Blut - Der Fluss des Lebens: Wie Körper und Geist, Wirtschaft und Kultur mit unserem roten Organ verwoben sind 9783641298838

Blut ist das rote Organ, das lautlos und geschmeidig in allen anderen Organen fließt, sie ausfüllt, ihnen Leben verleiht

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German Pages 304 [335] Year 2023

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Verletzung
Blut Bad
Blutspur
Blut muss fließen
In Fleisch und Blut
Die goldene Stunde
Kleine Wunden
Blutopfer
Die Blutbank
Rotes Gold
Blutschande
Sind wir ein Blut?
Wenn die Seele blutet
Kriegsbemalung
Die Chirurgie der Seele
Blut- und Leberwurst
Blutvergiftung
Teil 2: Leben
Die Quelle
Der hydraulische Widder
Überleben
Blut und Liebe
Der Nabel der Welt
Was ist Leben?
Der Kreis schließt sich
Danksagung
Quellen
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Leseprobe: Reinhard Friedl, Der Takt des Lebens
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Blut - Der Fluss des Lebens: Wie Körper und Geist, Wirtschaft und Kultur mit unserem roten Organ verwoben sind
 9783641298838

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Buch Blut ist das rote Organ, das lautlos und geschmeidig in allen anderen Organen fließt, sie ausfüllt, ihnen Leben verleiht und sie verbindet. Es ist uraltes Merkmal weiblicher Fruchtbarkeit. Schiller sprach von der »Weisheit, welche das Blut befiehlt« und hob es auf eine Stufe mit dem Bewusstsein. Es hat die Farbe der Liebe, wird verwendet für Kriegsbemalung, und entlang der dünnen Membran zwischen Biologie und Mythologie zirkuliert es auch heute noch. Im Blut ist unser Anfang und unser Ende. Wir können mit Transfusionen Leben retten. Bei schweren Traumata verlässt es den Körper unwiederbringlich, und wir sterben. Wenn Blut fließt, blutet immer auch die Seele. Wird die Ursache eines Traumas nicht erkannt, schmerzen diese Wunden für immer. Blut ist eine zeitlose Währung und immergrünes Megageschäft. Blut ist flüssige Information: 70 Prozent aller Diagnosen werden anhand der Ergebnisse von Blutentnahmen gestellt. Der Herzchirurg und Autor des Longsellers »Der Takt des Lebens« Dr. Reinhard Friedl entführt uns in seinem neuesten Werk in die faszinierende Welt des Blutes und erzählt von seiner Entstehung, wozu wir es brauchen, wie es unsere Kultur und Geschichten seit Jahrhunderten prägt und warum es zu einem der größten Wirtschaftsfaktoren der Welt gehört. Die Autor*innen Unser Herzschlag ist sein Beruf: Priv. Doz. Dr. med. Reinhard Friedl ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Er hielt schon viele tausend Herzen in den Händen. Er hat frühgeborene Babys operiert und bei hochbetagten Patienten Herzklappen repariert, er hat Kunstherz-Turbinen implantiert und Messerstichverletzungen am Herzen genäht. Blut war der tägliche Begleiter des Herzchirurgen, Intensivmediziners und Notarztes. Sein Fließen verbindet jede einzelne Zelle unseres Körpers mit dem Herzen. Eingehend setzt er sich mit den Ergebnissen der aktuellen Neuro- und Psychokardiologie auseinander, die immer mehr Geheimnisse der komplexen Verbindung zwischen Herz, Blut, Gehirn und Seele zutage fördern. Shirley Michaela Seul hat als freie Autorin und Co-Autorin bereits zahlreiche Bücher veröffentlicht. Außerdem von Dr. Reinhard Friedl im Programm »Der Takt des Lebens« (zusammen mit Shirley Michaela Seul) »In deinem Herzen wohnt das Glück« (illustriert von Maria Over)

Dr. Reinhard Friedl mit Shirley Michaela Seul

Blut Der Fluss des

Lebens Wie Körper und Geist, Wirtschaft und Kultur

mit unserem roten Organ verwoben sind

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Originalausgabe September 2023 Copyright © 2023: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlag: UNO Werbeagentur, München Umschlagmotiv: FinePic®, München Redaktion: Eckard Schuster Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering SB ∙ CF ISBN 978-3-641-29883-8

V001 www.goldmann-verlag.de

Für meine Mutter Helene Friedl

Inhaltsverzeichnis Teil 1: Verletzung Blutbad Blutspur Blut muss fließen In Fleisch und Blut Die goldene Stunde Kleine Wunden Blutopfer Die Blutbank Rotes Gold Blutschande Sind wir ein Blut? Wenn die Seele blutet Kriegsbemalung Die Chirurgie der Seele Blut- und Leberwurst Blutvergiftung

Teil 2: Leben Die Quelle Der hydraulische Widder Überleben Blut und Liebe Der Nabel der Welt Was ist Leben? Der Kreis schließt sich Danksagung Quellen

Teil 1:

Verletzung Doch diese Weisheit, welche Blut befiehlt, Ich hasse sie in meiner tiefsten Seele. Friedrich Schiller

BlutBad Es gibt Anblicke, die lassen selbst einem hartgesottenen Herzchirurgen das Blut in den Adern gefrieren: Dicht unterhalb der linken Brustwarze meines Patienten stak das helle Griffstück eines Fischmessers. Vermutlich eine Imitation von Perlmutt und in etwa sieben Zentimeter lang. Die Klinge war tief im Körper des Patienten Richtung Herz verschwunden. So weit war dieser Anblick für eine Messerstichverletzung noch erträglich. Auch der hellblaue Pullover, mittlerweile schwarz gefärbt und steif von geronnenem Blut, schockte mich nicht. Blut in allen Gerinnungsfaktoren ist sozusagen mein tägliches Brot. Es war das lautlose Tick-Tick, Tick-Tick, Tick-Tick, mit dem der Messergriff den Herzschlag im Inneren des Leibes außen sichtbar machte, das mir durch Mark und Bein ging. Kein Vibrieren oder Zittern, sondern eine feine und doch klar abgesetzte Bewegung. Als ob das Pendel einer Lebensuhr, das sonst unsichtbar in diesem Patienten schlug, plötzlich sichtbar würde. Ich schätzte die Herzfrequenz auf 120, und dass ich sie erfassen konnte, ohne den Puls des Patienten zu fühlen, ohne EKG, ohne dass ich den Brustkorb eröffnet hatte, ließ mich schaudern. Es kam mir vor, als sende mir dieses schwerstverletzte Herz geheime Morsezeichen, als funke es: Ich habe nicht mehr viel Zeit, mein Herzblut verlässt mich. Kurz nach der Halbzeitpause hatte mein Telefon geklingelt. An der Nummer hatte ich die Zentrale der Klinik erkannt. O nein, dachte ich spontan, bitte nicht jetzt! Als Herzchirurg hatte ich dieses Wochenende an unserem Klinikum Dienst und bereits in der vorangegangenen Nacht operiert. Ich hatte heute auf eine Pause gehofft.

Mein Blick folgte dem blonden Schopf meines kleinen Sohnes, der an diesem diesigen Frühherbstnachmittag im gelben Fußballtrikot übers Spielfeld sauste. Die kurze Hose war ihm noch etwas zu groß, endete unterhalb seiner Knie und behinderte ihn fast mehr als der gegnerische Verteidiger, den er gerade mit einem gewagten Haken auszuspielen versuchte. Ich war sein größter Fan und konnte meinen Blick nicht abwenden. Was ich nun aber musste, als ich den Notruf aus der Klinik annahm. »Guten Tag, Dr. Friedl, ich verbinde Sie mit dem Schockraum.« Schockraum, in diesem Wort rauscht reines Adrenalin. Es ist der Ort, an dem man um ein Leben kämpft, sein eigenes oder das eines anderen, je nachdem, auf welcher Seite des Skalpells man sich befindet, am Handgriff oder unter der Klinge. Ein Ort, an dem das Leben buchstäblich auf Messers Schneide steht. Und so war es auch jetzt. Ein Kollege informierte mich: »Wir kriegen eine Messerstichverletzung rein. Laut Notarzt steckt das Messer noch im Brustkorb. Sie kommen bodengebunden mit dem Notarztwagen von irgendwo aus der Pampa. Zu viel Nebel zum Fliegen heute. Der Patient ist im schweren hämorrhagischen Schock1, der Notarzt hofft, dass sie es zu uns schaffen!« »Bin unterwegs«, sagte ich. »Falls der Patient lebend ankommt, bringt ihn bitte sofort in den Herz-OP.« Für eine umfassende Diagnostik mit Computertomographie im Schockraum ist bei solchen Patienten keine Zeit. Sie brauchen Behandlung, nicht Untersuchung, sonst verbluten sie. Sie benötigen einen Chirurgen, der das tödliche Ausbluten stoppt. In diesem Fall mich und mein Team. »Ruft auch die Kardiotechniker an«, fügte ich sicherheitshalber hinzu, »falls wir die Herz-Lungen-Maschine einsetzen müssen.«

Schlagartig hatte sich meine Welt verändert. Alle Pläne für diesen Tag existierten nicht mehr. Kurz winkte ich meinem Sohn, aber er sah mich im Spieleifer nicht. Ich bat den Vater seines Kumpels, ihn später mit nach Hause zu nehmen, und fuhr in die Klinik. Auf dem Weg rekapitulierte ich meine Erinnerungen zu Messerstichverletzungen. Solche Traumata sind in Deutschland nicht alltäglich, anders als in Südafrika oder in New York. Doch ich hatte schon einige davon unter dem Skalpell und Erfahrung mit derartigen lebensbedrohlichen Verletzungen. Die Mechanismen und die Komplexität der Verletzungen sind jedes Mal anders, unvorhersehbar und können eine große Herausforderung sein.

Adrenalin Etwa zeitgleich mit dem Patienten traf ich in der Klinik ein. Der junge, dunkelhaarige Mann war noch bei Bewusstsein. Während er auf den OP-Tisch gehoben wurde, redete er ohne Unterlass: »Es tut mir so leid, es tut mir so leid, es tut mir so leid«, wiederholte er ein ums andere Mal. Was meinte er damit? Was tat ihm leid? Gab es ein zweites Opfer? Wo? Tot? Viele Fragen, keine Antworten. Er redete, als ginge es um etwas sehr Wichtiges. Und damit hatte er recht. Er redete um sein Leben, das mit jedem Blutstropfen aus ihm heraussickerte  – oder auch – strömte. Wie viel es war, wusste ich im Augenblick noch nicht. Sein Gesicht war leichenblass, sein Körper weiß marmoriert wie eine Statue. Die Lippen blau, der ganze Mann, den ich auf Mitte zwanzig schätzte, schweißgebadet. Er klapperte entsetzlich mit den Zähnen, und immer wieder schüttelte ihn kalter Schauer. Blut transportiert nicht nur Sauerstoff, sondern verteilt auch die Lebenswärme. Zusammen mit dem Blut verließ sie seinen Körper, der erste Schritt einer tödlichen Abwärtsspirale. Ist die Körpertemperatur zu niedrig,

beginnt die Muskulatur mit Wärmeproduktion durch ein unkontrollierbares Muskelzittern. Gut informierte Selbstmörder setzen sich deshalb in die warme Badewanne, bevor sie sich die Pulsadern aufschneiden. Ein Selbstmord durch einen Messerstich ins eigene Herz ist eher die Ausnahme, das bringen auch die verzweifeltsten Menschen dann doch nicht fertig. Keine Frage, dieser Patient hatte großes Glück gehabt, es bis zu uns in die Klinik geschafft zu haben. Doch wie lange würde sein Glück währen? Wie viel Blut floss noch in seinen Adern? Zwischen vier und sechs Liter sind es normalerweise in einem erwachsenen menschlichen Körper. Wenn wir die Hälfte davon verlieren, befinden wir uns, je nach Konstitution und Umständen, in Todesnähe, oft schon vorher. Das Leben dieses Patienten floss nur noch als kümmerliches Rinnsal. Noch schlug das Herz in rasendem Tempo, noch atmete er, flach und hastig. Und er redete ohne Unterlass, als verhandle er mit dem Tod. In der Klinik in den USA, wo ich einen Teil meines Studiums verbracht hatte, wurden Schwerstverletzte wie er als »Talk and Die« bezeichnet, die reden, bis sie sterben. Ein Arzt darf sich davon nicht täuschen lassen. Dieses Reden ist keineswegs ein gutes Zeichen, im Sinne von »nicht so schlimm, er redet ja noch«. Für Traumaspezialisten und Notärzte, die dieses Zeichen zu deuten wissen, ist es ein Warnsignal für den unmittelbar bevorstehenden Absturz der Körpersysteme. Im Stadium des fortgeschrittenen Schocks spüren Verblutende, meistens Opfer von schweren Unfällen und Gewaltverbrechen, dass das Leben aus ihnen weicht. Jeder Tropfen des Schockhormons Adrenalin, den sie noch irgendwo zur Verfügung haben, wird ausgeschüttet. Seine Aufgabe ist es, mit dem noch vorhandenen Blutrest bis zuletzt einen minimalen zentralen Notkreislauf für Herz und Gehirn aufrechtzuerhalten, auf Kosten der Durchblutung aller anderen Organe. Adrenalin sorgt dafür, dass deren Blutzufuhr durch

Engstellung der Blutgefäße minimiert wird. Im Extremfall werden sie gar nicht mehr durchblutet und stellen in der Folge sukzessive ihre Funktion ein. Unser größtes Organ, die Haut, trifft es zuerst: Sie erkaltet und wird weiß wie Schnee, der Schweiß zu Eiswasser. Der Notkreislauf ins Gehirn sorgt dafür, dass wir bis zum Ende denken können. Solange wir bewusst sind, haben wir noch einen Rest Autonomie, den Glauben an unsere Handlungsfähigkeit. Verblutende reden einem inneren Antrieb folgend immer weiter, denn solange sie reden, haben sie nicht aufgegeben. Ihre Lippen formen flüsternd Worte, sie hören ihre Stimme, und das gibt ihnen die Gewissheit, nicht tot zu sein – »noch« nicht tot, müsste man eigentlich sagen. Auf einmal schaute mich der Patient mit weit geöffneten Augen an. »Werde ich sterben?«, fragte er. »Wir tun alles, was wir können.« »Ich heiße Hamid.« »Ich bin Dr. Friedl«, sagte ich. Er nickte schwach und suchte meine Hand. Ich hielt seine eiskalte schweißnasse Hand für einen Moment, drückte sie sachte. »Wir schaffen das.« Und das meinte ich auch so. Denn wenn man glaubt, es sei sinnlos und zu spät, sollte man auch nicht mehr operieren. In traumatischen Notfallsituationen, wenn der Fluss des Lebens versiegen will, ist Ehrlichkeit Menschlichkeit. Man kann einem Menschen in seiner letzten Minute auch die Hand halten und bei ihm sein, anstatt in blindem Aktionismus vor einer solchen Anteilnahme wegzulaufen. Die Anästhesistin spritzte Narkosemittel und wechselte die Sauerstoffmaske auf dem leichenblassen Gesicht gegen eine Beatmungsmaske. Mir zur Seite stand ein überaus erfahrenes Notfallteam, das den Patienten bisher »geschaukelt« hatte, wie wir im OP-Jargon sagen. Es hatte Organfunktionen und Vitalparameter

halbwegs stabil gehalten. Den Kommandostand der Anästhesistin am Kopfende des Patienten säumten Kabel und Monitore und das Beatmungsgerät mit seinen Schläuchen und Digitalanzeigen. Auf einer Ablage sammelte sich eine ganze Batterie von kleinen Spritzen. Von Zeit zu Zeit griff sie sich eine und applizierte vorsichtig einen halben Milliliter dieser oder jener Substanz. Anästhesisten können, wie Zauberer, einen Patienten schlafen lassen, den Schmerz nehmen, das Herz ein bisschen schneller schlagen lassen oder auch langsamer, den Druck ein bisschen heben oder senken und auch etwas mehr Urin fließen lassen. Doch was dieser Patient jetzt vor allem brauchte, war Blut, viel Blut, denn er war dabei, vor unseren Augen zu verbluten.

Bodycheck Blut ist Leben, sagt man. Doch das stimmt nicht ganz. Wenn es unwiederbringlich aus uns herausfließt, ist es auch Tod. Um das zu verhindern, hingen über Hamid zahlreiche rote Beutel mit Blutkonserven, die mithilfe eines elektrischen Druckinfusionssystems in den Patienten gepumpt wurden. Da wir die benötigte Blutgruppe noch nicht kannten, waren Konserven mit Null Rhesus negativ, die wir für Trauma-Opfer vorrätig hatten, aus dem Blutkühlschrank geholt und erwärmt worden. Blutgruppe Null Rhesus negativ als Universalspenderblut geht zur Not immer. Es ist aber selten und entsprechend wertvoll. Gerade mal sieben Prozent der Weltbevölkerung haben diese Blutgruppe. Deshalb wird jedem Patienten bevorzugt seine tatsächliche Blutgruppe transfundiert, und die wird in der Blutbank bestimmt. »Die Röhrchen für die Kreuzprobe sind unterwegs«, teilte uns die Anästhesiepflegerin mit. Sie hatte die Blutzentrale angesichts der absoluten Dringlichkeit bereits benachrichtigt.

»Wo ist der andere?«, fragte der Kardiotechniker, der vorsorglich die Herz-Lungen-Maschine einsatzbereit machte. Keiner antwortete. »Hat er sich denn nicht gewehrt?«, fragte die OP-Schwester, die, wie die meisten anderen, wohl davon ausging, dass unser Patient das Opfer war. Er hätte aber auch Angreifer sein können. »Keine weiteren Verletzungen nach dem Bodycheck«, meldete die Anästhesistin. Bei einem Traumapatienten interessiert nicht nur das Offensichtliche, sondern auch das, was man auf Anhieb nicht sieht. Es könnte zusätzlich ein Bein gebrochen sein, oder es könnte Hämatome am Bauch geben, die auf eine stumpfe Gewalteinwirkung schließen lassen. Hamid zeigte keine weiteren Begleitverletzungen, die auf einen Kampf hindeuteten, zum Beispiel Abwehrverletzungen an den Händen oder Prellmarken am Körper. Das war seltsam und ist eher typisch für Messerstichverletzte, die aus dem Hinterhalt in den Rücken attackiert werden. Nun war unser Patient offensichtlich von vorne verletzt worden, und diese Opfer wehren sich meistens. Was war hier geschehen? Ich versuchte mir vorzustellen, wo genau die Spitze der Klinge saß, welche Verletzung wir nach der Eröffnung des Brustkorbs sehen würden. Jede Verletzung erzählt eine Geschichte, wenn auch nicht die ganze Wahrheit. Man kann den Körper lesen wie ein Buch. Wenn Frauen zustechen, halten sie das Messer oft so, dass der kleine Finger die Klinge berührt, sie stechen eher von oben, während Männer meistens den Daumen an der Klinge haben und die Stichrichtung nach oben weist. Messerstiche von vorne treffen meistens die rechte Herzkammer. Sie liegt anatomisch hinter dem Brustbein, und in ihr ist der Blutdruck weniger hoch als in der linken Herzkammer. Stiche in die rechte Herzkammer kann man deshalb unter Umständen länger

überleben, weil das Ausbluten langsamer verläuft. Erfolgt der Stich von der linken Seite und wird dabei die linke Herzkammer eröffnet, dann sterben die Betroffenen oft sofort. Bei unserem Patienten stak das Messer halb seitlich und horizontal, da war alles möglich. In meinem Kopf rekonstruierte ich die Anatomie in seinem Inneren und folgte der Klinge des Messers zum Herzen. Was wäre der günstigste Fall und der Worst Case – verblutet im Operationssaal, unter meinen Händen, vor meinen Augen. Ein Albtraum!

Blutspur Unser aller Leben beginnt im Blut. Ohne dass Blut fließt, werden wir nicht geboren und sind Frauen nicht fruchtbar. Als Organ bezeichnen wir einen aus verschiedenen Geweben zusammengesetzten Teil des Körpers, der eine eigene und abgegrenzte Funktionseinheit bildet. Ein Organ ist wie die Pfeife an einer Kirchenorgel, die von Luft durchströmt werden muss, damit sie klingt. Alle Orgelpfeifen zusammen machen die Musik des Lebens. Blut hat die Besonderheit, dass es als flüssiges Organ alle anderen Organe durchströmt und sie verbindet. Ohne dass Blut in uns fließt, hätten wir keinen Kreislauf, keinen Blutdruck und keinen tastbaren Puls. Und schon gar keine Blutwerte. Kaum ein Arztbesuch ohne Blutabnahme. Ein Arztgespräch dauert im Durchschnitt sieben Minuten. Den Rest erzählt das Blut. 60 Prozent aller Diagnosen werden anhand von Blutwerten gestellt. Es wird von der modernen Medizin lückenlos überwacht. Noch nicht richtig auf der Welt, wird dem Menschen für das NeugeborenenScreening schon Blut abgezapft, und der Piks wiederholt sich viele Male im Leben. Fast keine Erkrankung kann sich in ihm verstecken. Jedes Organ, jede noch so kleine Zelle gibt Information an das Blut ab und berichtet damit, wie es ihm oder ihr geht. Ob Sie einen Infekt haben, eine seltene genetische Erkrankung, einen Herzinfarkt oder ein Nierenproblem, ob Sie sich bester Gesundheit erfreuen oder Ihre Zellen Stress haben – Ihr Blut weiß es und oft lange, bevor Sie es selbst spüren. Es hilft uns Ärzten, Verdachtsdiagnosen zu stellen, zu bestätigen, weiter einzugrenzen oder zu verwerfen, Erfolg oder Misserfolg einer Therapie zu überwachen.

Dass im Blut Information ist, erkennen wir auch in unserer Hautfarbe. Eines der am besten durchbluteten Organe ist unsere Haut. Sie nimmt bereitwillig die Farbe des Blutes an und signalisiert, wie es um unsere Gesundheit, aber auch um unser Gemüt steht. Und da gibt es subtile Unterscheidungen: Haben Kinder rote Backen, dann sehen sie nicht nur gesund aus, sondern sind es meistens auch. Blaue Flecken und Hämatome verraten, ob wir uns gestoßen haben oder vielleicht sogar misshandelt wurden. Ein hochroter Kopf kann auf einen erhöhten Blutdruck hinweisen, Leichenblässe auf das Gegenteil. Erröten wir hingegen zart, mag das liebreizend erscheinen, schießt uns die Röte ins Gesicht, sieht jeder, dass wir gerade aufgeregt sind, vielleicht sogar erregt, uns freuen oder auch schämen. Oder gar lügen? Aus all diesen Gründen waren Menschen schon immer der Ansicht, dass sich im Blut die Wahrheit verberge, dass unser Blut nicht lüge. Blut ist der flüssige, superschnelle Highway des Immunsystems, und wenn wir verletzt werden, verändert es seine Form von flüssig zu fest und versucht, unsere Wunden zu verschließen. Seine roten Blutkörperchen transportieren den Sauerstoff, ohne den unser Herz nicht schlagen und unser Gehirn nicht denken würde. Blutplättchen und Eiweiße der Blutgerinnung sorgen dafür, dass wir nicht sofort verbluten. Weiße Blutkörperchen verteidigen uns gegen todbringende Krankheitserreger. Und wenn mehr Blut fließt als bei einer kleinen Alltagsverletzung, blutet meistens auch die Seele. Dann bleibt eine tiefe Narbe, und manchmal heilen solche Verletzungen nie. Was heute als Psychotrauma bezeichnet wird, war auch schon im antiken Griechenland wohlbekannt. Das Wort »Psyche« bedeutet nichts anderes als Seele. Damals lebte auch das Mathematikgenie Pythagoras, der mit dem nach ihm benannten Satz a2 + b2 = c2 dem gleichschenkligen Dreieck seine geometrischen Geheimnisse entlockte. Auch heute muss ihn jeder Ingenieur kennen, wenn er komplexe

Maschinen und Bauwerke erdenken will. Nicht nur die Harmonie der Zahlen faszinierte Pythagoras, er war auch ein sehr genauer Beobachter der Natur, universal gebildet und dachte in Netzwerken, geknüpft aus Philosophie, Mathematik, Astronomie und Medizin. Für ihn war klar: Die Seele wird vom Blut genährt.2 Die Dreiecksverbindungen von Blut, Bewusstsein und Seele3 drücken wir mit vielerlei Redewendungen aus. Die Seele blutet uns oder das Herz, wenn etwas geschieht, das uns schmerzt. Und finden wir an etwas Gefallen, so lecken wir Blut. Wir sprechen von Herzblut, das wir in ein geliebtes Projekt stecken, und fühlen uns ausgeblutet, wenn wir erschöpft sind. Vielleicht haben Sie auch eine besondere Ader an sich entdeckt, ein Talent fürs Kochen, Tanzen oder MotorenReparieren? Manchmal im Leben scheitern wir auch, dann holen wir uns eine blutige Nase. Nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich blasse Menschen werden als blutarm bezeichnet, langweilige Texte auch, und wer viel Energie hat, dem wird heißes Blut zugeschrieben, das durchaus auch mal kochen kann, weshalb ihm »ruhig Blut« geraten wird. Wenn wir bis aufs Blut geärgert werden, weil es dicker als Wasser ist, kann es in Wallung geraten oder einem stocken. Aber egal in welchem Zustand, eines ist sicher: Es kommt immer aus dem Herzen. Genauso wie das Wasser aus der Quelle. Wie wir noch sehen werden, bilden Blut und Herz entwicklungsgeschichtlich ein Organ und funktionell eine untrennbare Einheit: Blut ist deshalb immer auch Herzblut. Es ist die Liebe und Hingabe, die wir in eine Tätigkeit stecken, es ist die Kraft, die uns weitermachen lässt, auch wenn es schwierig wird. Seine Magie lässt niemanden kalt. Auch als Herzchirurg kann ich das Herz nicht ohne Blut betrachten. Ich kann die Verbindung nicht trennen wie bei einer Operation mit Herz-Lungen-Maschine. Das Herz ist die Quelle des Blutes, ohne Quelle kein Fluss.

Alles fließt: Panta rhei Für ein gesundes Leben müssen wir flüssig bleiben. Nicht nur Blut  – auch das Biom, also das bakterielle Leben im Darm, Urin, Speichel, Schweiß, Tränen, Gleitflüssigkeiten und Spermien, der Atem, unsere Gene, Strom- und Nervenimpulse, Bewegungen, Emotionen, Träume und Gedanken müssen fließen. Störungen des Flusses machen den Menschen krank. Dies betrifft alle Organsysteme, von Herzinfarkt und Schlaganfall bis hin zu Depressionen, Immunerkrankungen, Malignomen, Darmverschluss, Erschöpfung und Unfruchtbarkeit. Allein ein trockenes Auge, ein trockener Mund, trockene Schleimhäute können das Wohlbefinden sehr stark beeinträchtigen. Durchblutungsstörungen bereiten die schlimmsten Schmerzen, die ein Mensch haben kann. Auch unsere Beweglichkeit ist von guter »Schmiere« abhängig. Man sagt ja auch: geschmeidige Bewegung. So brauchen auch der Rücken, die Bandscheiben, Knorpel und Knochen Elastizität und Flüssigkeit, sonst schmerzen sie fürchterlich. Ist es nicht faszinierend, dass wir uns über unsere »Flüssigkeiten« so selten Gedanken machen, ja dass sie uns oft eher peinlich sind? Aber um lebendig zu sein, brauchen wir nun mal mehr als Blut. Sogar unsere Emotionen sind flüssig. Wir lachen Tränen, wenn wir uns freuen, wir weinen Rotz und Wasser, wenn wir traurig sind. Wir schwitzen, wenn wir Sport treiben und arbeiten. Blut, Schweiß und Tränen sind die Säfte der Mühsal des Lebens, aber nicht alle. Wenn wir aufgeregt sind, bekommen wir Durchfall, und sehen wir leckeres Essen, läuft uns das Wasser im Munde zusammen. Unsere Küsse wären eine trockene Angelegenheit ohne Speichel. Auch in der Fortpflanzung bedarf es Körpersäfte. Sex ist richtig gut, wenn er saftig ist. Wenngleich dabei hoffentlich der neuronale Fluss unseres

Verstandes ein wenig abebbt, schwimmt auch unser Gehirn in Flüssigkeit. Unser Leben fließt dahin in einem Strom von Zeit, die manchmal rast, manchmal auch stillstehen kann. Die Elektronen, Atome und Moleküle, aus denen wir bestehen, sind keineswegs starre Bausteine, wie sie modellhaft in Chemiebüchern abgebildet sind, sondern flüssige Gebilde in stetem Wandel. Moderne Himmelswissenschaften sehen die Galaxien und Universen in einem steten Fluss an Bewegung. Panta rhei, alles fließt, ist zugleich eine uralte Einsicht, als deren Quelle der griechische Philosoph Heraklit gilt. Unsere Gedanken können fließen, wenn wir eine Einheit werden mit unserem Tun, wenn wir ganz und gar absorbiert sind von der Magie des Augenblicks. All dieses Fließen setzt voraus: Wir sind durchblutet. Blut ist der Urstrom in uns. Wenn kein Blut in uns fließt, versiegen auch die anderen Quellen. Das große Netzwerk der Flüssigkeiten, aus denen wir bestehen, trocknet aus. Damit aber alles fließen kann, brauchen Menschen Wasser.

Blut ist ein besonderer Saft Wasser ist das Blut der Erde, und Blut hat den Salzgehalt der Ozeane. Unser Körper besteht zu 70 Prozent aus Wasser, und zu 70 Prozent bedeckt dieses auch die Erde. Wie sie bestehen wir aus sehr viel Wasser, sind eingebunden in die großen Ströme der Existenz. Unser individuelles Leben zirkuliert in einem großen Kreislauf aus Nahrungsketten, Wasserkreisläufen, Genpools, Planetenbahnen, Jahreszeiten, Klimazonen und Kommunikationswegen. Unser Körper ist ein kleines Ökosystem in vielen großen. Wenn die Erde Fieber hat und Pole schmelzen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch wir heiße Füße bekommen oder uns das Wasser bis zum Hals steht. Wirklich gesund, wirklich im Fluss sein kann der Mensch nur in einer intakten Umwelt. In unserer eigenen Körperwelt ist das Blut ein

großartiger Kommunikator, der alles miteinander verbindet und Informationen vom einen Ort zum nächsten bringt, in Form von Nährstoffen, Hormonen, Transmittern und vielem mehr. Im Blut kreuzen sich die großen Ströme unserer Existenz. Es kann Krankheiten übertragen und ist Medizin. Es kann Leben nehmen und hervorbringen. Es enthält das Gute und das Böse. Blut ist so vielseitig wie das Leben selbst. Es ist Nahrung, Leben und Tod. Es fließt bei Unfällen, Gewalt, Opfern und Rache. In seinem Namen werden Kriege geführt, Recht gesprochen und Freundschaften geschlossen. Es dient als Kriegsbemalung und hat die Farbe der Liebe. Ein Tropfen genügt uns heute, um in einer DNA-Analyse die komplette Identität eines Menschen herauszufinden. Im Mittelalter wusste man das noch nicht, trotzdem wurden damals bereits wichtige Unterschriften mit Blut gesetzt. Nachdem Faust seine Seele dem Mephistopheles gegen das Wissen verkauft hatte, was die Welt im Innersten zusammenhält, hielt der Teufel das mit Fausts Blut unterzeichnete Vertragswerk in den Händen und sprach den denkwürdigen Satz, der ihn unsterblich machen sollte: »Blut ist ein ganz besondrer Saft.«4 Damit ist alles gesagt. Sie sehen schon, es gibt viel zu erfahren über das Blut. Blut zirkuliert in viele Richtungen, und die Membran zwischen Medizin und Mystik ist dünner, als wir vielleicht glauben.5 In meinem Buch Der Takt des Lebens6 habe ich mich auf die Reise zum Bewusstsein des Herzens begeben, des Resonanzkörpers unserer Emotionen, um die geheimen Verbindungen von Herz und Verstand wissenschaftlich zu beleuchten. Meine Expedition in diesem Buch hier führt uns entlang des Lebensflusses zu den Geheimnissen des Blutes und dem Rätsel seiner Bewegung. Je mehr ich der Fährte des Blutes folgte, desto stärker begeisterte es mich. Immer mehr »Geschichten« aus meiner aktiven Zeit als

Herzchirurg fielen mir ein und Phänomene, denen ich in meiner Recherche auf die Spur kommen wollte. Seit ein paar Jahren operiere ich nicht mehr an einer großen Klinik, sondern praktiziere in meiner eigenen ganzheitlichen Praxis. Hier stehen mir Messer zur Verfügung, die tiefer schneiden als jedes Skalpell, und die Wunden bluten nicht, auch wenn sie sehr schmerzhaft sind als psychologische Traumata der Seele, die ja viel mit Blut zu tun haben. Das älteste und früheste Feld der Chirurgie ist die Behandlung und Pflege von Wunden des Körpers. Doch dazu müssen sie zuerst einmal gesehen werden, und das gilt auch für die Wunden der Seele, das Psychotrauma. Es ist immer wieder erstaunlich, doch das Aufdecken solcher Seelenwunden und wirkliches Zuhören können manchmal sogar einen Herzeingriff überflüssig machen. Und auch in diesem oft verwendeten Wort überflüssig steckt Saft! Viele Verletzungen des Herzens, seien sie nun psychisch oder physisch, führen zu Flussstörungen. Zuerst betrifft es Kreislauf und Durchblutung und irgendwann das ganze Leben. Es läuft nicht mehr so, wie es mal war. Und wenn nichts mehr geht, wenn wir verzweifelt sind und voller Angst, kann sich das auf fatale Weise auf unsere Gesundheit auswirken. Wenn ich heute nicht in meiner eigenen Praxis arbeite, bin ich als Schiffsarzt und Notarzt unterwegs und recherchiere und schreibe mit Herzblut. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch längst nicht alle Geheimnisse des Lebens kennen und vor allem nicht das, was alles zusammenhält, die Verbindung, das Blut, dieses faszinierende Organ, in dem sich mehr tummelt als weiße und rote Blutkörperchen.

Die Furcht vor Blut Oberflächlich betrachtet ist Blut nichts anderes als eine Körperflüssigkeit. Wie viele andere Körperflüssigkeiten hat auch Blut nicht das beste Image. Wenn Blut sichtbar wird, heißt es in der Regel –

außer bei der Menstruation –, dass etwas nicht in Ordnung ist. Blutrot ist eine Farbe mit Signalwirkung. Wenn Blut austritt und den Körper verlässt, läuft es in die falsche Richtung. Blut gehört in den Körper. Wir bekämpfen uns bis aufs Blut oder nehmen sogar Blutrache. Aus Blut tropft eine martialische Sprache des Grauens, Worte, die uns das Blut in den Adern gefrieren lassen. Abgesehen vielleicht von einem gemütlichen Krimi-Fernsehabend, da vertragen wir literweise davon. Am Ende genügt ein Tropfen, um den Täter zweifelsfrei zu überführen. Dennoch halten sich nicht wenige Menschen beim Anblick von Blut die Augen zu. Es graust sie. Auch die Fans von Vampirliteratur bevorzugen es, wenn das Blut im Buch bleibt. Der Mensch ist biologisch als Tier definiert und das einzige, das aus purer Lust tötet. Zu trauriger Berühmtheit, was das betrifft, brachte es die Blutgräfin Elizabeth Báthory. Sie war blutrünstig wie ein Piranha und quälte der Legende nach viele junge Mädchen zu Tode.7 In deren Blut habe sie gebadet und es auch getrunken, um sich selbst jung zu halten. Woher kommt die Faszination für so etwas? Befriedigt es das Verlangen nach Blut im Raubtier Mensch? Blutegel zählen nicht zu dieser Gattung, und dennoch gibt es für sie nichts, was leckerer wäre. Für meine Kollegen in der plastischen Chirurgie sind sie hilfreich, wenn nach Mikro-Organtransplantation ein Blutstau auftritt. Aber auch bei großen Blutergüssen und Krampfadern sind sie dem erfahrenen ärztlichen Kollegen unentbehrliche Helfer. Besonders wirksam ist ihr Biss bei entzündlichen Gelenkschmerzen wie Rheuma, Tennisellenbogen oder auch unteren Rückenschmerzen.8 Im Speichel von Blutegeln befinden sich Substanzen, welche die Durchblutung und den Lymphfluss verbessern und eine entzündungshemmende und schmerzstillende Wirkung entfalten. Sie therapieren sehr freundlich, vor dem ersten Biss applizieren sie sogar ein schmerzstillendes Lokalanästhetikum.

Medizinische Blutegel sind heilende Wundertiere mit zehn Mägen, 32 Gehirnen und mehreren hundert Zähnen.9 Sie gelten heute als Arzneimittel; ihre Zucht und ihr Vertrieb unterliegen der staatlichen Überwachung. Aus Unkenntnis und Vorurteilen wurden sie von uns Menschen fast ausgerottet. Heute stehen diese Heilkünstler unter dem Schutz des Washingtoner Artenschutzabkommens. 50 bis 100 Milliliter Blut saugen sie, und das dauert höchstens eine Stunde.10 Allem, was mit Blut zu tun hat, wohnt irgendetwas Unheimliches inne. Man sagt, man solle der Stimme seines Herzens folgen, doch wie halten wir es mit unserem Blut, das ja aus dem Herzen kommt? Aus meiner Beobachtung in jahrzehntelanger ärztlicher Praxis ist es tatsächlich das schwarze Schaf in der Familie der Organe. Es ist der Überbringer schlechter Nachrichten. Zum Beispiel werden zunehmend viele Krebserkrankungen aufgrund einer sogenannten Liquid Biopsy, einer Flüssigbiopsie, die meistens eine Blutuntersuchung ist, erkannt. Niemand krempelt gerne die Ärmel hoch, wenn ein Arzt oder seine Helfer zur Blutabnahme bitten. Schon das Warten auf den Piks ist grässlich. Theoretisch könnte man Blut auch am Bein abnehmen  – Venen gibt es im ganzen Körper. Doch in der Armbeuge liegen die Venen dicht unter der Haut. Sie sind relativ groß und gut zu sehen und zu tasten. Und es gibt noch einen Grund: In der Armbeuge sind die Nervenenden nicht ganz so dicht beieinander. Der Einstich schmerzt hier meistens weniger. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Patienten sich vor der Besprechung ihrer Blutwerte geradezu fürchten. Nicht nur Heilige, auch Menschen können bei extremer Angst und in Stresssituationen wirklich Blut und Wasser schwitzen. Dieses ausgesprochen seltene Krankheitsbild, bei dem Blut durch die gesunde, geschlossene und intakte Haut austritt, wird als Hämathidrose (Blutschwitzen) bezeichnet. Die Ursachen sind nicht wirklich

bekannt.11 Es wäre möglich, dass bei extremer Anspannung kleinste Äderchen platzen. Betroffene sollten besser keinen hämatophoben Partner haben. Die Diagnose Hämatophobie beschreibt die Unfähigkeit, Blut zu sehen. Unvergessen ist mir daher ein Student namens Ludwig, der, zum ersten Mal im OP, umkippte, als wir mit dem Skalpell den Hautschnitt am Brustkorb setzten. Ja, das ist für Neulinge oft der schlimmste Augenblick, schließlich wird die Unversehrtheit des Körpers aufgehoben, und sofort sickert Blut in dicken Tropfen heraus. Zudem stinkt es nach verbranntem Fleisch, auch wenn wir eine starke »Abzugshaube« über dem OP-Tisch haben. Denn mit einem Elektrokauter werden die durchtrennten kleinen Blutgefäße sofort verödet, das heißt verkohlt. Wir waren noch nicht am Herzen angekommen, als es zu viel wurde für Ludwig. Er kippte um und fiel so unglücklich, dass er kurzfristig für mehr Blut sorgte, als im OP-Feld sichtbar war  … und das war wirklich eine Leistung. Deshalb habe ich mir seinen Namen gemerkt, wenngleich er nicht der einzige »Fall« im OP war, aber seine Platzwunde am Kopf musste genäht werden. Was hatte seinen unglücklichen Sturz ausgelöst? Womöglich eine Reaktion, die sein Leben retten sollte, ein relikthafter Reflex aus uralten Zeiten. Manche Experten glauben, die Hämatophobie verschaffe den Betroffenen einen Überlebensvorteil.12 Fiel ein verfolgtes Opfer gleich in Ohnmacht, sobald es in der Eiszeit nach der ersten Attacke des Säbelzahntigers Blut sah, war es für die Bestie eventuell nicht mehr interessant. Ich kann das insofern bestätigen, dass die Maus, die gleich tot ist  – oder sich tot stellt –, unseren Kater Carlo nicht allzu lange interessiert. Ob Mäuse hämatophob sind, wurde meines Wissens noch nicht wissenschaftlich untersucht. Menschen und Mäuse haben in Gefahrensituationen jedoch die gleichen Optionen, zu kämpfen, zu fliehen oder zu erstarren. Im Englischen spricht man von

Fight, Flight or Freeze. Jeder kennt das in abgemilderter Form bei sich selbst: Wenn wir schockiert sind, werden wir manchmal wütend, beginnen verbal zu attackieren und schmeißen vielleicht sogar einen Teller gegen die Wand. Das wäre Fight. Erscheint diese Taktik nicht Erfolg versprechend ziehen wir besser Leine, lassen alles stehen und liegen und hauen ab: Flight. Oder wir stehen wie erstarrt, auch unser Gehirn steht still, und wir wissen nicht, was wir tun sollen. Das wäre Freeze. Wenn wir weder kämpfen noch fliehen können, bleibt also Möglichkeit Nummer drei: erstarren. In der Hoffnung, von einem Raubtier oder von Carlo übersehen oder zumindest uninteressant zu werden, wenn wir uns nicht bewegen. Und so komme ich zurück zu meinem Patienten mit dem Messer in der Brust, der sich nicht wehrte, der nicht floh. Falls er überhaupt das Opfer war … 

Blut muss fließen Herzchirurgen sind genau genommen Blutchirurgen. Sie können Blut nicht nähen, aber sie sind dafür zuständig, dass es im Herzen die richtigen Impulse erhält und durch seine Vorhöfe und Kammern, durch die Klappen und Blutgefäße in den richtigen Bahnen fließt. Mit der richtigen Geschwindigkeit und dem richtigen Druck. Ganz wichtig ist natürlich auch die richtige Richtung. Gerade bei Herzerkrankungen fließt es oft in die falsche Richtung. Dann implantieren Herzchirurgen neue Herzklappen als Rückflussventile, verschließen falsche Öffnungen zwischen den Herzhöhlen, legen Umleitungen als Bypässe oder setzen gleich künstliche Blutgefäße ein. Manchmal kommt es mir so vor, als hätten Herzchirurgen mehr mit Blut zu tun als mit dem Herzen selbst.

Arterien Mit jedem Herzschlag verlässt das Blut hellrot und sauerstoffreich die kraftvolle linke Herzkammer, eingebettet in eine Pulswelle, die Sie zum Beispiel an Ihrem Handgelenk oder an Ihren Halsarterien ertasten können. Über die große Körperschlagader, die Aorta, fließt es durch ein sich immer feiner verzweigendes Netz von Arterien und Arteriolen zu den allerfeinsten Haargefäßen des Menschen, den Kapillaren. Sie sind 0,5 bis 1 Millimeter lang und so dünn, dass die etwas größeren roten Blutkörperchen nur noch hindurchpassen, wenn sie sich strikt hintereinander anordnen wie die Kamele einer Karawane, die durch die engen Tore einer Stadt marschieren müssen und dabei noch die Köpfe einziehen. Der Durchmesser einer Kapillare beträgt 2 bis 5 Mikrometer, der eines roten Blutkörperchens (Erythrozyt) 7 bis 8 Mikrometer. Während das Blut mit hoher Geschwindigkeit aus dem

Herzen sprudelt (1,5 Meter/Sekunde, oder anders ausgedrückt: über 5 Kilometer/Stunde), fließt es hier fünfmal langsamer (0,3 Meter/Sekunde) an den Zellen vorbei, denn in den Kapillaren wird das Leben umgesetzt. Was nun folgt, benötigt Zeit. Es kommt zu einer direkten Berührung zwischen der einzelnen Körperzelle und dem Blut. Hier finden der »Handel« und die Kommunikation statt, Nahrungsund Stoffwechselprodukte werden ausgetauscht, Wärme abgegeben, Nachrichten durch Hormone und Neurotransmitter übermittelt, und – ganz wichtig – die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten, geben den lebenswichtigen Sauerstoff für die Atmung der Zelle ab. Durchblutung ist die Voraussetzung für alle zellulären und molekularen Prozesse, damit unsere Leber entgiftet, der Darm verdaut, das Herz schlägt und das Gehirn denkt. Über die großen Arterien wird Blut angeliefert. Es sind Handelswege wie Wasserstraßen, Autobahnen oder Bahnstrecken, auf denen Güter und Nachrichten über weite Strecken zum Konsumenten transportiert werden. Dieser Transport wird als Makrozirkulation bezeichnet. Über die Ladentheke gehen diese Produkte in die Kapillaren. Sie sind die engen kleinen Gassen zwischen den Regalen des Supermarkts, die verschlungenen Pfade der Märkte, wo die Zellen anwesend sind und ihren permanenten Bedarf an Sauerstoff decken, sich aussuchen, was sie sonst noch brauchen, Neuigkeiten austauschen und im Gegenzug etwas abgeben, zum Beispiel das Kohlendioxid oder Energie, die eine sehr wichtige Währung im Körper ist. Das ist die Mikrozirkulation. Wie Sie sich vorstellen können, hat eine intakte Mikrozirkulation gravierende Auswirkungen auf Ihre Gesundheit, genau wie das Mikroklima in Ihrem Wohnviertel, Ihrer Straße oder in Ihrem Schlafzimmer.13 Ihre Bedeutung wurde über Jahrzehnte nicht erkannt. Die meisten Ärzte und Kreislaufforscher haben ihr Augenmerk auf die großen Arterien gelegt, auf das, was man mit den vorhandenen bildgebenden

Verfahren in der Durchleuchtung sehen konnte. Aktuell ist die Erforschung der Mikrozirkulation eines der Topthemen der HerzKreislauf-Forschung.14

Venen Ist das Blut seine Fracht losgeworden, ändert es seine Farbe von hellrot zu dunkelrot, weil es weniger Sauerstoff an Bord hat. Nun ist es venöses Blut geworden, pulsiert nicht mehr und kehrt im trägen Strom der nun umgekehrt immer größer werdenden Venen zurück zum rechten Herzen und weiter in die Lunge, wo das Kohlendioxid ausgeatmet wird. Es nimmt auch Nachrichten der Zelle an den Organismus mit und bringt den Müll raus, Stoffwechselendprodukte, die von den Zellen nicht mehr benötigt und zum »Recycling« in die Leber mitgenommen werden. Wenn der Körper sie gar nicht mehr verwerten kann, auch zu den Ausscheidungsorganen Darm und Nieren. Wenn Sie auf die feinen blauen Venen an der Oberfläche Ihrer Haut blicken, können Sie erahnen, dass da lautlos etwas in Ihnen fließt. Und dieses Fließen ist gewaltig! 30 Billionen rote Blutkörperchen, also die Träger von Sauerstoff und Kohlendioxid, reisen täglich 20 000 Kilometer durch Ihren Körper. Das entspricht der Entfernung von Norddeutschland nach Tokio und wieder zurück. Auch der neueste Airbus schafft so eine gewaltige Distanz nicht an einem Tag. Blut fließt in einem Netzwerk aus Arterien, Venen und Kapillaren, das in unserem Körper an die ١٠٠  000 Kilometer lang ist. Zweimal der Umfang der Erde und noch ein halbes Mal weiter! Wir alle sind durchtränkt von Blut wie ein Schwamm, es gibt keinen Mikrometer in unserem Körper, der nicht durchblutet ist.

Kreislauf Dass das Blut im Kreis fließt und dorthin zurückkehrt, wo es seinen Ausgang genommen hat, nämlich zum Herzen, hat der englische Arzt William Harvey im beginnenden 17. Jahrhundert in vielen Tierversuchen und basierend auf mathematischen Überlegungen herausgefunden. Nur ein winziges Stückchen fehlte Harvey, um seinen Beweis perfekt zu machen: die Verbindung zwischen arteriellem und venösem Blut! Die winzige Strecke, an der Ersteres in Letzteres übergeht. Die Kapillaren. Sie waren zu winzig, als dass er sie mit bloßem Auge hätte sehen können, und ein Mikroskop hatte er nicht. Die Welt der Mikrozirkulation, in der das Leben umgesetzt wird, blieb ihm verborgen. Erst vier Jahre nach seinem Tod wurden sie entdeckt, in den Eingeweiden eines Frosches. Es ist das Wesen jeder Forschung und Expedition, neue Wege zu gehen, die noch niemand gegangen ist, neue Verbindungen zu suchen. Verbindungen, von denen man weiß, sie sind da, auch wenn sie noch niemand nachgewiesen hat. Diesen Weg ging auch Harvey als glänzender Wissenschaftler und Begründer der auf Empirie und systematischer Methodik basierenden modernen biomedizinischen Forschung.15 Er glaubte an eine primäre, lebendige (vitale) Eigenbewegung des Blutes, welches der Herzkontraktion weitere Impulse hinzufüge, seinen Strom mit jeder Kontraktion rhythmisch überforme und es neu belebe (vitalisiere) und vor Fäulnis bewahre. Und in der Tat ist die Beladung des Blutes in der Lunge mit frischem Sauerstoff eine Belebung. In den winzigen Lungenbläschen überschreitet Sauerstoff die feine Grenze von der Außenwelt in unser Inneres und färbt das vorbeigleitende dunkle Venenblut wieder in strahlendes Hellrot. Harvey war nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch ein großer Philosoph und

Anhänger von Aristoteles. Daher betrachtete er seine sensationelle, die Medizin für immer verändernde Entdeckung nicht isoliert und reduktionistisch, sondern stellte sie in einen großen Zusammenhang. Für ihn ahmte der Kreislauf des Blutes wie auch der des Wassers die Kreisbewegung der Planeten am Himmel nach. Das Herz die Sonne im Mikrokosmos Mensch und die Sonne das Herz der Welt.16 Mit seiner Entdeckung machte er sich allerdings wenig Freunde. Viele Mediziner waren skeptisch, denn er widersprach dem seit über tausend Jahren bestehenden Kreislaufparadigma des berühmten antiken Arztes Galen(us) von Pergamon, das bis dahin niemand zu bezweifeln gewagt hatte. Nach jenem brannte im Herzen eine Flamme, der Brennstoff in Form von Nahrung und Blut zugeführt und deren Rauch über die Lunge ausgeatmet wurde. Es floss nicht im Kreis, sondern schwappte eher wie die Tide des Meeres, wie Ebbe und Flut, hin und her. Es war die offizielle Schulmedizin, die damals wie heute als etwas Absolutes angesehen wird. Das Ende von Galens Lehren machte vielen Gelehrten Angst. Sie sahen die Grundlagen ihrer Medizin und ihrer Therapien einstürzen wie ein Kartenhaus, und so wurden Harvey und jene, die ihm folgten, sogar verspottet als circulatores, Anhänger des Kreislaufs. Ein perfides Wortspiel, denn als circulatores wurden damals auch herumreisende, ihre Runden drehende Marktschreier und Hausierer bezeichnet.17 Doch Autoritäten fochten Harvey nicht an, und er blieb bei seinem Standpunkt, wenngleich er vorsichtig sein musste. In jener Zeit konnte man rasch auf dem Scheiterhaufen landen. Heute würde man sagen, er war ein Querdenker, und was es heißen kann, wenn eine kollektiv geschürte Angst nur noch eine Sicht auf Naturphänomene erlaubt und alle anders Denkenden verunglimpft, mundtot macht oder ihre Meinungen verschweigt, sahen wir während der COVID-19-Pandemie.

Erstarrtes Wissen Sein Zeitgenosse, der französische Forscher, Mathematiker und Philosoph René Descartes, war ein »Opinion Leader«, eine meinungsbildende Persönlichkeit. Er war einer der Ersten, die Harveys neue Lehre vom Kreislauf akzeptierten, und wurde ein prominenter Fürsprecher. Und das hatte einen Grund: Ihn faszinierte die beginnende industrielle Revolution mit Dampfmaschinen, Mühlen, Uhren, Zahnrädern und Antriebsriemen. Seine Naturphilosophie folgte streng den Gesetzen der Mechanik. Den Menschen begriff er als eine Art biologische Maschine, die nach seiner Ansicht konstruiert war wie eine Uhr, deren Antrieb aufgezogen wurde und abläuft. Nicht nur das Herz war seiner Auffassung nach mechanisch. Er sah Lungen als Blasebalge und Nieren als Filtersysteme. Mit der Entdeckung der Naturgesetze durch Kopernikus, Galileo, Kepler und Newton zählte für ihn und zeitgenössische Gelehrte nur noch, was man messen und wiegen konnte. Er trennte den Geist vom Körper und vertrat die Ansicht, dass beide unabhängig voneinander existierende Dinge seien, die miteinander in Wechselwirkung treten. Diese Philosophie wird als cartesianischer Dualismus bezeichnet, und das daraus resultierende Mensch-Maschinen-Paradigma ist bis heute unter vielen Ärzten und Wissenschaftlern vorherrschend. Harveys Entdeckung vom Kreislauf war Wasser auf die Mühlen von Descartes’ mechanistischer Menschenschau. Für ihn war die Sache glasklar. Wenn Blut im Kreis fließt, muss es von einer Pumpe angetrieben werden, und welche könnte das sein, außer dem Herzen? Harveys Kreislaufentdeckung half eine Weltsicht zu zementieren, in der Daten und Fakten berechtigterweise alten Aberglauben und allerlei Hokuspokus ersetzten. Es war der Beginn der modernen Naturwissenschaften. Harveys zutiefst vitalistische Interpretationen

von der Sonne im Herzen, von der Eigenbewegung und Lebendigkeit des Blutes passten da natürlich nicht hinein. Deshalb wurde die neue Lehre von Descartes und seinen Nachfolgern kurzerhand ihrer kosmischen Verbindungen beschnitten, die Idee einer primär lebendigen Physiologie ad acta gelegt und das Herz auf die Funktion einer Druck-Antriebspumpe skelettiert. Mit anderen Worten: Er hat Harveys Einsichten passend gemacht, zurechtgezimmert für sein System. Harvey war davon wenig begeistert, aber Descartes’ Ansichten setzten sich durch. Sehr treffend brachte es der deutsche Physiologe Alfred Wilhelm Volkmann 1850 in seinem Lehrbuch über Hämodynamik zu Papier. Demnach sei das Herz eine pumpende Maschine und habe genügend Kraft, die Masse des Blutes durch das gesamte Gefäßsystem zu treiben.18 Diese »felsenfeste Ansicht«19 hat sich bis heute gehalten. Und so oder so ähnlich steht es auch heute noch in vielen Lehrbüchern. Auf der Basis des Blutes und der Natur seiner Bewegung wird die Welt seither unterteilt in Vitalisten wie Harvey und Aristoteles, welche die komplexe Ästhetik selbstorganisierender lebendiger Systeme in globale und geistig-philosophische Zusammenhänge stellen, und die Cartesianer, die das Materielle vom Seelischen dualistisch trennen und die Phänomene der Existenz, gerade auch von Herz und Kreislauf, deterministisch mit den Augen des Biochemikers und Mechanikers betrachten. Doch niemand hat die Wahrheit gepachtet, und Wissen ist keine Konstante, sondern es oszilliert. Wissenschaft ist nicht die Verwaltung von Wahrheit, auch nicht die Verwahrung, sondern die Suche danach. Aktuell bewegt sich das Pendel der Herz-Kreislauf-Forschung wieder in die andere Richtung. Angesichts einer wahren Flut neuer Forschungsergebnisse über die subtile und intelligent abgestimmte, selbstorganisierende Physiologie von Blutfluss, Herz und Kreislauf

wird das Pumpenparadigma des Herzens von Ärzten und Wissenschaftlern neuerdings hinterfragt.20 Eine spannende wissenschaftliche Debatte ist darüber entstanden, ob das Herz tatsächlich nur eine Pumpe ist oder ob das nicht eine sehr simplifizierende, nur augenscheinlich richtige Beschreibung der Ursache-Wirkungs-Beziehung von Herz und Blutbewegung ist. Wir wissen heute: Das Herz alleine kann aus rein physikalischen und physiologischen Gründen nicht täglich sechs bis zehn Tonnen Blut durch unser Blutgefäßsystem befördern. Möglicherweise ist es genau andersherum? Das Blut treibt das Herz an!  … Solange es noch vorhanden ist.

In Fleisch und Blut Ich durchschnitt die Haut des Patienten Hamid vom Hals bis ans Ende des Brustbeins und blickte auf weißes Bindegewebe und gelbes Fett. In jedem anderen Patienten würde es nun bluten, aber bei Hamid fehlte der Blutdruck, der dazu notwendig war. Im schweren Schock werden Haut und Unterhautgewebe nicht mehr durchblutet, die Kapillaren stellen sich so eng, dass nicht mal mehr ein Blutkörperchen hindurchpasst. Eine Notfallstrategie der Natur, wobei der Kreislauf kleiner und kleiner wird, zuletzt sind nur noch Herz und Hirn am Netz. Prüfend blickte die Narkoseärztin über das grüne Tuch und schüttelte dann den Kopf. »Leichen bluten nicht«, fasste sie die Situation zusammen, während sie eine Blutkonserve nach der anderen anhängte, um ebendiesen Übergang in das Stadium post mortem (nach dem Tod) abzuwenden. Mit einem weiteren Schnitt durchtrennte ich die kräftige Muskulatur, bis das Messer in meiner Hand am Knochen des Brustbeins kratzte. Ich griff nach der elektrischen Säge und durchtrennte das Brustbein in voller Länge. An den Schnittflächen wurde Knochenmark sichtbar. Während Knochen außen hart sind, sind sie innen weich wie ein Schwamm. In ihnen wohnen die Stammzellen, die wahrscheinlich gerade verzweifelt versuchten, rote Blutkörperchen, Gerinnungsfaktoren und weiße Blutkörperchen für die Immunabwehr zu produzieren. Ich setzte den metallenen Thoraxsperrer zwischen die Brustbeinhälften und drehte ihn auf. Wie der Vorhang bei einem Theaterstück öffnete sich die Brust des Patienten. Nach und nach wurden die Protagonisten unter den grellen Lichtern des Operationssaales sichtbar. In der Tiefe des Bühnenraumes ahnte man schon das Pulsieren des Herzens, noch ganz eingehüllt im

Perikard, dem Herzbeutel. Wie bei jeder Herzoperation wurde das Herz teilweise verdeckt durch die Thymusdrüse, umgangssprachlich auch Bries. Hier gehen bestimmte Zellen des Immunsystems, spezialisierte weiße Blutkörperchen, sogenannte T-Lymphozyten, in die Schule und lernen, körperfremde Zellen anhand bestimmter Oberflächenmerkmale (Antigene) zu erkennen und anzugreifen. Gegen eine Messerattacke konnten sie zwar nichts ausrichten, gegen die Bakterien und Viren, die sich an der Klinge befanden, jedoch schon. In der Kindheit des Menschen ist die Thymusdrüse von großer Wichtigkeit für die Ausbildung des Immunsystems, beim Erwachsenen hat sie keine Bedeutung mehr und besteht größtenteils aus Fett. Um zum Herzen zu gelangen, mussten wir sie mit dem elektrischen Messer kurzerhand entfernen. Der Herzbeutel war mit dunklem Blut gefüllt und wölbte sich mir entgegen. »Bereit?«, fragte ich in die Runde und schaute mein Team an. Alle nickten. »Wir haben auch schon Gerinnungsfaktoren aufgetaut  … für später«, hörte ich die Stimme der Anästhesistin. Es ergibt keinen Sinn, Gerinnung in jemanden hineinzuschütten, wenn sie am Herzen wieder herausläuft. Aber ja, wenn alles überstanden wäre, würden wir sie brauchen. Doch würde der Patient, dieser junge Mann, so lange durchhalten? Da stand noch einer im Saal oder besser am Bühnenrand? Er nickte auch, ja, bereit. Allen Herz- und Traumachirurgen ist er wohlbekannt, und doch wird er in kaum einem Lehrbuch erwähnt. Er ist uralt und zeitlos. Als festes Mitglied des Ensembles jeder Notfalloperation explizit genannt wird er zum ersten Mal in einem Lehrbuch für Traumachirurgie aus dem Jahre 2005 mit dem Titel: Top Knife. The Art and Craft of Trauma Surgery, zu Deutsch: die Kunst und das Handwerk der Traumachirurgie.21 Die Autoren wählten den Titel Top Knife in Analogie zu der Elite-Jagdflugschule der United States Navy

und vergleichen die Ausbildung zu einem Traumachirurgen mit der von Kampfpiloten bei der US Navy. Top Knife beginnt mit folgenden Worten: »Früher oder später wirst du im OP stehen mit einem Patienten, der massiv blutet und schnell unter deinen Händen stirbt … und nur so nebenbei: Hast du den anorektischen Typen bemerkt? Mit schwarzem Mantel und Schlapphut steht er in einer Ecke und hält seine große Sense. Geduldig wartet er, dass du einen Fehler machst. Er ist integraler Bestandteil jeder Notfall-Operation.« Ja, ich hatte Gevatter Tod bemerkt, er hatte den ersten Zug im Spiel um das Leben des Opfers gemacht. Nun waren wir an der Reihe. Beide hatten wir schon viele Partien gespielt, und ich wusste, er war ein harter Gegner, aber nicht unbesiegbar. Ich musste nur kaltblütig genug sein.

Mord und Totschlag Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Mord und Totschlag, ein Hauen und ein Stechen, erst mit Fäusten und Keulen, dann mit Stichwaffen, auch hölzernen Pfeilen und Speeren und mit Beginn der Bronzezeit mit Messern aus Metall. Diese wurden nicht nur zum Töten von Tieren verwendet, sondern auch gegen Artgenossen, ein endloser Strom von Opfern, der niemals versiegt. Stichverletzungen zählen zu den ältesten Wunden der Menschheit, und lange Zeit hatten Ärzte kein gutes Rezept dagegen. Beschäftigt hat es sie von Anfang an. Selbst der bedeutendste Arzt der Antike, Galen(us) von Pergamon, begann seine Karriere als Wundarzt bei den Gladiatoren in Rom, die sich zur Belustigung des Volkes gegenseitig abschlachteten. Vielleicht brachten ihn auch das Herausfließen von Gehirnflüssigkeit aus zerborstenen Schädeln, das Einnässen der Kämpfer vor Angst und aus Schmerz, das Auslaufen der Eingeweide, aufgeschlitzte Gedärme und das Versickern des letzten Tropfens Speichel und der letzten Träne im

Sand der Arena zu der Einsicht, dass der Mensch aus vielerlei Flüssigkeiten besteht – und vielleicht bildete diese die Grundlage seiner Säftelehre? Sie galt für 1500  Jahre als medizinisches Nonplusultra, bevor sie sich als in mancherlei Hinsicht falsch herausstellte. Mit wissenschaftlicher Akribie beschrieb Galen auch die Stichwunden des Herzens: »Wenn eine Wunde die Herzkammer durchsticht, sterben sie sofort und viel Blut strömt aus ihnen heraus. Besonders, wenn die linke Herzkammer eröffnet wurde; wenn das Messer dagegen die Herzkammer nicht eröffnete, sondern in der Muskulatur stecken blieb, überleben einige von ihnen.«22 Im Falle blutiger Herzverletzungen hatte er recht. Es kommt immer auf die Schwere und Lokalisation der Herzverletzung an, und nicht alle sind sofort tödlich. Jahrhunderte später sah dies der Arzt des französischen Königs Henri IV., Barthélémy Cabrol, bestätigt. Er fand bei Autopsien (inneren Leichenschauen) zweier Verstorbener Herznarben, die von Stichverletzungen herrührten. Wie er als Augenzeuge wusste, war die Todesursache jedoch nicht Erstechen, sondern Erhängen. Grund: Diebstahl beziehungsweise Herstellen von Falschgeld.23 Ehrenhafter, aber mit weniger Glück starb Henry Thomas, ein Seemann an Bord des britischen Segelschiffes »HMS Foudroyant« im Jahre 1778. Er rutschte auf einer Planke aus und fiel in die Stahlklinge seines Bajonetts. Er zog es selbst heraus und meldete sich tapfer zum Wachdienst. Neun Stunden später war er tot. Es gab damals wenig, was man für das aufgespießte Herz tun konnte. Durch die Jahrhunderte hindurch galt es als undenkbar, ein Herz zu berühren oder es gar zu operieren. Das Herz und das Blut, mit dem es gefüllt ist, galten als der Sitz der Seele, eine heilige Dimension. Das Alpha und das Omega des Lebens, das sich bewegt und mit allen anderen Organen kommuniziert durch den unablässigen Strom des Blutes.

Doch während man über die Jahrtausende mit Blut recht robust umging – immerhin galt der Aderlass über lange Zeit als Heilverfahren der ersten Wahl bei allen möglichen Erkrankungen, und der Blutzoll war eine beliebte Bezahlart –, glaubte man vom Herzen, es sei überaus empfindlich. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war das Herz also tabu. Zu einer Zeit, in der es für andere chirurgische Fächer schon längst Lehrbücher gab: für Skelett und Muskulatur, Auge, Ohr, Niere, Reproduktionsorgane und Eingeweide. Sogar ein Gehirntumor war schon entfernt worden.24 Woran lag das? Sicherlich hatte es auch praktische Gründe, denn die Natur schützt das Herz. Im Vergleich zu den Organen im Bauch oder den Muskeln unserer Arme und Beine ist es ummantelt vom Brustkorb, und der ist aus harten Knochen geflochten, nämlich Rippen und Brustbein. Letzteres war mit einfachen Instrumenten der Länge nach kaum zu spalten, und so war der naheliegende Zugang von der Seite und zwischen den Rippen hindurch. Um auf diesem Wege ans Herz zu gelangen, musste der Operateur vorbei an der Lunge, und das ist nicht einfach. Denn sobald er das umgebende Lungenfell eröffnet, fallen jene in sich zusammen wie ein schlecht aufgehender Hefeteig. In unserem Brustkorb, innerhalb des Lungenfells, der Pleura, herrscht nämlich Unterdruck. Sonst würde die Luft, wenn wir einatmen, nicht in sie hineinströmen. Wird der Lungenraum auf einer Seite eröffnet, so kann der Mensch auf dieser Seite nicht mehr atmen, er hat Atemnot und muss mit dem verbleibenden Lungenflügel auf der anderen Seite zurechtkommen. Der Sauerstoffgehalt des Blutes nimmt ab, und es wird tintenblau. Heute werden Patienten bei Eingriffen in Narkose mit Überdruck künstlich beatmet. Es ist Routine, man denkt nicht darüber nach. Früher hatte die Anästhesie außer Schnaps und einem Stück Leder, auf das man beißen konnte, nicht viel zu bieten. Eine künstliche Beatmung

gibt es erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch selbst als das möglich war, blieb die Frage: Wie kann man an einem Organ operieren, das unser Blut antreibt und im Inneren vollständig mit ihm ausgefüllt ist? Ein Organ, das sich immer bewegt und niemals stillsteht? Die Koryphäen der Chirurgie waren sich sicher, das Herz würde bei geringster Berührung mit einem chirurgischen Instrument augenblicklich stillstehen, wie gelähmt. Sir Stephen Paget (18551926), der englische Pionier der Skelettchirurgie, schrieb 1894: »Das Herz von allen Eingeweiden stellt die Grenze dar, die die Natur selbst aller Chirurgie gesetzt hat. Keine neue Methode und keine neue Technik wird die technischen Hindernisse überwinden, die sich bei einer Wunde des Herzens stellen.«25 Man darf nicht vergessen, dass es damals keine Blutprodukte gab, keine Herz-Lungen-Maschine, keine Antibiotika. Viele Menschen starben an Infektionen. Heute haben wir interdisziplinäre Heart Teams, Physiologen, Biochemiker, Ingenieure und Blutspezialisten aller Art. Der bedeutende deutsche Chirurg Theodor Billroth, dessen Operationstechniken auch heute noch angewendet werden, schrieb 1882: »Der Chirurg, der jemals versuchen würde, eine Wunde am Herzen zu nähen, kann sicher sein, dass er die Achtung seiner Kollegen für immer verlöre.«26 Dieser Satz spiegelt die jahrtausendealte Ehrfurcht vor dem Herzen wider. Niemand hatte es empirisch überprüft, aber die gängige Lehrmeinung war, dass die kleinste Berührung des Herzens, zum Beispiel mit einer chirurgischen Nadel, einen sofortigen Herzstillstand hervorrufen könne und das Herz dann gewissermaßen gelähmt sei. Den Frankfurter Chirurgen Ludwig Rehn fochten diese Glaubenssätze nicht an. Er wagte es! Der Gärtnergehilfe Wilhelm Justus war in einer Hafenkneipe niedergestochen worden. Er hatte eine tiefe Wunde zwischen der vierten und der fünften Rippe, und die einzige Hilfe, die man ihm im Städtischen Krankenhaus zuteilwerden

lassen konnte, waren Morphium zur Schmerzstillung und Eisbeutel auf die Wunde, damit sie zu bluten aufhören möge. »Das überleben Sie nie«, wurde ihm mitgeteilt, als er in Agonie, mit rasendem Puls, flachem Atem und aschfahl in den weißen Kissen lag. Als der 22jährige Patient zur Überraschung des diensthabenden Nachtarztes am nächsten Morgen noch lebte, vermerkte er im Krankenblatt: »Dr. Rehn konsultieren.« Dieser war der Chef der Chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses, und ihm gelang es am 9. September 1896, die 1,5 Zentimeter lange Herzstichverletzung von Justus an der rechten Herzkammer erfolgreich durch direkte Naht zu verschließen. Rehn schreibt dazu in seiner Publikation: »Von einem verzweifelten Fall einer Stichverletzung der rechten Herzkammer wurde ich durch die andauernde Blutung zum Eingreifen gezwungen. Ich wollte das Möglichste thun, um den Kranken zu retten, und so kam ich im Lauf der Operation in die Nothwendigkeit, eine Herznaht auszuführen. Es blieb mir kein anderer Weg, so schwer er war, denn der Patient hätte sich unter meinen Augen verblutet. … Was wäre Alles zu überlegen gewesen, wenn man Zeit gehabt hätte! … Ich entschloss mich rasch zur Naht der Herzwunde.«27 Sicherlich war es eine blutige Angelegenheit, aber er schaffte es und fürchtete anscheinend weder Gott noch Teufel noch die Ansichten von Koryphäen. Nur das Leben an sich war ihm heilig. Möglicherweise inspirierte ihn auch ein Bonmot seines wohlbekannten Zeitgenossen, des Arztes Rudolf Virchow. »Zwei Dinge pflegen den Fortschritt in der Medizin aufzuhalten: Autoritäten und Systeme.«28 Ich persönlich glaube, er war so unvoreingenommen und wagemutig, weil er nie bei einem berühmten Lehrer in die Lehre ging und sich nicht an deren Glaubenssätze halten musste. Weitgehend im Eigenstudium brachte er sich seine chirurgischen Kenntnisse bei, nachdem seine

Privatarztpraxis, die er nach dem Studium eröffnet hatte, nicht besonders gut lief und die Patienten ausblieben. Rückschläge war er also gewohnt, und trotzdem schaffte er es mit viel Herzblut bis zum Chefarzt und Professor. Anlässlich der chirurgischen Jahrestagung in Berlin im April 1897 hielt er nicht nur einen Vortrag über seinen Patienten und die erste erfolgreiche Herzoperation, er brachte ihn sogar mit auf die Bühne, um aller Welt zu demonstrieren, dass eine direkte Naht am Herzen möglich war und dass der Gärtner sich bester Gesundheit erfreute, anstatt die Radieschen von unten anzusehen. Es war eine Sensation, die um die Welt telegrafiert wurde.29 Der Tag, als Rehn es wagte, gilt seither als die Geburtsstunde der modernen Herzchirurgie. »Die Strecke vom Brustbein zum Herzen beträgt nur zwei bis drei Zentimeter, aber die Chirurgie brauchte fast 2400 Jahre, um sie zurückzulegen«, resümierte der bekannte amerikanische Chirurg und Pionier der Herzchirurgie H. M. Sherman.30

Eine Todeswaffe als Retter Und genau an der Stelle waren wir jetzt auch angelangt, am Herzen von Hamid. Das Einzige, was ihn retten konnte, war Blut. Viel Blut. Ich eröffnete das Perikard. Das Herz lag flach im Brustkorb wie ein platter Reifen in einer Lache nachtblauen Blutes, aber viel war es nicht. Wo war sein Blut? War alles aus ihm herausgeflossen, oder hatte es sich woanders im Körper angesammelt? Hamids Herz schlug heftig. Es krümmte sich mit jeder Kontraktion und raste wie ein geschundenes Pferd unter den Peitschenhieben der Adrenalingaben, die die Anästhesistin ein ums andere Mal in ihn hineindrosch, um ihn am Leben zu erhalten. »Ihr müsst Blut geben, Adrenalin bringt nichts!«, rief ich und hörte meine Stimme ungewohnt heftig in diesen heiligen Hallen. »Er braucht BLUT, BLUT, BLUT!« Ich hätte auch sagen können: LEBEN, LEBEN,

LEBEN! Aber was genau ist das? Jedenfalls ist es nicht in Plastikbeuteln abgefüllt verfügbar. »Wir tun, was wir können«, war die stoische Antwort des Anästhesie-Teams. Natürlich hatten sie recht. Ich musste die Blutung finden und stoppen. Vorsichtig griff ich in den Brustkorb, schob meine rechte Hand unter das Herz und drehte es etwas zu mir hin. Es war kräftig, aber die Muskulatur hatte die Farbe einer erstickenden Flamme. Wie ich es geahnt hatte, steckte das Messer in der Seitenwand der linken Herzkammer (Ventrikel), und an der Stahlklinge vorbei spritzte mit jedem Schlag eine kleine Fontäne. Die Verletzung hatte eine Wirkung wie ein schmaler Riss in einem Tank, der sich über die Zeit langsam, aber sicher entleert. Das Blut sammelte sich nicht im Herzbeutel, sondern verschwand durch das aufgeschlitzte Perikard in die linke Lungenhöhle. Je mehr ich das Herz heraushob, umso stärker spritzte es. Das Messer saß wie ein Stöpsel im Herzmuskel, der sich mit jeder Bewegung langsam lockerte. Es war seine Todeswaffe und sein Retter. Die linke Herzkammer hatte es nicht vollständig durchbohrt und eröffnet, sonst hätte es Hamid kaum bis zu uns geschafft. »Streifschuss«, war der Kommentar der Narkoseärztin, die über das grüne Tuch blickte. »Ohne Glück soll man nicht auf der Welt sein.« Dann blickte sie nervös auf den Monitor. Bei jeder meiner Berührungen machte das EKG Bocksprünge, und die roten Zahlen der Blutdruckanzeige sausten nach unten wie bei einem Börsencrash. »Druckabfall! Lass es wieder los«, mahnte mich die Anästhesistin. Ließ ich das Herz los, stabilisierte sich die Situation auf niedrigem Niveau. Mit jedem Atemhub schob sich die linke Lunge vor das Herz, und blutiger Schaum blies uns ent-gegen von dort, wo auch sie vom Messer durchbohrt war. Wir brauchten bessere Sicht. So eröffnete ich die linke Lungenhöhle vollständig, durchtrennte die feine Lungenhaut,

die Pleura. Hier hatten sich in der Tiefe über dem Zwerchfell an die drei Liter Blut angesammelt, das nun aufstieg und auf meine OP-Clogs tropfte. Was für eine Verschwendung! Ich erinnere mich an einen meiner Lehrer während der Ausbildung zum Herzchirurgen. Uns Herzlehrlinge bezeichnete er mit einem Augenzwinkern oft als blutige Anfänger und erinnerte uns mit biblischen Worten stets daran, achtsam mit dem Blut unserer Patienten umzugehen: »Denn des Leibes Leben ist im Blut, Levitikus 17,11« mahnte er uns, wenn wir etwas zu nassforsch operierten und ihm das OP-Gebiet zu blutig war. Ich habe seine Worte nie vergessen, denn sie sind eine biologische Tatsache. Chirurgie ist ein Handwerk, das man mit viel Liebe zum Patienten und Respekt vor seinem Blut und Gewebe ausführen muss. »Nur wer die Kontrolle über Blut hat, hat sie auch über das Leben«, fügte mein Lehrer gern noch hinzu. Im Augenblick war bei Hamids Blutung definitiv alles außer Kontrolle. Wir saugten, so gut es ging, mit dem Cell Saver, einem Sauger, dessen Inhalt nicht in den Ausguss fließt, sondern recycelt wird. Die roten Diamanten des Lebens  – so bezeichne ich die roten Blutkörperchen  – werden herausgefiltert, herausfiltriert und können dem Patienten später wieder zugeführt werden. Nun hatte die Lunge wieder etwas mehr Platz, rutschte tiefer in den Brustkorb hinein, und die Aussicht auf das Herz klärte sich. Ich musste nun die nächsten Schritte planen. Es macht einen großen Unterschied, ob die rechte oder die linke Herzkammer betroffen ist. Auf der rechten Seite ist das Herz mit venösem Blut gefüllt, das von dort mit wenig Druck zu der Lunge fließt. Eine Naht, wie auch Rehn sie durchführte, ist dort vergleichsweise einfach. Ganz anders am linken Ventrikel, gewissermaßen dem Turbolader des Lebens, hier herrschen hohe Drücke. Das birgt die Gefahr, dass die Nähte die mürbe Muskulatur durchschneiden.

Mit der Herz-Lungen-Maschine wäre alles einfacher. Das Herz des Patienten könnte für die Reparatur angehalten werden, und wir könnten in Ruhe operieren. Aber Blut mag es nicht, durch körperfremde Plastikschläuche zu fließen. Es hält sie für undicht und fängt an zu gerinnen. Eine systemische Entzündungsreaktion wird ausgelöst, und die wertvollen Blutplättchen lagern sich an der Innenseite der Schläuche an und werden an der falschen Stelle verbraucht. Im Körper stehen sie dann nicht mehr zur Verfügung. Um all das zu vermeiden, wird viel Heparin benötigt; es unterbricht die Blutgerinnung, und dann nimmt die Blutungsneigung zu. Doch nichts würde Hamid mehr brauchen als Gerinnung und sein Immunsystem. Wir befanden uns also in einem Dilemma: Die Herz-Lungen-Maschine würde die Reparatur des Herzens einerseits technisch einfacher machen, andererseits die Blutungssituation verschlechtern. Ich traf eine Entscheidung. »Mach mir Nähte und Filzstreifen fertig«, sagte ich zur OP-Schwester und »Kopf tief und Tisch nach links kippen« zum Kardiotechniker, der den OP-Tisch bediente. »Wir probieren es ohne Herz-Lungen-Maschine.« Was wir brauchten, bevor wir mit dem Nähen begannen, war eine halbwegs stabile Kreislaufsituation und bestmögliche Sicht. Alles musste vorbereitet sein, alle Möglichkeiten, die ich hatte, und alle Eventualitäten, die eintreten konnten, musste ich antizipieren. In einer unübersichtlichen Situation drauflosnähen bringt nichts, das würde in einem Desaster enden. »Kopf tief« bedeutete, dass wir den ganzen Patienten in Schräglage brachten, wobei der Kopf nach unten zeigte und die Beine nach oben, um durch diese Autotransfusion den Rückfluss des noch verfügbaren Blutes in dem geschundenen Körper zurück ins Herz zu unterstützen. Dann kam der Moment, auf den wir alle gewartet hatten.

Auf Messers Schneide »Ich zieh es raus«, sagte ich meinem Assistenten Apostolos, »und du hältst die Hand drauf und kontrollierst die Blutung. Dann nähen wir es. Wenn es nicht klappt, müssen wir an die Maschine gehen.« Ich fasste das Messer am Griff außen an der Brustwand und zog es langsam zurück. Es zuckte tatsächlich ganz leicht im Takt des vergehenden Lebens. Dabei saß es erstaunlich fest, in der Brustwand, in der Lunge und im Herzen. Apostolos schob seine linke Hand unter das Herz, hob es vorsichtig an und drückte auf die Wunde. Es schien zu klappen, weniger Blut spritzte. Wenn es blutet, ist Draufdrücken immer eine Option, und der Finger eines Assistenten ist oft besser als jede chirurgische Klemme. Ich legte das Messer in eine Schale, die mir die OP-Schwester hinhielt. Fingerabdrücke hinterließen wir nicht, keiner hatte es angefasst, wir trugen natürlich Handschuhe. »Gewöhnliches Fischmesser, aber vorne spitzer Stachel wie Seeigel«, war Apostolos’ Kommentar. »Besser nicht reintreten.« Sobald er seinen Finger auf die Seite schob, schoss mir eine kleine Blutfontäne entgegen, mit erstaunlicher Präzision direkt in mein Gesicht. Um meine Lupenbrille abwischen zu lassen, musste ich kurz den Kopf abwenden. Aber ich hatte gesehen, was ich sehen musste. Die dicke Muskelschicht der Seitenwand des linken Ventrikels war auf einer Strecke von ungefähr vier Zentimetern filetiert worden. Eine Muskelarterie spritzte, vermutlich der kleine Endast einer Koronararterie. Das sind die Arterien, mit denen sich das Herz selbst mit Blut und Sauerstoff versorgt. Ich ließ mir den Nadelhalter geben, in den eine halbrunde filzarmierte Nadel eingespannt war, wartete auf die mikroskopisch kleine Pause zwischen zwei rasend schnellen Herzschlägen und machte den ersten tiefen Stich. Mit einer schnellen

Bewegung im Handgelenk steuerte ich die Nadel auf der einen Seite der Schnittverletzung in den Herzmuskel hinein, führte sie im Bogen unter der Wunde durch, bis sie auf der anderen Seite wieder sichtbar wurde. Ich musste mich mit Hamids Herzen synchronisieren, und der Stich musste abgeschlossen sein, bevor die nächste Herzkontraktion einsetzte. Freundlicherweise hielt das Herz tatsächlich mehrmals einen kleinen Augenblick und, wie es mir schien, irritiert inne, eine kleine Pause, bevor es wieder weitermachte. Genau so, wie Rehn es beschrieben hatte. Ich konnte mir vorstellen, was er damals durchgemacht hatte, als noch nicht bekannt war, wie resilient das Herz sein kann. Ich legte mehrere dieser Nähte vor, ohne sie gleich zu knoten. Das wollte ich erst am Ende machen, um die Kräfte, die auf die Muskulatur einwirkten, symmetrisch zu verteilen. Wie bei einem Reifenwechsel nicht gleich die erste Radmutter voll anziehen, sondern nach und nach alle gleichmäßig. Der Finger von Apostolos rutschte mit jeder Naht ein paar Millimeter weiter, gerade so, dass es nicht zu sehr blutete und ich noch etwas sehen konnte. Von dem Chirurgen Dwight Harken, der in England während des Zweiten Weltkriegs viele Schusswunden am Herzen nähte und die Pionierleistung von Rehn weiter perfektionierte, wird berichtet, wie er einmal versehentlich seinen Handschuh an das Herz annähte.31 Es ist tatsächlich so, dass die Nadel immer nur um weniger als Haaresbreite am Handschuh vorbeigeführt wird. Bei meiner letzten Naht fing das Herz an zu flimmern. Hamids Leben stand still. »Oh, shit«, sagte die Anästhesistin mit metallener Stimme, »er hat keinen Druck mehr.« Ich brauchte nicht auf den Monitor zu blicken, um zu wissen, wie es um den Patienten stand. So muss sich ein Pilot fühlen, wenn seine Triebwerke ausfallen. Eine kurze Zeit kann er vielleicht noch segeln, bevor er abstürzt. Hat er Optionen für eine

Bruchlandung? Eine interne Herzmassage kam eher nicht infrage, wir würden die eben gelegten Nähte zerstören. Unsere Optionen waren, ihn an die Herz-Lungen-Maschine anzuschließen, was drei Minuten dauern würde, oder den Vorteil, der in diesem Desaster enthalten war, zu nutzen. »Alles so lassen, wie es ist«, stieß ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor, »wir nähen weiter.« Ein flimmerndes Herz springt nicht mehr auf und ab, es zittert nur noch leicht und ist daher besser zu nähen und natürlich auch zu knoten. Ein bis zwei Minuten konnte Hamid das aushalten. Vielleicht. Ich führte den letzten Stich aus und knotete alle fünf Nähte am flimmernden Herzen. »Defi fertig machen, 20 Joule laden, Schock abgeben.« Mein Assistent ließ das Herz wie ein rohes Ei in den Herzbeutel zurückgleiten, ich legte die beiden Schocklöffel um das Herz, und dann zuckte es einmal heftig … und blieb stehen. Es flimmerte nicht einmal mehr. Im OP: Stille. Alle hielten den Atem an. Nur mein Kontrahent mit dem Schlapphut, der immer noch in der Ecke stand, hob fast unmerklich den Blick, als wollte er mir signalisieren, dass nun er am Zug sei. Da begann sich am Monitor ein kleiner roter Punkt zu bewegen, und das Herz machte einen Beat. Dann noch einen und noch einen … aber langsam, träge, als erwache es gerade aus einem Albtraum. Da war es wieder. Das Wunder! Das Wunder des Lebens. Das Herz fing an zu schlagen, es füllte sich langsam, sein Blut floss wieder, der Blutdruck stieg … und stieg … und stieg. Erst erleichtert, dann ungläubig und schließlich mit zunehmendem Entsetzen blickte ich auf den Monitor. Der Blutdruck stieg immer weiter. Es war das Adrenalin, das mit dem Blutstrom nun wieder in

Bewegung kam und zu zirkulieren begann. Adrenalin ist der Feind einer jeden frischen Herznaht, und ein Blutdruck von 180 mmHg (Millimeter-Quecksilbersäule) ihr tödliches Gift. Schon stieg erneut Blut auf, von dort, wo man es nicht sah, hinter dem Herzen. »Kein Adrenalin mehr geben. Oberkörper hoch, Beine tief«, ordnete ich an. Genau andersherum als zuvor, diesmal sollte weniger Blut zum Herzen fließen und der Blutdruck sinken. Wir warteten. Ein Körper ist keine Maschine, an dem man nach Belieben mit Adrenalin und Blutdrucksenkern wie an Gaspedal und Bremse manipulieren kann. Er ist ein höchst sensitives Meisterwerk, dessen Bedienung sehr, sehr viel Gefühl verlangt. »Warte ein bisschen«, sagte die Anästhesistin, »er geht gleich von alleine wieder runter.« Sie hatte recht. Kein Aktionismus. Ein bisschen warten und der Natur Raum geben. Ich erinnerte mich an die Worte meines Lehrers, der mich immer ermahnte, blutsparend zu operieren: »Die übelsten Katastrophen beginnen, wenn du unter Strom stehst. Vermeide hastige Handbewegungen und unüberlegte Nähte. Bleibe organisiert, prüfe deine Optionen.« Es dauerte fast zwei Minuten, bis der Blutdruck wieder auf einen oberen Wert von 100 mmHg gefallen war. Das reichte erst mal zum Leben, aber war es für die frische Herznaht nicht zu viel gewesen? Blut sammelte sich wieder im Herzbeutel. Zwar deutlich weniger als vorher, aber ganz dicht war die Herznaht anscheinend nicht. Abermals hob ich vorsichtig das Herz heraus, es spritzte nicht mehr, doch unter den Nähten sickerte es merklich. Ich ließ es wieder zurücksinken. Gedanken, die ich hasste und die ich doch nicht abstellen konnte, machten sich breit. Wenn die Naht weiter riss, konnte das alles sehr, sehr böse ausgehen. Wäre es doch besser gewesen, die Herz-LungenMaschine einzusetzen? War ich unnötig ein zu hohes Risiko eingegangen? Wie würde ich den Angehörigen des Patienten

gegenübertreten? Einerseits ist Herzchirurgie eine unpersönliche technische Angelegenheit, wir sind die Klempner des Herzens. Andererseits sind wir auch Menschen, und jeder Herzchirurg kennt das Gefühl, wenn es nicht gut gelaufen ist und wenn man wie ein Verurteilter aus dem OP schleicht. »Hero or Zero«, sagen sie im Englischen, ein Held oder eine Null. Jeder Herzchirurg hat schon mal einen Patienten verloren. Abermals prüfte ich meine Optionen. Eine »Pumpe« zu reparieren, während sie arbeitet und von Wasser durchströmt wird, kann schwierig sein. Nochmals Nähte zu setzen war riskant. Beliebig oft konnte man solche Aktionen, bei denen es zu Herzflimmern kommen kann, nicht wiederholen. Noch war die Schlacht also nicht gewonnen. Aber auch nicht verloren. »Wir kleben es«, teilte ich meinem Team mit, »und dichten es mit Gewebeplatten ab.« Wenn Sie so gerne in den Baumarkt gehen wie ich, wissen Sie vermutlich, dass es heute Kleber für alles gibt. Ob Metall, Porzellan, Glas, Kunststoffe. Dank der fortgeschrittenen Biotechnologie haben wir auch Kleber für undichte Herzen und Blutgefäße. Während die Zwei-Komponenten-Mischung aufgetaut und vorbereitet wurde, erklärte ich dem Team meine Strategie. Der Blutdruck musste nochmals so niedrig sein wie möglich, mein Assistent würde das Herz dazu herausdrehen, und ich würde den Gewebekleber auf die Nähte aufbringen und ein Kollagenvlies auf die Naht kleben, das mit Gerinnungsfaktoren getränkt war. Es klappte. Kein Blut stieg mehr auf, und wir waren überaus erleichtert, als die Blutung gestoppt werden konnte. Auch als das Herz voller wurde und der Blutdruck stieg. Den undichten Lungenflügel klebten wir auf die gleiche Art, das Zischen wie bei einer undichten Luftmatratze hörte auf. Nun spülten wir die Lungenhöhle mit warmem Kochsalz und wuschen alle Blutreste heraus. Die Lunge

entfaltete sich wieder und errötete zartrosa, ein Zeichen dafür, dass sie ihre Arbeit wieder aufnahm. Mit jedem Atemzug schmiegten sich die beiden Lungenflügel an das Herz und umarmten es, wie sie es vom ersten bis zum letzten Atemzug bei jedem Menschen tun. Und sie drückten natürlich auch das Kollagenvlies feste auf die Wunde. Sorgfältig untersuchten wir noch einmal das OP-Gebiet. Waren weitere Organe verletzt? Die Speiseröhre, die Luftröhre? Gab es eine zusätzliche Verletzung am Herzen? Hamid hatte ein sogenanntes penetrierendes Herztrauma mit einem Messer. Aber auch stumpfe Herztraumen können tödlich sein. Es reicht, wenn ein Fußballstürmer voll durchzieht und einem Mitspieler den Ball gegen die Brust donnert. Es ist dann keine Gehirnerschütterung (Commotio cerebri), wie sie beim Kopfball auftreten kann, sondern eine Herzerschütterung (Commotio cordis), und sie kann tödliche Rhythmusstörungen auslösen32 - Sport ist Mord? Manchmal. Man nimmt an, dass die Herzerschütterung gerade bei Jungen im Alter von 5 bis 18 Jahren keine seltene Todesursache ist.33 Vielleicht ist ihr Herz in dieser Phase des Lebens, in der Pubertät ohnehin besonders empfindlich? Bei einem körperlichen Trauma kommt es immer auf die physikalischen Kräfte an, die einwirken, die Bewegungsenergie. Nicht immer werden Rhythmusstörungen ausgelöst, das Herz kann auch gequetscht werden, seine Wände werden weich, und nach zwei Tagen, wenn man glaubt, die Gefahr sei vorüber, reißt die ganze Herzwand mit katastrophalen Konsequenzen. Heute fanden wir dies betreffend nichts, was uns weiteren Kummer bereitete. Außer Blut.

Die goldene Stunde Hamids Kreislauf war wieder im Schwung, er wurde in der Lunge mit Sauerstoff vollgetankt, und die Erythrozyten leuchteten geradezu in hellstem Karmesinrot. Leider überall. Die Blutgerinnung war im Eimer. Der Patient hatte eine Verbrauchskoagulopathie. Mit anderen Worten: Die meisten Gerinnungsvorräte, alle Proteine und Enzyme, die zur Blutgerinnung beitragen, waren verbraucht und konnten die vielen kleinen Verletzungen, die wir geschaffen hatten, nicht verschließen. Dort, wo wir geschnitten hatten, an der Haut und der Muskulatur über dem Brustbein, im Fettgewebe, am Thymus, überall blutete es. Jedes kleine Gefäß wurde verödet, und war ich damit fertig, begann es daneben zu bluten. »Asche blutet nicht«, meldete sich die Anästhesistin mit einem Satz, den man in vielen OP-Sälen hört, wenn ein OP-Team verzweifelt gegen Blutungen ankämpft und mit dem Elektrokauter im Gewebe kokelt, manchmal, bis es schwarz wird. Nach ein paar Minuten begann es unter der schwarzen Kruste wieder zu siffen. Auch der beste Chirurg ist machtlos gegen die Folgen des Schocks. Unseren Patienten hatte sein Blut verlassen, weil ihm mutmaßlich jemand ein Messer ins Herz gerammt hatte. Diese Bluttat hatte ihn nicht nur als Mensch schockiert, der Anblick nicht nur das Notfallteam im OP, sondern sie hatte auch den Körper des Patienten schockiert. Und genau das war im Augenblick Hamids Problem. Denn mit seinem Blut hatte ihn auch seine Körperwärme verlassen. Nun sind wir Menschen keine Eidechsen, die in der Nacht abkühlen und sich morgens von der Sonne genüsslich auf einem Stein aufheizen lassen,

sondern wir brauchen eine konstante Körpertemperatur, die in engen Bereichen geregelt ist. Blut ist wie das warme Wasser in einer Zentralheizung, das dafür sorgt, dass wir überall kuschelig warm sind und uns auch so anfühlen. Verlieren wir es, dann werden wir zu kalt, was auch als Hypothermie bezeichnet wird. Die Fähigkeit unseres Blutes zu gerinnen sinkt dramatisch. Je mehr wir ausbluten, desto kälter werden wir und desto weniger gerinnt unser Blut, und das ist der erste Schritt in einem Teufelskreis. Der nächste folgt auf dem Fuße, denn mit unserem Blut verlieren wir auch die Fähigkeit, Sauerstoff zu unseren Zellen zu transportieren. Sie können dann nicht mehr atmen. Ja, nicht nur unsere Lungen atmen, sondern jede einzelne der 100 Billionen Körperzellen, aus denen wir bestehen, atmet. Diesen Vorgang bezeichnet man als innere Atmung, und sie ist das Epizentrum des Lebens. Hier entsteht die Lebensenergie. Jede Zelle ist ein kleiner, autonomer Organismus, mit eigenem Stoffwechsel und der Fähigkeit, Energie zu produzieren. Die Energie, die wir zum Leben brauchen, wird also mitnichten von irgendwo angeliefert, sondern dezentral überall in uns produziert. Dazu braucht es maßgeblich Glucose, die aus der Nahrung gewonnen wird, und Sauerstoff aus der Luft, die wir einatmen. Man kann eine Zeit lang von Luft und Liebe leben, aber nicht dauerhaft ohne Luft und Nahrung. Luft braucht es immer. Diese Art der Energiegewinnung wird daher auch als aerob bezeichnet. Aerobie bedeutet so viel wie Leben mit Luft. Um zu brennen, benötigt Feuer Sauerstoff. Da die Energiegewinnung in uns dauerhaft nur mit Sauerstoff (aerob) betrieben werden kann, sprechen wir umgangssprachlich auch von Verbrennung, wenn wir die Energieproduktion unseres Stoffwechsels benennen. Ohne Sauerstoff ersticken die Zellen, und die Organe beginnen abzusterben, das Feuer des Lebens erlischt. Wenn unsere innere Atmung und Energiegewinnung zusammenbrechen, wird das

als Schock bezeichnet, als ein »vorübergehendes Verharren im Akte des Todes«.34 Wieso vorübergehend? Weil es noch ein Notfallsystem in uns gibt, wenn aufgrund eines Traumas mit Blutverlust oder wegen Verlegung der Atemwege kein – oder nicht genügend – Sauerstoff zur Verfügung steht. Unser Körper kann in geringem Umfang nämlich auch Energie ohne Sauerstoff herstellen, anerob, ohne Luft. Mit einem entscheidenden Nachteil: Der Notfallmodus produziert nur einen Bruchteil der Energie, und das Blut wird sauer. Der PH-Wert sinkt, was man auch als Azidose bezeichnet. Das kennen Sie vielleicht vom Sport. Wenn Sie sich mehr anstrengen, als Sie Puste haben, bekommen Sie Muskelkater, weil Ihre Muskulatur Energie ohne Sauerstoff herstellen musste und dabei Milchsäure (Lactat) entsteht. Das ist ein lokaler Prozess in den betroffenen Partien. Wenn nun aber ein ganzer Körper und jede einzelne Zelle eines jeden Organes nicht genug Sauerstoff erhält, weil zum Beispiel das Blut nicht mehr im Körper, sondern aus dem Körper herausfließt, bricht die Energieproduktion global zusammen. Azidose und Hypothermie sind die Folge. Die Fähigkeit des Blutes, Koagel (Blutgerinnsel) zu formen, indem es gerinnt, ist vermindert. Hypothermie, Azidose und Koagulopathie (Gerinnungsstörung) werden daher auch als tödliche Trias bezeichnet (Lethal Triad), eine Todesspirale. Es gibt einen Zeitraum, in dem Ärzte in diese Abwärtsspirale eingreifen und den Prozess noch umkehren können. Dieser wurde lange Zeit als die »goldene Stunde« bezeichnet. Da sich komplexe biologische Systeme jedoch nicht immer an menschliche Vorstellungen halten und bei manchen Patienten die Uhr des Lebens ein bisschen schneller tickt und bei anderen die Lebenszeit etwas langsamer fließt, sprechen wir heute von der »goldenen Periode.« Wie lange sie genau währt, weiß niemand. Genau genommen kann man es erst nach Tagen

oder Wochen sagen. Dann nämlich, wenn man weiß, ob der Patient überlebt hat. Im Falle von Hamid lag das nun nicht mehr so sehr in meiner Hand, wir hatten das Loch gestopft. Solche Operationen sind nicht übermäßig kompliziert. Es gibt Herzoperationen, die sind technisch unendlich viel schwieriger mit komplexen Rekonstruktionen der Klappen und der großen Blutgefäße. Traumatologische Patienten unterscheiden sich stark von kardiovaskulären Patienten. Es ist eher eine Art Kriegschirurgie: Erst mal das Schlimmste abwenden, das nackte Leben retten. Die Herausforderung ist das Trauma, die schlechten Ausgangsbedingungen mit den massiven Blutverlusten, der Schock. Es gibt nicht nur den hämorrhagischen Schock durch Blutverlust, sondern auch andere Schockformen.35 Beispielsweise wenn der Blutfluss im Herzen bei einem Herzinfarkt gestört ist, wenn aufgrund eines Lungenlecks der Atem nicht fließt oder wenn bei einem Unfall die Nervenverbindungen im Rückenmark unterbrochen werden. Und natürlich kann auch unsere Psyche, also die Seele, schockiert sein. Manchmal reicht es aus, etwas Grauenvolles zu erblicken. Schock ist also immer die Folge einer Störung des Fließens in uns: des Blutflusses, der elektrischen Erregung in unseren Nervenbahnen oder auch des Atemflusses. In Analogie zu Naturkatastrophen kann man auch von einem disruptiven Phänomen sprechen, die großen Kreisläufe brechen zusammen. Schock bedeutet akute Lebensgefahr. Und man hat eine gewisse Zeit, die goldene Stunde oder auch Periode, in der die Weichen noch Richtung Leben gestellt werden können. Falls man zu spät kommt, ist der Zug des Lebens abgefahren. Nachdem wir die Blutung des Patienten vor uns auf dem OP-Tisch chirurgisch versorgt hatten, kam die Stunde der Anästhesie und der

Intensivmedizin. Anästhesisten sind heute nicht mehr nur Narkoseärzte, die den Patienten gute Nacht wünschen, sondern auch Manager der großen Körpersysteme: Atmung, Nervensystem, Nieren, Hormone, Herz und Kreislauf und das größte aller Organe: Blut. Dazu zählt bei körperlichen Traumata der Ersatz von Blut durch Erythrozyten-Konzentrate und die Einstellung der Blutgerinnung mit Blutplättchen, Thrombozyten und Gerinnungsfaktoren. Seit den Zeiten Ludwigs Rehns ist die Herzchirurgie sehr viel sicherer geworden, nicht nur dank chirurgischer Technik und Herz-LungenMaschine (HLM), sondern auch, weil wir Blutprodukte haben. Sie retten das Leben unserer Patienten. Sie sorgen dafür, dass wir sie »vom Tisch bekommen« und sie »nicht auf dem Tisch bleiben«. Das ist der Jargon der Chirurgen für Überleben im Operationsaal oder nicht. Hamid war noch lange nicht über den Berg, er war nur vom Tisch. Im OP fiel erst mal der Vorhang. Meine Kollegen verschlossen den Thorax. Doch das war nicht das Ende der Vorstellung, lediglich das Ende des ersten Akts. Der mit dem Schlapphut wartete an eine Säule gelehnt geduldig auf den zweiten Akt. Wie viele Akte hatte dieses Stück über das Leben von Hamid?

Tatortreinigung Ich trat ab, während die Reinigungskräfte akribisch jeden Tropfen Blut vom Boden wischten. Draußen warteten vielleicht die Angehörigen des Patienten, vielleicht auch die Kriminalpolizei. Mein Blick fiel nochmals auf das Messer in der metallenen Schale. Wieso machen Menschen das? Habgier, Raub, Eifersucht, Liebe, Notwehr, Mordlust, Affekt? Die Gründe sind vielfältig wie das Leben und beenden es doch so schnell. Für das Jahr 2020 geht man von knapp 20 000 Fällen von Messerkriminalität alleine in Deutschland aus, bei denen etwa einhundert Menschen getötet wurden.36 Die Datenlage ist

insgesamt lückenhaft und uneinheitlich, doch der »Mythos vom Messermigranten« scheint sich nicht zu bewahrheiten, die Mehrheit der Tatverdächtigen hat die deutsche Staatsbürgerschaft.37 Messerverletzungen sind Bestandteil unserer alltäglichen Gewaltkriminalität.38 Messer sind leicht verfügbar als Werkzeuge des täglichen Lebens. Und können doch schnell zur Waffe, zu einem Mordinstrument werden. War mein Patient Hamid Täter oder Opfer?

Kleine Wunden »Papa, du hast es versprochen!«, insistierte mein sechsjähriger Sohn Josef um sieben Uhr morgens. »Ja, und das halte ich auch. Wir machen heute einen tollen Ausflug. Aber vielleicht muss ich vorher noch mal kurz in die Klinik.« »Waru-hum?« »Weil ich gestern einen Notfall operiert habe. Deswegen musste ich auch vom Fußballplatz weg und bin so spät heimgekommen, dass ich dich nicht ins Bett bringen konnte und nicht einmal deine Schwester.« »Warum muss ich immer vorher ins Bett?« »Weil Olivia fünf Jahre älter ist als du«, antwortete ich wie schon so oft. »Papa, wann fahren wir?« Jetzt sprang auch Olivia auf das Bett. »Ich rufe mal eben in der Klinik an, dann mache ich Frühstück, und dann geht’s bald los«, sagte und hoffte ich. »Wie viele Konserven?«, fragte ich am Telefon. »Insgesamt 16 Erythrozyten-Konzentrate«, war die Antwort einer müden Stimme. Die ärztliche Kollegin, zu der sie gehörte, hatte die ganze Nacht durchgearbeitet und würde nun gleich abgelöst. »Anfangs hat er übelst geblutet, an die 300 bis 500 Milliliter die Stunde war in den Drainagen. Wir haben mit dem Cell Saver alles retransfundiert. In den letzten drei Stunden hat es deutlich nachgelassen, jetzt sind es nur noch 50 bis 100 Milliliter die Stunde, er wird trockener. Die Blutgerinnung haben wir mit zehn Konserven Fresh Frozen Plasma, vier Thrombozytenkonzentraten und acht Gramm Fibrinogen in den Griff gekriegt.« Hamid hatte also eine Massentransfusion aus roten Blutkörperchen (Erythrozyten), Blutplättchen (Thrombozyten) und aus menschlichem

Blut hergestellten Gerinnungsfaktoren erhalten. Das ist ein Volumen von über sieben Litern, sein Blut war komplett ausgetauscht worden. Solche Mengen an Fremdblutprodukten können zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Doch für den Augenblick gab es keine Alternative. Dass Hamid die Nacht überstanden hatte, war auch den Kollegen auf der Intensivstation zu verdanken, den Ärzten und Pflegern, die sich fürsorglich um ihn gekümmert hatten. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, doch bei dem aktuellen Pflegemangel und den randvollen Intensivstationen werden Patienten manchmal mehr verwaltet als medizinisch fundiert umsorgt. Erleichtert und dankbar legte ich auf, wenngleich mir sehr bewusst war, dass Hamid noch einen langen Weg vor sich hatte. Ob er es schaffen würde?

Pusten Während der kurzen Fahrt in den Wald und der Wanderung zum See dachte ich öfter an Hamid und vergewisserte mich, dass mein Handy Empfang hatte, falls ich gebraucht würde. Meine beiden Schätze tollten durch das bunte Laub, wir beobachteten fette Fische und einige Eichhörnchen, Olivia warf unserem Border-Collie-Mischling Maxime aus dem Tierheim Stöckchen, und Josef war stolz, weil sie sich hinsetzte, als er »Sitz« sagte. Allmählich ließ meine Anspannung nach. Es tat so unendlich gut, mit den Kindern in der Natur zu sein. Doch der friedliche Spaziergang wurde jäh unterbrochen von einem Aufschrei Josefs. Eben noch war er mit hochgekrempelten Hosenbeinen mutig über einen kleinen Bach gesprungen, jetzt lag er auf dem Boden, rappelte sich auf, kam humpelnd und schluchzend zu mir gelaufen. »Paaapa!«, ein herzzerreißender Notruf: »Paaapaaaa!« Dicke Blutstropfen rannen sein linkes Schienbein hinunter, Rotz aus der Nase, und Tränen quollen aus seinen blauen Augen. Obwohl ich

Arzt bin, musste ich ihn nicht untersuchen und erhob auch keine Anamnese, sondern nahm ihn auf den Arm und drückte ihn zärtlich an mich. Olivia war auf einen Baum geklettert und, alarmiert von Josefs Schrei, nun auch schnell zurückgelaufen und stand erschrocken und blass neben ihrem Bruder. Die kreidebleiche Farbe ihres Gesichts hatte die gleiche Ursache wie der Umstand, dass Josefs Knie nicht noch mehr blutete: Im Blut zirkulierende Stresshormone, wie Adrenalin und Noradrenalin, sorgen dafür, das sich die Blutgefäße zusammenziehen. Vom einen zum nächsten Augenblick keine roten Backen mehr – ihre Hautfarbe verriet, wie erschrocken sie war. Unsere Körper reagieren auf ein schockierendes Ereignis, sei es nun körperlich oder seelisch, nahezu identisch. Die Durchblutung verändert sich sofort, wir gehen in einen Notfallmodus. »Es tut so weh, Papa«, klagte Josef, »puste mal!« Ich stellte ihn zurück auf die Erde, kniete mich vor ihn und pustete ganz sachte auf die Wunde, die ich dabei inspizieren konnte. Die Luftbewegung linderte den Schmerz, und mein Atem hatte eine kühlende Wirkung. Man kann einwenden, dieses Vorgehen sei vom infektiologischen Standpunkt aus bedenklich, da ich Bakterien in die Wunde hauchen und die Wunde zu trocken werden könnte, sodass sie schlechter heilt. In der Tiefe meines Herzens aber wusste ich, dass es im Augenblick genau das Richtige war, denn mein Atem tröstete Josef. Außerdem war er gegen Tetanus geimpft, und ich litt an keiner ansteckenden Erkrankung. Sonst würde ich natürlich nicht pusten. Dennoch: Liebende Zuwendung und Trost stärken unser Immunsystem. »Heile, heile Gänschen«, summte ich, während weiterpustete. »Es ist bald wieder gut«, fiel nun auch Olivia ein: »Das Kätzchen hat ein Schwänzchen,

ich

sacht

Es ist bald wieder gut, Heile, heile Mausespeck«, dabei kitzelte sie Josefs Bauch, »in hundert Jahr ist alles weg.« Diese Erste Hilfe zeigte Wirkung. In Josefs leises Weinen schlich sich ein Kichern. Olivias Gesicht hatte wieder Farbe bekommen. Mitfühlend lächelte sie ihren Bruder an. Spiegelneuronen und ihr Herz ließen sie fühlen, was Josef fühlte. »Und jetzt kommt der Zaubertrick«, sagte ich. »Wir zählen langsam bis 10, und dann …« – dramatische Pause – »hört es auf zu bluten.« »1, 2, 3 …«, zusammen zählten wir – und tatsächlich, die hellroten Tropfen hörten auf zu fließen und gerannen. Josefs Blut veränderte sich vor unseren Augen von flüssig über gallertig dicke Tropfen zu fest. Sein Blut dichtete ihn ab, verschloss seine Wunde und sicherte dadurch sein Überleben. Während es trocknete, wechselte seine Farbe von Rubinrot ins Schwarze. Mit ernster Miene deutete Olivia auf Josefs linkes Knie. »Da sind aber noch Steine drin!« »Mach die weg, Papa«, befahl mein Sprössling, mehr, als er bat, und streckte mir sein Knie entgegen. So sah ich, dass er es normal bewegen konnte, und war nun endgültig sicher, dass nichts Schlimmes geschehen war. Ich ließ Josef auf ein sauberes Papiertaschentuch spucken, und solchermaßen angefeuchtet tupfte ich vorsichtig die Steinchen von seinem Knie. Speichel besteht zu 99 Prozent aus Wasser und ist für die Wundreinigung sehr viel besser geeignet als reines Wasser, denn er enthält Antikörper, die Bakterien abtöten, und Wachstumsfaktoren, welche die Wundheilung fördern.39 Deshalb heilen Wunden im Mund meistens auch schneller als alle anderen Wunden der Haut. Tiere lecken ihre Wunden. Die liebe Maxime wollte bei der Ersten Hilfe natürlich auch mitmachen. Gerade noch konnte ich verhindern, dass sie an der Wunde leckte, und zog sie freundlich

weg. Eine Hundenase hat nichts in einer frischen Menschenwunde verloren. Ein Pflaster hatte ich nicht dabei, das machte aber nichts aus. Ohnehin bin ich der Meinung, dass Licht und Sonne das Beste für eine kleine Wunde sind. So trocknet und verschließt sie sich schneller. »Sind da jetzt Bakterien drin?«, fragte Josef. »Mit Sicherheit«, antwortete ich. »In jeder Wunde sind Bakterien, aber das macht nichts. Sie werden von den weißen Blutkörperchen gefressen, das ist die Polizei im Blut.« Josef horchte auf. »Poooolizei?« »Nicht nur die Polizei. Dein Immunsystem ist der Geheimdienst, die Armee, die Freiwillige Feuerwehr, der Bademeister, das Sondereinsatzkommando und das Technische Hilfswerk. Alles, was helfen kann. Über 300 verschiedene Arten weißer Blutkörperchen gibt es. Jede körperfremde Zelle, jedes Virus, jedes Bakterium, jeder Pilz und jeder Wurm wird aufgespürt, verhaftet und eliminiert, aufgefressen, gekillt. Die Blutpolizei fackelt da nicht lang.« Josef machte große Augen. »Aber sie sind auch super organisiert und vernetzt«, fügte ich hinzu, »und schlau.« »Ich auch«, rief Josef erleichtert. »Unbedingt«, bestätigte ich ihm und fuhr fort: »Sie müssen nämlich die Guten von den Bösen unterscheiden. Das ist nicht einfach.« Denn wir haben mehr Bakterien in und auf uns als Körperzellen. Aber mit den meisten leben wir friedlich zusammen, und sie helfen uns sogar. Sie bilden zum Beispiel eine Schutzschicht auf unserer Haut und im Darm gegen Stoffe, die uns schaden wollen. Die guten beeinflussen über die Darm-Hirn-Verbindung sogar unsere Gefühle, und böse Eindringlinge bescheren uns wahnhafte Fieberträume.40 »Woher wissen die weißen Dings, wer die schwarzen Schafe sind?«, wollte Josef wissen.

»Manche gehen in die Schule wie du«, erklärte ich ihm. »Hinter deinem Brustbein und direkt über dem Herzen«, ich berührte ihn dort sanft, »ist der Thymus. Dort werden zum Beispiel die Killerzellen ausgebildet. Die haben ein gutes Gedächtnis und können sich jeden Schädling ganz genau merken. Dein ganzes Leben lang. Deshalb bekommt man Kinderkrankheiten auch nur einmal, oder es reicht eine Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln.« »Aber sie kämpfen nur gegen die Bösen?«, versicherte sich Josef, dem das immer noch ein bisschen unheimlich war. »Ganz genau. Und damit sie eine schlagkräftige Truppe sind, müssen wir sie immer wieder trainieren. Wenn du also eine kleine Wunde hast oder eine Erkältung, ist das richtig gut, dann kann dein Immunsystem kämpfen üben.« Josef war nun sehr zufrieden und unterhielt sich mit seinem Knie: »Wir kämpfen gegen das Böse!« Ich dachte an die Hysterie, mit der manche Eltern versuchen, ihre Kinder hygienisch einwandfrei aufwachsen zu lassen, in einer möglichst sterilen, keimarmen Umgebung. Gesund ist das nicht, im Gegenteil, das Immunsystem wird fett und träge, und manchmal richtet es sich dann sogar gegen den eigenen Körper. Die verstörende Zunahme von Allergien und Atemwegserkrankungen in unserer modernen Welt, gerade in den reichen Ländern, ist ein Indiz dafür. Kinder brauchen kleine Wunden und Infekte, das gehört zu ihrer gesunden Entwicklung und lässt sie widerstandsfähig werden und gesund heranwachsen. Als ich ein Kind war, pinkelten wir bei Verletzungen drüber, um die Wunde zu desinfizieren und das Gespenst Blutvergiftung zu bannen, das die Mütter fürchteten wie der Teufel das Weihwasser. Genau genommen war das, was die Mamas meinten, aber keine Blutvergiftung, sondern eine Lymphangitis, eine Entzündung der Lymphgefäße, die sich durch einen verräterischen roten Strich von der

Wunde ausgehend zu den Lymphknoten in den Achselhöhlen oder Leisten zieht. Denn das Immunsystem hat ein eigenes Gefäßsystem, in dem es sich bewegt und fließt. Das sind keine Arterien und Venen, sondern Lymphbahnen, die Rettungsgassen der Körperabwehr, zu denen die Manufakturen der weißen Blutkörperchen, nämlich Knochenmark und Thymus, direkten Zugang haben, um Lymphozyten und Killerzellen in Umlauf zu bringen. Damit sie sich bewegen können, schwimmen sie in Lymphflüssigkeit. Sie fließt nicht in einem geschlossenen Kreislauf wie Blut, sondern ihre Gefäße wurzeln in den Geweben zwischen den Zellen und den Kapillaren und entleeren sich in die großen Körpervenen nahe dem Herzen. Gemacht ist die Lymphflüssigkeit aus Blutplasma, das die Blutgefäße auf Kapillarebene verlässt und dann über die Lymphbahnen in Richtung Herz zurückfließt. Dort münden sie in die großen Körpervenen. An das lymphatische Gefäßsystem sind die Lymphknoten angeschlossen, die Tonsillen und die Milz. In ihnen warten weitere immunkompetente Zellen auf ihren Einsatz, um infektiöse Schädlinge und körperschädigende Substanzen herauszufiltern. Wenn diese Gefäße rot werden, sich entzünden, dann weist das darauf hin, dass in ihnen ein Abwehrkampf tobt. Meistens sind dann auch die Lymphknoten in den Achselhöhlen oder Leisten geschwollen. Damit es erst gar nicht so weit kommt, ist es gut, die Keimzahl an der Wunde zu reduzieren. Durch Desinfektion, Speichel, aber auch durch mechanische Säuberung, etwa mit sauberem Wasser oder eben Urin. Normaler Urin ist weitgehend steril und eignet sich deshalb für die Wundreinigung ganz hervorragend. Wissenschaftlich tragfähige Daten über die Wirksamkeit der Urintherapie existieren nicht. Vielleicht, weil das Thema eklig ist? Oder altmodisch? Mit Sicherheit hätten meine Kinder das nicht gemacht. Ich verzichtete darauf, die

Pipi-Therapie vorzuschlagen. Dafür wäre ihre Nierenspezialistin die richtige Ansprechpartnerin.

Mutter

als

»Papa, warum hört das Blut eigentlich von selbst auf zu fließen?«, fragte Olivia. Ich versuchte es kindgerecht zu erklären. »Wenn der Gartenschlauch undicht ist, fließt das Wasser raus. Wenn ein Blutgefäß, also eine Ader, ein Loch hat, kommen ganz schnell Blutplättchen, sie heißen Thrombozyten, und dichten das Loch ab. Ihr könnt sie euch wie kleine im Blut schwimmende Flicken vorstellen.« »Wie wenn mein Rad ein Loch hat?«, fragte Olivia. Am letzten Wochenende hatten wir gemeinsam einen Platten geflickt. Ich nickte. »Beim Blut gibt es außer den Flicken auch noch Gerinnungsfaktoren, das ist wie …« »Der Klebstoff!«, rief Olivia. »Der stinkt«, erinnerte Josef sich. »Genau! Die Gerinnungsfaktoren, also die Klebstoffe, bilden ein Netz und sorgen dafür, dass die Blutplättchen alles gut abdichten können, fest zusammenkleben und zusammen mit den anderen Blutzellen einen Pfropf bilden, ein Koagel.« »Ja aber  …«, unterbrach mich Olivia, »wieso gerinnt Blut nicht überall und nur an der Wunde?« »Es gibt 13 Gerinnungsfaktoren, die im Blut schwimmen. Nur wenn alle gemeinsam der Meinung sind, dass es blutet, fassen sie sich an den Händen, weben ein Netz und beginnen sich auf die Wunde zu legen.« Die Gerinnungsfaktoren schwimmen als inaktive Vorstufen im Blut und aktivieren sich in einem komplizierten Prozess aus zwölf großen Schritten gegenseitig. Diese vielen Schritte der Blutgerinnung sind auch ein zwölffaches Sicherheitssystem, um eine Blutgerinnung an der falschen Stelle zu verhindern. Bei einer Verletzung besonders wichtig ist das Fibrinogen. Es wird zuletzt aktiviert, und dann beginnt sich ein

stabiler Teppich aus Fibrin zu bilden, in dem sich die Blutplättchen und roten Blutkörperchen verfangen. Dieser erste Pfropf trocknet an der Luft zu einer festen Platte, dem Wundschorf. »Und wann heilt es?«, fragte Josef, interessiert auf sein Knie blickend. Olivia kam mir mit ihrer Antwort zuvor. »Irgendwann, nach ein paar Tagen oder Wochen, fällt der Schorf ab, und darunter ist eine neue zarte, rosa Haut gewachsen wie bei einem Schweinchen.« »Ich bin aber kein Schweinchen«, empörte sich Josef, doch Olivia fuhr fort: »Ich glaube, dein Blut hat dich sehr lieb. Es stirbt sogar für dich, damit du heile wirst.« Josef tupfte sich einen Blutklecks vom Schienbein, der noch nachgesickert war, und leckte seinen Finger ab. »Warum schmeckt Blut eigentlich so komisch?« »In jedem roten Blutkörperchen steckt ein Eisenatom, ein winziges Teilchen Eisen, das …« Josef unterbrach mich. »Woher kommt das Eisen?« »Vom Tod der Supernova«, sprudelte es aus Olivia heraus, »das hatten wir neulich in der Schule. Das ist, wenn ein Stern explodiert.« Ich nickte. Die Vorstellung von Sternenstaub, der unser Blut rot färbt wie den Blutmond, gefiel mir. Kaum gedacht, kam schon die nächste Frage. »Rostet unser Blut?« »Nein, es rostet nicht. Die rote Farbe kommt vom roten Blutfarbstoff, dem Hämoglobin. Es transportiert vier Atome Sauerstoff, und der Kern vom Hämoglobin ist das Eisenatom. Ungefähr ٢٨٠ Millionen Hämoglobinmoleküle sind in jedem roten Blutkörperchen. Die sind voll mit Sauerstoff wie ein Öltanker.« »Aber die sehen doch aus wie kleine Kringel, wie Doughnuts«, verbesserte Olivia meinen Erklärungsversuch.

»Und eigentlich ist es das Licht«, fügte ich hinzu. »In der Nacht sind alle Katzen grau, und Blut wird erst rot, wenn es ans Tageslicht kommt. Karmesinrot in den Arterien, wenn es viel Sauerstoff an Bord hat, und nachtblau, sauerstoffarm in den Venen.« Josef wollte mithalten. »Bei uns hatte in der Klasse neulich einer Nasenbluten, das sah aus wie in einem Splattermovie«, berichtete er cool, während mir leicht heiß wurde. Woher kannte mein Sohn Splatterfilme? »Ich auch!«, rief Olivia. »Das war nämlich so, Papa: Im Sportunterricht habe ich einen Ball ins Gesicht gekriegt. Erst habe ich es gar nicht gemerkt und weitergespielt, dann spürte ich etwas Warmes im Gesicht, und alle starrten mich an.« Interessiert beäugte ich ihre Nase, ob da noch Spuren zu sehen waren. Alles gut. Gelegentlich bemerken wir eine Verletzung nur, weil Blut warm über die Haut läuft oder die ersten roten Tropfen sichtbar werden. Und nicht durch den Schmerz, den wir in akuten Stresssituationen manchmal gar nicht spüren. Gerade bei Nasenbluten kann uns der Blick in den Spiegel zu Tode erschrecken. »Das habe ich selbst schon des Öfteren erlebt«, erzählte ich meinen Kindern. »Zu solchen Fällen wurde ich manchmal sogar schon als Notarzt gerufen. Jemand hat Nasenbluten, versucht es zu stillen, läuft ins Badezimmer, zieht eine Blutspur hinter sich her, niest, blutet weiter, und wer keine Ahnung hat, glaubt, dass in diesem Badezimmer ein  …«  – ich konnte nicht widerstehen  – »Splattermovie gedreht wurde.«

Die Natur heilt viele Wunden Als ich noch Assistenzarzt in der chirurgischen Ambulanz war, kühlte man Wunden mit Eispäckchen. Das wird heute nicht mehr empfohlen.

Wenngleich Kälte das Schmerzgefühl lindert, hemmt sie die körpereigene Entzündungsreaktion. Denn deren Wärme bringt die Energie für die Heilung. Zuerst weiten sich die Blutgefäße, die Haut wird rot und warm, damit möglichst schnell viele weiße Blutkörperchen zur Wunde fließen können. Dort verlassen sie die Blutbahn, dringen in das verletzte Gewebe ein und beginnen ihren Kampf. Aus allen Rohren ballern sie Antikörper und Signalmoleküle, sogenannte Zytokine. In der Hitze des Gefechts tritt eine Schwellung auf, und Nervenenden werden stimuliert, was die Schmerzen verursacht. Und wie können wir diesen Prozess unterstützen? Der Körper kann sich zunächst einmal sehr gut selbst helfen. Das medizinische Wissen der Evolution ist Millionen Jahre alt und übertrifft in seiner Komplexität moderne Medizin bei Weitem.41 Und wir können lindernd und beruhigend auf die Wunde und das Gemüt des Verletzten einwirken. »Weichteilwunden brauchen Peace and Love«, also Frieden und Liebe. Das ist der wunderbare Titel einer aktuellen wissenschaftlichen Publikation in einem Journal für Sportmedizin.42 Die frische Wunde braucht zunächst PEACE (Frieden): Protect: Schützen. Aktivitäten vermeiden, die Schmerzen bereiten. Elevate: Hoch lagern, damit die Schwellung abnimmt. Avoid anti-inflammatory modalities: Keine Entzündungshemmer und Antibiotika. Compress: Leicht mit einer elastischen Binde komprimieren, damit sich keine übermäßige Schwellung bildet. Educate: Patienten darüber aufklären, dass eine Wunde ein paar Tage zum Heilen benötigt. Keine aktionistische Überbehandlung mit Elektrostimulation, Akupunktur oder anderen Wundermittelchen. Nach ein paar Tagen kommt LOVE dazu:

Load: Schrittweise Belastung. Der Körper zeigt uns, wie viel gut für ihn ist. Optimism: Optimismus beschleunigt die Wundheilung. Es ist eigentlich schon medizinisches Allgemeinwissen und vielfach belegt, fast schon ein Naturgesetz: Optimistische Patienten zeigen bessere Therapieerfolge. Vascularisation: Durchblutung verbessern durch leichtes Ausdauertraining. Führt auch dazu, dass man weniger Schmerzmittel braucht. Exercise: Schrittweise zur vollen Mobilität und Belastung zurückkehren, Muskulatur aufbauen. An diesem Abend gab ich Josef noch ein paar Globuli Arnika und brachte ihn dann ins Bett. Es ist ein wunderbares Heilmittel bei Wunden und unterstützt das Blut darin, wieder zu verbinden, was durch den Unfall getrennt wurde. Ohne die vielen verschiedenen Zellen im Blut, ohne seine Proteine und Wachstumsfaktoren würde sich keine Wunde verschließen und kein neues Gewebe wachsen. Wenn Blut den Körper verlässt, gerinnt es, dichtet die Wunde ab und stirbt. Irgendwann fällt es ab und verlässt uns ganz. Das ist seine Natur. Und die Natur ist die Verbündete eines jeden Chirurgen bei jeder Heilung. Sie kann aus sich selbst heraus heilen, wenn man sie nur lässt, respektiert und unterstützt. Das gilt für alle Wunden. Wieso also nicht auf uralte Heilpflanzen und das Wissen um die Homöopathie zurückgreifen, wenn es hilft? Medizin ist Heilkunst. Ein guter Arzt spielt auf allen Tasten ihrer Klaviatur, nicht nur auf den weißen.

Blutopfer Irgendjemand hatte Hamid ein Messer in die Brust gerammt. Und andere Irgendjemands retteten ihn  – mit Spenderblut. Blut kann man nicht künstlich herstellen, deshalb sind Verblutende zum Überleben dringendst auf Blutspenden angewiesen. Das ist Mary seit ihrer Kindheit sehr bewusst, und deshalb spendet sie viermal im Jahr Blut. Ihr Vater ist ein schwarzer GI, ihre Mutter stammt aus der Oberpfalz. Bei einem Auffahrunfall lernten sie sich kennen, und zwei Jahre später kam ihr erstes von drei Kindern, Mary, zur Welt. Mary hat keine Ahnung, dass auch ihr »schwarz-weißes Blut« einem jungen Mann aus Afghanistan das Leben retten wird, meinem Messerstichpatienten Hamid. Aber sie weiß, dass Blutspenden total wichtig ist. Das hat ihr Vater ihr immer wieder gesagt: »Ohne eine Blutspende würde es mich gar nicht geben, Mary. Und dich auch nicht. Denn ohne Spenderblut wäre mein Vater in Vietnam gestorben und hätte mich nicht zeugen können, und ich hätte dich nicht zeugen können.« »Ich war übrigens auch noch beteiligt«, hatte Marys Mutter dann stets eingeworfen. Seit über 30 Jahren geht Mary viermal im Jahr Blut spenden und hat jedes Mal einen halben Liter Blut für andere Menschen gegeben. Das sind zusammen über ٦٠ Liter. Nicht nur ihr Blut hat sie gegeben, sondern auch ihre Zeit. Zwei Stunden hat es jedes Mal etwa gedauert. Mit dem Bus zur Blutbank und zurück, die Voruntersuchung, gefolgt von einem Piks in die Armvene mit fünf bis zehn Minuten Blutabnahme und dann noch die Ruhepause mit einem kleinen Imbiss. Sie weiß nicht, wie viele Menschenleben sie gerettet hat, aber es können sehr viele gewesen sein. Die Empfänger erhalten nämlich nicht denselben Beutel Blut, der abgenommen wurde, sondern nur diejenigen Anteile und Komponenten, die sie am nötigsten

brauchen. Deshalb sprechen Mediziner bei der üblichen Blutabnahme auch von Vollblut, aus dem drei verschiedene Produkte hergestellt werden: Erythrozyten-Konzentrate (Rote Blutkörperchen), Thrombozytenkonzentrate (Blutplättchen) und Beutel mit Blutplasma, in denen unter anderem Gerinnungsfaktoren enthalten sind, die Hamid so dringend benötigte. Nach der Abnahme wird Vollblut mit 3600 Umdrehungen pro Minute für 20 Minuten geschleudert. Auf diese Weise werden die verschiedenen Teile des Blutes voneinander getrennt, abgepackt und gelagert. Jeder dritte Mensch braucht einmal im Leben eine Zutat von Blut. Sei es aufgrund hoher Blutverluste bei einem Unfall oder wegen einer Blutgerinnungsstörung oder aber, weil er als Patient auf ein Medikament angewiesen ist, das aus Blutplasma hergestellt wird. Die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) werden bei einer normalen Vollblutspende ganz entfernt, denn sie kämpfen gegen Krankheitserreger und können selbst noch Teile davon enthalten. Und die will man natürlich nicht übertragen, sondern das Risiko für Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten beim Empfänger so gering wie möglich halten. Nur in seltenen Fällen, wenn das Immunsystem eines Patienten völlig am Boden ist, können auch weiße Blutkörperchen transfundiert werden. Gesundes Blut in einem gesunden Körper ist eine subtil ausbalancierte Mischung aus ungefähr 45 Prozent Zellen und 55 Prozent Flüssigkeit, dem Plasma, das wiederum zu 90  Prozent aus Wasser besteht. Der Ursubstanz allen Lebens. Unser Körperwasser wird im Blutplasma transportiert. So erreicht es beispielsweise den Mund und sorgt dafür, dass die Zunge feucht bleibt und nicht trocken am Gaumen klebt. Es schmiert auch die Gelenke und sorgt mit dem Schweiß für die richtige Wohlfühltemperatur. Ohne Wasser wäre unser Blut Staub und wir trocken wie ein Dry Aged Steak. Plasma ist die Gießkanne für alles,

was in uns feucht ist und Feuchte braucht. Mehr als 120 verschiedene Eiweiße (Proteine) sind darin zu finden. Am häufigsten ist das Protein Albumin. Es bindet Wasser und sorgt für die richtige Balance des Wasseranteils im Blut und in den Geweben der Organe. Sie sollen nicht sumpfig, aber auch nicht zu trocken sein. Albumin ist ein Alleskönner, zu seinen Aufgaben zählt auch der Transport von Hormonen, Fetten, Vitaminen und Mineralstoffen wie Natrium, Calcium und Magnesium. Aber auch Medikamente würden ohne Albumin nicht dahin kommen, wo sie wirken sollen. Weitere wichtige Plasmaproteine sind die Gerinnungsfaktoren, die zusammen mit den Blutplättchen Wunden verschließen, und die Antikörper (Immunglobuline), die den weißen Blutkörperchen bei der Abwehr von Infektionen helfen und Eindringlinge einpacken wie mit einer Zwangsjacke. Aus Blutplasma können lebenswichtige Arzneien hergestellt werden. Ganz wichtig bei großflächigen Verbrennungen ist zum Beispiel das erwähnte Humanalbumin. Bei diesen Patienten kann der Eiweiß- und Flüssigkeitsverlust zum Schock führen, und Albumin hält das wertvolle Nass im Körper. Wenn sich jemand mit Tetanus oder einer Hepatitis infiziert hat oder schwer an COVID-19 erkrankt ist, können Antikörper (Immunglobuline) aus Plasma das Leben retten.

Was man spenden kann Natürlich macht uns jede Vollblutspende vorübergehend ein wenig blutarm. Blutplättchen, weiße Blutkörperchen und Plasma werden vom Körper innerhalb weniger Tage neu gebildet. Viel trinken in den folgenden Tagen unterstützt den Körper, den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Rote Blutkörperchen brauchen zwei Monate, bis sie zu vollwertigen Mitgliedern des Blutes und starken Sauerstoffträgern gereift sind. Bis der Nachwuchs da ist, darf man folglich nicht zur

erneuten Blutspende. Männer dürfen sechsmal im Jahr Vollblut spenden und Frauen, die etwas weniger davon haben, viermal. In dieser Welt werden aber viel mehr Blutprodukte benötigt, als durch Vollblutspenden zur Verfügung stehen, und so ist es auch möglich, ausschließlich Plasma oder Thrombozyten zu spenden. Dabei werden durch eine spezielle Filteranlage (Aphereseverfahren) nur Thrombozyten oder Plasma entnommen und der ganze Rest, also auch die roten Blutkörperchen, gleich wieder an den Spender zurückgegeben. Das ist technisch natürlich viel komplizierter als eine Vollblutentnahme und dauert auch deutlich länger: 30 bis 45 Minuten beim Plasma und 60 bis 120 Minuten bei den Thrombozyten. Der Vorteil: Plasma- und Thrombozytenspenden sind häufiger möglich (Plasma 60-mal pro Jahr und Thrombozyten 26-mal pro Jahr). Auch Mary wurde schon mehrfach angerufen und gebeten, am gleichen oder nächsten Tag dringend Thrombozyten zu spenden. Denn die empfindlichen, zarten Blutplättchen mögen es gar nicht, wenn sie vom Rest des Blutes getrennt werden, und sind isoliert höchstens vier Tage haltbar. Da können die Vorräte schnell mal zur Neige gehen. Etwas robuster sind rote Blutkörperchen: 35 Tage darf man bei guter Kühlung Erythrozyten-Konzentrate aufbewahren, Plasma tiefgekühlt bei minus 40 Grad sogar zwei Jahre. Blutspende ist möglich, weil Blut ein sehr freundliches Organ ist und immer wieder nachwächst wie der Schwanz einer Eidechse. Solange wir leben, wird im Knochenmark Tag und Nacht Blut gebildet. Unfassbare zwei Millionen rote Blutkörperchen pro Sekunde! Versuchen Sie das einmal zu fühlen während eines langsamen Atemzuges. In diesen sechs Sekunden entstehen 12 Millionen Erythrozyten in Ihren Knochen, am meisten in der Wirbelsäule. Spüren Sie einmal hinunter zum Kreuzbein, wo sie dem Becken entspringt, und langsam hinauf bis dorthin, wo der Kopf auf dem

ersten Wirbel aufliegt. Hier befindet sich der Urquell des Blutes, ein feines und stetes Strömen von Leben. In einem einzigen Tropfen Blut tummeln sich 4 bis 5 Milliarden rote Blutkörperchen, 150 bis 400 Millionen Blutplättchen und 4 bis 10 Millionen weiße Blutkörperchen. Doch sie werden nicht hundert Jahre alt, was ich Ihnen als ganzem Menschen herzlich wünsche. Blutplättchen und die meisten weißen Blutzellen überdauern im natürlichen Strom des Blutes nur ein paar Tage. Nach spätestens 100 bis 120 Tagen werden auch die kleinen roten Rubine, die Erythrozyten, von speziellen Fresszellen in ihre Komponenten zerlegt und in Leber und Milz recycelt. Erythrozyten werden enorm strapaziert und sind pausenlos im Einsatz. Knapp eine Minute dauert die rasante Rundreise von der linken Seite des Herzens über Arterien und Kapillaren zu den Zellen und per Venen zurück zum rechten Herzen und der Lunge. Das ist eine enorme Laufleistung. Da sind 120  Tage schon sehr lange. Ihr Kern aus einem Eisenatom und andere Bestandteile stehen den Stammzellen im blutbildenden Knochenmark wieder zur Verfügung, um neue rote Blutkörperchen zu gebären.

Urmütter des Blutes In den Hohlräumen vieler Knochen befinden sich die Mutter-KindStationen des Blutes. Hier reifen seine unterschiedlichen Kinder, die meisten der verschiedenen Arten von Blutzellen, heran, bis sie voll ausgebildet und funktionsfähig sind. Die Natur hat Stammzellen, die Urmütter des Lebens, extrem gut geschützt und vollständig mit Knochen ummantelt, weil sie so unsagbar wertvoll für uns sind.43 Etwas Mystisches wohnt ihnen inne. Bisher hat niemand herausgefunden, woher sie kommen und wann und wo sie gebildet werden. Sie können sich selbst reproduzieren, können alle Arten von Blutzellen bilden und sind eher selten. Gerade mal 50 000 bis 200 000

davon hat ein gesunder Erwachsener. Manchmal gehen sie auf Reisen. Dann migrieren sie aus dem Knochenmark zu Lunge, Leber und Nieren und über die Lymphbahnen wieder zurück ins Knochenmark. Weshalb sie das tun, ist ein wissenschaftliches Rätsel. Vielleicht schauen sie einmal, was ihre Kinder so treiben und was die Organe brauchen? Blut ist also der Saft aus den Knochen, und ohne Blut haben wir auch keinen Saft in unseren Knochen. Das Eine bedingt das Andere. Eine Kausalität, die im Kreis fließt. Ist dieser Kreislauf gestört und erkranken die Stammzellen, zum Beispiel nach einem Strahlenunfall, bilden sie missgebildete, nicht funktionsfähige Blutzellen. Dann sprechen wir von Blutkrebs oder Knochenmarkkrebs. Meistens schießt dabei die Anzahl der weißen Blutkörperchen besonders stark in die Höhe, deshalb sagt man auch Leukämie dazu, was so viel bedeutet wie weißes Blut. In solchen Fällen kann die Spende und Transplantation von Knochenmark neues, gesundes Blut im Erkrankten wachsen lassen. Dafür gibt es verschiedene Verfahren. In vielen Fällen wird mit Medikamenten die Ausschwemmung von Stammzellen in das Blut des Spenders angeregt, und sie können mittels Apherese (Leukapherese) geerntet werden. Wenn das nicht klappt, ist es erforderlich, dem Spender Knochenmarkzellen in Narkose aus dem Beckenknochen zu entnehmen. In beiden Fällen enthält der Empfänger dann eine Infusion mit den Stammzellen in seine Venen, und die wandern ins Knochenmark, siedeln sich dort an und beginnen nach ungefähr drei Wochen, neue gesunde Blutzellen zu bilden.

Die Blutbank Sobald Hamid die Klinik erreicht hatte, wurde sein Blut an die Blutbank geschickt, um seine Blutgruppe zu bestimmen. Die Blutgruppen von Empfänger und Spender müssen übereinstimmen, sonst kann es zu lebensgefährlichen Transfusionsreaktionen kommen. Wenn das Blut nicht zum Blut passt, werden die Antikörper im Blut des Empfängers die gespendeten roten Blutkörperchen zusammenkleben oder sogar auflösen, was zu allen möglichen Symptomen führen kann: Juckreiz, Schweißausbrüche, Luftnot bis hin zu einem hämolytischen Schock, bei dem alle Erythrozyten zerstört werden, mit katastrophalen Konsequenzen. Vier verschiedene Blutgruppen sind gemeinhin bekannt: A, B, AB und 0. Anhand eines bestimmten Merkmals auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen, das man als Antigen bezeichnet, werden sie auseinandergehalten. Haben die Erythrozyten eines Patienten Antigen A an der Oberfläche, so hat er die Blutgruppe A, und in seinem Plasma finden sich Antikörper gegen B. Bei Blutgruppe B tragen die Erythrozyten das B-Antigen, und im Plasma lauern Antikörper gegen A. Blutgruppe AB darf dann logischerweise keine Antikörper im Plasma haben. Blutgruppe 0 hat kein Antigen vom Typus A oder B an der Oberfläche. Um die Sache noch ein bisschen komplizierter zu machen, gibt es noch den Rhesusfaktor, ebenfalls ein Antigen auf der Zellmembran der Erythrozyten. Unser Blut kann demnach Rhesus-positiv oder Rhesusnegativ sein. Kategorisiert man die Menschheit anhand des AB0Systems, so landet man bei acht verschieden Blutgruppen: A+, B+, AB+, 0+ und A-, B-, AB- und 0-. Das AB0- System ist nicht das Einzige, denn die Internationale Gesellschaft für Transfusionsmedizin

listet aktuell noch 44 weitere Blutgruppensysteme und an die 400 Antigene auf, anhand derer das Blut der Menschen unterschieden wird.44 Meistens sind sie nach ihren Entdeckern benannt und haben Namen wie Kell, Lewis, Duffy, Kidd usw. Sie sind selten und haben für die Transfusionsmedizin kaum Bedeutung. Die Einteilung in das AB0und Rhesusfaktor-System ist am relevantesten. Entdeckt hat es der Wiener Pathologe Karl Landsteiner im Jahre 1900, dafür erhielt er 1940 den Nobelpreis. Er mischte verschiedene Blutgruppen und stellte fest, dass dabei manche verklumpen und andere nicht.45 Zur erstmaligen Bestimmung von Hamids Blutgruppe wurden in der Blutbank seine roten Blutkörperchen mit Testseren gemischt beziehungsweise gekreuzt, die Antikörper gegen A oder B und Rhesusfaktoren enthielten. Deshalb bezeichnet man diese Röhrchen mit dem Patientenblut auch als Kreuzblut. Wenn es nicht passt, kleben die Erythrozyten zusammen, sie agglutinieren. Das Ergebnis war: Hamid hatte Blutgruppe AB-(negativ). Um nun aber hundertprozentig sicher zu sein, dass sein Blut mit dem von Mary harmonierte, wurde noch eine Kreuzprobe durchgeführt, in der sein Serum konkret mit Marys roten Blutkörperchen vermischt wurde. Nichts verklumpte, und damit wurden die von ihr gespendeten Erythrozyten-Konzentrate auf dem schnellsten Weg in den OP gebracht. Die Kreuzprobe ist gesetzlich vorgeschrieben, und nur in Notfallsituationen darf 0(negativ), dessen Erythrozyten keine Antigene haben, ungekreuzt gegeben werden. Blutgruppe 0 gilt daher als Universalspenderblut. Leider haben nur etwa 7 Prozent der Weltbevölkerung 0-(negativ). Hamid hatte es erhalten, sobald er über die Schwelle der Klinik geschoben wurde.

Blut ist Lebenskraft

Dass im Blut Lebenskraft steckte, das ahnten die Menschen schon immer. Jemanden verbluten zu sehen war in früheren Jahrhunderten keine Seltenheit. Und so war die Überlegung folgerichtig, dass sie mit Blut auch wieder zurückkehren müsste. Warum also nicht Blut trinken, dachten sich die Ärzte von Papst Innozenz VIII. 1492. Als es mit ihm dahinging, gab man ihm der Erzählung nach das Blut von drei Knaben zu trinken.46 Überlebt haben alle vier nicht, und so unschuldig, wie es der Name Innozenz nahelegt, ist der Papst wohl auch nicht gestorben, denn abgesehen von der selbstsüchtigen Ermordung der Kinder lässt das Alte Testament beim Konsum von Blut keinen Spielraum: »Und wer … auf der Jagd ein Tier oder einen Vogel fängt, die man essen darf, soll ihr Blut ausfließen lassen und mit Erde zuscharren. … Ihr sollt keines Leibes Blut essen; denn des Leibes Leben ist in seinem Blut (Levitikus 17,13-14). Der Mensch ist erfinderisch, gerade wenn es um das Umgehen von Verboten geht. Nach der Entdeckung des Blutkreislaufes durch Harvey kamen findige Ärzte schon bald auf die Idee, man könnte es doch von Blutgefäß zu Blutgefäß laufen lassen, anstatt es zu verspeisen wie ein blutsaugender Vampir oder Papst. Der erste darauf bezogene wissenschaftliche Bericht ist auf 166647 datiert und beschreibt die Transfusion zwischen zwei Hunden, wobei ein Gänsekiel als Röhrchen verwandt wurde, um deren Halsvenen zu verbinden. Ein Jahr später infundierte der französische Arzt Jean-Baptiste Denis Blut aus der Halsarterie eins Kalbes in die Armvene eines jungen Mannes. Wieso Kalb? Gemeinhin dachte man, mit dem Blut würden auch Charaktereigenschaften transfundiert. Lämmer und Kälber gelten als ruhig und löblich, und so wurde der Versuch gestartet, einem wirren Hitzkopf, der auch Frauen schlug, etwas Moral zu infundieren. Das erste Mal ging alles gut, und die Sache wurde als Erfolg gewertet. Beim zweiten Versuch begann der Mann zu schwitzen, bekam

Rückenschmerzen und zeigte die Symptome einer Transfusionsreaktion. Offensichtlich hatte sein Immunsystem aufgrund der ersten Transfusion Antikörper entwickelt. Unbeirrt schritten die Ärzte voran, sicherlich war der Fall sehr »interessant«, und so wurde eine dritte Transfusion verabreicht, die rasch zum Tode führte.48 Doch der Forscherdrang war angekurbelt, und derartige Menschenversuche wurden in der Folge fleißig wiederholt. Manchmal klappte es, wenn die Blutgruppe zufällig einigermaßen passte, meistens nicht. Weshalb, das wusste damals niemand. Es blieb ein Mysterium, das häufig tödlich endete, und so schoben das französische Parlament und angeblich auch die katholische Kirche derartigen Therapien 1670 einen Riegel vor.49 Die Sache geriet zunächst einmal in Vergessenheit. Eine Renaissance erlebte sie, nachdem Karl Landsteiner im Jahre 1900 mit der Systematisierung der Blutgruppen den Grundstein moderner Transfusionsmedizin gelegt hatte. Sie erst ermöglichte es dem Chirurgen Dwight Harken, im Zweiten Weltkrieg viele Herzwunden zu nähen, einmal wie erwähnt inklusive seines Handschuhs. Die Verwundeten brauchten zunächst einmal Blut, genau wie Hamid. Außerhalb des Körpers gerinnt es normalerweise sofort. Bereits während des Ersten Weltkriegs hatten Ärzte herausgefunden, dass man Vollblut mit Natriumcitrat daran hindern, also ungerinnbar machen und in eisgekühlten Flaschen außerhalb des Körpers eine Weile lagern konnte. Damit es in die Venen der Verletzten lief, wurden die Flaschen unter Druck gesetzt, indem Luft hineingepumpt wurde. Im hämorrhagischen Schock musste damals wie heute alles schnell gehen, und nicht selten kam es vor, dass so eine Flasche mit etwas zu viel Luftdruck im OP explodierte und ein Schlachtfeld aus Blut und Glasscherben hinterließ.50

Ausgeblutet Die Eingriffe von Harken waren fast alle erfolgreich. Doch seine überragenden chirurgischen Künste wären ohne Blut mit dem Verbluten der Patienten verpufft. Die stille Heldin im Hintergrund, die die Erzeugerabfüllung von Blut in England während des Zweiten Weltkriegs im großen Umfang institutionalisierte und zu Spenden motivierte, jene, die die ganze Logistik aufbaute, die mit Lagerung und Verteilung von Spenderblut einhergeht, diejenige, die die große Vision vom Überleben hatte, war die britische Ärztin Janet Maria Vaughan. Ihr war klar, dass es im Falle eines Überfalls der Nazis Zigtausende Verletzte geben und Blut so wichtig sein würde wie Verbände. »Wir werden Blut brauchen, sehr viel Blut«, sagte sie einmal in einem Interview.51 In kleinen Lieferwagen, gebaut, um Eiscreme zu verkaufen, wurde es frisch gekühlt wie ein lebensrettender Drink – ich würde sagen als »Blood on the Rocks« – durch den Bombenhagel zu den Verwundeten gefahren. Von wem? Überwiegend von Frauen. Und wer hat es gespendet? Frauen. Sie waren nicht an der Front und leisteten doch ihren Beitrag mit ihrem eigenen Blut.52 Nur intelligenter! Es versickerte nicht im Dreck, sondern rettete Leben. Der Krieg wirkte wie ein Turbolader auf die Logistik der Massenblutspende, die auch die Alliierten übernahmen. Während in England anonym gespendet wurde, waren auf den Blutflaschen sowjetischer Soldaten Name und Adresse der Spenderinnen vermerkt. In der Mehrzahl der Fälle auch hier Frauen, und so kam, was kommen musste. Es bildeten sich Romanzen zwischen den Verwundeten und ihren Retterinnen. Oft baten Soldaten, die ein zweites Mal verletzt wurden, um Blut von »ihrem« Mädchen.53 Einmal fand Dr. Vaughan in einem Lazarett ein kleines Mädchen mit schweren Verbrennungen vor. Ihre Haut hatte keine Venen mehr, in die

man irgendetwas hätte transfundieren können, und so überließ sie es dem Tod. Doch das Mädchen starb wider Erwarten nicht, und Janet Vaughan unternahm einen verzweifelten Versuch, es zu retten. Dazu applizierte sie Blut mit einer besonders dicken Nadel direkt in den Knochen, genauer gesagt in das Knochenmark des Brustbeins. Sicher war es sehr schmerzhaft, doch das Kind überlebte, und Vaughan entwickelte in der Folge spezielle Knochenkanülen für derartige Fälle. Die sogenannte intraossäre (innerhalb der Knochen) Gabe von Flüssigkeiten ist ein Verfahren, das aus der Notfallmedizin heute nicht mehr wegzudenken ist. Auch Hamid wurde damit gerettet, wie eine unzählbare Menge an Verwundeten, dank der Pionierleistungen einer großartigen Frau und Ärztin. Am Anfang des Kriegs wurden in England 100 »Pints« Spenderblut am Tag gesammelt, am Ende waren es 1300.54 Man kann sich vorstellen, dass auch auf der Verliererseite Blut bald knapp war. Die Nazis fackelten in solchen Fällen nicht lange: So wurden für ein Lazarett der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg kurzerhand Kinder eines ukrainischen Kinderheimes als Blutspender missbraucht.55 Viel Blut ist seither geflossen und tut es immer noch. Wenn es im Raketenfeuer nicht an die Front geliefert werden kann und gerade keine Kinder zur Verfügung stehen, bleibt immer noch die Option der Buddy-Transfusion, der Kumpel-Übertragung. In aktuellen Forschungsprogrammen wird vom Militär weiterentwickelt, was im Ersten Weltkrieg begonnen wurde: Warmes, frisches Vollblut wird mithilfe von Kanülen an Ort und Stelle des Schlachtfeldes von einem Soldaten in den anderen infundiert.56 Praktischerweise trägt fast jeder Soldat den Namen seiner Blutgruppe auf der Uniform, manche haben ihn in die Haut tätowiert. Kriege werden mit dem Leben und Blut der Opfer bezahlt. Wenn die unsichtbar in uns strömenden runden roten Blutkörperchen sichtbar

werden und aufgrund von Gewaltanwendung aus Menschen herausfließen, transformieren sie zur kryptischen Währung von Macht, Brutalität und Gier, zu Blutcoins, mit denen an den Börsen der Kriegstreiber bewusst gehandelt wird. Verbluten ist der größte Killer in der Geschichte der Menschheit.57 Nicht nur im Krieg. Jeden Tag fordern schwere Verletzungen Opfer. Laut WHO starben 2019 fast sechs Millionen Menschen an einem körperlichen Trauma, das damit aktuell zu den zehn führenden Todesursachen weltweit zählt.٥٨ Bei jungen Menschen ist es sogar die Todesursache Nummer 1. Die Hälfte davon ist zwischen 15 und 44 Jahre alt, darunter doppelt so viele Männer wie Frauen. Allein in Europa wird die Zahl der Trauma-Toten jährlich auf eine Million geschätzt – die dritthäufigste Todesursache in westlichen Industrieländern. Verkehrsunfälle, Tötungsdelikte und Selbstmorde waren die häufigsten Ursachen der Traumata, gefolgt von Zigtausenden Verletzten aufgrund von Attentaten und Kriegen.59 40 Prozent der Trauma-Opfer sterben an Verbluten, die Hälfte davon, bevor sie eine Klinik erreichen. Wenn sie lebend in der Klinik ankommen, haben 25 Prozent eine Koagulopathie, eine schwerste Gerinnungsstörung. Es gibt keine Methode, um zu erkennen, wie viel Blut ein Opfer verloren hat. Die Therapie ist immer die gleiche: Blutung stoppen, Blut geben, Gerinnung wiederherstellen.60 Wie bei Hamid. Die Behandlung vieler Erkrankungen ist auf Blut und seine Bestandteile angewiesen. Unter anderem Erkrankungen von Leber, Niere und Herz. Blutverluste gibt es auch bei Geburten und großen Operationen. Allein 15 000 Blutspenden werden allein in Deutschland täglich benötigt, 4 bis 5 Millionen im Jahr.61

Rotes Gold Deshalb betreiben private Unternehmen, Krankenhäuser und das Rote Kreuz Blutbanken. Das sind flüssige Sparkassen, die Spenderblut sammeln, verarbeiten, verwalten und  … verkaufen. Aus jeder Vollblutspende kann man in der Blutmanufaktur bekanntlich drei unterschiedliche Produkte herstellen: Erythrozyten-Konzentrate (rote Blutkörperchen), Thrombozyten-Konzentrate (Blutplättchen) und Beutel mit Blutplasma, in denen unter anderem Gerinnungsfaktoren enthalten sind, die Hamid so dringend brauchte. Dass mit Blut Geld zu verdienen ist, lernte ich früh, denn während meines Studiums arbeitete ich gelegentlich für das Deutsche Rote Kreuz, das 70 Prozent des Blutmarktes in Deutschland kontrolliert. Drei Viertel aller Spender zahlen ihr Blut hier ein. Ich untersuchte Blutspender auf ihre Eignung, das war ein ziemlich gut bezahlter Job, heiß begehrt unter uns Studenten. Was ich damals nicht wusste: Blutbank ist Big Business.62 Ungefähr 3,7 Millionen Mal wurde 2020 in Deutschland Vollblut gespendet, 2,7 Millionen Apheresespenden wurden gezählt.63 Für Spender wie Mary gibt es beim Deutschen Roten Kreuz nach der Vollblutspende eine kleine Mahlzeit, bei privaten Anbietern meistens ٢٠ bis ٤٠ Euro.64 Bei maximal sechs erlaubten Spenden im Jahr kann ein Vollblutspender also 120 bis 240 Euro verdienen. Für Plasma und Thrombozyten werden zwischen 20 und 40 Euro bezahlt. Plasma kann 60-mal jährlich und Thrombozyten können maximal 26-mal abgezapft werden. Bis zu 2400 Euro im Jahr kann ein fleißiger Spender also mit Plasma einnehmen und rund 1000 Euro mit seinen Blutplättchen. Das sind überschaubare Summen. Eine Blutkonserve kann hierzulande für 90 bis 130 Euro verkauft werden. Vom Gewinn müssen die Kosten für alle Tests und die Logistik nebst

Verarbeitung abgezogen werden. Wird damit überhaupt etwas verdient? Zahlen dazu findet man für Deutschland wenige, die Unternehmen halten sich bedeckt. Doch die Überschüsse scheinen gewaltig. Blut ist wie Sex. Man kann damit Geschäfte machen, und wie man seine Seele verschenken kann oder verkaufen, so geht es auch mit Blut. Laut einem Report der Tagesschau von 2022 erwirtschaftete alleine der als gemeinnützig eingestufte DRK-Blutspendedienst BadenWürttemberg-Hessen aktuell Rücklagen von 153  Millionen Euro.65 2016 lagen menschliche und tierische Blutprodukte auf Platz 14 in der Rangliste der auf der Welt am häufigsten gehandelten Waren, mit einem Wert von 126  Milliarden Dollar. Auf Deutschland entfielen davon 22,7 Milliarden Dollar. Der Markt wächst rasend schnell. 2021 wurden aus Deutschland Blutprodukte im Wert von 40 Milliarden Dollar exportiert.66 Das ist nahezu eine Verdoppelung in fünf Jahren. Es sind nicht die roten Blutkörperchen, die exportiert werden, die bleiben in Deutschland. Der ganz große Reibach wird mit ihnen auch nicht gemacht, sondern mit Plasma, das von der internationalen Pharmaindustrie heiß begehrt wird zur Extraktion von Immunglobulinen für Impfstoffe, Gerinnungsfaktoren und das Eiweiß Albumin. Blut riecht also nicht nur nach Eisen, sondern auch nach Geld und erzeugt profitable Geldströme. Die Analogien in der Metaphorik von Geld und Blut sind wohl nicht zufällig. Wenn es um unser Kapital geht, bleiben wir gerne flüssig. Aktienmärkte können bluten, und in eine gesunde Wirtschaft muss Geld hineingepumpt werden. Märkte hängen am Tropf der Notenbanken, und Blutgeld fließt gegen Rohstoffe zu den Schlächtern dieser Welt. Den großen Reibach mit Blutderivaten macht also nicht der kleine Anleger, sondern – wie immer – die Bank. Blut ist mit 400 Dollar pro Liter die Nummer 10 in der Liste der teuersten Flüssigkeiten der Welt. Am meisten hinblättern muss man für Skorpiongift, das gegen

Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis gebraucht wird (10 302 700 Dollar/Liter). Auf Platz 3 steht LSD (32 500 Dollar/Liter), auf Platz 6 Chanel Nr. 5 (6900 Dollar/Liter) und auf Platz 8 schwarze Tinte für Drucker (720 Dollar/Liter).67 Vom Blut lässt sich besonders das goldgelbe Plasma monetär vergolden. In den USA besonders begehrt ist gerade das Plasma jener, die sich mit COVID-19 infiziert haben. In dem also die Antikörper schwimmen, mit der schwere COVID-19 Infektionen behandelt werden können. 100 bis 200 Dollar gibt es pro Spende. Der Verkauf ihres Plasmas ist eine schon lange populäre Überlebensstrategie unter den ärmsten Amerikanern. Man nimmt an, dass sich manche absichtlich infizieren, denn ohne die COVID-19 Antikörper wird nur die Hälfte bezahlt.68 70 Prozent des weltweiten Plasmas kommen aus den USA, und auch bei der Blutspende ist es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ironisch werden die USA auch als die OPEC des Plasmas bezeichnet.69 Im Vergleich zu Blut ist Heizöl ein echtes Schnäppchen mit aktuell unter 2 Euro pro Liter. Doch Öl wie auch Plasma kommen mitunter aus den Armenhäusern dieser Welt.

Der Tod im Blut Patienten mit der angeborenen und bisher unheilbaren Blutererkrankung Hämophilie sind auf die Gabe von Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) oder IX (Hämophilie B) angewiesen, um leben zu können. Bei schweren Formen wurden die Patienten früher höchstens 18 Jahre alt, seit die Faktoren ab 1973 isoliert zur Verfügung standen  – gewonnen aus Plasma  –, haben sie eine annähernd gleiche Lebenserwartung wie Gesunde. Faktorenpräparate haben viele Menschen gerettet und viele getötet. Denn nicht nur die Blutbank lebt vom Blut, sondern es ist auch Lebensraum und Nahrung für Bakterien, Pilze und Parasiten und

Viren wie HIV oder Hepatitis-B-Viren, die sich nur in lebenden Organismen vermehren und durch Blutprodukte übertragen werden können. Ab 1980 trat eine weltweite Epidemie auf, die zu einem damals unbekannten Versagen des Immunsystems führte.70 Es war unklar, woher sie stammte. Bereits 1981 warnte das Center for Disease Control (CDC) in den USA, dass Faktor-VIII-Präparate die unbekannte Erkrankung bei Bluterpatienten übertragen könnten. 1983 wurde das dafür verantwortliche HI-Virus (HIV) entdeckt. Dessen unbenommen akzeptierte die amerikanische Pharmaindustrie weiterhin das Plasma von sogenannten Risikogruppen wie Homosexuellen, Drogenabhängigen und Häftlingen, und es wurden weiterhin 90 Prozent der Blutprodukte für Hämophilie aus den USA nach Deutschland eingeführt und verwendet, obwohl hierzulande Risikogruppen bereits von der Blutspende ausgeschlossen waren. Ab 1981 standen Verfahren zur Verfügung, mit denen Viren in Blut und Plasma inaktiviert werden können. Doch erst 1984/85 wurden sie in Deutschland für die Virusinaktivierung gesetzlich vorgeschrieben, und bis 1987 wurden nicht-virus-inaktivierte Präparate aus Lagerbeständen verbraucht. Die inaktivierten Produkte waren auch um einiges teurer. Grundsätzlich gefährdet für eine Virusinfektion mit AIDS oder Hepatitis waren alle, die Blutprodukte erhielten, doch die am schlimmsten Betroffenen (60 Prozent) waren jene, die an einer Gerinnungsstörung litten. Zwischen 1980 und 1985 infizierten sich allein in Deutschland offiziell mehr als 1500 von ihnen mit HIV, über 1000 sind inzwischen daran verstorben. Weltweit wurden mehr als 40 000 Hämophilie-Patienten mit HIV infiziert, die Infektionsraten mit Hepatitis B und C schätzt man auf mehrere hunderttausend. Hinzu kommen Partner und Familienangehörige, die mitinfiziert wurden.71

Eine unbeschreibliche Welle von Leid, Siechtum und Tod ergoss sich über die Welt. Wieso? Darüber kann man im Detail nur spekulieren, viele Fragen bleiben offen. In einem Urteil des Berliner Landgerichtes von 2004 heißt es dazu: Das »BGA (Bundesgesundheitsamt) hätte gegenüber den die Arzneimittel in Verkehr bringenden Pharmaunternehmen in vielfältiger Weise eingreifen können, hat dies aber unterlassen« (Landgericht Berlin, Urteil vom 3. März 2004, Az. 23 O 156/03).72 Das Bundesgesundheitsamt wurde in der Folge aufgelöst. In einem Artikel in der Ärztezeitung ist von chaotischen Zuständen in diesem ehemaligen Ministerium die Rede, von chronischer Unterbesetzung und Überforderung nebst Inkompetenz der Mitarbeiter.73 Sicher ist jedoch auch: Die Blutindustrie hat nicht reagiert, sogar als längst bekannt war, dass ihre Produkte tödlich sind. Mehr Menschenverachtung geht nicht. Die Gier nach Profit liegt ihnen wohl im Blut. Mittlerweile erleben wir wieder eine virale Pandemie. Das Coronavirus hat die AIDS-Epidemie abgelöst. Es gab einen Tag und eine Stunde, als das HI-Virus in Afrika auf den Menschen übersprang und seinen bösartigen Siegeszug in seinem Blut und dann um die Welt antrat. Dieses Momentum wiederholte sich 2020 in China. In beiden Fällen wurden zunächst geheime Labore als Quelle in Betracht gezogen, und als die schweren Krankheitsverläufe auftraten, wusste niemand, weder bei AIDS noch bei COVID-19, was dahintersteckte. Beide Male stellte sich später heraus: Es waren tödliche Viren. Bei HIV haben die obersten Bundesbehörden geschlafen, im Falle von SARSCoV-2 wurden ihre Vertreter nicht müde, die Bevölkerung mit einem Dauerwarnton in Angst und Schrecken zu versetzen, um deren Verhalten auf seuchengerecht zu trimmen. Eine funktionierende Behörde, die mit Wissenschaftlichkeit, Menschlichkeit und Augenmaß

reagiert? In beiden Fällen Fehlanzeige. Follow the Science ist das offizielle Mantra, doch das Wissen um den Urgrund von Heilung, um die Stärkung des Immunsystems durch Freude, Hoffnung, Glaube und Liebe ist ihnen abhandengekommen. Follow the Fear ist in vielen Fällen wohl zutreffender. Angst ist ein Killer. Früher wurden Homosexuelle diskriminiert, heute werden unsere Kinder als Pandemietreiber denunziert und von Freunden und ihrem sozialen Umfeld isoliert. Wir müssen akzeptieren, dass die Welt kein steriler Ort ist. Der Mensch ist eine Virenschleuder. Er kann sie ejakulieren, ausatmen und im Blut übertragen. Im Falle der AIDS-Pandemie blieb nichts anderes übrig, als auf Aufklärung und Eigenverantwortung zu setzen. Sex entzieht sich der staatlichen Kontrolle, und dennoch wirkte es, auch wenn die Verwendung von Kondomen nicht überprüft werden konnte. Einfacher ist das bei FFP2-Masken, den Kondomen des 21. Jahrhunderts. Es wird Zeit, in Deutschland, wie auch bei der AIDS-Pandemie, die Eigenverantwortung in den Vordergrund zu stellen und den Menschen zu vertrauen. So wird es auch bei jeder Blutspende gemacht. Die Spender werden gefragt, ob sie in letzter Zeit eine Infektion oder andere Erkrankungen hatten, geimpft wurden, sich ein Tattoo stechen ließen, im Ausland waren oder Drogen nehmen. Eine mögliche Infektion im Blut soll ausgeschlossen werden, auch wenn die Betroffenen sich  – noch  – kerngesund fühlen. Sie werden gefragt, ob ihr Sexualverhalten risikoreich sei. Dazu zählten bis vor Kurzem nicht nur häufig wechselnde Partner, Sex gegen Geld und Sex mit infektiösen Partnern, sondern auch Sex unter Männern. Herausgefunden werden sollte, ob das Sexualverhalten »ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko birgt«.74 Bei positiver Antwort erfolgt in allen oben genannten Fällen eine

Rückstellung um einige Wochen oder Monate nach der letzten Exposition.75 Zahlreiche Menschen empfinden diese Fragen als viel zu intim, und das mag viele von einer Blutspende abhalten. Die Fragen sind sinnvoll, aber auch umstritten. Sagen jene, die auf Blutspenden finanziell angewiesen sind, immer die Wahrheit? Und tun das auch diejenigen, denen eine Frage einfach nur peinlich ist? Zudem ist nicht gesichert, dass das Sexualverhalten der sogenannten NichtRisikogruppen wie etwa der Heterosexuellen kein erhöhtes Übertragungsrisiko darstellt. Vor Kurzem stimmte der Deutsche Bundestag einer längst überfälligen Gesetzesänderung des Transfusionsgesetzes zu. Von April 2023 an dürfen »sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität keine Ausschluss- oder Rückstellungskriterien sein«, wie es in der Neufassung des Gesetzes heißt. Homosexuelle Männer, aber auch bisexuelle und  trans Personen dürfen nicht länger diskriminiert werden.٧٦ Um das Risiko einer Infektion objektiv zu minimieren, wird mit jeder Blutspende ein Röhrchen abgenommen, das auf Hepatitis, HIV und Syphilis getestet wird. Doch gerade ganz frische Infektionen können dadurch nicht zu 100 Prozent ausgeschlossen werden. Deshalb wird Plasma für vier Monate unter Quarantäne gestellt, und erst dann, wenn der Spender erneut Blut spendet und nochmals negativ getestet wird, kann es verkauft und auf einem Multi-Billionen-Dollarmarkt vergoldet werden. Man hat aus den Erfahrungen mit den Opfern der Hämophilie-Tragödie gelernt, doch null Risiko gibt es nicht im Leben. Aktuell schätzt man das Risiko für eine HIV-Infektion durch Blutprodukte auf kleiner als 1 : 5 Millionen, für Hepatitis auf kleiner als 1 : 500 000. Blut bleibt ein zweischneidiges Schwert.77 Man kann sein Blut in einer Spende opfern, aber auch immer noch zum Opfer von Blut werden.

Blut sparen rettet Leben »Spare Blut, rette Leben« lautete 2015 der Titel einer Publikation in einem der weltweit angesehensten Wissenschaftsorgane mit Namen Nature. Bluttransfusion sei eine der am häufigsten unnötig eingesetzten Therapien der modernen Medizin. Man dürfe nicht vergessen: Blut zu transfundieren sei eine Organtransplantation, die mit ähnlichen Risiken einhergehen könne.78 Während die meisten transplantierten Organe, wie Herzen oder Nieren, frisch und eben erst entnommen dem Empfänger implantiert werden, sind die roten Blutkörperchen bei der Transfusion nicht mehr frisch wie aus der Quelle, sondern sie liegen schon bis zu 35 Tage gekühlt in einer Tüte, haltbar gemacht mit Konservierungsmitteln, getrennt von ihrem natürlichen Fluss. Frische ist das Qualitätsmerkmal gesunder Lebensmittel, außer bei gut gelagertem Käse und Rotwein. In der Konserve verlieren die kleinen roten Sauerstoffträger mit der Zeit ihre Form und flutschen dann schlechter durch die Kapillaren. Ihre Haut verändert sich wie bei ranziger Milch, sie tendieren zum Verklumpen und tun sich schwerer, den Sauerstoff abzugeben. Patienten, die bei Operationen Spenderblut erhalten, erleiden deshalb deutlich häufiger Herzinfarkte, Schlaganfälle oder ein Nierenversagen. Ihr Immunsystem wird in Mitleidenschaft gezogen, und die Infektionsrate steigt an. Nun raten Sie mal, welches Blut die Blutbank als Erstes rausgibt, wenn eine Anforderung kommt? Richtig, das, was wegmuss und schon am längsten herumliegt. Besser ist es also, Blut gar nicht erst zu benötigen. Maßnahmen zum Vermeiden von Bluttransfusionen werden als Patient Blood Management bezeichnet.79 Dazu zählen blutsparendes Operieren und die Eigenblutspende vor Operationen. Hierbei wird dem Patienten in den Wochen vor der Operation Vollblut abgenommen. Es ist dann

zwar auch nicht mehr ganz frisch, wenn es zum Einsatz kommt, aber das eigene Blut wird im Zweifel besser vertragen. Man kann sich nicht infizieren, und da es nicht geschleudert und in seine Bestandteile zerlegt wurde (es ist Vollblut), ist es weniger traumatisiert und von besserer Qualität. Heute wird im Allgemeinen empfohlen, eine Blutarmut (Anämie) länger zu tolerieren und nicht gleich zum Erythrozyten-Konzentrat zu greifen. Jedoch ist es immer eine Einzelfallentscheidung, die jeder Mediziner individuell für jeden Patienten treffen muss. In Studien wurde gezeigt, dass Ärzte, die eine Fremdblutgabe ganz genau begründen mussten, schon deutlich seltener reflexartig zum Blut griffen. Zum Wohle der Patienten, mit weniger Komplikationen und besseren Überlebenschancen. Vor Jahrzehnten war ich zu einer Hospitation in einer anderen Klinik, um eine neue Operationstechnik zu erlernen. Der Chirurg tupfte während der OP seine Pinzette wie einen Pinsel ins Blut des Herzens und zeichnete uns verblüfften Besuchern erläuternde Skizzen auf die grünen OP-Tücher. Das Blut schien ihm das irgendwie übel zu nehmen, denn ich kann mich erinnern, dass es bei ihm immer besonders ausgeprägt blutete. Das ist nur eine Anekdote, zeigt aber, wie früher mit Blut umgegangen wurde. Vor und nach einer Operation werden viele Körper- und Organfunktionen anhand von Blutwerten überwacht, und beinahe täglich kommt medizinisches Personal durch die Tür ins Patientenzimmer, um eine Blutprobe zu sammeln. In der Cleveland Clinic in den USA wurde 2015 gemessen, wie viel an Blutvolumen durch reguläre Blutabnahmen vor und nach einer Herzoperation abgenommen wurde.80 Der »Aderlass« entsprach sage und schreibe einer Menge von ein bis zwei Blutkonserven. Das Nachdenken über die tatsächliche Notwendigkeit einer Blutabnahme und über den erwarteten Erkenntnisgewinn muss ärztliches Handeln leiten. Patient

Blood Management bedeutet auch, weniger Blut in kleineren Röhrchen abzunehmen. Nicht nur einen Tropfen, sondern viel Blut gab Mary. Mit ihrem Blut und dem von anderen Spendern wurde Hamid gerettet wie seinerzeit ihr Großvater. Wenn Sie mich jetzt also fragen, ob Sie Blut spenden sollen, so ist die Antwort eindeutig JA! Trotz Einsparmaßnahmen ist es in vielen Fällen alternativlos. Es kann sogar gesund sein, weil es bei Hochdruckpatienten mithilft, den Blutdruck zu senken, und es kann sogar glücklich machen.81 In einer großen Studie mit über 6000 Patienten wurden als weitere positive Begleiterscheinungen ein Gefühl von Leichtigkeit und weniger Kopfschmerzen bei 18 Prozent der Spender beobachtet. Doch auch das Gegenteil ist möglich: 29 Prozent fühlten sich für eine Weile müde, energiearm und schwindlig.82 Blut spenden hat in vielen Fällen also auch einen Preis, und man könnte es als ein modernes Blutopfer bezeichnen. Es ist ein Opfer für das Leben und ein Moment von Menschlichkeit.

Blutschande Am nächsten Morgen  – die Kirchenglocken tönten hell in den strahlend blauen Sonntagshimmel, und ich fand, dass sie nach Hoffnung klangen  – führte mich mein erster Weg in der Klinik an Hamids Bett auf der Intensivstation. Unterwegs traf ich die diensthabende Ärztin auf dem Heimweg nach ihrer Nachtschicht. Kurz informierte sie mich über die Nacht: »Blutet er noch?«, fragte ich sie. »Nein, es hatte ja aufgehört und auch nicht wieder angefangen.« Mit dem für Intensivmediziner typischen Sarkasmus fügte sie hinzu: »Wenn man das, was er jetzt in sich drin hat, überhaupt als Blut bezeichnen kann.« Ich nickte. Da hatte sie recht. Eine Mischung aus Konserven von roten Blutkörperchen, Blutplättchen und Plasma, ergänzt um ein paar Gerinnungsfaktoren, macht noch kein Blut. Man kann Blut nicht so einfach zerlegen in seine groben Bestandteile, in Tüten aufheben, zum Teil einfrieren und nach ein paar Tagen wieder zusammensetzen. Mein Kollege Apostolos sagte dazu einmal: »Man kann aus Hackfleisch nicht Steak machen.« In der Biologie lebender Systeme ist das Ganze immer mehr als die Summe der Teile. Was Hamid in sich fließen hatte, war rot, flüssig, transportierte Sauerstoff und blieb in den Gefäßen. Zumindest überwiegend. Die Kollegin berichtete mir des Weiteren: »Wir haben ihn noch schlafen lassen, seine Lunge ist noch nicht gut. Das Röntgenbild ist ganz weiß, ein paar Tage werden wir ihn noch beatmen müssen.« Hamids Lungenödem, also das Wasser auf der Lunge, war eine typische Komplikation der Massentransfusion und auch des Schocks,

von dem er sich erst langsam erholen würde. Immer noch drohte ein Multiorganversagen. Zum Schluss sagte sie mir »Eben ist übrigens die Freundin des Patienten gekommen. Eine Lara Irgendwas, den Nachnamen habe ich vergessen, jedenfalls haben wir sie ausnahmsweise reingelassen. Sie war gestern schon da und ist völlig durch den Wind. Auch die Kripo hatten wir im Haus, aber der Patient ist ja nicht bei Bewusstsein.« Durch die Glasscheibe auf der Intensivstation sah ich den Kopf von Hamid, er war bis auf den rechten Arm zugedeckt. Aus seinem halb geöffneten Mund ragte der Beatmungsschlauch. Seine weißen Zahnreihen trennte ein Beißkeil. Mehr auf als an dem Bett saß wie hingegossen eine junge Frau. Alles an ihrer Haltung strahlte Liebe und Sorge aus. Sie streichelte Hamids rechte Hand und sprach leise zu ihm. Obwohl Hamid noch immer um sein Leben kämpfte, sah man seine ebenmäßigen Gesichtszüge, die dunklen Locken bildeten einen schönen Kontrast zu dem blonden Haar seiner Freundin. Er war sorgfältig gewaschen worden, keine Blutspur auf seiner Haut verriet, was geschehen war. Seine Verbände waren frisch und sein Krankenhauslinnen blütenweiß. Um ihn herum ein undurchschaubares Gewirr von Kabeln, Schläuchen und Geräten mit Infusionen und Datenleitungen. In der Mitte über seinem Kopf thronte der Monitor, der verschiedene Organfunktionen überwachte. Leise trat ich ein. Das Beatmungsgerät schnaufte regelmäßig vor sich hin, sonst Stille. Die Monitore waren auf lautlos gestellt. Auf der Anrichte lagen einige der kleinen Plastikkarten der Bedside-Tests, mit denen vor Verabreichung des Spenderbluts ein letztes Mal die Patientenblutgruppe am Bett des Patienten bestimmt wird. Es ist ein mehrfaches Sicherheitssystem verschiedener Tests im Labor und in der Klinik. In einem Eimer die leeren Konservenbeutel. Ich trat näher und hob prüfend einen der vier Drainageschläuche. Nur etwas gelbe

Wundflüssigkeit, es sah gut aus. Jetzt erst bemerkte mich die Frau. Sie sprang auf, als hätte sie etwas Verbotenes getan. Ich stellte mich vor, hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da griff sie meine Hände, hörte nicht auf, sie zu schütteln, und stammelte »Danke, danke, danke. Sie haben ihm das Leben gerettet.« Ich sagte ihr, dass ich nur Teil eines Teams war, dass alles mit der besonnenen Entscheidung des Notarztes begonnen habe und dass Hamid auch Glück gehabt hatte. »Und wenn die Wunde gut verheilt«, schloss ich, »ist das alles in einigen Wochen nur noch eine Erinnerung.« Da fing sie zu weinen an und hörte nicht mehr auf. »Wollen wir uns draußen ein bisschen unterhalten?«, fragte ich sie. Sie streichelte noch einmal über Hamids Hand und folgte mir in mein Büro. Dort erfuhr ich die Hintergründe der Tat, die inzwischen auch der Polizei bekannt waren. Es war nicht nur Hamids Zustand, der die junge Frau erschütterte. Ihr Vater saß seit Freitagnacht in Untersuchungshaft. Er hatte Hamid das Messer in die Brust gestoßen, als Hamid ohne Laras Wissen zu ihm auf den Hof gefahren war. »Er wollte um meine Hand anhalten«, erzählte sie mir. »So was Altmodisches! So was macht man doch nicht! Schon gar nicht bei einem Vater wie meinem. Der hasst Ausländer! Er hat Hamid nie beim Namen genannt. Der Teppichrutscher, hat er gesagt. Das mit uns wäre Blutschande.« Sie wiederholte das Wort empört noch einige Male und erzählte dann weiter: »Mein Vater trinkt, schon seit Jahren. Ich kann nicht mehr mit ihm reden. Er flippt immer gleich aus. Es war ihm egal, dass Hamid einen deutschen Pass hat und seit über zwanzig Jahren hier ist. Es war ihm egal, dass er ein Einser-Abi gemacht hat und nächstes Jahr sein Studium beendet. Er war morgens angeln gewesen. Als Hamid kam, hat er gerade einen Fisch aufgeschlitzt, ach, wie ich

das immer gehasst habe! Schon als Kind, jeden Freitag der Fischgeruch.« »Also ist Ihr Vater der Täter?«, wiederholte ich, geschockt von dieser Information. »Ja«, nickte sie. »Und das Schlimme ist, er findet, dass er recht gehabt hat. Keine Reue. Das hat mir ein Beamter von der Kripo gesagt.« Sie schluchzte laut auf. »Das muss man sich mal vorstellen: Mein Vater schimpft über Moslems, und was macht er: Blut und Ehre oder wie das heißt. Wer ist da wohl der Islamist?« »Das tut mir sehr leid«, sagte ich. »Da haben Sie wirklich ein sehr schweres Päckchen zu tragen.« Im Zusammenhang mit familiären und ethnischen Blutlinien, aufgrund von Blutschanden und Blutbanden werden Frauen, Männer und Kinder weltweit verfolgt, gefoltert und getötet. Im Namen des Blutes gehen Sexualität, Geschlecht, Gewalt und Trauma eine scheinbar unauflösliche Verbindung ein. Viele Menschen, die ich kenne, wollen daher weder mit ihrer Verwandtschaft noch mit Blut allzu viel zu tun haben. Was ich nachvollziehen kann. Doch Blut ist mein tägliches Brot. Es ist meine Aufgabe, anderen zu helfen, wenn ihr Leben am verletzlichsten ist, wenn es auf Messers Schneide steht, in einer traumatischen Situation ihres Lebens. Das eröffnete mir tiefe Einblicke in die menschliche Existenz. In Krisensituationen können Menschen vieles ertragen, auch scheinbar ausweglose Situationen aushalten, solange sie Hoffnung haben. Sie stirbt meistens zuletzt, aber wenn, dann auch der Willen zum Durchhalten. Auch das OP-Team muss in Fällen wie dem von Hamid während und nach der Operation manchmal Fürchterliches aushalten. Ohne Hoffnung kann man diese Arbeit nicht machen. Nicht nur Blut, auch Hoffnung kann man spenden, und das war meine Aufgabe im Augenblick gegenüber

Hamids Freundin. Danach wartete das nächste Herz im OP auf mich, und ich verabschiedete mich von Lara. Bei meiner Kaffeepause am Spätnachmittag traf ich Helmut, den erstversorgenden Notarzt von Hamid. Er klopfte mir auf die Schulter: »Reinhard, ich bin so froh, dass der Junge es geschafft hat. Ehrlich, das hätte ich nicht geglaubt.« »Was ist denn da überhaupt passiert?«, fragte ich ihn. »So was habe ich noch nie erlebt, das sage ich dir.« Helmut atmete tief durch. Und dann erzählte er mir, wie er Hamid gefunden hatte. Alles fing ganz normal an …

Notruf aus dem Wilden Osten Es war ein nebliger Oktobervormittag in der ostdeutschen Provinz. Die nassschwarze Erde der abgeernteten Äcker kontrastierte dramatisch mit dem weiß-grau verschleierten Horizont. Über dreißig Minuten zog sich die Anfahrt zum Einsatzort hin, und Helmut mit seinem Fahrer traf vor dem Rettungswagen ein. Die getrennte Anfahrt des Notarztes wird als Rendezvous-System bezeichnet. Es hat den Vorteil, dass Hilfe schneller kommt und der Notarzt flexibler eingesetzt werden kann. Wie ausgestorben wirkte das Gehöft. Irgendwo muhte eine Kuh. Ein friedlicher Ort, war Helmuts erster Gedanke, als er ausstieg und sich umschaute. Doch dann beschlichen ihn Zweifel. Vielleicht etwas zu friedlich? Immerhin war der Notarzt alarmiert worden. Ein Tiertritt war Helmut als Erstes in den Sinn gekommen, als er »Thoraxtrauma« auf seinem Display las. Der Thorax ist der Brustkorb, und dass eine Kuh oder ein Pferd ihren Bauern mal gegen die Brust treten, kommt gar nicht so selten vor und ist nicht ungefährlich, denn eine stumpfe Gewalteinwirkung kann die inneren Organe quetschen und schwer verletzen. Während der langen Anfahrt

hatte Helmut überlegt, was sich hinter diesem Wort »Thoraxtrauma« verbarg. Auch ich denke auf meinen Einsätzen als Notarzt darüber nach, was mich erwarten wird. Das Buchstabendisplay von Notfallpiepsern enthält meistens nur ein oder zwei Worte. Manchmal steht da ganz kryptisch »Türöffnung«. Am Ort des Geschehens stellt man dann fest, dass eine Person vermisst war, die Feuerwehr die Tür geöffnet hat und einen in der Wohnung eine stark verweste Leiche erwartet, deren Geruch und Anblick entsetzlich sind. Doch von so etwas ging Helmut nicht aus, wenngleich eine Verletzung des Brustkorbes keine Kleinigkeit ist, denn im Thorax sind neben dem Herzen die ganz großen Leitungen des Lebens verlegt: große Körperschlagader, durch die beim Erwachsenen in der Minute vier bis acht Liter Blut fließen; die Speiseröhre, ohne die wir nicht essen könnten; und die Luftröhre, durch welche die Atemluft die Lunge erreicht. »Hallo« rufend näherte sich Helmut dem Wohngebäude. Die Haustür war angelehnt. Vorsichtig betrat er den Flur und roch frischen Zigarettenrauch. Und da war noch etwas. Rostiges Eisen lag in der Luft, der metallene, unvergleichliche Geruch von Blut. Höchst alarmiert ging er weiter, denn es musste viel Blut geflossen sein, um es so deutlich zu riechen. Er folgte der Fährte durch den Flur in die Küche. Inmitten von dreckigem Geschirr, alten Zeitungen und Bierflaschen saß ein junger Mann am Tisch und rauchte. »Ich wollte es nicht selbst rausziehen«, sagte er. »Deshalb habe ich angerufen. Ich dachte, das überlasse ich lieber Fachleuten. Und ich bin ja Ingenieur, kein Mediziner.« Bedächtig zog er an seiner Zigarette. Okay, er ist bei Bewusstsein, dachte Helmut, das ist schon mal gut. Er hat die Augen offen, spricht klare Sätze und bewegt sich koordiniert. Vielleicht doch nicht so schlimm.

Aber was meinte er mit »rausziehen«, überlegte Helmut. Er trat näher, sah das Messer und glaubte zuerst, einer Halluzination zu erliegen in dieser dämmrigen Küche. Doch es war keine. In der Brust des jungen Mannes stak ein Messer. Offenbar wusste der Patient nicht, dass dies seine letzte Zigarette sein könnte. Oder befürchtete er es und hatte sie genau deshalb angezündet? So wie im Wilden Westen, wenn Sterbenden eine Kippe zwischen die Lippen gesteckt wird. Doch dies war nicht der Wilde Westen, sondern der Wilde Osten. War der Täter noch in der Wohnung? Rettungskräfte werden geschult, auf ihre eigene Sicherheit zu achten. Jeder Einsatz könnte ihr letzter sein. Ein rauchender Motor kann explodieren, bei Straftaten ist Gewalt gegen die eintreffenden Einsatzkräfte nicht selten. Manchmal empfängt der Täter die Einsatzkräfte sogar, Experten sprechen dann von einem Second Hit, einem Zweitschlag, der tödlich enden kann. Es ist also besser, auf die Freigabe vom Bereitschaftsleiter der Polizei oder der Feuerwehr zu warten. Doch hier war kein Zweiter, kein Täter. Hoffentlich. Nur der rauchende Mann am Küchentisch mit dem großen Fleck wie großzügig verkleckertes Pflaumenmus auf dem hellblauen Pullover und leicht links der Mitte das Messer. Vom Stuhl des Mannes tropfte lautlos nachtblaues Blut wie Öl aus einem undichten Motor. Eine sich stetig vergrößernde Lache. Ohne Zweifel hatte es Helmut mit einem Schwerstverletzten zu tun und nur sehr, sehr wenig Zeit. Was dieser Mann brauchte, das Einzige, was ihn retten könnte, war ein erfahrenes OP-Team, idealerweise eine Herzchirurgie, um die Blutung zu stoppen. Und natürlich Blut. Das sahen die beiden Notfallsanitäter, die nun auch eintrafen, genauso. Einer machte mit fragender Miene den Flattermann, kreiste das Handgelenk in der Luft, das Zeichen für Hubschrauber. Der erfahrene Notarzt Helmut nickte. Gute Idee. Er glaubte jedoch, dass es zu neblig war. Sie würden die Einsatzzentrale

fragen, jede Option prüfen. Viel Hoffnung auf einen schnellen Transport und auf Unterstützung durch ein Helikopterteam hatte er jedoch nicht. In Extremsituationen, in denen nicht nur die Patienten im Schock sind, sondern auch Notfallteams enorm unter Stress geraten können, hilft das Abarbeiten von Algorithmen. Vielfach trainiert sorgen sie dafür, einen klaren Kopf zu bewahren. Für den Notarzt bedeutet das ein klares, schrittweises Vorgehen. Algorithmen helfen, den Patienten richtig einzuschätzen, die Schwere der Verletzungen präzise zu beurteilen und die sofort notwendigen medizinischen Maßnahmen einzuleiten. Sie helfen auch, Unwichtiges von Wichtigem zu unterscheiden. Das ist auf Anhieb nicht immer ganz einfach. Während in früheren Jahrzehnten Verletzte meist auf eine Trage gehoben und mit Tatütata eiligst in eine Klinik verbracht wurden, wird der Unfallort heute in ein Zentrum des präklinischen TraumaManagements transformiert. Als Fachbegriff dafür wird, wie inzwischen bei fast allem in der Medizin, eine komplizierte englische Bezeichnung verwendet: Pre Hospital Trauma Life Support (PHTLS). Was sich dahinter verbirgt, das kann sich jedes Schulkind merken: ABCDE. Das kleine Einmaleins der Notfallmedizin, mit dem Ziel, Störungen lebenswichtiger Organfunktionen an Ort und Stelle  – und nicht erst im Hospital – zu erkennen und behandeln. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daran kann man sich als Notarzt auch in komplizierten Situationen entlanghangeln. Es fällt einem auch im größten Stress noch ein, und deshalb halten sich alle Rettungsteams auf dieser Welt an dieses Schema: A = Airway = Ist der Atemweg frei? B = Breathing = Atmet der Patient? C = Circulation = Wie ist der Blutkreiskreislauf? D = Disability = Wie ist das Bewusstsein des Patienten?

E = Expose/Environment = Gibt es Begleitverletzungen? Wenn Sie bisher aufmerksam gelesen haben, werden Sie vielleicht denken: Aha, in dem jungen Mann steckt ein Messer, aber ansonsten kann man alle Fragen positiv beantworten, also volle Punktzahl? Doch ein Buchstabe fehlt noch. Das kleine x, das aussieht wie ein umgefallenes Kreuz auf einem Friedhof. Das x steht für ExSANGUINATION. Ausbluten! Ist es offensichtlich, dass ein Patient gerade verblutet, ändert sich der Algorithmus in xABCDE. Die Logik dahinter ist einfach: Es ergibt keinen Sinn, mit jemandem ein Gespräch zu führen über das, was passiert ist, oder einem Verletzten den Blutdruck zu messen oder gar die Atmung zu prüfen, während er dabei ist zu verbluten. Dann hat es oberste Priorität, die Blutung zu stoppen. Treat first, what kills first! Behandle zuerst, was zuerst tötet! Das ist der Leitsatz, der jedem Notarzt und Traumachirurgen in Fleisch und Blut übergegangen sein muss. Schwere Blutungen aus Armen und Beinen kann man abdrücken und abbinden, das lernt man im ErsteHilfe-Kurs. Für sogenannte Fleischwunden, also größere Gewebedefekte der Muskulatur, gibt es Tücher zum Einlegen. Sie enthalten Gerinnungsfaktoren, welche die Blutung eindämmen sollen. Aber was genau bedeutet Treat first, what kills first! bei einem Messerstich im Thorax, bei einem Messer, das mutmaßlich im Herzen steckt und wahrscheinlich auch die Lunge perforiert hat? Helmut trat einen Schritt auf Hamid zu, nahm seine kalte Hand und drückte auf den Fingernagel des Daumens, um ihn dann gleich wieder loszulassen. Wenn Sie das einmal bei sich selbst ausprobieren, werden Sie sehen, dass das Nagelbett ganz kurz weiß wird und sich dann sofort wieder rosig füllt. Diese Zeitspanne von weiß zu rosig wird als Rekapillarisierungszeit bezeichnet und liefert dem Notarzt essenzielle Informationen über den Kreislauf und die Durchblutung. Unter dem

Fingernagel sieht man nämlich die Kapillaren, unsere allerkleinsten Blutgefäße. In ihnen geben die roten Blutkörperchen ihren Sauerstoff an die Zellen ab. Ist die Kapillardurchblutung anhaltend gestört, sterben die Zellen ab, der Körper geht in einen Schockzustand über. Das kann verschiedene Ursachen haben, aber Blutverlust steht ganz oben auf der Liste. Ist zu wenig Blut in uns, dauert es nach dem Wegdrücken länger, bis Nachschub kommt. Helmut starrte auf den Nagel und zählte einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … erst nach endlosen drei Sekunden zeigte sich wieder ein erstes blasses Rot unter Hamids Fingernagel. Damit war klar, er hatte bereits so viel Blut verloren, dass sein Kreislauf stark beeinträchtigt war. »x-Problem«, kommunizierte Helmut seinem Team, »Rekapillarisierungszeit drei Sekunden. Spitzes Thoraxtrauma durch Messerstich, kritischer Zustand, hoher Blutverlust. Macht venöse Zugänge fertig, wir müssen Volumen geben.« Um den Kreislauf aufrechtzuerhalten, ist eine bestimmte Menge an Blut nötig. Wenn wir mehr als ein Drittel davon verlieren, ist unser Leben bedroht. Helmut musste daher Infusionsbeutel mit Kochsalz und Elektrolyten verabreichen. Im Gegensatz zu Blutkonserven können sie keinen Sauerstoff transportieren und auch nicht gerinnen. Aber sie können eine Weile dabei helfen, das weniger werdende Blutvolumen im Kreislauf zu ersetzen und einen Notkreislauf aufrechtzuerhalten. Doch das ist nicht unproblematisch. Zum einen können diese Infusionen das Blut noch dünner machen, als es ohnehin schon ist, mit der Gefahr, dass der Patient noch stärker anfängt zu bluten. Zum Zweiten kann der Blutdruck dadurch steigen, was die Blutung ebenfalls verstärkt. Man kann sich den Menschen wie ein großes Blutgefäß vorstellen, das sich in einem komplexen Röhrensystem verzweigt, in dessen Zentrum das Herz sitzt wie ein Eimer. Hat dieser Eimer ein Loch, rinnt Blut heraus. Je mehr man in

den Eimer nachschüttet, desto stärker wird der Flüssigkeitsdruck und desto mehr rinnt es. Und wenn man Blut durch Wasser ersetzt, nimmt seine natürliche Zähigkeit und Fähigkeit zu gerinnen ab, und es fließt noch übler. Ein Teufelskreis! Bei der Gabe von solchen Infusionen kommt es also auf das Fingerspitzengefühl des Notarztes an, genau so viel zu verabreichen, dass der Patient gerade noch nicht stirbt, und einen oberen systolischen Blutdruck von vielleicht 70 oder 80 mmHg zu akzeptieren. Dieses Vorgehen wird als permissive Hypotonie bezeichnet, als ein erlaubter zu niedriger Blutdruck. Das hört sich vielleicht ungewohnt für Sie an, denn aus leidvoller Erfahrung wissen Sie vielleicht, dass die moderne Schulmedizin bei Blutdruck, insbesondere wenn er zu hoch ist, keinen Spaß versteht. Im hämorrhagischen Schock aber ist die permissive Hypotonie sinnvoll, ein erlaubter lebensrettender Ausnahmezustand. Man muss den Menschen behandeln, nicht die Zahlen. Eine Weisheit, die in vielen anderen Bereichen der Medizin meiner Ansicht nach leider oft vergessen wird. Infusionsflüssigkeiten, wenn auch mit notärztlichem Augenmaß titriert, würden Hamid also nicht retten, über eher kurz als lang würde sich dieses System erschöpfen. Im Augenblick war es aber alternativlos. Doch zunächst gab es noch ein ganz anderes Problem. Wie sollte die Flüssigkeit Hamid zugeführt werden? Venen für intravenöse Zugänge waren in Hamids Alabasterhaut nicht mehr zu sehen. Trotzdem musste Helmut es versuchen. Aber wo er es auch probierte, an den Unterarmen, am Handrücken, im Ellenbogen, er traf keine Vene.

Der Knochenbohrer

Helmut entschloss sich zu einer Methode der modernen Notfallmedizin: mit einem Knochenbohrer Zugänge ins Knochenmark zu schaffen, was als intraossärer Zugang bezeichnet wird, kurz IO, im Gegensatz zu IV (intravenös). Hamids Hosenbeine wurden aufgeschnitten, die Unterschenkel freigelegt, und mit einem Gerät, das aussieht wie ein kleiner Akkuschrauber, bohrte Helmut zwei Zugänge in den rechten und den linken Unterschenkelknochen, direkt unterhalb des Knies. Ohne Narkose? Wenn noch Zeit ist, gibt man eine örtliche Betäubung, doch Hamid schien keinen Schmerz mehr zu spüren. Mit der Methode IO kann man Medikamente und Flüssigkeit in jeden Patienten einbringen, der noch einen ganzen Knochen im Leib hat. Man dringt sozusagen ins Epizentrum vor, in die Geburtsstätte des Blutes, das Knochenmark. Allerdings kriegt man nicht so viel Volumen rein wie in die großen Venen, es tröpfelt eher, als dass es fließt, doch ein bisschen was ist besser als nichts und für die Methode permissive Hypotonie gerade ausreichend. Hamid ließ das alles über sich ergehen, atmete flach und schnell. x war für den Augenblick erledigt. Um die Beladung der verbliebenen roten Blutkörperchen mit Sauerstoff zu optimieren, bekam der Patient noch eine Sauerstoffmaske. Damit war auch A und B Genüge getan. Für C tröpfelten bereits die Infusionen in die Unterschenkelknochen. Es durfte keine weitere Zeit verloren werden. »Lasst ihn uns ins Fahrzeug bringen und hier abhauen«, sagte Helmut zu seinem Team. »Wohin?«, flüsterte Hamid kaum vernehmbar. Der Patient war nun sehr schwach. Doch er bekam noch mit, was mit ihm passierte. Das reichte Helmut. »Kein D-Problem«, sagte er seinem Team, »und auch kein E-Problem«, fügte er hinzu, denn er hatte keine weiteren Verletzungen bemerkt.

»Wir bringen Sie in die Klinik«, erklärte Helmut dem Patienten. Er hoffte, ihn so weit stabilisiert zu haben, dass dieser den weiten Transport überleben konnte.

Blaues Blut Es gab noch eine Option, wenn auch keine gute. Im Fall eines Herzstillstandes den Brustkorb eröffnen, das Messer ziehen und den Finger auf die Herzwunde legen, in der Hoffnung, sie besser abdichten zu können. Vielleicht sogar eine Naht legen. Notärzte sind mitunter dafür ausgebildet. Gerade junge Patienten sind oft zäher als ihr Blut, bei ihnen lässt man absolut nichts unversucht, um sie zu retten. Es wurden Fälle beschrieben, in denen solche drastischen Maßnahmen das Überleben – zumindest vorübergehend – ermöglichten.83 Es ist eine Verzweiflungstat. Bei der sogenannten Clamshell-Thorakotomie84 wird ein etwa 70 Zentimeter langer Schnitt quer über den Brustkorb gemacht, unterhalb der Brustwarzen, von der linken Seite bis zur rechten. Mit einer sehr groben Schere werden martialisch Muskeln und Bindegewebe zwischen den Rippen und quer das Brustbein durchtrennt. Ein Helfer hat den Kopf des Verletzten zwischen seinen Knien und greift mit beiden Händen nach vorne zu den Schnittkanten der Brustwand und zieht diese nun zu sich hin. Damit klappt er den ganzen Brustkorb auf wie eine Motorhaube, Herz und beide Lungenflügel liegen frei. Das ist ein Anblick, der jeden aus den Schuhen hauen kann, der so etwas noch nicht gesehen hat. Aber es ist die Tür zum Überleben. Schnell in die nächste Klinik zu fahren wäre nach Ansicht vieler Experten auch für Lady Di besser gewesen, als sie im Notarztwagen so lange zu stabilisieren, bis sie das Hospital nur noch sterbend erreichte.85 Die »Königin der Herzen« hatte kein penetrierendes

Herztrauma wie Hamid, sondern ein stumpfes. Durch den Aufprall mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wände eines Tunnels in Paris, in einem Wagen auf der Flucht vor Paparazzi, wurde ihr Herz innerhalb ihres Brustkorbes so heftig hin und her geschleudert, dass die Verbindung zu der Lunge, eine Lungenarterie einriss. Was sie brauchte, war – wie Hamid – Blut und eine sofortige Operation. Aber anstatt des Load and Go-Verfahrens – Einladen und Losfahren wie bei Hamid  – wurde von den französischen Ärzten Stay and Play favorisiert. Die anwesenden Notärzte versuchten das Problem an Ort und Stelle zu lösen. Die Schockbekämpfung dauerte über eine Stunde und war nicht erfolgreich, weil eine herznahe Arterie eingerissen war. Im Notarztwagen schließlich trat ein Herzstillstand ein. In der Folge wurde Lady Dianas Brustkorb mit dem Clamshell-Verfahren eröffnet, dabei war eine renommierte Klinik nur zehn Minuten entfernt. Doch es war zu spät, sie verblutete. Damit ihr so etwas nicht passierte, ging ihre Schwiegermutter, Königin Elisabeth, niemals ohne eine Packung ihres eigenen Blutes im Gepäck auf Reisen. Für Notfälle. Allem Vernehmen nach ist es nicht blau, sondern rot wie auch bei ihren Untertanen. Und am Ende war sie zum Erstaunen vieler sogar sterblich. Bevor ich am Abend nach Hause ging, schaute ich nach meinem Patienten. Noch immer saß Lara an seinem Bett. Sie flüsterte ihm ermutigende Worte ins Ohr, erzählte ihm Geschichten und streichelte seine Hände und Haare, unermüdlich in ihrer liebenden Fürsorge. Etwas Besseres konnte sie dem Patienten nicht angedeihen lassen. Viele Studien belegen die positiven Effekte einer liebenden Begleitung von Schwerstkranken auf Intensivstationen.86 Leider hatte Hamids Urinproduktion nachgelassen, die Nierenwerte im Blut waren angestiegen. Ein Warnsignal  – ein Nierenversagen drohte. Es ist

wichtig, ehrlich zu sein mit Patienten und Angehörigen. Ich teilte Lara meine Befürchtung mit. »Jeder Mensch ist ein Ausländer«, sagte sie darauf unvermittelt. Vielleicht knüpfte sie an unser gestriges Gespräch an. Vielleicht sprach sie aber auch zu ihrem Vater im Gefängnis. »Fast überall auf der Welt, nur nicht dort, wo er herkommt.« Und wir alle sind nur eine kurze Weile Gast, dachte ich mit Sorge, als ich auf Hamids Blutwerte blickte. Inzwischen hatte ich erfahren, dass der Täter, Laras Vater, mit einer Wärmebildkamera gefunden worden war, die Körperwärme detektiert. Für deren Speicherung und Verteilung ist Blut zuständig. Nach der Tat war der Vater mit seinem Boot ins dichte Schilf gerudert und hatte sich dort versteckt, während Hamid im Haus zu verbluten drohte. Nach langer vergeblicher Suche mit Spürhunden hatte ihn schließlich nicht der Geruch, sondern die Wärme seines Blutes verraten.

Sind wir ein Blut? Hamid trug nun das kollektive Blut vieler Menschen in sich, die sich in ihm zu einem neuen Organ formten. Ist das nicht faszinierend? Bei einer Herz- oder Nierentransplantation gibt es einen Spender und ein Organ. Bei einer Massenbluttransplantation viele. In Hamid konnte nun das Blut von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlicher Augen- und Gesichtsformen, unterschiedlicher sexueller Orientierung und unterschiedlicher ethnischer Abstammung fließen. »Ethnos« heißt Volk, und unter »ethnisch« versteht man die Identität eines solchen Volkes, die sich auf Merkmale wie gemeinsame Sprache, Kultur, Religion, Herkunft und vieles andere bezieht. Hamid hatte nicht das Blut von Menschen anderer Rasse erhalten, die gibt es nämlich biologisch und genetisch bei Menschen nicht. Rassen gibt es nur bei gezüchteten Haustieren wie Hunden, Katzen, Kühen oder Hühnern. Bei Wildtieren wie Adlern, Ameisen oder Warzenschweinen gibt es keine Rassen, sondern Arten, von denen sich grob geschätzt zwischen zwei und zehn Millionen auf der Erde tummeln. Tiere verschiedener Arten können keine zeugungsfähigen Kinder bekommen, und so ist eine Art ganz klar definiert. Von besonderer Art ist der Mensch, und von ihm gibt es auch nur eine: den Homo sapiens. In alle Himmelsrichtungen und über die ganze Welt hat er sich fortgepflanzt und ausgebreitet. Er trieb es schon immer kunterbunt über alle Grenzen und Kulturen hinweg. Biologisch kennt die Liebe des Homo sapiens keine Grenzen, und doch lebt er gerne in Gruppen, denen er sich zugehörig fühlt. So haben sich im Laufe der Weltgeschichte 1300 ethnische Gruppen entwickelt: angefangen bei den Aari in Äthiopien über die Inuit in Grönland, die Ostfriesen in Norddeutschland bis hin zu den Zulu in Afrika.87 Da

wären die acht Blutgruppen eher wenig geeignet, um alle auseinanderzuhalten. Genauer gesagt völlig ungeeignet. In allen Ethnien kommen alle Blutgruppen vor, am häufigsten ist 0+. Sie fließt in 37 Prozent der Kaukasier, 47 Prozent der Afro-Amerikaner, 39 Prozent der Asiaten und 53 der Hispano-Amerikaner.88 Hamid hatte AB-negativ, was bei den genannten Gruppen gerade mal 1  Prozent oder weniger ausmacht. Nun war sein Blut für eine kleine Weile multiethnisch und multikulturell, bis es abgebaut und sein Knochenmark den Job der Blutbildung wieder übernehmen würde.

Das kollektive Organ Blut ist ein kollektives Organ, und in der Blutspende wird eine zutiefst humane Vision wahr, die Ludwig van Beethoven vertonte und mit seinen Klängen für immer in die Herzen der Menschen transportierte: »Freude schöner Götterfunken – Alle Menschen werden Brüder.« Der göttliche Funke der Toleranz leuchtet in jeder Note und in jedem Blutstropfen glutrot. Von weit her und schon aus alter Zeit. Als früher Pionier für Menschenrechte gilt der persische König Kyros der Große. 539 v. Chr. eroberte er die Stadt Babylon, befreite die Sklaven und gestand allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gewisse Rechte zu. Sicherlich verlief das alles nicht gewaltfrei, und Kyros ist auch nicht unumstritten, gleichwohl wird er als Vorreiter für Menschlichkeit und Pluralismus gewürdigt.89 Seine Gesetze wurden in einen Tonzylinder hineingeritzt, wovon eine Replik in einer Vitrine im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York City (das Original befindet sich im British Museum in London) zu sehen ist. Seit Kyros sind die Menschen gewandert und haben sich gemischt und fortgepflanzt, wie es ihre Art ist. Ihr Blut blieb jedoch das gleiche. Verwandtschaft entsteht nicht durch die Weitergabe von Blut, sondern durch unsere Gene. Blutgruppen werden von beiden Elternteilen

vererbt, und so haben alle Kinder dieser Welt nicht notwendigerweise die Blutgruppe der Eltern, sondern immer wieder neue Variationen des AB0- und Rhesussystems. Als Karl Landsteiner 1900 die AB0-Blutgruppen entdeckte, war das ein Segen für die Menschheit und die Medizin. Dessen unbenommen versuchten viele, seine epochale Entdeckung zu missbrauchen und anhand des Blutes auszugrenzen, Ideologien in den Vordergrund zu stellen und Menschen nach Pseudorassen zu trennen. Weder mit Merkmalen im Blut noch mit Erkenntnissen der Biologie des Lebens lässt sich Rassismus begründen. 2019 veröffentlichten Evolutionsforscher und Zoologen die »Jenaer Erklärung«, die sich auch auf die Vorstellung von Menschenrassen bezieht: »Es gibt hierfür keine biologische Begründung und tatsächlich hat es diese auch nie gegeben.«90  Die Nationalsozialisten wollten eine arische Rasse züchten, welche die Blutgruppe A haben und vom nordischen Typ sein sollte, also groß, blond und blauäugig. 1935 verabschiedeten sie das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (Blutschutzgesetz).91 Der Wahn von der angeblichen Reinheit des arischen Blutes rechtfertigte für die Nationalsozialisten den systematischen Völkermord. Rassismus, wenn auch nicht in solch massenmörderischer Ausprägung, gab es ebenfalls in der Neuen Welt. Die Rassentrennung in den USA erlaubte es bis vor wenigen Jahrzehnten ganz offiziell, Menschen mit dunkler Hautfarbe als minderwertig einzustufen und wie Tiere zu versklaven. Dabei ist der Mensch biologisch selbst eines, gehört er doch zur Familie der Hominiden oder Menschenaffen und dort zu den Trockennasenprimaten.92

Blutrache Wieso gibt es nun überhaupt acht verschiedene Blutgruppen? Darüber wird gerätselt. A und B haben sich im Verlauf von 20  Millionen Jahren gebildet, und 0 ist möglicherweise eine genetische Mutation von A. Die ersten Menschen und ihre Vorfahren lebten in Afrika. In Blutgruppe 0 kann sich die gefährliche Malaria tropica weniger schnell vermehren. Das konnte mit einem Überlebensvorteil einhergehen, und so hat sich dann auch 0 weltweit stark verbreitet. Andererseits erkranken Menschen mit Blutgruppe 0 heftiger an Cholera. Auch während der Coronavirus-Pandemie wurden Blutgruppen untersucht, und möglicherweise zeigten Patienten mit Blutgruppe A schwerere Verläufe, und diejenigen mit Blutgruppe 0 erkrankten seltener. Das war es aber auch schon, und bis heute weiß niemand so recht, woher die unterschiedlichen Blutgruppen kommen und wozu sie dienen.93 Blutgruppen taugen nicht, um die Wahnvorstellungen von Blutsbande oder Blutschande biologisch zu begründen. Die Blutspur solcher Ideen von der elitären Reinheit familiären Blutes findet sich schon im 15. Jahrhundert in europäischen Adelsfamilien. Sie begatteten sich am liebsten unter ihresgleichen, und das rächte sich bitter, denn das Blut wurde durch fortgesetzte Inzucht nicht »blauer«, sondern flüssiger. Ihre Kinder, besonders die Söhne, litten an der familiär vererbten Blutererkrankung (Hämophilie), viele starben an dieser sogenannten »Königskrankheit.« Blut muss genetisch immer wieder aufgefrischt werden, um gesund zu bleiben. Ausgrenzung und Elitarismus gegenüber anderen Menschen halten das Blut nicht rein, sondern machen es krank. Rassismus findet keine Begründung im Blut, sondern findet sich in den herzlosen Gehirnen mancher Menschen. Die empfinden sich mitunter selbst als höherwertig und kulturell überlegen gegenüber solchen mit anderem

Aussehen und anderer Kultur. Das Fremde im Fremden, das Unbekannte, macht ihnen Angst. Deshalb muss es ausgerottet oder zumindest kontrolliert und unterdrückt werden. Dazu scheint jedes Mittel recht. Um die eigene Vormachtstellung zu rechtfertigen, musste dafür die absurde Theorie vom eigenen und vom fremden Blut herhalten. Sie ermöglichte es, andere Ethnien auszubeuten, zu misshandeln, zu diskriminieren und zu töten. Im Namen des Blutes gehen Sexualität, Geschlecht, Gewalt und Trauma eine scheinbar unausrottbare Verbindung ein. Auch heute noch werden im Zusammenhang mit familiären und ethnischen Blutlinien, aufgrund von Blutschanden und Blutsbanden Frauen, Männer und Kinder weltweit verfolgt, gefoltert und getötet. Jene, die Blutrache fordern, schrecken vor keiner Grausamkeit zurück, nicht einmal gegenüber den eigenen Kindern. Mir selbst ist vor Jahren so ein Fall begegnet. Die Europa- und Weltmeisterin im Kickboxen, Rola El-Halabi, trainierte im selben Boxklub wie ich. Bei mir war es Fitnesstraining, bei ihr knallharter Profisport. Weil sie einen griechischen Freund hatte, wurde ihr von ihrem Stiefvater vor einem Wettkampf mit vier Kugeln in Hand, Knie und beide Füße geschossen. Sie überlebte nicht nur, sondern eroberte sich später erneut mehrfach den Titel der Weltmeisterin. Eine unglaubliche Leistung! Davon berichtet sie in ihrem lesenswerten Buch Stehaufmädchen.94 Sie hatte sehr viel Herzblut für das Boxen, sie war eine Kämpferin und hat es geschafft, wie sie in einem Interview ausdrückt, nach Jahren der Angst und Wut mit ihrem Trauma zu leben.95

Wenn die Seele blutet Wir erkennen an diesem Beispiel: Körperliche Verletzungen können mit einem Trauma der Seele einhergehen. Wir sagen dann, dass unsere Seele blutet oder einen Knacks bekommt. Ist es schlimmer als das, bricht sie entzwei oder fragmentiert in tausend Stücke. Dann sprechen wir von einem Psychotrauma. Seelenwunden heilen meistens sehr viel langsamer, und als El-Halabi schon längst wieder Weltmeisterin war und ihr Körper topfit, litt sie immer noch an ihrem Seelentrauma. Die Einheit von Körper und Psyche beschreibt der Volksmund mit bestechender Klarheit: Eine Tätigkeit, eine Gewohnheit, ein Ritual gehen uns in Fleisch und Blut über. Es wird ein Teil von uns, es ist in unsere Zellen und unser Gewebe eingeschrieben. Eine schwere Verletzung, ein körperliches Trauma, zerstört diese Einheit und spaltet unsere Gewebe. Was verbunden war und heil, wird getrennt. Die körperliche Unversehrtheit und Integrität ist aufgehoben. Wir haben Schmerzen und bluten. Das Organ, das im Innersten aller anderen Organe fließt und alle Zellen und Organe zu dem höheren Organismus verbindet, der wir sind, verlässt uns. Mit unserem Blut verlieren wir die Verbindung zu uns selbst, zu unserem Gehirn und unseren Sinnen, den Eingeweiden, der Haut, dem Herzen, den Knochen, den Drüsen, den Nieren, den Augen, zur gesamten Diversität unseres Körpers. Im Extremfall werden wir bewusstlos, verbluten und sterben. Dann fließt unsere Seele zusammen mit unserem Blut in eine andere Richtung, die niemand wirklich kennt.96 Unsere Seele durchwirkt uns wie Blut unsere Organe. Der griechische Name für Seele ist Psyche, was aber auch Schmetterling bedeutet. Ich finde, der Schmetterling ist ein schönes Bild für die Kraft, aber auch

die Zartheit der Seele. Sein winziger Flügelschlag kann Riesengroßes bewirken, er schmettert einen winzigen Luftwirbel in die Atmosphäre, und der kann sogar einen Tornado auslösen, sagte der Meteorologe Edward Lorenz während eines Vortrages 1972.97 Damit wurde der Schmetterlingseffekt mit einem Schlag weltberühmt und wird seither verwendet, um die nicht-lineare Physik und die Chaostheorie zu erklären. Auch eine kleine Ursache kann also eine riesengroße Wirkung haben. Und doch ist nicht jede kleine Verletzung, nicht alles, was schmerzhaft ist, traumatisch für die Seele. Die gesunde Seele ist elastisch und biegsam wie ein grüner Zweig. Diese Fähigkeit, sich im Sturm bei Stress zu biegen und bei Sonnenschein wieder die alte Form anzunehmen und die Blätter ins Licht zu halten, bezeichnen wir als Resilienz. Doch auch wenn wir ein paar Blätter verlieren, haben biologische Systeme die wunderbare Fähigkeit zu heilen. Wunden verschließen sich, und neue Blätter wachsen nach. Wenn bei einem Kind das Knie blutet, weinen nicht nur die Augen, sondern auch die Seele ein bisschen. Tränen sind der Regen der Seele, sagt man. Vielleicht bleibt eine kleine Narbe, und wir erinnern uns Jahrzehnte später mit einem Lächeln daran, wie wir damals vom Fahrrad gefallen sind. Doch es gibt eine feine Grenze zwischen Biegen und Brechen, zwischen Resilienz und Zerstörung, zwischen dem, was von selbst heilen kann und was nicht.

Schmerz El-Halabis und Hamids Körper brauchten aufgrund einer körperlichen Katastrophe eine Notfalloperation und eine Intensivstation, um zu überleben. Das Blut anderer Menschen war die einzige Medizin, die zunächst einmal ihr nacktes Leben retten konnte. Wenn bei einem Unfall der Schmerz größer ist, als wir es ertragen können, hält die Biologie des Lebens ein Notfallprogramm bereit, das es uns

ermöglicht, ihn nicht mehr zu fühlen. Schwerstverletzte wie Hamid spüren in der Akutphase oft keinen Schmerz und schütten körpereigene Schmerzmittel aus, die Endorphine. Es gibt beeindruckende Erfahrungsberichte von Menschen mit schwersten Verletzungen in Todesnähe, zum Beispiel von dem großen britischen Forschungsreisenden David Livingstone, der als Mediziner und Missionar in Afrika lebte. 1844 wurde der damals Dreißigjährige von einem Löwen angegriffen. Livingstone erlebte bei vollem Bewusstsein, wie der Löwe seinen Arm zermalmte. Doch er verspürte keinen Schmerz. Was für eine gnädige Einrichtung der Natur! Das denke ich auch, wenn ich sehe, wie Raubtiere jagen. Vermutlich spüren ihre Opfer nichts, auch wenn der Sprung an die Kehle und der Biss in die Halsschlagader sehr brutal aussehen. Das Gehirn schaltet in höchster Not unser Schmerzempfinden mittels biochemischer Substanzen aus. Leider wird oft vergessen, dass große Traumata des Körpers auch katastrophale Wunden in der Seele reißen, die ebenso schmerzen können. Doch während wir für Körperwunden wie selbstverständlich Hilfe erfahren und Blutungen therapiert werden, bleibt die blutende Seele oft unerkannt. Betroffene sind auf sich allein gestellt, niemand interessiert sich dafür. Und sogar die Opfer wollen diesen Schmerz aus Unwissenheit und Hilflosigkeit irgendwann einfach nur noch loswerden, anstatt ihm die notwendige Aufmerksamkeit und Therapie zukommen zu lassen. Wenn die Haut über der körperlichen Wunde schon längst verheilt ist, kann die Seelenwunde offen bleiben, weiter bluten und sich entzünden. Sie wird zu einer Quelle steten Schmerzes. Die einzige Möglichkeit, das dann noch auszuhalten, besteht für die Betroffenen darin, den Schmerz nicht mehr zu fühlen. Es ist das gleiche Prinzip wie bei körperlichen Verletzungen  – und doch anders. In diesem Falle kann sich die Psyche vom Körper abspalten, was auch als Dissoziation

bezeichnet wird. Psyche und Körper fallen auseinander. Der Psychologe und Traumatherapeut David Treleaven sagt, das sei unsere Fähigkeit zu entkommen, wenn wir nicht entkommen können.98 Ein innerer Schutzmechanismus, mit dem wir uns im Extremfall wie von außen betrachten können. Die Wunde wird ins Reich des Unbewussten verdrängt, schwelt unter der Oberfläche und blockiert das Fließen unserer Lebensenergie. Die Angst vor einem Unfall, vor Strafe, vor einem Gewaltverbrechen, vor Prügel oder Hunden, vor körperlichem und emotionalem Missbrauch bleibt ein Leben lang. Die Betroffenen sind nicht mehr frei in ihrer Entfaltung. Sie sehen die Welt durch die Brille des Traumas, das bewusst oder unbewusst ihre Entscheidungen und ihr Verhalten prägt. Viele Betroffene schämen sich und wollen mit niemandem teilen, welches Grauen sie erlebt haben. Sie lehnen ihr eigenes Trauma ab, empfinden es als Makel und können darüber depressiv werden. Andere werden drogenabhängig, oder die Wut über das, was sie erlebt haben, macht sie gewalttätig. Obwohl wir das Heilen von Wunden oft als selbstverständlich ansehen, verbirgt sich dahinter einer der komplexesten biologischen Prozesse des menschlichen Lebens. In einem Fachartikel über Kinderchirurgie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht genüge, die gebrochenen Knochen zu reparieren, sondern dass auch die gebrochenen Seelen und die gebrochenen Kinderherzen therapiert werden müssen.99 Und das trifft selbstverständlich auch für Erwachsene zu. Jedes Trauma-Zentrum für den körperlich verletzten Menschen sollte auch die verletzte Seele behandeln können. Sie brauchen Mitgefühl und seelische Unterstützung so dringend wie Blut. Einen integrativen Ansatz, der nicht nur Blut transfundiert, sondern auch Herzblut. Die professionelle Empathie von Traumatherapeuten und liebende Freunde. In einer Studie wurde gezeigt: Wenn bei erwachsenen Partnern einer körperlich verletzt und im Krankenhaus

war, führte ein »bemutterndes«, fürsorgliches Verhalten des jeweiligen anderen Partners dazu, dass die körperliche Wunde schneller heilte.100 Wenn sich Angehörige, Freunde oder Partner wie Lara also intensiv kümmern, steckt dahinter nicht spekulatives Wunschdenken, sondern ihr Verhalten hat einen nachweisbaren biologischen Effekt auf die Genesung.

Falle oder Vollbremsung? Das ursächliche Trauma muss nicht immer körperlich sein wie bei Hamid. Auch der umgekehrte Weg ist möglich. Ein Trauma der Seele macht unseren Leib und dessen Zellen krank. Verstörende Nachrichten gehen uns sprichwörtlich durch Mark und Bein. Allein mit einem Wort kann uns jemand einen Stich ins Herz versetzen. Es fühlt sich genauso an. Eine Beleidigung, ob gewollt oder nicht, einen Betrug, einen Verrat – jedenfalls wenn wir es so empfinden – können wir wie eine schwere Verletzung empfinden, als ob uns jemand die Eingeweide herausreißt, sodass wir vor Schmerz fast kotzen könnten. Der Schmerz ist körperlich, obwohl die Zellen äußerlich unversehrt bleiben. Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, verlassen werden oder übermenschlichen Kummer haben, fühlt es sich so an, als würde unser Herz brechen. Dafür hat sich der Ausdruck BrokenHeart-Syndrome eingebürgert, das gebrochene Herz. Erstmals wurde es 1990 von japanischen Herzspezialisten beschrieben.101 In der Bildgebung sahen sie bei den Betroffenen ein Herz, das sich vor Schmerzen verkrampfte und sich nicht mehr bewegen konnte. Es erinnerte an einen gefangenen Tintenfisch in einem Tongefäß, und so bezeichneten sie es als Tako-Tsubo-Syndrom, als Tintenfischfalle.102 So fühlt es sich für die Betroffenen oft auch an, als ob das Herz in der Falle sitzt, es gibt keinen Ausweg, Verzweiflung macht sich breit. Das Herz schmerzt fürchterlich, sie bekommen keine

Luft, die Symptome gleichen einem Herzinfarkt. Auch im Blut und im EKG finden sich typische Veränderungen. Doch bei der Durchleuchtung des Herzens, bei der Herzkatheteruntersuchung kommt die große Überraschung: Die Blutgefäße des Herzens sind offen und nicht wie bei einem Infarkt verengt, verkalkt oder verschlossen. Wie ist das möglich? Das war lange Zeit ein Rätsel und ist es teilweise immer noch. Mithilfe moderner bildgebender Verfahren wie der Magnetresonanztomographie wurde nachgewiesen, dass ein möglicher Auslöser für das Tako-Tsubo-Herz eine verminderte Mikrozirkulation in der Herzmuskulatur ist.103 Während die großen Blutgefäße offen bleiben und im Herzkatheter nichts zu sehen ist, kommt die Durchblutung in den allerkleinsten Blutgefäßen des Herzens, dort, wo das Leben stattfindet, in der Mikrozirkulation, zum Erliegen. In der Bildgebung mittels Herzkatheter bleibt unsichtbar, wie sie sich zusammenziehen und spastisch werden wie bei einem Krampf. Die Herzmuskelzellen erhalten in den betroffenen Bereichen zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe und stellen ihre Arbeit ein. Bereiche der linken oder auch beider Herzkammern104 sehen aus wie erstarrt. Englisch wird das fachsprachlich als stunned bezeichnet, das bedeutet betäubt oder benommen. Der Begriff wurde in Analogie zu Boxern eingeführt, die nach einem heftigen Schlag zu Boden gehen und sich nach einiger Zeit wieder erholen. Was hat das Herz nun auf die Bretter geschickt? Es ist das Schockhormon, das dazu beitrug, Hamids Leben zu retten, indem es seine Blutgefäße eng stellte und seinen NotfallKreislauf anpeitschte.

Adrenalin im Blut! Adrenalin wird auch bei seelischen Katastrophen ausgeschüttet. Werden diese geradezu als vernichtend empfunden, dann kann ein

regelrechter Adrenalin-Sturm aufziehen, der so mächtig ist, dass er die Mikrozirkulation am Herzen weitgehend abschnürt. Erschwerend kommt hinzu, dass Stress das Immunsystem aktiviert und Entzündungszellen in die Herzmuskulatur einwandern. Interessanterweise führt das Seelengewitter des gebrochenen Herzens nicht zum vollständigen und unwiederbringlichen Zelltod wie beim Herzinfarkt, sondern zieht in den meisten Fällen vorüber, und die Herzzellen erholen sich. Wie kann man dieses eigentümliche Verhalten des Herzens erklären? Von Tako-Ttsubo-Forschern wird heute diskutiert, ob das Herz bei einer Seelenkatastrophe versucht, sich selbst und »seinen« Menschen zu schützen. Toxische Dosen Adrenalin können nämlich ohne Weiteres zu tödlichem Kammerflimmern führen. Das Herz kann sogar zerreißen, die Patienten verbluten dann auf der Stelle. Um das zu verhindern, stellt das Herz über komplizierte Mechanismen die Adrenalin- und andere Rezeptoren auf maximal unempfindlich, und in der Folge bewegt sich die Herzkammer im Bereich der Herzspitze und der mittleren Abschnitte nicht mehr. Nur noch ein kleiner Rest an der Herzbasis arbeitet. Gerade so viel, dass es zum Überleben reicht, die Muskulatur nicht abstirbt und der Kreislauf nicht völlig zusammenbricht. Das Herz nimmt die Form eines aufgeblasenen Luftballons an, weshalb das Phänomen auch als Ballooning bezeichnet wird.105 Das Herz erstarrt also in einem Schutzreflex und wartet, bis die Gefahr, also der Adrenalin-Sturm, vorbeigezogen ist. In Krisensituationen haben wir, wie vorhin beschrieben, die Möglichkeit zu kämpfen, zu fliehen oder zu erstarren. Tiere, und der Mensch ist ein Tier, werden völlig still und unbeweglich, wenn sie weder angreifen noch fliehen können. So scheint es auch bei unserem Herzen zu sein. Tako-Tsubo ist meines Erachtens ein intelligenter Totstellreflex des Herzens, eine Freeze-Reaktion. Es hört für eine Weile

auf, den Schmerz zu fühlen, wie es auch Schwerstverletzte wie Hamid tun. Es dissoziiert mit der Seele vom Körper. Nach einigen Tagen, wenn der Sturm vorbei ist, setzt das Herz wieder Segel, und das Leben geht weiter. Der Mechanismus ist immer der gleiche: zu viel Adrenalin im Blut. Meistens sind es jedoch psycho-emotional empfundene Katastrophen, die zu einem Beinahe-Herzstillstand führen. Die zugrunde liegenden Ursachen sind so unterschiedlich wie das Leben und die Menschen selbst: wenn wir verlassen werden, nach Todesfällen, nach einem Wohnungs- und Ortswechsel, nach einer Scheidung, wenn wir ausgeraubt werden, wenn wir gemobbt werden und auch beim finanziellen Bankrott oder bei Naturkatastrophen, die unsere Lebensgrundlage zerstören. Auch scheinbar kleine Auslöser wie der Beginn der Rente oder Streitigkeiten mit dem Vermieter führen manchmal zu einem gebrochenen Herzen. Sogar wenn uns bei einem Autounfall oder Sturz kein Härchen gekrümmt wurde, kann der Schreck darüber unser Herz voll auf die Bremse treten lassen. Adrenalin ist nicht nur ein Stresshormon, sondern berauscht uns auch in Zeiten von Abenteuern und großem Glück. Und manchmal kann auch das mehr sein, als wir ertragen können. Der wenig bekannte Zwilling des Broken Heart Syndrome ist das Happy Heart Syndrome: Das Herz fällt in eine dissoziative Schockstarre bei Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, bei der Geburt eines Enkels, nach Lottogewinnen oder während Opernbesuchen.106 So viele psychische Gründe es für Tako-Tsubo geben kann, so viele körperliche gibt es auch, wenngleich das kaum bekannt ist. Hirnblutungen, Schlaganfälle, Lungenerkrankungen, eine Krebsdiagnose, Blutvergiftung, Magenblutung, Geburten, Knochenbrüche, Operationen und sogar Narkosen können ein TakoTsubo-Syndrom auslösen.

Folgendes ist wichtig zu verstehen: Das gebrochene Herz kann körperliche und seelische Ursachen haben. Freud und Leid liegen nirgendwo so eng zusammen wie im Herzen. Heute wissen wir, dass diese uralte Weisheit keine Metapher ist, sondern auf biologischer Evidenz basiert. Das Herz sitzt nicht nur in der Mitte unseres Körpers, sondern bildet auch die Schnittstelle von Körper, Seele und Blut und wird mitunter von allen Seiten unter Stress gesetzt. Ist es zu viel, dann hat es die wunderbare Fähigkeit, eine Vollbremsung hinzulegen, bevor wir ungebremst aus der Kurve des Lebens fliegen. In immerhin 10 Prozent der Fälle gelingt diese Vollbremsung zu spät oder die Bremskraft reicht nicht aus. Dann kommt es zu einem lebensbedrohlichen Herzschock, der Blutfluss zum Erliegen, und die Hälfte der Betroffenen verstirbt. Es kann dann erforderlich sein, dass Herzchirurgen künstliche Kreislaufunterstützungssysteme in das Herz implantieren müssen. Insgesamt liegt die Sterblichkeit in der Akutphase bei 3,7 Prozent und ist vergleichbar mit der beim Herzinfarkt (5,3 Prozent).107 Überdurchschnittlich schwer verläuft das Tako-Tsubo-Syndrom bei Männern unter 50 Jahren. Von ihnen versterben dreimal mehr als in der Gruppe von Frauen in der Menopause. Letztere stellen mit 90 Prozent der Betroffenen die überwiegende Mehrheit der Patienten. Wie kommt es zu dieser ungleichen Verteilung? Furchtbare Traumata der Seele und des Körpers, Trennungsschmerzen und Trauer erleiden viele Menschen in ihrem Leben, doch nicht alle Herzen zerbrechen daran. Wieso ist das so? Wir wissen darüber wenig. Es gibt ja auch Menschen, die brauchen Adrenalin in höchsten Dosen, um sich lebendig zu fühlen. Sogenannte Adrenalin-Junkies, zu denen viele Extremsportler gezählt werden, die sogar Entzugssymptome bekommen, wenn es nicht in ihren Adern rauscht.108 Für das gebrochene Herz besonders empfindlich und häufig

betroffen sind Menschen, die bereits an einer Depression (٢٠ Prozent) oder Angststörung (31 Prozent) leiden.109 Bei bis zu einem Drittel der Fälle bleibt die Ursache unklar. »Das Herz hat seine Geheimnisse, die der Verstand nicht kennt«, sagte der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal, und das scheint auch heute noch zuzutreffen.

Vollblutliebe Ich meine, ob Herzen brechen oder gesund bleiben, könnte auch an dem Quäntchen Liebe liegen, das wir im Blut haben, oder auch nicht. Die Rede ist vom Liebeshormon Oxytocin. Zahlreiche psychische Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie, Autismus oder Angststörungen wurden mit einer veränderten Oxytocinregulation in Verbindung gebracht.110 Das Liebeshormon spielt eine Rolle bei unserem Bindungsverhalten und ist beteiligt an diesem schönen Gefühl von Liebe. Wenn wir liebe und gute Freundschaften haben, ist es reichlich vorhanden. Auch wenn unsere Haut berührt wird, wenn wir kuscheln, wenn wir Tiere streicheln. Produziert wird es maßgeblich im Gehirn, aber auch im Herzen. Letzteres hat auch Rezeptoren dafür. In vielen Studien wurde gezeigt, wie das Liebeshormon eine schützende Wirkung für das Herz entfaltet. Selbst Infarkte fallen kleiner aus, weil es die Durchblutung verbessert.111 Hohe Oxytocinspiegel schützen uns vor Entzündungen, stärken das Immunsystem und unterstützen die probiotische Darmaktivität. Sie machen uns aber auch emotional flexibler und verhindern, dass wir vor Angst erstarren. Wir können in Stresssituationen gelassener bleiben, unsere Optionen abwägen und verhandeln. Eindeutig nachgewiesen wurde dieser Effekt des Oxytocins auch auf die Herzfrequenzvariabilität  – ein Maß für die Balance in unserem autonomen Nervensystem und die Kommunikation mit dem Gehirn.112 In meinem Buch Der Takt des

Lebens  – wieso das Herz unser wichtigstes Sinnesorgan ist habe ich mich ausführlich mit Störungen der Kommunikation von Herz, Seele und Gehirn auseinandergesetzt, der sogenannten neurokardialen Achse. Könnte also die Konzentration des Liebeshormons, die wir im Blut haben, den Unterschied machen, ob wir ein Broken Heart Syndrome überleben oder ob es im Schock erstarrt? Sonderbarerweise ist die Verbindung des gebrochenen Herzens zum Liebeshormon weitgehend unerforscht. Dabei wäre das doch völlig naheliegend. Es gibt nur Indizien. Bei Frauen in der Menopause nimmt man an, dass sinkende Östrogenspiegel im Blut mit einer verminderten Oxytocinproduktion einhergehen können und das Herz empfindlicher macht für Stress und Adrenalin. Auch scheint ein anderes Stresshormon, das Cortisol, die Ausschüttung des Liebeshormons erheblich zu beeinträchtigen.113 Das mag eine Rolle dabei spielen, dass Tako-Tsubo gerade bei Männern unter fünfzig häufig so katastrophal verläuft. In einem Experiment konnte gezeigt werden, dass der Anstieg von Cortisol bei gesunden Männern, die unter Stress gesetzt wurden, weniger steil war, wenn ihnen zuvor das Liebeshormon in die Nase gesprüht wurde.114 Ich kann mir vorstellen, Liebeshormon ist wie gute dunkle Schokolade, der in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen eine schützende Wirkung auf unser Herz- und Kreislaufsystem attestiert wurde.115 Sie hält das Blut flüssig und schützt vor Entzündungen. Ich empfehle daher eine tägliche Ration Vollblutliebe, um sich gegenüber den Attacken des Lebens resilienter zu machen. Schwere Traumata lassen sich freilich auch damit nicht vermeiden. Wenn sie einmal eintreten, sei es nun körperlich oder psychisch, können sie nicht nur zur Schockstarre des Herzens führen, sondern auch unser ganzes Leben gerät aus dem Takt. Die Behandlung auf rein körperlicher Ebene kann die Symptome verbessern, aber häufig nicht

heilen. Dazu müssen Patient und Arzt gemeinsam herausfinden, wo die Wunde in der Tiefe wurzelt. In Grimms Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren sitzt eine Kröte unter einem Stein am Grunde des Brunnens, aus dem früher Wein floss. Eine Metapher für Herz (Brunnen), Blut (Wasser) und Leben (Fließen). Und hier kommt die Chirurgie ins Spiel. Als Herzchirurg kann ich das Herz nicht ohne Blut betrachten, den Brunnen nicht ohne Wasser, das ihm entspringt, alles verbindet und das Leben erst ermöglicht. Die Kröte muss gefunden und freundlich entfernt werden. Beim Psychotrauma brauche ich dazu kein Skalpell, keinen Bypass, keinen Stent. Die Wunde muss im Lichte des Bewusstseins sichtbar gemacht werden. Sie muss in der Tiefe therapiert werden, an ihrer Quelle, dann passiert das Wunder der Heilung. An jenem Ort, wo die Kröte in der Seele sitzt, muss sie eröffnet werden. Ubi pus, ibi evacua, wo Eiter ist, muss man aufschneiden, ist einer der wichtigsten chirurgischen Leitsätze. Eitrige Wunden heilen sonst niemals.

Kriegsbemalung In meine Praxis kam einmal eine ältere Dame mit Namen Rosemarie, über 80 Jahre alt, wegen hohem Blutdruck und Vorhofflimmern: »Ich habe es nicht immer, aber wenn es mich befällt, gerate ich in Panik, meine Brust schnürt sich zu, und ich bekomme keine Luft«, sagte sie. Vorhofflimmern ist eine Rhythmusstörung, bei der sich die Vorhöfe nicht mehr rhythmisch und kräftig in Abfolge mit den Herzkammern kontrahieren, sondern bei der deren muskuläre Wände nur noch zittern. Das Blut wird nicht mehr harmonisch verwirbelt und nicht mehr aktiv in die Herzkammern weitergeleitet. In der Folge wird die Blutgerinnung aktiviert, und kleine Klümpchen können sich bilden wie bei einem schlecht umgerührten Teig. Sie können mit dem Blut ins Gehirn fließen und die Gefäße dort blockieren. Dann spricht man von einer Embolie. Auch Rosemarie hatte vor einiger Zeit knapp einen Schlaganfall überlebt. Dank der modernen Hightech-Medizin und eines schnellen Transports durch den Notarzt konnte das Gerinnsel aus ihrer Halsschlagader gezogen werden, bevor ihre Gehirnzellen abstarben. Seither musste sie Blutverdünner einnehmen und mehrere Medikamente zum Blutdrucksenken. »Außerdem habe ich Depressionen und schlafe seit Jahrzehnten schlecht.« Ich fragte, warum sie all diese Symptome habe, und da begann sie zu weinen. Das erlebe ich oft. Allein die Frage nach dem Warum schafft eine Verbindung zu ursächlichen Wunden, zu einem alten Schmerz und tiefer Traurigkeit. Aber es ist eine gefährliche Frage, wenn ein Arzt ein volles Wartezimmer hat. Denn für die Antwort braucht man fast immer viel Zeit. Ich nenne sie Herzzeit. Meistens ist es eine sehr lange Geschichte, die aber mit großer Sicherheit irgendwann auf den Grund des Brunnens führt.

Ausgeblutet Weihnachten 1944: Kurz vor der Kapitulation sei ihr Vater, ein einfacher Bauer, von der Wehrmacht eingezogen worden und wenige Tage später an Heiligabend gefallen. Rosemarie konnte mir jedes Detail erzählen, wie er aus dem Haus ging und den kleinen Berg bis zur Kirche hochmarschierte. Sie stand mit der Mutter, die den kleinen Bruder auf die Hüfte gesetzt trug, am Hoftor und schaute ihm nach, bis sich die Türen des Militärfahrzeugs schlossen, das ihn abholte. Eine Weile schrieb er Briefe, und dann sei »der Mann« gekommen, von dem alle hofften, er würde an ihrer Tür vorbeigehen. Schon von Weitem sahen sie ihn auf das Gehöft zukommen. Den Mann, den jeder kannte, weil er die Mitteilungen über gefallene Soldaten zustellte. In diesem Augenblick war es, als habe jemand Rosemarie das Herz herausgerissen. Der Schmerz war mehr, als ihr kleines Kinderherz ertragen konnte, und seitdem sei es nie wieder geheilt. »Seit diesem Tag blutet mein Herz«, sagte sie. Zeit und Raum für Trauer habe es nicht gegeben. Die Mutter biss die Zähne zusammen, sie musste Haus und Hof, Kühe, Schweine, Hühner und Kinder durchbringen. In dieser Reihenfolge. Sie tat ihr Bestes, doch hatte sie keine Zeit für ihre eigene oder die zerbrochene Seele ihrer kleinen Tochter. Niemand habe ihr Schutz gegeben, erzählte mir meine Patientin. Wenn Angriffe von Tieffliegern angekündigt waren, holten andere Mütter ihre Kinder schleunigst mit dem Fahrrad ab. Rosemarie lag alleine im Straßengraben und zitterte. So wie heute, Jahrzehnte später, ihre Vorhöfe. Manchmal habe sie ihre Großmutter besucht, bei ihr gab es ein bisschen Wärme. Es war nicht viel, aber es reichte zum Überleben und Großwerden. Ein Kriegsheimkehrer aus dem Nachbardorf erzählte Rosemarie später, wie ihr Vater im Elsass gestorben war. Eine Granate hatte ihm den Arm direkt an der Schulter

abgerissen, die ganze Truppe war Hals über Kopf geflüchtet. Ihr Vater habe seinen Kameraden zugerufen: »Nehmt mich mit, lasst mich nicht liegen!« Das hätten sie getan, ihn irgendwie mitgeschleppt, doch er sei unterwegs verblutet. Seit vielen Jahrzehnten sah Rosemarie diese Szene vor ihrem inneren Auge, als sei sie dabei gewesen. Ihre Mutter hatte später wieder geheiratet, damit ein Mann auf dem Hof war, und der war »wie der Leibhaftige, die Hölle auf Erden. Ich hatte ständige Angst vor den Bomben und den Russen, aber schlimmer noch war er. Immer und immer wieder tauchen heute noch schreckliche Erinnerungen in mir auf. Es ist wie ein Fluch.«

Misshandelt Kinder mit belastenden Kindheitserlebnissen, die also körperlich, psychisch oder sexuell misshandelt und vernachlässigt werden, die in ständiger Angst leben, deren Familienangehörige psychisch krank sind, die mit Alkohol- oder Drogenabhängigen oder in anderweitig zerrütteten Familienverhältnissen leben, haben ein hohes Risiko, in ihrem späteren Leben psychisch und körperlich zu erkranken: HerzKreislauf-Störungen, Krebs, Angststörungen und Depressionen, Schlafstörungen, risikoreiches Verhalten und eine erhöhte Selbstmordrate können die Folgen sein.116 2009 erschien dazu eine Studie mit über 17 000 Teilnehmern mit traumatischen Kindheitserfahrungen, die über zehn Jahre lang beobachtet wurden. Gab es eine hohe Anzahl schwerer Misshandlungen in der Kindheit, führte dies dreimal häufiger zu vorzeitigem Tod unter 75 Jahren, und die Betroffenen starben im Durchschnitt 20 Jahre früher als bei relativ weniger gravierenden, negativen Kindheitserlebnissen.117 Die Ursachen stehen nicht auf dem Totenschein. Sie sind so unsichtbar wie das Trauma der Seele. Aber der Körper vergisst nichts. Zum Beispiel kann sich unser Immunsystem ein Leben lang daran erinnern, dass wir

einmal Mumps hatten oder dagegen geimpft wurden. Auch wenn wir selbst uns nicht mehr an unsere Kinderkrankheiten erinnern können, unser Immunsystem weiß es. Und so verhält es sich auch bei Wunden der Seele, die in unseren Geweben gespeichert sind. Nicht nur Verletzungen des Körpers, auch die der Psyche aktivieren das Immunsystem, und wenn es die Wunde nicht heilen kann, richtet es sich häufig gegen uns selbst. In einer epidemiologischen, prospektiven Längsschnittstudie (publiziert 2007) wurden 1000 misshandelte Kinder 32 Jahre lang beobachtet. Drei Jahrzehnte später fanden sich erhöhte Entzündungswerte, sichtbar an den weißen Blutkörperchen und dem hochsensitiven C-reaktiven Protein (hsCRP).118 Es ist ein Protein, das bei der Bekämpfung von Krankheitserregern und erkrankten körpereigenen Zellen eine zentrale Rolle spielt. Die Autoren gehen aufgrund ihrer statistischen Analysen davon aus, dass bei 10 Prozent der Bevölkerung mit erhöhtem hsCRP die Ursache Kindheitstraumata sind. Das hsCRP gilt als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Vorhofflimmern. Aber auch Autoimmunerkrankungen können die Folge sein, wie eine weitere Studie besagt.119 Von 15 000 Teilnehmern berichteten 64 Prozent der Fälle über Traumata in der Kindheit. Jahrzehnte später gehen sie einher mit Herzmuskelentzündungen, neurologischen Erkrankungen wie Myasthenie (Muskelschwäche), Gelenkerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, oder sie bilden Autoantikörper, welche die eigenen roten Blutkörperchen und Blutplättchen zerstören. Blutarmut (autoimmunhämolytische Anämie) und Blutungsneigung (thrombozytopenische Purpura) sind die Folge. Die Seele blutet nicht nur sinnbildlich. Die genannten Erkrankungen sind nur einige wenige Beispiele einer langen Liste, die auch Darmerkrankungen (Reizdarmsyndrom), Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis),

Bindegewebserkrankungen (Sklerodermie, Lupus Erythematodes) und insulinabhängigen Diabetes mit einschließt. Je ausgeprägter die negativen Kindheitserfahrungen waren, desto wahrscheinlicher wurde das Auftreten einer Autoimmunerkrankung. Die meisten dieser Erkrankungen tragen den Zusatz idiopathisch. Er bedeutet nichts anderes als »Ursache unbekannt«. Denn lange Zeit konnten sich Ärzte und Wissenschaftler deren Entstehung nicht erklären, es war ein Rätsel. Heute wissen wir: Die Ursachen basieren nicht selten auf chronischen Entzündungen, die auch als stille Entzündungen bezeichnet werden und die auf Verletzungen des Körpers und der Seele in der Kindheit hinweisen können. Neueste Forschungsergebnisse zeigen uns eindrücklich, dass das Trauma der Seele seine Spuren nicht nur im Immunsystem hinterlässt, sondern auch einen ganz spezifischen Fingerabdruck im Blut, ein komplexes Muster an Veränderungen. In einer Studie wurden 105 gesunde junge Mütter untersucht, und anhand ihrer Blutwerte konnten die Forscher mit fast 90-prozentiger Treffsicherheit bestimmen, ob die Frauen in ihrer Kindheit körperlich oder psychisch misshandelt wurden.120 Bei 59 der 105 war das der Fall. Oberflächlich waren die Wunden verheilt, ihr Blut aber erinnerte sich. Die Misshandlung ist ihnen tatsächlich in Mark und Bein übergegangen. Der biochemische Fingerabdruck bestand aus einer bestimmten Mischung acht verschiedener Stoffwechselprodukte (Metabolite), die in Zusammenhang mit dem Energiestoffwechsel, Entzündungen und oxidativem Stress stehen. Unter Letzterem versteht man, dass bei dauerhaftem Stress der Seele in unserem Körper vermehrt freie Sauerstoff-Radikale gebildet werden, die alle möglichen Körperzellen angreifen können. Es ist die bisher einzige Studie dieser Art und ein Forschungsprojekt. Selbst wenn es den Betroffenen gelingt, die

furchtbaren Geschehnisse, wie auch immer sie ausgeprägt gewesen sein mögen, zu verdrängen, ihr Blut vergisst nichts. Auch die Weichen für einen hohen Blutdruck werden in der Kindheit gestellt. Eindeutig wurde nachgewiesen, dass, wer früh adipös ist, ein hohes Risiko hat, später an Hypertonie zu erkranken.121 Unter Adipositas leidet in Deutschland jedes fünfte Kind. Es ist eine Epidemie! Dessen unbenommen werden immer noch 85 Prozent der Fälle von hohem Blutdruck als idiopathische oder auch essenzielle Hypertonie bezeichnet. Nicht weil er so wichtig ist, wie das Wort »essenziell« vielleicht annehmen ließe, sondern weil er bisher keine erkennbare Ursache hatte. Doch es ist nur ein Puzzleteil von mehreren, die in der modernen Medizin allmählich ein ganz neues Bild von Trauma, Körper und Seele entstehen lassen. Die Gründe für die Entstehung von Krankheiten sind vielfältig und komplex. Doch es gibt eine große und wachsende wissenschaftliche Evidenz, dass eine toxische Kindheit in unsicheren und lieblosen Verhältnissen, auch in Armut, das Leben und die Gesundheit dramatisch verändern können.122 Es wird nicht ausreichen, die Grenzwerte für den »normalen« Blutdruck  – wie seit Jahrzehnten  – immer weiter zu senken und die Pharmaindustrie immer reicher zu machen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder in Frieden und in stabilen und nicht-traumatischen sozialen und familiären Verhältnissen aufwachsen.

»Hoaraboxa« Auch Vorhofflimmern hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Volkskrankheit entwickelt. Es lässt das Blut in den Adern gerinnen, oft erst Jahrzehnte nach dem auslösenden Trauma. 60 Millionen Menschen waren 2019 davon betroffen. Bei 80 Prozent der Patienten

unter 50 Jahren ist Vorhofflimmern »idiopathisch«. Oder vielleicht doch nicht? Eine aktuelle Studie untersuchte 1 Million ehemalige Militärangehörige im Alter von durchschnittlich dreißig Jahren über einen Zeitraum von ١٣ Jahren. Diejenigen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) hatten im Vergleich zu denjenigen ohne PTBS ein 13 Prozent höheres Risiko für Vorhofflimmern bereits in jungen Jahren und eine höhere Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkte, Herzschwäche, Diabetes, obstruktive Lungenerkrankungen (Asthma, COPD) und Depressionen.123 Damit einhergehend nahmen sie deutlich mehr Medikamente gegen hohen Blutdruck und Depressionen. Als PTBS bezeichnet man eine verzögerte Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis, wie sie bei Unfällen, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen und Krieg auftreten kann. Es ist an dieser Stelle wichtig zu verstehen, dass die PTBS keineswegs nur ehemalige Soldaten betrifft, sondern dass sie ganz generell nach einer Vielzahl von traumatischen Erfahrungen in der Kindheit und auch im Erwachsenenalter auftreten kann. Es ist die Kriegsbemalung der Seele. Bereits während meines Studiums in den USA betreute ich in einem der zahllosen Veteran Affairs Hospitals, also Kliniken für ehemalige Soldaten und Kriegsheimkehrer, meine ersten Patienten mit PTBS. Zu meiner Zeit handelte es sich dabei überwiegend um Überlebende des Beirut Barack Bombing 1983. Dabei löste ein Anschlag mit einer 6000-Kilogramm-Bombe die größte nicht-atomare Explosion nach dem Zweiten Weltkrieg aus und riss Hunderte von Menschen in den Tod. Die Symptome meiner Patienten zeigten sich in unkontrollierbaren Ängsten, Albträumen, Herzrasen und Schmerzen. Immer wieder sahen sie das erlebte Grauen vor sich. Diese sogenannten Flashbacks gingen einher mit Gefühlen wie Panik und Schutzlosigkeit. Mehr als die Hälfte der Patienten waren schwere

Alkoholiker, an Leib und Seele angeschlagen. Oft kamen sie wegen Schmerzen ins Krankenhaus. Wenn ich sie fragte, wo genau es weh tat, war die Antwort meistens »general body pain«, also überall. Dass damit auch die Seele gemeint sein könnte, wusste ich damals nicht. Heute würde ich sagen, dass ich damals maßlos überfordert war mit diesen Kriegsopfern. So ging es auch vielen meiner erfahreneren ärztlichen Kollegen. Trauma-Psychotherapie war damals wenig verbreitet, und selbst alle Therapeuten des Landes hätten wohl nicht ausgereicht, um diese gefallenen Seelen zu behandeln. So war es am einfachsten und billigsten, wenn sie ruhiggestellt wurden. Behandelt wurden sie daher weitgehend uniform mit Tranquilizern und Schmerzmitteln. Sie waren süchtig nach den Opiaten und Benzodiazepinen, die ihnen großzügig verordnet wurden. Die meisten Soldaten mit PTBS haben bis heute unter Stigmatisierung zu leiden. Ihre schwersten psychischen Traumata passen nicht zu der Vorstellung von Kämpfern, die heldenhaft, mutig, entschlossen und mit Freude im Herzen für das Vaterland kämpfen. Vielen wird unterstellt, sie würden simulieren, um sich der Front zu entziehen, sie seien Feiglinge oder wollten eine Kompensationszahlung erwirken. Und noch immer versuchen Militärs, die angebliche Spreu vom Weizen zu trennen und scheuen dabei keinen Aufwand. 2020 wurde eine Studie publiziert, die bei 83 Kriegsveteranen mit PTBS jeweils über 1 Million Parameter fast sämtlicher Körperfunktionen und Zellen analysierte.124 Als Kontrollgruppe dienten 82 Kriegsveteranen, die nicht an PTBS litten. Mithilfe künstlicher Intelligenz konnten die Forscher 28 Biomarker destillieren, anhand derer sich eine PTBS mit einer Treffsicherheit von 77 Prozent diagnostizieren lässt. 27 Biomarker waren im Blut, und einer treibt das Blut an: die Herzfrequenz. Sie war immer erhöht, ein untrügliches Zeichen für die Herzwunde.

Rosemarie, die ich Jahrzehnte später behandelte, war nicht beim Militär, sondern ein Opfer des Kriegs. Eine posttraumatische Belastungsstörung hatte sie in jedem Falle. Ihr Leben kam nie wieder in Fluss. »Als die Mitteilung vom Tod meines Vaters uns erreichte, bin ich aus dem Paradies gefallen«, sagte mir Rosemarie. Sie sei wie eins gewesen mit dem Vater, niemanden habe sie je so geliebt. Ich fragte, was ihre schönste Erinnerung an den Vater sei, und sie antwortete: »Hoaraboxa.« Ein schwäbisches Wort für »Hörner stoßen«, also die Stirnen aneinander reiben, eine Form bäuerlicher Zärtlichkeit. Das hätten sie jeden Abend gemacht. Zweimal war Rosemarie auf dem Soldatenfriedhof im Elsass gewesen, aber es ging immer alles viel zu schnell. Endlos lange dauerte es, bis sie sein Grab gefunden hatte. Es zu finden unter den Tausenden Kreuzen, die alle gleich aussahen, sei nicht leicht gewesen. Als sie endlich davorstand, musste sie schon wieder zurück zum wartenden Reisebus. Ich fragte sie, was sie brauchen würde, um ihre Trauer, ihren Schmerz, ihren Verlust zu überwinden? Sie zuckte mit den Schultern. »Dann schauen wir uns jetzt einmal ihr Herz gemeinsam an«, schlug ich vor. Beim Herzultraschall, einer Echokardiographie, sah ich gut arbeitende Herzkammern. Die Herzklappen bewegten sich zart wie Schmetterlingsflügel im antreibenden Wind des Blutstroms. Doch die Vorhöfe schlugen nicht in feiner Abstimmung im Wechseltakt mit den Herzkammern, sondern standen funktionell still. Der geordnete Fluss ihrer elektrischen Erregung war aus dem Takt. Ich erklärte Rosemarie den sehr schön sichtbaren Blutfluss in roten und blauen Farben durch ihr Herz und die abhandengekommene Verbindung der Vorhöfe zum Rest des Herzens, ihr schlaffes Flimmern. Rosemarie seufzte. »Das verstehe ich alles nicht, Herr Doktor«, war ihr Kommentar dazu, »das ist so kompliziert, dafür bin ich zu alt.«

Einer Eingebung folgend fragte ich sie: »Was würde Ihr Herz sagen, wenn es sprechen könnte?« Da begannen ihre Augen zu leuchten, und die Antwort kam prompt: »Ich möchte noch einmal ganz viel Zeit mit dem Vater verbringen. Ich möchte mich mit ihm unterhalten und ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe und vermisse und  … ich möchte Hoaraboxa mit ihm machen«, antwortete sie mir. Und genau das tat sie dann auch, wie sie mir beim nächsten Besuch erzählte: »Ich bin nochmals zum Soldatenfriedhof gefahren, diesmal mit mehr Zeit. Ich habe mich ins Gras gekniet und meine Stirn an der Erde seines Grabes gerieben.« Über die Zeit wurden Rosemaries Depressionen besser. Ihre Rhythmusstörungen verschwanden nicht vollständig, aber mit Atemund Entspannungsübungen wurden sie seltener und für sie erträglicher. Vorhofflimmern ist in vielen Fällen kein mechanisch-rhythmisches Problem des Herzens alleine, sondern eine Erkrankung der Seele.125 Wie das nun wiederum auf die körperliche Ebene wirkt, darüber gibt es verschiedene Theorien, von denen eine für mich sehr plausibel Folgendes besagt: Wenn bei einem schockierenden Ereignis im autonomen Nervensystem Gaspedal und Bremse gleichzeitig gedrückt werden, also sowohl das sympathische als auch das parasympathische Nervensystem aktiviert werden und Reflexe zur Flucht, zum Kampf und zum Erstarren gleichzeitig ablaufen, wenn also der eine den anderen hemmt, haut das irgendwann auch den stärksten Vorhof aus dem Takt.126 Dann bleibt nur noch Zittern. Als ob wir in einem Auto unaufhörlich Gas geben und bremsen, so als ob wir nicht wissen, ob wir fahren sollen oder bleiben. Es ist eine zutiefst konflikthafte Situation, in der die Betroffenen weder fliehen noch kämpfen noch sich tot stellen und erstarren können. Die Betroffenen erleben einen Albtraum, eine verzweifelte Situation, die die Grundfesten von Körper

und Psyche erschüttert. Und diese Reaktion des Körpers ist keineswegs neu, sondern uralt.

Wenn das Blut in den Adern gerinnt Vielleicht finden Sie diese schauerlichen Berichte über Mord und Totschlag, Blut und Geld auch ziemlich gruselig, und es geht Ihnen wie dem Krieger Äneas, der während seiner odysseischen Irrfahrten allerhand blutiges Grauen erlebte? »Kalter Schauder durchbebt mein Gebein; vor Entsetzen und Grauen starrt mir das Blut in den Adern.«127 Das sind die Worte, die der Dichter Vergil seinem Helden Äneas vor über 2000 Jahren in den Mund legte. Ist das nur eine althergebrachte Redewendung, oder ist es wirklich so? Kann uns das Blut vor Schreck in den Adern erstarren? Dieser Frage stellten sich 2015 zwei junge Wissenschaftler von der Universität Leiden in Holland.128 Um sie zu beantworten, teilten sie 24 gesunde junge Menschen in zwei Gruppen auf. Der einen wurde zunächst ein langweiliger Dokumentarfilm und danach der Horrorfilm Insidious (englisch für heimtückisch) vorgespielt. In der zweiten Gruppe war die Reihenfolge der Filme umgekehrt. In Fragebögen mussten die Teilnehmer zunächst beantworten, wie gruselig sie die Filme fanden. Der Gruselfilm punktete auf der »Horror-Skala« deutlich höher, und damit war klar, dass er die gewünschte emotionale Wirkung hatte. Doch nicht nur das! Zur Verblüffung der Fachwelt fuhr der Schrecken auch ins Blut, und dessen Gerinnung wurde aktiviert. Die Konzentration des Gerinnungsfaktors VIII stieg merklich an. Er fehlt bei Patienten, die an der Bluterkrankheit leiden, und ist erhöht bei Thrombosen, also Blutgerinnseln. Nun mögen Sie sich fragen, wieso Gruselfilme die Gerinnung aktivieren. Harte Filme, die zum Fürchten sind, erleben wir als sehr real, und unser Körper reagiert. Wir bekommen eine Gänsehaut,

zucken zusammen, klammern uns im Kino an unseren Sitznachbarn und kreischen vor Schreck. Unsere Zellen gehen spätestens jetzt davon aus, dass wir jederzeit verletzt werden könnten, und kurbeln schon mal die Blutgerinnung an. Dann sinkt die Gefahr, bei einer tatsächlichen Verletzung lebensbedrohlich zu bluten. Das bestätigte auch eine zweite Studie, in der gezeigt wurde, dass der Horrorfilm »Grave Encounters 2« sogar direkt unsere Blutplättchen aktiviert. Und die sind es, die im Notfall als Erste zusammenkleben müssen, um eine Verletzung zu verschließen. Gibt es keine Verletzung, dann zirkulieren diese Gerinnungsfaktoren im Blut und begünstigen die Bildung von Gerinnseln im Herzen – ein Herzinfarkt kann drohen.129

Blut und Spiele Auch das Anschauen eines Fußballspiels kann der blanke Horror sein und zu einem kollektiven Herzinfarkt führen. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 wurden während der Spiele der deutschen Mannschaft insgesamt fast dreimal mehr Patienten mit Herzattacken in die Notaufnahmen im Großraum München eingeliefert. Das berichtetet eine Münchener Forschergruppe zwei Jahre später, 2008, im angesehenen New England Journal of Medicine.130 Am meisten Notfälle wurden bei den Viertel- und Halbfinalspielen der deutschen Mannschaft gegen Argentinien und Italien gezählt. Überwiegend litten die Patienten an einem Engegefühl in der Brust mit Schmerzen. Es wurden aber auch schwere Herzinfarkte diagnostiziert. Nicht wenige hatten Rhythmusstörungen mit Herzrasen und Stolpern. Viermal häufiger waren jene betroffen, die bereits eine koronare Herzerkrankung hatten. Corona ist das lateinische Wort für Kranz oder Krone. Die Koronararterien des Herzens umkränzen gut sichtbar seine Muskulatur und erhielten deshalb von den alten Anatomen diese treffende Bezeichnung. Sie sind

sozusagen die Benzinleitungen im Motor des Lebens. Versiegt ihr Fluss aufgrund einer Engstelle oder Verstopfung, stirbt er ab. Ist es noch nicht ganz so schlimm, beginnt er zu stottern. Merkwürdigerweise betraf das auch die Herzen von Fußballfans, die bis dahin unauffällig waren, bei denen also keine koronare Herzerkrankung bekannt war. In dieser Gruppe waren es immerhin doppelt so viele Notfälle wie üblich. Damit wurde ein weiterer Beweis vorgelegt, dass Stress Herzinfarkte auslösen kann. Für diese Art von Erkrankung sind über zwanzig Risikofaktoren bekannt wie hohe Blutfette, hoher Blutdruck, Nierenerkrankungen, Diabetes etc. Eine der großen ungeklärten Fragen in der Medizin ist: Wie können so unterschiedliche Vorerkrankungen alle in eine identische Erkrankung des Herzens münden? Ein weiteres Puzzleteil zur Beantwortung dieser Frage wurde ganz aktuell gefunden.131 Eine Aktivierung des Stresszentrums in unserem Gehirn, der Amygdala, führt zu einer vermehrten Produktion von Entzündungszellen im Knochenmark. Es könnte ja sein, dass wir körperlich verletzt werden und unser Immunsystem brauchen. Doch selbst wenn das nicht der Fall ist, entzünden sich die Blutgefäße trotzdem und die Blutgerinnung in unseren Koronararterien wird aktiviert. Es ist also wichtig, dass wir emotional flexibel bleiben und unsere Amygdala nicht andauernd in Gefechtszustand versetzen. Sonst könnte aus Spaß schnell bitterer Ernst werden, zum Beispiel wenn ein Fußballspiel zum Eigentor für unser Herz wird und wir statt auf der Siegesfeier in der Klinik landen und als Notfall operiert werden müssen.132 Was wiederum viel Spenderblut erfordern würde. Ganz ungeahnte Aktualität erfuhr die Verbindung von Fußball und Blut durch die Weltmeisterschaft in Katar. Sie wurden auch als Blutspiele bezeichnet, weil beim Bau der Stadien nach Berichten von Amnesty

International Tausende von Arbeitsmigranten unter unklaren Umständen sozusagen ihr Blut vergossen. Soldaten des Fußballs.

Die Chirurgie der Seele Dass heimkehrende Soldaten an Herzrasen, Schmerzen in der Brust, Schweißausbrüchen und Kurzatmigkeit litten, wurde bereits im amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) beobachtet und von dem Chirurgen Jacob Mendes Da Costa beschrieben. Heute kennen wir es als Costa-Syndrom.133 Während des Ersten Weltkriegs bürgerten sich dafür landläufig die Bezeichnungen »Soldatenherz« oder »Granatenfieber« ein. Doch nicht nur das Herz schlug im Granatenfeuer Alarm, manche Soldaten bekamen unerklärliche Lähmungen, Panikanfälle oder verstummten für immer. Viele litten an unkontrollierbarem Zittern, deshalb wurden sie auch als »Kriegszitterer« bezeichnet. Sie zitterten wie die Vorhöfe mancher meiner Patienten und waren ebenso unfähig, ihre Aufgaben zu verrichten. Von der Militärführung, aber auch von Ärzten wurden diese Symptome als Zeichen von Feigheit oder Verweichlichung gedeutet, denn organische Ursachen waren zunächst nicht zu finden. Diejenigen, die in Panik keinen Ausweg mehr sahen als abzuhauen, wurden der Fahnenflucht bezichtigt und an Ort und Stelle erschossen. Wenn man der aktuellen Berichterstattung über den Ukrainekrieg glauben darf, hat sich daran nichts geändert. Die anderen, die aus Furcht erstarrten und nicht mehr rennen konnten, erhielten keine Traumatherapie, sondern traumatische Behandlungen. Folter, Isolation, Röntgenstrahlen und sogar Elektroschocks wurden eingesetzt, um ihren angeblichen Mangel an Patriotismus auszutreiben und die Soldaten wieder fit zu machen für die Front. Mehr Mitgefühl und tatsächliche medizinische Hilfe erfuhren jene, die zusätzlich körperlich versehrt waren. Nicht selten war es das Herz, und wie schon berichtet, vollbrachte der Chirurg Dwight Harken

wahre Wunder an den blutenden Herzen. Doch nicht nur frisch verletzte, ausblutende Soldaten mit katastrophalen Herzwunden kamen zu ihm, sondern auch Kämpfer, die sich kleine Granatsplitter aus dem Herzen entfernen lassen wollten. Solche, die sie längst überlebt hatten, die nicht mehr bluteten und schon verheilt waren. Sie hatten also keine akuten Gesundheitsprobleme, die das damals extrem hohe Risiko einer Herzoperation gerechtfertigt hätten. Doch die Männer hatten eine lähmende Angst vor dem fremden Stück Metall in ihrer Brust. Es war die Vorstellung, die Granatsplitter könnten in ihrem Körper auf Reisen gehen  – mit tödlichen Folgen. Sie flehten Harken an, die Metallstücke zu entfernen. Er bezeichnete dieses Verhalten als Herzneurose, versuchte es in einigen Fällen aber trotzdem, auch wenn ihm klar war, dass ein solcher Eingriff nur dem Seelenheil des Verwundeten diente und nicht dessen Körper. Im Gegenteil, das Sterberisiko bei diesen Eingriffen, vor Erfindung der Herz-Lungen-Maschine, war hoch.134 Ich glaube, Harken verstand schon damals, dass es in Wahrheit um die Chirurgie der Seele ging. Die psychisch Verwundeten wollten, dass er den Schrecken, der als körperliches Trauma in ihnen steckte, aus ihrer Seele herausoperierte.

Das Gedächtnis des Traumas Die Biographie der Gewalt gräbt sich tief in unseren Körper ein und verändert auf epigenetischen Pfaden unsere DNA. Schlimmer noch, sie vererbt sich auch in die Zellen unserer Nachkommen, wie 2017 publiziert wurde.135 Durch ganz einfache Abstriche des Mundspeichels wurde gezeigt, wie sich Gewalterfahrungen von Großmüttern während der Schwangerschaft via DNA-Methylierung selbst noch auf das Genom der Enkel auswirken. Verändert waren auch DNA-Abschnitte, die eine Rolle bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielen. Ob die Enkel dadurch selbst krankheitsanfälliger sind, psychisch auffällig oder

vermehrt gewaltbereit werden, kann man daraus noch nicht mit Sicherheit ableiten. Ein Grundstein könnte aber gelegt sein. Ein Krieg verwundet eine ganze Bevölkerung, ein ganzes Land. Wir sprechen hier von einem kollektiven Trauma. Gewalterfahrungen führen wieder zu Gewalt, und auch wenn Kriege längst vorbei sind, vererbt sich das Generationentrauma der Gewalt weiter. Kinder traumatisierter Eltern wachsen häufig mit körperlichen und emotionalen Gewalterfahrungen auf. Und die vererben sie wiederum an ihre Kinder und Enkel weiter.136 Man spricht in diesen Fällen von einem transgenerationalen Trauma. Häufig hört die familiäre Gewalt erst in der dritten Generation auf. Laut WHO haben ٧٠ Prozent aller Erwachsenen auf der Welt eine traumatische Episode in ihrem Leben erfahren.137 Keineswegs sind nur die Opfer von Gewalt traumatisiert, auch der Anblick von Opfern kann die Seele in tausend Splitter zerfallen lassen. Das ist nicht nur im Krieg so, sondern auch in Notfallambulanzen. Im Rettungsdienst, bei Polizei und Feuerwehr sind Menschen täglich Szenarien von unvorstellbarer Grausamkeit und Gewalt ausgesetzt. Häufig sind sie Zeugen des letzten Atemzuges eines leidvoll zu Ende gehenden Lebens. Die Biologie des Traumas hinterlässt ihre Fingerabdrücke im Blut dieser Menschen. Sie können bereits heute in Forschungsprojekten und in Zukunft durch routinemäßige Tests objektiv quantifiziert werden. Es ist zu hoffen, dass solche Traumatests im Labor nicht missbraucht werden. Zum Beispiel, um unsere Vergangenheit zu durchleuchten und festzustellen, ob wir »einen Schaden haben« und daher möglicherweise krankheitsanfälliger oder weniger anpassungs- oder leistungsfähig sind. Traumatests sollten vielmehr dazu beitragen, Traumaopfer besser zu identifizieren und vor Stigmatisierung und Vorurteilen zu schützen. Ihnen gegebenenfalls auch Entschädigungen

zukommen zu lassen. Sie können die Betroffenen dabei unterstützen, die verborgenen Wunden aufzudecken und sie einer angemessenen, angstfreien Behandlung zuzuführen. Damit sie heilen können.

Wundheilung Die Geschichte der Chirurgie ist eine Geschichte der Wundheilung. Traumachirurgie vermag Großartiges zu leisten, und ein Chirurg muss in erster Linie ein exquisiter Mechaniker des Lebens sein. Doch Chirurgie ist auch Heilkunst. Handwerk alleine reicht nicht. Ein guter Arzt sollte beide Arten von Verletzungen kennen, er muss Sorge dafür tragen, dass er nicht nur Fleisch und Blut in einer Operation miteinander verbindet, sondern im Weiteren auch die fragmentierte Seele wieder integriert werden kann. Der modernen Reparaturmedizin ist dieses integrative Wissen, das multiple Bereiche der Medizin miteinander verbindet, weitgehend abhandengekommen. Traumatologie flickt gemeinhin den Menschen zusammen, Traumatherapie die Seele. Fertig! Beide Fächer liegen an weit entfernten Ecken der schulmedizinischen Welt. Erst allmählich beginnen wir zu begreifen, dass sie viel mehr miteinander zu tun haben, als man glaubte. Es braucht eine Verbindung dieser beiden Fächer. Dafür plädiert auch mein in den Niederlanden praktizierender Kollege, der Herzchirurg Dr. Ehsan Natour. In seinem Buch Wenn das Leben stillsteht beschreibt er eindrucksvoll, dass Herzoperationen weniger Komplikationen aufweisen, wenn die Patienten Vertrauen zu ihrem Operateur haben.138 Das heißt, dass sie vor dem Eingriff mit ihm gesprochen haben, was leider nicht immer der Fall ist. Ehsan Natour holt seine Patienten persönlich aus ihren Zimmern ab und fährt sie durchaus auch mal händchenhaltend in den OP. Er hat die Erfahrung gemacht, dass sich das Herz dann während der OP kooperativer zeigt, ja, das Gewebe sich leichter öffnet.

In vielen Jahren Chirurgie habe ich gelernt, dass man sich um Wunden kümmern muss. Deshalb ist der tägliche Verbandswechsel auch Pflicht auf jeder herzchirurgischen Station. Zuwendung, die guttut. In unserer Fixierung auf die Machbarkeit an vielen Kliniken wird leider übersehen, dass es nicht nur eine Krankheit gibt, sondern eben auch einen kranken Menschen, und dieser kranke Mensch braucht Fürsorge und Zeit, um wieder Kraft zu schöpfen und gesund zu werden. Eine goldene Periode, in der das noch am besten möglich ist, gibt es meines Erachtens auch für den psychischen Schock. Wird sie verpasst, geht er uns in Fleisch und Blut über, und vielfältige weitere Erkrankungen können daraus resultieren. Doch eines ist allen Traumatisierten gemeinsam: Die Betroffenen haben große Angst davor, die ursächliche Wunde zu berühren, und meiden bewusst oder unbewusst die auslösende Trigger-Situation und alles, was danach aussieht, was sie daran erinnert, was sich so ähnlich anfühlt, so ähnlich anhört. Häufig datieren die Traumata aus unserer Kindheit und Jugend. Und auch wenn wir nun erwachsen sind: Die traumatisierte Seele der Kindheit und Jugend steckt in uns fest. So war es auch bei dem weltbekannten Kinderbuchschriftsteller Otfried Preußler, dem Autor von Der Räuber Hotzenplotz und Die kleine Hexe. In seinem Roman Krabat setzt er sich mit den Mächten des Bösen auseinander und verarbeitet seine eigenen traumatischen Kriegserlebnisse als junger Mann. Ein Blick in seinen aktuell veröffentlichten Nachlass legt offen, dass er mehr als zehn Jahre damit gerungen hat, und mit über fünfzig Jahren schreibt er dazu: »Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, der sich mit finsteren Mächten einlässt, von denen er fasziniert ist, bis er erkennt, worauf er sich eingelassen hat. Es ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation … Vieles von dem, was ich sehe und

erlebe, wovon ich erzähle, bleibt mir im Grunde genommen selbst ein Rätsel. Ein Rätsel das ich mit dem Verstand nicht lösen kann ...«139 Aber der Körper kann die Geschichte erzählen, denn das Trauma ist in ihm gespeichert. Ein Therapieverfahren, das auf dieser Erkenntnis basiert, wird auch als Somatic Experiencing (SE)  bezeichnet und wurde von dem Psychotraumatologen Peter Levine entwickelt. Das eigentliche psychische Trauma sei demnach nicht in erster Linie das Ereignis, sondern die körperliche Reaktion darauf.140 Während der Therapie werden der Leib und das Nervensystem sanft dazu angeleitet, die während des Traumas blockierten Energien (Gaspedal und Bremse sind gleichzeitig gedrückt!) zu lösen. Das kann eine Befreiung sein und die Patienten wieder vorsichtig in Fluss bringen, flexibel machen, verbunden mit sich und der Welt. Somatic Experiencing (SE)  ist nur ein Beispiel für eine körperorientierte Trauma-Psychotherapie, es gibt auch andere Wege, wie Verhaltenstherapie oder die Tiefenpsychologie. Sie alle zu besprechen würde den Umfang dieses Buches sprengen. Doch der Weg bleibt keinem Betroffenen erspart, denn Psychopharmaka alleine helfen nicht. Fachleute raten von einer alleinigen Behandlung mit Medikamenten dringendst ab, sie sind weniger wirksam als eine traumatisch fokussierte Psychotherapie. Für mich sind sie nur ein Notfallmittel, wie ein Schmerzmittel für die Seele. Wenn die Wirkung nachlässt, ist der Schmerz wieder da, und mit der Zeit brauchen die Patienten immer mehr und stumpfen immer mehr ab. Ein Teufelskreis. Sich diesem Schmerz zu stellen erfordert Mut, denn nur wenn wir wieder verletzlich werden, werden wir auch berührbar, und unser wahres Selbst wird sichtbar unter den Zwängen und Verhaltensweisen, mit denen wir unsere Traumata schützen. In bestimmten Fällen kann der Weg durch das Trauma der Seele mit Drogen aus dem Garten der

Natur beflügelt werden. In klinischen Laboren und Hirnscannern intensiv beforscht, ja bereits mit Erfolg therapeutisch eingesetzt wird heute beispielsweise Psilocybin.141 Das ist eine psychodelisch wirksame Droge, die aus Pilzen, sogenannten Magic Mushrooms, gewonnen wird und von Schamanen und Geistheilern seit Jahrtausenden verwendet wird. Es ist nicht alles schlecht, was uralt ist und was aus der Natur kommt, sogar aus uns selbst. Es ist oft das beste Heilmittel. Aber auch mit dem synthetisch hergestellten Wirkstoff MDMA (3,4Methylenedioxy-Methamphetamin), der auch als Partydroge Ecstasy bekannt ist, werden in einer aktuellen, prospektiv randomisierten Studie, publiziert in Nature Medicine, hervorragende Behandlungserfolge bei PTBS erzielt.142 Allen Halluzinogenen gemeinsam ist, dass sie, aus dem Blut kommend, die Blut-HirnSchranke überwinden und unser Bewusstsein verändern. 98 Prozent der Nahrungsmittel und Medikamente, die wir zu uns nehmen, können das nicht. Die Blut-Hirn-Schranke wird von Nervenzellen gebildet, die selbst keinen Strom leiten und sich wie eine zusätzliche Kontrollinstanz um die Blutgefäße wickeln. Das hat die Natur so eingerichtet, damit Krankheitserreger und für die empfindlichen Nervenzellen giftige Stoffwechselprodukte die Klarheit unseres Geistes nicht verändern. Die Blut-Hirn-Schranke schützt unsere Nervenzellen im Gehirn, ähnlich wie die Server in den Hochreinräumen von Google von der Außenwelt abgeschirmt sind. Künstliche Intelligenz, Chemie, Medizin und das traditionelle Wissen um Heilung von Verletzungen der Seele müssen sich nicht ausschließen! Wir leben in einem Zeitalter, in dem all dieses Wissen eine Synthese eingehen kann. In diesem Sinne ist die Blut-Hirn-Schranke keine Trennung, sondern eine besondere Verbindung zu anderen Welten, in der die Seele heilen kann.143 Es gibt heute eine große wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Meditation, Glaube, Liebe, Hoffnung, das Verbinden von Herz,

Verstand und Seele Balsam sind für Herz- und Kreislauferkrankungen. Auf körperlicher Ebene unterstützen sie die Heilung: das Re-Etablieren der komplexen Verbindungen von Immunsystem, Hormonen, Blutfluss und dem autonomen Nervensystem.144 Mit der Zeit kann sich die Wunde schließen. Neue Zellen sprossen ein, zurück bleibt nur noch eine Narbe. Es geht aber noch einen Schritt weiter, oder sogar viele. Denn aus der Wunde heraus können Sie auch wachsen, das Leben kann von einem Rinnsal zu einem Strom werden. Das Trauma kann die Quelle einer Transformation, ein Wandel sein. Die Traumatherapeutin Christine Seidel zitiert am Ende ihres überaus lesenswerten Buches Wenn die Seele nicht heilen will den Dichter und Philosophen Khalil Gibran: »Leiden hat die stärksten Seelen hervorgebracht; die beeindruckendsten Charaktere sind mit Narben überzogen.«145

Blut- und Leberwurst Ich war vielleicht vier Jahre alt. Heute noch erinnere ich mich an diesen Morgen, an dem ich entsetzt aus dem Schlaf hochfuhr. Und da war es noch einmal: Ein grauenvolles Quieken, Schreien  – so etwas hatte ich noch nie gehört. Doch ich wusste sofort, dass es um Leben und Tod ging. Vom Hof herauf hörte ich Großvaters Traktor bollern. Ein dunkelgrüner Lanz Aulendorf, den ich in mein Bubenherz geschlossen hatte, seit ich mit drei Jahren das erste Mal mitfahren durfte. Vom Seitensitz herab baumelten meine Beine und schlugen gegen den Sitz der Fahrerin, meiner Großmutter. Mit aller Kraft musste ich mich an das Gestänge des Eisensitzes klammern, um nicht von den ruckartigen Vibrationen abgeworfen zu werden, die der Diesel schon beim Starten auslöste. Der Lichtstrahl der kugeligen Scheinwerfer des Traktors irrlichterte für einen Moment durch meine Kammer, Schritte knirschten im Schnee, die Stalltür schlug ein paar Mal, und Großmutters Stimme grüßte Alfred, unseren Metzger. Was auch immer da draußen vor sich ging, ich durfte es auf keinen Fall verpassen. Ich wühlte mich aus meinem Federbett, das auf mir saß wie eine fette Henne. Die Schlafkammern waren nicht geheizt, und Großmutter hatte es extra für mich anfertigen lassen, damit es »dr Bua wara hett«, der Bub warm hat. Im Nachthemd und barfuß ging ich die hölzernen Stiegen hinunter in die Küche. Licht brannte, die gusseiserne Küchenhexe auch, aber keiner war da. Ich stieg in Großvaters Lammfellhausschuhe, die neben dem Ofen standen, hangelte meinen Mantel vom Haken, zog mir die Mütze auf den Kopf und öffnete die Tür in den Stall. Er roch wie immer nach Kuhmist, Melkfett und Heu.

Ich mochte den Geruch. Über den Köpfen der Kühe hingen die Schiefertafeln mit ihren Namen wie Helga, Waltraud oder Adelheid. Ich kannte sie alle, und heute waren sie schon gemolken, das sah ich sofort. Ausgiebig begrüßte ich Bruno, das Kälbchen, dessen Geburt ich vor einigen Tagen miterlebt hatte und das jetzt in einem kleinen Verschlag, dem »Kinderzimmer« im Kuhstall, untergebracht war. Ich stemmte mich gegen das Stalltor, das schließlich nachgab und sich so weit öffnete, dass ich auf die Schlacht schlüpfen konnte, den gepflasterten Bereich zwischen Kuhstall und Misthaufen. Wieso er diesen Namen hatte, wusste ich nicht. Doch das sollte sich bald ändern. Auf der Schlacht standen sonst die Milchkannen und auch die Schälchen der Katzen, die hier Milch bekamen. Von beidem war heute nichts zu sehen. Auf der anderen Seite des Hofes konnte ich Licht im Schweinestall ausmachen. Zögerlich ging ich darauf zu. Kühe hatten Namen, Säue nicht. Und doch waren nicht alle Schweine gleich. Eine stand alleine in ihrem Saustallgehege und wurde stets besonders reichlich gefüttert. Großmutter stellte ihr jeden Morgen einen Extraeimer mit Kartoffeln oder Rüben vor den Trog, und ich durfte ihr die Futterstücke einzeln hineinwerfen. »Meine Sau«, wie ich sie liebevoll nannte, schnappte sich alles grunzend und sauschnell. Wir waren richtig gute Freunde, und wenn ich mutig zu ihr in den Verschlag trat, stupste sie mich fordernd mit ihrer Steckdosennase. Ich war ungefähr in der Mitte des Hofes angekommen, als Großmutter vor die Saustalltür trat und sie aufhielt. Als Nächstes erschienen Alfred, dann eine Sau, die er mit einem Strick um eines ihrer Beine hinter sich herzog. Hintendrein der Großvater. Mit fiebrigen Augen lief die Prozession an mir vorbei, niemand nahm mich wahr. Die Sau quiekte jetzt wieder zum Gotterbarmen. Dass es »meine Sau« sein könnte, kam mir nicht in den Sinn. Es war auch noch finster,

und ausgewachsene Schweine sehen sich ziemlich ähnlich. Ich schloss mich der Karawane an, die an der Schlacht zum Halten kam. Dem Schwein wurde etwas zum Fressen hingeworfen, für einen Augenblick war es still, und das Tier senkte neugierig den Kopf. Der Metzger tätschelte dem Tier den Rücken, setzte einen Apparat auf seine Stirn, der aussah wie eine dicke Fahrradpumpe, und es tat einen dumpfen Schlag. Augenblicklich fiel die Sau um, verlor das Bewusstsein, betäubt durch den Bolzenschussapparat. Nun kniete Alfred über der Sau, stach ihr mit einem langen Messer in den Hals und erweiterte den Schnitt nach beiden Seiten. Blut schoss pulsierend aus der tödlichen Wunde und wurde in einer Schüssel aufgefangen. Am Ende war es fast ein ganzer Eimer Blut, und neben diesem Eimer starb sie, nämlich als das Blut aus ihr herausfloss. Ich stand stumm und starr im Schutz des dampfenden Misthaufens neben der Schlacht und beobachtete den Übergang vom Leben zum Tod. Alfred bemerkte mich. »Komm her, Bua«, sprach er mich leise an und drückte mir eine große Kelle in die Hand. Damit sollte ich das Blut im Eimer rühren. Ich dürfe keinesfalls damit aufhören, damit es keine Klumpen gebe. »Hasch des verschtanda?«, fragte er mich eindringlich und mit forschendem Blick. Und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Damit du au id [nicht] vergisch, wo dia Bluat- ond Läbrwürscht herkommad.« Dann wandte er sich von mir ab, denn Großmutter nahte bereits mit Eimern voll siedend heißem Wasser, die sie vorsichtig in beiden Händen trug. Die Sau wurde in einen Trog geworfen und gebrüht. Bei dieser letzten Waschung wurde sie auch ihrer Haare beraubt, Großvater und der Metzger rasierten sorgfältig ihre Borsten. Und ich rührte kräftig im Blut, fasziniert von den Schlieren an seiner Oberfläche. Rechtsherum und gegen den Uhrzeigersinn ließ ich den großen Löffel kreisen und beobachtete die spiraligen Wirbel, die sich bildeten. Ich klopfte mit der Kelle auf die

Oberfläche, um zu sehen, ob es spritzen würde. Dann wurde ich mutiger, mein Forscherherz erwachte, und ich tauchte erst zaghaft einen, dann alle meine Finger hinein. Es war überraschend warm. Zu meiner Erleichterung fanden sich darin keine Klümpchen, Alfred würde sehr zufrieden sein. Ohne es zu ahnen, lernte ich etwas für mein späteres Leben sehr Bedeutendes: Blut muss fließen und bewegt werden. Wenn es zu langsam fließt oder gar stehen bleibt, verklumpt es. Aber auch wenn die Zusammensetzung des Blutes ins Ungleichgewicht gerät und es zu dickflüssig wird oder mit irgendetwas anderem in Kontakt kommt als der Innenseite seiner Blutgefäße, gerinnt es. Herausgefunden hat das der Arzt Rudolf Virchow im 19. Jahrhundert, deshalb wird diese dreifaltige Blutbremse als VirchowTrias bezeichnet. Sie hat auch heute noch ihre grundlegende Gültigkeit, auf ihr basiert das Verständnis von Durchblutungsstörungen, dem Tagesgeschäft meines späteren Berufslebens. Doch davon hatte ich keinen blassen Schimmer, während ich Wirbel und Gegenwirbel in das Blut im Kübel rührte, auf dass es nicht gerinnen möge. Viel später in meinem Leben habe ich gelernt, dass man auch gute Wünsche in das Essen rühren kann wie in die Hühnersuppe für die Seele. Kräuterkundige Hexen und liebevolle Mamas und Papas wissen das schon lange. Ohne die Zauberformel Liebe wirkt kein Wunder, schmeckt kein Essen und heilen keine Wunden. Der kleine Junge, der ich einmal war, rührte seine Neugierde auf das große Leben und den Tod in das Blut. Die Frage, ob man Tiere essen darf, existierte nicht, weder bei mir noch bei meinen Großeltern. Es war so, es gehörte zum Fluss des Lebens. Es war eine raue Welt, in der ich groß wurde, mit Blut- und Leberwurst. Das war ganz natürlich für mich und auch der Grund, weshalb wir alle rote Backen hatten. Diese Ernährung ist reich

an Eisen, und blutarm waren wir mit Sicherheit nicht. Verwertet wurde alles, geliebt habe ich die Hirnsuppe. Heute haben sich Vegetarier zu Veganern gewandelt, und es gibt vermutlich fast so viele Diäten wie Kochbücher. Ja, sogar eine Blutgruppendiät! Leider gelten Schweinefleisch und besonders der leckere Speck als höchst bedenklich und als Sinnbild ungesunder Ernährung. Ich habe mich schon oft gefragt, wie ich meine Kindheit überleben konnte, anstatt schon in jungen Jahren an toxischer Hypercholesterinämie zu sterben. Schweinefett besteht zu 60 Prozent aus ungesättigten Fettsäuren, und davon gehören 10 Prozent sogar zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Es ist mir zeit meines Lebens bestens bekommen, aber ich habe immer darauf geachtet, dass es von guter Qualität und glücklichen Schweinen war. Als ich meine Sau später am Tag wieder füttern wollte und ihr Stall leer war, wurde mir klar, dass es »meine Sau« war, deren Blut ich gerührt hatte. Noch heute spüre ich diesen Stich im Herzen. Ich würde sagen, es war das erste Mal, dass meine Seele geblutet hat. Jetzt wusste ich, wo die Blutwurst herkam, die wir heute Abend essen würden, und was der Preis dafür war.

Arme Schweine Auch wenn meine Sau geschlachtet und gegessen wurde, meine Liebe zu Schweinen ist geblieben. Wir Menschen haben ihnen viel zu verdanken, sie ernähren uns nicht nur, sondern retten auch Leben. Die gesamte moderne Medizin würde ohne Tierversuche mit Schweinen nicht existieren. Viele Jahre lang habe ich fast täglich Herzklappen aus Schweineherzen implantiert, und während ich dieses Buch schreibe, geht eine Nachricht um die Welt: Erstmals wurde einem Menschen ein genetisch verändertes Schweineherz transplantiert.146 Leider ist der Patient nach zwei Monaten gestorben, aber es könnte ein Meilenstein

in der Geschichte der Herztransplantation sein. 2017 ist es Forschern gelungen, menschliche Stammzellen in einem Schweine-Embryo zu vermehren. Ein erster Schritt, um in Zukunft passgenauere Organe für Menschen züchten zu können, die nicht abgestoßen werden.147 Schweine und Menschen sind in ihrer Anatomie und Physiologie erstaunlich ähnlich. Fast zeitgleich mit der Schweineherztransplantation wurde 2022 eine wissenschaftliche Studie publiziert, die auf berührende Weise zeigt, wie subtil Schweine kommunizieren können und dass ihr Grunzen und Quieken sehr viel über ihre Gefühle und Emotionen verrät. Von der Geburt bis zum Schlachten wurden bei 411 Schweinen insgesamt 7414 Tonanalysen gemacht und mit Methoden künstlicher Intelligenz ausgewertet.148 Ein kurzes tiefes Grunzen drückt Wohlbehagen aus, hohes langes Quicken signalisiert Stress und Angst und wurde bei Kastration und im Schlachthaus gemessen. Aber auch für Situationen wie Isolation, Kämpfen, Ferkel stillen, Neugierde, Kuscheln, Überraschung, Wiedersehensfreude und zahlreiche andere Emotionen haben sie immer ein passendes »Oink« parat. Die internationale Forschergruppe möchte einen Algorithmus entwickeln, mit dem Schweinezüchter heraushören können, wie sich Schweine fühlen. Ich würde sagen, ich konnte das schon mit vier Jahren, aber es waren auch nicht Zehntausende Tiere in Massentierhaltung, deren Töne ich unterscheiden musste. 22 bis 28 Millionen Schweine werden als Nutztiere nach Angaben des Statistischen Bundesamtes alleine in deutschen Mastanlagen ständig gehalten (weltweit 941 Millionen). Arme Schweine! Möge ihr Wehklagen und ihr unerträgliches Leid von uns Menschen endlich gehört werden. Bei einer Anfrage der Grünen im Bayerischen Landtag kam 2022 heraus, dass in Bayern zwischen 2019 und 2021 jedes fünfte Schwein bereits vor der Schlachtung verendete. Schweine haben Stress wie

Menschen. Angefangen von ihrem Immunsystem und oxidativem Stress bis hin zu frühkindlich traumatischen Ferkelerfahrungen bei der Trennung von der Mutter, wie die aktuelle Verhaltensforschung bei Nutztieren zeigt.149 Ich selbst habe Schweine operiert und an ihnen das Implantieren von Kunstherzen gelernt. Ihre Herzen sind sehr empfindlich, wesentlich empfindlicher als die von Menschen, und können bei Berührung sehr schnell flimmern. Das Tako-TsuboSyndrom wurde 1974 das erste Mal bei Schweinen beschrieben.150 Man musste bei den Operationen sehr vorsichtig sein, damit die Herzen nicht schon stillstanden, bevor die Turbine implantiert war. Ich will an dieser Stelle nicht moralisieren und finde es nicht grundsätzlich verwerflich, ein Tier zu töten. Aber ich sehe das heute sehr kritisch und wünsche mir sehr, dass wir alle miteinander umdenken und auch Nutztieren mit größtmöglichem Respekt begegnen und uns einschließlich der Schlachtung um ihr Wohlergehen sorgen.151 Denn sie haben ein Bewusstsein und empfinden Freude, Angst und Liebe. Manche machen sogar Karriere als Künstler. »Pigcasso« wurde als einmonatiges Ferkel vom Schlachthof gerettet und ist eine ausdrucksstarke Künstlerin geworden. Ihre Halterin im südafrikanischen Winzerdorf Franschhoek stellt ihr Farbe, Leinwand und Pinsel hin, und dann wird Pigcasso expressionistisch tätig. Dabei greift sie den Pinsel mit dem Maul und bringt mit Kopfbewegungen die Pinselstriche auf die Leinwand. Ihre Kunst ist inzwischen »sauteuer«. Eines ihrer Werke wurde für umgerechnet 26  000 Euro verkauft.152 Auch das Leben meiner Sau war mir damals sehr teuer, und ich war traurig. »Wo ist das Leben der Sau hingegangen?«, fragte ich Großmutter, als sie mich am Abend zu Bett brachte. Sie seufzte und antwortete: »Bua, des wois i au id.« Großmutter war nicht reich an Gefühlen, aber immer sehr direkt und ehrlich. Sie sagte

die Wahrheit, das spürte ich, und deshalb wurde mir warm ums Herz. Ich konnte das Thema ansprechen und erhielt eine aufrichtige Antwort. Das reichte aus, damit eine kleine Herzwunde heilen konnte und ich nicht nachhaltig traumatisiert wurde. Es machte nichts, dass sie es nicht wusste, ich würde es schon noch herausfinden. Ich kuschelte mich an die Großmutter, denn es war kalt. Genau deswegen wurde auch nur im Winter, bei klirrender Kälte geschlachtet. Fleisch und Blut sind leicht verderbliche Waren. Dass sie nicht nur uns Menschen schmecken, sondern auch Lebensraum und Nahrung für Bakterien, Würmer und Viren sind, wusste ich ebenfalls noch nicht.

Blutvergiftung Täglich besuchte ich während der morgendlichen Visite mit meinen Kollegen Hamid auf der Intensivstation, und allmählich stabilisierte sich sein Zustand so weit, dass wir beschlossen, die Narkose schrittweise auszuschleichen. Denn es gab noch eine große Unbekannte, die mit tatsächlicher Gewissheit nur Hamid selbst beantworten konnte. Wie hatte sein Gehirn das alles überstanden? Unsere intellektuellen Fähigkeiten sind überaus empfindlich. Bei einem Schock aufgrund hohen Blutverlustes mit anhaltend niedrigen Blutdrucken ist immer damit zu rechnen, dass das Gehirn nicht mehr genug Sauerstoff erhält und Zellen absterben wie bei einem Schlaganfall. Zudem hatte Hamid bei der Operation Kammerflimmern und über kurze Zeit einen Herzstillstand, bis wir die letzten Nähte gesetzt hatten. Konnten sein Herz und seine Blutgefäße während der Schockphase die Mindestdurchblutung aufrechterhalten? Gab es für ihn eine Chance auf ein normales Leben, oder würde er ein schwerstbehinderter Pflegefall bleiben? Das war meine größte Sorge. Mittags klingelte mein Telefon. »Er ist wach und bewegt alles«, sagte mir die zuständige Ärztin. Es gibt diese Augenblicke im Leben, da fällt einem kein Stein vom Herzen, sondern zehn. Ich sprang von meinem Schreibtisch auf und eilte an Hamids Bett. Er hatte noch den Beatmungsschlauch im Mund, blickte mich und die Stationsärztin an, drehte uns den Kopf zu, bewegte seine Finger und Zehen. Gegen Abend konnte die künstliche Beatmung ganz beendet werden. Das Sprechen fiel Hamid noch schwer, es gelangen ihm nur wenige hingehauchte Worte. Sie waren an Lara gerichtet, die überglücklich an seinem Bett saß. Dann schloss er die Augen wieder. Es strengte ihn

alles noch sehr an. Doch allem Anschein nach würde er kein schwerstbehinderter Pflegefall sein oder gar an einem Hirnversagen sterben. Dennoch war er noch nicht im sicheren Hafen, sondern lavierte trotz der guten Prognose in trüben Gewässern voller Untiefen. Unter der Oberfläche lauerten überall Gefahren und der allergrößte Feind in seinem Blut. Für viele Viren und Bakterien gibt es nicht Schöneres, als in menschlichem Blut zu schwimmen, ein Reich, in dem für sie Milch und Honig fließen. Schön warm und voll mit Nährstoffen und Sauerstoff, ideale Bedingungen. Das ist nicht nur so, wenn wir krank sind, sondern auch wenn es uns gut geht. Selbst wenn wir nichts davon mitbekommen, unser Immunsystem ist ununterbrochen im Einsatz wie das Herz. Welche Bakterien sich auf dem Fischmesser befanden, das in Hamids Herz gerammt worden war, wussten wir nicht. Hatte sich der Täter beim Fischausnehmen schon selbst damit verletzt, hatte er eine infektiöse Erkrankung? Oder hingen an der Klinge das Gedärm der Fische mit Würmern und der Schleim von ihren Kiemen? Vielleicht lag die letzte Fischschlachtung schon eine Weile zurück, und das Messer war mangelhaft gereinigt und übersät mit Fäulniserregern? Was auch immer mit der Tatwaffe gewaltsam in Hamids Körper gelangt war, mit seinem Blut wurde es in seinem ganzen Körper verteilt. Sein Immunsystem musste damit fertigwerden, doch es war zusätzlich durch die Verletzung, die Operation und die Massentransfusionen geschwächt. Hamids Entzündungswerte waren hoch, und daran erkannten wir: In seinem Blut herrschte Krieg. Ein unsichtbarer Kampf um Leben und Tod. Sollte sein Immunsystem unterliegen, könnte mit aller Wahrscheinlichkeit das lebensbedrohliche Krankheitsbild einer Blutvergiftung ihr fürchterliches Haupt erheben, in der Fachsprache

Sepsis genannt. Der Name SEPSIS klingt in meinen Ohren wie eine giftige Schlange, und genauso ist sie auf Intensivstationen gefürchtet. Bei einer Sepsis gelangen Toxine in das Blut. Gifte der Bakterien und Stoffe, die bei der Immunabwehr entstehen. Sie vergiften die Organe, die in der Folge ihren Dienst quittieren und nicht mehr funktionieren. Um das zu verhindern, erhielt Hamid Antibiotika über große intravenöse Venenkatheter. Es ist nicht nur die Chirurgie, die einen Schwerverletzten rettet. Bevor Alexander Fleming im Jahr 1928 das Penicillin entdeckte, lag die Sterblichkeit bei großen Operationen oft bei 90 Prozent. Auch der begnadete Kriegsherzchirurg Harken hätte ohne das Antibiotikum Penicillin nicht so viele Soldaten retten können. Hamid bekam nicht nur das Penicillin, sondern mehrere Antibiotika gleichzeitig. Täglich wechselte ich ein paar Worte mit ihm und hatte den jungen Mann ins Herz geschlossen. Er konnte noch nicht wirklich gut sprechen, aber ein bisschen hatten wir uns schon ausgetauscht, und ich hatte einiges über ihn erfahren. Doch an diesem Vormittag war er schwach und sehr bedrückt. Das Sprechen fiel ihm noch schwerer als sonst. Ich konnte ihn kaum verstehen. Er erzählte mir stockend, dass er so viele Pläne gehabt hatte, seine Doktorarbeit, einen Triathlon wollte er laufen und Lara heiraten und mindestens drei Kinder, er wollte seine ganze Familie zur Hochzeit einladen, ein Pferd für seine Nichte kaufen und ein Haus bauen. Jetzt wollte er eigentlich nur noch eines: nicht sterben. Als er mir von seinen beruflichen Plänen erzählte, wurde er kurz etwas wacher. »Irgendwann, Doc«, so nannte er mich, »will ich auch einmal nach Afghanistan. Am Aufbau mithelfen. Ich will irgendwas Gutes dort tun, das hat mich immer angetrieben in meinem Studium.« Er schaute mich an, sein Blick begann ruhelos im Raum

umherzuwandern. Unvermittelt fragte er mich: »Und Sie, Doc? Wann haben Sie gewusst, dass Sie Arzt werden wollen?« »Da war ich noch ein Kind«, sagte ich und wollte ihm von einer Schlüsselsituation in meinem Leben erzählen. Doch Hamid hatte sichtlich Mühe mit dem Atmen, und die Augen fielen ihm zu. Ich blickte auf den Monitor mit den Vitalfunktionen: 38,5 Grad Fieber. Hamids Urinbeutel war fast leer und die wenige Flüssigkeit darin flockig und dunkel. Vielleicht ist der Schlauch geknickt dachte ich und hob ihn hoch, doch das war nicht die Ursache. Kein goldgelber Urin lief nach. Wenn der Organismus in schwieriges Fahrwasser kommt, bei einem Schock oder einer Sepsis, steigt als Erstes oft die Niere aus, Urin hört auf zu fließen.153 Über ١٠٠٠ Liter Blut pro Tag reinigen die Nieren über kleinste Filterchen, die sogenannten Nephronen. Sie sind überaus empfindlich, und wenn sie ihre Arbeit einstellen, läuten bei jedem Intensivmediziner alle Alarmglocken. Es könnte jedoch auch sein, dass Hamid nur zu wenig Flüssigkeit an Bord hatte und zu trocken war, und seine Niere brauchte nur einen kleinen »Schubs«, einen ordentlichen Schluck zu trinken. »Gebt ihm mal etwas mehr Flüssigkeit und etwas Furosemid« (ein harntreibendes Medikament), bat ich den Pfleger, der sich um ihn kümmerte, bevor ich für einen Herzklappenersatz in den OP ging. Hier war mein Wunsch der Vater des Gedankens, und das wusste ich auch. Ich war beunruhigt und versuchte, mich auf andere Gedanken zu bringen. Beim Umkleiden fiel mir die Szene ein, die ich Hamid hätte erzählen können, und ich nahm mir vor, es auch zu tun. Genau genommen war nämlich der Tierarzt schuld. Der kam damals nach der Schlachtung mit seinem Mikroskop auf den Hof und machte die Fleischbeschau. Damals durfte ich das erste Mal in ein Mikroskop hineinschauen und blickte in eine andere, verborgene Welt voller Geheimnisse.

Fleischbeschau Auf den Küchentisch hatte Dr. Wimmer eine große Holzkiste gestellt und mit feinen Bewegungen sein Mikroskop aufgebaut. Großvater war mit einem Stückchen Schweinefleisch in die Küche eingetreten, das er fast andächtig in einer Schale vor sich hertrug. Mit einem speziellen Schneideapparat filetierte der Tierarzt feinste rosa Muskelstücke und legte sie behutsam unter sein Mikroskop. Dann nahm er seine Brille ab und schaute hinein, wobei er an den Rädern drehte und vor sich hinmurmelte. Keine seiner Bewegungen entging mir, ich verfolgte alles in höchster Aufregung. Sogar das Kauen vergaß ich. Maulaffen feilhalten, nannte man das damals, und diese Worte hörte ich oft von Erwachsenen, wenn ich wieder einmal von einer Beobachtung völlig absorbiert war. Großvater stand wortlos neben dem Tisch, und Großmutter murmelte einen Rosenkranz ins Spülbecken. Die Uhr an der Wand tickte, und doch schien die Zeit stillzustehen. Falls das Schwein Trichinen hätte, wäre die ganze »Fleischernte« zunichte. Noch drei weitere Fleischstückchen untersuchte Dr. Wimmer in aller Seelenruhe auf die Zysten der kleinen Würmer, dann blickte er auf, setzte seine Brille auf und lächelte. »Die Sau war gesund, alles in Ordnung.« »Nau isch recht«, sagte Großvater und stellte eine Flasche Selbstgebrannten auf den Tisch. Die Spannung war ihm noch anzumerken. Still genehmigten sich die Erwachsenen ein Schlückchen an diesem herrlichen Vormittag. Meine Morgenmilch hatte vor lauter Maulaffen feilhalten eine Haut bekommen, und die musste ich nun erst mal mit dem Finger aus der Schale klauben. Dahinter steckt der gleiche Mechanismus wie bei geronnenem Blut: Eiweiße verändern ihre Form, sie denaturieren und verklumpen.

Als Dr. Wimmer sein Glas abstellte, traf sein freundlicher Blick meine ihn ungläubig anstarrenden Kinderaugen. »Willst du auch mal hineinsehen, Bua?«, fragte der Tierarzt, dem meine Neugier nicht entgangen war. Blut schoss mir in den Kopf, und ich brachte vor Aufregung wieder bloß ein Nicken zustande. Über das Sofa balancierte ich zu ihm hinüber, und er nahm mich auf seinen Schoß. Seine Tweedjacke roch vertraut nach Stall und fremd nach Chloroform. Ich kniff ein Auge zusammen, blickte hinein und sah verschwommenes Rosa. Dr. Wimmer drehte ein bisschen am Rädchen, und plötzlich nahm diese winzige Welt Formen an. Einzelne Fleischfasern konnte ich erkennen und Zellen, die verschieden groß waren, in unterschiedlichen Farben. »In der Sau wohnen keine Trichinen«, sagte ich bestimmt. Die Erwachsenen lachten, und ich schämte mich. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Doch tief in mir hatte ich etwas ganz und gar Wichtiges verstanden: Es gibt verborgene Welten, die kann nicht jeder sehen. Dazu braucht es ein Mikroskop oder ein Fernrohr und viel Neugierde und Reiselust. Ich hatte Blut geleckt und war durstig nach Wissen. Diese Welten wollte ich ergründen und den Geheimnissen des Lebens auf die Spur kommen. Im Strom des Blutes lag der Schlüssel dazu, das spürte ich schon damals. »Fleisch und Blut können gesund oder krank sein«, erklärte mir Dr. Wimmer, »und in seinem Inneren können sich zum Beispiel Parasiten vermehren. Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden, bezeichnet man als Zoonosen. Damit diese entdeckt werden und niemanden krank machen können, wurde unter Federführung der Arztes Rudolf Virchow um 1900 das Fleischbeschaugesetz eingeführt. Er rettete dadurch viele Menschenleben, er war ein großer Arzt.« Ja, dachte ich, das ist es: Arzt. Für Menschen. Den Respekt vor der Natur, dem Fließen von Blut, dem Leben und dem Tod verdanke ich Dr. Wimmer und meiner Kindheit in ländlicher

Umgebung. Als ich viele Jahre später als Student in der Abteilung für Hämatologie des Dartmouth Medical College in den USA einen Blutstropfen unter dem Mikroskop untersuchte und erneut in diese unsichtbare Welt von Zellen unterschiedlicher Größen, Farben und Formen eintauchte, dachte ich manchmal an diesen Morgen zurück. In der Küche der Großeltern und in Dartmouth habe ich gelernt: Was man unter dem Mikroskop sieht, kann wie die fehlenden Teile eines Puzzles sein. Wenn man sie richtig zusammenlegte und interpretierte: der Schlüssel für die richtige Diagnose. Und doch dürfen wir in der Welt des Allerkleinsten nicht das große Ganze aus den Augen verlieren. Die Anatomie des mit dem bloßen Auge Sichtbaren lernen Medizinstudenten im sogenannten Präparierkurs an menschlichen Leichen. Doch aus ihrer Materie, ihrer Anatomie, den Zellen, Genen und Molekülen konnten wir Studenten nicht auf den ganzen Menschen schließen. Wer er war, wie er lebte, wie er sich fühlte, was sein Leben ausmachte, welche Freunde er hatte, blieb verborgen. Forscher werden in Zukunft versuchen, posthum ein Menschenleben mithilfe von Computerdaten und künstlicher Intelligenz zu rekonstruieren. Ob dieser Akt finaler Schöpfung jemals möglich sein wird, bezweifle ich. Und wo bleibt die Seele dabei?

Blutwäsche Hamids Zustand verschlechterte sich bis zum nächsten Morgen dramatisch. In der Nacht bekam er hohes Fieber. Zuerst war sein Blut zu kalt gewesen, nun war es zu heiß, und beides veränderte sein Bewusstsein. Sein Körper glühte, er fantasierte in Fieberträumen und erkannte uns nicht mehr. Die Pflegekräfte kümmerten sich engagiert um ihn, legten ihm Wadenwickel an und kühlten seine Stirn mit kalten Tüchern. Doch es half nichts, seine Körpertemperatur stieg auf über 40 Grad. Atmen fiel im schwer, der Sauerstoffaustausch in der Lunge

war beeinträchtigt, und im Röntgenbild sah man weiße Verschattungen, die auf eine schwere Lungenentzündung hinwiesen. Massentransfusion ist immer schlecht für die Lunge, ein Teil der Flüssigkeit geht ins Gewebe, und wo Luft sein sollte, befindet sich Gewebewasser. Solch ein Lungenödem begünstigt Infekte. Hamids Pflegerinnen setzten ihn auf, um ihm das Atmen zu erleichtern, massierten ihn, wuschen und cremten ihn, gaben ihm zu trinken und versuchten ihn zu füttern. Doch es half nichts. Hamid entwickelte das Vollbild einer Sepsis, einer Blutvergiftung, die so dramatisch verlief, dass seine Organe in Mitleidenschaft gezogen wurden und nach und nach ihre Funktionen nicht mehr erfüllen konnten. Er konnte nicht mehr ausreichend selbst atmen, musste erneut in Narkose versetzt und künstlich beatmet werden. Ich hatte ihm nicht mehr von Dr. Wimmer erzählen können und warum ich Arzt geworden war. Würde ich noch eine Chance dazu bekommen? Als ich Hamid das nächste Mail sah, stand neben seinem Bett ein großer Apparat mit vielen blutgefüllten Schläuchen, dessen kleine Pumpenräder sich leise summend drehten. Ein Dialysegerät, das seine Nierenfunktion ersetzte. Über einen ziemlich dicken Katheter, der in seinen Leistenvenen lag, wurden 400 Milliliter Blut pro Minute aus ihm herausgeleitet und in einem Filter »gewaschen«, von wo aus es über den gleichen Katheter wieder zurückfloss. Bei dieser sogenannten Blutwäsche wird das Blut von Substanzen gereinigt, die sonst über den Urin ausgeschieden werden: im We-sentlichen Harnstoff, Harnsäure und Kreatinin und Elektrolyte. Jedoch wird es nicht von Bakterien gereinigt, wie man aufgrund der Bezeichnung »Blutwäsche« vermuten könnte. Menschen leben in Symbiose mit zehnmal mehr Bakterien, als sie selbst Zellen haben.154 Dazu kommen Viren und Pilze. Sie wachsen auf unserer Haut, unseren Schleimhäuten, der Lunge, im Urogenitaltrakt

und im Darm. Es sind viele Milliarden, und zusammengefasst werden sie als Mikrobiom des Menschen bezeichnet. Über 10 000 Spezies wurden bereits gezählt. Sie bilden ein eigenes Ökosystem wie ein tropischer Regenwald. Die meisten von ihnen schützen und unterstützen uns. Ohne die Masse an Darmbakterien wären wir nicht lebensfähig und könnten nicht verdauen. Nicht nur der Darm hat ein Mikrobiom, sondern auch die Haut, das aus einer Vielzahl von Bakterien, Pilzen und Viren besteht und uns vor Besiedelung krankmachender Keime schützt. Das Mikrobiom unterstützt unser Immunsystem und beeinflusst über die Signalwege der Darm-HirnAchse sogar die Gesundheit unseres Gehirns, unsere Stimmungen und Gedanken.155 Im Blut haben Mikroorganismen jedoch nichts verloren. Gesundes Blut ist idealerweise frei von Erregern. Doch auch das ist nur ein Idealzustand, der schwer zu bewahren ist. Beim Zähneputzen, beim Kuscheln mit dem Partner, über Schleimhäute und Atemwege und über viele kleine Alltagsverletzungen können Erreger in uns eindringen. Üblicherweise stellt das kein Problem dar, denn dafür haben wir ein Immunsystem, und ohne dass wir es merken, erledigt es unauffällig seinen Job. Zeit unseres Lebens, Tag und Nacht, wie das Herz. Doch Hamids Immunsystem brauchte Unterstützung. Wir Ärzte mussten versuchen, die Erreger ins Hamids Blut und Lungen mit Antibiotika zu vernichten. Am effektivsten gelingt das, wenn die Erreger bekannt sind und die am besten wirksamen Antibiotika eingesetzt werden können. Mehrfach waren bereits Proben aus dem Blut und Sekrete aus der Luftröhre abgenommen und in die Mikrobiologie geschickt worden. Dort wurden sie »bebrütet«, wie man sagt. Nicht von einem Huhn, sondern die Proben werden auf verschiedene Nährmedien ausgebracht und in feuchtwarmem Milieu gehalten. Idealerweise vermehren sich die vorhandenen Erreger unter

dieser »Bebrütung« so stark, bis sie in ausreichender Menge vorhanden sind, um identifiziert werden zu können. Es dauert leider meistens Tage, bis man ein verwertbares Ergebnis hat, und es gelingt nicht immer. Bis dahin konnten wir nur versuchen, mit Breitbandantibiotika, die ein möglichst großes Erregerspektrum abdecken, die unbekannten Keime in Schach zu halten. So eine Therapie gleicht einem blinden Sperrfeuer in alle Richtungen in der Hoffnung, die feindlichen Erreger zu neutralisieren. Erst wenn wir genauere Kenndaten spezifischer Organismen aus der Mikrobiologie bekämen, könnten wir die antibakterielle Chemotherapie noch einmal nachjustieren und gezielter attackieren.

Der Motor der Sepsis Der Urvater der Mikrobiologie, Robert Koch, sprach bei der Blutvergiftung auch von »faulendem Blut«.156 Heute sprechen wir von Toxinen, Antikörpern und komplexen Immunreaktionen, und dennoch trifft Kochs Aussage den Nagel auf den Kopf. Denn das faulende Blut führt leicht zum Tod. Über 30 Millionen Menschen erkranken weltweit jährlich an einer Sepsis, davon sterben fünf Millionen, also etwa jeder Fünfte.157 Blutvergiftung ist auch die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. 154  000 Menschen erkranken daran jedes Jahr bei uns. Jeder Dritte stirbt. Nicht weil in Deutschland schlechter therapiert würde, sondern weil mutmaßlich genauer gezählt wird. Diejenigen, welche die oft monatelange Intensivtherapie überleben, bleiben oft Pflegefälle oder sind an Leib und Seele schwersttraumatisiert. Wie es bei Hamid ausgehen würde? Das wusste keiner, doch wir taten alles, was wir konnten, wir kämpften im Wortsinn um sein Leben. Doch die Zeit lief uns davon. Sein Aussehen veränderte sich dramatisch. Seine Haut war kalt und mit schwarzblauem Schimmer

marmoriert – ein Zeichen für fehlende Durchblutung und Schock. Sein Gesicht und der ganze Leib waren aufgedunsen und schwammig. Die Toxine der Erreger begannen ihn systematisch zu vergiften. Solange er heiß war und glühte, wehrte sich sein Immunsystem gegen die Eindringlinge. Nun war es dabei, die Schlacht zu verlieren. Die Erreger legten seine Mikrodurchblutung lahm, und seine Organe wurden immer weniger durchblutet. Sie wurden vom Leben abgeschnitten. Hamid hatte einen septischen Schock, sein Blutdruck war abgefallen, und er benötigte Medikamente, um seinen Kreislauf am Leben zu erhalten. Was konnten wir noch tun? »Lasst uns die Katheter wechseln«, wurde von einem der Ärzte auf der Intensivstation vorgeschlagen. Definitiv eine gute Idee, denn nirgends wachsen Erreger besser als auf körperfremden Plastikoberflächen, die in der Blutbahn liegen. In der nächsten Stunde legten die Assistenzärzte mit langen Nadeln neue intravenöse und arterielle Zugänge. Die alten, gezogenen wurden ebenfalls an die Mikrobiologie geschickt, in der Hoffnung auf genauere Identifikation der Keime. Hamid war auf dem Weg in ein Multiorganversagen, das die allermeisten Menschen nicht überleben. Seine Lunge arbeitete schlecht, die Niere nicht mehr, und es brauchte immer mehr Medikamente, um seinen Kreislauf zu unterstützen. Die Durchblutung und Sauerstoffversorgung der Organe nahmen während der Nacht stündlich weiter ab, wie wir an den steigenden Werten von Lactat und der zunehmenden Verschlechterung von Hamids Zustand erkannten. Unbehandelt führt das schließlich zum Erliegen aller Organ- und Lebensfunktionen. Dem Versagen der Nieren würden Leber, Lunge, Herz, Gehirn und das blutbildende System folgen. Um genauere Daten über die Herz-Kreislauf-Funktionen zu erlangen, wurde zusätzlich ein

Rechtsherzkatheter in das Herz eingeschwemmt. Stunde um Stunde wuchs die Anzahl der Geräte und Schläuche um Hamid wie ein unheilvolles Gewächs, das sich immer enger um ihn schlang. Als ich am nächsten Morgen vor seinem Bett stand, kam es mir so vor, als würde es ihn bald überwuchern. Dabei sollte ihn all das doch retten. Das gemessene Herzzeitvolumen (das Volumen an Blut, welches das Herz pro Minute in den Kreislauf pumpt) zeigte 15 Liter/Minute an. Dieser Wert war etwa das Dreifache von Hamids Normalwert. Gleichzeitig sahen wir im Herzultraschall, dass seine Pumpkraft abgenommen hatte, aufgrund einer septischen Herzmuskelschwäche (Kardiomyopathie), weil auch die Mikrodurchblutung des Herzens betroffen war. Bei vielen Patienten im septischen Schock beobachten Intensivmediziner dieses Phänomen: Das Herz pumpt schlecht, und paradoxerweise zirkuliert mehr Blut. Das gemessene Herzzeitvolumen steigt auf ein Mehrfaches an. Wer transportiert es dann? Trotz dieser extrem hohen Flussraten findet auf der Ebene der Kapillaren und Zellen kein Sauerstoffaustausch statt. Gibt es dafür eine plausible Erklärung? Wir wissen heute, dass weniger das Herz als vielmehr die Kapillaren den lokalen Blutfluss in den Körpergeweben regeln. Das heißt, die Organe und Kapillaren sorgen selbst dafür, dass die richtige Menge Blut und Sauerstoff und Nährstoffe zu ihnen fließt. Das macht ja auch Sinn, sie wissen vor Ort selbst am besten, was sie gerade brauchen. Eine zentralistische Bereitstellung von Blut durch eine Herz-Pumpe könnte diese individualisierten Bedürfnisse nicht erfüllen. Sepsis zerstört diese Autoregulation des Blutflusses durch die Endorgane. Die Toxine der Erreger schädigen die innerste Schicht der Kapillaren, das Endothel. Sie werden undicht und beginnen zu lecken, was die Flüssigkeitsansammlung und Ödembildung in den Geweben außerhalb

der Blutgefäße begünstigt. Deshalb war Hamid auch im Gesicht so aufgedunsen. Der Gewebedruck wiederum presst von außen die kleinen Kapillaren zusammen, und der Blutstrom wird behindert. Aufgrund körpereigener Stresshormone wie Adrenalin sind die Kapillaren ohnehin schon maximal enggestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entzündung und die verlangsamte Strömung in den Blutbahnen auch die Blutgerinnung aktivieren. Mikrothromben können das kapillare Stromgebiet letztlich auch ganz verschließen. Der Blutfluss im Bereich seiner Mikrozirkulation wurde also immer mehr blockiert. Damit Blut in einem septischen Schock überhaupt noch kreisen kann und nicht einfach stehen bleibt, was zum sofortigen Tod führen würde, erweitern sich in anderen Bereichen die Arteriolen und Kapillaren sehr stark, und es bilden sich Kurzschlusskreisläufe, sogenannte Shunts. In ihnen wird das arterielle Blut direkt auf die venöse Seite weitergereicht, ohne dass es zu einem Sauerstoff- und Teilchenaustausch auf Zellebene kommt. Der Sauerstoff wird also nicht verbraucht, und das venöse Blut ist damit sehr viel sauerstoffreicher als normalerweise, was wiederum für einen schnelleren Shunt-Durchfluss in der Lunge sorgt, denn das Blut muss ja nicht oder weniger oxygeniert werden. Kurzschlusskreisläufe sorgen beim septischen Schock also für einen Turbo-Kreislauf, obwohl die tatsächliche Herzleistung abnimmt. Der Motor der Sepsis ist nicht das Herz, sondern die gestörte Mikrozirkulation.158 Auch wenn das alles sehr kompliziert ist, sehen wir daran: Es gibt ganz andere Kräfte als das Herz, die das Blut antreiben können. Man könnte daraus sogar schließen, dass Blut möglicherweise überhaupt nicht durch das Herz bewegt wird und das Herz eine ganz andere Aufgabe hat, als eine Pumpe zu sein. Im zweiten Teil dieses Buches werde ich mich im

Kapitel »Die Quelle« mit dieser Theorie moderner Kreislaufforschung beschäftigen. Weil also die größeren Arteriolen für die Shunts weit werden müssen, sinkt der Blutdruck, und die Flussraten der Makrokreisläufe nehmen zu, während im Bereich der Mikrozirkulation und Kapillaren keine ausreichende Durchblutung mehr stattfindet und die Organe absterben. Kreislaufforscher sprechen auch von einer Dissoziation von Makro- und Mikrozirkulation oder einem Verlust der Kohärenz, also der Verbindung der beiden Kreislaufsysteme. Was bedeutet das nun alles für die Behandlung eines septischen Schocks? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, von denen keine ideal ist, weil sie immer mit erheblichen Nachteilen einhergehen. Als die komplexen Zusammenhänge von Makro- und Mikrozirkulation noch weniger verstanden waren, haben Intensivmediziner versucht, die roten Blutkörperchen durch die Kapillaren zu zwingen, indem sie das Herz stärker antrieben mit Substanzen wie zum Beispiel Adrenalin. Das hat zugegebenermaßen den schönen Effekt, dass der Blutdruck steigt. Doch der Preis, den Intensivmediziner dafür bezahlen, ist hoch. Denn mit Substanzen wie Adrenalin stellen sich die Kapillaren noch enger und machen die ohnehin katastrophale Mikrodurchblutung noch schlechter. Es ist, als ob man den nach Luft schnappenden Zellen eine Schlinge um den Hals legt und langsam zuzieht. Viele Studien haben gezeigt, dass die mechanistische Vorstellung, man könne den Kreislauf auf Intensivstation über eine verstärkte Herzkontraktion zur Not »mit Gewalt« antreiben, vielen Patienten den Todesstoß versetzt hat. Für eine Weile steigt der Blutdruck, aber es ist nur Kosmetik für den Überwachungsmonitor. Im letzten Jahrzehnt hat man verstanden, dass man die Mikrozirkulation verbessern muss, indem man die Kapillaren »öffnet«, also weitstellt. Gefäßerweiternde Medikamente sind es, die

solch ein Patient benötigt, doch sie senken den Blutdruck weiter ab, weil auch die großen Gefäße der Makrozirkulation weit werden. Auch nicht ideal für die Perfusion (Durchströmung) der Organe, die ohnehin schon miserabel ist. Welche Strategie auch immer verfolgt wird, jede hat ihren Preis und geht mit gravierenden Nebenwirkungen einher. Deshalb muss die Therapie ständig angepasst und nachjustiert werden. Keiner von uns Ärzten konnte mit Sicherheit sagen, ob der mit dem Schlapphut auch wieder am Bett stand, aber instinktiv fühlte es jeder. Hamids Freundin Lara war sehr tapfer, als ich ihr mitteilte, dass ich Hamids Chancen auf 50:50 schätzte und dass es gut möglich sein konnte, dass er den nächsten Tag nicht überleben würde. Hamid hatte jedoch eine Karte, die sehr häufig den Tod übertrumpft. Seine Jugend und seine Kraft. Junge Menschen überleben manchmal die ausweglosesten Situationen, und Hamid hatte schon bewiesen, dass er ein zäher Bursche und eine Kämpfernatur war. »Bekommt er von all dem etwas mit?«, fragte mich Lara. »Muss er leiden?« »Ich weiß es nicht«, antwortete ich ihr. »Ich glaube nicht. Aber die volle Wahrheit kennt keiner.« »Vielleicht kann ich ihn das irgendwann fragen«, sagte Lara hoffnungsvoll. »Ja, vielleicht. Hoffentlich«, erwiderte ich, obwohl Hamid sich, wenn er das hier überhaupt überleben würde, mit hoher Wahrscheinlichkeit an nichts erinnern könnte. In der Zwischenzeit, während Hamid um sein Leben kämpft, möchte ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, einladen, auf einem der Plastikstühle im Flur Platz zu nehmen. Sie kennen diese Orte idealerweise nur aus Filmen: Neonlicht, langer Gang mit Linoleum, irgendwo steht ein wie vergessen wirkender Geschirrwagen. In den nächsten Kapiteln werde ich mich selbst ein wenig zur Ader lassen und

mein Herzblut mit Ihnen teilen – meine Faszination für diesen besonderen Saft Blut. Lassen wir Hamid also eine Weile ruhen, das hat er nötig. Wir sehen dann später wieder nach ihm …

Teil 2:

Leben Was ist das Schwerste von allem? Was Dir das Leichteste dünket:

Mit den Augen zu sehn,

was vor den Augen Dir liegt. Johann Wolfgang von Goethe

Die Quelle Immer wenn ich zu Besuch in meiner alten Heimat bin, gehe ich am Blautopf spazieren. Vor meinen Augen entleert sich aus der Tiefe und in aller Ruhe eine Quelle, die pro Sekunde 250 bis über 30 000 Liter Wasser ausschüttet, je nachdem, wie viel es geregnet hat.159 In den kreisrunden Blautopf hineinzusehen hat etwas Magisches. 40 Meter misst er im Durchmesser. Er ist die Quelle der Blau, eines Flüsschens, dessen Wasser nach 40 Kilometern bei Ulm in die Donau mündet und sich dann auf den langen Weg zum Schwarzen Meer macht. Ich war schon oft hier in Blaubeuren, das unweit meiner schwäbischen Geburtsstadt Weißenhorn liegt. Mit ozeanblauer Pupille schaut die Quelle mich an, blaugrün leuchtet die kreisrunde Lagune aus ihrem Grund. Es sei die physikalische Lichtstreuung, die dem Wasser seine betörenden Farben verleihe, erzählte mein Physiklehrer bei Klassenausflügen an diesen magischen Ort. Licht ist eine große Künstlerin der Natur, die den Himmel blau und den Blutmond rot färbt. Bevor es unsere Erde wärmt, hat es in acht Minuten 150 Millionen Kilometer zurückgelegt, und dieser Abstand ist ganz genau richtig, damit es auf der Erde nicht zu heiß wird, sie aber auch nicht nur von Eis bedeckt ist. Der leuchtende Stern im Zentrum unseres Sonnensystems besteht zu großen Teilen aus Helium und Wasserstoff, die unaufhörlich miteinander verschmelzen und durch Kernfusion die Energie für unser Leben bereitstellen. Mit seinen Sonnenstrahlen befruchtet er Mutter Erde. Jedes Blatt, jeder Grashalm und auch die Algen der Ozeane und Gewässer strecken sich der Sonne entgegen und synthetisieren aus Sonnenlicht – in einem Prozess, der sich Fotosynthese nennt (Photonen sind Lichtteilchen)  – Glucose und den Sauerstoff, den Menschen und

Tiere zum Atmen brauchen. Auch Wasser benötigen wir zum Atmen; die Hälfte des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre wird von winzigen Algen in den Ozeanen gebildet. Sonnenenergie ist die Batterie der Erde, die Quelle des Lebens. Andere Kulturen preisen die Sonne, ohne deren lebensspendendes Licht in Harmonie mit der Erde kein Grashalm grünen würde. Wieso, glauben Sie, fühlt es sich so gut an, wenn Sie Ihr Gesicht ein paar Minuten in die Sonne halten? Weil es so gesund ist! Sonne macht uns gute Laune und lässt uns Vitamin  D bilden. In einer aktuellen Studie wurde zum ersten Mal der Vitamin  D-Spiegel im Gehirn untersucht und überraschend deutlich gezeigt, wie Vitamin D unsere Gehirnfunktion verbessert und das Risiko für Demenz um bis zu 33 Prozent reduzieren kann.160 Sonne sollte man also nicht nur im Herzen haben, wenngleich Vitamin  D auch unerlässlich für die gesunde Herzfunktion ist. Vitamin-D-Mangel erhöht das Risiko, an Herzschwäche, koronaren Herzkrankheiten und Bluthochdruck zu erkranken.161 Vitamin D ist zudem unverzichtbar für unser Wachstum, den Knochenaufbau und das Immunsystem. Der strahlende Planet gilt unter Sternenkundigen übrigens als Zwergstern (Stephenson 2-18 zum Beispiel ist über 2000-mal größer), der jedoch auch die irdischen großen Wasserkreisläufe antreibt. Sonneneinstrahlung lässt Wasser in den Ozeanen verdunsten, seine Gestalt von flüssig zu gasförmig ändern und es in den Himmel aufsteigen. Dort wird es in Wolken gespeichert, bis es eines Tages wieder regnet. Kein Regen, keine Blumen  – sagt man, und damit wird klar: Alles Leben ist aus flüssigem Wasser gemacht. In den Sonnen und Galaxien des Universums existiert Wasser nur als heißer Dampf oder kaltes Eis. Die Erde ist der einzige bekannte Ort im Universum, an dem Wasser flüssig ist. Unser Blauer Planet sieht von außen betrachtet aus wie ein Tropfen im Universum. Er ist zu 70 Prozent mit Wasser bedeckt und

müsste demnach treffender Wasser heißen. Menschen, Tiere und Pflanzen, alles, was lebt, ist in seiner Existenz untrennbar mit flüssigem Wasser verbunden. Wir können 40 Tage ohne feste Nahrung überleben, doch ohne Wasser vertrocknen wir in drei Tagen. Der Kreislauf des Wassers betrifft nicht nur die Erde, er geht direkt durch uns hindurch, wir sind ein Teil davon. Bei unserer Geburt bestehen wir zu 95 Prozent aus Wasser, 70 Prozent beträgt der Wasseranteil beim Erwachsenen. Im Alter nimmt er auf etwas über 50 Prozent ab. In 24 Stunden produziert der erwachsene menschliche Körper 1,5 Liter Speichel, 2,5 Liter Magensäfte, 3,0 Liter Darmflüssigkeit, 0,5 Liter Gallenflüssigkeit und 0,7  Liter in der Bauchspeicheldrüse. Damit wir nicht überlaufen, scheidet ein gesunder Erwachsener in diesem Zeitraum 2 bis 2,5 Liter über die Nieren, den Darm, die Haut und die Lunge aus. Das Gehirn besteht zu 90 Prozent aus Wasser und wird in 24 Stunden von etwa 1400 Litern Wasser umflossen. Ohne Wasser ist unser Blut nicht flüssig, und die Gedanken trocknen ein. Das Krankheitsbild der Austrocknung (Exsikkose) macht sich oft als Erstes durch Verwirrung bemerkbar. Kopfschmerzen, trockene, runzelige Haut und Verstopfung kommen hinzu. Später bilden sich Klümpchen im Blut, Thrombosen und Embolien werden begünstigt. Das fortgeschrittene Stadium führt zu Nierenversagen  – die Quelle des Lebens versiegt. Der Mensch ist ein Wasserwesen. Wollen wir saftig bleiben, voller Energie und Frische, brauchen wir Wasser. Buddha soll gesagt haben: »Eines Tages wird die Menschheit erkennen müssen, dass lebendiges Wasser das einzige wirkliche Heilmittel ist, das sie hat.« Wie wäre es mit einem Schluck – jetzt!

Das Blut der Erde

Viel Zeit war vergangen, seit ich das letzte Mal hier war, doch die Quelle zu meinen Füßen war augenscheinlich die alte geblieben. Doch das Wasser, das ihr entspringt, ist in jeder Sekunde frisch, neu und immer in Bewegung. Veränderung im Fließen ist seine Natur. Keiner beschrieb das besser als Heraklit: »Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen«, schrieb der Philosoph, der die Wahrheit liebte und so komplexe Zusammenhänge in einem Satz benennen konnte. Aus den meisten Quellen der Natur fließt Wasser, aus dem Gehirn Gedanken, Worte aus dem Mund, und dem Herzen entspringt Blut – das flüssige Organ. Seit William Harvey vor rund 400 Jahren den Blutkreislauf entdeckte, sind die meisten Mediziner der Ansicht, er werde durch die Muskelbewegungen des Herzens angetrieben. Gemeinhin betrachten wir daher das Herz als die Quelle des Lebens. Es ist eingebunden in den natürlichen Kreislauf des Blutes wie die Quelle in den natürlichen Wasserkreislauf. Doch was ist eine Quelle eigentlich? Die Quelle ist nicht der Ursprung, nicht der Ort, an dem Blut oder Wasser entstehen und gemacht werden. Die Quelle ist der Ort, an dem die Kraft und die Dynamik des Kreislaufes sichtbar werden, wo sein steter Fluss mit Druck ausgestoßen wird und anfängt zu sprudeln, strömen, gluckern. Im Falle des Herzens öffnet und schließt dieser Druck die Herzklappen und erzeugt die Herztöne Bu und Bumm. Wasser ist das Blut der Erde, wo es fließt, ist Leben. Anders als der Kreislauf des Blutes macht das Wasser der Erde eine sehr weite Reise. Von der Quelle fließt es ins Meer. Doch genauso wie das Blut des Herzens kehrt es immer wieder zurück an den Ort seines Ursprungs, zur Quelle. Wenn es so etwas gibt wie die Quelle des Blutes, seinen Ursprung, dann ist das meiner Meinung nach nicht das Herz, sondern es sind die dunklen Höhlen des Knochenmarks, wo die Urmütter all unserer

Zellen, die Stammzellen, sitzen, die unablässig Blutzellen gebären und in den Kreislauf unseres Lebens einspeisen. Auch die Gegend um den Blautopf ist ein Ort, an dem Leben entstanden ist. Hier finden sich viele große Karsthöhlen, in denen unsere Vorfahren wohnten. Viele Funde zeugen von der Kunstfertigkeit dieser Eiszeitmenschen. Unter anderem wurde hier in der Nähe, bei Schelklingen, die Venus vom Hohlefels gefunden, die kleine Figur einer kugelrunden, wohlgenährten Frau, das Abbild einer Urmutter. Sie sieht genauso aus wie eine der großen pluripotenten Stammzellen unseres Knochenmarks, in denen pro Tag 200 Milliarden neue Blutkörperchen gebildet werden – das entspricht in etwa zwei Millionen pro Sekunde. Die Wiege der Menschheit stand an den großen Flüssen. Die ersten Schriften, die Menschen lasen, waren die des Himmels und des Wassers. Fruchtbarkeit, Leben und Tod gingen untrennbar mit dem Vorhandensein oder der Abwesenheit von Wasser einher. Zum Verstehen verwendeten sie als gemeinsame Sprache Symbole, in denen sich die hermeneutischen Ströme der Weltenenergie abbildeten. Aber wie wird aus Wasser Blut? Es hat leicht zu regnen begonnen, und ich bin nicht nur in meine Gedanken versunken. Auch meine Schuhe sinken in die weiche Erde ein, wo zu meinen Füßen das Wasser versickert. Wo fließt es hin? Kann ein Tropfen Wasser sterben? Scheinbar verschwindet er, doch weder stirbt er, noch vergeht er. Vielmehr wird er wortwörtlich recycelt, von Neuem in den Kreislauf des Lebens eingegliedert. Recycling ist also keine Erfindung modernen Müllmanagements, sondern die Natur aller Existenz. Darin geht kein einziges Wassermolekül verloren, nur die Tropfen formen sich neu zusammen und mischen sich immer wieder neu aus anderen Wassermolekülen. Das alles findet unter meinen Füßen statt. Tief in der Erde sammeln sich Wassertropfen auf einer Fläche von vielen

hundert Quadratkilometern und fließen unsichtbar in unterirdischen Strömen und auf unbekannten Wegen, bis sie plötzlich wie durch ein Wunder an der Quelle frisch und gereinigt als das neue Wasser, das neue Leben hervorsprudeln. Kühl, klar und rein. Das Besondere an einem Kreislauf ist, dass er keinen Anfang und kein Ende hat. Ich könnte nicht sagen, ob der Anfang des Wasserkreislaufes das Meer ist, in dem Wasser verdunstet, oder vielmehr der Regen, der mir von den Blättern der Bäume aufs Haupt tropft. Sicher ist, ich könnte ohne diesen Wasserkreislauf nicht existieren. Er wird von vielen physikalischen Kräften angetrieben, die, außer an der Quelle, kaum sichtbar für unsere Augen sind. In ihn sind alle Wasserressourcen der Erde eingebunden. Kein einziger Tropfen kann der Gesamtheit des Weltenwassers zugeführt oder entnommen werden. Wir können uns selbst Blut spenden, aber der Erde kein Wasser. Es gibt keine Wasserspendezentrale auf einem anderen Planeten. Wenn wir unser Wasser vergeuden, lassen wir die Erde bluten. An anderen Orten kommt es dann durch Wassermangel zu Dürrekatastrophen. Wie bei Durchblutungsstörungen geht das Leben allmählich zugrunde. Und wenn wir Wasser verschmutzen und vergiften, vergiften wir die großen Kreisläufe und damit uns selbst. Wir existieren nicht getrennt von der Erde, sondern mit ihr. Wenn unsere Biosphären und Ökosysteme erkranken, dann auch wir. Toxine wie Blei können zum Beispiel unsere Herzkranzarterien verschließen, mit katastrophalen Konsequenzen für den Blutfluss im Herzen. Mit diesen Zusammenhängen befasst sich die relativ neue Subdisziplin der Umweltpathologie, analog zur Pathologie  – der Lehre von den Krankheiten des Menschen.162 Die unterirdischen Wasserspeicher und überirdischen Wolken sind die Herzkammern der Erde. Und dennoch hat das Blut der Erde keine Pumpe wie das Herz, das es antreibt. Es sind viele Kräfte, die da

wirken. Könnte es beim Menschen auch so sein? Den Fragen, was unser Blut antreibt und ob das Herz wirklich eine Pumpe ist, widmet sich der US-amerikanische Professor für Kardioanästhesie Branko Furst mit größter wissenschaftlicher Akribie.163 Er hält Menschen am Leben, wenn sie mit Herzwunden und Infarkten in die Notaufnahme und den Operationssaal kommen, und überwacht ihre Kreislauffunktionen im Schock. Über fünf Jahrzehnte war es üblich, diesen Patienten eine Intraaortale Gegenpulsationspumpe (Intraaortale Ballonpumpe, IABP) zu implantieren, in der Annahme, sie würde die Pumpfunktion des Herzens unterstützen. 2015 erschien dazu eine Meta-Analyse, die 3226 Patienten mit akutem Herzinfarkt untersuchte.164 Die Durchblutung der Herzmuskulatur nimmt in solchen Fällen ab und damit auch die Kontraktilität des Herzmuskels, bis die betroffenen Herzareale schlimmstenfalls überhaupt nicht mehr arbeiten  – ein lebensbedrohliches Krankheitsbild. Überraschenderweise wurde bei den Patienten mit IABP kein signifikanter Überlebensvorteil gefunden gegenüber denen, die ohne IABP therapiert wurden. Die Empfehlungen der amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften zum Einsatz der IABP bei Infarktpatienten im Schock wurden abgeschwächt. Wenn sich eine absterbende Pumpe nicht durch eine künstliche Pumpe unterstützen lässt, kann man sich natürlich die Frage stellen: Ist das Herz überhaupt eine Pumpe? Oder ist das vorherrschende Pumpenparadigma eine naive und mechanistische Vereinfachung der Komplexität unseres Herz- und Kreislaufsystems, das, wie die großen Wasserkreisläufe, von multiplen Kräften angetrieben wird? Seit Descartes das Herz vor 400  Jahren kurzerhand zur Pumpe skelettierte, wurde dies nicht mehr infrage gestellt.

Doch Furst wagt es in einem beeindruckenden wissenschaftlichen Lehrbuch mit dem Titel Autonomie der Blutbewegung  – Ein neuer Blick auf Herz und Kreislauf.165 Das Vorwort, in dem die Anerkennung und das Staunen selbst der profilierten Fachwelt anklingen, schrieb neben dem Kardiologen Raimund Erbel auch der deutsche Herzchirurg Roland Hetzer, ehemals Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin. Staunen, weil sich hinter der Begrifflichkeit »Autonomie der Blutbewegung« die Annahme verbirgt, dass unser flüssiges Organ nicht nur oder vielleicht auch gar nicht vom Herzen angetrieben wird. Sie können sich vorstellen, dass solche Gedanken und Paradigmenwechsel auch mich als Herzchirurg nicht kaltließen, vielmehr noch mein Blut in Wallung brachten und meine Neugierde antrieben. Dass das Herz ein Sinnesorgan ist, hatte ich erforscht und in einem Buch publiziert, jedoch in dem Glauben, es würde Blut transportieren. Nun nicht einmal mehr das? Keine Pumpe, kein Bluttransporter … was habe ich dann mein Leben lang operiert?

Die Mühle des Lebens Ist das Herz das Mühlrad im menschlichen Körper, das den Blutstrom antreibt, oder ist es auch beim Menschen so, dass der Fluss die Mühle bewegt? Das wäre intuitiv viel logischer. Viele wissenschaftliche Daten scheinen das heute zu bestätigen.166 Nach Tausenden von Operationen am offenen Herzen kann ich sagen, dass am Herzen die ganze archaische Kraft des Lebens sichtbar wird. Kontrahiert der Herzmuskel, dann öffnet sich die Aortenklappe zwischen linker Kammer und dem aufsteigenden Teil der großen Körperschlagader (Aorta), und sauerstoffreiches, arterielles Blut strömt zuerst kopfwärts. Im Aortenbogen ändert es seine Richtung um 180 Grad und strömt durch den absteigenden Teil der Körperschlagader dem Brustkorb, dem Bauch und den Beinen zu.

Wenn das Herz dann wieder entspannt, kehrt sich aufgrund der Schwerkraft und eines Ansaugeffekts der Blutfluss im aufsteigenden Teil der Aorta für einen Augenblick um und fließt zum Herzen zurück. Es kann aber nicht in die linke Herzkammer hineinfließen, weil die Aortenklappe durch den rückströmenden Blutfluss geschlossen wird, wie eine Tür, die der Windzug zuschlägt. Deshalb gelangt dieses rückströmende Blut in die Koronararterien, die ihren Ursprung genau über der Aortenklappe haben. Wäre das Herz ein Motor, dann würde man die Koronararterien als dessen Benzinleitungen verstehen. Sie ziehen in die kräftige Muskulatur des Herzens und versorgen es mit allem, was es für seine Kontraktionskraft braucht. Es ist faszinierend, wie sich das Herz auf diese Art und Weise während seiner Pause ganz ohne Anstrengung selbst mit Blut und Sauerstoff versorgt. Ohne Pumpen, nur durch Flussumkehr. Dass ein Fluss seine Fließrichtung ändert, ist selten in der Natur, aber wir können dieses Phänomen auch außerhalb des Menschen beobachten. In jährlichem Rhythmus ändert auch der Fluss Tonle Sap in Kambodscha seine Flussrichtung und fließt dann wieder dem TonleSap-See zu, dem er entspringt. Dieses wenig bekannte Naturschauspiel bringt Fruchtbarkeit und neues Leben in die Region, und die Menschen würdigen das mit der größten Feierlichkeit des Landes, dem Bon-Om-Touk-Wasserfest. Ein Fluss kann also auch seiner Quelle zuströmen; das komplexe Zusammenwirken verschiedener physikalischer Kräfte und Rhythmen macht dieses faszinierende Naturwunder möglich. So ein Wunder ist für mich auch der menschliche Kreislauf, und ich frage mich: Liefert das Herz durch seine Kontraktion die einzige Energie, die das Blut zirkulieren lässt? Kann ein faustgroßer Muskel, in dessen linke Hauptkammer etwas mehr als ein Viertel Liter Blut passen, täglich vier bis zehn Tonnen Blut durch die Gefäße treiben, die

insgesamt 100 000 Kilometer lang sind? Zumal die Blutgefäße zu den Zellen hin immer kleiner werden und damit der physikalische Flusswiderstand immer stärker. Hinzu kommt, dass die roten Blutkörperchen größer sind als der Durchmesser der meisten Kapillaren. Und wie im Kapitel »Der Motor der Sepsis« bereits beschrieben, kann der Blutfluss im septischen Schock paradoxerweise um das Zwei- bis Dreifache zunehmen, obwohl die beobachtete Pumpfunktion des Herzens abnimmt. Bei Spitzenathleten kann der Blutfluss im Körper auf über 30 Liter/Minute steigen. Auch wenn die Kontraktionen seiner Muskulatur zunehmen, kommt man auf das Doppelte der theoretischen Pumpleistung des Herzens. Natürlich schlägt das Herz auch schneller, aber eine höhere Herzfrequenz bedeutet eine kürzere Füllungszeit (Diastole) für die Herzhöhlen. Weniger Füllung heißt weniger Auswurf. Lange Zeit wurde diskutiert, ob auch die Skelettmuskulatur zum Bluttransport beitragen kann, doch diese Annahme wurde inzwischen verworfen.167 Das Herz alleine kann schwerlich die Kraft sein, welche unser Blut antreibt!

Auf der Welle surfen Unsere Vorstellungen des Kreislaufsystems sind zutiefst mechanistisch geprägt. Sie gehen modellhaft davon aus, dass es komplett geschlossen wäre wie beispielsweise das Röhrensystem einer Zentralheizung, in der Wasser zirkuliert, ohne auszutreten. Im Zentrum der Heizungsanlage sitzt, analog zum Herzen, ein Kessel mit Pumpe, und die treibt das Heizungswasser hydraulisch durch das Röhrensystem, bis es wieder bei der Pumpe ankommt. Die Idee eines thermodynamisch geschlossenen Systems ist übergegangen ins »kollektive Unbewusste« vieler Menschen und Ärzte.168 Die Biologie des Lebens ist jedoch sehr viel ausgeklügelter. Wie auch beim Wasserkreislauf der Natur ist es ein offenes, dynamisches System.

Es sind viele unsichtbare Kräfte und Helfer am Werk, die den Fluss des Blutes von seiner Quelle in die Welten unseres Körpers und wieder zurück unterstützen. Durch die Muskelbewegung des Herzens erhält das Blut einen Impuls, der sich auf die Arterien überträgt. Mit jeder Herzkontraktion werden diese gedehnt wie eine Feder, und wenn das Herz entspannt, ziehen sie sich zusammen, denn sie sind elastisch und haben Muskeln in ihren Wänden. Die vom Herzen ausgehende oszillierende Energie wird in den Wänden der Arterien gespeichert und weitergeleitet und als eine effektive Möglichkeit angesehen, den Blutstrom zu unterstützen. Sie können es sich so vorstellen, dass Ihre roten Blutkörperchen auf einer Welle surfen. Im Blut ist der Welle-TeilchenDualismus der Quantenphysik im Prinzip schon angelegt. Wenn eine medizinische Fachkraft Ihren Puls fühlt, dann tastet sie die oszillierende Ausbreitung dieser Pulswelle, die den physikalischen Gesetzen harmonischer Schwingungen gehorcht, wie wir sie auch in der Musik finden. Ein rhythmischer Ton dringt an meine Ohren, und ich schaue durch die staubigen Fenster der uralten Hammerschmiede am Blautopf, an der mein Weg mich nun vorbeiführt. Angetrieben wird sie stet vom vorbeiströmenden Wasser der Blau. Das rhythmische Fallen des Hammers auf den Amboss hört sich für mich an wie der Herzschlag des Gewässers. Auch das Herz verwandelt den Fluss in Druck. Einem der Pulsdiagnostik kundigen Arzt verrät die Qualität des Pulsschlages vieles. Ist die Aortenklappe undicht (Aortenklappeninsuffizienz), tastet er den sogenannten Wasserhammerpuls. Er ist langsam und sehr kräftig (celer et altus), weil das Herz mehr befüllt wird, als ihm guttut, und mit jedem Pulsschlag viel mehr Blut auswirft als üblich. Ist er dagegen flach, schnell und schwach (parvus et tardus), kann die Aortenklappe verkalkt sein und nicht mehr richtig öffnen. Das Herz

rast und versucht über mehr Tempo ausreichend Blut durch die beinahe verschlossenen Klappen, die Engstelle, zu quetschen. Wenn unser Blut frei fließen kann, ist es ein stiller unhörbarer Strom. Wird sein Fluss behindert, fließt es schneller. Es rauscht und zischt wie bei dem kleinen Wasserfall, durch den das Wasser dem Antriebsrad der Hammerschmiede zugeleitet wird. Anhand dieser Strömungsgeräusche können Ärzte Diagnosen stellen, wenn sie mit ihrem Stethoskop in uns hineinhorchen. Informationen des Blutes lassen sich also nicht nur an Blutwerten, sondern auch an seinem Druck- und Strömungsverhalten ablesen. Die Pulsdiagnostik ist in der Traditionellen Chinesischen Medizin seit Jahrtausenden eines der wichtigsten diagnostischen Instrumente, und auch die moderne Medizin entdeckt sie gerade wieder. Mit jeder Pulswelle, die den Körper durchläuft, hebt sich auch die Haut auf der Körperoberfläche, für unsere Augen unsichtbar, um Haaresbreite. Forscher der TU Hamburg konnten diese wandernden Wellen als Abstandsveränderungen im Sub-Mikrometerbereich mit einem neu entwickelten Pulsradar berührungslos und durch Kleidung, Bettdecken oder Matratzen hindurch detektieren.169 So lassen sich aus einiger Entfernung und ohne Kabel Rhythmusstörungen oder Arterienerkrankungen erkennen. Es ist derzeit noch ein Forschungsprojekt, aber vielleicht kann man das Endprodukt eines Tages wie einen Rauchmelder an die Decke hängen und als Frühwarnsystem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nutzen. Jede Pulswelle versetzt den Körper in mikroskopische Schwingungen, die mit dem Radar zu detektieren sind. Unsere Körper sind also frequenzabhängige, nicht-lineare, viscoelastische Resonanzkörper. Sie können wie ein Musikinstrument harmonisch schwingen und wohl gestimmt sein oder dissonant, mit steifen Gefäßen und aus dem Takt.

Was den Körper schwingen lässt, ist die Übertragung von Pulswellen durch Blut in den Gefäßen und Wasser in den Geweben. Blut ist keine Newtonsche Flüssigkeit mit linear-viskösem Fließverhalten wie Wasser, das immer die gleiche Viskosität hat (also gleich flüssig ist und die gleiche Zähigkeit hat), egal wie schnell es strömt, sondern eine nicht-Newtonsche Flüssigkeit wie Ketchup mit festen und flüssigen Bestandteilen, dessen Zähigkeit sich mit seiner Fließgeschwindigkeit und Dauer ändert. Das heißt, seine Zusammensetzung, seine physikalischen Eigenschaften, seine Fließgeschwindigkeit variieren und hängen auch davon ab, in welchem Teil des Blutgefäßsystems es gerade pulsiert und wie es von den Wänden der Pulswellen reflektiert wird. Das alles ist so komplex, dass sich ein eigenes Fachgebiet damit beschäftigt, die Rheologie: die Wissenschaft vom Fließen. Die Göttin Rhea bestimmte in der griechischen Mythologie den ewigen Fluss der Zeit und der Generationen. Blut kann systembiologisch nur fließen, wenn es sich in einem intakten Blutgefäß befindet und mit ausreichender Geschwindigkeit bewegt. Fließt es zu langsam oder spürt es eine Verletzung, dann hat es die Neigung zu gerinnen. Es kann also seine Umgebung ganz genau wahrnehmen und ist auch keine inerte Flüssigkeit wie Wasser, das mit möglichen Reaktionspartnern nur in geringem Maße reagiert, sondern eher das Gegenteil: ein aktives und dynamisches Medium, das unablässig im Austausch mit den Organen und Blutgefäßen ist, die es durchströmt.

Die Ufervegetation Die Wand eines Blutgefäßes können Sie sich vorstellen wie das Ufer eines natürlichen Flusses, bewachsen mit Gräsern und Pflanzen. Es bildet eine regulierende Übergangszone zwischen den Elementen Wasser und Erde und ist von überragender biologischer Bedeutung

sowie Lebensraum vieler Pflanzen und Tiere. Mehr noch, die Ufervegetation schützt vor Erosion und unterstützt die Gewässer, Schadstoffe zu eliminieren. An der Vielfalt der Flora und Fauna, die fließende Gewässer säumt, an ihrer Biodiversität kann auch der Laie den Gesundheitszustand eines Flusses erkennen. Gemeinhin werden Blutgefäße in medizinischen Abbildungen dargestellt wie Röhren, die innen spiegelglatt sind und aussehen wie eine rohrförmige Schwimmbadrutsche, in der anstelle von Badegästen rote und weiße Blutkörperchen durchflutschen. Dem ist jedoch keineswegs so. Die Blutgefäße sind nicht geschlossen wie ein Wasserrohr, sondern porös. Die Wände ihrer innersten Zellschicht, auch Endothel genannt, haben Fenster, die einen permanenten Austausch von Stoffen und Gasen aus der Blutbahn in die Gewebe und umgekehrt erlauben. Wie aktiv und offen unser Kreislaufsystem ist, erkennen wir daran, dass in jedem von uns unglaubliche 80 000 Liter Wasser am Tag auf Kapillarebene ausgetauscht werden. Sie wässern die Gärten unserer Gewebe, sorgen für den Stoffwechsel und biochemische Reaktionen. Das Endothel der Blutgefäße ist innen bewachsen, ähnlich wie es die Ufer eines natürlichen Flusses sind. Nicht mit Pflanzen, sondern mit Myriaden feiner härchenförmiger Proteine, der sogenannten Glykokalyx. Wie Gräser, die in den Fluss ragen, werden sie vom Blutstrom bewegt und nehmen seine Informationen auf. Die Glykokalyx sind die Sensoren und Antennen der Blutgefäße, die ihnen erlauben, die Zusammensetzung, den Fluss und den Druck im Blut nuanciert wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Unsere Blutgefäße sind also nicht etwa tumbe starre Röhren, sondern komplexe und sehr empfindliche Organe. In einem vergifteten Fluss wird die Ufervegetation zerstört, und auch die Glykokalyx ist sehr anfällig. Rauchen, Diabetes, zu hoher Blutdruck und stressbedingte freie

Radikale im Blut können sie zerstören und zu Undichtigkeiten, chronischen Gefäßentzündungen und über die Aktivierung der Gerinnung zur Bildung von Blutgerinnseln führen. Dann wird unsere Durchblutung gestört, und Gefäßverschlüsse, Infarkt und Schlaganfälle sind die Folgen.

Rote Rubine Damit unser Blut in der richtigen Menge an die richtigen Orte fließt und den dafür notwendigen Druck hat, können Blutgefäße ihren Durchmesser unablässig an die Erfordernisse des Körpers anpassen. Zum Beispiel können eine verstärkte Reibung und Scherkräfte des Blutes bei zu hohem Druck die Endothelzellen dazu veranlassen, Stickstoffmonoxid (NO) auszuschütten, und die Blutgefäße werden weit. Diesen Effekt macht sich auch die Medizin zunutze. Als Applikation unter die Zunge ist das sogenannte Nitrospray vielen Herzpatienten als Lebensretter wohlbekannt. Über die Freisetzung von Stickstoffmonoxid weitet es die Blutgefäße am Herzen, wenn ein Infarkt droht. Doch das passiert nicht nur am Herzen, sondern auch im Kopf, weshalb die häufigste Nebenwirkung des Nitrosprays Kopfschmerzen sind. Diese Medizin ist seit Jahrzehnten etabliert. Wie bei jedem Arzneimittel hat jede Wirkung leider sehr viele Nebenwirkungen, denn die Gabe eines Medikaments ist ein grober Eingriff in die subtile und intelligente Biochemie des Lebens. Wie raffiniert die roten Blutkörperchen selbst ihren Fluss und die Oxygenierung der Gewebe steuern, dürfte auch den meisten Ärzten unbekannt sein.170 Die kleinen roten Rubine des Lebens transportieren nicht nur Sauerstoff und Kohlendioxid, sondern machen sich auch selbst den Weg frei. Wenn Blutgefäße zu eng gestellt sind und sie in den Kapillaren nicht recht vorankommen, geben sie Stickstoffmonoxid ab, die Blutgefäße werden weiter, und der lebenswichtige Sauerstoff

kann von ihnen pünktlich geliefert werden. Aber nicht nur Sauerstoff für die Zellen, sondern auch Energie für eine weitreichende Dehnung der Blutgefäße können sie spenden.171 Über die Abgabe eines energiereichen Substrats, des sogenannten Adenosintriphosphats (ATP)  – das ist die universelle Währung für Energie im menschlichen Körper –, können sie die Arterien veranlassen, sich stromaufwärts und gegen die vorherrschende Flussrichtung zu weiten, so dass im Bedarfsfall insgesamt mehr oxygeniertes Blut zu denjenigen Organen und Geweben fließen kann, die es gerade am dringendsten brauchen. Erythrozyten sind also mitnichten nur passive Container von Blutgasen. Sie sind aktiv beteiligt an der autonomen Steuerung des Blutflusses und agieren als »mobile Sensoren«.172 Man nimmt heute an, dass 20 bis 25 Prozent des basalen Blutflusses über die roten Blutkörperchen gesteuert werden.173 Aufgrund ihrer komplexen Interaktionen wird ihnen in ihrer Gesamtheit der Status eines Organs zugestanden, von dem Sie wahrscheinlich noch nie gehört haben: das sogenannte Erythron. Es besteht aus den blutbildenden Zellen im Knochenmark und ihren Kindern, den Erythrozyten. Letztere sind selbstlose Wesen, die genau genommen nicht einmal als Zellen bezeichnet werden können, weil sie über keinen Zellkern und damit auch keine genetische Ego-Identität verfügen. Trotzdem sind es voll funktionierende Zellen, die einhundert Tage leben. Für ihren eigenen Energiebedarf verbrauchen sie kein einziges der Leben spendenden Sauerstoffmoleküle. Sie gewinnen diese Energie anaerob, also ohne Verbrauch von Sauerstoff. Denn der ist für die Zellen unseres Körpers bestimmt, aus dem wir bestehen. Haben sie ihre Ladung Sauerstoff dort abgegeben und Kohlendioxid aus den Zellen aufgenommen, machen sie sich zurück auf den Weg zum Herzen und der Lunge.

Der große Strom

Nun schwimmen sie nicht mehr mit den Pulswellen der Arterien, sondern sind übergegangen in den weiten und langsamen Strom des venösen Systems. Wie in den Wasseradern unter dem Blautopf sammelt sich unser Blut zunächst in unzähligen venösen Kapillaren, strömt dann zusammen in größere Gefäße, die Venolen, sammelt sich in den noch größeren Venen, die wir zum Beispiel unter unserer Haut sehen, und mündet dann in mehr als daumendicken Gefäßen der oberen und unteren Hohlvene ins Herz, in die Quelle. Die Venen sind die großen Blutspeicher des Körpers. Nur 15 Prozent unseres Blutvolumens befinden sich im arteriellen Hochdrucksystem und über 80 Prozent in den Venen, und davon mindestens die Hälfte in den Netzwerken der kleinen Venen und Venolen. Wie nun wird dieses venöse Blut aus den Venen der Zehenspitzen fast senkrecht hinauf zu der Lunge und zum Herzen transportiert? Wie Sie gesehen haben, ist das Blut-und-Kreislauf-System nicht geschlossen und hydraulisch, sondern offen und reagiert in hohem Maße dynamisch. Die arterielle und die venöse Seite des Kreislaufes können relativ unabhängig voneinander strömen.174 Unser Blut kann vom Herzen allein nicht einfach hydraulisch weitergeschoben werden. Andere Kräfte müssen hier am Werk sein. Während der Druck in den großen Arterien positiv ist, herrscht in den interstitiellen Geweben, also den Zwischenräumen zwischen den Kapillaren und den Zellen, ein Unterdruck, der eine saugende Kraft auf das venöse Blut ausübt.175 Deshalb bleibt auch Gewebewasser in Ihrer Haut, und wenn Sie viel trinken, glättet das Ihre Falten. Gegenüber der Atmosphäre negative Drucke sind auch die Ursache dafür, dass ihre Lungen offen bleiben und mit jeder Einatmung Luft in sie hineingesaugt wird. Doch der Atem transportiert nicht nur Luft, sondern auch Blut. Bei jeder Einatmung wird der Druck im Brustkorb negativ, und dieser Unterdruck unterstützt den venösen Rückfluss zum

Herzen. Dort mündet es in den rechten Vorhof, dessen Füllung die Pumpleistung des Herzens bestimmt. Je mehr der rechte Vorhof über die Venen gefüllt wird, umso mehr erhöht sich die Auswurfleistung des Herzens. Und nun kommt etwas, das auch für Kreislaufforscher nicht ganz leicht zu verstehen ist: Denn je mehr der rechte Vorhof gefüllt wird, umso höher sind die Drucke darin, und diese behindern den Zustrom des Blutes zum Herzen. Das Herz bildet also mit zunehmender Arbeit einen immer höheren Widerstand gegen das einströmende venöse Blut. Je mehr der Vorhof gefüllt wird, desto höher sind seine Drucke und desto weniger venöses Blut kann einströmen. Niemand würde eine Pumpe konstruieren, die so arbeitet und sich selbst im Weg steht. Das macht für eine Pumpe keinen Sinn. Für das Prinzip des hydraulischen Widders aber schon.176

Der hydraulische Widder Ein hydraulischer Widder ist eine einfache und doch raffinierte Pulsmaschine, die 1796 von Joseph Michel Montgolfier erfunden wurde. Auf diesen genialen Tüftler sowie seinen Bruder Jacques Étienne geht auch der Heißluftballon zurück. Der hydraulische Widder, auch Staudruck-Wasserheber genannt, kann Wasser in große Höhen transportieren, indem er Fluss in Druck umwandelt. Zum Beispiel verwenden ihn Bergbauern, um Wasser auf eine Alm zu transportieren. Dazu wird der hydraulische Widder auf den Grund eines strömenden Gewässers gestellt, zum Beispiel einen Fluss im Tal. Allein durch die Kraft des strömenden Wassers wird er angetrieben. Der Unterschied zwischen einem hydraulischen Widder und einer Pumpe ist also, dass Ersterer in einem Strom bereits bewegten Wassers steht und dessen kinetische Bewegungsenergie aufnimmt, um seine Arbeit zu verrichten, während man einer Pumpe Energie zuführen muss, beispielsweise durch Muskelkraft oder elektrischen Strom. Die wichtigsten Bauteile des hydraulischen Widders sind zwei Klappen, zwei Rückstoßventile und zwei Kammern. Durch ein Rohr, das als Triebleitung bezeichnet wird, strömt das Wasser ein. Beim Menschen wäre das der venöse Blutstrom, der dem Herzen zufließt. Das einströmende Wasser (venöses Blut) öffnet ein Stoßventil (Herzklappe zwischen Vorhof und Kammer), das durch eine Sprungfeder wieder geschlossen wird (Kontraktion der Herzkammer). Dadurch wird ein rhythmischer Stoßimpuls erzeugt, der das Wasser in eine Steigleitung drückt (aufsteigende große Körperschlagader) und es dadurch in die Höhe transportieren kann. Wie auch beim Herzen wird nur ein Teil des einströmenden Wasservolumens ausgestoßen. Damit es

nicht wieder zurückfließt, gibt es am Beginn der Steigleitung noch ein Druckventil (Aortenklappe). Nun werden Sie zu Recht einwenden, dass das Herz nicht jeweils zwei Klappen und Herzhöhlen hat, sondern vier. Das ist richtig, man könnte es gewissermaßen als zwei hydraulische Widder verstehen, die hintereinandergeschaltet sind. Vergleiche mechanischer Systeme mit der Komplexität biologischer Phänomene sind immer begrenzt. Was hier jedoch verdeutlicht werden soll, ist die Tatsache, dass ein hydraulischer Widder nicht das Gewässer antreibt, in dem er steht, sondern seinen primär existierenden Fluss in ein Drucksignal umwandelt.177 Wie auch eine Uhr nicht die Zeit antreibt und eine Mühle nicht den Fluss.

Wirbelstürme im Herzen Beim Einströmen in unsere Herzkammern bildet Blut Wirbel, sogenannte Vortices (Singular: Vortex).178 Das sind helikale (spiralförmige) Strukturen, die aussehen, als ob sie sich um ihre eigene Achse wickeln, und als solche kommen sie überall in der Natur vor. Wir finden sie in der Anordnung der Blütenblätter der Sonnenblume, in der Spiralform einer schönen Muschel oder in der Dynamik von Wasserwirbeln, die an der Quelle aufsteigen. Der Förster und Naturphilosoph Viktor Schauberger (1885–1958) hat sich sein Leben lang mit den natürlichen Verwirbelungen des Wassers an der Quelle beschäftigt. Auf ihn geht der Begriff vom lebendigen Wasser zurück, das an der Quelle und in naturbelassenen Flüssen und Bächen nach »Herzenslust« schwingen könne und wie ein Energieball zykloid in Bewegung sei.179 Nicht nur Wasser, sondern auch Zyklone, Wirbelstürme und Tornados manifestieren sich in der Form eines Vortex. Ihre Natur ist es, sich zu entladen und ihre Energie an die Umgebung abzugeben. Sicher ist es kein Zufall, dass sich um den

Äskulapstab, das Symbol der Heilberufe, spiralförmig eine Schlange windet, als Zeichen der Heilenergie, die auf den Patienten übergehen soll. Das Wissen um die Wirbel menschlichen Blutes ist uralt. Leonardo da Vinci illustrierte bereits 1513 in seinen Zeichnungen, wie Blut beim Verlassen des Herzens durch die Aortenklappe harmonisch verwirbelt wird. Doch den Blutstrom im tiefsten Inneren des Herzens, in seinen Kammern, können wir erst seit wenigen Jahren darstellen. Die vierdimensionale Magnetresonanztomographie macht die Schönheit der bis dato geheimen Verwirbelungen sichtbar. In beide Herzkammern strömt das Blut von oben (kopfwärts) ein, verwirbelt spiralförmig und verlässt das Herz in fast genau 180 Grad Gegenrichtung wieder nach oben. Die freiwerdende Energie wird zum Dehnen und Füllen der Herzkammern eingesetzt. Im Zentrum des Vortex wird aber auch Unterdruck erzeugt, der die Füllung unterstützt. Bereits beim ruhenden Herzen werden 30 Prozent des Energieverbrauchs als Hitze abgegeben. Wenn es kontrahiert, werden 75 Prozent der Energie in Wärme umgewandelt, nicht in Antrieb. Die energetische, mechanische Effizienz des Herzens liegt demnach nur bei 10 bis 15 Prozent. Für eine Pumpe kein besonders guter Wert. Sieht man jedoch Herzenswärme als ein Lebenselixier an, als eine Energie von Bewusstsein, die wir uns selbst und anderen spenden können, dann ergibt das alles Sinn.180 Ein Leitsatz vieler Designer lautet, die Form ergibt sich aus der Funktion (form follows function). Ein großartiges Vorbild ist die Natur. Und so wirbelt Blut nicht nur helikal in den Höhlen des Herzens, sondern das ganze Herz ist in der Form eines Vortex gebaut. Es besteht aus mehreren Lagen Muskelschichten, die spiralförmig ineinander verdreht sind. Mit jeder Kontraktion verwinden die Muskelfasern etwas mehr ineinander, und mit der Entspannung

rotieren sie wieder zurück. Sie können es sich vorstellen wie zwei Gummibänder, die man miteinander verdreht. Dazu ist Kraft erforderlich (Kontraktion des Herzens). Lässt man sie los, rotieren sie zurück, und die gespeicherte Energie wird frei, das Herz wird gefüllt. Man geht heute davon aus, dass primär die Wirbelbildung des Blutes im embryonalen Herzen dazu beiträgt, dessen Muskelfasern in Spiralform anzuordnen, und dem Herzen die Form einer bauchigen Amphore gibt, mit einer feinen Spitze. Letztere ist dünn, besteht nur aus wenigen Muskelfasern und kann kaum zur »Pumpfunktion« beitragen.181 Wenn das Herz also eine Pumpe wäre, dann keine besonders gut konstruierte. Bedenken Sie nur, dass seine normale Auswurfleistung (Ejektionsfraktion) bei 50 bis 60 Prozent liegt. Wieso nicht 100  Prozent? Zudem impliziert die Wirbelbildung des Blutstromes hohe Reibungs- und Strömungsverluste, die nicht so recht zu einer Pumpe passen, die das Blut antreiben soll. Harmonie und Störungen dieser Wirbel verraten viel über Gesundheit und Erkrankungen des Herzens. Herzklappenerkrankungen und Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern stören auch die Verwirbelung des Blutes. Es besteht die Gefahr, dass es gerinnt und sich Blutkoagel und Thromben in den Herzhöhlen bilden. Genauso verhält es sich bei Herzmuskelschwäche aufgrund von Infarkten oder anderen Ursachen. Werden diese Thromben nicht entdeckt und gelangen in die Strombahn der feinen Arterien, führt das zu Schlaganfällen und Embolien. Daher müssen die betroffenen Patienten Blutgerinnungshemmer einnehmen. Wie in der Natur führen disruptive Phänomene der Kreisläufe beim Menschen zu Überschwemmungen, Fluten, Dürre und Fieber. Die Folge sind Durchblutungsstörungen, Schmerzen, Luftnot. Wenn das Herz nur sehr schwach schlägt oder wenn seine Klappen nicht richtig

öffnen und schließen, staut sich das venöse Blut vor dem Herzen. Der Stau kann so stark werden, dass Wasser aus den Blutgefäßen austritt und die Gewebe der Organe überwässert. Das ist, wie wenn ein Fluss über die Ufer tritt und ganze Landschaften unter Wasser setzt und zerstört. Solche Wassereinlagerungen werden als Ödeme bezeichnet, die meistens in den Beinen beginnen. Im fortgeschrittenen Stadium ist auch die Lunge betroffen, und die Patienten können nur noch mit größter Mühe atmen. Sie haben permanent das Gefühl, ersticken zu müssen. Mit der Zeit betrifft die dauerhafte Flussabschwächung durch Herzinsuffizienz alle Organe, und da 30 Prozent unseres Blutflusses für das Gehirn bestimmt sind, fördert sie auch die Demenz.

Das müde Herz Über Jahrzehnte wurde die Herzkraft nur über die Kontraktion des Muskels und die Auswurfleistung in der Systole, also der Anspannungsphase, definiert. Ist sie schwach, spricht man von einer Herzschwäche, einer Herzinsuffizienz. Heute wissen wir, dass es auch eine diastolische Herzschwäche gibt. Sie geht einher mit der Unfähigkeit des Herzmuskels, sich zu entspannen und gut gefüllt zu werden. Man spricht dann von einer diastolischen Herzinsuffizienz, synonym auch von einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (Heart Failure with Preserved Ejection Fraction).182 In jedem Falle wird allein mit der Begrifflichkeit »erhaltene Pumpfunktion« das Paradigma, das Herz sei eine Pumpe, die Blut durch den Kreislauf treibt, infrage gestellt. Manche Herzen haben also ein Problem, sich anzustrengen, ihre Kontraktilität ist schwach. Andere haben ein Problem, sich zu entspannen und sich dem Zustrom des Blutes zu öffnen. Die empfindliche Balance von Anspannung und Entspannung ist gestört. Ein Phänomen, das nicht nur Herzen betrifft, sondern, wie es mir scheinen will, den Lebensstil vieler Menschen.

Weltweit leiden 30 bis 50 Millionen Menschen an einer chronischen Herzschwäche. Innerhalb von fünf Jahren versterben davon unglaubliche 50 Prozent.183 Trotz aller Errungenschaften moderner Medizin muss man davon ausgehen, dass die Ursachen der verschiedenen Formen der sogenannten Herzinsuffizienz nicht wirklich verstanden sind. Es ist ein komplexes Krankheitsbild, für das es nach Ansicht verschiedener Fachgesellschaften gegenwärtig keine objektive Definition gibt. Und auch keine überzeugende Therapie. »Die Ergebnisse der meisten Studien zur Therapie der Herzinsuffizienz sind schmerzlich oder schwer zu interpretieren«, schrieb der Herzinsuffizienz-Experte Milton Packer 2016 im Fachmagazin Circulation.184 Lange Zeit war man der Meinung, es genüge, die Pumpe anzutreiben, und verabreichte Medikamente wie Dopamin oder Adrenalin, die zu einer Zunahme der Kontraktilität führen und als positiv inotrop bezeichnet werden. Der Körper kann diese Hormone und Neurotransmitter auch selbst in der Nebennierenrinde und sogar im Herzen synthetisieren. Zum Beispiel, wenn wir verliebt sind oder Stress haben, oder aber auch, wenn wir schwerstverletzt um unser Leben kämpfen wie Hamid. Kurzfristig können sie in der Notfallmedizin unser Leben retten. Für eine länger dauernde Therapie der Herzinsuffizienz sind sie ungeeignet. In einer Studie von 2003 mit 150 000 Teilnehmern war die Sterblichkeit jener Patienten, die mit positiv inotropen Substanzen behandelt wurden, sogar höher (19 Prozent) im Vergleich zu jenen, bei denen darauf verzichtet wurde (14 Prozent).185 Weitaus bessere Ergebnisse erzielen wir mit Medikamenten, welche die Blutstrombahn erweitern, den Blutdruck senken, den Herzschlag verlangsamen und die Pumpkraft sogar noch schwächen, wie zum Beispiel Betablocker. Sie werden bei allen Formen der Herzschwäche eingesetzt neben Substanzen, die nur die Gefäße erweitern wie zum Beispiel ACE-

Hemmer (ACE: Angiotensin-Converting Enzyme). Das erscheint völlig unlogisch, wenn man das Herz als eine Pumpe betrachtet, die schwächelt.186 Trotzdem setzte die herzchirurgische Forschung viele Jahre lang große Hoffnungen darauf, diese »Pumpe« operativ zu ersetzen. Doch die Implantation vollständiger Herzpumpen (Total Artificial Heart), bei denen das Herz durch eine Maschine ersetzt wird, geht einher mit schwersten Komplikationen wie Blutungen, Embolien und Infektionen an dem Stromkabel, das aus dem Patienten herausgeführt wird und ihn mit den Batterien verbindet, die außerhalb des Körpers gelagert sind. Ihre Flussraten so einzustellen, dass sie an die Bedürfnisse des Körpers angepasst sind, ist eine große Herausforderung, denn man kann interessanterweise am venösen Zustrom nicht saugen und auf diese Weise die Pumpleistung erhöhen. Die dünnwandigen Venen würden kollabieren, und es flösse überhaupt kein Blut mehr. Es funktioniert nur, wenn eine ausreichende Menge Blut dem Herzen von »alleine«, also autonom, zuströmt. Am besten arbeiten die Miniturbinen als mechanische Herzunterstützung, die nicht im klassischen Sinne »pumpen«, sondern auf die linke und bei Bedarf auch die rechte Herzkammer aufgesteckt werden und einen kontinuierlichen Fluss erzeugen. In diesem Falle bleibt das Herz auf natürliche Art eingebettet in einen Blutstrom, der auch durch andere Kräfte angetrieben wird. Seine Fähigkeit, die Kräfte und Qualitäten des Blutes zu fühlen, bleibt erhalten. Es ist ein Sinnesorgan, das über komplexe neuronale und hormonelle Verbindungen das Fließen von Blut und Wasser steuert. Wenn es z. B. bei einer Herzinsuffizienz zu voll ist, weil es sich nicht entleeren kann und seine Wände zu sehr gedehnt sind, bildet es ein Hormon namens NT-pro-BNP. Die Nieren werden dann angeregt, vermehrt Wasser auszuscheiden und die Überschwemmung, sprich Ödembildung, zu

vermeiden. Eine derartige Anpassung des Blutflusses an die Bedürfnisse unserer Körper können künstliche Pumpen bisher nicht leisten. NT-pro-BNP ist für Ärzte ein sehr aussagekräftiger Blutwert zur Verlaufskontrolle der Herzinsuffizienz. Damit diese eines Tages eine weniger katastrophale Prognose hat und vielleicht sogar heilbar wird, brauchen wir ein neues Verständnis für die Funktion des Herzens und sein Herzblut.

Am Anfang ist der Fluss Eine Reihe von Phänomenen weist darauf hin, dass Blut nicht vom Herzen transportiert wird, sondern eine eigene kinetische Bewegung hat. Bei Operationen der großen Körperschlagader im Brust- und Bauchraum wird diese abgeklemmt, und paradoxerweise nimmt die gemessene Auswurfleistung des Herzens dann um bis zu 25 Prozent zu.187 Der Herzchirurg Leon Manteuffel-Szoege zeigte bereits früher in Tierexperimenten mit Hunden, dass ein restlicher Blutfluss noch bis zu zwei Stunden nach dem Tod nachweisbar ist.188 Alle Herzchirurgen kennen das Phänomen, dass sich das Herz nach dem letzten Herzschlag nicht entleert, sondern immer voller wird. Das venöse Blut strömt weiter zum rechten Herzen zurück und füllt es. So, als wollte es noch einmal zu seiner Quelle zurückkehren. Welche Kräfte bewegen es, und wie ist das alles zu erklären? Branko Furst versuchte, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, und studierte ausgiebig die Evolution des Herz-Kreislauf-Systems. Herz, Blut und Gefäße haben einen gemeinsamen embryonalen Ursprung im mittleren der drei Keimblätter, dem sogenannten Mesoderm. Sie sind demnach funktionell als ein vereintes, hochdifferenziertes Organ zu sehen, in dem Blut oszilliert, also hin und her fließt. Die Natur unseres Blutes ist Bewegung, und der Kreislauf beginnt mit seinem Fließen. Noch bevor es das Herz gibt! Auch

William Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufs, sah das so, wie in einem Essay über ihn zu lesen ist. Das Blut bewege sich zu Beginn der Embryonalentwicklung zunächst von selbst. »Das Herz entsteht erst später und ist gerade dann fertig, wenn die Eigenbewegung des Blutes nicht mehr ausreichen würde, um den inzwischen gewachsenen Embryo zu durchströmen.«189 Moderne Forschungsergebnisse scheinen das zu bestätigen. Primitive Wirbeltiere wie das Lanzettfischchen haben bereits eine Blutzirkulation, aber kein Herz. Und beim höher entwickelten Zebrafisch konnte 2006 in einer bahnbrechenden Studie gezeigt werden: Blut bewegt sich in seiner frühen Entwicklungsphase unabhängig vom Herzen.190 Zu einem Zeitpunkt, an dem das Herz noch lange nicht fertig ist und noch keine Klappen hat, fließt der Blutstrom schneller, als die frühen peristaltischen Bewegungen des Herzens es antreiben könnten. Die Entwicklung des Herzens ist sogar von diesem primären Blutfluss abhängig! Stoppt man diesen primären Blutstrom, dann kann sich ein Herz gar nicht erst vollständig entwickeln und bildet keine Herzklappen aus.191 Es ist verblüffend, aber die vergleichende Anatomie und Physiologie der Evolution des Kreislaufes zeigen eindeutig: Am Anfang war der Fluss. Die »Pumpe« kommt erst später. Auf dieser Basis und als Antithese zum sogenannten kardiozentrischen Pumpenmodell des Kreislaufs entwickelte Branko Furst zur Erklärung ein integratives biologisches Modell, das den ganzen Menschen im Fluss sieht und die verschiedenen Kräfte, die in ihm wirken, vereint. Der Antrieb des Blutes basiert demnach auf der Sauerstoffspannung zwischen den sauerstoffreichen Lungengeweben und den metabolisch aktiven Organen, die diesen Sauerstoff benötigen. Das flüssige Organ Blut überbrückt diese Differenz, indem es dorthin fließt, wo es gebraucht wird. Auf der arteriellen Seite also sauerstoffreich von der Lunge zu den Geweben, die großen Hunger

nach Sauerstoff haben. Und auf der venösen Seite sauerstoffarm dem rechten Herzen und der sauerstoffreichen Lunge zu, wo es wieder betankt wird. Das macht es sogar für kurze Zeit auch dann noch, wenn bereits ein Herzstillstand eingetreten ist. Blut hat demnach eine eigene kinetische Energie, die vom Stoffwechsel und der Sauerstoffkonzentration der Gewebe abhängig ist. Es fließt zwischen diesen Polen hin und her wie der Strom in Magnetfeldern. Und da jedes rote Blutkörperchen einen Kern aus Eisen hat und das Herz ein starkes elektromagnetisches Feld bildet, weisen neuere Forschungsergebnisse darauf hin, dass auch die elektromagnetischen Kräfte des zentralen Herzens zur Bewegung der Erythrozyten beitragen.192 In der Peripherie wird der autonome Fluss maßgeblich von den Durchmessern der Kapillaren und der autonomen Aktivität der roten Blutkörperchen gesteuert. Ohnehin ist seit langem bekannt, dass sich biologische Flüssigkeiten wie Blut oder auch Lymphe aufgrund von Temperaturgefällen oder chemischer Gradienten bewegen können. Im Moment sind sogenannte aktive Flüssigkeiten, die sich, angetrieben von ihren eigenen molekularen Motoren in Tuben, selbst bewegen, ein brandaktuelles Thema in der biophysikalischen Forschung.193 Geschwindigkeiten von bis zu 10 Mikrometern pro Sekunde wurden gemessen. Das ist vergleichbar mit dem Tempo, das Blutkörperchen in den Kapillaren erreichen. Sogar für Wasser wurde in Experimenten gezeigt, dass es in einem Rohr, das mit biologischen, hydrophilen Oberflächen beschichtet ist, von selbst ins Fließen kommt, ohne dass ein Gefälle vorliegen muss.194 Alles, was es dazu braucht, ist Licht, also Sonnenenergie. Manche Physiker halten es daher für denkbar, dass deren Strahlungsenergie mithilft, den kapillaren Blutfluss unter der Haut anzutreiben, indem es Ladungen trennt und Ionengefälle erzeugt.

Nun werden Sie zu Recht fragen: Wozu braucht man dann ein rhythmisch kontrahierendes Herz, wenn unser Blut auch von allein fließen kann? Nach Ansicht von Furst unterbricht das Herz den bereits vorhandenen Blutfluss rhythmisch und wandelt ihn in Drucksignale um.195 Nach dem Prinzip des hydraulischen Widders bringt es den Druck in die Gefäße, den wir für die normale Physiologie unseres Kreislaufes zum Leben brauchen. Wir sind keine Fische, sondern mit der Evolution dem Wasser entstiegen und so den Kräften der Schwerkraft ausgesetzt. Der Druck, den das Herz in den Arterien erzeugt, dient nicht dem Transport des Blutes, sondern als eine Gegenkraft zur Schwerkraft und dem hydrostatischen Druck, dem ganz besonders das Blut in den Organen über dem Herzen ausgesetzt ist. Mit jedem Herzschlag verlässt das Blut die Herzkammern kopfwärts. Von der rechten Kammer in die Lungen und von der linken Kammer ins Gehirn. Dabei wandelt das Herz Fluss in Druck um. Dieser ist erforderlich, um die Herzklappen rhythmisch zu öffnen und zu schließen und den Druck in der Blutsäule der Gefäße zu halten, und trägt dazu bei, dass das Blut nach jedem Herzschlag nicht zum Herzen zurückfließt. Besonders auf diese Mechanismen angewiesen ist die Giraffe, die einen zwei bis drei Meter langen Hals hat und deren Gehirn hoch über dem Herzen thront. Damit es noch durchblutet wird, braucht sie einen ziemlich hohen mittleren arteriellen Blutdruck von etwa 200 mmHg. Dieser Wert ist proportional zur Länge ihres Halses und doppelt so hoch wie bei anderen Tieren mit einer vergleichbaren Körpermasse, aber kürzeren Hälsen.196 Zu denen zählt auch der Mensch, und sein Blutdruck ist auch in besonderem Maße von seinen Emotionen abhängig. Sehen wir etwas Schreckliches oder haben wir Schmerzen, können die zentralen Blutgefäße, beeinflusst durch den Vagusnerv, plötzlich weit werden, und der Druck sinkt, wie bei Ludwig, dem hämatophoben Studenten

im Herz-OP, von dem ich eingangs erzählte. Zuerst wurde er weiß um die Nase, denn das sympathische Nervensystem versuchte noch schnell, sich dem entgegenzustellen und sein Blut aus der Haut durch aktives Engstellen der Gefäße Richtung Kopf umzuverteilen. Weil das nicht ausreichte und der Blutdruck weiter fiel, verlor er das Bewusstsein, obwohl sein Herz noch schlug und sein Blut zirkulierte. Der Mensch ist das einzige Tier, bei dem solche psychisch bedingten vasovagalen Synkopen auftreten. Damit das möglichst nicht passiert, wird unser Blutdruck sorgsam von Druckrezeptoren im Aortenbogen und in den Halsarterien überwacht. Wenn er sinkt, feuern deren elektrische Signale langsamer, das Herz erhält diese Informationen über das autonome Nervensystem und schlägt schneller. Der Druck steigt. Umgekehrt wird der Herzschlag durch die Aktivitäten des autonomen Nervensystems langsamer, wenn der Blutdruck zu hoch ist. Doch die Kommunikation im Körper findet nicht nur über Nervensignale statt. Mit jeder Kontraktion wird nicht nur Druck erzeugt, sondern auch eine Pulswelle. Diese Pulswellen sind eine Art Sprache des Herzens und breiten sich wesentlich schneller durch den Körper aus, als das Blut in den Arterien surft. Sie sind biophysikalische Information, und wie Nervensignale überbringen sie Botschaften an die Gewebe und Organe, die sie mit ihren Drucksensoren aufnehmen. Sie können es sich so vorstellen, wie wenn Ihnen jemand die Hand schüttelt. Darin können auch viele Informationen enthalten sein. Ist der Händedruck fest und verbindlich, lasch oder feucht? Oder zittert die Hand ihres Gegenübers gar, vor Aufregung, Freude oder Angst? Auch unsere inneren Gewebe und Organe haben Mechanosensoren, und für deren Entdeckung wurde 2021 der Nobelpreis für Medizin verliehen.197 Sie sind beteiligt an inneren, autonomen Prozessen von Bewusstsein und der Steuerung unseres Blutdrucks und Kreislaufs.

Darf man nun sagen, dass Blut autonom, also aus eigenem Antrieb fließt, ohne die Gesetze der Thermodynamik zu verletzen? Das scheint auf den ersten Blick sehr verwegen, es gibt kein Perpetuum Mobile, etwas, das sich mit eigener Kraft selbst bewegen kann und immer in Bewegung bleibt. Natürlich nicht, denn wir müssen essen, trinken und brauchen Licht und Sonne, um uns Energie zuzuführen. In einem Gespräch mit dem Journalisten Walter Alexander sagte Branko Furst: »Konzeptuell unterscheidet sich die Annahme einer autonomen Blutbewegung nicht von der allgemein akzeptierten autonomen Bewegung des Herzens.«198 Das Herz kann sich im Sinusknoten selbst erregen und autonom, das heißt unabhängig von unserem Willen, schlagen. Herzchirurgen wissen, es schlägt sogar noch für eine gewisse Zeit außerhalb des Körpers, nachdem es explantiert wurde. Was hat es mit dieser Autonomie auf sich? Viele ineinandergreifende Kreisläufe von Blut, Molekülen und Ionenströmen in Nervenzellen bewirken diesen Takt des Lebens. Rückkopplungen (Feedback Loops) in komplexen Regelkreisen führen zu Oszillationen von Ionenströmen und zum Herzrhythmus. Er ist Teil unseres autonomen Nervensystems, das wir nicht kontrollieren können und das uns steuert. Dessen Schwingungen lassen uns wachen und schlafen, synchronisieren unseren Herzschlag mit der Atmung und lassen uns Lust auf Sex haben. Eine ganze Sparte der Wissenschaft befasst sich mit dem faszinierenden Forschungsfeld unserer inneren Uhr, der Chronobiologie. Ihre Sekundenzeiger sind nicht rhythmisch, sondern folgen den Gesetzen des Chaos. Das ist eine Bezeichnung für die höhere Ordnung von biologischen Zeiten und Prozessen, die wir mit unserem Verstand schwer erfassen können. Der Takt des Lebens entsteht also aus vielen Kreisläufen, die sich gegenseitig so beeinflussen, dass Pulsationen entstehen. Pulsationen sind

Schwingungen des Kreises, und in einem Kreislauf gibt es keinen Anfang und kein Ende. Sie sind das Ergebnis komplexer biokybernetischer Prozesse, bei denen multiple biologische Regelkreise ineinandergreifen, wie es auch in den Blutkreisläufen der Natur der Fall ist. Sie fließen nicht in geschlossenen Kreisläufen und werden nicht von einer Pumpenmaschine angetrieben, sondern haben ihre eigenen Gesetze, die sich mit der Reduktion auf chemische Prozesse und die Newtonsche Standardphysik des Maschinenbaus schwerlich abbilden lassen.199 Störungen des Fließens machen Menschen krank und die Erde gleich mit. Fließt kein Blut, erleiden wir Schlaganfälle und Herzinfarkte; Bluthochdruck plagt uns, wenn sich die Gefäße dem Strom nicht anpassen wollen. Erstarrt unsere Flexibilität, der Flow von Freude, werden wir depressiv. Und wenn unser Müll die großen Kreisläufe der Erde verstopft, dann kommen deren fein abgestimmte Biosphären aus dem Takt. Polkappen schmelzen im erhitzten Klima, Flüsse treten zerstörerisch über die Ufer und reißen alles fort, andere trocknen gleich ganz aus. Die Folgen sind Tod und Verderben, aus deren Biomasse wieder neues Leben entsteht. Ohne Blut schlägt kein Herz, und ohne Herz fließt kein Blut. Für mich sitzen die beiden gemeinsam auf einer Schaukel und treiben sich gegenseitig an. Impuls und Gegenimpuls. Sie sind das Yin und Yang in uns. Damit werden in der chinesischen Philosophie gegensätzliche, aber miteinander verbundene Kräfte oder Prinzipien bezeichnet, die gemeinsam eine Einheit bilden wie Tag und Nacht, schlafen und wachen, männlich und weiblich, Erde und Wasser, Materie und Antimaterie, Verwunden und Heilen oder Sommer und Winter.

Überleben Drei Monate waren vergangen, aus Herbst war Winter geworden, Weihnachten war vorüber, und der beginnende Frühling lag in der Luft. Es war einer der ersten wärmeren Tage des Jahres, die Krokusse blühten, der Himmel war blau. Wie an vielen Nachmittagen ging ich nach den OPs auf die Intensivstation, um nach meinen Patienten zu schauen. »Ich glaub, mich tritt ein Pferd«, sagte einer der Pfleger mehr zu sich als zu mir: »Da bringt einer Kuchen.« »Besser als schlechte Nachrichten«, grinste eine Pflegerin im Vorbeigehen. Es hatte sich schon herumgesprochen. Alle, die Zeit hatten, strömten in den kleinen Aufenthaltsraum. Irgendjemand hakte mich unter und zog mich mit. »Baklava«, hörte ich. Dann sah ich schwarze Haare. Nun waren sie kurz geschnitten. Als ich Hamid zum ersten Mal begegnete, lag er im Todeskampf, schwitzend und ausblutend in einem Schockraum. Ich erinnerte mich deutlich an die schwarzen Locken, die an der weißen Haut seines Gesichts klebten. Erster Eindruck jetzt: Noch schwer gezeichnet von der Erkrankung, aber am Leben! Am Hals seines offenen Hemdkragens erkannte ich die Narbe des noch nicht ganz verheilten Tracheostomas, des Luftröhrenschnitts, über den seine Langzeitbeatmung durchgeführt wurde. Hamid war abgemagert, seine Bewegungen wirkten eckig, und er ging an einem Stock, zitternd und langsam. Viele Intensivpatienten haben nach den Monaten im Bett einen enormen Muskelabbau und eine Störung des gesamten Nervensystems erlitten, die als Polyneuropathie bezeichnet wird. Hamids Erscheinung glich einem späten Kriegsheimkehrer, wie auf Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg. Oder einem der Opfer des Beirut Barack Bombing, das ich aus meiner

Zeit an der Dartmouth Medical School in den USA noch in Erinnerung hatte. Nur dass er besser gekleidet war mit weißen Sneakern und blauer Windjacke, die an seinem ausgemergelten Körper hing wie an einem Kleiderständer. Er hatte mich noch gar nicht gesehen, war mit zitternden Händen damit beschäftigt, Baklava zu verteilen auf die gereichten Teller des bunt zusammengewürfelten Geschirrs der Intensivstation. Immer mal wieder umarmte eine Pflegerin ihn, Pfleger klopften ihm auf die Schulter. Hamids Schicksal hatte sie alle berührt. Es war ein Freudentag, als er, den sie über Wochen gepflegt hatten wie ein Kleinkind, entlassen werden konnte. Alle glaubten, dass er es schaffen würde, wenngleich es keine Garantie gab. Doch in der Klinik für Langzeitintensivpatienten war er in guten Händen gewesen, wie wir nun erkannten. Meistens verlieren wir solche Patienten aus den Augen, irgendwann bekommen wir einen Arztbrief, der über den weiteren Verlauf berichtet. Nicht wenige versterben, manche bleiben schwerste Pflegefälle, und eher die Minderheit kommt wieder auf die Beine. Dass ein Patient noch einmal persönlich erscheint, habe ich in mehr als zwei Jahrzehnten Herzchirurgie äußerst selten erlebt. Die Mehrheit der Patienten hält die Operation nebst Intensivmedizin und Pflege für eine selbstverständliche Serviceleistung des Gesundheitswesens, ohne dass es erforderlich wäre, sich zu bedanken. Fairerweise muss ich aber auch sagen, dass wir unsere Arbeit nicht tun könnten, wenn wir von vielen Patienten Kuchen bekämen, denn der Durchlauf auf einer Intensivstation ist hoch. Wir würden alle auch rapide zunehmen! Davon abgesehen kann ich verstehen, dass die Intensivstation kein Ort ist, den man unbedingt wiedersehen möchte. Etwa die Hälfte der Patienten erleben die Intensivtherapie als traumatisch für Leib und Seele und entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung.200 Vierundzwanzig Stunden am Tag sind sie Lärmbelästigung durch

Monitore und medizinische Geräte ausgesetzt, der gestörte Tag-NachtRhythmus und der zeitweise Einsatz von Narkosemitteln schafft Erinnerungslücken, verwischt die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit. Das Einbringen von Nadeln und Schläuchen in den Körper, selbst Maßnahmen der Basispflege wie zum Beispiel Aufbetten und Waschen, können schmerzhaft sein, auch wenn die Patienten Schmerzmittel in hohen Dosen erhalten. Viele haben nicht die Kraft, alleine zu atmen, ihre Atmung wird maschinell unterstützt. Das geht einher mit einem sehr unangenehmen Fremdkörpergefühl in den Luftwegen, sie können nicht sprechen und nur sehr eingeschränkt kommunizieren. Jegliche Autonomie und Privatsphäre solcher Patienten ist aufgehoben, sie können nicht alleine auf die Toilette gehen und meistens nicht essen. Ernährt werden sie in der Regel über Sonden. Und wenn sie das alles überstanden haben, folgt eine monatelange Phase, in der sie wieder lernen zu laufen, zu essen, zu lesen und sich zu konzentrieren. Alleine schaffen sie das nicht, und am besten auch nur dann, wenn sie liebevoll von ihren Freunden und Angehörigen betreut werden. Diese bringt das monatelange Warten und Fürchten ums Überleben ihrer Lieben selbst an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit. Auch 30 bis 80 Prozent der Angehörigen entwickeln eine PTBS.201 Hamid bemerkte mich. »Doc!« Wackligen Schrittes kam er zu mir, umarmte mich, lachte und weinte, wandte sich an die Umstehenden und erklärte: »Der hat mein Herz in den Händen gehalten.« Eine fürsorgliche Pflegerin führte Hamid zum Tisch. Sie wollte ein Stück Baklava für mich abschneiden, doch das ließ Hamid nicht zu. Er wollte das selbst tun. Er wollte jedem eines geben. Endlich auch mal etwas geben. Hamid stammte aus einer Kultur, in der das Zeigen von Dankbarkeit eine hohe gesellschaftliche Relevanz hat.

Flucht Leider musste er diese Kultur verlassen und machte sich auf den weiten Weg von über 6000 Kilometern, davon einige Abschnitte zu Fuß, durch viele Länder und über viele Grenzen. Was er dort erlebte, erzählte er mir an diesem Nachmittag, als er noch mitkam in mein Büro. Er wollte so gern eine Fotokopie der Röntgenaufnahme von damals, mit dem Messer im Herz. Doch so ein Bild gab es nicht, er war direkt in den OP verbracht worden. Fotos besaß er auch keine aus seiner Kindheit. Alles zurückgelassen in Afghanistan. Nach dem Tod seines Vaters trat Hamid mit seiner Mutter, einer Lehrerin, und seinem älteren Bruder die Flucht an. Unterwegs in die Sicherheit erlebten sie schreckliche Dinge, die er seit vielen Jahren »vergessen« hatte. Oft wurden sie geschlagen, sie litten an Hunger, die Mutter wurde vergewaltigt. Als sie Europa erreichten, waren ihre Füße wund und die Kleider Lumpen. »Es ist komisch, Doc«, sagte Hamid. »Seit einigen Wochen ist mir das so präsent, als wäre die Flucht gestern gewesen. Ich wache nachts auf und spüre die Hand meiner Mutter auf meinem Mund, damit ich keinen Mucks mache und unser Versteck in der Garage nicht auffliegt. Ich höre die Schritte dieser bösen Männer. Ich habe Angst, und wenn ich aufwache, ist die Angst noch immer da.« Ich konnte mir das alles sehr gut vorstellen. Psychotraumatisierte Menschen, die Gewaltverbrechen oder körperlichen und emotionalen Missbrauch erlebt haben, sind nicht mehr die Kapitäne ihrer Seele, sondern werden von den Stürmen der Vergangenheit gepeitscht und umhergeworfen. Immer wieder blitzen Szenen in ihnen auf, sogenannte Flashbacks, Attacken quälender Erinnerungen. Die Betroffenen erleben sich selbst und die Welt durch die Brille des Traumas, der Wunde. Das verzerrt ihr Erleben und macht sie nicht

selten aggressiv und misstrauisch. Wie verletzte Tiere folgen sie dem Instinkt, sich selbst und ihre Verletzungen schützen zu müssen. Sie erwarten stets das Schlimmste, sind in einer permanenten Verteidigungshaltung und inneren Alarmbereitschaft. Früher hat diese Strategie ihnen geholfen zu überleben. Nun geht sie häufig einher mit dem Gefühl, irgendwie falsch zu sein, wie in einer dunklen Wolke zu leben. Viele Traumaopfer schämen sich sogar und wollen mit niemandem teilen, welches Grauen sie erlebt haben. Sie ziehen sich zurück, haben nicht selten Depressionen und leiden an diffusen Ängsten vor bestimmten Situationen wie zum Beispiel großen Menschenansammlungen, lebhaften Diskussionen, Messern oder Dunkelheit. Es sind die immer gleichen Trigger, die diese Gefühle von Angst und Hilflosigkeit auslösen, die sie kaum aushalten können. Die einzige Möglichkeit, das zu ertragen, besteht darin, den Schmerz nicht mehr zu fühlen. Sie verdrängen nach Ansicht des Psychotherapeuten und Mystikers C. G. Jung ihre Verletzungen in das dunkle Reich des Unbewussten und spalten sie ab. Während körperliche Traumata schon längst verheilt sind und neue Haut darüber gewachsen ist, schwelen sie in der Seele in der Tiefe ihrer Existenz, blockieren das Fließen der Lebensenergie und verbrauchen sehr viel Kraft. Die Betroffenen können sich nicht zu ihrem vollen Potenzial entwickeln, haben häufig ihr Leben lang Angst und fühlen sich hilflos. Die großen Träume des Lebens schrumpfen zu einem Albtraum. Ein ungesehenes, unbehandeltes Trauma der Seele kann unser Leben für immer verändern. Es fließt dann in eine andere Richtung. Viel später im Leben kann das zu vielen verschiedenen Krankheiten führen. Beispielsweise des Herzens, des Immunsystems, der Atmung oder zu Krebs. So erging es auch meiner Patientin Rosemarie, die lebenslänglich am Tod ihres Vaters litt. Was ja bei

Hamid auch der Grund für eine Flucht war, denn ohne den Vater war die Mutter schutzlos in Afghanistan. Und doch werden nicht alle Menschen, die etwas Traumatisches erlebt haben, körperlich oder psychisch krank. Manche können ein nach außen hin weitgehend »normales« Leben führen. Die Übergänge sind fließend. Hamid hatte unterwegs auch Gutes erfahren. »Wir haben auch Glück gehabt, Doc! Die Flüchtlinge untereinander haben sich in beispielloser Solidarität beigestanden, jeder hatte jedem geholfen. Daraus habe ich viel Kraft geschöpft.« In Deutschland wurde die kleine Familie gut aufgenommen. Ein Jahr lebten sie in einem Flüchtlingsheim in großer Unsicherheit. Es war nicht klar, ob sie bleiben dürften. Doch schließlich wurde ihr Flüchtlingsstatus anerkannt, Hamid und sein Bruder konnten regulär die Schule besuchen. Sein Bruder wanderte nach dem Tod der Mutter nach Kanada aus, Hamid blieb hier und studierte Maschinenbau. Unvermittelt brach er in Tränen aus, wofür er sich sichtlich schämte, doch er konnte sie nicht zurückhalten. »Doc«, sagte er zu mir. »Warum hat Laras Vater mich so sehr gehasst? Er hat mich doch gar nicht gekannt! Er hat mich nur beschimpft. Er wollte nie mit mir reden. Deshalb bin ich ja hingegangen. Um Frieden zu schließen und ihm zu sagen, dass ich immer für Lara sorgen werde, dass ich sie über alles liebe. Auf einmal stand er mit dem Messer in der Hand vor mir. Ein alter Mann, Doc. Ich hätte ihn einfach wegschubsen können. Aber ich konnte mich nicht rühren, wie damals, als sie an der Grenze meiner Mutter ein Messer an den Hals hielten, während sie sie vergewaltigten, einer nach dem anderen. Ich war wie gelähmt.« Hamid verlor vollständig die Fassung. Ich reichte ihm ein Taschentuch und sagte mitfühlend: »Sie haben als Kind ein Trauma erlitten. Dieses Trauma ist in der bedrohlichen Situation mit dem Täter wieder aufgewacht, wir sagen auch: Es ist getriggert worden. In

diesem Augenblick sind Sie innerlich erstarrt, eine Freeze-Reaktion nennen wir das. Damals hat sie Ihr Leben gerettet und auch das Ihrer Mutter. Dieses Mal hätte Ihre Reaktion beinahe Ihr Leben gekostet.« »Immer die Messer«, sagte Hamid. »Überall gibt es Messer. Manchmal macht mir das gar nichts aus, manchmal ist es schlimm.« Zweifellos erlebte Hamid eine Retraumatisierung, alte Verletzungen und Ängste flammten auf. Ich erzählte ihm von den Möglichkeiten einer Traumatherapie. Bei körperlichen Traumata, wenn Blut sichtbar wird, werden die Betroffenen operiert und erfahren wie selbstverständlich Mitgefühl und Fürsorge. Die Wunden der Seele dagegen sind fast immer unsichtbar. Ich schilderte Hamid, wie wir seinen Schock behandelt hatten und dass es eine goldene Periode der Schockbehandlung auch für sein Psychotrauma gab, eine Periode, in der professionelle Traumatherapie, eine empathische Wundbehandlung die Seele heilen kann. Ich beugte mich vor und blickte ihn eindringlich an. »Hamid«, sagte ich zu ihm, »Sie hatten nicht nur eine Messerstichverletzung, sondern im Anschluss auch eine Blutvergiftung, eine Sepsis, die sich in jede Zelle Ihres Körpers ausbreitete. Die unbewältigten Verletzungen Ihrer Seele sind wie eine Sepsis. Sie vergiften Ihr Leben.« Er nickte nachdenklich, wischte sich dann mit einer entschlossenen Geste die letzte Träne aus dem Gesicht. »Wir sind damals geflohen, weil wir in Freiheit leben wollten. Wir haben es geschafft. Aber jetzt verstehe ich, dass mein Herz noch immer gefangen ist in der Vergangenheit.« »Das muss nicht so bleiben. Allein es zu erkennen ist ein wichtiger Schritt.« »Ich bin traurig, dass meine Mutter nicht mehr lebt«, sagte Hamid. »Sie hätte das auch gebraucht. Wenn ich das jetzt mache. Wenn ich diese Schritte gehe, dann trage ich sie dabei mit mir.«

»Das ist großartig, Hamid, das wird Sie sehr unterstützen, und wer weiß, vielleicht auch Ihre Mutter. Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Kraft, und dass Sie weiter so gute Fortschritte machen!« »Das muss ich doch auch«, grinste er ein bisschen schief. »Schon wegen Lara. Wenn wir heiraten, will ich nicht mehr hinken!«

Maikäfer flieg Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Wanderung, und der Homo sapiens hat sich im Laufe der Evolution über alle Kontinente ausgebreitet. Ich betrachte ihn als das schlimmste Raubtier, das die Welt gesehen hat. Während ich diese Zeilen schreibe, erscheint der Living Planet Report 2022 auf meinem Bildschirm, der besagt, dass der Mensch 70 Prozent aller bekannten Wirbeltierbestände vernichtet hat. Er vernichtet sich gegenseitig, die Natur und die Umwelt – skrupellos. Klimawandel und Artensterben sind Folgen der Gewalt gegen die Natur. Der Mensch bezeichnet sich als rational und aufgeklärt und huldigt dem Verstand. Wir leben in einer Welt, in der Neurowissenschaften und datenbasierte Empirie vielen Menschen zum Religionsersatz geworden sind und Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern und Medien als etwas Absolutes dargestellt werden. Die Daseinsfürsorge, also Therapie und Heilung, hat die moderne Gesellschaft abgegeben an Konzerne, die mit der Krankheit ihrer Patienten Gewinne erwirtschaften. Eine Gesellschaft, die hofft, dass materielle Güter, Überfluss und Daten die Löcher in den Herzen stopfen, die durch Gier nach Macht, Geld, Besitz und Blut gerissen werden. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen von 2022 wurden aufgrund von Krieg, Rassismus und politischer sowie religiöser Verfolgung fast 90 Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu

verlassen.202 Doch was ist der Mensch ohne Heimat? Wo kommt er an? Kommt er überhaupt jemals wieder an? Schon immer mussten Menschen fliehen, weil sie anders dachten und fühlten als die vorherrschende Mehrheit. Im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine erleben wir die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. Viele dieser Menschen und besonders die Kinder werden für ihr Leben traumatisiert sein. Alle Traumapsychotherapeuten dieser Welt reichen nicht aus, um sie zu heilen. Manchmal bleibt zum kollektiven Trost nur mehr ein Lied. Das unsterbliche deutsche Wiegenlied »Maikäfer flieg« thematisiert den grässlichen Verlust von Heimat, Familie, Schutz und Vertrautheit in einer geradezu paradox zärtlichen Melodie, die die Seele streichelt. »Maikäfer, flieg.

Der Vater ist im Krieg.

Die Mutter ist in Pommerland,

Pommerland ist abgebrannt.

Maikäfer, flieg.« Die einlullende Harmonie der Musik und der schreckliche Inhalt dieses Liedes, das zwei von drei Deutschen kennen, passen so gar nicht zusammen. Vielleicht machte gerade das seinen Erfolg aus. Der Evergreen ist immerhin an die 400 Jahre alt, geht vermutlich auf den Dreißigjährigen Krieg zurück und ist heute genauso aktuell wie jemals zuvor.203 Denn das Grauen reißt nicht ab. In der Geschichte der Menschheit reihen sich in vielen Kriegen »Gemetzel an Gemetzel«, und Gewalt erzeugte immer wieder Gewalt. So beschreibt Thomas Hübl in seinem Buch Kollektives Trauma heilen, wie sich der Hass eines Volkes auf ein anderes und die unterdrückten Ängste einer ethnischen Gruppierung wie ein kollektiver Schatten in dessen Unterbewusstsein festsetzen und zu toxischen Beziehungen und

vergifteten gesellschaftlichen Strukturen führten. Er verweist auf Sigmund Freud, der diesen Hang, die nicht bewältigte Vergangenheit immer wieder neu zu inszenieren, als Wiederholungszwang bezeichnete. Die unbewusste Retraumatisierung stelle den Versuch dar, das ursprüngliche Trauma zu bewältigen. Das gelinge jedoch nur, wenn die zugrunde liegenden Traumata und psychischen Mechanismen vollumfänglich ins Licht des Bewusstseins gelangten. Nur dann kann es Heilung geben.204 Auch Laras Vater, der Täter, war ein traumatisiertes Kriegskind. Lara hatte mir seine Geschichte einmal erzählt, als wir an Hamids Bett standen. Ihr Vater erlebte am Ende des Zweiten Weltkriegs als Kind während der Besatzung durch die Siegermächte viel Schreckliches. Seither hatte er Angst vor fremden Kulturen und Sprachen. Nach dem Tod von Laras Mutter hatte er zu trinken begonnen. Das Erlebnis der Besatzung wiederholte sich für ihn mit der Wende, zu deren Opfern er sich zählte, weil er seine Arbeit verlor. Er empfand sich als Bürger zweiter Klasse, sein Wertesystem brach zusammen, und schuld waren für ihn die Ausländer. Lara hätte ihn niemals um die Einwilligung zur Hochzeit mit Hamid gebeten, aber Hamid wollte das. Für ihn gehörte sich das so. Und fast hätte er das mit seinem Leben bezahlt. Doch er hatte es geschafft und hörte mir aufmerksam zu. »Dann teilen der Vater und ich ein ähnliches Schicksal?«, fragte er. »Sozusagen.« »Das mit der Therapie mache ich, Doc. Wenn ich hier raus bin, kümmere ich mich darum.« Dann fragte er mich: »Darf ich Sie mal drücken?« Völlig perplex nickte ich, da wurde ich schon umarmt. »Für zweimal Herz-OP«, sagte Hamid, und ich war so berührt, dass ich erst mit Verzögerung begriff, wie er das gemeint hatte.

Blut und Liebe Neun Monate später lief Hamid mir wieder über den Weg. Aber diesmal wusste er es nicht. Ich stoppte meinen Wagen an einer roten Ampel, und er überquerte mit Lara an der Hand vor mir die Straße. Unverkennbar wölbte sich ihr Bauch. Sie war schwanger. Mein Messerstichpatient wurde Vater! Ich freue mich sehr. Hamid sah kräftiger aus, und sein Schritt war federnd und voller Zuversicht. Er hatte nicht nur überlebt, sondern auch den Willen zum Weitermachen. Ich hoffe, er kann seine Fähigkeit, auch die größten Widrigkeiten des Lebens meistern zu können, an das neue Leben, das in Lara heranwuchs, weitergeben. Dazu brauchen Kinder wenigstens eine verlässliche Bezugsperson, die sie fördert und ihnen das Gefühl gibt, etwas wert zu sein. Ideal ist es, wenn sie in einer Welt aufwachsen, in der die menschliche Diversität gefördert wird, anstatt sie aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religion zu diskriminieren. Wenn Blut fließt, dann nicht als Ausgeburt der Gewalt, sondern als Zeichen der Fruchtbarkeit.

Sex Menschliches Leben kann auf natürliche Weise nicht entstehen, ohne dass ein Mann und eine Frau sich miteinander vereinen. Was wiederum einiges mit Blut zu tun hat, denn ohne Menstruation ist eine Frau nicht fruchtbar, und ohne dass der männliche Penis sich mit Blut füllt, gibt es ebenfalls keinen Nachwuchs. Doch der Reihe nach. Mit Blut locken wir zunächst einmal den potenziellen Partner an. Es färbt unsere Lippen rot und anziehend, und wenn Amors Pfeil unser Herz durchbohrt, steigen der Blutdruck

und die Pulsfrequenz. In der Folge blüht nicht nur die Seele auf. Auch die Haut färbt sich in unterschiedlichen Bluttönen, weil die Blutgefäße weit werden. Dieses Phänomen wird auch als Sexualröte (Sex-Flush) bezeichnet. Die Farben der Erregung im Gesicht, am Hals, am Dekolleté oder Bauch schimmern bei jeder und jedem anders, von zartrosa bis purpurrot. Wenn aus Liebe Leidenschaft wird, fangen wir an zu fließen, und die Durchblutung unserer Lustorgane steigert sich. So eine gute Durchblutung kann bisweilen auf Kosten einer gewissen Blutleere im Kopf einhergehen, weshalb wir manchmal vermeintlich Unsinn reden oder uns gar nichts mehr einfällt. Dem ist aber nicht so, denn Sex ist auch Kopfsache, und damit sie in fast allen Lebenssituationen den Durchblick behalten, genehmigen sich unsere Gehirne weitgehend konstant 30 Prozent des gesamten Blutflusses im Körper. Weil das so immens wichtig ist, ist dafür ein eigener physiologischer Regelkreis zuständig, der sich zerebrale Autoregulation nennt. Der Fluss des Blutes bringt in Gehirn-Scans ein Gehäuse zum Leuchten, das Anatomen als Nucleus accumbens beschreiben, etwas salopp übersetzt: Abteilung für Beischlaf. Er sorgt dafür, dass die Lust Fahrt aufnimmt, der Neurotransmitter Dopamin das Glück ins Rauschhafte steigert und wir nicht nur an der Haut berührt werden wollen, sondern in unserem Innersten – unsere Körper wollen sich vereinigen. Das erste Mal, die Entjungferung, kann mit einer Blutung einhergehen und stellt, zumindest körperlich, ein kleines Trauma dar. Symbolisiert durch einen Tropfen, der in manchen Kulturen Ehre und Besitztum symbolisiert und die Frau zu einem Objekt degradiert. Damit die Penetration möglich ist, werden beim Mann die Arterien im Penis weit, und die Schwellkörper füllen sich mit bis zu 40-mal mehr Blut als im nicht-erigierten Zustand und werden drei- bis viermal so groß. In der Folge werden die Venen, durch die das Blut

normalerweise gleich wieder zum Herzen hin abströmt, komprimiert. Es fließt also viel hinein und wenig heraus, und so entfaltet sich der Penis und richtet sich auf wie eine aufgeblasene Luftmatratze. Im erigierten Penis kann der Blutdruck in den Schwellkörpern bis zu 400 mmHg betragen und ist damit mehr als dreimal so hoch wie der Normalwert im übrigen Kreislauf. Auch diese enormen Drucke werden nicht vom Herzen im Sinne einer Pumpe aufgebaut, sondern über verschiedene hormonale und neuronale Regelkreise, welche die Durchblutung steuern. Die Speerspitze der Durchblutung und wie immer ganz vorne mit dabei sind die roten Blutkörperchen, die Stickstoffmonoxid freisetzen und so die Arterien weit werden lassen. Viele Menschen wissen nicht, dass auch die Frau mit stattlichen Schwellkörpern ausgestattet ist, die jedoch nicht vorstehen wie beim Mann, sondern etwa zehn Zentimeter tief ins Innere des Beckens hineinragen und um bis zu 300 Prozent anschwellen können.205 An ihrer äußeren Spitze sitzt die Klitoris, die sich bei Erregung ebenfalls aufrichtet. Doch sie ist nur die sichtbare Spitze eines Vulkans, der tief in ihr Inneres reicht. Wenn Paare miteinander verschmelzen, fließt nicht nur Blut, sondern auch Speichel. Unsere Lippen füttern sich mit Küssen, und durch den massenhaften Austausch von Bakterien und Viren bringen wir unser Immunsystem in Schwung. Die Natur hat die allgegenwärtige Frage nach Impfungen genial gelöst: Was sich liebt, das leckt sich. Was wiederum das Blut in Wallung bringen kann, in dem auch das Liebeshormon Oxytocin und Sexualhormone schwimmen. Sex ohne Blut wäre eine trockene Angelegenheit, und wir könnten uns nicht vereinigen und Liebe machen. Und dann würde auch kein neues Leben entstehen.

Mondblutung

Doch bevor es so weit kommt, bedarf es weiterer Blutungen. Eine natürliche Befruchtung findet nur statt, solange die Frau in einem Lebensalter ist, in dem sie menstruiert, also ihre Monatsblutung hat. Sie entsteht in der Gebärmutter, das Blut tritt aus der Vagina aus. Die Gebärmutter ist ein muskuläres Hohlorgan, das wie das Herz rhythmisch kontrahieren kann. Nur finden diese Kontraktionen nicht 70-mal in der Minute statt, sondern rhythmisch einmal im Monat während der Menstruation, aber auch während der Orgasmen der Frau und natürlich während der Geburt. Sie ist die Höhle, in der das neue Leben geschützt heranwächst, gebettet in eine Schicht frischer Zellen, die ihre innerste Wand auskleiden. Sie bilden eine Schleimhaut, das sogenannten Endometrium, in dem sich eine befruchtete Eizelle einnisten kann. Damit das Nest immer frisch gemacht ist, wird die Schleimhaut monatlich zusammen mit etwas Blut abgestoßen, auf dass eine neue heranwachsen kann. Wie der Mond verändert sie sich zyklisch, weshalb diese weibliche Wandelbarkeit schon immer dem Mond zugeordnet wurde. Die Begriffe »Menstruation« und »Menses« stammen von den lateinischen und griechischen Wörtern für Monat (mensis) und Mond (mene) ab. Ein Monat ist die Zeit, in welcher der Mond einmal die Erde umrundet, nämlich 29,5 Tage. Die durchschnittliche Dauer des Menstruationszyklus liegt weltweit bei 29 Tagen.206 Frauen menstruieren etwa 50 ml im Monat und 21 Liter in 35 Jahren.207 Solange eine Frau menstruiert und blutet, kann sie fruchtbar sein. Eine Blutung kann eine Schwangerschaft jedoch auch beenden. Die Gebärmutter ist sehr wählerisch, wer sich bei ihr einnisten darf. 30 bis 60 Prozent der Embryos werden mit einer Blutung abgestoßen. Oft wissen die Frauen gar nicht, dass sie schwanger waren. Auch im späteren Verlauf der Schwangerschaft kann eine zu Tod und Behinderung des Kindes führende Frühgeburt durch vorzeitig

einsetzende Kontraktionen des Uterus drohen und durch die gleiche Substanz gebannt werden, die auch ein Herz vor einem tödlichen Herzinfarkt schützt, nämlich Stickstoffmonoxid (NO).208 Das Herz und die Gebärmutter haben also einiges gemeinsam, sie sind beide Organe, die Leben schenken und nehmen können. Im Wissen über die Zyklen von Fruchtbarkeit und Zeichen der Schwangerschaft hatten kundige Frauen schon immer die Hoheit über Leben und Tod. Sehr zum Neid männlicher Kleriker, denen das verdächtig war. Männer können verbluten, wenn sie verletzt werden, Frauen bei der Menstruation aber nicht. Das war Männern unerklärlich, und so wurde Frauen, die ein tieferes Verständnis für die Geheimnisse des Lebens und der Heilung erwarben, Hexenkraft unterstellt, was als Vorwand diente, sie mit blutrünstiger Gewalt zu verfolgen.

Die Antenne des Herzens Ein interessanteres Gedankengut pflegen da männliche Ureinwohner in Gegenden von Papua-Neuguinea. Sie wollen fruchtbar sein wie Frauen und simulieren eine Monatsblutung, indem sie ihre Penisse mit Krabbenscheren einschneiden.209 Nach C.  G. Jung ist in jedem Mann auch eine Frau (Anima) angelegt, und diese möchte fruchtbar sein. Auch der Phallus gilt deshalb in vielen Religionen und Traditionen als ein Symbol der Fülle. Und die muss er in Form seiner Spermien ejakulieren. Gelingt das nicht, weil der Penis nicht steif wird, reden wir von Impotenz. Anstatt Krabben benutzt der moderne Mann Viagra. Von dem bekanntesten Potenzmittel der Welt wurden innerhalb der ersten zehn Jahre nach seinem Erscheinen 1998 eine Milliarde Tabletten ausgegeben. Da scheint es also Bedarf zu geben. Doch es sorgt nicht etwa für Lust, sondern für Durchblutung seines kleinen Freundes. Damit sei es nun auch Männern möglich, sexuelles

Verlangen vorzutäuschen, schreiben Christopher Ryan und Cacilda Jethá, die Autoren des Buches Sex – Die wahre Geschichte.210 Lust kommt auch von Liebe, und die unterscheidet sich von Leben nur durch ein i. Das ist der springende Punkt. Als springenden Punkt, als punctum saliens, beschreibt Aristoteles den ersten sichtbaren Herzschlag in einem Hühnerei. Für ihn war es das erste sichtbare Zeichen für den Beginn des neuen Lebens. Damit es so weit kommt, muss der Hahn zur Henne, das ist auch bei Menschen so. Mann und Frau müssen Lust aufeinander haben. Das beste Aphrodisiakum, das es gibt, ist Liebe. Sie ist eine Form von Bewusstsein, die im Herzen transformiert wird und die ich als kardiokognitives Bewusstsein beschreibe.211 Ohne Herz ist Liebe nur ein Gedanke. Der Penis gilt heute beim Mann als die Antenne des Herzens. Denn Herzinsuffizienz und Arterienverkalkung, aber auch Stress und Performancedruck führen zu Erektionsstörungen und Impotenz. Psychopharmaka helfen nicht, sondern machen alles nur noch schlimmer und führen in 60 bis 70 Prozent zu sexuellen Funktionsstörungen. Da hilft nur Kuscheln und Liebe, das zeigte auch eine aktuelle Studie mit über 6000 Personen im Lockdown.212 Menschen ohne sexuelle Aktivitäten hatten ein signifikant höheres Risiko, eine Angststörung zu bekommen und depressiv zu werden. Sex und Liebe hingegen entfalteten eine schützende Wirkung. Das ist verständlich, denn unsere Körper schütten Glückshormone aus, wenn wir uns nahe sind. Zu ihnen zählt auch das Liebeshormon Oxytocin, wie im Kapitel »Vollblutliebe« bereits beschrieben. Es hat weitreichende positive Effekte auf unsere Gesundheit und hilft uns, mit Stress und psychischen Belastungen besser fertigzuwerden. Wir brauchen es von Anfang an, denn es lässt unser Herz zum ersten Mal schlagen und sorgt dafür, dass bei unserer Mutter die Milch fließt. Ohne Oxytocin

würden wir nach neun Monaten auch nicht geboren, denn es leitet die Wehen ein.213 Lieben führt auch zu Leben.

Der Nabel der Welt Unsere Existenz ist ein Geburtenkreislauf. Wir werden geboren, und wir sterben. Der niederländische Kardiologe Pim van Lommel hat einige wissenschaftliche Arbeiten in seinem Buch Endloses Bewusstsein zusammengefasst: Was passiert, wenn ein Mensch beinahe stirbt und seine Seele ihn verlässt, was als Nahtoderfahrung bezeichnet wird?214 Wie sich jedoch aus den Elementen des Todes, den Atomen des zerfallenen Menschen wieder neues Leben erhebt, ist eine ebenso spannende Frage, die weit weniger untersucht ist. Unsere Atome werden nicht individuell für uns angefertigt, sie kommen von weit her aus uralten Zeiten. Mit dem Urknall wurden sie in alle Himmelsrichtungen geschleudert und werden seither im Laufe von Milliarden Jahren immer wieder recycelt, waren früher schon mal in einem Stein, einer Blume, einem Tier oder unseren Ahnen. Der Anfang ist jedoch nicht so rosig, wie man sich ihn oft vorstellt, sondern ein archaischer Akt, bei dem der Tod und das Leben als Geburtshelfer anwesend sind. »Zwischen Kot und Urin werden wir geboren«,215 sagte der römische Bischof und Kirchenlehrer Augustinus. Bei der Passage des engen Geburtskanals übt das Kind Druck auf den Enddarm und die Blase aus, so dass deren Inhalte mit ihm selbst herausgequetscht werden. Genau genommen ist es eine flüssige Mischung aus Kot, Urin, Fruchtwasser und Blut, die uns ins Leben glitschen lässt. Nicht selten sind die neugeborenen Kinder blutverschmiert, weil der Damm der Frau einreißen kann oder Verletzungen an den äußeren Genitalien entstehen. In der Regel heilen diese Verletzungen nach einigen Wochen ab. Auch die bestialischen Schmerzen hat die Mutter meist schnell vergessen. Doch es können auch schwerwiegende Komplikationen auftreten.

Mutter- und Babyblut können unterschiedliche Blutgruppen haben. Üblicherweise ist das kein Problem, denn sie fließen in getrennten Kreisläufen und werden nur von ihren jeweils eigenen Herzen mit Druck versorgt. Verbunden sind sie lediglich über Nabelschnur und Plazenta, auch Mutterkuchen genannt. Sie sind ein Teil des Kindes, und die ovale, scheibenförmige Plazenta legt sich flächig an den Uterus an und wächst in diesen hinein. Sie enthält achtzig bis einhundert Blutgefäße, welche die Blutgefäße der mütterlichen Gebärmutter umspülen. In ihr werden entlang von dünnen Membranen Nährstoffe, Sauerstoff und sogar Antikörper des Immunsystems an den kindlichen Kreislauf übergeben, ohne dass es zu einem direkten Kontakt des Blutes kommt. In die Gegenrichtung werden Kohlendioxid und unbrauchbare Stoffwechselprodukte an den mütterlichen Kreislauf zurückgeführt und ausgeatmet oder ausgeschieden. Durch die Nabelschnur fließt in den letzten drei Schwangerschaftsmonaten ein halber Liter Blut pro Minute. Sie überbrückt die Distanz vom kindlichen Bauchnabel zur Plazenta und hat die Funktion einer Verlängerung, damit sich das Kind frei bewegen kann. Es rotiert dabei um seine eigene Mitte. Der Nabel wird daher in vielen spirituellen Traditionen als die Mitte des Menschen angesehen, durch die das Leben in ihn eintritt. Die Nabelschnur ist unsere Verbindung zum Leben und unser erstes Spielzeug. Ungeborene lutschen nicht nur am Daumen, sondern spielen auch mit der Nabelschnur, weil sich ihr Tastsinn früh ausbildet. Bei der Geburt ist die Nabelschnur ungefähr sechzig Zentimeter lang, sie gilt als Versorgungsleitung des Kindes, das im Fruchtwasser des Uterus schwimmt wie ein Taucher in einem Wassertank. Das hat seine Gründe in der Evolution des Lebens auf der Erde. Eine Milliarde Jahre lang fand alles Leben im Wasser statt, bevor die ersten Reptilien das Land eroberten. Bei der Entwicklung des Embryos

werden wesentliche Schritte der Evolution noch einmal nachvollzogen. Deshalb ist der menschliche Embryo vor der Geburt ein Wassertier, im Gegensatz zur Mutter, welche die Umstellung auf ein Leben an Land bei ihrer eigenen Geburt bereits vollzogen hat. Es gibt nun die Konstellation, dass eine rhesus-negative Mutter ein rhesus-positives Kind in sich trägt, weil dieses den Rhesusfaktor vom Vater geerbt hat. Man bezeichnet das auch als RhesusInkompatibilität. Bei einer blutigen Geburt, und das sind die meisten, kann ein Tropfen des Kinderblutes mit dem der Mutter in Kontakt kommen und bei ihr zur Bildung von Antikörpern gegen den Rhesusfaktor führen. Falls die Mutter dann ein weiteres Mal schwanger mit einem rhesus-positiven Kind wird, können diese Antikörper die Plazentaschranke passieren und die kindlichen Erythrozyten zerstören. Es kommt zu Sauerstoffmangel, Organschäden und Entwicklungsstörungen. Betroffene Kinder können im Extremfall sogar sterben, in jedem Falle jedoch werden sie blutarm geboren, und es kann erforderlich sein, ihnen Bluttransfusionen zu verabreichen. Diese können auch von Erwachsenen stammen, weil die roten Blutkörperchen der winzigen Kinder faszinierenderweise bereits die gleichen Maße haben wie die von Erwachsenen. Eine RhesusInkompatibilität wird heute in vielen Ländern durch einen Antikörpersuchtest bei der Mutter früh festgestellt und genauestens überwacht. Rhesus-negativen Müttern mit einem rhesus-positiven Kind werden im Rahmen der Schwangerenvorsorge sogenannte AntiD-Immunglobuline gegen den Rhesusfaktor injiziert. Damit wird verhindert, dass ihr Immunsystem Antikörper gegen den Rhesusfaktor bildet, und das Risiko gesenkt, dass diese bei einer weiteren Schwangerschaft die roten Blutkörperchen des rhesus-positiven Kindes angreifen können. Die Notwendigkeit lebensrettender

Bluttransfusionen für das Kind ist selten geworden. Vor Einführung der Rhesusprophylaxe endeten 12 Prozent dieser Fälle tödlich.216

Geburtstrauma Leider verbluten nach einem Bericht der WHO weltweit jährlich etwa 70 000 Frauen nach der Geburt an einer sogenannten postpartalen Blutung, weil sich die Gebärmutter nach Ablösen des Mutterkuchens (Plazenta) nicht zusammenzieht.217 Normalerweise setzen ungefähr fünfzehn Minuten nach der Geburt des Kindes nochmals leichte Wehen ein, um die Plazenta auszustoßen, was als Nachgeburt bezeichnet wird. Im Inneren der Gebärmutter entsteht eine Art offene Wunde, die mütterlichen Blutgefäße liegen an der ehemaligen Schnittstelle zur Plazenta offen da und werden dann durch die Nachwehen komprimiert und verschlossen. Unterstützen kann man diesen Prozess durch sanfte Bauchmassagen bei der Mutter und das frühe Anlegen des Kindes an die mütterliche Brust. Sein Saugen führt zu weiterer Ausschüttung von Oxytocin, die Gebärmutter kontrahiert sich weiter, die offen liegende Wunde verschließt sich, und das Liebeshormon sorgt dafür, dass auch der Milchfluss einsetzt. Der Säugling nimmt Oxytocin mit der Muttermilch auf. Unsere erste Liebe geht auch durch den Magen. Die Milchstraße des Lebens kann aber auch rasch enden. Der Blutverlust im Rahmen der Nachgeburt liegt bei etwa 300 Millilitern. Kontrahiert sich der Uterus nach der Geburt zu schwach oder gar nicht, wird das als Uterusatonie bezeichnet. Es kann zu einer raschen und anhaltenden Blutung kommen. Verliert die Mutter mehr als 1500 Milliliter, setzt ein hämorrhagischer Schock ein. Es ist das gleiche Krankheitsbild, das Hamids Leben nach seiner Messerstichverletzung bedrohte. Im Notfall werden wie bei jedem Schockpatienten ungekreuzte, rhesus-negative Erythrozyten-

Konzentrate der Blutgruppe 0 und Gerinnungsfaktoren verabreicht. Und wie beim Herzen versucht man auch eine manuelle Kontrolle, indem die Ersthelfer die Gebärmutter von außen durch die Bauchdecke zusammendrücken. Durch die gleichzeitige intravenöse Gabe von Oxytocin wollen Ärzte zudem die Kontraktion des Uterus anregen. In schweren Fällen ist eine Notfalloperation erforderlich, bei der mit sogenannten Rucksacknähten die Blutung gestillt wird. Eine schwere Blutung bei der Geburt kann also lebensbedrohlich sein und chirurgische Notfallmaßnahmen erfordern, die denen in der Traumachirurgie nicht unähnlich sind. Doch nicht nur die Körper von Mutter und Kind können bei einer Geburt verletzt werden, sondern auch deren Seele, und sowohl die physischen als auch die psychischen Verletzungen werden unter dem Begriff »Geburtstrauma« zusammengefasst.

Retrokausalität Aufgrund der erlittenen Schmerzen, des sichtbar werdenden Blutes oder anderer, belastender Situationen im Kreißsaal entwickeln manche Mütter nach der Geburt eine posttraumatische Belastungsstörung und können dafür Hilfe in Anspruch nehmen. Wie sehr die Psyche des Kindes traumatisiert wurde, lässt sich empirisch schwer objektivieren. Unbestritten ist, dass ein Neugeborenes ein bewusster Mensch ist. Und wenn die Geburt für die Mutter traumatisch war, so ist es naheliegend anzunehmen, dass auch das Kind ein anhaltendes Psychotrauma erleiden kann. Heilung verspricht eine spezielle Atemtherapie, das sogenannte Rebirthing, mit dem Menschen das eigene Geburtserlebnis noch einmal bewusst erleben und heilen können. Die Methode ist umstritten, wie sollte auch ein Trauma aus der Vergangenheit geheilt werden? Thomas Hübl verweist diesbezüglich in seinem Buch Kollektives Trauma heilen auf die Quantenphysik und das Prinzip der

Retrokausalität.218 Demnach kann die Wirkung einer Ursache vorausgehen und die Gegenwart die Vergangenheit beeinflussen. Die physikalischen und philosophischen Überlegungen dazu sind komplex, und es gibt dazu unterschiedliche Ansichten. Unser Bewusstsein kann sich sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit ausdehnen. Bei den meisten Menschen ist es sogar der bevorzugte Zustand, nicht in der Gegenwart zu verweilen, sondern Pläne für die Zukunft zu schmieden oder in Erinnerungen zu leben. Wir können uns nicht nur mit unseren bewussten, sondern auch unseren unbewussten Erlebnissen verbinden. Wir können die Vergangenheit aus der Gegenwart heilen! Sei es durch die klassische Psychotherapie oder körperbasierte Techniken wie das bereits beschriebene Somatic Experiencing. Sie helfen das Unbewusste bewusst zu machen und werden allenthalben zur Heilung traumatischer Erlebnisse eingesetzt. Wieso also nicht auch beim Geburtstrauma? Möglicherweise kann dazu auch der Prozess des Abnabelns zählen. Er wird mit einem Messer oder einer Schere durchgeführt und tut körperlich weder Mutter noch Kind weh, da die Nabelschnur über keinerlei Schmerzrezeptoren verfügt. Zurück bleibt der Bauchnabel, die erste körperliche Narbe unseres Lebens. Mit dem Abnabeln wird das biologische Band zur Mutter unwiderruflich durchtrennt. Das kann meines Erachtens durchaus ein traumatisches Ereignis für die Seele darstellen. Damit ist die Geburt abgeschlossen und das Kind nach deutschem Gesetz ein eigener rechtsfähiger Mensch (§ 1 BGB). Die Nabelschnur nebst Plazenta wandert in den meisten Kliniken zu 90 Prozent in den Müll. Doch im Blut und Gewebe der Nabelschnur ist mehr Heilung gespeichert, als wir noch vor wenigen Jahren geglaubt hatten. Sie enthalten nämlich mindestens drei verschiedene Sorten der eigenen Stammzellen: Hämatopoetische für die Blutbildung,

mesenchymale für Knorpel, Knochen, Haut und Bindegewebe und endotheliale für die Innenauskleidung unserer Blutgefäße.219 Durch ihre Teilung und fortlaufende Differenzierung ist in den letzten neun Monaten aus einer einzigen befruchteten Eizelle ein neuer einzigartiger Mensch gewachsen, den es so noch nie gab und auch nie wieder geben wird. Mit seinem Herzen, seinem Blut, seinem Gehirn, allen anderen Organen und allen seinen Besonderheiten. Diese Stammzellen aus der Nabelschnur sind frisch, jung und vital und tragen das Potenzial in sich, Erkrankungen durch neues Zellwachstum an ihrer Wurzel zu behandeln. Denn aus ihnen können mit dem sogenannten Tissue Engineering auch andere Zellen und eines Tages vielleicht sogar neue Organe gezüchtet werden. Spezialisierte Biotech-Unternehmen bieten Eltern an, Nabelschnurblut unmittelbar nach der Geburt bei minus 180 Grad in flüssigem Stickstoff eingefroren für die Zukunft des Kindes aufzubewahren.220 Falls es in seinem späteren Leben ernsthaft erkrankt, könnte eine Therapie mit den eigenen Stammzellen durchgeführt werden. Gleichzeitig kann ein Teil gespendet werden, um andere Leben zu retten und Schwerstkranken Hoffnung zu schenken. Im Rahmen einer Pilotstudie werden in den USA Kinder mit einem angeborenen Herzfehler, dem hypoplastischen Linksherzsyndrom, mit Zellen ihres eigenen Nabelschnurblutes behandelt in der Erwartung, dass sich die Leistung der rechten Herzkammer verbessert. Erste Ergebnisse werden für 2026 erwartet.221 Es ist ein relativ neues und vielversprechendes Feld der modernen Medizin, das bereits mit großem Erfolg bei der Behandlung von Blutbildungsstörungen, Krebserkrankungen und Immundefekten eingesetzt wird. Aktuell wurde von einem Aufsehen erregenden Fall berichtet, bei dem Stammzellen aus Nabelschnurblut erfolgreich zur Heilung einer Frau mit Blutkrebs und begleitender HIV-Infektion

eingesetzt wurden.222 Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich in Zukunft viele Erkrankungen mit den eigenen Stammzellen des gerade beginnenden Lebens, entnommen in der Vergangenheit, behandeln lassen. Zum Beispiel bei der Therapie von Hirn- und Rückenmarkschäden, schweren Verbrennungen, Herz-KreislaufErkrankungen, Diabetes oder Gelenk- und Autoimmunerkrankungen. Mit dem Einlagern von Nabelschnurblut und Gewebe geht die Hoffnung einher, dass den Neugeborenen ein individuelles, personalisiertes Heilmittel ein Leben lang zur Verfügung stehen wird. Doch was ist das überhaupt, Leben, und wieso werden wir geboren? Die traditionelle Ansicht nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung wäre, dass Vater und Mutter ein Kind und damit neues Leben zeugen. Eine retrokausale Interpretation wäre, weil das Kind es so wollte. Demnach müsste das Kind oder sein Wille oder zumindest sein Bewusstsein bereits existieren. Wäre das möglich? Eine befreundete Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, mit der ich das Thema diskutierte, erzählte mir von Kindern, die gegen jede Wahrscheinlichkeit gezeugt wurden, obwohl der Vater ein Kondom verwendete und die Mutter in ihrem Uterus eine Spirale trug. War das nun Schicksal, Pech, Karma oder Vorsehung?

Was ist Leben? Fest steht, das Kind wurde geboren, und was Leben seiner Ansicht nach ist, beschreibt der Schriftsteller Bill Bryson in seinem Buch Eine kurze Geschichte von fast allem ganz pragmatisch »Was das Leben sonst auch sein mag, auf der Ebene der Chemie ist es erstaunlich profan: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, ein wenig Calcium, ein Schuss Schwefel, eine kleine Prise von ein paar anderen ganz gewöhnlichen Elementen  – nichts, was man nicht in jeder normalen Apotheke finden würde  –, das ist alles, was man braucht. Das einzig Besondere an den Atomen, die Sie bilden, besteht darin, dass Sie sie bilden. Und das ist natürlich das Wunder des Lebens.«223 Dieses Wunder beschreibt der niederländische Priester und Autor Henri J. M. Nouwen in einer sehr berührenden Geschichte:224 Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch der Mutter. »Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?«, fragt der eine Zwilling. »Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden groß und stark für das, was draußen an der frischen Luft kommen wird«, antwortet der andere Zwilling. »Ich glaube, das hast du eben erfunden!«, sagt der erste. »Es kann kein Leben nach der Geburt geben  – und wie soll denn ›frische Luft‹ bitte schön aussehen?« »So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller sein als hier. Und vielleicht werden wir mit den Beinen herumlaufen können und mit dem Mund tolle Sachen essen?«

»So einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns nährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist doch die Nabelschnur viel zu kurz.« »Doch, das geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders sein.« »Du träumst wohl! Es ist doch noch nie einer zurückgekommen von ›nach der Geburt‹. Mit der Geburt ist das Leben einfach zu Ende! Punktum!« »Ich gebe ja zu, dass keiner genau weiß, wie das Leben ›nach der Geburt‹ aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere Mutter sehen werden, und sie wird sicher für uns sorgen.« »Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo soll denn die nun sein, bitte schön?« »Na hier  – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!« »So ein Blödsinn! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht! Schluss damit!« »Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie leise singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt ganz sanft und liebevoll streichelt …« Demnach ist Leben aus Wundern gemacht, aus Liebe und Nichtwissen. Letzteres ist die größte Triebfeder des menschlichen Geistes. Dafür ist er bereit, seine Seele zu verkaufen. Er möchte Nichtwissen durch Wissen ersetzen und zur Erkenntnis fließen. Der bekannte britische Kardiologe John Martin schrieb in einem Essay aus dem Jahre 2000: »Das wahrscheinlich größte Problem der Biologie in den nächsten einhundert Jahren wird es sein zu verstehen, was ein menschliches Wesen zu einem menschlichen Wesen macht.«225 Ein knappes Vierteljahrhundert später sind wir der Antwort nicht wirklich

nähergekommen. Auf der Suche nach der wahren Natur des Lebens zerteilen die meisten Forscher den menschlichen Organismus in fortwährendem Reduktionismus in Organe, Zellen, Moleküle, Gene und Atome. Eine einzelne Zelle besteht aus vielen Billionen von Atomen, und ein Mensch wiederum aus Billionen von Zellen. Um eine Zelle sehen zu können und tief in sie hineinzublicken, haben Wissenschaftler Mikroskope gebaut, und um die Sterne am Himmel zu zählen, Fernrohre und Teleskope. Wenn unsere Vorfahren in einer monddunklen Nacht in den Sternenhimmel blickten, konnte es ihnen so vorkommen, als sei er lebendig. Sternenbilder bewegen sich, manchmal sind sie sichtbar, dann wieder nicht, und wenn ein seltener Komet langsam und majestätisch seine Bahn durch die unermesslichen Tiefen des schwarzen Weltraumes zog, dann war das ein Zeichen des Göttlichen. Wir selbst bestehen aus mehr Atomen, als das für uns sichtbare Universum Sterne hat. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein einzelnes Atom, das mit einem Superteleskop in den menschlichen Körper schaut. Dann wäre unser Körper so unermesslich groß wie das Universum. Größtenteils ist es aus Wasserstoff gemacht. Das am häufigsten vorkommende Atom im Körper eines Menschen ist mit 63 Prozent ebenfalls Wasserstoff. Würde man ein Proton, also den Kern eines Wasserstoffatoms, so groß skalieren und darstellen wie eine Zelle, dann wären die äußeren Ränder der Zelle genauso weit entfernt wie der Rand unseres Sonnensystems von uns. Bezogen auf den ganzen Körper ist eine einzelne Zelle ein Universum in vielen anderen Universen. Zwischen unseren Atomen ist demnach ziemlich viel Platz, und wir bestehen – wie alle Materie – zu 99,9 Prozent aus Vakuum. Es ist immateriell, aber nicht leer, sondern voller Energie, Information und Antimaterie. Mehr materiell gesehen und auf einer Größenskala von allem sind wir Menschen ungefähr in der Mitte angesiedelt

zwischen dem Allerkleinsten, den winzigsten Bestandteilen eines Atoms, also Quarks, Neutrinos und Co., und den allergrößten uns bekannten Ausmaßen des Universums an den Rändern der Galaxien.226 Und dennoch ist das, was uns ausmacht, unser Aussehen, unsere Gedanken, unsere Träume, das, was wir tun, unendlich viel mehr als eine Anhäufung von Atomen, die sich miteinander verbinden. Es ist Leben und hat ganz andere Eigenschaften, als sich aus der Summe der Atome vorhersagen lässt. Zum Beispiel formen zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom in uns ein Wassermolekül, das chemisch mit der Formel H2O beschrieben wird. Sauerstoff und Wasserstoff sind bei den bei uns vorherrschenden Temperaturen für sich alleine genommen gasförmig. Doch wenn sie sich zu Wasser verbinden, entsteht etwas völlig Neues: Die Flüssigkeit des Lebens, aus der wir zu einem großen Teil bestehen. Wasser ist ein Medium, das sich, anders als zum Beispiel Öl, sehr gerne mit anderen Molekülen verbindet und als Lösungsmittel und Trägersubstanz für viele Moleküle und biochemische Interaktionen dient. Es hat völlig andere Eigenschaften als seine einzelnen Atomkomponenten. Seine neuartigen Eigenschaften entstehen aus der Verbindung. Der Mediziner, Biochemiker, Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin Albert Szent-Györgyi sagte einmal: »Leben ist Wasser, das zur Melodie der Moleküle tanzt.«227 Die Art und Weise, wie die Einzelatome miteinander tanzen und interagieren, bedingt das Verhalten des Ganzen. Aber auch die umgekehrte Beeinflussung ist möglich. Die Gesamtheit des Wassers beeinflusst die Verbindung und das Verhalten seiner Atome. Wasser kann fließen, tropfen, Wellen bilden oder eine spiegelglatte Oberfläche haben, es kann sogar verdampfen oder frieren und so die Verbindungen seiner einzelnen Atome, Protonen und Elektronen immer wieder neu gestalten.

Diese bidirektionale Verbindung und Beeinflussung der Einzelteilchen eines Organismus mit der Gesamtheit der Eigenschaften eines lebenden Organismus ist die Grundlage eines Konzepts vom Leben, das der Physiologe Denis Noble entwickelt hat. Er nennt sie biologische Relativität.228 Es gibt darin kein bevorzugtes Level einer Kausalität. Die einzelnen Atome geben dem Gesamten eine Gestalt, nämlich die des Wassers, dessen vielfältige Eigenschaften sich aus den einzelnen Komponenten nicht unbedingt vorhersagen lassen. Wasser ist ein offenes System, das sich mit seiner Umgebung verändert und bereitwillig jede Form annimmt, die ihm ein Behältnis gibt. Das kann auch unser Körper sein. Aber warum und vor allem wie formen die Aberbillionen der verschiedenen Atome, die uns ausmachen, einen lebendigen Menschen? Die meisten Atome, aus denen wir bestehen, sind nichts Besonderes, sie liegen auch außerhalb unseres Körpers in der Natur herum. Warum und wie entsteht aus ihnen ein Gehirn, das denken kann, ein Herz, das schlägt, und Blut, das fließt? Aus der Sicht eines einzelnen Atoms ist die Frage nicht zu beantworten.229 Die Fragmentierung des Menschen in Moleküle und die der Medizin in immer neue Spezialgebiete kann uns der Antwort nicht näherbringen. Denis Noble schreibt in seinem Buch über biologische Relativität mit dem Titel Dance to the Tune of Life (Tanze zur Musik des Lebens), wir lebten in einer Zeit, in der Naturwissenschaftler die Frage nach dem Wie zu beantworten versuchen, und mit der Frage nach dem Warum befassten sich Religionen und die Theologie. Eine zeitgemäße Metaphysik, die beide Fragen auf wissenschaftlich fundierte Art verbindet, eine Theorie von allem fehle. Die Entdeckung, dass unser Erbgut (Genom) in Gestalt einer Doppelhelix mit vier Basenpaaren angeordnet ist, die auch als DNA bezeichnet wird, war ein nobelpreiswürdiger Meilenstein in der

Geschichte der Biologie und sorgte für einen anhaltenden Trend in der Wissenschaft, alle biologischen Phänomene und unser Verhalten auf der Basis der Genetik zu erklären. Das menschliche Genom wird seither oft als das Buch des Lebens beschrieben. Man glaubte, innerhalb eines Jahrzehnts könne man Krankheiten des Herzens, des Nervensystems, Diabetes und Krebs an der Wurzel behandeln. Doch anders als manche Forscher vollmundig behaupteten, wurde damit weder das Geheimnis des Lebens noch vieler Erkrankungen vollständig gelüftet. Oder wie Noble es ausdrückt: Nur weil man die Buchstaben des Alphabets kennt, versteht man noch nicht die Werke von Shakespeare.230 Alle Atome in einem Organismus sind isoliert betrachtet und nur für sich genommen tote Materie. Das gilt auch für die vier Basenpaare, welche die Biologie des Universums codieren. Erst die komplexe molekularbiologische Verbindung macht sie zu einem lebendigen, sich selbst organisierenden Organismus. Die unbedingte Voraussetzung dafür, dass Gene ihren Bauplan des Lebens weitergeben können, ist eine übergeordnete lebendige Struktur, mindestens eine Zelle. Diese Zelle muss in der Lage sein, die in der DNA abgelegte Information zu decodieren und daraus die Proteine für unser Leben herzustellen. Ohne einen bereits lebenden Organismus ist ein Gen so tot wie ein Buch, das im Regal verstaubt und das niemand liest. Doch selbst wenn ein Buch von verschiedenen Menschen gelesen wird, kann der Inhalt sehr unterschiedlich interpretiert werden. Alle unsere Körperzellen teilen das gleiche Erbgut, tragen das gleiche Buch des Lebens in sich, doch die Seiten, die sie lesen, und was sie daraus machen, ist völlig unterschiedlich. Sie haben sich zu den über zweihundert verschiedenen Zelltypen entwickelt, aus denen unsere Organe gemacht sind. Und die haben völlig unterschiedliche Aufgaben. Leberzellen entgiften uns, Immunzellen sorgen für die Abwehr von Krankheitserregern,

Nervenzellen leiten Strom, Knochen- und Muskelzellen unterstützen den aufrechten Gang, und mit den spezialisierten Zellen unserer Augen sehen wir. Wir alle wissen: Eine Raupe wird sich eines Tages in einen Schmetterling verwandeln. Doch den wenigsten Menschen ist klar, dass beide Daseinsformen die exakt gleiche DNA haben.231 Ob und wie schnell sich der Schmetterling zeigt, wie groß er ist, welche Farben seine Flügel haben und wie gut er fliegen kann, hängt nicht nur von seiner DNA ab, sondern von vielen Faktoren, wie der Temperatur, dem Wetter oder der Nahrung und auch davon, ob seine Mutter sein Ei an einen günstigen Platz abgelegt hat, der seinem Wachstum förderlich ist. All diese äußeren Faktoren haben Einfluss darauf, welche Gene bei unserem Schmetterling gelesen werden und welche nicht, ob sein Flügelschlag eines Tages vielleicht sogar einen Wirbelsturm auslösen kann oder auch nur unser Herz erfreut, in dem ja auch Wirbel gebildet werden. Das Forschungsfeld der Epigenetik beschäftigt sich ausschließlich mit der Frage, wie die Umwelt das Genom von Lebewesen beeinflusst. Bei der Beantwortung der Frage »Was ist Leben?« dürfen wir die Verbindung zum großen Ganzen, dem Universum und, in ihm enthalten, unserer Erde und Umwelt nicht aus den Augen verlieren. Doch wir sehen diese Welt nicht nur, wir berühren sie nicht nur, wir stehen nicht nur auf ihrem Boden, wir atmen sie auch ein. Was uns Menschen mit dieser Welt von Anfang an verbindet, ist der Atem.

Der Atem der Welt Das Erste, was wir tun müssen, nachdem wir auf diese Erde gefallen und abgenabelt worden sind, ist atmen. Und zwar dann, wenn wir aus dem Schoß der Mutter auftauchen und in die Atmosphäre Erde eintauchen. Mit unserem ersten Atemzug tauschen wir die Atemluft

aus der Lunge und dem Blut der leiblichen Mutter gegen den direkten Zugang zur Lufthülle von Mutter Erde. Unsere Atemwege öffnen sich, und wir atmen die Luft der Erde ein, was uns mit ihr verbindet bis zum letzten Atemzug. Die überaus bedeutende Aufgabe unseres Blutes ist es, die Gase des Atems in uns zu transportieren und zirkulieren zu lassen, auf dass wir leben können. Alles, was lebt, atmet. Auch Pflanzen. Der Mensch atmet Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus. Bei Pflanzen ist es genau umgekehrt. Auf diese Weise sind wir in einer permanenten Wechselatmung mit der Biomasse, in Verbindung mit der Schöpfung. Die Erde (be)atmet uns, und wir (be)atmen die Erde. Wir Menschen sind offene biologische Systeme, die in die Kreisläufe der Natur eingebunden sind und sich mit anderen Lebewesen austauschen. Das betrifft nicht nur den Atem. Auch das Recycling, also das Zurückführen von Urin, Stuhl, Speichel und Tränen in die größeren ökologischen Makrosysteme, außerhalb unseres Körpers, übernehmen Lebewesen wie Bakterien und Mikroben in den Kläranlagen genauso wie in der freien Natur. Die Atmung jedoch verbindet das Außen mit dem Innen, die Lufthülle der Erde mit dem Blut. Das ist so immens wichtig für uns, dass es dafür einen eigenen Kreislauf gibt, den Lungenkreislauf. Er befördert das sauerstoffarme venöse Blut aus dem rechten Herzen in die Lungen. Von dort fließt es frisch mit Sauerstoff angereichert dem linken Herzen zu und dann weiter in den sogenannten Systemkreislauf, der den Körper mit Sauerstoff versorgt. Während unserer Zeit im Mutterleib hat der Lungenkreislauf keine Bedeutung, weil wir im Fruchtwasser schwimmen und, da wir keine Kiemen haben, nicht selbst atmen können. Er wird durch eine Kurzschlussverbindung, den Ductus arteriosus Botalli, umgangen. Mit den ersten Atemzügen entfaltet sich die Lunge, der Lungenkreislauf öffnet und der Ductus arteriosus Botalli verschließt sich. Damit sind

die beiden Kreisläufe getrennt in einen Lungenkreislauf mit niederen Drucken, weil der rechte Ventrikel weniger muskelbepackt ist, und einen Systemkreislauf mit hohen Drucken, die der kräftige linke Ventrikel aufbauen kann. Der Übergang von einem Leben unter Wasser zu einem Leben an Land ist abgeschlossen. Von nun an fließt nicht nur unser Blut, sondern auch der Atem. Mit jeder Einatmung wird er über die oberen Luftwege (Mund und Nase) in die Luftröhre gesogen und von dort in ein immer weiter sich verzweigendes System kleiner und kleiner werdender Atemwege (Bronchien), bis er in den winzigen Lungenbläschen (Alveolen) zum Stillstand kommt. Sie können es sich vorstellen wie einen Baum, bei dem die Luftröhre der Stamm ist und die Alveolen seine winzigen Bläschenblätter. In den Alveolen ist die tief eingesogene Atemluft nur noch durch eine sehr feine Membran vom Blut getrennt, das auf der anderen Seite vorbeifließt. An ihr treten die Sauerstoffmoleküle in uns ein und werden an das Hämoglobin der roten Blutkörperchen gebunden, während diese gleichzeitig die Kohlendioxidmoleküle an die Ausatemluft zurückgeben. Der Atem ist unsere intimste Verbindung unseres Inneresten mit der äußeren Welt. An keiner Stelle sind wir so dünnhäutig und durchlässig wie in unseren Lungenbläschen. Das Blut nimmt den Sauerstoff mit zu den weiter entfernten Organen. Der Großteil der Organismen auf der Erde besteht aus Einzellern. Sie brauchen kein Blut und keine Lungen, stehen in direktem Austausch mit der Umgebung über ihre Zellmembran. Auch wir Menschen haben diese Fähigkeit behalten und können über die Poren unserer Haut noch atmen. Doch nur 1 Prozent unseres Sauerstoffbedarfs kann durch die Diffusion über die Haut gedeckt werden.232 Höher entwickelte Organismen brauchen daher ein Organsystem, über das sie Sauerstoff aufnehmen und verteilen können, und das sind Lunge, Blut und das Herz. Unsere Luftwege und unsere Lunge sind wie eine Einstülpung

unseres Körpers tief in unserem Brustkorb. Ihre Oberfläche ist 40-mal größer als unsere normale Hautoberfläche. Damit wir möglichst viel Austauschfläche für den Transport unserer Atemgase haben, wachsen unsere Bronchien und Blutgefäße in Mustern von Kringeln, die sich immer weiter verzweigen und dabei selbstähnlich sind (das heißt, die Form des gesamten Systems ähnelt der Form seiner Einzelbestandteile). Wie auch bei einem Blumenkohl ein winziges Röschen so aussieht wie der ganze Blumenkohl, der sich aus deren Tausenden zusammensetzt. Diese faszinierende Geometrie natürlicher Selbstähnlichkeit lässt sich mathematisch in Fraktalen beschreiben und mit Computerprogrammen als wachsende Mandelbrotbäumchen darstellen, wie sie auf vielen Bildschirmschonern schweben. Als eine kleine Besonderheit wachsen die Zellen der Hornhaut unserer Augen ohne Blutgefäße. Damit wir immer den Durchblick haben und dieser nicht durch Kapillaren getrübt wird, bezieht die Hornhaut ihren Sauerstoff nicht aus dem Blut, sondern direkt aus der Luft.

Das Feuer in uns Bedenkt man, dass der Sauerstoff der Erdatmosphäre von den Pflanzen mittels Fotosynthese hergestellt wird, so versteht man auch, dass wir mit jedem unserer 20 000 Atemzüge am Tag Sauerstoff einatmen, der aus Sonnenenergie entstanden ist. Er ist wiederum die universelle Zutat für die Energiegewinnung in jeder einzelnen unserer Körperzellen. Sauerstoff wird in den Erythrozyten nicht als einzelne Atome, sondern als Sauerstoffmoleküle angeliefert. Das sind zwei Sauerstoffatome, die miteinander verbunden sind und sich ein Elektronenpaar teilen. Chemisch werden sie als O2 beschrieben. Sie sind in den roten Blutkörperchen an Hämoglobin gebunden, und in den Haargefäßen diffundieren sie nun aus den roten Erythrozyten

heraus und schlüpfen in die Zelle hinein. Damit das möglich ist und sie überleben kann, darf die Zelle nicht weiter als fünf hundertstel Millimeter von der nächsten Kapillare entfernt sein, das entspricht der Breite eines Haares. Dass wir atmen, spüren wir, weil der Brustkorb sich hebt und senkt und Luft beim Ein- und Ausatmen durch unsere Nase und den Mund strömt. Verborgen bleibt uns jedoch, dass jede einzelne Körperzelle atmet. Mit diesem als innere Atmung bezeichneten Vorgang entsteht die Energie, die wir zum Leben brauchen. Ohne Energie können wir keinen einzigen Gedanken fassen und keinen Finger heben, und unser Herz würde nicht schlagen. Viele Kulturen glauben, ein Energiefeld durchdringe die Welt und alle Lebewesen. Taoisten nennen es Chi, Hindus Prana. Energie ist Leben.233 Um sie zu gewinnen, bewegen sich die O2-Moleküle innerhalb der Zelle weiter zu Mini-Zellorganen, die aussehen wie zigarrenförmige Luftschiffe und im Zellplasma schweben. Das sind die Mitochondrien, die Kraftwerke des Lebens. Feuer kann nur brennen, wenn Sauerstoff zur Verfügung steht. Wenn wir eine Decke über einen Brandherd stülpen, können wir das Feuer ersticken. Im Menschen ist es genauso! Da wir für unsere Energiegewinnung in den Mitochondrien Sauerstoff benötigen, wird dieser Prozess auch als Verbrennung bezeichnet. Sobald sich unsere Atemwege verschließen, ersticken wir. Feuer erzeugt Hitze, und unsere Energiegewinnung sorgt dafür, dass wir die richtige Körpertemperatur haben. Damit es nicht zu heiß wird und wir verkohlen oder auf einen Schlag verpuffen, wird die Energie in uns in kleinen Dosen durch das Fließen von Elektronen freigesetzt. In einem überaus komplexen Kreislauf werden sie in kleinen Zwischenschritten von einem Proteinkomplex zum nächsten weitergereicht, weshalb der Prozess der Energiegewinnung auch als Atmungskette bezeichnet wird. Bei dieser inneren Atmung werden im Endeffekt die Sauerstoffmoleküle

gespalten, und jedes freiwerdende Sauerstoffatom verbindet sich mit jeweils zwei Wasserstoffatomen zu einem neuen Wassermolekül. Es entsteht also keine Asche, sondern H2O, und das bewegt sich mit dem venösen Blut zurück in die Lunge, wo es die Ausatemluft befeuchtet, uns dann verlässt, um wieder in den großen Kreislauf der Natur einzutreten. Vielleicht wird es zum Teil einer Wolke, dann zu einem Regentropfen, und dann wird es vielleicht von den Wurzeln einer Pflanze aufgesogen, und in der Fotosynthese entstehen zusammen mit Kohlendioxid und Sonnenlicht pflanzliche Kohlenhydrate. Grünzeug, das wir essen können, und das uns mit reichlich Energie versorgt und allen Vitaminen und Nährstoffen, die wir brauchen.

Ausgebrannt Gewalt gegen die Natur und Umweltverschmutzung zerstören diese Kreisläufe der Energiegewinnung, die auf so elegante, natürliche Weise durch uns hindurchfließen. Damit schneiden wir uns selbst vom Leben ab. Auch können wir auf die Dauer nicht mehr Energie verbrauchen, als wir zur Verfügung haben. Weder in uns selbst noch außerhalb. Die Gier nach fossilen Energien, die unseren Wohlstand immer weiter antreiben, veranlasst uns dazu, unseren Ökosystemen fossile Brennstoffe zu entreißen. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff beschreibt der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in seinem Buch Selbstverbrennung, in dem er eindringlich davor warnt, dass die fortgesetzte Verbrennung fossiler Energieträger und die damit verbundene Erderwärmung zu einem »kollektiven Suizid« führen.234 Klimaschutz ist nicht nur Artenschutz, sondern auch Atemschutz. Wir brauchen frische Luft! Nasenatmung ist dabei der Mundatmung vorzuziehen, denn in weniger als einer Zehntelsekunde erwärmt sie die

Luft auf Körpertemperatur, befeuchtet sie und erfüllt eine wichtige Filterfunktion. Über 50  Prozent der Partikel und Mikroorganismen werden so gefiltert. Nicht jedoch Feinstaub. In vielen Städten ist Feinstaubalarm nicht mehr die Ausnahme, sondern die Normalität. Feinstaub durchtrennt die Atmungskette und ruiniert unsere Lungen, Herzen, Gefäße und Mitochondrien. Die innere Atmung wird auch gestört, wenn Menschen aufgrund eines Traumas Blut verlieren wie Hamid oder einen Schock aufgrund einer Durchblutungsstörung erleiden, zum Beispiel bei einem schweren Herzinfarkt. Dann erlischt unser inneres Feuer rasch, und es bleibt nur eine goldene Stunde, um das Leben zu retten. Energiemangel ist auch das globale Symptom des psychischen Traumas. Wenn der Fluss in unserer Seele gestört, wenn uns die Möglichkeit zur emotionalen Selbstregulierung abhandengekommen ist, erstarren wir in Angst, Hoffnungslosigkeit und Aggressionen und hinterlassen manchmal nur noch verbrannte Erde. Ein gestörter Energiestoffwechsel durch defekte Mitochondrien kann sich auch vererben. Mit einem Lebenszeitrisiko von 1 : 500 gehören angeborene (primäre) Mitochondriopathien sogar zu den häufigsten erblichen Erkrankungen.235 Sie sind die wenig bekannte Ursachen verschiedener Erkrankungen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Typische Manifestationen sind zum Beispiel epileptische Anfälle, schlaganfallähnliche Erlebnisse, Schwerhörigkeit, Herzund Kreislauferkrankungen, Augenmuskellähmungen, Muskelschwäche und die Zuckerkrankheit. Aber auch Verdauungssystem, Blut, Urogenitaltrakt, endokrines System, Haut und Immunsystem können betroffen sein. In einer aktuellen Übersichtsarbeit beschreibt Professor Thomas Klopstock von der Ludwig-Maximilians-Universität München: »Jedes Gewebe und jedes Organ kann betroffen sein. Die Erkrankungen können sich mit jedem

Symptom und in jedem Alter manifestieren. Gewebe mit hohem Energiebedarf wie Gehirn, Sinneszellen, Augen-, Herz und Skelettmuskulatur sind besonders vulnerabel, weswegen Patientinnen und Patienten mit mitochondrialen Erkrankungen vor allem in Neurologie, Neuropädiatrie, Ophthalmologie [Augenheilkunde] und Kardiologie vorstellig werden.«236 Die hochenergetischen Zellen von Leber, Gehirn oder Herz besitzen zwischen 2000 und 10 000 Mitochondrien. Sind sie nicht gesund, ist es auch nicht die Zelle, nicht das ganze Organ und nicht der Mensch. Mitochondrien haben als Besonderheit ein eigenes Erbgut, eine eigene DNA, weil sie früher eigenständige Bakterien waren, die im Laufe der Evolution dauerhaft in die menschlichen Körperzellen eingeschleust wurden, hier eine neue Heimat gefunden haben, endosymbiotisch mit ihr zusammenleben und für sie Energie produzieren. Das Zusammenspiel zwischen ihrem restlichen Erbgut und dem des Menschen erfordert eine präzise Abstimmung. Minimale Unregelmäßigkeiten führen zur Codierung von defekten Proteinen. Krankheitsverursachende Defekte des Energiestoffwechsels können deshalb in über 400 Genen auftreten. Die Ausprägung des Schweregrades der resultierenden Störungen reicht von relativ milden Symptomen bis zu schwersten Erkrankungen, die bereits im Kindesalter auftreten können. »Der wichtigste diagnostische Schritt steht ganz am Anfang: Man muss an eine mögliche Mitochondrienerkrankung denken«, schreibt Klopstock. Dafür stehen molekulargenetische Methoden zur Verfügung. An ihre kleinen Zellkraftwerke denken können Sie am besten gleich selbst. Nicht nur Gene, auch negativer Stress, mangelnde Bewegung, kalorienreiche Ernährung, chronische Entzündungen, Rauchen, Umweltgifte und Medikamente beeinträchtigen die Mitochondrien nämlich ganz eklatant.237 In unseren Körpern bilden sich dann freie

Sauerstoffradikale, welche die DNA, die Atmungskette und auch die Membranen der Mitochondrien schädigen. Sie erinnern sich: Für die Energiegewinnung werden Sauerstoffmoleküle aufgespalten und verbinden sich dann mit Wasserstoff-Ionen zu Wasser. Geht bei diesem Prozess aufgrund erkrankter Mitochondrien etwas schief, randalieren die Radikale durch die Zellen und können auf der Suche nach einem Reaktionspartner jedes Protein oder auch Gen schädigen, auf das sie treffen. Sauerstoff ist also ein zweischneidiges Schwert: Es kann wie Feuer ein Haus wärmen oder es aber niederbrennen. Deshalb empfehlen Ernährungsexperten zum Beispiel Fischöl mit Omega-3-Fettsäuren oder Vitamin C, weil sie die freien Sauerstoffradikale einfangen. Nicht nur Sauerstoff, auch andere Atome und Verbindungen bilden freie Radikale, und alle zusammen spielen eine zentrale Rolle bei der Alterung. Je mehr wir davon haben, umso schneller altern unsere Organe, unsere Blutgefäße und unsere Haut. Freie Radikale unterhalten einen Teufelskreis. Sie entstehen in Mitochondrien und schädigen sie dann auch als Erstes. Die Membranen der Zellkraftwerke werden undicht, können den mit dem Blut angelieferten Sauerstoff nicht mehr verwerten, und den Zellen stehen nicht genügend Energiepakete in Form von ATP (Adenosintriphosphat) zur Verfügung. Durchschnittlich produziert ein gesunder Erwachsener am Tag etwa 70 Kilogramm Energie in Form von ATP, so viel wie sein eigenes Körpergewicht, und verbraucht es auch sofort wieder, damit wir nicht volllaufen mit ATP wie Superman oder Popeye, sondern in jedem Augenblick nur etwa 10 Gramm in uns tragen.238 Ist der Energiestoffwechsel gestört, haben wir nicht mehr genügend Energie, fühlen uns erschöpft, kraftlos und können uns nicht mehr richtig erholen. Auf lange Sicht folgen Erschöpfungssyndrome

(Fatigue), Depressionen, Ängste, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit und Burnout. Auf der körperlichen Ebene ist der Energiemangel Ursache oder auch Begleiterscheinung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Diabetes, Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Unter Druck Und davor war auch Hamid nicht gefeit. Ich konnte es kaum glauben, als er fast fünfzehn Jahre nach dem Messerangriff vor mir stand. Meine Assistentin hatte den Nachnamen des neuen Patienten notiert, gewiss. Doch in meiner Erinnerung war er als Hamid gespeichert. Und er hatte sich sehr verändert. Vielleicht hätte ich ihn nicht sofort erkannt, doch der übergewichtige Mann mit den grau gesträhnten dunklen Locken begrüßte mich mit einem »Hallo, Doc!«. Da bestand kein Zweifel. Aber wie hatte er mich gefunden, praktizierte ich doch mittlerweile an einem anderen Ort und in eigener Praxis? »Ich habe Ihr Buch in einem Schaufenster gesehen. Das ist doch mein Doc, habe ich gedacht, der Herzchirurg. Klar habe ich mir das Buch gekauft. Und irgendwann beim Lesen habe ich begriffen, dass meine Herzgeschichte noch nicht vorbei ist. Deshalb bin ich da, Doc. Darf ich Sie mal drücken?« Leicht irritiert schaute uns eine Patientin an, die ich schon lange kannte und die gerade zufällig vorbeikam, um einen Befund abzugeben. »Er hat mir das Leben gerettet«, erklärte Hamid. »Und jetzt muss er noch mal ran, glaub ich.« Wenn ich heute Termine in meiner Privatpraxis vergebe, dann sind das meistens Intensivtermine. Ich bitte die Patienten, drei Tage lang Zeit

mitzubringen, in denen wir ihr Herz umfassend erforschen und intensive Gespräche führen – und alte, neue und komplementäre Wege der Therapie beschreiten und verbinden. So bin ich der Intensivmedizin treu geblieben, jedoch habe ich das Skalpell gegen das Wort getauscht. Es ist subtiler als die feinste Chirurgie und trennt nicht die Gewebe, sondern verbindet die Welten von Körper und Geist. Solche »Eingriffe« hinterlassen keine Wunden, sondern spüren Wunden auf. Gelingen können sie nur, wenn Patienten willens sind, sich zu öffnen auf einer Basis des Vertrauens. Dann können sie wieder ganz werden und von innen heraus heilen. Hamid arbeitete als Manager für ein innovatives Maschinenbauunternehmen in der Entwicklung von Turbinen. Er liebte diese Technologie. Von der Geschäftsführung wurde er gebeten, zusätzlich eine zeitgemäße Transformation der Unternehmenskultur umzusetzen. Das war nun gar nicht seine Welt, und während der Vorbereitung zu einem Vortrag beim Vorstand bekam er Kopfschmerzen, Luftnot, Schweißausbrüche und Schwindel. Der herbeigerufene Notarzt maß den Blutdruck, der bei 221/112 mmHg lag, diagnostizierte einen hypertensiven Notfall mit Herzrasen (seine Herzfrequenz lag bei 140/Minute) und nahm ihn mit in die Klinik. Dort wurde er nach Ausschluss eines Herzinfarkts nach zwei Tagen entlassen. Im Gepäck zwei Blutdruckmedikamente, die er von nun an nehmen sollte. Während der nächsten Monate wurde er ob der morgendlichen Pillen immer verzagter; es fühlte sich falsch für ihn an, für den Rest seines Lebens Hypertoniepatient zu sein. Das bereitete ihm zusätzlichen Druck zum Stress bei der Arbeit. Der wurde immer schlimmer. Er versuchte »sich zusammenzureißen«, wie er sagte. Doch wer sich ständig zusammenreißt, läuft Gefahr zu zerbrechen. Oft sind es zuerst die Herzen, die Risse bekommen und anfangen zu rasen.

Es ging ihm wie vielen Menschen heute: »Ich bin von morgens bis abends am Rennen. Ich finde keine Ruhe mehr. Nichts macht mir mehr Freude. Ich selbst bin mein schlimmster Vorgesetzter und peitsche mich pausenlos an. Doch in letzter Zeit bringt das nichts mehr. Ich habe das Gefühl, ich muss immer mehr Gas geben, mein Herz rast, mein Blutdruck steigt, ich verbrauche immer mehr Energie und bringe trotzdem immer weniger Leistung. Doc, das fühlt sich nicht gut an. Ehrlich: Das macht mir Angst.« »Wie geht es …« – ich versuchte, mich an den Namen seiner Frau zu erinnern. »Lara? Hat mich verlassen. Mit den Kindern. Sie wohnt jetzt auf dem Hof, wo  … na, Sie wissen schon. Hat da einen Kindergarten aufgebaut. Ich habe ihr zu viel gearbeitet. Hatte zu wenig Zeit für die Familie. Und sie hat recht.« Er verbarg sein leicht aufgedunsenes Gesicht in den Händen. »Ist nicht so gut gelaufen die letzten fünf Jahre bei mir. Früher war ich wie eine Kerze, die an zwei Enden brannte, jetzt brenne ich für nichts mehr. Weder für meine Maschinen noch für Frauen. Meine letzte Beziehung ging auch in die Brüche, und seither schmerzt mein Herz mehrmals in der Woche aus unerfindlichen Gründen. Als ob mir jemand einen Stein darauf legt. Ich kann nie genau sagen, wann es kommt, aber es macht mir jedes Mal große Angst. Bei so Herzsachen bin ich einfach empfindlich, wissen Sie. Ich war mittlerweile dreimal in der Notaufnahme, doch nie wurde etwas gefunden. Die Ärztin neulich riet mir, ich solle doch mal Urlaub machen und mich entspannen, mein Herz sei in Ordnung. Aber ich bin es nicht, Doc! Wenn ich nämlich dann doch mal ein paar Tage Urlaub mache, kriege ich sofort eine üble Grippe. Das ist doch nicht normal!« »Doch«, sagte ich. Wenn solche ausgebrannten Patienten endlich einmal Ruhe haben, rutscht ihr autonomes Nervensystem vollends aus dem Gleichgewicht, das Immunsystem bricht zusammen, und sie

liegen mit Fieber im Bett. Manche bekommen auch gleich einen Herzinfarkt. Man bezeichnet das auch als Leisure Sickness, auf Deutsch Freizeiterkrankung. Wie zu erwarten, gab es bei der körperlichen Untersuchung und auch im Ultraschall von Hamids Herzen, das wiederzusehen ich mich freute, keine Besonderheiten. Man sah ihm nicht mehr an, wie sehr wir um es gekämpft hatten, und auch die Narbe an seinem Brustbein war gut verheilt. Seine Operation und die nachfolgende Zeit auf der Intensivstation drangen nochmals in mein Bewusstsein. Da ich mich in letzter Zeit sehr mit dem Thema Nahtod beschäftigt hatte, fragte ich ihn, ob er von all dem etwas mitbekommen habe. An die Zeit nach der Messerstich-OP und seinen Todeskampf gegen die Sepsis konnte er sich nicht wirklich erinnern. »Irgendwie ist das alles im Dunkeln. Aber ich weiß, Lara hat mich nicht im Stich gelassen. Zumindest damals. Das vergesse ich ihr auch nie. Überhaupt vergesse ich das alles nicht, auch wenn ich es vergessen habe.« Er deutete auf ein Tattoo an der Innenseite seines rechten Arms. Ich hatte es nur flüchtig wahrgenommen, jetzt erkannte ich das von einem Messer durchbohrte Herz, aus dem ein paar Tropfen Blut sickerten. »Zweimal stand der Engel des Todes an meinem Bett«, sagte Hamid mit belegter Stimme. Auch ihn katapultierte unsere Begegnung augenscheinlich zurück in die Vergangenheit. »Und ich weiß genau, wie er aussah.« »Ja?« »Freundlich, irgendwie einladend und voller Licht.« Ich wusste, wen er meinte, auch wenn er in dem Lehrbuch über Traumachirurgie, Top Knife: The Art and Craft of Trauma Surgery etwas traditioneller und mit Schlapphut beschrieben ist.239 Und dann fügte Hamid nach einer kleinen Pause hinzu: »Aber ich habe mich entschieden zu leben! Damals und heute.«

Ich führte eine mitochondriale Diagnostik durch. Das Ergebnis war wenig überraschend: Hamids Zellbatterien waren zur Hälfte entladen, hatten ein Protonenleck und oxidativen Stress. Sie konnten den Sauerstoff nicht mehr effizient in Energie umsetzen. Der sogenannte bioenergetische Gesundheitsindex erlaubt hier eine differenzierte Analyse der Pathomechanismen und auch der erforderlichen Therapie.240 Auf der biochemischen Ebene alleine, auch wenn man orthomolekular mit Vitaminen und Co. therapiert, lässt sich das »Unter-Druck-Stehen-Syndrom«, zu dem auch der hohe Blutdruck zählt, jedoch nicht beheben. Die Patienten müssen bereit sein, sich zu bewegen. Und das meine ich zunächst einmal ganz wörtlich. Sport, Bewegung und Spaziergänge bringen die Kraft zurück in die Suppe. Selbstheilung erfordert die Bereitschaft und Disziplin, etwas zu ändern. Ohne geht es nicht. Doch nicht mit der Peitsche des inneren Antreibers, sondern mit viel Selbstliebe und Freundlichkeit. Ohne das geht es auch nicht. Hinzu kommen eine bewusste Ernährung, das passende Gewicht und eine satte Prise Achtsamkeit, mit der man lernt, mit sich selbst wohlwollend und rücksichtsvoll umzugehen. Der Begriff »Achtsamkeit« geht zurück auf uralte Methoden des ZenBuddhismus. Damit ist Folgendes gemeint: ein präsentes Verweilen des Geistes in der Gegenwart und die bewusste Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle. Damit einher gehen die Bereitschaft, auch Veränderungen im Leben zu akzeptieren, Offenheit und Neugierde. Nun denken Sie sich vielleicht, alles klar, aber wie schaffe ich das? Die kurze Antwort: durch Meditation. Meistens gelingt es Anfängern nicht, länger als ein paar Sekunden präsent zu sein. Deshalb führe ich meine »Intensiv«-Patienten auch in die Meditationspraxis ein. Ich hoffte, Hamid auch diesmal helfen zu können, auch wenn ich für einen Herzchirurgen neue Wege einschlage. Doch ich weiß, dass das Herz diese Sprache versteht. Denn es ist ein Organ von Bewusstsein, was ich

als kardiokognitives Bewusstsein bezeichne. Es hat eine große biologische Kapazität zu fühlen, sein starkes elektromagnetisches Feld synchronisiert uns mit anderen Herzen, und seine Signale an das Gehirn beeinflussen unsere Entscheidungen und sogar das Sehvermögen. Im Herzen wird der Seele bewusst, dass alles miteinander verbunden ist. Eine Seele im Frieden gib den Takt vor, in dem ein Stück Leben gespielt wird.

Freiheit Ich leitete Hamid an, die Augen zu schließen, auf eine ganz natürliche Weise zu atmen und nach einer Weile den Atem tiefer sinken zu lassen. Für viele Menschen ist das nicht ganz einfach. »Die längste Reise, die du in deinem Leben machen wirst, ist die vom Kopf zurück zu deinem Herzen«, besagt eine Weisheit, deren Ursprung den Sioux-Indianern zugeschrieben wird. Freundlichkeit und Geduld mit sich selbst  – das fällt vielen Menschen paradoxerweise schwer; oft sind es jene, die diese Tugenden anderen gegenüber leicht aufbringen. Ich bat Hamid, mir ein Handzeichen zu geben, wenn er bei seinem Atem angekommen war und bereit, mit dem Atem in sein Herz hineinzuspüren. Das war nicht nötig, denn er weinte. So geht es vielen Menschen, wenn sie nach langer Zeit wieder nach Hause kommen. Zu sich selbst. Dass es bei Hamid so schnell ging, war gewiss auch dem Vertrauensvorschuss geschuldet, den er mir schenkte. Und wir reisten weiter in die Tiefe. Ich bat Hamid, sich vorzustellen, dass sein Herz zwei Flügel habe, die rechts und links am Herzen angebracht sind. Das ist keine Metapher, sondern pure Anatomie. Es sind die Lungenflügel. Mit jeder Einatmung entfalten sich die großen Flügel der Lunge, legen sich liebevoll um das Herz und halten es ganz bewusst und sanft einen Augenblick lang. Mit jeder Ausatmung lassen sie das Herz ganz langsam und bewusst wieder los. Jeder Herzchirurg weiß, dass auch

das eine physiologische Tatsache ist und die beiden Lungenflügel das Herz in ihrer Mitte mit jeder Einatmung umschließen und ihm dann mit der Ausatmung wieder mehr Raum geben. Mit jedem bewussten Atemzug können wir unser Innerstes, unser Herz, ganz bewusst umarmen, trösten und einen Augenblick halten, um es dann wieder freizugeben. In der Mitte des Brustkorbes liegt das Herz, doch die Mitte der Mitte, das Epizentrum des Lebens, sind der Atem und seine beiden Lungenflügel. Unser Blut fließt sauerstoffarm vom rechten Herzen in die Lunge fließt und von dort zum linken Herzen. Daher liegt die Lunge funktionell in der Mitte des Herzens, auch wenn die beiden Lungenflügel außen angebracht sind. Mit jedem Atemzug umarmen Sie also Ihr Herz aus seiner eigenen Mitte heraus, das Innerste mit dem Inneren, und die Verbindung ist Ihr Blut. Manche Menschen leiden an Angina pectoris, an einem Gefühl der Enge und Starre im Herzen, dem pathophysiologisch eine Durchblutungsstörung zugrunde liegt, die mit Medikamenten, Stents oder einer Bypass-Operation therapiert wird. Die amerikanische Kardiologin Mimi Guarneri beschreibt in ihrem Buch The Heart Speaks: A Cardiologist Reveals the Secret Language of Healing (»Das Herz spricht: Eine Kardiologin entschlüsselt die geheime Sprache der Heilung«) eindrucksvoll, wie sehr die Bereitschaft, das eigene Herz und alle Themen, die es eng machen, intensiv zu fühlen und die Emotionen herauszulassen (Emotion kommt vom lateinischen emovere, und das bedeutet »herausbewegen«), die Symptome lindern kann und das Blut wieder ins Fließen bringt.241 Seit Jahrzehnten erhalten viele ältere Patienten von ihren Hausärzten den Blutgerinnungshemmer Acetylsalicylsäure (ASS) in der Dosierung 100 Milligramm am Tag, um eben diese Enge am Herzen und Durchblutungsstörungen im Allgemeinen zu verhindern. In den vergangenen Jahren erschienen mehrere Studien, die eindrucksvoll

zeigten, dass ASS bei Patienten mit moderatem Risiko, aber auch bei Diabetikern überhaupt nichts bringt, dafür aber die Gefahr für eine Blutung deutlich steigert. Auch die Annahme, dass ASS das Auftreten von Tumoren verhindere, wurde nicht bestätigt. Nutzen und Risiko müssen immer sehr sorgfältig abgewogen werden, und es ist selten ein Medikament allein, das uns wieder ins Fließen bringt. Im Falle von ASS werden in Deutschland jährlich 500 Tonnen verschrieben, seine Spuren sind bereits im Trinkwasser nachweisbar. Man kann davon ausgehen, dass Pharmakonzerne hier nicht selten mehr profitieren als der einzelne Patient.242 Das Fühlen und Zulassen von Emotionen und Traumata, die sich angestaut haben und uns blockieren, ist ein gleichermaßen wichtiges Heilmittel für die Durchblutung des Herzens. Letztlich kann es sogar zur Freiheit von Medikamenten und Pillen führen. Doch Freiheit ist nicht nur die Freiheit von Medikamenten und Blockaden, sondern auch die Freiheit von Angst. Diese Erfahrung machte Hamid auch, als wir am zweiten Tag nach einigen körperlichen und maschinellen Untersuchungen abermals der Stimme seines Herzens folgten. Es war die Angst zu versagen, die ihn quälte, denn noch immer schickte er Geld nach Afghanistan und unterstützte weitläufig Verwandte, die er nie im Leben gesehen hatte. Er hatte Angst, dass ihm das nicht mehr möglich wäre, wenn er nicht mehr »funktionierte«. Ich fragte Hamid, was sein Herz am meisten brauchen würde. Ohne zu zögern und mit geschlossenen Augen war seine Antwort »Einmal raus aus der Mühle. So was wie  … frei sein von allem. Weit soll es sein. Weit und frei.« Das höre ich oft. Alle Herzen wollen frei sein, wie der Wind und das Meer. Freiheit ist eines der größten Themen der Menschheit, und Menschen sind bereit, vieles zu ertragen  – aber nicht, dass ihnen die Freiheit genommen wird. Alle unterdrückten Völker und Ethnien

haben sich irgendwann gegen ihre Despoten erhoben. Die Kraft dazu kam nicht aus dem Verstand alleine, ihre Herzen wollten frei sein. Doch es sind nicht immer die Diktatoren außerhalb unseres Selbst, die uns die Freiheit rauben. Es sind auch die Diktatoren in uns selbst, die uns klein halten. Es sind die Stimmen unserer Eltern und Erzieher der Kindheit, unsere Glaubenssätze, aber auch unsere körperlichen und psychischen Traumatisierungen, die in uns aktiv bleiben und unser Verhalten und Erleben zutiefst beeinflussen. Psychologen und Psychoanalytiker nennen sie auch Über-Ich, inneren Richter oder Super-Ego. Wie auch immer sie genannt werden, die Aufgabe dieser Stimmen ist immer die gleiche: uns in der Spur zu halten und uns vor Gefahren zu schützen. Kurzum, sie wollen »unser Bestes«. Als wir Kinder waren, hatten die Einflüsse und Ansichten der realen Eltern und Erziehungsberechtigter eine wichtige Funktion für uns. Wir brauchten ihre Führung, die uns vor mancherlei Gefahren schützte. Ihnen mussten wir auch folgen, um ihre Zuneigung nicht zu verlieren, auf die wir existenziell angewiesen waren. Mit der Zeit, und ohne dass wir es merkten und überprüft hätten, wurden die fremden inneren Stimmen zu eigenen. Und während sich »unser Bestes« im Laufe eines Lebens verändert, weil wir uns zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickeln, bleiben die Stimmen unserer Erziehung aus der Kindheit immer die alten und versuchen uns davor zu bewahren, unsere eigenen Wege zu gehen. Sie werden für die meisten von uns zu unbewussten Persönlichkeitsanteilen, die uns davon abhalten, unser volles Potenzial zu entwickeln. Um uns von ihnen befreien zu können, müssen sie erst einmal bewusst gemacht werden. Das ist ohne Unterstützung durch Therapeuten nicht ganz einfach und sich aus dieser manchmal geradezu giftigen Umarmung zu befreien meistens ein langer Weg. Als einen ersten Schritt der Bewusstmachung der inneren Diktatoren

empfehle ich Ihnen die Frage: Was hält Sie davon ab, Sie selbst zu sein? Wenn Sie sie ehrlich beantworten, wird Ihnen das ganze Ausmaß Ihrer eigenen Unterdrückung durch Ihre inneren Richter, Überzeugungen, Glaubenssätze, Vorurteile und Ängste allmählich bewusst. Nicht selten ist die finale Einsicht: »Ich bin es selbst. Am meisten halte ich mich selbst von mir ab.« Hamid bat ich an diesem Nachmittag, sich vorzustellen, wie die Flügel seines Herzens sich mit jeder Einatmung ganz weit und groß machten, wie bei einem Adler, und sich mit jeder Ausatmung ganz leicht senkten, so dass jeder Atemzug ein mächtiger, langsamer Flügelschlag in Richtung innerer Freiheit sei. Sein Gesicht entspannte sich, und mit der Zeit ging darin ein feines Lächeln auf, wie ein zarter Sonnenstrahl. Ich fragte ihn, was er fühle, und er sagte: »Ich fliege wie ein großer Vogel und in großer Höhe über die Berge Afghanistans. Tief unter mir ist eine Blumenwiese, und die Blumen wiegen sich sanft im Wind meines Atems. Jeder Atemzug ist die Thermik, die den Flügeln meines Herzens Auftrieb verleiht.« Die Bilder, die bei solchen Meditationen entstehen, zeigen meinen Patienten, dass es unbewusste Vorgänge in ihrem Inneren gibt, die es zu erforschen gilt und zu heilen. Dabei ist es zunächst einmal unerheblich, ob sich das Herz erhebt wie ein Adler oder es im Regen stehen bleibt wie ein nasser Spatz, der unfähig ist, seine Flügel zu entfalten, weil sie starr sind vor Kälte und Angst. Oder ob es ein zahmer Singvogel in einem Käfig ist, der von Freiheit träumt und dem nicht bewusst ist, dass die Tür offen steht. Das Einzige, was zählt, ist die Bereitschaft zu fühlen, wo man gerade steht und was es zu fühlen gibt. Es ist nicht wichtig, was man fühlt, sondern dass man fühlt. Es ist bei jedem Menschen ein anderer innerer Ort, von dem er startet, um sein Herz zu trösten, vielleicht sogar seine Traumata zu heilen und um wieder fliegen zu lernen. Ein erster Schritt dahin ist es, sich selbst

lieb zu haben und sich mit ein paar bewussten Atemzügen in den Arm zu nehmen und Halt zu geben. Das sind keine Raketenwissenschaften, das kann jeder. Was uns dabei helfen kann, ist der Atem. Er stellt eine bewusste Verbindung zu unserem Körper her. Weder unseren Herzschlag noch unsere Verdauung, nicht einmal unsere sexuelle Lust können wir gemeinhin mit unserem Willen beeinflussen, und auch nicht unsere Ängste und Gefühle, denn sie werden weitgehend autonom gesteuert. Unseren Atem jedoch können wir bewusst fließen lassen. Er verbindet uns nicht nur mit der Welt und den großen Kreisläufen, sondern wirkt über das autonome Nervensystem tief in uns hinein. Jede Einatmung ist eine kleine Anstrengung und geht einher mit einer Anspannung der Atemmuskulatur zwischen den Rippen und dem Zwerchfell und wird durch das sympathische Nervensystem moduliert. Das ist der Teil unseres Nervensystems, der uns blitzschnell auf Gefahren oder Herausforderungen reagieren lässt und auch für Kampf und Flucht zuständig ist. Für die Ausatmung dürfen wir den Atem einfach nur loslassen. Die im Brustkorb gespeicherte Dehnungsenergie lässt ihn von selbst und ohne weitere Anstrengung wieder aus uns herausfließen. Die Ausatmung ist im wörtlichen Sinne Dampf ablassen, und sie wird über das parasympathische System und den Vagusnerv gesteuert. Er hat vielfältige Funktionen, insbesondere jedoch entspannt er unsere Skelettmuskulatur, aber auch die Muskulatur der Blutgefäße und auch unser Gemüt. Unser Leben ist eine immerwährende Folge von Anspannung und Entspannung: In unseren Nerven folgt auf jedes Aktionspotenzial ein Ruhesignal, das Herz kontrahiert und entspannt, wir wachen und schlafen, arbeiten und erholen uns, und während all dem atmen wir ein und aus. In einem einzigen Atemzyklus mit Ein- und Ausatmung ist das Grundprinzip des Lebens abgebildet. Wissenschaftler sagen

auch, alles Lebendige oszilliert um einen inneren Nullpunkt. Haben die Geschehnisse unseres Lebens, die körperlichen und psychischen Traumata, der fortwährende Stress und zu viel Arbeit unser Oszillieren in eine dauerhafte Anspannung verschoben, dann sind wir aus dem Gleichgewicht, der innere Nullpunkt ist in die Anspannung gerutscht. Wir pendeln zwischen gestresst und weniger gestresst, aber nicht zwischen gestresst und erholt. Wir stehen unter Strom und verbrauchen mehr Energie, als wir haben. Wie ein Monitor, der immer flimmert und keinen Stand-by-Modus oder eine grüne Öko-Taste hat und auch in Ruhe Energie verbraucht. Bewusstes Atmen und speziell eine bewusste Ausatmung (Dampf ablassen) ist das beste Gegenmittel gegen Stress, das es gibt, und das ist seit Jahrtausenden bekannt. Wenn wir unseren Atem während einiger bewusster Atemzüge ganz langsam und kontrolliert loslassen, dann wird der Herzschlag langsamer, und wir entspannen uns. Auch die Blutgefäße werden weiter, die Durchblutung verbessert sich und unser Geist kommt zur Ruhe. Deshalb bedeutet das lateinische Wort spiritus nicht nur Atem, sondern auch Geist. Alles, was lebt, atmet, und alles, was atmet, hat einen Geist, eine Form von Bewusstsein. Mit jedem bewussten Atemzug, mit jedem Moment der Stille können wir seine Energie bewusst fühlen, Blockaden ins Fließen bringen und unser Immunsystem stärken. Der Unterschied zwischen einem Sandkorn und jeder unserer Zellen ist, dass die Zellen atmen. Der Unterschied zwischen unserem Körper und einem Stein ist, dass unser Körper atmet. Die bewusste Atmung bezeichne ich als den spirituellen Booster. Es kommt dann zu einem Phänomen, das Wissenschaftler als kardiorespiratorische Phasensynchronisation bezeichnen.243 Sie hat ähnliche Effekte wie der Betablocker in Tablettenform, ist aber kostenlos und nebenwirkungsfrei. Denn die Atmung hemmt nicht, was fließen soll.

Durch das synergetische Oszillieren von Atem- und Herzrhythmus wird weniger Körperenergie verbraucht, sie unterstützen sich gegenseitig. Und so ist die Phasensynchronisation zwischen Herzrhythmus und Atemzyklen ein wohlevaluierter Indikator für Lebensqualität, Wohlbefinden und Stressresistenz und ein therapeutisches Instrument bei Krebspatienten und Bluthochdruck.244 Solange wir atmen, leben wir, und solange wir leben, sind wir spirituell. Es gibt für uns überhaupt keine Möglichkeit, nicht spirituell zu sein, denn wir müssen atmen. Sie können glauben, an was und wen Sie wollen, an Gott oder den Teufel, an nichts oder die Wissenschaft, aber spirituell sind Sie. Ob Sie wollen oder nicht. Das ist keine Esoterik, sondern Physiologie.

Herzblut Hamid hielt die Augen geschlossen, hatte beide Hände auf sein Herz gelegt und atmete nun ganz sanft und achtsam. Bei manchen Patienten kommt es mir vor, als könnte ich in ihr Herz hineinschauen, wenn sie so vor mir sitzen. Das Herz ist der energetische Hotspot, an dem sich die großen Flüsse der Atmung und des Blutes, von Lungen- und Systemkreislauf kreuzen. In seinen Kammern wird das Blut in tornadoähnlichen Vortices verwirbelt und gibt seine Energie ab, damit sie sich entfalten und füllen können. Unser Herzschlag ist robust, aber das Fließen ist eine sehr feine, subtile Energie in der Brust, derer sich spirituelle Menschen schon immer bewusst waren. Das Herz ist der Ort, den Mystiker das vierte Chakra nennen oder das im Sufismus auch das grüne Latifa genannt wird.245 Der Sufismus ist eine spirituelle Ausrichtung des Islam, der auch in Hamids ursprünglicher Heimat Afghanistan verbreitet ist. Er beschreibt einen Weg der Liebe und wird von Derwischen und Nomaden praktiziert. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist er durch den Dichter Rumi und

den ekstatischen Drehtanz, bei dem Sufis ihrer spirituellen Gotteserfahrung entgegenwirbeln. Die roten Blutkörperchen sind die Nomaden in uns. Ohne Kern und genetische Identität, selbstlos und im Dienst des Lebens wandern sie durch unseren Körper, bis sie nach einhundert Tagen sterben und in uns wiedergeboren werden. Und selbst wenn wir stillsitzen, meditieren und unsere Gedanken und unser Bewusstsein zur Ruhe kommen, wirbeln sie in den Kammern unserer Herzen in ekstatischer Energie. Ein Tropfen Blut enthält die gesamte Information in Form von zigtausenden von Blutwerten über uns, und noch in seinem Fließen, seinen Vortex-Formationen und seinem Pulsieren ist Information codiert. Blut ist also holistisch, seine Gesamtheit ist mehr als ein Tropfen, und es enthält Sein oder Nichtsein, Leben und Tod, Null und Eins. Nach dem Vorbild der Natur versuchen sich Biowissenschaftler und Informatiker am Liquid Computing und erforschen die Möglichkeiten flüssiger Computersysteme, in denen nichts fest verdrahtet ist und jedes Molekül und jede Informationseinheit sich mit jedem anderen Teil verbinden und austauschen kann, gleichzeitig und sehr schnell.246 Das ist organische Intelligenz, die ihre Netzwerke selbst erschaffen und verändern kann. Das Netzwerk unserer Blutgefäße besitzt sogar ein eigenes Gedächtnis, das sich selbstorganisierend an Veränderungen anpasst und nicht auf das Gehirn angewiesen ist.247 Die Synergie von Herz und Blut und Blutfluss enthält Information, und das Herz ist die Quelle dieses unablässigen Datenstromes in uns. In einer natürlichen Quelle wird Wasser zu Quellwasser und im Herzen Blut zu Herzblut. Wasser hat die Besonderheit, jede Form anzunehmen, die das Leben ihm gibt. Aber es lässt sich nicht komprimieren. Keine Kraft der Welt kann das. Im Herzblut fließt die Energie und Liebe, die wir in ein Projekt, eine Unternehmung oder ein

Vorhaben hineingeben, und auch sie lässt sich nicht so leicht unter Druck setzen. Bevor unser Blut im Herzen transformiert wird, muss es sich sammeln und venös dem Herzen zufließen. Die zugrunde liegende Physiologie des venösen Rückstromes ist immer noch ein großes Rätsel der Herz-Kreislauf-Forschung. Nicht nur unser Blut, auch unser Geist muss sich zuerst einmal sammeln, bevor wir mit viel Herzblut in ein neues Projekt starten. Ohne diesen Prozess des Sammelns können wir unsere Energien nicht bündeln. Gerade für erschöpfte Menschen ist das Konzentrieren auf Ruhe und die Meditation deshalb so immens wichtig. Ein Herz, das nur kontrahiert, kann nichts leisten. Es muss sich wieder entspannen, sammeln und füllen. Diese Phase bezeichnen wir als Diastole, sie entspricht im EKG der Pause zwischen zwei Zacken. Sie ist die Lücke in des Herzens Lebenslauf, und je mehr es in der Pause gefüllt wird, desto größer ist die Impulsenergie, die auf das Blut übertragen wird. In der Kardiologie wurde jahrzehntelang nur auf die Pumpkraft des Herzens geschaut, die Kontraktion, die das arterielle Blut zum Pulsieren bringt. Das Einsammeln des Blutes wurde wenig beachtet. Erst seit wenigen Jahren sprechen Herzexperten von einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) mit erhaltener Pumpfunktion, also der Schwäche, Blut zu sammeln und sich vor der nächsten Kontraktion erst einmal mit Energie zu betanken. Ein Freund, mit dem ich dieses Thema diskutierte und der als Manager in der Finanzindustrie arbeitet, brachte es folgendermaßen auf den Punkt: Ohne Einkommen kann man nichts ausgeben. Hamid gab permanent mehr Energie aus, als er hatte, bis seine Energiebörse crashte. Nun würde er sich erst einmal sammeln müssen und seine Mitochondrien heilen lassen, damit er leistungsfähig war, ohne dass sein Blutdruck und die Herzfrequenz in astronomische

Höhen schossen. Dann würde er auch wieder die Kraft für die Systole des Lebens haben, um seine Pläne und Träume in Taten umzusetzen, ohne sich dabei selbst zu verheizen. Wichtig würde für ihn auch sein, Folgendes zu verstehen: Nicht nur die spektakulären Taten, auch die kleinen Dinge können wir mit viel Herzblut erledigen –Willenskraft, Liebe und Verantwortung. Herzblut ist eine Blutgruppe, die alle Menschen haben und die uns immer weitermachen lässt, auch in schweren Zeiten. Manchmal müssen wir für eine Sache bluten, aber unser Herzblut hilft uns weiterzumachen. Und ist es nicht gerade das, was wir im Augenblick brauchen? Ganz viel Herzblut, um mit Passion, Humor und Mitgefühl unseren Weg zu gehen. Es ist der Stoff, der uns antreibt. Der wichtigste Blutwert. Es ist die Leidenschaft, die akzeptiert, dass wir manchmal leiden müssen, um größere Ziele zu erreichen. Im Herzblut ist die Courage (wörtlich der Mut aus dem Herzen; cor und cœur = Herz), für seine Ziele und Überzeugungen zu kämpfen. Mit dem Verstand alleine kann man keinen Kampf gewinnen, nur wenn die lavarote Energie von Herzblut unsere innere Führung befeuert, können wir siegen. Im Herzblut ist aber auch der Mut enthalten, falsche Ziele loszulassen und nicht anzuhaften an den Vorstellungen, wie die Welt zu sein habe und wohin das Leben fließen solle. Herzblut nimmt die Form an, die das Leben ihm gibt. Es verbindet den Geist mit dem Fluss, und in ihm fließt die Hermeneutik des großen Weltenstromes und die Dialektik der Naturerkenntnis. Blut ist in unserem Sprachgebrauch, mit der Ausnahme, dass es Leben ist, fast ausnahmslos negativ konnotiert (Blutrache, Blutschande, Blutschuld, Blutvergießen usw.), doch im Herzen wird es zu Herzblut.

Inspiration Über mehrere Monate begleitete ich Hamid, und mit der Zeit gelang es, seine ungeliebten Blutdrucksenker zu reduzieren und die leeren Batterien aufzuladen. Hamid kam sozusagen wieder in Fluss. Er besuchte Lara und konnte endlich wieder »normal« mit ihr reden. Sie sprachen auch noch einmal über seine Zeit auf der Intensivstation. Da wurde es Hamid erst so richtig bewusst, dass er nur mithilfe von Spenderblut überlebt hatte. Eine tiefe Dankbarkeit durchströmte ihn für die Menschen, die ihr Blut gegeben hatten, um sein Leben zu retten. Auch diese innere Geste der Dankbarkeit, ja Demut, machte ihn weicher, ließ ihn fließen. Es gibt eine große wissenschaftliche Evidenz dafür, wie ein tiefes Empfinden für Dankbarkeit die Prognose und das Überleben bei Menschen mit Herzerkrankungen verbessern kann und wie wunderbar sich Dankbarkeit in einer Meditation auf die Verbindung von Herz und Gehirn auswirkt.248 Das Herz wird ruhiger, und mit der Herzfrequenz sinken auch Ängste und Depressionen. Vor ein paar Jahren schickte mir Hamid  – wir sind noch immer in losem Kontakt  – eine Pressemitteilung über ein Schweizer Forschungsteam, das versucht, eine Mini-Turbine in den menschlichen Blutstrom einzusetzen, um die Batterien eines Herzschrittmachers anzutreiben.249 »Schauen Sie mal, Doc! Hier verbinden sich unsere Professionen«, schrieb mir der Turbinen-Ingenieur. Ich finde die Idee mit der Herzschrittmacherturbine faszinierend. Sie zeigt, wie viel kreative Energie in uns steckt, wenn wir frei fließen. Energie kommt nicht nur aus der Nahrung und der Atemluft, die in das biochemische Substrat ATP umgewandelt werden. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass sich sogar aller Mühsal Schweiß in Energie umwandeln lässt. In einem aktuellen Forschungsprojekt haben Forscher aus dem Bereich der Robotik eine Brennstoffzelle für Schweiß

gebastelt, den sie ganz technokratisch als Biobenzin bezeichnen.250 Diese Brennstoffzelle könnte in Sensoren zum Einsatz kommen, die auf die Haut aufgeklebt werden und Vitalparameter wie Atem- und Herzfrequenz oder die Körpertemperatur messen. Die Idee dahinter ist, Risikopatienten elegant zu überwachen. Doch für die Elektronik braucht es Energie, und die könnte aus dem Schweiß kommen. Wissenschaftler und Künstler brauchen nicht nur Energie, um ihre Ideen umzusetzen, sondern auch die Inspiration dazu, den zündenden Funken, durch den die Idee entsteht. Wir wissen seit Langem, dass Sauerstoff aus der Einatmung die innere Verbrennung zur Energiegewinnung zündet, doch inspiriert die Einatmung auch unsere Ideen und den Willen zu handeln, also unser Bewusstsein? Der freie Wille ist ein fundamentales Element von Selbstbewusstsein. 1964 wurde von dem deutschen Neurologen Hans Helmut Kornhuber (1928–2009), dessen Vorlesungen ich während meiner Studienzeit besuchen durfte, in unserem Gehirn eine Aktivität gemessen, ein winziger Energie-Impuls, welcher der Ausübung einer freiwilligen Körperbewegung vorausgeht. Die Teilnehmer einer großen, Aufsehen erregenden Studie wurden damals gebeten  – während ihre Gehirnsignale gemessen wurden  –, zu völlig beliebigen Zeitpunkten mit ihrem Zeigefinger einen Knopf zu drücken.251 Faszinierenderweise wurde ungefähr 300 Millisekunden vor der spontanen, bewussten und gewollten Fingerbewegung ein Stromimpuls im Gehirn gemessen. Die Forschergruppe um Professor Kornhuber bezeichnete es als Bereitschaftssignal, den Knopf zu drücken. Das Erstaunliche war, dass den Studienteilnehmern ihr eigenes Bereitschaftssignal nicht bewusst war. Sie wussten nicht, dass sie den Knopf gleich drücken würden, ihr Gehirn aber schon! Seither wird das Bereitschaftssignal interpretiert als die unbewusste Ursache einer bewussten Willenshandlung, verbunden mit der Frage: Woher kommt dieses Signal, und wer macht

es? Das Bereitschaftssignal ist eine Herausforderung für die Annahme, dass der Mensch einen freien Willen habe. Ob das so ist, ist seither eine ungeklärte Streitfrage, die in den Neurowissenschaften, der Psychologie und auch der Naturphilosophie immer wieder heftig diskutiert wird. Ganz aktuelle spannende Forschungsergebnisse weisen nun darauf hin, dass der Mensch zum Drücken des Knopfes »inspiriert« wird, das Bereitschaftssignal also in Zusammenhang mit der Atmung zu interpretieren ist. Es ist nämlich so, dass unser Wille keineswegs nur im Gehirn fabriziert, sondern ganz wesentlich durch unbewusste Nervensignale aus dem Körper beeinflusst wird, die aus den verschiedenen Körperregionen zum Gehirn aufsteigen. Für bewusste Nachrichten ist das seit Langem bekannt und eine Selbstverständlichkeit. Wenn unser Magen leer ist, dann meldet er an das Gehirn »Hunger!«, und wir haben den Willen zu essen. Es gibt jedoch auch ganz feine, unbewusste Stimmen aus anderen Bereichen des Körpers, die wir nicht immer bewusst wahrnehmen. So wurde vor einigen Jahren gezeigt, dass das Gehirn auch auf unseren Herzschlag hört und dass diese herzschlagevozierten Potenziale, sobald sie unsere bewussten Gehirnwindungen im Cortex erreichen, unsere Entscheidungen, unsere Emotionen, die Fähigkeit für Mitgefühl und sogar unser Sehvermögen beeinflussen. Diese Nachrichten sind so subtil, dass sie von Neurowissenschaftlern lange Zeit als eine Art Hintergrundrauschen missinterpretiert wurden. In Wirklichkeit sind es hochstrukturierte neuronale Informationen aus unserem Inneren, das autonom gesteuert wird und worauf wir keinen Einfluss haben.252 Nicht nur unser Herz, auch die Atemorgane senden ihre Signale an das Gehirn. Eine Forschergruppe stellte sich vor Kurzem die Frage, welchen Einfluss der Atem auf unsere unbewussten Bereitschaftssignale hat und ob er eine bewusste Willenshandlung

auslöst. Das Experiment, mit dem Zeigefinger spontan auf einen Knopf zu drücken, wurde 2020 wiederholt.253 Diesmal wurde nicht nur das Bereitschaftssignal gemessen, sondern auch der Atemzyklus beobachtet. Zuverlässig wurde während der Einatmung ein unbewusstes Bereitschaftssignal gemessen, das die freie Willenshandlung, nämlich auf den Knopf zu drücken, auslöste. Dabei war das Bereitschaftssignal am stärksten in der Einatmung, also der Inspiration. Die tatsächliche Fingerbewegung erfolgte nach einem kurzen Zeitintervall während der Ausatmungsphase. Interessanterweise waren sich die allermeisten Teilnehmer ihrer Atmung nicht bewusst, konnten also im Nachhinein nicht sagen, ob sie den Knopf während der Einatmung oder während der Ausatmung gedrückt hatten. Dieses Experiment zeigt eindrucksvoll, wie der Atem einen fundamentalen Aspekt unseres Bewusstseins beeinflusst und uns dazu »inspiriert«, mit freiem Willen eine Zeigefingerbewegung auszuführen. Inspiration ist somit nicht nur Luft holen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes inspirierend. Als ich diese Studie las, fiel mir augenblicklich der Ausschnitt »Die Erschaffung Adams« aus dem berühmten Deckenfresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle ein. Gott streckt seinen Zeigefinger demjenigen Adams entgegen, um ihm mit einer Berührung Leben einzuhauchen. Was inspirierte Michelangelo zu diesem Bild? Wir wissen es nicht. Genauso wenig wie es auf die Frage, was menschliches Leben ist und woher es kommt, eine finale biologische Antwort gibt. Immerhin herrscht großer Konsens darüber, dass Bewusstsein eines seiner wesentlichsten Merkmale ist. Und das geht nachweislich einher mit einem freien Willen, der an unsere Inspiration gekoppelt ist. Manche Wissenschaftler sind sogar der Meinung, das Gehirn alleine denke gar nichts, sondern sei als Voraussetzung für Handlungen sowohl auf die bewusste Wahrnehmung von Körper und

Umwelt mit den Sinnen von Augen, Ohren, Nase, Haut und Mund angewiesen als auch auf die unbewussten Botschaften innerer Organe, wie zum Beispiel die subtilen Nervensignale des Herzens oder auch des Darms.254 Man kann nun diskutieren, ob das Bereitschaftssignal vom Atem alleine oder alternativ als die Aufsummierung verschiedener Signale aus dem Körperinneren getriggert werden kann, wenn deren gemeinsame Signalstärke eine gewisse Schwelle überschreitet. Dann könnte man das Wort »Inspiration« auch durch »Eingebung« ersetzen, und die kommt nicht aus dem Nichts, sondern steckt ganz tief in uns drin und ist ein Ergebnis des komplexen Zusammenspiels der Bestandteile des Menschen. Wieder zeigt sich: Das Ganze ist unendlich viel mehr als die Summe seiner Teile. Man kann den Menschen nicht vollständig begreifen, wenn man ihn reduktionistisch in seine molekularen Bestandteile zerlegt und von dort aus wieder auf die Fähigkeiten und das Verhalten des ganzen Menschen schließt. Wenn man Wasser in seine Moleküle zerlegt, so ist ein Molekül (H2O) für sich alleine nicht nass. Ein Tropfen, der aus einer Trilliarde (eine 1 mit 21 Nullen) H2O-Molekülen besteht, aber schon. Und jedes Molekül kann sich in diesem offenen, anpassungsfähigen System mit jedem anderen verbinden. In einer Folgestudie der Inspirationsstudie untersuchten die Forscher 2022, ob die Atmung nur unseren Willen zum Fingerzeig moduliert oder auch mentale Vorgänge auslöst, die nicht mit Körperbewegungen einhergehen. Eindrucksvoll wurde gezeigt, dass das Bereitschaftssignal auch vorhanden ist, wenn wir uns lediglich in unserem Geist vorstellen, einen Finger zu bewegen, ohne ihn jedoch tatsächlich zu rühren.255 So lange also der Atem fließt, wird unser Geist beflügelt, und der Mediator ist Blut. Es ist wie der verlängerte Arm des Atems

und transportiert den Sauerstoff für den zündenden Funken im Gehirn.

Der Leuchtturm Deshalb fließt im Gehirn nicht nur viel Strom, sondern auch besonders viel Blut. Obwohl es nur 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht, erhält es 15 Prozent des Blutdurchflusses. Damit es in unserem Gehirn überhaupt Potenziale gibt – wer auch immer sie veranlasst, ob sie nun bewusst sind oder noch unbewusst  –, muss es gut durchblutet sein. 600 Kilometer misst die Gesamtlänge dieses aktiven Netzwerks im Gehirn. Im Laufe der menschlichen Evolution und mit dem aufrechten Gang hat die Größe des Gehirns um 350 Prozent zugenommen, aber die Durchblutung überproportional um 600 Prozent. Intelligenz hat einen großen Durst nach Blut.256 Damit das Feuer des Bewusstseins auch in jeder Nervenzelle brennt, müssen Sauerstoff und Nährstoffe im Blut angeliefert werden. Und wie wir sehen werden, lenkt der Blutstrom nicht nur Sauerstoff und Nährstoffe in den Serverraum innerhalb des Schädels, sondern auch Gefühle, Gedanken und Bewusstsein. Schon Aristoteles war der Meinung, dass in unserem Blutgefäßsystem Intelligenz, Emotionen und auch Aktivitäten geregelt werden.257 Das hat sich durchaus bestätigt. Wir wissen heute, dass Blut vermehrt jenen Gehirnregionen zuströmt, die besonders aktiv sind, wenn wir hüpfen, tanzen, Liebe machen, Gedichte schreiben, fühlen oder philosophieren. Wenn unser Blut in den besonders aktiven Gehirnbereichen auftritt, kann dieses faszinierende Schauspiel in der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) sichtbar gemacht werden. Es ist wie eine Kamera, mit der Neurowissenschaftler hinter die Vorhänge unseres Verhaltens und Erlebens blicken. Und das funktioniert so: Die Sauerstoffmoleküle in den roten Blutkörperchen

sind gebunden an das Eiweiß Hämoglobin, das eine Besonderheit hat, nämlich einen Kern bestehend aus einem Eisenatom. Damit ist Hämoglobin magnetisch wie ein Kompass, und seine magnetischen Eigenschaften ändern sich mit dem Transport von Sauerstoff aus der Atemluft. Die winzigen Änderungen des Magnetfelds frischen sauerstoffreichen Blutes im Vergleich zum venösen Blut werden im fMRT durch den sogenannten BOLD-Effekt (Blood Oxygen Level Dependent) gemessen und anschaulich in Farben codiert. Neurowissenschaftler sagen dann auch, eine Gehirnregion beginne zu leuchten, sei also aktiv. Unser Gehirn sehen sie gemeinhin als den Leuchtturm unseres Bewusstseins an. Es gibt jedoch ein Problem: Die farbig leuchtenden Areale sind nicht etwa der Nachweis direkter neuronaler Aktivität, wie oft fälschlicherweise vermutet wird, sondern eben in Farben codierter Blutfluss. Im Allgemeinen besteht die Annahme, dass aktive, in Denken und Fühlen involvierte Neuronen viel Sauerstoff und Glucose brauchen und einen stärkeren Blutfluss auslösen. Die Steuerung des Blutflusses über die wechselnde Weit- und Engstellung von Arterien in die grauen Zellen bezeichnet man als neurovaskuläre Kopplung. Dabei arbeiten bestimmte Nervenzellen, die selbst keinen Strom leiten und als Astrozyten bezeichnet werden, eng mit den Blutgefäßen und roten Blutkörperchen zusammen.258 Doch die Sache hat einen Haken. Woher weiß unser Blut, wo genau im Gehirn es gerade gebraucht wird? Während unsere Nervenzellen innerhalb von wenigen Millisekunden nach einem Stimulus extrem schnell feuern, hinkt der Blutfluss hinterher und erreicht erst nach 200 bis 500 Millisekunden seinen Höhepunkt. Das ist immer noch ganz schön schnell, aber für direkte neuronale Prozesse wie komplexe Mathematikaufgaben viel zu langsam. Aber auch ohne dass wir eine spezifische Aufgabe erfüllen, sind alle Bereiche unseres Gehirns

selbstverständlich jederzeit durchblutet, und zwar so gut, dass der vorhandene Sauerstoff für eine vermehrte Aktivität der Nervenzellen locker ausreicht. Mit anderen Worten: Das Gehirn ist auch im Ruhezustand hochaktiv, und es gibt eine lange Liste von Gehirnregionen, bei denen die neurovaskuläre Kopplung schlicht nicht zu beobachten ist.259 Wie Blut und Bewusstsein zusammenarbeiten ist also bei Weitem nicht vollständig geklärt. Aber weil unsere Gehirne in viele Richtungen denken können und nicht nur entlang vorherrschender Paradigmen und Lehrmeinungen, haben einige Neurowissenschaftler den Spieß, was die Entstehung von Gedanken betrifft, einmal umgedreht. Es könnte ja auch sein, dass der primäre Zufluss von Blut in bestimmte kortikale Netzwerke diese aktiviert und den Gedankenfluss und bewusste Empfindungen erst auslöst. Dann wäre es nicht das Gehirn, das Blut zum Denken anfordert, sondern der Blutstrom in unseren Gehirnwindungen, der diese erst aktiviert. Dieses Modell wird als hämo-neuronale Hypothese bezeichnet.260 Wir haben im Kapitel »Die Quelle« gesehen, dass das Herz nicht nur Blut auswirft und es bewegt, sondern es vom Blut auch bewegt und gefüllt wird. In Analogie dazu geht die hämo-neuronale Hypothese davon aus, dass es der primär vorhandene Blutstrom sein könnte, der unser Denken und Empfinden in bestimmte Bahnen lenkt. Dabei spielen die roten Blutkörperchen eine zentrale Rolle. Durch das Freisetzen von Stickstoffmonoxid (NO) sorgen sie selbst für Durchblutung, indem sie die Blutgefäße weit stellen. Um bis zu 40 Prozent können die Durchmesser mancher Arteriolen im Gehirn zunehmen und ihre Pulswellen die umliegenden Nervenzellen über druckempfindliche Ionenkanäle mechanisch stimulieren. Als wenn der Puls und die vermehrte Durchblutung an einem Musikinstrument mit

Namen Gehirn die Saiten, also Nervenzellen, zupfen würden. Die Musik, die Sie hören, ist Ihr Bewusstsein. Diese Harmonie von Blutfluss und Stromfluss, die neurovaskulären und hämo-neuronalen Verbindungen, ist bei manchen Erkrankungen gestört. Wenn unsere Gehirne nicht mehr richtig durchblutet sind, weil die Blutgefäße erkranken, zum Beispiel bei Diabetes und Bluthochdruck, können sie nicht mehr arbeiten wie gewohnt. Wir bekommen Gedächtnisstörungen, was sich bis zur Demenz auswachsen kann. Die Ursachen für Gehirnfunktionsstörungen sind also nicht unbedingt erkrankte Gehirnzellen, sondern eine gestörte Durchblutung – man spricht dann auch von einer vaskulären Demenz. Auch bei der Alzheimer-Erkrankung ist das Zusammenspiel von Blutgefäßen und Nervenzellen gestört, weil sich bestimmte Eiweiße, die auch als senile Plaques bezeichnet werden, an den Blutgefäßen im Gehirn anlagern und die Signalwege des Stickstoffmonoxids aus den roten Blutkörperchen blockieren, das so wichtig ist für die Weitstellung der Blutgefäße und das ungestörte »Leuchten«. Der Strom von Blut und elektrischer Strom, die räumliche und zeitliche Aktivität neuronaler und vaskulärer Netze sind mit Bewusstsein untrennbar verwoben und durchströmen sich gegenseitig. Die Essenz biologischer Relativität ist: Alles ist mit allem verbunden.261 Es ist nie eine Gehirnregion alleine, die für Gedanken und Gefühle sorgt, sondern unser zentraler Bewusstseinsserver ist Knotenpunkt eines offenen, selbstorganisierenden Netzwerks mit Namen »Körper«, in dem jede Masche, jeder Knotenpunkt, jeder Tropfen Blut gleich wichtig ist für das Zusammenspiel des großen Ganzen. Und jeder Teil dieses Netzes kann eine Ursache sein oder eine Wirkung. Auch in der Gehirn- und Bewusstseinsforschung gibt es, wie in allen biologischen Systemen, keine zwingende übergeordnete Kausalität. Auch wenn noch vieles im Dunkeln liegt, wissen wir, dass der Geist der Erkenntnis

befeuert wird vom Blut. Unsere Gehirne sind identische Materie. Alle Menschen haben die gleichen Bauteile. Was sie unterscheidet, sind Ströme von Energie in neuronalen Schaltkreisen und den Netzwerken der Blutgefäße. Das natürliche Fließen unseres Blutes ist eine Manifestation des Lebens und die einzige, die unsere Gehirne in der Bildgebung leuchten lässt.

Der Kreis schließt sich Dieses Leuchten des Blutes sind die Spuren des Bewusstseins. Niemand hat es jemals gesehen, niemals jemand in seiner Ganzheit erfassen können. Es entzieht sich den empirischen Netzen der Naturwissenschaften. Wir können nur die Fährten deuten, die auf seine Existenz hinweisen. Das sind Ströme von Blut, die es in der Tiefe des Gehirns mit Energie versorgen, und die elektromagnetischen Wellen der Nervenzellen, die wir an seiner Oberfläche mit einem Elektroenzephalogramm (EEG) ableiten können. Es sind Hinweise auf das Wesen von Bewusstsein, das sich jeder Beobachtung entzieht, und trotzdem weiß jeder Mensch ganz tief in sich drin, dass es da ist. Bewusstsein ist wie die Nessie der Neurowissenschaften, die immer dann abtaucht, wenn sich jemand ein Bild von ihr machen will. Für viele Menschen hat Bewusstsein von daher etwas Mystisches. Etwas, das sie nicht mit ihrem Verstand erfassen können, dem aber das geheime Wissen um das Leben innewohnt. Meditierende und Mystiker sind Menschen, die sich dem Bewusstsein nicht auf der Basis von Daten nähern, sondern durch das Versenken in die Meditation und eine direkte Erfahrung der Einheit mit dem Göttlichen. Hat ein Mystiker solchermaßen eine tiefe Erfahrung des Einsseins mit der Welt und aller Existenz erlangt, so ist diese für ihn nicht mehr mystisch, sondern klar wie ein Naturgesetz. Er glaubt dann nicht mehr, dass es so sein könnte. Er weiß, dass es so ist. Er denkt es nicht im Gehirn, sondern er weiß es im Herzen, dem Epizentrum des Blutflusses. Wenn ein begnadeter Wissenschaftler mit herausragendem Intellekt eine faszinierende Entdeckung macht, zum Beispiel die Entschlüsselung der Doppelhelix-Gestalt unserer DNA, dann besteht diese Gewissheit auch. Doch sie ist nicht mystisch, sondern für jeden anderen Forscher

objektivierbar und beweisbar. Im Falle von Bewusstsein ist der direkte Nachweis den Naturwissenschaften noch nicht gelungen. Unterschiedliche Probleme erfordern eben unterschiedliche Herangehensweisen, und um die ganze Wahrheit des Bewusstseins zu ergründen, sind neue, hybride Verfahren notwendig, die Meditation und Messen miteinander verschränken. Mystiker und Naturwissenschaftler haben ja ein gemeinsames Ziel. Sie suchen nach der Wahrheit, die verbindet und nicht trennt. Was also ist die Wahrheit? So ganz genau weiß das niemand, und vieles ist ungewiss. Selbst unsere Naturgesetze, die jedes Schulkind lernt, gelten nur in einem bestimmen Rahmen und innerhalb bestimmter Skalen und Größenordnungen. Die Gesetze der klassischen Physik sind in der Welt des Allerkleinsten, der Quantenmechanik, nicht anwendbar und ohne Gültigkeit. Auch in den unendlichen Weiten der Universen, in denen sich Räume vermischen, Raumzeiten krümmen und Materie in Schwarzen Löchern verschwindet, stoßen sie an ihre Grenzen. Es gibt keine Theorie, die klassische Physik und Quantenphysik vereinen kann zu einer gültigen Weltenformel. Hätte man sie gefunden, wäre es die »Gottesgleichung«, wie der berühmte Physiker Michio Kaku in seinem gleichnamigen aktuellen Buch schreibt.262 Die Gottesgleichung soll die Antwort auf die Frage liefern, die bis zum heutigen Tage die bedeutendsten Wissenschaftler vieler Disziplinen umtreibt: nämlich was die Welt im Innersten zusammenhält. Es ist die Frage aller Fragen, die Goethe seinem Faust im gleichnamigen Drama in den Mund gelegt hat. Die Frage, nach der Verbindung, nach dem, was uns eins werden lässt mit allem Existierenden. Die Antwort kennen bis zum heutigen Tage weder Kaku noch Faust, obwohl Letzterer dem Mephistopheles dafür seine Seele verkaufte und

den Handel unterschrieb  – gültig für alle Ewigkeit  – mit seinem eigenen Blut. Ohne es zu wissen, unterzeichnete er mit seiner genetischen Identität, die in jedem Tropfen abgebildet ist. Das machte die Unterschrift so wertvoll für Mephisto, sie ist fälschungssicher. Nun wäre Mephisto nicht mephistophelisch, wenn er an solchen Verträgen nicht auch noch einen hämischen Spaß hätte. Was ist das Teuflische an diesem Vertrag, die diabolische List, der hinterhältige Verrat? Je länger ich mich mit diesem Buch, mit Blut befasste, desto sicherer wurde ich mir: Faust hielt einen Teil der Antwort schon in den Händen, bevor er unterzeichnete. Ohne dass er es ahnte, tropfte sie ihm von der Spitze seiner Feder. Blut! Denn Blut ist das Organ, das lautlos und geschmeidig in allen anderen Organen fließt, sie ausfüllt, ihnen Leben verleiht und sie verbindet. Es ist unser Blut, das uns Menschen im Innersten zusammenhält. Denn im Blut ist Leben, und Leben ist eine Manifestation von Bewusstsein.

Wir sind ein Blut Was der Teufel Faust vorenthielt, möchte der zeitgenössische menschliche Geist mit der Gottesformel nun beweisen. Sie soll Gesetze der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik in Einklang bringen, zu Einem zusammenfassen. Doch die verschiedenen Welten des Allergrößten und des Allerkleinsten lassen sich bisher nicht schlüssig in einer Gleichung zur Deckung bringen. Ein Faktor, ein Etwas, das sich weder messen noch berechnen lässt, verbirgt sich vor der Empirie und den Gleichungen der Theoretischen Physik auf der Suche nach der Einheit allen Seins. Es macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Doch es muss den inneren Zusammenhang geben, denn das Universum ist aus Einem, der Singularität mit dem Urknall, entstanden.

Man kann daraus folgern, dass es keine verschiedenen Realitäten gibt, sondern wir Menschen beobachten und beschreiben die Welt von verschiedenen Standpunkten aus: vom wissenschaftlich-empirischen aus, der mechanistisch Myriaden von Daten sammelt, ohne sie epistemologisch zu interpretieren.263 Oder alternativ aus der subjektiven Erfahrung des Empfindens. Einigen Mystikern scheint die ganzheitliche Wahrnehmung der Totalität in der Tiefe der Meditation zu gelingen. Sie beschreiben sie als ultimative Gotteserfahrung und nennen es so, weil es ultimatives Bewusstsein sei. Ein Erleben, das man nicht mehr denken und nicht in Worte fassen kann. Nur noch unmittelbar wahrnehmen, mit den Antennen unseres Körpers, unserer physikalischen Existenz. Wir sind die Sinnesorgane des Universums, damit es seine eigene Schönheit und sich selbst erkennen kann, schreibt dazu sinngemäß der Physiker und Gründer der RidhwanSchule, Hameed Almaas.264 Etwas nüchterner und mehr aus der Blickrichtung der Naturwissenschaften formulierte es der Kosmologe und theoretische Physiker Brandon Carter 1974 anlässlich einer Tagung zum 500. Jahrestag von Nikolaus Kopernikus’ Geburt. Er nannte es das anthropische Prinzip (anthropos, griechisch für Mensch), welches besagt, »dass das beobachtbare Universum nur deshalb beobachtbar ist, weil es alle Eigenschaften hat, die dem Beobachter ein Leben ermöglichen. Wäre es nicht für die Entwicklung bewusstseinsfähigen Lebens geeignet, so wäre auch niemand da, der es beschreiben könnte.«265 Die qualitativen Facetten des Universums sind also an die Existenz eines bewussten Beobachters geknüpft, und Bewusstsein ist meiner Ansicht nach die fehlende Unbekannte in der Gottesgleichung. Ein unendlicher Fluss von Energie unbekannter physikalischer Größe und Einheit, der sich jeglicher Empirie entzieht. Wenn die Gleichung sich selbst erkennen könnte, dann wäre sie göttlich. Doch Zahlen können

das nicht, und mathematische Formeln können auch nicht die direkte Erfahrung von Liebe oder Glück beschreiben. Unser Geist, unser individuelles Bewusstsein aber schon. Letzteres ist Teil des universellen Bewusstseins der Existenz und verbindet uns mit allem. In diesem Sinne, in diesem Bewusstsein und Geist, haben wir alle Anteil am Göttlichen. In dieser Wahrnehmung schließt sich der Kreislauf, und wir erkennen das Geheimnis allen Seins: Wir sind ein Blut, alles Existierende ist miteinander verbunden. Sogar das Leben und der Tod.

An der Biegung des Flusses Die großen Kulturen der Menschheit entstanden an den großen Flüssen. Die Ägypter bauten ihre Pyramiden am Nil, und die Gegend um den Blautopf gilt mit der Venus vom Hohlefels als Wiege der Eiszeitkunst. »Der Fluss ist lebendig«, lässt Hermann Hesse seinen Siddhartha am Ende des Lebens erkennen, als er viele Jahre an dessen Ufern meditiert, in seine Augen geschaut und seinem Flüstern und Murmeln gelauscht hatte. Und doch ist es die Natur des Menschen, verletzlich zu sein, zu altern und eines Tages zu sterben. Manche Völker, sagt man, begraben ihre Toten an der Biegung des Flusses. Hier ändert sich die Richtung des Lebens, aber der Strom reißt nicht ab. Organische und anorganische Materie gehen permanent ineinander über und oszillieren entlang einer feinen Linie des Übergangs. Wir sehen das an unserem Atem, der die anorganischen Gase der Atemluft mit dem ebenfalls anorganischen Eisenatom im Hämoglobin des Blutes verbindet und dadurch zum Lebenshauch wird. Blut ist das Leben, Blut ist der Tod, Blut ist der Fluss. In ihm fließt von Anfang an etwas für viele Menschen Unbekanntes, Besonderes. Die Stille. Sie plätschert oder gurgelt nicht, sie fließt still und rot, so lange wir leben. Mit der letzten Ausatmung lassen wir unser Leben los, und nach jeder Kontraktion lässt unser

Herz sein Blut los. Und es weiß nie, ob es zurückkommt oder von einem Infarkt, einem Unfall, einem Trauma, einem Messerstich in eine andere Richtung gelenkt wird. Doch was passiert mit einem lieben Wesen, wenn es von uns gegangen ist? Sein Platz ist jetzt leer. Es ist unbegreiflich, wir können es nicht verstehen! Es fühlt sich an, als ob ein Teil von uns selbst fehlte. Unsere Liebe ist noch da, genauso wie immer. Doch sie weiß nicht, wohin sie lieben soll, und fühlt sich sehr allein. Wir haben so viel zusammen erlebt. Die Erinnerungen sind voller Farben, Abenteuer und Geschichten. Wo ist die liebe Gestalt, die wunderbare und einzigartige, die es nie zuvor gegeben hat und so nie wieder geben wird? Sie hat sich verwandelt, wie ein Regentropfen, der in der Erde versickert. Wir können ihn nicht mehr sehen, doch er lässt Blumen wachsen. Und Gras und Bäume. Und manchmal sogar einen Regenbogen entstehen, der auf uns blickt. Sie hat sich verwandelt, wie das Holz, das im Feuer verbrennt. Wir können es nicht berühren, doch die Erinnerung hält uns warm. Wie die Sonne, die untergeht und dort Licht macht, wo es zuvor dunkel war. Sie ist noch da, auch wenn wir sie nicht mehr sehen können. Wenn sie am Horizont verschwindet, geht sie gleichzeitig wieder auf, in einem anderen Land. Die Quantenphysiker Lukas Neumeier und James Douglas beschreiben Leben und Tod als koexistierende Möglichkeiten einer einzigen Möglichkeitswelle, die man nicht weiter teilen kann.266 Das ist das Geheimnis. Und ich glaube: Niemand ist für immer fort. Bewusstsein ist ein Kontinuum, das seine Gestalt wandelt und durch die Welten des Seins wandert.

Präsenz Der große Weltenstrom wird aus vielen Quellen gespeist und hat viele Zu- und Nebenflüsse. Einige davon haben wir in diesem Buch

befahren, wir haben die Geheimnisse des Blutes und seines autonomen Fließens erforscht. Wir sind in den Ozean unseres individuellen Bewusstseins vorgedrungen und haben erkundet, wie der Blutkreislauf die Seele umspült und neuronale Netze zum Leben erweckt. Und selbst wenn wir sterben, surfen wir auf der gleichen Welle zu neuen Ufern. Alles fließt. Traumata des Körpers und der Seele können den Strom des Lebens für immer abreißen lassen. Das Messer in Hamids Herzen hatte sein Leben verändert. Auch wenn wir es in einer Notfalloperation herausgezogen haben, der unsichtbare Stachel des Traumas blieb stecken, vergiftete allmählich und schleichend seine Lebensenergie und den liebevollen Kontakt zu sich selbst. Blut rettete sein Überleben, und seine Wunden an Herz und Lunge heilten, doch das Herzblut in seinem Inneren erstarrte, bis er viele Jahre später erneut krank wurde, ausgebrannt und mit hohem Blutdruck. Gewalttaten müssen nicht körperlich sein. Gerade in ihrer Kindheit erfahren viele Menschen psychische Gewalt, gegen die sie sich nicht wehren können und die von niemandem gesehen wird. Sie fühlt sich nicht nur lebensbedrohlich an, sie ist es auch. Angst und Terror, welche die Betroffenen erlebten, lassen den Fluss des Lebens zu einem kümmerlichen Rinnsal werden, das sie nicht mehr unterstützt, sondern gemeinsam mit der Seele langsam austrocknet. Auch wenn wir nicht gravierend misshandelt wurden, hinterlässt das Leben bei den meisten von uns seine Spuren, und die Flügel unserer Träume und Pläne werden immer ein bisschen mehr gestutzt. Dafür wachsen Sorgen und Arbeit in den Himmel, während wir selbst körperlich, geistig und emotional immer unflexibler werden, bis wir uns innerlich tot fühlen. Der amerikanische Schriftsteller und Mitverfasser der US-Unabhängigkeitserklärung, Benjamin Franklin (1706–1790), brachte es folgendermaßen auf den Punkt: »Die meisten

Menschen sterben mit 25, werden jedoch erst mit 75 begraben.« Die statistische Lebenserwartung ist inzwischen gestiegen, und trotzdem sind die meisten Menschen nicht länger gesund, sondern länger krank. Ohne Vitalität und Lebendigkeit, ohne Kraft und Saft, abgeschnitten vom Fluss des Lebens, ohne Strömungsenergie. Wie können wir wieder in den Fluss kommen? Das Fließen unseres Blutes und der Körpersäfte können wir zunächst einmal willentlich kaum beeinflussen, auch nicht unsere Gedanken. Aber wir können unsere Aufmerksamkeit und unseren Atem frei fließen lassen, und das sind zwei mächtige Turbinen, die uns Antrieb verleihen können, Thermik für die Lebensträume. Beginnen wir mit der Aufmerksamkeit, dem Fühlen. Wenn wir den Ballast loslassen wollen, der uns blockiert, müssen wir erst einmal lernen, bewusst zu fühlen, wo die Blockaden sitzen und welche Ursachen sie haben. Das erfordert die Bereitschaft, alles bewusst wahrzunehmen, was wir mit unserem Körper und unseren Sinnen erfahren können. Auf dem Weg werden Sie sich selbst begegnen und vielen unliebsamen, aber auch schönen Erinnerungen. Fragen, die Sie sich vielleicht noch nie gestellt haben, werden auftauchen. Gerade wenn Sie an Körper und Seele traumatisiert sind, werden Ihnen die alten Wunden bewusst werden, die sehr schmerzen können. Doch wenn sie einmal gesehen wurden, können sie heilen. Die stille Beobachtung der Wahrnehmungen, ohne sie sofort in Gedanken zu kategorisieren und zu beurteilen mit gut  – schlecht, angenehm  – unangenehm, gewollt – nicht gewollt und so fort, bezeichnet man auch als Präsenz oder Achtsamkeit. Das lernt man schwerlich alleine, doch dafür gibt es Therapeuten und Schulen. Beispiele sind die klassische Tiefenpsychologie, die Verhaltenstherapie, die Meditation, oder die mehr körperorientierte Praxis des Yoga oder des Tantrismus. Empfehlen möchte ich auch die Ridhwan-Schule, Diamond Approach

genannt, die verschiedene ganzheitlich integriert.267

Aspekte

unterschiedlicher

Lehren

Lächeln Manche Traditionen bezeichnen das Versinken im Nicht-Denken, das Verharren in einem non-dualen Zustand ohne bevorzugte mentale Aktivität als Erleuchtung. Um sie zu erreichen, muss man die Grenzen des Selbst überwinden und eins werden mit aller Existenz. Auch wenn es für Erleuchtung keine gültige Definition gibt, führt der Weg zur Überwindung des Egos über die Meditation und die bewusste Atmung. Es ist ein Weg der Spiritualität. Dann beginnt nicht nur das Gehirn, sondern der ganze Mensch von innen heraus zu leuchten. Vielleicht haben Sie das schon einmal gesehen? Prominente Beispiel sind der Dalai Lama, Mahatma Gandhi, Desmond Tutu oder Nelson Mandela. Ganz oft sehe ich es bei Kindern, die spielen und total von ihrem Spiel absorbiert sind. Sie sind im Flow, wie man neudeutsch sagt, im Fluss des Lebens. Ihre kleinen Körper sind synchronisiert im Hier und Jetzt. Oft scheint es mir, als seien sie völlig unspektakulär und natürlich in einer grenzenlosen transzendentalen Erfahrung geborgen. In einem Seinszustand, zu dem wir als Erwachsene den Zugang verloren haben. Ich weiß nicht mehr, wo ich es vor vielen Jahren gelesen habe, aber folgende Geschichte fällt mir dazu ein: Ein buddhistischer Mönch wurde von seinem Schüler gefragt: »Meister, was ist das Wichtigste im Leben?« Der Mönch kontemplierte eine Weile über der Frage und antwortete dann: »Das, was ich gerade tue.« Was wir alle wirklich immer tun, meistens unbewusst, ist atmen. Es gab einmal eine Zeit, da taten Sie Ihren ersten Atemzug, und es wird auch einmal einen Tag und eine Stunde geben, an dem Sie Ihren letzten Atemzug tun werden. Die Zeit dazwischen ist Ihr Leben. Beachten Sie

für einige Augenblicke diesen Ihren kostbaren Atem und lassen ihn ganz natürlich – und bewusst – in sich ein- und ausströmen. Der Fluss des Atems wird im Blut weitergetragen. Wir können uns mit schnellem Atmen energetisch laden und unser Blut zu einem energiespendenden Sauerstoffpool für die Zellen machen. Manchmal ist das erforderlich. Beim Sex zum Beispiel, oder wenn wir für eine Sache kämpfen und einstehen müssen. Danach aber brauchen wir Phasen, in denen wir unseren Atem ganz bewusst loslassen und lange ausatmen. Dann werden die Blutgefäße weit, die Durchblutung verbessert sich, der Blutdruck sinkt und der Herzschlag verlangsamt sich. Wenn das Stresslevel nachlässt, wird unser Blut flüssiger, die Notfallgerinnung wird zurückgefahren, und die Entzündungswerte fallen. Der Bauch wird weich, die Gedanken fangen an zu fließen, und auch die tiefe Muskulatur des Rumpfes entkrampft und zerrt nicht mehr an der Wirbelsäule, der Rücken richtet sich auf und komprimiert die Bandscheiben nicht mehr. Und ja, auch die Gesichtsmuskulatur entspannt sich. Habe ich da ein Lächeln in Ihrem Gesicht gesehen? Es ist ganz einfach: Wenn Sie Ihre Gesichtsmuskeln loslassen, wollen diese von ganz alleine lächeln. Niemand konnte das besser sagen als der unsterbliche Thích Nhất Hạnh (1926–2022): »Ich atme ein und komme zur Ruhe. Ich atme aus und lächle. Heimgekehrt in das Jetzt wird dieser Moment ein Wunder.«

Danksagung Der Fluss des Lebens wird aus vielen Quellen gespeist und hat viele Zuflüsse. Allen Menschen, die mich in den letzten Jahren unterstützt haben, möchte ich daher von Herzen danken. Besonders aber meinem alten Freund Harald Ender, der für klare Sicht sorgte bei der Navigation durch die manchmal nebulösen Gewässer der Statistiken und Zahlen. Eckard Schuster danke ich für das scharfsinnige und bereichernde Lektorat und dem Goldmann Verlag für sein anhaltendes Vertrauen und das Unterstützen meiner Autorentätigkeit. Mein besonderer Dank gilt meiner Co-Autorin und lieben Freundin Shirley Michaela Seul, die ihr ganzes Herzblut auch in dieses Werk hat fließen lassen.

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Haben Sie Lust gleich weiterzulesen? Dann lassen Sie sich von unseren Lesetipps inspirieren. Reinhard Friedl, Shirley Michaela Seul

Der Takt des Lebens Warum das Herz unser wichtigstes Sinnesorgan ist

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Auf der ganzen Welt und durch alle Epochen steht das Herz für Liebe, Mitgefühl, Freude, Mut, Stärke und Weisheit. Warum eigentlich? Diese Frage stellte sich auch der Herzchirurg Reinhard Friedl. Aktuelle Forschungsergebnisse lieferten ihm verblüffende Antworten. 22 Tage nach unserer Zeugung löst das Liebeshormon Oxytocin den ersten Herzschlag aus, der uns ein Leben lang begleitet. Doch das Herz ist nicht nur eine Pumpe! Mit seinem Nervensystem aus zigtausend Neuronen kann es viel mehr wahrnehmen, als man bisher glaubte – und es hat dem Gehirn einiges mitzuteilen. Über welche komplexen Verbindungen menschliche Herzen außerdem miteinander kommunizieren können und weshalb ein gesunder Herzrhythmus chaotisch sein darf, erfahren Sie in diesem Buch von einem Autor, der das Herz aus erster Hand kennt. Reinhard Friedl ist überzeugt, dass in der Wahrnehmung des Herzens als bewusstes Sinnesorgan die Quelle seiner Gesundheit und Heilung liegt. Anmeldung zum Random House Newsletter Leseprobe im E-Book öffnen Datenschutzhinweis

Das Buch Hochspannend: von der komplexen Verbindung zwischen Herz, Gehirn und Seele. Denn unser Herz ist viel mehr als nur eine mechanische Pumpe: Es ist eine Art zweites Gehirn im Körper, das Signale sendet und empfängt – und ein Ort, an dem Weisheit und Bewusstsein ihren Ursprung haben.

DR. REINHARD FRIEDL mit Shirley Michaela Seul

Der Takt des Lebens Warum das Herz unser wichtigstes Sinnesorgan ist

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Originalausgabe Oktober 2019 Copyright © 2019 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München, unter Verwendung von Motiven von FinePic®, München Lektorat: Doreen Fröhlich DF · Herstellung: ik Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach ISBN: 978-3-641-23400-3

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Dieses Buch ist kein medizinisches Diagnose und das Durchführen einer durch einen Arzt erfolgen. Die in Patientenschicksale sind verfremdet transplantiert.

Lehrbuch. Das Stellen einer Therapie kann ausschließlich diesem Buch beschriebenen und in ein fiktives Umfeld

Für Josef und Olivia

»Man hört immer von Leuten, die vor lauter Liebe den Verstand verloren haben. Aber es gibt auch viele, die vor lauter Verstand die Liebe verloren haben.« Jean Paul »Ich hatte die Rätsel des Gehirns erkundet, es war Zeit, genauso viel akademische Gründlichkeit und wissenschaftlichen Ehrgeiz auf die Erkundung des Herzens zu verwenden.« James R. Doty (Klinischer Professor für Neurochirurgie, Stanford University, USA; Gründer und Direktor des Center for Compassion and Altruism Research and Education)

Inhaltsverzeichnis Eröffnung des Herzens Der Sechszylinder-Bio-Turbo Herz auf dem Tisch Das blutende Herz Schlag auf Schlag Herzgespinste Die bunte Neuro-Show Herzton Die Weisheit aus dem Herzen Herzen in Takt Das Herz im Brutkasten Was das Herz fühlen kann Totentanz Das Herz im Blick Lieben Das einsame Herz Das große Ganze Herzbewusstsein

Herzensbegegnung Abschied vom Kunstherz Homo Herz Danksagung Literatur

Eröffnung des Herzens

BuBumm BuBumm BuBumm

Sie hören ihn meistens nicht, aber wenn Ihr Herzschlag plötzlich weg wäre, wären es auch Sie. Denn Sie leben nur von Herzschlag zu Herzschlag. Dazwischen wohnt der Tod. Setzt nach einem Herzschlag kein nächster ein, bleibt die Uhr des Lebens stehen. Manchmal geschieht das im Schlaf oder beim Einkaufen. Kein Mensch kennt die Stunde seines Todes. Ihr Herzschlag ist mein Beruf. Sechzig bis achtzig Mal in der Minute erzeugt dieser Ton Leben. Viele Herzen schlagen ruhig und kräftig, manche in steter Hetze. Auch wenn das Herz gelegentlich stolpert, es versucht immer weiterzumachen. Ich habe viele Herzen gesehen, die sich mit letzter Kraft dahinschleppten. Das Herz kennt kein Wochenende und keinen Urlaub. An Ihrem fünfundsiebzigsten Geburtstag hat es rund drei Milliarden Mal geschlagen. Es hat seine Arbeit schon acht Monate vor Ihrer Geburt aufgenommen – zweiundzwanzig Tage nach der Zeugung. Das Herz ist das erste Organ, das sich entwickelt, lange vor dem Gehirn und dem ersten Atemzug. Ohne Herz läuft nichts. Es pocht durch die Jahre und Jahrzehnte, unbemerkt bis … etwas nicht mehr funktioniert. Oder eine Hightech-Optik als Zufallsbefund einen Defekt offenlegt, der

noch gar nicht zu spüren war. Herzsachen erscheinen immer gleich dramatisch. Ein Stechen im Herzen ist etwas ganz anderes als ein Stechen in der Hüfte. Alles, was mit dem Herzen zu tun hat, empfinden wir als einen Angriff auf unser Leben, unsere Unversehrtheit. Auch wenn die Ursache sich später als nicht lebensbedrohlich herausstellt: Herzschmerzen sind Anlass zur Sorge und gehen häufig einher mit Todesangst. Auch ein Kopfschmerz kann ein gefährlicher Vorbote sein, der letztlich zum Tode führt, durch einen Schlaganfall oder eine Hirnblutung. Doch ein heftiger Kopfschmerz ängstigt uns weniger als ein sachter Druck auf der Brust. Wir Menschen spüren tief im Inneren: Das Herz ist die Quelle allen Lebens. Als Herzchirurg habe ich viele tausend Herzen in meinen Händen gehalten. Ich habe frühgeborene Babys operiert und bei hochbetagten Patienten Herzklappen repariert. Ich habe Kunstherzturbinen implantiert und Messerstichverletzungen am Herzen genäht. Als Organ ist das Herz bis in seine kleinsten Bestandteile untersucht. Wir wissen scheinbar alles – und doch wissen wir nichts. Wöchentlich erscheinen hunderte neue wissenschaftliche Publikationen mit Erkenntnissen über ein Organ, das sich mit dem Auftreten des Homo sapiens in den letzten dreihunderttausend Jahren nicht verändert hat ((1)). Der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (1623– 1662) scheint immer noch recht zu haben: »Das Herz hat seine Geheimnisse, die der Verstand nicht kennt.« Unabhängig voneinander, zeitlich und räumlich getrennt, ohne Wissen voneinander und obwohl die Menschen weltweit verschiedene Sprachen benutzen, werden Herzen gemalt, um Liebe auszudrücken, irdisch und himmlisch. Handelt es sich dabei um eine in jedem Menschen zutiefst verankerte innere Wahrheit? Oder

nur um einen Wunsch, den wir alle unbewusst teilen? In allen großen Kulturen der Menschheit, von der Steinzeit bis zur Gegenwart, in allen Religionen und spirituellen Schulen galt und gilt das Herz als ein Symbol, als das biologische Zentrum für Liebe, Mitgefühl, Freude, Mut, Stärke, Wahrheit und Weisheit. Im Zeitalter von Herztransplantationen und Datenmigrationen scheint der Zauber des Herzens verflogen, gerade so, als könnte er unserer technisierten Welt nicht standhalten. Aber vielleicht bräuchten wir genau diese Eigenschaften für eine humane Zukunft. Der kleine Prinz sagt: »Man sieht nur mit dem Herzen gut«. Und doch haben wir bisher an unserem biologischen Herzen keine Augen gefunden, keine Sensoren für Mitgefühl und Liebe, keine Pumpe, die Mut und Stärke ausstößt. Aber wir alle erleben diese Herzensqualitäten als eine innere Realität, die unser Leben auch leiten kann. Doch in welchem Zusammenhang steht das mit unserem pumpenden Herzen? Was lässt sich aus naturwissenschaftlicher Sicht über dieses »andere« Herz sagen, seine Dimensionen von Bewusstsein? Und wie beeinflusst das Erkrankungen und Therapie? Aristoteles glaubte, das Herz, und nicht das Gehirn, sei Sitz der Gefühle. Die modernen Neurowissenschaften sind der Meinung, dass Liebe im Gehirn entsteht. Haben auch sie dem Herzen die Geheimnisse der Liebe gestohlen? Und ist unsere Sprache nur mehr eine Erinnerung – woran? Oder handelt es sich um belanglose Metaphern, Worthülsen, wenn wir davon sprechen, dass uns jemand ans Herz gewachsen ist, wir unser Herz verschließen oder jemanden in unser Herz schließen, das wir auch verlieren können, und selbst wenn wir etwas auf dem Herzen haben, können wir uns ein Herz fassen, von dem hin und wieder ein Stein fallen kann, an dem aber keiner stirbt, sondern am gebrochenen Herzen, wir kriegen gleich einen Herzschlag, stehlen womöglich fremde Herzen, während wir selbst unseres verschenken, das wir

womöglich auf der Zunge getragen haben, was besser ist, als wenn es vor Freude zerspränge oder es einem die Angst abschnürte. Was hat das Herz auf dem Herzen? Manche dieser Symptome werden tatsächlich zum Kardiologen getragen – zum Beispiel als Herzrhythmusstörungen oder Herzenge. Herr Doktor, ich fühle mich, als würde mir ein Stein auf die Brust drücken. Früher kümmerte ich mich ausschließlich als Chirurg um diese Patienten, heute interessiert mich der ganze Mensch. Herzchirurgen können Herzen schlafen lassen und zum Schlagen bringen – doch sie sprechen in der Regel nicht zum Herzen, sondern über Maschinen: Herz-Lungen-Maschine, EKG, Ultraschall oder sogar Kunstherzen. Und natürlich mit ihren Kollegen – Assistenzärzten, Anästhesistinnen, Kardiotechnikern, OP-Pflegern. Eine Herzoperation ist keine intime Angelegenheit. Das tief im Brustkorb verborgene und von den Rippen gut geschützte Herz wird in grellem Licht unter dem konzentrierten Blick vieler Augenpaare in hochtechnisierten Operationsräumen eröffnet. Für den Herzchirurgen ist es zunächst einmal eine Pumpe, die er reparieren soll – der Motor des Lebens. Im Gegensatz zu allen anderen Ärzten kennt er die Funktionsweise dieses Motors nicht nur von Filmen und Daten, die mit Ultraschall, Computertomografie, Herzkatheter oder in der Kernspintomografie erstellt werden. Auch in Zeiten der Hightech-Medizin bedeutet es für das wahre Verständnis dieses Organes einen großen Unterschied, ob man es schon einmal mit eigenen Augen gesehen und mit den eigenen Händen berührt hat, oder ob man es nur aus zweiter Hand und von Monitoren kennt. Als Herzchirurg greife ich tief in den Brustkorb und lege Hand ans Herz. Ein Herz ist es nicht gewohnt, angefasst zu werden. Herzen können auf Berührung sehr empfindlich reagieren. Manche erschrecken förmlich und antworten mit Rhythmusstörungen. Doch

selbst kranke Herzen sind stark, so stark, dass es mich immer wieder erstaunt, welche Kraft ihnen innewohnt. Wenn sie in meiner Hand liegen, fühlt es sich an, als seien sie die Essenz des Lebens, der pure, unbedingte Lebenswille. Für mich ist jedes Herz ein eigenes Wesen; jedes Herz hat ein ganz eigenes Erscheinungsbild. Ich weiß nie, was sich mir gleich offenbaren wird, wenn ich mit dem Skalpell die Haut über dem Brustkorb durchtrenne und den Brustkorb eröffne. Manche Herzen sind sehr lebhaft und muskulös, andere ein bisschen pummelig mit deutlichem Fettbesatz. Vielen sieht man ihren langen Weg durch das Leben und ihre Krankheit an, und sie wirken müde und verbraucht. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie schlagen für ihr Leben gern. Was halte ich da eigentlich in der Hand? Wirklich nur die Pumpe oder nicht vielmehr den Ursprung allen menschlichen Bewusstseins? Die Neurowissenschaften können die Frage nach der Entstehung von Bewusstsein nicht ansatzweise beantworten. Die vorherrschende Meinung lautet, Bewusstsein entstehe als Ergebnis biochemischer und elektrophysiologischer Prozesse im zentralen Nervensystem, dem Gehirn. Neurowissenschaftler kennen die Bauteile, ihre Funktionen und komplizierten Verschaltungen sehr genau. Doch wie aus der organischen Materie unseres Körpers etwas Geistiges wie ein Gedanke oder ein Gefühl entsteht, ist weitgehend unbekannt. Das Entstehen von Bewusstsein ist nach Ansicht des bekannten Neurochirurgen Eben Alexander und anderer Gehirnforscher ein weißer Fleck auf der Karte der Neurowissenschaften ((2, 3)). Und wenn das Herz zumindest einen Teil dieses unbekannten Gebietes ausfüllen könnte? Stillgelegt

Ich weiß noch gut, wie ich als junger Arzt das erste Mal ein Herz sah. Es erinnerte mich an eine empfindliche, frisch geschälte Frucht. Ich betrachtete das apfelsinengroße Organ voller Ehrfurcht. Nur Muskeln, die pumpen, teilweise von einem dünnen Fettkleid bedeckt, sonst nichts. So schien es mir auf den ersten Blick. Ich sollte den Sauger halten, um austretendes Blut abzusaugen, und war froh, etwas in der Hand zu haben, an dem ich mich festhalten konnte, so mächtig waren die Eindrücke. Unbeirrt schlug das Herz weiter, während meine Kollegen sorgfältig den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine vorbereiteten und zahlreiche sehr feine Nähte am Herzen und der großen Körperschlagader setzten. Die meisten Herzoperationen können nur durchgeführt werden, nachdem das Herz stillgelegt wurde. Dazu wird die Blut- und damit auch Sauerstoffversorgung des Herzens unterbrochen. Um einen geschützten Herzstillstand zu erzielen, wird in die Herzarterien ein bestimmtes Flüssigkeitsgemisch infundiert, im Wesentlichen Blut und Kalium. Die elektrische Erregung des Herzens kommt so zum Erliegen – es hört auf zu schlagen. Dadurch wird sein Energieverbrauch gesenkt, und seine Zellen brauchen weniger Sauerstoff. Manchmal wird es zusätzlich gekühlt. So kann das Herz eine bestimmte Zeit, bis es wieder durchblutet wird, ohne großen Schaden überdauern. Damit aber der künstlich erzeugte Herzstillstand nicht zum Tode führt, wird das Herz vor der Stilllegung an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Sie transportiert nun das Blut anstatt des Herzens, das während der Operation pausiert, und reichert es auch mit Sauerstoff an. Häufig muss jemand das Herz im Brustkorb in einer bestimmten

Position festhalten, damit der Operateur bei Klappenoperationen Zugang zu den Herzhöhlen hat oder einen Bypass an der Hinterwand anbringen kann. Meistens der jüngste Assistenzarzt. Und plötzlich wurde es mir in die Hand gegeben; ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Schockstarr bewegte ich mich nicht. Jetzt bloß nichts kaputtmachen. Bloß keinen Fehler machen. Ich hielt das Herz in der Hand wie einen frühgeborenen Säugling. Es erschien mir so zart, so verletzlich, und gleichzeitig ist seine kräftige Muskulatur selbst im erschlafften Zustand sehr definiert spürbar. Ich hatte noch kein Gefühl für die Konsistenz, das Gewebe, für das Wesen des Herzens. Ich glaube, es war ein Männerherz, aber es könnte auch ein Frauenherz gewesen sein. Sie sehen nahezu gleich aus, ähnlich groß, ähnlich stark, zirka dreihundert Gramm schwer. Mit den Monaten und Jahren wurden meine Aufgaben als angehender Herzchirurg im OP anspruchsvoller. Ich durfte den Brustkorb eröffnen, den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine übernehmen, schließlich den ersten Bypass nähen. Meine Lehrer überwachten jeden Handgriff mit Argusaugen, gelegentlich führten sie mir sogar die Hand. Vor Aufregung fiel mir manchmal beinahe der Nadelhalter aus den Fingern, und wenn irgendwo auch nur ein Blutstropfen durchsickerte, blieb mir fast das Herz stehen. War ich zu tief oder noch richtig? Mein erfahrener Kollege sagte nichts, also weiter. Ich lernte, meine Emotionen zu kontrollieren, am besten: keine zu haben. Millimeter für Millimeter tastete sich die Nadel durch die Wände der Herzarterien, die selbst nur einen Innendurchmesser von ein bis zwei Millimetern haben und Wände dünn wie Pergamentpapier. Wenn die Körperschlagader, der große Strom des Lebens, reißen würde, könnte das Blut bis hoch zur OPLampe spritzen. Da zittern jedem Anfänger die Hände. Klarer Verstand und äußerst präzise Mechanik machen eine Operation

sicher. Das verinnerlichte ich und wurde immer souveräner, doch außerhalb des OPs drückte dieses kühle Funktionieren mein Herz ab, und ich merkte es nicht einmal in meinem bedingungslosen Streben, ein guter Operateur zu werden. Nach acht Jahren, bereits selbst Herzchirurg, nähte ich nach einer langen Operation am Ende die Haut zu, ohne mir viele Gedanken zu machen. Ich begeisterte mich für die Technologien und ihre faszinierenden Möglichkeiten. Mittlerweile konnte ich eine bestimmte Art von Bypass-Operation sogar am schlagenden Herzen routinemäßig durchführen. Bei den meisten Operationen wird das Herz jedoch wie beschrieben stillgelegt, repariert und danach wieder zum Schlagen gebracht. Die komplexen Reparaturen von Herzklappen und die enorme Verantwortung meines Berufes reizten mich gleichermaßen. Das Herz verzeiht nicht viele Fehler, der Zeitdruck ist enorm, denn der Herzstillstand sollte in der Regel nicht länger als 60 bis 90 Minuten dauern. Je kürzer, umso besser. Es ist ein bisschen wie Reifenwechseln in der Formel 1. Der Boxenstopp sollte nicht zu lange dauern, sonst ist der Patient aus dem Rennen. Ich hatte einen wundervollen Lehrer, der es so formulierte: »Der Patient darf bei der OP nicht aus der Kurve fliegen, und die Voraussetzung dafür ist ein handwerklich hervorragend reparierter Motor.« Natürlich wollte ich als Arzt zuallererst meinen Patienten helfen. Doch ich verhehle nicht, dass mich der äußerliche Glitter, die Bewunderung, die Herzchirurgen häufig zuteil wird, ebenfalls lockte. Verantwortung und Ansehen sind sicher vergleichbar mit dem eines Jetpiloten. Doch gegenüber dem Herzen ist ein Flugzeug eine eher überschaubare Maschine, es reagiert aufgrund planbarer technischer Gesetzmäßigkeiten immer gleich. Als Herzchirurg kann ich mich auf keine eindeutige Kausalität verlassen – im Sinne

von »Wenn ich diesen Knopf drücke, wackelt die Klappe«. Die Mechanik des Herzens ist sehr viel subtiler, nicht steuerbar, und gar nicht so selten benehmen sich Herzen anders, als man es erwartet. Der Chirurg muss mit allem rechnen, den Überblick behalten, Ruhe bewahren – und darf sich vor allem nicht von Gefühlen leiten lassen. Was ich perfektionierte.

Erweckt

Tagein, tagaus arbeitete ich mit Herzen. Ich lebte in der sterilen Wirklichkeit des OPs. Meine Herzensbegegnungen beschränkten sich darauf, jeden Tag vor einem offenen Brustkorb zu stehen. Mit meinem Team holte ich halb tote Patienten ins Leben zurück, reparierte Pumpen, um ihren Eigentümern wieder Lebensqualität zu ermöglichen, dachte selten über den OP-Tisch hinaus. Herzoperationen finden an der Quelle des Lebens statt, und bei den meisten Menschen sprudelt sie danach wieder. Doch manche sterben auch dabei. Das muss man wegstecken. Man darf nicht zu viel fühlen, schon gar nicht Mitleid. Sonst funktioniert man nicht mehr gut. Eines Tages merkte ich, dass ich die Stimme meines eigenen Herzens nicht mehr richtig hören konnte. Denn immer öfter beschäftigte ich mich mit Fragen, die, eigentlich unvorstellbar, nichts mit der Chirurgie zu tun haben. Ist das Herz mehr als eine Pumpe? Können wir mit dem Herzen bewusst wahrnehmen? Vielleicht sogar aus dem Herzen heraus handeln? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Stimme des Herzens und Erkrankungen, einem erfüllten oder leidenden Leben? All dem wollte ich auf die Spur kommen. Das Resultat meiner Reise zu den

Geheimnissen des Herzens halten Sie nun in Händen. Wo sollte ich anfangen? Als Wissenschaftler recherchierte ich bei anderen Kollegen meines Fachs und auch interdisziplinär. Mathematiker, Ingenieure und Herzspezialisten rücken dem Herz mit immer mehr Technologie und virtueller Realität zu Leibe. Alles außerordentlich faszinierend, habe ich doch selbst Navigationssysteme für das Herz entwickelt. Aber ich fand leider nicht das, was ich suchte. Bis mich an einer Bahnhofsbuchhandlung ein knallrotes Herz anstrahlte. »HerzSchmerz« lautete die Schlagzeile der Bildzeitung, gefolgt von der Frage: »Woher weiß ich, ob mein Herz krank ist?« Das hätte ich auch gern gewusst, also trat ich näher und fand Altbekanntes zum Thema Herzinfarkt und Co. Im Zeitschriftenständer daneben versprach ein Heft »Alles Wissenswerte über Bluthochdruck, Cholesterin, Infarkt, Gefäßverengung, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen, Herzenge und Organersatz«. Man sollte als Wissenschaftler nicht im Elfenbeinturm sitzen, und so investierte ich acht Euro neunzig Cent und erfuhr null Neues. Ein Freund schickte mir einen Artikel. »Neurologie. Wie der Bauch den Kopf bestimmt.« Ich las Interessantes über das Nervensystem des Darmes und seine Kommunikation mit dem »Kopfgehirn«, wie es genannt wurde, und dass Ärger auf den Magen schlägt sowie bestimmte Arten von Bewusstsein im Darm entstehen können. »Das Bauchhirn ist hochintelligent«, verkündete der amerikanische Neurowissenschaftler Michael Gershon, Chef des Departments für Anatomie und Zellbiologie der Columbia University in New York. Wenn es »Intelligenz« im Bauch gab, der bisher eher dafür bekannt war, zu verdauen und Kot zu produzieren, konnte doch auch im höher gelegenen Herzen etwas zu finden sein. Doch im Weiterlesen lief ich in eine linke Gerade: »Das Herz ist dagegen eine primitive

Pumpe«, erklärte Gershon. Für einen Augenblick wurde mein Herz auf die Bretter geschickt. Doch es ließ sich nicht auszählen, schlug mir im Hals, klopfte bis zum Hirn, Empörung wallte hoch. Primitiv? »Mein« Herz? Niemals! Früher habe ich mal geboxt und gelernt, auf die Schläge meiner Gegner vorbereitet zu sein. Doch dieser erwischte mich kalt. Irgendwo ganz tief in mir wusste ich, das stimmte nicht. Aber wie sollte ich es beweisen? Wie ein Geigenbauer eine Stradivari liebt, schätze ich die Biologie des Herzens, seine Töne und Mechanik. Und eine Geige ist nicht nur ein simpler Kasten mit vier Saiten. Wenn sie jemand zu spielen versteht, entsteht ein Universum an Musik und Emotionen. Wenn das Herz nur eine primitive Pumpe wäre, wieso hat man es bisher nicht geschafft, eine Pumpe zu bauen, die auch nur annähernd so einzigartig gut funktioniert? Wieso konnte man das Herz nicht einfach ersetzen, und wieso mussten so viele Menschen auf Wartelisten für Organtransplantation sterben? Mein Kämpferherz erwachte. Ich ging in gewisser Weise noch einmal zurück auf Start und verließ die Sicherheit, die ich mir als Herzchirurg angeeignet hatte. Ich begann, Fragen zu stellen, die über den Operationstisch hinausreichten. Ich schaute mir diese »primitive Pumpe« noch einmal ganz genau an, auch aus unkonventionellen Perspektiven, um sie mit meinen Erfahrungen aus vielen tausend Herzoperationen abzugleichen. Im Operationssaal beobachtete ich nun mit Argusaugen. Ich wollte mir keine Herzensregung entgehen lassen. Immer wieder fiel mir in dieser Zeit die Diskrepanz zwischen den medizinischen und symbolischen Darstellungen des Herzens auf, und ich sprach auch mit anderen darüber. »Das Herz darf wohl nur gut sein«, wandte einmal eine Bekannte ein, nachdem ich einige Stilblüten rund um das Herz aufgezählt hatte. »Aber es gibt auch

ein Hasenherz und ein klammes Herz und ein eiskaltes Herz und eines aus Stein und ein erkaltetes.« Im ersten Moment war ich sprachlos. Sie hatte Recht, ohne Zweifel. Auch diese Frage musste ich zulassen und nicht ausklammern. War ich selbst einer Sehnsucht auf den Leim gegangen? Dann sah ich ein krankes Herz vor meinem inneren Auge, ein Herz, das, nicht mehr richtig durchblutet, klamm geworden war. Kalk hatte es versteinern lassen in seiner Angst, die ihm jeden Mut genommen hatte. Und da wusste ich, dass ihr Einwand meine Absicht bestätigte. Das Herz aus sich heraus ist stark, lebensbejahend – positiv. Angst ist gestockter Fluss, gefrorene Energie. Manchmal ist es erforderlich, einen Schritt zurückzutreten, um das gesamte Bild zu sehen. Als Wissenschaftler habe ich gelernt, dass erfolgreiche Frauen und Männer, große Persönlichkeiten immer Herz und Verstand einsetzen. Es ist erlaubt und unsere Aufgabe, nichts als gegeben hinzunehmen, alles in Frage zu stellen, neu zu denken. Gerade dem Unvorstellbaren entspringen in der Wissenschaft die besonders interessanten Fragen. Wie ich zu meinen Erkenntnissen gelangte und wie sie unser Leben positiv verändern können, erzähle ich auf den folgenden Seiten, in denen ich auch das Wunderwerk Herz eröffnen möchte. Das Herz begleitet uns vom Mutterleib bis zur Mutter Erde am Ende, wir führen seinen Namen so oft im Munde, und doch ist dieses zentrale Organ vielen Menschen sonderbar fremd, ja, nicht wenige haben sogar Angst davor. Einige Menschen sind froh, wenn sie ihr Herz nicht spüren. Denn das bedeutet doch, dass alles in Ordnung ist? Das habe ich auch lange geglaubt, bis ich eines Besseren belehrt wurde. Heute meine ich, dass die Wahrnehmung des Herzens in der Medizin nicht nur als Pumpe, sondern als Quelle des Lebens und von Bewusstsein und ursächlich an vielen

Störungen und Krankheiten beteiligt, uns ein neues und tieferes Verständnis über die Zusammenhänge im Körper schenken könnte, das in der Folge zu mehr Gesundheit und auch Lebensfreude führt. Auf der Suche nach der wahren Natur des Herzens habe ich auch mein eigenes Herz wiedergefunden. Eine gewisse Herzarmut, so mag mir scheinen, ist Medizinern nicht fremd. Vielleicht glauben wir, unser Herz stilllegen zu müssen, weil wir mit so viel Leid konfrontiert sind. Gesellschaftlich werden wir dafür mit Anerkennung und hohem Status belohnt. Lieber der eiskalte Chirurg als der mitfühlende, dem womöglich die Hände zittern. Heute weiß ich, dass auch meine mitfühlenden Hände nicht zittern, nein, sie haben Augen. Die ganzheitliche Wiederbelebung meines Herzens hat mein Leben, meinen Umgang mit mir selbst und auch die Beziehung zu meinen Mitmenschen und natürlich Patienten gravierend verändert. Sie sind keine Behältnisse, in denen die Pumpe streikt, sondern ganze Menschen, denen ich mit Medizin und Anteilnahme begegne. Niemand würde bestreiten, dass es Liebe gibt. Aber können wir sie messen? Wir können innere Phänomene spüren und fühlen, die wir nicht direkt objektivieren können. Wir können sie auch nicht im Labor nachweisen oder ihre molekulare Entstehung vollständig erklären. Aber wir fühlen sie intuitiv. Immer mehr Menschen suchen Antworten, vielleicht weil sie »spüren«, dass uns ein Leben, basierend nur auf Technologie und Beschleunigung, nicht glücklicher und zufriedener macht. Wäre es möglich, zu uns selbst und in unsere Herzen zurückzukehren? Körperzentrierte Therapien und spirituelle Schulen versuchen, Bewusstsein über den Körper zu erlangen und dabei »ihr Herz zu öffnen«. Irgendetwas scheint in unserem modernen, komfortablen, aber auch leistungsorientierten und zunehmend technisierten Leben zu fehlen. Unsere rationale

und doch alles andere als vernünftige westliche Lebensart entspricht nicht den Vorstellungen von einem ganzheitlichen Dasein. In den folgenden Kapiteln erzähle ich die Geschichte eines Herzchirurgen, der sich auf den Weg machte, das abhandengekommene Herz wiederzufinden. Ich habe uralte und hochaktuelle Erkenntnisse aus verschiedenen wissenschaftlichen Welten zusammengetragen, vor allem auch über die geheimen Verbindungen von Herz und Gehirn und wie sie Emotionen und Bewusstsein beeinflussen. Daraus ergeben sich neue Erkenntnisse für die Gesundheit des ganzen Herzens und seiner Therapie. Also für den ganzen Menschen.

Herzhören

BuBumm, BuBumm, BuBumm – das gesunde Herz macht zwei Töne, von denen der erste etwas kürzer klingt. Es ist keine monotone Marschmusik, kein BummBumm, BummBumm, sondern ergibt, durch den verkürzten ersten Takt, einen tänzerischen, leichten Rhythmus. Wir können das BuBumm hören, wenn uns jemand erlaubt, unser Ohr an seine Brust zu legen. Als Kind habe ich es geliebt, dem Herzschlag meiner Geschwister und Eltern zu lauschen. Der erste Herzton, das Bu, wird erzeugt, wenn das Herz kontrahiert und die Herzklappen öffnen, der zweite, das Bumm, wenn das Herz wieder entspannt und die Klappen schließen. Aus der Embryologie und Pränataldiagnostik wissen wir, dass dies der erste Ton ist, den wir in unserem Leben hören, lange

bevor wir geboren werden. Er ist von immenser Bedeutung für die Mutter-Kind-Beziehung. Das Herz eines anderen Menschen hören zu dürfen ist etwas sehr Intimes, Besonderes. Herzhören erfordert Nähe. Auch in der Medizin. »Machen Sie bitte Ihren Oberkörper frei.« Was hierbei eigentlich geschieht – Ich höre dein Herz! –, ist eine rein diagnostische Maßnahme, die immer seltener eingesetzt wird. In früheren Jahrhunderten und auch noch Jahrzehnten galt es als hohe ärztliche Kunst, die feinen Töne und Geräusche zu unterscheiden und die richtige Diagnose zu stellen. Noch zu Zeiten meiner Ausbildung wurde in einem der angesehensten medizinischen Fachblätter überhaupt, dem New England Journal of Medicine, ein wissenschaftlicher Artikel publiziert, der darlegte, dass mit der Auskultation des Herzens, also dem Abhören durch erfahrene Fachleute, Diagnosen mit hoher Treffsicherheit gestellt werden können ((4)). Und genau 30 Jahre später ist es für einen Herzchirurgen ernüchternd, wenn ein Patient kurz vor einer Operation sagt: »Sie sind der erste Doktor, der auf mein Herz hört« ((5)). Das Abhören des Herzens ist für die meisten Patienten die größtmögliche Intimität zwischen Arzt und Patient. Ich bin der festen Überzeugung, darin liegt auch ein tiefer Wunsch des Menschen, dass sein Innerstes gehört wird. Heute hat das bewegte Bild den Ton abgelöst. Nach meiner Beobachtung horchen Herzspezialisten nur noch selten auf die Herzen ihrer Patienten. Dies betrifft nicht nur die Töne und Geräusche, welche die Mechanik des Herzens verursacht, sondern auch die andere Stimme des Herzens, die aus den Welten der Weisheit und des Mitgefühls kommt. In zunehmendem Maße sind sich Herzforscher, Psychologen und spirituelle Lehrer einig: Diese Stimme ist untrennbar mit dem organischen Herzen verbunden.

Wann haben Sie sie zuletzt gehört? Ich möchte Sie zu einer bewussten Wahrnehmung Ihres Herzens einladen. Legen Sie Ihre rechte Hand auf Ihr Herz und fühlen Sie Ihren Herzschlag. Atmen Sie gleichmäßig ein und aus und nehmen Sie wahr: Was hat Ihnen Ihr Herz zu sagen? Was immer Sie auch hören oder nicht, es ist das Richtige. Bleiben Sie geduldig und urteilen Sie nicht. Es gibt viele verschiedene Arten von Meditation. Das Ziel ist immer das gleiche: innehalten, langsamer atmen, in sich hineinspüren und die Gegenwart sowie alle Gedanken und Gefühle beobachten. Vielleicht fühlen Sie nach einer Weile, wie Ihnen Ihr Herz mit jedem BuBumm Leben schenkt. Jetzt. Von Augenblick zu Augenblick. Und dann wird aus dem Leben eine neue Lebendigkeit. Als ich diese Meditation vor über zehn Jahren zum ersten Mal praktizierte, hörte ich … nichts. Ich stand noch ganz am Anfang meiner Reise zum wahren Herzen. Das Herz war damals noch eine Pumpe für mich, wenn auch keine primitive, sondern ein Wunderwerk der Präzision und Kraft.

Der Sechszylinder-Bio-Turbo Neuntausend Liter Blut befördert das Herz täglich und schlägt dabei rund hunderttausend Mal. Die großen Muskelbahnen des Herzens verwinden sich spiralförmig ineinander und formen fantastische Höhlensysteme, die durch die Herzklappen verbunden und Scheidewände getrennt sind. Für den Ausstoß von Blut rotieren innere und äußere Muskelschichten gleichzeitig in verschiedene Richtungen und folgen dabei einer fein abgestimmten Choreografie ((6)). Physikalisch könnte man das Herz daher nicht nur als Pumpe, sondern fast schon als eine Turbine betrachten. Und wenn es Ihnen manchmal vorkommen mag, als würde es in Ihrem Leib springen, ist das ebenfalls zutreffend. Blickt man in den offenen Brustkorb, hüpft das Herz mehr, als dass es läuft. Und wie diese Sprünge und Drehungen aussehen, in welchem Rhythmus sie vollführt werden, welche Figur das Herz dabei macht, das verrät dem Herzchirurgen schon sehr viel über seinen Zustand. Dieser Tanz des Herzens und seine geometrischen Formen sind so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Sie könnten damit als Person identifiziert werden, denn es gibt keine zwei Menschen mit einem identischen Herzen auf der Welt. Diese Erkenntnis machten sich auch Forscher an der Universität Buffalo zunutze und entwickelten prototypisch einen Herzradar. Die Menschen der Zukunft können sich vielleicht mit ihrem Herzensabdruck in ihren Computer einloggen, im Supermarkt bezahlen oder am Flughafen einchecken – sich ausweisen mit ihrem Herzen ((7)). Üblicherweise jedoch verbirgt sich das Herz gerne vor allzu

neugierigen Blicken. Damit der Herzchirurg es sehen kann, muss er sich zuerst einmal Zutritt verschaffen in den Maschinenraum des Herzens, der vom Herzbeutel, auch Perikard genannt, gebildet wird. Das Perikard formt eine feuchte Höhle, damit sich das Herz nicht wund reibt und darin schön gleiten kann. Es unterstützt seine Arbeit, engt es aber nicht ein. Auch sorgt es dafür, dass das Herz nicht zu voll werden kann und in bewegenden Situationen dort bleibt, wo es hingehört. Es gab nach Herzoperationen Fälle, in denen das Herz seinen angestammten Platz verlassen hat und in die Lungenhöhlen gefallen oder gehüpft ist – eine tödliche Komplikation, sofern sie nicht sofort erkannt und behoben wird. Wenn das Herz verletzt wurde oder Entzündungen überstanden hat, kann die Wohnung des Herzens eine harte Schale bilden. Zuerst verklebt das Perikard mit dem Herzen, das wird als Herzbeutelentzündung oder Perikarditis bezeichnet. Später bilden sich Kalkstränge, welche die Bewegungen des Herzens massiv einengen. Das Herz kann sich dann nicht mehr richtig füllen und befindet sich in einem ausweglosen Würgegriff. Seine ehemals kuschelige Wohnung wird zu einer tödlichen Falle, der Maßanzug zu einer Zwangsjacke. Passenderweise wird diese Situation als Panzerherz bezeichnet. Ein Panzer hat am Herzen nichts verloren, er schützt nicht, sondern behindert es, macht es unfrei in vielerlei Hinsicht. Rein biologisch betrachtet verliert das Herz dann die Fähigkeit, ausreichend Blut aufzunehmen. Und das kann zum Tode führen. Ein gesundes Perikard schützt also das Herz und sorgt dafür, dass es seinen eigenen Raum hat und frei und ohne Behinderung oder Einengung schlagen kann. Beides braucht das Herz – Schutz und Freiheit. In der traditionellen chinesischen Medizin wird der Herzbeutel als »die Mutter des Blutes und Beschützer des Herzens«

bezeichnet. Unsere Schulmedizin bestätigt diese Sichtweise, denn das Perikard übernimmt auch eine Immunfunktion und schützt das Herz vor Infektionen. Die Vielseitigkeit des sehr flexiblen und gleichzeitig reißfesten Perikards ist uns Herzchirurgen bei Operationen eine große Hilfe. Gelegentlich verwenden wir sogar ein kleines Stück Perikard bei unseren Operationen. Einige Quadratzentimeter Perikardflicken, so sagen Herzchirurgen tatsächlich dazu, werden beispielsweise entnommen, um eine Klappe zu reparieren oder ein Loch bei einem angeborenen Herzfehler zu verschließen. ...



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