässer, in: Gerd Heinrich u.a. (Hrsg.), Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Lfg. 7 [mit Beiheft]; Peter Ergenzinger/Jürgen Hövermann/Gert Jennsen, Geomorphologie, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Lfg. 28 [mit Beiheft], sowie den aktuellen Sammelband von Karl Eckart/Joachim Marcinek/Hans Viehrig (Hrsg.), Räumliche Bedingungen und Wirkungen des sozial-ökonomischen Umbruchs in Berlin-Brandenburg (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 36), Berlin 1993.
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Geographische Grundlagen und politische Gliederung
Zwischen den Vereisungsphasen lagen zwei etwa 11000 bzw. 16 000 Jahre andauernde Warmzeiten, in deren Klima-Optimum eine ähnlich reiche Fauna und Flora wie heute vorherrschten, mit zum Teil noch etwas höheren Temperaturen. Während in der ersten Warmzeit, dem Holstein-Interglazial, im Berliner Raum ein großer Süßwassersee lag und mögliche menschliche Spuren wahrscheinlich für immer unter einer 30 bis 70 Meter starken Ablagerung verborgen bleiben, stammt aus der zweiten Warmzeit, dem Fem-Interglazial, und der beginnenden Weichselvereisung, dem sogenannten »Rixdorfer Horizont«, ein Nachweis menschlichen Lebens, der auf archäologischen Funden beruht. Die bis zu den späteren Orten Havelberg, Genthin, Brandenburg, Beelitz, Luckenwalde und Guben vordringenden Eismassen gestalteten die Oberfläche Brandenburgs. Es entstanden dort, wo der Gletscher zum Stillstand kam, aus mitgeführtem Schutt zum Teil mächtige, aus Gesteinsbrocken, Kies-, Sand- und Lehmmassen bestehende, mehr oder weniger siedlungsabweisende Endmoränenzüge, davor aus feinerem Kies und Sand bestehende, trockene und weniger fruchtbare Sander und schließlich an den Stellen, wo das Schmelzwasser gezwungen war, parallel zum Eisrand abzufließen, breite Urstromtäler. Nördlich der Endmoränenzüge bildeten sich in den Gebieten, in denen das Eis als Ganzes zum Todeis wurde und allmählich schmolz, flachgewellte, kalkreiche Grundmoränenplatten aus Geschiebelehm und Sand. Außerhalb des Eispanzers lagen lediglich Teile der Prignitz und die Altmark, die bereits im Warthe-Stadium der Saale-Eiszeit geprägt worden waren. Allerdings gab es auch hier während der drei Stadien der Weichsel-Vereisung und den dazwischen liegenden wärmeren Zeiten kein tierisches oder menschliches Leben. Da die jüngste Eiszeit sich in drei Stadien vollzog, durchzieht eine dreifache glaziale Serie die Mark Brandenburg von West-Nordwest nach Ost-Südost: Der südliche (Brandenburg-Sächsische) Landrücken mit dem Lausitzer Grenzwall, dem Fläming sowie Teilen der Niederlausitz bis an den Rand der Lausitzer Platte; ein Gebiet mit relativ gut erhaltenem glaziären Formenschatz und bemerkenswerten Höhen, das im wesentlichen aus Ablagerungen des Warthe-Stadiums der Saale-Vereisung entstanden ist. Es bildet einen auffallenden Grenzsaum zwischen den nördlichen Jungmoränengebieten der Weichsel-Glazialzeit und den überwiegend altsaale-glazialzeitlichen Altmoränengebieten im Westen und Süden. Das Land der Platten und Niederungen, das mittlere Gebiet zwischen Elbe und Oder, wird charakterisiert und gegliedert durch mehrere Urstromtal-Niederungen (Breslau-Magdeburger Urstromtal, Glogau-Baruther Urstromtal, Warschau-Berliner Urstromtal und Thorn-Eberswalder Urstromtal), die ihrerseits wiederum durch von Süden nach Norden verlaufende Talniederungen miteinander verbunden sind. Ein auffallender Seenreichtum sowie überwiegend gut erhaltene glaziäre Oberflächenformen weisen es als Jungmoränengebiet aus. Seine unterschiedlichen Höhen und Hochflächen sind inselartig entstanden aus verschieden geformten Niederungen. Der nördliche (Mecklenburgische oder Baltische) Landrücken sowie weitere Teile der Uckermark sind unterschiedlich gestaltet. In den südlichen Abschnitten des Areals handelt es sich zumeist um wellige und kuppige Grund- und Endmoränengebiete mit Rinnen und steilen Taleinschnitten, während das nördliche Hin-
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Geographie
horn
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om t a I
Urstro m / e /
Die während der Eiszeiten als Schmelzwasser-Sammelrinnen entstandenen Urstromtäler im brandenburgischen Raum
terland wellige und flachhügelige Aufschüttungsgebiete bilden, mit einzelnen Höhenzügen, zahlreichen Seen, langgestreckten Niederungen und Muldentälern. Schon bald nach der Weichsel-Hochglazialzeit (um 12 000 v.Chr.) finden sich im Spätglazial (12 000 bis 8 300 v.Chr.) wieder menschliche Spuren. In der mittleren Steinzeit (8 000 bis 3 000 v.Chr.) stiegen die Temperaturen, die Steppenvegetation wurde abgelöst durch Birke und Riefer; Haselbüsche breiteten sich aus und schließlich sorgten seit 5 000 v.Chr. steigende Niederschläge dafür, daß sich auf den besseren Böden Eichenmischwälder und in den Niederungen Erlenbestände ausbreiteten. Die nun beginnende dauerhafte menschliche Besiedlung des Landes beruht auf den natürlichen Gegebenheiten, die mit Ausbildung der Erdformationen entstanden waren. Obwohl sich die Mark Brandenburg innerhalb des Norddeutschen Tieflandes befindet, ist sie keinesweges ein ebenes Land, sondern zeigt eine wellige Oberfläche, durchfurcht von ausgedehnten Tälern und schmalen Rinnen, die ihrerseits von Wasserläufen, stehenden Gewässern, Sümpfen, Mooren und Fennen durchzogen werden. Durch entwässerte und urbar gemachte Brüche und Luche (slawisch: Lug = Sumpfboden) sind in den Tälern weite Niederungen mit ausgezeichnetem Acker- und Wiesenboden entstanden (z.B. das Oderbruch, das Warthe-
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Geographische Grundlage und politische Gliederung
bruch, das Netzebruch, das Havelländische und das Rhinluch). Entlang der Südgrenze der Provinz Brandenburg beginnt mit den Lausitzer Höhen der etwa 225 Kilometer lange südliche Höhenzug, dessen höchste Erhebung (zugleich auch die höchste Erhebung in der Mark) mit 222 Metern der Rückenberg ist. Er erstreckt sich westlich über Triebel und Spremberg, weiter nordwestlich über Calau und endet am kahlen und unfruchtbaren Fläming, der seinen Namen durch Ansiedler vom Niederrhein erhielt, die Albrecht der Bär im 12. Jahrhundert dort seßhaft gemacht hatte. Am Nordfuß des Höhenzuges befinden sich die Sumpfniederungen des Spreewaldes und der Plaue. Netze-, Warthe- und Oderbruch, die Führung des Finowkanals, das Havelländische Luch sowie die Stromfurche der Elbe bilden am Südfuß der baltischen Landhöhe eine weitere Niederung; zwischen beiden Einsenkungen befindet sich eine breite Platte, die sich von Posen her westwärts in die Mark erstreckt: das Sternberger Land, die Spreeplatte und die Mittelmark. Die Niederung der Faulen Obra und der Oder bis zur Neißemündung sowie der Müllroser Kanal durchschneiden das Areal von Südosten nach Nordwesten, während es von Süden nach Norden durch die Oder von der Neiße- bis zur Warthemündung, den Bober, die Neiße, obere Spree, Dahme, Nuthe und Plaue sowie von zahlreichen kleineren Flußläufen und tiefer gelegenen Seen durchschnitten wird. Mehrere einzelne Höhengruppen und Höhenzüge erheben sich zwischen diesen Furchen. Die Höhen dieser Einzelerhebungen reichen vom 64 Meter hohen Kreuzberg in Berlin bis zum 222 Meter hohen Rückenberg bei Sorau. Größere Endmoränen bilden also südlich der mittleren Havel, im südlichen Teltow, im Spreebogen (bis zur Einmündung der Neiße in die Oder), in der nördlichen Prignitz und dem nördlichen Barnim ostwärts bis zum Sternberger Land landschaftsgliedernde Höhenzüge, während die großen Urstromtäler als ebenfalls gliedernde Tiefenlinien (Glogau-Baruther, Warschau-Berliner und Thorn-Eberswalder Tal) im Havelland zusammenlaufen und von dort in die untere Elbeniederung übergehen. Zwischen den Talzügen eingelagerte Grundmoränengebiete boten bereits in vorgeschichtlicher Zeit mit ihren natürlichen Siedelflächen die Grundlage für die Entstehung von Kleingauen und Herrschaftsbezirken (im Rhinower und Friesacker Ländchen, im Glin und im Land Bellin, in Zauche, Teltow und Barnim, auf der Lebuser und der Beeskow-Storkower sowie der Lieberoser Platte und im Land Sternberg). Vorherrschend ist Sandboden, der allerdings selbst auf den Höhen aus mehr oder weniger humusreichen Ton- bzw. Lehmboden besteht und für den Anbau der meisten Feldfrüchte kultiviert worden ist. Vor allem in den entwässerten Bruchgebieten der Flußniederungen sind hervorragende Bodengattungen im großen Ausmaß vorhanden. Gefüge und Haushalt des geographischen Milieus sind aber seit jeher Beeinflussungen durch den Menschen ausgesetzt gewesen, mit unterschiedlichen technischen Hilfsmitteln, verschieden schnell und unterschiedlich intensiv, so daß sich Veränderungen der natürlichen Faktoren zumeist nur sehr langsam ergaben und oft nur schwer erkennbar sind.2
2 Heinz Dieter Krausch, Natürliche Vegetation, in: Heinrich u.a., Historischer Lfg. 13 [mit Beiheft],
Handatlas,
Geographie
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Auch Brandenburg bildet ein Territorium, das durch eine jahrhundertelange Produktion ganz unterschiedlicher Art umgestaltet worden ist. Bereits in vorindustrieller Zeit wurden Waldgebiete durch Rodungen zu Ackerland umgewandelt, naturwüchsige Wälder zu Forsten kultiviert, Sümpfe trockengelegt und Quellen durch Absinken des Grundwasserspiegels zum Versiegen gebracht. Hinzu kamen dann Fisch- und Mühlenteiche, in Bergbaugebieten Klippen und Halden und später Dämme und Kanäle. Durch mittelalterliche Mühlenstaue in Brandenburg an der Havel ist es z.B. in großen Abschnitten des Haveltales zur Versumpfung und Vermoorung gekommen. Durch Rodungen, Entwässerungs- und Bewässerungsarbeiten und schließlich durch Düngung und Pflegemaßnahmen der unterschiedlichsten Art haben sich im Laufe der Jahrhunderte auch die Böden verändert oder aber sind durch menschlichen Eingriff künstlich verändert worden: hier sei stellvertretend für viele andere Beispiele an die Trockenlegung des Oderbruchs oder an die grundlegenden Veränderungen der Oberfläche im Braunkohlengebiet der Niederlausitz erinnert. Da Brandenburg kaum über feste geographische Grenzen verfügt, lagen weder Höhenzüge noch Gewässer einer Herrschaftsbildung im Weg; doch waren Landschaftsgliederung und Landschaftsformen auf die Beständigkeit von Herrschaftsund Verwaltungsbezirken im brandenburgischen Raum nicht ohne Einfluß. Unter den natürlichen WASSERSTRASSEN 3 Brandenburgs fallen im Osten der Oder und im Westen der Elbe eine besondere Rolle zu, wobei die Oder die Süd-Nord-Verbindung über Frankfurt an der Oder bis hin nach Stettin an der Ostsee und die Elbe die Südost-Nordwest-Verbindung bis nach Hamburg ermöglichen. Sie teilen dadurch die Mark in ein östliches (Oder) und ein westliches (Elbe) Gebiet raumgliedernd auf. Die Wasserscheide zwischen beiden Gebieten erstreckt sich links der Lausitzer Neiße am linken Oderufer entlang bis hin zum Finowkanal und verläuft dann von Eberswalde weiter in nördlicher Richtung. Auf einem Mährischen Gesenke entspringend, durchfließt die Oder die Mark auf 223 Kilometern. Bei Lebus befindet sich das Oderbruch, eine fruchtbare, von zahlreichen Armen der Oder unterteilte Niederung, die allerdings bis zu ihrer unter Friedrich dem Großen erfolgten Entwässserung in regelmäßigen Abständen überschwemmt worden ist. Der alte Flußlauf der Oder bildet den Lieper sowie den Oderberger See. Nebenflüsse der Oder sind links der Bober, der ihr in der Höhe von Crossen große Wassermengen zuführt, die Lausitzer (auch Görlitzer) Neiße, die einen Teil der Gewässer des Lausitzer und Isergebirges an Forst und Guben vorbei zur Oder führt, die bei Biesenthal entspringende Finow sowie rechts die Faule Obra und die Warthe, die durch einen Kanal miteinander verbunden sind. Die Warthe mündete ursprünglich oberhalb Küstrins, bis ihre Mündung 1786 durch einen Kanal unterhalb Küstrins verlegt worden ist. Rechts bei Zantoch, in der ehemaligen Neumark, empfängt sie die Netze, die wiederum durch den Bromberger Kanal mit der Brahe, einem Nebenfluß der Weichsel, verbunden ist. 3 Horst Kröhan, Ausbau der Wasserstraßen, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Lfg. 9 [mit Beiheft]; Werner Natzschka, Berlin und seine Wasserstraßen, Berlin 1971; Hans-Joachim Uhlerriann, Berlin und die Märkischen Wasserstraßen, Berlin 1987.
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Geographische Grundlagen und politische Gliederung
Im Nordwesten der Mark Brandenburg bildete auf 80 Kilometer die dem Riesengebirge entspringende Elbe die Grenze zu den ehemaligen Provinzen Sachsen und Hannover. Unter ihren Nebenflüssen ist die in Mecklenburg entspringende und eine Reihe von 27 Seen durchfließende Havel der bedeutendste. Sie erreicht in Höhe des Klosters Himmelpfort erstmals märkischen Boden und fließt dann in Richtung Süden an Zehdenick, Liebenwalde, Oranienburg und Spandau vorbei bis nach Potsdam, in Richtung Westen an Werder, Paretz, Ketzin und Brandenburg vorbei bis nach Plaue. Hier fließt sie nordwestlich über Rathenow bei Quitzöbel d e r Elbe zu. Eine Reihe von Seen (Heiliger See, Tegeler See, Wannsee, Jungfernsee, Fahrlander See und Schwielowsee, der Beetzsee und Plauer See) werden von der mittleren Havel gebildet. Nebenflüsse sind die in Höhe des Lausitzer Gebirges entspringende Spree, die bei Spremberg die Mark erreicht und mit ihren zahlreichen Armen das Gebiet des Spreewaldes bildet, die Nuthe sowie unterhalb Brandenburgs die Plaue. Mit der Oder ist die Spree durch den Oder-Spree-Kanal und den Müllroser Kanal verbunden. Nach der Kanalmündung fließt sie nordwestlich der Havel zu, umschließt Köpenick und mündet unterhalb Charlottenburgs in die Havel. Nebenflüsse der Spree sind die Malche, die innerhalb Berlins mündende Panke sowie die Dahme (auch Wendische Spree), die das Wasser mehrerer Seen aufnimmt und bei Köpenick mündet. Weitere Nebenflüsse der Havel sind die auf dem Hohen Fläming entspringende Nuthe sowie die unterhalb Brandenburgs mündende Plaue. Als Abfluß mehrerer Seen fließt der Rhin aus dem Rheinsberger See durch den Ruppiner See und westlich an Fehrbellin vorbei zur Havel. An der Mecklenburgischen Grenze entspringt die Dosse, und den Südwesten der Mark durchfließt die Kleine Elster, ein Nebenfluß der Schwarzen Elster. Die Mark Brandenburg verfügt über sehr lange schiffbare Wasserstraßen - natürlicher und künstlicher Art. Elbe und Oder gaben und geben dem Territorium in ihrer handels- und verkehrspolitischen Bedeutung die wirtschaftspolitische Grundlage, andere landesgliedernde Flüsse (unter anderem Spree und Havel, Netze und Warthe) erschließen die Mark von Ost-Südost nach West-Nordwest. Diese natürlichen Wasserstraßen wiederum wurden durch Kanäle miteinander verbunden, so daß innerhalb der Mark ein Verkehrsnetz von überregionaler Bedeutung entstand, welches von der Elbe zur Oder und Weichsel bis in das Innere Rußlands reichte und wichtige Handelsstraßen schuf. Doch auch siedlungspolitisch hatte das Verkehrsnetz eine nicht zu unterschätzende Bedeutung: so sind im Laufe der Jahrhunderte große Teile der Altmark, Mittelmark und Neumark auf Wasserwegen siedlungsmäßig erschlossen worden. Insgesamt verbinden das Oder- und Elbegebiet vier Kanäle: der Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin, der über Oranienburg, Liepe und Hohensaathen führt, der zur Havel führende 69 Kilometer lange Finowkanal, der zur Spree führende 28 Kilometer lange Müllroser Kanal sowie der Oder-Spree-Kanal, der bei Fürstenberg an der Oder beginnt, dann bei Schlaubehammer den Müllroser Kanal erreicht, über Kaisermühl, Müllrose, Biegenbrück und Buschschleuse weiterführt und später gemeinsam mit dem Kersdorfer See ein neues Flußbett bildet. Von hier aus bis zur Ablage Große TVänke dient dann die Spree zunächst selbst als Wasserstraße. Ein neu angelegtes Flußbett führt weiter zum Wernsdorfer See und von diesem zum Seddinsee, der wiederum mit der bei Köpenick in die Spree mündende Dahme ver-
Geographie
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bunden ist. Die Gesamt-Kanallänge beträgt unter Einbeziehung des Spreebettes 86 Kilometer, ohne Spreebett 66 Kilometer. Auch das Havel-Spree-Gebiet ist durch mehrere Kanäle miteinander verbunden: Der von 1743 bis 1745 bzw. 1865 bis 1871 angelegte Plauer Kanal führt von der Havel zur Elbe und sorgt für verkürzte Schiffahrtszeiten zwischen Brandenburg und Magdeburg. Der 1787 bis 1788 angelegte Ruppiner Kanal führt unterhalb des Ruppiner Sees zur Havel, und der 1906 eröffnete Teltowkanal umgeht südlich von Berlin die Spree und stellt zwischen Oberspree und Havel eine wichtige Verkehrsverbindung dar. Der 1774 eröffnete Bromberger Kanal verbindet die Netze mit der in die Weichsel fließenden Brahe, so daß es auch eine Verbindung zwischen Weichsel und Elbe gibt. Die Mark Brandenburg war in vorindustrieller Zeit ein ausgesprochenes »Waldland«, bis weite Teile ihres Bestandes der Besiedlung, dem Ausbau von Städten und Dörfern, Verkehrsbauten, aber vor allem der Industrialisierung weichen mußten. 4 In seiner usprünglichen Form war DER MÄRKISCHE W A L D ein Mischwald mit den verschiedensten Baumarten; erst menschliches Einwirken formte ihn mehr oder weniger zu einer Monokultur. So besteht heute der weitaus größte Teil des brandenburgischen Waldes aus anspruchslosem Kiefernwald, und nur ein geringer Teil entfällt auf Buchenwald und andere Holzarten wie Birke, Eiche und Linde. Ausgedehnte Buchenwälder befanden sich auf den Gebieten der Grund- und Endmoränen in der ehemaligen Neumark, der Uckermark und des Barnim. Zwischen 1130 und 1330 erfuhr die Mark im Zuge der deutschen Ostbewegung die stärkste Verringerung ihres Waldbestandes. So wurden die bereits aus germanischer und slawischer Zeit bestehenden Siedlungskammern überwiegend durch Brandrodungen erweitert; in den zuvor von Buchen-, Eichen- oder Mischwald durchsetzten Arealen entstanden neue Siedlungs- und Wirtschaftsflächen. Diese von Menschen umgestaltete Kulturlandschaft blieb dann im wesentlichen bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein unverändert; auch Abholzungen und Aufforstungen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben den Waldbestand der Fläche nach nur geringfügig verändert, und noch vor 1945 umfaßte er mehr als ein Drittel der Gesamtfläche der Provinz. Doch die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunehmende Industrialisierung mit ihren umweltzerstörenden Folgeerscheinungen (es sei vor allem an den Braunkohlenbergbau in der Niederlausitz erinnert) hat das Landschaftsgefüge der Mark weitgehend verändert. Das heutige Bundesland Brandenburg ist ein Konglomerat von moderner Industrielandschaft, traditioneller Agrarlandschaft und einem kleinen Rest geschützter Naturlandschaft, wie z.B. dem Spreewald.
4 L. Hein, Die Entwicklung der brandenburgischen Wälder seit der Eiszeit, in: W. R. MüllerStoll (Hrsg.), Die Pflanzenwelt Brandenburgs, Berlin-Kleinmachnow 1955; Karsten Bremer, Veränderung der Waldverbreitung 1780-1860-1940, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Lfg. 43 [mit Beiheft]; Wolfgang Scharfe, Wandel der Kulturlandschaft 1820-1939, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Lfg. 29 [mit Beiheft], sowie ergänzend: Kurt Hueck, Das Pflanzenkleid der Provinz Brandenburg, in: Märkisches Heimatbuch, S. 51-90..
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Landschaften Nach der deutschen Besiedlung des mittleren Elbe-Oder-Gebietes - von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts an - bildeten sich Landschaftsnamen heraus, von denen nicht immer deutlich wird, ob sie an geographische oder politische Gegebenheiten anknüpfen. Das bedeutendste mittelalterliche Wirtschaftsregister Brandenburgs, das Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375, teilt die Mark in fünfprovinciae ein, quarum provinciarum una vocatur Nova Marchia Brandenburgensis, altera Antiqua Marchia Brandenburgensis, tercia Prigniez, quarta Ukrara et quinta Marchia trans Oderam.5 Für das zwischen Elbe und Oder gelegene Gebiet ist später die Bezeichnung Media Marchia oder »Mittelmark« üblich geworden; der Begriff Nova Marchia oder »Neumark« haftete nun an dem jenseits (östlich) der Oder gelegenen Territorium, der Marchia trans odera[na]. Von der linkselbischen ALTMARK6 ging die deutsche Eroberung und Besiedlung der späteren Mark Brandenburg aus. Die einheitliche Gesamtbezeichnung {Antiqua Marchia, »Olde Mark«) bildete sich erst im Spätmittelalter heraus. Zuvor haftete der Begriff an kleineren Siedelbereichen (antiqua marchia Stendalgensis, 1510), und erst durch die Zusammenlegung der Vogteien Stendal, Tangermünde, Gardelegen, Salzwedel und Osterburg für Agnes, der Witwe des letzten Askaniers, des Markgrafen Waldemar, erfolgte die Übertragung des Namens auf ein größeres Gebiet, das unter den Wittelsbachern zu einer (Land-)Vogtei ausgestaltet worden ist.In der topographischen Beschreibung der Mark des karolinischen Landbuches heißt es bereits: Marchia transalbeana alio nomine antiqua Marchia dicitur et est pars Marchie Brandeburgensis tendens versus occidentem usque ducatum Brunswicensem.7 Gegenüber den ostelbischen Landschaften Brandenburgs hat die Altmark zwar immer eine (begrenzte) Sonderentwicklung genommen, doch blieb sie bis zur preußischen Verwaltungsreform von 1815/22 konstitutiver Teil der Mark bzw. des Kurfürstentums Brandenburg. Seitdem gehörte die Altmark zur preußischen Provinz Sachsen, nach 1945 zur Provinz Sachsen-Anhalt, ab 1947 zum Land Sachsen-Anhalt und von 1952 an zum Bezirk Magdeburg; 1990 ist sie dem Land Sachsen-Anhalt inkorporiert worden. Das Kerngebiet der Mark Brandenburg bildet die zwischen Elbe und Oder gelegene MITTELMARK, die sich in mehrere historische Landschaften gliedert: Marchia media est inter Albeam et Oderam situata, et quia magna est, subdividitur in novem territoria, quorum nomina sunt hec: Lubus, Barnym, Czucha, Teltow, Terra Obula [Havelland], Glyn, Prignetz, Ukera, Comitatus Lindowensis [Ruppin].8 Das Land5 Johannes Schultze (Hrsg.), Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, Bd. 8,2), Berlin 1940, S. 2. Die »Beschreibung der Mark«, die Schullze seiner Edition voransetzt, stammt aus dem Jahre 1373 und ist separat überliefert. Zu den Landschaftsnamen vgl. Herbert Ludat, Die Namen der brandenburgischen Territorien, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 46 (1934), S. 166-175. 6 Hans K. Schulze, Altmark, in: Berent Schwinekoper (Hrsg.), Provinz Sachsen Anhalt (= Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, Bd. 11), Stuttgart 1975, S. 12f. 7 Schultze, Das Landbuch, S. 62. 8 Schultze, Das Landbuch, S. 63.
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buch ordnet die Landschaften wohl nach ihrer Aufnahme in das Register durch die Erhebungskommission; hier werden sie in »historischer« Reihenfolge beschrieben:9 Die ZAUCHE 10 (slawisch: »trockenes Land«) war ein Teil des Gaues Heveldun (slawisch: Stodor) und wurde um 1127/29 von dem Stodoranen-Fürsten Pribislav-Hein9 Die Beschreibung der Kreiszugehörigkeit der hier folgenden Landschaften nach 1815 stützt sich auf folgende Handbücher, Nachschlagewerke bzw. Verwaltungsberichte: Walter Hubatsch (Hrsg.), Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Reihe A: Preußen, Bd. 5: Brandenburg, bearb. von Werner Vogel, Marburg an der Lahn 1975; Christian Engeli/Felix Escher/Peter-Michael Hahn/Andreas Splanemann/Werner Vogel, Provinz Brandenburg und Berlin, in: Gerd Heinrich/Friedrich Wilhelm Henning/Kurt G.A. Jeserich, Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945. Organisation, Aufgaben, Leistungen der Verwaltung, Stuttgart-Berlin-Köln 1993, S. 677-829; Brandenburg Kommunal, H. 4 (Dezember 1992/Januar 1993), hrsg. vom Ministerium des Innern des Landes Brandenburg, Potsdam 1993. 10 Vgl. den Abschnitt »Zur Geschichte der Zauche« in Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen der Zauche (= Brandenburgisches Namenbuch, Τ. 1), Weimar 1967, S. 28-30, sowie Hans-Dietrich Kahl, Zauche, in: Gerd Heinrich (Hrsg.), Berlin und Brandenburg (= Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, Bd. 10), 2. Aufl., Stuttgart 1985, S. 401f. [dort auch weitere Literatur].
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rich von Brandenburg als Allodialgut dem Askanier Albrecht dem Bären abgetreten, nach der schriftlichen Überlieferung als Patengeschenk für dessen Sohn, dem späteren Markgrafen Otto I. Damit faßten die Askanier in der späteren Mark Brandenburg Fuß. Als Haupt- und Vorort dieses Gebietes gründeten sie die Neustadt Brandenburg und als Hauskloster die Zisterze Lehnin. Als Vogteiorte bildeten sich Treuenbrietzen, Ziesar und Görzke heraus. In der Frühen Neuzeit entstanden die Ämter Lehnin, Potsdam und Saarmund, die den alten Zauchischen Kreis bildeten. Unter Hinzufügung neuerworbener Teile des früheren sächsischen Rurkreises entstand daraus 1815/16 der neue Kreis Zauch-Belzig mit Sitz in Beizig, der seit 1952 auf die Kreise Beizig, Jüterbog, Potsdam und Brandenburg-Land aufgeteilt war und zum Bezirk Potsdam gehörte. Seit 1993 ist das Gebiet Teil des Großkreises PotsdamMittelmark. Der Name des FLÄMING11 ist auf die niederländischen (flämischen) Bauern zurückzuführen, die das Diluvialplateau südlich des Glogau-Baruther Urstromtales (östlich von Magdeburg bis an den Rand des Spreewaldes) seit dem hohen Mittelalter besiedelt haben und auch kulturell prägten. TVäger dieser Siedlung waren vor allem die Erzbischöfe von Magdeburg, die Bischöfe von Brandenburg und die Askanier. Das Gebiet um Beizig gehört zum »Hohen Fläming«, der Bereich um Jüterbog zum »Niederen Fläming«; es handelt sich hierbei um Abgrenzungen, die auf die kirchliche Gliederung (des Bistums Brandenburg) zurückgehen. Während der Hohe Fläming im Mittelalter zu Kursachsen gehörte, lag der Niedere Fläming im Herrschaftsgebiet des Erzbistums Magdeburg. Er blieb (mit Kloster Zinna, Luckenwalde, Baruth und Dahme) bis 1680 magdeburgisch; Zinna und Luckenwalde kamen dann zu Brandenburg und gehörten im 18. Jahrhundert zum Hauptkreis Luckenwalde. 1815 sind auch die übrigen Gebiete des Niederen Fläming zur Provinz Brandenburg geschlagen worden und bildeten nun den Kreis Jüterbog-Luckenwalde, während Teile des Hohen Fläming zum Kreis Zauch-Belzig gehörten. Erst die Neugliederung 1952 änderte diese Zuordnung. Nun gab es die eigenständigen Kreise Beizig, Jüterbog und Luckenwalde. Das Gebiet um Baruth kam zum Kreis Zossen, der Bereich um Dahme zum Kreis Luckau (Bezirk Cottbus), einige Dörfer des Hohen Fläming zu den Kreisen Jüterbog und Wittenberg. Seit 1993 ist der Niedere Fläming Teil des Großkreises Teltow-Fläming, der Hohe Fläming gehört teils zum Kreis Potsdam-Mittelmark, teils zum Land SachsenAnhalt. Zwischen Dosse, Elbe und Eide gelegen bildete sich (um 1350) die PRIGNITZ12 als historische Landschaft heraus. Sofern der Name Prignitz auf eine germanische
11 Fritz Geisthardt, Der Fläming, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 174f; Günter Mangelsdorf, Abriß der Besiedlungsgeschichte des Niederen Flämings, in: Gerhard Schlimpert, Die Ortsnamen des Kreises Jüterbog-Luckenwalde (= Brandenburgisches Namenbuch, T. 7), Weimar 1991, S. 7-28, sowie Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Kreises Beizig (= Brandenburgisches Namenbuch, T. 2), Weimar 1970, bes. S. 9. 12 Christa Plate, Die Besiedlungsgeschichte der Prignitz, in: Sophie Wauer, Die Ortsnamen der Prignitz (= Brandenburgisches Namenbuch, T. 6), Weimar 1989, S. 9-29, sowie Eberhard Böhm, Prignitz, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 325f. [mit Literatur],
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Wurzel zurückgeht, könnte er aus dem Niederfränkischen stammen und eine »Niederung« bezeichnen; sollte er slawischen Ursprungs sein, steht er für die Bezeichnung »Krümmung«. In vordeutscher Zeit siedelten mindestens vier slawische Stämme im Bereich der späteren Prignitz. Das 948 gegründete Bistum Havelberg besaß drei Burgwarde in der Prignitz. Nach dem Wendenkreuzzug von 1147 faßten neben den Askaniern mehrere edelfreie Geschlechter in der Prignitz Fuß. Um 1200 gab es elf terrae, also politische Bezirke mit den Orten Grabow, Lenzen, Wittenberge, Perleberg, Pritzwalk und Putlitz als Mittelpunkt, die den Edlen Gans von Putlitz gehörten sowie Kyritz und Wusterhausen, die den von Plotho gehörten, Wittstock, Netzow und eine Stadthälfte von Havelberg, die dem Havelberger Bischof gehörten (die zweite Hälfte dem Markgrafen), doch bereits hundert Jahre später befand sich die gesamte Prignitz (mit Ausnahme des bischöfliches Landes sowie der Bezirke Wittenberge und Putlitz, die den Edlen Gans von Putlitz verblieben waren) in den Händen der Markgrafen, die allerdings große Teile wieder verpfänden mußten. Nach dem Aussterben der Askanier gelangte Grabow an Mecklenburg, Wusterhausen an Ruppin. Alle übrigen Teile bildeten von nun an eine territoriale Einheit, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Territorium galt, und für die ein Landvogt bezeugt ist. In den Wirren der nachkarolinischen Zeit waren die großen Adelsfamilien Machtträger in der Prignitz. Innerhalb der märkischen Ritterschaft bildete die Prignitz einen Kreis, aus dem seit dem 17. Jahrhundert sieben Unterkreise hervortraten, die aber in keinem Zusammenhang mit den alten terrae standen. Mit den Zentren Perleberg für die Westprignitz und Kyritz für die Ostprignitz entstanden 1817 daraus zwei neue Kreise. Nach 1952 gehörte die Westprignitz zum Bezirk Schwerin, die Ostprignitz zum Bezirk Potsdam und Havelberg zum Bezirk Magdeburg. Die administrative Neugliederung von 1993 schuf die Großkreise Prignitz und Ostprignitz-Ruppin. Das engere Gebiet des Landes RUPPIN 13 ist zwischen Temnitz im Westen und der Ruppiner Seenrinne im Osten zu lokalisieren. Das in spätslawischer Zeit vom lutizischen Teilstamm der Zamzizi bewohnte Rhinsee-Gebiet haben 1214 die Edelfreien Grafen von Arnstein erworben, die sich später als Grafen von Lindow (-Ruppin) bezeichneten. 1319 gelang ihnen die Erweiterung ihres Herrschaftsgebietes um die Lande Wusterhausen und Gransee, nachdem sie bereits zuvor das Gebiet um das Kloster Lindow sowie Teile der Lietze mit Dossow, Goldbeck und Rheinsberg unter ihre Landesherrschaft gebracht hatten. Nachdem unter den Hohenzollern die lehnsrechtlichen Bindungen an die Landesherrschaft bereits stärker geworden waren, fiel die Grafschaft Ruppin nach dem Aussterben der Arnsteiner 1524 an Brandenburg, ohne jedoch seine ständische Selbständigkeit und steuerfiskalische Einheit innerhalb der alten Landesgrenzen zu verlieren, woran auch die Kreisreform von 1815 mit der Inkorporierung des Landes Löwenberg wenig änderte. 1952 wurde der Landkreis auf die neuen Kreise Kyritz, Neuruppin und Gransee verteilt. Seit 1993 gehört die frühere Grafschaft zum Großkreis Ostprignitz-Ruppin.
13 Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 1, Berlin 1961, S. 247-252, sowie Gerd Heinrich, Ruppin, in: Ders., Berlin und Brandenburg, S. 343f.
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Das HAVELLAND14 bildet innerhalb der Mark Brandenburg eine Insel, indem es im Osten, Süden und Westen von der Havel und im Norden vom Rhin begrenzt wird. Rhin und Havel, heute durch den Ruppiner Kanal miteinander verbunden, waren auch schon in mittelalterlicher und vormittelalterlicher Zeit durch einen natürlichen Flußlauf miteinander verbunden. Die an das Havelland grenzenden Gebiete sind im Norden die Prignitz und das Land Ruppin, im Osten der Barnim, im Süden die Zauche, im Südwesten und Westen der Havelwinkel (Land Schollehne/Jerichow). Der Name »Havel« geht auf eine germanische Wurzel zurück und belegt, daß es eine Siedlungskontinuität von der germanischen zur Slawenzeit gegeben haben muß, denn die slawischen Heveller nannten ihr Land nach diesem Flußnamen Heveldun. Daneben trug es den slawischen Namen Stodor. Zusammen mit mehreren weiteren Gebieten Brandenburgs gehört das Havelland zwar einer gemeinsamen naturräumlichen Obereinheit, dem märkischen Mittelland an, das allerdings sehr heterogene physisch-geographische Strukturen zusammenfaßt. So gehören Teile von drei naturräumlichen Großeinheiten zum Havelland, die aber sämtlich über das engere Havelgebiet weit hinaus reichen. Auch die naturräumlichen Haupteinheiten des Havellandes sind so unterschiedlich, daß man hier von keiner geschlossenen Landschaft sprechen kann. Die Askanier sicherten sich ihre Herrschaft durch Einrichtung von Vogteien mit Sitz in Rathenow, Spandau, Potsdam, Fahrland und möglicherweise auch in Kremmen. Eine terra Havellant ist erstmals 1244 genannt. Auch das Landbuch Kaiser Karls IV. verzeichnet 1375 das Havelland, das sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in vier Bezirke gliederte. Gesondert erscheint der Glin als ein parvum territorium. Seit dem 16. Jahrhundert bildete das Havelland einen Unterkreis der mittelmärkischen Ritterschaft mit dem Landreitersitz Spandau. Die Provinzialgliederung von 1815 gliederte das Havelland in die Kreise Westhavelland mit Rathenow (aus dem die Stadt Brandenburg 1881 kreisfrei ausschied) und Osthavelland mit Nauen, zu dem auch der Glin gehörte. Aus ihm schied Spandau aus, das 1920 zusammen mit vier weiteren osthavelländischen Dörfern nach Berlin inkorporiert wurde. Die Verwaltungsreform der DDR von 1952/53 schlug das Havelland dem Bezirk Potsdam zu, mit Brandenburg und Potsdam als kreisfreien Städten. Dies sah auch die Kreisreform von 1993 vor, die darüber hinaus einen neuen Großkreis »Havelland« schuf. Ganz im Nordwesten des Havellandes liegt inmitten des Eberswalder- und des Berliner Urstromtales das RHINOWER LÄNDCHEN 15 , in einem ursprünglich unwegsa-
14 Hans-Ulrich Kamke, Die natürlichen Gegebenheiten im Havelland. Geomorpohologie und Böden, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Das Havelland im Mittelalter. Untersuchungen zur Strukturgeschichte einer ostelbischen Landschaft in slawischer und deutscher Zeit (= Germania Slavica, Bd. 5), Berlin 1987, S. 21-36; Klaus Grebe, Die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung des Havellandes, in: Reinhard E. Fischer, Die Ortsnamen des Havellandes (= Brandenburgisches Namenbuch, T. 4), Weimar 1976, S. 13-26, sowie das Kapitel »Zur Geschichte des Havellandes«, S. 44^8; Eberhard Böhm, Havelland, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 221. 15 Kamke, Die natürlichen Gegebenheiten, S. 25f.; Willy Specht, Stadt und Ländchen Rhinow (= Rathenower Wanderbuch, Bd. 3), Rathenow 1920, sowie Werner Vogel, Ländchen Rhinow, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 339.
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men Luchgebiet. Die Hochfläche des Ländchens blieb zunächst siedlungsfrei, während am Rande Ortschaften entstanden. Namengebend war der Fluß Rhin, der seinerseits die niederdeutsche Form des Rheins bildet, was auf die Herkunft der ersten Siedler vom Niederrhein schließen läßt. Aus dem ursprünglichen Kernbesitz der Askanier gelangte das Rhinower Ländchen um die Wende zum 14. Jahrhundert und nach dem Aussterben der Askanier an die Ruppiner Grafen, dann vorübergehend an den Bischof von Brandenburg und über weitere Adelsfamilien schließlich an die von der Hagen, die im Rhinower Ländchen seit 1441 nachweisbar sind und den Besitz bis 1945 hielten. Das Ländchen ist seit der Gebietsreform von 1993 Teil des Kreises Havelland. Der GLIN16 bildet eine flache, von einigen Kuppen überragte Diluvialplatte, begrenzt durch das Warschau-Berliner und das Thorn-Eberswalder Urstromtal. Hier liegt der »Krämer«, ein ausgedehntes unfruchtbares Dünengebiet mit Wald, während sonst meist fruchtbarer Lehmboden vorherrscht. Der Name »Glin« taucht erstmals in der verunechteten Spandauer Markgrafenurkunde von 1232 auf. Nachdem der Glin aus markgräflichen Besitz vorübergehend in die Hände der Herren von Rhinow gelangt war (1375), zählte er später zu den Bredowschen Besitzungen, die ihn mit dem Kreis Löwenberg zu einem politischen Gebilde vereinten. Um 1660 sonderte sich der vereinte Glin-Löwenbergische Kreis als ein Unterkreis vom übrigen Havelland ab, nur noch verbunden durch einen gemeinsamen Kreiskommissar. Eine 1770 durch das Generaldirektorium vorgenommene Verselbständigung des Kreises ist von den Ständen des Havellandes nicht anerkannt worden und konnte sich auch nicht durchsetzen. Im Ergebnis der Neugliederung der preußischen Provinzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts fielen Teile des Doppelkreises Glin-Löwenberg an die neuen Kreise Osthavelland, Ruppin und Templin. Nach der Verwaltungsneugliederung der DDR von 1952 gehörte das Gebiet zum Kreis Oranienburg, seit der Reform von 1993 gehört es zum Kreis Oberhavel. Eine Grundmoränenplatte zwischen Spree, Dahme, Notte, Nuthe und Havel bildet die Landschaft TELTOW17, deren Name seit dem 13. Jahrhundert überliefert und vermutlich aus dem Slawischen herzuleiten ist. In slawischer Zeit haben im Osten des Teltow die Sprewanen gewohnt, im Westen die Heveller bzw. Pionier. Frühe Verwaltungsmittelpunkte waren Mittenwalde sowie Trebbin und Köpenick, vermutlich aber auch Saarmund. Das Landbuch von 1375 bezeichnet das Land Teltow als
16 Berthold Schulze, Der Glin- und Löwenberger Kreis, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44 (1932), S. 203-207; Helmut Winz, Das Ländchen Glin Mark Brandenburg (= Berliner Geographische Arbeiten, H. 13), Berlin 1937, sowie Werner Vogel, Ländchen Glin, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 197f. 17 Vgl. den Abschnitt »Zur Geschichte und Siedlungsgeschichte des Teltow« in: Gerhard Schlimpert, Die Ortsnamen des Teltow (= Brandenburgisches Namenbuch, T. 3), Weimar 1972, S. 32-40; Gaby Huch (Hrsg.), Die Teltowgraphie des Johann Christian Jeckel (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 86), Köln-Weimar-Wien 1993, S. 11; Eberhard Böhm, Tütoui und Barnim. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte und Landesgliederung brandenburgischer Landschaften im Mittelalter (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 83), Köln-Wien 1978, S. 14, sowie Klaus Zernack, Teltow, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 373f.
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einen Gerichtsbezirk. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts rechnete man auch die von den Hohenzollern erworbenen böhmischen Lehnsherrschaften Zossen und Teupitz zum Teltow. Mit der Herausbildung der Kreise im 16. und 17. Jahrhundert bildeten Teupitz und Zossen zusammen mit der alten Vogtei Trebbin und der kurfürstlichen Herrschaft Wusterhausen einen »Ämterkreis«, der eigentliche »Hohe Teltow« einen Hauptkreis. Zusammen umfaßten sie den Beritt eines Landreiters und fungierten als Unterkreis der mittelmärkischen Ritterschaft. Von 1815 bis 1835 bildete der Teltow zusammen mit dem Land Storkow einen Kreis. Im Zuge des industriellen Wachstums von Berlin schieden mehrere Teltower Kreisstädte aus dem Kreisverband aus, so unter anderem Charlottenburg (1875), Schöneberg (1898), Rixdorf (1899), Wilmersdorf (1907). 1920 gingen die Stadt Köpenick, 25 Gemeinde und sieben Gutsbezirke an Berlin. Die Verwaltungsreform der DDR von 1952/53 löste auch den Restkreis Teltow auf und verteilte die übrig gebliebenen Gebiete auf die Kreise Potsdam-Stadt und Potsdam-Land, Zossen, Luckenwalde und Königs Wusterhausen. Seit 1993 gehört die historische Landschaft zu den neuen Großkreisen Teltow-Fläming und Dahme-Spreewald. Den Kern des BARNIM18 bildet eine Grundmoränenplatte. Umgeben ist dieses Areal von den Niederungen der Finow, des Roten Luches sowie der Spree und Havel. Im Innern des Barnim, dessen Name sich von der Kurzform des slawischen Personennamens Barnimir ableitet, befanden sich slawische Siedlungskammern, die von den Sprewanen, im Norden auch von den Riezanen und Ukranen errichtet worden waren. 1214 ließ Albrecht II. die Burg Oderberg errichten, so daß zu der Zeit zumindest ein Teil des Barnims sich in seinem Besitz befunden haben muß. 1232 nennt eine verunechtete Urkunde das »Land Barnim«. Um 1340 wird erstmals die »Vogtei Barnim« erwähnt, 1352 ist von einem districtus die Rede, so auch im Landbuch Kaiser Karls IV. (1375), das die Distrikte Strausberg und Berlin erwähnt. In den Schoßregistern von 1450/51 erscheinen diese Distrikte dann als Hoher Barnim bzw. Niederbarnim. Zusammen mit der Heide Werbellin gehörte auch die südliche Uckermark zum Barnim. Aus dem gesamten mittelalterlichen Territorium des Barnims haben sich bis 1800 die ständischen Kreise Oberbarnim und Niederbarnim entwickelt, die bereits ab 1816 staatliche Verwaltungsbezirke waren. Der Distrikt Berlin, die Lehniner Klosterdörfer, Zubehör der Burgen Bötzow (ohne Glin) und Liebenwalde gehörten zum Niederbarnim. Der Oberbarnim umfaßte den Distrikt Strausberg, in dem bereits zuvor die Vogteien Biesenthal und Oderberg aufgegangen waren, einen Teil des Oderbruchs, das Wriezener Land sowie die Zinnaer Klosterdörfer, die aber 1816 wiederum dem Niederbarnim zugeschlagen wurden. Ab 1861 mußte der Barnim mehrfach Gebiete an Berlin abtreten, und 1920 waren bereits neunundzwanzig Gemeinden und siebzehn Gutsbezirke nach Berlin inkorporiert. Die Verwaltungsreform von 1952 verteilte das Gebiet des Barnim auf die Kreise Bernau, Eberswalde, Bad Freienwalde, Strausberg, Seelow und Fürsten-
18 Rolf Barthel, Die Besiedlungsgeschichte des Barnim, in: Gerhard Schlimpert, Die Ortsnamen des Barnim (= Brandenburgisches Namenbuch, T. 5), Weimar 1984, S. 9-35; Böhm, Teltow und Barnim, bes. S. 192f., sowie ders., Barnim, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 12f.
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walde. Mit der Gebietsreform von 1993 ist ein neuer »Großkreis Barnim« entstanden, der Teile des historischen »Oberbarnim« umfaßt; der Niederbarnim ist weitgehend in die neuen Kreise »Märkisch Oderland« und »Oder-Spree« aufgegangen. Die historische UCKERMARK19 liegt im Brandenburgisch-Mecklenburgisch-Pommerschen Grenzgebiet. Der Name »Ucker« ist aus dem Slawischen abzuleiten (vikru, lit. vikrus - schnell). Der Flußname ist sowohl auf den Volksstamm {Vukraner, Ukrer) als auch auf die Landschaft übertragen worden. Das zunächst slawisch besiedelte Uckerland ist nach dem Slawenaufstand von 983 zunächst von den polnischen Herrschern bedrängt worden. Anschließend haben die Pommernherzöge das Land besiedelt. Von Süden her drangen die Askanier in das Uckerland vor und schlossen schließlich 1250 mit Herzog Barnim I. den Vertrag von Landin, der ihnen das Uckerland bis zur Randow im Osten und Pasewalk im Norden sowie bis zur mecklenburgischen Grenze im Westen sicherte, so daß sie die gesamte terra Uckera in ihrer Hand vereinigten. Sie errichteten Vogteien in Liebenwalde, Oderberg und Pasewalk, die später nach Jagow, die von Oderberg nach Stolpe verlegt wurden. Nach dem Aussterben der Askanier gewannen die Pommernherzöge einige Gebiete zurück, so den gesamten Ostrand des Uckerlandes, der seither als »Stolpirischer Kreis« bezeichnet wurde. Auf Pasewalk und Torgelow verzichtete Brandenburg 1448 endgültig. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verwalteten Kriegskommissare den Uckermärkischen und Stolpirischen Kreis. An ihre Stelle traten 1816 drei gleichberechtigte uckermärkische Landräte, die ihren Sitz in Prenzlau, Angermünde und Templin hatten. Die DDR-Verwaltungsreform von 1952 hat die Uckermark als Verwaltungseinheit vollständig aufgelöst, gänzlich neue Kreise gebildet und das Gebiet auf drei DDR-Bezirke aufgeteilt. Doch damit gehörte die Uckermark als politisch-administratives Gebilde durchaus nicht der Vergangenheit an. 20 Nachdem die uckermärkische Bevölkerung bereits 1990 für das wiederhergestellte Land Brandenburg votiert hatte, restituierte die Kreisreform von 1993 auch die Uckermark als Verwaltungseinheit. Das LAND LEBUS21, beiderseits der mittleren Oder gelegen, umfaßte das Stammesgebiet der slawischen Leubuzzi im Westen zwischen Stoberow, Löcknitz, Spree und Schlaube; es reichte im Osten bis zur Obra-Senke und den Lagower Seen, unter Einschluß des späteren Landes Sternberg. Seit dem 10. Jahrhundert lag Lebus in einer deutsch-polnischen Kontaktzone und blieb jahrhundertelang Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen, die sich nach Gründung des gleichnamigen Bistums (Lebus bei Frankfurt an der Oder) 1124/25 noch verstärkten. Kontrahenten waren die Piasten, die Pommernherzöge, die Markgrafen von Meißen, die Landgrafen von Thüringen und die Magdeburger Erzbischöfe. Gegen sie setzten sich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts die Askanier durch. Im Kampf gegen Großpolen und Pommern begründeten sie die Marchia transoderana, zu der seit dem 19 Lieselott Enders, Die Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 28), Weimar 1992, bes. S. 17f. und 20f., sowie Emil Schwartz, Uckermark, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 382f. 20 So Enders, Die Uckermark, S. 17; dort auch die Einzelheiten der Reform von 1952. 21 Herbert Ludat, Land Lebus, in: Heinrich, Berlin und Brandenburg, S. 250-252.
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Geographische Grundlagen und politische Gliederung
Jahrhundert der östlich der Oder gelegene Teil des Landes Lebus (das L A N D gehörte, während der westliche Teil des Landes Lebus in die Mittelmark inkorporiert wurde. Das Land Sternberg liegt südlich der Warthe und war Bestandteil des alten Territoriums Lebus. Benannt wurde es nach dem gleichnamigen Ort, der wiederum seinen Namen dem Magdeburger Erzbischof Ronrad von Sternberg verdankt, der vermutlich Ortsgründer war. Das Bistum Lebus bestand bis 1571. In der frühneuzeitlichen Ämterverfassung gehörte das Land Lebus östlich der Oder zum Sternbergischen Kreis, während westlich der Oder der Kreis Lebus im Mittelmärkischen Hauptkreis weiter bestand. Seit 1815 bildeten sowohl das links der Oder gelegene Lebus als auch das östlich der Oder gelegene Sternberg einen eigenen Landkreis. Seit 1873 in einen West- und einen Ost-Kreis geteilt, fiel Sternberg 1945 an Polen, das die preußische Kreisverfassung zugunsten einer Wojewodschafts-Verfassung ablöste. Lebus blieb in der SBZ als eigener Kreis erhalten, um nach der DDR-Verwaltungsreform in die neuen Kreise Seelow, Fürstenberg, Fürstenwalde und Strausberg aufzugehen. Dies änderte sich auch 1990 nicht, da auch die Kreisreform von 1993 den historischen Namen nicht wieder herstellte. Lebus ist nun Teil der Großkreise Märkisch Oderland und Oder-Spree. 13.
STERNBERG)
Die brandenburgische NEUMARK hatte nur im Westen und im Süden eine von den Flüssen Oder und Pleiske gebildete natürliche Grenze, das mit der Neumark verbundene Land Sternberg erstreckte sich nach Osten bis an die Obraniederung. In der topographischen Beschreibung des Landbuches von 1375 heißt es: Marchia transoderana subdividitur per flumen magnum, quod Warta dicitur, cuius pars maior trans flumen Warte versus septentrionem tendens usque Pruszyam ..., um davon alia pars transoderana versus orientem, que territorium Sterneberg appellatur ... zu unterscheiden. 22 Die Ausdehnung des »Landes Über Oder« nördlich der Warthe (also der ursprünglichen Neumark) nach Osten und Norden war durch die politischen Verhältnisse bestimmt. Hier setzten der pommersche und der polnische Herrschaftsbereich jeweils die Grenze. Die breite Wartheniederung trennte die beiden Landschaften. Die nördliche Landschaft ist gegliedert durch die von den Gletschern der Eiszeit gebildete baltische Endmoräne, die von Nörenberg südlich bis Schwachenwalde und von dort über Berlinchen, Karzig, Staffelde, Rostin westlich bis Zehden verläuft. Südlich davon erstreckt sich eine von dem Schmelzwasser gebildete Sanderfläche, auf der sich weite Forstgebiete befinden. Auch die nördliche Grundmoränenlandschaft zeichnet sich durch Fruchtbarkeit und Reichtum an Seen aus. Die historische Neumark bestand aus vier territorialen Einzelteilen: 1. Das Land oder die Mark »Über Oder« (terra transoderana) bildete die eigentliche Neumark (urkundlich zuerst 1397 erwähnt als neuwe mark obir Oder). Es handelt sich hierbei um den Raum nördlich der Warthe und östlich bis zur Drage sowie nach Norden bis zur Vogtei Schivelbein. 2. Das Land Sternberg (südlich der Warthe) war Bestandteil des alten Territoriums Lebus (siehe dazu oben zum Stichwort L E B U S ) . 3. Das Fürstentum Crossen mit Züllichau und Sommerfeld, sowie
22 Schultze, Das Landbuch, S. 66.
Landschaften
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4. die Herrschaft Cottbus mit Peitz, die jeweils als böhmisches Lehen an Brandenburg fielen. Schließlich trat 1742 Österreich das Land Schwiebus an Preußen ab, das es 1815 der neu gebildeten Provinz Brandenburg einverleibte und verwaltungsmäßig in Verbindung mit Züllichau mit dem neumärkischen Gebiet innerhalb des Regierungsbezirkes Frankfurt (Oder) vereinigte. Nach dem Tode Rurfürst Joachims I. war die Neumark als selbständiges Fürstentum 1535 an seinen jüngeren Sohn Johann (Hans von Rüstrin) gefallen, der während seiner Regierungszeit (bis 1571) eine eigene Verwaltung schuf, auf die auch die sieben überlieferten Landreiterbezirke in den drei »Vorderkreisen« (Rönigsberg, Soldin, Landsberg) und in den vier »Hinterkreisen« (Friedeberg, Arnswalde, Dramburg, Schivelbein) zurückgehen. Hinzu kamen vier »einverleibte« oder »inkorporierte« Rreise (Sternberg, Crossen, Züllichau, Cottbus). Besonderheiten in der Verwaltung gegenüber der Rurmark blieben seither bestehen 23 , so seit 1655 die Institution des »Landesdirektors« anstelle des Landrates in den Rreisen. Auch über die Provinzialordnung von 1815 hinaus tagten für die Neumark in Rüstrin gesonderte Rommunallandtage. Die Neuordnung von 1815 unterstellte die Neumark dem Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg bzw. der Regierung in Frankfurt an der Oder. Dramburg und Schivelbein kamen zur Provinz Pommern. Die 1815 geschaffene Rreiseinteilung ist bis 1945 mehrfach geändert worden. Die Neumark fiel nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen. Im Ergebnis des Ersten Weltkrieges kamen Teile des Warthe-Netze-Gebietes mit Teilen der preußischen Provinzen Westpreußen und Posen an Polen. Aus den deutsch gebliebenen Gebieten ist Ende November 1919 eine »GRENZMARK« POSENWESTPREUDEN 2 4 gebildet worden, die im Jahr 1922 den gesetzlichen Status einer »Provinz« gleichen Namens erhielt. Sie ist 1933 dem Gauleiter der Rurmark und Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, Wilhelm Rube, unterstellt worden. Erfolgreiche Bestrebungen Rubes, die Grenzmark Posen-Westpreußen in die Provinz Brandenburg zu inkorporieren, scheiterten allerdings nach seinem politischen Sturz 1938. Die Grenzmark fiel an Pommern, mit Ausnahme der Landkreise Meseritz und Schwerin, die (bis 1945) bei Brandenburg blieben, als Teile des Regierungsbezirkes Frankfurt (Oder). Die historische Markgrafschaft NIEDERLAUSITZ 2 5 gehört dem norddeutschen Tiefland an. Ihre in den Urstromtälern gelegenen Niederungen (Spreewald) sind mit Talsand- und Sanderflächen durchsetzt. Der Lausitzer Grenzwall trennt die Niederlausitz von der Oberlausitz, dem historischen Land Budissin. Die Grenzen des Landes bzw. der Mark Lausitz, also des späteren Markgrafentums Niederlausitz,
23 Peter-Michael Hahn, Die Neumark als Beispiel für die Verwaltung Preußens vor 1815, in: Heinrich/Henning/Jeserich, Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, S. 681-707. 24 Vgl. Hubatsch, Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte, S. 139f., sowie vor allem Kurt G. A. Jeserich, Die Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, in: Heinrich/Henning/Jeserich, Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, S. 495-687. 25 Rudolf Lehmann, Geschichte der Niederlausitz (= Veröffentlichungen der Berliner Historischen Rommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 5), Berlin 1963, bes. S. 1-5.
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Geographische Grundlagen und politische Gliederung
sind im Laufe der Zeit mehrfach verändert worden, insbesondere seit dem Ausgang des Mittelalters, als nicht nur größere Randbezirke wie Senftenberg, SommerfeldBobersberg und Beeskow-Storkow verloren gingen, sondern vor allem auch das Zentrum des Landes, das Herrschaftsgebiet von Cottbus und Peitz. Diese losgelösten Teile bildeten fortan Verwaltungseinheiten der Staaten, zu denen sie nunmehr gehörten, also von Sachsen und von Brandenburg-Preußen. Das Gebiet um Senftenberg, Lauchhammer, Spremberg und Hoyerswerda ist wegen seiner umfangreichen Braunkohlevorkommen von wirtschaftlicher Bedeutung. Das verbleibende Restgebiet hatte eine politische Sonderstellung inne. Geschichtlich-geographisch ist die Niederlausitz aber weiter zu fassen. Sie bildet eine Landschaft zu beiden Seiten der mittleren Spree und der unteren Neiße, von der Schwarzen Elster und Dahme im Westen bis zum Bober im Osten. Erst seit 1815 gehörte die Niederlausitz zur preußischen Provinz Brandenburg und innerhalb der Provinz Brandenburg zum Regierungsbezirk Frankfurt (Oder). Die niederlausitzischen Gebiete östlich der Neiße kamen 1945 an Polen, die Gebiete westlich der Neiße gehörten nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zum Land Brandenburg. Mit der Verwaltungsreform der DDR von 1952 sind sie in den neuen Bezirk Cottbus inkorporiert worden. Die Länderbildung in der DDR von 1990 brachte die Niederlausitz wieder zu Brandenburg, und zwar als eigenen Regierungsbezirk mit Cottbus als Zentrum. In der Niederlausitz hat sich bis heute eine slawische Volksgruppe (die Sorben) mit eigener Kultur und eigener Sprache erhalten, die hauptsächlich im Spreewald siedelt.
Grenzen und Verwaltungsgliederung haben offensichtlich nicht innerhalb fester Grenzen gesiedelt. Das trifft für die Jäger und Sammler des Paläolithikums und des Mesolithikums ebenso zu wie für die bronzezeitlichen Kulturen, also die Aunjetitzer Kultur, die Lausitzer Kultur und den Nordischen Kreis, aber auch für die Billendorfer und die Göritzer Gruppe der frühen Eisenzeit sowie für die Jastorfkultur. Von ihnen allen haben sich punktuelle Bodenfunde erhalten, ohne damit exakt bestimmen zu können, wie weit sich jeweils ihr Siedlungsgebiet erstreckte. Auch von den Semnonen und den Burgunden, die während der Römischen Kaiserzeit in Brandenburg ansässig waren und die dann mit der Völkerwanderung westwärts abzogen, können wir nach den Funden nur annähernd feststellen, wo sie gesessen haben. Danach reichte das Siedelgebiet der Burgunden von der Ucker südwärts beiderseits der Oder und beiderseits der Spree bis weit in den Raum der Lausitz hinein, westlich von ihnen siedelten beiderseits der Havel bis zur Elbe die Semnonen. Ihnen benachbart waren östlich der Elbe die Langobarden und südlich der Elbe-Saale-Linie die Hermonduren. 26 V O R - U N D FRÜHGESCHICHTLICHE KULTUREN
26 Wolfgang Taute, Paläolithikum, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Nachträge 7, Berlin-New York 1980; Adriaan von Müller, Römische KaiserzeitI, in: Heinrich u.a., Historischer
Grenzen und Verwaltungsgliederung
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Den germanischen Völkerschaften folgten gegen Ende des 6. Jahrhunderts n.Chr. slawische Stämme, die den Flüssen und Niederungen folgten und um die Gewässer herum siedelten. 27 Ob die Slawen mit einer Gauverfassung gelebt haben, ist nicht überliefert. Wenn die deutschen bzw. lateinischen Quellen trotzdem von Gauen berichten, so vor allem deshalb, weil die Aufteilung des slawischen Gebietes ihnen vertraut erschien. Zwar ist die Bezeichnung pagus am häufigsten, doch zeigen die synonym benutzten Begriffe provincia, terra und regio, daß der Sprachgebrauch der Quellen nicht einheitlich ist. Dies bekräftigt die Ansicht, daß eine bereits vorhandene »Sache« (Einteilung in bestimmte, verfassungsmäßig zusammengehörige Gebiete) nur noch »benannt« wurde. Ob aus den Namen dieser Gebiete die Bezeichnung der Stämme abgeleitet oder ob die Siedlungsgebiete nach ihnen benannt wurden, kann so nicht entschieden werden. Unsicher war die Vorstellung von beiden. So werden die Einwohner des Heveldun, die Hevelli bzw. Stodorani abwechselnd als natio, gens und populus bezeichnet. Wahrscheinlich waren die einzelnen Stämme der Slawen eigenständig, besonders in verfassungsmäßiger und religiöser Hinsicht. Die staatliche Selbständigkeit der slawischen Gaue wird besonders deutlich, als es nach den Sachsenkriegen Karls des Großen zur Berührung zwischen den Völkern östlich der Elbe und dem Frankenreich kam. In den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen befindet sich mehrfach ein slawischer »Gau« allein im Kampf gegen die Deutschen. Versuche, von den Grenzmarken des Beiches aus die slawischen Gaue Mitte des 10. Jahrhunderts zu erobern, blieben nur zeitweise erfolgreich. Nachdem 983 ein Aufstand der Slawen die alte Ordnung wieder hergestellt hatte, gelang es erst Mitte des 12. Jahrhunderts, eine deutsche Herrschaft in diesem Gebiet zu begründen. 28 Im Hinblick auf die nun entstehende Mark Brandenburg waren die aus dem Nordharz stammenden Askanier erfolgreich. Sie setzten sich in Konkurrenz zu zahlreichen weltlichen und geistlichen Herren im Kampf um das Markengebiet durch, und es gelang ihnen in zähen Auseinandersetzungen mit ihren Kontrahenten einen fast flächendeckenden Territorialstaat zu errichten, der von der westelbischen Altmark bis zur östlich der Oder gelegenen Neumark reichte, und der im Norden an den Herrschaftsbereich der Pommernherzöge grenzte, im Westen an die weltlichen Besitzungen des Erzstifts Magdeburg, im Süden an die Herrschaftsbereiche der Wettiner und jenseits der Oder in steter Auseinandersetzung mit dem polnischen Königtum begriffen war. Die Askanier haben die Mark Brandenburg in Auseinandersetzungen mit anderen deutschen und slawischen Fürsten (weltliche und geistliche) oder durch ErbHandatlas, Lfg. 59 [mit Beiheft]; ders., Römische Kaiserzeit II, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Nachträge 1, Berlin-New York 1980, sowie ders., Spätgermanische und frühslawische Zeit, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Lfg. 10 [mit Beiheft]. 27 Zu den einzelnen slawischen Stämmen und ihren Siedlungsgebieten vgl. den Beitrag von G. E. Schräge, unten S. 44-82, bes. S. 71-82. 28 Zur Forschungslage über die deutsch-slawische Symbiose seit der Mitte des 12. Jahrhunderts vgl. Wolfgang H. Fritze, Germania Slavica. Zielsetzung und Arbeitsprogramm einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, in: Ders., Germania Slavica I (= Berliner Historische Studien, Bd. 1), Berlin 1980, S. 11-40.
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Geographische Grundlagen und politische Gliederung
fall bzw. Verträge nach und nach erworben. 29 Unter Albrecht dem Bären ist dies kaum geschehen. Er war nicht ständig in der Mark anwesend; doch vor allem sein Sohn Otto I., der vor seinem Regierungsantritt ein Vierteljahrhundert mit seinem Vater gemeinsam als Markgraf fungierte, wurde langfristig in der Mark tätig. Er hatte nicht so sehr die Erweiterung der Grenzen nach außen im Auge als den inneren Ausbau. Erst unter Otto II. (1184 bis 1205) und seinem Halbbruder Albrecht II. (1205 bis 1220) wurde der Kampf der Askanier um die Vorherrschaft in den brandenburgischen Marken östlich der Elbe fortgesetzt, der dann schließlich unter Johann I. (1220 bis 1266) und Otto III. (1220 bis 1267) einen ersten Höhepunkt erreichte.In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts haben sich die Askanier in den Besitz des Teltow und des Barnim gebracht; fast die gesamte Prignitz und auch das nördliche Havelland sind in ihre Hände gelangt. Der verhältnismäßig glatte Landesausbau im Norden und Osten wurde im Süden durch den Widerstand der Wettiner gehemmt. Im Krieg mit Herzog Heinrich dem Erlauchten von Meißen (1239 bis 1245) um den Teltow versuchten die Askanier zunächst vergeblich, die Burgen Köpenick und Mittenwalde einzunehmen, doch ging die Oberlausitz durch die Heirat Ottos III. mit einer böhmischen Prinzessin in den Pfandbesitz der Askanier über (zwischen 1253 und 1264). Gemeinsam mit dem Magdeburger Erzbischof wurde um 1250 das Land Lebus aus polnischem Besitz erworben. Die Erweiterung der territorialen Grenzen war vom inneren Ausbau der Mark begleitet. Mehr als dreißig Jahre haben Johann I. und Otto III. gemeinsam regiert, bis sie sich zu einer Teilung der Mark entschlossen, um Streitigkeiten zwischen ihren Söhnen zu verhindern. 30 Diese Teilung erfolgte nicht nach geographischen Gesichtspunkten, sondern es ging, wie dies auch sonst bei solchen Vorgängen im Mittelalter üblich war, dabei um die Erträge, die Anzahl der Vasallen, und wenn hierbei wesentliche Unterschiede in den einzelnen Landesteilungen bestanden, mußte man jedem Teil einen Anteil in den verschiedenen Gegenden zuweisen, um auf solche Weise die möglichst größte Gleichheit der Lose zu erzielen. Nicht nur die Herrschafts-, auch die inneren Verwaltungsgrenzen Brandenburgs haben sich während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ständig gewandelt. An die Stelle der frühen Burgwarde mit ihren Burgward-Bezirken (10. Jahrhundert) gingen Vogteien mit Vogtei-Bezirken hervor bzw. wurden neu gegründet (seit dem 12. Jahrhundert). Der Feudalisierungsprozeß erforderte bald (seit dem 14. Jahrhundert) die Umwandlung der Vogteien in Landvogteien bzw. Landeshauptmannschaften, aus denen wiederum die neuzeitliche Kreisverwaltung hervorging, die in mehreren Schüben eine Modernisierung erfuhr. 31 In nachmittelalterlicher Zeit bildete sich auch in Brandenburg ein territorialer Flächenstaat heraus, dessen innere Struktur, DIE K R E I S E I N T E I L U N G , sich als relativ
29 Vgl. dazu den Beitrag von Helmut Assing, unten S. 85-165 bes. S. 53-101. 30 Berthold Schulze, Brandenburgische Landesteilungen 1258-1317 (= Einzelschriften der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, Bd. 1), Berlin 1928. 31 Gerd Heinrich, Die Mark Brandenburg 1319-1575, in: Heinrich u.a., Historischer Handatlas, Lfg. 36 [mit Beiheft].
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Grenzen und Verwaltungsgliederung
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168
Die Landesherrschaft der Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger
In dieser Situation starb im Mai 1410 König Ruprecht, und Markgraf Jost trat neben seinem Vetter Sigmund als Kandidat für die Nachfolge an. Die Wahl fiel zwiespältig aus, so daß neue innerluxemburgische Kämpfe zu erwarten waren, die auch die Mark Brandenburg in finanzieller Hinsicht noch härter mitgenommen hätten. Doch Jost überlebte die Wahl nicht lange: Am 18. Januar 1411 verstarb er in Brünn, und die Mark kam an Sigmund sowie - in Abhängigkeit davon, wie sich der Gedanke der Erbvereinigung mit Böhmen entwickelt hatte - an Wenzel, die noch überlebenden Erben Josts. Es dauerte nicht lange, bis eine erste Nachricht von Sigmund eintraf, die märkischen Stände mögen zur Huldigung nach Ungarn kommen. Sollte der jetzige Zustand festgeschrieben werden, oder hatte sich Sigmund zu einer neuen Haltung gegenüber der Mark durchgerungen? Die Erwartungen in der Mark waren groß, vor allem aber unterschiedlich, denn der märkische Adel setzte seinerseits gleich ein Zeichen: Als die Delegation die Reise nach Ungarn antrat, fehlte er bis auf einige wenige. Die Frage war, wie Sigmund diesen Fehdehandschuh hinnehmen würde.
Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollernschen Rurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts von Heidelore Böcker
Die Belehnung Burggraf Friedrichs VI. Jobst von Mähren, Markgraf von Brandenburg, starb am 18. Januar 1411, ohne eigene Nachkommen zu hinterlassen. Infolge dessen fiel die Markgrafschaft an seinen Vetter, König Sigmund, zurück. Anfang Juli 1411 erschien vor diesem in Ofen (ungarisch Buda) eine märkische Gesandtschaft. Die Gesandten klagten über unhaltbare Zustände in der Mark. Sie drängten auf Einsetzung eines Statthalters. Der König bestimmte den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg dazu. Die Burggrafen von Nürnberg aus dem schwäbischen Hause Zollern geboten über die bedeutendste Landesherrschaft im Frankenland. Als Inhaber eines unmittelbar vom König erteilten Fahnenlehens galten sie als zum Reichsfürstenstand gehörend. Ihre Herrschaft gliederte sich in zwei Teile: das Land zu Franken und das Land auf dem Gebirge. Bei einer 1385 verfügten Erbteilung war Friedrich als dem Jüngeren der geringere Teil, das Land Franken, zugefallen. Burg Nürnberg mit dem königlichen Landgericht behielten die Brüder Johann und Friedrich gemeinsam. 1 Burggraf Friedrich hatte seine enge Bindung an König Sigmund unter Beweis gestellt. Der 1410/1411 in Ungarn unabkömmliche König hatte ihn bevollmächtigt, bei der Königswahl im September 1410 die von Sigmund beanspruchte Kurstimme zu führen. König Sigmund ernannte den Burggrafen Friedrich VI. am 8. Juli 1411 zum obersten Hauptmann und Verweser in der Mark. Er gebot den Ständen und allen Einwohnern der Mark Brandenburg, Friedrich vndertenig gehorsam vnd gewertig zu sein2. Da die Mark noch auf Jahre einen Gewinn kaum erbringen konnte, billigte der König als Sicherungshypothek für Friedrich 100 000 rote ungarische Gulden zu. 1 Peter Moraw, Franken als königsnahe Landschaft im späten Mittelalter, in: Blätterfür deutsche Landesgeschichte 112 (1976), S. 125-138. 2 Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, hrsg. v. Adolph Friedrich Riedel, 4 Hauptteile [A bis D] mit 35 Bänden, Supplement, 5 Registerbänden, Berlin 1838-1869 [künftig zitiert: CDB], hier Β 3, S. 178-181, bes. S. 179 und 181 (1411 Juli 8); vgl. auch Gerd Heinrich, Geschichtliche Einführung, in: Ders. (Hrsg.), Berlin und Brandenburg (= Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 10), 2., verb. u. erw. Aufl., Stuttgart 1985, S. XV-XCVI, hier S. XLII.
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Ausbau zum fürstlichen Territorialstaat der Hohenzollern
Belehnung des Nürnberger Burggrafen Friedrich VI. mit der Mark Brandenburg und Umritt auf dem Ronstanzer Konzil, 18. April 1415. Illustration aus der handschriftlichen Chronik des Ulrich von Richenthal
Auf Friedrichs Bitte hin bewilligte dann, am 15. Dezember 1411, auch Sigmunds Bruder Wenzel, König von Böhmen, jene Übertragung einschließlich der Verschreibung von 100 000 Gulden, damit diese mit landen, lewten vnd vndersessen by seinen czeiten wider zu fride vnd gemache kome? Am 20. Dezember 1411 teilte König Wenzel seinerseits allen Bewohnern der Mark sein Einverständnis zur Übertragung an Burggraf Friedrich in howptmanschaffi weyse4 [!] mit. Im Herbst des Jahres 1414 begleitete Friedrich den König Sigmund nach Konstanz zum Konzil. Hier machte er sich als Feldhauptmann des Königs durch sein erfolgreiches Vorgehen gegen Herzog Friedrich von Österreich um das Zustandekommen des Konzils erneut verdient. In dieser Situation verlieh Sigmund dem Burggrafen Friedrich VI. am 30. April 1415 die Würde eines Markgrafen, Kurfürsten und Erzkämmerers des Heiligen Bömischen Beiches Deutscher Nation.5 Im Hinblick auf die zu erwartenden Proteste der böhmischen Stände behielt Sigmund sich, seinen männlichen Erben, seinem Bruder (dem Böhmenkönig Wenzel) und dessen Erben lediglich die Möglichkeit des Bückkaufs vor: für eine Summe von 400 000 ungarischen Gulden. Friedrich sicherte seinerseits am 3. Mai 1415 zu, die Mark 3 CDB Β 3, S. 187f., bes. S. 187 (1411 Dezember 15). 4 CDB Β 3, S. 191f., bes. S. 192 (1411 Dezember 20) 5 CDB Β 3, S. 2 2 6 - 2 2 9 (1415 April 3 0 ) .
Fürstliche Friedenssatzungen und Gewalt
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samt Kurrecht solle auch für den Fall an die Luxemburger zurückfallen, daß er römischer König würde oder erbenlos sterbe. 6 König Wenzel aber zögerte, den Anspruch der Krone Böhmens auf die Mark Brandenburg als Luxemburger Erbland aufzugeben. Noch am 30. Mai 1416 titulierte er Friedrich als Burggrafen zu Nuremberg.7 Mit großartiger öffentlicher Zeremonie empfing Markgraf Friedrich I. dennoch am 18. April 1417 in Konstanz von König Sigmund die feierliche Belehnung mit der Mark Brandenburg und allen Rechtstiteln.8 Die Pfandübertragung und damit die theoretische Möglichkeit einer Einlösung durch König Sigmund und seinen Bruder war damit aufgehoben und das Pfand in einen erblichen Besitz gewandelt. Als entscheidend aber galt und gilt der Akt von 1415, der direkt nach der faktischen Inbesitznahme der Mark durch Friedrich erfolgte.
Fürstliche Friedenssatzungen und Gewalt Ausgestattet mit landesherrlichen Vollmachten, war indes der allerdings ohne Zustimmung der märkischen Stände eingesetzte Burggraf Friedrich VI. am 22. Juni 1412 mit einem Gefolge fränkischer Ritter in der Mark eingetroffen. Um die Huldigung der Stände entgegenzunehmen, hatte er zu einer allgemeinen Ständeversammlung aufgefordert, die in der Stadt Brandenburg knapp drei Wochen später, am 10. Juli 1412, auch stattfand. 9 Doch der Burggraf stieß bei einem großen Teil des einflußreichen Adels auf Widerstand. Unruhe hatte sich verbreitet. Wann würde der Burggraf mit der Einlösung in Pfand genommener oder auf andere Weise entfremdeter Besitzungen beginnen? Sie lehnten den Süddeutschen (»Tand von Nürnberg«) ab. An der Spitze der Opposition standen die vor allem in der Mittelmark begüterten Herren von Quitzow sowie Kaspar Gans zu Putlitz, Erbmarschall und Hauptmann der Altmark.10 Größtes Interesse an einer Beruhigung der Situation hatten hingegen die Städte. In fast allen mittelmärkischen Städten wurde deshalb das Erscheinen des Burg-
6 CDB Β 3, S. 229-231 (1415 Mai 3). 7 CDB Β 4, S. 14f., bes. S. 14 (1416 Mai 30). 8 CDB Β 3, S. 255f. (1417 April 18). 9 CDB Β 3, S. 195 (1412 Juli 10). 10 Vgl. dazu Wolfgang Podehl, Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung von Altmark, Neumark und Havelland (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 76), Köln-Wien 1975; Gerd Heinrich, Nordostdeutscher Adel im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Bemerkungen zur Sozialverfassung regionaler Führungsschichten, in: Eckart Henning/Werner Vogel (Hrsg.), Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen. 1884 bis 1984, Berlin 1984, S. 104-125; Peter-Michael Hahn, Ade/ und Landesherrschaft in der Mark Brandenburg im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 38 (1987) S. 43-57; ders., Fürstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt. Die herrschaftliche Durchdringung des ländlichen Raumes zwischen Elbe und Aller (1300-1700) (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 72), Berlin-New York 1989.
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Ausbau zum fürstlichen Territorialstaat der Hohenzollern
grafen begrüßt.11 Ebenso ergriffen die Bischöfe von Brandenburg und Lebus mit den Geistlichen dieser Diözesen seine Partei. Aber auch bei den fürstlichen Nachbarn der Mark fand der Burggraf Bereitschaft zur Abhilfe. Schon am 19. September 1412 brachte Burggraf Friedrich ein auf zwei Jahre bemessenes Schutzbündnis mit dem Erzstift Magdeburg zustande. Der Hochmeister des Deutschen Ordens ging ohne Zögern auf das Gesuch Friedrichs ein, ihm für seinen Kampf gegen die märkische Adelsopposition ein Geschütz aus Ordensbeständen zur Verfügung zu stellen.12 Am 24. Oktober 1412 gelang es dem Burggrafen in einem Gefecht am Kremmener Damm, die den Quitzows aus dem Herzogtum Pommern-Stettin zu Hilfe Eilenden zurückzuschlagen. Im Frühjahr 1413 konnte der Burggraf mit den Quitzows selbst eine Verständigung erzielen. Dietrich und Johann von Quitzow nahmen sogar an einem erfolgreichen Heereszug des Burggrafen gegen die landesherrliche Teltowburg Trebbin teil. Die damaligen Pfandbesitzer der Burg Trebbin, die Herren von Maltitz, hatten nicht nur die Pfandrücklösung der Burg verweigert, sondern auch die Bewohner des Teltow und die Hintersassen des Klosters Lehnin durch Räubereien belästigt. Noch während die Belagerung der Burg IVebbin andauerte, verließen Johann und Dietrich von Quitzow jedoch gemeinsam mit Wichard von Rochow d. J. das Belagerungsheer, um einen Plünderungszug in das zum magdeburgischen Territorium gehörige Gebiet der Abtei Zinna zu unternehmen. Die Spannungen wuchsen; der Burggraf sah sich veranlaßt, in seiner Bündnispolitik fortzufahren. Am 1. August 1413 schloss er mit Herzog Ulrich dem Jüngeren von Schlesien-Glogau-Crossen einen Dienstvertrag, am 19. November 1413 eine Schutzvereinbarung mit den Herzögen von Pommern-Wolgast, am 14. Februar 1414 desgleichen für zwei Jahre mit Bischof Albrecht von Halberstadt und Herzog Bernd von Braunschweig. Berlin und andere märkische Städte stellten ihre Kirchenglocken zur Verfügung, um die Geschütze zu gießen, mit denen die Burgen der Quitzows gebrochen werden sollten. Im Bunde mit Erzbischof Günther von Magdeburg und Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg ging der Burggraf gewaltsam gegen die beiden Quitzows und ihren Kumpan, Wichard von Rochow d. J., vor. Noch im Februar 1414 gelang es ihnen, die Kapitulation der Burgen Friesack, Beuthen, Plaue und Golzow zu erzwingen. Die Quitzows büßten ihre Machtstellung in der Mittelmark ein. In der Altmark unterwarf sich der Adel, nachdem Friedrich die Burg Gardelegen der Herren von Alvensleben bezwungen hatte. Auf einem zum 20. März 1414 nach Tangermünde einberufenen Landtag wurde Gericht gehalten; eine Landfriedensordnung sollte künftig die Grundlage für rechtlich geregelte Verhältnisse schaffen. Diese Erwartung erfüllte sich freilich nicht. 11 Herbert Heibig, Die brandenburgischen Städte des 15. Jahrhunderts zwischen Landesherrschaft und adligen Ständen, in: Wilhelm Rausch (Hrsg.), Die Stadt am Ausgang des Mittelalters (= Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas, Bd. III), Linz (Donau) 1974, S. 227-244. 12 Klaus Neitmann, Der Deutsche Orden und die Anfänge der ersten Hohenzollern in der Mark Brandenburg. Eine kommentierte Quellenedition, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte
41 (1990) S. 108-140.
Fürstliche Friedenssatzungen und Gewalt
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Am 17. Mai 1414 schloss Burggraf Friedrich mit Ulrich von Mecklenburg-Stargard ein Bündnis, am 6. Juni ein solches mit Herzog Wartislaw von Pommern-Wolgast, den Herzögen Johann und Albrecht von Mecklenburg-Schwerin und den Fürsten von Werle; schließlich, am 13. August 1414, Verträge mit den Fürsten von Werle auf drei Jahre. Die gemeinsame Feindschaft gegen den die brandenburgische Landesherrschaft vertretenden Nürnberger aber ließ Dietrich von Quitzow indes Unterschlupf finden bei den Herzögen von Pommern-Stettin. Mit jenen gemeinsam nutzte er des Burggrafen Abwesenheit für weitere Einfälle in die Mark. Von Juni 1412 bis August 1414, zwei Jahre und zwei Monate, war Burggraf Friedrich nun schon in der Mark. Jetzt begleitete er den König nach Aachen zur Krönung, um erst im Oktober 1415 in die Mark zurückzukehren. Kaum aber hatte Friedrich den Rücken gekehrt, da setzte Dietrich von Quitzow am 21. August 1414 die Stadt Nauen in Brand. Andere Unternehmungen führten in den Barnim. Burggraf Friedrich führte beim Königlichen Hofgericht Klage, mit dem Erfolg, daß König Sigmund am 10. Mai 1415 wegen Ungehorsams die Reichsacht sowohl über die Herzöge Otto und Kasimir von Pommern-Stettin und zahlreiche Vasallen als auch über die Städte Stettin, Gartz und Strasburg verhängte. Die Wirkung blieb nicht aus. Schon am 18. Juni 1415 kam unter Vermittlung der Herzöge Rudolf von Sachsen und Ulrich von Mecklenburg mit den pommerschen Herzögen Otto und Kasimir eine Einigung zustande, die Waffenstillstand für ein Jahr und die Ausweisung des Dietrich von Quitzow bestimmte. Zwar fand Dietrich nun Rückhalt in Mecklenburg, wo er Lübz als Ausgangspunkt für Einfälle in die Prignitz nutzte, doch distanzierte sich auch Herzog Ulrich von Mecklenburg bald nachdrücklich von ihm. Im Herbst des Jahres 1415 erfolgte eine zweite Huldigung, die sogenannte Erbhuldigung. Sie fand am 21. Oktober 1415 zu Berlin im Franziskanerkloster statt und wurde von den Ständen des Landes geleistet. Dietrich von Quitzow starb 1417. Sein Bruder Johann erhielt indes vom Magdeburger Erzbischof die Freiheit. Was war geschehen? Unter Führung des ehemaligen Hauptmanns Kaspar Gans war das Land Jerichow gebrandschatzt worden. Nach Übergabe von Lenzen und einem entsprechenden Gelübde war Kaspar Gans nach zweieinhalbjähriger Haft Anfang Juni 1416 im Einvernehmen mit Markgraf Friedrich I. (dem bisherigen Burggrafen Friedrich VI.) wieder frei, der Erzbischof empört und im übrigen der Meinung, auch maße sich der Markgraf Übergriffe in erzbischöfliche Rechte an. Wichard von Rochow erhielt auf Bitten des Lehniner Abtes Schloß Golzow zurück. Gebhard von Alvensleben erlangte nicht nur den Besitz der Vogtei Gardelegen wieder, ihm wurde am 15. Mai 1416 zudem die Würde des Landeshauptmanns der Altmark zuteil. - Die Auseinandersetzungen des ersten Hohenzollern mit den Quitzow sollten folglich nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Herrscherhaus frühzeitig ein gutes Einvernehmen mit der märkischen Ritterschaft suchte. Es war vielmehr das erklärte Ziel der Nürnberger Burggrafen, ihren Nachbarn die Gebiete streitig zu machen, die seit dem Aussterben der Askanier der Mark verloren gegangen waren. Daher mußten sie sich durch Gunstbeweise eine finanzund schlagkräftige Klientel unter den brandenburgischen Schloßgesessenen aufbauen. So betrachtet, war die landesherrliche Entscheidung nur folgerichtig, den Quitzow, Bredow und Rochow ihren rechtmäßigen Besitz bald zu restituieren.
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Dadurch wurde ein scharfer Gegensatz zum einheimischen Adel von vornherein vermieden. 15 Zwar sahen sich auch die Hohenzollern noch wiederholt gezwungen, markgräfliche Burgen an Angehörige des landsässigen Adels bzw. an verdiente Amtleute zu verpfänden, doch mußten sich nun nicht nur die Haupt- bzw. Amtleute, sondern auch die adligen Pfandbesitzer solcher Burgen in der Regel dem Landesherren gegenüber ausdrücklich dazu verpflichten, diese Burgen nicht für ihre Privatfehden zu nutzen, sondern den Landesfrieden nach allen Seiten zu halten. In der Altmark begünstigten die ersten Hohenzollern vor allem die von Alvensleben und die von der Schulenburg. Einen Zweig der Bredow gewannen sie im mittelmärkischen Raum für ihre Politik. Weitaus schwieriger gestalteten sich hingegen die Beziehungen zum uckermärkischen Adel, stand dieser doch großenteils auf der Seite der pommerschen Herzöge. In der umkämpften Uckermark hatten sich die Greiffenberg einen größeren Einflußbereich geschaffen, ehe sie durch die Arnim und Sparr verdrängt wurden. Durch die starke Förderung dieser bislang unbedeutenden Familie von Arnim und der Sparr gelang es dem Rurfürsten, auch dort einige Parteigänger auf Dauer an sich zu binden. 14 Raub- und Fehdezüge des Adels damit überhaupt auszuschließen, gelang den Landesherren jedoch auch künftig nicht. 15
Konturen eines nordöstlichen Verbund-Territoriums Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Heinrich von Plauen, hatte den Burggrafen Friedrich bereits in einem Schreiben vom 6. August 1412 zu dessen neuer Aufgabe beglückwünscht. Er begrüßte ihn als einen sonderlichen Beschützer und einen förderlichen Gönner des Ordens.16 Anfang Januar 1421 hatte König Sigmund zwar sein Bündnis von 1409 mit dem Deutschen Orden auf dessen Ersuchen hin erneuert, sich aber schon drei Monate später mit dem König von Polen verbunden. Der Konflikt zwischen dem Orden und Polen-Litauen spitzte sich zu. Der Hochmeister äußerte sich gegenüber dem Kurfürsten Friedrich enttäuscht über das Verhalten König Sigmunds. 17 Er ersuchte ihn, dem Orden für den Fall eines Krieges gegen Polen-Litauen Beistand zu leisten.
13 Hahn,Adel und Landesherrschaft,, S. 53. 14 Vgl. dazu Lieselott Enders, Die Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 28), Weimar 1992, S. 69. 15 Zum Beispiel 1422: Ein großangelegtes Unternehmen von etwa 180 Prignitzer Rittern, Kaufleute aus Hamburg und Lübeck auszuplündern, wird durch ein Aufgebot der Hansestädte vereitelt. 1424 klagen die Mecklenburger, sie hätten innerhalb von vier Jahren allein 4 000 Pferde durch Überfälle des märkischen Adels verloren, vgl. CDB Β 4, S. 15-17 (1417-1420), 38-45 (1420-1424), 48-61 (1420-1424), 62-70 (1424), 71-93 (1424). 16 Zitiert nach: Neitmann, Der Deutsche Orden, S. 109 (einschl. Anm. 4). 17 Neitmann, Der Deutsche Orden, S. 116; vgl. auch Klaus Neitmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230 bis 1449. Studien zur Diplomatie eines spätmittelalterlichen
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Lietzen bei Seelow, Speicher der ehemaligen Komturei des Templerordens (ab 1244; nach 1318 des Johanniterordens). Spätgotischer Feldsteinbau mit steilem Satteldach (14. Jahrhundert). Aufnahme 1993
Der Deutsche Orden hatte 1402 einen Teil der Mark Brandenburg, die Neumark, käuflich erworben. Seine Herrschaft grenzte damit unmittelbar an die damals gelegentlich noch als Altmark bezeichnete Mittelmark an. Der Kontakt zwischen dem Hochmeister und Burggraf Friedrich war zunächst recht intensiv, doch reichten ihre gemeinsamen Interessen nicht so weit, um eine förmliche Verbindung zwischen ihnen herbeizuführen. Der Hochmeister wies den Burggrafen im Januar 1413 zwar auf feindliche Absichten Herzog Kasimirs VI. von Pommern-Stettin hin, der der Mark den Besitz der Uckermark streitig machte, betonte dabei auch, daß er es abgelehnt habe, dem pommerschen Herzog 4 000 Schock (Groschen) zu leihen. Bündnisanträge des Burggrafen aber lehnte der Hochmeister sowohl im November 1412 als auch im April 1413 ab. Beide Male begründete er seine Haltung damit, daß der Orden seine ganze Kraft auf den schweren Konflikt mit Polen-Litauen konzentrieren müsse. Des Burggrafen Blick fiel indes auf Pommerellen. 1269 hatte Mestwin von Pommerellen im Vertrag von Arnswalde sein Herzogtum von den brandenburgischen Markgrafen zu Lehen genommen, allerdings schon kurz danach das Lehnsverhältnis einseitig aufgekündigt. Auf dieses stützte sich der brandenburgische Rechtsanspruch auf Pommerellen, den Markgraf Waldemar 1309 aufgab, als er im Vertrag von Soldin dem Deutschen Orden das Land zu vollem Eigentum verkaufte. Nun, im Oktober 1413, verlangte Friedrich vom Hochmeister Heinrich von Plauen eine Abschrift der Urkunde als von der Pomerisschen Sythen [= Pommerellen], wie deutschen Territorialstaates (= Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte, Bd. 6), Köln-Wien 1986.
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die eyn marggrofe von Brandenburg unserm orden solle voreygent haben und das sie von der marggrafeschaft gee czu lene etc.18 Das Gebiet des ersten Rurfürsten von Brandenburg umfaßte Altmark, Prignitz, Havelland, Zauche, Teltow, Barnim, Lebus, Sternberg und einen Teil der Uckermark; die Tafelgut- und Stiftsgebiete der nur noch formalrechtlich als reichsunmittelbar anzusehenden drei Bistümer eingeschlossen. Kurfürst Friedrich I. operierte zunächst mit verschiedenen Mitteln, glücklos mit Ehebündnissen, sodann mit Klagen im Hofgericht. 1416 gelang ihm die Auslösung des Uckerlandes aus pommerschem Besitz19, so daß er nun über Prenzlau20, Strasburg, Zehdenick und Boitzenburg verfügte, während der Stolper Kreis gemäß dem früheren Vertrag bei Pommern blieb. Der Versuch Friedrichs, den alten Umfang Brandenburgs, von dem zur Zeit der Wittelsbacher und Luxemburger manches verloren gegangen war, wiederherzustellen, stieß 1419 auf ein Bündnis der Herzöge von Pommern und Mecklenburg, des Erzbischofs von Magdeburg und der Könige von Polen und Dänemark. Nach erneuten Auseinandersetzungen mit inneren und äußeren Feinden ging Friedrich 1420 offensiv vor, trat gegen Mecklenburg und danach gegen Pommern an. Zusammen mit seinem einstigen Gegner Kaspar Gans zu Putlitz errang er am 25./26. März 1420 einen später im Volkslied besungenen Sieg über Herzog Kasimir von Pommern, der sich polnischer Hilfe bedient hatte. Der Kurfürst besetzte das 1354 abgegebene Angermünde, das seitdem wieder märkisch war.21 Um seine Erfolge abzusichern, suchte er Ende 1420 ein Bündnis mit Polen. Er verlobte seinen 1413 geborenen Sohn Friedrich mit der als Erbin der polnischen Krone geltenden Tochter des Polenkönigs, Hedwig, und gab ihn im Hinblick darauf zur Erziehung an den polnischen Hof nach Krakau.22 Doch nicht nur der Hochmeister des Deutschen Ordens hatte Friedrich schon 1412 durchschaut, als er ihm erklären ließ, er gönne ihm mehr als einem anderen das Königreich Polen. Dem Königtum Sigmunds drohte die Konfrontation mit Polen, und die Gefahr ging von der Annäherung seines bisher treuesten Verbündeten unter den Kurfürsten, des Brandenburgers, an den König von Polen aus! Hatte König Sigmund den Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg 1418 noch zu Vnsern Statthalter und Fürweser ernannt mit der besonderen Erlaubnis,friede, lantfriede, eynung und verbuntnisse mit fursten ... steten und gemeinden zu unsern und des rychs eren und nucz ... zu machen, die gemachten abzunemen und zu widerrufen,23 so sprach er den Titel Generalvikar des Reiches nun, 1422, dem Erzbischof von Mainz zu. Der Tod des letzten askanischen Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg
18 Zitiert nach Neitmann, Der Deutsche Orden, S. 111. 19 CDB A 21, S. 466f. (1416 November 21). 20 Enders, Die Uckermark, S. 110. 21 Wolfgang Ribbe, Die Auf Zeichnungen des Engelbert Wusterwitz. Überlieferung, Edition und Interpretation einer spätmittelalterlichen Quelle zur Geschichte der Mark Brandenburg (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 12), Berlin 1973, S. 161f. 22 Johannes Schultze, Von der Mark Brandenburg zum Großstaat Preußen, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 99 (1963), S. 153-171, bes. S. 157. 23 CDB Β 3, S. 257f. (1418 Oktober 2).
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1422 verschaffte dem König erneut einen Vorteil, den er rasch nutzte. Bereits am 6. Januar 1423 übertrug er die sächsische Rurwürde dem Markgrafen Friedrich IV. von Meißen aus dem Hause Wettin. Rurfürst Friedrich I. von Brandenburg sah sich in seinen Hoffnungen auf das Herzogtum zurückgesetzt, hatte er doch bereits 1412 seinen ältesten, damals sechsjährigen Sohn Johann mit Barbara, der mutmaßlichen Erbin des Hauses Sachsen-Wittenberg, vermählt, so daß sich die Möglichkeit einer Vereinigung der beiden benachbarten Rurlande ergab.24 Am 17. Januar 1424 forderten die Rurfürsten im Bingener Rurverein ein Mitspracherecht an der Reichsregierung und ließen anderenfalls die Gefahr einer Absetzung des Rönigs erkennen. Rurfürst Friedrich I. von Brandenburg wirkte dabei tatkräftig mit; der Rönig verlieh daraufhin am 17. Februar 1424 die Uckermark den Herzögen von Pommern. 25 Der Gedanke an trag- und ausbaufähige dynastische Beziehungen mit Polen sollte sich darüber hinaus noch im selben Jahr als Thigschluß erweisen: Der greise Rönig Wladislaw von Polen ging eine neue Ehe ein. Von 1424 an wurden dem damals 76 Jahre alten Rönig von seiner vierten Gemahlin noch vier (eigene) Rinder geboren. (Die Braut Friedrichs, Hedwig, starb 1431.) Die Kämpfe Friedrichs I. mit seinen Gegnern im Norden und Nordosten setzten 1425 wieder ein. Polnische Streifscharen beteiligten sich im Frühjahr 1425 an einem allgemeinen Rrieg gegen die Uckermark, den die Herzöge von Pommern zusammen mit Mecklenburg-Stargard, Werle, dem Deutschen Orden und dem Rönig von Dänemark begonnen hatten. Unterstützt von Prenzlauer Bürgern, eroberten die Pommern die uckermärkische Hauptstadt.26 Als Friedrich I. erst im September 1425 die Belagerung der Grenzburg Vierraden mit geliehenem sächsischen Geschütz aufnahm, zeigten sich zudem die Schwächen seiner Kriegskunst. Vor den Angriffen überlegener Gegner mußte er sich so eilig zurückziehen, daß sein schweres Geschütz den Feinden zufiel. Der brandenburgische Adel und die sonstigen Streiter scheinen ihn zum Rückzug gezwungen zu haben. Der Unmut über den landfremden Fürsten hatte sich wieder verbreitet. 27 Die Ronsequenzen ziehend, berief der Rurfürst Anfang Januar 1426 die märkischen Stände nach Rathenow. TVotz der Gefahr, in der sich die Mark wegen der pommerschen Erfolge befand, übertrug er im Beisein der Stände am 13. Januar 1426 seinem ältesten Sohn, Johann, die Regierung der Mark. Friedrich I. selbst wandte sich (bis zu seinem Tod 1440) wieder verstärkt seinen fränkischen Erblanden und der Reichspolitik zu. In Franken konnte der Rurfürst sein politisches Gewicht erheblich steigern, hatte er dort doch im Jahre 1420 seinen ohne männliche Leibeserben verstorbenen Bruder Johann beerbt und somit den gesamten fränkischen Territorialbesitz in seiner Hand. 24 Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, 2., für die Taschenausgabe durchgesehene Edition, Frankfurt am Main-Wien-Berlin 1984, S. 42; Heinrich, Geschichtliche Einfährung, S. XLIV. 25 Heinrich, Geschichte Preußens, S. 42. 26 Enders, Die Uckermark, S. 111, Anm. 58, mit Verweis auf Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, Berlin 1963, S. 27. 27 Heinrich, Geschichte Preußens, S. 43.
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Dem Markgrafen Johann gelang die Rückeroberung Prenzlaus. Doch die Stettiner bemächtigten sich des markgräflichen Greiffenberg, ein gut gemuret Slot. Dem Vernehmen nach lagen die manschop vnde die marckeschen Stede deme marckgreuen nicht allthumechtigen by,28 so daß sich Johann bemüßigt sah, die Herrschaft Greiffenberg den Pommern zu belassen. Diese erkannten dafür den markgräflichen Besitz von Angermünde und Schmargendorf an. 1427 in Templin geschlossene Friedens- und Beistandsverträge beendeten den blutigen Streit mit Pommern und Mecklenburg und stellten in der Uckermark den äußeren Frieden her.29 Indes waren die Bewohner der Mark durch neue Sorgen beunruhigt. Die im Juli 1421 nach Berlin einberufene Ständeversammlung hatte die zur Unterstützung König Sigmunds gegen die Hussiten notwendige Steuer bewilligt. Nun, am 2. Dezember 1427, wurde auf dem Frankfurter Reichstag ein Reichskriegssteuergesetz verabschiedet, das wiederum eine Hussitensteuer, den sogenannten Retzerschoß, mit einschloß. In den Städten Brandenburg (Alt- und Neustadt) kam es gegenüber dem Versuch des Brandenburger Bischofs, den Widerstand durch Kirchenstrafen zu brechen, zu offener Empörung. 1431 führte der um Aussöhnung mit dem König bemühte Kurfürst Friedrich I. das Reichsheer gegen die Hussiten an. Bald darauf, 1432, wurde die Mark Brandenburg durch einen Hussiteneinfall erneut zum Kriegsschauplatz: Entlang von Neiße und Oder erreichte der Rachezug die Gegend von Eberswalde und Bernau, von wo die hussitischen Reiter erst nach verlustreichen Gefechten erfolgreich zurückgedrängt werden konnten. 30
Stützung der patrizischen Ratsverfassung Wiederholt hatten sich die Städte zur Bekämpfung des Raubwesens zusammengeschlossen. Mehrfach waren in der Frage, inwieweit der landsässige Adel dazu berechtigt sei, zerstörte Burgen wiederaufzubauen oder neue Burganlagen zu errichten, die gegensätzlichen Interessen aufeinander geprallt. Das Gros der brandenburgischen landesherrlichen Städte verfügte über einen relativ hohen Stand städtischer Autonomie. Die nicht zu unterschätzende Wirtschaftskraft der brandenburgischen Kommunen hatte eine wichtige Voraussetzung für deren erfolgreichen Kampf um rechtliche und politische Freiheiten dargestellt. Die politisch-dynastische Situation innerhalb der brandenburgischen Landesherrschaft und die Schwäche des Adels hatten den Aufstieg der Städte zudem gefördert. Die häufig wechselnden Dynastien und die schnellen Wechsel der Landesherren auch innerhalb eines Herrscherhauses, die damit immer von neuem verbundenen Werbungen um die Anerkennung durch die Städte und die ständigen Privilegienerteilungen bzw. -erneuerungen als Entgelt für die vollzogenen Huldigungen hat28 CDB A 18, S. 335 (1426 Juli 29). 29 CDB Β 3, S. 476-480 (1427 Juni 16). 30 Über die Königswahl vgl. Deutsche Reichsakten, hrsg. durch die Historische Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1878ff. (Neudruck Göttingen 1956, h i e r Bd. 9, S. 237f., 261 u n d 437.
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ten den städtischen Gemeinden und ihren Vertretern einen relativ großen Spielraum für die Durchsetzung ihrer politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen geboten. Hinzu waren die insbesondere für die altmärkischen und Prignitzstädte gegebenen Möglichkeiten gekommen, Konflikte der Landesherrschaft mit den Nachbarterritorien, vor allem mit Mecklenburg, Pommern, Niedersachsen und dem Erzbistum Magdeburg, für die Sicherung der eigenen städtischen Freiheit zu nutzen. Die märkischen Städte nahmen also eine weitgehend autonome Stellung innerhalb des Territoriums ein, waren aber durchaus an der territorialen Einheit und an einem Landesherrn interessiert, der kräftig genug war, den Landfrieden zu sichern und ihre Privilegien zu schützen. Die Städte hatten Friedrich I. im Kampf gegen die Quitzows und die ins Land eingedrungenen Pommern unterstützt. Der Kurfürst griff nun, zu Beginn der zwanziger Jahre, zwar verschiedentlich in städtische Konflikte ein, jedoch ausgleichend und ohne daraus einen Vorteil für seine landesherrliche Position ziehen zu wollen.31 Als sich in Frankfurt an der Oder 1420 wegen der Verschuldung der Stadt Unruhe unter den Zünften bemerkbar machte, ordnete er an, daß aus den Zünften zwölf und aus der übrigen Bürgerschaft sechs Männer fortan gemeinsam mit dem Rat die Kontrolle der täglichen Einnahmen und der Verwendung öffentlicher Gelder sowie am Jahresende den Rechnungsschluß vornehmen sollten. Dabei aber wurde ausdrücklich die Entscheidung in die Kompetenz Frankfurts gelegt und bemerkt, daß der Eingriff den Rechten Frankfurts nicht abträglich sein solle. 1425 wurde der Kurfürst erneut zur Schlichtung innerstädtischer Konflikte Frankfurts herbeigerufen. Im selben Jahr griff er auch in den Aufstand der TVeuenbrietzener Zünfte ein und stellte das patrizische Stadtregiment wieder her. Der Landesherr betätigte sich also lediglich als Vermittler, ohne bei dieser Gelegenheit städtische Privilegien und Freiheiten anzutasten. Dies war selbst 1425/1426 nicht der Fall, als die Stadt Prenzlau von Zunfthandwerkern in der Hoffnung auf einen Sturz der Patrizierherrschaft den Herzögen von Pommern ausgeliefert und damit das Interesse des Kurfürsten ernsthaft verletzt wurde. Markgraf Johann eroberte Prenzlau zurück und stellte die alte patrizische Ratsverfassung wieder her. Er gab sogar zu, daß sein Vogt und Landrichter nicht wenig Ursache zur Untreue der Stadt gegeben habe. Darum und zum besseren Ansehen des Rates sollten die Vögte und Landrichter künftig den Bürgereid leisten, Prenzlauer Bürger sein, die Bürgerpflichten erfüllen und sich dem Rat zur Rechenschaft stellen. Damit wurde die Autonomie in Hinsicht auf das Gerichtswesen also nicht nur bestätigt, sondern sogar verstärkt. In der Stadt Brandenburg gab Markgraf Johann 1427 zwar auch den Wünschen der Zünfte durch die Einrichtung eines Stadtverordnetenkollegs nach, doch schlichtete er letztlich auch hier zugunsten des Rates.
31 Knut Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1411/12 bis 1618), in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 1,2. Aufl., München 1988, S. 249-340, bes. S. 258; Herbert Heibig, Gesellschaft und Wirtschaft der Mark Brandenburg im Mittelalter (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 41), Berlin-New York 1973, S. 54f.; ders., Die brandenburgischen Städte, S. 227-244.
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Bernau, Stadtbefestigung (um 1300) mit dem Steintor, bestehend aus dem quadratischen viergeschossigen Backstein-Torturm sowie dem Hungerturm (runder viergeschossiger Mauerturm aus Backstein mit Feldsteinsockel), beide spätes 15. Jahrhundert. Aufnahme 1993
Während Friedrich I. als ein großer Städtefreund 32 eingeschätzt wurde und man ihm nachsagte, daß er den Ausspruch König Sigmunds, »das Reich sind die Städte«, geteilt habe, gelangte sein Sohn Johann allerdings bald in ein Spannungsverhältnis zu den märkischen Städten. Die Stärkung der landesherrlichen Gewalt, die Rückgewinnung verlorener Rechte und entfremdeter Lehen, die Erschliessung neuer Geldquellen rückten in den Mittelpunkt landesherrlicher Politik. Dem Streben nach Ausbau des Territoriums aber stellten sich die städtischen Sonderrechte in den Weg. Wohl zeigten sich nun die Städte bereit, finanziell zu unterstützen, wenn es um die Sicherung des Landfriedens oder die Behebung einer anderen Landesnot ging, nicht jedoch bei dynastischen Kriegen bzw. für sie undurchsichtigen Unternehmungen. Markgraf Johann bekam den Widerstand der Städte folglich 32 So Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 258, in Anlehnung an Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und die Städte der Mark im 15. Jahrhundert (= Die deutschen Städte im Kampfe mit der Fürstengewalt, Bd. 1), Berlin 1892, S. 57ff.; vgl. dagegen Wolfgang Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel städtischer Führungsschichten in Brandenburg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch flir brandenburgische Landesgeschichte 26 (1975), S. 8 9 - 1 1 8 , b e s . S. 94.
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gleich anfangs zu spüren, als er von ihnen Beiträge zur Abwehr und Zurückdrängung der Pommern aus der Uckermark forderte. 1428 wurden die Bürger auf einem Landtag angehalten, zu der vom Reich allgemein beschlossenen Steuer gegen die Hussiten ihren Anteil zu leisten; die Bürger lehnten ab, da ihre Städte von jenem Geschehen zu weit entfernt lägen. Auch im Stendaler Aufstand und während der Salzwedeier Unruhen von 1429 kam es infolge innerstädtischer Konflikte zu ernsthaften Zusammenstößen mit dem Landesherrn. Wiederum blieb trotz günstiger Gelegenheit die städtische Freiheit unangetastet; der Markgraf entschied nach Niederwerfung der Unruhen für die Ratspartei. Auch Markgraf Johann hatte offensichtlich noch nicht klar genug erkannt, daß zur Erschließung der städtischen Leistungskraft die Einschränkung der städtischen Autonomie erforderlich war. An der Spitze der die landesherrlichen Forderungen zurückweisenden Städte stand eindeutig Frankfurt an der Oder.33 Diese Stadt hatte nicht nur am entschiedensten die Hussitensteuer abgelehnt, sondern auch die Hälfte der von den Landständen bewilligten Bede verweigert. Jetzt, 1429, ließ Markgraf Johann es auf eine Kraftprobe ankommen. In seiner Anklageschrift führte der Markgraf aus, daß sich die Frankfurter nicht nur weigerten, die Bede zu zahlen, sondern sich auch die landesherrlichen Obergerichte und Zölle angemaßt, vom landesherrlichen Vogt Inhaftierte befreit und unter Königsbann gerichtet hätten, daß sie Statuten über gerichtliche Angelegenheiten verfaßten, Mühlen bauten, die Zünfte eigene Richter wählten, die Schöffen dem Lehensrichter nicht Folge geleistet hätten und die Bürger die der Herrschaft zugefallenen Lehen mit Gewalt an sich brächten. Zur Begleichung der ihm angetanen Schmach verlangte Johann 26 300 rheinische Gulden. Er verklagte die Stadt bei den Landständen und eröffnete ein paralleles Gerichtsverfahren vor dem Tangermünder Hofgericht. Der Frankfurter Rat erklärte diese Gerichtsinstanz für unzuständig und holte ein Schöffenurteil aus Magdeburg ein, das seine Rechtsauffassung bestätigte: Frankfurt sei gemäß dem Sachsenspiegel und nach Aussage der städtischen Privilegien nicht verpflichtet, einer Vorladung vor das Landgericht außerhalb der eigenen Stadt Folge zu leisten! Markgraf Johann rüstete daraufhin zum Krieg. Im September 1429 trat er mit dem Hochmeister des Deutschen Ordens in Verbindung und bat ihn um hielff wife]der die genanten von Franckenjurd vnd ander der vnsern, die sich noch wider vns setzen werden.. Doch der Markgraf bestand die Kraftprobe mit den Frankfurtern nicht. Von nun an signalisierten vielmehr auch die Städte Schlag auf Schlag eine Frontalstellung. Auf dem Hansetag zu Lübeck im Januar 1430 erschienen neben einer Anzahl von Städten aus Altmark und Prignitz zum ersten Mal seit 1358 auch Berlin und Cölln und erstmals überhaupt Frankfurt an der Oder. Der Rezeß des Hansetages brachte den Willen zu Zusammenhalt und gemeinsamer Abwehr gegen Fürstengewalt deutlich zum Ausdruck. Von den märkischen Hansestädten wurden in der Matrikel Stendal, Salzwedel, Berlin und Frankfurt genannt. 55 Eckhard Müller-Mertens, Gründung und Entwicklung der Stadt Frankfurt an der Oder Klassenkämpfe im 14./15. Jahrhundert, in: Frankfurter Beiträge zur Geschichte 1 (1976), S. 18-56. 54 CDB A 24, S. 314f. (1429 Ende September).
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Großes Stadt-Siegel von Frankfurt (Oder) aus dem 16. Jahrhundert Umschrift: Sigillvm Burgensivm in Vrankenvorde
Am 1. Februar 1431 schlossen sich die bedeutendsten Städte der Mittelmark: Altstadt und Neustadt Brandenburg, Berlin, Cölln und Frankfurt, zu einem Bund zusammen; gleich im ersten Artikel ihres Bundesbriefes wurde festgelegt: Die durch schriftliche Zeugnisse gesicherten Rechte und Besitzungen einschließlich gewohnheitsrechtlich genutzter Lehen sind zu verteidigen, die Vorladung eines Bürgers vor eine Gerichtsinstanz geistliker odder werltliker herschapp ist nicht zu akzeptieren, brandenburgisches Recht gegen alle Angriffe zu schützen (daß wyalle ... by Brandenborgeschen rechte willen bliuen)35 Diesem Bündnis folgte 1432 die Union von Berlin und Cölln.36 Die Spreestädte hatten zwar schon während des 14. Jahrhunderts wiederholt Verträge auch dahingehend konzipiert. Dennoch gab es ständig strittige Fragen, die mitunter zu tiefen Zerwürfnissen führten. Auch jetzt richteten sich massive Klagen Berlins gegen die mangelnde Bereitschaft Cöllns, sich an den im gemeinsamen Interesse entstandenen Unkosten angemessen zu beteiligen. Auf Vermittlung der Städte Brandenburg und Frankfurt erklärten die patrizischen Stadträte Berlins und Cöllns am 28. Juni 1432 den Streit für beigelegt und trafen entsprechende Vereinbarungen über die Ratswahl, den Markt, die Feldmark und die Vereinigung des städtischen Eigentums. 37 Durch die Errichtung eines Sechzehner-Ausschusses, der vermutlich aus Vertretern der Stadtgemeinde und
35 Urkunden-Buch zur Berlinischen Chronik, begonnen durch F[erdinand] Voigt, fortgesetzt durch E[rnst] Fidicin (= Berlinische Chronik, T. 2), Berlin 1880, Nr. LI, S. 349f. (1431 Februar
1)· 36 CDB A 12, S. 510-512 (1432 Dezember 13). 37 Ernst Fidicin (Hrsg.), Historisch-diplomatische Th. 1-5, Berlin 1837-1842, bes. Th.. IV, S. 143. 38 Schulz, Vom Herrschaftsantritt
der Hohenzollern,
Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin, S. 261.
Stützung der patrizischen Ratsverfassung
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Gardelegen, das 1319 erwähnte, 1591 erweiterte Spital. Aufnahme um 1900
der Innungen bestand, wurde auch denjenigen der städtischen Bevölkerung, die nicht im Rat repräsentiert waren, ein gewisses Mitspracherecht eingeräumt. 38 Dem Beistandsabkommen von 1431 zwischen Berlin-Cölln, Brandenburg und Frankfurt folgte 1434 ein von 18 märkischen Städten gebildeter Bund. 1436 wurde ein altmärkischer Städtebund geschlossen, dessen Spitze gegen die Landesherrschaft allerdings nicht mehr mit gleicher Vehemenz formuliert war. Dabei dürften die unterschiedlichen Erfahrungen Prenzlaus, Stendals und anderer altmärkischer Städte im Gegensatz zu denen Frankfurts in der Mittelmark wohl eine Rolle gespielt haben. Dem prignitzschen Städtebund von 1437 stimmte Markgraf Johann sogar ausdrücklich zu, ging es in diesen Bünden doch nicht nur um die Abwehr von Eingriffen des Landesherrn in die städtische Gerichtsbarkeit und um die Bekämpfung innerstädtischer Unruhen, sondern auch nach wie vor um die gemeinsame Verfolgung des Raub- und Fehdewesens. 39 1438 blieb es dann allerdings bei dem Versuch, die mittelmärkischen mit den altmärkischen Städten zu verbünden. 40
39 Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel, S. 96. 40 Müller-Mertens, Zur Städtepolitik, S. 79.
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Ausbau zum fürstlichen Territorialstaat der Hohenzollern
Brechung des Berliner »Unwillens« Die Handels- und Hansestadt Berlin hatte sich seit langem zu einem Landesmittelpunkt entwickelt. Das geschah in einer Zeit der Städtefreiheit, der Verselbständigung der Städte, des Adels und der Ritterschaft in der Mark, der ständischen und städtischen Opposition, der Schwäche der landesherrlichen Gewalt. In Berlin trafen die Stände zusammen, vom Markgrafen aufgefordert oder in Widerspruch gegen ihn versammelt; in der Doppelstadt wurden Städtebünde geschlossen. Berlin erschien als deren Haupt, bewies sich in einer politischen Führungsrolle, die der Rat beider Städte bei Abwesenheit der luxemburgischen Markgrafen schon in der Quitzow-Zeit übernommen hatte.41 Auch der Chronist Engelbert Wusterwitz bezeichnete Berlin als das Haupt der Mark: Dietrich von Quitzow habe deshalb 1410 mit den Berlinschen den anfang zu streiten gemacht, auf das, so er dieselben unter seine gewalt und herrschafft gebracht, er auch der andern stedte in derMarcke deste ehe könte mechtig werden,42 Burggraf Friedrichs erster Weg als Statthalter der Mark hatte im Juli 1412 folglich auch nach Berlin geführt, wo er die Huldigung der Doppelstadt entgegennahm 43 und deren Privilegien bestätigte. Berlin war das unbestrittene politische Zentrum des Territoriums. Auch wenn Friedrich seinen ersten märkischen Landtag nach Brandenburg einberufen hatte 44 , waren die Huldigungen von Teilen der Ständegruppierungen 1412 doch in Berlin erfolgt, ebenso 1415 die Erbhuldigung der Stände dem neuen Kurfürsten gegenüber. 1437 übertrug Markgraf Johann die Statthalterschaft seinem jüngeren Bruder Friedrich.45 Der Berliner Stadtschreiber bemängelte nun (1440) gar: Der Rurfürst habe die städtischen Privilegien erst nach der Huldigung bestätigt (in siechten worten) und auch den Eid bei den Heiligen vorsumet.4e Doch immerhin: Berlin erhielt die vollgültige Bestätigung seiner bisherigen Rechte. Nicht lange, da brachen nun, 1441, in Berlin schwere Kämpfe aus. Der Kurfürst hielt gerade im Hohen Haus Hof. Die streitenden Parteien - die vierwercke vnde gantze gemeyne einerseits, der patrizische Rat andererseits - riefen den Stadtherrn als Vermittler an. Friedrich II. nutzte die sich ihm bietende Chance. Er entsprach im wesentlichen dem Anliegen der Opposition, also in erster Linie dem Streben der Viergewerke nach Beteiligung am Stadtregiment. Der Sturz der patrizischen Stadtherrschaft wurde im Februar 1442 besiegelt.47 Kurfürst Friedrich II. löste die Verei41 Vgl. Eckhard Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz in Berlin und Kölln 1280-1486. Markgrafenhof, Herrschaftsschwerpunkt, Residenzstadt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 36 (1988), S. 138-154, bes. S. 139; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 84. 42 Ribbe, Die Aufzeichnungen des Engelbert Wusterwitz, S. 119-121 (bes. S. 119). 43 CDB Supplementenband, S. 270 (1412 Juli 6); Karl-Heinz Ahrens, Residenz und Herrschaft. Studien zu Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im späten Mittelalter (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Bd. 427), Frankfurt am Main u. a. 1990, S. 343. 44 CDB B3, S. 195 (1412 Juli 10) 45 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 36. 46 Das Berlinische Stadtbuch aus dem Ende des XIV. Jahrhunderts, Neue Ausgabe, hrsg. v. P[aul] Clauswitz, Berlin 1883, S. 250f. (1440 November 19). 4 7 CDB, S u p p l e m e n t e n b a n d , S. 2 8 7 - 2 9 0 ( 1 4 4 2 F e b r u a r 2 6 ) .
Brechung des Berliner »Unwillens«
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nigung der Städte Berlin-Cölln und bestimmte, daß jede Stadt einen gesonderten, jährlich neu zu bestellenden Rat von zwölf Ratsherren in Berlin und sechs in Cölln haben sollte. Als entscheidende Ergänzung fügte er hinzu: In beide Räte sind Vertreter der Viergewerke und gemeinen Bürger zu wählen! Der Kurfürst erklärte alle bestehenden Bündnisse für nichtig. Die neuen Räte gelobten zusammen mit den Viergewerken und der gemeinen Bürgerschaft, keine neuen Bündnisse einzugehen. 48 Der alte patrizische Rat hatte Friedrich II. bei seiner Abdankung die Schlüssel zu den Toren beider Städte ausgeliefert. Der Kurfürst gab sie den neuen, von ihm bestätigten Räten unter der Bedingung zurück, daß sie ihm als Landesherrn auf Verlangen zu jeder Zeit ausgehändigen würden und diese Pflicht in die Stadtbücher eingetragen werde. Nach dem Chronisten Peter Hafftitz hatte Friedrich II. ein frei Thor verlangt, um seins gefaliens jn vnd aus der Stadt in seine Burg vnd alte Schloss, das Hohe haus genant,49 gelangen zu können, die Städte aber lehnten das ab. 50 Der Kurfürst antwortete mit der Beschlagnahme des größten städtischen Güterkomplexes, des Tempelhofes mit den Dörfern Tempelhof, Rixdorf, Mariendorf und Marienfelde südlich von Berlin, den die Doppelstadt erst 1435 vom Johanniterorden gekauft hatte. Nach entsprechenden Rüstungen zog er im August 1442 mit Heeresmacht (Peter Hafftitz berichtet von 600 Reitern!)51 gegen Berlin. Kurfürst Friedrich II. diktierte der Stadt unter dem Datum des 29. August 1442 einen Vertrag. Danach gab er zwar den Tempelhofer Besitzkomplex (unter Wahrung seiner lehns- und landesherrlichen Rechte) an die Stadt zurück. Gleichzeitig entzog er Berlin jedoch das 1391 erworbene Gericht, d. h. das Amt des Stadtrichters und die Gerichtsgefälle, ebenso wie das Recht der Niederlage, des Stapelrechts, mit dem Einkünfte und handelspolitische Vorteile verbunden waren. 52 Der für die Zukunft entscheidende Akt aber war, daß Cölln einen Bauplatz an der nördlichen Stadtmauer und bei der Langen Brücke für ein kurfürstliches Schloß abtreten sollte. Die Stadtmauer wurde folglich an dieser Stelle abgerissen und am 31. Juli 1443 die Grundsteinlegung zum Schloß durch den Kurfürsten selbst vollzogen. 53 Damit brachte er unmißverständlich zum Ausdruck, daß er sich auf Dauer in Berlin bzw. Cölln einzurichten gedachte. 54 Gleichzeitig war der Kurfürst von Brandenburg bemüht, in Norddeutschland einen Fürstenbund gegen die Städte zustande zu bringen. Im Februar 1443 versammelten sich in Wilsnack in der Prignitz neben dem Brandenburger und dem in dieser Angelegenheit besonders engagierten König 48 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 338. 49 Hafftitz, Microcronicon, S. 62. 50 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 151. 51 Hafftitz, Microcronicon, S. 62. 52 Codex diplomaticus Rrandenburgensis continuatus. Sammlung ungedruckter Urkunden zur brandenburgischen Geschichte, hrsg. von Georg Wilhelm von Raumer, Bd. 1 u. 2, BerlinStettin-Elbing 1831-1833 [Nachdruck Hildesheim-New York 1976] [künftig zitiert: Cod. cont.], hier Bd. 1, S. 207-209 (1442). 53 CDB C 1, S. 257 (1443 Juli 31). 54 Engel, Zur Autonomie brandenburgischer Hansestädte, S. 70. 55 G. Frhr. von der Ropp, Die Hanse und die deutschen Stände vornehmlich im fiinfzehnten Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 31 (1886) S. 33-48, bes. S. 44.
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Christoph von Dänemark die Herzöge von Pommern, Mecklenburg, Sachsen und Braunschweig, um über Mittel und Wege zu beraten, wie sie demüthigen könnten die Städte, die unter ihnen besessen waren.55 Von den Bürgern waren die den Städten drohenden Gefahren, insbesondere auch für ihr Bündniswesen, wohl erkannt worden. Die bedrohten Hansestädte reagierten in diesem Fall rasch: Am 16. Juli 1443 vereinbarten sie in Lüneburg und endgültig in Lübeck am 30. August 1443 die erste Tohopesate, einen Zusammenschluß der Städte unter primär politischen Vorzeichen und mit militärischen Vereinbarungen. Zu diesem Abwehrbund gegen die Fürsten wurde auch Berlin gerechnet und wie die anderen märkischen Städte Stendal, Salzwedel, Brandenburg und Frankfurt mit 31 Bewaffneten veranschlagt, obwohl die Stadt sich 1442 dem landesherrlichen Verbot unterworfen hatte, irgendwie geartete auswärtige Bündnisse abzuschließen oder auch nur Vereinbarungen zu treffen. 56 Das Berlinische Urkundenbuch bringt seit 1443 laufend Belege für landesherrliche Bestätigungen der gewählten Bürgermeister und Ratsherren. Zweimal war die Vereinigung von Berlin und Cölln 1442 ausdrücklich aufgelöst worden. Dennoch weisen städtische Gerichtsentscheidungen darauf hin, daß schon kurz nach der Unterwerfung von 1442 wieder ein gemeinsamer Stadtrat - vermutlich neben und über den Stadträten der einzelnen Städte - bestand. 57 Die innerstädtischen Konflikte verloren angesichts der Verbitterung über die Inbesitznahme der Stadt durch den Landesherrn und seine Amtsträger an Bedeutung. Nicht nur die führenden Geschlechter verfügten über erheblichen Lehensbesitz, sondern auch Berliner Handwerker und andere Bürger hatten mittlerweile kleinere Lehen oder Anteile daran auf dem Lande erworben, die sie nun bedroht sahen. Die Erneuerung der hansischen Tohopesate im Mai 1447, auch Spannungen des Lauenburger Herzogs gegenüber Friedrich II. von Brandenburg, dessen militärische Verwicklung mit den Pommern ebenso wie Vereinbarungen Berlins mit anderen märkischen Städten mögen die Bürger Berlins und Cöllns schließlich ermutigt haben, den Versuch zu unternehmen, ihre bisherigen Rechte wiederzuerlangen. 58 Der schon von den Zeitgenossen so genannte Berliner »Unwille« brach sich Anfang des Jahres 1448 Bahn: Hofrichter Balthasar Hake wurde gefangengenommen, seinen Dienern das Betreten der Stadt untersagt. Das Hohe Haus mit der Kanzlei wurde gestürmt, lästige Urkunden wurden vernichtet. Die Bürger zerstörten das zur Anlage eines Schloßgrabens errichtete Stauwehr an der Spree und setzten dadurch einen Teil des Bauplatzes unter Wasser. Die für den Schloßbau teils abgerissene Stadtmauer ersetzten sie durch einen Plankenzaun. Schon 1442 waren weder der mittelmärkische Städtebund noch die Hanse mit ihrer Kriegsmacht gegen die Verletzung der Berliner Autonomie eingeschritten. Sie
56 Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 270. 57 vgl. Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 267f.; auch Peter Neumeister, Der Urfehdeeid des Berliner Stadtbuches, in: Evamaria Engel/Ronrad Fritze/Johannes Schildhauer (Hrsg.), Hansische Stadtgeschichte - Brandenburgische Landesgeschichte (= Hansische Studien, Bd. VIII), Weimar 1989, S. 79-87, bes. S. 85f. 58 Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 267.
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Berlin, Totentanzfries in der Vorhalle der Marienkirche, Wandgemälde um 1484/1485. Aufnahme um 1935
erhoben auch jetzt nicht ihre Waffen, um dem Berliner Unwillen zum Erfolg zu verhelfen. Nur einige kleinere Städte wie Neuruppin und Perleberg sagten ihre Hilfe zu. Doch offenbar war der Widerstand Berlins wie eben auch der potentielle Bückhalt bei märkischen Städten und in der Hanse insgesamt gesehen so stark, daß der Kurfürst den Berliner Unwillen militärisch nicht niederzuschlagen wagte.59 Hatten Bat, Gewerbe und gemeine Bürger von Berlin 1440 Wert auf die grundsätzliche Festlegung gelegt, daß künftig die Huldigung für einen neuen Landes· und Stadtherrn erst nach Bestätigung der Privilegien erfolgen sollte, und zwar nachdem man diese hatte vorlesen laten in gegenwordicheit des radis und aller borger,eo also unter Einbeziehung der Stadtgemeinde, so gebot der kurfürstliche Hofrichter nun, 1448, ebenfalls nicht nur Bürgermeistern, Batsherren, Vierwerken und den anderen Zünften, sondern allen Bürgern und Einwohnern, nach Spandau zum Hofgericht zu kommen, um sich wegen der gegen sie erhobenen Klage zu verantworten. Die Vorladung wurde indes zurückgewiesen. Friedrich II. sah sich gezwungen, mit der Doppelstadt einen von den Ständen im Mai 1448 vermittelten Vergleich
59 Müller-Mertens, Zur Städtepolitik, S. 84; Eckhard Müller-Mertens, Berlin und die Hanse, in: Hansische Geschichtsblätter 80 (1962) S. 1-25, bes. S. 17f., wo Müller-Mertens seine 1956 vertretene Auffassung revidiert; ders., Die Entstehung Berlins. Die mittelalterliche Stadt, in: Ingo Materna [Leiter eines Autorenkollektivs], Geschichte Berlins von den Anfängen bis 1945, Berlin [Ost] 1987, S. 49-154, bes. S. 139. 60 Das Berlinische Stadtbuch, S. 250Γ., bes. S. 251 (1440 November 19).
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zu schließen. Zu den Vermittlern gehörten neben dem Bischof von Brandenburg, dem Fürsten von Anhalt, dem Ruppiner Grafen und dem Johanniterordensmeister die Räte der Städte Brandenburg, Frankfurt und Prenzlau. Der Rurfürst mußte davon absehen, Berlin und Cölln eine weitere Beschränkung der mittelalterlichen Städtefreiheit aufzuerlegen. Auch die völlige Trennung Berlins und Cöllns setzte Friedrich II. nicht durch. Die im August 1442 erlassenen Beetimmungen aber wurden bestätigt, d. h.: Berlin und Cölln mußten sich endgültig in die Verbindung mit einem Schloß, in die Bestätigung der Ratswahl und Bestellung des Stadtrichters durch den Landesherrn wie den Verlust der Gerichtsgefälle und Einnahmen aus der Niederlage fügen. 61 Kurfürst Friedrich II., genannt Eisenzahn, konnte neben dem politischen Erfolg einen eindrucksvollen finanziellen Gewinn verbuchen: Die am Aufstand führend beteiligten Bürger wurden mit Lehensentzug und Geldforderungen bestraft;, einige von ihnen sogar aus den vier hauptstetten und zu Spandow62 verbannt.
Von der Reise- zur Residenzherrschaft Die Regierungszeit Friedrichs I. zerfiel entsprechend seinen Aufenthalt in der Mark in drei Phasen. Die längste Aufenthaltsperiode, insgesamt zwei Jahre und zwei Monate, lag gleich am Anfang, in den Jahren 1412 bis 1414, als Friedrich erste Schritte unternahm, das Land zu befrieden. Während der ersten zehn Jahre als Rurfürst, von 1415 bis 1425, besuchte er die Mark nur noch sporadisch. Seine durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug jährlich etwa vier Monate; 1420 waren es ausnahmsweise etwa zehn Monate und 1423 nahezu neun Monate. In den Jahren 1417, 1418 und 1422 hat er sich wahrscheinlich nicht in Brandenburg aufgehalten. In den letzten fünfzehn Jahren seines Lebens schließlich betrat er die Mark kein einziges Mal. War er in der Mark, so befand sich der erste Hohenzoller bei der Ausübung seiner Regierung im ständigen Umzug. Er bereiste alle in seinem Besitz befindlichen Landesteile, regierte also unter den Bedingungen einer sogenannten Reiseherrschaft. Die einzigen beiden Orte, an denen der Rurfürst länger als je zehn Tage nachzuweisen ist, waren Berlin und Tangermünde. 63 Im Jahre 1412 hat sich Friedrich I. von August bis November in Berlin aufgehalten, im folgenden Jahr von April bis Dezember. Von 1414 an zeigen Nachweise über seinen Reiseweg ein mehr oder weniger regelmäßiges Pendeln zwischen Berlin und Tangermünde. 61 Engel, Zur Autonomie brandenburgischer Hansestädte, S. 71; Eckhard Müller-Mertens, Bürgerlich-städtische Autonomie in der Feudalgesellschaft - Begriff und geschichtliche Bedeutung, in: Fritze/Müller-Mertens/Stark, Autonomie, Wirtschaft und Kultur der Hansestädte, S. 11-34, bes. S. 28; Müller-Mertens, Die Entstehung Berlins, S. 140; vgl. auch Eckhard MüllerMertens, Der Berliner Unwille und die Konflikte um die mittelalterliche Stadtverfassung von Berlin, in: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde 29 (1987), S. 292-297. 62 Cod. cont., Bd. 1, S. 211f. (1448). 65 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 85; Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 149, einschl. Anm. 65.
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Den Reise- und Aufenthaltsgewohnheiten Friedrichs I. entsprach die Konzentration der Regierungs- und Verwaltungsmaßnahmen auf eben diese Orte. Von allen kurfürstlichen Urkunden zwischen 1415 und 1426 - ausgenommen Verträge und Urkunden ohne Ortsangabe - wurden 90 Prozent in Berlin und Tangermünde ausgestellt.84 Die Bedeutung Tangermündes als markgräflicher Aufenthaltsort ging gegenüber Berlin mit der Zeit allerdings stetig zurück. So stehen 11, zum Teil auch kurzen Aufenthalten Friedrichs I. in Tangermünde insgesamt 22 zumeist längere Aufenthalte in Berlin gegenüber 65 , wo Stellvertreter und höhere Hofbeamte auch bei Abwesenheit des Kurfürsten den anfallenden Geschäften nachgingen. 66 In der Itinerarstruktur erscheint Berlin quasi als das Zentrum. 67 Das Itinerar läßt es jedoch noch nicht zu, von einer dauerhaften und ortsfesten Hofhaltung zu sprechen. 68 In den ersten Jahren der Regentschaft Markgraf Johanns hat sich die landesherrliche Präsenz in Berlin weiter verstärkt. Dennoch war Johann auch wiederholt an der Elbe, in Tangermünde und Arneburg zu finden. 69 Darüber hinaus urkundete der Markgraf vorwiegend in den größeren Städten, in Perleberg, Brandenburg, Frankfurt, Eberswalde, Prenzlau und Rathenow. Im Sommer des Jahres 1429 aber setzte ein grundlegender Wandel ein. An die Stelle von Berlin trat im August 1429 Spandau als Herrschaftsschwerpunkt und Residenz70, wo Johann bis dahin nur an zwei Tagen nachweisbar ist. Nach fast achtzigjährigem Schattendasein sollte Spandau nun für knapp sieben Jahre erneut zum markgräflichen Hauptaufenthaltsort zwischen Elbe und Oder werden. 71 Der Grund für den entscheidenden Wechsel lag offenbar im Konflikt Markgraf Johanns mit den mittelmärkischen Städten wegen der Hussitensteuer. Eine Kraftprobe mit Frankfurt vermochte Johann 1428/1429 nicht zu bestehen. Vermutlich ist es auch zu Zusammenstößen und Zerwürfnissen mit dem Berliner Rat gekommen, die Johann den Aufenthalt in Berlin verleideten. 72 Allem Anschein nach hat Markgraf Johann Berlin vom Juli 1429 an für Jahre nicht mehr betreten. Erst als er seinen Abgang aus der Mark vorbereitete, weilte er seit August 1436 wieder mehrere Tage und wiederholt in Berlin. An Aufenthalten in größeren Städten sind lediglich drei in Brandenburg, zwei in Frankfurt und einer in Prenzlau belegt. Johanns Rückzug aus Berlin und das Meiden der größeren Städte hatte eine neuerliche Zunahme der Aufenthalte in Tangermünde zur Folge. Spandau und Tangermünde erscheinen im Itinerar des Regenten fortan vollkommen gleichgewichtig. Das Itinerar spiegelt demnach in unmißverständlicher Weise 64 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 85. 65 Ebda. 66 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 149; vgl. dazu Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 342. 67 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 149. 68 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 149f.; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 59f. 69 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 85. 70 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 342; vgl. Podehl, Burg und Herrschaft, S. 269-280. 71 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 85. 72 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 150.
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die damals durch die Auseinandersetzungen zwischen Landesherrschaft und Städten grundlegend veränderte politische Situation im Lande wider.73 In den ersten fünf Herrschaftsjahren Friedrichs II. änderte sich das Bild wiederum gründlich. So ist für die gesamte Zeitspanne ein Aufenthalt Friedrichs in Spandau nicht zu ermitteln.74 Stattdessen stieg seine Präsenz in Berlin von Jahr zu Jahr an. In Tangermünde hat sich Friedrich II. ähnlich oft aufgehalten wie zuvor Johann. 75 Friedrich II. war vom Anfang seiner Herrschaft an bestrebt, die landesherrliche Hofhaltung wieder in Berlin zu etablieren. Das kurfürstliche Herrschaftszentrum der Mittelmark sollte Berlin sein. Dies dokumentierte Friedrich bereits zu Beginn seiner Regentschaft, als er am 30. Juni 1437 mit der Einsetzung Hasso von Bredows zum Hauptmann der Mark seine erste Regierungshandlung auf märkischem Boden vornahm. Hier gründete er am 29. September 1440 den Schwanenorden, und hierher berief er nach dem Tode seines Vaters im Oktober 1440 die Ständevertreter zur Huldigung. Auch die wenigen Abrechnungen, die wir aus dieser Zeit besitzen, wurden offensichtlich in Berlin getätigt. Darüber hinaus wurden die meisten Urkunden für ranghohe markgräfliche Beamte ebenfalls in Berlin ausgestellt. Im Itinerar Friedrichs II. ist zwar eine Tendenz zu längerfristigen Aufenthalten deutlich faßbar,76 die Auseinandersetzungen zwischen Friedrich und den Städten Berlin und Cölln in den vierziger Jahren bewirkten jedoch in Hinsicht auf die kurfürstlichen Aufenthaltsschwerpunkte erneut wesentliche Veränderungen. War sein Hauptaufenthaltsort im Havel-Spree-Gebiet bis zum August 1442 Berlin, so schwankten die Aufenthalte des Rurfürsten in den Jahren von 1442 bis 1448 zwischen Berlin und Spandau hin und her.77 Spandau war der Ort, an dem die landesherrliche Verwaltung unabhängig vom jeweiligen Geschehen in Berlin kontinuierlich arbeiten konnte. 78 Häufigkeit und Dauer der landesherrlichen Aufenthalte in Berlin nahmen von Jahr zu Jahr ab. Rurfürst Friedrich II. mied Berlin jedoch nicht wie sein Bruder Johann nach 1429 gänzlich.79 Die Landesherren besaßen mit dem Hohen Haus einen ansehnlichen Wohnort in Berlin, nahmen in diesem Aufenthalt und hielten Hof- und Landtage ab. Das aber bedeutete nicht, daß in Berlin schon eine vergleichbare landesherrliche Residenz bestanden hätte. Angesichts der Größe des Hohen Hauses stand die Frage einer Erweiterung, der Errichtung eines Schlosses.80 Vorbedingung dafür war jedoch die Unterwerfung der Doppelstadt Berlin-Cölln, die Einschränkung ihrer Städtefreiheit. 73 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 62f. 74 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 150. 75 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 63 und S. 337. 76 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 150. 77 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 65. 78 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 67. 79 Ebda. 80 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 139; Albert Krantz, Wandalia, Köln 1519, lib. XII, c. 10, zitiert in: Ferdinand Pusthius, Chronicon Berolinense, continens res Berolini actas ab a. 1307. vsque ad a. 1699, Accedit Series consulum Berolinensium (= Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin, Η. IV), Berlin 1870, S. 11, verstand das Schloß als Zügel für die alte Freiheit, als Zwingburg; dazu Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 151.
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Die Schäden, die durch die gewalttätigen Aktionen der Bürgerschaft an dem im Sommer 1448 im Bau befindlichen Schloß entstanden, können nicht allzu groß gewesen sein. Bereits im Frühjahr 1451 konnte Friedrich II. seine neue Residenz beziehen. An drei Seiten; nach Osten zur Spree hin, nördlich zum Werder und westlich zum Stadtgraben von Cölln, von einer hohen Mauer umgeben, hatte die Anlage zwar ein wehrhaftes Aussehen. Zur Stadt hin gab es jedoch keinerlei Befestigung, sondern einen offenen Platz, so daß man bereits diese erste kurfürstliche Residenz in Cölln als Schloß bezeichnen muß.81 Mit dem Schloßbau zu Cölln wurde Berlin zur Residenz, schließlich zur Residenz- und Hauptstadt.82 Damit schlossen die Hohenzollern an die Mittelpunktrolle an, die Berlin als Versammlungsort der märkischen Stände, als Haupt des mittelmärkischen Städtebundes und als mächtige Handels- und Hansestadt seit dem Ende des 13. Jahrhunderts sukzessive gewonnen hatte. 83 Wenngleich Berlin zwar auch Mitte des 15. Jahrhunderts noch immer keine ausschließliche Residenz darstellte,84 hielt doch schon Friedrich II. im neu errichteten Schloß wiederholt Hof. Ein Hofgericht wurde eingerichtet. Der bei weitem überwiegende Teil der nach der Vollendung des kurfürstlichen Schlosses in der Doppelstadt ausgefertigten Urkunden trägt die Ortsangabe Cölln.85 Dieser Umstand konnte zunächst allerdings umso deutlicher hervortreten, als sich Tangermünde in den Händen Friedrichs des Jüngeren befand. 1447 war es zu einer Landesteilung des Rurfürsten Friedrich II. mit seinem jüngeren gleichnamigen Bruder, dem Markgrafen Friedrich dem Jüngeren, auch »der Fette« genannt, gekommen, bei der Altmark und Prignitz dem Markgrafen zugefallen waren. Von 1447 bis 1463 existierten folglich in der Mark zwei deutlich exponierte landesherrliche Mittelpunkte: im Herrschaftsbereich Markgraf Friedrichs Tangermünde 86 und im Herrschaftsbereich Kurfürst Friedrichs II. die Stadt Berlin-Cölln. Nach der Rückeroberung der Neumark (1454) kam mit Küstrin ein neuer, verglichen mit Cölln jedoch untergeordneter landesherrlicher Mittelpunkt hinzu. Die beiden anderen Neumarkorte, in denen sich der Kurfürst ebenfalls recht häufig aufhielt, waren Königsberg und Soldin. Als Markgraf Friedrich der Jüngere 1463 starb, fielen Altmark und Prignitz wieder unter die Herrschaft Friedrichs II., was zur Folge hatte, daß der Kurfürst wie schon vor der Landesteilung auch in Tangermünde residierte. 87 Im Itinerar ergab sich wieder das Verhältnis von hauptsächlicher Residenz Berlin-Cölln und zweiter Residenz Tangermünde. 88 81 Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 274f.; Felix Escher, Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Stadtlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Rommission zu Berlin, Bd. 47), Berlin 1985, S. 55. 82 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 139; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 338 und S. 348. 83 Müller-Mertens, Die Entstehung Berlins, S. 142; Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 264. 84 Müller-Mertens, Die Entstehung Berlins, S. 142. 85 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 151; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 68. 86 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 68 und S. 86; Escher, Berlin und sein Umland, S. 53f. 87 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 70f. 88 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 151.
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Insgesamt gesehen, liegen für die Jahre 1447 bis 1470 etwa 1000 direkte und indirekte Tagesaufenthalts-Nachweise des Rurfürsten vor. Diese Dichte macht den Schluß aus der Itinerarstruktur sicher, daß die Hofhaltung in Cölln jetzt jedoch ortsfest,89 die Reiseherrschaft durch die Residenzherrschaft abgelöst war.90
Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit der Bischöfe Zwar gibt es für das gesamte 15. Jahrhundert keinen eindeutigen Beleg, aus dem hervorgehen könnte, daß die Bischöfe dem Markgrafen von Brandenburg gehuldigt hätten. Doch schon als Burggraf Friedrich VI. 1412 in die Mark kam, da erkannten die Bischöfe von Brandenburg (Henning von Bredow) und von Lebus (Johann IV. von Borschnitz) ebenso wie die Geistlichen beider Diözesen den Landesverweser an. Auch der Havelberger Bischof (Otto I. von Rohr) stellte sich auf die Seite des Burggrafen Friedrich von Hohenzollern. Das verwundert nicht. Die Tafelgüter und Stiftsgebiete der rechtlich als reichsunmittelbar anzusehenden Bistümer waren mit der Mark eng verbunden. Das Rirchengut stellte einen unübersehbaren Posten dar. Dennoch mußten die brandenburgischen Bistümer bemüht sein, in den Konflikten der wesentlich größeren, sie umgebenden Territorialstaaten (Sachsen, Magdeburg, Pommern, Mecklenburg, Brandenburg und Polen) nicht zerrieben zu werden. 91 Im Urkundenbestand für Brandenburg und Havelberg finden sich Dokumente aus den Jahren 1414, 1416 und 1440, in denen die Markgrafen dem Bischof und Kapitel jeweils alle rechte, gnade, freiheit, gerichte, gute gewonheit, lehenne, lehenscheße, manscheße, pfantscheße, eigen, gutere und brieve92 bestätigten. 93 Die Kurfürsten setzten im Falle Brandenburgs 1416 und 1440 gar noch hinzu: Was sie auch königlicher Brieve und Privilegia haben, die vollenworden und bewesen wir von unser Mähte, als ein Kurfurste desselben Romischen Reiches.94 Die Frage nach der Rechtsgrundlage dieser Bestätigung außer acht lassend, zeigen diese Briefe das hohe Maß der Abhängigkeit der Bischöfe von den Markgrafen. 95
89 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 86. 90 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 151. 91 Peter-Michael Hahn, Kirchenschutz und Landesherrschaft, in der Mark Brandenburg im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28 (1979), S. 179-220, bes. S. 206; Gerhard Schmidt, Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit der Bischöfe in der Mark Brandenburg im späten Mittelalter, in: Engel/Fritze/Schildhauer, Hansische Stadtgeschichte, S. 41-56, bes. S. 53f. 92 CDB A 2, S. 476f. (1414), A 8, S. 391 (1416 Februar 20) und S. 411 (1440 November 13). 93 Karl-Heinz Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung und politische Bedeutung der märkischen Bistümer im späten Mittelalter, in: Roderich Schmidt (Hrsg.), Mitteldeutsche Bistümer im Spätmittelalter, Lüneburg 1988, S. 19-52, bes. S. 23. 94 CDB A 8, S. 391 (1416 Februar 20) und S. 411 (1440 November 13). 95 Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung, S. 39.
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Der Havelberger Bischof Konrad von Lintorff legte 1427 auf der Cadolzburg in Franken als Erweiter des Stiffis vnd Bistums zu Habelberg gegenüber dem Irleuchten ßirsten vnsers gnedigen Herren, Hern fridrichs auf kurfürstliche Aufforderung hin ein Treuegelöbnis ab: So sullen vnd wollen wir als ein Bischoff... uerbriefen ... zum ersten, das wirvns mit dem... Stiffte vnd Bistume zu Havelberg... zu... Hern fridrich vnd Hern Johansen seinem Sone, Marggrauen zu Brandeburg etc., vnd zu allen Iren erben, vnsern gnedigen Herren, setzen... vnd auch ...bey In bleiben, In beholffen, beraten vnd beystendig sein, wider allermeniglich nymand aussgenomen. Sunderlich sullen vnd wollen wir auch alletzeit iren fride vnd vnfride liben vnd Halten,... Nemlichen sollen sie auch widerumb vns, vnser lande vnd Leute getreulichen schützen, schirmen vnd uerteydigen, ...96 Ob der Papst dem Kurfürsten von Brandenburg noch während der Regierungszeit Friedrichs I. ein Nominationsrecht für die drei Bistümer erteilt hat, läßt sich definitiv nicht ermitteln. 97 Ganz offenbar aber war es den brandenburgischen Landesherren schon bald gelungen, die Besetzung der Bischofsstühle in massiver Weise zu beeinflussen. Noch als Statthalter hatte Friedrich I. gegen den vom Brandenburger Domkapitel gewählten Mitbewerber Nikolaus von Burgsdorff die Wahl seines Kanzleileiters Johann von Waldow zum Bischof durchgesetzt. 1420 wurde dieser auf Antrag des Kurfürsten in das reichere Bistum Lebus versetzt. 1423 starb Johann Y. von Waldow; Nachfolger wurde sein gleichnamiger Bruder, Johann VI., bis dahin Dompropst in Lebus. Als 1424 eine erneute Wahl für den Lebuser Bischofsstuhl anstand, versagte der Kurfürst der bereits erfolgten Wahl des Kapitels, die auf Peter von Burgsdorff gefallen war, seine Zustimmung und ließ stattdessen seinen Rat Christoph von Roterhahn zum neuen Bischof wählen. Im Jahre 1433 legte der Theologe Nikolaus von Kues dem Baseler Konzil seine Schrift »De concordantia catholica« (Über die katholische Übereinstimmung) vor. Er entwickelte ein Programm zur Kirchen- und Reichsreform, das grundsätzliche Oberhoheit des Konzils als Repräsentation der Gemeinschaft der Gläubigen über den Papst forderte. Der Klerus war bestrebt, die kirchliche Unabhängigkeit gegenüber den sich mehrenden Übergriffen der weltlichen Gewalt zu schützen. In den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts neigte sich der Streit zwischen Konziliarismus und Kurialismus seinem Ende zu. Das Papsttum verteidigte sich gegen die konziliaren Bestrebungen des Klerus, indem es ihn in Abhängigkeit von den Landesherren brachte und sich zugleich die politische Gefolgschaft der Fürsten sicherte. Die Söhne Kurfürst Friedrichs I., Albrecht Achilles und Friedrich II., erlangten durch ihren rechtzeitigen Übertritt zur römischen Obödienz eine Reihe päpstlicher Privilegien, die für die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments in der Mark Brandenburg den eigentlichen Grund legten. 96 CDB A 2, S. 487 (1427); Hahn, Kirchenschutz, S. 212, Anm. 170; Schmidt, Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit, S. 54. 97 Hahn, Kirchenschutz, S. 204 f.; nach Gerd Heinrich, Die Mark Brandenburg 1319-1575. Territoriale Entwicklung (= Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, Lfg. 36), Berlin 1971, Beiheft, [S. 3], wurde die Frage der Reichsunmittelbarkeit bzw. Landsässigkeit der Bistümer endgültig zwischen 1447 und 1564 zugunsten der Kurfürsten entschieden-, Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung, S. 36, kommt zu dem Ergebnis: Eine Bischofswahl, die nicht seine Billigung fand, hat es unter Friedrich I. nicht gegeben.
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Unter den insgesamt 37 Bullen der Päpste Eugen IV. und Nikolaus V. befand sich das am 10. September 1447 ausgestellte Privileg, durch das der Rurfürst das Recht erhielt, die Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus zu nominieren. 98 Friedrich II. dürfte von diesem Recht in allen drei in Betracht kommenden Fällen auch Gebrauch gemacht haben. In bezug auf Brandenburg und Havelberg wissen wir das, da die entsprechenden Nominationen für Dietrich von Stechow bzw. Wedego Gans zu Putlitz überliefert sind. Aber auch im Falle der Erhebung des märkischen Kanzlers Friedrich Sesselmann in Lebus kann eine der einstimmigen Wahl des Kapitels vorausgehende Nomination als wahrscheinlich gelten: Im Lebuser Kapitel war der kurfürstliche Einfluß schon frühzeitig besonders beachtlich. Bereits 1415 ist Johann von Waldow als Lebuser Archidiakon belegt. 1435 ist der Leiter der markgräflichen Kanzlei, Johann Sommer, als Domherr nachzuweisen. Wenig später erhielt Friedrich II. vom Papst ein einmaliges Nominationsrecht für drei Kanonikate. 1453 war der kurfürstliche Kanzler Friedrich Sesselmann Dompropst in Lebus, seit 1455 schließlich Bischof. Unterstützt durch den Kardinallegaten Nikolaus von Kues hatte der Magdeburger Erzbischof, Heinrich von Beichlingen, 1445 mit der Bekämpfung des Wilsnacker Wunderblutes begonnen. Zugleich unternahm man es im Bereich des Erzstifts auch, die Observanz in den Mendikantenklöstern durchzusetzen. Zur Abwehr der Reformansätze des Metropoliten hatten sich Kurfürst Friedrich II., konventuale Franziskaner und Dominikaner sowie der prämonstratensische Bischof von Havelberg zusammmengeschlossen, jeder freilich aus einer anderen Interessenlage: Die konventualen Bettelordensangehörigen fürchteten die Reform, der Bischof um seine reichen Einkünfte in Wilsnack, das sich zu einer Wallfahrtsstätte von europäischer Bedeutung entwickelt hatte, und der Landesherr einen wachsenden Einfluß der Metropolitangewalt. Der Angriff des Erzbischofs mißlang; die von beiden Seiten angerufene päpstliche Autorität entschied sich für Bischof und Landesherrn. Kurfürst Friedrich II. gewann 1446/1447 nicht nur einen maßgeblichen Einfluß auf die Besetzung der drei im Lande befindlichen Bistümer, sondern auch die Erlaubnis, die Prämonstratenserkonvente in Brandenburg und Havelberg durch Säkularkanonikerstifte zu ersetzen." Die bisherigen Chorherren von Brandenburg sollten nach diesem Plan in das 1435 durch Friedrich II. gegründete Prämonstratenserkloster auf dem Marienberg vor der Stadt Brandenburg, die von Havelberg in ein neu zu gründendes Kloster in Wilsnack transloziert werden. Die Umwandlung der Domkapitel fand jedoch noch nicht statt. Neben dem Widerstand der Prämonstratenser dürften vor allem die Aussichten auf die Kontrolle der Neubesetzung der Kanonikate in dem dritten, mit Säkularkanonikern besetzten Bistum 98 CDB A 2, S. 501f. (1447); Hahn, Kirchenschutz, S. 209; Heibig, Gesellschaft, S. 60; Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 277; Schmidt, Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit, S. 55 und S. 57. 99 Felix Escher, Landesherr und Reformen in brandenburgischen Prämonstratenserklöstern, in: Kasper Elm (Hrsg.), Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen (= Berliner Historische Studien, Bd. 14), Berlin 1989, S. 515-519, bes. S. 518. 100 Escher, Landesherr und Reformen, S. 518f.; Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung, S. 50f„ Anm. 104.
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Lebus dafür ausschlagebend gewesen sein. Der Kurfürst konnte dort Kleriker in seinem Dienst bepfründen. Damit entfiel der wichtigste Grund für die Umwandlung, die Möglichkeit, im landesherrlichen Dienst stehende Weltgeistliche mit Domkanonikaten zu versorgen. 100 1447/1448 erhielt der Kurfürst schließlich auch die entsprechenden Bullen von Papst Nikolaus V., die die bischöfliche Gerichtsbarkeit in erster Linie auf geistliche Angelegenheiten beschränken sollten. Zugleich wurde verboten, die Betroffenen weiter als zwei Tagesreisen vom Wohnort entfernt vor geistliche Richter zu zitieren.101 Damit sollte den Offizialen der nicht landsässigen Bistümer (Halberstadt, Verden, Cammin) die unmittelbare Jurisdiktion, sofern das, wie in der Altmark, noch nicht geschehen war, entzogen werden. Friedrich II. hatte sich also mit Erfolg bemüht, die geistliche Gerichtsbarkeit zurückzudrängen, die bis in die Stadtgerichte und bis in die Patrimonialgerichte der Ritterschaft eingedrungen war. So war es wohl auch auf seine Anregung zurückzuführen, daß die Stände der Mittelmark 1445 auf einem Berliner Landtag für das Gebiet der Mittelmark, Prignitz, Lebus und Sternberg in Anlehnung an ältere Regelungen in der Altmark (1435) ein Abkommen über Gerichtsverfassungsfragen getroffen hatten. In diesem Berliner Landtagsabschied von 1445 erhielten die hohen Prälaten zwar ihre Gerichtsbarkeit über die Stiftslehen garantiert. Personen aber, die auf dem Stiftsland ansässig waren, jedoch in einem Lehnsverhältnis zum Kurfürsten standen, sollten wegen weltlicher Angelegenheiten vor einem landesherrlichen Gericht verklagt werden. Für alle ausschließlich weltlichen Gerichtsfälle wurde ausdrücklich die Priorität der weltlichen, insbesondere der patrimonialen Gerichte festgelegt. Nur wenn das patrimoniale oder städtische Gericht sein Desinteresse an einer Klage bekunden würde, könne nach einer Frist von sechs Wochen das geistliche Gericht einen weltlichen Gerichtsfall weiterverfolgen oder aufgreifen. 102 Zwar erteilte der Kurfürst später (1458 und 1465) der Lebuser Kirche Privilegien, nach denen keiner der bäuerlichen oder bürgerlichen Untertanen des Hochstifts vor fremde weltliche Gerichte gefordert werden durfte. Vor allem aber gestattete der Kurfürst dem Bischof, Räuber und Landfriedensbrecher, die die Güter der Lebuser Kirche beschädigt hatten, durch seine Gerichte aburteilen zu lassen.103 Ein Privileg des Papstes Pius II. vom 21. März 1458 sicherte jedoch nochmals zu, daß sämtliche Untertanen in Zivil- und Kriminalsachen nur vor das Gericht des Markgrafen oder der von ihnen deputierten Richter gezogen werden dürften. 104 Allerdings sahen sich Ritterschaft und Städte dennoch veran101 CDB C 3, S. 56-58 (1447 September 10) und C 1, S. 273-276 (1445 Juni 15). 102 Gerd Heinrich, Klosterflucht und Klosterzucht im 15. Jahrhundert. Zur Geschichte Chorins, in: Jahrbuchfür die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 12 (1963) S. 195-206, bes. S. 199. 103 Nach Hahn, Kirchenschutz, S. 199, dürfte deshalb kein Zweifel daran bestehen, daß bis in die Reformationszeit die brandenburgischen Bischöfe in ihren Stiftslanden umfangreiche gerichtsherrliche Befugnisse hatten, die denen des Markgrafen vergleichbar waren. Auch läge kein urkundlicher Beleg vor, daß von einem bischöflichen Gericht an den Kurfürsten von Brandenburg appelliert worden sei. 104 CDB Β 5, S. 35-37 (1458 März 21); Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 74.
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laßt, 1460 auf einem Landtag in der Altmark die Einrichtung eines ständigen Landgerichtes in Tangermünde zu beschließen, um die fortwährende Einwirkung geistlicher Gerichte zu unterbinden. Als ein Novum zeigte sich auch, daß die Ketzerverfolgung im Zuge des beginnenden landesherrlichen Rirchenregiments weitgehend territorialisiert erschien.105 Anhänger der Waldenser hatten inzwischen die Schwelle zur institutionalisierten Gegenkirche mit eigener Hierarchie und eigener Sakramentsgewalt überschritten, lehnten sich an hussitisch-taboritische Vorbilder an. Im April 1458 übernahm nun nicht etwa ein päpstlich legitimierter Inquisitor die Leitung der Verfahren gegen sie. Die Hauptangeklagten wurden in Gegenwart des Landesherrn von Bischof Stephan Bodecker bzw. von dem durch den Bischof damit betrauten Erfurter Theologie-Professor Johann Rannemann verhört. Zwei Monate nach diesem Berliner Prozeß, Ende Juni 1458, hielt der eigentliche Inquisitor, Johann Kannemann, gleichsam Nachlese. Wiederum jedoch in Anwesenheit des Kurfürsten Friedrich II. schlug er sein Tribunal in Angermünde auf. Kurfürst Friedrich II. hatte mit dem Recht der Nomination von Bischöfen und weiteren Befugnissen die Bistümer in der Mark Brandenburg der Landesherrschaft zwar nicht völlig untergeordnet, dennoch die Existenzbedingungen der Hochstifte und den Handlungsspielraum der Bischöfe wesentlich einzuschränken vermocht. Schon während der Erbauungszeit des Berliner Schlosses wurde der Schloßkapelle 1450 auf Wunsch des Kurfürsten der Rang einer Pfarrkirche verliehen. Neben dem Pfarrer waren mehrere Priester und Chorschüler tätig. So konnte der Gottesdienst in der neuen Kirche bereits anders als in den städtischen Pfarrkirchen durchgeführt werden. Nur anderthalb Jahrzehnte später, am 7. April 1465, wurden die Stiftsherren des an der Kirche gegründeten Kollegiatstiftes feierlich in ihr Amt eingeführt. Die Bezeichnung »Domstift« taucht erstmals 1466 auf.106 1469 erließ der Kurfürst eine Stiftsordnung, die festlegte, daß nunmehr neun Stiftsherren mit dem Berliner Propst an ihrer Spitze das Kapitel dieser als Dom bezeichneten Stiftskirche bilden sollten. Von der begrifflichen und institutionellen Seite her erhielt das Ganze den Anstrich eines Bistums, wobei der Kurfürst quasi in die Rolle des Bischofs rückte. 107
Ausbau eigener Verwaltungsorgane und der Exekutive Obwohl vor allem die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg ihr Territorium in und außerhalb der Mark damals noch weitgehend als reichsunmittelbar ansahen, hatte die territorialstaatliche Kirchenpolitik der brandenburgischen Landesherren 105 Dietrich Kurze, Historische Übersicht, in: Quellen zur Ketzergeschichte Brandenburgs und Pommerns, hrsg. v. Dietrich Kurze (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 45), Berlin-New York 1975, S. 1-11, hier S. 7. 106 Escher, Berlin und sein Umland, S. 55. 107 Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 277; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 345f.
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die Landstandschaft der Geistlichkeit zur Folge.108 Das päpstliche Einverständnis von 1447, nur von den Rurfürsten benannte Personen zu Bischöfen von Brandenburg, Havelberg und Lebus zu providieren, erschloß die wichtigen Dom- und Kollegiatstifter landesherrlicher Einwirkung. Es brachte mit sich, daß Vasallenpflichten bei Heerfahrten zu erfüllen waren. Das Rirchengut konnte für die Zwecke der Landesherrschaft durch Belastung und das Kirchenvermögen durch Darlehen an die Landesherren nutzbar gemacht werden. Landesherrliche Machtansprüche einzuschränken, konnte der Prälatenstand durch Mitsprache auf den landständischen Versammlungen versuchen und durch ein Zusammengehen mit dem Adel, dem er sich in der Mehrzahl auch durch seine Abkunft verbunden fühlte. Doch der Kurfürst begünstigte den Aufstieg etlicher Geistlicher, deren akademische Vorbildung er zugleich für den Ausbau eigener Verwaltungsorgane nutzte, so daß sich deren persönliche Stellung und der Rang ihres Amtes im Lande von Grund auf veränderten. 108 Der spätere Bischof Johann von Waldow hatte bereits in der märkischen Kanzlei Jobsts von Mähren und danach als Landschreiber der Mark und Propst von Berlin in landesherrlichen Diensten gewirkt. Er war Rat Friedrichs I. gewesen und hatte diesen auf das Konzil von Konstanz begleitet, wo er zugleich im Dienst König Sigmunds stand. 1415 war Johann von Waldow Lebuser Archidiakon und bald darauf auf Fürsprache Friedrichs I. Bischof von Brandenburg, dann von Lebus geworden. Als Leiter der kurfürstlichen Kanzlei war Johann von Waldow von dem Franken Ortel von Zehmen, einem Laien, abgelöst worden. Unter Markgraf Johann aber war die Kanzlei wieder von einem Geistlichen betreut worden, von Johann Sommer, der 1437 Propst von Berlin wurde. Der erste Kanzleileiter Friedrichs II., Heinz von Kracht, wieder ein Laie, »oberster Schreiber« und Kanzler (1437 bis 1444), stammte aus der Lausitz. Krachts Nachfolger wurde 1445 der Kulmbacher110 Bürgersohn Friedrich Sesselmann, dem der in Bologna erworbene juristische Doktortitel das Kanzleramt eingebracht hatte, das er bis zu seinem Tod im Jahre 1483 mit großem Erfolg verwaltete und an die Spitze der Ämter brachte. Kurfürst Friedrich II. erhob ihn 1453 zum Propst und 1455 zum Bischof von Lebus. So begegneten sich in Sesselmann gleichsam geistliche und politische Führungsschicht. Überdies begann mit Sesselmann, dem Theologen und Juristen, die Herrschaft bürgerlicher Juristen in der Mark.111 Auch war es über die Aufnahme von Rittern in ihre Dienste schon im November 1436 zwischen den fränkischen Fürsten, dem Markgrafen von Brandenburg und den Bischöfen von Würzburg und Bamberg zu einer Vereinbarung gekommen. Im Januar 1437 folgte eine Einigung zwischen dem Markgrafen und der Ritterschaft 108 Gerd Heinrich, Amtsträgerschaft und Geistlichkeit. Zur Problematik der sekundären Führungsschichten in Brandenburg-Preußen 1450-1786, in: Günther Franz (Hrsg.), Beamtentum und Pfarrerstand. 1400 bis 1800 (= Deutsche Führungsgeschichten in der Neuzeit, Bd. 5), Limburg (Lahn) 1972, S. 179-238, bes. S. 188; Hahn, Kirchenschutz, S. 188 und 214. 109 Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 187f. 110 So Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 188; vgl. Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 98. 111 Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 188 f.; Schmidt, Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit, S. 54.
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vom St. Jörgenschildt über gegenseitige Hilfe bei allen Angriffen. Unter den ersten Mitgliedern des 1440 von Rurfürst Friedrich II. gegründeten Schwanenordens werden überwiegend Angehörige der Burgherrengeschlechter erwähnt. Durchaus einleuchtend erscheint, daß der Kurfürst mit der Gründung dieses Ordens seine mächtigsten Amtsträger und Verbündeten aus der märkischen Ritterschaft auszuzeichnen und das Band zwischen Dynastie und Vasall fester zu knüpfen gedachte.112 Kurfürst Friedrich I. soll seinen Söhnen noch auf dem Sterbebett (20. September 1440) geraten haben: das ir eur ritterschaß in eren und lieb habt, an den geb ich euch den höchsten schätz... und das ir eur buchen und heller offen last steen gein der ritterschaft, das ist der sold, den wir ihne geben.113 Der Kyritzer Chronist Mathias Döring fühlte sich folglich veranlaßt, gegenüber Kurfürst Friedrich II. und dessen jüngerem Bruder, dem in Tangermünde residierenden Markgrafen Friedrich dem Fetten, bittere Vorwürfe wegen der von ihnen geübten Nachsicht, ja Freundschaft mit den Räubern zu erheben.114 Doch waren nicht alle Ritter Räuber.115 Innerhalb der brandenburgischen Ritterschaft bestanden starke Besitzunterschiede. Als die Hohenzollern in der Mark zur Herrschaft gelangt waren, hatten die Umtriebe rivalisierender lokaler Adelsbünde und Städte die Altmark und angrenzenden Landschaften erschüttert. Innerhalb weniger Jahre hatten die Markgrafen dem Unwesen zu begegnen vermocht. Erleichtert worden war ihr Vorgehen dadurch, daß sie mit den Nachbarfürsten rasch zu einem friedlichen Ausgleich gelangt waren. Die sonstigen militärischen Auseinandersetzungen der Brandenburger mit den Pommern und Böhmen berührten die Geschicke der westelbischen Lande kaum. Im altmärkischen Raum gewann das neue Markgrafengeschlecht rasch an Ansehen und Einfluß, indem es zu einigen Vertretern der führenden Familien ein Verhältnis der persönlichen Gefolgschaft wiederherstellte. Durch die Vergabe von Ämtern, Pfandbesitz und Kreditgeschäften wurden die Interessen der Burggesessenen mit denen der Landesherrschaft fest verknüpft. Der Vorrang dieses Personenkreises kam auch darin zum Ausdruck, daß der Markgraf sie vom altmärkischen Hofgericht befreite. Die Hohenzollern setzten ihre Finanz-, Gerichtsund Wehrhoheit also auf der Grundlage persönlicher Bindungen durch.116 Doch veränderte sich in dieser Zeit nicht nur die Stellung der Landesherrschaft. Die burggesessenen Geschlechter der Altmark schlugen ebenfalls neue Wege ein, um ihre Position im Lande zu festigen. Dem offensichtlichen Machtverlust begegnete man durch familiären Zusammenschluß auf der Basis der gesamten Hand. 112 Hahn, Adel und Landesherrschaft, S. 54; Hanns Hubert Hofmann, Der Adel in Franken, in: Hellmuth Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1430 bis 1555. Büdinger Vorträge 1963 (= Schriften zur Problematik der Deutschen Führungsschichten in der Neuzeit, Bd. 1), Darmstadt 1965, S. 95-126, hier S. 109. 113 Ritter Ludwig's von Eyb Denkwürdigkeiten brandenburgischer (hohenzolterischer) Fürsten, hrsg. von Constantin Höfler (= Q u e l l e n s a m m l u n g für fränkische Geschichte, Bd. 1), Bayreuth 1849, S. 119f. 114 Mathias Döring, Fortsetzung der Chronik von Dieterich Engelhusen, in: CDB D 1, S. 209-256, hier S.229fT.; vgl. auch C 3, S. 59-61 (1448); Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 105. 115 Heinrich, Nordostdeutscher Adel, S. 113; vgl. auch CDB Β 4, S. 219 (1440 November 25). 116 Hahn, Fürstliche Territorialhoheit, S. 504.
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Durch den Abschluß von Burgfriedensverträgen stärkten sie ihren militärischen Handlungsspielraum. Die zu den Burgen gehörenden einzelnen grundherrlichen Bezirke wurden Schritt um Schritt in einer einheitlichen Verwaltungsstruktur verbunden. Damit verringerten sich die Eingriffsmöglichkeiten der Landesherren. 117 In anderen Grenzräumen stand die Rückeroberung bzw. Festigung umstrittener Hoheitsrechte gegenüber benachbarten Fürsten noch bevor. So beauftragte Friedrich II. 1439 den Hauptmann im Uckerland, Hans von Arnim, Schloß Boitzenburg auszubauen und die Ringmauer auszubessern. Vermutlich von hier aus nahm er dann 1440 in offener Fehde Lychen ein, das fast 150 Jahre zum Land Stargard gehört hatte. Seiner Übermacht weichend, überließ ihm im selben Jahr der Herzog von Mecklenburg die Städte und Orte Lychen und Woldegk, Helpt und Galenbeck im Land Stargard. Friedrich II. empfahl Lychen und Woldegk dem Schutz des Hauptmanns von Arnim. 1445 gelang die Eroberung Greiffenbergs, Zichows und Stolpes. Die adligen Burgherren, die sich in dieser »offenen Fehde« zu Friedrich II. loyal verhielten, Hans von Buch zu Stolpe und die von Greiffenberg zu Greiffenberg, wurden von ihm belehnt, 118 denn vorerst mußten die Landesherren die Dienste ihrer mächtigen Vasallen noch fürstlich honorieren. TVotz angespannter Finanzlage verteilten sie an ihre Parteigänger Anwartschaften, verpfändeten Domanialgut und verkauften sogar gelegentlich größere Herrschaftsbezirke. Tangermünde, Sitz des Landeshauptmannes der Altmark wie auch des Vogtes der Vogtei Tangermünde, war ein Mittelpunkt von überdurchschnittlicher Bedeutung, der gleichzeitig als markgrälliches Herrschaftszentrum anzusehen ist.119 Unter den Hohenzollern lebte die Tangermünder Gerichtstradition noch einmal auf. Dort befanden sich eine besondere Ranzlei und seit 1437 das Hauptarchiv des Landes. 120 Der immer stärker werdende Schriftgutanfall hatte eine weitere, verfeinerte Aufgliederung der Registratur erfordert. So war bereits von den ersten Hohenzollern in der Mark Brandenburg ein voll ausgeprägtes, mehrfach gestuftes Registratursystem entwickelt worden. Schon in den 1426 einsetzenden Registern Markgraf Johanns war eine Gliederung nach geographischen (territorialen) Gesichtspunkten in Anwendung gekommen. Vermutlich im Zusammenhang mit einer Reorganisation der Ranzlei nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. hatte zudem 1440/1441 schlagartig eine vollentwickelte Sachregistratur eingesetzt. 121 Die Berliner Ranzlei, von Markgraf Johann nach Spandau verlegt, war unter Friedrich II. wieder nach Berlin zurückgekehrt. Hier gab es zu beiden Seiten der Rlosterstraße landesherrlichen Besitz. Der Alte Hof (das Hohe Haus) grenzte an Stadtmauer und Rloster, lag also östlich der Rlosterstraße und dürfte die Grundstücke Rlosterstraße Nr. 75 und 76 umfaßt haben; das war der eigentliche Fürstensitz (dar wir selbs Inn gewont haben)122. Gegenüber dem Fürstensitz aber befand 117 Hahn, Fürstliche Territorialhoheit, S. 506f. 118 Vgl. Enders, Die Uckermark, S. 111. 119 Podehl, Burg und Herrschaft, S. 270f. 120 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 337 und 347. 121 Joachim Lehmann, Das Registerwesen der Kanzlei der Markgrafen von Brandenburg in der Zeit von 1411 bis 1470, in: Jahrbuch fiir die Geschichte des Feudalismus 4 (1980), S. 229-257. 122 CDB C 1, S. 356 (1462 Dezember 30).
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sich in der Klosterstraße 35 das sogenannte Alte Haus mit der Ranzlei.123 Das Areal der Kanzlei mußte vergrößert werden. 1450/1451 wurde die Kanzlei im Cöllner Schloß, nun als Hauptkanzlei des Landes, neu eingerichtet. 124 Die Grundstücke an der Klosterstraße wurden als Burglehen und Freihäuser an Räte und Amtleute vergeben.125 Auch wurde im Cöllner Schloß ein Hofgericht etabliert, das die Organe der höchsten landesherrlichen Rechtsprechung konzentrierte. 1458 fanden im Cöllner Schloß Ketzerprozesse statt. Die Hauptangeklagten waren auf Weisung des Kurfürsten nach hier gebracht und in Gegenwart des Landesherrn vom Bischof verhört worden; das Urteil wurde auf dem Neuen Markt vor der Berliner Marienkirche verkündet. Die älteste Landtagsausschreibung, in der der Kurfürst sich an alle einzuberufenden Stände wandte, ist für Cölln aus dem Jahr 1470 erhalten. Cölln als bevorzugter Sitz des fürstlichen Hofes gewann als Vorort der Märkischen Landtage an Bedeutung. Vom Landesherrn erging dabei an die Eingeladenen oder Bevollmächtigen (die ewern ewers rats fiilmechtig) die Aufforderung, rechtzeitig vor Beginn des gemeinen herrentages126 in Berlin-Cölln einzutreffen, wo ihnen Gastlichkeit auf Kosten des Landesherrn gewährt werden sollte.127
Rückführung und Zugewinn des Landes In der äußeren Politik verfocht Kurfürst Friedrich II. die Rückgewinnung verlorener Gebiete entschieden. Die Neumark stand unter den Verlusten an erster Stelle. Sie war am 25. Juli 1402 für 63 200 ungarische Gulden an den Deutschen Orden verkauft worden. Ihre Wiedergewinnung spielte bereits bei dem verfehlten Heiratsplan Kurfürst Friedrichs I., seinen Sohn Friedrich mit der polnischen Königstochter Hedwig zu vermählen, eine Rolle. Friedrich II. stellte nun, unmittelbar nach Empfang der königlichen Belehnung mit der Mark, dem Hochmeister des Deutschen Ordens die kategorische Forderung nach Rückgabe der Landschaft in ihrer alten Ausdehnung. Die einstige Veräußerung habe gegen das Reichsgesetz der Goldenen Bulle verstoßen. Das Rückkaufsrecht sei nur König Sigmund und dessen Brüdern vorbehalten worden, mit diesen aber erloschen. 128
123 Eberhard Böhm, Teltow und Barnim. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte und Landesgliederung brandenburgischer Landschaften im Mittelalter (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 83), Köln-Wien 1978, S. 312-317. 124 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 337 und 347. 125 Müller-Mertens, Die Entstehung Berlins, S. 142; als landesherrliches Archiv hatte Kurfürst Friedrich I. zunächst das Berliner Franziskanerkloster in Anspruch genommen. Da er aber um die Herauslösung des Tangermünder Stiftes aus der Halberstädter Diözese bemüht gewesen war, hatte er 1437 die Burg Tangermünde zum Hauptarchiv des Landes bestimmt. Ein zentrales landesherrliches Archiv in Cölln begründete erst Kurfürst Albrecht Achilles in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts; vgl. Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 347. 126 Vgl. dazu Heibig, Gesellschaft, S. 59f. 127 Heibig, Gesellschaft, S. 61. 128 Podehl, Burg und Herrschaft,
S. 428.
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Der Orden war bemüht, den Kurfürsten auf dem Wege von Verhandlungen von der Rechtmäßigkeit der Erwerbung zu überzeugen. Im Sinne endgültiger Abfindung erklärte sich der Hochmeister schließlich im Jahre 1443 bereit, nochmals 30 000 Gulden zu zahlen. Rurfürst Friedrich II. verzichtete daraufhin mit seinen Brüdern gegenüber dem Orden auf die Landesbergsche Markh... nu die Newe Markh ober Oder genant.129 Die Neumark schien damit endgültig für Brandenburg verloren zu sein, da auch König Friedrich III. dem Orden den ewigen Besitz der Landschaft bestätigte.130 Doch der Kurfürst gab nicht auf. Im Sommer 1444 nutzte er den Reichstag zu Nürnberg: König Friedrich III. ermächtigte ihn, die der Mark entfremdeten Teile zurückzugewinnen. 131 Und schon zum übernächsten Jahr, 1446, wußte der Chronist Peter Hafftitz zu berichten: Nachdem Viadislaus, König in Polen, ohne Mänliche erben verstorben, Ist Marggraf Friderich II., Churfürst zu Brandenburg, von Waiwoden vnd Reichsstenden der Krone Polen das Königreich aufgetragen, welchs er doch nicht hat wollen annemen,... vnd ist von Keyser Friderich III. ... mit dem Pomerlande belehnt worden. Derowegen er auch Widder die Pomern grosse vnnd schwere Kriege gefürt vnnd die Stadt Pasewalck, die zuuor ist Merckisch gewesen, widder einnemen wollen, Hat aber in solcher belagerung im Sturm etlich tausent Man dafür verloren vnd vngeschaffter dinge abziehen müssen.132 Die territorialen Hauptprobleme bestanden weiterhin in der Uckermark, die sich seit 1354 zu großen Teilen im Besitz der Herzöge von Pommern-Stettin befand. Wollte Brandenburg je zur Ostsee vordringen, mußten als erstes die alten Grenzen der Uckermark wiedererlangt werden. Massiv richteten sich die Angriffe des Kurfürsten auf die seit langem von den Landesherren umstrittene und dabei Position beziehende Stadt Pasewalk. Der Stettiner Herzog bewirkte deshalb gemeinsam mit Stralsund, daß Friedrich II. sich im März 1446 genötigt sah, vor den Lübeckern wegen seiner Ansprüche auf Pasewalk, die er dennoch erst 1448 aufgab, Stellung zu nehmen. 133 Zum Rückführungsprogramm Friedrichs II. gehörte ferner die an Böhmen gefallene Niederlausitz. Die Lausitz zu schirmen, hatte des Königs Vorgänger, Albrecht II., 1438/1439 die Sachsen angewiesen. Zu deren Mißfallen hatte aber bereits er den Kurfürsten von Brandenburg dazu bestimmt, im Streit zwischen den die Lausitzer Pfandherrschaft innehabenden Gebrüdern von Polenz und dem Kloster Dobrilugk zu vermitteln. Nickel von Polenz war Landvogt; am 3. Januar 1441 hatte Kurfürst Friedrich II. ihn für die folgenden drei Jahre gegen Zahlung von jährlich 500 Gulden in seinen Schutz genommen. In brandenburgischen Schutz waren 1442 auch Hans von Wiesenburg auf Schenkendorf, 1443 Reinhard von Cottbus und Friedrich von Biberstein mit Beeskow und Storkow, 1444 Ulrich von Biberstein auf Forst
129 CDB Β 4, S. 288-289 (1443 Oktober 16), S. 289-292 (1443 Oktober 16), S. 293-295 (1443 November 25); Podehl, Burg und Herrschaft, S. 283. 130 CDB Β 4, S. 340-343 (1444 September 14). 131 Vgl. Heinrich, Geschichte Preußens, S. 45. 132 Hafftitz, Microcronicon, S. 64. 133 Heidelore Böcker, Die Haltung pommerscher Städte im märkisch-pommerschen Lehnsstreit während des 14./15. Jahrhunderts, in: Hansische Studien [im Druck].
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Königsberg (Neumark). Hinterfront des Rathauses, erbaut 1460 bis 1480. Aufnahme vor der Restaurierung von 1883
getreten. Im Juni 1445 hatte sich Reinhard von Cottbus aus anliegender Not154 sogar veranlaßt gesehen, seinen Anteil an der Herrschaft Cottbus für 5 500 Groschen an Brandenburg zu verkaufen. Am 18. Oktober 1448 war es soweit: Rurfürst Friedrich II. zog in Lübben ein. Er nötigte die Brüder von Polenz, ihm Stadt und Schloß Lübben für 10 000 rheinische Gulden, ja am folgenden Tage auch die Pfandherrschaft über die Lausitz abzutreten. Lübben mußte sofort die Erbhuldigung leisten. Der Rurfürst rückte mit seinen Thippen weiter vor und zwang bis zum 4. November 1448 nacheinander die Städte Calau, Guben, Spremberg und Luckau, ihm als Vogt und Verweser zu huldigen. Nachdem die Familie von Polenz über ein Vierteljahrhundert die Pfandherrschaft des Landes innegehabt hatte, war sie nun an den Hohenzollern gelangt. Zu Sachsen hielten Ende des Jahres 1448 nur noch wenige. Im Juni 1449 mußten die Stände des Landes dem Brandenburger Rurfürsten in Cottbus huldigen, im August dankte der böhmische Landtag dem Rurfürsten Friedrich II., die Lausitz an sich gebracht zu haben. Er bestätigte ihm den Pfandbesitz und bat, das Gebiet niemand anderem als dem böhmischen Rönig zu überlassen.
134 Rudolf Lehmann, Geschichte der Niederlausitz (= Veröffentlichungen der Rerliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 5), Berlin 1963, S. 80-84.
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Das Jahr 1449 war für den Rurfürsten besonders erfolgreich. Die alten Ansprüche auf die einst brandenburgischen Burgen Wolmirstedt, Rogätz, Angern, Alvensleben, Altenhausen und Wolfsburg, die im Laufe der Zeit an das Erzstift Magdeburg gefallen waren, mußten im Zinnaer Vergleich vom November 1449 zwar endgültig aufgegeben werden. Als Gegenleistung aber verzichtete der Erzbischof von Magdeburg auf die seit 1196 beanspruchte Lehnsherrschaft über die markgräflichen Besitzungen in der Altmark, die er praktisch zwar schon seit dem Ende der Regierung der Markgrafen aus wittelsbachischem Hause nicht mehr ausgeübt hatte, nun auch förmlich.135 Noch immer tobte der Bruderkrieg im Hause Wettin. Die Position des Brandenburgers in der Lausitz hingegen festigte sich. Rurfürst Friedrich II. wechselte von der kursächsischen Seite auf die Herzog Wilhelms über, der auch die Böhmen zur Unterstützung herbeirief. Die Sachsen erklärten sich auf dem Tage zu Zerbst, am 3. Juni 1450, bereit, die Landvogtei der Lausitz dem Rurfürsten von Brandenburg zuzugestehen. Nach einem kurzen Feldzug, in dem das Heer Friedrichs II. zwar von den Meißnern geschlagen wurde, bestimmte der Naumburger Friede am 27. Januar 1451, daß es bezüglich der Lausitz bei den Zerbster Bestimmungen bleiben solle.136 Daraufhin erkannten auch die letzten sächsisch Gesinnten den Brandenburger als ihren Herrn an. Rurfürst Friedrich II. ging sofort daran, den unmittelbaren Besitz im Lande zu erweitern und seine Stellung weiter auszubauen. Das war um so nötiger, trat Georg von Podjebrad, der sich seit 1448 als Verweser des Rönigreichs Böhmen betrachtete, doch schon bald mit der Absicht auf, die Lausitz wieder einzulösen. Im Oktober 1453 wurde König Ladislaus gekrönt, Anfang 1454 huldigte ihm auch die Niederlausitz. Rurfürst Friedrich II. hatte sich mit einem Erbvertrag die Herrschaften Beeskow und Storkow gesichert. Gemäß einem Übereinkommen mit Luther von Cottbus fielen nach dessen Tod im Juni 1455 auch seine Anteile an der Herrschaft Cottbus den Brandenburgern zu. Alles in allem blieb der Rurfürst über ein Jahrzehnt als Pfandherr, Vogt und Verweser relativ ungestört im Besitz der Lausitz. In der Neumark geriet der Orden hingegen in den Jahren 1454/1455 in äußerste Bedrängnis. Ein Aufstand im eigenen Land fand bei Polen Unterstützung. Der Hochmeister sah sich genötigt, den Rurfürsten von Brandenburg um Hilfe zu bitten. Militärische Schwäche und der Mangel an finanziellen Mitteln zwangen ihn, dem Rurfürsten die Neumark im Frühjahr 1454 für 40 000 rheinische Gulden in Pfand zu geben. Rechnet man von dem Pfandpreis von 40 000 Gulden die 30 000 Gulden zuzüglich 600 Gulden Ranzleigebühren ab, die der Orden 1444/1445 an den Rurfürsten für die Neumark gezahlt hatte, so legte dieser jetzt für das begehrte Pfand lediglich 9 400 rheinische Gulden (= 7 050 ungarische Gulden) zu! Um den Erwerb der Neumark aber bemühte sich nicht nur der Rurfürst, sondern auch der Rönig von Polen. Der Hochmeister gab dennoch dem Drängen des Rurfürsten nach. Am 19. September 1455 verkaufte er ihm auf dem Ordensschloß Mewe die ertragsschwache »Neumark ober Oder« mit Driesen sowie Schloß und Stadt Schi-
135 CDB Β 4, S. 421-425 (1449 November 15). 136 CDB Β 4, S. 457^60 (1451 Januar 27).
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velbein für die ansehnliche Summe von 100 000 rheinischen Gulden und Zusicherung des freien Durchzugs für den Orden durch die Mark. Ein Rückkauf blieb vorbehalten, jedoch erst für die Zeit nach Friedrichs Tod.137 Abgesehen von der hohen finanziellen Belastung, die der Rückkauf der Neumark für Brandenburg bedeutete, konnte sich der Kurfürst seines Erfolges aber nicht ungestört erfreuen. Schon im Mai 1455 hatte der junge König von Böhmen den Kurfürsten aufgefordert, Abgesandte zum Rückerhalt der Lausitzer Pfandsumme nach Prag zu beordern und die Landvogtei über die Lausitz aufzugeben. Der Kurfürst konnte das umgehen; der junge König starb. Im März 1458 wurde Georg Podjebrad in Böhmen zum König gewählt. Sein Verhalten gegenüber dem Kurfürsten war zögerlich, ja hinterhältig. Schließlich wurde Friedrich II. wegen der Herrschaft Cottbus vor das Hoflehngericht in Prag geladen. Auf Betreiben Podjebrads rückte Burggraf Zdenko von Sternberg am 15. Oktober 1461 mit einem starken Heer vor, um Cottbus mit Gewalt zu nehmen. Die Brandenburger kämpften erfolgreich, doch der größte Teil der Bewohner des Landes hielten zu den Böhmen. Der Kurfürst lenkte ein. Nach langdauernden Verhandlungen kam am 5. Juni 1462 in Guben der Friede zustande. Die Niederlausitz einschließlich Schloß und Stadt Lübben fiel an Böhmen zurück. Kurfürst Friedrich II. aber behielt, wenngleich unter böhmischer Lehnshoheit, außer Teupitz und Bärwalde die Herrschaft Cottbus, Peitz, den Hof Groß Lübbenau sowie die Anwartschaft auf Beeskow und Storkow.138 Damit verfügten die Brandenburger über ein nicht unwichtiges Gebiet, durch das der weitere Berliner Raum nach Süden hin abgedeckt war. Die Probleme im Norden der Mark waren indessen nicht aus dem Blickfeld des Kurfürsten geraten. 1440 hatte man eine Ehe zwischen Elisabeth, der Tochter des Markgrafen Johann, Kurfürst Friedrichs II. Nichte also, und Herzog Joachim d. J. von Pommern-Stettin zustande gebracht. 1451 war der Herzog an der Pest verstorben. Der Sohn, Otto III., war nun letzter Nachkomme einer seit 1295 bestehenden Linie des pommerschen Herzogshauses. Kurfürst Friedrich II. übernahm die Vormundschaft über den damals Siebenjährigen und ließ ihm in der Mark eine ehrliche undfürstliche Erziehung zuteil werden. Seine Mutter, die Nichte Friedrichs II., vermählte sich 1454 mit Wartislaw X., dem Herzog von Pommern-Wolgast.139 1460, im Alter von 15 Jahren, für mündig erklärt, empfing Otto III. in Gegenwart des Markgrafen Albrecht die Huldigung seiner Städte. Doch schon bald, Anfang September 1464, wurde Otto III., Herzog von PommernStettin, ebenfalls ein Opfer der Pest. Der Stettiner Erbfolgestreit begann. Kurfürst Friedrich II. forderte den Heimfall des damit erledigten Lehens. Während er den Kaiser unter der Argumentation der exponierten Lage der Mark, die als ein Schild 137 CDB Β 4, S. 495^-97 (1455 September 19); Podehl, Burg und Herrschaft, S. 430; Heinrich, Geschichte Preußens, S.45. 138 CDB Β 5, S. 63f. (1462 Juni 5). 139 Heidelore Böcker, Zur Wirksamkeit politischer Ehen auf die Beziehungen zwischen Pommern und Brandenburg während des 15. Jahrhunderts, in: Pommern. Geschichte - Kultur- Wissenschaft, hrsg. von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Greifswald 1991, S. 70-80, bes. S. 71 f.
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des Reiches gegen fremde Zungen gestützt140 werden müsse, für seine Ziele zu gewinnen hoffte, erfuhren die Herzöge von Pommern-Wolgast bei den Rechtsgelehrten der Universität Greifswald, das Land sei kein Bistum, das Papst oder Kaiser zu ihren Lebzeiten vergeben könnten. Der Kaiser ignorierte die Rechtsgründe beider Parteien, sah Pommern-Stettin als ein - an das Reich! - heimgefallenes Lehen an und verfügte (als besonderen königlichen Gnadenbeweis) am 21. März 1465 über eine Neubelehnung. Doch sollte diese die Form eines Verkaufs annehmen. Kaiser Friedrich III. forderte 37 000 rheinische Gulden,141 wofür dem Kurfürsten die Mittel fehlten. Kurfürst und Herzöge setzten sich über die Beschlüsse des Kaisers hinweg und einigten sich am 21. Januar 1466 zu Soldin auf einen Kompromiß: Die Wolgaster Herzöge empfingen das Streitobjekt von Kurfürst Friedrich II. und seinen Erben als Lehen; die Stände sollten beiden Seiten huldigen.142 Der Kaiser war verärgert und erhob Einspruch. Die Pommern brachen ihr Bündnis und drangen in die Mark vor. Lübeck drohte, Friedrichs Handelssperre gegen Stettin mit einer solchen gegenüber den märkischen Städten zu beantworten. Im Juli 1468 begann der offene Kampf von neuem. Der Kurfürst nahm Schwedt und Vierraden, Gartz an der Oder, Löcknitz, Penkun, Brüssow, Torgelow und andere pommersche Schlösser und Städte ein. Die Lage der Pommern war bedrängt, im August 1468 erbaten sie die Hilfe König Kasimirs von Polen. Der polnische König sagte zu, an den Kurfürsten eine Botschaft zu senden, um Frieden zu stiften. Bezeichnend für die Lage des Kurfürsten war indes die schon Ende Juli 1468 an seine Stadt Brandenburg gerichtete Bitte, ihm in unssern nöthen nicht im Stich zu lassen und zusammen mit den Städten ihrer Sprache 100 Schock Groschen zu leihen, dass wir eine starcke Wagenburg haben von Unsern Reisigen Zeuge und guten gewapneten Männern, alss wir unser lebtage jemahls gehabt haben ...143 Doch in der Magdeburger Schöffenchronik wird zum Jahr 1468 berichtet: Markgraf Friedrich zog sich wieder in die Mark zurück. Wente he was der hereuart mode worden, darvmme dat he neyn voder noch spyse nicht vele mer enhadde.H4 Vergeblich hatte Friedrich II. um einen Zugang zur See gekämpft. Im Hinblick auf die Wiedergewinnung brandenburgischer Gebiete aber hatte dieser Kurfürst insgesamt gesehen die ansehnlichsten Erfolge erreicht. Energie und Konsequenz in seinen politischen Handlungen trugen ihm die Bezeichnung »Eiserner Markgraf« ein. Doch schon 1464 hatte sein Bruder Albrecht ihn gemahnt, seine Gesundheit zu schonen. Am 2. April 1470 entsagte Friedrich II., der keine erbberechtigten Söhne hatte, ausz vnser selbst langer vnnd czeitiger wolbetrachtunge145 der kurfürstlichen Würde und Herrschaft in der Mark zugunsten Albrechts, der seinem 140 Cod. cont., Bd. 1, S. 250-298; Schultze, Von der Mark Brandenburg zum Großstaat Preußen, S. 160. 141 CDB Β 5, S. 75f. (1465 März 21). 142 Cod. cont., Bd. 1, S. 288-290 (1466 Januar 21); zum Verhalten Lübecks vgl. Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel, S. 99f. 143 CDB A 9, S. 201 (1469 Juli 28). 144 Auszug Brandenburgischer Nachrichten aus der Magdeburger Schöppenchronik, in: CDB D 1, S. 168-208, hier S. 208 (1468). 145 CDB C 1, S. 523-525 (1470 April 2).
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berühmten Zeitgenossen Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II. 1458 bis 1464) den Beinamen »Achilles« verdankte. 146 Friedrich zog sich nach Franken zurück und starb am 10. Februar 1471 in Neustadt an der Aisch.147 Die Lage, die Friedrich II. seinem Bruder überlassen hatte, war kritisch. Die gesamte Ostseite der Mark war in Gefahr, weil von Pommern und von SchlesienUngarn aus Feinde gegen Brandenburg andrängten. Doch Rurfürst Albrecht säumte nicht, mit Hilfe fränkischer Heere den Gefahren zu begegnen und Brandenburg zu erweitern. Albrecht hatte König Albrecht II. bereits um 1438/1439 im böhmisch-schlesischen Raum gegen König Kasimir von Polen unterstützt und die dortige Hauptmannschaft erhalten. Als Reichshauptmann hatte Albrecht Kaiser Friedrich III. bei den Türkenkämpfen vertreten. Da Albrecht 1467 seine Tochter Ursüla mit Heinrich I. von Schlesien-Münsterberg, einem Sohn König Georg Podjebrads von Böhmen, verheiratet hatte, war es allerdings zu einer Verstimmung mit dem Kaiser gekommen. Nun aber, im August 1471, richtete Kaiser Friedrich III. Aufforderungen an zahlreiche norddeutsche Fürsten und Städte, dem Kurfürsten gegen Pommern Beistand zu leisten. Unter Vermittlung Herzog Heinrichs von Mecklenburg gelang es Kurfürst Albrecht, am 30. Mai 1472 zu Prenzlau mit den Herzögen von Pommern einen Friedensvertrag zu schließen. Albrecht wurden die durch seinen Bruder gewonnenen Gebiete vom Kaiser bestätigt; die Pommern erkannten die Lehnshoheit der Kurfürsten von Brandenburg über ihr Herzogtum an.148 Kurz darauf erhielt der Brandenburger weiteren Anlaß zu triumphieren: Am 26. Juni 1472 teilte er von Berlin aus Herzog Wilhelm von Sachsen mit, daß darüber hinaus nun einer der Söhne Herzog Erichs von Pommern seine Nichte (die Tochter Friedrichs II.), die Markgräfin Margaretha, selbst ohne Gut und Geld zur Frau nehmen wolle. Sein Vater beabsichtige, ihm schon jetzt einen Teil seines Landes zu überantworten. Aber der Kurfürst hielt es zu dieser Zeit noch nicht für nötig, Margaretha nach Pommern zu verheiraten. In seinem Schreiben vom 29. November 1472 an Dr. Peter Knorre, Propst zu Ansbach, heißt es, er habe die Mark mit Freunden umzäunt, sei verbunden mit Pommern, Mecklenburg, Braunschweig, Lauenburg, Magdeburg und Schlesien; seine Tochter Barbara heiratete nach Schlesien, seine Nichte Margaretha Herzog Heinrich von Braunschweig.149 Kurfürst Albrecht vermählte 1474 seine damals elfjährige Tochter Barbara mit dem bejahrten Piastenherzog Heinrich XI. von Niederschlesien-Glogau-Crossen, der 1476 kinderlos starb. Der Kurfürst war, wie vorauszusehen, nach dessen Tod in den Besitz von Erbansprüchen gelangt. Der Streit um dieses Erbe aber sollte sich schon bald zu einem Kampf um die Vorherrschaft im nördlichen Niederschlesien 146 Germania Enee Silvii, Straßburg 1515, f. 25. 147 Heinrich, Geschichtliche Einführung, S. XLV. 148 CDB Β 5, S. 179f. ( 1472 Mai 30); kaiserliche Bestätigungen: CDB Β 5, S. 210-213 (1473 Mai 5); Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. lllf.; vgl. auch Heinrich, Geschichte Preußens, S. 46. 149 Heidelore Böcker, Margaretha, Markgräfin von Brandenburg, Herzogin von Pommern und Fürstin von Rügen, in: Gerald Beyreuther/Barbara Pätzold/Erika Uitz (Hrsg.), Fürstinnen und Städterinnen. Frauen im Mittelalter, Freiburg-Basel-Wien 1993, S. 190-211, bes. S. 195.
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ausweiten: Indessen erinnerte sich Kurfürst Albrecht an das vormals geäußerte und von ihm zurückgewiesene Interesse Herzog Bogislaws X. von Pommern an seiner Nichte Margaretha und erreichte eine erneute Werbung.150 Bogislaw X. hatte im November 1474 die Huldigung der Stände empfangen. Die Brandenburger stellten an ihn die Forderung, er solle das Stettiner Land als ein Lehen betrachten. Herzog Wartislaw X. von Pommern-Wolgast riet dem Neffen dringend von einer Verbindung mit Brandenburg ab. Dennoch fand im September 1477 die Vermählung statt. Bogislaw sicherte gegenüber Wartislaw Vermittlung zu, doch schwenkte er in der folgenden Zeit mehr und mehr auf dessen Seite über. Inzwischen war Ungarns Macht unter Matthias Corvinus gestiegen. Der Kaiser und Wladislaw von Polen verglichen sich mit ihm. Die böhmischen Nebenlande Mähren und Schlesien kamen zu Ungarn. Das umstrittene Herzogtum Niederschlesien-Glogau-Crossen gab Matthias an Hans von Sagan. Der drang mit ungarischen Kräften bis in die Zauche vor. Da verbündeten sich die Pommern mit ihm und rückten im Frühjahr 1478 bis nach Küstrin vor. Kurfürst Albrecht traf Ende Juni 1478 mit fränkischen Heeren in Berlin ein; er stieß zur Oder vor, ließ seinen Sohn nach Süden hin sichern und drängte die Pommern im Gefecht zurück, bis im August und September 1478 unter polnischem Einfluß und auf Drängen des beiderseits der Grenzen begüterten Adels wie auch des Johanniterordens in der Neumark die Waffen wieder ruhten. 151 Am 17. Dezember 1478 starb Herzog Wartislaw X. von Pommern-Wolgast, ohne eigene Nachkommen zu hinterlassen. Sein Neffe, Bogislaw X., war nun Herr über das gesamte Herzogtum Pommern, einschließlich dem Fürstentum Rügen. Der im folgenden Jahr geschlossene Frieden mit ihm bestätigte die Verfügungen des Prenzlauer Vertrages von 1472. Die am 27. Juni 1479 zwischen Pommern und Brandenburg erzielte Einigung war durch Vermittlung der Herzöge Albrecht und Magnus von Mecklenburg zustande gekommen. Der Kurfürst sicherte den Mecklenburgern für ihren Beistand gegenüber Bogislaw von Pommern im Falle eines erbenlosen Todes Herzog Bogislaws, beim Heimfall des Lehens an Brandenburg also, umfangreiche Ländereien in Pommern zu.152 Bis auf Pasewalk und Torgelow, den einst nördlichen Zipfel der Uckermark, aber hatte Kurfürst Albrecht diese wieder voll in seinem Besitz. Schon am 24. Juni 1479 hatte er seinem Sohn geschrieben, er sei mit den Stettinern vertragen, doch got geb, das sie es wol halten, du wayßt, was es fur leut sind.155
150 Am 27. Januar 1477 teilte er seinem Sohn, Markgraf Johann, mit, auch wünsche er, daß Herzog Bogislaw die Markgräfin Margaretha heirate; in: Politische Correspondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hrsg. und erläutert von Felix Priebatsch, Bd. 1-3 (= Publicationen aus den K. preußischen Staatsarchiven, Bd. 59, 67 u. 71), Leipzig 1894-1898, hier Bd. 2, Nr. 268, S. 281f., hier S. 281 (1477 Januar 27) und Nr. 274, S. 287f., hier S. 288 (1477 Februar 23). 151 CDB Β 5, S. 143 (1470 August 19); Heinrich, Geschichte Preußens, S. 47 (28. September 1478). 152 CDB Β 5, S. 303-305 (1479 Juli 27). 153 Politische Correspondenz, Bd. 2, Nr. 579, S. 540f., bes. S. 541 (1479 Juni 24); Heinrich, Geschichte Preußens, S. 49.
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Die größeren Gefahren drohten in dieser Zeit jedoch im Süden, wo auch die Lausitz unter den Kämpfen empfindlich zu leiden hatte. Hans von Sagan wurde im Oktober 1478 von Albrechts Sohn, Markgraf Johann, bei Crossen in offener Feldschlacht zwar besiegt; doch gegen die ungarischen Heere, die Ende 1478 bei Mittenwalde ein märkisches Aufgebot von 600 Mann zersprengten, verhielt sich Albrecht defensiv. Wieder kam dem Rurfürsten ein Ehebündnis in den Sinn: Am 14. Februar 1479 vermählte er seinen Sohn Friedrich mit Sophie, einer Schwester Wladislaws von Polen. Seine Diplomatie war insofern erfolgreich, als er sich mit diesem und Matthias Corvinus zu einigen verstand. Im Frieden von Olmütz wurden am 21. Juli 1479 die von Brandenburg erhobenen Entschädigungsansprüche anerkannt und eine Abfindungssumme bestimmt. Für sie erhielten die Hohenzollern zum Abschluß des Glogauer Erbfolgestreits im Ramenzer Vertrag vom 16. September 1482 als Abfindung für Albrechts Tochter Barbara, der jungen Witwe des Piastenherzogs, Crossen, Züllichau, Bobersberg und Sommerfeld und damit ein beträchtliches, bisher schlesisches Gebiet als Pfand.154
Reorganisation der Finanzwirtschaft Vor allem der Rückkauf der Neumark hatte die Erschließung neuer Geldquellen erfordert. Im Juli 1456 hatten sich deshalb die vier hohenzollernschen Markgrafen, Friedrich II. und seine Brüder Johann, Albrecht Achilles und Friedrich der Fette, vom Raiser das Recht auf Erhöhung und Neuauflage von Zöllen bestätigen lassen.155 In der Mark Brandenburg machte jedoch erst Friedrichs II. Nachfolger, Rurfürst Albrecht Achilles, von diesem Recht Gebrauch. Durch hohe Rosten für die Austragung des Stettiner Erbfolgestreits mag Rurfürst Friedrich II. zwar auch veranlaßt worden sein, Prälaten, Ritterschaft und alle »Erbarn mannen« der Altmark im Juni 1467 zu der Zusage zu bewegen, daß alle ihre Untersassen und Mannen, arm und reich, von nun an über sechs Jahre von jeglicher Tonne Bier einen Stendaler Schilling an den Rurfürsten entrichten sollten, doch findet sich der Vermerk: Ist nicht ausgangen.156 Trotz der Zusicherung, während des vereinbarten Zeitraums keine Landbede zu erheben, war der Versuch, zum ersten Mal eine indirekte Steuer, eine Verbrauchssteuer vom Bier, bewilligen zu lassen, weder in der Altmark noch in einem anderen Landesteil zur Ausführung gekommen. Rurfürst Friedrich II. hinterließ seinem Nachfolger, Albrecht Achilles, 124 000 rheinische Gulden Schulden.157 Vater und Bruder, Friedrich I. und Albrecht Achilles, hatten wiederholt fränkische Einkünfte zur Stärkung der Mark bereitgestellt.158 Auf die Mächtigen unter den Reichsfürsten aber kam eine Reihe von Verpflichtun154 CDBΒ 5, S. 311-313 (1479 August 15), S. 404^07 (1482 September 16) und S. 409-411 (1482 Oktober 25). 155 CDB Β 5, S. 18f. (1456 Juli 23). 156 CDB C 1, S. 439f. (1467 Juli 1) einschl. Anm.; Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 102. 157 Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel, S. 109, Anm. 79. 158 Kurfürst Albrecht stellte eine Berechnung auf, wonach an fränkischem Gut für die Mark
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gen und Sachzwängen zu. Albrecht Achilles mahnte deshalb nicht nur im Hinblick auf die Schulden der Markgrafschaft Brandenburg dringend zu äußerster Sparsamkeit an Geld, dann wir haben sein nit vil.159 In bezug auf die Mark teilte er im Juli 1470 den ihm vertrauten Räten, dem Kanzler Georg von Absberg und Ludwig von Eyb, mit:... gefeilt uns alles wol, dann allein die schuld; doch können wir es nit bessern: wollen wir das land haben, wir müssen die schuld bezalen ...160 Der in Reichsangelegenheiten stark engagierte und zudem schwer gichtleidende Kurfürst weilte nur dreimal persönlich in der Mark.161 Nach Beendigung der Kampfhandlungen mit Pommern Ende August 1479 hat er die Mark verlassen, um nicht mehr dahin zurückzukehren. Von Beginn an hatte er seinen 1470 knapp fünfzehnjährigen Sohn Johann zum Statthalter bestellt. Zur Unterstützung des jungen Markgrafen war ein Regentschaftsrat gebildet worden; diesem gehörten an der Kanzler Bischof Sesselmann, Bischof Dietrich von Brandenburg, Graf Gottfried von Hohenlohe, Marschall Busso von Alvensleben, Georg von Waidenfels, Busso von der Schulenburg, Nickel Pfuel, Lorenz von Schaumburg, Andreas von Seckendorf und der Sekretär Heinrich Howek. Die in Ämtern, Kreisen und Städten ansässigen Münzmeister, Zollverwalter, Kastner, Landreiter, Heidereiter, Kornschreiber usw. stammten überwiegend aus der Mark. Schon unter den Amtsvögten (Amtmännern) waren aber vereinzelt Franken zu finden, denen die Kurfürsten Dienstleistungen bei Hofe mit dem Nutznieß einer Amtshauptmannschaft vergalten. Stärkere Spuren hinterließ die »fränkische« Periode bei den Hofamtsträgern. 162 So gehörten zu den ständig in Berlin tätigen Franken der einflußreiche Kammerschreiber Johann Vogel, der Mühlschreiber Plohofer, der Hofrentmeister Konrad Bartel, der Kanzleisekretär Prunner sowie mehrere Adlige. Vereinzelt nahmen zwar auch brandenburgische Adlige auf die Dauer fränkische Dienste an.163 Mangelnde Einbeziehung des märkischen Adels in Kernbereiche der Hof- und Landesverwaltung mußte diese jedoch auch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wegen ihrer fehlenden Verwaltungsreform für die Übernahme verantwortungsvoller Tätigkeiten am Hof noch weitgehend ungeeignet erscheinen lassen.164 In sozialständischer Sicht erwies sich die engere Führungsgruppe um den Markgrafen Johann jedoch bald als inhomogen. Gelehrte Kleriker165 und bürgerliche Doktoren hielten den ungelernten ritterbürtigen Räten die Waage. Sie bekleideten die Ämter des Hofmeisters, Kammermeisters, Rentmeisters, Marschalls und Kanz200.000 Gulden an Zehrung und Kriegskosten aufgewendet wurden; vgl. Schultze, Die Mark Brandenburg, S. 110; Heinrich, Geschichtliche Einführung, S. XLVI. 159 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 70, S. 151 (1470 Juli 13). 160 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 69, S. 149-151 (1470 Juli 13). 161 Itinerar Albrecht Achilles, 16. März 1470 -11. März 1486, in: Politische Correspondenz, Bd. 3, S. 533-542; die Mark blieb für ihn Nebenland; vgl. Heinrich, Geschichtliche Einführung, S. XLV. 162 Heinrich, Arntsträgerschaft, S. 187f. 163 Heinrich, Arntsträgerschaft,, S. 188. 164 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 347. 165 Auch Albrecht von Klitzing gehörte zum engeren Führungskreis; vgl. Heinrich, Arntsträgerschaft, S. 189.
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lers. Das Amt des Kanzlers hatte seit Heintze von Kracht, einem niederlausitzischen Adligen weltlichen Standes, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Es wurde seitdem, beginnend mit dem Lebuser Bischof Dr. Friedrich Sesselmann166 und seinem Nachfolger, dem promovierten Juristen und Rat Sigismund Zerer, fast über ein Jahrhundert von gelehrten Franken verwaltet. Kanzler Sesselmann, Bischof und zeitweiliger Regent der Mark, den der Kurfürst als Besunder lieber freundt167 ansprach, vermochte es, sich bald aus den unmittelbaren Kanzleigeschäften zu lösen. Die Bedeutung des Sekretärs nahm zu. Die Sekretäre Howek und nach diesem Johannes Schräge standen der Kanzlei vor, waren zugleich als Kammerschreiber und »Geheimsekretär« des Kurfürsten äußerst einflußreich. Bei Hofe und in den mit Franken besetzten Regierungs- und Verwaltungsämtern sprach man hochdeutsch. Süddeutsch-fränkische Einflüsse wurden seit Albrechts Herrschaft auch kulturell stärker wirksam. 168 Doch ansonsten war das Leben am Hofe nun bewußt eher kümmerlich gehalten. Einschneidend hatte Kurfürst Albrecht Achilles die Verhältnisse verändert. Seinem Bruder, Friedrich II., hatte er das fränkische Schloß Plassenburg mit einem Jahresgeld von 6 000 Gulden sowie etlichen Gerechtigkeiten und Naturalien überlassen. 169 Albrecht war der Meinung, hir [in der Mark] sind nicht dann feile [Einnahmen aus Gefallen], vnd were besser eyn reycher Burggrave, wenn ein armer Kurfurst170 zu sein. Friedrich II. antwortete, er habe stets grossen korfürstlichen stat gehalten [nicht wie der Stör vom Winde gelebt] und mehr als die ihm nun zugebilligte Summe zur Verfügung gehabt, obwohl ihm sein Bruder, Markgraf Johann, vier- bis fünfmal mehr Schulden hinterlassen habe. Was bedeute eine Rente von 6 000 Gulden jährlich gegenüber einem Land, das schire einem Königreich gleich.171 Auch gäbe es in der Mark nicht nur feile, sondern Urbeden, Landbeden, Zölle, Mühlen, Fischereien, Münzen, Juden usw. Doch allein schon mit der Hofhaltung waren die Räte aus Franken wenig zufrieden: wir haben in dem gebrauch der haußhalt ganz kein Ordnung gefunden undyederman gelebt nach seinem willen.172 Sie hätten einen Etat über Einnahmen und Ausgaben erstellt und forderten dazu einen tüchtigen Gegenschreiber, der in der Mark indes nicht zu finden sei. Noch im Sommer 1470 ordnete der Kurfürst an, sein Sohn und Statthalter, Markgraf Johann, habe am Hofe zu Cölln an der Spree nicht mehr als etwa 200 Personen und 100 Pferde zu halten.173 Repräsentierte jene Hofordnung von 1470 zwar eine durchaus bereits bestehende, ortsfeste und
166 Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 188. 167 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 207, S. 266 (1471 August 6). 168 Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 302; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 347. 169 CDB C 1, S. 517-521 (1470 April 2). 170 Das Kaiserliche Buch des Markgrafen Albrecht Achilles. Kurfürstliche Periode von 1470 bis 1486, hrsg. von Julius von Minutoli, Berlin 1850 [Nachdruck: Osnabrück 1984], Nr. 236, S. 285-288, bes. S. 286 (1470 April 3). 171 CDB C 1, S. 525-527 (1470 April 3). 172 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 75, S. 157-161, bes. S. 157 (1470 Ende Juli). 173 CDB C 2, S. 115-125 (fälschlich zu 1473 April 10; vgl. Schultze, Die Mark Brandenburg, S. 113, Anm. 23.
Reorganisation der Fi n an zwirtsch a ft
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dauerhaft eingerichtete Hofhaltung,174 so wurde ihr doch im Vergleich zu der im fränkischen Ansbach ein gar bescheidener Rahmen gegeben.173 Im Gegensatz zu Franken hielt der Kurfürst zudem die Einkünfte aus der Mark Brandenburg für zwei gute Hofhaltungen nicht für ausreichend.176 1437 hatte Albrechts Vater, Rurfürst Friedrich I., testamentarisch verfügt, seine Herrschaften für seine vier Söhne zu teilen. Alle Söhne sollten die Gesamtbelehnung vom Reich und die Huldigung der Herrschaften empfangen, um einander beerben zu können. Jeder Sohn führte den Titel Burggraf und Markgraf, während der Titel Rurfürst und Erzkämmerer jeweils einem der in Brandenburg berechtigten Herrscher zukommen sollte. Friedrich II. hatte er damals die Mark Brandenburg überlassen, der diese jedoch mit seinem gleichnamigen Bruder, Friedrich dem Fetten, regieren sollte,177 was von 1447 bis 1463 auch der Fall war. Damit war eindeutig gegen die Festlegungen der Goldenen Bulle verstoßen worden, nach der sich die jeweilige »Rur« auf ein einheitliches, unteilbares Territorium zu gründen hatte. Am 24. Februar 1473 erließ nun Rurfürst Albrecht Achilles, auf den die Mark Brandenburg nach dem Tod beider Brüder 1470 bereits ungeteilt überkommen war, im Hinblick auf seine Söhne eine erneute Erbfolgebestimmung, die sogenannte Dispositio Achillea. Danach sollte nach Albrechts Tod seinem ältesten Sohn Johann und dessen Erben die Mark mit allem Zubehör zugesprochen werden. Der zweite und dritte Sohn (Friedrich und Sigmund) sowie deren Erben sollten die beiden Fürstentümer in Franken erhalten, die übrigen Söhne aber Bischöfe werden. Alles deutet daraufhin, daß es dem Rurfürsten auf eine Ronzentrati on der staatlichen Machtmittel und die Befähigung zur Übernahme von Eigenverantwortung ankam.178 Auch die Ermahnungen und Vorwürfe des Vaters gegenüber dem Sohn, der junge Markgraf könne mit dem Geld nicht umgehen (merken wir, das ir gern gelt hett... ir bericht uns von keiner aufhebung, sunder neur von außgeben, des sind wir bald gesettigt),m sollten in diesem Zusammenhang gesehen werden. Am 9. März 1473 bestellte Rurfürst Albrecht Achilles anstelle seines Sohnes Johann, da ermitJugent noch also beladenn,180 den Ranzler, Bischof Friedrich Sesselmann, als zeitweiligen regirer der Mark (Also dasz vnser Sohn... Im soll willigk sein vnnd volgenn)m. Der Regent hatte dem Markgrafen vierteljährlich 200 Gulden
174 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 152. 175 Nach Heinrich, Nordostdeutscher Adel, S. 106, Anm. 5, hielten sich am Berliner Hof um 1483 ca. 100 männliche, weibliche und jugendliche Edelleute auf. Am Hof Rurfürst Albrechts in Ansbach waren 1484 etwa 300 Personen und 200 Pferde zu versorgen; vgl. Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 152. 176 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 123; Heinrich, Geschichte Preußens, S. 48. 177 CDB C 1, S. 223-232 (1437 Juni 7). 178 Peter Mast, Die Hohenzollern in Lebensbildern (= Geschichte in Gestalten), Graz-WienKöln 1988, S. 28; Heinrich, Geschichte Preußens, S 43. 179 Politische Corresponded, Bd. 1, Nr. 107, S. 190f. (1470 Oktober 16), Nr. 169, S. 241-245, bes. S. 242 (1471 April 18), vgl. auch Nr. 122, S. 2 0 2 - 2 0 4 (1471 Februar 1). 180 CDB A 20, S. 298f. (1473 März 9). 181 Ebda.
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für dessen persönliche Bedürfnisse zu zahlen.182 Auch für die noch unverheiratete, am Berliner Hof lebende Tochter Friedrichs II. Margaretha, waren die regelmäßigen Zuwendungen auf das knappeste bemessen, so daß diese sich genötigt sah, im Frühjahr 1473 an den Rurfürsten zu schreiben: Euer Gnaden soll wissen, daß wir mit den 50 Gulden, die uns Euer Gnaden »zu zerung« gelassen hat, zu Ende sind, wir keinen Pfennig mehr haben und in der Stadt eine Anleihe aufnehmen mußten, um das Notdürftigste zu besorgen. Auch haben wir uns den ganzen Sommer und Winter unser eigenes Trinken kaufen müssen und sind bereits verschuldet, weshalb wir alle Tage gemahnt werden. Wir haben auch großen Mangel an Hemden und Badekitteln »und wissen nicht rat solchs auszurichten, so geben uns die gewaldigen hirin auch nichtes«. Wir werden von jedermann verlassen und verachtet ...183 Endlich fand im August 1476 die aus Rostengründen mehrfach hinausgezögerte Hochzeit Markgraf Johanns mit Margaretha von Sachsen statt. Der Rurfürst weilte in der Mark. In einer Anordnung, die Albrecht dem Sohn hinterließ, bestimmte er an Geldausgaben: 3 000 rheinische Gulden für jährliche Besoldung der Amtleute, 10 000 Gulden zur Bestreitung der Hofhaltung und Regimentführung und 1000 Gulden für bauliche Zwecke. Johann erhielt nun also ein relativ freies Verfügungsrecht über einen Teil der märkischen Einnahmen. Über die Einnahmen und Ausgaben insgesamt erwartete der Rurfürst jährlich des Rammerschreiber Vogels Rechenschaft. Johann selbst sollte sich vierteljährlich allgemein und über den Haushalt wöchentlich Einblick verschaffen. 184 Über Johanns ständige Residenz an der Spree kam es zum Disput. Für eine sparsame Verwendung der Finanzmittel erschien dem Rurfürsten die Reiseherrschaft zweckmäßiger. So forderte er 1476 von seinem Sohn, nicht ständig in Cölln Hof zu halten. Er sollte sich zehn Wochen in der Altmark, zehn Wochen in der Mark jenseits der Oder, zehn Wochen in der Uckermark aufhalten und seinen Hof von den dortigen Einkünften an Ort und Stelle bestreiten. Die übrige Zeit des Jahres mochte er dann in der Mittelmark verweilen.185 Neben Richtlinien allgemeiner Art enthielt die Rorrespondenz des Vaters mit dem Sohn auch weiterhin scharfe Rritik. So verwundert es nicht, daß Johann die Mark verleidet war. 1481 unterbreitete er dem Rurfürsten den Gedanken eines Ländertauschs. Dieser lehnte rundweg ab. Wäre er 20 Jahre alt und sollte mit zwei Brüdern wählen, so würde er Johanns Teil, also die Mark nehmen; sie sei 200 000 Gulden wert.186
Zurückdrängung des Einflusses der Stände Item die bisschofe, prelaten und ritterschaft uß der Mittelmarke, uß dem Ukerlande und uß dem lande zu Sternberg haben zugesagt die huldung zu thünde, wann mein 182 Ebda. 183 Ernst Friedlaender, Briefefürstlicher Frauen aus dem Hohenzollernhaus Jahrbuch 1 (1897), S. 113-125, hier S. 114f. 184 CDB C 2, S. 180-184 (1476 August 30). 185 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 152. 186 Politische
Corresponded,
Bd. 3, Nr. 798, S. 9 8 - 1 0 1 (1481 O k t o b e r 10).
in: Hohenzollern-
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g. h. marggrave Albr. kompt... item die prelaten und ritterschaß uß der Altenmarke und Prignytz, die dar geweßt sein, haben auch zugesagt, die huldung zu thunde.187 Das teilte der kurfürstliche Rat Albrecht von Klitzing am 10. Juni 1470 dem Kurfürsten Albrecht Achilles mit. Eine gute Nachricht, denn der Kurfürst wußte: wollen wir das land haben, wir müssen die schuld bezalen mit hilf der lantschaß dortinnen ,..188. Im Bericht des Kurfürsten über seinen Empfang in Berlin heißt es dann in der Tat, er sei am Sonntag, den 3. November 1471, in Berlin189 eingetroffen, durch seinen Sohn, die Bischöfe, die Städte Berlin und Cölln, seine Räte, etliche aus der Ritterschaft, die Priesterschaft und auch die Juden 190 glänzend empfangen worden und habe die Huldigung erhalten. Doch die Stände hatten das kostenaufwendige Vorgehen des zurückgetretenen Kurfürsten, Friedrich II., gegen Pommern als ein rein dynastisches Unternehmen betrachtet. Sie waren keineswegs gewillt, sich mit den von Kurfürst Friedrich II. hinterlassenen Schulden zu belasten. Geistlicher Besitz und Ritterhufen waren bisher steuerfrei gewesen, Steuererhöhungen zu Lasten der Städte, der landbesitzenden bürgerlichen Bevölkerung und Bauern gegangen. Noch im Jahr 1470 hatten die Stände deshalb einen Ausschuß gebildet, dem sie die Aufgabe übertrugen, ihren Widerstand gegen die nun möglicherweise zu erwartende Forderung einer Herrenbede oder eines allgemeinen Landschosses vorzubereiten. 191 Kurfürst Albrecht Achilles berief zum 6. Januar 1472 einen Landtag nach Berlin ein. Den wichtigsten Verhandlungsgegenstand bildeten die Landesschulden. Albrecht war zunächst davon ausgegangen, von den Städten 58 000 Gulden und von den Untertanen des Adels 42 000 Gulden einzufordern, während er selbst 24 000 Gulden zu tragen beabsichtigte. Die Erhebung sollte mittels einer Bierziese in Höhe eines märkischen Groschens für jede zum Verkauf oder Ausschank bestimmte Tonne Bier sowohl vom Brauer als auch vom Käufer bzw. Schankwirt 187 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 55, S. 136f., bes. S. 136 (1470 Juni 10). 188 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 69, S. 149-151, bes. S. 149 (1470 Juli 13). 189 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 248, S. 290 (1471 November 9). 190 Den Juden hatte Kurfürst Friedrich II. 1440 ihre Rechte bestätigt und hinzugefügt, daß wegen ihrer Armut außer den landesherrlichen keinerlei andere Abgaben von ihnen erhoben werden dürften. 1443 hatte König Friedrich das Gebot erlassen, die wegen Verweigerung der 1438 von König Albrecht geforderten Krönungssteuer der Reichsacht verfallenen Juden des Erzstiftes Magdeburg, solange sie nicht aus der Acht gekommen seien, zu verfolgen, was unter Kurfürst Friedrich II. und seinem Bruder, Friedrich dem Fetten, besonders für 1446 auch belegbar ist. Doch bereits 1447 hatte Markgraf Friedrich der Fette versucht, Juden in Altmark und Prignitz wieder anzusiedeln, wogegen Stendal noch bis 1454 erbitterten Widerstand geleistet hatte. Auch später beschwerten sich die Stände noch über die Anwesenheit der Juden in der Mark und deren Wucher. 1480 wies Kurfürst Albrecht Achilles die Ritterschaft daraufhin, daß zu der Zeit, als die Juden vertrieben waren, die Christen die Ritter noch ärger mit Wucher bedrückt hätten als zuvor die Juden. Vgl. CDB A 16, S. 247-255 (1453 November 7-1454 Februar 1); Β 4, S. 287 (1443 Oktober 14); C 2, S. 247f. (1480 März 22); Fritz Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 39 (1988) S. 7-26; Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 285-287. 191 Heibig, Gesellschaft, S. 53.
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Kurfürst Albrecht Achilles (1414/70-1486) mit märkischen Vasallen (dem Grafen von Lindow und dem Edlen Gans zu Putlitz) im Ornat des Schwanenordens. Altarbild des 1484 vom Rurfürsten gestifteten Schwanenritterordensaltars in der Stiftskirche St. Gumbert in Ansbach (Franken)
erfolgen. Ritterschaft und Städte lehnten das ab. Dem Adel überließ Albreeht Achilles daraufhin bereits am 15. Februar 1472 die Aufbringungsart; er selbst hatte sich ebenfalls nicht festgelegt. Den Städten gegenüber erklärte er sich erst am 25. Juli 1472 mit einer Bede statt Bierziese einverstanden. Nur Stendal und Osterburg verblieben bei der Bierziese. Das hatte zur Folge, daß beide Städte von weiteren Verhandlungen ausgeschlossen wurden. Albrecht Achilles ermäßigte seine Forderungen an die Städte auf 86,2 Prozent (= 50 000 Gulden), dem Adel und der Geistlichkeit gegenüber aber auf 71,4 Prozent (= 30 000 Gulden), während er selbst die eigenen Lasten um 46,7 Prozent (um 20 000 auf 44 000 Gulden) erhöhte. Der Rurfürst hatte den Städten scheinbar nachgegeben, den Adel aber eindeutig bevorzugt. Unter Berufung auf das landesfürstliche Zollregal und die kaiserliche Verleihung von 1456 versuchte er schließlich sogar, die von ihm übernommenen Schulden in Höhe von 44 000 Gulden durch einen neuen Zoll auf Fische, Wein, Honig, Schmalz, Talg, Fleisch, Teer und andere Tonnenware - mit Ausnahme des Bieres - abzudecken. 192 Als die Städte nun also
192 CDB A 14, S. 357 (1472 S e p t e m b e r 8).
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auch noch die vom Landesherrn übernommenen Schulden durch einen neuen Zoll abdecken sollten, brach ein Sturm der Entrüstung aus.195 Der Rurfürst gedachte, die Städte mit dem Hinweis zu gewinnen, daß die aus neuen Zöllen fließenden Einnahmen zugleich der Sicherung der Straßen dienen würden. Bei den in dieser Zeit wieder öfter auftretenden Raubüberfällen in die Neumark von Polen und Pommern aus, in die Altmark aus dem Lüneburger Land wie auch einer Fehde der Mecklenburger gegen den Bischof von Havelberg hatten die erbern mann, burger und bauer sich leidlich gehalden ..., dodurch kein aufrur und krigh gescheen ist, wiewol mit großem verderbe unde swerlickeit.194 Markgraf Johann hatte den Kurfürsten deshalb im Sommer 1471 gedrängt, man müsse die Geschädigten verteidigen, ihnen zu ihrem Recht verhelfen, als verne wir lande und leute behalden wollen.195 Am 10. September 1472 erließ Albrecht eine Verordnung gegen den Straßenraub. Bei einer Zusammenkunft Albrechts mit König Christian von Dänemark am 13. Dezember 1472 in Wilsnack wurden ebenfalls Maßnahmen zur Sicherung der Landstraßen behandelt. Die Verhandlungen darüber setzten Albrecht und Johann 1473 mit den Seestädten, insbesondere Lübeck, und mit den Mecklenburgern bei Zusammenkünften in Neuruppin, Wilsnack und Wittstock fort. Brandenburg und Mecklenburg sollten danach solidarisch den Schutz der Handelswege durch Mecklenburg und Prignitz innerhalb und außerhalb ihrer Territorien übernehmen und sich verpflichten, geraubtes Gut mit allen Mitteln wieder herbeizuschaffen. Die Gegenleistung bestand im neuen Zoll. Der Kurfürst drohte im Hinblick auf den dennoch geübten Widerstand der Städte mit Reichsacht und Kirchenbann. Gemäß dem Vorschlag des Kurfürsten, einen Schiedsspruch herbeizuführen, wurde dazu ein aus den Vertretern aller Ständegruppen bestehendes Gericht gebildet, das in Cölln unter dem Vorsitz des Kanzlers und Bischofs von Lebus, Friedrich Sesselmann, zusammentrat. Die am 20. Februar 1473 gefällte einstimmige Erkenntnis des Gerichts lautete, der Kurfürst solle billig dabei bleiben·,196 am 8. März 1473 folgte eine weitere Erkenntnis gleicher Art. Der Kurfürst ließ sich beide Urteile vom Kaiser bestätigen. Albrecht Achilles hatte eine gewaltsame Aktion vermieden und vor allem erreicht, daß sich die bevorzugten und mit dem Tonnenzoll nicht belasteten Stände, Adel und Geistlichkeit, dem Kurfürsten zuwandten. Er hatte den noch 1470 bestehenden Zusammenhalt der Stände zu durchbrechen verstanden. 197 Die Landesherren gewannen die politische Initiative zurück. Die Struktur der Beziehungen zwischen Fürst und Ständen hatte sich verändert. 198
193 Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel, S. 109. 194 Politische Correspondenz, Bd. 1, Nr. 215, S. 270f., bes. S. 270 (1471 August 19; Brief Markgraf Johanns an Kurfürst Albrecht); vgl. auch S. 278, 280 und 286. 195 Ebda., bes. S. 270, Kurfürstliche Verordnung derRöfery haluen, in: CDB C 2, S. 63-65 (1472 September 10). 196 CDB C 2, S. 71-76 (1473 Februar 23; bestätigt 1473 Mai 25). 197 Heibig, Gesellschaft, S. 65. 198 Hahn, Adel und Landesherrschaft, S. 50-55.
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Während sich die hohenzollernschen Landesherren anschickten, auf allen Ebenen des politischen Lebens mit wechselndem Erfolg ihren Einfluß zu steigern, kam ihrem Bestreben nach Festigung der Landesherrschaft allerdings auch ein langsamer Prozeß der Um Orientierung bei der Ritterschaft selbst entgegen. 199 Die breite Schicht der Lehensleute ging zahlenmäßig gesehen zurück. Innerhalb der Ritterschaft führte diese durch Veränderungen im Kriegswesen und die Agrarkrise ausgelöste Entwicklung zu einer stärkeren Egalisierung. Gaben die Schloßgesessenen auch von Anfang an in der ständischen Korporation der Ritterschaft den Ton an,200 konnten geringer begüterte Vasallen zudem mangels militärischer Stärke nicht mehr darauf hoffen, auf außergerichtlichem Wege zu ihrem Recht zu gelangen. Bei Streitigkeiten mit mächtigeren Nachbarn mußten diese deshalb ein besonderes Interesse haben, sich an den Landesherrn oder seine Vertreter, die Landeshauptleute, wenden zu können. Dem Schutz der eigenen Rechte diente es ebenfalls, wenn man sich bei Verpfändung, Verkäufen oder der Vergabe von Leibgedingen mit der Bitte um Konsens an den Landes- und Lehnsherren wandte. Das von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an langsam wieder erstarkende Papsttum war darauf bedacht, die Reichsstandschaft der Hochstifte zu erhalten. 201 Zwar wurden die Bistümer Brandenburg und Havelberg von 1431 an und noch bis 1521 wie selbständige Fürstentümer für Beiträge zu den Reichsmatrikeln veranlagt. Die lehnsrechtlichen Bindungen vieler stiftischer Vasallen an die Markgrafen machten eine Verselbständigung der bischöflichen Herrschaftsbereiche innerhalb der Mark jedoch unmöglich. Die wirtschaftlichen und grundherrlichen Interessen des Adels verknüpften bischöfliches und kurfürstliches Territorium unauflöslich miteinander. 202 Kurfürst Albrecht Achilles bezeichnete den Bischof von Brandenburg anläßlich seiner durch den Kurfürsten 1472 erfolgten Nominierung, sein Kapitel und alle ihre Leute als seine getreuen Untertanen, die er auch gegenüber auswärtigen Fürsten allein voll zu vertreten habe. 203 Kurfürst Friedrich II. hatte das Nominationsrecht 1447 zwar nur ad personam erhalten. Sein Bruder Albrecht Achilles bemerkte hierzu 1483, Friedrich habe sich in den Verhandlungen mit dem Papst betören lassen. Das sei bedauerlich, doch denke er nicht daran, sich dieses Recht erneut verbriefen zu lassen.204 Zwar hatten die Kapitel nun mehrfach versucht, ihr Wahlrecht wieder etwas aufzuwerten, indem sie die Wahl vor erfolgter kurfürstlicher Präsentation vornahmen, doch gelangte hierdurch an keinem Ort ein Gegner der märkischen Landesherren auf einen Bischofsstuhl. Die Bischöfe genossen auch fortan das Vertrauen des Landesherrn; einige gehörten bereits vor ihrer Wahl der kurfürstlichen Beamtenschaft an. 199 Hahn, Adel und Landesherrschaft, S. 47. 200 Hahn, Fürstliche Territorialhoheit, S. 507. 201 Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung, S. 40. 202 Hahn, Kirchenschutz, S. 189, Anm. 48, vgl. aber auch S. 192: Anhand der wenigen Quellenbelege wird deutlich, dafl die staatsrechtliche Position der brandenburgischen Bistümer im späten 15. Jahrhundert nicht exakt festzumachen ist. 203 Vgl. dazu: Hahn, Kirchenschutz, S. 205; Schmidt, Die Einschränkung der politischen Selbständigkeit, S. 55. 204 Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung, S. 50, Anm. 99.
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Äbte und Pröpste gaben den Forderungen des sich abschließenden Territorialstaates ebenfalls in starkem Maße nach, weil der Schutz durch Gerichte und Diözesanbischöfe ständig an Bedeutung verlor. Als »Räte« dem Landesherrn verpflichtet, standen die Äbte Klöstern vor, die ebenfalls Abgaben zu entrichten und das fürstliche Ablager zu ertragen hatten. Überdies verstand es der Rurfürst, Klosterkapital auf dem Kreditwege zu fordern und zu nutzen. Nur die großen Klöster Chorin und Lehnin nahmen als Begräbnisstätten der askanischen Vorgänger und Vorfahren vermutlich innerhalb der Mark eine Sonderstellung ein. So hatte Kurfürst Albrecht Achilles 1472 dem Abt von Lehnin jedenfalls bestätigt, daß keiner vnser vogtte, Richter, Schultzen, boten, lantrider odir ander vnser amptleute des Closters dorffer, gebawre vnde ander czinssleute widder vnser briefe nicht beschattzen noch zu keinen dinst, geböte, borgdinst, hehrschildessdinste twingen sullen bey vnnsern hulden.20i Wenn sich Kurfürst Johann 1491 das Recht verbriefen ließ, die Klöster in seinem Territorium durch die Landesbischöfe visitieren und reformieren zu lassen, so belegt das, daß nun auch die Integration der Klöster in den Territorialstaat der Hohenzollern abgeschlossen war. In den meisten brandenburgischen Städten ging es jedoch infolge des Vordringens der englischen und holländischen Kaufleute im nördlichen Europa wirtschaftlich bergab. Die Städte dachten deshalb nicht daran, sich noch dazu mit den in der Hauptsache auf sie abgewälzten landesherrlichen Belastungen abzufinden. Auf einem Landtag in Berlin am 24. März 1473 begegnete Markgraf Johann ihrer entschiedenen Opposition. Die Städte unterbreiteten sogar das Ansinnen, die rechtliche Entscheidung des Streites an einer Universität zu suchen, da der Kaiser als parteiisch anzusehen sei. Im Ergebnis eines Landtages vom 12. Juni 1473 konnte der Markgraf an Kurfürst Albrecht Achilles lediglich berichten, viele Städte zahlten keine Landbede, und die Verheiratung der Markgräfin Margaretha sei nicht durchzusetzen, da das Geld (10 000 Gulden) nicht aufzubringen wäre. Am 10. August 1473 begehrte des Kurfürsten Friedrich II. Tochter, Markgräfin Margaretha, gegenüber dem Kurfürsten Albrecht Achilles selbst auf: euger gnade hot gesprochin, die manschaft sulle uns außrichtin, so haben sie gesprochen, si können iß nicht thun von des grossin zols weigin... gebe uns euger gnade die hundert tausent gulden unde den grossen zol, wir wollin uns... wol außrichten unde die schult auch wol bezalin.206 Hatten die Städte bis dahin im Grunde den Landes- und Stadtherren ihren Willen aufgezwungen, indem sie die Huldigung von der vorhergehenden Privilegienbestätigung abhängig machten, unternahmen diese nun massive Anstrengungen, den Widerstand der Städte zu bestrafen. 207 1474 kam der brandenburgische Kurfürst mit dem dänischen König, Christian I., überein, keine Stadt solle mehr beschließen dürfen über Zoll, Steuern und Recht.208 Halte der Fürst es für angebracht, so stehe es ihm frei, jährlich einen neuen Rat einzusetzen. 1476 drohte Kurfürst Albrecht Achilles der Stadt Frankfurt an der Oder konkret mit dem Entzug des 205 206 207 208
CDB A10, S. 327f. (1472 Januar 7); vgl. auch Heinrich, Klosterflucht, S. 195-206, bes. S. 201. Politische Corresponded, Bd. 1, Nr. 653, S. 546f. (1473 August 10). Engel, Zur Autonomie, S. 64 und 74. Vgl. Priebatsch, Die Hohenzollern, S. 15, Anm. 4.
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höheren Gerichts, wenn sie sich weiter gegen die Erhebung eines Tonnenzolls sträube. 209 Dennoch sah ein Bund altmärkischer Städte noch 1478 vor: Würde eine von uns Städten von Herren und Fürsten oder sonst jemand wider unsere Privilegien, Freiheiten, Gerechtigkeiten und alten Gewohnheiten und wider der Fürsten Konfirmation und Bestätigung mit Gewalt und ohne Grund befehdet oder überfallen, so wollen wir Städte der befehdeten Stadt zu Hilfe kommen, wenn sie es wünscht.™ Demgegenüber bezifferte der Rurfürst die Summe der Landesschulden 1479 noch immer auf über 120 000 Gulden. Die stärkere Unterordnung der Städte erforderte also zugleich ein geschicktes Taktieren. Die alt- und mittelmärkischen Städte erbaten vier Jahre Schonfrist. Der Rurfürst setzte die aufzubringende Summe herab und verlängerte die Frist. Die Städte Brandenburg, Berlin, Cölln, Prenzlau mit den kleinen Städten ihrer Umgebung machten zur Bedingung, daß Markgraf Johann ohne Rat der Stände außer in Notwehr keinen erneuten Landeskrieg begänne und das Geld nur zur Tilgung der Schulden verwende, waren daraufhin aber bereit, gemeinsam mit den beiden anderen Ständen ihren Anteil aufzubringen. Die Abgesandten der altmärkischen Städte hingegen lud der Markgraf zum 27. November 1480 vor ein ständisches Gericht, da sie weiter widersessig2U seien. Als Mitglieder des Schiedsgerichtes bestellte der Markgraf 66 Personen, an der Spitze die drei Landesbischöfe und die Äbte von Chorin, Lehnin und Zinna. Den Vorsitz führte der Ranzler. Das im Cöllner Schloß zum angegebenen Zeitpunkt tagende Gericht erkannte an: Markgraf Johann sei von Rechts wegen in Güter und Habe der Beklagten einzuweisen, bis die Schuld getilgt sei. Als gegen Ende 1481 allerdings auch noch die Prignitzstädte die Zahlung verweigerten, riet der Rurfürst doch, der Markgraf solle sich mit denen der Altmark einigen. Erst im Juli 1483 aber konnte Johann dem Vater melden, daß er mit den altmärkischen Städten vertragen sei. Am 11. März 1486 starb Rurfürst Albrecht Achilles. Gemäß seiner Disposition von 1473 trat nun die Trennung der Mark von den fränkischen Fürstentümern ein. Die märkische und die fränkische Linie bildeten von nun an getrennte Zweige des Hohenzollernhauses mit gesonderten Herrschaftsbereichen. Rurfürst Albrechts Sohn Friedrich wurde Stammvater der fränkischen Hohenzollern; Johann übernahm die Nachfolge in der Mark, nachdem er dort bereits 16 Jahre lang die Regentschaft geführt hatte bzw. als Statthalter wesentlich daran beteiligt gewesen war. Vom 10. April 1486 an nahm Markgraf Johann die Huldigung der Städte entgegen. Ein Jahr später, am 2. Mai 1487, fand in Nürnberg die feierliche Belehnung des Rurfürsten statt. Finanziell war die Mark nun auf sich gestellt.212 Seines Vaters Beifall hatte der Rat Ludwigs von Eyb gefunden, mit einem Drittel der Einnahmen alle ordentlichen Ausgaben zu bestreiten, ein Drittel zur Schuldentilgung zu verwenden und ein Drittel für Rriege und andere außerordentliche Zwecke zurückzulegen. Durch
209 CDB C 2, S. 186f., bes. S. 186 (1476 August 31). 210 CDB A 25, S. 4 0 0 ^ 0 2 (1478 März 12). 211 Cod. cont., Bd. 2, S. 58-60 (1480). 212 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 160; Heinrich, Geschichtliche S. XLVI; Mast, Die Hohenzollern, S. 29.
Einführung,
Zurückdrängung der Stände
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Brandenburg/Havel, Festsaal des Altstädtischen Rathauses (um 1470), Zustand um 1925
genaue Aufsicht und Rechnungsführung, durch neue Zölle und Zinsen sowie zäh geführte Finanzverhandlungen mit den Ständen hatte Rurfürst Albrecht Achilles die brandenburgischen Einkünfte seit 1470 (= 100) um etwa 44 Prozent steigern können; zu seinen Bruttoeinnahmen in Höhe von rund 100 000 Gulden trug die Mark zuletzt etwa 40 Prozent bei. Albrecht hatte für die finanzwirtschaftliche Ordnung gesorgt.213 Verpfändungen kamen nur noch selten vor. 1480 hatten die Stände zwar eine ständige Organisation für die Erhebung und Verwaltung der Steuern gefordert. Dazu war es nicht gekommen, nur sollten die kurfürstlichen Steuereinnehmer nun jährlich vor einer ständischen Rommission Rechenschaft ablegen. Den bisherigen Widerstand namentlich der Städte wußte Rurfürst Johann zu brechen, indem er sie an dem Aufkommen der Steuer beteiligen wollte. Während eines Landtages am 9. Februar 1488 in Berlin erlangte er tatsächlich von den Ständen, einschl. den Vertretern der Städte, ein Zugeständnis, um das sich seine Vorgänger, Friedrich II. und Albrecht Achilles, vergeblich bemüht hatten: Sie bewilligten eine indirekte Verbrauchssteuer vom Bier für die Dauer von sieben Jahren, rückwirkend ab März 1487. Danach wurde auf jede Tonne einheimischen und fremden Bieres eine Abgabe von zwölf Pfennigen gelegt, von denen der Landesherr einen Groschen (acht Pfennige), die Städte zur Unterstützung der städtischen Finanzen vier Pfennige erhalten sollten. Auch sollten die Interessen der Brauer und Händler weitgehend gewahrt bleiben, indem die Steuer durch entsprechende Regulierung des
213 Heinrich, Geschichte Preußens, S. 46.
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Ausschanks letzten Endes den Verbrauchern zufiel. Adel und Geistlichkeit wurden für das zum Eigenbedarf selbst gebraute Bier nicht veranlagt.214 Dennoch regte sich schon bald erneuter Unwille, und zwar besonders in den altmärkischen Städten.215 In Stendal war die Opposition so heftig, daß der Rat sein dem Landesherrn gegebenes Einverständnis nicht mehr durchzusetzen vermochte. Ende März 1488 erschien der Rurfürst daraufhin zunächst in Tangermünde, das am 25. März Gehorsam gelobte. Die Steuerbedingungen wurden verschärft. Das ursprünglich von den Ständen nur auf sieben Jahre bewilligte Biergeld mußte auf weitere sieben Jahre zugesagt werden. Dann ging es gegen Stendal. Mit einer TVuppenmacht, 216 zu deren Rüstung volle drei Wochen benötigt worden waren, rückte Johann vor die Tore der Stadt, die den Widerstand um den 17. April aufgab. Die Unterwerfung Stendals wurde am 22. April beurkundet: Wesentlich höher noch waren nun hier die Bedingungen. Das Biergeld mußte mit zwei Groschen auf 14 Jahre bewilligt werden. Der Eigenanteil wurde den Stendalern entzogen. Der Kurfürst sorgte für die Einsetzung eines neuen Rates und behielt sich die landesherrliche Bestätigung der Ratswahl auch künftig vor. Die Stendaler verloren das Münzrecht und ihre Gerichtsbarkeit. Allen Bündnissen hatten sie zu entsagen. Die Stadt mußte geloben, in Zukunft keine ungebührliche wilkor oder gesetz zu verfassen und sich jeglicher Eingriffe in die kurfürstlichen Rechte zu enthalten. Die Zünfte wurden auf innere Handwerksangelegenheiten beschränkt; in Dinge der Landesherrschaft und des Rates hatten sie sich nicht einzumischen. 217 Rasch vollzog sich nun auch die Unterwerfung der übrigen Städte. Die Bedingungen wechselten stark. Ein doppeltes Biergeld wie in Stendal erreichte der Rurfürst nirgends wieder, doch wurde auch in Werben und Osterburg für das Biergeld eine Dauer von 14 Jahren durchgesetzt. Salzwedel mußte am 28. April 1488 darüber hinaus drei Privilegien ausliefern, die der Stadt erlaubt hatten, altmärkische Burgen zu brechen, und die den Bürgern garantiert hatten, daß die geschleiften Festungen nicht wieder aufgebaut würden. Die Salzwedeler Bürger sollten hinnehmen, daß der Rurfürst aus seiner Burg einen zusätzlichen Ausgang anlegen und die Häuser, die ihm zu nahe an der Burg erbaut erschienen, abbrechen ließ. Die Stadt mußte Bündnisse mit anderen Städten lösen, die kurfürstliche Ratswahlbestätigung wurde angeordnet, im Rat durften - wie auch in Seehausen - keine Zünfte vertreten sein.218 Die Stadt Gardelegen hatte sieben alte Urkunden auszuliefern, darunter zwei Bündnisverträge mit altmärkischen Städten, und auch hier wurde die kurfürstliche Ratsbestätigung eingeführt. 219 Mitte Mai 1488 war die gesamte Altmark wieder beruhigt. Innerhalb von sechs Wochen war es Rurfürst Johann gelun-
214 CDB C 2, S. 333-338 (1488 Februar 9). 215 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 165; Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel, S. 100. 216 Heinrich, Geschichte Preußens, S. 50; ders., Geschichtliche Einfiihrung, S. XLVI. 217 CDB A 15, S. 408-411 (1488 April 22); Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel, S. 111. 218 CDB A 14, S. 419-Φ23 (1488 April 28). 219 CDB A 6, S. 149-151 (1488 Mai 6).
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gen, den Widerstand der altmärkischen Städte zu brechen und somit die landesherrliche Gewalt zu stärken. 220 Als der Rurfürst sich nach sieben Jahren anschickte, die Bierziese zu verlängern, regte sich der Widerstand offenbar nur noch schwach. 1496 wurde auch Frankfurt an der Oder wegen Widerstandes gegen die Bierziese das Recht der uneingeschränkten Ratswahl entzogen, und die Ratsmitglieder mußten vom Rurfürsten bestätigt werden. Dem Rat wurde das Recht auf Ausübung der obersten Gerichtsbarkeit abgesprochen. Die Bürger mußten sich auf ein Biergeld von zwölf Pfennige pro Tonne auf elf Jahre verstehen. Auch in weiteren Städten war inzwischen die Einschränkung der städtischen Sonderrechte gelungen, so etwa in der Neustadt Brandenburg, wo Rurfürst Johann im Jahre 1490 Fragen der städtischen Verfassung geregelt hatte. Trotz fortbestehender ständischer Repräsentation der Städte221 hatte die sich konsolidierende Landesherrschaft die Landeshoheit gegenüber den Städten zur Geltung gebracht und diese unter ihre Aufsicht gestellt.222 Die politischen Räume nicht nur der Geistlichkeit, sondern auch bündisch-geeinter Städte waren eingeengt, die Ausweichmöglichkeiten dieser Herrschaftsträger geringer geworden.223
Regionalverwaltung 1485 hatte Rurfürst Albrecht Achilles seinen Sohn abermals gemahnt, er möge den finanziell verderblichen Weg verlassen, ständig an der Spree zu residieren; er solle ein Vierteljahr in der Altmark, ein Vierteljahr in der Neumark und ein halbes Jahr in der Mittel- und Uckermark Hof halten, um auf diese Weise direkt von den Einkünften der verschiedenen Amter des Landes zu leben. Aber auch den Ständen erschien die Regierung von einer festen Residenz abträglich. Das bezeugen die Beschlüsse eines Herrentages von 1484 eindeutig. Die Stände vertraten die Auffassung, die Herrschaft und das Land würden das persönliche und unmittelbare Regiment des Fürsten in den einzelnen Landesteilen erfordern. Das Herrschaftsverständnis von Herrschenden wie Beherrschten ließ ein Aufgeben der Reisetätigkeit undenkbar erscheinen. 224
220 Heibig, Die brandenburgischen Städte, S. 239; Müller-Mertens, Bürgerlich-städtische Autonomie, S. 26-29. 221 Landtagsberechtigt waren von den Städten allerdings nur die »Hauptstädte«. Sie vertraten mit ihrer »Sprache« jeweils eine Anzahl nicht landtagsfähiger kleinerer Städte mit; vgl. dazu Heibig, Gesellschaft, S. 60. 222 Müller-Mertens, Bürgerlich-städtische Autonomie, S. 27f. 223 Heinrich, Nordostdeutscher Adel, S. 121; Müller-Mertens, Die Entstehung Berlins, S. 153: Die Totentanzdarstellung in der Vorhalle der Berliner Marienkirche um 1484/85 führte die mögliche Nähe des Todes im Lebensreigen vor Augen, wobei er einerseits an der herrschenden Standesordnung festhielt, andererseits auf die Gleichheit der Menschen vordem Tode verwies. 224 Müller-Mertens, Die landesherrliche Residenz, S. 152; Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 339.
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Doch schon als Statthalter hatte Markgraf Johann diesen Mahnungen und Beschwerden relativ selten nachgegeben. Zwar hat er auch noch als Rurfürst sein Territorium bereist. Tangermünde behielt bis in das 16. Jahrhundert hinein die Funktion einer Nebenresidenz, die nicht nur dem Abwechslungsbedürfnis des Hofstaates Rechnung trug, sondern vielmehr lokaler Verwaltungsmittelpunkt für Altmark und Prignitz blieb. Die Zahl der Itinerarorte war im Vergleich zu vorhergehenden Herrschern eingeschränkt, umfaßte aber immerhin noch 17 Anlaufpunkte. Cölln jedoch dominierte mit 77 Prozent eindeutig, und selbst Tangermünde war auf 8 Prozent zurückgefallen. 225 Das war möglich geworden durch eine präziser arbeitende, an fränkischen Beispielen geschulte Zentral- und Regionalverwaltung, durch den Ausbau regionaler Behörden und Institutionen der mittleren und insbesondere der unteren Ebene. Land und Herrschaft gerieten in stärkerem Maße in den allgemeinen territorialen Verstaatungsprozeß, dessen brandenburgische Höhepunkte während des 15. Jahrhunderts gegen 1470/1473 und um 1480 feststellbar sind.226 Seit der Regentschaft des Rurfürsten Albrecht Achilles und seines Sohnes, Markgraf Johann, hatte nicht nur die Zahl der an Hof und Residenzstädte gebundenen Amtsträger zugenommen. 227 Auch konnte ein nicht unbedeutender Teil der verpfändeten markgräflichen Burgen im Laufe der Zeit wieder in unmittelbare kurfürstlich-landesherrliche Verwaltung übernommen werden. Sie wurden vielfach zu Mittelpunkten der neu eingerichteten kurfürstlichen Ämter. Der Fürstendienst, d.h. neben dem Hofdienst die Übernahme regionaler (Landeshauptmannschaften) oder zentraler Verwaltungsaufgaben gehörten zu den entscheidenden Aufstiegschancen des einheimischen Adels228, doch wurde die Lokalamtsträgerschaft auch durch kontrollierende »Gegenschreiber« vermehrt. Der Vogt von Tangermünde beispielsweise unterstand wie die anderen altmärkischen Vögte der Aufsicht des Landeshauptmanns der Altmark. Seine Machtposition war sogar kaum hinter der des Hauptmanns zurückgeblieben, da er gelegentlich mit der Einnahme sämtlicher markgräflicher Hebungen in der Altmark beauftragt worden war. Nun fiel die Aufgabe landesherrlicher Hebungen dem Inhaber des neugeschaffenen Rastenamtes, dem Rastner, zu.229 In größeren Territorien wurden die örtlichen Verwaltungsbezirke zu übergeordneten Einheiten zusammengefaßt. So wurden in der Neumark im Verlaufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die dort bislang bestehenden drei Bezirksvogteien wieder aufgehoben. Übrig blieb nur das Amt des für das ganze Land zuständigen neumär225 Ebda. 226 Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 187; ders., Nordostdeutscher Adel, S. 110; Hahn, Kirchenschutz, S. 210, Anm. 157. 227 Lieselott Enders, Die spätmittelalterliche Grundherrschaft in der Uckermark, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 15/1 (1988), S. 56-74, bes. S. 74; Podehl, Burg und Herrschaft, S. 432. 228 Heinrich, Amtsträgerschaft, S. 187f.; ders., Nordostdeutscher Adel, S. 109; Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 99. 229 Hahn, Kirchenschutz, S. 210, Anm. 157; Enders, Die spätmittelalterliche Grundherrschaft, S. 72; Podehl, Burg und Herrschaft, S. 271 und 621.
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kischen Landvogtes. Die Verwaltung der kurfürstlichen Schlösser und zugehörigen Ämter (Küstrin, Driesen, Schivelbein) wurde Haupt- bzw. Ämtleuten unterstellt.230 Für die Mittelmark hingegen ist kein Landvogt bezeugt. Länder wie Teltow, Barnim und Zauche bestanden weiter, ohne landesherrliche Bezirke im Sinne von Vogteien zu sein. Die alten territoria tauchen in den Schoßregistern von 1450/1451 und 1480/1481 als districtus auf, hatten sich also als »steuerfiskalische« Einheiten aus der Zeit erhalten, als sie Vogteien waren und entsprachen auch räumlich den terrae des 14. Jahrhunderts. Diese als funktionale Bezirke erkennbaren Gebiete der Mittelmark sind nun innerhalb ihrer alten Grenzen sowohl als ritterschaftliche Kreise wie auch als Beritte des Landreiters, eines Amtsträgers des Landesherrn (im Teltow nachweisbar seit 1470), wahrzunehmen. 231 Hier gelegenes landesherrliches Gut wurde zudem in eigenen kurfürstlichen Ämtern verwaltet.232 Im Lande Lebus hatte der Bischof von Lebus seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zwei Jahrhunderte lang eine beherrschende Position inne. Bereits Ende des 14. Jahrhunderts scheint hier die Vogtei eingegangen zu sein. Landvögte oder Landeshauptleute traten im 15. Jahrhundert nicht mehr in Erscheinung; auch kam keine andere Institution an ihre Stelle. Als politische Organe blieben allein Beritt und ritterschaftlicher Kreis bestehen. 233 Die alten Vogteien lebten schließlich auch in der Altmark, der Uckermark und der Neumark innerhalb der neuen Landvogteien als Beritte weiter, die hier einer relativ lückenlos organisierten landesherrlichen Verwaltung in geschlossenen Bezirken entsprachen. 234 Nach der Wiedergewinnung des Stolpirischen Kreises gab es in der Uckermark z.B. zwei Landreiterbezirke, einer mit Sitz in Angermünde für das Land Stolpe, der andere mit Sitz in Prenzlau für die übrige Uckermark. 235 In den kleineren Territorien der Mittelmark aber scheint das Amt des Landreiters dadurch, daß es dort keinen Vogt mehr gab, jedoch gleichzeitig eine ritterschaftliche Korporation weiterbestand, eine besondere Bedeutung erhalten zu haben. Blieben die innerhalb der ehemaligen Vogteien erfolgten Zusammenschlüsse der Stände in Gestalt der Kreise institutionell auch weiterhin bestehen, so entsprach dem doch nicht eine aktivere Rolle auch im politischen Leben der Mark.236 Der Landreiter versah den amtlichen Verkehr zwischen der Landesherrschaft und der Ritterschaft der einzelnen Kreise. Er zog die innerhalb der Kreise anfallenden Einnahmen des Kurfürsten ein und besorgte die Gerichtsexekution. Der vom Landesherrn bzw. seiner Kanzlei direkt bestellte Landreiter war keinem ihm übergeordneten Amtsträger unterworfen. Seine Position erschien gegenüber den alten equitatores terrae oder bedelli (Büttel) der früheren Jahrhunderte ebenfalls gestärkt. 237 230 Podehl, Burg und Herrschaft, S. 431. 231 Böhm, Teltow und Barnim, S. 187. 232 Böhm, Teltow und Barnim, S. 190,287 und 290. 233 Podehl, Burg und Herrschaft, S. 432; Eberhard Böhm, Das Land Lebus und seine Vogteien westlich der Oder (13. bis 15. Jh.). Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 25 (1976), S. 42-81, bes. S. 79. 234 Böhm, Teltow und Barnim, S. 183f. 235 Enders, Die Uckermark, S. 113. 236 Böhm, Teltow und Barnim, S. 300. 237 Böhm, Teltow und Barnim, S. 184.
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Landfrieden Mit Nachdruck sprachen sich die auf dem Herrentag in der Mark Brandenburg versammelten Stände im August 1484 dafür aus, daß der Fürst als oberster Richter im Lande selbst Recht spreche, wozu er um gemeine nutz willen am meisten verpflichtet sei. Das fürstliche Gericht sei notwendig, das bringt seinen gnaden forcht und gehorsam gen seinen undertanen und dem lande frid und gemach.258 Rurfürst Albrecht Achilles hatte in der 1473 für das Haus Hohenzollern erlassenen Erbordnung, der Dispositio Achillea, seine Söhne verpflichtet, keine Fehden gegeneinander zu führen und dies auch ihren gegenseitigen Untertanen nicht zu gestatten. Sie sollten sich zum Zwecke der Erhaltung ihrer Rechte, Güter und Freiheiten bei allen Angriffen beistehen und keine Bündnisse ohne gegenseitiges Einverständnis abschließen. 239 In einer Instruktion, die Albrecht Achilles dem Sohn, Markgraf Johann, im August 1476 hinterlassen hatte, war diesem aufgetragen worden, Rauberei zu weren. Rechte gericht zu halten.2*0 Die Landfriedenswahrung gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des Landvogtes. Dem Vogt waren weitreichende gerichtliche und exekutorische Befugnisse übertragen: das Gericht in Landfriedenssachen, die Vermittlung bei Adelsstreitigkeiten und die Kontrolle über die ordentlichen Gerichte in seinem Vogteibezirk. Das bedeutete auch die Gerichtsbarkeit in allen Rechtsfällen, in denen die zuständigen Richter das Recht verweigerten oder über deren Objektivität Zweifel entstanden waren. Im Bereich der Friedensexekution konnte der Landvogt des Markgrafen mit benachbarten Vögten oder Fürsten besondere Friedensvereinbarungen treffen, auch in seinem eigenen Vogteibezirk mit Ständen oder Städten Friedensabkommen eingehen; so jedenfalls sah es die Landfriedensordnung des Landvogts Wilhelm von Pappenheim 1484 für die Altmark vor. Der Landvogt sollte selbständig mit Heereskraft gegen den Raubadel vorgehen und für die Befriedung von Straßen, Wäldern und wüst gewordenen Ländereien in seinem Gebiet eigene Heidereiter halten. Trotz der Einsetzung durch den Markgrafen und ihrer Bezahlung aus den landesherrlichen Einkünften aber können die brandenburgischen Landvögte nicht einfach als Beamte des Markgrafen bezeichnet werden. Gerade in ihrer Funktion als Justiz- und Polizeiorgane waren sie weitgehend von den Ständen ihres Landvogteibezirkes abhängig. Ebenso wie kriegerische Unternehmungen war auch die Herstellung des Friedens an deren Zustimmung gebunden. Für den Ersatz der Rosten war die ständische Einwilligung nötig. Diese enge Bindung der Landvögte an die Stände führte in einigen Fällen dazu, daß der Markgraf nur mit deren rate wissen un volbort den Landvogt einsetzen konnte.241
238 Heibig, Gesellschaft, S. 66; Walter Schlesinger, Der Osten, in: Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 2, hrsg. von Herbert Grundmann, 2. Aufl., Stuttgart 1970, S. 667-764, hier S. 750f. 239 Heinz Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 470. 240 CDB C 2, S. 186f. (1476 August 31). 241 Angermeier, Königtum und Landfriede, S. 469.
Landfrieden
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In der Mittelmark, wo seit 1467 ein Landvogt nicht bezeugt ist, hatten sich die Adligen dem Landfriedensgericht teilweise überhaupt entzogen.242 Besonders in der Altmark hatten die Hohenzollern ihre Finanz-, Gerichts- und Wehrhoheit vor allem auf der Grundlage persönlicher Bindungen zu den burggesessenen Adelsgeschlechtern durchgesetzt. Der Vorrang dieses Personenkreises war nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck gekommen, daß der Markgraf sie vom Hofgericht befreit hatte. Durch den Abschluß von Burgfriedensverträgen hatten die führenden Adelsfamilien ihren militärischen Handlungsspielraum gestärkt. Schon bald jedoch betrafen die Absprachen auch die Ausübung der Gerichtsbarkeit. Dadurch wurden die Eingriffsmöglichkeiten des Landesherrn gegenüber den bäuerlichen Untertanen verringert. 243 Hatte Albrecht Achilles 1472/1478 Adel und Städte auch relativ geschlossen ins Feld führen können, 244 waren er und sein Sohn, Markgraf Johann, doch schon durch die oppositionelle Haltung der Städte genötigt, bei den ersten Ständegruppen: Herren, Prälaten und Ritterschaft, Rückhalt zu suchen. Auch Johann hat im Einklang mit den großen Adelsfamilien regiert. TVotz Söldnern war der Landesherr im Interesse der Landessicherheit auf ein starkes und rasch erscheinendes Aufgebot der Ritterschaft angewiesen. 245 Doch die räuberischen Überfälle, vor allem aus den Kreisen der Ritterschaft, auf Raufleute, Pilger und sonstige Reisende, Raubeinfälle in die Nachbarländer wie auch Raubzüge aus diesen hatten besonders während der kriegerischen Auseinandersetzungen in erschreckendem Maße wieder zugenommen. 246 Auf dem Cöllner Landtag Ende Januar 1480 war zwar von der Ritterschaft selbst der Antrag gestellt worden: bitten auch Rauberei undplackerei zu stewrn, uf das ydermann mag frey handeln und wandeln zu seiner narung.247 Sie wollten dazu beitragen, doch sollten aus ihrem Kreis hierbei sträflich befundene Personen vom Landesherrn und nicht von den Städten gerichtet werden. Der Landfriedensschutz aber konnte nur gelingen, wenn die wichtigsten Gewalten, Landesherrschaft und Stände, dafür Sorge trugen. Der streitbare Havelberger Bischof Wedego Gans, damals auch Landeshauptmann der Prignitz, hatte zusammen mit dem Landeshauptmann der Altmark, Wilhelm von Pappenheim, im Sommer 1482 einen regelrechten Feldzug gegen die Straßenräuber unternommen, die die nach Wilsnack Pilgernden geschädigt hatten. Vierzehn Raubburgen in der Prignitz wurden dabei zerstört und mehrere Personen getötet. Der einst blühende Fernhandel der Hansestädte durch Mecklenburg und Prignitz kam durch diese Zustände zum Erliegen.248 Die landesherrlichen Zollstätten erlitten schwere Ein242 Böhm, Teltow und Barnim, S. 183 (betrifft den Teltow). 243 Hahn, Fürstliche Territorialhoheit, S. 506f. und 5tlf. 244 Heinrich, Nordostdeutscher Adel, S. 112: Dazwischen lag ein System von Aushilfen, von Delegierungen von Herrschaftsbefugnissen an einzelne Adlige, das den frühen Jahrzehnten in den Quellen einen eigenartigen Ruch von Willkür und Bereicherung verleiht. 245 Vgl. Heinrich, Geschichte Preußens, S. 50. 246 CDB A 1, S.197f. (1480); Β 5, S. 208f. (1473 April 29), S. 264-266 (1477 April 22); S. 270-272 (1478 Februar 6); C 2, S. 236-238 (1479 Juli29); C 3, S. 115 (1478 Oktober 14), S. 118 (1478 Oktober 23). 247 Cod. cont., Bd. 2, S. 47-49, bes. S. 47 (1480). 248 Heibig, Gesellschaft, S. 53.
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büßen. Am 26. Januar 1484 ließ Markgraf Johann den altmärkischen Ständen durch den Havelberger Bischof, den Hauptmann der Altmark und die Pröpste von Berlin und Stendal ernsthafte Verordnungen des Landesherrn gegen die Straßenräuberei in der Altmark vortragen. Gleichzeitig wurde den Städten versagt, mit den Raufund Fuhrleuten über neue Straßen zu ziehen, und der Ritterschaft wurde untersagt, auf solchen Straßen Schutz und Geleit zu geben, denn dadurch würden die Zölle und das landesherrliche Geleit geschädigt. Käufer geraubten Gutes sollten dieses nicht nur dem Eigentümer zurückerstatten, sondern überdies bestraft werden. 249 Ohne daß ein Ende der Adelsfehden erreicht worden wäre, 250 schaltete sich der Landesherr immer häufiger in die Auseinandersetzungen seiner Vasallen ein, nahm die markgräfliche Landfriedensgewalt deutlichere Konturen an. Seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts hören wir häufiger von der Tätigkeit eines obersten Gerichts.251 Nachdem der Kaiser 1474 den Vorschlag unterbreitet hatte, das königliche Kammergericht in die Reichslandfriedensordnung einzubeziehen, hatten sich die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg geweigert, das Kammergericht zumindest als Appellationsgericht anzuerkennen. 252 Das nun, um die Jahrhundertwende, rasch vordringende gelehrte Recht, das römische Recht, implizierte jedoch auch eine Öffnung hin zum »Reich«, nach Oberdeutschland, zum Reichskammergericht nach Speyer.253 1495 wurde das Fehdewesen durch den Reichslandfrieden verboten. Den Teilen des Adels, die auch danach noch Wegelagerei betrieben und sich dabei auf ihr Fehderecht beriefen, mußte seitdem bewußt sein, daß sie ohne jede rechtliche Grundlage handelten. 254
Rückblick am Ende des Jahrhunderts Kurfürst Johann starb am 9. Januar 1499. Er war der erste in Brandenburg heimische Hohenzoller. Die Reichspolitik hatte er weniger als sein bedeutender Vater beachtet. Ähnlich wie vormals Kurfürst Friedrich II. aber hatte er sich auf den inneren und äußeren Ausbau der Mark Brandenburg konzentriert. Damit hatte er wesentlich dazu beigetragen, als die Fürsten im Verlaufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gleichzeitig mit der Festigung der äußeren Landesgrenzen begannen, im Inneren eine eigenständige Machtposition aufzubauen, die sich
249 CDB A 25, S. 412-415 (1484 Januar 26). 250 Ein Abwandern der Bauern war die Folge. Deshalb wurde auf einem Landtag von 1484 der Wunsch der Ritterschaft nach einer Verordnung laut, die verbot, Bauern oder Untersassen des Adels, die ohne Willen ihres Herrn abzogen, anderwärts aufzunehmen, und ihre Zurückführung an den Herrn verfügte. Vgl. CDB C 2, S. 302f. (1484 August 2). 251 Hahn, Adel und Landesherrschaft, S. 46; Heinrich, Geschichtliche Einführung, S. XLVI; Enders, Die Uckermark, S. 113f. 252 Vgl. Angermeier, Königtum und Landfriede, S. 555. 253 Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 300. 254 Heibig, Die brandenburgischen Städte, S. 232 und 239; Hahn, Adel und Landesherrschaft, S. 46f; Hahn, Kirchenschutz, S. 210; Angermeier, Königtum und Landfriede, S. 468f.
Rückblick am Ende des Jahrhunderts
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anschickte, sowohl die Bischöfe als auch den Adel und die weitgehend autonomen Städte zu integrieren. Die Intensivierung staatlicher Herrschaft war gekennzeichnet durch das Bemühen der Kurfürsten, ihren Herrschaftsbereich gegenüber Pommern, Mecklenburg und dem Deutschen Orden abzugrenzen. Es war ihnen gelungen, einen großen Teil der verlorenen, einstmals von den Askaniern beherrschten Gebiete wiederzugewinnen und den Besitzstand der Mark durch Neuerwerbungen zu mehren. Die Beziehungen zu Pommern waren zwar problematisch geblieben. Strikt hatte es Herzog Bogislaw X. von Pommern abgelehnt, nach Rurfürst Albrechts Tod dessen Sohn, dem Rurfürsten Johann, den Lehnseid zu leisten. Seine hartnäckige Weigerung bewirkte, daß Rurfürst Johann am 26. März 1493 zu Pyritz darauf verzichtete, wofür sich der Herzog von Pommern am 28. März 1493 in Rönigsberg allerdings damit einverstanden erklärte, daß sein Herzogtum im Falle des Aussterbens des pommerschen Herrschergeschlechts an Brandenburg übergehen solle. Die Anerkennung der brandenburgischen Erbansprüche wurde von 150 pommerschen Prälaten und Herren beschworen und besiegelt.255 Mit Sachsen und Hessen hatte Johann schon auf dem Reichstag in Nürnberg am 23. Mai 1487 die von Friedrich II. abgeschlossenen Erbvereinigungen erneuert. 256 Am 11. Mai 1489 wurde von Johann in Luckau ein Freundschaftsbündnis mit den Gesandten Rönig Matthias von Ungarn geschlossen. 257 Im Sommer 1490 erwarb er die unweit von Berlin gelegene Herrschaft Zossen.258 Im 16. Jahrhundert wird Rurfürst Johann dann der Beiname Cicero zugedacht, da man seiner Beredsamkeit eine Einigung zwischen Ungarn, Polen und Böhmen zuschrieb. 259 Im Inneren war versucht worden, den Adel, die relativ unabhängigen Städte sowie die Bischöfe260 der kurfürstlichen Landeshoheit unterzuordnen. Die in diesem Sinn getroffenen Maßnahmen hatten zu einem sich seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts Schritt um Schritt verfestigenden Territorialstaat geführt. Doch ebenso wie dabei zwischen burggesessenem Adel und Raubrittern, zwischen den Bischöfen von Brandenburg und Havelberg sowie dem von Lebus zu differenzieren ist, betrafen auch die Vorgänge um die »Brechung« städtischer Autonomie die kleineren weniger als die größeren und bedeutenderen Städte, wurde diese nicht vollkommen und auch nicht ein für allemal vernichtet. Nach dem Tod Rurfürst Albrechts und der Trennung von den fränkischen Fürstentümern hatte die grundsätzliche Umgestaltung Berlins zur Fürstenresidenz 255 CDB Β 5, S. 479-482 (1493 März 26), S. 483-488 (1493 März 28). 256 CDB Β 4, S. 445-451 (1451 Januar 27); Β 5, S. 22-26 (1457 April 29) und S. 437-440 (1487 Mai 23). 257 CDB Β 5, S. 463f (1489 Mai 11). 258 CDB A 11, S. 273 (1490 Juli 25), S. 274 (1490 September 17), S. 275 (1491 November 17); C 2, S. 359 (1490 Juli 22). 259 Christoph Entzelts Altmärkische Chronik, neu hrsg. von Hermann Böhm (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, [Bd. 14]), Leipzig 1911, S. 218. 260 Hahn, Kirchenschutz, S. 203; Schmidt, Die Einschränkungen der politischen Selbständigkeit, S. 55f.
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Ausbau zum fürstlichen Territorialstaat der Hohenzollern
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Perleberg, der Roland. Diese 5,40 Meter hohe Sandsteinfigur ersetzte 1546 das alte hölzerne Rolandsbild. Der Schild zeigt den brandenburgischen Adler. Aufnahme 1928
und zum Verwaltungszentrum des brandenburgischen Territorialstaates eingesetzt. Die kontinuierliche Präsenz des Rurfürsten und des sich entwickelnden Hofes in Berlin-Cölln, die feste Etablierung der märkischen Hauptkanzlei im Cöllner Schloß, die Konzentration der höchsten Jurisdiktionsorgane an der Spree, die Existenz eines Kollegiatstiftes261 und nicht zuletzt der schließlich erreichte Ausgleich zwischen Hof und Stadt förderten das Hineinwachsen Berlins in die Funktionen einer Landeshauptstadt. 262 Es erfolgte ein merklicher Integrationsprozeß der Franken am Hofe und in seiner Umgebung in die Berliner Bevölkerung; sie zogen aus dem Schloß in die Stadt, heirateten in Berliner Bürgerfamilien ein. Umgekehrt fanden nun Berliner Zugang zur Ranzlei und zu den Hofämtern. 263 Die Distanz zwischen den aus dem hochdeutschen Sprachraum kommenden Franken und den noch plattdeutsch sprechenden Berlinern wurde zunehmend überwunden.264 Die höheren Ämter in Ranzlei und Verwaltung wurden in wachsendem Maße mit gelehrten Juristen besetzt, und zwar mit den Söhnen vornehmer Berliner Bürgergeschlechter, die also die Umstellung von der autonomen städtischen
261 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 346. 262 Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 338f. und S. 348. 263 Vgl. Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern, S. 302. 264 Ebda, sowie Ahrens, Residenz und Herrschaft, S. 347 und Müller-Mertens, Die Entstehung Berlins, S. 154.
Rückblick am Ende des Jahrhunderts
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Führungsschicht zur Wahrnehmung höherer Amtsfunktionen am Hof und für die kurfürstliche Landesherrschaft zumindest teilweise zu vollziehen begannen. Der Rat der Oderstadt Frankfurt begann 1492/1493, beim Rurfürsten wegen der Gründung einer Universität vorstellig zu werden. Die Frankfurter selbst boten Geld und Bauten dafür an. Das unter den drei märkischen Bistümern wohlhabendste Bistum Lebus war bereit, die Gründung mitzufinanzieren und mitzutragen. 1497 schließlich gab der Rurfürst seine Zustimmung: Die im Osten der Mark bedeutendste Stadt sollte wirtschaftspolitisch gestärkt werden. Auch war wohl vorauszusehen, daß die schon 1456 in Greifswald gegründete pommersche Landesuniversität des alten Widersachers Bogislaw X. in ihrem preußischen und polnischen Studentenzuzug dadurch geschmälert würde. 1498 erteilte der Papst das Privileg hierzu und bestimmte den Bischof von Lebus zum Ranzler. Um 1500 war Frankfurt das herausragende humanistische Zentrum in der Mark. Auch wenn nun unter den brandenburgischen Markgrafen und Rurfürsten des 15. Jahrhunderts jeder für sich durch Tatkraft und politische Leistung hervorzuheben ist, wäre es doch nicht zutreffend, die zur Festigung der Landesherrschaft führenden Veränderungen nur ihrer persönlichen Initiative zuzuschreiben. Vergleichbares geschah in den meisten größeren Reichsterritorien. Die Rurfürsten waren bei der Durchsetzung ihrer landesherrlichen Gewalt gegenüber den Ständen durch die ihnen in der Goldenen Bulle verbrieften Privilegien begünstigt worden. Innerhalb ihrer Herrschaftsbereiche war ihnen schon seit dem Hochmittelalter vom Reichsoberhaupt eine Reihe von Sonderrechten eingeräumt worden. Dazu zählten u.a. das Münz- und Zollrecht und die privilegia de non evocando et de non appelando (die Befreiung vom Appellationsrecht an den Rönig, d.h.: die letzte Instanz lag im Territorium; die Befreiung vom Evokationsrecht des Rönigs, d.h.: eine Rechtssache durfte nicht an das Rönigliche Gericht gezogen werden, die erste Instanz lag im Territorium). Die Maßnahmen der Rurfürsten wirkten auf die unmittelbar benachbarten Landesherrschaften stimulierend, so im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts auch auf Herzog Magnus von Mecklenburg. Den Herzögen von Pommern erschien im Hinblick auf das Lehnsverhältnis und die sich daraus ergebenden gespannten Beziehungen zur Markgrafschaft Brandenburg eine Stabilisierung im Inneren Pommerns um so notwendiger. Hier schritt Bogislaw X. (1474/1478 bis 1523) ebenfalls zur Ämterverfassung und war bemüht, die Finanzkraft der Städte zu nutzen. Trotz aller Diskrepanzen zwischen ihnen wurden diese auch zurückgestellt, wenn es um hier wie dort anzutreffende Probleme der Wahrnehmung von Herrschaft und der Sicherung des Landes ging: 1473 beispielsweise hatten sich Rurfürst Albrecht Achilles und Rönig Christian von Dänemark gegen die Städte verbündet, 265 1479 hatten Brandenburg, Mecklenburg und Pommern gemeinsame Maßnahmen zur Sicherheit auf den Landstraßen beschlossen. 266 Hatten sich die Bedingungen unter der Hohenzollernherrschaft in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts auch noch nicht grundlegend verbessert, so cha-
265 Priebatsch, Die Hohenzollern, S. 15, Anm. 4. 266 CDB Β 5, S. 305-308 (1479 Juli 29).
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Ausbau zum fürstlichen Territorialstaat der Hohenzollern
rakterisieren die vor allem im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts bewirkten Veränderungen doch eine Festigung staatlicher Verhältnisse, die uns von einer Ablösung der Landesherrschaft durch den Territorialstaat sprechen lassen.267
267 Heinrich, Geschichtliche Einführung, S. XLII.
Das Rurfürstentum Brandenburg im Zeitalter des Ronfessionalismus von Felix Escher
Die Trennung Brandenburgs von den hohenzollernschen Stammlanden ... prechtichlicher dann ye keinem fursten Im Reich In Langer Zeit gescheen1, so faßt Bischof Liborius von Lebus das Leichenbegängnis des verstorbenen Rurfürsten Albrecht in der Grablege seiner Vorfahren, dem fränkischen Zisterzienserkloster Heilsbronn, am 19. Juni 1486 zusammen. Der Bischof schrieb den Bericht an den ältesten Sohn Albrechts, Johann, zugleich im Namen ander ewer gnaden geschickte Rete, da der Regent in der Mark - anders als seine jüngeren Brüder Friedrich und Sigismund - an den Totenfeiern des nach der Rönigswahl im Dominikanerkloster zu Frankfurt am Main so plötzlich verstorbenen Vaters nicht teilgenommen hatte. Dies galt nicht nur für die feierliche Aufbahrung und Totenmesse am Sterbeort, 2 sondern auch für die Überführung des Leichnams auf dem Wasserweg nach Franken sowie die Beerdigung in Heilsbronn am 18. März, an denen auch der neugewählte deutsche Rönig Maximilian teilnahm, ebenso wie für das drei Monate spätere Begängnis. Die Distanz zum Vater und auch zu der von ihm betriebenen Reichspolitik wird hier bereits deutlich. Es sollte überdies die letzte Beisetzung eines brandenburgischen Rurfürsten außerhalb des Landes sein. Der Übergang der Herrschaft in der Mark erfolgte an Johann gemäß der väterlichen Aufzeichnung aus dem Februar 1473. Nach diesem Dispositio Achillea3 genannten Schriftstück konnte der älteste Sohn entscheiden, ob er die Mark Brandenburg allein oder - gemeinsam mit einem Bruder - in Franken die Nachfolge des Vaters antreten wollte. Johann entschied sich für das brandenburgische Territo1 Codex Diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten, hrsg. v. Adolph Friedrich Riedel [künftig zitiert: CDB], 4 Haupteile [Α-D] mit 35 Bänden, Supplement, 5 Registerbände, Berlin 1838-1869, hier C 2, S. 325f. 2 Beschreibung in: CDB C 2, S. 315ff., dazu Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, Berlin 1963, S. 159. 3 Text: Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg und der beiden ersten Könige von Preußen, hrsg. v. Hermann von Caemmerer (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg [Bd. 21]), München-Leipzig 1915, S. 27ff.; dazu: Otto Hintze,DieHohenzollern und ihr Werk. 500 Jahre vaterländische Geschichte, 5., durchges. Aufl., Berlin 1915, S. 101 f.
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Brandenburg im Zeitalter des Ronfessionalismus
rium, das er bereits zuvor als Regent verwaltet hatte. Seinen Brüdern Friedrich und Sigismund verblieben die fränkischen Herrschaftsgebiete. Damit waren nun auch die hohenzollernschen Lande, wie ein Jahr zuvor (1485) das wettinische Erbe, aufgeteilt, mithin die Serie der Teilungen deutscher Reichsterritorien fortgesetzt worden. Doch geschah dies anders als in den sächsisch-thüringischen Landen: In der Dispositio hatte Albrecht ausdrücklich vorgesehen, die Mark Brandenburg ungeteilt und ohne Verpfändungen einzelner zugehöriger Gebiete weiterzugeben. Die Bestimmungen der Dispositio Achillea dürften freilich in diesem Punkte nicht so sehr dem Weitblick ihres Verfassers, sondern vielmehr dessen Respekt vor der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 entsprungen sein, wo ebenfalls die Unteilbarkeit und Unverpfändbarkeit kurfürstlicher Territorien festgeschrieben worden war. Ein generelles Teilungsverbot der hohenzollernschen Lande hatte Albrecht beim Aufsetzen des Schriftstückes keineswegs im Sinn gehabt. Allein durch die räumliche Trennung der Mark Brandenburg von den fränkischen hohenzollernschen Landen, die den beiden jüngeren Brüdern übertragen wurden, blieb Brandenburg - nicht aber den fränkischen Landen - die für das wettinische Erbe so verhängnisvolle Zersplitterung der ineinander verzahnten Erbländer erspart. So wurde Johann zum ersten Hohenzollern, der ausschließlich in der Mark regierte. Dies allerdings dürfte von den Zeitgenossen kaum als ein epochaler Einschnitt, für den ihn spätere Landeshistoriker gehalten haben 4 , gesehen worden sein, zumal der dynastische Zusammenhang durch eine ebenfalls von Albrecht in der Dispositio vorgesehenen Belehnung aller drei Brüder zu gesamter Hand durch den deutschen König als Zeichen der Einheit erhalten bleiben sollte. Maximilian I. entsprach diesem Wunsch des Verstorbenen und übertrug am 2. Mai 1487 während eines Reichstages in Nürnberg zur gesamten Hand5 die Lehnsherrschaft den drei hohenzollernschen Brüdern gemeinschaftlich. Nicht der einzelne Fürst, das Haus wurde belehnt. Der Nürnberger Aufenthalt im Jahre 1487 blieb bis in die Zeit unmittelbar vor dem Tode die einzige Begegnung des Kurfürsten mit Maximilian I. Eine Rolle in der Reichspolitik, wie sie sein Vater gespielt hatte, lag Johann fern. Zu einer selbständigen Politik reichte die Machtbasis der Mark - wie er wußte - keineswegs aus. So war die auf dem Reichstag in Nürnberg vollzogene feierliche Erneuerung der Erbverbrüderung der brandenburgischen Markgrafen mit den sächsischen und hessischen Landesherrn aus den Jahren 1451 und 1457 keineswegs nur ein formaler Akt6. In Brandenburg und Sachsen fürchtete man die gleichen Feinde. Denn im östlichen Mitteleuropa war es zu beträchtlichen Machtkonzentrationen gekommen. König Wladislaus Jagiello von Böhmen, der von der Frankfurter Königswahl ferngehalten worden war, hatte den mächtigen Ungarnkönig Matthias Corvinus im Juli 1486 getroffen und ein Bündnis vereinbart. 7 Bedroht waren nicht nur die lausit4 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 160f. 5 Lehnbrief in: CDB Β 5, S. 433ff. 6 CDB Β 5, S. 437ff. 7 Dazu Richard Wolff. Politik des Hauses Brandenburg im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert (1486-1499) (Kurfürst Johann und die Markgrafen Friedrich und Siegmundt) (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg [Bd. 24]), München-Leipzig 1919, S. 7ff.
Trennung von den hohenzollernschen Stammlanden
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zischen und schlesischen Besitzungen. Nur wenige Jahre zuvor (1478) war das Land um Berlin bei den Kämpfen um die Vorherrschaft im östlichen Mitteleuropa zwischen Ungarn und Polen in Mitleidenschaft gezogen worden. Sowohl in Brandenburg wie in Sachsen begannen Kriegsvorbereitungen. Doch scheint es nur zu einzelnen Einfallen ungarischer Truppen gekommen zu sein. Am 11. Mai 1489 wurde nach Vorverhandlungen in Leipzig und Zeitz in Luckau ein Freund- und Brüderschaftsbündnis zwischen Sachsen, Brandenburg und Ungarn geschlossen. 8 Doch brachte die Abwendung der Kriegsgefahr zumindest zeitweilige territoriale Einbußen: Die erst kurz zuvor brandenburgisch gewordenen schlesischen Territorien um Crossen wurden nun an den Herzog von Anhalt verpfändet. Eine gewisse Entspannung brachte erst der plötzliche Tod des Ungarnkönigs im Jahre 1490 in dem von ihm besetzten Wien; nun wurde auch die Herrschaft Zossen von dem ungarischen Unterhändler in Luckau, Georg von Stein, für 16 000 Gulden dem Kurfürsten angeboten und erworben. 9 Die geschlossene Vereinbarung mit Ungarn hatte auch unter dessen Nachfolger Wladislaw Jagiello Bestand. Das Einvernehmen mit dem durch den Bergbau reichen Sachsen erfuhr hingegen durch den Verkauf der Herrschaften Beeskow-Storkow durch die Herren von Biberstein an die Wettiner eine gewisse Trübung, die freilich nicht zu einem Ende des Zweckbündnisses führte. Die günstige wirtschaftliche Situation der sächsischen Nachbarn hatte insgesamt eine Aufwertung der wettinischen Kurwürde gebracht. Dies hinterließ deutliche Spuren bei der Neugestaltung der Reichsverfassung. So wurde etwa in der nach langen Vorbereitungen zur Wende zum 16. Jahrhundert verabschiedeten Aufteilung des Deutschen Reiches in »Reichskreise« Brandenburg ab 1512 zum »Obersächsischen Kreis« geschlagen. »Kreisausschreibender« Fürst der vor allem im monetären und militärischen Gebiet wichtigen Kreiseinteilung war der sächsische Kurfürst.10 An der im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts intensiv geführten Diskussion um die Reichsreform hatte Johann nicht teilgenommen. 11 Die sich nach der Eroberung von Konstantinopel (1453) immer deutlicher abzeichnende Gefahr der türkischen Expansion nach Südosteuropa und in das östliche Mitteleuropa dürfte der Hauptgrund für die Einigung zwischen Böhmen, Polen und Ungarn gewesen sein, nicht die - wie Melanchthon vermeinte - angebliche Beredsamkeit des Kurfürsten Johann, der deshalb ungerechtfertigter Weise nachträglich den Beinamen »Cicero« erhielt.12 Den Zeitgenossen allerdings erschien eher die Körpergröße und -fülle dieses brandenburgischen Herrschers
8 CDB Β 5, S. 463f. 9 CDB A 11, S. 273; Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus, hrsg. v. Georg Wilhelm von Raumer [künftig zitiert: Raumer, Codex cont.}, Bd. 1 u. 2, Berlin-Elbing 1821-1833, hier Bd. 2, S. 253; dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 168; die Herrschaft Zossen blieb bis in das 18. Jahrhundert böhmisches Lehen. 10 Allgemein: Winfried Dotzauer, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches und ihr Eigenleben (1500-1806), Darmstadt 1989, S. 108; zum sächsisch-brandenburgischen Gegensatz S. 1091T. 11 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 169. 12 Friedrich Wagner, Kurfürst Johann von Brandenburg kein Cicero, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 14 (1901), S. 45-68.
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Brandenburg im Zeitalter des Ronfessionalismus
bemerkenswert. Deshalb bezeichneten sie ihn als »Magnus«.13 Doch scheint an vielen Stellen das diplomatisch geschickt vorgetragene Bemühen des brandenburgischen Rurfürsten erfolgreich gewesen zu sein, schwierige Positionen, die nicht zuletzt die an taktischen Winkelzügen reiche Politik des Vaters geschaffen hatte, abzubauen. Dies galt sowohl für das Verhältnis zu Polen als auch zu Pommern. Herzog Bogislav X. von Pommern-Wolgast, der 1478 zum Herrn über ganz Pommern geworden war, hatte es erreicht, als Reichsstand ohne Berücksichtigung der brandenburgischen Lehnshoheit anerkannt zu werden und verweigerte den Lehnseid. Für Johann schien der Augenblick eines kriegerischen Eingreifens gekommen zu sein, doch vom König Maximilian zum Frieden gemahnt, beendete ein im März 1493 in Pyritz geschlossener Vergleich den langwierigen Streit um die Reichsstandschaft des nordöstlichen Nachbarn der Mark. Rurfürst Johann erließ Herzog Bogislav den zuvor geforderten Empfang Pommerns als Lehen und dessen Eidesleistung gegen eine grundsätzliche Anerkennung der Lehnshoheit sowie eine Erneuerung der Zusage, daß Pommern bei einem Aussterben des Herzogshauses an Brandenburg fallen solle.14 Nach dem Tode der brandenburgischen Prinzessin Margareta (1489) war Herzog Bogislav eine neuerliche Ehe eingegangen, aus der ein männlicher Erbe hervorgegangen war. Damit hatte diese Erklärung nur noch wenig praktische Bedeutung. Hier wie auch im Falle der schlesischen Heirat der bedauernswerten Schwester Johanns, Barbara, hatten die ränkevollen Heiratspläne Albrechts wenig Erfolg für das Haus Hohenzollern gebracht. Das Problem der Auflösung der nie vollzogenen Ehe Barbaras zog sich nahezu durch die gesamte Regierungszeit Johanns. In vielen Punkten mußte Johann schwierig gewordene Positionen des Vaters aufgeben. Die für das späte Mittelalter so kennzeichnende Hauspolitik mit dem Rauf von Herrschaften wie auch einem bedenkenlosen Wechsel in der Heirats- und Bündnispolitik ging nach dem Herrschaftswechsel langsam zu Ende. Für die Mark Brandenburg begann nun die einzigartige, mehr als ein Jahrhundert dauernde Zeit ohne Einfälle eines äußeren Feindes in das Land. Im Gegensatz zu den aufstrebenden Monarchien im Osten blieb die Herrschaft im Deutschen Reich wie auch in den Territorien durch Rrisen gekennzeichnet. Zugleich zeigte sich aber auch dynastische Solidarität, die in der Belehnung von 1487 sinnfälligen Ausdruck gefunden hatte. Die fränkischen Brüder Friedrich und Sigismund, die auch im pommerschen Streit vermittelnd tätig waren, übernahmen im Jahre 1488 die Ausrüstung von 400 Reitern und 50 Wagen für die Befreiung des in Auseinandersetzung mit den flandrischen Städten in Bedrängnis geratenen deutschen Rönigs Maximilian, mithin den Anteil des zur gleichen Zeit gegen die altmärkischen Städte vorgehenden Rurfürsten Johann. 15 Anfänge einer Trennung sind aber auch hier nicht zu übersehen. So beharrte Markgraf Friedrich im Jahre 1495 darauf, daß zu dem in Ansbach vom Vater gegründeten Tochterstift der Gesellschaft unserer Lieben Frau zu Brandenburg (dem Schwanenorden) nicht, wie Rur13 Wagner, Kurfürst Johann, S. 68. 14 Vertragstexte: CDB Β 5, S. 479ff.; dazu auch Martin Wehrmann, Geschichte von Pommern, Bd. I u. II (= Deutsche Landesgeschichten, Bd.5), 2., umgearb. Aufl., Gotha 1919-1921, hier Bd. I, S. 246f. 15 Wolff, Politik, S. 20ff.
Wirtschaftswandel und landesherrlich-ständische Machtteilung
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fürst Johann und der Brandenburger Propst forderten, zwei Drittel der fränkischen Einnahmen nach Brandenburg kommen, sondern nur noch die Hälfte.16 Noch deutlicher wurde die Distanz zwischen den hohenzollernschen Linien nach dem Tode Kurfürst Johanns am 9. Januar 1499. Er hatte trotz seiner wohl mit Fettleibigkeit zusammenhängenden schwachen Gesundheit eine Reise zum Reichstag nach Freiburg im Breisgau auf sich genommen und war kurz nach seiner Rückkehr erst vierundvierzigjährig verstorben. Nicht das fränkische Hauskloster Heilsbronn, die Grablege seiner Vorfahren, sondern Lehnin, in der die askanischen Markgrafen beigesetzt worden waren, wurde zunächst seine Ruhestätte. Dem fränkischen Markgrafen Friedrich, der sich sogleich mit seinen Räten in Berlin eingefunden hatte, bedeutete man, daß er nicht die Vormundschaft für den erst fünfzehnjährigen Kurfürsten Joachim übernehmen dürfe. Es war vornehmlich der junge Kurfürst selbst, der seine Erziehung in Franken erfahren hatte, der hier die Ansprüche des Onkels abwehrte. 17
Wirtschaftswandel und landesherrlich-ständische Machtteilung Zugleich mit den großen politischen Veränderungen vor allem im östlichen Mitteleuropa und Südosteuropa hatte eine langfristige Trendumkehr in der wirtschaftlichen Situation begonnen. War das Spätmittelalter - von kurzfristigen Sonderbewegungen abgesehen - durch ein vom Bevölkerungsrückgang bestimmtes, im Vergleich niedrigeres Niveau der Preise in der Landwirtschaft gegenüber den Erzeugnissen und Löhnen im nichtagrarischen Bereich gekennzeichnet, kehrte sich nun der Trend um. Parallel zu dem wieder stetigen Anstieg der Bevölkerung in Mittelund Westeuropa begannen die Agrarpreise anzuziehen. 18 Die Ausweitung landwirtschaftlicher Anbauflächen wurde wieder wirtschaftlich interessant. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts wurden Grundlagen der Entwicklung Brandenburgs zu einem frühneuzeitlichen Terrritorialstaat gelegt. Maßgebliche Ratgeber des Landesherrn sind nunmehr nicht allein die kraft Lehnsrecht zu Rat und Hilfe verpflichteten kurfürstlichen Vasallen, auf deren Bestellung der Landesherr in der Regel keinen Einfluß hatte, sondern juristisch gebildete Männer aus dem Laien- sowie aus dem geistlichen Stand, die »gemietet« werden konnten. 19 Sie sorgten wesentlich für die Übernahme {Rezeption) des römischen Rechts, das in seiner spätrömischen Kodifikation ein einheitliches Landesrecht war. Parallel dazu erfolgte die Umwandlung des landesherrlichen obersten Gerichtes, des nun mit 16 CDB C 2 , S . 4 0 4 f . 17 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 174. 18 Dazu Wilhelm Abel, Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (= Deutsche Agrargeschichte, Bd. 2), 2., neubearb. Aufl., Stuttgart 1967, S. 150ff. 19 Dazu Adolf Stölzel, Brandenburg-Preußens Bechtsverwaltung und Bechtsverfassung dargestellt im Wirken seiner Landesfiirsten und obersten Justizbeamten, Bd. 1, Berlin 1888 [Nachdruck Vaduz 1989], S. 99.
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Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus
dem Hofgericht zu einem Justizkörper vereinten Hof- und Rammergerichtes, in dem das »gemeine« (das heißt das allgemeine = römische) Recht immer mehr an Bedeutung gewann. Auch wenn die Stände 1516 die brandenburgische Rammergerichtsordnung wegen der ihnen nicht ausreichenden Mitwirkung an dieser höchsten Gerichtsinstanz im Lande ablehnten, war dies doch ein weiterer Schritt zur Neugestaltung des Herrschaftsrechtes. 20 Wie der Hof hatte das Gericht im kurfürstlichen Schloß zu Cölln und in Tangermünde, wo noch in der Zeit Joachims I. für einen Teil des Jahres der Rurfürst Aufenthalt nahm, seinen Sitz. Mit der ständischen Zustimmung zur Constitutio Joachimica, der »Ordnung der Erbfälle und anderer Sachen« von 152721, wurde römischrechtliches Erbrecht zu Landesrecht. Als Vertreter des Landesherrn fungierte der kurfürstliche Ranzler als Vorsitzender des Kammergerichtes. 22 Die auch zu anderen Geschäften herangezogenen römisch-rechtlich geschulten Räte waren Beisitzer in den Gerichtsverhandlungen. Während zahlreiche Räte aus dem einheimischen Adel kamen, wurden die entscheidenden Positionen, wie die des Kanzlers mit den gebürtigen Franken Sigmund Zerer (1480 bis 1509), der sich durch Heirat mit den führenden Berliner Patrizierfamilien verband, 23 Sebastian Stublinger (1509 bis 1529) und später dem Meißener Wolfgang Kettwig (1529 bis 1540) - mithin durch Landfremde - besetzt. Äußerlich blieb die Herrschaftsausübung hingegen noch ganz in den Formen des Lehnsrechtes; der Herrschaftsantritt geschah sinnfällig durch einen Umritt des neuen Rurfürsten zur Entgegennahme der Huldigung und Bestätigung der Rechte der Herrschaftsträger im Lande. Dies galt in gleicher Weise für die Städte und den Adel. Die hohe Bedeutung dieses Aktes wurde unter anderen dadurch unterstrichen, daß sich die Rurfürsten, wie für Joachim II. für das Jahr 1535 belegt, durch mehrere hundert Bewaffnete begleiten ließen. Während für den dreiwöchigen Umritt durch die Mittel-, Alt- und Uckermark beim Regierungsantritt des Rurfürsten Johann im Jahre 1486 die Stationen durch eine eher zufällige Überlieferung bekannt sind,24 liegt für die Huldigung an Joachim I. von 1499/1500 eine Aufstellung der Lehnsleute, der Orte und (zumeist) des Datums der Eidesleistung sowie das Formular des Huldigungs- und erneuer-
20 Dazu - teilweise gegen Stölzel - Friedrich Holtze, Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preußen, Τ. 1 (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, Bd. 1), Berlin 1890, S. 115f. 21 Druck in: Corpus Constitutionum Marchicarum oder Königlich preußische und churfiirstlich Brandenburgische in der Chur- und Marek Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, edicta, mandata, rescripta ... , hrsg. v. Christian Otto Mylius [künftig zitiert: Mylius, CCM], T. 1-6, Fortsetzung 1-4, Supplement 1-3, Repertorium 1 u. 2, Berlin-Halle 1737-1755 , hier T. 2/1, Nr. III, Sp. 19-28; dazu Dieter Pötschke, Joachimica (das erste gedruckte brandenburgische Gesetz) und märkische Stadtrechte, in: Frankfurter Beiträge zur Geschichte 15 (1987), S. 37-40. 22 So Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung, Bd. 1, S. 110; dagegen Holtze, Geschichte des Kammergerichts, Th. 1, S. 115. 25 Friedrich Holtze, Die ältesten märkischen Kanzler und ihre Familien, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 7 (1893), S. 479-531, hier S. 498-500. 24 CDB C 2, S. 317.
Wirtschaftswandel und landesherrlich-ständische Machtteilung
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ten Lehnseides vor.25 Wieder begann die Huldigung in Berlin, wo einige der »Ehrbaren Mannschaft in der Mittelmark« ihren Eid leisteten, andere in TVeuenbrietzen. Ebenfalls in Berlin erfolgte der Eid der niederbarnimschen (und teltowschen) Ritterschaft. Ohne landschaftliche Zuordnung, wohl als Teil der mittelmärkischen Ritterschaft, huldigten die Havelländer in Spandau, Nauen und Rathenow, die Lehnsträger der Zauche in Brandenburg, die »Lebusischen Edelleute« in Frankfurt und Sternberg, das »Uckerland« zu Templin und Prenzlau und (ohne nähere Bezeichnung wie oben die Teltower, zauchische und havelländische Ritterschaft), die des Gebietes um Stolpe zu Angermünde. Als »ausländische Edelleute« huldigten die Brandt zu Wiesenburg, als »ausländische Grafen und Herren« die Grafen von Stolberg und Regenstein. Die »Ehrbare Mannschaft in der Altmark« dürfte ebenso wie ein Teil der Ritterschaft dieses Landesteils in Stendal präsent gewesen sein, andere in Osterburg, Salzwedel und Werben. Die Prignitzer huldigten zu Perleberg und Kyritz, die der Neumark in Königsberg, Soldin, Berlinchen, Arnswalde, Dramburg, Schivelbein, Friedeberg, Landsberg und Rüstrin, die »Cottbussischen Mannen«, unter ihnen die Schenken von Landsberg, in Berlin, in Frankfurt (Oder) huldigten neben dem Adel des Crossener Landes auch die Lehnsleute des Gebietes um Züllichau. Das Schriftstück, in dem gerade auch jene erfaßt wurden, die »nicht schwuren«, zeigt auf der einen Seite die territorial gegliederte Ritterschaft mit über 80 adligen Familien in der Altmark, mehr als 130 Familien in der Mittelmark, mehr als 100 Familien in der Neumark, mehr als 50 in der Uckermark und 40 in der Prignitz,26 auf der anderen Seite die Fortschritte in der landesherrlichen Kanzlei, die diesen komplizierten Vorgang nun auch aktenmäßig erfassen konnte, 27 mußten doch derartige Verzeichnisse Matrikel, wie sie in stärker entwickelten Territorien und für die Reichsstände vor allem im Zusammenhang mit der Türkengefahr seit 1480 aufgestellt worden waren 28 , ersetzen. Darüber hinaus bestanden Abhängigkeitsverhältnisse, wie die immer problematischere Lehnsabhängigkeit der pommerschen Herzöge, die im genannten Huldigungsprotokoll nicht erwähnt wurden. Ebenso gehören auch die faktisch der Landesherrschaft unterstellten drei Hochstifte Brandenburg, Havelberg und Lebus in diesen Zusammenhang. Als weitere weltliche Herrschaft bestand mit den Grafen von Lindow-Ruppin aus dem Haus der Grafen von Arnstein ein besonderes 25 CDB C 2, S. 429ff. 26 Die Zahlen der anderen Adelsgruppen (Cottbus, Züllichau und Krossen) bewegten sich zwischen 10 und 20 der hier aufgeführten Familien. Eine exakte Zahl der Adelsfamilien ist wegen Doppelzählungen (u. a. der »ausländischen« Lehnsträger) und undeutlicher Familienzusammenhänge nur schwer möglich, bei größeren Besitzkomplexen und auch bei Huldigung von Mitgliedern einer Familie an verschiedenen Orten sind jeweils die Familienzweige bzw. die Lehnsträger - auch wenn sie bereits zuvor genannt wurden - gezählt. 27 Noch war die Lehnskanzlei Teil der allgemeinen landesherrlichen Kanzlei. Die Ausbildung der Lehnskanzlei zu einer eigenen Behörde fand 1558 statt, vgl. dazu Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Τ. 1 (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 4), bearb. von Friedrich Beck u.a., Weimar 1964, S. 28. 28 Elisabeth Schwarze, Quellen zur Geschichte der Türkenkriege im Geheimen Staatsarchiv, Abt. Merseburg, in: Archivmitteilungen 42 (1993), S. 56-59, hier S. 57.
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Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus
Lehnsverhältnis innerhalb des brandenburgischen Herrschaftsgefüges. Wie die Markgrafen verfügten sie in ihrem ca. 1 770 Quadratkilometer großen Herrschaftsbereich über eigene Vasallen, drei Immediatstädte (Neuruppin, Wusterhausen und Gransee) sowie fünf weitere Kleinstädte und zahlreiche, teils im unmittelbaren gräflichen Besitz befindliche, wie auch ritterschaftliche und geistliche Dorfsiedlungen. Als letzte der wohl parallel mit der markgräflichen Landesherrschaft entstandenen weltlichen Kleinherrschaften im Gebiet der Mark Brandenburg vermochten die Arnsteiner ihre Sonderstellung bis zum Erlöschen des männlichen Stammes des Grafenhauses im Jahre 1524 zu bewahren. Kurfürst Joachim I. zog nach dem Tode des noch nicht zwanzigjährigen Grafen Wichmann am 28. Februar 1524 sofort die Grafschaft als erledigtes Lehen zu seiner Herrschaft ein. Er und seine Nachkommen führten seit diesem Zeitpunkt auch den Titel der Grafen von Ruppin. Das im folgenden Jahr von dem mit einer Stendaler Stiftspfründe versorgten kurfürstlichen Beauftragten Wolfgang Rehdorf[er] aufgestellte Landregister 29 zeigt, daß auch hier von der landesherrlichen Zentralverwaltung eine regionale Bestandsaufnahme durchgeführt werden konnte. Die Huldigung beim Herrschaftsantritt war - wie bereits oben bemerkt - keineswegs nur ein einseitiger Akt, da mit der Anerkennung und dem TVeueschwur der Lehnsleute zugleich die Bestätigung der Rechte dieses Personenkreises verbunden war. Auch war das kurfürstliche Herrschaftsgebiet in sich noch keine geschlossene Einheit: Sonderrechte beanspruchte die Gruppe der Grafen und Herren, zu denen neben den Edlen Gans von Putlitz, an deren einstige rechtliche Selbständigkeit nur noch Ehrenrechte erinnerten, bis zu ihrem Aussterben 1524 die Grafen von Arnstein (Lindow-Ruppin) und als auswärtige Herren die Schenken von Landsberg (für die Herrschaft Teupitz) sowie die Grafen von Hohnstein als Inhaber der Herrschaft Schwedt-Vierraden gehörten. Außer den »Herren« standen dem Kurfürsten zudem die sich als »Landschaft« begreifenden »Stände« gegenüber. In Brandenburg wie auch in anderen Territorien war parallel zur Landesherrschaft aus der Notwendigkeit des Landesherrn, »Rat und Hilfe« bei der Bewahrung von Sicherheit und Ordnung zu erhalten, eine in sich gefügte Korporation der Lehnsträger entstanden. Die vom Landesherrn zu »Herrentagen« der »Oberstände« gemeinsam oder unter dem Einschluß der Städte als Plenum einberufene Körperschaft gliederte sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts in einzelne Kurien:30 Zur Kurie der Prälaten gehörten neben den drei Bischöfen die Domkapitel, die Äbte der wichtigeren Klöster, die Pröpste kleinerer Klöster und Stifte - darunter der Frauenklöster - sowie »der Herrenmeister« des Johanniter29 Druck in: CDB A 4, S. 151ff.; bereits 1491 hatte Graf Johann von Lindow-Ruppin ein Landbuch anfertigen lassen, Druck: ebd., S. 116fT.; Gerd Heinrich, Die Grafen von Arnstein (= Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 21), Köln-Graz 1961, Anhang (Karte); siehe auch Lieselott Enders, Historisches Ortslexikon für Brandenburg, T. 2: Ruppin (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 7) Weimar 1970; zu den Vorgängen zusammenfassend Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 222f. 30 Zusammenfassend jetzt Peter-Michael Hahn, Struktur und Funktion des brandenburgischen Adels im 16. Jahrhundert (= Historische und pädagogische Studien, Bd. 9), Berlin 1979, S. 160ff.
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ordens. Die Zugehörigkeit der drei Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus zu den Landständen war unstreitig, wenn auch die reichsrechtliche Selbständigkeit (»Reichsstandschaft«) der Hochstifte bis in das 16. Jahrhundert hinein nicht zweifelsfrei aufgehoben war.31 Die Ausbildung von geistlichen Territorien ähnlich jener im Altsiedelland war angesichts der Gegnerschaft einer starken landesherrlichen Gewalt nur ansatzweise gelungen. In der Mark Brandenburg war so ein »Landesherrliches Kirchenregiment«, ebenso wie in den Wettinischen Landen, bereits lange vor der Reformation, wenn nicht bereits mit der Entstehung der Markgrafschaft im 12. Jahrhundert angelegt. Die Abhängigkeit der drei im Lande gelegenen Hochstifte hatte seit dem Beginn der hohenzollernschen Herrschaft entschieden zugenommen, vor allem durch die päpstlichen Privilegien von 1447. Dazu gehörte das Nominationsrecht für die Bischöfe der Landesbistümer, das trotz der persönlichen Bindung an Rurfürst Friedrich II. auch von seinen Nachfolgern ausgeübt wurde. 32 Religiöse Absichten und politische Ziele waren bei der Unterstützung der Kurfürsten für die Wilsnacker Wallfahrten untrennbar verbunden. Der Einsatz für den Ort des umstritten gebliebenen »Blutwunders« durch Kurfürst Friedrich II. und seine Nachfolger hatte ebenso zu einer Lockerung der Bindungen zu dem den kirchlichen Reformvorstellungen in der Mitte des 16. Jahrhunderts aufgeschlossenen Magdeburger Erzstuhl gesorgt wie die Bindungen des Havelberger Bischofs an die hohenzollernsche Landesherrschaft gestärkt.33 Das Recht der Umwandlung der prämonstratensischen Domkapitel in weltliche Kollegiatstifte, für die man seit 1447 eine päpstliche Genehmigung eingeholt hatte, war zunächst nicht durchgeführt worden. Nachdem Anfang des 16. Jahrhunderts eine entsprechende Umwandlung in Ratzeburg von den Sachsen-Lauenburgischen Landesherren durchgeführt worden war, zog Brandenburg nach. 34 Es fielen 31 Dies betont Peter-Michael Hahn, Kirchenschutz und Landesherrschaft in der Mark Brandenburg im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28 (1979), S. 179-220; die faktische Unterordnung dagegen: Karl-Heinz Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung und politische Bedeutung der märkischen Bistümer im späten Mittelalter. Ein Beitrag zur Diskussion, in: Roderich Schmidt (Hrsg.), Mitteldeutsche Bistümer im Spätmittelalter, Lüneburg 1988, S. 19-52, zur Diskussion s. auch oben S. 213f. 32 Zur Ausübung des Nominationsrechtes gegen die Kapitel und Wahlwiederholungen vgl. Ahrens, Die verfassungsrechtliche Stellung, S. 37f. 33 Zum Ablauf der Magdeburger Angriffe Ernst Breest, Das Wunderblut von Wilsnack (1383-1552). Quellenmäßige Darstellung seiner Geschichte, in: Märkische Forschungen 16 (1881), S. 131-301, hier S. 181ff.; Hartmut Boockmann, Der Streit um das Wilsnacker Blut. Zur Situation des deutschen Klerus in der Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 9 (1982), S. 385-1-08; Felix Escher, Brandenburgische Wallfahrten und Wallfahrtsorte im Mittelalter, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 27 (1978), S. 116-137, hier S. 134ff. 34 Für die Umwandlung wurde 1506 eine päpstliche Genehmigung eingeholt, Widerstand der Kapitel dagegen scheint es nicht gegeben zu haben; dazu Felix Escher, Landesherr und Reformen in brandenburgischen Prämonstratenserklöstern, in: Kaspar Elm (Hrsg.) Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen (= Berliner Historische Studien, Bd. 14), Berlin 1989, S. 515-519 mit weiterer Literatur.
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Kirchliche Gliederung der Mark Brandenburg vor der Reformation
die Verpflichtungen der prämonstratensischen Chorherrengemeinschaft, und damit wurden auch hier die Kanonikate dieser Domkapitel für Weltgeistliche, die sich in der kurfürstlichen Verwaltung verdient gemacht hatten, geöffnet. Wie zuvor bereits in Lebus gelangte das Nominationsrecht über die Domkanonikate schrittweise an den Landesherrn. Stärker noch als Brandenburg und Havelberg waren zuvor der Lebuser Bischof und sein stets aus Säkularkanonikern bestehendes Kapitel in die kurfürstliche Verwaltung eingebunden. Dort hatte bereits ein kurfürstlicher Kanzler, Friedrich Sesselmann, seit 1455 den Bischofsstuhl inne. Kurfürst Johann setzte gegen den Willen des Lebuser Domkapitels im Jahr 1490 die Wahl des gelehrten Juristen und kurfürstlichen Bates und Vertrauten Dietrich von Bülow,35 der rieben zahlreichen anderen politischen Aufgaben auch mit der Umwandlung der Domkapitel in Brandenburg und Havelberg betraut werden sollte, durch. Dietrich von Bülow hatte bereits als kurfürstlicher Bat unter anderen an der Beilegung des Stendaler Aufruhrs gegen die Bierziese mitgewirkt und war später maßgeblich an der Beformation der Frankfurter Stadtverfassung 1502 beteiligt.36 Der spätere Bischof von Brandenburg (ab 1507) und gelehrte Jurist 35 Siegmund Wilhelm Wohlbrück, Geschichte des ehemaligen Bisthums Lebus und des Landes dieses Nahmens, T. 2, Berlin 1829, S. 248ff.; Hans Grimm, Dietrich von Bülow, Bischof von Lebus, in. Wichmann-Jahrbuch 11/12 (1957/58), S. 5-98. 36 Grimm, Dietrich von Bülow, S. 47.
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Hieronymus Schultz hatte als Pfarrer in Cottbus Anteil an dem Vertrag über die Einhaltung des Landfriedens mit Sigismund von Polen von 1506. Als 1522 die Bistümer Havelberg und Lebus zu Reichssteuern herangezogen wurden, protestierten die Bischöfe Dietrich von Bülow und Hieronymus Schultz gleichzeitig gegen diese, eine Reichsstandschaft voraussetzende Umlage.37 Dankbarkeit für geleistete Dienste sowie die Erwartung einer Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus, nicht die geistliche Befähigung, waren für die darüber entscheidenden Kurfürsten die Voraussetzung für die Besetzung der Bischofsstühle. So nominierte Rurfürst Joachim I. 1526 den gelehrten Juristen Matthias von Jagow aus Aulosen in der Altmark, dessen Vater bereits kurfürstlicher Rat gewesen war, zum Bischof von Brandenburg, obwohl dieser bis dahin nur die niederen Weihen besaß, das heißt nicht zur Bischofsweihe zugelassen war. Trotz wiederholter Aufforderungen verzögerte Matthias auch nach der Inbesitznahme seines Bistums (1528) die nach kanonischem Recht nötigen Weihen. Bischof Matthias, der 1539 in Gegenwart des Rurfürsten Joachim II. die erste öffentliche Meßfeier abweichend vom katholischen Ritus hielt, sollte 1541 eine Standesgenossin, Katharina von Rochow, heiraten, nachdem zuvor aus einem früheren außerehelichen Verhältnis zwei Rinder hervorgegangen waren. 38 Neben den Ranonikaten in den Domkapiteln wurden vornehmlich die Kanonikerstellen in den Rollegiatstiften der Altmark zur Bepfründung der gelehrten Juristen, für die am Hofe ein immer stärkerer Bedarf bestand, in größerem Maße herangezogen. Doch auch die Äbte, vornehmlich der größeren Zisterzen Lehnin und Chorin, waren immer wieder in landesherrlichem Auftrag tätig. Im Zusammenwirken zwischen Rurfürst Joachim I., Bischof Dietrich von Bülow sowie dem gelehrten Rat und schwäbischen Ritter Eitelwolf vom Stein, der später zum Mainzer Hofkanzler wurde 39 , konnte die bereits von Kurfürst Johann geplante Gründung einer brandenburgischen Landesuniversität im Jahre 1506 in die Tat umgesetzt werden. Ein königliches Privileg, durch das neben der Einrichtung eines Studium literarum generale auch die Kanzlerschaft des Bischofs Dietrich von Bülow für die neue Hochschule bestimmt worden war, wurde im Jahre 1500 ausgestellt40, und offenbar bereits zuvor war eine päpstliche Genehmigung eingeholt
37 CDB C 6, S. 327. 38 Gustav Abb/Gottfried Wentz, Das Bistum Brandenburg, Τ. 1 (= Germania Sacra Abt. 1, Bd. 1.1), Berlin-Leipzig 1929, S. 56ff. mit weiterer Literatur. 39 Zur Mitwirkung Bischof Dietrichs s. Grimm, Dietrich von Bülow, S. 64ff.; zu Eitelwolf vom Stein vgl. Karl Hartfelder, Eitelwolf vom Stein, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 35, Leipzig 1893, S. 606f. 40 CDB A 23, S. 308ff.; zur Frühgeschichte der Universität Gustav Bauch, Die Anfänge der Universität Frankfurt a.O. (1506-1540), Berlin 1900; Bertram Hartling, Die kurbrandenburgische Universität in Frankfurt an der Oder und ihre Bedeutung für das Geistesleben Ostdeutschlands im 16. und 17. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung Schlesiens, in: Wichmann-Jahrbuch 15/16 (1961/62), S. 107-120; Günter Mühlpfordt, Die Oder-Universität 1506-1811. Eine deutsche Hochschule in der Geschichte Brandenburg-Preußens und der europäischen Wissenschaft, in: Günther Haase/Joachim Winkler (Hrsg.), Die Oder-Universität Frankfurt. Beiträge zu ihrer Geschichte, Weimar 1983, S. 19-72; Gerd Heinrich, Frankfurt an der Oder. Universität, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 11, Berlin-New York 1983, S. 335-342.
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Ronrad Wimpina (1460-1531), erster Bektor der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, aus Seidels Bildersammlung
worden. Nahezu zeitgleich (1502) hatte der sächsische Rurfürst Friedrich der Weise in Wittenberg eine Hochschule gegründet. Anders als im kurfürstlichen Sachsen legte man die brandenburgische^/ma Mater nicht in dem Ort der Residenz an, sondern in der brandenburgischen Kaufmannsstadt an der Oder, die trotz eines sehr reduzierten Handels auf dem Oderstrom noch eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung behalten hatte.41 Dies konnte nun für die Finanzierung der Hochschule nutzbar gemacht werden. Zudem war die Stadt seit 1502 ständiger Druckort und entwickelte sich in dieser Frühzeit des Buchdruckes zu einem Zentrum des Buch- und Verlagswesens im Nordosten des Reiches.42 Das Interesse der Stadt an der Hochschule war bereits in der vorbereitenden Phase in starkem Maße vorhanden. 43
41 Manfred Straube, Die Stellung Frankfiirts im Wirtschaftsleben zur Zeit der Gründung der Universität, in: Haase/Winkler, Die Oder-Universität Frankfurt, S. 73-90; zum Meßplatz: Lotte Knabe, Die Messen zu Frankfurt an der Oder und ihre Bedeutung für den Ost-West-Handel, in: Friedrich Beck (Hrsg.), Heimatkunde und Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag von Rudolf Lehmann (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 2), Weimar 1958, S. 204-239. 42 Zusammenfassende Übersicht über die Literatur bei Hartling, Die kurbrandenburgische Universität, S. 109f. 43 So wurde der Bürgermeister Andreas Sommerfeld 1493 nach Berlin geschickt, um am Hof die Universität vorzubereiten; die Stadt Frankfurt vermachte 1497 dem Bischof von Lebus und dem Johanniterordensmeister je ein Geldgeschenk um handlung der Universität und begann
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Während die Wittenberger Universität in den ersten fünf Jahren allein durch den Landesherrn erhalten wurde, überließ Rurfürst Joachim I. die Finanzierung seiner Hochschule wesentlich den Ständen. Neben der Stadt Frankfurt, die die Hauptlast trug (292 Gulden), aber auch durch die Ansiedlung der Universität viele wirtschaftliche Vorteile erhielt, hatten das Hochstift Lebus mit 40 Gulden, die Kapitel von Brandenburg und Havelberg sowie der Johanniterordensmeister zu Sonnenburg mit je 20 Gulden sowie die Pröpste von Salzwedel, Berlin, Bernau, Cottbus und Zehdenick mit durchschnittlich je zehn Gulden zum Unterhalt der Viadrina einen Beitrag zu leisten. Der Anteil der Städte wurde von der Hofrentei erhoben und durch diese ausgezahlt; er betrug insgesamt 140 Gulden. Weitere 100 Gulden leistete die Hofrentei von den Einkünften aus der Urbede und 50 Gulden die Rentei in Küstrin.44 Am 26. April 1506 wurde die Universität im Beisein des Rurfürsten, seines Bruders, des späteren Rardinals Albrecht, des gelehrten Abtes TVithemius von Sponheim sowie des Lehrkörpers feierlich eröffnet. Wenn auch traditionelle Formen der Universitätsgründung hier gewahrt wurden und dem Fürsten und dem Rektor zwei Poeten und Oratoren, darunter Johannes Rhagius, der sich zusätzlich nach seinem Herkunftsort Sommerfeld Aesticampianus nannte, voranschritten, so wurde das Herzstück älterer Universitäten, die Artistenfakultät, in Frankfurt kaum ausgebildet. Der Rektor und Dekan der Theologischen Fakultät, Ronrad Wimpina, betreute zugleich als Dekan die Fakultät der siebenfreien Künste, Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik mit.45 So war die Ausrichtung der Hochschule auf die Ausbildung, weniger auf die Vermittlung traditioneller Bildungsinhalte von Anfang an gegeben. Darin aber sollte die hier gegründete 17. Universität des Reiches zeitweise große Bedeutung über die Mark hinaus für weite Teile des östlichen Mitteleuropa 46 erhalten. Den Studenten der neuen Universität hatte der Rurfürst in einer im Oktober 1505 publizierten Ankündigung mit einer dreijährigen Befreiung von den Rosten des Erwerbs eines akademischen Grades und ferner mit den äußeren Vorzügen Frankfurts als Handelszentrum und des daraus resultierenden günstigen Angebots an Nahrungsmitteln und Wein geworben. 47 Diese Werbung war zunächst überaus erfolgreich: Bereits im ersten Jahr gab es 950 Einschreibungen. Zu jenen, die sich zum Studium in Frankfurt entschlossen, gehörte Ulrich von Hutten, der von Mainz über Röln und Erfurt nach Frankfurt gelangte und hier noch 1506 das Baccalaureatsexamen ablegte. Freilich erfüllten sich seine Hoffnungen, die er mit der Wahl dieses Studienortes
1498 mit dem Bau eines Universitätshauses, dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 170. 44 Angaben nach Walter Voß, Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Unversität Frankfurt a. O. 1506-1653, Greifswald 1939, S. 9f. 45 Hermann Frieke,/lr.s Poetica an der Viadrina, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 54 (1943), S. 115-129, hier S. 116f. 46 Othmar Feyl, Die Viadrina und das östliche Europa. Eine bildungsgeschichtliche Studie, in: Haase/Winkler, Die Oder-Universität Frankfurt, S. 105-139, zur Frequenz bes. S. 109. 47 CDB A 23, S. 322. Mit der Bekanntmachung, daß in Frankfurt Speise und Trank billiger als andernorten wären und der Student mit 4 märkischen Groschen in der Woche gut auskäme, wurde auch 1506 geworben; dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 178.
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verbunden hatte und die ihn bewogen, 1507 ein Loblied auf die Mark zu publizieren, nicht. 1508 bezog er die Leipziger Universität.481512 wurde Thomas Müntzer immatrikuliert. 49 Die enge Verbindung der Kirche mit dem Landesherrn, die Übernahme zahlreicher geistlicher Pfründen durch im weltlichen Dienst stehende Verwaltungsbeamte, die häufig lediglich die niederen geistlichen Weihen besaßen, hatte, wie bereits gezeigt, mitunter ungeeignete Personen zu höchsten Kirchenämtern gelangen lassen. In Brandenburg wie andernorts war das Unwesen verbreitet, Altarpfründen weitab vom Ort zu besitzen und den dortigen Dienst Altaristen zu überlassen. Diese Mißbräuche in der kirchlichen Hierarchie bedeuteten freilich nicht eine Abkehr von religiösen Gewohnheiten oder ein Nachlassen der Glaubensintensität. Im beginnenden 16. Jahrhundert ist eher eine Steigerung der religiösen Intensität zu bemerken. Indizien dafür sind neben einer hohen Zahl von Altarstiftungen auch die Bestellungen zahlreicher religöser Kunstwerke. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte Wilsnack seine Bedeutung als ein Wallfahrtsziel europäischen Ranges behauptet. Wiederholt hatten an dem Gnadenort 50 Fürstenversammlungen stattgefunden. Im römischen Jubeljahr 1500 wurde noch einmal ein großer, von zahlreichen Kardinälen unterzeichneter päpstlicher Ablaß für die Gnadenstätte in der Prignitz ausgegeben. 51 Ähnliche Verhältnisse bestanden in der nicht zu Brandenburg gehörigen Lausitz; noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts konnten in Luckau 242 Gulden in Gold und Münze nach Zittau gebracht und 1509 auf Veranlassung des Deutschordensmeisters aus den Einnahmen des Gnadenkastens 341 Gulden für den Kampf gegen die ketzerischen Reußen verwendet werden.52 Doch auch kleinere Pilgerziele bewahrten ihre Attraktivität. Noch kurz vor der Jahrhundertwende war die Marienwallfahrtstätte auf dem Krähenberg bei Strausberg umfassend wiederhergestellt worden. 55 Abt Johannes Trithemius, der 1506/07 den Berlinern wegen ihrer bäuerischen Art und ihrer deutlichen Vorliebe
48 Heinz Entner, Ulrich von Hutten. Sein Aufenthalt an der Viadrina im Zusammenhang mit seiner Jugendgeschichte, in: Haase/Winkler, Die Oder-Universität Frankfurt, S. 232-238, dort weitere Literatur. 49 Günter Vogler, Thomas Müntzer als Student der Viadrina, in: Haase/Winkler, Die Oder-Universität Frankfurt, S. 243-251. 50 Um 10 0000 junge Menschen beiderlei Geschlechts, Knechte und Mägde und armes Volk, hatten sich gegen Pfingsten - mithin vor der Erntezeit - vornehmlich aus den wettinischen Landen nach Wilsnack aufgemacht; auch in folgenden Jahren gab es ähnliche Aufläufe. Übersicht bei Breest, Das Wunderblut, S. 278f. Im Jahr zuvor (1486) war die Seuche »Schörbuck« oder »Schurbauch« aufgetreten, so Andreas Angelus, Annales Marchiae Brandenburgicae, das ist Ordentliche Verzeichniß und Beschreibung der fürnemsten und gedenckwirdigsten Märkischen Jahrgeschichten und Historien, so sich vom 416. Jahr vor Christi Geburt bis auffs 1596. Jahr im Churfürstenthume Brandenburg zugetragen haben, Frankfurt an der Oder 1598, S. 253, dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 163. 51 So Angelus, Annales Marchiae, S. 261. 52 Rudolf Lehmann, Geschichte der Niederlausitz (= Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Insititut der Freien Universität Berlin, Bd. 5), Berlin 1963, S. 147. 53 Lehmann, Geschichte der Niederlausitz, S. 258.
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für Speise und Trank, die sie dem wissenschaftlichen Studium vorzogen, kein gutes Zeugnis ausstellt, rühmt ihren eifrigen Kirchenbesuch und das sorgfältige Einhalten der Fastengebote.54 In der Überlieferung finden wir keine Hinweise auf besonders gravierende Mißstände in der Kirche des Kurfürstentums, freilich auch keine auf besonders hervorragende Geistliche oder Laien. Der nach der Rechtsqualität ihrer Hauptsitze in schloßgesessene und nicht schloßgesessene beziehungsweise nach der Form der Einladungsbriefe für die Ständeversammlungen in beschlossene und unbeschlossene Familien geschiedene und landschaftlich differenzierte Adel55 bildete sowohl numerisch als auch wirtschaftlich als Ritterschaft die größte und in sich zudem regional organisierte Kurie. Wenn auch die militärische Bedeutung in der Zeit der Söldneraufgebote etwas zurückgegangen war, blieb der Adel als Besitzer und Mittler agrarischer Abgaben ein entscheidender Faktor bei der Regulierung der landesherrlichen Finanzen. Die führenden Familien, die auch als Landmarschälle in den einzelnen Landesteilen den Landfrieden überwachten, boten überdies ein Reservoir für den Nachwuchs im kirchlichen und staatlichen Dienst. In ritterschaftlichen wie auch wenigen Patrizierfamilien war man bereit, für die kostspielige juristische Ausbildung der Söhne an auswärtigen Universitäten einiges zu investieren. 56 Anders als die Kirche oder die Städte, die sich auf den Ständetagen durch Bevollmächtigte, die an ihre Instruktionen gebunden waren, vertreten ließen, besaßen die Ritter persönliche Standschaft. In stärkerem Maße als sein Vorgänger wagte Joachim I. die Auseinandersetzung mit adligen Friedensbrechern. Wenn auch die Zahl von 40 Hinrichtungen innerhalb von zwei Jahren (THthemius) bzw. 70 in einem Jahr weit überhöht ist,57 begann vor allem 1503 ein energischer Kampf gegen Räuber und Placker. Trotz der Verkündung des Reichslandfriedens 1495 für das ganze Deutsche Reich blieb in Brandenburg, wie auch in den anderen Territorien, das adlige Vorrecht der Führung bewaffneter Auseinandersetzungen, das Fehderecht, grundsätzlich bestehen. Ebenso hielt man in den Landtagsverhandlungen an dem Recht der »Einung«, das heißt vertraglichen Vereinbarungen mit ausländischen Herren, fest.58 Andererseits schlossen die Landesherren mit den Herren der umliegenden Territorien Verträge gegen Friedebrecher, so Joachim I. im Jahre 1506 mit Sigismund von Polen 54 Helmut Holzapfel, Abt Johannes THthemius, in: Wichmann-Jahrbuch 21-23 (1967-69), S. 68-70. 55 Dazu Adolph Friedrich Riedel, Von dem Unterschiede zwischen den beschlossenen und unbeschlossenen Geschlechtern in der Brandenburgischen Ritterschaft, in: Märkische Forschungen 1 (1841), S. 266-290; Gerd Heinrich, Der Adel in Brandenburg-Preußen, in: Hellmuth Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1555-1740. Büdinger Vorträge 1964 (= Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit, Bd. II), Darmstadt 1965, S. 259-314, dort Liste der beschlossenen Familien, S. 268f.; Hahn, Struktur und Funktion, S. 160-168, hier S.161, meint mit Recht, daß derartige Unterscheidungen vor allem im Bereich der Altmark Bedeutung hatten. 56 Zum adligen Universitätsbesuch Hahn, Struktur und Funktion, S. 110-119. 57 Dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 184f. 58 Ζ. B. in den Landtagsverhandlungen 1523 und 1526, vgl. Raumer, Codex cont., Bd. 2, S. 227ff., bes. S. 231 u. 291.
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und Statthalter der Ober- und Niederlausitz, die eine vereinfachte gegenseitige Verfolgung und gerichtliche Aburteilung der Placker und Landesbeschädiger vorsahen. 59 Auch innerhalb der Stände wurde ein Vorgehen des Landesherrn gegen die Straßenräuber und Friedebrecher gefordert und unterstützt. Dies geschah nicht nur durch die Städte, die - wie Frankfurt 1505 - auf kurfürstlichen Befehl wegen der Straßenräuber Reiter halten mußten 60 , sondern auch ausdrücklich durch die Oberstände, etwa auf einem Herrentag im Jahre 1503.61 Eine generelle Opposition des ständischen Adels hat es in dieser Frage nicht gegeben. 62 Die in Köpenick angeblich ausgesprochene Drohung eines von Otterstedt, Joachim zu hängen, wenn man ihn kriege, gehört wohl eher in das Reich der Fabel.63 Allerdings sah sich Joachim I. bemüßigt, aufgrund von Klagen wegen des nicht dem Herkommen entsprechenden Vorgehens des Kurfürsten gegenüber dem Adel seinem Onkel Friedrich in Franken mitzuteilen, daß er ein Liebhaber und Förderer des fronten Adels sei, aber gegen die Räuberei und Plackerei vorgehen müsse. Daß in diesem Zusammenhang Adlige Bürger auf der Landstraße auch ohne Fehdeansage überfallen und beraubt hatten, hob er in diesem Zusammenhang besonders hervor.64 Eine die Rechtsvorstellungen der Zeit beachtende Fehde,65 wie sie etwa Friedrich von Pfuel aus persönlicher Kränkung ab 1496 gegen die Herzöge von Mecklenburg führte, wurde wohl von Joachim trotz der über Pfuel verhängten Reichsacht als durchaus berechtigt angesehen. Er lehnte 1504 die Bestrafung des Ritters ohne vorherige Anhörung ab. Im Verlauf der Auseinandersetzung war es zu einer Reihe von Überfällen, auch Zerstörungen von Dörfern im brandenburgisch-mecklenburgischen Grenzgebiet gekommen. 66 So kann keineswegs von einer »Adelsfeindschaft« des Kurfürsten gesprochen werden. Für die führenden Adelsfamilien Brandenburgs, deren Angehörige als Landmarschälle oder Amtshauptleute oder als Inhaber anderer hoher kirchlicher und weltlicher Machtpositionen tätig waren, wurde es klar,
59 Text bei Angelus, Annales Marchiae, S. 268f. 60 CDB D, S. 347f. Im gleichen Jahr waren Reisende auf dem Weg zum Markt in Schwiebus überfallen worden, die Stadt sandte daraufhin 500 Knechte aus, vgl. ebda-, vgl. auch Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 180ff. 61 Abdruck des Protokolls bei Walther Schotte, Fürstentum und Stände in der Mark Brandenburg unter der Regierung Joachims I. (= Schriften des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg [Bd. 15]), Leipzig 1911, S. 103ff. 62 So bereits mit Recht Schotte, Fürstentum und Stände, S. 101. 63 Jöchimke, Jöchimke höde dy, Wo wy dy krygen, hangen wy dy! ist so durch Samuel Buchholz, Versuch einer Geschichte der Churmarck Brandenburg von der ersten Erscheinung der deutschen Sennonen an bis auf jezige Zeiten, Th. 3, Berlin 1767, T. 3, S. 165, überliefert; kritisch dazu: Raumer, Codex cont., Bd. 2, S. 244ff., dort auch die Angabe, daß v. Otterstedt 1509 in Cölln gefänglich gehalten wurde und Urfehde schwören mußte; dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 184f. 64 F[riedrich] Wagner, Joachim I. und die Raubritter, in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 20 (1883), S. 344-358, hier S. 352ff. 65 Dazu grundsätzlich Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 5. Aufl., Wien 1965 [Nachdruck Darmstadt 1973], S. 9ff. 66 von Arnim-Densen, Die Pfuel'sche Fehde, in: Märkische Forschungen 20 (1887), S. 1-12.
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daß der Weg zu Macht und großem Familienvermögen über den landesherrlichen Dienst möglich war. Aus ihrem Kreis begann sich eine »Machtelite« herauszubilden. 67 Der Adel in sich war wirtschaftlich gesehen keineswegs homogen. Die Mehrzahl der Angehörigen der brandenburgischen Ritterschaft verfügte nur über geringen Grundbesitz und wenige Herrschaftsrechte. So waren in der Prignitz mehr als 45 Prozent der bäuerlichen Untertanen in Herrschaften dreier Familien ansässig.68 Von den neuen wirtschaftlichen Trends vermochte der Adel am meisten zu profitieren. War die wirtschaftliche Grundlage des adligen Herrn im Mittelalter die Abgaben seiner bäuerlichen Untertanen gewesen, so wurden nun die Erlöse der eigenen Gutswirtschaft zur wichtigsten Einnahmequelle. Nicht wenige der in der spätmittelalterlichen Agrarkrise wüst gefallenen Äcker wurden im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts wieder unter den Pflug genommen, doch entstanden nun an Stelle der aufgegebenen Bauerndörfer Vorwerke der Gutsherrschaft. Von den in der Uckermark im 16. Jahrhundert wieder bewirtschafteten insgesamt 45 wüsten Feldmarken waren nur sieben als bäuerliche Siedlungen organisiert. 69 Für die mittelmärkischen agrarischen Großbetriebe wurde festgestellt, daß ausgehend vom Bestand der Großbetriebe um 1800 mit nahezu 28 Prozent der Fläche der prozentual größte Zugang durch die Übernahme der Wüstungsflächen in Eigenwirtschaften erfolgte.70 Nun erst entwickelt sich die für den ostelbischen Raum kennzeichnende Gutswirtschaft. Der neuerliche Ausbau der agrarischen Nutzfläche geschah streng nach ökonomischen Gesichtspunkten. Nahezu ausschließlich Feldmarken mit besserer Bodengüte wurden neu besiedelt71, der Umfang der Ackerfläche des Hochmittelalters wurde auch in dieser Zeit nicht mehr erreicht. 72 Zu den Voraussetzungen des erfolgreichen Ausbaus gehörte die billige Produktion und freie Verfügung über die agrarischen Produkte. Schon 1484 verlangte die Ritterschaft feste Löhne für die Ackerknechte und das Verbot, entlaufene Untertanen in anderen Grundherrschaften zu beherbergen, 73 1518 wurde das Verlassen
67 Hahn, Struktur und Funktion, S. 147 ff.; ders., Fürstliche Territorialhoheit und lokale Adelsgewalt. Die herrschaftliche Durchdringung des ländlichen Raumes zwischen Elbe und Aller (1300-1700) (= Veröffentlichungen der Historischen Rommission zu Berlin, Bd. 72), Berlin 1989, hier S. 134ff. (am Beispiel der Familie Alvensleben). 68 Hahn, Struktur und Funktion, S. 44. 69 Lieselott Enders, Die Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 28), Weimar 1992, S. 171. 70 Abel, Geschichte der deutschen Landwirtschaft, S. 160. 71 Ζ. B. bei den drei Vorwerken der Herrschaft Boitzenburg, s. Hartmut Harnisch, Die Herrschaft Boitzenburg. Untersuchungen zur sozialökonomischen Struktur ländlicher Gebiete in der Mark Brandenburg vom 14. bis zum 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, Bd. 6), Weimar 1968, S. 67. 72 Enders, Die Uckermark, S. 173, stellt fest, daß in der Uckermark 73 Wüstungen des Hochmittelalters unbesiedelt blieben. 73 Als Gravamina auf dem Herrentag 1503 eingebracht, s. CDB C 2, S. 302f., dazu Hahn, Struktur und Funktion, S. 102f.
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einer Bauernstelle wesentlich erschwert. 74 Der Gesindelohn wurde durch die Stände nun - landschaftlich unterschiedlich - fixiert. 73 Neben dem zu entlohnenden Gesinde wurden die dienstpflichtigen untertänigen Bauern in immer stärkerem Maße zur Arbeit auf dem Herrenland unter schrittweiser Erhöhung der Dienste herangezogen. So wurde die nicht in den Ständen vertretene Bauernschaft zum Opfer dieser Entwicklung, die von der adligen Herrschaft vornehmlich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Inhaber der Polizeirechte und einzelner Gerichtsrechte, 76 in größeren Herrschaftskomplexen durch Fixierung in Erbordnungen eingeführt wurde. Angesichts der ökonomischen und politischen Machtfülle der Herrschaftsträger blieb der bäuerliche Widerstand zunächst kaum merkbar.77 Zumindest einen theoretischen Schutz bedeutete die trotz ständischen Druckes nicht aufgehobene Appellationsmöglichkeit der Untertanen an das Rammergericht. 78 Die Geldverlegenheiten der Landesherrschaft konnten wie bereits 1484 auf Landtagen immer wieder zur Durchsetzung entsprechender Wünsche des Adels genutzt werden, so auch 1536, als der Wechsel in eine Stadt nur mit einem durch die Grundherrschaft ausgestellten »Abzugsbrief« legal möglich gemacht wurde. 79 Auch bei der Ausfuhr des Getreides hatte der Adel eigene Wege eingeschlagen: Schon am Ende des 15. Jahrhunderts scheint man die städtischen Vorrechte im Getreidehandel nicht mehr beachtet zu haben. Unter Umgehung der einheimischen Raufmannschaft setzte man sich direkt mit den Exporteuren vornehmlich in den Hafenstädten Hamburg oder Stettin in Verbindung, die häufig das Getreide fern von Städten an Landeplätzen im Elbe-Havel-Raum beziehungsweise im Flußgebiet der Oder übernahmen. So wurde eine Hauptgrundlage städtischen Wohlstands, der Fernhandel mit Agrarprodukten, wesentlich gemindert. Dafür erhielt die Landesherrschaft ab 1523 eine fixierte Abgabe, die auf dem bäuerlichen Land ruhte, den »Hufenschoß«, als zunächst außerordentliche, bald ständige Steuer. Eingezogen wurde der Schoß von der örtlichen Herrschaft. Das Adelsland blieb von derartigen Abgaben befreit. Zur Rurie der Städte gehörten lediglich die unmittelbar (immediat) dem Rurfürsten unterstehenden größeren Städte. Rleinere, einem kurfürstlichen Amtmann, einem geistlichen oder adligen Stadtherrn untertänige Städte waren nicht standesfähig. Auch hier gab es eine Rangfolge zwischen den »Vororten« oder »Hauptstädten« der einzelnen Landschaften und den anderen Rommunen. Dies waren Alt-
74 Dazu Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 193; 1515 war in der Uckermark ein ungehinderter Abzug eines Bauern dann möglich, wenn er den Hof bewehrt, d. h. mit einem neuen Wirt und der nötigen Ausstattung (einschließlich Saatgut) hinterließ, s. Enders, Die Uckermark, S. 160f. 75 Ζ. B. 1518, s. Raumer, Codex cont., Bd. 2, S. 225f. 76 Darauf weist mit Recht Hahn, Struktur und Funktion, S. 98 f. hin. 77 Hartmut Harnisch, Klassenkämpfe der Bauern in der Mark Brandenburg zwischen frühbürgerlicher Revolution und Dreißigjährigem Krieg, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 5 (1975), S. 142-172. 78 Enders, Die Uckermark, S. 161f. 79 Kurmärkische Ständeakten aus der Regierungszeit Kurfürst Joachims II., hrsg. v. Walter Friedensburg, Bd. 1 u. 2, München-Leipzig 1913-1916, hier Bd. 1, S.36.
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und Neustadt Brandenburg für das Havelland beziehungsweise die Zauche, Berlin und Cölln für Barnim und Teltow, Frankfurt für das Land Lebus, Stendal für die Altmark, Perleberg für die Prignitz, Neuruppin für die Grafschaft Ruppin und Prenzlau für die Uckermark. Daneben hatte auch die Doppelstadt Salzwedel in der Altmark den Rang einer Hauptstadt, ebenso nach der Landesteilung von 1535 Rüstrin als Vorort der Neumark. 80 Doch hatte sich auch die wirtschaftliche Situation der größeren Städte zum Negativen gewendet. Nahezu in gleichem Maße wie sich die ökonomischen Rahmenbedingungen des Adels verbessert hatten, verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation für die Städte. Wie vor ihm Albrecht Achilles bemühte sich Rurfürst Johann, diese schwächste der ständischen Rurien weiter zu entmachten. Einen Ansatz dafür bot die im Februar 1488 auf dem Landtag zu Berlin von den Ständen unter Einschluß der Städte verabschiedete indirekte Steuer auf das in den Städten gebraute oder eingeführte Bier, die »Bierziese«.81 Diese zunächst auf sieben Jahre terminierte Abgabe, bei der ein Drittel der zwölf Pfennige je Tonne für städtische Bedürfnisse und den Ausbau der Befestigungen ausgegeben werden sollte, bedeutete für die Besitzer städtischer Braustellen eine merkliche Minderung der Einnahmen. Widerstand regte sich vor allem in den altmärkischen Städten, die im Westen mit Hildesheim und Braunschweig Städte mit beachtlichen Erfolgen gegen die landesherrschaftlichen Einschränkungen städtischer Rechte vor Augen hatten.82 Vor allem die städtischen Unterschichten als Ronsumenten, auf die von den zumeist wohlhabenden Brauern die Rosten abgewälzt wurden, wehrten sich. Vornehmlich in Stendal, aber auch anderen altmärkischen Städten kam es zu Ausschreitungen, bei denen sich die Tuchmacher besonders hervortaten. Zwei Stendaler Bürgermeister und Angehörige von Ratsfamilien, insgesamt 48 Personen, flüchteten aus der Stadt, in deren Umgebung adlige Güter geplündert und zwei Edelleute umgebracht wurden. Der Rurfürst reagierte sofort: Über Tangermünde, das sich ihm am 25. März unterwarf, zog er nach Stendal. Am 22. April mußte sich auch diese Stadt unterwerfen. Drei Tuchmacher wurden mit dem Schwert gerichtet, die Bierziese zugleich auf 14 Pfennige und eine doppelte Laufzeit erhöht. Von den Privilegien der Stadt wurde die Münze und Gerichtsbarkeit eingezogen. Der Rat wurde neu besetzt und landesherrlicher Bestätigung unterworfen. Ebenso wie Stendal wurden Osterburg, Salzwedel, wo ebenfalls zwei Personen enthauptet wurden, Seehausen, Werben und Gardelegen zur Botmäßigkeit gezwungen. Der Rur-
80 Richard Dietrich, Die Städte Brandenburgs im 16. Jahrhundert, in: Wilhelm Rausch (Hrsg.) Die Stadt an der Schwelle zur Neuzeit (= Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas, Bd. IV), Linz/Donau 1980, S. 153-192, hier S. 156. 81 CDB C 2, S. 3331T. 82 Felix Priebatsch, Die Hohenzollern und die Städte der Mark im 15. Jahrhundert (= Die deutschen Städte im Kampf gegen Fürstengewalt, Bd. 1), Berlin 1892, S. 169ff.; dazu kritisch Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 164f. Otto Rriegk, Das Biergeld in der Kurmark Brandenburg, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 28 (1925), S. 221-283, hier S. 233ff.
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fürst stützte in den Städten die wirtschaftlich und politisch führende Schicht der Ratsfamilien. Für eine Reihe wichtigerer Städte wie Frankfurt (1502; Ergänzung 1505), Trebbin (um 1505), Landsberg an der Warthe, Soldin, Strasburg, Prenzlau, Strausberg (alle 1511) und TVeuenbrietzen (1525) setzte Joachim I. neue Stadtordnungen ein. Ebenso ließe er die Polizeiverhältnisse in einer allgemeinen Polizeiordnung von 151583 regeln. Obwohl man noch weit von einer allgemeinen Regelung der inneren Stadtverhältnisse entfernt war, begann eine - zumindest teilweise - Aufsicht kurfürstlicher Beauftragter über die städtischen Verhältnisse, auch über das Bürgeraufgebot. Das Stadtregiment, die Einziehung der ständischen Abgaben, die Aufsicht über den Markt, das städtische Gericht sowie die zur Stadt gehörenden Besitzungen aber übte weiterhin die städtische Oberschicht aus. Sie bestimmte über die Zusammensetzung der sich als Alter und Neuer Rat durch Zuwahl selbst ergänzenden Körperschaften, aus deren Mitte auch die Bürgermeister gewählt wurden. Der Rurfürst unterstützte diese Oberschicht, etwa 1515 in Berlin-Cölln, gegen die Innungen, Gewerke und Gemeinen.84 Die Mehrheit der Bürger hatte über die Gewerke nur sehr begrenzte, die sonstigen Bewohner keine politischen Rechte. Der für die Städte ungünstige säkulare wirtschaftliche IVend wurde auch von den Zeitgenossen durchaus erlebt. Schlaglichtartig wird die schwieriger gewordene Situation im Handel durch den Fall des Cöllner Kaufmanns Hans Kohlhase, das historische Vorbild des »Michael Kohlhaas« des Heinrich von Kleist, beleuchtet. Nachdem Kohlhase wegen eines angeblichen Pferdediebstahls auf der Reise zur Leipziger Messe von einem Junker von Zaschwitz Pferde weggenommen und erst nach längeren Schwierigkeiten ohne Entschädigung und zudem in schlechtem Pflegezustand zurückgegeben wurden, sagte er 1534 nach adligem Vorbild in einem Fehdebrief dem Junker und Kursachsen die Fehde an und verursachte Schäden nach Art der üblichen Fehdeführung. Der brandenburgische Kurfürst schaltete sich aber erst ein, als Kohlhase nun auch in Brandenburg aktiv wurde und einen Silbertransport aus dem Mansfelder Revier zur kurfürstlichen Münze nach Berlin überfiel. Durch eine List nach Berlin gelockt, wurde er 1544 vor dem Berliner Georgentor hingerichtet.85 Den beiden Städten Brandenburg befahl der Kurfürst 1508, wegen des Abnehmern an Gebäuden und der merklichen Feuerschäden sowohl Vorkehrungen gegen die Brandgefahr wie auch für die Unterbindung der Hypothekenaufnahme zu treffen.86 Im Bewußtsein des Niederganges erwähnte ein Cottbuser Kaufmann in einer Bittschrift an Kurfürst Joachim I. aus dem Jahr 1519, daß sein längst nach Danzig verzogener Verwandter ihn zum gleichen Schritt bewogen hätte, denn alda were lebendige narunge.87 Bis auf wenige Städte wie 83 Zu den Städteordnungen Schotte, Fürstentum und Stände, S.70ff. 84 Ferdinand Pusthius, ChroniconBerolinense continens resBerolini actas ab a. 1307 vsque ad a. 1699 (= Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, H. 4), Berlin 1870, S. 14. 85 Zusammenfassende Darstellung des Vorganges durch Knut Schulz, Vom Herrschaftsantritt der Hohenzollern bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1411/12-1618), in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 1, 2. Aufl., München 1988, S. 249-340, hier S. 305f. 86 CDB A 9, S. 258. 87 Zitiert bei Felix Priebatsch, Der märkische Handel am Ausgang des Mittelalters, ten des Vereins für die Geschichte Berlins, H. 36, Berlin 1899, S. 1-54, hier S. 32.
in: Schrif-
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die kurfürstliche Residenz Berlin-Cölln und Frankfurt an der Oder, das sich für seinen Handel mit Polen der Konkurrenz von Posen erwehren mußte, waren sie nahezu ausschließlich Zentren von regional begrenzten Märkten geworden. Viele auswärtige Raufleute mieden das Land mit seinen unsicheren Verhältnissen und wenig kalkulierbaren Zöllen, zumal eigene Niederlassungen, etwa der Fugger in Frankfurt, verwehrt wurden. 88 Die wichtigsten neuen Handelsplätze, Stettin, Danzig, Hamburg, Posen, Breslau und Leipzig, lagen in benachbarten Territorien. Bemühungen des Rurfürsten Joachim I., mit Hilfe königlicher Mandate die freie Elbschiffahrt für Brandenburg über Hamburg hinaus gewährleisten zu lassen, blieben wenig erfolgreich. Doch waren es nicht allein die innerstädtischen Verhältnisse oder der nun unter Ausschluß der Städte stattfindende Handel des Adels mit den Exporteuren in den Hafenstädten, die für diese Entwicklung entscheidend waren. Der Mangel an besonderen Exportgütern außer Getreide und Holz und vor allem das Fehlen von Bodenschätzen und Seehäfen ließen keinen leistungsfähigen Raufmannsstand aufkommen. 89 Zwischen 1504 und 1534 wurden die ständischen Repräsentanten nahezu jährlich entweder gemeinsam zu Landtagen oder Adel und Geistlichkeit gesondert als »Oberstände« zu »Herrentagen«, Städtetagen oder Ausschußsitzungen durch den Landesherrn berufen. 90 Zu den wichtigsten Rechten der Stände gehörten die Festsetzung und Beibringung der Landessteuern und damit der wesentlichen Einkünfte der Landesherrschaft, dessen Grundbesitz nach Veräußerungen und Verpfändungen fast nichts mehr einbrachte. Themen ständischer Versammlungen waren immer wieder die Organisation der Landesverteidigung und der Landfriedenswahrung, des Münzwesens, Probleme der wirtschaftlichen Ordnung und Wohlfahrt und damit wesentliche gesellschaftliche Bereiche. In den ständischen Auseinandersetzungen blieben der Rampf um politische und ökonomische Machtpositionen untrennbar miteinander verbunden. Die Erfüllung der Wünsche und die Abstellung der in Gravamina zusammengefaßten Beschwerden der Stände waren die Gegenleistung der Landesherrschaft für die Bewilligung von finanziellen Beihilfen.91 Zu den Opfern gehörte die spätestens seit der deutschen Besiedlung ebenfalls in den Städten Brandenburgs ansässige jüdische Bevölkerung. Diese hatte durch die im späten 15. Jahrhundert wachsende Wirtschaftsmacht des Adels ihre bis dahin herausragende Stellung vor allem auf dem Rapitalmarkt verloren und befand sich in der direkten Ronkurrenz zu den genannten Gruppen, die in den Ständeversammlungen immer wieder die Ausweisung der 88 Priebatsch, Der märkische Handel, S. 28ff. 89 So hatten sich Berliner Raufleute unter Einschluß des Ranzlers Kettwig 1544 mit beträchtlichem finanziellen Aufwand bemüht, die Beelitzer Salzquelle ertragreich zu machen, s. Hugo Rachel/Johannes Papritz/Paul Wallich, Berliner Großkaufleute und Kapitalisten, neu herausgegeben und bibliographisch erweitert von Johannes Schultze, Henry C. Wallich u. Gerd Heinrich, Bd. 1 (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, Bd. 32), Berlin 1967, S. 11. 90 Liste in Schotte, Fürstentum und Stände, S. 6-9, dazu kritisch Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 186ff. 91 Hintze, Die Hohenzollern, S. 114.
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jüdischen Händlerschaft forderten. 92 Dagegen stand das materielle und politische Interesse des Landesherrn, dem das Schutzgeld der Juden zustand. Noch 1509 verlieh Rurfürst Joachim I. Privilegien für den Aufenthalt von Juden in insgesamt 14 Städten der Mark.93 Anfang des Jahres 1510 geschah ein Kirchendiebstahl in dem - heute nicht mehr bestehenden - havelländischen Dorf Knoblauch. Zu den entwendeten Stücken gehörten eine vergoldete Monstranz und eine Messingbüchse mit zwei geweihten Hostien. Der Dieb, ein Kesselflicker aus Bernau, wurde bald dingfest gemacht und war am 2. Juni 1510 geständig, den Einbruch verübt zu haben. Die im ersten Geständnis enthaltene Aussage, beide Hostien verzehrt zu haben, widerrief der Dieb, als er wegen der Schändung der geweihten Hostien von einem bischöflichbrandenburgischen Beauftragten, dem Stiftshauptmann, peinlich verhört wurde. Nun gab er an, daß er eine der Hostien an einen Spandauer Juden verkauft hätte. Der Spandauer Jude Salomon wurde daraufhin auf Befehl des Kurfürsten nach Berlin gebracht und bestätigte unter der Folter die Angaben des Diebes und den Mißbrauch der Hostie zu okkulten Zwecken. Vornehmlich in Brandenburg wurden - entgegen dem kurfürstlichen Befehl, die Untersuchung ganz nach Berlin zu ziehen - andere Geständnisse von Juden unter der Folter gemacht und immer mehr Juden, vornehmlich aus altmärkischen Städten bis hin nach Braunschweig, mit belastet. Weitere Vorwürfe, etwa des Kindesmordes - auch für lange zurückliegende Zeiträume - wurden erhoben und entsprechende Geständnisse unter der Folter erpreßt. Insgesamt wurden an die 100 Juden auf die Untersuchung hin innerhalb von drei Wochen in die Residenz verbracht und davon 41 einem Gerichtsprozeß vor einem mit Berliner Schöffen besetzten Gericht unterworfen. Am 6. Juli 1510 wurden schließlich 39 Juden in Berlin94 verbrannt und zwei weitere enthauptet, der Dieb selbst mit glühenden Zangen gerissen und verbrannt. Weitere verhaftete Juden wurden nach dem Schwur der Urfehde aus dem Land gewiesen. 95 Viele der Getöteten und Vertriebenen gehörten zu den vom Kurfürsten im vorangegangenen Jahr 1509 Privilegierten. Der Vorgang selbst dürfte so trotz der Mit92 So ζ. B. 1480, 1481 und 1493, Zusammenstellung in Fritz Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch fiir brandenburgische Landesgeschichte 39 (1988), S. 7-26, hier S. 16, Anm.40; zur Bedeutung des Adels als Kreditgeber und -nehmer s. Hahn, Struktur und Funktion, S. 189ff. 93 Raumer, Codex cont., Bd. 2, S. 236f.; dazu Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse, S. 16, Anm. 40. 94 Nach Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 199, auf der Gerichtsstätte vor der Stadt. Nach Angelus, Annales Marchiae, S.273, war der Neue Markt vor der Marienkirche die Hinrichtungsstätte, für die man eigens Holzgerüste errichtete. 95 Zu den Vorgängen Friedrich Holtze, Das Strafverfahren gegen die märkischen Juden im Jahre 1510 (= Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, H. 21), Berlin 1884; Werner Heise, Die Juden in der Mark Brandenburg bis zum Jahre 15 71 (= Historische Studien Ebering, H. 220), Berlin 1932, S. 210ff.; Dietrich Kurze, Die Kirche, in: Bürger, Bauer, Edelmann. Berlin im Mittelalter. Ausstellungskatalog des Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin, red. v. G. Saherwala u. Andrea Theissen, Berlin 1987, S. 130-162, bes. S. 160ff.; Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse, S. 17IT.
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Wirkung des Landesherrn vor allem von den Ständen ausgegangen sein. Druck auf den Rurfürsten dürfte vor allem der Adel ausgeübt haben, der nun nicht nur als Kreditnehmer, sondern auch als Gläubiger des Landesherrn eine Rolle zu spielen beginnt, die zuvor vor allem durch die Stendaler Juden besetzt wurde. 96 In ähnlicher Weise wie in Berlin war 1492 im mecklenburgischen Sternberg ein Hostienschändungsprozeß abgelaufen. 97 Anders als beim nördlichen Nachbarn Mecklenburg führten die Ereignisse von 1510 in Brandenburg noch nicht zur völligen Vertreibung der jüdischen Ronkurrenz der ständisch-wirtschaftlichen Interessen. Nicht nur in Brandenburg, in allen Teilen Europas entstand zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit der Vielzahl der ökonomischen, sozialen und politischen Veränderungen eine tiefgreifende Rrisenstimmung, die eine besondere Aufnahmebereitschaft für Endzeitprophezeiungen schuf. Es ist zugleich die Zeit des Beginns des Ronfessionalismus, in der die Auseinandersetzung um die nun unterschiedlichen christlichen Bekenntnisse alle Bereiche des politischen und sozialen Lebens bestimmen sollte. Mit dem in den einzelnen Territorien des Reiches höchst unterschiedlich verlaufenden Prozeß der konfessionellen Auseinandersetzung konnten Territorialstaaten wie Brandenburg ihre Identität entwickeln.
Brandenburg in der Frühphase der Reformation: Hauspolitik und Reichspolitik Für die Vorgeschichte der Reformation Martin Luthers ist die von Joachim I. betriebene Haus- und Reichspolitik von größter Bedeutung. In der für das Haus Hohenzollern charakteristischen Änderung der politischen Grundeinstellung gegenüber der vorangegangenen Generation setzte der mit 15 Jahren zur Regentschaft gekommene Rurfürst Joachim I.98 wieder vorrangig reichspolitische Akzente. Schon im Jahr nach dem Herrschaftsantritt, 1500, besuchte er den Reichstag in Augsburg und nahm auch an der gegen den Rönig Maximilian gerichteten Tagung des Rurvereins in Gelnhausen teil. Das Ansehen des brandenburgischen Hohenzollernhauses erhöhte sich durch die erfolgreiche Werbung um die Hand der Tochter des Rönigs Johann von Dänemark, Elisabeth, deren Bruder Friedrich, der Erbprinz von Norwegen und Herzog von Schleswig und Holstein, zugleich mit der Schwester des Rurfürsten, Anna, vermählt wurde. Die feierliche Doppelhochzeit, 96 So bereits Ackermann, Der märkische Hostienschändungsprozeß vom Jahre 1510, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 49 (1905), S. 167-182 u. 286-299, hier S. 167,; dazu der zusätzliche Hinweis der Ronkurrenz bei landesherrlichen Krediten in Rackhaus, Die Hostienschändungsprozesse, S. 16. 97 Dazu mit weiterer Literatur Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse, S. 8ff. Wie in Sternberg hoffte offenbar Bischof Hieronymus Schultz durch den Bau einer Kapelle zu Ehren des Blutwunders eine Wallfahrt zu begründen, dazu Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse, S. 25. 98 Friedrich Wagner, Zum Regierungsantritt Joachims /., in: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 19 (1882), S. 505-520.
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die eigentlich in Berlin stattfinden sollte, wurde am 10. April 1502 wegen einer Pestepidemie im altmärkischen Stendal gefeiert. Bedeutsamer als die doppelte Verbindung zum dänischen Königshaus sollte die von Joachim nachhaltig geförderte Karriere seines Bruders Albrecht in der kirchlichen Hierarchie werden. Hier bestand ein besonderes Verhältnis zu dem um sechs Jahre jüngeren Albrecht, der über Jahre als Mitregent Joachims fungierte. Für den geistlichen Stand vorgesehen, hatte ihm der Kurfürst bereits vor dessen Priesterweihe im Jahre 1513 Kanonikate in Magdeburg und Mainz verschafft." Albrecht verfügte überdies in Berlin ab 1512 über einen eigenen Hofstaat mit einer jährlichen Rente.100 Nach dem Tode des Magdeburger Erzbischofs Ernst von Sachsen, der zugleich Bischof von Halberstadt war, gelang es, das Magdeburger Kapitel - trotz gegenteiliger kaiserlicher Wünsche - für Albrecht zu gewinnen. Nur einen knappen Monat nach dem Tode Erzbischofs Ernst wurde der erst dreiundzwanzigj ährige Albrecht einstimmig durch das Kapitel gewählt und wenig später auch vom Halberstädter Kapitel zum Administrator des dortigen Bistums postuliert. Als im folgenden Jahr auch der Mainzer Erzbischof starb, erhielt Albrecht in der Wahl am 9. März 1514 auch sämtliche Stimmen dieses Kapitels und so den mit der Kurwürde und dem Amt des Erzkanzlers des Deutschen Reiches verbundenen Mainzer Erzstuhl. Damit hatte der brandenburgische Zweig der Hohenzollernfamilie zugleich ein dem Rang nach höheres geistliches Amt erreicht als die fränkischen Vettern, denen es im Februar 1511 gelungen war, den Sohn des Markgrafen Friedrich, Albrecht, zum Hochmeister des Deutschen Ordens wählen zu lassen. Für diese Wahl waren wohl vor allem die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zum polnischen Königshaus entscheidend, da der Hochmeister seine Herrschaft als polnisches Lehen trug.101 Ein wesentlicher Antrieb für die weit ausgreifende Hauspolitik der Hohenzollern ist in dem Gegensatz zu den ebenfalls zur Kurwürde aufgestiegenen Wettinern in Sachsen zu suchen. Beide zu höchsten geistlichen Ämtern berufene Albrechte, der eine auf dem Hochmeisterstuhl in Königsberg, der andere in den Hochstiften Magdeburg und Halberstadt, besaßen unmittelbare wettinische Vorgänger. Die stets vorhandene Rivalität um die Vormachtstellung im Nordosten des Reiches schien aber nun eher zugunsten Brandenburgs entschieden zu sein. Denn mit der Wahl zum Erzbischof von Mainz hatte Albrecht und mit ihm das Haus Hohenzollern eine einzigartige Stellung im Deutschen Reich erhalten. Der Gipfelpunkt in der Laufbahn des Kirchenfürsten wurde schließlich mit der Übertragung der Kardinalswürde 1518 erreicht. Der Aufstieg konnte freilich für Brandenburg nur unter erheblichen Opfern erlangt werden. Die Albrecht als Magdeburger Erzbischof von den brandenburgischen Städten auf Ansuchen der fürstlichen Brüder verehrten 7 440
99 CDB C 3, S. 194 u. 204. 100 CDB C 3, S. 204f., S. 213f. 101 Die Mutter des fränkischen Albrecht war eine Schwester des polnischen Königs Sigismund, dazu Erich Joachim, Die Politik des letzten Hochmeisters in Preußen Albrecht von Brandenburg, Τ. 1 (= Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd. 50), Berlin 1892, S. 7ff.
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Gulden waren dabei nur ein geringer Betrag.102 Der Mangel des unkanonischen Alters des postulierten Erzbischofs und die ebenfalls dem Kirchenrecht widersprechende Häufung bischöflicher Würden mußten im Stil der Zeit durch päpstlichen Dispens, der durch Geldzahlungen an die päpstliche Kurie erreicht werden konnte, geheilt werden. Der Geldbedarf der päpstlichen Kurie war vor allem durch den Bau der Peterskirche gewaltig gestiegen. Für Dispens und päpstliche Bestätigung wurden 10 000 Dukaten, für die - bei einem Erzbischof übliche - Verleihung des Palliums neben den Annaten (Einjahreseinnahmen) durch die Hohenzollern weitere 20 000 Dukaten angeboten. 103 Auch zuvor waren einige Zahlungen an die Mitglieder der wählenden Kapitel nötig gewesen. In Mainz hatte sich zum Beispiel Joachim verpflichten müssen, das verpfändete, zuvor dem Erzstift gehörende Amt Ebersheim für 42 000 Gulden auszulösen.104 Nicht zuletzt mußten auch die an der erfolgreichen Durchführung des diplomatischen Unternehmens beteiligten Personen, wie der Prokurator der brandenburgischen Interessen in Rom, der Berliner Patriziersohn Johann Blankenfelde, belohnt werden. 103 Die Zahlungen wurden wesentlich über Kredite, die vor allem vom Augsburger Handelshaus der Fugger vermittelt worden waren, finanziert.106 Zu deren Tilgung sollten von der römischen Kurie überlassene Einnahmequellen, wie die Übertragung der Hälfte der Einnahmen eines zugunsten des Baus der Peterskirche in den Diözesen Magdeburg und Halberstadt zu vertreibenden Ablasses, beitragen. Die Gewinne aus dem Ablaßverkauf waren dem kreditgebenden Bankhaus abgetreten worden. Gerade dieser eher marginale Teil des großen Geschäfts zwischen den Brandenburger Hohenzollern und der Kurie in Rom sollte als Anlaß zur deutschen Reformation weltpolitische Bedeutung erhalten: Mit dem Verkauf des Ablasses wurde als Generalsubkommissar des Mainzer Erzbischofs der Dominikanermönch Johann Tetzel betraut. Die an sich bereits fragwürdige kirchliche Praxis bei der Sündenvergebung, neben der erforderlichen Beichte und Reue die zeitliche Sündenstrafe durch eine Geldleistung zu ersetzen, wurde durch Tetzel zur Erzielung hoher Gewinne stärker noch als üblich verkürzt. Nicht nur Ablässe für Lebende, auch für Verstorbene, die im Jenseits ihre Sünden abbüßten, wurden nachweislich verkauft. 107 Dem Wittenberger Augustinerchorherrn und Professor an der dortigen jungen Universität, Martin Luther, dürfte kaum der gesamte Umfang der Geld und Glauben vermengenden Transaktion bekannt gewesen sein, als er gegen diesen Ablaß 95 Thesen formulierte und am 31. Oktober 1517 an der Schloßkirche zu Wittenberg anheftete. Luther hatte diese skandalöse Praxis im magdeburgischen Jüterbog verfolgen können. Von dort aus hatte Tetzel auch Bürger der nahegelegenen sächsischen Universitätsstadt mit seinen käuflichen Heilsmitteln erreichen können, obwohl ihm der Zugang zum sächsischen Territorium durch den Landes102 In zwei Jahresraten, CDB Β 4, S. 257. 103 CDB A 8, S. 475. Joachim erhielt dafür den Patronat über die Dompropsteien von Brandenburg und Havelberg. 104 CDB Β 6, S. 263, C 3, S. 235ff. 105 Schultze, Die Mark Brandenburg, Bd. 3, S. 201. 106 Insgesamt 29 000 rheinische Gulden. 107 Zum Problemkreis Joseph Lortz, Die Reformation in Deutschland, 6. Aufl, Freiburg im Breisgau 1982, S. 1941Γ.
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Brandenburg im Zeitalter des Konfessionalismus
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Domirucanus, NundinacoF Romani Poncificis,anno «517. Lutheho terricus Sc in fugam vcrius, uritilii eju« cffigicj »ifitur in rcmpJo fancnfi;
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Titelblatt der Kirchenordnung der Mark Brandenburg. Erstdruck der ersten Berliner Offizin von Johann Weiß, 1540
gen beanspruchten die Patronatsrechte an den Pfarrstellen und den Besitz der Stadtklöster. Am Beginn der Neuordnung sollte durch eine allgemeine Kirchenvisitation eine Bestandsaufnahme des geistlichen Besitzes unter der umsichtigen Leitung des kurfürstlichen Kanzlers und Landtagskommissars Johann Weinlöben stehen. Aus Treuenbrietzen gebürtig, war Weinlöben, der die Kanzlerschaft 1538 durch eine Empfehlung Melanchthons erhalten hatte, mit den Verhältnissen im Lande wohl vertraut und begann noch im gleichen Jahr mit der Arbeit in Berlin-Cölln und Schloß sie 1545 mit der Visitation des Hochstifts Havelberg ab. Zu den Aufgaben der Kommission, die oft monatelang im Lande herumreiste, gehörte es auch, die Pfarrverhältnisse zu ordnen und geeignete Geistliche einzusetzen. Dazu gehörte die Abschaffung des im Spätmittelalter häufigen Brauchs der Überlassung des Altardienstes an nun verächtlich »Mietlinge« genannte, oft wenig geeignete Altaristen. Im Vorgriff auf die Beformation hatten adlige Herrschafts träger, etwa die von Bredow in den Ländern Bhinow und Friesack, den geistlichen Besitz völlig eingezogen, ebenso die Bochow in der Zauche.161 Andere Herren hatten völlig ungeeignete
161 Viktor Herold, Zur ersten lutherischen Kirchenvisitation in der Mark Brandenburg 1540-1545. Darstellungen auf aktenmäßiger Grundlage, Τ. 1., in: Jahrbuch fiir Brandenburgische Kirchengeschichte 20 (1925), S. 5-104, hier S. 74; allgemein: Die brandenburgischen Kir-
Ausbau des frühneuzeitlichen Territorialstaates
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Pfarrer eingesetzt. Auch diese neuen Mißbräuche mußten beendet werden. Schwierigkeiten bereiteten einige Klöster. So widersetzten sich in Lehnin der Abt und einige Mönche, während aus den anderen Zisterzen kein Aufbegehren gegen die neue Ordnung bekannt wurde. In der Regel wurde den wenigen verbliebenen Mönchen eine Leibrente ausgesetzt. Neuaufnahmen waren verboten. Das Prämonstratenserstift auf dem Harlungerberg in Brandenburg mußte 1543 gewaltsam eingenommen werden. Die hier genannten und auch alle anderen Männerklöster im Territorium des Markgrafen wurden aufgelöst und der Besitz vom Landesherrn eingezogen. Von den zehn Dominikanerklöstern des Landes widersetzte man sich der Säkularisation lediglich in Strausberg, bei den Franziskanern wurden elf Klöster ohne nennenswerte Probleme aufgelöst, in Angermünde und Neustadt-Brandenburg leistete man bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts Widerstand. Die Gebäude und übrigen Besitzungen der in den Städten gelegenen Dominikaner- und Franziskanerklöster sollten den Städten zufallen, ebenso wie die städtischen Spitäler. Freilich wurde auch ein Teil dieser Einrichtungen vom Landesherrn besonderer Nutzung vorbehalten. Ein nicht geringer Teil der (siebzehn) Frauenklöster, darunter Heiligengrabe, wo sich die Äbtissin von Quitzow gegen die Neuordnung entschieden zur Wehr setzte, blieben als evangelische adlige Damenstifte - teilweise bis in die jüngste Vergangenheit - bestehen. 162 Die drei Hochstifte blieben zunächst von der Visitation ausgenommen. Die jeweiligen Kapitel, in Havelberg und Lebus auch die Bischöfe, bemühten sich hinhaltend, den neuen Entwicklungen zu widerstehen. Die Havelberger Stiftsherren ließen noch 1552 den ersten evangelischen Pfarrer in Wilsnack, der die Wunderhostien verbrannt hatte, gefangennehmen. Erst der Tod des Havelberger Propstes 1561 machte dort den Weg für die neue Kirchenordnung frei. Allgemein waren durch landesherrliche Neubesetzung vakanter Stellen die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse in den Hochstiften zuvor bereits verändert worden. Während in Lebus 1550 noch einmal ein katholischer Bischof gewählt wurde 163 , konnte der Kurfürst in den beiden anderen Bistümern schon in den vierziger Jahren eine derartige Neuwahl verhindern und in Havelberg seinen unmündigen, rasch mit den niederen Weihen versehenen Sohn Friedrich 1548 zum Nachfolger des verstorbenen Bischofs postulieren. Nach dessen Tod ließ der Kurfürst den - ebenfalls unmündigen - Sohn des Kurprinzen Johann Georg, Joachim Friedrich, in gleicher Form geweiht, zum Bischof von Havelberg (1553), Brandenburg (1560) und Lebus chenvisitations-Abschiede und -Register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Bd.l: Die Prignitz (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, Bd. IV), Berlin 1931, Bd. 2: Das LandRuppin (aus dem Nachlaß hrsg. v. Gerhard Zimmermann u. bearb. von Gerd Heinrich) (= Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 6), Berlin 1963. 162 Übersicht bei Walter Ziegler, Klosteraufliebung im Zeitalter der Reformation in der Mark Rrandenburg, in: Wichmann-Jahrbuch 30/31 (NF 1) (1990/91), S. 69-87. 163 Zuletzt Heinz Teichmann, Von Lebus nach Fürstenwalde. Kurze Geschichte des mittelalterlichen Bistums Lebus (1124-1555/98), Leipzig 1991, S. 108.
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(1555) wählen. So waren die drei Landesbistümer in der Hand des Enkels des Kurfürsten, der 1552 überdies auch die Postulation für das Erzstift Magdeburg erhielt, vereint. Formal bestanden die Bistümer bis zum Jahr 1598 fort, faktisch aber waren sie nun dem landesherrlichen Besitz eingegliedert. Rurprinz Johann Georg hatte als Administrator seines bei der Übernahme der Bistümer minderjährigen Sohnes den Zugriff auf die bischöflichen Tafelgüter, in Lebus auch auf das Kapitelvermögen. Lediglich in Havelberg und Brandenburg - hier bis zur Gegenwart - blieben Teile des kapitularischen Grundbesitzes für die als evangelische Domstifte fortbestehenden Institutionen erhalten. Die Säkularisation ließ das landesherrliche Grundvermögen gewaltig zunehmen. In der Mittelmark war der Kufürst nun wieder der bedeutendste Grundbesitzer. Die Erfüllung kurzfristiger finanzieller Verbindlichkeiten konnte dadurch allerdings nicht gewährleistet werden. Die für ihre Zeit gewaltige Schuldensumme des Landesherrn sollte durch eine von den Ständen gewährte Sondersteuer aufgebracht werden. Die endgültig 1541 erfolgte Einigung sah die Aufteilung der Gesamthilfe von 700 000 Gulden durch die Oberstände und 445 000 Gulden durch die Städte vor. Die Oberstände hatten ihre bereits 1540 erfolgte Einwilligung mit der Nennung der die Summen beschaffenden Herren, der Übernahme von Klostervermögen (Stift Leitzkau) und der Mahnung sparsamer zu wirtschaften verbunden, auch sollten Angehörige des als Amtleute und Schreiber in den (aus dem ehemaligen Kirchenbesitz neu gebildeten) kurfürstlichen Ämtern eingesetzt werden.164 Letztlich zahlen mußte vor allem die Landbevölkerung, deren Viehbestand und Landbesitz durch besondere Verordnete taxiert wurde. Dafür wurde der Landschoß in den Hufenschoß als fixierte Abgabe verändert. In einem Hufenschoßregister165 wurden die Abgaben, die von den die Hufen bearbeitenden Bauern bezahlt werden mußten, festgehalten. In den Städten wurde zunächst ein Vorschoß von jedem Steuerpflichtigen und Vermögensabgaben erhoben. Als genuine Abgabe des Adels galt lediglich der in eine Geldzahlung umgewandelte Militärdienst, der »Roßdienst«, mit vergleichsweise bescheidenen Erträgen. Weitere Finanzschwierigkeiten führten dazu, daß für die landesherrlichen Schulden 1549/50 unter der Aufsicht ständischer Verordneter das »Kreditwerk« mit der Neubierkasse zu Berlin (für die gesamte Landschaft), den Hufenschoßkammern in Berlin (Mittelmark-Ruppin), Salzwedel (Altmark-Prignitz) und Prenzlau (Uckermark-Stolpe), den Städtekassen für den Vor- und Pfundschoß und die Ziese in Berlin (Mittel- und Uckermark) sowie Stendal (Altmark-Prignitz, ab 1566), geschaffen wurde. Zu den Zugeständnissen des Kurfürsten für das Entgegenkommen der Städte in der Steuerfrage gehörte das Verbot des Bierbrauens, Kaufmannshandels und Krugverlages in adligen und geistlichen Flecken und Dörfern, soweit dies von alters nicht gewesen. Der Kornverkauf durch den Adel wurde freilich nur insoweit eingeschränkt, das [er] in zeit einfallender Teurung verboten sei. Eine Liste handeltreibender Adliger aus der Zeit macht deutlich, daß gerade die Angehörigen der
164 Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Bd. 1, S. 139-153. 165 Hahn, Struktur und Funktion, S. 29ff.
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führenden Familien, in der Altmark und Prignitz die von Bartensieben, von der Schulenburg, von Alvensleben, von Plotho, von Quitzow und andere, in der Uckerund wohl auch Mittelmark der Landvogt Hans von Arnim und weitere Angehörige seiner Familie, die von Rochow, von Schlieben, von Schlabrendorff, von Flans, von Blankenburg wie auch Johann von Küstrin an Kaufmannsgeschäften größeren Umfanges beteiligt waren.166 Zunächst nicht erfüllt wurde die von den Städten immer wieder vorgetragene Forderung nach Vertreibung der erst ab 1539 wieder in allen Landesteilen als Händler geduldeten Juden, denen 1542 sogar vorgeworfen wurde, das Land für die Türken auszukundschaften. 167 Der Kurfürst ließ sich in diesem Fall nicht beeindrucken, zumal er erheblich von den Abgaben der Judenschaft profitierte. Einzelne Juden, zunächst der in Frankfurt an der Oder ansässige Michael, nach seinem Tod 1549 dessen Witwe Merle, später Lippold, liehen dem sich chronisch in Geldverlegenheiten befindenden Landesherrn erhebliche Summen. Der aus Prag stammende Lippold nahm bald eine zentrale Stellung ein. Kurfürst Joachim II. ernannte ihn 1556 zum Aufseher aller Juden und zum Münzmeister, der dann in den Jahren von 1556 bis 1563 seinem Herrn 10117 Taler allein an »Tribut- und Strafgeldern« lieferte.168 Zu seinen Aufgaben gehörte gleichzeitig die Kassenführung für den Kurfürsten, in der unter anderem Geschenke für dessen Mätressen - die Tochter eines kurfürstlichen Amtmannes Anna Sydow, eine »Wulffin« und eine »Bandelin« erwähnt wurden. Lippold sollte nach dem Tode des Kurfürsten für dessen Schuldenwirtschaft in besonderem Maße büßen. Doch es waren nicht nur jüdische Kreditgeber, die außerhalb und zwischen den ständischen Tilgungsversuchen mit Joachim II. Geldgeschäfte tätigten. Neben den alten Berliner Patrizierfamilien war es vor allem Joachim Grieben, der ebenso bedenkenlos wie unternehmend immer wieder neue Projekte in Angriff nahm. Dazu gehörte ein Salzhandelsmonopol, das wenig später auch die beiden aus Österreich stammende Mediziner namens Drachenfuß gegen entsprechende Vorleistungen, zu denen hier die Vertreibung der Juden gehörte, zu erhalten wünschte. Ab 1559 begann Grieben mit der Salzversorgung, die sich nicht so entwickelte, wie es vorgesehen war. Auch andere Griebensche Unternehmungen, wie ein für 12 500 Taler erkauftes Schiffahrtsmonopol oder die von chronischen Schuldnern immer wieder als Ausweg gesuchte Alchimie, brachten keine Besserung des nach wie vor lediglich aus den Erträgen des zu Wucherzinsen an Joachim II. ausgeliehenen Kapitals ruhenden Geschäftes. Für ihn und andere Berliner Gläubiger des Kurfürsten bedeutete der »Einfall« im August 1567, die Beschlagnahme von Edelmetall, Münzen und Schmuck in der Stadt auf Befehl des Kurfürsten, den Verlust der wirtschaftfichen Grundlage. Ein Teil des so in kurfürstlichen Besitz gelangten Edelmetalls wurde Lippold zum Vermünzen übergeben. Die Notwendigkeit, wegen der auf über anderthalb Millionen Taler angestiegenen Gesamtschulden ständig neue Geldquellen zu erschließen, hatte den kurfürstlichen Kammerrat Thomas Matthias 1564 auf den Einfall einer Bekleidungs166 Heise, Die Juden in der Mark Brandenburg, S. 249. 167 Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Bd. 1, S. 81-85; Hahn, Struktur und Funktion, S. 79f. 168 Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Bd. 1, S. 208.
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Steuer verfallen lassen. Die dabei von ihm angestellten allgemeinen Überlegungen geben einen Einblick in die wirtschaftliche Gesamtsituation. Das Land hatte danach (ohne »junge Rinder«) eine Gesamtbevölkerung von rund 300 000 bis 400 000 Personen bei rund 16 500 Häusern in den Städten (für die ca. sechs Personen pro Haus = 99 000 Stadtbewohner angesetzt werden) und 33 000 Häusern auf dem Lande (pro Haus fünf Personen = 165 000 Landbewohner), davon ca. 1 000 Häuser in den adligen und geistlichen Flecken und Städtchen. Die Zahl der Angehörigen der Oberstände einschließlich ihres Gesindes belief sich danach auf ca. 36 000 Personen.169 Landschaft
Dörfer
Hüfner
Kossäten
Hufen (1564)
Havelland Glin, Beilin, Rhinow, Friesack, Löwenberg Ruppin Zauche Niederbarnim Oberbnarnim Lebus Teltow Herrschaft Teupitz Bärenwalde Zossen und Ämter Lebus und Fürstenwalde Uckermark Summe (zeitgenöss. Berechnung):
121
1251
1019
63 94 71 73 94 74 84 16 7
878 1 533 668 959 831 725 760 103 63
635 635 465 698 857 783 493 45 29
1 860 2 952 1 878 3 215 3 094 1 866 2 550 133 136
50 200
550 2 200
400 1 600
1487 5 950
947
10 424
7 724
28 187
3 056
Bei einem Vergleich zwischen den ökonomischen Möglichkeiten stellte der gleiche Verfasser in einer weiteren Denkschrift über die Unmöglichkeit, den Städten noch höhere Lasten aufzubürden, fest, daß sich das Verhältnis von Stadt und Land noch weiter zuungunsten der Städte verändert hatte: Der burger und der pauren guter sollenfast umb ein gleiches sein zu achten und weren die pauren guter ungleich besser, wenn sie mit pachten und dinsten nicht so hoch nicht beschweret weren und bemerkt ferner: Von alter ist das vermögen in Stetten gewesen und haben die einwohner derselbigen stadtliche lantguther gehapt. itzo hat sichs vorkert und zeucht, der auf dem lande ettwas hat odder uberkommen kan, hinaus... Als Beispiel führt er dabei die Berliner Patrizier Lindholz und Reiche an und fügt bedeutungsvoll mahnend hinzu: Man bedenke alleine, was Stendall gewesen sei und itzo ist.170 In Berlin verschwand eine größere Zahl der seit dem Mittelalter ansässigen Patrizierfamilien ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die fortbestehenden Handelshäu169 Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Bd. 2, S. 305-315. 170 Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Bd. 2, S. 318f., dazu auch Rachel/ Papritz/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 1, S. 6f.
Hofhaltung und Zentralverwaltung
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ser hatten engen, meist familiär begründeten Rontakt nach Stettin, Leipzig oder Nürnberg. 171 Zu den Rechten, die der Kurfürst dem Adel überließ, gehörte die freilich noch an bestimmte Formalien gebundene Möglichkeit, Bauernstellen auszukaufen. Dies bedeutete im ausgehenden 16. Jahrhundert, einer Zeit negativer Entwicklung der Agrarpreise, eine Gelegenheit, die Rentabilität der Gutsbetriebe durch Vergrößerung und Anlage von Sonderwirtschaften (z.B. Schäfereien) zu verbessern.
Hofhaltung und Zentralverwaltung Auf den bereits 1540 von ständischer Seite erhobenen Vorwurf einer allzu verschwenderischen Hofhaltung antwortete der Rurfürst, daß bereits 1537 eine Hofordnung nach Rat der Stände angelegt worden sei. Der große Historiker Otto Hintze faßte den Inhalt dieser Hofordnung wie folgt zusammen: Das [dem Schloß] benachbarte Amt Mühlenhof mit den kurfürstlichen Mühlen (am heutigen Mühlendamm) bildete die ökonomische Grundlage für die Unterhaltung der etwa 400 Personen, die sich beständig am Hofe aufhielten undfür die auch noch etwa 200 Pferde [die] im kurfürstlichen Marstall gefüttert wurden. Auf dem Mühlenhof kam der Überschuß an Nahrungsmitteln zusammen, der auf den kurfürstlichen Domänenämtern der Umgebung zur Verfügung stand: Korn, Vieh, Geflügel, Fische und was sonst noch zu des Lebens Notdurft und Nahrung gehört. Hier wurde unter Aufsicht des Amtshauptmannes gemahlen, gebacken, gebraut und geschlachtet, hier wurde das Futter für die Pferde ausgegeben und von hier aus der Hof mit Speise und Thank versorgt. Im Vorzimmer des Kurfürsten versieht der adlige »Türknecht« den Dienst ... Die engere Umgebung des Herrschers sind seine geschworenen Kämmerer; die weitere Umgebung ist die Gesamtheit der kurfürstlichen »Diener«, d.h. Edelleute, die dem Kurfürsten bei Hofe aufwarten und je nach ihrem Rang mit einem oder mehreren Rossen versehen sind ...An der Spitze des riesigen Gefolges steht der Marschall, der oberste Hofbeamte des Kurfürsten, der die Leitung der ganzen Hofhaltung und neben der Aufsicht auch die Gerichtsbarkeit über das gesamte Hofgesinde in der Schloßfreiheit [dem von anderer Gerichtsbarkeit freien Schloßbezirk] ausübt. Neben ihm steht als sein Vertreter und Gehilfe der Haushofmeister, dem hauptsächlich die Überwachung des ökonomischen Betriebs obliegt. Auch ein Schloßhauptmann war bestellt... Unter diesen höheren Beamten hatte der Hausvogt für die Aufrecherhaltung der Ordnung, der Küchenmeister für die wirtschaftliche Versorgung des Haushalts, Futtermarschalk und Stallmeister für den Marstall zu sorgen. Das Hofgesinde wird von dem Kurfürsten nicht bloß gespeist, sondern auch gekleidet. Die gewöhnliche Hofkleidung gehörte für die Herren und Knechte zu den regelmäßigen Bedingungen des Dienstvertrages; ein besonderer Hofschneider mit seinen Gesellen gehört mit zum kurfürstlichen Ingesinde. Das Tagesleben beginnt und endet früh. Im Sommer um vier, im Win171 Rachel/Papritz/Wallich, Berliner Großkaufleute, Bd. 1, S. 4fT.; Wolfgang Mleczkowski, Zum politischen und sozialen Wandel städtischer Führungsschichten in Brandenburg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 26 (1975), S. 89-118, hier S. 104ff.; Schulz, Vom Herrschqftsantritt der Hohenzollern, S. 304ff.
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ter umfünf werden die Ihre geöffnet; dann beginnt der Dienst in Küche und Marstall. Die Räte kommen im Sommer um sechs, im Winter um sieben Uhr zusammen. Jeden Morgen in der Frühe geht der Hof zur Kirche, auch noch in protestantischerZeit. Um sieben oder acht Uhr wird die Morgensuppe verabreicht; um neun oder zehn Uhrfindet die Mittagsmahlzeit, um vier die Abendmahlzeit statt. Räte, Edelleute und auch die Einrosser [d.h. jenen, denen ein Pferd zur Verfügung stand] speisen mit dem Kurfürsten zusammen im Rittersaal, jede Gruppe an einem besonderen Tisch. Eine Viertelstunde, nachdem zu Tisch geblasen worden ist, wird das Tbr geschlossen und niemand mehr ein- oder ausgelassen, damit nicht Speisen und Getränke heimlich »abgeschleppt« würden - ein Mißbrauch, der sehr im Schwange gewesen zu sein scheint. Marschall und Hofmeister haben darauf zu sehen, daß alle sich bei Tisch züchtig und stille verhalten... Um acht Uhr wird den Resuchern abgeklopft und das Frauenzimmer verschlossen. Das Tagesleben am Hofe ist zu Ende; alles geht zur Ruhe, Feuer und Licht im Schlosse wird gelöscht; die Tore werden im Sommer um neun Uhr, im Winter etwas früher geschlossen.172 Mag auch diese unter dem oben angedeuteten Sparzwang entstandene Hofordnung einen etwas idealisierten Zustand beschreiben, wird in ihr doch deutlich, daß es in der Art der Haushaltung - wohl in deren Umfang - zwischen Adel und Landesherrn keinen Unterschied gibt. Wie allgemein im Adel ist das »Haus«, hier des Rurfürsten, seiner Familie der Räte und Diener Lebensmittelpunkt und Zentrum der politischen Aktivitäten. Die kurfürstlichen Zentralbehörden, zu denen ab 1588 die aus der kurfürstlichen Kammer heraus entwickelte Amtskammer gehörte, verblieben noch lange im Schloß als Herrschaftsmittelpunkt. Noch sind in der »Rammer« Gericht und Rat ungeteilt beeinander. 173 Zur Abfassungszeit der Hofordnung befand sich freilich das Cöllner Schloß bereits im Umbau. Unter der Leitung des zuvor in Torgau tätigen Baumeisters Ronrad Krebs erfuhr der Bau eine wesentliche Erweiterung und bildete nun gemeinsam mit der zum Domstift umgestalteten Dominikanerkirche ein eindrucksvolles Ensemble. Da die leicht gebauten neuen Türme an der Westfassade des Domes zur Aufnahme von Glocken nicht geeignet waren, ließ Kurfürst Joachim II. die aus Wilsnack, Osterburg, Spandau, Brandenburg und anderen Orten in die Residenz verbrachten Glocken in einem nahen T\irm der Cöllner Stadtmauer anbringen. Ebenfalls zur Hofhaltung müssen die Jagdhäuser des Kurfürsten, hier vor allem Köpenick und das 1542 begonnene Jagdschloß Grunewald, gerechnet werden, die an Größe und Pracht den Sitzen der wenigen großen Familien des Kurfürstentums ebenbürtig waren. Zu den weiteren Großbauten ist die Zitadelle Spandau zu rechnen. Die alte Burg an der Spreemündung, die 1545 bis 1555 der zurückgekehrten Kurfürstenwitwe Elisabeth als Sitz diente, wurde ab 1559 zu einer modernen Festung ausgebaut. Die Bauleitung hatten italienische Experten inne, die bereits für Markgraf Johann im 172 Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, S. 142f. 173 Otto Hintze, Hof und Landesverwaltung in der Mark Brandenburg unter Joachim II, in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens (= Gesammelte Abhandlungen, Bd. 3), 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 204-254, hier S. 223ff., Hahn, Struktur und Funktion, S. 144fT.
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Feierliche Begrüßungszeremonie vor den Toren Berlins beim Besuch König Christians IV. von Dänemark beim brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg, 6. Oktober 1595
Festungsbau tätig gewesen waren. Als Grund für den Festungsbau gibt Joachim II. in einer Instruktion für den Kurprinzen aus dem Jahre 1562 die Türkengefahr an. Das kostspielige Bauwerk sollte erst nach mehr als dreißig Jahren vollendet werden. Die Mißachtung des Kurfürsten für das städtische Bürgertum, die sich im Berliner »Einfall« des Jahres 1567 gezeigt hatte, sollte in Spandau im Winter des Jahres 1570 abermals deutlich werden, als der Kurfürst und Mitglieder der Hofgesellschaft auf Schlitten in die Havelstadt fuhren und dort viel Bürger-Frauen und Jungfrauen mit sich geführt und sie wieder vor die Häuser gebracht.17* Bizarr war auch der vor den Toren Spandaus ausgetragene »Knüttelkrieg« zwischen Berliner und Spandauer Bürgern, der offenbar von einer Beschießung des die Festung überragenden Spandauer Kirchturms von der Zitadelle aus ablenken sollte.175 Der vermutliche Verfasser der Hofordnung, der aus Meißen stammende Bat Eustachius von Schlieben, gehörte bis zu seinem Tode (1568) zu den engsten Vertrauten des Kurfürsten, ebenso wie der aus Hessen gebürtige Hofmarschall (1536 bis 1542) Adam von Trott zu Solz, der Kämmerer Matthias von Saldern und der aus Leipzig stammende Gelehrte Lampert Distelmeier, der 1558 Johann Weinlöben im
174 Friedensburg, Kurmärkische Ständeakten, Bd. 2, S. 221. 175 Pusthius, Chronicon Berotinense, S. 22.
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kCHIÄ' BWN J/PAqirioiä, E*: iTJJIHUj OTMIIUO^ Moi AC !AT ^rhmtcigcntum tuiri» ftani»rcrf)tiid) verfolgt 3tani>flmd)t tft befugt ine ^okSftrnfe p* bcrpttgem 3üter6og-Mlte3 Saget, bett 15. 9!o»emfier 1918. 3eutral=2lu§fdjuö bc$ 2lrbcitcr= unb SolbatenratÖ für ^ütcrliiig unb Umgegenb. Plakat des Arbeiter- und Soldatenrates Jüterbog, 1918
datenrat Lübben forderte auf, den Anordnungen des bisherigen Landrats Erich von Reden zu folgen, die die Räte gegenzeichnen wollten. 8 Damit folgten sie dem Standpunkt der preußischen Regierung Paul Hirsch (SPD) - Heinrich Ströbel (USPD) vom 13. November. Überall dort, wo die Räte in den Staatsapparat eingriffen und wie in Arnswalde, Crossen, Beizig, Templin, Perleberg und Fürstenwalde Landräte, Beamte und Bürgermeister absetzten bzw. deren »Amtsführung« behinderten, schritt die Regierung ein und untersagte solche revolutionären Maßnahmen. 9 In Perleberg setzte der Arbeiterrat auch den Direktor der Prignitzer Eisenbahngesellschaft sowie den Superintendenten ab. In Berlin und seinen Vororten, wo Arbeiter stärkere Positionen hatten, konnten die Räte revolutionäre Maßnahmen durchsetzen: der Neuköllner Arbeiter- und Soldatenrat verhinderte die Tagung der nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählten alten Stadtverordnetenversammlung. Die Räte des Kreises Niederbarnim verlangten am 18. November die Absetzung aller Landräte und die Auflösung der alten Gemeindevertretungen. Die Räte in Rahnsdorf und Mariendorf schalteten die Gemeindevertretungen aus. In der Mehrheit folgten die Räte jedoch der Politik der Regierung und den Zentralstellen bzw. Zentralräten oder Vollzugsausschüssen, die für die Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt (Oder) und für die Provinz insgesamt Ende November Anfang Dezember
8 Dokumente und Materialien 1917 bis 1923, S. 66. 9 Dokumente und Materialien 1917 bis 1923, S. 81.
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unter Führung von SPD-Funktionären geschaffen wurden. Sie lenkten die Räte in Richtung Nationalversammlung, Rontrollen und Überwachung der weiterhin arbeitenden Behörden.10 So konnte der Landesdirektor der Provinz Brandenburg, der seit 1912 amtierende Joachim von Winterfeldt, später in seinen Memoiren feststellen: Der nach der Abdankung des Kaisers und dem Ausrufen der Republik einsetzende Wirrwarr berührte mich in meiner amtlichen Tätigkeit nur wenig. Niemand versuchte mich zu stören oder mir fremde Elemente als Mitarbeiter zu oktroyierend Die Rontrolle der Tätigkeit des gesamten Landeshauses, der Provinzialverwaltung, sollte der SPD-Funktionär Erich Roßmann übernehmen; sie fand indessen kaum statt. Winterfeldt blieb bis 1930 im Amt. Die Leitung der Rontrollstelle der Arbeiterund Soldatenräte im Oberpräsidium der Provinz übernahm am 15. Dezember 1918 Albert Baumeister (SPD). Als beispielhaft für die Entwicklung in vielen Rreisen, nahe dem Arbeiter- und Revolutionszentrum Berlin, mag die im Rreis Niederbarnim gelten. Die SPD-Funktionäre Hermann Müller (Lichtenberg) und Albert Baumeister zogen in das Rreisgebäude am Friedrich-Rarl-Ufer in Berlin, »kontrollierten« den Landrat Joachim von Bredow und bildeten eine »Zentralstelle der Arbeiter- und Soldatenräte des Rreises Niederbarnim«. Auf der Rreiskonferenz der 127 Vertreter aus 67 Orten des Rreises am 17. November legten sie alle Räte auf den Rurs fest: Kontrolle, Ruhe und Ordnung, Versorgung; keine Auflösung des Drei-Rlassen-Rreistages, der Stadtverordneten- und Gemeindeversammlungen; der Landrat, die Bürgermeister, Amtsund Gemeindevorsteher blieben im Amt. Keine Übernahme von Ämtern, die wir nicht meistern können, erklärte Baumeister auf der 2. Rreiskonferenz der Räte am 1. Dezember. Und so konnte sich der alte Rreistag im Landratsamt am 11. Dezember in vorrevolutionärer Zusammensetzung versammeln. Der Landrat Joachim von Bredow amtierte bis zum Januar 1920.12 In den vom Revolutionszentrum fernliegenden Landkreisen, auf dem flachen Land, mit schwach entwickelten sozial-ökonomischen und politischen Strukturen, bewegte die Revolution wenig. Nach dem Aufruf der Regierung, Bauernräte zu bilden, um - wie es hieß - die Volksernährung, Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, bildeten sich örtliche Bauernräte, die sich nach Rreisen organisierten. Im Landkreis Cottbus übernahm am 17. November der Rittergutsbesitzer Geneomar von Natzmer in Gahry die Bildung und Leitung des »Bauernrates«13. Er sprach dem »altbewährten Beamten«, dem Landrat und Geheimen Regierungsrat Freiherrn Oskar von Wackerbarth, sein Vertrauen aus. Enteignungen von Gütern und Landwirtschaften blieben Einzelfälle, die - wie die Absetzung des Amtsvorstehers Lüttringhaus als Verwalter der von Podbielskischen Güter in der Prignitz durch den Perleberger Arbeiterrat - mit schlechter Bewirtschaftung begründet wurden. 14 Der 10 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Β, 1. Abt. IHG Nr. 3170, Bl. 4,16. 11 Joachim von Winterfeldt [Menkin], Jahreszeiten des Lebens, Berlin [1942], S. 249. 12 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2 A, Reg. Potsdam I Pol. Nr. 1060, Bl. 51-59; vgl. auch Andreas Herbst, Zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Kreis Niederbarnim 1918 bis 1933, Bernau [1989], S. 9-18. 13 Dokumente und Materialien 1917 bis 1923, S. 55f. 14 BLHA P o t s d a m , Pr. Br. Rep. 2 Α Reg. P o t s d a m I Pol. Nr. 1061, Bl. 39.
Die Revolution 1918/19
Das Wachkommando des Arbeiter- und Soldatenrates in Guben, 1918
Arbeiter- und Soldatenrat Trebbin beschloß die Enteignung des Großgrundbesitzes im November, mußte diesen Beschluß im Januar aber aufheben. Die Eigentumsverhältnisse blieben unter dem Schutz der Revolutionsregierung unverändert und damit eine Säule der alten Machtstrukturen erhalten. Die Delegiertenversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte des Regierungsbezirks Frankfurt (Oder) beschloß am 14. November 1918 Richtlinien über die »Bildung von Arbeiter- und Bauernräten für Gemeinden mit überwiegend bäuerlicher Bevölkerung«. Wahlberechtigt waren alle Männer und Frauen über 20 Jahre in einer öffentlichen Versammlung. Gemeinde-, Amts- und Gutsvorsteher waren nicht wählbar, und die Bäte sollten diese in ihren Amtsgeschäften kontrollieren. Die Räte hatten die Aufgabe, in den Steuerschätzungs- und Veranlagungskommissionen mitzuwirken, Erfassung und Schutz der Lebensmittel zu organisieren, den Schleichhandel zu bekämpfen, die landwirtschaftlichen Betriebe und die Produktion sowie das Genossenschaftswesen zu fördern, Arbeit und Wohnung zu beschaffen, Personen und Eigentum zu schützen. Die im Kreis Oberbarnim, in den Dörfern wie Altkietz, Falkenberg, Alttornow, Bralitz, Broichsdorf, Röthen oder Dannenberg so gebildeten Räte leiteten teilweise Gastwirte, Lehrer, Raufleute oder Bauunternehmer. Die Bauernräte gewannen nirgends Machtpositionen, gerieten häufig sogar unter Einfluß von Großgrundbesitzern und lösten sich seit Anfang 1919 auf.15
15 Β LH Α Potsdam, Rep. 3 B, Nr. 3170, Bl. 16f.
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Diese Entwicklung der Rätebewegung in der Provinz Brandenburg führte mit zu den Beschlüssen des 1. Reichsräte-Kongresses vom 16. bis 20. Dezember 1918 in Berlin, der eine Grundfrage der Revolution: Rätemacht oder Nationalversammlung zugunsten der parlamentarisch-demokratischen Republik entschied. Diesem Beschluß entsprach die Festlegung für Preußen, eine Verfassunggebende Landesversammlung zu wählen. Bürgertum und Großgrundbesitzer organisierten ihre politischen Parteien und Organisationen in Vorbereitung auf die Wahlen zur Nationalversammlung neu. Neben der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und dem Zentrum (Z), die sich auf den Boden der Republik stellten, entstanden die großbürgerliche Deutsche Volkspartei (DVP) und die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die auf dem Lande und in den traditionellen Hochburgen der Konservativen (Potsdam, Frankfurt) antidemokratische und republikfeindliche Zentren ausbildeten. Bereits am 17. November 1918 gründete der Gutsbesitzer von Natzmer den ersten Kreislandbund in Deutschland, um - wie er später erklärte - meinen Heimatkreis [den Landkreis Cottbus, d.V.] sofort den neuen Verhältnissen [im »Revolutionsstaat«] anzupassen, um ihn vor den Gefahren revolutionärer Übergriffe und Bevormundung durch die proletarische Gewerkschaft zu schützen,16 Einfluß gewannen auch frühfaschistische Organisationen wie die »Antibolschewistische Liga«. Sie stützten sich auf die Truppen der Gegenrevolution, die seit Ende November um Berlin in der Absicht zusammengezogen wurden, das Zentrum der Revolution zu besetzen und blutig zu unterdrücken. An einigen Orten widersetzten sich Arbeiter- und Soldatenräte der Sammlung konterrevolutionärer Truppen, protestierten gegen die von der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung betriebenen Werbungen für den »Grenzschutz Ost«, später für »Freikorps« (beispielhaft der Soldatenrat Cottbus Anfang Januar 1919). Das vorzeitige Losschlagen des Potsdamer Gardekommandeurs Anfang Dezember gegen das Rathaus Nowawes und den Potsdamer Soldatenrat führte noch zu dessen Ablösung. Die kaiserlichen Militärverbände (unter General Arnold Lequis) erwiesen sich beim Putschversuch am 6. Dezember und beim Angriff auf die Volksmarinedivision am 24. Dezember in Berlin als untauglich für die Niederschlagung der Revolutionäre. Es gelang aber den Militärs, z.B. die Sicherheitswehr in Trebbin bereits Ende November aufzulösen. Im Dezember drang die Gegenrevolution weiter vor. In den blutigen Januar- und Märzkämpfen, mit der Ermordung der Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Leo Jogiches und hunderter Mitkämpfer scheiterten die Versuche, die Revolution weiterzutreiben. Der »Bruderkampf« der in SPD, USPD und KPD gespaltenen Arbeiterbewegung, das bewaffnete Vorgehen der gegenrevolutionären Kräfte unter Führung des sozialdemokratischen Volksbeauftragten Gustav Noske und die politischen Morde belasteten anhaltend und fortdauernd das politische Klima in der jungen demokratischen Republik, insbesondere in ihrer Hauptstadt. Den größten politischen Einfluß unter den Arbeitern in der Provinz übte weiterhin die SPD aus. Im Unterschied zur Groß-Berliner Parteiorganisation, die sich 1916/17 mehrheitlich der USPD angeschlossen hatte, verblieb die Brandenburgische 16 Der Brandenburgische
Landbund,
3. Jg., Nr. 11, März 1922.
Die Revolution 1918/19
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Bezirksorganisation fast geschlossen auf dem Boden der MSPD, sie überstand die organisatorische Spaltung relativ ungeschwächt. Nur die Wahlkreisorganisation Potsdam-Osthavelland ging mit knapper Mehrheit in die USPD. Gestützt auf jahrzehntelange Tradition und herkömmliche Organisationsstrukturen, insbesondere auch der Gewerkschaften, suchte die SPD ihre Kriegspolitik-Krise mit der Propagierung der Einigkeit der Arbeiter unter dem alten Banner des demokratischen Sozialismus zu überwinden. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 stritt sie gegen die brutalen Volksentrechter von links und rechts, für Friede, Freiheit und VolksglückΡ Im Wahlkreis 3 (Berlin), in den angrenzenden Kreisen und in einer Reihe brandenburgischer Städte konnte die SPD starke Positionen gewinnen. Der Provinzialparteitag der Brandenburger SPD beschloß im Mai 1919 programmatisch, der Sozialismus [solle] in organischer Fortentwicklung unter der demokratischen Mitwirkung des ganzen Volkes seiner Erfüllung entgegengefahrt werden.18 Als linkssozialistische Alternative propagierte die USPD die Sozialisierung, d.h. die Vergesellschaftung der Großbetriebe, die Erhaltung des Rätesystems, die Erweiterung der demokratischen Rechte und Freiheiten, die Fortführung der Revolution bis zur Errichtung der politischen Macht der Arbeiterklasse.19 Diese Partei, der bis Ende 1918 auch der Spartakusbund zugehörte, hatte in Groß-Berlin unter Arbeitern starken Einfluß. Enttäuscht von den unmittelbaren Resultaten der Revolution, empört über das Zusammenwirken der SPD-Führung mit den Militärs, Personen und Institutionen des kaiserlichen Regimes und bedrückt von den Kriegsfolgen wandte sich bei den Stadtverordnetenwahlen in Berlin am 23. Februar 1919 eine Mehrheit der Berliner Wähler der USPD zu, sie übertraf die SPD um 10 000 Stimmen und einen Abgeordneten (47 USPD- und 46 SPD-Abgeordnete). Zählte die USPD am Vorabend der Revolution in Berlin etwa 20 000 Mitglieder, so wuchs sie bis zum 1. April 1919 auf 65 bis 70 000 und am 15. Juni auf rund 90 000 Mitglieder. Die SPD vereinigte zu diesem Zeitpunkt 55 000 Anhänger. In der weiteren Provinz blieb die USPD eine Minderheit: Ende Dezember 1918 gab es lediglich in Spremberg, Wittenberge, Luckenwalde, Werder, Caputh, Jüterbog und Brandenburg aktionsfähige Ortsgruppen mit insgesamt nur 300 Mitgliedern. Ende März existierten schon 128 Ortsgruppen mit über 7 000 Mitgliedern, von denen sich dann Ende 1920 ein kleinerer Teil der KPD, der Rest 1922 wieder an die SPD anschloß. Ende Dezember 1918 konstituierte sich in Berlin aus dem Spartakusbund und anderen linksradikalen Gruppen die Kommunistische Partei Deutschlands. In grundsätzlicher Gegnerschaft zur bürgerlichen Klassenherrschaft setzte sie auf die Weltrevolution des Proletariats und formulierte die Alternative Sozialismus oder Untergang in der Barbarei10. Trotz ihres linken Radikalismus, der (zunächst) jede Beteiligung an 17 Flugblatt der SPD an die Bevölkerung des Wahlkreises Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg zur Wahl der Nationalversammlung am 19. Januar 1919, in: Dokumente und Materialien 1917 bis 1923, S. 86f. 18 Vorwärts, Nr. 254 v. 19. Mai 1919. 19 Vgl. das programmatische LSPD-Flugblatt/I« die klassenbewußteArbeiterschaft [1919], in: Dokumente und Materialien 1917 bis 1923, S. 89f. 20 Protokoll des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (30. Dezember 1918-1. Januar 1919), Berlin 1985, S. 286f.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
Wahlen zu parlamentarischen Institutionen ablehnte, und des Drucks des Ausnahmezustands in Berlin/Brandenburg bis Ende 1919, der faktische Illegalität bedeutete, gewann die KPD in den Berliner Bezirken bis zum Herbst 1919 schon etwa 12 000 Mitglieder.21 Im Bezirk Brandenburg bildeten sich Ortsgruppen in Brandenburg, Fürstenwalde, Bernau, Potsdam, Nowawes, Rathenow, dann auch in Frankfurt (Oder), TVebbin, Wittstock, Forst, Guben, Cottbus u.a. Orten sowie im Lausitzer Revier. Einen gewissen zusammenfassenden Einblick in die politischen Strukturen der Provinz mögen die Wahlen zu den Kreistagen im Frühjahr 1919 bieten: von insgesamt 1 022 Mandaten besetzten die SPD 361, die USPD 40, die DDP 99 und die bürgerlichen Rechtsparteien 553.
Die Provinz Brandenburg im Freistaat Preußen Die Revolution 1918/19 schuf die Voraussetzungen für eine demokratische Neuordnung Deutschlands. Die Weimarer Verfassung war die bis dahin freiheitlichste und fortschrittlichste Staats- und Sozialverfassung in der deutschen Geschichte und auch im Vergleich mit anderen Staaten. Preußen bildete mit seinen Provinzen innerhalb des Reiches einen einheitlichen Freistaat, der am 30. November 1920 (mit Änderungen 1921 und 1924) seine Verfassung erhielt. Sie umfaßte weitgehende innen-, wirtschafts-, kultur- und bildungspolitische Rechte und sagte den Provinzialverbänden größere Selbständigkeit zu. Die preußische Regierung (das Staatsministerium), die Volksvertretung - 1919/20 die Verfassungsgebende Landesversammlung (dann der Landtag) - und die Vertretung der Provinzen (der Staatsrat) behielten ihren Sitz in Berlin. Bei der ersten Wahl nach der revolutionären Erhebung in Preußen am 26. Januar 1919 gewann die SPD über 45 Prozent der abgegebenen Stimmen und 145 der 402 (später 450) Sitze in der Landesversammlung. Sie bildete mit DDP (17 Prozent und 94 Sitze) und Zentrum (elf Prozent und 65 Sitze) eine Koalitionsregierung, die mit Ausnahme einer rein bürgerlichen Regierung 1921 und einer Regierungskrise 1925 bis zum Staatsstreich vom 20. Juli 1932 fortgesetzt von Sozialdemokraten, zunächst von Paul Hirsch, ab 1920 von Otto Braun als Ministerpräsident geleitet wurde. Die »Volksvertretung« der Provinz Brandenburg, der Provinziallandtag, tagte letztmalig vom 12. bis 14. März 1919 in ihrer vorrevolutionären Zusammensetzung. Der Oberpräsident der Provinz, Friedrich Wilhelm von Loebell, dankte der gestürzten Monarchie unter lebhaften »Bravo-Rufen« und trat von seinem Amt zurück. An seine Stelle (bis 1933) trat der von der Regierung ernannte Oberpräsident Adolf Maier.22 In den Landkreisen wählten die Kreistage, in den Stadtkreisen die Stadt21 Heinz Habedank/Ingo Materna [Leiter eines Autorenkollektivs], Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung, Bd. 2:1917 bis 1945, Berlin 1987, S. 108. 22 Dr. Adolf Maier (1871-1963) wird in einer Aufstellung des Innenministeriums 1929 zur DVP, an anderer Stelle zur DDP gehörig bezeichnet, vgl. Horst Möller, Die preußischen Oberpräsidenten der Weimarer Republik als Verwaltungselite, in: Die preußischen Oberpräsidenten 1815 bis 1945 (= Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte, hrsg. von Klaus Schwabe), Boppard am Rhein 1985, S. 198, Anm. 35.
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Provinz im Freistaat Preußen
Kommunale Verwaltung 6 in der Provinz Brandenburg
Staatliche Verwaltung
Staatsregierung Jg""" "T
Mdl
"
Ministerien
Stadtgemeinde Stadtverordneten Vers. Magistrat Oberbürgermeister interne G l i e d e r u n g in 20 Bezirke 1 mit Bezirksverordneten Vers. Bezirksamt Bezirks-Bürgermeister
Provinzlalverband Polizeipräsident Berlin 2
Oberpräsident 3
Regierungspräsident 4
Landrat 5
1 Bezirke ohne eigene Rechtspersönlichkeit 2 Ortspolizei ansonsten in den Städten v o m Bürgermeister, in den Landgemeinden v o n einem besonderen Amtsvorsteher gehandhabt. 3 Oberpräsident der Provinz Brandenburg und von Berlin (in Personalunion) 4 J e für die beiden Regierungsbezirke Frankfurt/Oder und Potsdam 5 Landrat in Personalunion Organ der Staatsregierung und Leiter der Kreiskommunalverwaltung (Vorsitz in Kreistag und Kreisausschuß) 6 O h n e die (1927 aufgelösten) G u t s b e z i i k e 7 Im Bereich der Provinz 31 Landkreise und 10 Stadtkreise (kreisfreie Städte)
Prov. Landtag Prov. A u s s c h u ß Landesdirektor
A
Landkreis 7
Stadtkreis
Kreistag Kr. AusschuB Landrat
StVVers. Magistrat Oberbürgermeister
Landgemeinde
Stadt
Gemeinde Vertretung und Vorsteher
StVVers. Magistrat Bürgermeister
Der Verwaltungsdualismus in Brandenburg 1920 bis 1930/33 (nach Christian Engeli)
verordnetenversammlungen - also indirekt - die 146 Abgeordneten des Provinziallandtages, der am 22. Februar 1920 in neuer Zusammensetzung tagte. Die soziale Zusammensetzung änderte sich zunächst nur unwesentlich. Politisch standen 30 Abgeordneten der DNVP und 37 anderer rechtsbürgerlicher Parteien 17 Abgeordnete der DDP, 47 SPD- und 15 USPD-Abgeordnete gegenüber. 23 Dieses Verhältnis zwischen den politischen Parteien entsprach nicht den tatsächlichen Machtverhältnissen in der Provinz, sondern resultierte aus den indirekten Wahlen. Der Landtag tagte jährlich zusammenhängend durchschnittlich ein bis zwei Wochen. Nach der Verkündung der Preußischen Verfassung am 30. November 1920 galt auch für den Provinziallandtag das direkte Wahlrecht. Das führte zu einer Veränderung seiner politischen und sozialen Zusammensetzung. Die Zahl der Abgeordneten ging nach der Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin auf 92 zurück, dann - entsprechend der Zunahme der Bevölkerung von 1925 bis 1933 um 134 000 = 5,2 Prozent-wuchs die Zahl der Abgeordneten auf97 (96). Der Landtag bestimmte den Provinzialausschuß mit neun Mitgliedern als ausführenden Arbeitsausschuß und
23 Berliner Tageblatt, Nr. 98 v. 23. Februar 1920.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
dem ehemaligen königlichen Kammerherrn und Landrat a. D. Max Berndt von Saldern sowie dem weiterhin amtierenden Landesdirektor Joachim von Winterfeldt (bis 1930, dann Hugo Swart) an der Spitze. Der Provinzialausschuß tagte etwa zehn- bis fünfzehnmal im Jahr. Der Provinziallandtag entsandte in den Preußischen Staatsrat fünf Abgeordnete. In der Arbeitsweise, Zusammensetzung und Aufgabenstellung der Provinzialbehörden änderte sich wenig. 1923 entstand ein Landesarbeitsamt. Neue Arbeitsgebiete der Provinzialverwaltung ergaben sich aus der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge. An der Spitze der beiden Regierungsbezirke wirkten ebenfalls von der Staatsregierung bestimmte Regierungspräsidenten mit einem beschlußfassenden Bezirksausschuß zur Seite. Diese Bezirksausschüsse (für die Regierungsbezirke Frankfurt an der Oder und Potsdam) bestanden aus je zwei vom Staatsministerium auf Lebenszeit ernannten und vier vom Provinzialausschuß auf sechs Jahre gewählten Personen. Der Behördenapparat, der dem Regierungspräsidenten 24 zur Verfügung stand, war weit stärker ausgebaut als der beim aufsichtführenden Oberpräsidenten. In den 31 Landkreisen der Provinz wurden nach dem gleichen und direkten, geheimen Wahlrecht von allen Bürgern über 20 Jahre die Kreistage auf vier Jahre als parlamentarisches Organ der Kreisselbstverwaltung gewählt. Den Vorsitz führte der Landrat. Seine Beschlüsse gab er an den Kreisausschuß, der neben dem vom Kreistag vorgeschlagenen und vom Staatsministerium ernannten Landrat stand und von diesem geleitet wurde. Die Ausführung oblag im Landratsamt dem Landrat, dessen Stellvertreter und insbesondere dem Kreissekretär. In den zehn kreisfreien Städten (zu den bestehenden Stadtkreisen kamen 1922 Wittenberge und 1925 Rathenow hinzu, als diese Städte mehr als 25 000 Einwohner zählten) arbeiteten entsprechend die Stadtverordnetenversammlungen, die die Oberbürgermeister bzw. Bürgermeister wählten bzw. vorschlugen, die Stadtausschüsse und Magistrate. Mehrere Landräte und Oberbürgermeister blieben im Amt, sie stehen für konservative Kontinuität vom Kaiserreich zur Republik. Zugleich traten aufrechte bürgerliche Demokraten und Sozialdemokraten in größerer Zahl in die Parlamente und Verwaltungen in den verschiedenen Ebenen ein: Franz Schlemminger als Landrat im Kreis Niederbarnim (1920 bis 1933), Willy Giese (1921 bis 1926) und Wilhelm Siering (1926 bis 1932) als Landräte im Kreis Osthavelland sowie Walther Ausländer (1920 bis 1926) und Ernst Fresdorf (1927 bis 1933) als Oberbürgermeister in Brandenburg, Paul Szillat in Rathenow, der Gubener Stadtrat Ernst Hänchen als Präsident des Provinziallandtages. Ein Resultat der politisch-ökonomischen Entwicklung und letztlich der Revolution war die Bildung der Stadtgemeinde Berlin. Die Preußische Landesversammlung beschloß mit 165 Stimmen der SPD, USPD und Teilen der DDP gegen 148 Stimmen der DNVP, DVP, Zentrum und Teilen der DDP25 mit Wirkung vom 1. Oktober 24 Vgl. die Übersichten in: Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte, Reihe A, hrsg. von Walther Hubatsch 1815-1945, Bd. 5: Brandenburg, bearb. von Werner Vogel, Marburg 1975. 25 Vgl. Olaf Hampe, Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften 41 (1992) 6, S. 13.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
1920 die nunmehr sechs inneren Berliner Stadtbezirke mit den brandenburgischen Städten Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf sowie mit 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken zusammenzuschließen. Auf die Provinz bezogen gingen zwei Prozent des Territoriums mit etwa 44 Prozent der Bevölkerung an Berlin. Die Bevölkerungsdichte der Provinz reduzierte sich damit von bisher 109 auf jetzt 63 Einwohner pro Quadratkilometer. Die Siedlungsdichte konnte nunmehr nur noch als dünn, bis dahin mittelmäßig, bezeichnet werden. Vor allem aber mußten die Berliner Umlandkreise Teltow, Niederbarnim und Osthavelland ihre einkommensstärksten Gemeinden an die neue Stadtgemeinde abtreten, was enorme Steuerausfälle zur Folge hatte.26 Die um Berlin angesiedelten Industrien lagen jetzt zum großen Teil im Stadtgebiet. Die Provinz Brandenburg war damit eindeutiger als zuvor ländlich und landwirtschaftlich geprägt.. Die größten Städte waren jetzt die Sitze der Regierungspräsidenten Potsdam mit 65 000 und Frankfurt an der Oder mit 70 000 Einwohnern. Der Regierungsbezirk Frankfurt, ohnehin in einer strukturschwachen Lage, geriet durch die territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages zudem in die Situation eines Grenzbezirks. Brandenburg mußte 0,05 Quadratkilometer (im Kreis Friedeberg) an Polen abtreten. Nachdem die preußische Staatsregierung im Oktober 1919 Restgebiete der ehemaligen Provinzen Posen und Westpreußen an Brandenburg, Pommern und Ostpreußen angegliedert hatte, drängten nationalistisch-konservative Kreise auf Änderung. 1922 bildete die preußische Regierung aus einem etwa 40 Kilometer breiten Grenzstreifen zu Polen mit rund 330 000 Einwohnern die Grenzmark Posen-Westpreußen. Brandenburg verlor 760 Quadratkilometer. Diese Provinz (existent bis 1938) sollte wie die gleichzeitig konstituierte Provinz Oberschlesien offensichtlich den Revisionsanspruch gegen die in Versailles festgelegte deutsch-polnische Grenze manifestieren. Oberpräsident Maier nannte sie ein Bollwerk des Deutschtums
gegen den
Osten.21
1925 umfaßte die Provinz Brandenburg rund 39 000 Quadratkilometer, auf denen 2,59 Millionen Einwohner in einunddreißig Land- und zehn Stadtkreisen lebten. Den Regierungsbezirk Potsdam bildeten 19 835 Quadratkilometer mit siebzig Städten, davon zwölf mit über 10 000 Einwohnern, 1418 Landgemeinden, die in neunzehn Kreise - davon fünf Stadtkreise - und 899 Gutsbezirke eingeteilt waren. Der Regierungsbezirk Frankfurt war mit 19 200 Quadratkilometer fast gleich groß, zählte fünfundsechzig Städte, von denen dreizehn über 10 000 Einwohner hatten, sowie 1 611 Landgemeinden in zweiundzwanzig Kreisen - darunter fünf Stadtkreise - sowie 943 Gutsbezirke. Die Sonderstellung der selbständigen Gutsbezirke hob in Preußen erst ein Gesetz von 1927 auf. Danach erfolgte die administrative Eingliederung in die umliegenden Gemeinden. Die Mehrheit der Bevölkerung lebte auf dem Lande. 45 Prozent der Bürger wohnten in kleinen Gemeinden unter 2 000 Einwohner. 26 Vgl. Felix Escher, Berlin und sein Umland, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der HumboldtUniversität zu Berlin. Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften 41 (1992) 6, S. 104. 27 Vgl. Ingo Materna, Die Provinz Brandenburg und die Hauptstadt Berlin während der Weimarer Republik, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Reihe Geistes- und Sozialwissenschaften 41 (1992) 6, S. 112-115.
Provinz im Freistaat Preußen
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Von den 1 375 000 Erwerbstätigen waren 41 Prozent (564 000) in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. 35,3 Prozent (486 000) arbeiteten in Industrie und Handwerk, 12,7 Prozent (174 000) in Handel und Verkehr. 60 000 Menschen (vier Prozent) waren in der Verwaltung tätig, und 21 000 (zwei Prozent) arbeiteten in der Gesundheits- und Wohlfahrtspflege. 70 000 Erwerbstätige (fünfProzent) sindin der Statistik unter »übrige Dienste«, z.B. Dienstboten, oder »ohne Angabe« registriert. Diese knappe Übersicht unterstreicht den überwiegend ländlichen Charakter der Provinz. Die Ausgliederung Berlins aus der Provinz hatte für deren Verwaltung geringe Auswirkungen. Ein Teil der Beamten ging in den Berliner Magistrat über. Der Provinziallandtag setzte sich nach der am 20. Februar 1921 erstmals direkt erfolgten Neuwahl aus 92 Abgeordneten, je 46 pro Regierungsbezirk, zusammen. Der Provinzialausschuß vergrößerte sich von neun auf dreizehn Mitglieder, seinen Vorsitz übernahm der ehemalige Berliner Polizeipräsident Heinrich von Oppen. Der Ausschuß bildete 1922 eine Abteilung zur Verwaltung der Provinzfinanzen, die sich aus dem Zuschlag auf das Steuersoll aller Stadt- und Landkreise zusammensetzten. Über die Höhe des Zuschlags gab es ständige Auseinandersetzungen mit Staat und Reich. Stets befand sich die Provinz in Finanzschwierigkeiten, sie erreichten in der Periode der Weltwirtschaftskrise einen Höhepunkt. Die Steuereinnahmen blieben hinter dem Ansatz zurück, die Ausgaben mußten um 20 Prozent reduziert werden. Im übrigen blieb die Provinz mit der Hauptstadt eng verbunden. Aus den Randgebieten pendelten weiterhin zahlreiche Arbeitskräfte in die Stadt. Mit der Elektrifizierung und dem Ausbau der Vorortbahnen nach Bernau, Oranienburg, Velten, Falkensee, Nauen, Zossen, Rangsdorf, Königs Wusterhausen und Erkner nahm diese latente Bewegung weiter zu, wie umgekehrt die Aussiedlung von Berlinern in die Randgebiete wuchs. Die Provinz war nicht nur für Entsorgung und Entwässerung der Stadt oder für die Erholung und Versorgung der Bürger unentbehrlich, die Stadt förderte ihrerseits den Obst- und Gemüseanbau in Stadtnähe, Gärtnereien und Pächter auf Ödländereien und Rieselfeldern. Ende der zwanziger Jahre stammten 42 Prozent der nach Berlin eingeführten Güter aus dem Brandenburgischen, 48 Prozent der Berliner Ausfuhr ging in die Provinz. 35 Prozent des in Berlin verbrauchten Getreides, 76 Prozent der Milch, 350 000 der jährlich benötigten 550 000 Tonnen Kartoffeln sowie 20 Prozent des in der Stadt verzehrten Fleisches produzierte die brandenburgische Landwirtschaft. Von den aus der Provinz nach Berlin gelieferten Roh- und Brennstoffen gewann die Lausitzer Braunkohle zunehmend Bedeutung. So wirkte das Verhältnis Berlin - Umland wechselseitig, fördernd und partiell ökologisch negativ auf die Entwicklung der Wirtschaft, auf die Produktivkraftentwicklung und die Landeskultur ein.28 Ende der zwanziger Jahre begann man neu und intensiver über die weitere Landesplanung nachzudenken, ohne jedoch Berlin hinzuzuziehen; aber alles blieb im Stadium der Überlegung und unverbindlicher Planung. 29 28 Ebda. 29 Vgl. Christian Engeli, Landesplanung in Berlin-Brandenburg. Eine Untersuchung zur Geschichte des Landesplanungsverbandes Brandenburg-Mitte 1929-1936, Stuttgart 1986.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
1932 kam eine Verwaltungsreform zustande. 30 Der Oberpräsident sollte auf seine alte Funktion als Kommissar der Zentrale zurückgeführt werden, das suchte man durch seine Ausschaltung als Beschwerdeinstanz zu erreichen. Doch da man gleichzeitig das Provinzialschulkollegium in eine dem Oberpräsidenten direkt unterstehende Schulabteilung umwandelte, verstärkte sich seine Funktion als Zwischeninstanz neuerlich.
Politik in der republikanischen Provinz Die Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920 und die Wahlen zum preußischen und Provinziallandtag am 20. Februar 1921 verfestigten die durch die Revolution in Gang gesetzten politischen Veränderungen in der Provinz. Erst damit setzten sich hier die neuen parlamentarisch-demokratischen Regierungsformen durch; die Reichsverfassung hatte zwar die Zentralgewalt gestärkt, das bundesstaatliche Prinzip jedoch eingeschränkt beibehalten. So war die politische Entwicklung der Provinz untrennbar mit Reichs- und preußischer Staatspolitik verknüpft, wies aber spezifische Züge auf. Von den Arbeiterkämpfen um die Verteidigung und Erweiterung der in der Revolution errungenen Rechte, die in Berlin ihr Zentrum hatten, fanden der Metallarbeiterstreik vom 18. September bis zum 11. November 1919 um Lohnfragen und die Massenbewegung um die Rechte der Betriebsräte Anfang 1920 in der Provinz ein lebhaftes Echo. Nach dem Blutbad, das die Sicherheitswehr unter dem Kommando des Generals Walther von Lüttwitz am 13. Januar 1920 vor dem Reichstag in Berlin anrichtete - 42 Tote und 105 Verletzte - übernahm Reichswehrminister Gustav Noske die vollziehende Gewalt für Berlin und die Provinz Brandenburg. Hier bereiteten indessen erzkonservative Kräfte aus Großgrundbesitz, Militär und Großkapital die Verschwörung gegen die Republik vor. In Garnisonen und Militärlagern, auf Gütern und in Institutionen wie der Eberswalder Forstakademie sammelten sich Militärs, Freikorps, Zeitfreiwillige und Einwohnerwehren. Die Marinebrigade Ehrhardt war von Oktober 1919 bis Januar 1920 im Raum Angermünde, OderbergFreienwalde stationiert. Die Güter Lichterfelde (von Oldenburg-Januschau), Zehlendorf (Neußler), Schenkendorf und andere beherbergten Söldner und Waffen. Das Militärlager Döberitz war Zentrum und Ausgangspunkt des Putsches am 12./13. März 1920. Einer der Führer der Putschisten, der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, wohnte neben dem Landeshaus der Provinz Brandenburg in der Berliner Matthäikirchstraße in einer Dienstwohnung der Provinz. Der Landesdirektor Joachim von Winterfeldt-Menkin (DNVP) kannte Kapp und auch den Putsch-General Erich Ludendorff; Winterfeldt fand in seiner Berliner Wohnung ein wahres Heerlager der Kapp-Regierung31, ihn bezeichnete der sozialdemokratische »Vorwärts« sogar als Minister der auswärtigen Angelegenheiten der Putschistenregierung, aber angeblich wußte er von nichts und blieb weiter (bis 1930) im Amt. Ähnlich wie Winterfeldt verhielten sich auch andere Staatsbeamte. 30 Vgl. Preußische Gesetzsammlung 1932, S. 283-293. 31 Winterfeldt, Jahreszeiten des Lebens, S. 252, 256.
Politik in der republikanischen Provinz
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Der Putsch scheiterte schon am 17. März infolge eines Generalstreiks und gemeinsamer Aktionen von etwa zwölf Millionen Bürgern. Im Brandenburgischen bildeten Arbeiter in Stadt und Land das Rückgrat der Streikfront. Sie formierten trotz der tiefen parteipolitischen Spaltung - einheitliche Streikleitungen, Aktionsausschüsse, reorganisierten ihre Räte; hier und dort formierten sich Kampfgruppen und Arbeiterwehren. Einheitliches, gemeinsames entschlossenes Handeln breitester Volksschichten verjagte die Putschisten und rettete die junge Republik. Zentren der Abwehrkämpfe waren neben Berlin die Stadt Brandenburg, das Finowtal und Eberswalde, Fürstenwalde, Potsdam, Hennigsdorf, das Senftenberger Revier, Cottbus und größere Gebiete der Niederlausitz, wo - wie auch andernorts Industrie- und Landarbeiter gemeinsam gegen die Putschisten agierten. 32 Nach offiziellem Abbruch des Generalstreiks versuchten Arbeiter an mehreren Orten die Auflösung der Putschgruppierungen und die Einsetzung einer Arbeiterregierung durchzusetzen. Die Reichsregierung unterdrückte diese Bestrebungen durch Verhandlungen und Versprechungen, so in Brandenburg, dann aber durch Verlängerung des Belagerungszustandes und mit Gewalt. Am 21. März verhängte die Regierung über Berlin und die Provinz den verschärften Belagerungszustand. Sie scheute nicht vor dem Einsatz von Truppen zurück, die gerade geputscht hatten, unter anderem die Marine-Brigade Ehrhardt. In Brandenburg hinterließ der Einsatz der »Baltikumer« am 17. März fünfzehn Tote und über 75 Schwerverletzte. In Hennigsdorf gab es nach Beschießung durch Artillerie und Infanteriewaffen der »Rurländischen Brigade« am 22. März fünfzehn Tote, einige Arbeiter wurden »standrechtlich« erschossen. Mit Haussuchungen und Plünderungen terrorisierte die Soldateska die Bevölkerung. In Cottbus fielen elf Zivilisten dem bewaffneten Vorgehen der Reichswehr zum Opfer. Die neuformierte Reichsregierung und die preußische Regierung mit Ministerpräsident Otto Braun (SPD) entließen nach dem Putsch einige besonders kompromittierte Politiker. So wurde der Potsdamer Militärkommandant Generalmajor von der Hardt abgelöst, nachdem er zunächst die Putschisten unterstützt, dann zum »Kampf gegen den Bolschewismus« aufgerufen und die Arbeiterschaft in Nowawes unterdrückt hatte. Der von SPD/USPD gestellte Mißtrauensantrag im Potsdamer Stadtparlament gegen Oberbürgermeister Vosberg, der mit Kapp sympathisiert hatte, fand keine Mehrheit. 33 Der Landrat des Kreises Königsberg, Walther von Keudell, wurde seines Amtes enthoben, da er verboten hatte, die Aufrufe der Regierung Bauer zu veröffentlichen und einem Bürgermeister, der die Plakate Kapps nicht aushängen wollte, Strafe angedroht hatte. 34 Die Republik und Demokratie gefährdenden Kräfte konnten zurückgedrängt, jedoch politisch nicht ausgeschaltet werden.
32 Vgl. Kurt Finker, Die Niederschlagung des Kapp-Putsches im damaligen Regierungsbezirk Potsdam. Ein Beitrag zur örtlichen Arbeiterbewegung, Potsdam 1961; Reinhold Kruppa, Die Niederlausitz griff zur Waffe. Die Abwehr des Kapp-Putsches in der Niederlausitz, Berlin 1957. 33 Vgl. Harald Müller, Zur Geschichte der Stadt Potsdam von 1918 bis 1933 (= Veröffentlichungen des Bezirksheimatmuseums Potsdam, Heft 20), Potsdam 1970, S. 20-22. 34 Vorwärts, Nr. 60 v. 5. Februar 1927.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
In der Arbeiterbewegung verstärkte sich die Linksorientierung. Die KPD Brandenburgs beschloß am 1. April, künftig an Wahlen teilzunehmen, in den Provinzund Gemeindevertretungen zu arbeiten sowie eine Zentrale für Kleinbauern- und Landarbeiterpropaganda zu bilden. Nach langer faktischer Illegalität wuchs die KPD in der Provinz Brandenburg vom April 1920 mit 17 Ortsgruppen auf über 50 im September. Die Landräte berichteten von der Ausweitung des USPD- und KPD-Einflusses. Der Regierungspräsident von Potsdam, Frank Schleusener, schrieb aber beruhigend an den Oberpräsidenten am 1. Juni 1920, USPD und KPD fehle es an finanziellen Mitteln zu größeren Unternehmungen35. Sie näherten sich jedoch nach gemeinsamen Aktionen gegen den Kapp-Putsch weiter an. Der linke Flügel der USPD vereinigte sich mit der KPD Ende 1920, die sich als Vereinigte Kommunistische Partei (VKPD) in der Provinz als Bezirksverband Berlin-Brandenburg organisierte. Die SPD blieb die einflußreichste Partei in der Provinz, auch nachdem sie bei den Reichstagswahlen am 6. Juni 1920 viele Stimmen (und die Reichs-Regierungsführung) einbüßte. Gemeinsam wandten sich alle Arbeiterparteien und die Gewerkschaften gegen die Interventionskriege gegen Sowjetrußland, allerdings nur eine kurzzeitige Episode in der fortdauernden prinzipiellen Gegnerschaft zwischen SPD, USPD und KPD. Die dominierende Stellung der SPD brachten die Wahlen Anfang 1921 neuerlich zum Ausdruck. Bei den Provinziallandtagswahlen am 20. Februar 1921 erreichten die Parteien folgende Ergebnisse: 36 Partei
Stimmen
Sitze
Bürgerliche Fraktion
557 693
SPD USPD DDP VKPD
478 94 81 49
45 (Bürgerliche Vereinigung 15, DNVP 16, DVP 10 und andere 4) 29 8 6 4
513 022 603 772
Bedrohlich wuchsen die Rechtsparteien in den Landkreisen, wo sie massive Unterstützung durch den von Großgrundbesitzern und Großbauern beherrschten Brandenburgischen Landbund erhielten. Er zählte Anfang 1922 in Brandenburg fast 96 000 Mitglieder und gewann durch hemmungslose demagogische Propaganda gegen die »Zwangswirtschaft«, die »Sozialisierung« und den »jüdisch-marxistischen Klassenkampf« unter der bäuerlichen Bevölkerung starken Einfluß. Dennoch verfügten die SPD, USPD, DDP und KPD gegenüber der »Bürgerlichen Vereinigung«, das heißt tatsächlich konservativen Parteien, eine Mehrheit von zwei Sitzen. Sie kam beispielsweise bei der Wahl der brandenburgischen Mitglieder des Preußi35 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2 A, Regierung Potsdam, Abt. 1, Bd. VI 1920-1922, Bl. 61. 36 Vgl. die Übersichten zu den Wahlen des Brandenburgischen Provinziallandtages, in: Kristina Hübener, Zur Kommunalpolitik der KPD und deren Verwirklichung im Brandenburgischen Provinziallandtag und in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung (1919 bis 1933), Phil. Diss. Α, PH Potsdam 1987, S. 217-219.
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sehen Staatsrates (drei Mitglieder der SPD/USPD und zwei der Bürgerlichen Vereinigung), bei der Wahl des SPD-Stadtrats Hänchen aus Guben zum Vorsitzenden des Provinzial-Landtages oder auch im Beschluß, das Raiserbild aus dem Sitzungssaal zu entfernen, zum Tragen. Allerdings gelang es nicht, in wichtigen Fragen wie der Landwirtschafts- und Steuerpolitik, der Lage der etwa 25 000 polnischen Arbeiter und der deutschen Landarbeiter gemeinsame Positionen der Mitte-Links-Parteien zu schaffen. Aus grundsätzlicher Opposition gegen den Weimarer Staat lehnten die USPD- und KPD-Abgeordneten stets den Jahresetat ab. 1922 Schloß sich die USPDFraktion der SPD an, die damit 37 Abgeordnete zählte. Die SPD trug als »Etat-Partei« und Koalitionspartner bürgerlich-liberaler Parteien Verantwortung. Gegen die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Lande, insbesondere den Gütern, streikten über 1 700 Landarbeiter und 400 Schnitter im Kreis Ruppin vom 10. bis 25. April 1922. Die Auswirkungen der Inflation trafen neben den Arbeitnehmern in Stadt und Land die Rentner und Pensionäre, die ihre Ersparnisse verloren, die Handwerker und Händler, die ihre Existenz einbüßten, und die Erwerbslosen, die in Hunger und Elend verkamen. Die sich 1923 durch die Ruhrbesetzung verschärfende politische und ökonomische Situation nutzten monarchistisch-militante und bald auch faschistische Kreise für ihre extrem nationalistische, antidemokratische und republikfeindliche Propaganda. Zentrum solcher Veranstaltungen war Potsdam, wo unter schwarzweiß-roten Fahnen und »Heil Dir im Siegerkranz« Geburtstage von Kaiser und Kronprinz, Ulanen-, Artilleristen- und Husarentage sowie Feldgottesdienste gefeiert wurden, an denen der Feldmarschall Paul von Hindenburg und KaiserlichKönigliche Prominenz teilnahmen. 1922 existierten in der Prignitz Reit- und Fahrvereine als militaristische Organisationen. Unter dem Deckmantel eines Heimatbundes »Brandenburg und Restkreise Pommerns« setzte sich die 1921 aufgelöste Bürgerkriegs-Organisation Escherich fort, die sich antikommunistisch gab und angeblich nicht republikfeindlich war. Ende 1922 hatte sich in Potsdam eine Ortsgruppe der Groß-Deutschen-Arbeiterpartei gebildet, und eine Gruppe der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei formierte sich. Militaristische Verbände wie »Stahlhelm Bund der Frontsoldaten« ergingen sich - oft im Zusammenwirken mit der Reichswehr - in chauvinistischer und antisemitischer Hetze, betrieben geistige und materielle Aufrüstung und schreckten selbst vor Mordtaten nicht zurück. Ein Höhepunkt antidemokratischer, militaristischer Umtriebe war der Putschversuch von Einheiten der illegalen »Schwarzen Reichswehr« unter dem Kommando des Majors Bruno Buchrucker am 1. Oktober 1923 in Küstrin. Um diese Zeit waren von 360 in Frankfurt an der Oder bekannten Vereinen etwa fünfzig antirepublikanisch und extrem nationalistisch orientiert. Arbeiter und bürgerliche Demokraten, eine »Liga junge Republik«, Sozialdemokraten und Kommunisten organisierten Gegendemonstrationen zur »Tannenbergfeier« (28. August) und zum »Sedantag« (2. September), den Massenprotest gegen die Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau am 24. Juni 1922, gegen den »Geist von Potsdam« und den aufkeimenden Faschismus, unter der Losung »Fort mit dem Hakenkreuz«. Gegen Wucher und Hunger entstanden proletarische Kontrollausschüsse, häufig gemeinsam von den Arbeiterparteien und den Gewerkschaften getragen. Mit Streiks, so Tischler und Metallarbeiter in Perleberg
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Brandenburg in der Weimarer Republik
Ende Mai/Anfang Juni 1923, etwa gleichzeitig in über 50 Brandenburger Betrieben, mit Teuerungs- und Lebensmittelunruhen in Nowawes Anfang Juli und Ende Juli/Anfang August in Neuruppin wehrten sich Adele Werktätige gegen die wachsende Verelendung. Höhepunkt bildete der Generalstreik vom 13. August 1923, der die großbürgerliche Katastrophenregierung Cuno zum Rücktritt zwang. Streiks, Unruhen, Krawalle und Demonstrationen hielten bis zum Spätherbst an, als Reichsregierung und Reichspräsident mit militärischer Gewalt, Ermächtigungsgesetz, Verbot der KPD und Stabilisierung der Mark der politischen und ökonomischen Krise der Republik, die von links- und rechtsextremen Kreisen für Umsturzversuche genutzt wurde, ein Ende bereiteten. Mit der 1924 einsetzenden ökonomischen Stabilisierung des Kapitalismus war ein deutliches Anwachsen der rechten politischen Kräfte verbunden. Bei den Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 gewann die DNVP in der Provinz fast 40 Prozent der Stimmen; rechnet man die über acht Prozent der DVP und die mehr als viereinhalb Prozent der faschistischen Deutsch-Völkischen Freiheitspartei hinzu, so erhielten die antirepublikanischen Parteien über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die SPD lag mit 21,45 Prozent auf Platz zwei, jedoch deutlich zurück. Mit fast zehn Prozent konnte die KPD - mit Abstand - zur drittstärksten Partei aufrücken. Der Brandenburgische Landbund organisierte nach dem 10. August »Notkundgebungen« der brandenburgischen Landwirtschaft, die sich in einer latenten Krise befand. Landwirte forderten Schutzzölle für ihre Produkte, Erleichterungen bei der Grund- und Hauszinssteuer, Kredite zu mäßigen Bedingungen. Der angeblich drohende Zusammenbruch des Nährstandes wurde von rechtsextremen Großgrundbesitzerkreisen auf eine sozialistisch-jüdische Mißwirtschaft zurückgeführt. Für die neuerliche Wahl des Reichstages am 7. Dezember 1924 gab der Brandenburgische Landbund die Parole aus: Gegen links- für die große Rechte.51 Trotz geringer Verschiebungen der Stimmenverhältnisse bei der Rechten zugunsten der DVP (über zehn Prozent) und bei den Arbeiterparteien zugunsten der SPD (über 30 Prozent der Stimmen), bei Rückgang der KPD unter sieben Prozent, blieb das Gesamtkräfteverhältnis unverändert. Angesichts dieser Lage, die sich mit der Wahl des Generalfeldmarschalls von Hindenburg zum Reichspräsidenten, militärischen Aufmärschen, nationalistischen »Deutschen Tagen« und Überfällen auf Arbeiter - so der in Teltow am 7. Juni 1925 - noch weiter verschärfte, schlug die KPD-Bezirksleitung Berlin-Brandenburg (Ernst Torgier) dem Bezirksverband der SPD für die Wahlen zu den Kreistagen und zum Provinziallandtag am 29. November 1925 eine Listenverbindung vor. Die Bürgerblockmehrheit sollte gebrochen und eine Mehrheitsbildung SPD-KPD zur Verwirklichung dringlicher Arbeiterforderungen gegen monarchistische, faschistische und reaktionäre Verbände ermöglicht werden. Da die Vorschläge von der KPD veröffentlicht wurden und mit Vorwürfen gegen die sozialdemokratische Koalitionspolitik befrachtet waren, sah die SPD in ihnen zu Recht ein unehrliches Angebot zu rein propagandistischem Zweck.™ Die Wahlen zum Provinziallandtag ergaben nachstehendes Ergebnis: 37 Der Brandenburgische Landbund, 6.Jg., Nr. 45,1. November 1924. 38 Die Rote Fahne, Nr. 260 v. 10. November 1925; Nr.263 v. 13. November 1925.
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Partei
Stimmen
Abgeordnete
Bürgerliche Vereinigung
459 468
SPD KPD
298 539 74 987
50 (darunter DNVP -28, DVP -8, Deutsch-Völkische 3) 32 9 (1 KPD-Abgeordneter wechselte während der Wahlperiode zur SPD; 2 Abgeordnete wurden 1928 wegen Übergang zur KP-Opposition ausgeschlossen) 4 2
DDP Zentrum
32 647 10 315
Gegenüber den letzten Wahlen (20. Februar 1921) verloren außer der KPD alle Parteien Stimmen, besonders viele die die Republik tragenden Sozialdemokraten (Rückgang um fast 180 000 Stimmen) und die DDP (fast 49 000 Stimmen). Der rechte Block errang die Mehrheit der 97 Abgeordnetensitze, man zählte 17 Adlige und 14 Rittergutsbesitzer als Volksvertreter«, der Potsdamer Oberbürgermeister Arno Rauscher (DNVP) übernahm die Präsidentschaft des Landtages. Die Rechte entsandte drei der fünf Vertreter in den Preußischen Staatsrat und erreichte auch in den meisten Kreistagen Zuwachs. In der ersten Sitzung des 56. Provinziallandtages, am 11. Januar 1926, beantragte die KPD-Fraktion, gegen die geplante Abfindung der Hohenzollern bei der Reichsund Staatsregierung zu protestieren. Tfrotz der Ablehnung des Antrages mit 47 gegen 44 Stimmen der KPD, SPD, DDP durch den Rechtsblock, betrieben KPD, SPD und Demokraten im ersten Halbjahr 1926 im Rahmen des Volksbegehrens und Volksentscheides gegen die Fürstenabfindung eine gemeinsame intensive Aufklärungsarbeit über die historische Schuld und die reaktionäre Rolle der gekrönten Häupter und ihrer Anhänger, insbesondere die Großgrundbesitzer. Diese erklärten den Gesetzesentwurf zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten als Verfassungs- und Rechtsbruch. Kein Bürger und Bauer sei danach seines Eigentums noch sicher. Den Aufruf unterzeichneten Politiker der DNVP, DVP, der »Deutschvölkischen Freiheitsbewegung«, des »Nationalliberalen Provinzialverbandes«, des »Landbundes«, »Stahlhelm-Wehrwolfs«, »Jungdeutschen Ordens«, »Deutschen Frauenbundes«, der »Vereinigten Vaterländischen Verbände«.39 Gegen die progressiven Kampagnen inszenierte der Landbund vom 14. bis 17. Mai 1926 Gegenkundgebungen, bei denen unter schwarzen Fahnen etwa 50 000 Bauern gegen die Steuer-, Preis-, Zins- und Kreditpolitik der Regierung demonstrierten. Rittergutsbesitzer und Großagrarier sprachen über »die Not der Landwirtschaft«, hetzten gegen die »Judenrepublik« und betrieben primitive Bauernfängerei. Die Ergebnisse des Volksentscheids »Enteignung der Fürstenvermögen« am 20. Juni 39 Vgl. Dokumente und Materialien zu den sozialen und politischen Verhältnissen in der Provinz Brandenburg von 1924 bis 1929 (künftig zitiert: Dokumente und Materialien 1924 bis 1929), ausgewählt und eingeleitet von Rudolf Knaack und Wolfgang Schlicker, Potsdam 1975, S. 295.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
1926 fielen sehr unterschiedlich aus.40 Im Stimmkreis 4 (Potsdam I), der Teile der Stadt Berlin und viele Kreise des Regierungsbezirks Potsdam umschloß, stimmten über 47 Prozent der Stimmberechtigten für den Gesetzentwurf; im Berliner Verwaltungsbezirk Treptow über 73 Prozent, in Friedrichshain 71,5 Prozent. Aber in den vom Großgrundbesitz dominierten Kreisen Westprignitz waren es nur 16,6 und in Prenzlau 19,4 Prozent der Stimmberechtigten, die das Votum für diese große demokratische Aktion gaben. Im Stimmkreis 5 (Frankfurt an der Oder) waren es 28,7 Prozent der Stimmberechtigten, die »Ja« zu dem Enteignungsvorschlag sagten. Auch hier differierten die Ergebnisse zwischen den Stadt- und Landkreisen erheblich: das Maximum an Zustimmung lag bei 56,3 Prozent im Kreis Spremberg und das Minimum bei 17,9 Prozent im Kreis Arnswalde. Außerhalb des Parlaments wirkten die Wehrorganisationen der Arbeiterparteien, das sozialdemokratisch geleitete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Gau Berlin-Brandenburg, und der kommunistische Rote Frontkämpferbund (RFB) mit Aufmärschen, »Roten Tagen«, Kundgebungen und Plakatanschlägen. Demokratische und pazifistische Orgariisationen wie die Deutsche Friedensgesellschaft und bekannte linksbürgerliche Persönlichkeiten unterstützten die gemeinsame Initiative der Arbeiterparteien. Die KPD-Fraktion im Provinziallandtag stellte am 3. März 1927 erneut den Antrag, die Fürstenvermögen, die Pensionen der ehemaligen Generale und Minister einzuziehen und keinerlei Zahlungen an ehemalige Fürsten und
Standesherren
zu leistend Der Antrag fand keine Mehrheit. Nach dem Vergleich, den der preußische Staat mit den Hohenzollern am 6. Oktober 1926 Schloß, wurde z.B. der Park Babelsberg am 1. April 1927 öffentliches Eigentum; das Potsdamer Stadtschloß, der Marstall und die Anlagen von Sanssouci fielen an den Staat, die Wohnstätten der Prinzen und das Gut Bornstedt blieben Hohenzollern-Besitz. Dem weiteren Vordringen militaristischer und faschistischer Organisationen (Stahlhelm und NSDAP) leisteten sozialdemokratische und kommunistische Organisationen, zumeist in getrennten Aktionen, Widerstand. Die Polizei beschränkte sich durchweg auf die Vermeidung »ernster Zusammenstöße«. So konnten etwa 1 000 Nazis am 9. und 10. Oktober 1926 in Potsdam ihren »Märkertag« mit Fackelzug, Kommers, Überfall auf das Gewerkschaftshaus und Arbeiterfunktionäre, Gottesdienst in der Garnisonkirche, Umzug und Kundgebung durchführen, und gegen die Republik hetzen, ohne daß die Staatsorgane einschritten. 42 Mitte Februar 1928 veranstalteten die »Vaterländischen Verbände« in Frankfurt (Oder) eine »Freiheitskundgebung«, auf der der Landesverbandsführer des »Stahlhelm«, Rittmeister a.D. Elhard von Morocowicz, sprach: anwesend im »schlichten Braunhemd« der SA war Prinz August Wilhelm von Preußen, ein für konservative und monarchistische Kreise signalgebendes Ereignis. TVotz guter Konjunktur drückte die Not viele Arbeitslose, nahmen das Wohnungselend in Stadt und Land und die Ausbeutung der Proletarier, insbesondere 40 Detaillierte Ergebnisse in: Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 332, Berlin 1926, S. 8-10. 41 Drucksachen des Brandenburgischen Provinziallandtages, 57. Tagung 1927, Nr. 72, in: Dokumente und Materialien 1924 bis 1929, S. 197. 42 Vgl. Müller, Zur Geschichte der Stadt Potsdam. S. 45f.
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Demonstration des Rot-Front-Kämpferbundes in Potsdam zum Antikriegstag am 1.8.1926. Die sich anschließenden Ausschreitungen nahm Bertolt Brecht zum Anlaß für sein Gedicht »Zu Potsdam unter den Eichen« (1927)
auch der Gutsarbeiter, immer schärfere Formen an. Die Provinz sei so arm an sozialen Einrichtungen, schrieb »Die Rote Fahne«, daß man nicht weiß, wohin mit den Kranken, Siechen, Krüppeln, Tuberkulösen und Greisen*5.1927 verzeichnete die Statistik in der Provinz 47 Streiks in 97 Betrieben mit insgesamt etwa 6 000 Streikenden. Die schwierige Lage von Klein- und Mittelbauern, die unter den Lasten der indirekten Steuern und Zölle, der hohen Industriepreise und der niedrigen Erzeugerpreise litten, nutzten Großagrarier politisch aus. Am 11. und 12. März 1928 demonstrierten über 110 000 Bauern unter schwarzen Fahnen in den brandenburgischen Städten; Stahlhelm und Gutsbesitzer in Uniformen und hoch zu Roß beteiligten sich. In Crossen und Kyritz stürmten Bauern die Finanzämter. Im Oktober standen dann fünfundfünfzig daran Beteiligte als Angeklagte im Kyritzer Bauernprozeß vor Gericht, dreizehn erhielten Gefängnis- und Geldstrafen. Bei den Reichstagswahlen am 20. Mai 1928 konnte die SPD ihren Stimmenanteil auf 35,2 Prozent erhöhen. Die sogenannte Brandenburgische Heimatliste, hinter der sich die DNYP mit anderen rechtsorientierten Organisationen verbarg, erzielte 30,9 Prozent. Die KPD verlor Stimmen, blieb aber mit 9,3 Prozent drittstärkste Kraft 43 Die Rote Fahne, Nr. 38 v. 14. Februar 1928.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
Der Reichsbanner-Gau-Tag in Brandenburg an der Havel am 28. Mai 1928 mit Friedrich Ebert (1894-1979), dem Sohn des Reichspräsidenten, als Führer der Ortsgruppe Brandenburg des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold
in der Provinz. Die DVP hatte 7,9 Prozent, der Block der Mitte (DDP und Zentrum) 6,4 Prozent erreicht. Für die NSDAP stimmten lediglich 18 400 Wähler (1,4 Prozent Stimmen). Damit widerspiegelte sich insgesamt auch in der Provinz das im Reich zugunsten der SPD verschobene Kräfteverhältnis. Die SPD im Bezirk Brandenburg Schloß Ende 1928 in 445 Ortsvereinen über 36 000 Mitglieder zusammen. Im Herbst 1928 versuchte die RPD den Bau des Panzerkreuzers Α durch Volksbegehren zu verhindern. Sie verband dies mit Protesten gegen den faschistischen »Märkertag« am 29. und 30. September. Da die SPD als Regierungspartei das Volksbegehren wegen ihrer Bindung in der Großen Koalition ablehnte, blieb der Aktion ein Erfolg ähnlich dem von 1926 versagt, vertiefte im Gegenteil noch die Spaltung der Arbeiterbewegung. Das war angesichts des Anwachsens der Rechtskräfte eine Demokratie und Republik gefährdende Erscheinung. Die von der Kommunistischen Internationale verbreitete These, die Sozialdemokraten seien »Sozialfaschisten«, die das imperialistische System sicherten, zerstörte alle Ansätze zum einheitlichen Handeln der Arbeiterparteien, wie sie sich beim Volksentscheid gegen die Fürstenabfindung, im Ringen um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Werktätigen, um Unterstützung für Erwerbslose und sozial Schwache herauszubilden begonnen hatte. Eine feste Streikfront bildeten die Walzwerker im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf während ihres vom 23. Januar bis zum 30. April 1929 andauernden Lohn-
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kampfes. Dieser Streik, der längste und bedeutendste in dieser Periode, wurde schließlich erfolglos durch die Leitung des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes abgebrochen. Sie trat für die »sozialfriedliche« Politik der Verhandlungen und des Ausgleichs mit den Unternehmern ein, die jedoch keine positiven Resultate brachte. Solche Positionen stärkten das Sektierertum linksorientierter Arbeiter gegenüber den Gewerkschaften. Viele Gewerkschafter wurden ausgeschlossen; sie bildeten seit Herbst 1930 eigene, »rote« Verbände, die indessen keinen Masseneinfluß erlangten und der einheitlichen Arbeiterorganisation schadeten. Verhängnisvoll wirkten die blutigen Ereignisse am 1. Mai 1929 in Berlin mit 32 Toten, die die Gegnerschaft zwischen KPD und SPD entscheidend weiter bis zur Feindschaft vertieften. Mit dem Verbot des RFB in Preußen durch die sozialdemokratisch geführte Regierung am 3. Mai wollte sie einem latent drohenden kommunistischen Putsch vorbeugen; damit büßte die Linke aber auch eine Kraft für die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen mit den Rechten und ihren terroristischen Trupps ein. Der Brandenburgische Landbund, einer der stärksten Landesverbände im Reich, erklärte Anfang 1929, nach zehnjähriger Mißwirtschaft und Sozialstaat stünde der Endkampfhoch bevor. Bald muß daher die letzte Auseinandersetzung mit dem Marxismus kommen. Es wird sich entscheiden, ob Deutschland wieder ein Ordnungsstaat werden will, oder ob es endgültig dem Bolschewismus verfallen soll.** Die erhaltenen Eigentumsverhältnisse an den entscheidenden Produktionsmitteln in Stadt und Land, die Fortexistenz altpreußischer Strukturen und des alten Machtapparates mit deutsch-nationalen Beamten konservativ-monarchistischer Gesinnung und die lediglich partielle Einführung und Durchsetzung bürgerlichparlamentarischer Reformen begründeten die Feststellung der sozialdemokratischen Märkischen Volksstimme 1927: Brandenburg ist die reaktionärste Provinz Preußens.*5
Brandenburgs Wirtschaft zwischen Krieg und Krise Der Krieg hatte alle Zweige der Volkswirtschaft zutiefst erschüttert, und unter äußerst komplizierten Bedingungen vollzog sich der Übergang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft. Die harten Bestimmungen des Versailler Vertrages mit dem Verlust von land- und forstwirtschaftlichen Überschußgebieten und Rohstofflagerstätten, der abrupte Wegfall der Kriegsaufträge und die gleichzeitige Rückkehr zehntausender Arbeitskräfte aus dem Kriegsdienst, der Fortbestand der alliierten Blockade bis Mitte 1919, das zerrüttete Verkehrs- und Kommunikationswesen, der Verlust bedeutender Außenhandelsbeziehungen, die galoppierende Geldentwertung und die völlig ausgezehrte Arbeiterschaft - das war der Rahmen, in dem die Provinz Brandenburg im ersten Jahr der Republik stand. Die Landwirtschaft hatte allerdings als Nahrungsmittel- und Rohstoffproduzent im gesellschaftlichen Bewußtsein immens an Ansehen gewonnen. Großgrundbe44 Der Brandenburgische Landbund, 2. April 1929. 45 Märkische Volksstimme, Nr. 198 v. 25. August 1927.
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Brandenburg in der Weimarer Republik
sitz, mittlere und größere bäuerliche Betriebe erzielten hohe Einkommen, besonders im Umland von Berlin. Für ein Rind erhielt man bis 4 000 Mark, während sich der festgelegte Preis auf 1 500 bis 1 800 Mark belief. Die Kriegswirtschaft mit ihren Zwängen und Kontrollen stieß auf breite Ablehnung und Widerstand in diesen Kreisen. Da erst 1920/21 die Reglementierungen abgebaut wurden, belasteten diese auch noch das Verhältnis der Landwirte zur jungen Republik. Trotz des hohen Bedarfs an landwirtschaftlichen Produkten gestaltete sich eine rasche Produktionssteigerung schwierig, da der Boden erschöpft, die Viehbestände dezimiert, Dünger - außer Kali - zunächst rar und Maschinen kaum zu erhalten waren. Der Pferdebestand hatte sich von 298 000 am 1. Dezember 1913 auf 249 000 am 1. Dezember 1918 verringert und sich dann innerhalb des ersten Friedensjahres auf 287 000 erhöht. Der Rinderbestand in der Provinz betrug im gleichen Zeitraum 890 000 (1913), 771 000 (1918) und 780 000 (1919). Die Milchleistung (durchschnittlich vordem um 2 000 Liter pro Kuh und Jahr) fiel auf 50 bis 30 Prozent. Alljährlich grassierten Maul- und Klauenseuche, Verkalbungsseuche u.a. Die Schweinehaltung war infolge des Abschlachtens und anhaltenden Futtermangels im Kriege zurückgegangen. Der Geflügelbestand betrug zehn Prozent. Mit Rückgang des Viehbestandes sank auch das Aufkommen an Naturdünger. Die für weite Ländereien ständig notwendigen Meliorationsarbeiten und Arbeiten an den Flüssen waren im Krieg vernachlässigt, nur teilweise mit Kriegsgefangenen durchgeführt worden. Jetzt fehlte es an Arbeitskräften, Lohn und Geld für das sich verteuernde Baumaterial und Gespanne. Wichtige Arbeiten, so die Hochwasserableitung an Spree, Bober und Lausitzer Neiße führten Notstandsarbeiter weiter. 1923 bestand für 95 000 Hektar Bedarf an Vorflutregulierung, jedoch mußten die dringenden Arbeiten an Havel und Rhin, an der Barnewitzer Niederung, im Bredow-Brieselanger Luch, bei Zehdenick und Gransee, an der Havel oberhalb Brandenburgs und anderen Stellen aus finanziellen Gründen eingestellt werden. Die Versuche, die ständigen Hochwasserschäden im Spreewald zu verringern, mißlangen zunächst. Wegen der Vernachlässigung der Arbeiten an der Oder im brandenburgischen Bereich durch den Oberpräsidenten von Schlesien kam es zu ständigen Auseinandersetzungen der Provinzbehörden. 1920 konnte ein Deichbruch am Oderbruch noch abgewendet werden. Man verlangte die Absenkung der Oder um einen halben Meter. Die fast jährlichen Hochwasserschäden an Oder- und Warthebruch beliefen sich allein im Sommer 1920 auf sechseinhalb Millionen Mark. Der Deichbau bei Schwedt kam nur schleppend voran. 1923 konnte die Vorflut des Oderbruchs mit der Trennung der Oder bei Schwedt verbessert werden. Die Erträge der Landwirtschaft waren außerordentlich stark vom Wetter abhängig. Einem kalten und trockenem Jahr 1919 folgte ein verregneter Sommer 1920 mit einer schlechten Getreideernte. Während der Winter 1920/21 mild war, gab es 1921/22 einen langen strengen Winter, dem ein trockenes Frühjahr 1922 folgte: wenig Getreide und viele Kartoffeln ernteten die Bauern. Obgleich unter den Bedingungen des Schwarz- und Schleichhandels, der Inflation und speziell der Standortvorteile um Berlin als sicheres Absatzzentrum hohe Gewinne erzielt wurden, dauerte die schwierige Lage in der märkischen Landschaft insgesamt an. 1921 sprach man von einer »langsamen Hebung«. Die sink e n d e K a u f k r a f t u n d d i e G e l d e n t w e r t u n g , d e r a b n e h m e n d e Verbrauch an F l e i s c h
Brandenburgs Wirtschaft zwischen Krieg und Krise
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und Milch und zugleich das bewußte Zurückhalten der Produkte durch die Landwirte ließen bis 1923 nicht einmal den vollen Ausgleich des im Krieg ruinierten Inventars zu. Zwar gelang es der Landwirtschaft, einen großen Teil der Schulden abzutragen, aber am Ende der Inflation, mit der Stabilisierung der Mark Ende 1923 sah sich die überwiegende Zahl der Betriebe ohne Betriebskapital und Rücklagen, so daß zum Beispiel im Frühjahr 1924 kaum Kunstdünger gekauft werden konnte. Der Umfang der landwirtschaftlichen Nutzfläche veränderte sich nur unwesentlich. Mitte der zwanziger Jahre waren 48 Prozent der Gesamtfläche im Brandenburgischen Acker, 14,8 Prozent Wiesen und Weiden und ein Prozent Gärten. Die Felder wurden durchweg intensiv genutzt. Die Futterwüchsigkeit der Grünflächen blieb gering. Auf ausgedehnten sandigen Gebieten, auf 29,3 Prozent der Gesamtfläche dehnten sich Wälder und Forsten (im Vergleich in Preußen insgesamt 19,6 Prozent). Trotz wachsender Nutzung der zahlreichen Seen und Flüsse, auch zur Fischzucht, blieben viele Gewässer der Provinz noch unberührt und idyllisch. Allerdings: die Lausitzer Tuchindustrie und Berliner Betriebe verschmutzten anhaltend die Spree. Auch Neiße und Oder waren ständig mit Abwässern belastet. Durch das Gesetz vom 29. Juli 1922 sollten Baumbestand und Uferwege erhalten beziehungsweise geschaffen werden, eine völlig neue Aufgabe im Interesse der Volksgesundheit. Das Ziel, 90 000 Hektar zu schützen, konnte bis 1925 erst mit 64 800 Hektar (davon allein 20 000 Hektar in Berlin) erreicht werden. Von den durch Zersiedlung, Parzellierung und Bebauung bedrohten Uferwegen konnten statt der vorgesehenen 150 Kilometer nur 1 800 Meter (am großen Havelsee) gesichert werden; 1928 waren es immerhin 17,8 Kilometer. Entsprechend der geringen Bodenqualität nahm der Roggenanbau 34,6 Prozent der Ackerfläche ein (im preußischen Durchschnitt 26,6 Prozent). Der anspruchsvollere Weizen, Futtergetreide und -pflanzen sowie Zuckerrüben waren lediglich auf besseren Böden wie in der Uckermark oder im Oderbruch angebaut. Fast 20 Prozent der Ackerfläche nutzten die Landwirte zum Kartoffelanbau. Auch der Anbau von Hülsenfrüchten (besonders Lupinen) übertraf den preußischen Durchschnitt. Als einer der ärmsten landwirtschaftlichen Bezirke Preußens galten die Niederlausitz mit 75 Prozent trockenem Sandboden sowie die ausgedehnte sandige Neumark. Mit Kartoffelanbau und -fütterung nahm hier die Schweinezucht zu. Bemerkenswert war, daß auf jeweils 100 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche nur vier Fünftel der in Preußen auf gleicher Fläche Tätigen zu zählen waren. Weniger mitarbeitende Familienangehörige und weniger Landarbeiter - Knechte und Mägde - als in anderen Territorien weist die Statistik aus. Diese Tatsache ist auf die in Berlin angebotenen Arbeitsmöglichkeiten und auf die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe zurückzuführen. Statt einer demokratischen Bodenreform, die in der Revolution nicht durchgeführt wurde, propagierte man die innere Kolonisation mit dem Reichssiedlungsgesetz vom August 1919. Sie blieb bald im Dickicht der Bürokratie von Reich und Staat stecken. Von 4 000 Neusiedlungen entfiel nur ein geringer Prozentsatz auf Brandenburg (zum Beispiel in den Luchgebieten von Havel und Rhin), die Neusiedler kamen zum Teil aus dem polnisch gewordenen Posen-Westpreußen.
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Brandenburg in der Weimarer Republik Anzahl der Betriebe mit landwirtschaftlicher Nutzfläche von ... Hektar46
0,05 bis 2
170 615
2 bis 20
20 bis 100
100 und mehr
insgesamt
91487
15 730
2 025
279 867
v.H. aller landwirtschaftl. Betriebe Deutschlands 5,5
Brandenburg stand damit, was die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche angeht, im Preußischen Freistaat hinter Ostpreußen und Schlesien an dritter Stelle, ebenso hinter Pommern (27,5 Prozent) und Schlesien (26,2 Prozent) hinsichtlich des Anteils des Großgrundbesitzes an der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Landwirtschaftlich genutzte Fläche der Betriebe von ... Hektar 0,05 bis 2
2 bis 20
20 bis 100
100 und mehr
insgesamt
v.H. der LNF Deutschlands
84 359
658 966
548 456
677110
1 968 891
7,7
Mit dem Anteil der Betriebe über 200 Hektar an der landwirtschaftlichen Nutzfläche blieb Brandenburg weit hinter Pommern (hier fast 44 Prozent) zurück und besetzte die zweite Position vor Ostpreußen. Es gab 35 Besitzungen mit Flächen von über 1 000 Hektar. Die größten Besitzer waren Graf von Arnim-Muskau mit 26 770 Hektar Gesamtfläche. Dietloff von Arnim mit der Wald-Grafschaft Boitzenburg (14 126 Hektar), von Eckardstein-Prötzel mit 8 275 Hektar, von Waldow-Königswalde 10 531 Hektar, Graf von Hardenberg-Neuhardenberg 7 715 Hektar, Graf zu Lynar-Görlsdorf 13 462 Hektar. Von den insgesamt 279 867 landwirtschaftlichen Betrieben waren 110 000 größer und 170 000 kleiner als zwei Hektar. Viele der Kleinstbetriebe wurden in Nebenerwerb betrieben. Mittelbäuerliche Wirtschaften spezialisierten sich zunehmend auf Viehzucht und Viehmast. Zahlreiche Bauernwirtschaften waren durch vielfältige genossenschaftliche Einrichtungen verbunden," beispielhaft bei der Milcherfassung und -Verarbeitung, im Beratungs- und Kreditwesen, bei der Anschaffung und im Betrieb von Maschinen. Das bot einen gewissen Rückhalt für die Klein- und Mittelbauern gegen die übermächtige Konkurrenz des Großgrundbesitzes. Trotzdem muß man von einer ungeheueren permanenten Arbeitsüberlastung der ganzen Familie bei kleinen und mittleren Landwirten sprechen, von einer äußersten Sparsamkeit, die bis an die Grenze der Lebensmöglichkeit ging, von Raubbau an der Arbeitskraft der Bauern, vor allem auch der Frauen. 47 Nur so konnten sie existieren, und trotzdem mußten viele ihre Höfe schließlich verlassen. 46 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 46 (1927), S. 49. 47 Vgl. Produktivkräfte in Deutschland. 1917/18 bis 1945. Wissenschaftliche Redaktion Rudolf Berthold, Berlin 1988, S. 230-232.
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Die Aufhebung der Gesindeordnung und der Erlaß einer »Vorläufigen Landarbeiterordnung« (24. Januar 1919) während der Novemberrevolution schränkten die Vorrechte der Großgrundbesitzer ein. Der Verband Landwirtschaftlicher Märkischer Arbeitgeber mußte Ende 1919 eine Provinzialarbeitsgemeinschaft und Tarifabschlüsse mit den Landarbeiter-Verbänden eingehen und eine brandenburgische »Landarbeitsordnung« erlassen.48 Erstmalig mußten Lohnfragen über Tarife geregelt werden. Das Schlichtungsverfahren war festgelegt. Allerdings erreichte der Deutsche Landarbeiter-Verband nicht seine volle Anerkennung. Die Landarbeiter erhielten nicht die volle Koalitionsfreiheit sowie keine Betriebsräte, und auch der Achtstunden-Arbeitstag sollte erst in Einzeltarifverträgen geregelt werden. Tatsächlich blieb der Zehnstundentag der Normalfall. Die Landarbeiter waren zu überlanger Arbeitszeit und Deputatverkauf gezwungen, die Frauen und jugendlichen Arbeiter blieben um zwei Fünftel bis drei Fünftel unter den Männerlöhnen. 49 Bald begannen Großgrundbesitzer die in der Bevolution abgerungenen Bechte der Landarbeiter einzuschränken und abzubauen. So blieben die Landarbeiter in vielerlei Hinsicht einer Sondergesetzgebung unterworfen und in ihrer sozialökonomischen Position hinter den Industriearbeitern zurück. Ihre organisatorische Zersplitterung, auch mangelndes politisches und fachliches Wissen hemmten die Wahrnehmung der Bechte, die immer wieder gegen die Angriffe von Großagrariern zu verteidigen waren. Bei hoher Säuglingssterblichkeit, dreimal höherem Tbc-Krankenstand wie in den Städten, Wohnungselend mit Lehmkaten ohne Licht und Sonne, die für die häufig vielköpfige Landarbeiterfamilie zu klein waren, veränderten sich die Lebensverhältnisse im Gutsdorf gegenüber dem Kaiserreich zunächst wenig. Mit dem Einsetzen der wirtschaftlichen Stabilisierungsperiode 1924 begann eine Konjunktur für landwirtschaftliche Produkte. Eine protektionistische Agrarpolitik hielt die Inlandpreise über dem Weltmarktniveau, das durch billige amerikanische und kanadische Produkte bestimmt war. Auch dänische und holländische Konkurrenz drückte zunehmend auf den Markt. Die Landwirte sahen sich gezwungen, den Produktivitätsrückstand durch Rationalisierung aufzuholen, um die Preise für Nahrungsmittel und Bohstoffe niedrig gestalten zu können. Die Bationalisierung war nur durch Aufnahme von Krediten zu finanzieren. Der Agrarmarkt wandelte sich durch neue Ernährungsgewohnheiten, die mit der steigenden Kaufkraft der Stadtbevölkerung die Nachfrage nach tierischem Eiweiß, Fleisch, Milch und Eier, wachsen ließ. Der Brot-Kartoffel-Standard wechselte bei den einkommensstärkeren Schichten zum Fleisch-Eier-Trend. Statt Boggen- verzehrte man Weizenprodukte. Eine Intensivierung der Viehwirtschaft war die Folge. Der wirtschaftliche Konzentrationsprozeß begünstigte die Entwicklung der agraren Produktivkräfte, agrarwissenschaftlicher und technischer Neuerungen, die in der Provinz Brandenburg jedoch infolge der Agrarstruktur nicht zu einer technologischen Umwälzung führten. Seit Anfang der zwanziger Jahre stand der Traktor als 48 Vgl. Historischer Führer. Stätten und Denkmale der Geschichte in den Bezirken Potsdam, Frankfurt a.d. Oder, hrsg. von Lutz Heydick, Günther Hoppe und Jürgen John, Leipzig-JenaBerlin 1987, S. 67f. 49 Vgl. Roswitha Berndt, Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preußen 1919 bis 1945, Berlin 1985, S. XXXIIIf.
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Landarbeiter beim Kartoffellegen auf dem Gut Blumberg nordöstlich von Berlin, 1933
Universalmaschine (mit Riemenscheibe) zur Verfügung. Der Lanz-Bulldog verbrannte billiges Rohöl; diese Maschine - später der Dieselschlepper - ermöglichte als fahrende Kraftzentrale die Motorisierung der Betriebe. Seit Mitte der zwanziger Jahre existierte eine Vielzahl von Anbau- und Anhängegeräten, so Zapfwellenmähbinder, Mehrscharpflüge und Fräsen und der luftbereifte Kastenwagen. Die Getreideernte konnte durch den Einsatz von Mähbindern erheblich erleichtert werden, Kleinbetriebe arbeiteten weiterhin mit gespanngezogenen Mähmaschinen, Ablegern mit manuellem Garbenbinden. Neuentwickelte Dreschmaschinen beschleunigten den Getreidedrusch. Mähdrescher, schon ab 1928 von der Industrie angeboten, kamen ebenso wie Rüben- und Kartoffelvollerntemaschinen erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts massenhaft zur Anwendung. In der Kartoffelernte mußte hinter dem Schleuderroder per Hand gesammelt werden. Raupenschlepper bewährten sich wegen starkem Verschleiß und Zerreißen des Bodens nicht. Lediglich Gutsbesitzer und Großbauern konnten sich die niedrigeren Betriebskosten zunutze machen, menschliche Arbeitskraft und tierische Zugkraft sparen und eine moderne rationelle Betriebswirtschaft durchsetzen. Immer noch schien die menschliche Arbeitskraft, die Handarbeit billiger als maschinelle Arbeit zu sein. Die E i n f ü h r u n g des E l e k t r o m o t o r s w a r bei e i n e m relativ n i e d r i g e n A n s c h a f f u n g s p r e i s
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auch in Mittel- und Kleinbetrieben möglich. Bis 1928 waren etwa 75 Prozent der deutschen Landwirtschaftsbetriebe an das Ε-Netz angeschlossen. Der Pferdegöpel erfuhr seine Ablösung als Antrieb. Elektrische Futteraufbereitungsgeräte, Gebläse, Pumpen und Elevatoren fanden Eingang in die Wirtschaften. Haus, Scheune, Hof und Stall erhielten Beleuchtung; Petroleum- und Rarbidlampen wanderten auf die Böden. Eine durchgehende Technisierung der Hof- und Viehwirtschaft kam infolge der Zersplitterung der Produktion und des Kapitalmangels in den bäuerlichen Wirtschaften nicht zustande. Selbst relativ einfache Anlagen wie die Elektrozäune für Portionsweiden bildeten eine Ausnahmeerscheinung. Obgleich erste Melkmaschinen produziert wurden, fanden sie nur in wenigen Großbetrieben Anwendung. Insgesamt gesehen blieb die Provinz Brandenburg in der Mechanisierung und Technisierung der Landwirtschaft, im Einsatz von Traktoren, modernen Sä- und Mähmaschinen im Vergleich zu anderen deutschen Territorien im mittleren und unteren Bereich der Nutzung. Zwischen 1913 und 1938 verringerte sich der Einsatz des Pferdes als Zugkraft lediglich um 10 Prozent. Landwirte und Gärtner intensivierten die Produktion von Obst und Gemüse besonders in und um Berlin. Bedeutende Saatzuchtbetriebe befanden sich in Frankfurt (Oder); hier und um Perleberg existierten große Baumschulen. Obst lieferten die Gebiete um Werder, Guben, Gransee, Crossen (Oder), Drossen in der Neumark. Gemüseorte waren Frankfurt, Angermünde, Wittenberge, Wittstock, Schwante, Soldin, Drossen, Peitz, Dahme. Spargel kam aus Beelitz und TY-euenbrietzen, Rathenow, Perleberg und Lindow, Schweidnitz an der Oder und Drossen. Berühmtes Produktionsgebiet für Gurken, Zwiebeln und Meerrettich war der Spreewald; Teltow lieferte »Rübchen«; Blumenzucht betrieben Gärtner in Trebbin, Dahme, Drossen, Schwedt, Peitz, Perleberg und Nowawes. In der Oderniederung bei Schwedt wuchs Tabak. Wriezen mit dem umliegenden Oderbruch bildete den Mittelpunkt von Mastanstalten von Gänsen, Enten und Hühnern, zum Teil aus Polen als Kücken zur Mast eingeführt. Bedeutende Fortschritte in der Produktivität der Landwirtschaft konnten dadurch erzielt werden, daß sich die Qualifikation der arbeitenden Menschen verbesserte. Das Beratungswesen, die Winterschulen, Ausbildungsmöglichkeiten auch für Frauen, der Ausbau landwirtschaftlicher Fachschulen und die Verbesserung der akademischen Ausbildung - eine Vielzahl von Faktoren wirkten fördernd. Die Brandenburgische Landwirtschaftskammer unterhielt 36 landwirtschaftliche Lehranstalten, die allein im Winterhalbjahr 1925/26 von 2 070 Schülern besucht wurden. Die Gärtnerlehranstalt Oranienburg, die Obstbaulehranstalt Werder, die Gemüsebaulehranstalt Lübbenau, die Gartenbauschule Wittstock, das Seminar für Landwirte in Königsberg (Neumark) - später Potsdam, die Wiesenkulturstationen in Königsberg und Wittstock und die Haushaltsschule in Wusterhausen vermittelten landwirtschaftliche Spezialkenntnisse. Die wissenschaftlichen Leistungen der Berliner Landwirtschaftlichen Hochschule, der Tierärztlichen Hochschule, der Forstwissenschaftlichen Hochschule Eberswalde und wissenschaftlicher Institute halfen durch Forschungsergebnisse das Produktionsniveau in Feld und Stall beträchtlich zu steigern. Das Rittergut Petkus (Ferdinand von Lochow) züchtete Rinder und Schweine, Rotklee, Mais und Lupinen, u.a. die ertragreiche Roggensorte »von Lochow«, alles eigens auf die Bedürfnisse der brandenburgischen Land-
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Wirtschaft abgestellt. Für die Sandböden war die Züchtung der Süßlupine im 1927 in Müncheberg gegründeten Institut für Züchtungsforschung (1931) von hohem Wert. Krebsfeste Kartoffelsorten und Roggenzüchtungen mit bis zu 50 Prozent höheren Erträgen, Grünlanddüngung u.a. fanden Eingang in die Produktion. Pflanzenschutz und Düngung konnten graduell, jedoch nicht ausreichend verbessert werden. Mit der Anwendung der Rotlaufimpfungen (nach 1924) und der erfolgreichen Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche (ab 1938) wuchs die Tierproduktion. In der Provinz war ein Nord-Südgefälle hinsichtlich der Viehbestände zu verzeichnen. Während man im Norden (und auch im Osten) unter 460 Rinder und Schweine auf 1 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche hielt, zählte man im Süden zwischen 460 und 590 Rinder und mehr als 770 Schweine im Durchschnitt. Ende 1924 war der Vorkriegsbestand an Pferden (mit 301 000) und Rindern (847 000), 1 055 000 Schweinen und 454 000 Schafen fast erreicht. Die anhaltende Rückständigkeit der ein- bis zweiklassigen Dorfschulen, das Fehlen einer qualifizierten Lehrzeit für die Söhne und Töchter der Klein- und Mittelbauern sowie der kostspielige Zugang zur Hochschule schränkten den Fortschritt durch verbesserte Ausbildung erheblich ein. Urbarmachung und Neulandgewinnung kann nur in wenigen Regionen festgestellt werden. Große Bedeutung hatten die ausgedehnten Meliorationsarbeiten für die brandenburgische Landwirtschaft, für das Land überhaupt. Obgleich die finanziellen Aufwendungen auf das 1,6 bis l,8fache des Vorkriegsstandes stiegen, blieben die Leistungen stets hinter den Notwendigkeiten zurück. Immer wieder mußten Arbeiten unterbrochen werden. Ende 1924 beschloß die preußische Regierung, die Baggerungsarbeiten an der Oder bei Küstrin-Raduhn einzustellen, wodurch die Vorflutverhältnisse an Oder und Warthe weiter gefährlich blieben. Der Sommer 1926 brachte nach langen Regenfällen eine Hochwasserkatastrophe, die an Oder, Neiße, Bober und Dosse, vor allem aber im Oberspreewald gewaltige Schäden verursachte und die Ernte in der ganzen Provinz minimierte. Der Provinziallandtag verlangte 1928 den Ausbau der Spreewaldfließe, den Bau eines Hochwasserschutzbeckens bei Tschelln, Umflutkanäle und die schnelle Eindeichung der Randgebiete des Spreewaldes. Mit großen Aufwendungen beseitigte man die Hochwasserschäden von 1926/27. Rationalisierung und Technisierung, Qualifikation und Wissenschaft, bewirkten eine Steigerung der Hektarerträge bei Kartoffeln, Getreide und Zuckerrüben. Die Rinder- und Schweinebestände wuchsen. Die Leistungen pro Tier nahmen zu. Allerdings: Mechanisierung, die neuen Maschinen, Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit und Modernisierung der Wirtschaftsgebäude hatten in vielen Fällen eine starke Verschuldung als Voraussetzung. Hohe Zinsen waren zu zahlen. Die Verschuldung traf besonders die kleinen Landwirte, die wenig für den Markt produzierten, geringer verschuldeten sich Großbauern, zumal solche in der Nähe der Verbraucherzentren. Die Mittelbauern nutzten Boden und Betriebsmittel intensiv, oft fehlten Investitionsmittel, und die Selbstauspowerung der Familien erreichte häufig - wie bei den Kleinbauern - die Grenze der physischen Arbeitsfähigkeit. Großbetriebe produzierten günstiger durch zweckmäßige und rationelle Betriebsorganisation, Kombination von Boden, Maschinen, Vieh, Dünger, Bauten und Anlagen sowie durch Einsatz fremder Arbeitskraft, speziell auch von Saison-
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und Wanderarbeitern. Diese kamen je nach Wirtschaftslage, quotiert in Größenordnungen zwischen 10 000 und 20 000 (so 1927), vorwiegend aus Polen zur Arbeit vom Frühjahr bis zum Herbst auf die Großwirtschaften. Sie waren billig, leistungswillig und -fähig, besaßen kein Streikrecht und während der Saison kein Kündigungs- und Freizügigkeitsrecht, lebten oft primitiv zusammengepfercht in Schnitterkasernen. Soziale Forderungen waren nicht zu erwarten, insbesondere Frauen schufteten zu niedrigstem Lohn faktisch ohne jede Arbeitszeitbegrenzung. 3 000 ausländische Familien mit etwa 8 000 bis 10 000 Kindern lebten im Sommer 1925 in der Provinz. Ein Teil der Arbeiter war in den Forsten, in Ziegeleien und anderen Bereichen tätig. Durch die »Ost-Hilfe« Programme der Preußenregierung erhielten ab 1928 (ab 1931 durch Reichsgesetz) auch brandenburgische Großgrundbesitzer, vorwiegend in der Neumark, günstige langfristige Kredite. Sie hatten eine weitere Verschuldung zur Folge. Die Gesamtverschuldung der brandenburgischen Landwirtschaft bezifferte sich 1928 auf etwa 14 Milliarden Mark. Treffend heißt es in den »Erinnerungen an Liebenberg« (Kreis Templin) über die Lage eines märkischen Gutes Mitte der zwanziger Jahre: Immer noch... wurden die 8 000 Morgen großen Felder von Hunderten von Ochsengespannen gepflügt, der spärliche Kunstdünger mit der Hand gestreut, eine Unkrautbekämpfung gab es so gut wie nicht, der Wildschaden war enorm. Die Ernten auf unseren meist sandigen Böden wurden noch zusätzlich häufig von sommerlichen Trockenperioden in Mitleidenschaftgezogen, so daß wir froh waren, wenn der Durchschnittsertrag an Roggen (der Hauptkörnerfrucht) an die 10-Zentner-Grenze je Morgen herankam und wir bei Kartoffeln im Durchschnitt 80 Zentner je Morgen erreichen konnten. Sowohl die Getreideernte wie die Hackfruchternte wurde noch ausschließlich von Hand durch polnische Schnitterkolonnen betrieben.50 Insgesamt gesehen muß trotz der dargestellten Fortschritte auch für diese Periode von permanenten Problemen in der brandenburgischen Landwirtschaft gesprochen werden. Die Schwierigkeiten verschärften sich trotz Schutzzoll und Subventionen ab 1927 zu einer Überproduktionskrise, die sich mit einer Weltrekordernte an Getreide 1928 (auch im Brandenburgischen) und der Weltwirtschaftskrise 1929 weiter vertiefte. Sie betraf vor allem die Vieh- und Milchwirtschaft, zumal große Teile der städtischen Bevölkerung zum Sparen an hochwertiger Nahrung gezwungen waren. Die Preise für Tierprodukte fielen weitaus stärker als bei Agrarprodukten. Da die Preise für Betriebsmittel, industrielle Konsumgüter sowie die Löhne nicht in gleichem Maße zurückgingen, sanken die Einkünfte der Bauern überdurchschnittlich. Die Regierung erhöhte die Einfuhrzölle für Getreide (speziell aus Übersee), setzte niedrige Importquoten und Pflichtquoten für den Verbrauch einheimischen Getreides fest und suchte die Konkurrenz vom einheimischen Markt fernzuhalten. Diese Maßnahmen erhöhten wiederum die Lebenshaltungskosten der Arbeitenden und beschränkten deren Kaufkraft. Erhöhung der Hektarerträge und der Milchleistungen, Förderung der Meliorationsarbeiten und Siedlung steigerten die relative Überproduktion noch stärker. Die Rückwanderung 50 Wend Graf zu Eulenburg-Hertefeld, Ein Schloß in der Mark Brandenburg. an Liebenberg, Stuttgart 1990, S. 90.
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aus den Städten aufs Dorf, die wachsende Zahl von mitarbeitenden Familienangehörigen verschärften die Situation. 1932 zählte die preußische Land- und Forstwirtschaft 12 Prozent Arbeitslose, die nur Unterstützung erhielten, wenn sie ohne Kleinstbesitz waren. Die Krise in der Landwirtschaft hatte unmittelbar negative Folgen für Handwerk und Handel in den Gemeinden und Kleinstädten. Infolge des faktischen Baustopps geriet auch die Forstwirtschaft in den Krisensog. Für den Bau von Landarbeiterwohnungen, verstärkt erst seit 1927 betrieben, gab es keine Mittel mehr, nachdem bereits vorher die Wohnflächen verringert worden waren. Durch Notverordnungen reduzierten sich Natural- und Barlöhne um 25 bis 30 Prozent; verlängerte Arbeitszeiten und Intensivierung der Arbeit trafen die Beschäftigten. Die Kredit- und Währungskrise Mitte 1931 zeugte von der gesamtwirtschaftlichen Krise, aus der auch die Notverordnungen keinen Ausweg zeigten. Ein weiteres Steigen der Zwangsversteigerungen, der Kredite und Schulden war unvermeidlich. Die bei Zinssätzen von 9,5 bis 8 Prozent gewährten Kredite der Provinzialverwaltung an Landwirte flössen nicht zurück. 1930 mußten 308 Umschuldungsdarlehen gegeben werden. 60 Prozent der Anträge stellten Kleinbesitzer, sie nahmen 20 Prozent der Kredite in Anspruch; 14 Prozent der Anträge kamen von Großgrundbesitzern, die rund 50 Prozent der Kredite nahmen. Der Herbst 1930 (Oktober/November) brachte der Provinz nach wochenlangen Regenfällen erneut schweres Hochwasser, selbst in höher gelegenen Gebieten. Der preußische Staat gab lediglich 50 000 Reichsmark Hilfe. Allerdings hatten sich durch die Schutzbauten die Vorflutverhältnisse im Oberspreewald erheblich verbessert. Der Weiterbau an der Gesamtregulierung mußte eingestellt werden. Auch der Ausbau der unteren Havel (von der Dossemündung bis zur Elbe), der Vorfluter im Netze-Warthebruch und die Unterhaltung der Flußläufe wurden eingestellt bzw. auf das Nötigste beschränkt. Die Stundenlöhne der Unterhaltungsarbeiter fielen von 65 auf 55 Pfennig. Die Preise für Milch, Roggen, Kartoffeln und Schweine sackten 1931/1932 noch weiter ab. Ein trockenes Frühjahr 1932 ließ zudem nur eine schlechte Getreideernte reifen. Jede Produktionssteigerung brachte ohnehin neue Schulden, da die zahlungsfähige Nachfrage für landwirtschaftliche Produkte fehlte. Es mangelte an einem gesamtwirtschaftlichen Konzept zur Überwindung der Krise, das für die Landwirtschaft eine grundsätzliche Strukturveränderung und Hebung der Produktivität einschließen mußte. INDUSTRIE UND HANDWERK, H A N D E L UND VERKEHR waren durch das staatsmonopolistische Kriegsregime gründlich zerrüttet. Nur sehr allmählich gelang die Umstellung auf Friedensproduktion. Rohstoffmangel, besonders an Kohle, das ruinierte Verkehrswesen, die heruntergewirtschafteten Ausrüstungen und Anlagen, die ausgepowerte Arbeiterschaft, die anhaltende Blockade und der Verlust der Außenmärkte behinderten eine rasche Entwicklung der Produktion. Die heimkehrenden Soldaten erhöhten die Zahl der Arbeitslosen. Die Entwicklung vollzog sich stark unterschiedlich. Örtlich setzten Metall- und Textilbetriebe zunächst sogar noch die Kriegsproduktion fort. Der Firma Rumsch & Hammer in Forst zum Beispiel fehlten Anfang Januar 1919 aber doch die Rohlinge für die Granaten; später entwickelte sie sich dann zur Wäschereimaschinenfabrik. In einigen Orten entstanden Abrüstungsfabriken, so eine Munitionszerlegung GmbH in Jüterbog -
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Altes Lager, die Geschütze verschrottete. In Niedergörsdorf brach man die Luftschiffhallen ab. Die abrupte Einstellung der Kriegsproduktion zog Arbeitslosigkeit nach sich. Bei der Auflösung der Werkstätten des Artilleriedepots Brandenburg fiel die Zahl der Beschäftigten von über 2 000 im Jahre 1918 auf 34 (1920). Die Firma Bergmann & Söhne in Klosterfelde, die Munitionskisten und Propeller gefertigt hatte, konnte jetzt wieder Küchenmöbel produzieren. Maschinenfabriken in Landsberg (Jähne & Sohn) produzierten bereits landwirtschaftliche Maschinen für Ost- und Westpreußen, insbesondere auch für Polen, andere (Panksch, Stoeckert) lieferten Lokomotivteile an Schichau-Elbing. Die Kabelfabrik G. Schroeder hatte jedoch weder Aufträge noch Material; der Netzfabrik Draeger & Manthey fehlte Baumwolle als Rohstoff. An Baumwolle mangelte es auch der Lausitzer Textilindustrie, die auf Importe angewiesen war. In den Zentren Forst, Cottbus, Spremberg, Guben und Finsterwalde arbeiteten 1918 nur noch 50 Prozent aller Betriebe. Erst im zweiten Halbjahr 1919 begann sich die Rohstofllage zu bessern, und die Industrie ging daran, den angestauten Warenhunger einigermaßen zu befriedigen. Von der großen Nachfrage profitierte auch die in der ganzen Provinz ausgebreitete Nahrungs- und Genußmittel- sowie die Möbelindustrie. Die Lausitzer Glasindustrie geriet allerdings dann schon 1920 in Absatzschwierigkeiten. Auch die Ziegeleien, die 1919 zunächst an Kohlennot litten, hatten bald solche Probleme, da die Bautätigkeit angesichts der Inflation, der hohen Material- und Lohnkosten stagnierte. Viele Arbeiter waren gezwungen, in die Braunkohlenindustrie abzuwandern. Die Konstituierung der Stadtgemeinde Berlin 1920 bedeutete einen politischadministrativen, jedoch keinen wirtschaftlichen Einschnitt in die Beziehungen zwischen Stadt und Provinz. Allerdings gingen die Steuereinnahmen der Provinz durch die Eingliederung der stark industrialisierten Randgebiete nach Berlin erheblich zurück. Berlin blieb der Standort für Elektro- und Maschinenindustrie, für Chemie-, Nahrungs- und Genußmittel- sowie Bekleidungsindustrie und alles, was zur Ausstattung von Wohnungen und dem täglichem Bedarf zuzurechnen war. Als Zentrum des Staates und der Wirtschaftsleitungen, Mittelpunkt der Banken und des Handels, des geistigen und kulturellen Lebens, mit einer Zusammenballung hochqualifizierter Arbeiter, Intellektueller und wachsender Anzahl von Angestellten wirkte Berlin als Impulsgeber auf die Umgebung intensiv. Als Knotenpunkt des Verkehrs zu Lande, zu Wasser und nun auch in der Luft gab es schnelle und dichte Verbindungen weit über das Umland hinaus. Die Provinz Brandenburg war Standort grundstoff- und metallverarbeitender Industrien, von Betrieben der Nahrungsmittel- und Textilindustrie. Sie lieferte land- und forstwirtschaftliche Produkte und Baumaterialien. Enge, ineinander übergehende Wirtschaftsgebiete Berlin - Provinz bestanden an den Wasserstraßen, so im Havelgebiet zwischen Berlin und Wittenberge, sowie spreeaufwärts. 1925, als die Provinz Brandenburg fast 2,6 Millionen Einwohner zählte, arbeiteten in rund 65 000 Unternehmungen der Industrie und des Handwerks fast 460 000 Personen; in etwa 54 000 Niederlassungen des Handels und Verkehrs waren 168 000 Personen tätig. Die Beschäftigten in den Konsumgüterindustrien (230 000) übertrafen die in den Produktionsmittelindustrien Arbeitenden (204 000) zahlenmäßig. Waren in Berlin 84 (1933 dann noch 37) Industriebetriebe mit über 1 000 Beschäf-
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tigten ansässig, so zählte man in der Provinz Brandenburg 1925 insgesamt 27 (im Jahre 1933 nur 14) solcher Riesenbetriebe. 51 Eine bedeutende und schnelle Entwicklung nahmen die Betriebe der Braunkohlenförderung und Brikettproduktion, überwiegend im Regierungsbezirk Frankfurt (Oder) konzentriert. Die Schwerpunkte lagen bei Senftenberg mit den Gruben Marga, Else, Eva, Renate, Erika und Elisabeth Glück, bei Spremberg die Eintrachtwerke zu Welzow und bei den Gruben der Reichselektrowerke zu Trattendorf. Hier war 1914 mit dem Aufbau eines ersten Großkraftwerkes in der Niederlausitz auf Braunkohlenbasis (Grube Brigitta) begonnen worden. Die Elektrowerke AG, die 1919 Trattendorf übernahm, betrieb die Großkraftwerke Trattendorf und Lauta, die mit Hirschfelde und Böhlen zu Knotenpunkten im mitteldeutschen Hochleistungsverbundnetz der zwanziger Jahre wurden. Sie ermöglichten die weitgehende Elektrifizierung der Industrie und Landwirtschaft, der Städte und Dörfer in der Provinz in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Hauptstadt und Provinz deckten ihren Bedarf an Braunkohlen und Briketts in den Betrieben der Niederlausitz. Große Mengen bezogen weiter die nördlichen Provinzen Preußens sowie die Ostseeanliegerstaaten. Hatte sich die Zahl der Beschäftigten in den 78 Betrieben von 1907 bis 1925 von 11 000 auf 20 000 erhöht, so sank dann ihre Zahl infolge der Rationalisierung und Mechanisierung bis 1933 auf 14 300. Die weitere Zentralisation von Kapital und Arbeit führte zum Rückgang der Anzahl der Betriebe von 78 (1925) auf 39 (1933). In diesen Daten sind zugleich die Rückgänge während der Weltwirtschaftskrise enthalten. In den Industrien der Steine und Erden arbeiteten 1925 (1 933) in 2 180 (2 331) Betrieben 43 400 (26 700) Personen. Ein großer Teil von ihnen (über 18 000 im Jahre 1925) war in Groß- und Mittelbetrieben der Ziegelindustrie beschäftigt. Es vollzog sich eine Verlagerung des Produktionsschwerpunktes von den an der Havel bei Oranienburg, Zehdenick, Rathenow und Havelberg gelegenen alten Betrieben zu nahe den Braunkohlegebieten gelegenen Standorten. Hier hatte auch die keramische und die Glasindustrie (mit 11 500 Beschäftigten) ihr Zentrum. In den östlichen Teil der Niederlausitz, um Senftenberg, Großräschen, Weißwasser bis Fürstenberg, zogen auch Produzenten von Tafel- und Hohlglas aus Mitteldeutschland und Thüringen wegen der billigen Braunkohle als Brennstoff. Mit dem Bauboom zwischen 1924/25 und 1930 erlebten die Kalk- und Zementfabriken in Rüdersdorf, die Kalksteinwerke in Niederlehme an der Dahme und die Lausitzer Ziegeleien mit den Werken für Drahtziegel in Cottbus und Peitz sowie die Zement- und Hartsteinwerke in Königsberg (Neumark) Hochkonjunktur. Steingut-, Kachel- und Töpferwarenindustrien, die bedeutende Standorte in Velten und Fürstenwalde hatten, mußten sich zunehmend mit der sächsischen und tschechischen Konkurrenz auseinandersetzen. Die Krise führte manchen Betrieb in den Bankrott. Eine Telto51 Vgl. zum folgenden: Martin Pfannschmidt, Die Industriesiedlung in Berlin und in der Mark Brandenburg, Stuttgart-Berlin 1937; Fritz Milkowski, Berlin-Brandenburg. Die wirtschaftliche Verflechtung, in: Zeitschrift des Preußischen Statistischen Landesamtes für den Freistaat Preußen 70 (1931), S. 179-269; Berlins wirtschaftliche Verflechtung, in: Mitteilungen des Statistischen Amts der Stadt Berlin 8 (1928); Berichte der Gewerbeaufsichtsämter in: BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 B; Berichte des Provinzialausschusses 1919 bis 1933, in: Ebda, Pr. Br. Rep. 54.
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Die ab 1912 errichteten Stahlwerke in Brandenburg an der Havel bildeten das größte Hüttenwerk Nordostdeutschlands. Gesamtansicht der Werksanlagen von Nordwesten, um 1925
wer Porzellanfabrik begann Halbfabrikate für die Elektroindustrie zu produzieren, ein Schritt ins Neuland. Kalk, Steine, Erden und Tonwaren lieferten die brandenburgischen Betriebe nach Berlin, Pommern, in die Ostseehäfen und auch nach Sachsen. Die Eisen- und Metallindustrie hatte sich während des Krieges in Berlin und in der Provinz stark ausgedehnt. Die Metallgewinnung war trotz der großen Entfernung von Rohstoffgebieten breit entwickelt und wurde nun mit dem Übergang zur Friedenswirtschaft eingeschränkt. In der Nachkriegsperiode mußte viel Schrott verarbeitet werden. Die Mitteldeutschen Stahl- und Walzwerke (Flick-Konzern) in Brandenburg produzierten Grobbleche, die Stahl- und Walzwerke Hennigsdorf (1921 bis 1923 durch AEG und die Breslauer Linke-Hoffmann-Lauchhammer AG errichtet) Feinbleche, die Kupfer- und Messingwerk AG in Finow Kupferlegierungen. Weitere kleinere Werke arbeiteten am Teltowkanal, in Wittstock und Wriezen. Zum Erliegen kamen Fabriken in Prenzlau und anderen Orten ohne den kostengünstigen Wasserstraßenanschluß. In Lauta und der Stadt Brandenburg arbeiteten Aluminiumwerke. Insgesamt beschäftigten diese brandenburgischen Betriebe etwa 15 000 Arbeiter. Die Verlagerung von spezialisierten Eisen-, Stahl- und Metallwaren produzierenden Betrieben aus Berlin in die Provinz hielt an. So erhielten die Industrieblechwarenfabrik in Luckenwalde und die Reicheltsche Metallschraubenfabrik in Finsterwalde ihre neuen Standorte. Die Stahlfederfabrik Heintze & Blankert hatte schon vor dem Krieg in Oranienburg zu produzieren begonnen. Wie die Metallwarenindustrie in Luckenwalde, Trebbin und Treuenbrietzen ging die Blechwarenindustrie in Brandenburg an Orte mit früher hier ansässiger Textilproduktion. Auch an kleineren Orten wie am ehemaligen Flugplatz Bork, in Soldin
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(Neumark), Liebenwalde und Lychen nahmen Metallspezialbetriebe die Produktion auf. Im Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbau arbeiteten 1925 in der Provinz Brandenburg etwa 45 000 Menschen. Herkömmlich produzierte man in der Lausitz Spinnereimaschinen, in Guben zum Beispiel Hut- und Tuchmaschinen; spezialisierte Mittelbetriebe fertigten in Wittstock Maschinen für die keramische Industrie, in Züllichau Brennereimaschinen, in Wriezen Ziegelei- und Kunstseidenmaschinen, in Reppen (Neumark) Filteranlagen für Wasserwerke und Papierfabriken, in Prenzlau Gasmesser, in Fürstenwalde und Werder Pumpen. Die Ardelt-Werke Eberswalde bauten Eisenkonstruktionen und Kräne. In vielen Orten der Provinz produzierten und reparierten mittlere und Kleinbetriebe Landmaschinen, unter anderem in Frankfurt, Küstrin, Arnswalde, Zielenzig (Neumark), Strasburg (Uckermark), Rathenow, Treuenbrietzen und Schwiebus. Bedeutend im Reichsmaßstab war die Produktion von Fahrrädern und Kinderwagen in Brandenburg mit den Firmen Brennabor, Excelsior und Korona sowie die Herstellung von Nähmaschinen im Singer-Werk Wittenberge. Hier waren zu 95 Prozent ungelernte Arbeiter beschäftigt. In Rathenow waren etwa 8 000, d.h. über 46 Prozent aller im Reich mit der Herstellung von Brillen und Feldstechern Beschäftigten konzentriert (Duncker). Von überregionaler Bedeutung waren die Berliner Maschinenfabrik vormals Schwartzkopff in Wildau, die Askania Werke Teltow, die Reichsbahnausbesserungswerke in Eberswalde, Potsdam und Werder, die Reparaturwerkstätten der Internationalen Schlafwagengesellschaft in Zossen und für die Continentale Gasgesellschaft AG in Potsdam sowie die Lokomotivfabriken Orenstein & Koppel in Nowawes und AEG in Hennigsdorf. Binnenschiffswerften arbeiteten u.a. in Fürstenberg, Brandenburg und Havelberg. Neben dem Zentrum der Elektroindustrie in Berlin existierten die AEG-Werke in Hennigsdorf; mittelständische Betriebe produzierten in Spremberg Isoliermaterial, in Züllichau elektrische Heiz- Kochgeräte, in Zehdenick Akkumulatoren und Elektromotoren in Zielenzig. Sie waren als Qualitätsbetriebe gegenüber den Großbetrieben durchaus konkurrenzfähig. Erwähnenswert ist, daß in Dörfern bei Berlin, so in Schönow, heimgewerbliche Zulieferer für die Elektrobranche (Drahtwickeleien) arbeiteten. Noch schwach entwickelt blieb die chemische Industrie. Kleine Betriebe produzierten Arzneimittel (in Bernau und Finow). An die örtlichen Gasanstalten gebunden, entstanden Teerprodukte; bedeutender das Rütgers-Teerwerk in Erkner und ein Werk für Kunstharze, eine Farbenfabrik in Fürstenwalde. Als ein erster Ballungsort dieser modernen Industrie bildete sich Oranienburg mit größeren Betrieben für pharmazeutische Artikel, Farben und Düngemittel heraus. In Premnitz produzierte seit dem Krieg das zur IG-Farben gehörige Kunstseidenwerk. Immer noch bedeutend war in der Provinz - im Unterschied zu Berlin - die Spinnstoffindustrie, konzentriert in der Lausitz. Hier arbeiteten 1925 in den Zentren Cottbus über 44 Prozent, in Forst sogar 75 Prozent und in Guben fast 23 Prozent aller Beschäftigten in Textilfabriken, vorwiegend in der Wollindustrie. Die Spinnereien in Cottbus und Finsterwalde lieferten schwere Tüche und Segeltuche, in Forst produzierte m a n Kammgarne und Roßhaar, in Guben Tuche, besonders Mantelstoffe
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für den Export, Kammgarnstoffe, Hüte und Strümpfe, in Sorau Leinen und in Spremberg Streichgarne. Mit weiteren, in kleinen Orten ansässigen Spezialbetrieben profitierten die Werke von der Nähe des Braunkohlenreviers, dem billigen Brennstoff und den hier überzähligen Arbeiterfrauen als unterbezahlte Lohnarbeiterinnen. Unweit des Lausitzer Zentrums produzierten Luckenwalder Betriebe T\iche und Wollwaren, vor allem auch Hüte. In Bernau und Nowawes - mit Rammgarn-, Woll-, Jute- und Runstspinnereien sowie einer Teppich- und Netzfabrik versuchten sich mittelständische Unternehmer durch Spezialisierung und Belieferung der Berliner Modeindustrien der Bekleidung und des Runstgewerbes der Ronkurrenz der Massenindustrien zu erwehren. Uniformstoffe kamen aus Werken in Pritzwalk, Wittstock, Neudamm (Neumark). Aus Brandenburg lieferte eine Rammgarnspinnerei außer Ronkurrenz Stoffe an die Behörden. Hier arbeitete auch eine Jutespinnerei; der größte Betrieb dieser Branche stand in Landsberg mit über 2 250 Beschäftigten. Ronkurrenz und Rrise brachten alten Betrieben in Strausberg und Zielenzig den Bankrott. Insgesamt jedoch nahm die Zahl der Beschäftigten in diesem traditionsreichen Industriezweig im Brandenburgischen von 1907 bis 1925 von 46 000 auf 59 000 zu, am Ende der Wirtschaftskrise (1933) arbeiteten noch 41 000 Personen in der Branche. Die Erzeugung von Papier blieb auf die alten Standorte in Spechthausen und Wolfswinkel bei Eberswalde, Hohenofen bei Neustadt (Dosse) und kleine Fabriken in Frankfurt, Lübben und Berlinchen begrenzt. Papier konnte vor allem aus Sachsen bezogen werden. Druckereien arbeiteten in Potsdam, Nauen, Oranienburg, Eberswalde, Trebbin, Neuruppin (Gustav Kühn), Soldin und Neudamm (Neumark). In der Holzindustrie bestand die Arbeitsteilung: Sägerei und Grobverarbeitung in der Provinz und feinere Verarbeitung in Berlin fort. Während die Zahl der Beschäftigten in Berlin abnahm, wuchs sie in der Provinz von 1907 mit 40 000 auf 48 000 (1925) und sogar 55 000 am Ende der Rrise. Die Verlagerung von Betrieben aus Berlin hielt an. Der waldreiche Norden und Osten der Provinz lieferte aus den Sägereien an Oberhavel, Finowkanal, Warthe und unterer Oder Bau- und Grubenholz, Eisenbahnschwellen nach Land und Provinz Sachsen und Hannover, Grubenholz vor allem in das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Holzverarbeitungswerke arbeiteten in Rehfelde (Platten), Retzin (Holzabsätze), Strausberg (Rnöpfe) und anderen Orten. Die Möbelfabrikation hatte in vielen Städten und Orten bedeutende Produktionsstätten, so in Klosterfelde für Küchenmöbel, mehrere Fabriken in Luckenwalde. Normteile für die Bautischlerei fertigte die Firma Bendix in Landsberg. Für den Export produzierte eine Firma in Arnswalde Pinsel und Bürsten, und eine gleichartige Fabrik in Züllichau deckte den Bedarf Berlins zu 80 Prozent. Als hochspezialisierte Fabriken sind die für Metallspielwaren in Brandenburg, für Klaviere in Luckenwalde und für Orgeln in Frankfurt, für Schallplatten die Elektrola AG in Nowawes (heute Potsdam-Babelsberg) zu erwähnen. Die Lederwarenindustrie (Oranienburg, Havelberg, Neuruppin, Bernau, Drossen, Strasburg, Rönigsberg, TVeuenbrietzen) fertigte vor allem für die Landwirtschaft Reilriemen, Pferdegeschirr und Peitschen, aber auch Taschen und Handschuhe. Eine Spezialfabrik in Kirchhain verarbeitete Schaffelle zu Weißleder, und in Nowawes wurden Hasen- und Kaninchenfelle zu Nappaleder und Hutstoffen. Alle diese Betriebe nahmen einen konjunkturellen Aufschwung mit verbessertem
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Holzfahren im Märkischen Kiefernwald während der zwanziger Jahre
Einkommen breiter Bevölkerungskreise nach den Jahren des Krieges und der Inflation. Nahrungsmittelindustrie beziehungsweise -gewerbe wuchsen ebenfalls: von 1907 bis 1925 nahm die Zahl der Beschäftigten von 42 000 auf 48 000 zu, und selbst in der Wirtschaftskrise blieb dieser Wirtschaftszweig stabil und erweiterte sich noch um 7 000 Beschäftigte. Provinztypische Erzeugnisse, wie zum Beispiel Rartoffelstärke, produzierten Fabriken in Küstrin, Frankfurt, Zielenzig, Neuruppin, Zehdenick und Brandenburg. Zuckerfabriken in Prenzlau, Arnswalde, Thöringswerder im Oderbruch verarbeiteten die Büben aus den Hauptanbaugebieten; mehrere Fabriken mußten infolge der Krise stillgelegt werden, so in Nauen, Ketzin und Prenzlau. In Cottbus und Pritzwalk und in vielen Gutsdörfern brannte man aus Kartoffelüberschüssen traditionell Sprit. Die Brauereien in Potsdam, Frankfurt, Eberswalde und Pritzwalk hatten sich starker Konkurrenz der Berliner Großbrauereien zu erwehren. Brandenburger und Schwedter Fabriken lieferten Zigarren. In mehreren Orten verarbeiteten Fabriken für den städtischen Bedarf einheimisches Obst und Gemüse zu Konserven. Bäckereien, Fleischereien und Molkereien wurden überwiegend noch handwerklich betrieben (1925 etwa 38 000 Beschäftigte). Fast 50 000 Werktätige (so 1925 mit Wachstumstendenz) arbeiteten im Bekleidungsgewerbe der Provinz, vor allem in der Kleider- und Wäscheherstellung. Massenprodukte lieferten Werke in Cottbus und Bathenow sowie die Gefängnisse in Brandenburg und Luckau. Die Hutindustrie war in Luckenwalde und Guben konzentriert. In Guben fertigten 1927 etwa 7 000 Beschäftigte 10 Millionen Hüte. Schuhe produzierte man in Fürstenwalde, Storkow, Strausberg, Luckau und Luckenwalde sowie anderenorts. Beinigungsbetriebe befanden sich in Freienw a l d e und W r i e z e n ( f ü r F e d e r n ) .
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Im Baugewerbe der Provinz arbeiteten 1925 über 61000 Menschen, die auch Aufträge auf Baustellen in Berlin ausführten. Umgekehrt waren die Berliner Großunternehmungen des Hoch-, Tief- und Eisenbetonbaus im Brandenburgischen und weit darüber hinaus tätig. Trotz drängender Wohnungsnot in allen Orten und auf dem Lande kam die Bautätigkeit nur schleppend in Gang. In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre entwickelte sich dann eine rege Bautätigkeit, gefördert durch Aufträge für kommunale Bauten und im städtischen Wohnungsbau, der jedoch mit Einbruch der Krise - nach wenigen Jahren also - stark zurückging. Die Zahl der Beschäftigten fiel auf 49 000 (1933) zurück. Trotzdem: ganze Straßenzüge, Stadtviertel, ja ganze Orte hatten infolge der Neubauten, zum Teil durch Genossenschaften und Reformarchitekten gestaltet, ein neues Aussehen erhalten (Bernau, Eberswalde, Brieskow-Finkenheerd, Caputh, Dahlewitz und andere Orte). Die Elektrifizierung und Stromversorgung sicherten die Märkischen Elektrizitätswerke AG (MEW) und die Elektrizitätswerke Südwest AG. Während des Krieges ging die MEW an den Provinzialverband und die versorgten Kreise über. Wichtigstes Kraftwerk war Finkenheerd an der Oder, eine auf Braunkohlenbasis seit 1921 produzierende Großzentrale. Die Stromerzeugung wuchs von 1919 mit 74,2 Millionen Kilowattstunden auf 427,9 Millionen Kilowattstunden im Jahre 1927. Die MEW versorgten auch Gebiete Pommerns, Mecklenburgs und die Grenzmark. In den Jahren der Konjunktur 1927/28 warfen die MEW acht bis zehn Prozent Dividende ab. Zentrale Wasserwerke gab es nur in den drei an Berlin angrenzenden Landkreisen. In den Städten und Dörfern Brandenburgs zählte man 1934 über 71 000 Handwerksbetriebe. Etwa ein Drittel aller Beschäftigten in der Provinz überhaupt arbeiteten in Allein- oder Kleinbetrieben. Besonders groß war der Anteil der Handwerker in der Metallbranche (mit Schmieden, Schlossern, Klempnern), in Holzverarbeitungsbetrieben (Tischlern), bei Bäckern und Fleischern, in der Kleider- und Wäscheherstellung, Putzmacherei, in der Schuhmacherei sowie im Baugewerbe. Neu entstand das Kraftfahrzeughandwerk. Handwerksmeister bildeten Lehrlinge aus, die dann oft in die Industrie abwanderten und hier qualifizierten Nachwuchs als Facharbeiter bildeten. Die Kleinstbetriebe produzierten Teilfabrikate, arbeiteten an Bauten und Wohnungen und deren Ausstattung mit. Zunehmend waren sie arbeitsteilig in industrielle Produktionsprozesse einbezogen, füllten Lücken und Restaufträge der Industrie. Ihre Leistungen für Versorgung und Dienste waren für die Bevölkerung unentbehrlich. Im H A N D E L , G E L D - U N D VERKEHRSWESEN waren etwa ein Drittel der in Industrie und Gewerbe Beschäftigten tätig (1925 rund 168 000, mit steigender Tendenz: 1933 rund 190 000). Sie waren in den Provinzzentren Frankfurt, Cottbus, Brandenburg und Potsdam konzentriert: diese blieben aber zum Beispiel als Bankstandorte im Vergleich zu Berlin und Mittel- und Großstädten Mitteldeutschlands eben doch provinziell. Das Verkehrswesen war mit sechzehn Eisenbahnhauptlinien, auch aus strategischen Gründen, auf Berlin ausgerichtet. Mit Bildung der Reichsbahn (RB) nahm die RB-Direktion Osten 1923 in Frankfurt ihren Sitz. Die Anlagen (Verschiebebahnhöfe, Betriebs- und Reparaturstätten) begünstigten die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz. Sie erfuhren wie auch Telefonverbindungen und Posteinrichtungen eine
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weitgehende Modernisierung. Der Provinzialverband unterhielt daneben 8 Nebenbahnen (379 Kilometer) und war mit dem preußischen Staat an 28 Kleinbahnunternehmungen mit über 900 Kilometer Länge beteiligt. Neu gebaut wurden ab 1919 mit Notstandsarbeitern die Kleinbahnen Freienwalde-Zehden-Hohenlübbichow und Saarow/West-Silberberg, aber 1920 mußte der Bau wegen hoher Kosten wieder eingestellt werden. 1921 konnte die 6,2 Kilometer lange Strausberger Eisenbahn elektrifiziert werden, ein Vorgang, der ansonsten wesentlich auf die Berliner Vorortbahnen beschränkt blieb. Schließlich (1930) nahmen auch die Buckower Kleinbahn und die Strecke Gransee - Neuglobsow den Verkehr auf. Wegen ungenügender Leistungen der Reichsbahn nahm der Lkw-Verkehr schon 1920/21 besonders im Braunkohlenrevier zu. Zwölf Autobuslinien wurden in der Provinz eingerichtet. Der Chausseebau war 1917/18 fast völlig eingestellt worden; 1919 begann er wieder mit Hilfe von Arbeitslosen und Zuschüssen von Staat und Reich, um 1920/21 erneut zum Stillstand zu kommen. Erst 1924 konnte man die vor dem Krieg begonnene Teerung der Straßen fortführen. Immerhin gab es schon 3 600 Pkw (in Berlin 6 650) und 4 270 Lkw (1 600), die allerdings nur eine maximale Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometer erreichten. 1925 übernahm die Provinz 2 200 Kilometer Kreisstraßen in ihre Verwaltung. Der Gemeindewegebau florierte. 1926 gab die Provinz für Unterhaltung und Instandsetzung der alten und neuen Provinzialstraßen 11,7 Millionen Mark aus. Das neue Basaltwerk Rabishau ging mit 400 Tonnen Schotter pro Tag in Betrieb. 1928 begann man die Straßen stärker mit Bitumen, Splitt, Prellsteinen zu befestigen, Fußgänger- und Fahrradwege abzugrenzen. Als Neubau entstanden die Straßen Erkner-Hangelsberg und Peitz-Lieberose. Infolge des schnelleren Kfz-Einsatzes waren Personen- und Güterverkehr auf der Bahn rückläufig. Anfang der zwanziger Jahre begann die Diskussion über den Weiterbau des Mittellandkanals und über einen Großschiffahrtskanal, der durch das Lausitzer Braunkohlengebiet Elbe und Oder verbinden sollte. Während der Mittellandkanal ab 1926 im Rahmen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms im großen Maßstab in Angriff genommen und bis 1933 an die Elbe geführt wurde, kam das zweite Projekt nicht voran. Ebenso blieben Pläne, Berlin über Jüterbog mit Leipzig und Wittenberge mit Wismar durch Kanäle zu verbinden, Visionen. Die Oder-Havel-Verbindung konnte durch das 1926 bis 1934 bei Niederfinow errichtete Schiffshebewerk erheblich verbessert werden. In einem Zug kann der Höhenunterschied zwischen Odertal und Barnimhochfläche mit dem Fahrstuhl statt in vier Schleusentreppen überwunden werden. Über acht Jahre arbeiteten am Bau etwa 1 000 Arbeiter. Am Oder-Spree-Kanal entstand die Schachtschleuse Fürstenberg an der Oder. Auf etwa 1 500 Kilometer märkischer Wasserstraßen transportierten Binnenschiffer (1935) über zehn Millionen Tonnen Güter, weniger als auf dem Rhein, jedoch mehr als auf der Elbe. Dem neuesten Verkehrsmittel öffnete sich die Provinz, als 1927 die Brandenburgische Luftverkehrsgesellschaft gegründet und ab Sommer 1928 die Flugstrecken Cottbus-Halle/Leipzig-Schkeuditz sowie die Riesengebirgslinie beflogen wurde. Schon einige Jahre zuvor konnte man von Berlin nach Cottbus-Görlitz-HirschbergBreslau fliegen. Die Lufthansa (1926) flog später auch Neiße und Gleiwitz an, die
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Nordbayrische Verkehrsflug AG von Cottbus nach Dresden und von Dresden über Cottbus, Guben, Frankfurt an der Oder nach Stettin. Neben 16 000 Passagieren (1930) transportierten die Flugzeuge Post und Fracht. Insgesamt belief sich der Güterverkehr der Provinz 1932 auf etwa 20 Millionen Tonnen, wobei der Versand aus der Provinz (9,0 Millionen Tonnen) den Empfang (rund 7,5 Millionen Tonnen) übertraf. Innerhalb der Provinz selbst wurden fast 4 Millionen Tonnen bewegt. Besonders intensiv war der Güteraustausch mit Berlin, dem Roh- und Baustoffe sowie Lebensmittel zugeführt wurden. Lebhafter Güteraustausch vollzog sich mit Oberschlesien (Steinkohle), dem Bezirk Unterelbe, mit Pommern, dem Freistaat Sachsen und Mitteldeutschland. Durch seine zentrale Lage kreuzten sich nationale und internationale Handels- und Verkehrswege in der Provinz, Mittelpunkt blieb Berlin. Landwirtschaft und Industrie, Handel, Gewerbe und Verkehr entwickelten sich in der Provinz diskontinuierlich. Nach der unmittelbaren Nachkriegskrise folgte ein erster kurzer Aufschwung, der schon 1920 durch Krisenerscheinungen und die wachsende Inflation unterbrochen wurde. Die kurzen Jahre der Stabilisierung, des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Konjunktur brachten einen kräftigen Modernisierungsschub für die Wirtschaft Brandenburgs, jedoch unterbrochen durch Zwischenkrisen, nach Branchen und territorial durchaus von unterschiedlicher Intensität. Die große Krise, 1928 schon in der Landwirtschaft sichtbar, erfaßte alle Wirtschaftszweige und hatte tiefgreifende soziale und politische Folgen.
»Goldene Zwanziger« in der Provinz? Auf und Ab der wirtschaftlichen Verhältnisse beeinilußten unmittelbar die Arbeitsund Lebensbedingungen aller Einwohner der Provinz. Einen Einblick in soziale Verhältnisse im ersten Nachkriegs jähr gibt ein Auszug aus dem Bericht des Provinzialausschusses vom 12. Februar 1920, in dem über die Lage in den brandenburgischen Fürsorgeanstalten berichtet wird: Die Mittagsmahlzeiten bestünden bei anhaltender Kartoffelknappheit aus Kohlrüben, Sauerkraut und Dörrgemüse, Brot sei rar und von schlechter Qualität. Es mangle an warmer Bekleidung und Schuhen. Kinder erhielten Schürzen und Anzüge aus Papierstoffen. Seifenmangel führte zu Unsauberkeit und Hautkrankheiten, Kohlennot zu Erkältungskrankheiten. Es mangele an Arzneimitteln und Verbandsstoffen. Es grassierten Ruhr, Tuberkulose und Grippe. In Pflege- und Krankenanstalten betrug die Zunahme der Todesfälle (gegenüber der Vorkriegszeit) 100 Prozent.52 In Stadt und Land fehlte es an Wohnungen, auch weil während des Krieges der Wohnungsbau fast völlig zum Erliegen gekommen war. Der Provinzialausschuß stellte Anfang 1920 fest: Sämtliche Städte in der Provinz Brandenburg leiden in schwerstem Maße unter dem Mangel an verfügbarem Wohnraum. Auch in den Landgemeinden sind Wohnungen kaum zu haben... So wird die Unterkunftsfrage als die 52 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht Februar 1920, Bl. 22f.
des Provinzialausschusses
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zur Zeit brennendste in unserem ganzen Wirtschaftsleben bezeichnet werden könnend Die einzige Möglichkeit zur Abhilfe sah man in der »gemeinnützigen Bautätigkeit«, mit Unterstützung der Provinz durch Siedlungsgesellschaften, Genossenschaften und Bauernvereinigungen betrieben. Aber Mangel beziehungsweise Verteuerung der Baustoffe und wachsende Lohnkosten beschränkten den Wohnungsbau. Mit der Inflationskonjunktur 1922 nahm die Bautätigkeit dann zu. Eine durch den Krieg bedingte große soziale Aufgabe bestand für die Provinz in der Fürsorge für Opfer. Im Oktober 1922 betraf das 56 000 Kriegsbeschädigte, davon über 11 000 Schwerbeschädigte, 25 000 Kriegerwitwen, über 47 000 Waisen, darunter über 2 500 Vollwaisen, fast 10 000 Eltern von Kriegsgefallenen, von denen 8 800 erwerbslos waren. Die öffentliche Hilfe belief sich 1922 etwa auf 19 Millionen Mark. Die Kosten für ein Fahrrad (für Beingeschädigte) betrug Ende 1921 noch 1 500 bis 2 000 Mark, Ende 1922 bereits 110 000 Mark. Arbeitszeug, bestehend aus Hemd, Anzug und Stiefel, kostete Ende 1921 zwischen 700 und 1 000 Mark, Ende 1922 dann 30 bis 50 000 Mark.54 An den Fürsorgeeinrichtungen erfolgten zunächst (1919) nur die notwendigsten Arbeiten. Die Landesarmen- und Korrigendenanstalt Prenzlau, die Siechenanstalt Wittstock und die Landesirrenanstalt Landsberg erhielten Anschluß an die Kanalisation. Das Hauptgebäude der Landesirrenanstalt Eberswalde bekam elektrische Beleuchtung. Der vorgesehene Bau von 80 Wohnungen in einer Wärtersiedlung bei der Landesirrenanstalt Neuruppin mußte zunächst unterbleiben. 55 Bis Ende 1923 bestanden in der Provinz mehrere Sammellager für Personen aus den ehemals preußischen Provinzen, die nicht für den polnischen Staat optieren wollten. Noch 1924 kamen etwa 1 000 Menschen nach Schneidemühl. Trotz der in der Revolution errungenen Verbesserungen in der sozialen Position der Arbeiter mit einem Achtstundentag und durch die von den Gewerkschaften mit den Unternehmerverbänden auszuhandelnden Tarifabkommen blieben die Arbeits- und Lebensbedingungen schwer. Bei guter Beschäftigungslage in Industrie und Bauwesen im Herbst 1921 und Frühjahr 1922, während der Inflationskonjunktur, berichteten die Gewerbeinspektoren von Verstößen gegen den Achtstundentag oder das Verbot der Kinderarbeit, so im Porzellanwerk Teltow, dem Torfwerk Beeskow oder in der Papierfabrik Spechthausen. Im Lohnniveau gab es wegen der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten und der örtlich verschiedenen Stärke der Gewerkschaften starke Unterschiede. Relativ hohe Löhne erhielten Metall- und Bauarbeiter, schlechter entlohnt waren Textil- und Holzarbeiter. Die Inflation traf fast alle Schichten der Bevölkerung hart, vor allem auch kleinbürgerliche und Mittelschichten. Ihre Folgen gingen nicht zu Lasten der für den Krieg und dessen Resultate verantwortlichen Kräfte, sondern fielen im Verständnis vieler Menschen auf die Republik zurück und minderten ihr Prestige ungemein.
53 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht vom 12. Februar 1920, Bl. 77. 54 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses 1. Februar 1923, Bl. 78f. 55 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses 12. Februar 1920, Bl. 10.
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Extremistische Parteien und Organisationen haben mit ihrer Propaganda viel zu diesem falschen Bild beigetragen. Mit der Stabilisierungsperiode nach 1924 verbesserten sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse sehr weitgehend, wenn auch ungleichmäßig, nicht durchgehend und kontinuierlich. Beamte und Angestellte erhielten 1924 Lohnaufbesserung. Im Braunkohlenbergbau (Bubiag) wuchsen die durchschnittlichen Arbeiterwochenlöhne von 1925/26 mit 30,24 Mark über 1927/28 mit 37,26 Mark bis auf 44,58 Mark im Jahr 1929.56 Für einen Arbeiter am Flußbau (mit Familie und zwei Rindern) betrug der Durchschnittsstundenlohn 1914: 0,32 Mark, 1923: 0,37 Mark und 1925 dann 0,52 Mark. Gänzlich andere Bedingungen bestanden für Landarbeiter. 1926 galten für Schnitter im Kreis Angermünde (in der Saison) für Männer und starke Burschen Stundenlöhne von 17 Pfennige, für Frauen, Mädchen und Burschen 13 Pfennige. Dazu gab es wöchentliches Deputat von 25 Pfund Kartoffeln, sieben Pfund Brot, dreieinhalb Liter Milch, drei Pfund Mehl, einem Pfund Fett oder Fleisch.57 Auch in den Jahren der Prosperität blieb die Arbeitslosigkeit ein ungelöstes Problem. Die Zahl der Hauptunterstützung erhaltenden Arbeitslosen betrug am 1. Februar 1924 in der Provinz fast 67 000, die der zuschlagempfangenden Angehörigen über 76 000. Ihre Zahl fiel bis zum 1. August auf jeweils um 1 600, stieg dann aber infolge der Zwischenkrise bis zum 1. Februar 1926 wieder auf69 000 plus 81 000, fiel dann im Laufe des Jahres, aber am 1. Januar 1927 gab es immer noch über 53 000 Erwerbslose mit 61 000 Angehörigen, so daß der Provinzialausschuß für 1926 konstatieren mußte: Das Bild ist außerordentlich trübe, die sprunghafte Steigerung der Arbeitslosigkeit sei auf den »katastrophalen Rückgang der Produktion« zurückzuführen. 58 Mit neuerlichem Aufschwung 1927 verbesserten sich die Löhne zum Beispiel eines Arbeiters am Flußbau vom März 1925 mit 0,58 Mark auf 0,66 Mark am 1. April 1928 und zwei Jahre später auf 0,71 Mark.59 Für Beschäftigte in den Vereinigten Märkischen Tuchfabriken AG erhöhten sich die Arbeitergrundlöhne zum 1. Oktober 1927 um neun Prozent. Dadurch verdienten Maschinisten, Schlosser und Handwerker (über 20 Jahre) fortan 74 Pfennige, Arbeiter (über 20 Jahre) 61 Pfennige und Arbeiterinnen (über 20 Jahre) 41,5 Pfennige pro Stunde.60 In den Städten und Gemeinden entstanden neue Wohnungen, selbst der Landarbeiterwohnungsbau kam voran. Fertiggestellte Wohnungen in der Provinz Brandenburg (einschließlich Umbauwohnungen) 61 56 Dokumente und Materialien 1924 bis 1929, S. 35. 57 Dokumente und Materialien 1924 bis 1929, S. 58. 58 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses vom 18. Januar 1927·, über den Stand der Arbeitslosigkeit in Brandenburg 1925 bis 1927 in: Dokumente und Materialien 1924 bis 1929, S. 74. 59 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses vom 30. Januar 1929, Bl. 55. 60 Dokumente und Materialien 1924 bis 1929, S. 37. 61 Berechnet nach: Walter Fey, Leistungen und Auf gaben im deutschen Wohnungs-und Sied-
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1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935
fertige Wohnungen insgesamt 6 057 8 593 9 682 13 507 14 749 15 091 15 478 13 268 13 103 11 982 15 249 13911
Ein hoher Prozentsatz der neuen Wohnungen entfiel auf Kleinhäuser, die ständig um 90 Prozent der insgesamt fertiggestellten Wohngebäude ausmachten. In den Städten und Gemeinden wuchsen zum Teil ausgedehnte Siedlungen neben den und außerhalb der bisherigen Wohngebiete. Der Anteil der Kleinwohnungen mit ein bis drei Wohnräumen (einschließlich Küche) belief sich um 65 Prozent. Die Ausstattung der Wohnungen mit Gas, Elektrizität, Wasseranschluß und Entsorgung entsprach oft einem Minimum an Komfort und hygienischen Anforderungen. Zentrale Beheizung und Warmwasserversorgung wie auch Anschluß an kommunale Entwässerungssysteme waren durchaus noch die Ausnahme. Der Bedarf an Wohnungen, vor allem preisgünstigen, konnte nicht gedeckt werden. In den Jahren 1933 bis 1935 registrierte man in der Provinz Brandenburg 83 534 Eheschließungen (30,6 auf 1 000 der Bevölkerung), dem stand ein Zugang an Wohnungen durch Neu- und Umbau von 38 240 (14 auf 1 000) gegenüber. Damit erreichte die Provinz noch ein vergleichsweise - zum Beispiel gegenüber den preußischen Ostprovinzen - günstiges, aber keineswegs ausreichendes Verhältnis. Mit über 5 000 sogenannten Neuwohnungen hatten Frankfurt und Potsdam einen besonders hohen Zuwachs zwischen 1924 und 1935 zu verzeichnen, in Brandenburg waren es immerhin 4 300 und in Cottbus 3 400 neu- beziehungsweise umgebaute Wohnungen. Die Ausgaben der Provinz für die »Jugendpflege« verdreifachten sich von 1925 auf 1926 (insgesamt allerdings nur 150 000 Mark). 1927 widmeten sich 149 Fürsorgerinnen der allgemeinen Wohlfahrtspflege, der Gesundheits- und Jugendpflege in der Provinz. 1 600 Plätze in Wanderarbeitsheimen halfen etwa 10 000 Menschen bei der Quartiersuche. Für 40 Pflegerfamilien an der Landirrenanstalt Neuruppin konnten 1926 die Wohnungen fertiggestellt werden. Bei der Pflegeanstalt Treuenbrietzen entstand 1925/26 ein neues TB-Krankenhaus. Im Wittstocker Heim, das bisher in die Dosse entwässert hatte, errichtete man eine biologische Kläranlage (1927). lungsbau (= Sonderhefte des Instituts für Konjunkturforschung, Nr. 42), Hamburg 1936, S. 60-66.
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Alle diese - hier nur beispielhaft angedeuteten - Verbesserungen der Arbeitsund Lebensweise breiter Bevölkerungsschichten, des Ausbaus und der Neugestaltung vieler Städte und Dörfer, ein sichtbarer Fortschritt in der Landeskultur überhaupt, fanden ihre abrupte Unterbrechung mit dem offenen Ausbruch der großen Krise Ende 1929. Die Krise betraf die verschiedenen Wirtschaftszweige unterschiedlich stark; generell ergriff sie die Produktionsmittel herstellenden Betriebe stärker als die Konsumgüterindustrie. Besonders stark krisengeschüttelt waren die Eisen- und Metallgewinnung, der Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbau, die Bauwirtschaft und die Industrien der Steine und Erden, die Glasindustrie sowie die Musikinstrumenten- und Spielwarenbranchen. Relativ behaupten konnten sich Eisen-, Stahl- und Metallwarenbetriebe und Betriebe der Feinmechanik, Elektroindustrie und Optik, die wegen billigerer Arbeitslöhne in der Provinz eher Aufträge erhielten, als zum Beispiel Berliner Unternehmen. Eine Zunahme der Produktion und der Zahl der Beschäftigten ist in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, in pharmazeutischen Werken, bei Gärtnereien und in der Viehzucht festzustellen. Die Zahl der Betriebe in der Provinz nahm von 1925 bis 1933 zwar zu (im deutlichen Unterschied zu Berlin), vor allem durch Neugründungen von Arbeitern und Angestellten, die aus Berliner Großbetrieben entlassen waren, die Zahl der Beschäftigten sank aber unter den Stand von 1907 und betrug 1933 lediglich dreiviertel des Standes von 1925. Schon Anfang 1930 stellte die Brandenburgische Handelskammer zur Wirtschaftslage in der Provinz fest, sie sei außerordentlich schlecht.62 1929 hatte sich die Zahl der in Konkurs gegangenen Betriebe gegenüber 1928 bereits verdoppelt; besonders betroffen war die Metallindustrie in Brandenburg, wo insgesamt 29 Betriebe pleite waren, von den drei Fahrradfabriken lag eine still, die beiden anderen arbeiteten eingeschränkt. Die Situation in den optischen Werken Rathenows hatte sich so verschlechtert, daß wegen Arbeitsmangels Entlassungen ausgesprochen wurden; das betraf auch die dortige Etuifabrik. Während viele Maschinenfabriken ihre Produktion schon eingestellt hatten, befanden sich zum Beispiel die Singer-Werke Wittenberge noch im Aufwind. Stillegungen gab es auch schon in der Textilindustrie von Nowawes und Luckenwalde. Hart betroffen war die Lausitzer Textilindustrie. In Forst, dem »deutschen Manchester«, das mit 264 Tuchindustriebetrieben (1925) hinsichtlich der Anzahl der Unternehmungen an der Spitze aller deutschen Städte (vor Aachen mit 140 Betrieben) stand, fiel die Hichlieferung von 1924 mit 14 400 Tonnen auf 7 700 Tonnen im Jahr 1930 zurück. Hier gingen schon im Zeitraum vom Januar bis August 1929 vierundvierzig Firmen in Konkurs und elf in den Vergleich. Ende 1932 zählte Spremberg 23 Prozent der Erwerbsfähigen als arbeitslos, vorwiegend Textilarbeiter waren betroffen. 63 Völligen Niedergang erlebte die Hutindustrie (Luckenwalde, Guben). Für die Beschäftigten verschlechterte sich die Entlohnung in allen Industriezweigen. In der brandenburgischen Metallindustrie fiel der Stundenspitzenlohn 62 Deutsche Zeitung vom 8. Januar 1930. 63 Vgl. Brigitte Zuckermann, Standortentwicklung und Standortverteilung der Tuchindustrie im Bezirk Cottbus vom Jahre 1870 bis zur Gegenwart - eine historisch-geographische Untersuchung, Phil.-Habil.-Schrift, PH Potsdam 1968, S. 113 u. 145.
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für Werkzeugdreher, -schlosser und -schmiede (über 22 Jahre) von 77 Pfennige im Januar 1931 auf 65,5 Pfennige ab 1. Januar 1932; Arbeiterinnen (über 21 Jahre) erhielten (im selben Zeitraum) statt 37,5 Pfennige nur noch 31,9 Pfennige.64 Der Grundlohn in der Lausitzer Tuchindustrie fiel für einen Weber (über 20 Jahre) von 53,5 Pfennige (Männer) und 44 Pfennige (Frauen) im März 1931 auf 49 beziehungsweise 39,5 Pfennige ab Januar 1932.65 Die Spitzenlöhne im Braunkohlenbergbau fielen von 80 auf 68 Pfennige (Mai 1931/Januar 1932) pro Stunde.66 Bei der Sicht auf diese durchaus miserablen Löhne muß natürlich berücksichtigt werden, daß am 1. Januar 1932 im Landkreis Cottbus ein Kilo Roggenmehl oder auch Brot 40 Pfennige, das Kilo Schweinekotelett 2,20 Mark und das Kilo Butter 2,50 Mark kosteten. Der Liter Milch war für 32 Pfennige und der Zentner Kartoffeln für 2,50 bis 3 Mark zu haben; Preßkohlen gab es für 1,05 Mark pro Zentner. 67 Trotzdem: für viele Menschen war die Lage verzweifelt schlecht, und manche wandten sich denen zu, die für die Zukunft allen alles versprachen, natürlich nur Gutes. Die schlechte Wirtschaftslage brachte Steuerausfall und den Rückgang der Ausgaben für öffentliche Anliegen. Die Ausgaben der Provinz mußten 1931 und 1932 um jeweils 20 Prozent gekürzt werden. Am 1. Februar 1931 erfolgte eine Gehaltsminderung für Angestellte und Beamte um sechs Prozent. Bau- und Siedlungsvorhaben wurden lediglich noch abgewickelt, keine neuen Engagements eingegangen. 68 Am stärksten betroffen von den Auswirkungen der Krise waren die Arbeitslosen und Fürsorgeempfänger. Ende 1931 gab es in der Provinz mehr als 232 000 Arbeitslose. Besonders hoch lagen die Zahlen für Brandenburg mit über 16 000 (143 auf 1 000 Einwohner), Kreis Luckenwalde mit mehr als 8 200 (109 auf 1 000 Einwohner), Kreis Teltow mit mehr als 9 800 (99 auf 1 000 Einwohner) und Forst mit 14 732 (98 auf 1 000 Einwohner). Bis zum 15. März 1932 stiegen die Zahlen noch weiter an, auf einen Höchststand für die Provinz insgesamt mit 250 000, und am Ende des Jahres lagen die Zahlen noch weit über 200 000, auch wenn sich - im Unterschied zu Berlin - an einigen Orten bereits leichte Verbesserungen der Wirtschaftslage andeuteten. 69 Immer mehr Arbeitslose erhielten statt der Hauptunterstützung aus der Arbeitslosenversicherung lediglich Krisenunterstützung oder waren - bei langwährender Arbeitslosigkeit - auf die geringsten Leistungen der städtischen beziehungsweise Gemeinde-Wohlfahrt angewiesen. Weit verbreitet war die Kurzarbeit. Die Ausgaben für die Landesanstalten (Obdachlosenheime, Pflege- und Irrenanstalten, Blinden- und andere Fürsorgeeinrichtungen) gingen um 20 Prozent zurück. Gelder für Beköstigung, Feuerung, Beleuchtung, Bauunterhaltung standen 64 Dokumente und Materialien zu den sozialen und politischen Verhältnissen in der Provinz Brandenburg von 1929 bis 1933 (künftig zitiert: Dokumente und Materialien 1929 bis 1933), ausgewählt und eingeleitet von Rudolf Knaack und Wolfgang Schlicker, Potsdam 1974, S. 44f. 65 Dokumente und Materialien 1929 bis 1933, S. 63f. 66 Dokumente und Materialien 1929 bis 1933, S. 35. 67 Dokumente und Materialien 1929 bis 1933, S. 69f. 68 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses vom 1. Februar 1932, Bl. 49. 69 Dokumente und Materialien 1929 bis 1933, S. 113-115.
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nur noch in stark gekürztem Umfang zur Verfügung, dringend notwendige Maßnahmen wurden rücksichtslos zurückgestellt. An täglichen Ernährungskosten kamen auf Pfleglinge und Geisteskranke pro Tag 50, auf Wanderarbeiter 55, auf Taubstumme, Blinde und Fürsorgezöglinge 60 Pfennige. Seit Juli 1931 bestand ein Verbot, Textilien für diese Menschen zu beschaffen. 70 So ist die Frage nach den »Goldenen Zwanziger Jahren« wie für die Lebensverhältnisse in Berlin auch für die Provinz nicht eindeutig positiv zu beantworten: im Vergleich mit den zurückliegenden Kriegs- und Inflationsjahren und mit Sicht voraus auf NS-Diktatur und Zweiter Weltkrieg kann man durchaus von »goldenen« Jahren sprechen, jedoch wohl nur für wenige Jahre und selbst in diesen nicht für alle Bürger in gleicher Weise. Das Fragezeichen bleibt stehen, auch wenn man den Blick auf Bildung und Kultur in der Provinz weitet und die Lebensqualität umfassender betrachtet. /
Bildung und Kultur zwischen Tradition und Moderne Das Ende des Weltkrieges, Revolution und Republik bewirkten nicht nur in Politik und Ökonomie, sondern auch in Bildung und Kultur tiefgehende Wandlungen. Die internationalen und nationalen Entwicklungen prägten letztlich auch das, was in der brandenburgischen Provinz geschah. Wenig erforscht ist das Alltagsleben der Menschen; sicher ist, daß in sehr unterschiedlichem Maße Hauptstadt und flaches Land von neuen Tendenzen, dem modernen Dasein, erfaßt wurden. Vieles Alte, Traditionelle lebte in der Provinz noch massenhaft fort, was in der Großstadt lange vor dem Krieg schon als museal galt. Innerhalb der Provinz gab es zudem ein deutliches Gefalle zwischen Mittel- und Kleinstädten einerseits und den Dörfern und Flecken andererseits. Die Modernisierung betraf die sozialen Klassen und Schichten, Berufs- und Altersgruppen sehr differenziert: Landarbeiter und Kleinbauern, Handwerker und Händler, die ältere Generation insgesamt minder, viel stärker dagegen die Industriearbeiter, Angestellten und Beamten, die heranwachsenden und produktiven Jahrgänge viel intensiver als die älteren. Ihren traditionellen Einfluß auf das geistige Leben insbesondere auf dem flachen Lande bewahrten über die Revolution hinweg die Religionsgemeinschaften. Da der König mit seinem Sturz auch als oberster Bischof ausschied, mußte das protestantische Landeskirchenregiment neu geordnet werden. Dies geschah durch drei Gesetze der Preußischen Landesversammlung, die sie am 8. Juli 1920 beschloß. Darin wurde die Kirche vom Staat getrennt und auf neue gesetzliche Grundlagen gestellt. Die Mehrheit der Bevölkerung der Provinz Brandenburg gehörte weiterhin der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union an, wenn auch die Zahl der Kirchenaustritte stark anwuchs. Betrug sie 1918 in Berlin 2 402 und in der Provinz 966, so waren es 1919 mehr als 41 000 beziehungsweise 38 500 und 1920 sogar über 48 500 bzw 33 500. Damit war auch der Höhepunkt der Austritte überschritten. 1925 gehörten der Evangelischen Kirche rund 2,4 Millionen (d.h. 92 Prozent) 70 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht 28. Januar 1933, Bl. 13.
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der Bürger an. Obgleich die Weimarer Verfassung der Kirche alle religiösen Freiheiten und materielle Sicherung garantierte, blieb sie gegen die demokratische Republik reserviert, ablehnend bis feindlich; ein größerer Teil der Pfarrer folgte politisch der DNVP. Eine progressive Minderheit in der evangelischen Kirche vermochte nicht, eine demokratische Erneuerung durchzusetzen. Die Katholische Kirche, die eher ein bejahendes Verhältnis zur Republik fand, errichtete im Delegatur-Bezirk Brandenburg-Pommern 1929 das Bistum Berlin und regelte ihre Beziehung zum Staat durch ein Konkordat. Zu ihr bekannten sich 1925 etwa 140 000 Bürger, d.h. 5,3 Prozent der brandenburgischen Bevölkerung. Die Religions-Statistik weist für das Jahr 1925 die Zahl von 8 442 Juden aus. Die Dissidenten wandten sich teilweise dem Zentralverband der proletarischen Freidenker oder den freireligiösen Gemeinden zu. Die Kirchen führten ihre bewährte Arbeit auf karitativen, erzieherischen, alters- und jugendpflegerischen Gebieten fort. Bildung und Schulwesen als eine breiteste Kreise und alle Generationen berührende Problematik waren in der Revolution Gegenstand schärfster Kontroversen. Die Volksschule, die über 80 Prozent der Schüler in der Provinz aufnahm, blieb die wichtigste Bildungseinrichtung. An vielen Orten verbesserten sich die äußeren Bedingungen durch Neubauten sichtlich. Neben mustergültig ausgestatteten, vollausgebauten Bildungseinrichtungen existierten insbesondere in vielen Dörfern weiterhin einklassige Schulen, in denen ein Lehrer gleichzeitig alle (acht) Schülerjahrgänge in einem Klassenraum unterrichteten mußte. Verbessert wurden Unterrichtsinhalte, -gestaltung und -methodik besonders an solchen Schulen, wo Reformpädagogen wirkten. Kinder- und Jugendorganisationen sowie Elternbeiräte nahmen Einfluß auf Bildungs- und Erziehungsfragen. Größeren Zuspruch fand die Jugendweihe. Das verstärkte öffentliche Interesse an Schulfragen stärkte eine breite Reformbewegung und regte Lehrer und Eltern zu neuen Überlegungen, Methoden und Schulversuchen an. Deutliche Fortschritte erzielte das Berufsschulwesen, das auf Erziehung und Ausbildung eines qualifizierten Arbeiternachwuchses orientiert war, sowie das Sonderschulwesen mit Einrichtungen für körperlich und geistig geschädigte sowie kranke oder im Verhalten gestörte Kinder. Mit dem beachtlichen Ausbau der äußeren Bedingungen hielt die innere Neugestaltung der Bildungsinhalte nicht Schritt. Eine nationalistische, militaristische und klerikale Grundtendenz blieb weiterhin erhalten und bestimmend; auch durch Einführung des Faches »Staatsbürgerkunde« gelang es nicht, durchgehend eine demokratisch-republikanische Grundposition der Schüler zu bewirken. Als »Landesuniversität« galt immer noch die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Allerdings war das Verhältnis Republik - Universität durch die überwiegend konservative Grundhaltung der Professoren und die Eigenständigkeit der Hochschule gestört, bestenfalls konnte man von einem toleranten Verhalten sprechen. An den Hochschulen für Lehrerbildung in Frankfurt und Cottbus erhielten Grundschullehrer ihre Ausbildung (bis 1932). Die Provinz verfügte über eine Reihe von Fachschulen und Spezialeinrichtungen in Neuruppin, Nauen, Prenzlau und Templin. Eine Bildungsstätte besonderer Art entstand mit der Bundesschule des ADGB,
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Der Einstein-Turm in Potsdam, 1920/21 als spezielles SonnenObservatorium erbaut von Erich Mendelsohn.
die 1928/1930 im Bernauer Stadtforst nach einem Entwurf von Hannes Meyer errichtet wurde. Einer schwierigen Situation sah sich die Provinzialverwaltung hinsichtlich der Landeskultur, der Denkmalpflege und dem »Heimatschutz« nach den Kriegsjahren gegenüber. Die Schäden waren vielfach angewachsen, es bestand die Gefahr weiteren Verfalls und der Veräußerung von Kunstwerken, von historisch, wissenschaftlich oder künstlerisch wertvollen Gegenständen. Der Provinzialausschuß, die Provinzialkommission für Denkmalpflege und das Landeskulturamt konzentrierten ihre Arbeit und die finanziellen Mittel vor allem auf die Erhaltung historischer Denkmäler.71 Zunächst waren die Mittel sehr begrenzt. 1920 beliefen sie sich auf 75 000 Mark, 1921 konnten sie verdoppelt werden. Mit der galoppierenden Inflation mußten die Finanzen wieder auf allerdringendste Projekte beschränkt werden, ein Vorgang, der sich nach den »reichen« Jahren von 1924 bis 1929 mit der Krise ab 1930 wiederholte. Beihilfen zahlte die Provinz für die Restaurierung von Stadt- und Dorfkirchen, Klöstern und Schlössern sowie an Stadttürmen, Rathäusern und Stadtmauern. Angekauft und erhalten wurden historische Wohnhäuser sowie einige bäuerliche Anwesen. Unter den restaurier71 Für das Nachfolgende vgl. die jährlichen Verwaltungsberichte des Provinzialausschusses an den Provinziallandtag. - Die Leitung der Provinzialkommission übernahm 1919 Erich Blunck für den verstorbenen Theodor Goecke.
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ten Denkmälern waren die für den Kurfürsten Friedrich Wilhelm in Rathenow (1928/30), für Königin Luise (Schinkel) in Gransee und die Rolandstandbilder in Brandenburg sowie in Perleberg. Selbst im kleinsten Ort errichtete man Kriegerdenkmäler. Damit entstand, wie der Provinzialausschuß in seinem Bericht für 1920 hervorhob, die Gefahr, daß massenweis Denkmäler entstehen, welche nicht nur die Namen derfür das Vaterland Gefallenen und das Gedächtnis des großen Krieges der Nachwelt übermitteln, sondern auch dauernde Wahrzeichen des kulturellen Tiefstandes dieser Zeit bilden werden.12 Statt an den »minderwertigen« Denkmälern für den Krieg 1870/71 sollte man sich an der »ernsten Formensprache« der Denkmäler für die Befreiungskriege orientieren. Neu bearbeitet wurde das Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz; Ende 1931 mußte das Vorhaben wegen schwieriger Finanzverhältnisse vorläufig eingestellt werden, von den 36 geplanten Bänden konnten 13 erscheinen. Der Bericht des Provinzialausschusses für 1920 bezeichnete es als dringlich, für die 46 kleineren Museen der Provinz etwas zu tun, um die Schätze für die Volksbildung öffnen zu können, sie zweckmäßig unterzubringen und vor dem Untergang zu retten. Unterstützung erhielten die von Rudolf Schmidt (Eberswalde) neubegründeten »Mitteilungen der Vereinigung Brandenburgischer Museen«. Auf Initiative neugebildeter »Vereine von Kunst- und Heimatfreunden«, »Heimatkundlicher Vereine« oder kurz von »Heimat-Vereinen« entstanden in zahlreichen Städten der Provinz Stadt- oder heimatgeschichtliche Sammlungen, städtische oder auch Kreis-Heimatmuseen. 73 Eine außerordentliche Dichte und große Zahl von neugeschaffenen Einrichtungen, die auf ein reges Interesse der Öffentlichkeit und von neuem demokratischen Selbstbewußtsein, aber wohl auch von verbreiteter nostalgischer Heimattümelei in den Städten zeugen. Relativ regelmäßige Unterstützung durch die Provinz erhielten gemeinnützige und wissenschaftliche Unternehmungen und Veranstaltungen. Dazu zählten die »Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin« (seit 1925 Übernahme des Teiletats), die »Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Altertumskunde Guben«, die »Gesellschaft für Heimatkunde (Brandenburgia)« in Berlin und die »Geologische Landesaufnahme«. 1925 entstand als Dachorganisation der »Verband brandenburgischer Geschichtsvereine«. 1922 richtete man auf Anregung des Provinziallandtages eine wissenschaftliche Zentralbibliothek für die Provinz, die Brandenburgische Landesbücherei ein. Gefördert wurden das Provinzial-Archiv, das Denkmalarchiv und die Bauberatungsstelle.74 Aus den Aktenbeständen der ehemaligen Kriegsgeschichtlichen Abteilung 72 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses vom 21. April 1921, S. 91. 73 Vgl. Hans Ansorg, Die Entwicklung der historischen, volkskundlichen und Heimatmuseen während der Weimarer Republik, insbesondere untersucht an der Situation in der ehemaligen Provinz Brandenburg, Phil. Diss., Humboldt-Universität Berlin 1986. 74 Vgl. Zusammenfassend: Gerd Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte und preußische Staatsgeschichte. Universitäten, Hochschulen, Archive, Historische Gesellschaften und Vereine, in: Reimer Hansen/Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin-New York 1992, S. 346-548.
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des Großen Generalstabs in Berlin entstand 1919 in der früheren Kriegsschule auf dem Potsdamer Brauhausberg das Reichsarchiv. Wachsendes Interesse fand die Pflege der Naturdenkmäler, deren Ermittlung, Erforschung und Inventarisierung die Provinzialberatungsstelle betrieb. Dem Naturschutz dienten die alljährlichen Brandenburgischen Naturschutztage (seit 1924 organisiert durch Hans Klose), die Arbeit der Biologischen Station Bellinchen (Oder), die 1928 ein Naturschutzgebiet schuf, der Märkische Naturgarten in Frankfurt (Oder), das Vogelschutzgebiet Cottbus, die Schutzgebiete Schorfheide und Golmer Luch. Anfang der dreißiger Jahre beklagte der Provinzialausschuß, daß der Spreewald durch Reklame, Tankstellen, schematische Bauweise sein Gesicht verliere, so wie Werder, Nowawes und Oranienburg durch die Nähe der Großstadt Berlin immer stärker ihr Ortsbild einbüßten. In Durchführung des Ausgrabungsgesetzes erhielten ehrenamtliche »Vertrauensmänner« abgegrenzte Bezirke der Provinz als Arbeitsgebiet für die Pflege »kulturgeschichtlicher Bodenaltertümer«. 1932 trat der Direktor des staatlichen Museums für Ur- und Frühgeschichte Berlin, Wilhelm Unverzagt, anstelle von Alfred Götze (seit 1906 im Amt) seine Funktion als Vertrauensmann für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer in der Provinz an. Immer wieder beklagte man den Mangel an Mitteln für die Kulturarbeit und die lange Liste ungelöster Problemfälle. Im Bericht für das wirtschaftlich relativ günstige Jahr 1926 stellte der Provinzialausschuß fest: Es werden noch viele Jahre daran gewendet werden müssen, die durch mangelnde Pflege in dem Jahrzehnt des Krieges und Währungsverfalls entstandenen Schäden zu heilen.76 Auch das Kirchliche Bauamt Berlin erklärte 1930, daß es nicht in der Lage sei, die in der Kirchenprovinz auftretenden Aufgaben zu lösen. Im Bericht über die Entwicklung der Provinz im Jahr 1928 heißt es: Die materielle Verarmung hat zu einer stärkeren Besinnung auf unveräußerliche Kulturgüter geführt.™ Getragen von sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen waren demokratische und sozialistische Ideen Teil der »Modernisierung« von Denken, Bildung, Kultur und Lebensweise der Menschen; allerdings vollzog sich dieser Prozeß äußerst differenziert und widersprüchlich. Einen scharf deutsch-nationalistischen Charakter trugen die Publikationen und andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit des 1920 gegründeten »Deutschen Ostbundes«, der gegen die Grenzziehungen des Versailler Friedensvertrages, gegen Polen speziell, für deutsche Kraft und Theue in deutschen Grenzlanden wirkte und von Jahrhunderte altem Thutz und Kampf zur Ehre des deutschen Namens, von tapferem Aushalten und siegreichem Vordringen, von den Gefahren sprach, die unsere östlichen Grenzmarken und damit unser Vaterland umbranden.77
75 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses vom 18. Januar 1927, S. 102. 76 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 54, Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses vom 30. Januar 1929, S. 154. 77 Ostmark. Mittlere Ostmark. Grenzmark Posen-Westpreußen, hrsg. vom Deutschen Ostbund, bearb. von Emanuel Ginschel und Franz Lüdtke, Berlin-Halensee 1927, S. 6.
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Der Tuchmacher-Brunnen in Cottbus von R. Knöhl, um 1930
In Vortrage- und Leseabenden, Volksbüchereien und Volksbildungseinrichtungen aller Art, besonders in der Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft, stand die klassische deutsche Literatur im Mittelpunkt. 1920 nahm die Kleist-Gesellschaft in Frankfurt an der Oder ihren Sitz; die Bibliothek, das zur Denkstätte gestaltete Geburtshaus, Schriften und Feiern zum 150. Geburtstag Heinrich von Kleists (1927) wandten sich vor allem an das Bildungsbürgertum. Aus der neuentstandenen »brandenburgischen« Literatur dieser Jahre verdient der von Klabund (d.i. Alfred Henschke aus Crossen an der Oder) verfaßte Eulenspiegelroman »Bracke« hervorgehoben zu werden, dessen Held, der TVebbiner Schalk Hans Clauert, bereits wiederholt literarisch vorgestellt worden war. In der näheren Umgebung Berlins lebten und wirkten Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler, die die Schönheit des märkischen Landes dem anstrengenden Treiben der Großstadt vorzogen: in Grünheide Georg Kaiser, in Werder Bernhard Kellermann, in Bad Saarow (zeitweilig) Maxim Gorki, in Caputh Albert Einstein. In Neuenhagen schrieb Hans Fallada 1931 die Bomane »Bauern, Bonzen und Bomben« sowie »Kleiner Mann - was nun?«, danach (1932) in Berkenbrück »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt«, inzwischen fast klassische Dokumente dieser bewegten Zeit. Großen Zuspruch in breiten Kreisen der Bevölkerung fand die Trivial- und Heimatliteratur, oft in konservativer Ausprägung, die ihren festen Platz in den fast in
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jedem Kreis jährlich erscheinenden Heimatkalendern hatte. Das Heimatgefühl brachte das 1923 entstandene Lied »Märkische Heide, märkischer Sand« zum Ausdruck. Unter den Theatern der Provinz verdient das 1908 in Cottbus eindrucksvoll im Jugendstil errichtete Haus besondere Erwähnung. Mit bedeutendem finanziellen Zuschuß der Stadt bot ein festes Ensemble hier Oper, Operette und Schauspiel, zeitweise gab es Gastspiele in Frankfurt (Oder). Ein wachsendes Interesse an Sport, Rörperbildung und -pflege erfaßte weite Teile der Jugend. Der Provinzialausschuß kaufte aus Mitteln der Denkmalpflege 1925 das Schloß Löwenberg (Kreis Ruppin) und eröffnete hier Ende 1926 die Provinzialjugendherberge mit 120 Betten. 1926 stellte der Ausschuß 150 000 Mark für »Jugendpflege« zur Verfügung, mit denen Beihilfen für 41 Turn-, Spiel- und Sportplätze, Tbrnhallen und Badeanstalten, Bootshäuser, Jugendherbergen und -heime sowie Jugendbüchereien gegeben wurden. Ortsausschüsse aus allen Jugendvereinen, Kreisausschüsse für Jugendpflege und Kreisjugendpfleger veranstalteten Kurse für Sport, Bastelarbeiten, Volkstanz, Laien- und Puppenspiel, Hauswirtschaft und Kochen. Jährlich fanden Kreisjugendfeste mit Sport- und Kulturveranstaltungen statt. Als wirklich neue Einrichtungen entstanden in wohl allen Städten Kinos, und auch in Dorfsälen zeigte man Stummfilme mit Klavierbegleitung, seit Anfang der dreißiger Jahre dann Tonfilme. Viele dieser Filme entstanden in den seit 1912 in Nowawes errichteten Großateliers und Außenanlagen, die nach 1921 zur Universum-Film AG (UfA) gehörten. Am Ufer der Nuthe errichtete im gleichen Ort der Electrola-Konzern 1928 eine Schallplattenfabrik, die allerdings nur kurzzeitig produzierte. In Königs Wusterhausen bauten Post und Rundfunk ihre Großanlagen. Über diese neue Massenmedien wie auch über das neuangeschaffte Radio verbreitete sich seit Mitte der zwanziger Jahre ein über die Provinz weit hinausreichendes Wissen von politischen, ökonomischen und kulturellen Ereignissen. Von den 263 Zeitungen in der Provinz, von denen sich 76 offen als rechts, 18 als links und 139 als »parteilos« bezeichneten, gingen eine überwiegend konservativ-nationalistische Grundtendenz in der Meinungsbildung aus. Diese faßte der preußische Kultusminister Otto Boelitz schon 1921 auf dem Parteitag der DVP in die bezeichn e n d e n Worte: Der alte Geist Preußens, der Geist Potsdams muß und wird
wieder-
kommen.78 Zwölf Jahre später war er wieder da - in neuer Gestalt.
Die Provinz und das Ende der Weimarer Republik Mit dem offenen Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929, die sich rasch zu einer politischen Krise entwickelte, spitzten sich die Auseinandersetzungen auch in der Provinz zu. Bald ging es um Sein oder Nichtsein der parlamentarischendemokratischen Republik.
78 Zitiert nach: Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische graphie, Frankfurt am Main 1977, S. 354.
Sendung. Eine Bio-
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Bei den Wahlen zum Brandenburgischen Provinziallandtag am 17. November 1929 zeigten sich noch keine gravierenden Veränderungen gegenüber den Ergebnissen der Reichstagswahl 1928. Partei
Stimmen
Gesamtstimmen in Prozent
Abgeordnete
SPD Brandenburgische Heimatliste für Stadt und Land KPD Wirtschaftspartei Block der Mitte (DDP und Zentrum) DVP NSDAP (Hitler-Bewegung)
441 358
34,7
34
374 120 111 926 96 400 55 481 80 356 70 691
29,4 8,9 7,6 4,4 6,3 5,6
29 9 8 4 (2 + 2) 6 6
insgesamt
96
Die von der DNVP geführte Heimatliste (mit dem Völkisch-nationalen Block, der Christlich-nationalen Bauern- und Landvolkpartei, dem Stahlhelm-Landesverband und dem Landbund) bildete mit der Wirtschaftspartei (Reichspartei des Deutschen Mittelstandes) eine Arbeitsgemeinschaft. Bei geringer Wahlbeteiligung hatten alle Parteien im Vergleich zu 1928 Stimmen eingebüßt, ihr prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen war nur geringfügig zurückgegangen. Am stärksten büßten der Block der Mitte, die DVP, aber auch die Heimatliste ein. Gewinner waren die Wirtschaftspartei (2,1 Prozent plus) und insbesondere die NSDAP, die 4,2 Prozent (beziehungsweise mehr als 50 000 Stimmen) auf Kosten der anderen bürgerlichen Parteien gewann. Die Arbeiterparteien vergrößerten gegenüber den Wahlen zum Provinziallandtag 1925 die absolute Zahl der für sie abgegebenen Stimmen beträchtlich, die SPD konnte zwei Sitze hinzugewinnen. Der SPD-Abgeordnete Hänchen (Guben) übernahm mit den Stimmen der SPD, DDP, des Zentrums sowie erstmals der DVP erneut den Vorsitz im Landtag; die KPD-Stimmen wurden als ungültig gewertet. Im Spätsommer 1930, als sich die Auswirkungen der Krise in wachsenden Erwerbslosenzahlen, Lohn- und Unterstützungsabbau, Kurzarbeit und Wohnungselend bei den Lohnempfängern, Steuerlast und Zinsdruck, Absatz- und Geldnot bei kleinen und mittleren Unternehmern, Kaufleuten und Handwerkern, vor allem auch bei den Bauern deutlich verschärft hatten, signalisierten die Reichstagswahlen einen deutlichen Rechtsruck, ein starkes Vordringen der NSDAP. Sie hatte seit 1928 mit der Aufteilung des von Joseph Goebbels geführten Gaus BerlinBrandenburg in die Gaue Berlin, Brandenburg (für den Regierungsbezirk Potsdam) und Ostmark (für den Regierungsbezirk Frankfurt an der Oder) große Anstrengungen unternommen, um in breitere Wählerschichten einzudringen. Sie fand mit nationalistischen und sozialdemagogischen Parolen Gehör unter deutschnationalen, enttäuschten und entwurzelten Bevölkerungskreisen.
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Die Reichstagswahlen am 14. September 1930 polarisierten die politischen Kräfte deutlich. In überwiegend von Industriearbeitern bewohnten Wahlkreisen (so fast allen Stadtkreisen, in den Berlin nahen Kreisen wie Nieder- und Oberbarnim, Jüterbog-Luckenwalde, Osthavelland, Teltow, sowie in der Bergbauregion mit den Kreisen Calau und Spremberg) konnte die SPD allein oder mit der KPD gemeinsam die meisten Wähler gewinnen. Die NSDAP trat in Landkreisen wie Angermünde, Ostprignitz, Prenzlau, Ruppin, Lebus, Königsberg (Neumark), Züllichau-Schwiebus, Sorau mit deutlichen Gewinnen als zweite, teilweise stärkste Partei in Erscheinung und erhielt auch in Stadtkreisen wie Potsdam und Frankfurt mit der DNVP zusammen die Mehrheit der Stimmen, offenbar gestützt auf hier ansässige Beamte, Pensionäre und ehemalige Offiziere.79 Der Brandenburgische Landbund begrüßte den Ausgang der Wahl als sichtbares Zeichen, daß das deutsche Volk eine entschiedene nationale Schwenkung gegen den Marxismus vorgenommen hat.60 Das Vordringen der NSDAP wurde von Kräften des Großgrundbesitzes und Großkapitals gefördert. Es vollzog sich unter der autoritären Politik der Präsidialregierung Brüning, die den Parlamentarismus bereits weitgehend beseitigte und mit Notverordnungen regierte. Während sich manche konservative Grundbesitzer am Kurs der DNVP-Führung um Hugenberg orientierten, der auf Selbständigkeit und Bündnis mit der NSDAP (Harzburger Front, Oktober 1931) hinsteuerte, nahmen einzelne Großagrarier, so Fürst Friedrich Wend zu Eulenburg-Hertefeld aus Liebenberg (Kreis Templin) Anfang 1931, direkten Kontakt zu Adolf Hitler auf, um seine Position zu Großgrundbesitz und DNVP zu erkunden und eine Koalition vorzubereiten. 81 Am 5. November 1930 verlangte eine Vertreterversammlung des Brandenburgischen Landbundes einstimmig die Auflösung des Preußischen Landtages unter dem Motto: Preußen muß von der marxistischen Herrschaft befreit werdenß2 Die Deutschnationalen und Stahlhelm-Bündler meinten, wenn die »marxistische Herrschaft«, das heißt die von der SPD geführte Preußen-Regierung, gestürzt sei, wäre auch der »Weg im Reich« frei. NSDAP, DNVP und DVP unterstützten einen Volksentscheid für die Auflösung des Preußischen Landtages, der am 9. August 1931 stattfand. Für die Teilnahme sprach sich am 22. Juli, nach anfänglicher Ablehnung83, auch die Führung der KPD aus, allerdings aus anderen Gründen und verbal durchaus mit elementaren demokratischen Forderungen. Die KPD geriet damit in eine Linie mit rechtsextremen Feinden der Republik. Der Entschluß stand der weiteren Entwicklung einer antifaschistischen Politik, den eigenen programmatischen Erklärungen für die nationale und soziale Befreiung des deutschen Volkes (August 1930), den Arbeitsbeschaffungs- und Bauernhilfsprogrammen (1931), vor allem einer gemeinsamen Front mit Sozialdemokratie und anderen demokratisch-repu79 Vgl. Dokumente und Materialien 1929 bis 1933, S. 332-337. 80 Der Brandenburgische Landbund, Nr. 30 v. September 1930. 81 Vgl. den Bericht über die Besprechung Eulenburg-Hitler am 24. Januar 1931 in: Dokumente und Materialien 1929 bis 1933, S. 280f. 82 Der Brandenburgische Landbote, Nr. 6 vom Februar 1931. 83 Am 12. Februar 1932 hieß es in einem Rundschreiben des ZK der KPD, daß fiir die Kommunisten eine Beteiligung an dem Volksbegehren nicht in Frage kommt. (Vgl. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2 A, Reg. Potsdam Abt. I Pol. Nr. 2140, Bl. 171).
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blikanischen Kräften gegen den drohenden Faschismus entgegen. Die Teilnahme von 43,6 Prozent der Wahlberechtigten in der Provinz Brandenburg am Volksentscheid überstieg den Reichsdurchschnitt (36,8 Prozent) beachtlich und zeigte vor allem den weiter wachsenden Einfluß der Rechtskräfte. Der Vorsitzende des Brandenburgischen Landbundes, von Nikolas-Rostin, Mitglied des Preußischen Staatsrates, stellte sich wie der Stahlhelm-Bund an die Seite der Harzburger Front und formulierte den Wunsch, daß die nationalsozialistische Bewegung sich mit uns zu einer Front vereinigt, um den Aufstieg des Vaterlandes durchzusetzen. 84 Bei den Ersatz-Wahlen zur Landwirtschaftskammer der Provinz, am 15. November 1931 erstmalig nach Parteilisten durchgeführt, setzten sich in 16 Kreisen bei insgesamt 58 Vertretern 34 NSDAP-, 19 Landbund- und vier DNVPKandidaten durch. 85 Der Landbund selbst geriet Anfang 1932 in den Kreisen Guben, Ostprignitz, Beeskow-Storkow, Arnswalde und andere unter direkte NSDAP-Führung. Auf diese Weise sowie durch Unterwanderung, Eroberung bestehender Organisationen und Umgründung durchdrangen die Nationalsozialisten das gesellschaftliche Gefüge längst vor dem Januar 1933. Gleichzeitig überfielen sie Lokale der Arbeiterorganisationen - so in Oranienburg am 24. September 1931 und in Oderberg am 5. Mai 1932, ermordeten Antifaschisten oder terrorisierten Arbeiter auf offener Straße (in Fürstenwalde am 22. Januar 1932). Bei den Reichspräsidentenwahlen am 13. März (I. Wahlgang) und 10. April 1932 (II. Wahlgang) sowie bei den Wahlen zum Preußischen Landtag (24. April) bestätigte sich in der Provinz Brandenburg die allgemeine Tendenz: die bisherigen Wähler der bürgerlichen Rechts- und Mittelparteien gingen in großer Zahl zur NSDAP über. Der von den konservativen, demokratischen Parteien und auch von der SPD unterstützte Hindenburg erhielt bei der Präsidentenwahl in der Provinz nur wenig mehr Stimmen als Hitler, so im Wahlkreis Frankfurt 48,1:45,7 Prozent der Stimmen; für den Kandidaten der KPD Ernst Thälmann gaben hier lediglich 6,2 Prozent der Wähler ihre Stimme (im Wahlkreis Berlin jedoch 26 Prozent).88 Am 1. Mai demonstrierten in Bernau, Eberswalde und Teltow Mitglieder der KPD, der SPD und des Reichsbanners gemeinsam gegen die wachsende faschistische Gefahr. Mit einer »Antifaschistischen Aktion«, parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln wollte die KPD den Eintritt der NSDAP in die Reichs- oder Preußenregierung verhindern. In einzelnen Aktionen, beispielhaft im Preußischen Landtag am 2. Juni, handelten SPD, Zentrum und Deutsche Staatspartei (ehemals DDP) und KPD gemeinsam gegen Vorstöße der NSDAP/DNVP. In Bad Freienwalde, Eberswalde, Frankfurt, Nowawes und Potsdam kam es zu antifaschistischen Versammlungen, Bildung von Einheitskomitees und Selbstschutzorganisationen durch Kommunisten und Sozialdemokraten. Doch die Aktionen blieben vereinzelt.87 Die KPD-Führung propagierte das Ziel, die Krise der Republik zum revolu84 Der Brandenburgische Landbund, Nr. 1, 1932. 85 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2A Reg. Potsdam Abt. I Pol. Nr. 2143, Bl. 211. 86 Vgl. in: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1932, Berlin 1932, S. 546f. 87 In einer Instruktion des ZK der KPD vom Juli 1932 hieß es: Bei der Gewinnung der SPDArbeiter zu Mitkämpfern der Antifaschistischen Aktion soll aber der prinzipielle Kampf gegen die SPD,
gegen
den Sozialfaschismus,
fortgesetzt
werden.
Was die Z e n t r u m - A n h ä n g e r betraf,
617 Frankfurt
19.1. 1919 Ο
USPD
6.6. 1920 •
KPD
4.5. 1924 ·
SPD
7.12. 1924 Δ
DDP
20.5. 1928
14.9. 1930
Ο Zentrum
31.7. 1932 •
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6.11. 1932 •
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NSDAP
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NSDAP
Ergebnisse der Wahlen zur Nationalversammlung und zum Deutschen Reichstag in den Regierungs-Bezirken Potsdam und Frankfurt (Oder) während der Weimarer Republik. Quellen: Statistik des Deutschen Reiches 1920-1934 (Entwurf: Harald Engler)
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Brandenburg in der Weimarer Republik
tionären Umsturz, für ein »Sowjet-« oder »Räte-Deutschland«, eine »Arbeiter- und Bauernrepublik«, jedenfalls die »Diktatur des Proletariats« zu nutzen. Für viele Menschen verband sich damit eine Hoffnung auf eine radikal alternative Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich letztlich als Utopie, als ein historischer Irrweg erwies. Als am 20. Juli Reichskanzler Franz von Papen durch einen Staatsstreich die preußische Regierung absetzte und über Berlin und die Provinz Brandenburg den Ausnahmezustand verhängte, erschütterte dieser Anschlag das parlamentarischedemokratische System schwer. Der Aufruf der KPD zum Generalstreik fand teilweise Unterstützung bei Arbeitern und Angestellten, jedoch nicht bei den Leitungen der Gewerkschaften und der SPD. Der Parteivorstand der SPD wollte die Rechtsgrundlage der Verfassung nicht verlassen, appellierte (erfolglos) an den Staatsgerichtshof sowie an die Bevölkerung, die mit aller Kraft den Wahlkampf führen sollte. Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 erhielt die NSDAP in der Provinz die meisten Stimmen (fast 830 000). Die SPD hielt ihre Position von 1928 mit rund 452 000 Stimmen. Die KPD blieb mit 234 000 Stimmen drittstärkste Partei, jedoch hatten die beiden Arbeiterparteien zusammen weniger Wählerstimmen auf sich vereinigen können als die NSDAP. Außerdem muß man berücksichtigen, daß die rechtskonservative DNVP 180 000 Stimmen erhielt. Als einzige bürgerlich-liberale Partei wäre unter vielen anderen Parteien nur das Zentrum mit knapp über 77 000 Wählern zu erwähnen. Die Polarisierung in rechte und linke Parteien war vollständig; im Unterschied zur Rechten - bei taktischen Meinungsverschiedenheiten und Streitereien über die Regierungsbildung - blieb die Linke in der Feindschaft KPD-SPD zerstritten. Sie beschuldigten sich gegenseitig der Bruderschaft mit den Nationalsozialisten. Es kam nicht zu einer gemeinsamen breiten antifaschistischen Front, die auch bürgerlichen Demokraten den Anschluß und eine demokratische, republikanische und antifaschistische Koalition ermöglicht hätte. Mit den neuerlichen Wahlen am 6. November änderte sich am Kräfteverhältnis wenig. Die NSDAP verlor zwar 35 000 Stimmen, die DNVP gewann jedoch über 60 000. Die SPD büßte mehr als 50 000 Wähler ein, die KPD gewann über 20 000. Die bürgerlichen Parteien der Mitte waren bis zur Bedeutungslosigkeit zerfallen, wenn man vom Zentrum, das noch 7000 Stimmen einbüßte, absieht. 88 Im Unterschied zu Berlin gelang es der NSDAP mit der DNVP in der Provinz bereits 1932, die Mehrheit hinter ihre extrem chauvinistischen, demagogischen, aggressiven, antidemokratischen, antimarxistischen Parolen zu bringen. Sie profitierten von der tiefen ökonomischen und politischen Krise, deren Auswirkungen breiteste Bevölkerungskreise in Hoffnungslosigkeit trieb. Letztlich entschied über die Übertragung der Regierungsgewalt an die Führer der NSDAP und der DNVP am 30. Januar 1933 der einflußreichste Teil derjenigen Kräfte, die in der Weimarer Republik von Anfang an die die Gesellschaft beherrschenden politischen und ökonomischen Machtpositionen innehatten und die parlamentarische Demokratie ablehnten. mit denen verbal auch ein antifaschistisches Bündnis angestrebt wurde, so sollte die trustkapitalistische, volksfeindliche Politik des Zentrums entsprechend hingestellt werden. (Vgl. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2 Α Reg. Potsdam Abt. I Pol. Nr. 2144, Bl. 51). 8 8 Vgl. d i e E r g e b n i s s e i m D e t a i l in: Statistik
des Deutschen
Reichs,
Bd. 434, Berlin 1935, S. 44f.
Die Provinz Brandenburg in der NS-Zeit (1933 bis 1945) von Laurenz Demps
Die NS-Machtergreifung in der Provinz Brandenburg Die Jahre 1933 bis 1945 brachten einen tiefen Einschnitt in die brandenburgische Geschichte. Durch die Nähe der Reichshauptstadt war Brandenburg unmittelbarer als andere Provinzen und Länder Preußens bzw. des Reiches in die Politik der nationalsozialistischen Diktatur eingebunden, insbesondere auch auf militärischem Gebiet. Dies gilt gleichermaßen für Verfolgung und Widerstand, aber auch für alle privaten und öffentlichen Bereiche, die das braune Unrechtssystem erfaßte. Der Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 stellte in den Wochen nach der Machtergreifung der Regierung Hitler den entscheidenden Einschnitt in die künftige Gestaltung der NS-Diktatur dar. Eine der wesentlichsten Folgen war die Notverordnung vom 28. Februar 1933, mit der die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt wurden. Eine der wichtigsten Stützen der NSBewegung in den folgenden Wochen waren die militärisch straff organisierten Sturmabteilungen (SA). Sie waren in Berlin und Brandenburg bereits Anfang der zwanziger Jahre aus aufgelösten Freikorps entstanden. Im November 1931 wurde die SA-Gruppe Berlin-Brandenburg gebildet. Ein Jahr später zählte sie etwa 16 000 Angehörige. Ihr Kommandeur wurde Wolf Graf von Helldorf, der zum Polizeipräsidenten von Potsdam avancieren sollte. Auch die Regierung Hitler hatte sich zunächst an formale staatsrechtliche Regularien zu halten. Sie konnte nicht mit einem Schritt von der parlamentarischen Demokratie in eine Diktatur gelangen. Verfassung und Gesetze mußte auch sie zunächst einhalten, nutzte sie aber, um die Umgestaltung der politischen Verhältnisse im Sinne diktatorischer Politik voranzutreiben. Dazu gehörte u.a. die verfassungsmäßig vorgeschriebene Abhaltung von Wahlen. Nach der Auflösung des Reichstages und des Preußischen Landtages am 6. Februar 1933 und sämtlicher Kommunalvertretungen des Freistaates mußte auf allen Ebenen neu gewählt werden. Bei der Wahl zum Reichstag am 5. März 1933 gelang es der NSDAP nur zum Teil, die Mehrheit der Bevölkerung hinter der neuen Regierung zu »sammeln«. In Berlin blieb ebenso wie in den Kreisen mit einem hohen Industrialisierungsgrad im Regierungsbezirk Potsdam eine Linksmehrheit der Wähler erhalten. In den Reichstagswahlkreisen 3 und 4 (Potsdam II und Potsdam I), zu denen auch Teile von Berlin gehörten, wählten 1 069 113 Wähler die NSDAP und 231 675 die »Kampf-
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Brandenburg in der NS-Zeit
front Schwarz-Weiß-Rot« - vormals Deutsch-Nationale Volkspartei. Damit war eine Mehrheit für die NS-Regierung errungen. Die SPD erhielt in beiden Wahlkreisen 533 708 Stimmen und die KPD 231 675; beide Parteien trennten indes weiterhin tiefe politische Differenzen, die eine gemeinsame Aktion gegen die Machtergreifung unmöglich machten. Im Wahlkreis 5, Frankfurt (Oder), mit seiner überwiegend agrarischen Struktur, konnte die NSDAP 55,2 Prozent der Stimmen (549 844 Wähler) auf sich vereinen. Die »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« gewann 11,1 Prozent oder 110 072 Stimmen. »Erobert« hatte die Regierungskoalition auch diesen Wahlkreis nicht völlig. 1 Durch die Gestaltung der Wahlkreise in Brandenburg und Berlin ist es nur durch Umrechnungen möglich, ein Ergebnis für die Provinz zusammenzustellen. Rechnet man aus den Wahlkreisen Berlin, Potsdam II, Potsdam I und Frankfurt (Oder) die Ergebnisse der einzelnen Parteien in der Provinz aus, zeigt sich, daß die NSDAP 52.4 Prozent der Stimmen in der Provinz auf sich vereinigte. Für die SPD stimmten 20,3 Prozent der Wähler und für die KPD 10,8 Prozent. 2 In den Städten mit mehr als 20 000 Einwohnern waren die Ergebnisse der beiden Arbeiterparteien zusammen jeweils besser als die der NSDAP; so ζ. B. im Stadtkreis Brandenburg (Havel) mit 43.5 Prozent der Stimmen für die Nationalsozialisten, aber 46,6 Prozent für die Arbeiterparteien. Für sie stimmten in Bernau 50,5 Prozent der Wähler, die NSDAP erhielt 35,5 Prozent. In der Provinz Brandenburg - wie auch in anderen Teilen des Reiches - bestimmte das »flache Land« entscheidend das Ergebnis dieser Wahlen. Ein ähnliches Bild bot die am gleichen Tag abgehaltene Wahl zum Preußischen Landtag. Auch hier dominierten die Arbeiterparteien in den Städten und in den industrialisierten Kreisen, während die NSDAP in den Dörfern siegte; im Wahlkreis Frankfurt (Oder) erreichte die NSDAP bei dieser Wahl 54,0 Prozent der Stimmen. 3 Am 11. März ordnete Göring als Preußischer Minister des Innern die Verhaftung aller kommunistischen Reichs- und Landtagsabgeordneten an. 4 Am 12. März, zu den Kommunalwahlen, zeigte sich eine Reaktion der Bevölkerung auf die veränderte Situation. Durch eine geringe Wahlbeteiligung - es wird vermutet, daß insbesondere die Wähler der Arbeiterparteien nicht zu dieser Wahl gingen - gewann die NSDAP zum Teil erheblich an Mandaten. Gerade aus dieser Tendenz leitete sie in der Provinz die Begründung für ihr weiteres Vorgehen ab. Bei den Wahlen zum Provinziallandtag erhielt die NSDAP dreiundfünfzig Sitze, die SPD einundzwanzig, die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot vierzehn und die KPD acht. Am 21. März 1933 - dem Jahrestag der ersten Reichstagssitzung nach der Reichseinigung von 1871 - trat in Potsdam der neugewählte Reichstag zu seiner Eröffnungssitzung zusammen. Diese Veranstaltung sollte an den »Geist des alten Preußen« erinnern, ihn für die neue Regierung mobilisieren. Die Staatsform von Weimar hatte bei den preußischen Eliten wenig Anklang gefunden, da sie einer Katastrophe, der Niederlage des Weltkrieges und der Novemberrevolution, ihre 1 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Bd. 53, Berlin 1934, S. 540.
2 Zusammengestellt nach: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 434, Berlin 1935, S. 168ff.
3 Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, Bd. 29 (1933), S. 226.
4 Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam [künftig zitiert: BLHA Potsdam] AI Pol Nr. 1089, Bl. 198.
Die Machtergreifung in der Provinz
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Die Reichstagseröffnung am 21. März 1933 in der Potsdamer Garnisonkirche (Tag von Potsdam). Reichspräsident Hindenburg beim Verlesen der Begrüßungsansprache
Existenz verdankte. Hinzu kam der Gedanke der Revanche, die Furcht vor der Auflösung des Bestehenden sowie die Angst vor dem Rommunismus. Daraufsetzte die Regierung Hitler, um mit einer Propaganda-Aktion die alten Eliten für sich zu gewinnen: Der greise Reichspräsident Hindenburg, Symbolfigur des alten Preußen, legte in der Potsdamer Garnisonkirche, am Grabe Friedrichs des Großen, die Macht in die Hände des »jungen« Reichskanzlers Hitler. Das Ausland hatte aufmerksam die »braune Flut« beobachtet, nun schien es, daß diese Flut sich der konservativen Politik beugte und damit »überschaubar« wurde. Aber die Nationalsozialisten wollten die Macht mit niemandem teilen. Sie suchten lediglich die Sympathien der alten Eliten für ihre Zwecke auszunutzen. Das »Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich« vom 31. März 1933 machte die Zuteilung von Sitzen auf die Wahlvorschläge der KPD unwirksam. Die »Verordnung zur Sicherung der Staatsführung« vom 7. Juli 1933 wiederholte diesen Schritt für die SPD. Auch auf regionaler Ebene verloren die gewählten Abgeordneten der KPD und SPD und später auch der anderen Parteien mit Ausnahme der NSDAP ihre Mandate. Der 1933 von den NS-Machthabern begonnene Umbau des Deutschen Reiches zum Führerstaat, verbunden mit der Beseitigung demokratischer Selbstverwaltung, fand in den Provinzen seinen entsprechenden Niederschlag. Er rührte wenig am äußeren Erscheinungsbild und an den überlieferten Bezeichnungen, verän-
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Brandenburg in der NS-Zeit
derte inhaltlich aber die Stellung der Behörden im Aufgabenbereich und der öffentlichen Kontrolle nachhaltig. 5 Am 30. Januar 1934 wurde das »Gesetz über den Neuaufbau des Deutschen Reiches« erlassen, das den alten Dualismus zwischen den Ländern und dem Reich, zugleich aber auch die föderative, demokratische Struktur der Weimarer Republik beseitigte und die NS-Diktatur nachhaltig prägte. Die preußischen Ministerien verschmolzen mit den Reichsministerien. Die Oberpräsidenten rückten in die Stellung der Vertreter der Reichsregierung in der jeweiligen Provinz. Durch die praktische Verbindung des Amtes des Oberpräsidenten mit dem des Gauleiters der NSDAP wurde der Oberpräsident zum unumschränkten »Führer« der Provinz. Die Regional- und Lokalverwaltungen der Provinz Brandenburg hatten aber weiter als preußische Behörden Bestand. Zur Führung des Rassen- und Haushaltswesens blieb das preußische Finanzministerium als einziges bis zur Verhaftung des Ministers Johannes Popitz (im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944) weiter bestehen. Ein Gesetz vom 17. Juli 1933 beseitigte den bereits bedeutungslos gewordenen Provinziallandtag und übertrug seine Aufgaben dem Provinzialausschuß. Das Gesetz über die Erweiterung der Aufgaben und Befugnisse der Oberpräsidenten vom 15. Dezember 1933 und die zweite Verordnung zum Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 27. November 1934 hob die Provinzialausschüsse auf und machte den Oberpräsidenten zum obersten Leiter der provinziellen Selbstverwaltung. Damit war die Durchsetzung des »Führerprinzips« auf regionaler Ebene juristisch abgesichert. Vertreten wurde der Oberpräsident durch den Landeshauptmann. Zur Beratung des Oberpräsidenten wurde durch das Gesetz vom 17. Juli 1933 ein neu gebildeter Provinzialrat bestellt; er hatte mit dem bisher bestehenden nur den Namen gemein. Nach der Verordnung vom 24. November 1938 bestand er aus 18 Mitgliedern, die teils von Amts wegen zu ihm gehörten, teils in ihn berufen wurden. Er führte die Bezeichnung »Preußischer Provinzialrat« und mußte bei der Aufstellung des Haushalts und aller damit im Zusammenhang stehenden Fragen, der Verfügung über das Vermögen, der Übernahme neuer Aufgaben, der Änderung der Provinzgrenzen und bei Rechtsstreitigkeiten gehört werden. Das Provinzialschulkollegium war 1932 als Schulabteilung in das Oberpräsidium integriert worden. Am 26. Oktober 1934, mit Bildung der Behörde des Staatskommissars und dem Inkrafttreten des »Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Provinzialrat [ab 1936 Stadtpräsident] für Berlin«, trat der Oberpräsident von Brandenburg die Aufsicht und Leitung des Volks-, Mittel-, Fach- und Berufsschulwesens an den Provinzialrat ab; seit 1936 unterstanden ihm auch die Höheren Schulen. Die Zuständigkeit für die Provinz Brandenburg blieb erhalten. Auf allen Ebenen wurde die TVennung zwischen Berlin und Brandenburg vollzogen, obwohl gerade die jüngsten Erfahrungen belegten, daß es eine gemeinsame Entwicklung zwischen Stadt und Provinz gegeben hatte und diese sich weiter vollzog. Machtpolitische 5 Zu den folgenden Ausführungen vgl. den vorzüglichen Überblick von Kurt Adamy/Kristina Hübener, Provinz Mark Brandenburg - Gau Kurmark. Eine verwaltungsgeschichtliche Skizze, in: Dietrich Eichholtz (Hrsg.), Verfolgung - Alltag - Widerstand. Brandenburg in der NS-Zeit. Studien
und Dokumente,
Berlin 1993, S. 11-31, bes. S. 17ff.
Die Machtergreifung in der Provinz
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Geschiftsverteilungsplan der Verwaltung des Provinzialverbandes von Brandenburg Abteilung I: Zentralabteilung Abteilung II: Finanzabteilung Abteilung ID: Stra Benbauabteilung Abteilung IV: Abteilung für Wasserwirtschaft und Landkultur
Der Oberprfisldent der Provinz Brandenburg (Verwaltung des Provinzialverbandes)
Abteilung VII: FOrsorgeabteilung
Η
Der Landesdlrektor
Abteilung VW: Hauptfürsorgestelle Abteilung IX: Wiilschaftsabteilung Abteilung X: Abteilung für Unfallversicherung Abteilung XI: Landeshauptkasse Abteilung XH: Rechnungsprüfungsamt Abteilung XIII: KulturaUeilung
Geschäftsverteilungsplan der Verwaltung des Provinzialverbandes Brandenburg, nach 1933
Rivalitäten, von Joseph Goebbels als Gauleiter von Berlin und Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda angeheizt, bestimmten nun das Verhältnis zwischen Berlin und Brandenburg. Nach den Entscheidungen Ende Januar bis Anfang März erhielt die NSDAP, insbesondere aber ihre SA (die sich am 30. Januar 1933 in vier Untergruppen BerlinWest, Berlin-Ost, Brandenburg-West und Brandenburg-Ost mit achtzehn SA-Standarten und acht SA-Sturmbannern mit einer Gesamtstärke von 35 000 Mann gliederte), einen enormen Zustrom. 6 In der Bevölkerung wurde der Begriff der »Märzgefallenen« für diesen Personenkreis kreiert. Es entstanden neue Einheiten, und am 21. März übernahm der Gruppenführer Karl Ernst die Berlin-Brandenburger SA. Mit der Eingliederung des »Stahlhelm« in die SA entstanden im Oktober 1933 Organisationsprobleme, die zur Bildung der eigenen SA-Gruppe Brandenburg mit den Brigaden Brandenburg-Süd, Brandenburg-West, Brandenburg-Ost und der Motor SA-Berlin-Brandenburg führten. Die folgenden Wochen waren davon gekennzeichnet, in der Verwaltung der Provinz die Herrschaft der NSDAP voll durchzusetzen. So wurde der Gauleiter der Rurmark, Wilhelm Rube, am 21. März zunächst kommissarisch neuer Oberpräsident der Provinz. Am 14. Juni erfolgte seine offizielle Bestallung, und am 5. Juli wurde er auch zum Oberpräsidenten in Schneidemühl für die Provinz Grenzmark 6 Gesamtadressen der NSDAP-Geschäftsstellen. Gau Groß-Berlin, Bd. I, Berlin 1934, S. 92-95.
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Brandenburg in der NS-Zeit
Posen-Westpreußen ernannt. Im Laufe dieser Monate mußten die Regierungspräsidenten von Potsdam und Frankfurt gehen. An ihre Stelle traten in Potsdam (26. April kommissarisch und 14. Juni endgültig) mit Ernst Fromm und in Frankfurt (26. Juli) mit Felix Eichler 7 zwei Nationalsozialisten. Wilhelm Rube war Gauleiter des am 2. Januar 1928 gebildeten Gaus Ostmark gewesen, der aus dem Gau Berlin ausgegliedert wurde und die östlichen Teile der Provinz Brandenburg umfaßte. Mit seiner Amtseinführung als Oberpräsident wurde er oberste Staatsaufsichtsbehörde für Berlin.8 Zugleich erhielt er den Titel eines Preußischen Staatsrates. Diese Festlegung rief den Protest des Gauleiters von Berlin, Joseph Goebbels, hervor, so daß in der Folge die Stadt Berlin, die in die Stellung einer Provinz rückte, verwaltungstechnisch fast völlig aus dem Verbund mit Brandenburg gelöst wurde. Im August 1936 verlor Rube bei einer Intrige gegen den Chef der Parteikanzlei, Martin Bormann. Sein Nachfolger in allen Ämtern wurde am 7. August 1936 der politisch blasse Emil Stürtz, zuvor stellvertretender Gauleiter von Westfalen-Süd. Er stellte für Goebbels als Gauleiter von Berlin keine Ronkurrenz dar. Der Umbau der Verwaltung erfolgte in allen Stufen des Behördenaufbaus. An die Stelle von Sozialdemokraten und Vertretern demokratischer Parteien traten Parteigänger der Nationalsozialisten oder ihnen genehme Personen, die nicht immer der NSDAP angehören mußten. Man legte Wert auf das reibungslose Funktionieren der Verwaltung und setzte deshalb Personen ein, die das Metier beherrschten und zugleich in ihrer Gesinnung dem NS-Regime nicht verdächtig waren. Die Mehrzahl der Landräte in beiden Bezirken wurde ihres Amtes enthoben. Im Regierungsbezirk Potsdam traf das alle bisherigen Amtsinhaber bis auf die Landräte von Angermünde, Eberswalde, Westhavelland und Templin. Vierzehn neue Amtsinhaber wurden eingeführt, ebenso im Bezirk Frankfurt. Von einundzwanzig Landräten bzw. Bürgermeistern kreisfreier Städte blieben nur vier: Friedeberg, Guben (Stadtkreis), Guben (Landkreis) und Landsberg im Amt. Alle anderen Positionen wurden neu besetzt. Wie sah es in der Provinz Brandenburg zu dieser Zeit aus? Den quantitativen Hintergrund aller Vorgänge auf der offenen Bühne erbrachte eine Volkszählung. Am 1. Juni 1933 lebten in der Provinz Brandenburg 2 725 697 Menschen (1 414 727 im Regierungsbezirk Potsdam und 1 310 970 im Regierungsbezirk Frankfurt). Das Ergebnis zeigte eine in etwa gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung auf die beiden Regierungsbezirke. Verglichen mit der Einwohnerzahl von Berlin, die 4 242 501 Personen betrug, wird die Dominanz der Reichshauptstadt gegenüber der Provinz deutlich. Von den Einwohnern der Provinz waren 1 383 138 Erwerbspersonen; 537 702 arbeiteten in der Landwirtschaft, Gärtnerei, Tierzucht, Forstwirtschaft und Fischerei, 487 686 in Industrie und Handwerk; 206 623 Personen waren in Handels- und Verkehrsberufen und 104 373 im Öffentlichen Dienst und in Einrichtungen des privaten Dienstleistungsgewerbes beschäftigt. Die Zahlen belegen, daß der Wirt7 Siehe dazu das Ministerialblatt der Inneren Verwaltung für das Jahr 1933. 8 Handbuch über den preußischen Staat fiir das Jahr 1934, hrsg. vom Staatsministerium, Berlin 1934, S. 243.
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schaftsraum von einer Mischung aus Industrie- und landwirtschaftlichen Betrieben bestimmt wurde; die Zahl der Beschäftigten war in diesen Bereichen etwa gleich groß, wobei allerdings die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen leicht überwog. Der Frauenanteil an der Zahl der Beschäftigten war beachtlich, er betrug 492 391 Personen (35,6 Prozent) aller Erwerbstätigen. Traditionell bedeutend war dieser Anteil in den landwirtschaftlichen und gärtnerischen Berufen: 260 334 Frauen (48,4 Prozent aller dort Beschäftigten). In der Industrie und im Handwerk arbeiteten 98 534 Frauen (oder 20,2 Prozent aller Beschäftigten in diesem Wirtschaftszweig). Erwerbslos waren zu diesem Zeitpunkt 187 990 Personen (13,2 Prozent). Dieser hohe Prozentsatz resultierte aus der Arbeitslosigkeit in der Industrie und im Handwerk, ein Bereich, der mit 130 548 Personen 71,7 Prozent aller Arbeitslosen der Provinz stellte. In der Landwirtschaft wurden dagegen nur 11,7 Prozent (21 308 Personen) aller Arbeitslosen gezählt. Die Arbeitslosigkeit traf die in den landwirtschaftlichen und gärtnerischen Berufen tätigen Frauen nur in geringerem Maße; anders dagegen in der Industrie. 19 188 Frauen hatten ihre Arbeit verloren. 9 In der Provinz Brandenburg bekannten sich 2 467 278 Personen zum evangelischen Glauben, das waren 90,5 Prozent der Bevölkerung. Aufgeteilt nach den Regierungsbezirken waren das in Potsdam 89,3 und in Frankfurt 91,9 Prozent der Bevölkerung. Vergleicht man das mit der Großstadt Berlin (71,1 Prozent), so zeigt sich, daß die sich seit dem 19. Jahrhundert vollziehende Entkonfessionalisierungswelle die Provinz Brandenburg noch nicht erreicht hatte. Zum katholischen Glauben bekannten sich 142 162 (oder 5,2 Prozent) und zu anderen christlichen Gemeinschaften 1 134 Personen. Etwa vier Prozent der Bevölkerung bekannten sich zu anderen religiösen Gemeinschaften oder waren glaubenslos. Die jüdischen Gemeinden in der Mark Brandenburg waren im Gegensatz zu Berlin klein. 7 616 Personen bekannten sich zum jüdischen Glauben, davon 3 861 weibliche (0,28 Prozent der Bevölkerung). Sie lebten in relativ kleinen Gemeinden über die gesamte Provinz verstreut. Dazu zählten so kleine Gemeinschaften wie in Hennigsdorf mit neun, Ralkberge mit sechzehn und Falkensee mit einundzwanzig Angehörigen. Größere Gemeinschaften gab es in Potsdam mit 299, Brandenburg mit 401, Eberswalde mit 254, Teltow mit 490, Cottbus mit 383, Crossen mit 116, Forst mit 210, Landsberg mit 435 und Guben mit 202 Mitgliedern. Die größte Gemeinschaft befand sich in Frankfurt mit 568 Mitgliedern. In der ländlichen Provinz lebte dieser Personenkreis über den gesamten Kreis verteilt, so in Lebus 363, in Soldin 121, in Sorau 126, in Friedeberg 203 Mitglieder. Die Errichtung der NS-Diktatur stieß auf den Widerstand der politischen Kräfte, die bereits vor 1933 gegen die NS-Bewegung gekämpft hatten. Ihre Motive waren unterschiedlich, ebenso ihre Mittel und Methoden. Die Mitglieder der beiden großen Arbeiterparteien waren von Anfang an die aktivsten, fanden aber wegen ihrer fortdauernden Feindschaft nicht zur gemeinsamen Abwehr. Im Januar 1933 zählte der Bezirksverband Brandenburg-Grenzmark der SPD 37873 Mitglieder, die sich in 482 Ortsvereinen organisiert hatten. Bereits unmittelbar nach der Installierung der Regierung Hitler unterlagen auch die Mitglieder 9 Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 454, Berlin 1936, S. 4/4-4/7.
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Brandenburg in der NS-Zeit
dieser Partei den terroristischen Verfolgungen der Nationalsozialisten. Viele Mitglieder und Sympathisanten wurden aus den Ämtern gedrängt, verfolgt, verhaftet und in Gefängnisse und Konzentrationslager gesperrt. Einige ihrer Funktionäre gingen in die Emigration. Im Lande organisierten Sozialdemokraten auf der Ebene privater Rontakte »unpolitische« Zirkel und Widerstandsgruppen, allerdings bot die Anonymität der Großstadt Berlin besseren Schutz vor Entdeckung und Verfolgung. Die Sammlung der Kräfte und die Beratung der künftigen politischen Aufgaben sowie der innere Zusammenhalt bestimmten für längere Zeit das politische Agieren unter den Bedingungen der Diktatur. Nach Vorbildern aus der Zeit des Sozialistengesetzes Schloß man sich in »unpolitischen« Vereinen und Klubs zusammen, immer gewärtig, daß der Apparat der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) »zuschlagen« konnte. Einige SPD-Mitglieder unterstützten durch das Sammeln von Informationen über die Entwicklung der inneren Lage in Deutschland die Herausgabe der »Deutschlandberichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE)« - wie sich der nach Prag emigrierte Parteivorstand nannte. Die Aktivitäten der Gruppen der Sozialdemokratie im antifaschistischen Kampf wurden sorgsam von der Gestapo beobachtet. Sie verhaftete beispielsweise im Jahre 1936 im Bereich der Gestapostelle Frankfurt (Oder) sechs und der Gestapostelle Potsdam acht Personen. Sechs weitere Verhaftungen trafen die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) in Potsdam.10 Die KPD hatte Anfang 1933 in Berlin und in der Provinz Brandenburg 37 875 Mitglieder, davon etwa 7 000 in der Provinz. Ihre Organisationsstruktur war so angelegt, daß Berlin - als Ort mit dem größten Einfluß dieser Partei - das Zentrum bildete und jeweils eine Berliner Organisation mit einer in der Provinz kooperierte. Die Struktur hielt sich nicht eng an die politischen Grenzen, die das Stadtgebiet von der Provinz trennten. Im Januar 1933 teilte sich die KPD in den Bezirk Berlin und den Bezirk Brandenburg-Lausitz-Grenzmark. Dabei blieben Parteiverbindungen zwischen Berlin und der Provinz bestehen. Mit der Illegalität seit Anfang März und der Verhaftung vieler Mitglieder legte die KPD ihren Schwerpunkt auf den Erhalt der Strukturen der Partei in der politischen Aktion. Sie agierte unter der Bevölkerung mit Flugblättern und im Bürovervielfältigungsverfahren hergestellten Zeitungen sowie aus dem Ausland eingeführtem Agitationsmaterial, um präsent zu bleiben und ihren Einfluß zu erhalten. Hintergrund jeder Aktion war - wie in anderen Widerstandskreisen auch - die Hoffnung, daß die Regierung Hitler sich nicht lange halten könne und die Partei bei deren Sturz sofort handlungsfähig sein müsse. Aufopferungsvoll handelten die Mitglieder, die Opfer waren hoch, und steigende Verhaftungszahlen schränkten den Handlungsspielraum immer mehr ein, da die Gestapo kriminalistisch den Spuren, die derartige Aktionen nun hinterließen, folgte und so mit zunehmender Zeit die Zahl der handelnden Mitglieder geringer wurde. Streng befolgt wurden die Weisungen der Zentrale, des Zentralkomitees der KPD, dessen Führung in Moskau saß.
10 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Werner Bethge, Widerstand von links. Antifaschismus und Widerstand von Kommunisten und Sozialdemokraten 19}}/34, in: Eichholtz, Verfolgung-AlltagWiderstand, S. 355-382.
Die Machtergreifung in der Provinz
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Verhaftung des Antifaschisten Erich Schulz in Neuruppin durch eine SA-Abteilung, 1933
In der Zeit vom 1. Juni 1935 bis zum 28. Februar 1936 verhaftete die GestapoStelle Frankfurt (Oder) ζ. B. 124 Personen wegen Widerstands aus den Reihen der RPD und verfolgte 46 neu aufgetauchte Zeitschriften. Im Bereich der GestapoStelle Potsdam fanden im gleichen Zeitraum 80 Verhaftungen wegen Widerstands aus den Reihen der RPD statt und 33 neue Zeitschriften wurden beschlagnahmt. Im Verlaufe des gesamten Jahres 1936 verhaftete die Gestapo im Regierungsbezirk Frankfurt (Oder) wegen »kommunistischer Umtriebe« 293 Personen und vermerkte vierzehn neue Zeitschriften. Die Gestapostelle Potsdam verhaftete in der gleichen Zeit 199 Widerstandskämpfer aus den Reihen der RPD und stellte elf neue Zeitungen fest.11 Rompliziert gestaltete sich die Entwicklung der evangelischen Rirche. Im Kirchenwahlkampf des Jahres 1932 hatten sich die völkisch ausgerichteten Christen in einer Gruppe - »Deutsche Christen« - zusammengefunden. Sie übernahmen große Teile des Parteiprogramms der NSDAP in ihre Satzung und propagierten den »Arier-Paragraphen«, d. h. Geistliche jüdischer Herkunft sollten ihr Amt nicht mehr ausführen dürfen. Die Deutschen Christen forderten eine einheitliche Reichskirche und wandten sich gegen Liberalismus, Judentum und Marxismus.12 Nach dem 30. Januar 1933 mündeten diese Bemühungen in die Einsetzung des Wehrkreis11 Bundesarchiv Abteilungen Potsdam [künftig zitiert: BA Potsdam], Bestand Reichssicherheitshauptamt, St. 3/160I/II, 263f. 12 So Christian Engeli/Wolfgang Ribbe, Berlin in derNS-Zeit (1933-1945), in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 2, München 1987, S. 927-1024, bes. S. 960. Vgl. dazu Friedrich
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Brandenburg in der NS-Zeit
Martin Niemöller (1892-1984), Präsident des Pfarrer-Notbundes, 1937-1941 Häftling im KZ Sachsenhausen
Otto Dibelius (1880-1967), Generalsuperintendent der Kurmark (1925-1933), ab 1954 im Bruderrat der Bekennenden Kirche, 1945-1966 erster evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg
pfarrers Ludwig Müller zum Reichsbischhof. Gegen die Deutschen Christen widersetzten sich einzelne Kirchenführer der Provinz, so der Generalsuperintendent der Kurmark, Otto Dibelius. Die Deutschen Christen errangen bei den anstehenden Kirchenwahlen einen überragenden Erfolg; die Mehrheit der Kirchengemeinden wählte die Vertreter der Deutschen Christen. Dagegen wandte sich der von der Gemeinde in Berlin-Dahlem ausgehende Widerstand des Pastors Martin Niemöller, der die »Bekennende Kirche« gründete. Die nun folgende Auseinandersetzung innerhalb der Kirche und mit dem Staat war Teil des Widerstandes einer Gruppe von Christen, die sich gegen das Rasse- und Führerprinzip in der Kirche und in der Gesellschaft wandte. In den größeren Gemeinden der Provinz, ζ. B. in Brandenburg, hatte die Bekennende Kirche Einfluß, in der Mehrzahl der kleinen Pfarreien auf dem flachen Lande jedoch nicht. Zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche kam es in TVebbin. Die dortige Gemeinde wurde von den Deutschen Christen dominiert, die Bekenntnisgemeinde richtete eine eigene Notkapelle ein, die am 7. Juli 1935 geweiht wurde. In einer der folgenden Nächte wurde sie zerstört. In Seelow konzentrierte sich die Auseinandersetzung um Pastor Pecina, der zur Zipfel, Kirchenkampf in Deutschland 1933-194J. Religionsverfolgungen der Kirchen
in der nationalsozialistischen
Zeit,
B e r l i n 1965.
und
Selbstbehauptung
Die Machtergreifung in der Provinz
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Bekennenden Kirche gehörte. Er wurde im Mai 1936 verhaftet, nachdem er einer Ausweisung aus Seelow nicht Folge leistete. Auch sein Vertreter, der Prädikant Brandenburg, wurde ausgewiesen und dann verhaftet, andere Pfarrer der Bekennenden Kirche durften Seelow nicht betreten, der Druck auf die Gemeindemitglieder, die zu den beiden Geistlichen hielten, vergrößert. Großes Aufsehen erregte auch ein Prozeß in Neuruppin gegen einen Pfarrer der Deutschen Christen, den der Generalsuperintendent Dibelius anstrengte und trotz massiver Eingriffe von NSGrößen gewann. 13 Die katholische Kirche hatte sich bereits vor 1933 scharf von der NS-Bewegung abgegrenzt. In der Provinz gab es nur kleine Gemeinden, so daß sich die Auseinandersetzungen mit dem NS-Staat in Berlin konzentrierten und sich von da auf die Provinz, die zum Bistum Berlin gehörte, auswirkte. Insgesamt blieb die Haltung der beiden großen Kirchen zur NS-Herrschaft ambivalent. Eine große Zahl ihrer Mitglieder, mutige Seelsorger und Sozialarbeiter engagierten sich aus christlicher Überzeugung gegen die Bevormundung durch den Staat und halfen in christlichen Organisationen Bedrängten und Verfolgten. Die Möglichkeiten dazu waren in der Provinz aber geringer als in den Großstädten, da in den Dörfern und Kleinstädten insoweit Schwierigkeiten bestanden, daß hier jeder jeden kannte. Das Reichsjugendgesetz vom 1. Dezember 1936 beseitigte alle Möglichkeiten der Kirchen in der Jugendarbeit und unterstellte die gesamte Jugendarbeit der Hitlerjugend. Alle christlichen Jugendverbände wurden verboten, die Jugendlichen zum Eintritt in die Hitlerjugend gezwungen. Bei der Haltung der Mehrheit der Bevölkerung zu der sich ausprägenden NSHerrschaft kamen verschiedene Faktoren zum Tragen. Dazu zählte u.a. das nachlassende Interesse der Bevölkerung an politischen Auseinandersetzungen, wie sie sich insbesondere in der Zeit der Weltwirtschaftskrise entwickelt hatten. Auch die brutalen Kampfformen und Kampfmethoden, insbesondere der Radikalen von rechts und links, waren auf weitgehende Ablehnung gestoßen. Man erhoffte sich von der neuen Regierung eine Stabilisierung der »wirren« politischen Verhältnisse, deren Überschaubarkeit, einen wirtschaftlichen Aufschwung und Ruhe. Bei der Verfolgung der innenpolitischen Gegner setzten die NS-Machthaber ausschließlich auf den Terror. TVotz der Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung zur sich entwickelnden NS-Herrschaft sowie der abwartenden Haltung einer Minderheit - ohne aktiven politischen Kampf gegen die Diktatur - blieb der Terror gegen den politischen Gegner sowie gegen die jüdische Bevölkerung nicht nur bestehen, sondern wurde ständig verschärft. Für die Organisation des Terrors entstand in den ersten Monaten des Jahres 1933 die Geheime Staatspolizei, die über verschiedene Stufen aus der Politischen Polizei der Weimarer Republik hervorging. Die Abteilung I des Berliner Polizeipräsidiums wurde zum Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) umgebildet, und am Sitz der jeweiligen Regierungspräsidenten entstanden aus den dortigen Abteilungen der Politischen Polizei Staatspolizeistellen. Diese unterstanden zunächst aber noch den Regierungspräsidenten und nicht dem Gestapa. In Potsdam und Frankfurt 13 Robert Stupperich, Otto Dibelius, Ein evangelischer Bischof im Umbruch der Zeiten, Göttingen 1989, S. 283f.
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Brandenburg in der NS-Zeit
wurden Gestapo-Stellen eingerichtet, Zentren des Terrors im jeweiligen Regierungsbezirk. Seit März 1933 entstanden auf Initiative örtlicher SA-Führer und möglicherweise nach zentralen Überlegungen Folterstätten. Es handelte sich um Orte, an denen politische Gegner eingesperrt und brutal mißhandelt wurden. Stätten dieser Verschleppung und brutalen Quälereien befanden sich u.a. in Börnecke-Meißnerdorf, Wittstock-Alt Daber, Neuruppin, Oranienburg, in den alten Zuchthäusern Brandenburg und Sonnenburg und an anderen Orten. Am Nachmittag des 20. März 1933 meldete der SA-Sturmbannführer Werner Schäfer von der SA-Standarte 208, das erste Konzentrationslager in Brandenburg sei zur Aufnahme von Schutzhäftlingen bereit. Als Unterbringungsort dienten die stillgelegten Hallen einer alten Fabrik und die Kellergewölbe der früheren Brauerei in Oranienburg. In den Abendstunden des 21. März 1933 kamen die ersten 40 Häftlinge in dieses Lager. Bis März 1934 waren es etwa 5 500 Personen, die hier kurzfristig oder über längere Zeit eingesperrt wurden. 14 Zu ihnen gehörten vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten, u. a. der KPD-Reichstagsabgeordnete Max Herrn aus Brandenburg, Willi Ruf, Politischer Leiter des Unterbezirks Oranienburg der KPD, Friedrich Ebert und Ernst Heilmann, Reichstagsabgeordnete der SPD. Heilmann war als Abgeordneter im Wahlkreis Frankfurt (Oder) und in Brandenburg besonders populär. Dies und seine jüdische Abstammung führten zu schweren und brutalen Mißhandlungen durch die SA, schließlich (1940) zur Ermordung im KZ Buchenwald. Die Einrichtung von Konzentrationslagern in Oranienburg und in Sonnenburg ging auf Aktivitäten örtlicher SA-Führer zurück. Am 24. März übernahm das Schutzhaftreferat des Gestapa diese beiden Lager. Es folgte die Anweisung an die Landräte, die bisher von der SA verschleppten Personen sofort an diese Orte »verbringen« zu lassen und andere Lager aufzulösen. Mit ihnen vereinigte die Gestapo Verfolgung und Vollstreckung in einer Hand, ein politisches Machtmonopol, das es bisher so noch nicht gegeben hatte.15 Am 1. August 1933 wurde das KZ Oranienburg in den Etat des preußischen Staates übernommen; damit war es ein »Staatliches Konzentrationslager«. Auf den Regierungsbezirk Potsdam konzentrierte sich im Vergleich zu den 35 Regierungsbezirken Preußens die terroristische Energie der braunen Machthaber im besonderen Maße. In der Zeit vom 1. bis 15. März registrierten die Behörden mindestens 487 Verhaftungen. Damit nahm Potsdam den vierten Platz in der Verhaftungsstatistik ein. Im Zeitraum vom 16. März bis 30. April folgten mindestens weitere 1 620 Verhaftungen.16 Bis zum 30. Juni registrierte das Preußische Ministerium des Innern 4 891 Verhaftungen in der Provinz Brandenburg. Die höchste Zahl meldete der Kreis Niederbarnim (1 885), gefolgt von den Kreisen Osthavelland (132) und Westprignitz (255). Der Kreis Ruppin lag mit zwei Verhaftungen an letzter Stelle.
14 Klaus Drobisch/Günther Wieland, Das System der Konzentrationslager 1993, S. 54. 15 Drobisch/Wieland, Das System der Konzentrationslager, S. 55. 16 D r o b i s c h / W i e l a n d , Das System
der Konzentrationslager,
S. 57.
1933-1939, Berlin
Die Machtergreifung in der Provinz
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MjBjMHfN*»»! Journalisten werden in das KZ Oranienburg eingeliefert, August 1933 (von rechts: Kurt Magnus, Direktor der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft; Hans Flesch, Rundfunkintendant; Heinrich Giesecke, Direktor der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft; Alfred Rraun, Rundfunksprecher; Friedrich Ehert, Chefredakteur der »Brandenburger Zeitung«; Ernst Heilmann, SPD-Reichstags-Abgeordneter)
Am 30. Juni 1934, dem Tag des sogenannten Röhm-Putsches, richteten die Nazis unter ihrem eigenen Anhang ein Blutbad an. Zu den Toten gehörten auch führende Exponenten der SA, so ζ. B. der SA-Gruppenführer Karl Ernst sowie dessen Adjutant, SA-Sturmführer Gehrt. Der ehemalige Reichskanzler Kurt von Schleicher, der in Potsdam erschossen wurde, zählte ebenfalls zu den Opfern dieser Aktion. Im KZ Oranienburg wurde der als Kritiker der NS-Herrschaft bekannte, konsequente Jungkonservative Edgar Julius Jung ermordet. Nach der Aktion vom 30. Juni 1934 löste die SS die SA in der Führung der Konzentrationslager ab. Kommandant des Lagers Oranienburg wurde der SS-Brigadeführer Theodor Eicke, der erste Kommandant des KZ Dachau. Eine neue Phase des Terrors überzog die Lager. Am 9./10. Juli fiel ihm der Schriftsteller Erich Mühsam zum Opfer, dessen Tod als Selbstmord hingestellt wurde. Am 14. Juli 1934 wurde dieses Lager offiziell geschlossen; etwa 10 000 bis 12 000 Menschen aus allen Teilen Deutschlands waren durch dieses Lager getrieben worden. Die bei Auflösung des KZ Oranienburg nicht Entlassenen wurden in die Konzentrationslager Papenburg und Esterwegen (Emsland) verschleppt. SS-Führer Heinrich Himmler, seit dem 20. April 1934 oberster Chef der Polizei im Deutschen Reich, forderte mit Stichtag 10. Juni 1935 eine Übersicht über die Inhaf-
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Brandenburg in der NS-Zeit
Entlassung aus dem KZ Oranienburg, 1933. Die SA inhaftierte hier ab 21.3.1933 bis 1934 in einer leerstehenden Brauerei politische Gegner
tierung in den Konzentrationslagern. Für die Gestapo-Stelle Potsdam saßen an diesem Tage vierundzwanzig Personen, für die Gestapo-Stelle Frankfurt (Oder) sogar nur zwölf Personen in diesen Lagern ein. Insgesamt waren es in Preußen 2 117 Personen. Es folgte die Weisung Himmlers, daß die Zahl der Schutzhäftlinge aus den Reihen der ehemaligen KPD-Funktionäre in dem folgenden Monat um tausend vermehrt werden soll. Neben dem SA- und dem SS-Terror wirkte die Justiz, gestützt auf die bereits am 6. Oktober 1931 erlassenen Notverordnungen, als stabilisierendes Element der NSHerrschaft. Mittels dieser gesetzlichen Handhabe entstanden nach dem »Heimtückegesetz« vom 21. März 1933 Sondergerichte für jeden Oberlandesgerichtsbezirk. Im Rammergerichtsbezirk Berlin entstand ein Sondergericht beim Landgericht, das Zuständigkeiten für die Provinz Brandenburg ausübte. Die Provinz war mit Berlin im »Oberlandesgerichtsbezirk Berlin« vereinigt. Landgerichte bestanden in Berlin, Cottbus, Frankfurt, Guben, Landsberg (Warthe), Neuruppin, Potsdam und Prenzlau. 1940 wurde für die Landgerichtsbezirke Cottbus, Frankfurt, Guben und Landsberg ein weiteres Sondergericht beim Landgericht Frankfurt eingerichtet. Der Widerstand wurde zum innenpolitischen Hauptproblem bei der Festigung der NS-Diktatur. Die Gestapo perfektionierte ihre Verfolgungsstrategie, und in aufwendiger Ermittlungsarbeit wurde gegen die bestehenden Organisationen des W i d e r s t a n d e s k r i m i n a l p o l i z e i l i c h e r m i t t e l t u n d v e r h a f t e t e P e r s o n e n in s p e k t a -
Organisation des NS-Regimes in Brandenburg
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kulären Prozessen wegen »Hochverrats« zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen verurteilt, so ζ. B. im »Hochverratsprozeß« in Cottbus im April 1934. An nur zwei Tagen wurde gegen 25 Angeklagte - überwiegend Mitglieder der KPD - verhandelt und die meisten von ihnen zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt. Eine derartige Yorgehensweise erbrachte den Nebeneffekt der Kriminalisierung des politischen Kampfes. 17
Organisation des NS-Regimes in Brandenburg In den folgenden Jahren trat die NSDAP als Faktor der »Organisierung« der Öffentlichkeit in Funktion, und gleichzeitig verlor die SA ihre eigentliche Aufgabe als »Organisator« der Massen. Die Struktur der Partei wurde so ausgelegt, daß sie zunehmend den Terror des Staates »vorbereitete« und die Bevölkerung beobachtete. Ihre Funktionäre waren in den jeweiligen Wohngegenden bekannt und kamen - im Gegensatz zu den traditionellen Machtorganen - durch ihre Funktion und die Übertragung staatlicher Aufgaben »hinter« die Wohnungstür. Jeder »Zellenwart« »beobachtete« etwa 50 Familien. So war bei einer Anfrage der Gestapo jederzeit das notwendige Material vorhanden, um die Haltung oder Stellung des Einzelnen zum »Dritten Reich« zu ermitteln. Ein Netz von sich überschneidenden »Gliederungen und angeschlossenen Verbänden« der NSDAP legte die Bevölkerung in organisatorische und ideologische Fesseln. Eine parteiinterne Übersicht mit Stand vom 1. Januar 1935 gestattet einen Einblick in die Struktur der NSDAP in der Provinz Brandenburg. 1935 gliederte sich der Gau Kurmark (so die Bezeichnung bis 1938, dann Gau Mark Brandenburg) in 46 Kreisleitungen der NSDAP. Ihnen unterstanden 903 Ortsgruppen, 1 632 Stützpunkte, 2535 Ortsgruppenstützpunkte, 2 467 Zellen und 10 873 Blöcke, die die Bevölkerung dieser Region in ein engmaschiges Netz zwängten. 18 Am 1. Januar 1935 zählte der Gau Kurmark 158 262 Parteimitglieder (Pg). Hinsichtlich der Fläche lag er an der Spitze aller Gaue der NSDAP, von der Mitgliederzahl her an vierter Stelle mit 6,4 Prozent aller Pg. 19 Auf ein Parteimitglied kamen 21,4 Bewohner der Mark oder wie es damals hieß: Volksgenossen. 20 Die überragende Bedeutung der Machtpositionen der NSDAP zeigte die Tatsache, daß 3 588 leitende Positionen in kommunalen Dienststellen, 159 Bürgermeister von Städten und 3 429 Vorsteher 17 Weitere Prozesse dieser Art fanden vor allem vor dem Volksgerichtshof in Berlin statt. So am 23. August 1934 gegen elf Angeklagte aus Senftenberg und Großräschen, am 9. Juni 1934 gegen acht Angeklagte aus Frankfurt an der Oder vor dem Kammergericht Berlin, gegen dreizehn Angeklagte aus Lebus im Februar 1934 u.a.m. Vgl. dazu Antifaschistischer Widerstandskampfin der Provinz Brandenburg 1933-1939, Τ. 1 u. 2, Potsdam 1978. 18 Partei-Statistik. Stand 1. Januar 1935, Bd. 3, hrsg. vom Reichsorganisationsleiter, S. 214. 19 Partei-Statistik, Bd. 1, S. 20. Mitgliederstärkster Gau war Sachsen, gefolgt von Schlesien. Der Gau Berlin lag von seiner Fläche her an einunddreißigster Stelle und von der Mitgliederzahl an fünfter Stelle aller Gaue der NSDAP. 20 Partei-Statistik, Bd. 1, S. 27. Die Altersstruktur der NSDAP im Gau Kurmark zeigte am 1. Januar 1935 folgendes Bild: 18-20 Jahre: 6 203; 21-30 Jahre: 52 191; 31-40 Jahre: 44 336; 41-50 Jahre: 31 718; 51-60 Jahre: 17 675; 61 und älter: 4 843.
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von Gemeinden durch sie gestellt wurden. 21 Voller Stolz hebt die Partei-Statistik hervor, daß der Gau Rurmark mit 12 290 Mitgliederversammlungen zahlenmäßig die erste Stelle in der Gesamtpartei einnahm. 22 Zahlreiche Gliederungen, Verbände und gebietliche Organisationen lagerten um die NSDAP und zogen ein Netz über die Bevölkerung. Ebenfalls nach dem Stand vom 1.1.1935 hatten die einzelnen Verbände im Gau Kurmark folgende Mitglieder: Angaben zur Mitgliedschaft in den der NSDAP angeschlossenen Verbänden: Deutsches Frauenwerk Reichsschaft der Studierenden Deutsche Arbeitsfront Reichsbund der Deutschen Beamten NS-Lehrerbund Rechtswahrerbund NS Bund Deutscher Techniker NS-Ärztebund Reichsnährstand NS-Volkswohlfahrt NS-Kriegsopferversorgung Insgesamt
105 373 278 561 851 4 7 131 10 833 2 012 1 639 316 174 0 9 4 265 694 51960 1 221 181
Angaben zur Mitgliedschaft in den der NSDAP angeschlossenen Gliederungen: SA SS NSKK Hitlerjugend Insgesamt
229 926 164 883 11593 180197 586 5 9 9
Die Zahl der Mitglieder stieg in den einzelnen Organisationen in den folgenden Jahren, so ζ. B. bei der »Deutschen Arbeitsfront« im Januar 1937 auf 687 622. 23 Die gesamte Bevölkerung war in einer oder in mehreren NS-Organisationen erfaßt. Die männliche Jugend der Provinz war im »Deutschen Jungvolk« (ab zehn Jahre) bzw. »Hitler-Jugend« (ab vierzehn Jahre) organisiert. Sie unterstanden dem Obergebiet 1 (Ost) mit Sitz in Potsdam. Zuständig war das Gebiet 2 (Rurmark); Sitz der Gebietsführung war Frankfurt. Die weibliche Jugend war in den »Jungmädeln« und im »Bund Deutscher Mädchen« zusammengefaßt. In anderen Organisationen war das Gebiet der Provinz mit Berlin vereinigt, so beim Reichsarbeitsdienst (RAD). Hier war der Gau Brandenburg mit Sitz in Berlin-Lankwitz die entscheidende Behörde. Die SA blieb in der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg zusammengeschlossen. Sie stand seit Juli 1934 unter dem Rommando von SA-Obergruppenführer Dietrich von 21 Partei-Statistik, Bd. 3, S. 2 2 4 22 Partei-Statistik, Bd. 3, S. 308. 23 Partei-Statistik, Bd. 4, S. 34.
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Prenzlau Perleberg |
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«Aßranden'burg Babels^ berg
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Treuenbrietzen^,
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Sitz der K r e i s l e i t u n g Cottbus
Gaugrenze/Staatsgrenze /Calau l
Kreisgrenze 25
_L_
Sorau
Sprembergv 50 km
Die NS-Gau- und Kreisleitungen in Brandenburg 1939 (K. Bremer) Jagow und hatte ihren Sitz in Berlin. Für den Regierungsbezirk Frankfurt blieb die SA-Gruppe Ostmark bestehen, die ihren Sitz in Frankfurt hatte. Zur SA-Gruppe Berlin-Brandenburg gehörten im August 1936 in der »Kurmark« die SA-Brigaden 25 (Brandenburg-Süd) mit den Standarten 35 (Brandenburg/Rathenow), 206 (Kreis Teltow/Beeskow-Storkow), 235 (Potsdam/Zauch-Belzig/Jüterbog-Luckenwalde), die Brigade 26 (Brandenburg-Ost) mit den Standarten 64 (Angermünde/Templin/Prenzlau) und 207 (Oberbarnim/Eberswalde/Niederbarnim), sowie die Brigade 27 (Brandenburg-West) mit den Standarten 24 (Ruppin), 39 (Ostprignitz/Wittenberge) und 224 (Ost- und Westhavelland). 24 1940/41 hatte sich der Gau Mark Brandenburg der NSDAP verändert, er umfaßte nun 30 Kreise, die in den Gemeinden Ortsgruppen unterhielten - so ζ. B. die Kreisleitung Beeskow-Storkow 96 oder die Kreisleitung Königsberg in der Neumark 108. Diese Untergliederung ergab sich aus der ländlichen Struktur, denn in fast jedem Dorf wurde eine Unterorganisation der NSDAP unterhalten. 2 5 Nach dem Stand vom 1. Dezember 1938 gliederte sich die 24 J[ulek] K[arl] v. Engelbrechten, Eine braune Armee entsteht. Die Geschichte der Berlin-BrandenburgerSA, München 1940, S. 305f. 25 Siehe Reichsband. Adressenwerk der Dienststellen der NSDAP und den angeschlossenen Verbänden, 3. Ausg. 1941/42, Abschnitt 16.
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Allgemeine SS in den SS-Oberabschnitt Berlin mit den SS-Abschnitten III (Berlin), XII (Frankfurt) und XXIII (Berlin). Zu den Abschnitten gehörten die SS-Standarten 6 (Berlin), 15 (Neuruppin), 27 (Frankfurt), 42 (Berlin), 44 (Eberswalde), 54 (Landsberg), 75 (Berlin), und 80 (Berlin). Weiterhin unterstanden dem Oberabschnitt die SS-Reiterstandarte 7 (Berlin), die SS-Nachrichten-Standarte 8 (Berlin), die SS-Pionier-Standarte 8 (Berlin) sowie der SS-Kraftfahrersturm 3 (Berlin/Senftenberg). Der weiteren straffen Einbindung der Bevölkerung in das Herrschaftssystem diente eine 1938/39 durchgeführte Aktion: die totale Überprüfung aller Arbeitskräfte, die in der Rüstungsindustrie und in »lebenswichtigen« Betrieben der Versorgung der Bevölkerung arbeiteten. Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution legte man darauf besonderen Wert, da seinerzeit die Streiks der Munitionsarbeiter in der Berlin-Brandenburger Industrie im Januar 1918 eine wesentliche Voraussetzung für die Novemberrevolution waren. 26 Die Novemberrevolution erwies sich als das Trauma bei der Gestaltung der innenpolitischen Verhältnisse der NS-Zeit in Vorbereitung auf den Krieg und im Kriege selbst. Die Tatsache, daß es ein Mangel an Facharbeitern gab, auf die in einigen Bereichen nicht verzichtet werden konnte, setzte diesem bürokratischen Vorgehen allerdings gewisse Grenzen. Im Deutschen Reich wurden fast sechs Millionen Arbeitskräfte auf ihre politische Haltung vor 1933 und ihre Entwicklung nach 1933 »überprüft«, im Berlin-Brandenburger Raum fast alle. In das öffentliche Bewußtsein ist diese Aktion nie gedrungen, da Entlassungen wegen »politischer Unzuverlässigkeit« verschleiert und mit einem Angebot für eine besser bezahlte Arbeit verbunden werden mußten. 27 Die Aktion erwies sich für das NS-Regime als besonders erfolgreich, da es gelang, die Mehrzahl der politischen Gegner - unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit vor 1933 - aus den kritischen Bereichen der Kriegsproduktion zu entfernen und die Möglichkeiten des Widerstandes gegen den Krieg und die NS-Herrschaft einzuschränken. Aktionen dieser Art entsprangen einer konsequenten Politik der Militarisierung zur Vorbereitung auf den Krieg. Dem diente auch die ausgedehnte politische Schulung im Sinne der NS-Ideologie. In Tasdorf bei Berlin unterhielten die Gauleitungen Berlin und Brandenburg eine »Gauschule«. Dort befand sich auch die »Gauschulungsburg Hubertushöhe« des NS-Lehrerbundes. In Wochenendlehrgängen wurden Angehörige der NSDAP für die Aufgaben »geschult«. Diese Lehrgänge fanden allerdings nicht genügend Teilnehmer, ganz im Gegensatz zur »Fliegenden Gauschulungsburg«. Mit ihr wurden Wochenendreisen in andere Gebiete Deutschlands unternommen, um durch Betriebsbesichtigungen, Kameradschaftsabende u.a. andere Teile des Landes kennenzulernen. Am 15. August 1938 wurden die »kasernierten Schulungslehrgänge der NSDAP« vorübergehend eingestellt, aber bereits im November als Wochenlehrgänge wieder aufgenommen. Weitere Schulungsstätten - ζ. T. auch auf Reichsebene - bestanden in Bernau (Reichsführerschule der NSDAP), in Potsdam (Reichsführerschule der HJ, Reichsführerinnenschule des BDM, Reichsführerschule des Reichsarbeitsdienstes), in Blumberg 26 Vgl. dazu die Berichte der Sitzungen des Arbeitskreises ffehrpsychologie der Deutschen Gesellschaft für Wehrkunde, abgedruckt in: Wissen und Wehr, Jahrgänge 1934 bis 1938. 27 BA Potsdam, Bestand Geheime Staatspolizei, PSt. 3/314.
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Kreis Niederbarnim (Reichsführerschule der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt) und anderen Orten. Kreisschulungsburgen der NSDAP bestanden in Brandtemühle bei Vetschau, in Luckau, in Templin, Dedelow, Erlenhof bei Fürstenhof Kreis Guben und in Landsberg. 28 Mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935 erhielten zahlreiche Städte der Mark Brandenburg wieder Garnisonen, in anderen wurden sie aus- und aufgebaut. Das bestehende Reichswehrgruppenkommando mit der 3. Division, die in der Provinz stationiert war, bildete bis zum Herbst 1938 weitere Divisionskommandos in Frankfurt, Brandenburg und Potsdam. Die »Verordnung über die Wehrkreiseinteilung für das Deutsche Reich« vom 1. Oktober 1936 schuf den Wehrkreis III. Dieser umfaßte bis auf einen kleinen Teil im Nordosten, der zum Wehrkreis II - Stettin - gehörte, die gesamte Provinz. Sitz des Wehrkreisbefehlshabers war Berlin, Wehrersatzinspektionen entstanden in Berlin, Frankfurt und Potsdam. Von Jahr zu Jahr wurden neue Thippenkörper aus bestehenden heraus aufgebaut. Aus den Infanterie-Regimentern Nr. 8 (Frankfurt) und Nr. 9 (Potsdam) entstanden weitere Truppenkörper: So das Infanterie-Regiment Nr. 29 in Guben, Nr. 50 in Landsberg, Nr. 67 in Berlin-Spandau sowie am gleichen Ort das Infanterie-Regiment Nr. 68. Kavallerie-Regimenter standen in Rathenow (Nr. 3) und Potsdam (Nr. 4). In Küstrin befand sich das Pionier-Bataillon Nr. 3, in Brandenburg das Pionier-Bataillon Nr. 43. Ein Schützen-Regiment - Nr. 3 - war in Eberswalde stationiert, das Artillerie-Regiment Nr. 3 in Frankfurt und in Crossen. Hinzu kamen Schulen und Ausbildungseinheiten der Infanterie, so u.a. in Döberitz. Die Forderungen des »Modernen Krieges« verlangten andere Bedingungen als bisher. Die motorisierten Verbände brauchten u.a. größere Übungsplätze. So entstanden neue Standorte für motorisierte Einheiten und Panzerverbände im Norden Berlins, für das Panzer-Regiment Nr. 6 in Neuruppin und in Bernau. Nach Wünsdorf zog die Lehr-Abteilung der Panzer-Truppen-Schule. Die Panzer-Abwehr-Abteilung Nr. 3 wurde in Frankfurt aufgebaut. Potsdam entwickelte sich zur größten Garnison im Deutschen Reich. Die Luftwaffe benötigte Flugplätze, die mit strategischer Sicht rund um das Industriegebiet von Berlin-Brandenburg angelegt wurden, so ζ. B. für das Jagdgeschwader Nr. 2 in Döberitz, das Zerstörergeschwader Nr. 1 in Fürstenwalde und das Kampffliegergeschwader Nr. 2 in Cottbus. Die Provinz Brandenburg war dem Luftwaffengruppenkommando 1 (Ost) zugeteilt, die für diesen Raum das Luftgaukommando III bildete. Ihm wurde die 1. Fliegerdivision (am 1. April 1936 aufgestellt) zugeordnet. Das Fallschirmjäger-Regiment Nr. 1 nahm in Stendal Quartier und das Luftwaffen-Nachrichten-Regiment 12 in Bernau bei Berlin. Starke Verbände der Flakartillerie standen in und um Berlin, so u.a. das FlakRegiment 12 in Berlin-Lankwitz, Nr. 22 in Döberitz, Nr. 32 in Berlin-Heiligensee, später noch das Flak-Artillerie-Regiment Nr. 52. Weitere Jagdfliegerhorste entstanden in Eberswalde-Finow-Müncheberg. Der Raum um Kummersdorf stieg in seiner Bedeutung enorm an. Hier fanden der Beschüß und die Abnahme von Geschützen statt, neue Waffentypen wurden erprobt. Dazu gehörten u.a. die ersten 28 Vgl. dazu die Aufstellung weiterer Einrichtungen bei Adamy/Hübener, Provinz Mark Brandenburg- Gau Kurmark, S. 24f.
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Die 1902 eingeweihte Synagoge der jüdischen Gemeinde von Cottbus wurde in der Pogromnacht 1938 von den Nationalsozialisten zerstört und später abgetragen. In den sechziger Jahren entstand an diesem Standort ein Warenhaus
Versuche mit den in Entwicklung befindlichen Raketen des Heeres. Weitere Einheiten verteilten sich auf andere Orte der Provinz. 1935/1936 begann eine konsequente Ausrichtung der Innenpolitik auf den Krieg. Dazu wurden Listen von Personen vorbereitet, die im Kriegsfälle verhaftet werden sollten und Orte - neue Konzentrationslager - zur Unterbringung der Verhafteten geschaffen. Ein »Mobilmachungsbuch für die Reichsverteidigung« mußte angelegt werden, in dem die »Vorbereitung der Einrichtung neuer Konzentrationslager und Rereitstellen der erforderlichen Bewachungskräfte« angeordnet wurde. 29 Konsequenz dieser zentralen Festlegung war für die Provinz die Anlage von zwei neuen Konzentrationslagern. Das erste entstand nördlich von Berlin auf der Gemarkung der Gemeinde Sachsenhausen bei Oranienburg und hatte eine vorgesehene Auf29 Vgl. dazu Laurenz Demps, Dokumente zur Funktion und Rolle der faschistischen Partei (NSDAP) bei der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs (1937-1939), in: Bulletin des Arbeitskreises Zweiter Weltkrieg, Berlin 1977, S. 52ff.
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Die Rohrmattenflechterei im Konzentrationslager Ravensbrück, Teil des SS-Betriebes des Frauenlagers, 1940/41
nahmekapazität für 8 000 Häftlinge. Die ersten Häftlinge wurden am 12. Juli 1936 eingeliefert. In Ravensbrück entstand ein Konzentrationslager ausschließlich für Frauen mit einer Aufnahmekapazität von 3 000 Inhaftierten. Am 18. Mai 1939 traf der erste Transport mit 860 deutschen und sieben österreichischen Frauen, die bisher in das KZ Lichtenburg verschleppt waren, ein. 120 000 Frauen aus fast allen Ländern Europas sollten es in den nächsten Jahren werden. 30 In unmittelbarer Nachbarschaft des KZ Sachsenhausen fand die »Inspektion der Konzentrationslager« ihren Sitz, die für das gesamte Konzentrationslagerwesen verantwortlich war. Von hier aus wurden die Organisation der Lager, der Arbeitseinsatz der Häftlinge, die TVansporte in die Lager, die Gestaltung der Lebensverhältnisse, die Verpflegung usw. geleitet. Die Bewachung der KZ übernahm der zur SS-Verfügungstruppe gehörende SS-Totenkopfverband V »Brandenburg«.31 Die antisemitische Politik der Nationalsozialisten, die bereits im April 1933 zu widerlichen Exzessen geführt hatte, kulminierte im Judenpogrom am 9./10. November 1938. In den märkischen Städten und Gemeinden, in denen sich eine Synagoge befand, versammelten sich Nationalsozialisten und ihre Sympathisanten und steckten sie in Brand, so in Potsdam, Brandenburg an der Havel und in Frankfurt. In der »Frankfurter Oderzeitung« vom 10. November 1938 heißt es dazu lako30 Drobisch/Wieland, Das System der Konzentrationslager, 31 Drobisch/Wieland, Das System der Konzentrationslager,
S. 262. S. 274.
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Brandenburg in der NS-Zeit
Konzentrationslager Sachsenhausen Häftlingslager und Kommandantur 1944
Sonderhäuser für Gefangene »besonderer Art« Gärtnerei der SS und Schweinestall/ Erschießungsgraben Krematorium und Station »Z