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German Pages 112 Year 2015
Bildwelten des Wissens Band 11
Sara Hillnhütter (Hg.)
PLANBILDER Medien der Architekturgestaltung
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1: Legostein. 2: Piet Mondrian: Broadway Boogie Woogie, Öl auf Leinwand, 1942–3. 3: Theo van Doesburg und Cornelis van Eesteren: axonometrische Kontra-Konstruktion (Maison Particulière), Gouache auf Lithografie, 1923. 4: Intel Pentium 4 Processor, Die, 2000. 5: Jörg Zintzmeyer (Entwurf): Modulor-Proportionssystem und Grundriss von Chandigarh von Le Corbusier, Schweizer Banknote, 1997. 6: The Fountainhead (Regie: King Vidor), Roarks Appartment, Teststill, 1949. 7: HD Sims, Screenshot aus SimCity, 2012. 8: Paul Bigot: Projekt zur Anlage der Voie triomphale von Étoile bis La Défense, Paris, 1931/32. 9: Diagramm aus Vitruvius: Di Lucio Vitruuio Pollione De architectura libri dece […], Como 1521, S. XIr. 10: Software zur Gebäudesanierung: „Vitruvius“. 11: Reversed Earth map, 2008. 12: Richard Buckminster Fuller und Shoji Sadao: Cloud 9, Projekt für bewohnte Erdtrabanten, 1962. 13: Marskarte, mit eingezeichneten Zielen des Mars Global Surveyor in westlichen Längengraden. 14: Christo: Wrapped Reichstag
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(Project for West Berlin – „Der Deutsche Reichstag“), Collage, 1972. 15: Bauschild des Berliner Schlosses vor dem Rohbau, Detail, 2015. 16: Catherine Feff: Temporäre Simulation der Schlossfassade vor dem Palast der Republik, 1993. 17: WinSun: 3D-gedrucktes Haus, Shanghai, 2014. 18: Joao Monteiro: Home Dream, o. D. 19: Antoni Gaudi: Colonia Güell Kirche, Modell zur Studie der Statik der Kirche mit Gewichten und Axialbewegungen in die entgegengesetzte Richtung, Barcelona, Baubeginn 1908. 20: Office for Metropolitan Architecture (Rem Koolhaas): Stadt des gefesselten Erdballs. Projekt Delirious New York, Gouache über Lichtpause aufgezogen auf Karton, 1976. 21: Gustav Amman: L. A. Rosengarten. Farbenplan für Pensées, NSL 2-0291C.7. 22: Zaha Hadid Architects: One-North Masterplan, Singapur, Modell, 2001-21. 23: Hugh Stubbins: Kongresshalle Berlin, Teileinsturz. 24: Fassadenriss F des Kölner Doms, Federzeichnung auf Pergament, um 1280. 25: Gerald Exline: Phantasiestadt, Federzeichnung, 1981, Detail.
Inhaltsverzeichnis
5 Editorial
7 Nicole Stöcklmayr Linie und Körper. Parametrisierte Entwurfsumgebungen in der Architektur
15 Philip Ursprung „Die menschliche Arbeit, die in den Dingen steckt“: Peter Zumthors Werkzeichnungen Ende der 1980er-Jahre
24 Ralf Liptau Übersetzungen in die Architektur. Seifenhautmodelle von Frei Otto
33 Rolf Sachsse Erweiterungen des Bildraums. Einzeichnung und Fotocollage als Planungsverfahren bei Ludwig Mies van der Rohe
42 Sandra Schramke Das autonome Quadrat: Zum Gebrauch von Millimeterpapier in der Architektur Oswald Mathias Ungers’
51 Karl-Eugen Kurrer Zur Genese des rechnenden Bildes in der Baustatik bis 1900
61 Michael Mönninger Stadt der Zwischenräume: Die Rhetorik der Schwarzpläne im städtebaulichen Reformdenken um 1900
70 Bildbesprechung Christina Clausen Imagination und Hypothese in der Architekturmalerei 73 Interview Franco Stella und Fabian Hegholz über die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
87 Kristina Jaspers Bauen für den Film. Das Haus als Protagonist und Charakterstudie
96 Rezensionen Carolin Höfler Moussavi, Kubo (Hg.): The Function of Ornament Marc Pfaff Cardoso Llach: Builders of the Vision
102 Projektvorstellungen Rut Blees Luxemburg London Dust
Alex Arteaga Bildgeneriende Bildlosigkeit 107 Bildnachweis 109 Die AutorInnen
Editorial
Wie vermutlich niemals zuvor kommen gegenwärtig Medien der Vorschau, der Vorbereitung, des Entwurfs in so großem Umfang und mit so sichtbarer Wirkung zum Einsatz wie in der Planung von Architektur. Diese bedarf stets der bildlichen und bildenden Medien, die einen Raum oder ein Gebäude konzipieren und vermitteln. Schon im Entwurfsprozess verschmelzen dabei technische und ästhetische Fragen, machen sich praktische Eigenschaften von Stiften, Papieren und Winkelmessern, von Musterbüchern, Schablonen und Computerprogrammen bemerkbar. Besonders augenfällig zeigt sich mit dem paradigmatischen Wechsel zum Computer Aided Design (CAD) die Bedingtheit architektonischer Form von den Medien der Planung. Der vorliegende Band dehnt diese Perspektive historisch aus und verdeutlicht, dass Bilder vor und nach der Architektur als Instrumente und Objekte der Handlung dienen sowie in ihrer Materialität und Gemachtheit den Charakter des Baus mitgestalten. Insofern entstehen architektonische Projekte aus einer Vielzahl zwei- oder dreidimensionaler Bildformen, die sich in den medialen Charakter der Architektur selbst einschreiben. In der Bezugsetzung von Fläche und Raum, von Bild und Bau werden Planbilder sowohl als Demonstration einer Idee als auch als Anleitung zum Bauen verwendet. Somit setzen sie Ästhetik in Beziehung zur Statik. Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Architektur und ihren Entwurfs- und Planinstrumenten, die als Objekte der Handlung und nicht-intentionalen Gestaltung diskutiert werden, analysieren die vorliegenden Beiträge. In der Formgeschichte architektonischer Darstellungsmedien stellt sich eine Unvereinbarkeit eckiger und organischer oder nicht-linearer Formen dar, die zwischen kultureller und natürlicher Gestaltgebung changieren. Vor der Ausdifferenzierung der Berufe Architekt und Ingenieur im 18. Jahrhundert bestimmte die Orthogonalität die Medien der Architekturplanung. Ein rechter, also ,richtiger‘ Winkel, der in mittelalterlichen Bauhütten als Schablone zur Vorlage gedient hatte, garantierte lange die statische Festigkeit der Bauten. Das Quadrat bildete gleichermaßen gestalterisches Element und kleinste Einheit als Kommunikationsform zwischen Mathematik und Ästhetik. Bereits vor der technischen Verbindung von Notation und Entwurf im CAD orientierten sich Architekten wie Richard Buckminster Fuller an organischen Strukturen, die durch ihr Gewachsensein Statik und Form vereinen. In diesem Sinne hatte auch Louis Sullivan den Satz „form follows function“ geprägt, der in der Designtheorie häufig als Motto ausgelegt wurde, das sich auf die gesellschaftliche Funktion der Bauten bezöge. Rechteckigkeit lässt sich aber auch auf Fragen der Sichtbarkeit und Abstraktion zurückführen. So kam im Mittelalter runde oder sternförmige Architektur vor allem im Rüstungsbau zum Einsatz, der dem Feind die Übersicht über das zu erobernde Gebäude erschweren sollte, indem es nicht mit dem Auge von einer Seite zu erfassen war oder sogar spitz auf den Eindringling wies. Die geometrische Zeichentechnik der
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Editorial
Perspektive wiederum unterlief in neuer Weise das Verhältnis von Fakt und Fiktion, von einer mimetischen Wiedergabe der Architektur im Bild und der virtuellen Konstruktion möglicher Bauten. Die Mathematisierung der Natur hatte ihre Messbarkeit und Vorhersagbarkeit zur Folge, die besonders in Architekturkonstruktionen zum Tragen kam und den operationalen Status der Bilder veränderte. Die Wechselwirkung der Vor- und Nachbilder der Architektur wurde besonders in der Zeit der Sinnesphysiologie des 19. Jahrhunderts und nachfolgend des Bauhauses virulent, in der Walter Gropius seinen Studierenden sagte, sie sollten mit dem Auge bauen. Indem Fotografien unter anderem von Mies van der Rohe zur Verdeutlichung seiner Entwürfe genutzt wurden, führte er prospektive und rezeptive Prozesse in einem Bild zusammen. Die gestalterische Bezugnahme von fotografischer und architektonischer Praxis zog eine Übertragung medialer Eigenschaften wie Transparenz auf die Glas-Stahl-Bauten nach sich. Skulpturale Architektur dagegen, wie die sogenannte signiture architecture, basiert auf einer manuellen Bearbeitung im Entwurfsprozess oder einem starken Bezug auf Materialität, der dem Konzept Übersicht entgegenwirkt. Die Komplexität der statischen Berechnung bei diesen Bauten ermöglicht erst die computerbasierte Verarbeitung, in der sich die Simulation organischen Materials automatisiert vornehmen lässt. Statische Notwendigkeiten treten dabei hinter die Spontanität des Entwurfsprozesses zurück, so dass der Architekt der Form eine eigene Handschrift einzuverleiben vermag. Zunehmend lässt sich die Form der Architektur auf die Bedingung der Planbilder zurückverfolgen, die als Modelle der Naturbeherrschung, der sozialen Ordnung oder der ästhetisch-künstlerischen Konzeptionen wirksam sind. Abstrakt oder anschaulich formen Architekturdarstellungen eine Präsenz, die in ihrer planerisch-statischen Vorhersage manifestiert liegt. Damit verkörpert sich in ihnen eine über Distanz und Zeit wirkende Präsenz des zu bauenden Gebäudes. Gewinnen ein Plan oder ein Modell ikonischen Charakter, konkurrieren sie mit dem Bau, auch nach seiner Realisierung. Sara Hillnhütter und die Herausgeber
Nicole Stöcklmayr
Linie und Körper. Parametrisierte Entwurfsumgebungen in der Architektur Entwurfsverfahren in der Architektur sind unmittelbar mit ihren medialen Praktiken und Konventionen zur Veranschaulichung verbunden. Bildmedien haben hier nicht nur die Funktion des Darstellens, sondern sind auch wesentlich an der Herstellung eines Entwurfs beteiligt. Die Bedeutung der Entwurfszeichnung zur Formfindung lässt sich aber keineswegs eindeutig fixieren und manuell angefertigte Skizzen und Zeichnungen sind nicht mehr ausschließlich die „motive force“ 1 für Architekten. Digitale Werkzeuge zur Modellierung und Visualisierung von Entwürfen haben zu ganz unterschiedlichen Theoretisierungen2 und Anwendungen3 in der Architektur geführt, jedoch sind sie in diesem Zusammenhang weder eine Alternative noch eine Gegenposition,4 trotz der Ankündigung des „Death of Drawing“ 5 im aktuellen Architekturdiskurs. Gleichzeitig sind zur Begutachtung von Projektentwürfen wie beispielsweise bei Architekturwettbewerben immer noch Grundrisse, Schnitte und Ansichten gefordert, die gemeinsam mit Perspektiven und Diagrammen als visuelle Anordnung die Entwurfsbeschreibung darstellen.6 Die in einer Ausschreibung festgelegten Voraussetzungen sind Anlass und Rahmen zugleich, in der ein Architekturprojekt seinen Anfang nimmt. Der internationale Architekturwettbewerb für den zentralen Themenpavillon der Weltausstellung 2012 in der südkoreanischen Stadt Yeosu wurde 2009 ausgeschrieben. Insgesamt reichten 136 Architekturbüros anonym ihre Entwurfsbeiträge ein, darunter MVRDV, Shigeru Ban Architects sowie Zaha Hadid Architects, die eine gesonderte Einladung erhalten hatten. Der Wettbewerb war äußerst ungewöhnlich, weil das Verfahren nur einstufig abgehalten wurde und die Jury die Projekteinreichungen allein anhand der geforderten Projektbeschreibung sowie Planmaterial und Renderings bewertete. Alle Teilnehmer mussten ihre Beitragseinreichung auf drei A1-Paneelen aufkaschieren, gefordert waren hier neben Lageplan, Grundrissen, Schnitten und
1 Peter Cook: Drawing. The Motive Force of Architecture, Chichester (2. Auflage) 2014. 2 Eine Anthologie der theoretischen Begriffe und Positionen zum Digitalen, die den Diskurs in der Architektur seit den 1990er-Jahren (u.a. Folding, Cyberspace, Morphogenesis, Emergence, Scripting, Building Information Modelling, Parametricism) bestimmen, bietet Mario Carpo (Hg.): The Digital Turn in Architecture. 1992–2012, Chichester 2013. 3 Für einen Überblick dazu siehe Antoine Picon: Digital Culture in Architecture. An Introduction for the Design Professions, Basel 2010. 4 Siehe dazu insbesondere Mark Garcia: Emerging Technologies and Drawings: The Futures of Images in Architectural Design. In: Architectural Design: Drawing Architecture, 2013, Heft 225, S. 28–35 sowie im selben Heft Mario Carpo: The Art of Drawing, S. 128–133. 5 Exemplarisch hier David Ross Scheer: The Death of Drawing. Architecture in the Age of Simulation. New York/Abingdon (Ox.) 2014. 6 Siehe auch Nicole E. Stöcklmayr: Move(ns). Zum Bildtransfer in der Architektur. In: Martina Baleva, Ingeborg Reichle, Oliver Lerone Schultz (Hg.): Image Match: Visueller Transfer, ‚Imagescapes‘ und Intervisualität in globalen Bildkulturen, München 2012, S. 193–211.
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1: Kim Yong-kwan, soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, 2012, Fotografie.
Ansichten im Maßstab 1:300 auch Vogelperspektiven sowie Konzeptdiagramme des Entwurfs. Zusätzlich musste die Entwurfsbeschreibung auf maximal 20 A4-Seiten beigelegt werden, die zudem Konzeptdiagramme und Vogelperspektiven, Flächenberechnung und Kalkulation der zu erwartenden Konstruktionskosten zu beinhalten hatte.7 Die Ausschreibung forderte explizit einen ikonischen Gebäudeentwurf, der das Thema dieser Expo – „The Living Ocean and Coast“ – verkörpern sollte.8 Gewünscht war ein „unique and monumental design“, welches das Expo Thema eindrücklich zu vermitteln vermochte.9 Als Gesamtfläche waren etwa 6.000 m², davon etwa 3.600 m² Ausstellungsfläche festgelegt,10 Höhenbeschränkungen für das Gebäude gab es keine. Das von Kristina Schinegger, Stefan Rutzinger, Martin Oberascher und Günther Weber 2009 gegründete Architekturbüro soma11 mit Sitz in Wien und Salzburg, gewann den ersten Wettbewerbspreis und wurde mit der Ausführung beauftragt. Der Gebäudeentwurf somas besteht aus fünf massiven, kegelstumpfartigen Körpern („cones“), ◊ Abb. 1 die an der Westseite entlang der gesamten Länge von fast 150 Metern von einem weiteren Gebäudeteil – in dem sich das Foyer sowie Service- und Verwaltungsräume 7 International Competition for the Thematic Pavilion of Expo 2012 Yeosu, Korea: Competition Information, 15. Mai 2009, S. 27. 8 Competion Information (s. Anm. 7), S. 1. 9 Competion Information (s. Anm. 7), S. 12. 10 Competion Information (s. Anm. 7), S. 27. 11 Zur Herleitung des Namens soma aus der griechischen Übersetzung für Körper siehe Marjan Colleti: Fuzzy Somantics. In: Kristina Schinegger, Stefan Rutzinger, Martin Oberascher, Günther Weber: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, St. Pölten/Salzburg/Wien 2012, S. 10–13.
Linie und Körper
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2: Isochrom, soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, 2010, Rendering.
befinden – umfasst werden.12 ◊ Abb. 2 Auf ihm ist auch eine Dachlandschaft, auf der eine Rampe zum höchsten Gebäudeniveau auf 25 Metern empor mäandert. In den „cones“ sind die Ausstellungsflächen sowie die Cafeteria situiert und der Entwurfs- und Konstruktionsprozess dieser fünf geometrischen Körper steht im Folgenden im Mittelpunkt der Analyse zu parametrisierten Entwurfsumgebungen in der Architektur. Der Entwurfsprozess somas fand ausschließlich am Computer innerhalb der Software Rhinoceros13 statt, einem NURBS-basierten14 3D-Modellierungs- und Visualisierungprogramm. Der erste Schritt der Architekten war die Unterteilung der Bebauungsfläche in ein zweidimensionales, trianguliertes Raster, um eine „geometrically coherent ‚aggregation‘ “ 15 zu erzeugen. Dazu fixierten sie sieben zusammenhängende und gleichseitige Dreiecke, in die durch Kontrollpunkte definierte Freiform-Kurven (NURBS-Kurven) eingezeichnet wurden. ◊ Abb. 3 Das triangulierte Raster und die Kurven wurden im nächsten Schritt vertikal kopiert und sind die Grundlage, um anschließend das Raster an verschiedenen Punkten zu verschieben. Entlang der oberen und unteren Kurvenpfade wird anschließend jeweils eine geschlossene Fläche kreiert. 12 Zur innovativen kinetischen Fassade dieses Gebäudeteils siehe insbesondere Jan Knippers: Biomimetic Strategies for an Elastic Architecture. In: Schinegger et al. (s. Anm. 11), S. 80–87. 13 3D-Modellierungssoftware von Robert McNeel & Associates. 14 NURBS steht als Akronym für Non-uniform rational Basis-Spline. NURBS sind Kurven oder Flächen, die mathematisch durch Grad, Kontrollpunkte und Knotenvektor definiert werden und im Bereich Computergrafik bzw. CAD/CAM-Anwendungen Industriestandard sind. Siehe ausführlich Gerald Farin: NURBS. From Projective Geometry to Practicle Use, Natick 1999. 15 Schinegger et al. (s. Anm. 11), S. 33.
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3: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, Vektorgrafik.
Durch die Verzerrung der Kurven wurden auch die Ummantelungsflächen verändert und durch diesen Transformationsprozess bildete sich in der Grundfläche eine erste Anordnung für das Foyer.16 Aus diesem Verfahren entstehen verschiedene geometrische Varianten, aus denen die Architekten anschließend eine dieser räumlichen Formationen aufgrund von optimalen „performative and expressive qualities“ 17 auswählten. Als Fensteröffnungen für die Meerseite entscheidet sich soma für Dreiecksflächen in diversen Dimensionen, um für die Konstruktion der Außenwände den Bewehrungsstahl material- und damit auch kostengünstig in die Schalung zur Betonierung einzubauen.18 Das kleinstmögliche Bewehrungselement definiert damit auch das Mindestmaß einer Dreiecksöffnung ◊ Abb. 4 und die Musteranordnungen brechen die massiven Körper der „cones“ auf. ◊ Abb. 5 Die Anordnung von fünf verschiedenen Dreiecksgrößen erfolgte zuerst in einer zweidimensionalen Fläche, um unterschiedliche Muster zu erstellen, die anschließend auf die „cones“ in die dritte Dimension projiziert wurde. ◊ Abb. 6 Um die Positionen der Fensteröffnungen an die Innenräume anzupassen, ◊ Abb. 7 wurde anschließend die Geometrie parametrisiert. ◊ Abb. 8 Die parametrische Modellierung19 basiert dabei auf einem Verfahren, in dem den einzelnen korrelierenden Parametern veränderliche Werte und Eigenschaften zugeordnet sind, die das 3D-Modell innerhalb einer Software definieren. Kommt es zu einer Modifizierung eines Parameters, aktualisiert und konfiguriert sich die Entwurfsgestalt, ohne dass der gesamte Modellierungs- oder Generierungsprozess manuell wiederholt werden muss. Der Entwurf somas entstand nicht ausgehend von einer händischen Skizze oder Zeichnung, sondern die Architekten entwickelten die Formgestaltung ausschließlich am Computer innerhalb der Software Rhinoceros. Die geometrischen Körper des 16 Schinegger et al. (s. Anm. 11). 17 Schinegger et al. (s. Anm. 11), S. 34. 18 Interview der Autorin mit Kristina Schinegger und Stefan Rutzinger, 18. November 2014. 19 Zum parametrischen Entwurf siehe exemplarisch auch Robert Woodbury: Elements of Parametric Design, Abingdon (Ox.)/New York 2010 sowie Mark Burry: Scripting Cultures. Architectural design and programming, Chichester 2011.
Linie und Körper
Entwurfs wurden mithilfe des Graphical Algorithm Editors Grasshopper – einem Plug-In für Rhinoceros – parametrisiert. Während Bearbeitungen und Messungen des 3D-Modells in Rhinoceros in den tradierten Architekturdarstellungen Grundriss, Seitenansicht sowie Perspektive stattfinden, vollzieht sich die Parametrisierung in Grasshopper anhand von Kästchen („components“) und Linien („wires“), die auf der als „canvas“ genannten Fläche als diagrammatische Anordnung dargestellt sind. Das Graphical User Interface des Grasshopper-Fensters besteht aus eigenen Werkzeugleisten, mit dem sich Algorithmen zur geometrischen Formgenerierung auf einem „canvas“ visuell programmieren lassen. Die Kästchen sind Komponenten mit unterschiedlicher Handlungsfunktion, das heißt, links werden Daten als Input der Komponente über einen Knoten („node“) zugeführt und rechts, nachdem die Aktion ausgeführt wurde, als Output über einen weiteren Knoten via „wire“ als neue Dateneingabe für das nächste „component“ weitergeleitet. Für den Verlauf der Dreiecksöffnungen sind nun exakte mathematische Beschreibungen für die Programmierung der geometrischen Konstruktion notwendig. So sind beispielsweise in der vierten Spalte der obersten Reihe ◊ Abb. 8 zwei „components“ zur Erzeugung von Linien platziert. Ein „line-component“ besteht aus zwei Input-Parametern A und B (Punkt A und Punkt B) und einem Output-Parameter L (Linie L), das nach
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4: Yeosu Expo Organizing Committee, soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, 2011, Fotografie.
5: Kim Yong-kwan, soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, 2011, Fotografie.
6: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, Screenshot.
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7: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, 2011, Fotografie.
Eingabe der Koordinaten eine Linie generiert. Der Daten-Output wird nun zum Input Parameter für ein weiteres, rechts angeordnetes „curve-divide-component“-Kästchen, das allerdings aufgrund der komplexeren mathematischen Definition zur Unterteilung einer Kurve aus drei Input-Parametern und drei Output-Parametern besteht (C für „curve to divide“, N für „number of segments“, k für „split segments at kinks“, P für „division points“, T für „tangent vectors at division points“, t für „parameter values at division points“). Alle Parameterwerte sind prinzipiell variabel und Output-Daten sind numerische Werte, die innerhalb von Grasshopper als Input-Daten für weitere Komponenten Verwendung finden können, indem man vom Output „node“ ein „wire“ zum nächsten Input „node“ zieht. Würde sich nun ein Parameter, eine Komponente, eine Verknüpfung oder grundsätzlich jeglicher Input verändern, so fände automatisch und in Echtzeit ein Update des digitalen 3D-Modells statt. Für den Verlauf der Dreiecksöffnungen im Entwurf somas bedeutete das, dass die Architekten die Positionen aller Fenster nicht mit aufwendiger „trial and error“-Methode mittels mehrmaliger manueller, digitaler Modellierung konstruktiv bestimmen mussten, sondern die geometrische Generierung in einer Grasshopper-Datei als Skript programmierten. Die Linie in Grasshopper hat also eine unterschiedliche Funktion als die Linie zur Konstruktion in einem gewöhnlichen 3D-Modellierungsverfahren. Die Linie dient nicht mehr ausschließlich zur geometrischen Definition des dreidimensionalen Körpers, sondern hat hier als „wire“ die Funktion, die verschiedenen Parameter und Komponenten zur Generierung der Form zu verbinden und wird so den Prozess definierend.
Linie und Körper
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8: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, Screenshot.
Die Linie in parametrisierten Entwurfsumgebungen führt damit zu einem neuen Verhältnis von Geometrie und Modellierung, das unweigerlich mit einer Veränderung der Bildpraktik verknüpft ist.20 Ebenfalls verändert ist hier die jeder Software zugrunde liegende document history, in der alle Arbeitsschritte und Änderungen einer Datei chronologisch – das heißt linear – und temporär gespeichert werden und so in der laufenden Bearbeitung (nicht jedoch nach dem Schließen der Datei) reversibel bleiben. Bei einem parametrischen Modell ist die Historie nicht-linear im Skript eingeschrieben und bleibt auch nach dem Schließen der Datei variabel, weil das Skript eine Prozessmodellierung zur Formgenerierung mathematisch exakt beschreibt und die „wire“-Linien mit den „components“ die „Agenten der Konstruktion“ bilden.21 Bereits Robin Evans macht deutlich, dass die Wechselwirkung von Geometrie und Architektur Entwürfe erst möglich macht: 20 Für einen allgemeinen Überblick zur Linie in der historischen Entwicklung der Architektur siehe Manlio Brusatin: Geschichte der Linien, Berlin 2013. Zum neuen Verhältnis von Entwurf und Autorenschaft im parametrischen Architekturentwurf siehe insbesondere Mario Carpo: The Alphabet and the Algorithm, Cambridge, (Mass.)/London 2011. 21 Bernhard Siegert identifiziert in der Geschichte des Schiffsbaus drei Varianten von formgebenden Linien, die als „Agenten der Konstruktion“ auf den Entwurf einwirken: „[…] in der ersten Phase wurde das Schiff vom Holz, in der zweiten vom Papier und in der dritten vom Meer und vom Wind her gedacht“. Siehe Bernhard Siegert: Wasserlinien. Der gekerbte und der glatte Raum als Agenten der Konstruktion. In: Jutta Voorhoeve (Hg.): Welten schaffen. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Konstruktion, Zürich 2011, S. 17–37, S. 18.
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„The first place anyone looks to find the geometry in architecture is in the shape of buildings, then perhaps in the shape of the drawings of buildings. These are the loca tions where geometry has been, on the whole, stolid and dormant. But geometry has been active in the space between and the space at either end. What connects thinking to imagination, imagination to drawing, drawing to building, and buildings to our eyes is projection in one guise or another, or processes that we have chosen to model on projection. All are zones of instability.“ 22
3D-Modellierungen und Visualisierungen, wie sie in Rhinoceros statt finden, sind dabei weiterhin durch geometrische Projektionen bestimmt. Diese Darstellungskonventionen regeln, wie digitale Objekte visuell wiedergegeben werden und zwar in Ansichtsfenstern, die entweder Parallelprojektionen oder Perspektivdarstellungen sind.23 Selbst somas Entwurfsdiagramme, die die Formfindung illustrieren ◊ Abb. 3 sind Parallelprojektionen, Axonometrien, die dreidimensionale Objekte messbar und als Vergleich analysierbar machen. Auch diese Bildpraktik hat architekturhistorische Vorläufer: Hat doch bereits Auguste Choisy seine axonometrischen Zeichnungen als Diagramme beschrieben, die „the conception that governs ‚the architecture‘ “ 24 freilegen.25 Die Überlagerung von tradierten Darstellungen und neuen Entwurfspraktiken hat allerdings eine Hybridisierung zur Folge, die sich anhand der Diagramme besonders zu erkennen gibt: Während die axonometrischen Zeichnungen von soma Diagramme der geometrischen Entwurfsfindung sind, ist die Darstellung in Grasshopper ein Diagramm zur Generierung der Geometrie mit mathematischen Funktionen und Parametern. Je nachdem, ob man Plan als Entwurf oder Notation beschreibt, wechselt die Funktion der visuellen Darstellung von geometrischen Körpern. Die Linien in Grasshoppers diagrammatischer Anordnung stabilisiert sie hingegen: Entwurf und Notation verbinden sich zu einem Planbild. 22 Robin Evans: The Projective Cast. Architecture and Its Three Geometries, Cambridge, (Mass.)/London 1995, S. xxxi. 23 Siehe dazu auch Nicole E. Stöcklmayr: Constructions and Reconstructions. The Architectural Image between Rendering and Photography. In: PhotoResearcher, 2012, Heft 18, S. 69–77. Siehe auch Jacob Gaboury zur frühen Geschichte der Computergrafik, der überzeugend deutlich macht, dass man digitale Bilder als materielle Objekte betrachten sollte, die in ihrer Gemachtheit einen historischen Hintergrund haben, der nicht notwendigerweise eine Ähnlichkeit zur perspektivischen Darstellung aufweist. Siehe Jacob Gaboury: Hidden Surface Problems. On the Digital Image as Material Object. In: Journal of Visual Culture, 2015, Heft 14 (1), S. 40–60. 24 Thierry Mandoul: From rationality to utopia. Auguste Choisy and axonometric projection. In: Mario Carpo, Frédérique Lemerle (Hg.): Perspective, Projections & Design, London/New York 2008, S. 151–162, S. 158. 25 Zum zeitgenössischen Diagrammdiskurs in der Architektur siehe besonders Mark Garcia (Hg.): The Diagrams of Architecture, Chichester 2010.
Philip Ursprung
„Die menschliche Arbeit, die in den Dingen steckt“: Peter Zumthors Werkzeichnungen Ende der 1980er-Jahre Der zur Ausstellung Partituren und Bilder: Architektonische Arbeiten aus dem Atelier Peter Zumthor erschienene Katalog, der zuerst 1989 und dann in einer zweiten Auflage 1994 erschien, ermöglicht es, die Intentionen des Architekten bei der Darstellung früher Werke, wie das Wohn- und Atelierhauses in Haldenstein, die Schutzbauten für Ausgrabungen mit römischen Funden in Chur und die Caplutta Sogn Benedetg (Kapelle des Hl. Benedikt) in Sumvitg zwischen 1985 und 1988, zu verfolgen.1 Die Bauten befinden sich im Kanton Graubünden, abseits der Zentren. Zumthor war sich bewusst, dass die Darstellung der Bauten mittels Ausstellungen und Publikationen für die Rezeption unumgänglich war. Der Katalog enthält neben einem Text des Architekturtheoretikers Martin Steinmann und einem Text von Peter Zumthor selber eine Reihe von Werkzeichnungen und die Schwarz-Weiß-Fotografien des Zürcher Künstlers Hans Danuser. Der Katalog ist nicht nur deshalb von Interesse, weil hier zum ersten Mal jene Fotografien veröffentlicht wurden, welche die Rezeption des Oeuvres von Zumthor stark prägten.2 ◊ Abb. 1 Er ist auch wegen der minutiösen Werkzeichnungen von Belang, die es erlauben, dem Architekten gleichsam bei der Arbeit über die Schulter zu blicken. Der Katalog markiert jenen kurzen Moment am Ende der 1980er-Jahre, als die Karten der Architekturdarstellung neu gemischt wurden. Zumthor, geboren 1943, war zur Zeit der Ausstellung Mitte vierzig. Er hatte in den 1970er-Jahren als Bauberater und Siedlungsinventarisator für die Kantonale Denkmalpflege Graubünden gearbeitet und nebenher einige kleinere Umbauten, wie den Wohnturm Casti in Lumbrein (1970), durchgeführt. Seit 1978 führte er ein eigenes Büro. Zur Zeit der Ausstellung konnte er bereits auf diverse realisierte Bauten, darunter die Ustria Caffe de Mont in Vella (1971), das Haus Dierauer, Haldenstein (1976), das Haus Räth, Haldenstein (1983), die Kreisschule Churwalden (1983), die Arztpraxis Trepp/Bisaz in Chur (1984) und das Haus Fontana in Fidaz (1986), zurückblicken.3 Er hatte publiziert, gelehrt (an der Universität Zürich und dem Southern California Institute of Architecture), gebaut, sich kulturpolitisch engagiert und sich einen Ruf als Architekt geschaffen, der behutsam mit historischer Bausubstanz umgehen kann. In 1 Partituren und Bilder. Architektonische Arbeiten aus dem Atelier Peter Zumthor 1985–1988, Ausst. kat. (mit Fotografien von Hans Danuser), Architekturgalerie Luzern, 2.–23. Oktober 1988, Haus der Architektur, Graz, 27. Juli – 18. August 1989, hg. v. Architekturgalerie Luzern, Toni Häfliger, Heinz Hüsler, Roman Lüscher, Heinz Wirz, Schwabe und Co., Muttenz 1989 (2. Auflage 1994). 2 Vgl. Philip Ursprung: Die Visualisierung der Unsichtbaren. Hans Danuser und Peter Zumthor, eine Revision. In: Hans Danuser, Köbi Gantenbein, Philip Ursprung (Hg.): Zumthor Sehen, Zürich 2009, S. 61–78. 3 Vgl. Palle Petersen: Zumthor vor Zumthor. Soziale und kulturpolitische Tätigkeit 1968–1990 und frühe Bautätigkeit (1970–1986), Wahlfacharbeit, ETH Zürich (Referent: Akos Moravanszky), 22.10.2013, Manuskript.
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Philip Ursprung
seinem Werkkatalog von 2014 verschweigt er die in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren entstandenen Gebäude zwar nicht. Aber er dokumentiert sie auch nicht und geht nicht weiter auf sie ein, weil sie, wie er schreibt, aus einer Zeit stammen, in der er „anfänglich eher spielerisch und unbekümmert, später mehr und mehr unter dem Einfluss von Vorbildern arbeitete“.4 Zumthors Karriere, gekennzeichnet durch eine Phase, in der nur bescheidene Bauten, namentlich auch Um- und Einbauten, realisiert 1: Hans Danuser: Caplutta Sogn Benedetg, Sumvitg, Ansicht von werden, ist charakteristisch für die Osten, Barytpapier, 50 × 40 cm, 1988. gesamte Generation der damals jüngeren Architekten. Tatsächlich fällt es aus heutiger Perspektive schwer, sich vorzustellen, dass während der 1970er- und 1980er-Jahre der Rang der Architekten weniger dadurch bestimmt war, was sie bauten, als durch das, was sie nicht bauten. Mangels großen Aufträgen richteten viele Architekten ihre Energie auf die Produktion von Skizzen, Aquarellen, Grafiken, Collagen, Modellen und Texten. Man kann diese Medien unter der Kategorie „Planbilder“ subsumieren, wenn darunter die Darstellung des Nichtgebauten verstanden wird. Eine Spezifik der 1980erJahre ist allerdings, dass der Ort, wo diese Darstellungselemente präsentiert wurden, die Hauptrolle spielte, nämlich die Architekturausstellung. Architektur fand, wenn man so will, erst im Rahmen einer Ausstellung tatsächlich statt – unabhängig davon, ob sie bereits gebaut war oder vielleicht auch gar nie realisiert werden würde, ob sie als Planbild existierte oder als Bau. Die Tatsache, dass Architektur von einer dafür legitimierten Institution – also nicht dem Architekturbüro selber – vermittelt wurde, galt erst als Nachweis ihrer Relevanz. Die Ausstellung übertraf somit nicht nur das Gebaute, sondern auch das Gedruckte an Wirkung. Und der Ausstellungskatalog wurde, gerade weil er sich nicht bloß auf das Gebäude bezog, sondern auf eine Ausstellung, zu einer 4 Peter Zumthor: Und von innen nach aussen, bis alles stimmt. In: Peter Zumthor, 1985–1989, Bauten und Projekte, hg. v. Thomas Durisch, Zürich 2014, Bd. 1, S. 9–12, S. 9.
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kostbaren Währung. Im Unterschied zur Kunst rückte in der Architektur der Wert des Originals quasi hinter denjenigen der Repräsentation. Eine Konsequenz davon ist, dass für manche Architekturfotografien Unsummen bezahlt werden, während es keine Sammlungen von bedeutenden Gebäuden gibt.5 Im Zentrum dieser neuen Bedeutungsökonomie stand die Architekturbiennale Venedig. Sie war 1980 ins Leben gerufen worden, löste sich aus der Kunstbiennale heraus und wurde fortan neben der Triennale in Mailand zur wichtigsten Plattform für diesen Austausch. Im Unterschied zur Kunstbiennale war sie nie identisch mit dem Markt für Architekturdarstellungen. Dieser entstand zwar zur selben Zeit, angeführt von der seit 1978 auf Architekturzeichnungen spezialisierten Galerie von Max Protetch in New York und rückte die Architekturzeichnung ins Licht des prosperierenden Kunstmarktes. Aber bis heute hat sich kein nennenswerter Markt für Planbilder etablieren können. Weil die Architektur träge reagiert, konnte sie nur mit Verzögerung vom weltweiten ökonomischen Boom profitieren, der in den 1980er-Jahren auf der Rezession der 1970erJahre gefolgt war. Erst ab den frühen 1990er-Jahren wurden die avancierten Architekten der mittleren Generation mit einer zunehmenden Anzahl von Aufträgen konfrontiert. Zumthors Ausstellung, die Anfang Oktober 1988 in Luzern eröffnet wurde – übrigens nur einen Tag nach der Ausstellung Architektur Denk form von Herzog & de Meuron im Architekturmuseum Basel –, steht am Schnittpunkt dieser Veränderung und zeugt davon, wie brisant damals die Frage nach der Darstellung von Architektur war.6 Es ist aufschlussreich zu sehen, dass Zumthor sich in seinem Text vehement gegen die Fixierung (und Reduzierung) auf die Architekturzeichnung als künstlerisches Objekt richtet. Im Moment, da die Architektur und die bildende Kunst so nah wie seit den 1920er-Jahren nicht mehr zusammengerückt zu sein scheinen, insistiert er auf deren Unterschied. Sein Plädoyer für die „Wirklichkeit“ der Architektur ist in dieser Hinsicht sehr dezidiert: „Wenn Realismus und Künstlichkeit in einer Architekturdarstellung zu gross werden, wenn die Darstellung keine ‚offenen Stellen‘ mehr enthält, in die wir mit unserer Imagination eindringen könnten und die die Neugier nach der Wirklichkeit des
5 Vgl. Philip Ursprung: The Indispensable Catalogue. In: Log, 20, Herbst 2010, „Curating Architecture“, S. 99–103. 6 Vgl. Herzog & de Meuron: Architektur Denkform. Eine Ausstellung im Architekturmuseum vom 1. Oktober bis 20. November 1988, Basel 1988. Peter Zumthor erinnert sich, die Ausstellung in Basel gesehen zu haben: Gespräch Peter Zumthor mit dem Autor, Zürich, Mai 2012; Jacques Herzog kann sich nicht erinnern, die Ausstellung von Zumthor gesehen zu haben: Gespräch Jacques Herzog mit dem Autor, Basel, Januar 2012.
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dargestellten Objektes aufkommen lassen, dann wird die Darstellung selber zum Objekt der Begierde. Das Verlangen nach dem wirklichen Objekt verblasst. Wenig oder nichts mehr verweist auf das gemeinte Reale, das ausserhalb der Darstellung Liegende. Die Darstellung enthält kein Versprechen mehr. Sie meint sich selber. Darstellungen dieser Art – Architekturzeichnungen als eigenständige Kunstprodukte – haben in meiner Arbeit keine Bedeutung.“ 7
Zumthor grenzte sich damit, ohne Namen zu nennen, von Berufskollegen wie Daniel Liebeskind, Zaha Hadid, Stephen Holl, Aldo Rossi und anderen ab, die in jener Zeit im Bereich der Architekturdarstellung den Ton angaben, deren Werke in Ausstellungen zu sehen waren und teilweise auch im Handel zirkulierten. Es ging Zumthor allerdings nicht darum, spezifische Positionen zu kritisieren, also beispielsweise um das, was Martin Steinmann, ebenfalls im Katalog Partituren und Bilder, mit dem Verweis auf die „postmodernen Bauten“ tut.8 Es ging ihm vielmehr darum, für die Ausstellung ganz explizit ein Medium auszuwählen und andere, derer er sich durchaus selber auch gerne bediente, aus konzeptuellen Gründen wegzulassen. Im etwas früher erschienenen Katalog zur Ausstellung von Herzog & de Meuron in Basel beispielsweise wird für die Projekte meistens die ganze Bandbreite von Medien aktiviert, von der Modellfotografie über die dokumentarische Fotografie, die Werkzeichnung bis hin zu bereinigten Darstellungen von Schnitt- und Aufriss sowie kurzen Steckbriefen mit technischen Daten. Auch Herzog & de Meuron relativieren die Bedeutung des Gebauten, wenn sie auf der Rückseite ihres Ausstellungskatalogs von 1988 schreiben: „Die Wirklichkeit der Architektur ist nicht die gebaute Architektur. Eine Architek tur bildet ausserhalb dieser Zustandsform von gebaut/nicht gebaut eine eigene Wirklichkeit, vergleichbar der autonomen Wirklichkeit eines Bildes oder einer Skulptur.“ 9
Zumthors methodische Stringenz wird aus dem nächsten Abschnitt seines Textes deutlich, in welchem er betont, dass es in der Ausstellung auch nicht um die Ausstellung von Entwurfszeichnungen geht. Denn diese „Zeichnungen und Skizzen, die beim Entwerfen entstehen“ und die als „Spuren der architektonischen Erfindung“ Zeugnis abgaben von den „Erfolgen und Irrungen“, gehörten zu seinen eigenen Instrumenten 7 Peter Zumthor: Partituren und Bilder. In: Partituren und Bilder, Ausst.kat. (s. Anm. 1), S. 9. 8 Martin Steinmann: Techne. Zur Arbeit von Peter Zumthor. In: Partituren und Bilder, Ausst.kat. (s. Anm. 1), S. 6–8, hier S. 8. 9 Herzog & de Meuron (s. Anm. 6), Umschlagrückseite.
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2: Atelier Zumthor: Haldenstein, Rückfassade Nord, Montageplan Elemente.
des Entwerfens und hätten den Besuchern der Ausstellung zweifellos gefallen.10 Ebenso wenig sollen in der Ausstellung „Projektzeichnungen“ gezeigt werden, im Sinne einer „umfassenden, aber vorläufigen Darstellung einer Idee“, die sich an „Bauherren, Behörden oder Preisrichter“ richtet.11 Zumthor setzte auf die „Werkzeichnungen“ oder „Werkpläne“.12 ◊ Abb. 2 Diese wollte er in der Ausstellung präsentieren, denn sie haben, wie er schreibt, „Charakter von anatomischen Zeichnungen“. Sie zeigen, wie er meint, „etwas vom Geheimnis und der inneren Spannung, die der fertig gefügte architektonische Körper nicht mehr preisgibt: Die Kunst des Fügens, verborgene Geometrien, die Reibung der Materialien, die inneren Kräfte des Tragens und Haltens, die menschliche Arbeit, die in den Dingen steckt“. So gibt beispielsweise die Werkzeichnung Caplutta Sogn Benedetg, Sumvitg, Schnittdetail Wand/Fenster/Traufe millimetergenau, fast wie auf einem Röntgenbild, Einblick in die Konstruktion der Kapelle und demonstriert, wie der Architekt die unterschiedlichen Flächen, also Schindeln, Fenster, Blechdach etc., aneinanderfügt, ohne sie miteinander zu verschmelzen. ◊ Abb. 3 Der Schnittzeichnung gegenübergestellt ist eine Aufnahme von Hans Danuser, die den Betrachtern den Vergleich zur fertig gebauten Kapelle ermöglicht. ◊ Abb. 4 Noch einprägsamer als die Metapher der anatomischen Zeichnung ist der Vergleich mit der Partitur. Er betrachtet sie als „verbindliche Grundlage“ für die „Aufführung“ 10 Zumthor: Partituren und Bilder (s. Anm. 7), S. 9. 11 Zumthor: Partituren und Bilder (s. Anm. 7), S. 9. 12 Dieses und die folgenden Zitate Zumthor: Partituren und Bilder (s. Anm. 7), S. 10.
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und betont, dass nur das, was nicht in ihnen enthalten ist, „der Aufführungspraxis und der Interpretation durch die Ausführenden“ überlassen sei. „Diese Ausstellung zeigt architektonische Partituren. Und sie zeigt Bilder von Werken, die nach diesen Partituren aufgeführt wurden. Die Sprache der Bilder ist die künstlerische Sprache des Fotografen Hans Danuser. Er spricht in dieser Sprache über unsere Aufführungen.“ 13
Der letzte Abschnitt des Textes zeugt davon, wie weit sich die Architektur in jener Zeit in die Hände von anderen Medien begibt und wie offen die Schranken der Gattungen für einen Moment waren. Einerseits lehnte sich die Architektur an die aus der Praxis der bildenden Kunst stammenden Konvention an, mittels Ausstellungen an die Öffentlichkeit zu treten. Andrerseits suchte sie die Nähe zur Fotografie. Und schließlich gebärdete sie sich, zumindest wenn wir Zumthor folgen, auch stellenweise wie die Musik. Ein Grund dafür, dass Architektinnen und Architekten die Grenzen der Gattung infrage stellten, war zweifellos, dass sie sich bemühten, aus der Isolation herauszukommen, in welche die Architektur in der Nachkriegszeit geraten war. Denn die Bautätigkeit zur Zeit des Wirtschaftswunders hatte dazu geführt, dass die Architektur im Vergleich zur Kunst oder auch der Musik ihre einstige kulturelle Autonomie eingebüßt hatte. In den Augen einer am kritischen Diskurs interessierten Öffentlichkeit war sie zum Diener der Bauindustrie herabgesunken. Für die 68er-Generation verkörperte sie gleichsam das „Establishment“. Danusers Fotografien haben die Rezeption von Zumthors Bauten in den 1990erJahren entscheidend geprägt. Die Werkzeichnungen waren hingegen, wie der Architekt selber anmerkt, in erster Linie für Spezialisten gedacht. Und dennoch ist ihre Präsenz in der Ausstellung und im Katalog bedenkenswert, ebenso wie ihre Charakterisierung durch den Architekten als „Partituren“. Denn seit Langem hatte kein anderer Architekt so klar die Hypothese geäußert, dass nicht das Gebäude selber als abgeschlossenes, fertiges Produkt (beziehungsweise die Verweise auf dieses Produkt) im Zentrum einer Ausstellung stehen sollte, sondern das, was zwischen der Intention und der Wirklichkeit steht, das, was den Prozess der Realisierung erst in Gang setzen kann, nämlich der Werkplan. Wenn Zumthor, wie oben zitiert, auf die „menschliche Arbeit, die in den Dingen steckt“ verweist, dann deutet er auf ein Thema hin, das die Architektur im 19. und 20. Jahrhundert weitgehend verdrängt hatte, nämlich die von Karl Marx diagnostizierte Entfremdung der Menschen von den Produkten ihrer 13 Zumthor: Partituren und Bilder (s. Anm. 7), S. 9.
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Arbeit. Die für die visuelle Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts charakteristische Operation der Repräsentation, also der Übersetzung einer Realität in ein anderes Medium, entspricht der kapitalistischen Ökonomie, weil sie diese Entfremdung ausblendet. In einer Darstellungsökonomie, die sich um die Selbstreferenzialität von Kunst drehte, die also durch das dominiert war, was seit dem mittleren 19. Jahrhundert mit l’art pour l’art bezeichnet wurde, gab es für das arbeitende Subjekt keinen Platz. Zumthor bringt in seiner Ausstellung somit unter anderem auch die in der Architekturdiskussion meistens verdrängte Figur des arbeitenden Menschen wieder ins Spiel. Dies erklärt seine Skepsis gegenüber jeglicher Form von Abstraktion und sein fortwährendes Insistieren auf dem Singulären, dem Konkreten und Wirklichen. Dies erklärt auch die Ablehnung der Skizze, in welcher der Entwurfsprozess gleichsam verkürzt – und als künstlerischer beziehungsweise „genialer“ Akt heroisiert ist. Es geht ihm darum, den Plan nicht als Fetisch, das heißt als Ersatz für das Ganze, zu inszenieren und zu instrumentalisieren, sondern als Manifestation eines komplizierten, lang dauernden Arbeitsprozesses, ohne den Architektur nicht möglich ist und ohne den es auch keine gebaute Architektur geben kann. Gerade dies
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3: Caplutta Sogn Benedetg, Sumvitg, Schnittdetail Wand/Fenster/Traufe.
4: Hans Danuser: Caplutta Sogn Benedetg, Sumvitg, Ansicht von Westen, Barytpapier, 50 × 40 cm, 1988.
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5: Atelier Zumthor, Haldenstein, Fassadenstudie.
6: Schutzbauten über römischen Funden, Chur. Details Eingang und Passerelle, Grundriss und Schnitt.
legitimierte es, den Plan in Ausstellungen oder Publikationen abzubilden und zwar möglichst als Objekt, als Zeugnis, und nicht grafisch bereinigt wie in so manchen Architekturpublikationen. In Gestalt der Werkpläne ist, so die These, die spezifische Arbeit der Architekten präsent. Es ist deshalb konsequent, dass Zumthor die Werkzeichnungen nicht – wie in Architekturpublikationen üblich, und wie er selber es später auch zu tun pflegte – für die Publikation überarbeitete und „bereinigte“. Zumthor druckte die Werkpläne vielmehr in Form von dokumentarischen Fotos ab – so, dass sich die vielen einzelnen Striche der aus Latten konstruierten Fassaden verfolgen lassen, dass die Maßangaben und Hinweise ebenso wie die Planköpfe lesbar sind und man den Bau aufgrund der vorliegenden Daten nachbauen könnte. Die Atelier Zumthor, Haldenstein, Fassadenstudie befindet sich an der Grenze zwischen Skizze und Werkzeichnung.14 ◊ Abb. 5 Jede einzelne Latte ist gezeichnet, die Konstruktionsart hingegen wird nicht deutlich gemacht. Die Zeichnung demonstriert einerseits die formale Wirkung, die vom Bau ausgehen sollte und die an die Wandzeichnungen eines Sol LeWitt oder die Gemälde einer Agnes Martin erinnert. Es zeugt aber auch von der Herausforderung und gleichzeitig vom Genuss, den es bereitet, eine schier endlose Reihe von Linien von Hand zu Papier zu bringen. Beim Betrachten des Planes meint man fast, die Geräusche des Aufsetzens des Stiftes, des Ziehens der Linie, des
14 Partituren und Bilder, Ausst.kat. (s. Anm. 1), S. 24.
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Verschiebens des Maßstabes zu hören und kann sich hineinversetzen in die Mischung aus Aufmerksamkeit und Tagträumerei, die der Zeichner damals verspürt haben mag. Mit Schutzbauten über römischen Funden, Chur. Details Eingang und Passerelle, Grundriss und Schnitt15 dokumentiert Zumthor seine eigenen Werkzeichnungen so, wie ein Denkmalpfleger Archivmaterial darstellen würde, um auch ihre Materialität zu betonen. ◊ Abb. 6 Er verbirgt dabei nicht den repetitiven, zuweilen in der Herstellung sicherlich auch eintönigen Charakter der Plandarstellungen, also die säuberlich nebeneinander aufgezeichneten Latten, die minutiös umrissenen Steine, die Details der Konstruktion. Den schieren Strichen – damals, fast ein Jahrzehnt vor der Einführung von Computern in den Schweizer Architekturbüros noch von Hand gezogen – ist gleichzeitig die Mühe wie der Genuss der Arbeit anzusehen. Die Betrachter können die Zeitdauer der Herstellung nachvollziehen und sich vorübergehend mit dem Architekten, den Bauzeichnern, den Handwerkern identifizieren. Vergleichbar der Musik ist die Architektur im Moment, da die Leser den Katalog aufschlagen, für einen Augenblick anwesend, präsent und zugleich, in ihrer gebauten Form, unfassbar. Diese Konstellation ließ sich allerdings nicht wiederholen. Zumthor arbeitete in der Folge nicht mehr mit dem Künstler und Fotografen Hans Danuser zusammen, und auch Werkzeichnungen finden sich in den Ausstellungen nicht mehr. Mit dem – unter anderem auch durch die Ausstellung und die damit einhergehende Katalogpublikation geförderten – Erfolg in der Welt der Architektur rückte die Frage der Repräsentation an den Rand. Der Rang der Architekten sollte sich ab den frühen 1990er-Jahren wieder an dem messen, was sie bauten und nicht daran, was sie nicht bauten. Die Thematik der Darstellung ihrer Arbeit wurde absorbiert von der Figur des Stararchitekten, der scheinbar mühelos über jeden Widerstand triumphiert. Die Architekturfotografie wiederum trat in die zweite Reihe zurück und begnügte sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit der Rolle der Dokumentation und Propaganda von Bauten. Eine kurze und außergewöhnlich fruchtbare Phase in der langen Geschichte der Planbilder war zu Ende.
15 Partituren und Bilder, Ausst.kat. (s. Anm. 1), S. 50.
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Übersetzungen in die Architektur. Seifenhautmodelle von Frei Otto Die Arbeitsweise des Stuttgarter Architekten Frei Otto (1925–2015) ließe sich – eine gewisse künstlerische Freiheit vorausgesetzt – besonders anschaulich in einem Comic darstellen. Otto und seine Kollegen stünden um einen mit einer magischen Flüssigkeit gefüllten Kessel herum, würden in regelmäßigen Abständen seltsam geformte Drahtstäbe hineintauchen und mit großen Augen und offenem Mund über das staunen, was sie nach nur kurzer Zeit aus dem Kessel wieder herauszögen. Denn die Flüssigkeit würde in diesem Moment Architektur erzeugen. Oder zumindest die Form künftiger, noch zu bauender Architektur offenbaren. In der Realität sah die Arbeitspraxis um den Architekten freilich weniger spiritistisch aus. Doch die Rahmendaten stimmen: Am Institut für Leichte Flächentragwerke (IL), das im Jahr 1964 von der Universität Stuttgart für Otto eingerichtet wurde, experimentierten er und seine Kollegen mit Seifenlösungen, die sie – der Funktionsweise von Pustefix-Seifenblasen gleich – durch das Eintauchen unterschiedlich geformter Drahtrahmen dazu brachten, sich in bestimmten Formen als „Seifenhaut“ in nichtgeometrischen Formen aufzuspannen. Grundlage der Experimente war das Wissen darum, dass eben jene Haut besonders effizient immer diejenige Minimalfläche innerhalb des geschlossenen Rahmens einnimmt, welche die geringste Oberfläche bildet und an der die Spannungsverhältnisse überall gleich verteilt sind. Übertragen auf die Architektur sollten damit Formen gefunden werden, die mit minimalem Materialaufwand maximal stabile Konstruktionen ermöglichen. Die Gestalt zahlreicher temporärer Zeltkonstruktionen sowie diejenige des Weltausstellungspavillons von 1967 in Montreal ◊ Abb. 1 und die der Münchener Olympia architektur von 1972 gehen im Wesentlichen auf Ottos Modellexperimente mit Seifenlösungen zurück. Architektonische, also per definitionem dauerhaft-beständige Formen, wurden abgeleitet aus einem Augenblick der liquiden Selbstorganisation. War „das Fluide“ damit zum eigentlichen Medium und Akteur des architektonischen Entwurfsprozesses geworden? Wo lagen die Grenzen der gezielt herbeigeführten Eigentätigkeit respektive Unberechenbarkeit des Formfindungsprozesses? Und: Welche Eigenschaften des Liquiden blieben später ablesbar auch in der Ästhetik der realisierten Architektur? Seifenhaut für Montreal
Die Planung für den 1967 errichteten Weltausstellungspavillon in Montreal war eine Premiere: Das erste Mal konnte Frei Otto in der Zusammenarbeit mit Rolf Gutbrod die grundsätzlichen Überlegungen und Forschungen seines Stuttgarter Instituts auf ein großformatiges, vergleichsweise beständiges Bauprojekt anwenden, das über die bis
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1: Der Deutsche Pavillon auf der Expo 1967 in Montreal, errichtet nach Plänen und Modellen von Frei Otto und Rolf Gutbrod. Zeitgenössische Fotografie.
dato angefertigten Konstruktion von Zelten weit hinausging.1 Das spektakulär zwischen den Hochpunkten von acht Masten und den entsprechenden Tiefpunkten aufgespannte Dach geht im Wesentlichen auf erste Formfindungsversuche mit Seifenhäuten zurück. Zwar hatte Otto schon seit den 1950er-Jahren mit Seifenhäuten experimentiert und damit die Formen für Zeltkonstruktionen, beispielsweise auf der Internationalen Bauausstellung 1957 in West-Berlin, gefunden. Durch die Steifigkeit der Materialien in Montreal und die schiere Größe der immerhin rund 10.000 Quadratmeter messenden Dachkonstruktion entstand 1967 allerdings das erste Mal „richtige Architektur“ auf Grundlage der Formfindungsexperimente mit Seifenhäuten. „Der Anspruch dieses Gebäudes“, so schrieb Otto später, „war größer als das, was man üblicherweise unter schnell auf- und abgebauten Zelten versteht“.2 In Stuttgart hatten Otto und seine Mitarbeiter zu Beginn der Planung ein erstes Ideenmodell „gebaut“, bei dem sich die Seifenhaut zwischen einem punktuell im Kreisrund befestigten, geschlossenen Fadenring aufspannte. ◊ Abb. 2 Entlang einer Seilschlaufe, die senkrecht nach oben gezogen wurde, entwickelte sich die Haut in die Höhe. Das Prinzip der Konstruktion für Montreal war damit weniger abgebildet, als mit dem Modellexperiment überhaupt erst gefunden, so dass in diesem Zusammenhang von „Formfindungsmodellen“ gesprochen wurde. Ausgehend von dem Wissen um die Eigenschaften der Minimalflächen konnten Otto und seine Kollegen am 1 Vgl. F. M. Sitte, G. Eisenberg (Red.): Expo ´67 Montreal – Deutscher Pavillon. Dokumentation über das Bauwerk, Düsseldorf 1967, S. 16; Christiane Weber: Frei Otto – Experimentelle Modelle. In: Oliver Elser, Peter Cachola Schmal (Hg.): Das Architekturmodell. Werkzeug, Fetisch, kleine Utopie, Ausst.kat., Frankfurt a. M. 2012, S. 45–50, S. 49. 2 Berthold Burkhardt, Frei Otto, Ilse Schmall (Red.): IL 16, Zelte, Stuttgart 1976, S. 73.
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Modell die Grundlagen der künftigen architektonischen Gestalt ablesen. Sie machten sich damit ein Konstruktionsprinzip zu eigen, das nicht in traditioneller Weise das Eigengewicht der Bauten mittels vertikaler Druck kräfte abträgt, sondern das Prinzip der gleichmäßig auf alle Punkte der Dachfläche verteilten Zugkräfte. Das beschriebene Seifenhautmodell mit nur einem Hochpunkt bezog sich lediglich auf einen Teil des für Montreal vorgesehenen Dachs. Die eigentliche Konstruktion sollte später zwischen acht Hochpunkten aufgespannt werden. Hierfür lieferte diese erste Seifenhaut die wesentli2: Ein erstes Ideenmodell aus Seifenhaut für den Weltausstellungs chen Erkenntnisse zur Formfindung. pavillon am Stuttgarter Institut für Leichte Flächentragwerke, Übertragen in ein „komplettes“ und ca. 1967. nun beständigeres Modell aus dünnen Stahldrähten und elastischem Drahtnetz im Maßstab 1:75 konnten die Entwerfer um Frei Otto die wichtigsten Konstruktionsdetails erfassen, messen und rechnerisch auswerten.3 Ein wiederum vereinfachtes Modell um nur einen Hochpunkt ist bis heute erhalten. ◊ Abb. 3 In einem weiteren Schritt wurde ein Teilstück der anvisierten Dachkonstruktion als 1:1-Versuchsmodell in Stuttgart-Vaihingen errichtet.4 ◊ Abb. 4 Diese Konstruktion, in der sich später – neu errichtet an anderem Ort – Ottos eigenes Forschungsinstitut befinden sollte, glich der Form des ursprünglichen Seifenhautmodells und diente dazu, die mit Hilfe der Flüssigkeit gefundene Form nochmals statisch zu überprüfen. Das durch physikalische Gesetze bestimmte Formverhalten der flüssigen Seifenlauge blieb also Ausgangspunkt sowohl für die Herstellung weiterer Modelle als auch für die Gestalt des endgültigen und trotz seiner Kurzlebigkeit bis heute populären Pavillons auf der Weltausstellung.
3 Sitte, Eisenberg (s. Anm. 1), S. 16. 4 Sitte, Eisenberg (s. Anm. 1), S. 146f.; der Stuttgarter Versuchsbau ist bis heute erhalten.
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3: Vereinfachtes Messmodell zur statischen Vermessung und Überprüfung der ermittelten Dachform.
Die Unmittelbarkeit der fluiden Selbstbildung
Konkrete, von Otto realisierte Bauten wie der Montreal-Pavillon standen am Stuttgarter IL höchstens zeitweise im Mittelpunkt und sind auch für die hiesigen Ausführungen nur als prototypisches Fallbeispiel zu verstehen. Otto und seine Kollegen waren vielmehr an der grundsätzlichen Erforschung von architektonischen Formfindungsprozessen interessiert. Mit Hilfe der Seifenhaut wurden mögliche und möglichst effiziente Konstruktionsformen im Zuge von „Formentdeckungsprozessen“ 5 nicht nur dargestellt und ausgewertet, sondern überhaupt erst ge- und damit für den Bereich des architektonischen Entwerfens erfunden. Über lange Zeitabschnitte, so lautet zumindest die Selbstdarstellung des IL, sei es bei den Modellversuchen nicht um die Formfindung für konkrete Architekturwettbewerbe oder Bauvorhaben gegangen. Andernfalls, so Otto und seine Mitarbeiter Klaus Bach und Berthold Burckhardt, würde der Architekt „vom Zeitdruck überrollt“. Entwicklungen „grundsätzlicher Art“ – und vor allem darum sei es dem Institut schließlich gegangen – würden oft „Jahre und Jahrzehnte“ dauern. „Diese können nicht auf ein ganz bestimmtes Gebäude ausgerichtet sein, sie müssen breit angelegt sein und sich auf die Architektur als Ganzes beziehen.“ 6
5 Philip Drew: Frei Otto. Form und Konstruktion, Stuttgart 1976, S. 12. 6 Klaus Bach (Red.): IL 18, Seifenblasen. Forming Bubbles, Stuttgart 1988, S. 11.
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4: Das 1:1-Testmodell für den Montreal-Pavillon im Jahr 2005.
Dabei habe man sich nicht, so Otto, „um ein bienenfleißiges Zusammentragen von Erkenntnissen aus schwer überprüfbarer Literatur bemüht“. Vielmehr habe das Kollegium „selbst nachgedacht, selbst entwickelt und an vielen Stellen mit eigenen Experimenten […] geprüft“.7 Bereits seit den 1940er-Jahren hatte Richard Buckminster Fuller (1895–1983) mit seinen geodätischen Kuppeln Konstruktionsprinzipien aus der Natur auf Architektur übertragen. Bezüge gibt es auch zur Arbeit von Walter Bird (1912–2006) im gleichen Zeitraum. Vor allem zur Forschung Buckminster Fullers lagen bereits Anfang der 1960er-Jahre ausführliche Publikationen vor.8 In den 1970er-Jahren publizierte Walter Bird über seine pneumatischen Luftkonstruktionen sogar in der Schriftenreihe des IL.9 Die Konzentration des Stuttgarter Kollegiums richtete sich nach eigener Darstellung allerdings ausschließlich auf die epistemischen Potenziale der eigenen Versuchsanordnungen. Der Architekt Conrad Roland schwärmte bereits Mitte der 1960er-Jahre von der Arbeitsweise des IL: „Die Entwicklung der Konstruktionsformen am Modell unterscheidet sich wesentlich von der üblichen Methode des Entwerfens nach einer vorbestimmten ‚Entwurfsidee‘. Die beste konstruktive Lösung soll sich auf experimentellen, am Anfang noch völlig offenen Wegen ‚fast von selbst entfalten‘, indem man den Gesetz 7 Frei Otto: Selbstbildung. Physikalische und konstruktive Entstehungsprozesse in Architektur und Natur, Stuttgart 1984, S. 10. 8 Robert W. Marks: The Dymaxion World of Buckminster Fuller, New York 1960; John McHale: R. Buckminster Fuller (übersetzt von W. O. Drescher), Ravensburg 1964. 9 Burckhardt, Otto, Schmall (s. Anm. 2).
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mäßigkeiten der Konstruktion behutsam zu folgen versucht.“ 10 Ähnlich definierte zuletzt der Architekturhistoriker Georg Vrachliotis die Qualität von Ottos Architektur: „Es ist […] nicht der architektonische Entwurf, der nach einer technischen Lösung verlangt. Vielmehr sind es die Formfindungsprozesse, die von den Gesetzmäßigkeiten der Leichtbaukonstruktion geleitet werden.“ 11
Beide Zitate entfalten eine – von Otto sicherlich beförderte – Idealisierung: Bei den Modellversuchen mit Seifenhäuten delegierten die Architekten zwar einen Großteil der Formfindung an die Flüssigkeit. Indem sie aber zuvor die Rahmen herstellten, indem sie die genaue Rezeptur für die Seifenhaut bestimmten und sie später beispielsweise durch weitere Rahmen oder den Einsatz von Luftdruck und Wind veränderten, nahmen sie sehr wohl Einfluss. Sie lenkten die Experimente damit in die Richtung einer schon zuvor anderweitig entwickelten Entwurfsidee. Die von Roland propagierten „völlig offenen Wege“ wurden so eingeengt. Insofern konnte sich die „beste“ konstruktive Lösung für ein Gebäude höchstens „ fast von selbst“ entfalten. Die Kritik an Rolands Zitat verweist auf die Besonderheit von Ottos Umgang mit dem Fluiden und seiner Selbsttätigkeit: Indem die Architekten die Selbstbildungsprozesse der Seifenhaut in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellten, machten sie sich – im tatsächlichen Wortsinn – die Unberechenbarkeit ihrer Formfindung zunutze, bewahrten sich aber dennoch die Möglichkeiten der Einflussnahme. Diejenige Konstruktion, die die Seifenhaut im Modellversuch „vorschlug“, konnte für die Entwerfer niemals völlig überraschend sein, der Unvorhersehbarkeit der Formbildung waren enge Grenzen gesetzt. Trotzdem waren die Mitarbeiter stets auf den Beitrag des Fluiden angewiesen, sowohl im Bereich der Entwurfsarbeit als auch in Bezug auf die Möglichkeiten der Visualisierung. Denn auch noch nach dem „Finden“ der architektonischen Formen durch die Seifenhaut blieb das Modell – oder zumindest seine fotografische Reproduktion – von Bedeutung. Es bot die Grundlage für weitere Arbeitsschritte und war anderen Darstellungsmedien, wie beispielsweise der Zeichnung bei der Visualisierung der gefundenen Lösung, weit überlegen. So verwies zuletzt Christiane Weber darauf, dass es beim damaligen Stand der Technik „nahezu unmöglich“ gewesen sei, Ottos Entwürfe präzise zu zeichnen. Deshalb habe er „das Modell als Medium [benötigt,] um die Idee zu materialisieren“.12 10 Conrad Roland: Frei Otto – Spannweiten. Ideen und Versuche zum Leichtbau, Berlin/Frankfurt a. M./ Wien 1965, S. 3. 11 Georg Vrachliotis: „Man muss mehr denken, mehr forschen, entwickeln, erfinden und wagen …“. In: Irene Meissner, Eberhard Möller (Hg.): Frei Otto. Forschen, bauen, inspirieren, München 2015, S. 32–35, S. 32. 12 Weber (s. Anm. 1), S. 45.
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Mit der Unmittelbarkeit der sofortigen Formfindung hängt die besondere Fragilität der fließenden Vorbild-Strukturen zusammen. So schnell und eindeutig sich die gesuchte Form im Medium der fluiden Minimalfläche bildete, so schnell verschwand sie auch wieder. Als Mitarbeiter Ottos berichtete beispielsweise Klaus Bach mit latenter Ironie über das Fotografieren der Modelle: „Seifenhäute sind sehr vergänglich. Beim Fotografieren muß alles sehr schnell gehen, dennoch platzt die Seifenhaut meist kurz vor dem Auslösen.“ 13 Um die Seifenhäute möglichst lange zu erhalten und ihre Auswertung zu ermöglichen, entwickelten die Mitarbeiter des IL zwischen 1964 und 1965 sogenannte „Minimalwege-“ und „Minimalflächengeräte“ mit denen es möglich war, die Lebensdauer der Seifenhäute durch Befeuchtung, Kühlung und fortlaufende Tensidbeigabe maximal zu erhöhen.14 So hätten die Häute hier zeitweise sogar bis zu drei Wochen gehalten.15 Damit verbunden entwickelte das IL-Kollegium Vorrichtungen und Verfahren, um die Gestalt der Seifenhäute innerhalb der Apparatur auch fotografisch festhalten zu können.16 Übertrag und Analogie: Vom Experiment in die Wirklichkeit
Damit rückt ein weiterer Aspekt in den Mittelpunkt der Forschungsarbeit des IL: derjenige der Weiterverarbeitung, der Übertragung der Erkenntnisse in andere Medien sprichwörtlich nach dem Platzen der Seifenhaut. „Bei keinem [der] Projekte […] waren die Seifenhäute das alleinige Medium des Entwerfens. Es wurden stets viele Modelle auch aus anderen Materialien gebaut und diese statisch und geometrisch vermessen.“ 17 Bei der Betrachtung konkreter Entwurfsprozesse wird dennoch deutlich, dass die Seifenhautmodelle stets eines der ersten Medien waren, von denen aus die gefundenen Formen weiter entwickelt wurden. Der große Teil der eigentlichen architektonischen Entwurfsarbeit lag in diesem Sinne in der Nachbereitung dessen, was die Flüssigkeit durch ihr Formfindungsverhalten offenbart hatte. Hierzu waren gleich mehrere Medienwechsel und das Zusammenspiel von zwei- und dreidimensionalen Visualisierungspraktiken vonnöten. Parallel zu den Konzepten der Haltbarmachung von Seifenhäuten entwickelten die IL-Mitarbeiter mit ihrer Seifenhautmaschine Möglichkeiten der fotografischen Fixierung der entstandenen Formen. Sie machten sich hierfür die „Photogramm-
13 14 15 16 17
IL 18 (s. Anm. 6), S. 352. IL 18 (s. Anm. 6), S. 20. IL 18 (s. Anm. 6), S. 321. IL 18 (s. Anm. 6), S. 326f. IL 18 (s. Anm. 6), S. 21.
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technik“ 18 zunutze, bei der durch eine bestimmte Linsenanordnung entlang einer „optischen Bank“ 19 parallel geführte Lichtbündel durch das Modell schienen und eine zweidimensionale „kräftig konturierte Silhouette“ 20 der Seifenhaut auf einen dahinter liegenden Schirm warfen. Besonderes Charakteristikum dieses Verfahrens: Eine das Abbild verzerrende Perspektive wird vermieden, zudem werden alle Bereiche der Silhouette in gleicher Schärfe erfasst. In ihrer Abhandlung über das Fotografieren der Modelle wiesen die IL-Mitarbeiter allerdings auch darauf hin, dass der Wegfall der Perspektive im Abbild Nachteile mit sich bringen kann: „Dieses kann Photogramme räumlicher Konfigurationen schwer verständlich machen, so daß eine zusätzliche perspektivische Skizze nötig wird.“ 21 Die Beschreibung zeigt: Eine bildliche Fixierung der mit dem Modell gewonnenen Form war nur zum Preis ihrer Übertragung in ein zweidimensionales Medium zu haben. Trotz der jahrelangen Entwicklungsarbeit an den fotografischen Vorrichtungen in der Seifenhautmaschine trauten die Mitarbeiter des IL ihrer technischen Apparatur dabei ganz offenbar nicht zu, alle im dreidimensionalen Modell enthaltenen Informationen in das zweidimensionale Medium der Fotografie „herüberzuretten“. Die händische Perspektivzeichnung wurde dem technischen Abbildverfahren deshalb zusätzlich zur Seite gestellt. Über den Umweg des Zweidimensionalen gingen die Entwerfer schließlich zurück ins Modell: Auf Grundlage der Fotografien und Zeichnungen wurden nun Messmodelle aus Draht und Stoff gebaut und vermessen. Damit konnten sowohl Daten für die Realisierung des Bauwerks gewonnen als auch dessen anvisierte Form unter statischen Gesichtspunkten überprüft werden. Die durch das Messverfahren ermittelten Daten mussten nun wiederum transferiert werden: In Zahlenkolonnen, mit Tabellen, Diagrammen und Berechnungen wurde die Übertragung in zweidimensionale Planzeichnungen und Skizzen für die endgültige, freilich dreidimensionale architektonische Ausführung vorbereitet.22 Der Weg vom selbsttätigen Formfindungsprozess des Fluiden hin zur ausgeführten Architektur zeigt sich damit als vielfachen Transformationen unterworfen und von Medium zu Medium vermittelt. Der Einfluss der Modellversuche mit Seifenhäuten auf das realisierte Bauwerk erweist sich als ein nur mittelbarer. Die Arbeit der Architekten im IL bestand also nicht nur im so prominent propagierten grundsätzlichen Verstehen der Versuchsanordnungen, sondern auch im konkreten Übertragen der Ergebnisse 18 19 20 21 22
IL 18 (s. Anm. 6), S. 353. Weber (s. Anm. 1), S. 47. IL 18 (s. Anm. 6), S. 354. IL 18 (s. Anm. 6), S. 354. Roland (s. Anm. 10), S. 2.
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über die Grenzen und Differenzen zahlreicher Medien hinweg. Die Selbsttätigkeit der Seifenhaut schuf im Institut Frei Ottos zwar häufig erste Grundlagen. Sie lieferte „Formen, die nicht entworfen werden konnten“.23 Ihre daran anschließende Rolle, so zeigt der Blick auf die wirklichen Entwurfsprozesse, darf allerdings weder idealisiert noch insgesamt überschätzt werden. Ottos Architektur zwischen Formästhetik und Zwangsläufigkeit
Die Betrachtung der zahlreichen Übertragungen und Medienwechsel auf dem Weg von der fluiden Formfindung hin zur Architektur zeigt, wie wenig zwangsläufig und unmittelbar der Einfluss der physikalisch determinierten Selbsttätigkeit der Seifenlösung auf die ausgeführten Bauten tatsächlich war. Die Einflussmöglichkeiten des – eben auch ästhetisch denkenden – Architekten bei der „Geburtshilfe“ waren nicht nur bei der Vor-, sondern auch während der Nachbereitung der Modellversuche enorm. Der Pavillon in Montreal und die Olympiadächer in München sehen zwar aus wie monumental aufgespannte, plötzlich erstarrte Seifenhäute. Sie sind es aber nicht. Ihre besondere Ästhetik verdanken sie – wie zwangsläufig jede Architektur – zu einem Großteil den ästhetisch motivierten Entscheidungen ihrer Planer. Speziell diese beiden Bauvorhaben sollten auch durch ihre Formensprache bestimmte politische und gesellschaftliche Werte verkörpern und kommunizieren. Die Ästhetik des leichten, transparenten und temporären Bauens war für das Selbstverständnis der Bundesrepublik auch in den 1960er- und 1970er-Jahren in Abgrenzung zum Monumentalismus der NaziZeit noch höchst willkommen.24 Schon der Rückgriff auf die Praxis der Formfindung durch fluide Seifenhäute an sich erweist sich vor diesem Hintergrund als zum Großteil auch ästhetisch motiviert. In diesem Sinne schreibt Christiane Weber von Frei Otto als einem „Grenzgänger zwischen einer gestalterisch argumentierenden Architektur und der wissenschaftlich-rechnerischen Exaktheit des Ingenieurbaus“.25 Ähnliches ließe sich über die Rolle der fluiden Materialien während des Formfindungsprozesses formulieren. Ihr Einfluss lag eben nicht nur darin, besonders effiziente Konstruktionen vor Augen zu stellen, sondern auch darin, die ihnen eigene Ästhetik für eine besondere Spielart der architektonischen Moderne zur Verfügung zu stellen, die nur durch den aktiven Beitrag anderer Medien und der Planer für den Entwurfsprozess nutzbar wurden.
23 Drew (s. Anm. 5), S. 11. 24 Vgl.: Winfried Nerdinger: Frei Otto. Arbeit für eine bessere ‚Menschenerde‘. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Frei Otto. Leicht bauen – natürlich gestalten, Basel/Berlin 2005, S. 8–15, S. 11. 25 Weber (s. Anm. 1), S. 45.
Rolf Sachsse
Erweiterungen des Bildraums. Einzeichnung und Fotocollage als Planungsverfahren bei Ludwig Mies van der Rohe Zu den Gründungsmythen der Moderne gehört die Abkehr von handwerklichen Fertigkeiten im Prozess von Entwurf und Gestaltung; sie ist gekoppelt mit der Hervorhebung kommunikativer Kompetenzen und medialer Gebrauchsformen zur Unterstützung der eigenen Arbeit. Der Architekt Walter Gropius war sich seiner begrenzten Fähigkeiten als Zeichner wohl bewusst und setzte für seine Entwurfsarbeit auf lange Gespräche und sprachlich formulierte, theoretische Prämissen, die von Mitarbeitern seiner Büros umgesetzt wurden.1 Ein Maler wie László Moholy-Nagy bekannte offen, zu handwerklicher Arbeit nicht fähig zu sein, und freute sich über die – wenigstens gedanklich formulierbare – Möglichkeit, seine malerischen Kompositionen in einem Koordinatensystem per Telefon einer ausführenden Firma mitteilen zu können.2 Analog wurden im Baubüro von Walter Gropius Techniken der Automatisierung von Entwurfs- und Arbeitsvorgängen erprobt, die Ernst Neufert später in seiner Bauentwurfslehre zusammenfassen wird.3 Martino Stierli hat in einem ausführlichen Kommentar der vorliegenden Literatur die Beziehung von Ludwig Mies van der Rohe und der Künstlerbewegung Dada sowie der daraus hervorgegangenen Gruppe von konstruktivistischen Künstlern und Experimentalfilmern geschildert; für ihn ist die Nähe des Architekten Mies zu Exponenten der künstlerischen Avantgarde als Basis seiner Entwurfsstrategien von besonderer Bedeutung.4 Dabei streift er nur kurz die Herkunft der Einzeichnung, Collage und Fotomontage als bereits früher genutzte, persuasive Bildtechniken und beruft sich für die Geschichte der fotografischen Collage aus alltäglichen Ursprüngen allein auf ein Beispiel aus der Sammlung von Hanna Höch.5 Die vorliegende Arbeit hat den Anspruch aufzuzeigen, dass es sich bei allen drei Techniken um lang vorhandene, vernakulär dauerhaft praktizierte Verfahren handelt, die insbesondere zur Überwindung der – fast durchwegs als einengend empfundenen – zentralperspektivisch organisierten Abbildung sowie einiger technischer Einschränkungen des fotografischen Verfahrens genutzt wurden. Dabei handelt es sich zwar durchwegs um Techniken aus dem Bereich von Medien und Kunst, sie bilden 1 Winfried Nerdinger: Der Architekt Walter Gropius. Zeichnungen, Pläne, Fotos, Werkverzeichnis, Berlin 1985, S. 29–32. 2 Lucia Moholy: Marginalien zu Moholy-Nagy, Marginal Notes, Dokumentarische Ungereimtheiten …, Documentary Absurdities …, Krefeld 1972, S. 32–38. 3 Vgl. Walter Prigge (Hg.): Ernst Neufert. Normierte Baukultur im 20. Jahrhundert, Edition Bauhaus, Bd. 5, Frankfurt/New York 1999. 4 Martino Stierli: Mies Montage. Mies van der Rohe, Dada, Film und die Kunstgeschichte. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 2011, Jg. 74 (3), S. 401–436. Weiterführende Hinweise auf Mies’ Entwürfe in diesem Text. 5 Stierli (s. Anm. 4), S. 408.
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jedoch in ihrer perspektivischen und darstellerischen Komplexität Modelle eines genuin architektonischen Handelns ab. Sie sind wie folgt zu definieren:6 1. Die Einzeichnung erfolgt als zeichnerischer Akt in ein vorhandenes Objekt, gleich ob es sich dabei um eine Landkarte, ein grafisches Blatt, eine ältere Zeichnung, ein Gemälde oder eine Fotografie handelt. Für die Definition des Verfahrens ist unerheblich, um welche Form der Zeichnung es sich handelt: Von kurzen händischen Notizen bis zur sorgsam vorbereiteten technischen Planung ist alles möglich und wahrscheinlich. 2. Bei der Collage werden Bildteile und/oder Materialstücke auf eine Bildvorlage aufgeklebt. Sind die aufgeklebten Bildteile wie die Vorlage fotografischen Ursprungs, wird hier auch von einer Positivmontage gesprochen. Ein Sonderfall der Collage sind leporelloartige Aneinanderfügungen von Fotografien zur Zusammenstellung eines Panoramas oder Rundbildes. Für die Definition der Collage ist es hier unerheblich, ob die Bildteile oder -vorlagen vorgefunden oder absichtlich auf Maß hergestellt wurden, Letzteres zumeist auf fotografischem Weg. 3. Die Fotomontage bezeichnet ein Verfahren der Einbelichtung grafischer, typografischer oder fotografischer Bildelemente in eine andere Fotografie. Da dieses Verfahren zumeist durch die Herstellung von reproduktiven Abbildungen und Zwischen-Negativen bewerkstelligt wird, trägt es gelegentlich den Namen Negativ- oder Belichtungsmontage. Bei diesem Verfahren müssen alle Bildelemente sorgsam aufeinander abgestimmt werden. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in den allermeisten Fällen ein Master-Negativ, von dem beliebig viele Prints gezogen werden können. Wenn im Folgenden die drei Verfahren einzeln und in gelegentlichen Mischformen diskutiert werden, so sind sie in genau jener Form als implizites Wissen zu bedenken, wie sie von Richard Sennett und anderen in die Soziologie eingebracht worden sind.7 Das heißt, es handelt sich in den meisten Fällen um Formen des Gebrauchs von Techniken, aber auch von Sehweisen und Formen des Arrangements, die in handwerklicher Tradition, also ohne explizite Verbalisierung in ein ästhetisches Handeln eingebracht 6 Für die Punkte 2 und 3 vgl. das Glossar des Autors in Jürgen Pech (Hg.): Max Ernst in der Photographie, Ausst.kat., Brühl 1991, S. 419f. Diese Definition unterscheidet sich erheblich vom Wortgebrauch, den Martino Stierli in seinen Aufsatz eingebracht hat (s. Anm. 4, insbes. S. 403f.), und folgt in seiner Ontologie allein einem technischen Paradigma fotografischer Handarbeit. 7 Richard Sennett: Das Handwerk, Berlin 2008, S. 44–79.
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werden. Die ökonomischen, sozialen und politischen Grenzen dieser Handwerklichkeit sind von Michael Stürmer für das 18. Jahrhundert und damit für die Vorbereitung sowohl der ersten Industrialisierung als auch der Einführung technischer Medien im 19. Jahrhundert beschrieben worden.8 Es sind genau die Ebenen der Ästhetik, die zumeist unter dem Begriff des Vernakulären zusammengefasst werden und für die es in der angelsächsischen Fotohistoriografie bereits einige Ansätze gibt.9 Einzeichnung
Die für Ludwig Mies vertrauteste Form des Umgangs mit Bildern dürfte die Einzeichnung gewesen sein, 1: Joseph Windhausen, Ferdinand Langenberg: Entwurf für einen die sich als tägliche Praxis sowohl in Altar, undat. (ca. 1905), Fotografie mit opakem Überleger, Tusche, der Industrie als in der Bauplanung Nachlass Langenberg, Städt. Museum Goch. des späten 19. Jahrhunderts etabliert hatte,10 vor allem aber im Bereich der sakralen Holz- und Steinbildhauerei intensiv betrieben wurde.11 Zwei Beispiele aus einer niederrheinischen Bildhauer-Werkstatt des späten 19. Jahrhunderts können diese Praxis illustrieren. Zum einen wird mit der Fotografie eine Praxis des 16. und 17. Jahrhunderts wiederbelebt, wie sie in der Architekturdarstellung nicht selten war: die Entwurfsvariation durch einen opaken Überleger mit eigener Feder- oder Bleistiftzeichnung.12 ◊ Abb. 1 Im Beispiel eines neobarocken Altars aus der Werkstatt 8 Michael Stürmer: Herbst des Alten Handwerks. Zur Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts, München 1979. 9 Geoffrey Batchen: Vernacular Photographies. In: Ders.: Each Wild Idea. Writing, Photography, History, Cambridge, (Mass.)/London 2001, S. 56–81. 10 Sowohl im Bestand der Industriefotografie-Sammlung des Hamburger Museums für Arbeit wie im Stadtarchiv Bonn finden sich Beispiele hierfür. 11 Vgl. Ros Sachsse-Schadt: Ferdinand Langenberg (1849–1931). Ein niederrheinischer Bildhauer und seine Werkstatt, Diss.phil. Bonn 1996, S. 72–78. 12 Vgl. Elisabeth Kieven: Architekturzeichnung. Akademische Entwicklungen in Rom um 1700. In: Wolfgang Sonne (Hg.): Die Medien der Architektur, Berlin/München 2011, S. 15–32.
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von Ferdinand Langenberg wird mit dem Überleger anhand einer Fotografie des vorhandenen Raums geprüft, wie weit dieser Altar von seinem Erscheinungsbild her an diesen Ort „passt“; möglicherweise gab es ja auch andere Varianten. Medial anspruchsvoller und für die Mies’sche Praxis bedeutender mag jedoch eine zweite Form der Einzeichnung sein, wie sie am Beispiel der Kirche von Steinhausen mit einem Langenberg’schen Entwurf exemplifiziert werden kann. ◊ Abb. 2 Eine speziell für diesen Zweck angefertigte Fotografie wird mit „Farmer’schem Abschwächer“ behandelt und dadurch so präpariert, dass die eingefügte Entwurfszeichnung wesentlich stärker hervortritt als bei einem Überleger.13 Mit einer solchen Manipulation ist auch jede andere Form einer Vorbe2: Joseph Windhausen, Ferdinand Langenberg: Entwurf für einen arbeitung bis zur eigentlichen EinHochalter in Steinhausen, ca. 1902, Fotografie mit Tusche, Nachlass zeichnung, wie partieller ÜbermaLangenberg, Städt. Museum Goch. lung oder Einfärbung bestimmter Bildteile möglich, und wie sich an den Mies’schen Entwürfen für das Bingener Bismarck-Denkmal zeigt, auch praktikabel und weit bis in die 1920er-Jahre hinein genutzt worden. ◊ Abb. 3 Die Modernität des Einzeichnungsverfahrens verschiebt sich hier in den Übergang zur Retusche, die zur Hervorhebung von Objekten und Apparaten bis hin zur Freistellung vor weißem Hintergrund (als sogenannte „Maschinenretusche“) genutzt wurde.14
13 Edwin Mutter: Kompendium der Photographie, Bd. 2: Die Negativ-, Diapositiv- und Umkehrverfahren, Berlin 1962, S. 138–145. 14 Rolf Sachsse: Made in Germany as Image in Photography and Design. In: Christoph Lorey, John L. Plews (Hg.): Why German Matters. In: Popular Culture, Journal of Popular Culture, 2000. Jg. 34 (3), S. 43–58.
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3: Gebrüder Mies: Entwurf zu einem Bismarck-Denkmal auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück, 1910.
Collage
Im Jahr 1848 streitet der Fotograf Friedrich Carl Vogel in Frankfurt am Main mit seinen Kollegen Seib, Steinberger und Bauer um das Patent für ein Verfahren, das er für Gruppenporträts verwenden will: Er möchte jede Person einzeln aufnehmen, die Bilder passend ausschneiden und wieder zusammenfügen.15 Auch wenn der begutachtende Physikalische Verein zu Frankfurt insgesamt die Glaubwürdigkeit der Fotografie angegriffen sieht, erscheint die Praxis der Collage doch als gängige und wird endgültig nur nach der Priorität des Gebrauchs beurteilt. Mit den fotografischen Kopier- und Druckverfahren der 1860er- und 1870er-Jahre wird die Collage zum Standard eines Spiels mit der fotografierten Wirklichkeit, auf das sich nahezu alle einlassen, die das Verfahren zunehmend medial nutzen: Alle möglichen Formen der Bildkombination sammeln sich auf Album-Seiten, in Scherz- und Fantasie-Postkarten, wobei auch immer wieder architektonische Motive in Form fantastischer Burgen oder antiker Ruinen-Versatzstücke ins Bild kommen. Clément Chéroux geht sogar soweit, diese Praktiken als die eigentlichen Vorläufer der bildnerischen Avantgarde von Man Ray bis László Moholy-Nagy zu beschreiben.16 15 Eberhard Mayer-Wegelin: Frühe Photographie in Frankfurt am Main 1839–1870, München 1982, S. 29–31. 16 Clément Chéroux, Sam Stourzé: Avant l’avant-garde. Une archéologie de la modernité photographique. In: Jacques Defert (Hg.): Vives les modernités! XXXes Rencontres Internationales de la Photographie Arles, Ausst.kat., Arles 1999, S. 35–45.
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4: Anonymer Fotograf: Zwei Chorflügel und drei Figuren im Dom zu Halberstadt.
Doch auch im Arbeitsumfeld des frühen Ludwig Mies lassen sich CollagePraktiken nachweisen, deren Einfluss auf die benutzten Entwurfstechniken an der Schnittstelle von Architektur und Skulptur nicht zu unterschätzen sein dürfte. Schon 1868 nimmt der Schleswiger Fotograf Christian Friedrich Brandt den Hochaltar von St. Nicolai in Kalkar im Kirchenraum auf, schneidet ihn an den Konturen aus und klebt ihn für das Album des bestellenden Kaplans J. A. Wolff auf einen schwarzen Karton, der zwar nach oben mit einem gotischen Spitzbogen abschließt, jedoch keinerlei Bezug zur tatsächlichen Raumsituation in der Kirche hat.17 Die großen Vorlagenwerke des Frankfurter Stadtpfarrers Münzenberger, die 1890 und 1905 erscheinen, sind nicht nur die am Weitesten verbreitete Vorlagensammlung für kirchliche Bildhauer-Werkstätten wie die, aus der Mies stammte, sondern nutzen ähnliche Collage-Verfahren zur Demonstration von Stillagen und Formvergleichen.18 Sonst unfotografierbare Altäre wie der von Stefan Lochner im Kölner Dom werden durch diese Collagen zu panoramatischen Leporellos zusammengefügt oder vier Madonnen aus verschiedenen Kölner Kirchen auf ein Blatt geklebt, um Stilvergleiche anstellen zu können. Am Deutlichsten 17 Zum Album und seiner nicht illustrierten Publikation von 1880 vgl. Gerhard Kaldewei, Rolf Sachsse (Hg.): C. F. Brandt, Die St.Nicolai-Pfarrkirche zu Calcar 1868 in Photographien, Kevelaer 1989. 18 E. F. A. Münzenberger: Zur Kenntniß und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands. Ein Beitrag zur Geschichte der vaterländischen Kunst, Frankfurt a. M. , Bd. 1: 1885/1890, Bd. 2: 1905. Online verfügbar unter http://digi.uni-heidelberg.de/digit/muenzenberger1890bd1 bzw. http://digi.uniheidelberg.de/digit/muenzenberger1905bd2 (Stand: 01/2015).
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mag das Verfahren bei der Zusammenstellung von drei Skulpturen und zwei Altarflügeln des Doms zu Halberstadt sichtbar werden: Die Figuren wie die Altarreproduktionen sind kantengenau ausgeschnitten, auf einen Karton geklebt und so reproduziert worden, dass die Schnittkanten als Schattenrisse erkennbar bleiben. ◊ Abb. 4 Die modellhafte Vereinigung sonst diverser Objekte dient im didaktischen Impetus des Münzenberger’schen Werks als Grundlage eigener Neuschaffungen derer, die dieses Werk verwenden – so mag es mit einiger Sicherheit auch in der Mies’schen Werkstatt gewesen sein, ohne dass dieser Prozess näher reflektiert wurde. Als Vorläufer dieser Praxis mögen auch die Werkstätten von Vincenz Statz und anderen Architekten neugotischer Sakralbauten angesehen werden, in denen collageartige Verfahren zur Entwurfsvereinfachung eingesetzt wurden.19 In ähnlicher Weise übernimmt zur selben Zeit der Florentiner Kunsthistoriker Gustav Ludwig mit einem Fotografen den Versuch, durch Klebemontagen verschiedener Reproduktionsfotografien und ein kleines Holzmodell die 1806 zerstörte Kapelle der Schule von Sant’Orsola in Venedig zu rekonstruieren, wovon wiederum nur die Reproduktionen dieses Modells bekannt geworden sind.20 Fotomontage
1856 nimmt der Maler, Zeichner und Fotograf Gustave Le Gray die Seeküste bei Mont Agde in Südfrankreich auf. Er versucht eine Kohärenz zwischen Wellengang und Wolkenstimmung zu erzeugen, muss aber schnell feststellen, dass dies mit dem fotografischen Material seiner Zeit nicht zu bewerkstelligen ist.21 Die stark blauempfindlichen Emulsionen registrieren den Himmel und die Wolken mit etwa dreißigfacher Stärke wie die Meeresoberfläche und das Land. Also nimmt er beide Motive einzeln auf und kopiert die Bilder ineins, wobei die Maskierung an der Horizontlinie des Meeres denkbar einfach ist. Da Le Gray sein Verfahren schnell publik macht und die Bilder häufig ausstellt, wird das Einkopieren von Wolken in architektonische und Landschaftsmotive schnell zum bevorzugt praktizierten Verfahren der Fotomontage – kaum eine Reisefotografie des späten 19. Jahrhunderts kommt ohne einkopierten Wolkenhimmel aus.22 Von der – zumeist architektonische Gegebenheiten schildernden – Reisefotografie 19 Vgl. Hans Vogts: Vincenz Statz (1819–1898). Lebensbild und Lebenswerk eines Kölner Baumeister, Mönchengladbach 1960. 20 Constanza Caraffa: From ,photo libraries‘ to ,photo archives‘. On the epistemological potential of arthistorical photo collections. In: Dies. (Hg.): Photo Archives and the Photographic Memory of Art History, Kunsthistorisches Institut in Florenz, I Mandorli, Bd. 14, München/Berlin 2011, S. 11–44. 21 Vgl. Nils Ramstedt: An Album of Seascapes by Gustave Le Gray. In: History of Photography, 1980, Jg. 4 (2), S. 121–137. 22 Vgl. Pascale Bonnard, Jean-Marc Yersin (Hg.): Carlo Ponti, Ausst.kat., Winterthur 1996.
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zur Entwurfsarbeit ist es jedoch nur ein kleiner Schritt, sammelten doch nahezu alle Architekten des späten 19. Jahrhunderts große Mengen an Fotografien als Vorbilder eigenen Schaffens.23 Das Vorgehen Le Grays wird in der Kunstfotografie der späten 1850erJahre unter dem Begriff des „combine printing“ zum bevorzugten Muster aufwendiger, meist zeichnerisch vorbereiteter Kompositionen, worauf auch Martino Stierli hinweist.24 Doch während die Combine Prints zum geschätzten Repertoire der Salon-Kunst-Ausstellungen in den späten 1850er-Jahren gehörten, 25 ist die Praxis des Einkopierens von Wolken und Vögeln eher als primitive Form der Unterhaltung und Illustration angesehen. Sie findet sich aber zunehmend auch in Mappenwerken und VorlagenSammlungen, in denen Architektur als Vorbild für Privatbaumeister oder zur Werbung für Immobilien verwendet wird.26 Das Beispiel eines populären Brunnens aus Mies’ Heimatstadt Aachen 5: Anonymer Fotograf: Bildpostkarte Hühnerdiebbrunnen, Aachen 1913. mag auch hier die Allgegenwart eines Montageverfahrens belegen, das bereits gar nicht mehr als solches wahrgenommen wird. ◊ Abb. 5 Wolkenarchive gehören bis in die 1960er-Jahre hinein zur Grundlage handwerklicher Architekturfotografie. 23 Fritz Schumacher: Stufen des Lebens, Hamburg 1935, S. 117. 24 Martino Stierli: Photomontage in/as Spatial Representation. In: Photoresearcher, 2012, Jg. 23 (18), S. 32–43. 25 James Borcoman: Notes on the Early Use of Combination Printing. In: Van Deren Coke (Hg.): One Hundred Years of Photographic History, Essays in the Honor of Beaumont Newhall, Albuquerque 1975, S. 7–14. 26 C.Brasch: Wohnhäuser, Villen und öffentliche Gebäude Berlins, Berlin 1868; Abb. in Rolf Sachsse: Bild und Bau. Zur Nutzung technischer Medien beim Entwerfen von Architektur, Braunschweig/Wiesbaden 1997, S. 72.
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Fazit
Die legendäre Scherzpostkarte der Weißenhofsiedlung als Araberdorf, mit der Mies van der Rohe zum Opfer der bewussten Bildmanipulation wurde, ist selbst eine Kombination aus Collage und Fotomontage.27 Zunächst hat der unbekannte Produzent dieser Karte Bilder aus einer Zeitungsreportage auf eine vorhandene Postkarte der Siedlung collagiert, dann das Ganze reproduziert und fototechnisch überarbeitet sowie ein Master-Negativ hergestellt, von dem große Zahlen an Prints hergestellt werden konnten. Die politische Wirkungsgeschichte dieser Postkarte ist mehrfach beschrieben worden.28 Derartige Scherzmontagen sind in der Geschichte der Bildpostkarte von Anfang an bekannt; auch die Verfahrensweise, im Druckerhandwerk als Montage bekannt, ist immer gleich.29 Damit lässt sich ein Kreis in der Betrachtung von Produktion und Rezeption bei Ludwig Mies van der Rohe schließen: Die selbstverständliche Implementation vernakulärer Verfahren in die modellhafte Vorbereitung seiner Bauten wird in gleicher Weise zur Grundlage der Wirkung seiner Architektur. Alle Formen der Überarbeitung von Bildern – seien es Einzeichnungen, Collagen oder medientechnisch generierte Montagen – addieren zu einer gegebenen Grundlage eine oder mehrere Ebenen zusätzlicher Einsichten und Erkenntnisse. Sie sind damit Modelle eines erweiterten Verstehens von Aufgaben (im Fall Mies von Bauaufgaben) und Wegen zu deren Lösung. Die hinzu gefügten Ebenen wirken gerade im architektonischen Entwurf, der prinzipiell zeichnerisch auf Grund- und anderen Rissen basiert, wie opake Überleger, auch durchaus verunklärend. Auch in Verbindung mit Mies’ eher seltenen Äußerungen, dem Fehlen einer persönlichen und formulierten Bautheorie, tragen derlei Bild-Ergänzungen, aus so simplen, vernakulären Traditionen sie auch stammen mögen, eher zu einer Mystifizierung des Architekten bei als zu einem einfacheren Verständnis. Aber genau das ist schließlich der Hintersinn einer Phrase wie less is more.
27 Zur Postkarte und ihrer Entstehungsgeschichte vgl. Kirsten Baumann, Rolf Sachsse (Hg.): moderne grüße, Fotografierte Architektur auf Ansichtskarten 1919–1939, gesammelte, konzipiert und ausgewählt von Bernd Dicke, Stuttgart 2004, S. 197–199. 28 Vgl. Marion von Osten: Das ,Araberdorf‘ von Stuttgart. Mit ihrem gebauten Kosmopolitismus wurde die Weißenhofsiedlung zur Zielscheibe für eine Diffamierungskampagne der Nationalsozialisten. In: bauhaus. Die Zeitschrift der Stiftung Bauhaus Dessau, Jg. 3, 2013, Heft 5, S. 60–67. 29 Vgl. Chéroux, Stourzé (s. Anm. 16), vgl. auch Ludwig Hoerner: Zur Geschichte der fotografischen Ansichtspostkarte. In: Fotogeschichte, Jg. 7, Heft 26, 1987, S. 29–44.
Sandra Schramke
Das autonome Quadrat: Zum Gebrauch von Millimeterpapier in der Architektur Oswald Mathias Ungers’ Anhand der Verwendung von Millimeterpapier in Oswald Mathias Ungers’ Architek turtheorie und -praxis, die europäische Nachkriegsarchitekten wie Rem Koolhaas maßgeblich beeinflussten, soll ein Einblick in die Wechselwirkungen von Vorstellung, Bild und Gebäude versucht werden. Das Millimeterpapier geht auf die Lehre des französischen Revolutionsarchitekten Jean-Nicolas-Louis Durands (1760–1834) an der École Polytechnique in Paris zurück. Er benutzte das Raster, um daraus Musterbücher für Elementartypen von Funktionsbauten zu entwickeln. Die klaren und evidenten Elemente sollten getreu den militanten Aufklärungsideen eine für alle Zeiten gültige Architektursprache etablieren. In der Tat nahm Durand damit wichtige Teile des Funktionalismus des beginnenden 20. Jahrhunderts wie auch Ernst Neuferts Bauentwurfslehre vorweg. Doch nicht alle Rezipienten waren mit solchen Praktiken zufrieden. So kritisierte beispielsweise Gottfried Semper (1803–1879) als Vertreter der entgegengesetzten Richtung des Neoklassizismus den Schematismus am Quadratraster Durands, in welchem er den Untergang der Architektur befürchtete. Mit demselben Argument, sich gegen einen Zeichenschematismus zu stellen, setzt auch Ungers (1926–2007) das Quadratraster nun aber wieder ein. Die Architektursprache seiner Zeichnungen und Bauten findet sich an zentraler Stelle als autonomes Mittel zwischen Entwurfsausdruck und Konstruktionsmethode. Mit Bezug auf Arthur Schopenhauers Schrift Die Welt als Wille und Vorstellung folgte Ungers nicht der Durand’schen Logik von Bautypologien, sondern der Idee eines „metaphysischen Wunsches“, eine durch Bilder strukturierte Realität zu schaffen. Seine Methode wandte er auf seine Lehre der TU Berlin wie auf Entwürfe, insbesondere auf Großformen des Wohnungs- wie Städtebaus, an. Rem Koolhaas (*1944) führt in dieser Tradition Ungers’ anfängliche Ideale der Architektur, die sich im Laufe seiner Karriere lediglich in einen Stil verwandeln, unter neuen Vorzeichen fort. Diese schlagen sich, geleitet vom jeweiligen Architekturprogramm, in klaren Strukturen wie Rampe, Falte oder geometrischen Grundformen nieder. Oswald Mathias Ungers knüpft in den 1960er-Jahren, die ansonsten in Deutschland im Wesentlichen durch ein Zweckdenken und die Kommerzialisierung der Architektur geprägt sind (Stichwort: „Die zweite Zerstörung Deutschlands“), an das Konzept des disegno an. Dieses verspricht eine Autonomie und damit den Verzicht der Unterordnung der Form unter eine vorbestimmte Funktion oder einen Zweck.1 Die Grundlagen dafür findet er in der Figur des Quadrats, das er zum Ausgangspunkt seiner Formexperimente erklärt. In Anlehnung sowohl an naturwissenschaftliche 1 Oswald Mathias Ungers: Berufungsvortrag. Zu den Prinzipien der Raumgestaltung gehalten an der TU Berlin 1963. In: Lernen von O. M. Ungers, Arch+, 2006, Nr. 181/182, S. 30f.
Das autonome Quadrat
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Untersuchungsmethoden zu Struktur und Funktion als auch an mathematische Spieltheorien experimentiert Ungers in der Folge auf der Grundlage eines Quadratrasters, von dem er sich Abstraktion und das Arbeiten ohne direkte Vorbilder verspricht.2 Analog zur italienischen Schule des modernen Rationalismus von Aldo Rossi und Giorgio Grassi begründet er auf diese Weise einen neuen Rationalismus in der deutschen Architekturszene.3 Ungers’ Suche nach einer Autonomie der Gestaltung beschränkt sich jedoch nicht nur auf Form- und Strukturzusammenhänge, sondern bezieht auch die Zeichnung selbst mit ein. Gegen die groben Zeichnungen seiner Zeit, die offenkundig nur der Ausführung dienen sollten, besitzen seine Entwürfe einen eigenständigen Wert in ihrer Darstellung. Dieser lässt sich mit Pierre Bourdieu als eine Verfeinerung der Form deuten und rückt damit zugleich die Distinktion einer visuellen Erfahrbarkeit und Durchdringung des Materials in den Vordergrund.4 Mit ihren feinen Strichstärken und dem Verzicht auf einen Überriss von Linien weisen Ungers’ Zeichnungen eine eigenständige ästhetische Ausdrucksfähigkeit und einen Formwillen auch in diesem Medium einer vermeintlichen Hilfsform auf. Universalsprache versus Wissenschaftsbild
Jean-Nicolas-Louis Durand führt 1803 an der École Polytechnique in Paris das Millimeterpapier mit dem Kennzeichen systematischer Geometrisierung ein. Er handelt im Geist eines Szientismus des 19. Jahrhunderts, in welchem die früheren Konzepte erfahrungsbasierter subjektiver Urteilsfindung durch einen allgemeingültigen, neuzeitlichen Begriff von Wissenschaft ersetzt werden. Aber er verwendet diese Mittel nicht als erster. ◊ Abb. 1 Bereits 50 Jahre zuvor hatte man an der Ecole du Génie des Mézière die Lehre der Geometrie forciert und den Steinschnitt hervorgebracht. Dieser zeichnet sich durch eine, auf die Parallelprojektion stützende Darstellung von Steinkonstruktionen aus und stellt damit einen Anwendungszweig der Stereometrie dar. Der daraus resultierende Trait, die Bezeichnung für die Herstellung der Schablonen für diesen Steinschnitt, war jedoch nur schwer kommunizierbar und konnte sich daher als Zeichensprache nicht 2 Vgl. Ungers: Berufungsvortrag (s. Anm. 1), S. 32., sowie in derselben Ausgabe der Zeitschrift: Rem Koolhaas: Berliner Geschichten, S. 63f.; Erika Mühlthaler: Im Gespräch mit Jürgen Sawade. Zu den Wochenaufgaben, S. 61. Vgl. zudem Vorwort von Oswald Mathias Ungers (Hg.): Sieben Variationen des Raumes über „Die sieben Leuchter der Baukunst“ von John Ruskin, Stuttgart 1985. 3 Vgl. Heinrich Klotz über Oswald Mathias Ungers. In: O. M. Ungers, 1951–1984. Bauten und Projekte, Braunschweig/Wiesbaden 1985, S. 22. 4 Vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1982, S. 288.
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1: J. N. L. Durand: Leitfaden des Architekturunterrichts, 1802.
durchsetzen.5 Alois Riedler erkannte folgerichtig in der Verschiebung der Schulung von der allgemeinen Geometrie auf die nach festen Regeln anzufertigende Zeichnung die neue Möglichkeit einer solchen Universalsprache für Ingenieure und Architekten.6 Ebenso wie sich bereits seit dem 18. Jahrhundert der Beruf des Ingenieurs mit Fokus auf die Mathematik etablieren kann und sich in der Folge eine weitere Spezialisierung von Ingenieur und Architekt herausbildet, die den Beruf des Baumeisters ablöst, wird die Zeichnung dann das wichtigste Kommunikationsmedium von Architekt und Ingenieur. Hier bildet das Millimeterpapier die besondere Form einer systematischen Zeichenschulung, die ein weiteres Herkunftsfeld ebenso in der Landvermessung und den entsprechenden Instrumenten besitzt.7 5 Vgl. Robin Evans: Gezeichneter Stein. In: Arch+, 1997, Nr. 137, S. 56–75. 6 Vgl. Alois Riedler: Das Maschinen-Zeichnen. Begründung und Veranschaulichung der sachlich notwendigen zeichnerischen Darstellungen und ihres Zusammenhangs mit der praktischen Ausführung, Berlin 1896. 7 Vgl. André Grelon: Von den Ingenieuren des Königs zu den Technologien des 21. Jahrhunderts. Die Ausbildung der Ingenieure in Frankreich. In: Ders. (Hg.): Ingenieure in Frankreich, 1747–1990, New York 1994, S. 15–57.
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Diese lässt sich bis zu den Römern rückverfolgen, die ihre Straßen und Städte auf der Basis von geometrischen Rastern erbauten. Ausgehend von der Teilung des Himmels, die sie ideell auf den Erdboden als Umbilicus, Nabel, projizierten, legten sie den Cardo und Decumanus, eine Ost-West- und Nord-Süd-Achse, fest, deren Begrenzungen vier Quadranten bildeten. Die Quadranten wurden wiederum so oft geteilt, bis sie die Größe des Fußbodens des Pantheons aufwiesen.8 Neben dieser Form einer idealisierten Teilung bildeten die auf diese Weise gewonnenen Quadranten ökonomische Einheiten ihrer kalkulierten Bewirtschaftung. Der Architekturhistoriker Volker Hoffmann führt die Erfindung eines Netzes aus Fäden auf den Baumeister Filippo Brunelleschi (1377–1446) zurück, indem er nachweisen kann, dass dieser mithilfe eines quadrierten Papiers die Topografie des antiken Rom vermaß.9 Damit schließt sich Brunelleschi in seiner Methodik dem zeitgenössischen Astronom Paolo dal Pozzo Toscanelli (1397–1482) an, der sich zur Aufzeichnung von Sternenbildern ebenso gerasterten Papiers bediente und sich damit auf die lange Tradition des Einsatzes von Rastern in der Kartografie seit der Antike berief. Auch der Bildhauer, Baumeister und Theoretiker Antonio Averlino (1400–1469), als Filarete bekannt geworden, erklärt in seiner Schrift Trattato di architettura den Vorteil von quadriertem Papier für die Sicherstellung maßstabsgetreuer Abbildungen.10 In der Kunst der Renaissance entwickelt sich danach das Raster mit dem Ziel der Abbildtreue in den Zeichenkünsten weiter. Schon vor Dürers klassischer Schrift hatten der Architekturtheoretiker Leon Battista Alberti (1404–1472) wie auch der Universalgelehrte und Maler Leonardo da Vinci (1452–1519) entsprechende Überlegungen zum Velum angestellt.11 Albrecht Dürer (1471–1528) schließlich verwendet 1528 das Velum als Gitter zwischen Zeichner und Objekt in seinem Holzschnitt Der Zeichner des liegenden Weibes. Unter dem Einfluss von Euklids Schrift Die Elemente formulierte Dürer in der Unterweysung der Messung seine Methoden der systematischen Geometrieschulung.12
8 Vgl. Richard Sennett: Fleisch und Stein, Berlin 1997, S. 137. 9 Vgl. Volker Hoffmann: Filippo Brunelleschi. Kuppelbau und Perspektive. In: Corrado Bozzoni, Giovanni Carbonara, Gabriella Villetti (Hg.): Saggi in onore di Renato Bonelli. Quaderni dell’istituto di storia dell’architettura, Rom 1992, S. 323f. 10 Antonio Averlino Filarete: Tractat über die Baukunst nebst seinen Büchern von der Zeichenkunst und den Bauten der Medici, hg. v. Wolfgang von Oettingen. In: Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Neuzeit, Hildesheim/New York 1974, S. 86. 11 Vgl. Leon Battista Alberti: Della Pittura. Über die Malkunst, hg. v. Sandra Gianfreda, Oskar Bätschmann, Darmstadt 2002, S. 16f. 12 Vgl. Albrecht Dürer: Underweysung der Messung, mit dem Zirckel un richtscheyt, in Linien, Ebnen und gantzen Corporen, Nürenberg 1538.
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Oswald Mathias Ungers kann sich Mitte des 20. Jahrhunderts also auf verschiedenste Vorgänger stützen. Bezüglich der Frage der Darstellung legt er es jedoch nicht auf getreue Abbilder an, sondern ruft den Status eines handlungsstiftenden Bildes in der europäischen Tradition als imago wieder ins Bewusstsein zurück. Ungers fordert von der Architektur, ihr ureigenes Thema der Erfahr- und Sichtbarkeit von Raumkomposition aus sich selbst heraus zu entwickeln.13 Nicht irgendein neuer Stil soll aus der Sackgasse des Funktionalismus führen. Stattdessen setzt Ungers auf das Wesen einer von Vielfalt gekennzeichneten architektonischen Sprache der Geometrie. Diese überführt er zunächst in eine Form der Zeichnung feiner Linien, nun aber mit dem umgekehrten Ziel, die Umwelt aus der pragmatischen Realität in die metaphysische Welt der Ideen zu transformieren.14 Zugleich stellt er Bezüge zur funktionalen Logik des Diagramms her. Während Alberti noch bestrebt ist, ein Ding mittels Velum in seiner Ortsbesetzung zu fixieren, so wie es später auch René Descartes (1596–1650) in seiner Theorie der Unterscheidung zwischen res extensa und res cogitans vorschlägt, ändern sich spätestens mit der modernen Physik des 20. Jahrhunderts die Bezüge zu Raum und Zeit: Die Zeit gewinnt das Primat über die zuvor feste metrische Ordnung der Raumgebundenheit.15 Einen vermittelnden Schritt dazu liefert Leibniz (1646–1716) mit seiner Monadentheorie, in der er sich der mechanistischen Physik Descartes entgegenstellt, um mithilfe punktueller Kraftzentren eine Einheit nicht-materieller, metaphysischer Bedingungen zu formulieren. In einem solchem Kontext der Entwicklung der modernen Wissenschaften ist das Millimeterpapier weit mehr als der Ausdruck eines universellen, gleichmachenden Aufklärungsschematismus, mit dem ihn Gottfried Semper in Verbindung bringen wollte. Ihm kann nämlich vielmehr der Status eines Wissenschaftsbildes, eines Darstellungsmittels zwischen Empirie und Vorstellungskraft, zugeschrieben werden. Dienten die Größen der Prüf- und Messbarkeit in ihren Anfängen noch der Emanzipation von der Vorherrschaft theologischer und adeliger Formen des Wissens und der Macht, so stellten sie in der Folge als Versuch allgemeingültiger topologischer wie auch physiologischer Formen der Vermessung eine neue Formation der Geometrisierung und Disziplinierung dar.16 13 Vgl. Oswald Mathias Ungers: Die Thematisierung der Architektur, Stuttgart 1983, S. 9. 14 Ungers: Die Thematisierung (s. Anm. 13), S. 10 und S. 107. 15 Vgl. z. B. Alexandre Koyré: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt a. M. 1980 und Ders.: Leonardo, Galilei, Pascal: Die Anfänge der neuzeitlichen Naturwissenschaft, Frankfurt a. M. 1998, vgl. Horst Bredekamp: Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst (= Acta humaniora), Berlin 2004. 16 Vgl. z. B. Galileo Galilei: Die Vermessung der Hölle. In: Ders.: Sidereus Nuncius, Nachricht von neuen Sternen. Dialog über die Weltsysteme (Auswahl), Vermessung der Hölle Dantes, Marginalien zu Tasso,
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2: Grundrissplan mit sieben Raumachsen, Ausstellung im Kölnischen Kunstverein, 1985.
So suchte der englische Philosoph und Mediziner Robert Fludd (1574–1637) – zwei Generationen nach Leonardo da Vinci – zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach modernen Formen der Mess- und Abbildbarkeit physiologischer Kohärenzen zwischen dem Außen der Welt und dem Innen des Menschen. Er bewegt sich dabei zwischen ausgeführtem malerischen Kunstsymbol und grafisch-technischer Hilfsskizze.17 Automatisierung versus Autonomie
Diese neuen Formen der Bildbeschäftigung besitzen einen klassifikatorischen Charakter, in welchem den vormals theologisch-ganzheitlichen Bildern auch immer deutlicher der funktionale Status von sachlichen Informationsträgern zugeschrieben werden kann. Diese von Durand und anderen weitergeführte Säkularisierung und Verwissenschaftlichung trug aber bekanntlich auch zu einer Stärkung neuer bürgerlich-funktionaler Glaubenssätze bei. So glaubten nun dessen Anhänger an die Entwicklung einer versachlichten Automatisierung von Entwurfsprozessen als allgemeine architektonische Sprache. Auch der Berliner Maschinenbauer Franz Reuleaux (1829–1905) sah in der Elementarisierung und Reduktion von Maschinenteilen in ihre kleinsten Bestandteile Anfang des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit, die Zeichnung selbst zu automatisieren. Die Vertreter der Gegenseite wollten den Status des autonomen Bildes und damit die Vorstellung und Imagination eines Schöpfer-Autors stärken. Oswald Mathias Ungers befindet sich in den 1960er-Jahren zwischen beiden Positionen: Gegen die Haltung hg. v. Hans Blumenberg, Frankfurt a. M. 1965 und Rudolf zur Lippe: Naturbeherrschung am Menschen, Bd. I: Körpererfahrung als Entfaltung von Sinnen und Beziehungen in der Ära des italienischen Kaufmannskapitals. Naturbeherrschung am Menschen, Bd. II: Geometrisierung des Menschen und Repräsentation des Privaten im französischen Absolutismus, Frankfurt a. M. 1974 , vgl. Horst Bredekamp: Galileis denkende Hand. Form und Forschung um 1600, Galileo’s O, Band IV, Berlin 2015, S. 66–72. 17 Robert Fludd: Supernaturalia, Naturali, Praeternaturali et Contranaturali Microscosmi Historia. In Tractatus Tres Distributa, Oppenheim 1619.
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eines reduktionistischen Verständnisses von Architektur als funktionaler Ingenieursleistung verwahrte er sich ebenso wie gegen eine dekorative Architektur in der Nähe des Kunstgewerbes, wie wir sie bei Semper finden. Ungers will in seinen Zeichnungen vielmehr einen ästhetischen und konstruktiven Gestaltungswillen zum Ausdruck bringen, dem er sowohl die rein technisch gefassten Konstruktionsmöglichkeiten als auch den symbolischen Bildwert unterordnet. „Aus einer konsequenten Materialbehandlung oder einer logischen Konstruktion allein entsteht kein Bauwerk, sondern bestenfalls ein Werk der Technik. […] Material und Konstruktion sind […] nur die Mittel der Gestaltung und nicht ihr Inhalt.“ 18
In seinem Interesse an multiplen Austauschprozessen zur Umwelt, denen er in Form morphologischer Transformationen nachging, konnte Ungers am Begriff der „Bindung“ die vielfältigen, auf Zeit angelegten Aktivitäten rund um die Architektur unter Berücksichtigung ihrer Regel- wie auch Wandelbarkeit verdeutlichen. Der Einsatz des Quadrats sollte Ungers so die Neutralität seiner Modellierungsversuche sichern. „Beim Quadrat schalten Sie die Stimmungen aus. Dafür schalten Sie die Ratio ein. Und Sie können auf dem Feld, das das Quadrat setzt, einen unglaublichen Reichtum an verschiedenen Möglichkeiten durchspielen. Wie beim Schachspiel. […] Um die Neutralität des Spielfelds zu wahren, auf dem Sie einen ungeheuren Variantenreichtum genießen, ist das der Grundton, mit dem gespielt wird. […] Er macht aber immer geometrisch bestimmbare Formen.“ 19
Auf der Suche nach universalen Gesetzmäßigkeiten verfolgte er auf diese Weise den Umweg eines Bilder-Denkens in der Uneindeutigkeit von Struktur- und Formzuweisungen, die der Beweglichkeit des Diagramms mit der Eigenschaft eines Informations bildes eigen sind.20 ◊ Abb. 2 Ungers’ Grundrissplan für den Kölnischen Kunstverein 1985 verdeutlicht diesen Umgang mit dem Quadrat, das er seiner Idee von Architektur als Körper und als Raum zugrunde legt. Diese umfasst nicht nur die materialen Bauformen wie Enfilade, Labyrinth, Schale, Galerie oder Poche, sondern ebenso Bilder und Gesten wie auch das 18 Ungers: Berufungsvortrag (s. Anm. 1), S. 31. 19 Frank P. Jäger (Hg.): Dorotheenhöfe. Oswald Mathias Ungers baut in Berlin, Berlin 2004, S. 36. 20 Vgl. Ungers: Die Thematisierung (s. Anm. 13), S. 19.
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Spiel mit Bauklötzen. Daran interessieren Ungers insbesondere die Grenzen zwischen den Räumen und den Elementen, die diese markieren. Seine Entwurfsmethode des autonomen Quadrats bezeichnet er selbst als deduktiv, indem er eine in einem spezifischen Kontext entwickelte Idee in ein reales Raster überträgt und dieses an die jeweilige Raumsituation anpasst.21 Explizit ging Ungers auf Albertis Definition von Vielfalt als verschiedenartiger Unterschiede ein.22 „Mit dem geometrischen Durchspielen der Möglichkeiten geht die funktionale Ent faltung einher. Der Begriff der Mannigfaltigkeit, so wie ihn Leon Battista Alberti bereits verstanden hatte, geht davon aus, daß sich einerseits innerhalb eines Ganzen das Einzelne definiert, andererseits das Einzelne das Ganze aufbaut. […] Varietà bedeutet nicht Vielfalt in unserem Sinne. Das Vielfältige ist das verschiedenartig Unterschiedliche.“ 23
Das Quadrat diente Ungers also als „programmatische Einheit“ und Urform der Transformation, das, von der Alberti’schen Formel der „linea prima“ und der „linea segunda“ abgeleitet, alle denkbaren, auf dem ideellen wie realen Raster basierenden Variationen erlaubte. „Ungers Begriff der Transformation und der morphologischen Entwicklung ist mit diesem Begriff der Mannigfaltigkeit verwandt. Die geometrische Morphologie wird mit der sozialen Morphologie […] unmittelbar verbunden. Die soziale Morphologie wiederum mit der Gebäudetypologie und Orientierung der Bauten verknüpft. Die geometrischen Grundformen erklären die Baukörper und deren Anordnung […] Das morphologische Vorgehen erweist sich als eine Entwurfssystematik, die die geo metrische Transformation mit der funktionalen Auffächerung verbindet. Umgekehrt kann eine funktionale Bestimmung mit mannigfaltigen formalen Lösungen beant wortet werden.“ 24
Oswald Mathias Ungers wie auch Rem Koolhaas verbindet das diagrammatische Bilder-Denken und die Arbeit an einem solchen ideellen wie an einem realen Raster. Während Ungers jedoch im autonomen Quadrat die Transformation einer pragmati 21 Vgl. Ungers: Berufungsvortrag (s. Anm. 1), S. 32. 22 Frank P. Jäger (Hg.): Dorotheenhöfe. Oswald Matthias Ungers baut in Berlin, Berlin 2004, S. 36. 23 Heinrich Klotz über Oswald Mathias Ungers. In: Heinrich Klotz (Hg.): O. M. Ungers, 1951–1984. Bauten und Projekte, Braunschweig/Wiesbaden 1985, S. 20. 24 Klotz (s. Anm. 23).
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schen Realität in eine Welt der Ideen präsentiert, geht Koolhaas über den Umweg der Destabilisierung jedweder Form von Entwurfs- und Arbeitsstrukturen neue geometrische Formen der „Bindung“ ein. Beide Architekten sind an der Regelhaftigkeit der Raumgestaltung interessiert. Im Gegensatz zu Koolhaas beschränkt sich Ungers aber auf die Form des Quadrats, weil er, im nach allen Seiten gleichwertigen Quadratraster, eine Gefühlsunabhängigkeit garantiert sieht, die sowohl das „objektive Prinzip“ der Struktur als auch das „subjektiv Schöpferische“ des Gestaltungswillens erfüllt. Ungers behauptet also mittels Quadratraster, nicht nur den technischen Anforderungen Ausdruck zu verleihen, sondern gleichermaßen den symbolischen wie auch atmosphärischen Raum mit seinen eigenständigen idealistischen Zügen über den Durand’schen Funktionalismus zu erheben.
Karl-Eugen Kurrer
Zur Genese des rechnenden Bildes in der Baustatik bis 1900
Mit der Herausbildung der grafischen Statik in der Mitte der Etablierungsphase der Baustatik (1850–1875) entstand ein neuer Typus des technischen Bilds: das statische Bild als geometrische Repräsentation statischer Gesetzmäßigkeiten in operativer Absicht. Es transzendierte die übliche Überlagerung vereinfachter Formen der Konstruktionszeichnung mit dem Kräfteparallelogramm beziehungsweise dem Kräfteplan. Im statischen Bild konstituierte sich die Synthese aus Geometrie und Statik konkret und wurde in der Transformation der grafischen Statik zur Graphostatik in der Vollendungsphase der Baustatik (1875–1900) zu einem wirkmächtigen Arbeitsmittel des Ingenieurs: Statisches Rechnen wurde Konstruieren. 1. Von Kräfte- und Seilpolygonen
Greifen zwei Kräfte unterschiedlicher Richtung und Größe an einem Punkt eines Körpers an, so lässt sich ihre Gesamtwirkung, ihre Resultierende, geometrisch als Diagonale des durch die beiden Kräfte gebildeten Parallelogramms nach Ort, Größe und Richtung bestimmen. Ein solches maßstabsgerechtes Parallelogramm wird Kräfteparallelogramm genannt, das aus zwei Kräftedreiecken besteht. Dabei spielt es keine Rolle, welches Kräftedreieck genommen wird. Wichtig ist, dass die beiden Kräfte durch die so ermittelte Resultierende ersetzt werden kann. Allerdings ist der Körper nur dann im Gleichgewicht, wenn die Wirkung beider Kräfte durch die entgegenge setzt wirkende Resultierende – Actio = Reactio – aufgehoben wird. Wirken mehrere Kräfte unterschiedlicher Richtung nicht nur auf einen Punkt (zentrales Kräftesystem), sondern auf mehrere Punkte (nichtzentrales Kräftesystem) eines Körper, dann ist die Suche nach dessen Gleichgewicht nicht mehr trivial. Vor fast drei Jahrhunderten löste Varignon das Gleichgewichtsproblem des nichtzentralen Kräftesystems für den Fall eines (gewichtslosen) Seiles gegebener Länge, das in den Punkten A und B befestigt ist und in den Punkten C, D, P und Q durch die Kräfte K, L, M und P beansprucht wird.1 ◊ Abb. 1 Unter der Wirkung der genannten Kräfte nimmt das Seil die geometrische Gestalt eines Polygons an. Dieses Seilpolygon ist eine Gleichgewichtsfigur für die gegebenen Kräfte. Ändert sich nur ein Bestimmungsstück einer angreifenden Kraft nach Ort, Betrag und Richtung, dann stellt sich eine andere Gleichgewichtsfigur des Seiles – das heißt ein anderes Seilpolygon – ein. Für vertikale Kräfte gibt Varignon nicht nur das Seilpolygon als abstrahiertes Liniengebilde, sondern auch das Kräftepolygon an, das in Abbildung 1 punktiert dargestellt ist. Das Kräftepolygon ist die Synthese der Kräftedreiecke in Punkten C, D, P und Q. So stellt das Kräftedreieck E-F-S im Kräftepolygon das Gleichgewicht 1 Pierre Varignon: Nouvelle mécanique ou statique, Band 1, Paris 1725.
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Karl-Eugen Kurrer
1: Seil- und Kräftepolygon nach Varignon.
der Seilkräfte A-C und C-D mit der Gewichtkraft K im Punkt C des Seilpolygons dar. ◊ Abb. 1 Erkennbar ist, dass das Kräfte- und Seilpolygon eine geometrische Verwandtschaft aufweist, an deren Formulierung später Poncelet, Maxwell und Culmann arbeiten sollten. Es ist jener prozessuale Charakter der Zusammensetzung der Kräfte im Kräftepolygon im Verein mit dem zugehörigen Seilpolygon, welcher sich durch den operativen Symbolgebrauch geometrischer Elemente zum Kristallisationskern der Geistestechnologie der grafischen Statik entwickeln und sich im statischen Bild manifestierten sollte. 2. Der Aufbruch zum rechnenden Bild
Die Anfänge der systematischen Verbildlichung von Gleichgewichtszuständen in der Statik setzten mit Jean Victor Poncelet ein. Auf ihn geht die projekti ve Geometrie2 zurück, eine Geometrie, welche die Eigenschaften und Bestimmungsstücke geometrischer Grund2: Lamés und Clapeyrons Gewölbetheorie: gebilde und Figuren, die sich beim Kräftepolygon (oben) und Seilpolygon (unten). Projizieren nicht ändern, untersucht. Gleichwohl gelang es nur vereinzelt, die projektive Verwandtschaft des Seilpolygons mit dem Kräftepolygon zu erahnen. So nutzten Gabriel Lamé und Benoît-Pierre-Emile Clapeyron 1823 das Seil- und Kräftepolygon zur statischen Analyse des Kuppelgewölbes der St.-Isaaks-Kathedrale in St. Petersburg3 ◊ Abb. 2 und notierten 1828: „Uns scheint, dass die Theorie der Kräfte polygone und -pole ein neues Licht auf die Theorie der Seilpolygone wirft, die in
2 Jean Victor Poncelet: Traité des propriétés projectives des figures, Paris 1822. 3 Moritz Rühlmann: Vorträge über Geschichte der technischen Mechanik, Leipzig 1885, S. 473.
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ihren Anwendungen unendlich reichhaltiger sind als viele andere Lehrsätze […].“ 4 Diese Aufgabe sollte erst ab Mitte der 1860er-Jahre bis in die frühen 1870er-Jahre gelöst werden. Gleichwohl erreichte Poncelet schon 1840 in der Bestimmung des Erddrucks auf Stützmauern (Erddrucktheorie) eine umfassende Geometrisierung.5 Dort verschmolz er erstmals die statische Untersuchung mit der Konstruktionszeichnung zu einer Einheit: Das statische und konstruktive Denken konvergierte zu einer statischkonstruktiven Entwurfshaltung. Poncelets zeichnerische Ermittlung des Erddrucks auf Stützmauern basierte nicht auf der projektiven Geometrie, sondern auf der Elementargeometrie und lief auf das geometrische Mittel von Strecken hinaus. Mit der Poncelet’schen Zeichnung betritt das statische Bild schon 1840 die historische Bühne und bereicherte das Arsenal der intellektuellen Arbeitsmittel des Ingenieurs. Noch heute ist dieses statische Bild wegen seiner überzeugenden Einfachheit im bildlichen Gedächtnis des Bauingenieurs virulent. 3. Die Bilder der grafischen Statik
In seinem Buch Die graphische Statik würdigt der ehemalige bayerische Eisenbahningenieur Karl Culmann die Leistungen Poncelets um die „geometrische Lösungen für die verschiedenen im Ingenieurfach sich darbietenden Aufgaben […]“, kritisiert aber, dass sie „immer nur Übersetzungen vorher entwickelter analytischer Ausdrücke“ und deswegen Umwege seien. Dagegen setzt Culmann seine Lösungsstrategie, dass „die durch die Aufgabe gegebene Liniengebilde selbst die Grundlage bildet, aus der sich die Lösung einfach geometrisch entwickelt“.6 Dabei bezieht sich der Begriff des Liniengebildes auf Karl Georg Christian von Staudts Geometrie der Lage,7 die auch projektive Geometrie genannt wird. Ausgehend von dieser Geometrie schuf Culmann seine grafische Statik als einen Versuch, „die einer geometrischen Behandlung zugänglichen Aufgaben aus dem Gebiete des Ingenieurfachs […] zu lösen“.8 Culmann überstreicht in acht Abschnitten die gesamte Welt der Baustatik in der Mitte ihrer Etablierungsphase (1850–1875). Ausgangspunkt von Culmanns Die graphische Statik bildete die Theorie der Stützmauern (Erddrucktheorie):
4 Zit. n. Karl-Eugen Kurrer: Geschichte der Baustatik, Berlin 2002, S. 215. 5 Jean Victor Poncelet: Mémoire sur la stabilité des revêtements et de leurs fondations. In: Mémorial de l’officier du Génie, 1840, No. 13, S. 7–270. 6 Karl Culmann: Die graphische Statik, Zürich 1864/1866, S. V–VI. 7 Karl Georg Christian von Staudt: Geometrie der Lage, Nürnberg 1847. 8 Culmann (s. Anm. 6), S. VI.
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Karl-Eugen Kurrer
3: Grafische Untersuchung einer Stützmauer mit Erdüberhöhung, partieller Streckenlast und gekrümmter Erddruck-Linie.
„Mit der Ausarbeitung dieser haben wir begonnen; den im ‚Memorial de l’officier du génie‘ mitgeteilten Theorien folgend, lernen wir zuerst die Vorzüge graphischer Methoden kennen und fassten den Entschluss, sie weiter auszubilden. Während jedoch Poncelet nur Geometrie verwendete, wo er nur musste, sonst aber der Ana lysis den Vorzug gab, kehrten wir es um und wendeten die Geometrie an, wo wir nur konnten, und erzielten so Resultate, die jeden erwarten, der zum ersten Mal es unternimmt, ein noch unbebautes Feld zu bearbeiten.“ 9
Culmann knüpfte an Poncelets Bestimmung des Erddrucks auf Stützmauern an. So avancierte also die Erddrucktheorie zur Referenztheorie der grafischen Statik. Culmanns teilweise gelungener Versuch, die gesamte Baustatik in der Sprache der projektiven Geometrie zu formulieren barg – wie er selbst hervorhob – ein heuristisches Potenzial in sich, das sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konkret entfalten sollte. Die neue Qualität der Geometrisierung der Erddrucktheorie auf höherer Stufen
9 Culmann (s. Anm. 6), S. XII.
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leiter der projektiven Geometrie durch Culmann sei hier durch Abbildung 310 exemplarisch illustriert. Dort findet sich auch die gekrümmte Culmann’sche Erddruck-Linie (Culmann’sche E-Linie) für eine Stützmauer mit überhöhter Erdmasse, Gleichstreckenlast und kohäsivem Bodenmaterial; aus dem Maximum dieser Hyperbel ergibt sich grafisch der aktive Erddruck. ◊ Abb. 3 Während das statische Bild der Erddruckbestimmung bei Poncelet nur eine Übersetzung vorher gebildeter analytischer Ausdrücke war, entwickelt Culmann seine statischen Bilder unmittelbar aus der Geometrie wie Abbildung 3 zeigt. So konstituierte Culmann die Welt des statischen Bildes der grafischen Statik und wird seinem Anspruch gerecht, dass sich das Zeichnen als Sprache des Ingenieurs nicht nur in der ebenen Darstellung räumlicher Gebilde erschöpft, sondern durch das rechnende Bild der Statik eine wesentliche Erweiterung erfährt.
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4: Zur Reziprozität (Dualität) des Seil- und Kräftepolygons für ebene Kräftesysteme nach Culmann.
3.1 Projektive Verwandtschaften
Culmann fand für den Spezialfall eines Gleichgewichtssystems von Kräften mit einem Angriffspunkt die „strukturelle Relation zwischen Seil- und Kräftepolygon durch eine ebene Korrelation der projektiven Geometrie“.11 Die in Abbildung 4 dargestellten Seilund Kräftepolygone sind insofern vertauschbar, als es gleichgültig ist, welches der Polygone als das System der Wirkungslinien nebst dem zugeordneten Seilpolygon begriffen wird. ◊ Abb. 4 Solche Figuren bezeichnen Culmann und Maxwell als reziprok. James Clerk Maxwell wies schon 1864 den Satz nach, dass sich für nichtzentrale Kräftesysteme ◊ Abb. 1 dann und nur dann zwei reziproke Figuren ergeben, wenn eine Figur als Projektion eines Polyeders betrachtet werden kann; die andere Figur erscheint dann ebenfalls als Projektion eines Polyeders.12 In Abbildung 4 können die beiden Figuren gedeutet werden als die Projektionen von vierseitigen Pyramiden mit den Spitzen in 0 und 0’. 10 Culmann (s. Anm. 6), Tafel 32. 11 Erhard Scholz: Symmetrie – Gruppe – Dualität. Zur Beziehung zwischen theoretischer Mathematik und Anwendungen in Kristallographie und Baustatik des 19. Jahrhunderts, Basel 1989, S. 174. 12 James Clerk Maxwell: On reciprocal figures and diagrams of forces. In: Philosophical Magazine, 1864, Vol. 27, S. 250–261.
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Die Erkenntnis dieses auch unter dem Namen Dualität von Seil- und Kräftepolygon bekannten mathematischen Zusammenhanges konnte Culmann nur in der Bestimmung der Belastungsfunktion für elliptische, parabolische und hyperbolische Gewölbeformen nutzen. So blieb die heuristische Funktion für die technikwissenschaftliche Theoriebildung der partiell durch die projektive Geometrie begründeten grafischen Statik exemplarisch und peripher. Erst Cremona sollte es gelingen, die in der Etablierungsphase der Baustatik (1850–1875) sich her5: Culmanns Lösung des Balkenproblems mit Hilfe des Seilpolygons. ausbildende Fachwerktheorie in der Sprache der projektiven Geometrie zu fassen:13 Auf Basis der Maxwell-Dualität schuf er die mathematischen Grundlagen seiner grafischen Statik, deren operativer Kern der Cremona-Plan bildete und alsbald in die Statiklehre und Ingenieurpraxis durch Robert Henry Bows Klassifizierung14 Eingang fand. 3.2 Eine grafische Integrationsmaschine
Auch wenn der wenig erfolgreiche geometrische Begründungsversuch breiten Raum in Culmanns Die Graphische Statik ausmacht, besteht ihr originärer Kern in der Lösung des Schnittkraftproblems statisch bestimmter ebener Balkenstrukturen mit Hilfe des Seilpolygons. ◊ Abb. 5 In der durch das Seil- und Kräftepolygon als zeichnerische Mittel des konstruierenden Ingenieurs vermittelten Reduktion der Balkenstatik auf die wesentlich einfachere Seilstatik liegt der Grundstein der grafischen Statik, weil die wesentliche Schnittkraft im Innern eines Balkens im Biegemomentenverlauf verbildlicht wird. Mit Recht bezeichnete Fritz Stüssi das für die Lösung des Balkenproblems funktionalisierte Seilpolygon als grafische Integrationsmaschine,15 erhält man doch das Biegemoment im Balken, das mathematisch aus zweimaliger Integration der Belastungsfunktion folgt, als Produkt des Polabstandes H im Kräftepolygon mit den Ordinaten η des durch die Culmann’sche Schlusslinie s begrenzten Seilpolygons. Culmanns grafische Integrationsmaschine gehört zur Klasse des rechnenden Bildes, bei dem es nur um das grafische Rechnen, nicht aber um das Konstruieren geht. 13 Luigi Cremona: Le figure reciproche nella statica grafica, Mailand 1872. 14 Robert Henry Bow: The Economics of Construction in relation to framed structures, London 1873. 15 Fritz Stüssi: Karl Culmann und die graphische Statik. In: Schweizerische Bauzeitung, 1951, Jg. 89 (1), S. 1–3, S. 2.
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In der Statiklehre für Architekten nutzte Rolf Gerhardt Culmanns Integrationsmaschine systematisch und veranschaulichte sie in Modellversuchen auch für kompliziertere statisch bestimmte Systeme.16 Es ist diese Sichtbarmachung der unsichtbaren Schnittgrößen in Gestalt des Biegemomentenverlaufs M = H· η als Seilpolygon der Belastung P¹, P² und P³, ◊ Abb. 5 welches zum konstitutiven Modellbild der Baustatik am Ausgang ihrer Etablierungsphase (1850–1875) avancierte. Mit der grafischen Integrationsmaschine Culmanns und der späteren Erweiterung durch Otto Mohr17 konnten nicht nur statisch bestimmte, sondern prinzipiell auch statisch unbestimmte Aufgaben durch das rechnende Bild auf anschauliche Weise gelöst werden. 4. Statisches Rechnen als Konstruieren: Die Bildwelt der Graphostatik
Während Culmann das Theorieprogramm der grafischen Statik explizit formulierte, für seine Durchsetzung in der polytechnischen Lehre und Ingenieurpraxis stritt und sich vehement gegen die Graphostatik abgrenzte,18 enthält seine Monografie schon den Kern des Theorieprogramms der Graphostatik, das in seiner historisch-logischen Entfaltung in der Vollendungsphase der Disziplinbildungsperiode der klassischen Baustatik (1875–1900) die mit dem Anspruch nach mathematischer Begründung mittels der projektiven Geometrie auftretende grafische Statik negieren sollte. Ähnlich der Maschinenkinematik von Franz Reuleaux ist das Theorieprogramm der grafischen Statik der Versuch, das klassische Wissenschaftsideal für die sich formierenden Technikwissenschaften zu retten, um die durch sie erfolgte Technisierung mathematischnaturwissenschaftlicher Theoriefragmente durch eine rezepturförmige Verbildlichung rückgängig zu machen. So setzte sich in der Ingenieurpraxis nicht die grafische Statik, sondern die von Culmann vehement bekämpfte Graphostatik durch, weil nur sie in der Lage war, das Entwurfs- und Konstruktionshandeln im Grafischen zu verdichten, mithin die Ingenieurarbeit zu rationalisieren. Es war der schon in Culmanns grafischer Integrationsmaschine und der im Cremona-Plan angelegte Arbeitsmittelcharakter, der schließlich zur Graphostatik führte und diese im Bereich der Analyse und Synthese von Tragstrukturen in der Vollendungsphase der klassischen Baustatik zu einer modernen Proportionslehre des Ingenieurs werden ließ.
16 Rolf Gerhardt: Experimentelle Momenten-Darstellung. Darstellung der Biegebeanspruchung ebener Tragwerke durch die Seillinie, Dissertation RWTH Aachen, 1989. 17 Otto Mohr: Beitrag zur Theorie der Holz- und Eisen-Constructionen. In: Zeitschrift des Architektenund Ingenieur-Vereins zu Hannover, 1868, Jg. 14 (1), S. 19–51. 18 Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. From Arch Analysis to Computational Mechanics, Berlin 2008, S. 682–683.
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4.1. Eine Ikone der Graphostatik
Abbildung 6 zeigt Culmanns graphostatische Untersuchung eines Blechkranes19, die später von seinem Schüler Wilhelm Ritter übernommen wurde.20 ◊ Abb. 6 Dort gelingt es Culmann, das statische Rechnen mit dem Konstruieren im Zeichnerischen zu verschmelzen. Das Besondere dieses statischen Bildes besteht darin, dass nicht nur die Schnittkräfte für einzelne Querschnitte quantifiziert werden, sondern auch die Spannungsverteilung: Culmann verknüpft das bildliche Denken in Querschnitten mit der graphostatischen Analyse des Gesamtsystems. Allerdings stellte sich die Praxis des statischen Rechnens sehr viel einfacher dar. So finden sich seit den 1870er-Jahren auf Arbeitsplänen für fachwerkförmige Dachkonstruktionen oft Cremona-Pläne zur grafischen Bestimmung der Stabkräfte, die einen einfachen Festigkeitsnachweis auf Zug beziehungsweise Druck erlauben.21 Die statischen Bilder Culmanns wie der Graphostatik überhaupt sind akademischer und didaktischer Natur, weil sie die Möglichkeiten ihrer Bildsprache für die Anwendung ausloten und ausschöpfen. Obwohl die Graphostatik in der Vollendungsphase der Baustatik (1875–1900) insbesondere durch die Theorie der Einflusslinien22 eine kognitive Erweiterung erfuhr und das Bildgedächtnis des Ingenieurs bereicherte, erstarrte sie nach 1900 im Rezepturförmigen, weil sie die grafischen Symbole nur noch im Sinne der techne nutzte: Das statische Bild der Graphostatik degenerierte zur Ikone. 4.2. Virtuelle Maschinenbilder
In der Mitte der Vollendungsphase der Baustatik (1875–1900) fassten Heinrich MüllerBreslau und Robert Land mit ihrer kinematischen Träger- und Fachwerktheorie das Tragwerk als Maschine auf.23 In ihr wird der Einfluss wandernder Lasten, wie sie im Brückenbau vorkommen, auf den Kraftzustand in den betrachteten Fachwerkstäben graphostatisch mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verschiebungen bestimmt.24 ◊ Abb. 7 Diese Form des statischen Bildes wird deshalb als virtuelles Maschinenbild bezeichnet.
19 Culmann (s. Anm. 6), Tafel 11. 20 Wilhelm Ritter: Anwendungen der graphischen Statik. Nach Professor C. Culmann. Erster Teil: Die im Inneren eines Balkens wirkenden Kräfte, Zürich 1888, Tafel 4. 21 Ines Prokop: Vom Eisenbau zum Stahlbau. Tragwerke und ihre Protagonisten in Berlin 1850–1925, Berlin 2012, S. 192. 22 Einflusslinien im Brückenbau stellen den Einfluss bewegter Lasten auf die inneren Kräfte von ausgewählten Brückenquerschnitten geometrisch dar. 23 Kurrer (s. Anm. 18), S. 351–358. 24 Heinrich Müller-Breslau: Die graphische Statik der Baukonstruktionen, Bd. I, Leipzig 1887, Tafel 6/ Fig. 398.
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6: Graphostatische Untersuchung eines Blechkrans nach Culmann.
Von der Wirkmächtigkeit der Graphostatik auf die Theorieentwicklung der klassischen Baustatik legen die ab 1887 von Müller-Breslau publizierten Bände Die graphi sche Statik der Baukonstruktionen Zeugnis ab. Obwohl das Hauptwerk der klassischen Baustatik weit über die Graphostatik hinausgreift, hat Müller-Breslau auch für die nachfolgenden Bände diesen Titel beibehalten. Der theoretischen Grundlegung der klassischen Baustatik durch das Energieprinzip zum Trotz, hält er die Graphostatik für wichtig: „Dem zeichnerischen Verfahren bleibt immer noch ein weites Feld: die Auftragung der Verschiebungspläne und die Benutzung dieser Liniengebilde zur Herleitung der Einflusslinien und Einflusszahlen, welche auf alle bei der Untersuchung eines gege benen Fachwerks zu stellenden Fragen die bündigste Antwort geben.“ 25 25 Heinrich Müller-Breslau: 1903. Die graphische Statik der Baukonstruktionen, Bd. II. Erste Abtheilung. 3., wesentl. verm. Aufl. Leipzig 1903, S. VI.
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Karl-Eugen Kurrer
7: Müller-Breslaus grafische Bestimmung des Einflusses wandernder Lasten auf Stabkräfte in statisch bestimmten Fachwerken mit Hilfe kinematischer Methoden.
Zur Erzeugung eines virtuellen Maschinenbildes müssen die virtuellen Verschiebungen des einfach kinematisch unbestimmten Tragwerks ermittelt werden: Müller-Breslau und Land nutzten hierfür den Verschiebungsplan von Wil liot.26 Mit dem Williot’schen Verschiebungsplan ist die Graphostatik nicht nur seitens der Ermittlung des Kraftzustandes, sondern auch seitens der Ermittlung des virtuellen Verschiebungszustandes – des virtuellen Maschinenbildes – vollständig operationalisiert. Der Stern der Graphostatik begann schon kurz nach 1900 zu sinken; wesentliche Erkenntnisfortschritte wurden nicht mehr erreicht. Die statischen Bilder der Graphostatik verloren Boden in der Ingenieurpraxis. Als Subdisziplin der Baustatik hörte die Graphostatik auf zu existieren und verkümmerte zu archäologischen Wissensrelikten ihrer drei glänzenden Jahrzehnte vor der Wende zum 20. Jahrhundert. Mit ihr ging eine äußerst dichte Form visueller Wahrnehmung des Kräftespiels in der Analyse und Synthese von Tragstrukturen im Entwurfsund Konstruktionshandeln des Ingenieurs allmählich verloren. Seit einem Jahrzehnt nimmt die Graphostatik als computergestützte Graphostatik konkret Gestalt an, die sich zu einem wichtigen intellektuellen Arbeitsmittel des entwerfenden Bauingenieurs entwickeln wird.27
26 Victor-Joseph Williot: Notions pratiques sur la statique graphique, Paris 1878. 27 Kurrer (s. Anm. 18), S. 706f.
Michael Mönninger
Stadt der Zwischenräume: Die Rhetorik der Schwarzpläne im städtebaulichen Reformdenken um 1900 Die Kunst- und Architekturtheorie hat den Begriff des Raumes erst im ausgehenden 19. Jahrhundert analysiert. Zuvor stand das Körperhaft-Dreidimensionale im Vordergrund, wogegen das Umgekehrte der Figur, also der Grund beziehungsweise die Hohlform oder Leere, seinerzeit nur schwer zu denken war. Dieser Aufsatz untersucht die Rolle der Kartografie bei der Herausbildung neuer Raumvorstellungen in Architektur und Städtebau. Im Mittelpunkt stehen die Plangrafiken grundlegender Lehrbücher des Städtebaus um 1900. Damals begann die Forschung, sich von der engeren Stilgeschichte zu lösen und von der Betrachtung epochentypischer Kleinformen zur Untersuchung der großen Formkategorien überzugehen. Dies waren Licht, Farbe, Körper, Bild – und vor allem der Raum. Auch Architekten und Städtebauer wandten sich im Horizont der aufkommenden frühmodernen Reduktionsästhetik von den Detailformen und Gliederordnungen ab und hin zu einem übergeordneten Kontext, dessen Leitparadigmen seither Fläche, Masse und Raum geworden sind. Dabei entstand eine fruchtbare Wechselwirkung zwischen kunsttheoretischem Diskurs und neuer, abstrahierender Kunstpraxis, so dass man in dieser Epoche die „Entstehung einer modernen Sensibilität“ (H. S. Mullgrave) nachverfolgen kann.1 Im Zuge der neuen Generalisierung, Objektivierung und Skalierung der ästhetischen Grundbegriffe und Gestaltungskategorien kam es zugleich zur einer Differenzierung und Subjektivierung der Aktivität des Rezipienten bei der Wahrnehmung und Empfindung der Werke. Die grundlegenden Arbeiten der Wahrnehmungsphysiologie (H. v. Helmholtz, G. Th. Fechner) und die darauf aufbauende ästhetische Einfühlungstheorie (F. Th. Vischer, R. Vischer, Th. Lipps) spielten dabei eine zentrale Rolle.2 Friedrich Theodor Vischers Einfühlen der Seele in unbeseelte Formen3 und das von seinem Sohn Robert beschriebene innere Miterleben der in die Dinge übertragenen körperlichen und seelischen Zustände im Sinne eines „Erfühlens von innen heraus“ 4 kulminierten beide in Theodor Lipps’ aktivischer Auffassung der Einfühlung in äußere Gegenstände als „objektivierter Selbstgenuß“. 5 In späteren Arbeiten wurde die Einfühlungstheorie noch universaler mit Begriffen wie „transitive Ich-Erweiterung“, „Gefühlverschmelzung“ und auch als „pantheistisches Verlangen nach Einheit mit der Welt“ beschrieben.6 1 Harry S. Mullgrave: Empathy, Form and Space. Problems in German Aesthetics 1873–1893, Los Angeles 1994, S. 2. 2 Vgl. Ernst Meumann: Einführung in die Ästhetik der Gegenwart, Leipzig 1908 (3. Aufl. 1919). 3 Zit. nach Meumann (s. Anm. 2), S. 54f. 4 Robert Vischer: Der ästhetische Akt und die reine Form (1874). In: Ders.: Drei Schriften zum ästhetischen Formproblem, Halle 1927, S. 47f. 5 Theodor Lipps: Einfühlung und ästhetischer Genuß (1906). In: Emil Utitz: Ästhetik, Berlin 1923, S. 152. 6 Mullgrave (s. Anm. 1), S. 25.
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Michael Mönninger
Raumwahrnehmung und Einfühlungsdenken spielten auch im Städtebau des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Allerdings sind die Methoden und Instrumente der Stadtanalyse sowie die Darstellungsmedien der planerischen Synthese naturgemäß völlig andere als in der bildenden Kunst. Im Gegensatz zum tradierten mimetischen Abbildungsverhältnis der Kunst arbeitet die Architektur seit alters mit geometrischen Entwurfstechniken, die eher den Erfordernissen der Baupraxis als den Raumvor1: Leonardo da Vinci: Stadtplan von Imola, ca. 1502. stellungen der Betrachter entsprechen. Dabei wirft vor allem die Kartografie bei der Vermittlung von Raumvorstellungen große Fragen auf. Grundlegend beschrieb bereits Vitruv die drei Darstellungsformen des Architekturentwurfs: die ichnographia (Fußabdruck) des verkleinerten Grundrisses, die orthographia des aufrechten Fassadenaufrisses und schließlich die scenographia der perspektivischen Wiedergabe von Stirn- und Nebenseiten eines Bauwerks.7 Alberti reduzierte das Spektrum und forderte orthogonale Risse und Modelle ohne „Lockmittel der Malerei“ und ohne perspektivische Verkürzungen.8 Obwohl oberste Raumkunst, fiel die Architekturzeichnung durch den praktischen Zwang zur orthogonalen Darstellung weit hinter die Raumwirkungen der Malerei zurück.9 Ohnehin war für topografisch exakte Stadtdarstellungen ein fixierter perspektivischer Beobachterstandpunkt unbrauchbar. Leonardo da Vincis Zeichnung der italienischen Stadt Imola (ca. 1502) ist einer der ersten überlieferten ichnografischen Stadtpläne.10 Er abstrahierte von der physischen Realität, aber gab genau vermessene 7 Marcus Vitruvius Pollio: Zehn Bücher über die Baukunst, übers. v. Jakob Prestel, Baden-Baden 1993 (3. Aufl.), Buch I, Kap. 1, S. 19f. 8 Leon Battista Alberti: Zehn Bücher über die Baukunst, übers. v. Max Theuer, Darmstadt 1975, Buch II, Kap. 1, S. 69f. 9 Vgl. Elisabeth Kieven: Architekturzeichnung. In: Wolfgang Sonne (Hg.): Die Medien der Architektur, München 2011, S. 17. 10 Vgl. John A. Pinto: Origins and Development of the Ichnographic City Plan. In: The Journal of the Society of Architectural Historians, 1976, XXV, S. 34–50, S. 39f.
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topografische Größenverhältnisse wieder. Indem er die Stadt senkrecht zur Erdoberfläche aus einer Vielzahl hypothetischer Blickwinkel erfasste, vermied er die gegenseitige Verschattung sowie die Verzerrung der Objekte und legte jeden Punkt äquidistant zum Betrachter an. ◊ Abb. 1 Trotz der Fortschritte in der Mess- und Zeichentechnik blieben ichnografische Stadtdarstellungen bis ins 18. Jahrhundert selten. Denn sie setzten ein geübtes Sehen voraus, wogegen die meist für Reisende und Pilger angefertigten Vogelschau-Pläne anschaulicher und verständlicher waren. Mit Giambattista Nollis Kartenwerk Nuova pianta di Roma von 1748, gestochen von seinem Sohn Carlo und mit Vignetten Piranesis versehen, entstand eine fruchtbare Synthese zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Stadt- 2: Giambattista Nolli: Plan der Stadt Rom während des Pontifikats von Papst Benedikt XIV., 1749, Ausschnitt: darstellungen. Nolli fertigte seinen Plan im Piazza Navona. Auftrag von Papst Benedikt XIV. zu einer Zeit, als das römische Baugeschehen stagnierte und die Stadtherren eine Gesamtaufnahme aller Bauwerke machten, bei der auch die Verwaltungsgrenzen der Stadtbezirke („Rioni“) exakt markiert wurden.11 ◊ Abb. 2 Das Besondere an Nollis ichnografischem Plan ist das abstrahierende Kontrast verfahren einer minutiösen Hervorhebung des Grundes gegenüber der Figur. Priorität haben bei ihm alle öffentlichen Anlagen, Wege und auch Sakralbauten, die – gleichgültig ob offen oder gedeckt – unterschiedslos als Freiräume auftreten und den päpstlichen Einflussbereich darstellen.12 Dagegen sind alle privaten beziehungsweise unzugänglichen Bauwerke unterschiedslos dunkel schraffiert und nur in ihren äußeren Umfassungen exakt im Stadtgrundriss eingetragen. Der Kontrast zwischen den geschwärzten Baufiguren und dem weißen Stadtgrund zeigt die Verschmelzung des architektonischen und des städtischen Raumes. Für diese Darstellungsweise, in welcher der Außenraum der Gebäude als Innenraum des Stadtkörpers auftritt, hat 11 Vgl. A. P. Frutaz: Le Piante di Roma, Rom 1962, Bd. 1., S. 236, Bd. 3, S. 419. 12 Das fällt angesichts des Hohlköpers der geöffneten Rotunde des Pantheon besonders ins Auge.
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sich in der Planungsdisziplin der Begriff „Schwarzplan“ durchgesetzt.13 Doch erst im 20. Jahrhundert haben Schwarzpläne weite Verbreitung gefunden. Allgemein kam der Stadtkartografie im Zuge der enormen Stadtexpansion eine wichtige Rolle als Planungsinstrument zu. Auch als Orientierungsmittel halfen Stadtpläne wesentlich, Besuchern und Bewohnern in der Labyrinthik der wachsenden Agglomerationen einen Überblick zu verschaffen und ein neues Ordnungssystem zu etablieren.14 Es entstand eine Vielzahl von touristischen und thematischen Karten, welche die topografischen Karten wie eine Schreibtafel mit Neueintragungen und Hervorhebungen markierten, bei denen ichno-, ortho- und szenografische Darstellungsweisen kombiniert wurden. Von einem Medium der Abbildung entwickelten sich die thematischen Karten zu Organisationsmedien des Wissens.15 In 3: Camillo Sitte: Turbinenplatz, 1889. den Themen-Karten vermehrten sich die Eintragungen – Monumente, Vergnügungsstätten, Verkehr, Demografie-, so dass sie wie Diagramme (diagrámma, griech.: alles mit Linien umzogene) der Visualisierung abstrakter Daten und Strukturen dienten. Auch die Thematisierung des Raumes in der Städtebautheorie im ausgehenden 19. Jahrhundert muss als Reaktion auf die Unübersichtlichkeit des Großstadtwachstums und als Suche nach neuen Ordnungsmustern über der Topografie gesehen werden. Die großen Lehrbücher der Städtebaureform von Reinhard Baumeister (1876), Camillo Sitte (1889) und Hermann Joseph Stübben (1890) verwendeten für ihre Bestandsaufnahmen und Lösungsvorschläge ähnliche Figur-Grund-Pläne wie Nolli, wenngleich mit sehr verschiedenen Differenzierungsgraden etwa bei der Parzellierung, dem Bodenrelief oder der Vegetation. ◊ Abb. 3 13 Der Begriff wird in der Fachliteratur stets als bekannt vorausgesetzt, doch eine Quelle und Datierung lässt sich bislang nicht finden. Vgl. Pierre von Meiss: Vom Objekt zum Raum zum Ort, Basel 1994, S. 88, 89. 14 Vgl. Christina Schumacher: Stadt, Bild und Plan. Notizen zur Ästhetik der Orientierung in Berliner Stadtplänen. In: Andreas Matschenz (Bearb.): Stadtpläne von Berlin. Geschichte vermessen, Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Bd. 10, Berlin 2006, S. 145f. 15 Vgl. Franziska Sick: Einleitung. Stadtraum, Stadtlandschaft, Karte. In: Dies. (Hg.): Stadtraum, Stadtlandschaft, Karte. Literarische Räume vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Tübingen 2012, S. 11.
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Am stärksten abstrahierten die Schwarz- beziehungsweise Graupläne des Wiener Städtebaulehrers Camillo Sitte von der Topografie. Die Pläne seines Buches Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, die Sitte auf der Grundlage von damaligen Baedecker-Führern, örtlichen Stadtplänen und eigenen Beobachtungen gezeichnet hatte, reduzierten die städtische Morphologie ganz auf das Komplementärverhältnis von Baumasse und Freiraum. Die Leistung dieser Schwarzpläne war eine radikale diagrammatische Komplexitätsreduktion und geradezu ein grafischer Primitivismus: Die Gestaltungs- und Bedeutungsschichten des Urbanen wurden rigoros auf die Erschließungs- beziehungsweise Kommunikationsstruktur der Wege- und Freiflächen einerseits und die Massenwirkung der Bauwerke andererseits zurückgeführt. Sitte teilte mit Nolli die Betonung der städtischen Hohlform, machte jedoch an den Gebäudegrenzen Halt. Sittes Pläne zeigen zwar maßstabsgerechte Grundrisse, aber nicht als aperspektivisches räumliches Nebeneinander wie in herkömmlichen Stadtplänen, sondern als isolierte Ausschnitte. Denn sie sind nicht von einer Vielzahl, sondern lediglich von einem vertikalen Blickwinkel aus gezeichnet und konzentrieren sich stets auf eine dekontextualisierte Aufsicht auf konkrete Platz- oder Ensemblesituationen. Angesichts der stark schematisierten Grundrissfiguren erscheint es als kontra-intuitiv, dass diese Umrisszeichnungen die Leser für plastische zwischenräumliche Ensemblewirkungen sensibilisieren konnten. Dennoch zeigt die Verbreitung und Anerkennung seines Buches, dass es Sitte offensichtlich gelungen war, aus der zweidimensionalen Darstellung der Stadt heraus ein nichtgegenständliches Abbild ihrer Dreidimensionalität zu vermitteln.16 Indem die gleichsam anatomisch herauspräparierten Skelette von Stadtgrundrissen substanzielle Aussagen über die Identität einer Stadt machten und auch Ortsfremden ein Vorstellungsbild erlaubten, wurden sie zu einer zentralen rhetorischen Argumentationshilfe in der städtebaulichen Reformdebatte. Nachweislich war Sitte zu seinen abstrakten Plangrafiken durch die empirische Ästhetik von G. Th. Fechner motiviert worden. Wie Fechner den Nachweis der Gültigkeit des Goldenen Schnitts nicht an Kunstwerken, sondern einfachen geometrischen Figuren angetreten hatte, so wählte Sitte nicht illusionistische Veduten und szenografi 16 Aus dem Gestaltvergleich von historisch höchst disparaten Stadtformen aus zweitausend Jahren Baugeschichte entwickelte Sitte eine Fülle von Evidenzbehauptungen. Sein Versuch, aus deskriptiven Bestandsaufnahmen normative Modelle abzuleiten, enthält innere Widersprüche und logische Zirkelschlüsse, auf die erstmals Daniel Wieczorek hingewiesen hat, vgl. Ders.: Camillo Sitte et les débuts de l’urbanisme moderne, Brüssel 1981, S. 133ff. Vgl. auch Michael Mönninger: Camillo Sitte als Städtebauer. In: Klaus Semsroth, Michael Mönninger, Christiane Craseman Collins (Hg.): Camillo Sitte, Gesamtausgabe, Bd. 6, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 283.
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4: Robert Venturi: Schwarzplan des Strip.
sche Stadtansichten für seine bevorzugten Konfigurationen, sondern Stadtdiagramme, die alle wesentlichen Charakteristika auf ideale Raumqualitäten reduzierten.17 Sittes Figur-Grund-Pläne sind weniger realistisch als imaginativ und propagieren das Ideal einer städtischen Raumkompression und Ortsverdichtung. Gleichzeitig mit der Einfühlungstheorie um 1900 vollzog Sitte den Übergang von der Objekttheorie zur subjekttheoretischen Begründung der Raumkunst. Denn trotz seiner ichnografischen Grundrisse war seine Wahrnehmung tendenziell szenografisch; stets gab er partiellen Aufnahmen situativer Aufsichten den Vorzug vor totalisierenden Gesamtwahrnehmungen.18 Seine Raumauffassung war fokussiert auf Immersion und Umschließung des Betrachters, der im Resonanzbereich der Stadt den elementaren Selbstausdruck des eigenen Erlebens suchte. 17 Sittes idealer Stadtraum umfasste die Geschlossenheit des Körpereindrucks, die Kontinuität und Kontiguität der Raumbildung, die konkave Organisation der vom Betrachter aus in die Tiefe gestaffelten Raumschichten, die Beruhigung des Betrachterstandpunktes und ein ausgeprägter „horror vacui“ angesichts mangelnder Dichte von Baumasse und Menschen. Vgl. Michael Mönninger: Vom Ornament zum Nationalkunstwerk. Zur Kunst- und Architekturtheorie Camillo Sittes, Braunschweig/Wiesbaden 1998, S. 69. 18 „Es bleibt immer dieselbe Regel zu befolgen, nämlich das, was man zu gleicher Zeit überschauen kann, soll zusammenpassen, und um das, was man nicht sehen kann, braucht man sich nicht zu kümmern. So folgt man den Spuren thatsächlicher Wirkung und kann nie irre gehen.“ Camillo Sitte: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889 (Reprint). In: Klaus Semsroth, Michael Mönninger, Christiane Craseman Collins (Hg.): Camillo Sitte, Gesamtausgabe, Bd. 3, Wien 2003, S. 163.
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Die in den Raum und die Baukörper projizierten und zurückgespiegelten Ausdrucksqualitäten reichten in ihrer Undifferenziertheit noch nicht an das mimetische und expressive Spektrum der nachfolgenden, phänomenologischen Psychologie von Heinrich Wölfflin und August Schmarsow heran. Aber Sitte befand sich bereits auf dem Weg zur Freisetzung einer gleichsam freudianischen Sensibilität19 gegenüber Sinneswahrnehmungen und sozialräumlichen Konstellationen. Sein Ziel war die Übertragung des Selbstgefühls auf die Phänomene, um unspezifische Außenräume qua „transitiver Ich-Erweiterung“ – vulgo: Beseelung – in qualifizierte Orte zu verwandeln, in denen Raum und Körper durch „ein lebensvolles organisches Verwachsen mit der Umgebung“ 20 untrennbar verknüpft und gleichsam seelisch interiorisiert wurden. Die Überzeugungskraft von Schwarzplänen wird auch damit erklärt, dass solche Plangrafiken das Symbolische hinter sich lassen und eine Vorform technischer Realaufzeichnungen ergeben würden.21 In jedem Fall ist festzustellen, dass ihre Verwendung in der jüngeren Vergangenheit stets mit städtebaulich-architektonischen Paradigmenwechseln verbunden war. So eröffnete der amerikanische Architekt Robert Venturi die postmoderne Kritik an der Architektur des 20. Jahrhunderts mit seiner Analyse Learning from Las Vegas.22 Darin benutzte er den Schwarzplan von Nolli als Vorbild, um die öffentlichen beziehungsweise kommerziellen Publikumsräume in Las Vegas aufzuzeichnen. Venturi beschrieb Strip und Casinos als „Räume mit gleichsam zeremonieller Nutzung“,23 vergleichbar mit den Wegen und Versammlungsorten der Pilger in Rom. Damit verfolgte er die Absicht, in den zuvor ignorierten und diskreditierten Raumstrukturen von Las Vegas traditionelle Stadtqualitäten zu erkennen und sie als vernakuläres Gegenmodell zum geringen Beziehungssinn des modernen Urbanismus für plastische Ensemblequalitäten aufzuwerten. ◊ Abb. 4
19 George Collins, Christiane Craseman Collins: Camillo Sitte. The Birth of Modern City Planning, New York 1986, S. 68. 20 Sitte: Der Städtebau (s. Anm. 18), S. 30. 21 So vergleichen neuere Forschungen das Raumbild im Schwarzplan mit der Realaufzeichnung einer traditionellen analogen Schallplatte, deren Rillen den dreidimensionalen Abdruck einer mechanischen Aufzeichnung von Schallwellen bedeuten. Diese Schicht wird im Sinne einer Spur verstanden, die im Schwarzplan als physische Oberfläche der Stadt zu Tage tritt, vgl. Christa Reicher: Städtebauliches Entwerfen, Wiesbaden 2012, S. 49. Auf ähnliche Weise werden Schwarzpläne auch mit Schattenbildern oder Scherenschnitt-Porträts verglichen, die die physiognomische Eigenart einer Figur allein aus der Silhouette gewinnen, vgl. Tobis Nöfer: Schwarz auf weiß. In: Hans Stimmann (Hg.): Berliner Altstadt, Berlin (2. Aufl.) 2014, S. 83. 22 Robert Venturi, Denise Scott-Brown, Steven Izenour: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt (1972), Braunschweig 1979. 23 Venturi, Scott-Brown, Izenour (s. Anm. 22), S. 37.
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5: Collage City: Massenplan von Parma (links) – Massenplan von St. Dié (rechts).
Gleichermaßen als Kritik an der modernen Stadt erschien 1978 die Programmschrift Collage City von Colin Rowe und Fred Koetter.24 Auch wenn hier nicht von Schwarzplänen, sondern von „Massenplänen“ die Rede ist, so übernahmen die Autoren das Figur-Grund-Planschema von Nolli und zeigten mittels Kartenausschnitten von Rom, Paris, Florenz und Athen historische Idealverhältnisse zwischen Baukörper und Stadtraum. In ihrer Argumentation verschärften sie den Gegensatz zwischen traditionellem und modernem Städtebau als „das Umschlagen beim Figur-Grund-Phänomen“: Die alte Stadt sei „eine Ansammlung von Hohlräumen in weitgehend ungegliederter Masse“, die moderne Stadt dagegen „eine Ansammlung von Massen in weitgehend unberührter Leere“.25 Die Absicht der Autoren war, die „Krise des Objekts“ infolge seiner Isolation zu überwinden, indem es in die räumliche Textur der Stadt reintegriert und das Dazwischen wieder „Stützgewebe“ wird.26 ◊ Abb. 5 Ebenfalls eine Zäsur bezeichnete der deutsche Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig 2000 mit dem Titel Physiognomie einer Großstadt, der die Zerstörung und Erneuerung der Berliner Innenstadt mit Schwarzplänen aus fünf Zeiträumen zwischen 1940 und 2010 visualisierte. Hier machten die im Deutschen Pavillon präsentierten Stadtkarten die internationale Fachwelt auf das 1999 vom Berliner Senat beschlossene Leitbild „Planwerk Innenstadt“ aufmerksam, das die Reparatur der Kriegszerstörungen und Nachkriegsabrisse im westlichen und östlichen Berliner Zentrum zum Ziel hat. ◊ Abb. 6 Die Figur-Grund-Pläne zeigten nicht nur den Verlust von Baumasse und die damit verbundene Auflösung traditionell gefasster Stadträume; sie spezifizierten auch die Eigentumsstruktur durch detaillierte Darstellung der Bauparzellen, die nach 1945 in beiden Stadthälften zu Großeinheiten in öffentlicher Trägerschaft zusammengelegt 24 Colin Rowe, Fred Koetter: Collage City (1978), Basel 1984. 25 Row, Koetter (s. Anm. 24), S. 88. 26 Row, Koetter (s. Anm. 24), S. 74ff.
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6: Schwarzplan Berlin 1953.
wurden.27 Obwohl das „Planwerk“ keine Abrisse plante und Neubauten auf Brachflächen und Verkehrswegen vorsah, kündigten seine Schwarzpläne die Abkehr vom modernen Urbanismus der Stadtlandschaft an.28 Ob Krisenphänomen, Kampfansage oder Komplexitätsverweigerung – bemerkenswert bleibt, dass ausgerechnet der kartografische Primitivismus von Schwarzplänen zum wirksamen rhetorischen Mittel wurde, das aus der grafischen Abstraktion die Lust an der sinnlichen Einfühlung erzeugt und so die Stadtbaukunst mehr als einmal erneuert hat.
27 Hans Stimmann (Hg.): Berlino – Berlin. 1940 – 1953 – 1989 – 2000 – 2010, Genf/Mailand 2000. 28 Eine neue Stufe der Popularisierung von Schwarzplänen erreichte das Buch von Vinga Mueller-Haagen, Jörn Simonsen, Lothar Többen: Die DNA der Stadt. Ein Atlas urbaner Strukturen in Deutschland, Mainz 2014.
Bildbesprechung Christina Clausen
Imagination und Hypothese in der Architekturmalerei Im Bestand des Landeshauptarchivs SachsenAnhalt werden zwei kleinformatige Ölgemälde des preußischen Architekturmalers Carl Hasenpflug aufbewahrt. ◊ Abb. 1 + 2 Gemeinsam mit Kostenanschlägen, Rechnungen und Protokollen wurden sie dort als Dokumente der Magdeburger Domreparatur archiviert, die von 1825 bis 1835 unter der Schirmherrschaft von Friedrich Wilhelm III. durchgeführt wurde.1 Beide Gemälde zeigen den Chor des Doms aus nördlicher Perspektive. Während die erste Version den 1827 noch bestehenden Bauzustand mit Walmdächern über dem Chorumgang präsentiert, ◊ Abb. 1 simuliert das zweite Gemälde die Erscheinung des Chores ohne Bedachung. ◊ Abb. 2 Zur Veranschaulichung der beiden baulichen Varianten schickte der Leiter der Dominstandsetzung die Ölbilder an Friedrich Wilhelm III., der daraufhin in einer Kabinettsordre vom 28. Oktober 1827 die Entfernung der Dächer anwies: „Auf Ihre Anfragen vom 15ten d. M. bestimme Ich, daß die schadhaften Zeltdächer von Schiefer, welche von Außen über dem sogenannten Bischofs gange um das hohe Chor des dortigen Doms laufen, nicht wieder hergestellt werden sollen, sondern die unter denselben befindliche flache Abdachung von Sandstein-Platten wasserdicht gemacht werden soll. […] Die eingereichten vier Zeichnungen empfan gen Sie hierbei zurück.“ 2 Zwei dieser sogenannten „Zeichnungen“ können zweifelsfrei als Hasenpflugs Ölgemälden identifiziert werden.3 Die unpräzise Bezeichnung könnte auf die traditionell eher übliche Verwendung von grafischen Medien während bauplanerischer Prozesse zurückzuführen sein. Darüber hinaus ist der Malerei Hasenpflugs auch technisch eine genuin zeichnerische Qualität zu eigen. Unter dünn aufgetragenen Farbschichten lässt er die künstlerische Unterzeichnung4 durch-
scheinen, sodass Gesimse und Fensterprofile durch die sichtbar bleibenden Bleistiftlinien konturiert werden. Als Malgrund verwendet er ockerfarbenes, grobkörniges Papier, das auf Eichenholztafeln aufgezogen wurde. Um die Materialität des Sandsteins darzustellen, nutzt er die raue Struktur dieses Untergrunds. Die Stellen, an denen sich die verdünnte Ölfarbe in den Vertiefungen des Papiers sammelt, wirken wie verschattete Poren im Stein. Andere Bereiche belässt er unbemalt, sodass die steinerne Oberfläche allein durch die Farbigkeit und Strukturierung des Papiers suggeriert wird. Bleistiftzeichnung und Papier bleiben sichtbar, wodurch das Auftragen der Ölfarbe eher einer Lavierung gleichkommt. Die architektonischen Glieder sind präzise herausgearbeitet und in eine scheinbar nüchterne Komposition eingebunden. Einem objektivierenden Versuchsaufbau vergleichbar, positioniert Hasenpflug den Chor parallel zur Bildfläche. Der Blick wird ausschließlich auf den sich stufenförmig auftürmenden Ostabschluss gelenkt, der, nahezu den gesamten Bildraum ausfüllend, von einem quaderförmigen Turm auf der rechten und einem niedrigeren Gebäude auf der linken Seite eingefasst wird. Vermutlich haben ähnliche Beobachtungen die Forschung dazu verleitet, die Bilder als bloße visuelle Dokumentation denkmalpflegerischer Maßnahmen zu deuten.5 Bereits die Wahl der Perspektive ist jedoch nicht allein auf funktionale Erwägungen zurückzuführen, sondern steht in der Tradition der bildparallelen Konzeptionen niederländischer Architekturbilder, beispielsweise denen Pieter Saenredams.6 Auch fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass beide Gemälde deutliche Unterschiede in der malerischen Ausführung aufweisen. So verwendet Hasenpflug in der ersten Version mit Walmdächern eine breitere Palette an Braun- und Ockertönen, um den Chor plastisch hervortreten zu lassen. Die Beleuchtungseffekte sind differenzierter herausgearbeitet und die Binnenstrukturierung der Stein oberflächen ist aufwendiger gestaltet. Für diese unterschiedliche Bearbeitung der beiden Bilder sind ein pragmatischer, ein erscheinungshafter und
Bildbesprechung
1: Carl Hasenpflug: Magdeburger Dom, Ansicht des Chores von Norden mit den bestehenden Walmdächern, 1827/1828, Öl über Bleistift, Papier auf Eichenholz, 33 × 26,5 cm.
2: Carl Hasenpflug: Magdeburger Dom, Ansicht des Chores von Norden mit flacher Bedachung des Bischofsganges, 1827/1828, Öl über Bleistift, Papier auf Eichenholz, 33 × 26,5 cm.
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ein argumentativer Hintergrund denkbar. Eine mögliche Erklärung wäre, dass Hasenpflug nach der Fertigstellung des ersten Gemäldes von seinen Auftraggebern angehalten wurde, das zweite schneller oder mit geringerem Aufwand zu beenden. Im Unterschied zu dieser pragmatischen Erklärung setzen die anderen beiden Varianten voraus, dass Hasenpflug sich beim zweiten Gemälde bewusst für einen anderen Darstellungsmodus entschied. Eine zweite mögliche Erklärung könnte daher in der Erscheinungsform der beiden dargestellten Architekturen liegen, denn während die erste Version einen real existierenden Baubestand wiedergibt, bewegt sich das zweite Bild in der Sphäre des Imaginativen und bleibt daher auch darstellerisch weniger körperlich. Unterstützt wird diese Möglichkeit von anderen Werken Hasenpflugs, denn er bediente sich häufig einer formalen Kennzeichnung von Architekturdarstellungen, die einen hypothetischen Zustand aus der Vergangenheit oder Zukunft zur Anschauung brachten. Der dritten, argumentativen Erklärung liegt zugrunde, dass Hasenpflug selbst eine bauliche Variante bevorzugte und in seinen Gemälden für diese Stellung bezieht. Selbst nachdem die Dächer auf königliche Anweisung abgetragen worden waren, malte Hasenpflug den Domchor weiterhin mit seiner früheren Bedachung.7 Dieser Präferenz könnte die anspruchsvollere Ausführung des ersten Gemäldes folgen, die dadurch eine noch eindringlichere Suggestivkraft entfaltet. Gerade diese darstellerischen Feinheiten lösen die Architekturmalerei aus einer dem Bau dienenden Funktion, prägen die bildhafte Wahrnehmung der Architektur und öffnen dadurch den Planbildcharakter ins Malerische.
Bildbesprechung
1 Rita Mohr de Pérez: Die Anfänge der preußischen Denkmalpflege und der Domreparaturbau in Magdeburg 1826–1834. In: Wolfgang Schenkluhn, Andreas Waschbüsch (Hg.): Der Magdeburger Dom im europäischen Kontext, Regensburg 2012, S. 119– 129; Peter Findeisen: Geschichte der Denkmalpflege. Sachsen-Anhalt, Von den Anfängen bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, Berlin 1990, S. 54–61 und S. 214–220. 2 J. H. B. Burchardt: Momente zur Geschichte des Dom-Reparatur-Baues in Magdeburg 1826–1834, Magdeburg 1835, S. 20f. 3 Antje Ziehr (Hg.): Carl Hasenpflug 1802–1858. Wahrheit und Vision, Ausst.kat., Halberstadt 2002, S. 212f. 4 Während „arbeitstechnische“ Unterzeichnungen konstruktive Hilfsmittel zur Ausführung des Gemäldes beispielsweise Fluchtlinien umfassen, stehen die „künstlerischen“ Unterzeichnungen der Vorzeichnung nahe, allerdings sind sie bereits auf dem Bildträger des Gemäldes ausgeführt. Kristina Mösl: Unsichtbar – sichtbar. Infrarotuntersuchungen zu Schinkels Gemälden und ihren Unterzeichnungen. In: Hein-Th. Schulze Altcappenberg, Rolf H. Johannsen (Hg.): Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie, Das Studienbuch, Berlin/ München 2012, S. 143f. 5 Ziehr (s. Anm. 3), S. 213. 6 Christian Spies: Selbstvergewisserung auf der weißen Wand. Pieter Saenredams ‚Chor von St. Bavo in Haarlem‘. In: Sebastian Egenhofer, Inge Hinterwaldner, Christian Spies (Hg.): Was ist ein Bild? Antworten in Bildern, Gottfried Boehm zum 70. Geburtstag, München 2012, S. 174f. 7 Dies belegt beispielsweise eine Darstellung des Magdeburger Doms von Nordosten aus dem Jahr 1832, die im Kulturhistorischen Museum Magdeburg (Inv. G 32) aufbewahrt wird.
Interview Franco Stella und Fabian Hegholz über die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
Bildwelten:
Unter dem Titel Planbilder gehen die Bildwelten des Wissens dieses Mal der Frage nach, wie Entwurfs- und Darstellungsmedien die Form zukünftiger Architektur bestimmen. Auch die Wiederherstellung historischer Bauten unterliegt medialen und materiellen Bedingungen. Im Falle des in Berlin derzeit entstehenden Gebäudes des HumboldtForums, das teilweise in der Gestalt des barocken Berliner Schlosses errichtet wird, haben wir uns gefragt, wie Sie bei der Rekonstruktion der sechs Fassaden, die der Bundestag als Bedingung formulierte – drei zur Stadt und drei zum Schlüterhof gewandt – vorgehen, nicht zuletzt eingedenk der Tatsache, dass sie auch neue Baustoffe und Techniken einsetzen.
Fabian Hegholz:
Zunächst einmal spielen die historischen Aufmaße für uns eine entscheidende Rolle, und ich finde es interessant, die Qualität der Zeichnungen miteinander zu vergleichen. Ich habe Ihnen ein paar Aufmaße mitgebracht, um die Zeitspanne ihrer Entstehung deutlich zu machen. Dies hier ist um 1800 entstanden, ◊ Abb. 1 dann haben wir hier ein Aufmaß von Reinhold Persius, ◊ Abb. 2 das ganz typisch ist für die Gründerzeit. Es gab Architekten, die in ihrer Tätigkeit für das Hofbauamt einen erheblichen Teil ihres Berufslebens darauf verwendeten, einzelne Bauteile aufzumessen und Restaurierungen abzubilden. Das war eine Zeit, in der sehr viel Liebe ins Detail gesteckt wurde, und daher sind solche Zeichnungen sehr klassisch aufgebaut, mit Schnittansichten, detaillierten Einzeldarstellungen und präzisen Vermaßungen. Wir kommen dann in der dritten Zeit in die Abrissphase um 1950, in der über Monate Studenten durch die Höfe und Gebäudeteile geschickt wurden, die sehr schnell sehr viel aufgenommen haben. ◊ Abb. 3 Man sieht schnell, wenn man die Zeichnungen miteinander vergleicht, dass dort relativ unerfahrene Leute am Werk waren, die auch gar nicht die Zeit hatten, alles auszudetaillieren oder ins Reine zu zeichnen. Teilweise wurden die Blätter noch nach der Sprengung in Weimar umgezeichnet, als Lehrstücke. Gerade weil das Originalgebäude verloren ist, bleiben diese unvollständigen, jedoch sehr umfangreichen Aufmaße der unterschiedlichen Fassadenteile und Architektursysteme natürlich für uns die Grundlage der Rekonstruktion.
74
Interview
1: Anonym: Profilierte Fenstergewände Westfassade und Schlüterhof, Berlin um 1800, Signatur 142 B7.
2: Reinhold Persius: Aufmaß der Schlüterfassade, Berlin 1879, SPSG GK I (1) Mappe 142 B 14.
3: Studenten der TU Weimar: Aufmaß Portal V Erdgeschoss, Berlin 1950, SPSG, GK II (1) Mappe 154 B 131.
Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
75
Bildwelten:
Und das hier wäre so ein historischer Aufriss? ◊ Abb. 4
Hegholz:
Genau, das gehört noch dazwischen, 1935. Man hat bis Kriegsbeginn noch regelmäßig Restaurierungskampagnen durchgeführt. Der Plan zeigt einige Fensterachsen der Westfassade, farbig hervorgehoben werden restaurierte und erneuerte Steine. Für die Rekonstruktion sind die Maßangaben dieser Einzelelemente wichtig. Außerdem verfügen wir über einige der besten Detailfotografien, die damals vom Gerüst aus aufgenommen wurden, so dass diese Quellen eigentlich schon die wichtigsten Informationen für den Wiederaufbau in diesem Bereich liefern.
Bildwelten:
Sie haben die Epoche des Historismus erwähnt. Zu jener Zeit wurde systematischer damit begonnen, Denkmäler zu vermessen. Die daraus hervorgehenden Archive, wie die fotografische Sammlung der Commission des monuments historique in Paris oder die Preußische Meßbildanstalt, dienten dabei auch zur Formulierung nationaler und kultureller Grenzen. Denkmäler, die sich nicht eindeutig zuordnen ließen, wurden teilweise stilistisch bereinigt. Paul Tornow hat zum Beispiel das Portal der Kathedrale von Metz nach gotischem Vorbild umgebaut. Damit ging, wie Marion Wohlleben gezeigt hat, eine deutsch-nationale Identifikation einher. Ist die Rekonstruktion der Schlossfassade in der Berliner Stadtmitte nicht eine Re-Repräsentation eines vergangenen Preußischen Reiches? Und hat die Rekonstruktion des Schlosses damit auch eine politische Botschaft?
Franco Stella: Ich
halte nichts davon. Das zu rekonstruierende Berliner Schloss, das im Zusammenspiel mit neuen Bauteilen zu einem schlüssigen Gebäude komponiert wird, war ein Meisterwerk des europäischen Barock, das wie kaum ein anderes die städtebauliche und architektonische Identität Berlins gestiftet hat. Die Straßen und Plätze sowie die Paläste und viele Bürgerhäuser, die auf das Schloss bezogen waren, sind immer noch da, meist in der Nachkriegszeit rekonstruiert. Auch im heutigen Berlin wird das rekonstruierte Schloss eine hervorragende architektonische und urbane Bedeutung wiedererlangen. Im Allgemeinen, denke ich, wird die Rekonstruktion eines verlorenen Bauwerks durch dessen Bedeutung für das kollektive Gedächtnis und für die Identität einer Stadt gerechtfertigt.
Bildwelten:
Im Gedächtnis vieler in Berlin lebender Menschen sind sicher auch der Palast der Republik oder die vielen Zwischennutzungsprojekte geblieben. Einige der Dokumente, auf die Sie zurückgreifen, wurden von einem Historist des 19. Jahrhunderts, Albrecht Meydenbauer, zusammengetragen. Meydenbauer hat als Student Aufmaße erstellt, zu einer Zeit, in der Denkmalpflege zu einer Schreibtischarbeit zu werden begann und an zentraler
76
Interview
4: Fa. Zeidler & Wimmel: Restaurierungsplan Westfassade, Berlin 1935, Signatur 142 C 32.
Stelle organisiert wurde. Zur Erleichterung seiner Arbeit entwickelte er das Verfahren der Messbildfotografie, auch Photogrammetrie genannt. Er formulierte einen hohen Anspruch an seine Bilder, die Maße und ornamentale Details eines Bauwerkes vollständig wiedergeben sollten, damit der Bau, falls nötig, nach einer Zerstörung wieder errichtet werden könnte – was Sie heute teilweise tun. Meydenbauer war der Auffassung, zeitgenössische Architektur könne den Wert der historischen Bauformen nicht erreichen. Das war wohl auch der Grund warum er als Architekt nicht entworfen hat, sondern die Denkmalpflege in das Zentrum seiner Arbeit stellte. Die Dokumente, die er anfertigte sind dabei keineswegs neutral, sondern unterliegen einer historistischen Bewertung der Architekturgeschichte. Bewähren sich diese Bilder heute? Können Sie tatsächlich Risse und Maße aus den Fotografien projizieren, so wie sich Meydenbauer das gedacht hat?
Hegholz:
Für die Bildhauerei sind seine Fotografien mit Sicherheit eine sehr wichtige Quelle. Die Entwicklung der Architektursysteme basiert eher auf den historischen Planunterlagen, gerade bei vorspringenden Architekturgliedern. Dennoch gelang es den Architekten des Büro Stuhlemmer und den Photogrammetern der Technischen Universität Berlin aus den Fotografien von Meydenbauer ein Raster der groben Fassadenstrukturen zu entwickeln. Aus der Verbindung dieses Rasters mit den historischen Planunterlagen konnten
Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
77
wir schließlich eine Art Rahmen definieren, welcher die Geometrie der Architekturelemente von den Bildhauerarbeiten abgrenzt. Beispielsweise haben wir ungefähr zu bestimmen versucht, wie weit eine Figur vorragt und welches die wesentlichen Punkte ihres Aufbaus sind. Doch danach ist für uns Architekten definitiv Schluss, dann ist der Bildhauer dran. Das ist ein anderes Thema, das auch intensiv von Kunsthistorikern begleitet wird. Bildwelten:
Die zu den Photogrammetrien gehörenden Messdaten und Geräte aus der Preußischen Meßbildanstalt, die notwendig sind, um die Fotografien auszuwerten, sind seit dem Jahr 1945 verloren. Allerdings haben Wissenschaftler von der Technischen Universität Berlin, wie Sie bereits erwähnten, die sogenannte innere und äußere Orientierung der Messkammern rekonstruiert und damit die Grundlage für die geometrische Projektion geliefert. Das ist bereits vor der Entscheidung des Bundestages vonstattengegangen. Lässt sich eine perspektivische Projektion aus anderen Fotografien als jenen der Meßbildanstalt heraus vornehmen, die nicht unbedingt dafür gemacht wurden? Hängt das auch mit geometrischen Formen zusammen, die sich leichter errechnen lassen?
Hegholz:
Wir haben versucht, diverse Fotoquellen zu nutzen und dort Flächen zu suchen, auf die sich Orthogonalität überhaupt anlegen lässt. ◊ Abb. 6 Eine Perspektive zu rekonstruieren und daraus dreidimensionale Strukturen zu entwickeln, habe ich persönlich nicht gemacht. Bei so einem Bild habe ich immer zuerst versucht zu überlegen, wo der Standpunkt ist. Befindet sich dieser relativ weit unten, kann ich in den unteren Geschossen orthogonal vielleicht mit diesem Raster arbeiten und Fensteröffnungen, einige wesentliche Linien und das horizontale Gesims festlegen. Umso steiler die Ansicht wird, desto stärker macht sich die Verzerrung bemerkbar. Insofern wäre die Arbeit mit perspektivischen Darstellungen zu kompliziert, zumal wenn ich mit Planzeichnungen verlässlichere Quellen habe.
Bildwelten:
Das Besondere an Meydenbauers Bildern ist die Detailfülle. Es handelt sich um 40 × 40 Zentimeter große Negativplatten; die historischen Fotografien wurden als Kontakt abgezogen. Dadurch, dass beim Abziehen der Positive kein Vergrößerer verwendet wurde, traf das Licht stärker fokussiert durch die Negativplatte auf das Papier. In den 1980er-Jahren hat Rudolf Meyer Kopien der Glasplatten in einer Größe von 6 × 6 Zentimetern hergestellt. Die Fotografien, die Sie verwenden, sind sehr wahrscheinlich von den Negativen der sogenannten Sicherheitsverfilmung abgezogen worden. Selbst diese sind noch so detailliert, dass sie mit der Lupe studiert werden können. ◊ Abb. 5
78
Interview
5: Preußische Meßbildanstalt: Messbild von Portal IV und angrenzender Rücklagen, Berlin um 1900, Signatur 1476.4. Hegholz:
Ja, und genau das haben wir getan, insbesondere zur Ermittlung der Materialität: Wo ist Putz, wo ist Stein, war der Stein vielleicht mit einer Kalkschlemme gefasst? Selbst das kann man auf den Fotos sehr gut erkennen. Das sind Fragen, die wir im Projekt intensiv diskutieren, und dabei ergibt es sich, dass wir in einzelnen Bauteilen deutliche Unterschiede feststellen können. Wir haben zum Beispiel außen ein steinsichtiges Gebäude, während im Hof, der noch geschützter war bis zuletzt, selbst auf den Fragmenten, die ausgegraben wurden, Öl- und Kalkanstriche angebracht waren. Wir können also Anstriche und Fassungen auf archäologischen Fragmenten, die wir im Gebäude verorten konnten, anhand der Meydenbauer-Fotos verifizieren. Und das ist natürlich schon phänomenal.
Bildwelten:
Für welche Maße entscheiden Sie sich, wenn die Unterlagen mehrere Varianten wiedergeben?
Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
79
6: Büro Prof. Franco Stella: überarbeitetes Messbild von Portal IV und angrenzender Rücklagen. Hegholz:
Das ist teilweise ein langer Abwägungsprozess gewesen. Ein Hauptindiz ist sicherlich das Fuß- und Zollsystem. Wir haben immer die Teilung der damaligen Zeit übernommen und unsere Metermaße wieder rückübertragen in Fuß und Zoll. Ein einfaches Beispiel: Eine Fensteröffnung hat genau fünf Fuß Breite und zehn Fuß Höhe, das ist an mehreren Stellen belegt. Manchmal gibt es noch Details wie etwa eine Wasserschräge von vielleicht zwei bis drei Zentimetern Höhe – solche Dinge findet man relativ schnell heraus. Es wäre für uns natürlich immer der Königsweg gewesen, die Breite eines Fenstergewändes mit einem halben oder zwei Drittel Fuß
80
Interview
zu definieren. Es war uns aber klar, dass häufig eine Summe verschiedener Quellen abgeglichen werden musste, um schließlich eine Entscheidung treffen zu können. Das Ziel konnte also nicht darin bestehen, ein möglichst ideales Maßsystem, wie wir es etwa in barocken Architekturtraktaten finden, umzusetzen, sondern dem über viele Jahrhunderte gewachsenen Gebäudekomplex mit seinen zahlreichen Unregelmäßigkeiten, gerecht zu werden. Dennoch gab es auch egalisierende Festlegungen, etwa dass wir ein Gesims über eine Länge von 100 Metern nicht an einer bestimmten Stelle absacken lassen können, nur weil es am historischen Gebäude der Fall war. Bildwelten:
Bei einem solchen Puzzle aus Einzelteilen ist es unvermeidlich, einen Anfang zu setzen. Auf welcher Ebene beginnen Sie?
Hegholz:
Wir haben ein historisches Aufmaß aus der Gründerzeit, in dem nur der unterste Sockel präzise eingemessen ist. Das ist der Fußabdruck des Gebäudes. Ihn haben wir erst einmal zugrunde gelegt, natürlich stets im Abgleich mit der Vertikalen, mit den Fensterachsen, den Portalen. Dann wurden beide Ebenen zusammengebracht. Außerdem haben wir den archäologischen Bestand der Kellerräume und der Fundamente im westlichen Teil des Gebäudes. Auch das wurde eingemessen. Alles zusammen führt – das habe ich Ihnen einmal mitgebracht ◊ Abb. 7 – zu einer Übertragung in das eigentliche Projekt. Und es zeigt sich: Wir haben kein rechtwinkliges Gebäude, das wir da rekonstruieren. Wir rekonstruieren tatsächlich viele abweichende Winkelstellungen, was eine sehr mühevolle Geschichte ist, die bei manchen Fachingenieuren, die sich nur mit zeitgenössischer Technik beschäftigen, manchmal auf Unverständnis stößt. Der blaue Teil zeigt, angefangen mit der Südseite, orthogonale Bauteile, die in einem rechten Winkel zueinander stehen. Das hätte bei der Nordfassade so nicht mehr funktioniert. An dieser Stelle haben wir keinen 90°-Winkel, sondern einen etwas spitzeren Winkel von 89,34°. Wenn man das orthogonal herausgedreht hätte, wäre die Spreefassade anderthalb Meter breiter geworden. Das war der erste Moment, in dem wir gemerkt haben, welche Folgen eine Grundriss-Bereinigung hätte. Gerade in den Höfen hat Schlüter ältere Bauteile als Substanz vorgefunden, die er überformt hat, und dort ist auch viel historisches Baumaterial verwendet worden, etwa Mischmauerwerkswände, die aus dem 15. Jahrhundert stammten. Das ist zwar mit der Geometrie des Barocks verkleidet worden, aber dahinter verbargen sich viele übernommene Bauformen. So werden die Mauerwerkswände im Schlüterhof durch viele Abweichungen von den erwartbaren Geometrien gekennzeichnet sein, wir zeigen hier, wie Andreas Schlüter vor mehr als 300 Jahren mit baulichem Bestand umging, welche Entscheidungen er traf. Manche sagen, das Publikum werde es vielleicht
Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
81
später empfinden können, dass hier die baulichen Hinterlassenschaften vieler Epochen in die Rekonstruktion eingeflossen sind. Wir hätten damit ein Gebäude, das die Entwicklung mehrerer Jahrhunderte spiegelt und das nicht nur von den Fassaden her gedacht ist, sondern auf der Dreidimensionalität dieser Architektur beruht: die Durchfahrten, die Blickachsen funktionieren nicht als vorgeblendete Fassade, sondern haben immer Raumtiefe. Gerade im Erdgeschoss, bei den Portaldurchgängen, wird teilweise schon in dieser Raumtiefe rekonstruiert. In den Obergeschossen wurden auch Vorkehrungen getroffen, um große Säle später weiter ausbauen zu können. Bildwelten:
Könnten Sie noch einmal ausführen, woher die Asymmetrie im Bau kommt? Ist sie letztlich statisch begründet oder eine bewusste Gestaltung der beteiligten Personen?
Stella:
In der Geschichte der abendländischen Architektur – etwa in den fünf Jahrhunderten ihres modernen Zeitalters – war die auf der Analogie zum menschlichen Körper begründete vitruvianische Symmetrie stets ein Ideal, wenn auch oft nicht realisierbar. Wenn Sie nur einmal schauen, was zum Beispiel Palladio in seinem berühmten Traktat I quattro libri dell’architettura zeigt und was tatsächlich realisiert wurde, wird die Diskrepanz sichtbar. Das Ideal der Symmetrie wurde jeweils an die Eigenschaften des Bestandes und des Ortes angepasst.
Hegholz:
Ich glaube, das sind keine Intentionen gewesen, da gab es den Gründungsbau aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, etwas zwischen Burg und Renaissanceschloss. Die unregelmäßige Form setzt sich aus Zufällen, aus Ausbauphasen zusammen. Es gab einzelne Bauteile – an der Stelle des Schlüterhofes befand sich eine freistehende Kapelle ◊ Abb. 7 – und dann hat man im 16. Jahrhundert den ersten großen Residenzbau am Schlossplatz errichtet. Daher stammte noch dieser Runderker, das Eckrondell, den wir in der Schlüter’schen Form rekonstruieren, das heißt, als den letzten konkreten Hinweis, dass das Schloss nicht nur 250 Jahre in seiner Barockform bestanden hat, sondern aus heutiger Sicht über 500 Jahre alt war. Angrenzend an den Schlüterhof standen die ältesten Bauteile, die noch Reste einer mittelalterlichen Vorstellung von Wehrhaftigkeit zum Ausdruck brachten. Etwa, wo Schlüter später die Haupttreppe, die sogenannte Gigantentreppe angelegt hat, befanden sich zuvor zwei vorgelagerte Treppentürme, einer als Reitschnecke ausgeführt, das war der Zugang zu den fürstlichen Räumen. Die Doppelfunktion der alten Aufgänge hat Schlüter in seinen neuen geometrischen und spiegelbildlichen Treppenkasten übernommen. Es fällt aber auch auf, dass der Treppen-Risalit von Portal VI außermittig in der Ostfassade
Rampe 2% Neigung
Rampe 3% Neigung
1 1.12
5 51
1.00
3
30
4 Stg 17.6/28.0
5 Stg 17.6/28.0
9 Stg 17.6/28.0
13 Stg 17.6/28.0
10 Stg 17.6/28.0
14 Stg 16.5/29.3
UK 2Sturz= +4,78
UK 5Sturz= +3,76
UK 3Sturz= +4,04
UK 8Sturz= +4.88
6 Stg 16.7/32.0
7 22
73
11 Stg 17.3/30.0
10 Stg 17.3/30.0
BD/DD -L 30/90 cm
UK Sturz= +2,955
UK Sturz= +3,78
F90
FF Gefälle RF Gefälle 5.6% 4.8%
F90
4 Stg 17.8/28.0
5 Stg 17.8/28.0
11 Stg 17.9/28.0
11 Stg 17.9/28.0
4 Stg 17.9/28.0
17 Stg 16.5/31.0
3 Stg 18.0/28.0
Rinne
185.0S/2tg 8.0
10 Stg 18.0/28.0
Rinne
5 Stg 18.0/28.0
6 Stg 18.0/28.0
6 Stg 18.0/28.0
6 Stg 18.0/28.0
6 Stg 15.0/32.0
6 Stg 15.0/32.0
8 Stg 18.0/28.0
13 Stg 17.8/28.0
13 Stg 17.8/28.0
12 Stg 17.8/28.0
13 Stg 17.8/28.0
5 Stg 18.0/28.0
B ra un: Unregelmäßige Winkelstellung
6 Stg 16.7/30.0
Schlossfreiheit
7: Büro Prof. Franco Stella: Grundriss Berliner Schloss – Humboldt-Forum, Übersichtsplan Winkelverkippung, Berlin 2013. 14 Stg 17.8/28.0
10 Stg 17.4/28.0
14 Stg 17.8/28.0
10 Stg 17.4/28.0
9 Stg 17.8/28.0
6 Stg 17.8/28.0
T2
-
0.635/ 2.135
T1
-
2.010/3.050
4 Stg 17.3/28.0
T1
T4
T30 RS
1.010/ 2.135
T1
T1
1.010/ 2.135
-
T1
1.010/ 2.135
T30 RS
-
-
0.885/ 2.135
T30 RS
T2
0.885/ 2.135
T1
1.135/ 2.135
-
10 Stg 17.4/28.0
T1
RS, IBO
1.885/ 2.135
T1
1.010/ 2.135
EPT
2 x EPT
T2
RS
1.400/ 2.135
2 x EPT
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
T1
1.010/ 2.135
T1
1.010/ 2.135
T30 RS, IBO
T1
2.000/ 2.135
T30 RS DFA
FF Gefälle Gefälle 6.8% 6% RF
Eckrondell
-
0.635/ 2.135
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
T1
T3
T30 RS
1.135/ 2.135
T3
0.885/ 2.135
-
9 Stg 17.7/28.0
10 Stg 16.7/30.0
0.635/ 2.135
-
T2
T3
0.635/ 2.135
-
-
0.885/ 2.135
T2
0.635/ 2.135
1.385/ 2.135
-
T1
T1
1.885/ 2.135
T30 RS, IBO
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
T2
9 Stg 17.7/28.0
0.885/ 2.135
T30 RS
1.010/ 2.135
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
T1
9 Stg 17.6/28.0
10Stg 16.7/30.0
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
8 Stg 17.7/28.0
F90
2 Stg 17.5/28.0
81 1
Schlossplatz
16 Stg 17.8/28.0
6 Stg 15.0/32.0
V iole tt: ~90.61° (~89.39°)
P ink: ~91.12° (~88.88°)
9 Stg 17.8/28.0
16 Stg 17.8/28.0
9 Stg 17.8/28.0
7 Stg 17.0/29.0
8 Stg 17.0/29.0
Rinne Rinne Rin ne Rinne Rine Rin ne Rine Rin ne Rinen
Rinne Rine
3 Stg 17.8/28.0
R ot: ~90.33° (~89.67°)
81 1
Archäologischer Keller
9 Stg 17.6/28.0
13 Stg 16.5/29.3
73
7 22
Rin ne Rinen
Rinne Rinne Rinne Rinne Rinne
Rin ne Rin ne Rinne Rinen Rin ne Rin ne Rine Rinen Rinen Rin ne Rin e
Rinne Rinne Rinne
Rampe 2% Neigung
7 Stg 17.6/28.0
4 Stg 18.0/28.0
4 Stg 18.0/28.0
4 Stg 15.0/32.0
G rün dunke l: ~90.12° (~89.88°)
Rin ne
G rün he ll: ~90.50° (~89.50°)
Rinne
G e lb: ~90.80° (~89.20°)
C ya n: ~90.67° (~89.33°)
Rine
B la u: 90°
O ra nge : ~90.28° (~89.72°)
Rinne
Portal VI / ehem. Gigantentreppe
5 Stg 18.0/29.0 5 Stg 18.0/29.0
8 Stg 17.7/28.0
Rinne
Lustgarten
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
T1
1.010/ 2.135
T1
T30 RS
1.010/ 2.135
10 Stg 18.0/28.0
10 Stg 18.0/28.0
18 Stg 18.0/28.0
DS
1.010/ 2.135
T1
RS
1.010/ 2.135
T3
6 Stg 18.0/28.0
6 Stg 18.0/28.0
15 Stg 18.0/28.0
T1
DS
1.010/ 2.135
82 Interview
Belvedere / Spree
ehem. Kapelle
B E Z E IC H N U N G E N
A c htung: D ie s e r P la n die nt a us s c hlie ß lic h a ls Ü be rs ic ht z ur D a rs te llung de r unte rs c hie dlic he n W inke l im G e bä ude und gilt nur im Z us a mme nha ng mit de n gültige n A us führungs plä ne n.
A N ME R K U N G E N
D ie da rge s te llte n W inke l be z ie he n a uf da s orthogona le A c hs s ys te m. A lle W inke l a uß e nha lb 9 0 ° s ind a uf die z we ite K omma s te lle ge runde t.
Schlüterhof
Schlossforum
9 Stg 18.0/29.0
9 Stg 18.0/29.0
Agora ne Rin
Rinen
3 Stg 17.0/29.0 4 Stg 17.9/28.0
Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
83
des Schlüterhofs steht. Das liegt daran, dass dieser Ostflügel mehrteilig war und lange nicht als einheitliche Form existierte. Und so nimmt auch die heutige Form eine Abweichung auf, die wir zeigen wollen, auch wenn man vielleicht nicht sofort nachvollziehen kann, woher sie kommt. Bildwelten:
In der Asymmetrie steckt also das historische Gewachsensein des Gebäudes bis 1945, das Sie mit der Rekonstruktion wieder aufgreifen.
Hegholz:
Im Grunde sind das alles einzelne Bauteile und auch im Barock einzelne Bauphasen gewesen. Ich glaube, man muss kleinteiliger denken. Man sieht das Schloss immer als Block, aber eigentlich stecken darin einzelne Gebäude, die aus rein pragmatischen Gründen wahrscheinlich an der Stelle errichtet wurden, wo sie eben damals standen. Das sind statische Einheiten, die Portale und die Abschnitte dazwischen, und so ist es heute auch berechnet. Die Fassaden mit ihren vorgelagerten Säulenordnungen sind selbsttragende Konstruktionen und eben keine vorgehängten Fassaden. Im Inneren haben die Statiker nach den Anforderungen an die neue Nutzung gerechnet, denn wir haben ja dort keine historische Konstruktion mehr. Nur auf den Fotos der Schlossruine von 1950 sieht man heute, wie einzelne Jahrhunderte ineinander gegriffen haben. So etwas wird hier nie mehr möglich sein – mit Ausnahme des historischen Kellers. ◊ Abb. 7
Bildwelten:
Die Verbindung des Baus mit der Stadt und die Auseinandersetzung mit der Bestandsarchitektur, die Andreas Schlüter und Johann Friedrich Nilsson Eosander vorgefunden haben, rufen also die vielen Asymmetrien hervor, die im Gebäude stecken?
Stella:
Die wichtigen Asymmetrien waren keinesfalls das Ergebnis des Kunstwollens der Architekten. Eher waren sie das Ergebnis entweder der Eigenschaften des Ortes und des vorgefundenen Bestandes oder einer gescheiterten Intention der Symmetrie. Ein bedeutendes Beispiel der Verpflichtung zum Ort ist die Disposition von Portal II in der Südfassade, und konsequenterweise auch des entgegengesetzten Eosander-Portals IV in der Nordfassade. Eosanders Nachfolger Martin Heinrich Böhme errichtete Portal II auf der Achse der Breiten Straße – die zu Beginn des 18. Jahrhunderts immer noch eine sehr wichtige Straße der Stadt war – anstelle eines freistehenden Triumphbogens, der den Eingang der Stadt in das Schloss verdeutlichte. Damit befand sich das Portal nicht in der Mitte – beziehungsweise nicht in dem Idealpunkt – des neu entworfenen Hofes. Um die gestörte Symmetrie in den Hoffassaden zu heilen, ließ Eosander ähnliche Portale in die symmetrisch entgegengesetzten Eckbereiche bauen, die ausnahmsweise keine Entsprechung in den Stadtfassaden hatten.
84
Interview
Als bedeutende Beispiele einer gescheiterten Intention der Symmetrie erwähne ich das sogenannte Eckrondell und den Vorsprung des westlichen Trakts der Nordfassade. Im Namen der Symmetrie wiederholte Schlüter den vorgefundenen – und von ihm umgestalteten – Erker an der von ihm vorgesehenen westlichen Ecke der südlichen Fassade; kurz danach wich dieser neugebaute Erker der Erweiterung des Schlosses in Richtung Westen. Als gescheiterte Intention der Symmetrie erklärt sich auch der Vorsprung des westlichen Traktes der Nordfassade, der nach einer nicht realisierten Idee Eosanders mit einem gleichen östlichen Trakt korrespondieren sollte. Aus diesem Vorsprung in der Nordfassade erfolgt auch die dezentrierte Position des Portals IV in der Westfassade: eine „ungewollte“ Asymmetrie, die Eosander durch die Disposition der Fenster möglichst unbemerkbar zu machen versuchte.
Bildwelten:
Das klingt fast so, als wäre der Grundriss nur deshalb nicht symmetrisch geworden, weil verschiedene Entwürfe miteinander konkurrierten, die Symmetrievorstellung des einen diejenige des anderen zerstört hat. Ist Asymmetrie vielleicht auch Ihre heimliche Idealvorstellung?
Stella:
Ganz im Allgemeinen würde ich sagen, dass die Unregelmäßigkeit in dem von mir entworfenen Gebäude eher aus der Auseinandersetzung mit dem Bestand und der Stadt als durch ein eigenständiges „Kunstwollen“ folgt. Die von mir schon erwähnten Asymmetrien des barocken Schlosses, die wir nun rekonstruieren, wurden vereinzelt geprüft und beurteilt. Insbesondere werden auch die Asymmetrien, die ich als Ergebnis einer gescheiterten Intention der Symmetrie erklärt habe, rekonstruiert, eher wegen ihres „historisch-dokumentarischen“ Wertes als wegen eines allgemeingültigen Ideals der Schönheit.
Hegholz:
Dezente Brechungen und Asymmetrien mögen gestalterisch reizvoll sein, doch sind sie beim Schloss das Ergebnis einer langen Umgestaltung gewesen, bei welcher der Bestand dominierte. Beispielsweise resultierten Unregelmäßigkeiten aus vorhergehenden Gebäuden, die möglicherweise ganz andere Nutzungen hatten, etwa Stallungen. Entlang der Spree lagen von Beginn an die kurfürstlichen Räume, die auch nicht vollständig demoliert wurden, als Schlüter kam. Einige dieser Zimmer waren bis zuletzt erhalten. Das waren die Großformen.
Daneben gab es in der Bildplastik, in der Dekoration, beispielsweise in den Füllungen über den Fensterstürzen, zahlreiche Abweichungen. Dort vermuten wir, dass der Meister das Motiv zwar vorgegeben hat, verschiedene Ausführende dann jedoch eine viel größere Freiheit hatten, als das heute bei
Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses aus historischen Bildern
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8: Büro Prof. Franco Stella: Humboldt-Forum, Stadttor und Kolonnadenweg, Computergrafik.
der Rekonstruktion zugelassen würde. Dadurch sind deutlich erkennbare Handschriften zustande gekommen, die jetzt beim Wiederaufbau berücksichtigt werden. Ich glaube jedoch nicht, dass es das manieristische Bedürfnis gab, gegen die Fassadengliederung oder das gestalterische Grundmuster zu verstoßen. Bildwelten:
Auf welchen Prinzipien beruht die architektonische Beziehung zwischen den rekonstruierten barocken mit den neukonstruierten Bauteilen?
Stella:
Die Architektur des Neuen sucht weder eine mimetische Ähnlichkeit noch eine spektakuläre Kontrastierung mit der Architektur des rekonstruierten Alten. Die Identität des jeweiligen Ortes ist das entscheidende Kriterium für das Verständnis der Form des Neuen, das sich, wie das Alte, an die zeitlosen, rationalen Prinzipien der Architektur als Konstruktion aus Mauern und Säulen anlehnt. Forum, Theater und Piazza sind die ideellen Vorbilder der drei Innenhöfe des neuen Schlosses. Die Passage Schlossforum evoziert das Idealbild eines antiken Forums durch das Zusammenspiel des Neuen als eines Kolonnadenweges und der beiden rekonstruierten Schlossportale als Stadttore. ◊ Abb. 8
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Interview
9: Büro Prof. Franco Stella: Humboldt-Forum, Schlüterhof als Piazza, Computergrafik.
Die Eingangshalle Agora evoziert das Theater dank des Zusammenspieles der neuen Galerien als Zuschauerlogen und des rekonstruierten Triumphbogen-Portals als Bühnenwand, die an die frons scenae eines antiken Thea ters erinnert. Im Schlüterhof bestätigt die Architektur des neuen Flügels den Charakter des Hofes als Piazza, durch die Übernahme des Loggienmotivs der rekonstruierten barocken Flügel. ◊ Abb. 9
Der eindrucksvolle Blick auf die bedeutenden Baudenkmäler der Spree insel in den Sichtachsen der rekonstruierten Schlossportale unterstreicht die Zugehörigkeit des Gebäudes zum historischen und heutigen Zentrum der Stadt. Durch die Schlossportale, die ihre ursprüngliche Bedeutung als Stadttore wiedererlangen, vereinigen sich die vier äußeren, wiederentstandenen Plätze mit den drei inneren, öffentlichen Höfen zu einer Piazza in der Mitte Berlins.
Bildwelten:
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führten Sara Hillnhütter und Matthias Bruhn am 6. August 2015 in Berlin.
Kristina Jaspers
Bauen für den Film. Das Haus als Protagonist und Charakterstudie Schloss Vogelöd, Cloak Manor und Château Zedelghem sind die Namen dreier Gebäude, die nur auf der Leinwand existieren. Sie wurden von den Szenenbildnern Robert Herlth und Hermann Warm, von Ken Adam und von Uli Hanisch mit Hilfe von Modellen und Zeichnungen entworfen. Die Anforderungen, die ein Szenenbildentwurf zu erfüllen hat, sind komplex: Es geht zunächst um die Übertragung einer literarischen Vorlage oder eines Drehbuchs in eine verräumlichende Zeichnung. Selten enthält das Skript konkrete bauliche Vorgaben, der Szenenbildner muss die inszenatorischen Anforderungen aus dem Text herausdestillieren und in Schauplätze und Raumbilder übertragen. Ästhetische und dramaturgische Gestaltung gehen hier bereits Hand in Hand. Zudem ist eine glaubwürdige Verbindung zwischen Exterieur und Interieur zu schaffen. Die Außenansichten, häufig Originalschauplätze, die mit gestalterischen Eingriffen für die Filmerzählung angepasst werden, sind mit den Studiokulissen der Innenräume zu verzahnen. Die Sets sollen den Schauspielern als Bühne dienen, zu deren Gestaltung sie sich verhalten und mit deren Requisiten sie interagieren; außerdem fungieren sie als Spielfläche der Kamera, die sich den Ort mithilfe verschiedener Objektive, Perspektiven und Bewegungen erschließt. Filmräume sind oftmals psychologische Räume. Die Häuser der drei folgenden Beispiele dienen der Handlung als Schauplatz, darüber hinaus erscheinen sie als eine Art Charakterstudie oder räumliches Abbild der Protagonisten, ihres sozialen Milieus sowie ihrer emotionalen Verfasstheit. Die Häuser werden selbst zum Mitspieler. Impressionistisches Dekor zwischen Wirklichem und Unwirklichem
Die Vorlage für den Film Schloss Vogelöd (1921) von F. W. Murnau bildet ein recht trivialer Kriminalroman von Rudolf Stratz, der in der Berliner Illustrierten Zeitung erschienen ist. Carl Mayer verfasst das Drehbuch. Seine architektonischen Vorgaben sind knapp gehalten. Mayer eröffnet das Skript in der für ihn typischen, pathetisch expressiven Sprache: „Das Schloss zu Vogelöd. Umwaldet im Abend. Zweistöckig steht das Schloss. Jahrhunderthaft.“ 1 Der Filmarchitekt Hermann Warm realisiert die Außenansicht des Schlosses mit Hilfe eines großen Modells im Decla-Bioscop-Atelier in Neubabelsberg. Der Schlossherr von Vogelschrey hat auf sein Anwesen Schloss Vogelöd zur Jagd geladen. Den zentralen Schauplatz bildet eine „Halle in überlieferter Kultur“, „die hohe Doppeltüre“ führt „zum Entree“; in „ein hohes Zimmer“, mit Gobelins behängt, fällt „kaltes Licht“ ein.2 Die Jagdgesellschaft sitzt müßig im Salon und spekuliert über 1 Originaldrehbuch im Bestand der Cinémathèque française, Paris, Kopie im Archiv der Deutschen Kinemathek, Berlin. 2 S. Anm. 1.
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1: Robert Herlth: Szenenbildentwurf Arbeitszimmer beim Herzog für Schloss Vogelöd (F. W. Murnau, 1921), Bleistift, Gouache.
die Ermordung des jungen Grafen Oetsch. Der Bruder des Toten und vermeintliche Mörder, Graf Johann Oetsch, schlüpft, um den Täter zu überführen, in das Kostüm des Pater Faramund. Seine Schwägerin verleitet er im Rahmen einer Beichte zu dem Geständnis, ihren neuen Gatten zum Mord angestiftet zu haben. Das Szenenbild zu Schloss Vogelöd stammt von Robert Herlth und Hermann Warm, wobei Herlth in den Credits unter „Schöpferische Filmarchitektur“ geführt wird und Hermann Warm für die „Bauten“ verantwortlich zeichnet. Von Robert Herlth, der an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin Malerei studiert hat, haben sich drei Entwürfe erhalten, einer davon skizziert das Arbeitszimmer, in dem der Pater untergebracht ist. ◊ Abb. 1 Hermann Warm erinnert sich an Murnaus Vorgaben: „Abgewandt vom Realen, sollten diese impressionistischen Dekors die Grenzen zwischen Wirklichem und Unwirklichem verwischen, die seelischen Reaktionen der Schauspieler sollten durch die entsprechenden Dekors Unterstützung finden.“ 3 Herlths Entwurf zeigt aus leicht erhöhter Perspektive und von einem etwas nach rechts 3 Hermann Warm: Schloß Vogelöd, August 1969, unveröffentlichtes Manuskript, im Archiv der D eutschen Kinemathek.
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g erückten Standpunkt aus einen in die Tiefe gestaffelten Raum. Links wird das Zimmer durch ein hohes Fenster begrenzt, rechts bildet ein dunkler Pfeiler den Bildrahmen. Herlth hat die Zeichnung mit Bleistift skizziert und dann als Gouache ausgeführt. Dabei korrigiert er das Bildformat leicht, sodass das Seitenverhältnis nun annähernd die späteren Kamera-Kadrage im Bildformat 1:1,33 simuliert.4 Der Betrachterstandpunkt nahe der Mittelachse entspricht der späteren Kameraposition. Die perspektivisch leicht auseinandergezogenen, aus dem rechten Winkel verschobenen Wände ähneln ebenfalls dem späteren Setaufbau. Während der Dreharbeiten ist die Kamera statisch auf einem Stativ fixiert. Die ‚entfesselte Kamera‘ sollte Murnau erst drei Jahre später bei Der letzte Mann (1924) einführen. Hier orientieren sich die Studiobauten noch am klassischen Bühnenbildaufbau: Die Räume sind nicht rechtwinklig, sondern zum Zuschauer sichtgerecht geöffnet, was einen Blick auf die Seitenwände erlaubt. Herlths Entwurf ist ganz in nächtlichen Blau- und Violett-Tönen gehalten, einzig das durch das Fenster einfallende Licht wirft einen weißen Kegel. In der vorderen linken Nische steht eine Sitzbank, die Wand darüber wird durch Stuckaturen (am Blattrand als „Rosetten“ bezeichnet) verziert. Den hinteren Raumteil dominiert eine geometrische Wandgliederung mit Holzvertäfelung und Wandbehang. Eine Kassettendecke schließt den Raum nach oben. Die Details der Raumgliederung sowie der Farbstimmung entfalten eine gespenstische Stimmung. Der Raum ist nicht vollständig einsehbar, die verzerrten Wände der hinteren Nische bieten die Möglichkeit eines Verstecks, einen „Geheimgang“ deutet eine Anmerkung am linken Blattrand an. Aufgrund der eingezogenen Decke und der strengen Wandornamentik erscheint der Raum wie eine klaustrophobische Falle. Für das Seelendrama über zwei Menschen, die durch Schuld ein gemeinsames Schicksal bindet, dem sich der Mörder schließlich durch Selbstmord entzieht, entwirft Herlth weite, leere Räume mit Ecken und Winkeln, in die sich die Protagonisten hineinpressen, sowie Pfeiler, an die sie sich lehnen können. Ihre Körper fürchten den freien Raum. Der überkommene Glanz einer Klasse, die auf äußere Repräsentation und eine akkurate Fassade Wert legt, die ihr Innenleben zu verbergen sucht und dabei den Halt verliert, ist hier ins Raumbild übertragen.
4 Das Bildformat benennt das Seitenverhältnis der Höhe zur Breite des Filmbildes. Das Standartformat beträgt 1:1,33, Breitwandformate liegen zischen 1:1,66 und 1:1,85, CinemaScope und Panavision sind deutlich breiter, sie weisen ein Verhältnis von 1:2,35 auf. Die Kadrage (von franz. le cadre, der Rahmen) bezeichnet den gewählten Bildausschnitt, also die Festlegung der Einstellungsgröße. Damit wird zugleich die ästhetische Frage der Bildkomposition berührt. Siehe hierzu auch „Cadrage“ in: Thomas Koebner (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films, Stuttgart 2002, S. 107f.
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Multiperspektivisches Spiel zwischen Vorder- und Hintergrund
Auch in Sleuth (1973) wird eine Kriminalgeschichte erzählt und zugleich eine Milieu studie gezeichnet. Dem melancholischen Grundton von Schloss Vogelöd entspricht hier eine zynisch-sarkastischen Stimmung. Den Schauplatz bildet das Anwesen Cloak Manor des alternden, egozentrischen Kriminalschriftstellers Andrew Wyke, der hier mit dem jugendlichen Liebhaber seiner Frau, dem Friseur Milo Tindle, zusammentrifft. Die beiden Männer liefern sich ein Duell, das zunächst als spielerische Maskerade beginnt – der Hausherr schlüpft unter anderem in eine Mönchskutte, sein Kontrahent in ein Clownskostüm – und schließlich im bitteren Ernst mit einem Mord endet. Als Location für die Außenaufnahmen dient das Herrenhaus Athelhampton bei Dorchester, das Ende des 15. Jahrhunderts im Tudorstil erbaut wurde.5 Für die Eingangssequenz lässt Ken Adam auf dem Anwesen einen Irrgarten errichten, der bereits auf die labyrinthische Erzählstruktur des Films verweist. Das Zwei-PersonenStück von Anthony Shaffer hatte drei Jahre zuvor große Erfolge auf der Bühne gefeiert, für die Verfilmung wird der erfahrene Regisseur Joseph L. Mankiewicz gewonnen. Mankiewicz lässt das gesamte Set im großen „Atelier E“ der Pinewood-Studios errichten. Er wünscht sich fließende Übergänge zwischen sämtlichen Räumen, damit er „in continuity“ drehen kann. So sind komplexe Kamerafahrten ohne Schnitte durch das verschachtelte Set möglich. Mankiewicz begreift „Cloak Manor“ als dritten Protagonisten in diesem Kammerspiel.6 Das Haus dient zunächst der Charakterisierung seines Bewohners, ist Ausdruck von dessen Leidenschaft für raffinierte Kriminalgeschichten und seiner Passion für mechanische Puppen und Spiele aller Art. Die Butzenscheiben des Erkers, mit farbigen Wappen geschmückt, zeugen von seiner konservativen Haltung. Das Satteldach, die neogotischen Spitzbogenfenster und das durchbrochene Holzgeländer der Galerie mit Empore verleihen dem Raum etwas Sakrales. Die verteilten Automatenpuppen und Brettspiele sowie die zahlreichen leeren Sitzmöbel zeugen von verstorbenen oder vertriebenen Gästen. Die Raumgestaltung artikuliert jedoch nicht allein die Obsessionen und Charakterschwächen des Besitzers, sie wird zugleich selbst zum Ausdruck der filmischen Erzählung mit ihren Bluffs und Wendungen. Der Production Designer Ken Adam skizziert den großen Salon des Hauses mit seinem bevorzugten Filzstift, dem Flo-Master, mit dynamischen schwarzen Strichen 5 Gerhard Midding: „Wären Sie so gütig mir zu folgen.“ Ken Adam on location. In: Boris Hars-Tschachotin, Kristina Jaspers, Peter Mänz, Rainer Rother (Hg.): Bigger Than Life. Ken Adam’s Film Design, Bielefeld 2014, S. 142, weitere Abbildungen auf den S. 144f. 6 „His idea was that […] the set and props and automated dolls would be the third actor.“ Ken Adam. In: Christopher Frayling: Ken Adam. The Art of Production Design, London 2005, S. 201.
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2: Ken Adam: Szenenbildentwurf Cloak Manor für Sleuth (Joseph L. Mankiewicz, 1973), Bleistift, Filzstift, Klebestreifen.
und kräftigen Schraffuren. ◊ Abb. 2 Feine Linien fixieren den Fluchtpunkt. Das Bildformat entspricht annähernd der späteren Kamera-Kadrage mit einem Seitenverhältnis von 1:1,85. Mit einem Bleistiftpfeil hat Adam den Bereich markiert, der mit einem 18-mm-Weitwinkelobjektiv eingefangen werden soll. Die Perspektive, die er wählt, entspricht dem Blick, der sich einem Besucher nach Betreten des Hauses eröffnet. Die Grundstruktur des Raumes gibt bereits das Drehbuch vor: „It is stone flagged, and a tall window runs the height of the back wall. It is divided laterally by a minstrels gallery which, in turn, is approached by a winding staircase.“ 7
Linkerhand steigt die Treppe zur Galerie an, dahinter säumen vergitterte gotische Fenster den Erker, rechterhand begrenzt ein hoher Kamin den Blick und im Hintergrund bildet eine diagonal platzierte Spitzbogenarkade den Übergang zum nächsten Raum, dem Billardzimmer. Ken Adam, der an der Bartlett School of Architecture am University College in London studiert hat, orientiert sich bei der Gestaltung des Eingangsportals, des Erkers und der Fensterverteilung zur Linken an der Fassaden 7 Anthony Shaffer: Sleuth, London 1985, S. 11.
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3: Ken Adam: Grundriss E Stage Pinewood Studios für Sleuth (Joseph L. Mankiewicz, 1973), Filzstift.
gliederung der originalen Location. ◊ Abb. 3 Zentrales ästhetisches wie narratives Inszenierungsmittel des Films ist das Verbergen und Verstecken sowie der Wechsel zwischen Vorder- und Hintergrund. So wird Nebensächliches unerwartet zum Eigentlichen und mal scheint der eine, dann der andere Protagonist überlegen. Dies spiegelt sich auch in der Architektur, dem Vor- und Zurückspringen einzelner baulicher Elemente wie dem Kamin und den Fenstern. Auch die Requisiten, wie das Schachbrett im Vordergrund der Entwurfszeichnung, scheinen den Bildrahmen förmlich zu sprengen. Hinzu kommt die Raumstaffelung in die Vertikale dank unterschiedlich hoher Fenster und dem Einsatz von Stufen, die eine optische Hierarchisierung erlaubt. Insbesondere der Treppe zur Galerie, deren Form Adam im Grundriss nachträglich korrigiert, kommt eine dramaturgische Bedeutung zu: Zunächst steht der Hausherr, dann sein Rivale auf der Empore und blickt auf den Gegner herunter. Zweimal wird Andrew hier mit einer Pistole auf Milo zielen, zweimal wird Milo kopfüber die Treppe hinunterstürzen. Zugleich erlaubt das durchbrochene Geländer gerahmte Nahaufnahmen. Dank der steilen, harten Ausleuchtung erscheinen die Streben bisweilen wie Gitterstäbe. Wirkte Schloss Vogelöd wie ein hermetisch geschlossener Holzkasten, so erscheint Cloak Manor als ein vergittertes Gefängnis.
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Raummetamorphosen mit stumpfen Winkeln
Auch im Château Zedelghem in Cloud Atlas (2012) wird ein Generationskonflikt als Klassenkonflikt ausgetragen, bei dem der ältere Hausbesitzer seinen Heimvorteil gnadenlos ausspielt. Auch hier löst sich ein Schuss, dem dann allerdings wenig später ein Selbstmord folgt. Der Film Cloud Atlas von Tom Tykwer und den WachowskiGeschwistern nach der Romanvorlage von David Mitchell fügt verschiedene Episoden, die zwischen dem frühen 19. und dem 24. Jahrhundert angesiedelt sind, locker zusammen. Der Grundgedanke des Romans, dass eine Art ‚ewige Wiederkehr‘ die Menschen über Jahrhunderte miteinander verbinde, wird hier auch auf Räume und Gebäude übertragen. Eine Episode ist in den 1930er-Jahren angesiedelt und erzählt die Geschichte des jungen Komponisten Robert Frobisher, der sich als Assistent des berühmten Komponisten Vyvyan Ayrs verdingt und dessen Kompositionen zu Papier bringt. Doch aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis erwächst Rivalität, Frobisher bringt zunehmend eigene Ideen in die Kompositionen ein und missversteht das musikalische Einvernehmen als erotische Anziehung. Ayrs demütigt ihn daraufhin und droht, Frobishers Reputation zu zerstören. Die gemeinsame Komposition will er unter eigenem Namen veröffentlichen. Die Entstehung dieses Wolkenatlas-Quintetts – Ayrs sitzt auf dem Sofa und singt eine Melodie ungenau vor, Frobisher überträgt diese auf dem Klavier in komplexe musikalische Strukturen – fängt die Kamera in ruhigen Bildern ein, indem sie auf die Protagonisten zuzoomt und zugleich um den Flügel herum gleitet. Ein Flügel ist ein Möbelstück, das Kreisfahrten geradezu erzwingt. In diesem Fall bildet ein Regal voller Partituren einen halbrunden Hintergrund, der den Einstellungen Halt gibt. ◊ Abb. 4 Der Blick in die entgegensetzte Richtung präsentiert die untergehende Welt des gefeierten Komponisten Ayrs. In der Romanvorlage finden sich einige Hinweise zu den Einrichtungsgegenständen, die das Musikzimmer prägen, darunter „[d]er orientalische Teppich, der angeschlagene Diwan, mit Notenständern vollgestopfte bretonische Schränke, der Bösendorfer“.8 Der Szenenbildner Uli Hanisch hat für das Set eine komplexe Raumstruktur entwickelt. Eine dunkle Holzvertäfelung, schwere Vorhänge, große Kamine und ein geradezu staubiges Licht prägen die Atmosphäre. Die zahlreichen, verstreut stehenden Stühle gemahnen auch hier an entschwundene Gäste und verstellen den Weg. Der Studiobau, der in Babelsberg realisiert wird, weist keinen rechten Winkel auf. Stattdessen erscheint der Raum mit seinen zahlreichen stumpfen Winkeln und Versprüngen wie aufgefaltet und gewinnt enorm an Wandbreite, was bei einer Kamera-Kadrage von 1: 2,35 zusätzliche Perspektiven eröffnet. Das Vermeiden rechter Winkel ist ein Kennzeichen der Arbeitsweise Hanischs. Der Szenenbildner, der 8 David Mitchell: Der Wolkenatlas, Reinbek bei Hamburg, S. 73.
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4: Uli Hanisch: Grundriss Robert Frobisher 1936: Ayr’s Chateau/Music Salon für Cloud Atlas (Lana Wachowski, Tom Tykwer, Andy Wachowski 2012), Reproduktion.
Kommunikationsdesign studiert hat und selber nur selten zeichnet, denkt seine Sets rein filmisch und antizipiert dabei vorrangig die kameraoptischen Wirkungen und Spielmöglichkeiten. Bei Cloud Atlas kommt komplexitätssteigernd hinzu, dass die Sets eine Metamorphose durchlaufen und in leichter Variation in anderen Szenen wieder erscheinen. Das Château Zedelghem – für die Außenaufnahme wird das schottisches Landhaus Overtoun in West Dunbartonshire genutzt – verwandelt sich in einer in der Gegenwart spielenden Episode in das Pflegeheim Haus Aurora, in dem die Insassen gegen ihren Willen eingesperrt sind. Der Vergleich der Grundrisse zeigt, wie Ayrs’ Musiksalon zum Speisesaal mutiert: Der Salon wird um einen Korridor mit Entrée erweitert und ein Tresen zur Essensausgabe ersetzt das halbrunde Notenregal. ◊ Abb. 5 Das Mobiliar, die Vertäfelung und die gesamte Farbpalette werden ausgetauscht, doch Blickachsen, Perspektiven und Proportionen des Raumes bleiben erhalten.9 Der Ausgang des Speisesaals ist durch die halbrunde Theke verstellt, die abgerundete Raumform bietet keinerlei Angriffsfläche. Auch hier stellt sich eine klaustrophobische Atmosphäre ein, vielleicht weniger die eines Gefängnisses als die einer Klinikzelle. 9 Kristina Jaspers: Cloud Atlas. Metamorphosen von Menschen und Räumen. Film-Dienst, 2012, Jg. 65 (23), S. 8, weitere Abbildungen auf den S. 6–9.
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5: Uli Hanisch: Grundriss Tomothy Cavendish 2012: Aurora House/Dinig Room für Cloud Atlas (Lana Wachowski, Tom Tykwer, Andy Wachowski 2012), Reproduktion.
Was alle drei Beispiele verbindet ist, dass es sich bei den zentralen Schauplätzen um Gutshäuser oder Herrensitze handelt, die als eigenständige Protagonisten fungieren und sowohl eine psychologische als auch dramaturgische Funktion erfüllen. In allen Sets finden Maskeraden oder Duelle statt, was sich in einer verschachtelten Filmarchitektur spiegelt. Anstelle rechter Winkel dominieren Versprünge und Verzerrungen die Sets, was die Raumwirkung für die Kameraerfassung ungleich interessanter gestaltet. Uli Hanisch hat darauf hingewiesen, dass er im Unterschied zum Architekten genau wisse, welche Geschichte sich in seinen Räumen ereignen wird. Nichts ist hier dem Zufall überlassen, jedes Ausstattungsdetail unterstützt die Charakterzeichnung und dient der filmischen Narration. Das Haus wird zum Mitspieler, indem es gewisse Reaktionen erzwingt und zugleich innere, psychische Verfasstheiten artikuliert. Schloss Vogelöd, Cloak Manor und das Château Zedelghem prägen als narrative Figuren das filmische Geschehen. Sie bilden nicht nur den Ort eines Verbrechens – sie scheinen unmittelbar daran beteiligt.
Rezensionen Carolin Höfler
Farshid Moussavi, Michael Kubo (Hg.): The Function of Ornament, Barcelona 2006, (2. Aufl.) 2015. Der Begriff der Funktion – in der Postmoderne aus den Architektur- und Designdiskussionen verbannt – scheint mit der Instrumentalisierung des Computers zur Formfindung wieder Eingang in die Debatten der Gestaltungsdisziplinen gefunden zu haben. Von seiner neuen Popularität zeugen die Titel der manifestartig angelegten Bücher der iranisch-britischen Architektin Farshid Moussavi, die in den 1990er-Jahren zu den Pionieren des computerbasierten Entwerfens gehörte: The Function of Ornament (2006), The Function of Form (2009), The Function of Style (2015). In allen drei Bänden versucht die Autorin die traditionell als gegensätzlich wahrgenommenen Beziehungen zwischen Form und Funktion, Ornament und Struktur, Bild und Bau neu zu denken. Ihre Argumentation vermittelt sie nicht nur sprachlich in einführenden Texten, sondern auch visuell mit eigens hierfür angefertigten Planbildern von historischen und zeitgenössischen Architekturen. Mit Blick auf die NachZeichnungen entwirft Moussavi im ersten Band der Reihe eine Theorie des Ornaments, die darauf abzielt, Fläche und Form in der Architektur unter dem Einfluss globaler Bildwelten und digitaler Entwurfswerkzeuge neu zu bestimmen. The Function of Ornament (2015 in einer zweiten Auflage erschienen) präsentiert eine grafisch aufbereitete Formgeschichte der Fassade in der Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der mit dem Computer hervorgebrachten Zeichnungen stehen ikonische Bauten der klassischen Moderne und Nachkriegsmoderne von Louis Sullivan, Frank Lloyd Wright, Ludwig Mies van der Rohe und Eero Saarinen. Diese Gebäude werden mit computerbasierten Architekturen der vergangenen zwanzig Jahre in Beziehung gesetzt, unter denen sich auch Projekte von Moussavi befinden. Jedes Fassadenbeispiel wird über zwei Doppelseiten mit Vorderansicht,
Schnittperspektive und Konstruktionsdetails in Schwarz, Weiß und Grau vorgestellt, welche die verschiedenen Texturen und Muster grafisch vereinheitlichen und homogen formatieren. ◊ Abb. 1 Die vier Kapitel, die das Buch gliedern, sind mit „Form“, „Structure“, „Screen“ und „Surface“ überschrieben und unterscheiden die Ornamente nach ihrer Tiefendimension. Als Leitlinie der inhaltlichen Einteilung dient die Entwicklung von der architektonischen Skulptur über die tragende Konstruktion bis zur vorgehängten Fassade und zur medialen Haut. Weitere Klassifikationen, welche die Fassadenornamente voneinander abgrenzen und ordnen, sind die Kategorien „Material“ und „Affect“. Unter „Material“ versteht Moussavi weniger die stoffliche Beschaffenheit als die Art der Verwendung des Ornaments – sei es als Tragwerk, als Ausdruck des Inneren, als Zeichen, als Bild, als Farbe oder als Licht. Das Material des Ornaments wird nach ihren Worten von „sichtbaren und unsichtbaren Kräften“ der Architektur gestaltet, die sich aus den jeweiligen städtebaulichen, funktionalen, wirtschaftlichen und technischen Bedingungen ergeben (S. 10). Der Affekt bildet die dritte Kategorie zur Erfassung des Ornaments und wird durch das Zusammenspiel von „Tiefe“ und „Material“ hervorgerufen. Als Affekt bezeichnet Moussavi nicht eine subjektive Gemütserregung des Betrachters, sondern eine objektive Ausdrucksdimension der Architektur. Affekte sind visuelle Eigenschaften des Ornaments wie „oblique“, „scaleless“, „vertical“, „random“, „modular“, „weighted“ (S. 13). Die Funktion des Ornaments erkennt Moussavi in der Erzeugung und Vermittlung von Affekten, womit sie das Ornament als etwas dem Objekt Immanentes zu etablieren sucht. Mit der Zusammenführung von Tiefe, Material und Affekt wendet sich die Autorin programmatisch gegen die Konzeption der Fassade als Dekoration und Kommunikationsmittel, wie sie in den 1970er-Jahren als Kritik an der ‚schweigenden‘ Architektur der abstrakten Moderne in den USA formuliert wurde. Zu den einflussreichsten Werken dieses Ansatzes gehört das 1977 erstmals veröffentlichte Buch The Language of Post-Modern Architecture des
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1: Zwei Beispielseiten aus The Function of Ornament von Farshid Moussavi und Michael Kubo, 2006. Fassadenmuster des Christian Dior Ginza Store von Kumiko Inui, Tokio, 2004.
amerikanischen Architekturhistorikers und -kritikers Charles Jencks, in dem er die Architektur als ein der Sprache verwandtes Phänomen interpretierte. Für ein postmodernes Gebäude forderte Jencks die Verwendung sogenannter „Bedeutungscodes“, um es für den Rezipienten kommunikationsfähig zu machen. Moussavi erklärt das Prinzip der semantischen Codierung hingegen für überholt. Angesichts einer globalisierten Kultur und multikulturellen Gesellschaft erscheinen ihr jene Konventionen, die bestimmten Formen klar definierte Konnotationen zuweisen, als wirkungslos, da das Verständnis für kulturabhängige Symbole verlorengegangen sei. Das Ornament, das weniger sprachliches Zeichen als gestaltete Form sein will, werde dagegen von einem breiten Publikum verstanden, weil es unmittelbar sinnlich erfahrbar sei. Moussavi fordert daher eine radikale Entsemantisierung der Architektur, bei der „das Ornament ein ‚leeres Zeichen‘ [wird]“, das „Resonanzen“ erzeugt (S. 8). Den Jenck’schen Begriff der Bedeutung ersetzt sie durch den Begriff des Affekts, womit
sie grundlegend die Perspektive verschiebt – weg von der Architektur als Sprechakt hin zu einer Architektur als Formakt. Mit ihrer Vorstellung des Affekts als eine „präpersonale Intensität“,1 die von der ästhetischen Form ausgeht, bezieht sich Moussavi offen auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze (S. 11, Anm. 3). Keine Erwähnung findet hingegen dessen einflussreicher Interpret, der New Yorker Architekt und Theoretiker Peter Eisenman, den Moussavi nahezu wortgleich wiederholt.2 Mit Blick auf Deleuzes Theorie der Falte definierte Eisenman den Begriff des Affekts als Gegenbegriff zum „Effekt“, den die funktionalistische Moderne in den Mittelpunkt der Gestaltung gerückt hatte. Ihm zufolge ermöglicht die Architektur Erfahrungen, die vor allem körperlicher Natur sind; sich weniger sprachlich als sinnlich durch den Affekt erschließen, den die Architektur provoziert. Diese Form von Affekterregung geht für Moussavi vor allem vom Fassadenornament aus. Sie weist dem Ornament die Fähigkeit zu, das Empfinden, Denken und Handeln des
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2: Farshid Moussavi: Architecture and its Affects, Rauminstallation, 13. Architekturbiennale Venedig, 2012, Fotografie.
Betrachters anzurühren, wobei sie dessen bewegende Wirkung nicht als Projektion des Betrachters auf das Ornament auffasst, sondern als Folge einer „Eigenkraft“ des Ornaments, die es durch seine Herstellung und Konstruktion erhält. Moussavis Strategie der Entsemantisierung des Ornaments äußert sich nicht nur in der grafischen Abstraktion der Fassadenmuster, sondern auch in ihrem Versuch, es aus der Moderne heraus zu rehabilitieren. Wie ein Zitat Sullivans mutet ihr Begriff der Flächenfigur als Ausdruck einer inhärenten Vitalität an: „Ornament is the figure that emerges from the material substrate, the expression of embedded forces through processes of construction, assembly and growth“ (S. 8). Ebenso forderte Sullivan in seinem bedeutenden Aufsatz Ornament in Architecture (1892) anstelle eines stuck on eine innere Verwandtschaft und gegenseitige Verstärkung von Ornament, Material und Struktur. Auch wenn Moussavi von der Funktion des Ornaments spricht, bezieht sie sich unmittelbar auf Sullivans komplexen Funktionsbegriff, der in der Architekturtheorie oft fehlinterpretiert wurde. Die Form-Funktion-Beziehung war für ihn ursächlich mit der Vorstellung von Kraft und Wachstum in der Natur verbunden: „Whether it be the sweeping eagle in his flight, or the open apple-blossom, the toiling work-horse, the blithe
swan, the branching oak, the winding stream at its base, the drifting clouds, over all the coursing sun, form ever follows function […].“ 3 Diesem Gestaltungsleitsatz folgend, erwächst auch das Ornament aus dem organischen Prinzip von Funktion und Form und bringt es zum Ausdruck. Es ist weder austauschbar noch aufgesetzt, sondern bildet sich aus dem materiellen Grund heraus: „[…] it had come forth from the very substance of the material and was there by the same right that a flower appears amid the leaves of its parent plant.“ 4 Indem Moussavi Sullivans Schriften zitiert und seine Bauten als Grundlage ihres Fassadenkanons ausweist, hebt sie die Bedeutung des Ornaments für die geometrisch-abstrakte Architektur der Moderne hervor. Mit der nicht neuen Idee, dass das Ornament der „heimliche Passagier“ der abstrakten Moderne sei, betreibt Moussavi eine Enthistorisierung des Ornaments, wie sie paradoxerweise der Historismus bereits geleistet hatte. In The Function of Ornament entwirft sie eine „reine“ Formgeschichte des Ornaments, indem sie die Fassadenmuster aus ihren zeitlichen und architektonischen Kontexten herauslöst und grafisch homogenisiert. Unterschiede zwischen vergangenen und gegenwärtigen, analogen und digitalen Ornamenten werden so bewusst verschleiert. Die Fassadenmuster werden wie
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überzeitliche, transhistorisch zu verstehende Architekturüberzüge vorgestellt, die sich allenfalls formalästhetisch unterscheiden. Zu diesem Eindruck trägt auch die zeichnerische Verflachung der Ornamente bei. Als Darstellungsformen dienen Frontalansichten und Schnittperspektiven, in denen die Materialstärken der Hüllschichten bewusst vernachlässigt werden. Latente Vorbilder für Moussavis Strategie der Entkontextualisierung lassen sich ausgerechnet in jenen Ornamentlehrbüchern aus dem 19. Jahrhundert entdecken, gegen die sich Sullivan mit seiner Forderung nach einer Korrespondenz zwischen Ornament, Material und Struktur richtete. Die wirkmächtigste Zusammenstellung von Ornamenten verschiedener Kulturen und historischer Epochen ist die Grammar of Ornament (1856) des englischen Kunstschriftstellers und Architekten Owen Jones.5 Sämtliche Ornamente wurden in der Fläche ohne Trägermedien wiedergegeben und als reines Formspiel zwischen Vorder- und Hintergrund inszeniert. Jones’ Zeichnungen sind Abbildungen ‚körperloser‘ Ornamente, zweidimensionale Repräsentationen einer dreidimensionalen Gestaltung. Mögliche Bedeutungen der Ornamente, die sich aus den Funktionen der Trägermedien ergeben würden, sind bewusst ausgeblendet. Jones’ Ziel, eine Stilgeschichte der Ornamente aller Kulturen und historischen Epochen zu schreiben, setzt deren Vergleichbarkeit voraus, wofür eine spezifisch mediale Bearbeitung notwendig ist. Die Vergleichbarkeit der Ornamente wird bei Jones durch die Auslöschung historischer, funktionaler und kulturspezifischer Lektüren hergestellt. Sein Kompendium fokussiert den Blick auf rein formale Eigenschaften zweidimensional repräsentierter Ornamente. Die grafische Vereinheitlichung der Ornamente erlaubt dann auch die massenmediale und indifferente Verbreitung von Formen, wie es der Historismus betrieben hat. Unter Zuhilfenahme dieser medialen Strategien versucht auch Moussavi, das Ornament in eine neue globale Kunstsprache zu verwandeln, die alle Unterschiede und Tiefen überspielt. Hierbei weist sie vor allem den bildlichen Struk-
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turen eine zentrale Bedeutung zu, die sie unter den Kategorien „Screen“ und „Surface“ versammelt. Die scheinbar körperlosen Bilder der Bildschirme, die mit der vermeintlichen Hoffnung verbunden sind, dass sie in der globalen Medienund Informationsgesellschaft in gleicher Weise verstanden werden, finden ihre Entsprechung in Fassadenornamenten, wobei die Fassaden selbst entmaterialisiert werden. In radikaler Weise inszeniert Moussavi die bildhaften Fassadenstrukturen in ihrer Installation Architecture and its Affects auf der 13. Architekturbiennale 2012 in Venedig, in der sie die Wände des Ausstellungsraumes mit den Planzeichnungen ihres Buches bedeckt. ◊ Abb. 2 Mit einer wandhohen, umlaufenden Videoprojektion digitaler Fassadenmuster und Hüllstrukturen verwandelte sie den weitläufigen Ausstellungsraum im Arsenal in einen virtuell-immersiven Bildraum. Die dynamisch wechselnden Großprojektionen zeigten die digitalen Ornamente als strahlend weiße, makellose und exquisite Strukturen, die von ihren architektonischen und städtebaulichen Kontexten vollständig entbunden waren. Paradoxerweise beschwor Moussavi mit diesen Bildern die Befreiung der Architektur von ihrer materiellen Körperlichkeit, die sie doch in ihren theoretischen Ausführungen als besonders fragwürdig angeprangert hatte. 1 Farshid Moussavi: Architecture and its Affects at the Arsenale, 13th Venice Biennale, http://www. farshidmoussavi.com/node/21#architecture_and_ its_affects_at_the_arsenale_13th_venice_biennale_venice_21_68 (Stand: 08/2015). 2 Vgl. Peter Eisenman: The Affects of Singularity. In: Andreas Papadakis (Hg.): Theory and Experimentation. An Intellectual Extravaganza, London 1993, S. 42–45. 3 Louis Henry Sullivan: The Tall Office Building Artistically Considered. In: Lippincott’s Magazine 57, 1896, Heft 57, S. 403–409, S. 408. 4 Louis H. Sullivan: Ornament in Architecture (1892). In: Ders.: Kindergarten Chats (Revised 1918) and Other Writings, New York 1968, S. 187–190, S. 189. 5 Vgl. Sigrid Schade: Das Ornament als Schnittstelle. Künstlerischer Transfer zwischen den Kulturen. In: Dies., Thomas Sieber, Georg Christoph Tholen (Hg.): SchnittStellen, Basel 2005, S. 178–183, S. 179 und 183.
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Marc Pfaff
Daniel Cardoso Llach: Builders of the Vision. Software and the Imagination of Design, New York 2015. Ivan Sutherlands 1962 im Rahmen seiner Doktorarbeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) geschriebenes Programm Sketchpad gilt Technik- und Mediengeschichten gemeinhin als früher Meilenstein in der Entwicklung des Computer Aided Design (CAD). Durch die wegweisende Verknüpfung einer objektorientierten Modellierung1 geometrischer Formen mit einer auf innovativen Interaktivitätskonzepten aufbauenden Bedienung über eine grafische Nutzerschnittstelle hatte Sutherland gleichsam den Prototyp aller späteren Entwurfs- und Planungssoftware geschaffen. Dass die in Sketchpad angewendeten Konzepte und Verfahren indes keine isolierte Einzelleistung darstellten, sondern innerhalb einer umfassenderen Genealogie von Wissensformen, Technologien und Praktiken zu verorten sind, ist bereits vielfach gezeigt worden.2 Kaum wurden dabei aber bislang die prägenden Ideen und Arbeiten einiger zentraler Akteure aus dem unmittelbaren Umfeld Sutherlands so genau beleuchtet wie in Daniel Cardoso Llachs jüngst erschienener Studie über – so der Untertitel – Software and the Imagination of Design. Cardoso Llach unternimmt hier den Versuch einer „intellektuellen Archäologie der CAD-Systeme“, mit der er eine Deutungsperspektive auf die Architektur der Gegenwart entwirft: Deren Praktiken und Leitvorstellungen würden sich in jüngerer Zeit rekonfigurieren – und zwar unter dem Einfluss digitaler Verfahren und bestimmter sie begleitender Diskurse, deren grundlegende Formation in den USA der Nachkriegszeit stattgefunden habe. Um dies zu demonstrieren, schlägt Cardoso Llach auf den nur rund 150 Seiten seines Buches einen erzählerischen Bogen, der bei der Herausbildung der Figur des neuzeitlichen Architekten seit Alberti anhebt, die heterogene Genese digitaler Entwurfsmedien und -paradigmen im 20. Jahrhundert bis zu deren Dissemination in die archi-
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tektonische Praxis nachzeichnet, um schließlich in einer kritischen Betrachtung aktueller computergestützter Planungs- und Bauprozesse zu münden. Die Studie gliedert sich dabei in zwei größere, methodologisch getrennte Untersuchungsabschnitte: Der erste Teil ist eine auf Archivmaterialien und Interviews mit Protagonisten basierende Diskursanalyse mit medienarchäologischen Elementen, die auf die Entwicklungen im Rahmen technologischer Forschungsprojekte am MIT zwischen 1948 und 1970 fokussiert. Eine Schlüsselrolle lässt Cardoso Llach hier, wie bereits angedeutet, den titelgebenden „builders of the vision“ zukommen, jenen wenig erinnerten Urhebern und Vordenkern der digitalen Entwurfstechnologien wie dem Dissertationsgutachter Sutherlands und Leiter des 1959 initiierten CAD Project Steven A. Coons, dem ein zentrales Kapitel des Buches gewidmet ist. Es sind Computerwissenschaftler, Mathematiker und Ingenieure wie Coons, die Cardoso Llach zufolge vor dem Hintergrund der sozio-ökonomischen Situation zur Zeit des Kalten Krieges, institutioneller Verflechtungen von Wissenschaft, Industrie und Militär und divergierender disziplinärer Weltanschauungen erste richtungsweisende Auffassungen von Gestaltung im Horizont der Möglichkeiten von Computation ausgeformt haben. Maßgeblich möchte Cardoso Llach zeigen, wie sich diese oft konfligierenden Visionen – von kreativer Befreiung oder rationaler Steuerung, autorschaftlicher Kontrolle oder demokratischer Partizipation – von Beginn an in die Verfahrenslogiken der CAD-Systeme eingeschrieben haben und zugleich als diskursive Zuschreibungen noch heute die wesentlichen Umgangsformen mit diesen Systemen informieren. Der zweite, kürzere Hauptteil der Untersuchung soll eine exemplarische Überprüfung dieser Annahme leisten. Er ist als ethnografische Fallstudie angelegt, die Cardoso Llach während eines Großbauprojekts in Abu Dhabi durchgeführt hat. Im Zentrum der Betrachtung steht dabei der von staatlicher Auftraggeberseite vorgeschriebene Einsatz neuester Verfahren des
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Building Information Modeling (BIM), welche die effiziente Koordination aller Planungsaspekte und in den Bauprozess involvierten Parteien über ein zentrales Datenmodell versprechen. Bereits die MIT-Forscher hatten die digitalen Modelle als strukturierte Datenobjekte konzipiert, in denen die Distanz zwischen Entwurf und Artefakt tendenziell aufgehoben wird. Im BIM wird diese Idee Cardoso Llach zufolge nun im Dienste eines ökonomischen und machtpolitischen Projekts der Kontrolle über repräsentationale und bauliche Praktiken aktualisiert. Seine Analyse zeigt aber zugleich ein Scheitern dieses Projekts auf. In einem kritischen Moment des Bauprozesses wird das vermeintlich einer Eliminierung redundanter Vorgänge dienliche BIM-Modell durch die involvierten Akteure kurzerhand umgewidmet und ist am Ende selbst redundant. Mit dieser empirischen Pointe plausibilisiert Cardoso Llach abschließend eine begriffliche Überlegung, die seine Studie durchzieht: Die CAD-Systeme seien weder als neutrale Mittel noch als autonome Agenten, vielmehr als Infrastrukturen zu denken, die ein komplexes Ökosystem des Bauens heute gleichermaßen vor neue Vermittlungsbedingungen stellen, wie sie von diesem ihrerseits kontestiert werden. Die stärkere sozialkonstruktivistische Hypothese der im Diskurs der Science and Technology Studies verankerten Untersuchung fällt dagegen eher in den Bereich theoretischer Vorentscheidungen. Obschon Cardoso Llach seinen Gedanken von einer diskursiven Prägung der Technologien mit großer Kohärenz entfaltet, wären hier auch andere Erzählungen möglich. Ähnliches gilt für die tendenzielle Stilisierung der MIT-Forschungen zum formativen Ausgangspunkt der gesamten CAD-Entwicklung, die parallele Entwicklungen zwar nicht ausblendet, aber doch lediglich kursorisch streift. Wie Cardoso Llach selbst im Nachwort schreibt, handelt es sich hierbei auch um die Begleichung einer empfundenen Schuld gegenüber den CAD-Pionieren des MIT, von denen manche zeitlebens vergeblich auf eine Würdigung ihres Beitrags zum Feld der Gegenwartsarchitektur warten mussten.
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1 Gemeint ist hier im Sinne des später durch Alan Kay geprägten informatischen Fachterminus der Objektorientierung, vereinfacht gesagt, eine computationale Repräsentation von Formen als gegliederte Komplexe einzeln definierter Formelemente, deren Spezifikation neben metrischen Daten jeweils auch die strukturell-logischen Relationen umfasst, in denen sie zueinander stehen. Dies ermöglichte interaktive Verhaltensweisen wie das sog. Rubberbanding, das aus Nutzersicht die Eigenschaft grafischer Formen beschreibt, bei Positionsveränderung eines Teilelements dynamisch ihre Topologie beizubehalten. 2 Vgl. etwa Claus Pias: Computer Spiel Welten, Zürich/Berlin 2002, insbes. S. 66ff.
Projektvorstellungen Rut Blees Luxemburg
London Dust Ins Licht zu fotografieren, ist eine für Fotograf Innen unzulässige Praxis. Zu viel Licht brennt metaphorische Löcher in den Film und sogar die digitale Technologie ist einem Überschuss an Licht nicht gewachsen. Wenn jedoch bewusst gegen dieses Mandat des Mediums verstoßen wird, könnte nicht die Überfülle an Licht auch unerwartet auf ein Durchbrechen der scheinbar nahtlosen Authentizität der visuellen Darstellung verweisen? Könnte diese ‚blendende Leuchtkraft‘, die nicht länger lediglich eine Szene erhellt, sondern auch die Zerlegung der Formen einleitet, nicht auch die Privilegierung des Sehens und des Auges untergraben und eine andere Lesart der Fotografie des öffentlichen Raumes ermöglichen? Nicht im Sinn einer kommunitären Fusion, wie bei den Lichtspektakeln der Faschisten, sondern als leuchtende Brüche, die durch zu viel Licht entstehen und die die Bildoberfläche besonders markieren und aufreißen, sodass unsere Aufmerksamkeit eben genau auf den Dreck und Schmutz gelenkt wird. So könnten diese Markierungen zu einem Zeichen werden, das auf das wesentlicher Element der Fotografie hinweist: die Zeit. Die Ausstellung London Dust beschäftigt sich mit der Rolle des Bildes, die dieses bei der Gestaltung des Umbruches im Herzen Londons spielt, das derzeit von den Kräften einer raschen architektonischen Transformation – angetrieben vom Kapital und visualisiert als glänzende CGIs (Computer Generated Images) – geprägt ist. ArchitektInnen, DesignerInnen und EntwicklerInnen nutzen Computervisualisierungen, um Modelle neuer Gebäude zu entwerfen, die zu ihrer Version einer luxusorientierten Zukunftsstadt verführen und diese dann vermarkten. Computervisualisierte, mehrere Meter breite, makellos blaue und goldene Horizonte und ungewöhnlich regenfreie Londoner Himmel werden auf temporären Mauern in den öffentli-
1: London Dust 2012, photographic C-print, 155 × 120 cm.
chen Stadträumen angebracht; ihre geschliffene und überzeugende Präsenz oszilliert zwischen Versprechen und Verzweiflung. Die endgültige architektonische Fassung dieser Visionen wird jedoch nicht immer realisiert. London Dust fokussiert eines dieser Gebäude der Zukunft: The Pinnacle. Mit richtungsweisendem Design ausgestattet, ist dieser zukünftige, buchstäbliche Höhepunkt Londons ein verführerisches Bild. Ursprünglich mit einer Höhe von 300 Metern geplant, wurde der Bau nach nur sieben Stockwerken unterbrochen: das gescheiterte Objekt eines unvollständigen Traumes, der hier in seiner einzigartigen Realität als beschmutzte CGI-Form auf der verlassenen Baustelle dargestellt wird. Diese Ruine jedoch und ihr getrübtes Bild vergegenwärtigen eine andere Form der Verführung, nämlich jene, die Materie und Ausgangsmaterialien entstehen lassen und die sich in den Flecken und schmutzigen Markierungen manifestiert, die sich auf dem Bild durch den urbanen Alltagsbelag wie die Staubbildung ansammeln. Ein schwerer, aber glänzender Sack mit Bausand drängt sich zwischen die Visualisierung und den oder die Betrachterin.
Projektvorstellungen
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2: Aplomp (St. Paul’s) 2013, photographic C-print, 120 × 110 cm.
London Dust stellt das Bild als Träger einer gereinigten urbanen Zukunft in Frage, indem die Relikte des Realen fokussiert werden: Staub und Dreck, die dichte, unordentliche und überwältigend materielle Realität des Alltäglichen. Der überall gegenwärtige Sandsack wird zu einer Allegorie für die Akkumulation von Kapital im Stadtzentrum und für den versteckten Müllberg, eben für die Welt, die sich
der Sichtbarkeit entzieht. London Dust greift als Ausgangspunkt auf die Argumentation des Soziologen Richard Sennett über den Nutzen der Unordnung zurück und hinterfragt die darstellerischen Strategien im Herzen der Transformation der Stadt, indem sie die Aufmerksamkeit auf ihre hartnäckige materielle Realität lenkt. Übersetzung: Dörte Eliass
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Alex Arteaga
Bildgeneriende Bildlosigkeit. Klangumwelt Ernst-Reuter-Platz: ein auditiv-architektonisches Forschungs- und Entwurfsprojekt Klangumwelt Ernst-Reuter-Platz ist ein von 2010 bis 2014 in der Auditory Architecture Research Unit (AARU)1 konzipiertes und realisiertes Projekt. Das Projekt verfolgt zwei miteinander verbundene Ziele: Zum einen die Erstellung eines Entwurfs zur Umgestaltung des Berliner Ernst-Reuter-Platzes, zum anderen die Entwicklung von Praktiken und Strategien auditiv-architektonischen Entwerfens. Der Entwurf der AARU löst den Konflikt zwischen der Notwendigkeit der Neudefinition dieses Platzes und der Unmöglichkeit seiner baulichen, substanziellen Veränderung – der ganze Platz steht unter Denkmalschutz – durch die Konzeption einer kohärenten Verflechtung minimaler Interventionen, welche die ästhetische Erfahrung der Eigenartigkeit dieses urbanen Raumes unterstützt.2 Einen Ort auditiv-architektonisch zu entwerfen heißt zuerst, sich ihm als eine „Klang umwelt“ 3 anzunähern. Unter Klangumwelt wird eine sinnvolle und sinnstiftende Umgebung verstanden, die primär durch das Hören und Zuhören mitkonstituiert wird. Der Begriff „Konstitution“ deutet auf den phänomenologischen Ansatz hin, der der Forschung der AARU zur Grunde liegt. Obwohl eine Umwelt, so die Grundannahme, als gegeben erscheint, entsteht sie durch die Zusammenwirkung objektiver und (inter-)subjektiver Korrelate. Der enaktivistischen Weiterentwicklung dieser Grundhypothese zufolge emergieren Subjekt und Umwelt simultan, aufgrund der konkreten Interaktion dynamischer Bedingungen, die in beiden Sphären während und aufgrund ihrer Koemergenz erfolgt.4 Das Primat des Hörens und Zuhörens in der Emergenz einer Klangumwelt impliziert nicht die Ausschaltung anderer sinnlichen Modi – sie ist unmöglich, denn sie sind füreinander konstitutiv –, sondern die Konzentration auf die
Projektvorstellungen
Ausübung der Tätigkeiten, die einerseits die Bestandteile der Umwelt als gehörte – als Klänge – erscheinen lässt und andererseits allgemeine Merkmale der emergierenden Umwelt – wie beispielsweise ihre Weite, Dichte, Topologie oder Stimmung – sowie des mit dieser Umwelt koemergierenden Subjekts – wie etwa sein emotionales Befinden – im Kontext auditiver Erfahrung beobachten lässt. Ausgangspunkt des Entwurfsprozesses war weder die Verwendung noch die Erstellung bildlicher Repräsentationen des Ernst-ReuterPlatzes, sondern seine wahrnehmungsbasierte Erforschung. Die entwurfsorientierte Erforschung dieses Ortes erfolgte prinzipiell auf der Grundlage der Ausübung einer Praktik, die im Rahmen dieses Projektes entwickelt wurde: das auditive Kartografieren.5 Ziel dieser Praktik ist es, die wahrnehmungsbasierte Reflexion des Entwurfsgegenstandes als emergente Einheit zu ermöglichen. Sie dient als perzeptuell-performatives Reflexionsmedium, als vermittelndes Dispositiv zwischen einerseits den simultanen Prozessen der Emergenz von Umwelt und Entwerfer und andererseits der Wahrnehmung des Entwerfers von seiner Umwelt und von sich selbst. Der Entwerfer kann dadurch feststellen, wie ihm seine Umwelt erscheint und wie er sich zu diesem Erscheinen spontan positioniert. Die Durchführung dieser Praktik ersetzt die Phasen der Bestandsaufnahme und der Konzeptualisierung der tradierten architektonischen Entwurfs praxis und dient zugleich der Feststellung des Ist-Zustandes sowie der Identifizierung der problematischen Aspekte und der Maßnahmen, die zum Soll-Zustand führen. Als Grundlage für die Durchführung dieser Praktik dient eine Auflistung intentionaler Objekte, die aufgrund der Ausübung verschiedener Hörmodi erscheinen können. Wenn beispielsweise analytisch zugehört wird, kann die Lautstärke der unterschiedlichen Frequenzbereiche eines Klangereignisses oder die Struktur seines Zeitverlaufs wahrgenommen werden. Wenn weiterhin analytisch zugehört, der Fokus jedoch nicht auf einzelne Klänge, sondern auf deren Gesamtheit gelegt wird, kann der Grad
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Schichten Platz dazwischen Abstand räumlich wenig dicht
Observatorium minimaler Hall
halboffen
zeitlich nur dicht im Kreisverkehr
weit
Muster nur in den Vögelklängen
Rückzug eigenständiger Ort
Raum hinter mir
urban
gute Differenzierbarkeit nur in Nahbereich im Kreisverkehr nur einz. Fahrzeuge gute Identifizierbarkeit nur in Nahbereich gute Lokalisierbarkeit nur in unmittelbarer Nähe
Amseln
abwechselnd
vorwiegend Bewegung
hart ausgeglichenes Verhält. chron. Typologien
entspannt
funktional ausgeglichen ruhig genug Vielfallt Spatzen Verkehr in der Mittel-Ferne
Stimme
mittlere Lautstärke
leicht abwechselnde, nicht regelmäßige Lautstärke
Schritte
mittel-leiser Verkehr einzelne Fahrzeuge
überwiegend mittlere Frequenzen punktuell hohe (Vögel) und tiefe Frequenzen (LKW) homogene Frequenzverteilung
1: Alex Arteaga: Auditive Karte aus dem Projekt Klangumwelt Ernst-Reuter-Platz, Computergrafik, 2013, Auditory Architecture Research Unit (AARU).
der Differenzierbarkeit zwischen Klängen oder deren Identifizierbarkeit und Lokalisierbarkeit ermittelt werden. Wenn aber das auditive Kartografieren durch emotionales, assoziatives oder imaginatives Hören erfolgt, erscheinen andere Phänomene wie beispielsweise „anstrengend“, „bedrückend“, „angenehm“, „Meeresrauschen“, „eine italienische Piazza in Sommer“ oder „ein Platz für bürgerliche Kommunikation“. Die konkrete Ausübung des auditiven Kartografierens fängt mit der Festlegung mehrerer Positionen und Hörrichtungen auf dem Platz an. Der Forscher situiert sich sequenziell auf diesen Punkten im Raum und beginnt in den verschiedenen Modi zuzuhören. Er notiert dabei auf einer digitalen Oberfläche – beispielsweise dem Touchscreen eines Tablets – jedes einzeln erscheinende Phänomen. Nachdem einige Begriffe notiert sind, verändert der Hörer sie
in zweierlei Hinsicht. Einerseits modifiziert er die Größe der Wörter in direktem Bezug auf den relativen Präsenz- bzw. Relevanzgrad des wahrgenommenen Phänomens; andererseits gruppiert er die Wörter nach der Funktion ihrer Sinnzusammenhänge. Diese einfachen Operationen erzeugen eine Dynamik auf der Oberfläche, welche die Entstehung kohärenter begrifflicher Konstellationen ermöglicht, die im Einklang mit dem gegenwärtigen Zustand des zu erfahrenden Ortes stehen. Das situierte und systematische (Zu-)Hören, vermittelt durch die einfachen Operationen des Notierens, Vergrößern/Verkleinerns und Gruppierens, generiert eine diagrammatische Karte, durch die sich die Erscheinung einer Umwelt strukturell nachvollziehen lässt. Der bildlosen und systematisch ausgeübten, auditiven Tätigkeit liegt die Erstellung eines Bildes zugrunde, das als reflexives – im
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2: Maria Horn: Detail des Entwurfs der AARU für den Ernst-Reuter-Platz mit dem Observatorium auf der Mittelinsel, bearbeitete Bleistiftzeichnung, 2013.
Sinne von spiegelndes – Korrelat seines Gegenstands fungiert und dadurch die grundlegende, strukturelle Erfassung dieser (Klang-)Umwelt in ihrer Aktualität und Potenzialität ermöglicht. Das dynamische Bild der diagrammatischen, auditiven Karte vermittelt somit zwischen dem reflexiv-generativen, bildlosen (Zu-)Hören und der Sinn-Gestalt von Zustand und Zukunft des Ortes, die wiederum in sukzessiven Formungsphasen, durch konkrete Bilder, zum Ausdruck gebracht werden kann.
1 Zur AARU siehe http://www.udk-berlin.de/sites/ auditive-architektur/content/index_ger.html (Stand: 07/2015). 2 Für eine Beschreibung des Entwurfs siehe Alex Arteaga, Gunnar Green, Boris Hassenstein (Hg.): Klangumwelt Ernst-Reuter-Platz/Aural Environment Ernst-Reuter-Platz, Berlin (in Erscheinung). 3 Für eine Definition dieses Begriffs siehe Alex Arteaga: Auditive Architektur. In: kunsttexte.de, Auditive Perspektiven, 4, 2011, http://edoc.hu-berlin.de/ kunsttexte/2010-4/arteaga-alex-1/PDF/arteaga.pdf (Stand: 07/2015). 4 Für eine ausführliche Darstellung des Enaktivismus siehe Evan Thompson: Mind in Life. Biology, Phenomenology, and the Sciences of Mind, Cambridge, (Mass.) 2007. 5 Für eine Darstellung dieser Praktik und des kon zeptuellen Hintergrunds siehe Alex Arteaga: Thinking the Environment Aurally. An Enactive Approach to Auditory-Architectural Research and Design. In: Proceedings of the Conference „Invisible Places“, Viseu 2014, http://invisibleplaces.org/IP2014. pdf (Stand: 07/2015).
Bildnachweis
Titelbild: Mario Ridolfi, Casa De Bonis (I) a Ponte alle Cave (Terni), 1972; Finestra con rostrina in laterizio (finestra a mandorla). Courtesy Accademia Nazionale di San Luca, Roma. Archivio del Moderno e del Contemporaneo, Fondo Ridolfi-Frankl-Malagricci. Stöcklmayr: 1: © Kim Yong-kwan. 2: © Isochrom. 3: © soma. Entnommen aus: Kristina Schinegger, Stefan Rutzinger, Martin Oberascher, Günther Weber: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, St. Pölten/ Salzburg/Wien 2012, S. 33. 4: © Yeosu Expo Organizing Committee. 5: © Kim Yong-kwan. Entnommen aus: Kristina Schinegger, Stefan Rutzinger, Martin Oberascher, Günther Weber: soma: Theme Pavilion Expo Yeosu One Ocean, St. Pölten/Salzburg/Wien 2012. Titelbild. 6–8: © soma. Ursprung: 1 + 4: Hans Danuser, CAPLUTTA SOGN BENEDETG SUMVITG, Bild I u. Bild III. 2–3, 5–6: Architekturgalerie Luzern, Toni Häfliger, Heinz Hüsler u.a. (Hg.): Partituren und Bilder. Architektonische Arbeiten aus dem Atelier Peter Zumthor 1985–1988, Ausst.kat., Muttenz 1989 (2. Aufl. 1994), S. 28, S. 22, S. 24 u. S. 50. Liptau: 1: saai/Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Werkarchiv Rolf Gutbrod. 2: Klaus Bach (Red.): IL 18. Seifenblasen. Forming Bubbles, Stuttgart 1988, S. 147. 3: DAM Deutsches Architekturmuseum/Foto: Hagen Stier, hagenstier.com. 4: Foto: Werner Huthmacher, Berlin. Sachsse: 1–2: © Rolf Sachsse. 3: http://www.moma.org/collection/object.php?object_id=256 (Stand: 08/2015). 4: E. F. A. Münzenberger: Zur Kenntniß und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands. Ein Beitrag zur Geschichte der vaterländischen Kunst, Frankfurt a. M., Bd. 2, 1905, Tafel XV,7. Schramke: 1–2: O. M. Ungers: Sieben Variationen des Raumes „Über die sieben Leuchter der Baukunst“ von John Ruskin, Stuttgart 1985. Kurrer: 1: Pierre Varignon: Nouvelle mécanique ou statique, Bd. 1, Paris 1725, Tafel 11. 2: Moritz Rühlmann: Vorträge über Geschichte der Technischen Mechanik, Leipzig 1885, S. 473. 3–6: Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Alte und Seltene Drucke. 4–5: Karl-Eugen Kurrer: Geschichte der Baustatik, Berlin 2002, S. 224. 7: Heinrich Müller-Breslau: Die graphische Statik der Baukonstruktionen, Band I. 2., vollst. umgearb. u. wesentl. verm. Aufl., Leipzig 1887, Tafel 6. Mönninger: 1: John O.E. Clark (Hg.): Die faszinierende Welt der Kartografie, Bath 2005, S. 153. 2: Stefano Borsi: Roma di Benedetto XIV. La Pianta di Giovanni Battista Nolli, Roma 1993, S. 209. 3: Camillo Sitte: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889, Reprint in: Klaus Semsroth, Michael Mönninger, Christiane Craseman Collins (Hg.), Camillo Sitte Gesamtausgabe Bd. 3, Wien 2003, S. 36f. 4: Robert Venturi, Denise Scott-Brown, Steven Izenour: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt (1978), Braunschweig 1979, S. 36f. 5: Colin Rowe, Fred Koetter, Collage City (1978), Basel 1984, S. 88f. 6: Hans Stimmann (Hg.), Berlino – Berlin: 1940 – 1953 – 1989 – 2000 – 2010, Genf/Mailand 2000, S. 70f. Clausen: 1–2: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, Inv. Nr. C 20 I Oberpräsident Magdeburg. Allgemeine Abteilung, Ia Nr. 3261. Interview: 1–4: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. 5 + 6: Brandenburgisches Landesdenkmalamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum. 7–9: Stiftung Berliner Schloss – Humboldt-Forum/Franco Stella. Jaspers: 1: Deutsche Kinemathek – Sammlung Robert Herlth. 2–3: Deutsche Kinemathek – Ken Adam Archiv. 4–5: Deutsche Kinemathek – Sammlung Uli Hanisch. Höfler: 1: Farshid Moussavi, Michael Kubo (Hg.): The Function of Ornament, Barcelona: Actar 2006, S. 158 und 160. 2: © Jonathan Ascelsa, http://www.archdaily.com/269585/venice-biennale-2012-farshidmoussavi/557f8f3a432e78ef0b00095b (Stand: 08/2015).
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Bildnachweis
Blees Luxemburg: 1–2: © Rut Blees Luxemburg. Arteaga: 1–2: Auditory Architecture Research Unit. Bildtableau I: 1: © 2012 Die LEGO Gruppe. 2: New York: Museum of Modern Art (MoMA) http://www. moma.org/collection/browse_results.php?object_id=78682 (Stand: 08/2015). 3: New York: Museum of Modern Art (MoMA) http://www.moma.org/collection/works/232?locale=de (Stand: 08/2015). 4: © 2012 Intel Corporation (Pentium is a trademark of Intel Corporation in the U.S. and/or other countries). 5: http://allbanknotes.blogspot.de/2001/01/switzerland-p67-10-franken.html (Stand: 08/2015). 6: Warner Bros. Pictures/Photofest. © Warner Bros. Pictures, Fotograf: Jack Woods. 7: http://www.ea.com/de/ sim-city/images/hd-sims (Stand: 08/2015). 8: Jean Des Cars/Pierre Pinon: Paris-Haussmann. „Le Pari d’Haussmann“. Ouvrage publié à l’occasion de l’exposition Paris-Haussmann, „le pari d’Haussman“, inaugurée le 19 septembre 1991 au Pavillon de l’Arsenal, Paris 1991, S. 337. 9: Max Planck Institute for the History of Science, http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:T7SXEUX5 (Stand: 08/2015). 10: http:// www.vitruvius.de/software/index.html (Stand: 09/2014). 11: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Reversed_ Earth_map_1000x500.jpg (Stand: 08/2015). 12: Courtesy, The Estate of R. Buckminster Fuller. 13: Courtesy NASA/JPL-Caltechm. 14: © 1972 Christo. 15: Foto: Annekathrin Heichler. 16: © Gerhard Zwickert. 17: http://www.fastcoexist.com/3029596/these-3-d-printed-houses-from-china-appear-in-justa-few-hourshttp://www.yhbm.com/ (Stand: 08/2015). 18: https://www.rhino3d.com/gallery/5/48964 (Stand: 08/2015). 19: César Martinell: Gaudí. His life. His theories. His Work. Barcelona 1975, S. 335, Abb. 368. 20: Deutsches Architektur Museum (DAM) Frankfurt am Main. 21: gta Archiv (NSL Archiv)/ ETH Zürich: Nachlass Gustav Ammann. 22: Courtesy of Zaha Hadid Architects. 23: Foto: Eberhard Lindemann. 24: Marc Steinmann: Die Westfassade des Kölner Domes. Der mittelalterliche Fassadenplan F (Forschungen zum Kölner Dom, Bd. 1), Köln 2003, Titelbild. 25: © Gerald Exline. Bildtableau II: 1: Max Planck Institute for the History of Science, http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/ MPIWG:4ZP7S5ND (Stand: 08/2015). 2: Elke Dorner: Daniel Libeskind. Jüdisches Museum Berlin, Berlin 1999, S. 85. 3: Frank Scherschel—The LIFE Picture Collection/Getty Images. 4: Foto Archiv DTB. 5: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlosstheater_Drottningholm#/media/File:Drottningholms_ slottsteater_scen_1966.jpg (Stand 08/2015). 6: Max Planck Institute for the History of Science, Library, http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:TMVX65MM (Stand: 08/2015). 7: Blum-Novotest GmbH. 8: © Edgar Varèse/Paul Sacher Stiftung. 9: Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc: Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle, Bd. IV, Paris 1859, S. 93, Abb. 48 ter. 10: http://commons. wikimedia.org/wiki/File:Skizze_Kurbelwagen_%28Vigevano%29.jpeg (Stand: 08/2015). 11: Max Planck Institute for the History of Science, http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:9V9A90HF (08/2015). 12: Max Planck Institute for the History of Science, http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:MRY8Y477 (08/2015). 13: Henry A. Millon/Vittorio Magnago Lampugnani: The Renaissance from Brunelleschi to Michelangelo: the representation of architecture, London 1994, S. 153. 14: Adolf Max Vogt: Russische und französische Revolutionsarchitektur 1917/1789, Braunschweig/Wiesbaden 1974, Abb. 25b. 15: mit freundlicher Abdruckgenehmigung der RUMOLD GmbH & Co KG. 16: http://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Palmanova1600.jpg (Stand: 08/2015). 17: Max Planck Institute for the History of Science, http:// echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:WMD8MGER (08/2015). 18: © Bildarchiv Foto Marburg/Schöller, Wolfgang. 19: Jean-Marie Pérouse de Montclos: Paris. Kunstmetropole und Kulturstadt, Köln 2000, S. 238, Abb. 75. 20: Georg Gottlob Ungewitter und Vinzenz Statz: Gothisches Musterbuch, Leipzig 1905, Tafel 198/199. 21: Courtesy US National Library of Medicine. 22: Prof. Anton Legner (Privatarchiv) vertreten durch Greven Verlag. 23: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Buergi_zirkelgross. jpg&filetimestamp=20060923235538& (Stand: 08/2015). 24: Francesco di Giorgio Martini: Trattati di architettura ingegneria e arte militare Bd. 2, Reprint hrsg. v. Corrado Maltese, Mailand 1967, Kat. S. 42 v, Tafel 236.
Die AutorInnen
Alex Arteaga Auditory Architecture Research Unit und Masterstudiengang Sound Studies, Universität der Künste Berlin Rut Blees Luxemburg Künstlerin, London Christina Clausen Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim Fabian Hegholz Diplom-Ingenieur, Franco Stella – Berliner Schloss – Humboldt-Forum Projektgemeinschaft GbR, Berlin Sara Hillnhütter Projekt Das Technische Bild, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Carolin Höfler Professur für Designtheorie und -forschung, Köln International School of Design, Fachhochschule Köln Kristina Jaspers Kuratorin, Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin Dr.-Ing. Karl-Eugen Kurrer Wilhelm Ernst & Sohn – Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG Ralf Liptau DFG-Graduiertenkolleg Das Wissen der Künste, Universität der Künste Berlin Prof. Dr. Michael Mönninger Professur für Geschichte und Theorie der Bau- und Raumkunst, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Marc Patrick Pfaff Bereich Kunst- und Medienwissenschaften, Kunsthochschule für Medien Köln Prof. Dr. Rolf Sachsse Professur für Designgeschichte und Designtheorie, Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarland Dr. Sandra Schramke Bereich Wissens- und Kulturgeschichte, Institut für Kulturwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Franco Stella Architekt, Berlin und Vincenza, Professur für Architektonisches Entwerfen, Universität Genua Dr. Nicole Stöcklmayr DFG-Kollegforschergruppe Medienkulturen der Computersimulation (MECS), Leuphana Universität Lüneburg Prof. Dr. Philip Ursprung Professur für Kunst- und Architekturgeschichte, ETH Zürich
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1: Illustration zu Platon und Pythagoras, aus: Vitruv: De architectura libri dece, Mailand 1521. 2: Daniel Libeskind: Jüdisches Museum Berlin, Paul Celan-Hof, Fenster. 3: Mies van der Rohe mit seinen Modellen für Chicagos Lake Shore Drive, 1956. 4: Iwan I. Leonidow: Lenininstitut, Modell, 1927. 5: Schlosstheater Drottningholm, Stockholm. 6: Jacopo Barozzi da Vignola: Instrument zum perspektivischen Zeichnen, Holzschnitt, 1583. 7: Laservermessung, Werbebild. 8: Edgar Varèse: Poème électronique für Tonband (1957–58), collagierte Verlaufsgraphik, Detail. 9: Violletle-Duc: Gewölberippe, Explosionszeichnung, 1859. 10: Guido da Vigevano: Flat Style-Skizze eines Kurbelwagens, 1335. 11: Hulsius, Levinus, Erster (– vierter) Tractat der Mechanischen Instrumenten, 1603. 12: Künstliche Aufreissung der Orthographie oder Auffziehens des obgesetzten Grundes…, aus: Vitruv: Zehen Bücher von der Architectur vnd künstlichem Bawen, Basel 1575. 13: Bramante: Apsis von S. Maria presso S. Satiro, Mailand, ca. 1480. 14: C. N. Ledoux: Entwurf des Friedhofs für die neugegründete Industriestadt Chaux, Schnitt und Grundriss, nach 1784.
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15: Abrundungsschablonen von Rumold, Artikel 2110. 16: Novae Palmae Civitas, kolorierter Stich, um 1599. 17: Giordano Ziletti: Verwendung eines karthographischen Instruments (Holometer), 1564. 18: Ritzzeichnung für ein Maßwerkfenster, Saint-Gervais-et-Protais in Soissons, um 1200. 19: nach Philibert De l’Orme/Francesco Primaticcio/ Jean Bullant: Saint-Denis, Rotunde der Valois, Grundriss eines nicht ausgeführten Entwurfs, Paris, Baubeginn 1570, zerstört. 20: Glasfenster aus der Kirche zu Haina, aus: Georg G. Ungewitter und Vinzenz Statz: Gothisches Musterbuch, Leipzig 1905, Tafel 198/199. 21: Ibrāhīm al-Husaynī al-Nūrbakhshī: Diagramm des Auges und visuellen · Systems, Kopie von Ibn al-Nafīs‘s Epitome Kitāb al-Mūjiz von Ibn Sīnās Kanon der Medizin, vermutlich 17. Jh. 22: Der Architekt erklärt seinen Bauplan, Kirchenfenster, Kathedrale von Chartres. 23: Proportionalzirkel von Jobst Bürgi. 24: Francesco di Giorgio Martini: Kirchengrundriss nach dem Maß des Menschen (1480/90), Zeichnung aus dem Codex Magliabecchianus.
Gedruckt aus Mitteln des Förderpreises der Fritz-Winter-Stiftung.
Redaktion Das Technische Bild Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin [email protected], Fon: +49 (0)30 2093-2731, Fax: -1961 Tableaus Annekathrin Heichler, Rahel Schrohe, Theresa Stooß und Henrik Utermöhle Lektorat Rainer Hörmann Layout und Umschlag Andreas Eberlein, Berlin Satz Annekathrin Heichler, Theresa Stooß und aroma, Berlin Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg ISBN 978-3-11-043888-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043076-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043086-8 © 2015 Walter De Gruyter GmbH Berlin/Boston www.degruyter.com Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.