Bildsemiotik: Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation 9783035614367, 9783035612202

Grundbegriffe und Analysemethoden Diese Einführung vermittelt in gut verständlicher Weise die theoretischen Grundlagen

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German Pages 144 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
01_Theorie und Begründung
02_Kommunikation mit Bild und Text
03_Was heißt »Semiotik«?
04_Sechs Beispiele aus dem werblichen Bereich
05_Vier Beispiele aus anderen Bereichen
06_Visuelle Rhetorik
07_Die strukturale Analyse der Rhetorik des Bildes
08_Ausblick: Zur Semiotik des bewegten Bildes
Abbildungsnachweise
Literaturangaben
Analytisches Inhaltsverzeichnis
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Bildsemiotik: Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation
 9783035614367, 9783035612202

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Bildsemiotik

Thomas Friedrich Gerhard Schweppenhäuser

Bildsemiotik Grundlagen und exemplarische Analysen visueller Kommunikation

2., erweiterte Auflage

Birkhäuser Basel

Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-0356-1436-7; ISBN EPUB 978-3-0356-1430-5) erschienen. © 2017 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Layout: veruschka götz [T616 typographers BERLIN] mit Moritz Horn Printed in Germany ISBN 978-3-0356-1220-2

987654321

www.birkhauser.com

06

Vorwort

08

01_Theorie und Begründung

16

02_Kommunikation mit Bild und Text

26

03_Was heißt »Semiotik«?

36

04_Sechs Beispiele aus dem werblichen Bereich

39

05_Vier Beispiele aus anderen Bereichen

44

06_Visuelle Rhetorik

74

07_Die strukturale Analyse der Rhetorik des Bildes

134

08_Ausblick: Zur Semiotik des bewegten Bildes

140

Abbildungsnachweise

141

Literaturangaben

144

Analytisches Inhaltsverzeichnis

Vorwort 06. 07

Gestalterinnen und Gestalter entwerfen Bilder (und Bild-Text-Verbindungen), um Inhalte mithilfe unterschiedlicher Medien visuell zu vermitteln. Manche Inhalte sind vom Auftraggeber gewünscht und sollen ökonomischen Nutzen schaffen, andere Inhalte sind kulturell relevant, und selbstverständlich gibt es auch Inhalte, die den Nutzerinnen und Nutzern kommunikatives und selbstbestimmtes Handeln ermöglichen. Das Ziel der Gestaltung ist jeweils, intellektuelle, handlungsorientierte oder emotionale Inhalte in zweidimensionale Formen zu übertragen. Kommunikationsdesign produziert Bilder, die Informationen und Emotionen vermitteln und bewirken sollen. Dabei interpretieren die Gestaltenden die Inhalte und produzieren Bildwirklichkeiten eigener Art. Ihre Bilder haben gleichzeitig Bezüge zu den vermittelten Objekten und zu den Subjekten, die über und durch gestaltete Bilder interagieren. Das ist der semantische Bereich der Bildsemiotik. Für die Analyse und die Gestaltung von Bildern ist es essenziell, die Strukturgesetze der Kodierung und Dekodierung visueller Artefakte zu kennen. Das ist der syntaktische Bereich der Bildsemiotik. Die Sphäre der intersubjektiven Kommunikation mittels Bildern (für die sich der Begriff des »Bildhandelns« eingebürgert hat) ist der pragmatische Ort, an dem die Bildsemiotik zur Anwendung kommt. Das vorliegende Buch enthält eine systematische Darstellung von Kriterien, die aus unserer Sicht nicht nur für die Analyse, sondern auch für die Produktion von Bild-Text-Kommunikation unerlässlich sind. Häufig wird man feststellen können, dass die erläuternde Darstellung der Methoden und Kategorien in erster Linie eine Explikation dessen ist, was man im Gestaltungsprozess intuitiv anwendet. Aufgrund unserer eigenen Bildungsgeschichte vermuten wir, dass dies hier und da durchaus überraschend sein wird. Im ersten Kapitel legen wir dar, warum es im Kommunikationsdesign unerlässlich ist, sich mit Theorie zu beschäftigen und zu lernen, seine Gestaltungsentscheidungen ebenso zu begründen wie die Kritik an den Entscheidungen anderer. Danach werden allgemeine Grundlagen der Bild-Text-Kommunikation (Kapitel 2) sowie Begriff und Definition der Semiotik erläutert (Kapitel 3). Hier werden prinzipielle Überlegungen zum Begriff des Zeichens angestellt und designrelevante Aspekte der linguistischen Schlüssel-Begriffspaare »Diachronie/ Synchronie«, »Langue/Parole«, »natürlich/arbiträr« und »Signifikant/ Signifikat« erläutert. Es gibt eine kurze Einführung in Charles W. Morris’ Unterscheidung von »Syntaktik«, »Semantik« und »Pragmatik«, den drei Bereichen der Semiotik. Und schließlich werden die semiotischen Grundbegriffe »Ikon«, »Index« und »Symbol« nach Charles S. Peirce vorgestellt. Kapitel 4 und 5 enthalten ausführliche Beispielanalysen, in denen diese drei Kategorien methodisch angewandt werden. Kapitel 6 führt in die visuelle Rhetorik ein und enthält praktische Analyseübungen (nach Gui Bonsiepe und Hanno Ehses) anhand von Beispielen aus dem Bereich der Werbung. Kapitel 7 stellt die strukturale Analysemethode der Rhetorik des Bildes nach Roland Barthes vor, die Umberto Eco in einer etwas modifizierten Terminologie als Analyse der rhetorischen Codes mit ihren verbalen und visuellen Registern bezeichnet. Wir haben die beiden Ansätze verbunden und in praktischen Übungen anhand von Beispielen erprobt, die ebenfalls aus dem Bereich der Werbung ausgewählt worden sind. Das Buch endet mit einem kurzen Ausblick auf Fragen der Semiotik des Films in Kapitel 8.

Unsere Einführung in die Grundlagen der Bildsemiotik ist für den Gebrauch durch Studierende und Lehrende im Bereich der visuellen Kommunikation gedacht. Sie ist auf der Grundlage von Erfahrungen entstanden, die wir über viele Jahre im Bereich der Ausbildung von Kommunikationsdesignerinnen und -designern an verschiedenen Hochschulen gesammelt haben. Wir haben versucht, aus dem großen Wissensbestand auf diesem Gebiet dasjenige auszuwählen, was sich nach unserer Erfahrung bewährt hat. Die wichtigsten Grundbegriffe und produktivsten Analysemethoden sollen so einfach wie möglich dargestellt werden, ohne ihre Komplexität dabei über Gebühr zu reduzieren. Mithilfe dieses Buches können sich Studierende und Praktiker, die ihre Tätigkeit reflexiv begleiten, der Disziplin »Bildsemiotik« annähern. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Gestaltungsausbildung wurde seinerzeit unser Eindruck bestätigt, dass ein übersichtliches Kompendium für die Lehre fehlt; diese Lücke wurde 2009 mit der ersten Auflage dieses Buches erfolgreich geschlossen. Für die nun vorliegende zweite Auflage haben wir Fehler korrigieren und einige Verbesserungen vornehmen können. Zwei Analysen wurden neu in den Band aufgenommen; beide thematisieren den Einsatz und die Wirkungen digitaler Medientechnologien in der heutigen Gesellschaft. Einige Abbildungen, die in der ersten Auflage nicht zur Verfügung standen, konnten wir nun mitaufnehmen und andere konnten wir durch bessere Abbildungen ersetzen. Unser Dank gilt Christian Hartmann (Mailand), der uns auf die Idee brachte, unser Vorlesungsmaterial zu einer Publikation auszuarbeiten; Beat Schneider (Bern), Robert Steiger und Petra Schmid (Basel), die unser Projekt in entscheidenden Phasen unterstützten; Veruschka Götz (Mannheim/Berlin) und Moritz Horn, die mit klarem Blick und sicherer Hand für das richtige Erscheinungsbild sorgten. Unser »namenloser«, aber nicht weniger herzlicher Dank geht an die Studierenden, die uns in zahlreichen Lehrveranstaltungen in Bozen, Mannheim und Würzburg gedanklich weitergebracht haben. Mannheim und Würzburg im Mai 2017

wer hat angst vor theorie? kommunikationspraktiker müssen ihr tun begründen können 08. 09

01_Theorie und Begründung Nicht Kopf, sondern Bauch, nicht Theorie, sondern Praxis, nicht Begriffe, sondern Gefühle, nicht objektive Verhältnisse, sondern subjektives Erleben stehen häufig im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Beim Wort »Theorie« stellt sich mitunter nur eine einzige Assoziation ein: »Theorie ist abgehoben.« Wenn es zutrifft, dass eine diffuse Theoriefeindlichkeit verbreitet ist, dann ist es notwendig, einmal genauer zu klären, was hier eigentlich abgelehnt wird. Gespräche wie das Folgende sind im Bereich der Kommunikationsgestaltung, etwa bei der Präsentation von Diplomarbeiten, durchaus nicht außergewöhnlich: Frage: »Sie haben hier eine rote Futura mager 12 Punkt verwendet – warum haben Sie diese Schrift gewählt und keine andere?« Antworten: »Das hat mir mein Gefühl gesagt«; »Seit meiner Kindheit habe ich ein Faible für die Farbe Rot«; »Die Futura gefällt mir von allen Schriften am besten«; »Ich finde magere Schriften einfach schöner als die fetten.« All diese Antworten haben etwas gemeinsam: Als subjektive Meinungen begründen sie nicht die Wahl der Schrift. Theorien sind, allgemein gesprochen, Aneinanderreihungen von sprachlichen Einheiten zum Zweck der Begründung. Sie müssen daher bestimmten Kriterien genügen. 01.1_Wann ist eine Begründung nötig? Bevor bestimmt werden kann, wann in einem konkreten Fall eine Begründung richtig oder falsch ist, muss geklärt werden, wann überhaupt eine Begründung nötig ist. Nehmen wir die Aussage: »Diese Schrift gefällt mir nicht.« Philosophen würden dies ein Geschmacksurteil nennen, und außerhalb der Philosophie gilt bekanntlich, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt. Eine andere Person könnte erwidern: »Mir gefällt diese Schrift sehr wohl«; wieder jemand anders sagt vielleicht: »Ich finde diese Schrift nicht nur unschön, sondern geradezu abstoßend.« Statt von Geschmacksurteilen kann man hier auch von subjektiven Meinungen sprechen. All diesen Meinungen ist gemeinsam, dass sie keine Geltung beanspruchen, die über das sie aussprechende Individuum hinausginge. Das heißt: Der eine meint dies, der andere meint das, und all diese Meinungen sind formal gleichwertig. Aus diesem Grund bedarf eine subjektive Meinung keiner Begründung. Fragt jemand: »Warum gefällt dir diese Schrift?«, dann genügt es, tautologisch zu antworten: »Sie gefällt mir nun einmal.« Anders ist die Situation, wenn im Falle einer konkreten Gestaltungsaufgabe, zum Beispiel einer Getränkeanzeige, die Äußerung fällt: »Diese Schrift passte am besten in das Format, das für die Anzeige zur Verfügung stand«. In diesem Fall liegt eine konkret-pragmatische Begründung vor. Mit dem Gegenstand, dem Thema der Gestaltungsaufgabe, hat diese Begründung freilich nichts zu tun. Nehmen wir nun an, die Person, die den Entwurf vorlegt, sagt: »Eine fette serifenbetonte Linear-Antiqua passt besser zu einem amerikanischen Whiskey als eine magere Französische Renaissance-Antiqua.« Damit ist nicht gemeint: »Mir passt die eine Schrift besser als die andere« – dies wäre wieder eine subjektive Meinung. Fragt man also nicht: »Welche Schrift passt mir besser?«, sondern: »Welche Schrift passt besser zum Produkt?«, dann bringt die Antwort keine subjektive Meinung zum Ausdruck, sondern formuliert Implikationen einer Begründung. Man geht

dann davon aus, dass das »Nichtpassen« der mageren Renaissance-Antiqua und das »Passen« der fetten serifenbetonten Linear-Antiqua mit der konkreten Gestaltungsaufgabe zu tun hat. Eine Französische Renaissance-Antiqua wird in unserem Kulturkreis eher mit französischem Burgunder assoziiert, während eine fette serifenbetonte Antiqua aufgrund unserer kulturellen Seh-Schulung durch Comics, Westernfilme etc. als eher zu nordamerikanischem Whiskey passend empfunden wird. Zusätzlich zur Sachbezogenheit weist die Aussage also auch insofern über den Sprecher hinaus, als sie uns deutlich machen will, dass auch andere Personen zu demselben Urteil kommen müssten. Wer so spricht, behauptet, etwas nicht nur zu glauben, sondern es zu wissen, und genau dann muss eine Begründung angegeben werden. Ob einem persönlich die Helvetica, die Schwabacher oder die Capitalis Monumentalis besser gefällt, ist bei der Begründung von Gestaltung somit unerheblich. Wenn Uneinigkeit über eine Gestaltungsentscheidung besteht – und das kommt ja bekanntlich nicht nur bei Diplomprüfungen vor, sondern auch ständig im beruflichen Alltag (sowohl innerhalb der Agentur als auch im Gespräch mit dem Auftraggeber) –, dann ist es von Vorteil, seine Entscheidung begründen zu können. Begründende Aussagen sind im Idealfall zugleich sach- und auf andere Subjekte bezogen. Letztere sollten demnach auch zu dem Urteil gelangen, dass die gewählte Schriftart zur Gestaltungsaufgabe passt. Allgemein gilt: Eine Person, die Äußerungen formuliert, welche eine Geltung auch für andere beanspruchen, muss diese begründen können. Grundsätzlich gibt es Äußerungen mit Wahrheitsanspruch und Äußerungen mit Geltungsanspruch. Ein Wahrheitsanspruch wird erhoben, wenn ein Wissen behauptet wird (wie im obigen Beispiel). Sätze mit Geltungsanspruch sind normativ: Sie fordern andere auf, etwas zu tun, indem sie Normen, das heißt Maßstäbe und Richtlinien formulieren. Nehmen wir als Beispiel für die zweite Gruppe einen Satz von Otl Aicher, der sinngemäß lautet: »Kommunikationsdesigner sollten auf die Capitalis Monumentalis gänzlich verzichten.« Normativ ist dieser Satz, weil der Sprecher will, dass die Aussage zur Richtschnur für andere Personen (alle Kommunikationsdesigner) wird. Aus diesem Grund muss Aicher dann eine Begründung nennen – was er selbstverständlich auch getan hat. Sie lautet sinngemäß: »Die Capitalis Monumentalis passt nicht zu freien Gesellschaftsformen, denn sie war die Schrift der römischen Sklavenhaltergesellschaft, und außerdem ist sie eine Grabsteinschrift. Sie steht für Unfreiheit, Staatsgewalt und Tod. Unterstrichen wird dies dadurch, dass sie eine reine Majuskelschrift ist.« Aus all diesen Gründen sei sie abzulehnen.

Capitalis Monumentalis

wer hat angst vor theorie? 10. 11

Es geht hier nicht darum, ob diese Begründung überzeugend ist (man könnte einiges daran in Frage stellen); es soll lediglich gezeigt werden, dass ein normativer Satz einer Begründung bedarf, weil er fordert, dass andere etwas tun sollen. Schema 1 SUBJEKTIVE MEINUNGEN

haben keinen Geltungsanspruch, der über den Sprecher hinausgeht

Begründung ist nicht notwendig

WISSENSSÄTZE

haben einen Wahrheitsanspruch, der über den Sprecher hinausgeht

Begründung ist notwendig

NORMATIVE SÄTZE

haben einen Geltungsanspruch, der über den Sprecher hinausgeht

Begründung ist notwendig

01.2_Begründungen in der Wissenschaft, im Alltag und speziell in der Gestaltungspraxis Freilich macht es einen Unterschied, ob normative Sätze und Wissenssätze im Alltag oder in einem wissenschaftlichen Kontext fallen. Die Kriterien, denen die jeweiligen Begründungen genügen müssen, sind in diesen Fällen unterschiedlich streng. Insbesondere in den Naturwissenschaften haben Begründungen oft Gesetzescharakter, das heißt: Sie drücken eine übergesellschaftliche und überhistorische Notwendigkeit aus – man denke zum Beispiel an das Gravitationsgesetz in der Physik. Im Alltagszusammenhang und auch im spezifischen Feld des Kommunikationsdesigns gilt dieses strenge Begründungskriterium nicht. Ein Kommunikationsgestalter muss zum Beispiel die im konkreten Fall ausgewählte Art der Typografie und des Layouts begründen. Das »Passen« von Typografie und Layout bezieht sich nun einerseits auf den jeweiligen kommunikativen Zweck, den es zu realisieren gilt, und hängt andererseits mit den konnotativen Bedeutungen zusammen, die durch die ausgewählte Schriftart, die Schriftgröße, die Anordnung der Schrift usw. transportiert werden und weitaus instabiler sind als die denotativen Bedeutungen. Jedes Zeichen hat stets zwei Bedeutungsaspekte: die Denotation, also die Grundbedeutung, die ein Zeichen im Zeichensystem hat, und die Konnotationen, also die sekundären Bedeutungen des Zeichens, die im kulturellen Kontext stark variieren. Die konnotative Bedeutungskomponente überlagert die denotative Grundbedeutung. Während Assoziationen, die ein Betrachter mit einer zeichenhaften Mitteilung verbindet, sozusagen dessen »Privatsache« sind, handelt es sich bei den Konnotationen gewissermaßen um »öffentliche« Angelegenheiten. Die Konnotationen zeichenhafter Mitteilungen bewegen sich in einem Rahmen, den das kulturelle Gedächtnis durch verbale und visuelle Codierungen und Überlieferungen bereitstellt. Diese Codierungen und Überlieferungen sind freilich keine Naturgegebenheiten, sondern geschichtliche – und somit veränderbare – Faktoren. Kommen wir noch einmal auf das oben aufgeführte Anzeigenbeispiel zurück. Zwar stimmt es, dass eine fette serifenbetonte Linear-Antiqua die Konnotationen »Amerika« und »Wilder Westen« transportiert, und man kann daher sagen,

dass diese Schrift besser zu amerikanischem Whiskey passt als eine magere Französische Renaissance-Antiqua. Das heißt aber nicht, dass dies auch in Zukunft die Primärkonnotationen jener Schrift sein müssen. Konnotationen sind kulturrelativ und veränderlich; sie unterliegen semantischen Verschiebungen. Das heißt, die Bedeutungen von Zeichen sind wandelbar. Die Primär-Konnotationen der fetten serifenbetonten Antiqua können sich also ändern. Hier spielen immer ein Zeit- und ein Kulturfaktor mit – und genau das ist die Bedingung für die Möglichkeit gestalterischer Innovation. Gerade Kommunikationsdesigner selbst arbeiten ja ständig daran, durch den kreativen Einsatz von Schriften deren aktuelle konnotative Bedeutungen zu verändern. Sie verwenden bestimmte Schriften nicht nur so, dass sie »passen«, sondern mitunter auch in der Weise, dass die verwendete Schrift gerade durch ihr »Nichtpassen« den ausgedrückten Inhalt beispielsweise ironisiert und so den Betrachter einer Anzeige zum Schmunzeln bringt; zum Beispiel, wenn mit einer fetten serifenbetonten Linear-Antiqua nicht für einen Whiskey, sondern für ein Schlankheitsmittel oder eine Schönheitscreme geworben wird. Eine ironisierende Verwendung einer Schrift ist nur möglich, weil sie bestimmte Konnotationen hat, die der Gestalter dann im konkreten Gebrauch vorsätzlich bricht. Auch und gerade bei ironisierender Verwendung besteht »Begründungspflicht«. 01.3_Begründung und kommunikativer Zweck Entscheidend für die Auswahl typografischer Einheiten – und auch dafür, ob eine ironische Verwendung möglich ist oder nicht – ist der jeweilige kommunikative Zweck, der die Ziele gestalterischen Handelns bestimmt. Das Ziel der Gestaltung eines Kommunikationsprozesses ist der Maßstab, an dem sowohl die Entscheidungen des Gestalters als auch dessen Begründungen dafür zu messen sind. Kommunikationsdesignerisches Tun muss begründbar sein. Bei einem Leitsystem für einen internationalen Flughafen ist der typografische Gestaltungsspielraum sicherlich geringer als bei einer national geschalteten Werbekampagne. Optimale Sicht- und Lesbarkeit sowie internationale Verständlichkeit bilden im ersten Fall die Gestaltungskriterien. Das kommunikative Spiel mit ironisierenden Mehrdeutigkeiten könnte hier im Ernstfall tödlich ausgehen – etwa, wenn das Gebäude in Brand steht –, während es bei der Werbekampagne eine durchaus verkaufsfördernde Wirkung haben kann. Kommunikationsdesigner müssen also nicht die Kommunikation als solche begründen, sondern vielmehr konkrete Einzelfälle mit durchaus sehr unterschiedlichen kommunikativen Zwecken, wobei letztere jeweils der Maßstab der Begründung sein müssen. Des weiteren haben Kommunikationspraktiker es vor allem mit den konnotativen Bedeutungen zu tun, die durch die ausgewählten typografischen Einheiten transportiert werden. Konnotative Bedeutungen sind fragil und kulturrelativ und unterliegen stärkeren semantischen Verschiebungen als denotative Bedeutungen. Für die Kommunikationspraxis kann es folglich keine Begründungen mit überkulturellem und übergeschichtlichem Gesetzescharakter geben.

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Der Vorwurf der »Verwissenschaftlichung der Gestaltung«, dem sich die Vertreter der Ulmer Schule ausgesetzt haben, ist demnach berechtigt – aber nur, wenn man ihn präzisiert und von einer »Vernaturwissenschaftlichung der Gestaltung« spricht. Eben darin bestand zunächst das Ulmer Projekt, das nicht gelingen konnte, weil es für die Kommunikationsgestaltung keine Naturgesetze gibt. Die Designtheorie kann keine an der Informationstheorie orientierte mathematischnaturwissenschaftliche Disziplin sein; sie muss vielmehr Anleihen bei der Phänomenologie, der Semiotik, der Hermeneutik und der kritischen Theorie der Gesellschaft machen. Das haben die Ulmer Designtheoretiker selbst bemerkt, was alsbald zu einer starken Öffnung insbesondere in Richtung Semiotik führte. Fassen wir zusammen: Theorien als Begründungssysteme haben ihren Ursprung nicht erst im Bereich der Wissenschaft, sondern bereits im Alltag, und zwar überall dort, wo Äußerungen mit universellem Geltungsanspruch gemacht werden. Um sich auf Begründungen zu einigen, muss man kommunizieren, das heißt man ist genötigt, sich über Ziele, Zwecke und Mittel zu verständigen. Kommunikation und Gesellschaft und damit der gesamte Bereich des Sozialen und Kulturellen beginnen mit Formulierungen, die einer Begründung bedürfen. Im Hinblick auf das Problem der Theoriefeindlichkeit muss man sich Folgendes verdeutlichen: Wer Theorie (im Sinne von systematischen Begründungszusammenhängen) radikal ablehnt, arbeitet in letzter Konsequenz auf eine Welt hin, in der nur noch subjektive Meinungen nebeneinanderstehen. Die vielen Meinungen sind dann gleichwertig, aber eben auch gleichgültig. So wichtig das Recht auf Meinungsfreiheit ist, spätestens im Konfliktfall reichen subjektive Meinungen nicht mehr aus. Hier sind Begründungen gefragt, und ohne Theorie kann es keine Begründungen geben. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob der theoretische Begründungsrahmen expliziert wird oder implizit bleibt. Theorie und Wissenschaft bewegen sich im Bereich der konstitutiven Unterscheidung zwischen »wahr« und »falsch«. Wissenschaftliche bzw. theoretische Sätze erheben den Anspruch, wahr und intersubjektiv verbindlich zu sein. Unter »Wahrheit« versteht man die Angemessenheit einer Aussage an den Sachverhalt, über den sie gemacht wird. Eine wissenschaftliche bzw. eine theoretische Aussage erhebt den Anspruch, ihrem Gegenstand angemessen zu sein und von jedem, der sich am Reflexionsprozess beteiligt, grundsätzlich nachvollzogen werden zu können. Was als wahr gilt und was als falsch, kann sich historisch und kulturell bedingt verändern. Daher verfallen dogmatische Wahrheitsansprüche regelmäßig der berechtigten Kritik. Annahmen wie die, dass die Erde eine Scheibe sei, um die sich die Sonne drehe, oder dass Gott Eva geschaffen habe, indem er eine Rippe aus dem Körper Adams herausgenommen habe, konnten auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden – auch nicht mithilfe dogmatischer Begründungen (»So steht es in der Heiligen Schrift«). Der Anspruch auf Wahrheit (Angemessenheit der Aussage an den Sachverhalt) und intersubjektive Geltung ist dagegen im Diskurs von Wissenschaft und Theorie unverzichtbar, denn ohne ihn wird Theorie sinnlos. Der Satz »Frauen sind geistig und sittlich nicht für das Hochschulstudium geeignet« galt in Deutschland noch bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs als wahre Aussage. Der Satz »Frauen wurde lange Zeit – aus sozialen und kulturellen Gründen,

die mit der Sicherung bestehender Herrschaftsverhältnisse zusammenhingen – der Zugang zu Institutionen höherer Bildung vorenthalten« ist hingegen nach heutigem Wissensstand als wahre Aussage zu bezeichnen. Theorie, auch die der Gestaltung, vollzieht sich dabei stets in einer dreischrittigen Kreisbewegung, die aus Reflexion, Begründung und Kritik besteht. »Kritisieren« (von altgriech. krinein) heißt im Wortsinn »unterscheiden«, »entscheiden« und »(be)urteilen«. Im Sinne der neuzeitlichen Philosophie (seit Immanuel Kant) bezeichnet Kritik die Bestimmung der Leistungen und der Grenzen von etwas. Verfasst etwa ein Kulturwissenschaftler eine »Kritik des Fernsehens«, so will er damit nicht zum Ausdruck bringen, dass er nicht viel von diesem Medium hält oder es ganz ablehnt. Er untersucht darin vielmehr, was das Medium Fernsehen leisten kann und wo seine Grenzen liegen. Das Spezifische des Mediums soll herausgearbeitet werden. Im Fernsehen kann man beispielsweise »live« über Ereignisse berichten, was etwa im Medium Kinofilm nicht möglich ist; im Fernsehen lassen sich hingegen komplexe philosophische Erörterungen schlechter realisieren als im Radio oder in einem Printmedium, weil die visuelle Erscheinung der Protagonisten oder die Visualisierungen philosophischer Konzepte (in der Regel) vom begrifflichen Verstehen eher ablenken. Um nun auf diesem oder ähnlichen Gebieten Entscheidungen über die Wahl und den Einsatz eines Mediums treffen zu können, muss man sachorientiert über die Materie und den kommunikativen Zweck nachdenken (Reflexion), seine Schlüsse konsistent und widerspruchsfrei mit Argumenten darlegen (Begründung) und aufgrund der vorgenommenen Unterscheidungen Entscheidungen treffen. Daraus entsteht wiederum eine veränderte Ausgangslage, die erneute Reflexion, Begründung und Kritik erfordert. Schema 2 REFLEXION

den Gegenstand im Zusammenhang begreifen

BEGRÜNDUNG

eine Theorie formulieren: allgemeingültige Thesen und Argumente im Zusammenhang

KRITIK

wahr/falsch, besser/schlechter unterscheiden und Entscheidungen treffen

HANDLUNG

Anwenden, Umsetzen und Überprüfen der getroffenen Entscheidungen

ERNEUTE REFLEXION

den Gegenstand im Zusammenhang begreifen

BEGRÜNDUNG

eine Theorie formulieren: allgemeingültige Thesen und Argumente im Zusammenhang

KRITIK

wahr/falsch, besser/schlechter unterscheiden und Entscheidungen treffen

USW.

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Denken wir uns beispielsweise einen Gestalter, der seit einiger Zeit für eine bestimmte Firma arbeitet. Er denkt über die Möglichkeiten und Grenzen des bisherigen Corporate Design der Firma nach und kommt zu dem Schluss, dass ein Re-Design nottut. Eine Begründung dieser durch Reflexion gewonnenen Annahme könnte lauten, dass der bisherige Firmenauftritt Konnotationen hervorruft, die nicht mehr als zeitgemäß empfunden werden. Farben, Typografie und Signet des Erscheinungsbildes versetzen die Kunden ungewollt in die Vergangenheit zurück. Das Gleiche gilt für das Personal der Werbeauftritte, zum Beispiel hellhäutige, rotwangige, blonde Kinder mit Zöpfen oder Seitenscheiteln in Dirndln und Lederhosen. Da die Firma mit ihren Produkten Kinder von heute ansprechen möchte, würde es sich vielleicht anbieten, modisch frisierte, multiethnische »Kids« in »trendigen Klamotten« zu zeigen. Gleichzeitig könnte es durchaus sinnvoll sein, weiterhin sowohl Mädchen als auch Jungen auftreten zu lassen. Oder sollte man das »unzeitgemäße« Design vielleicht sogar tendenziell beibehalten und im Sinne des Retro-Stils versuchen, es den umworbenen Jugendlichen als »kultig« zu vermitteln? Hier wird es darauf ankommen, zu differenzieren und gut begründete Entscheidungen zu treffen. Gerade vorsichtige Anpassungen ermöglichen, dass ein Erscheinungsbild für die Betrachter im Laufe der Zeit »konstant« bleibt und die Konnotation des Altmodischen ausbleibt. Die vorsichtigen Veränderungen bewahren die »Identität der Firma«, indem sie diese an die visuellen Codes und die Mentalitäten der Gegenwart anpassen. Das Denotat bleibt gleich, die Konnotationen ändern sich. Nur wer sich ändert bleibt sich treu, sang einst Wolf Biermann – Identität kann nur durch Veränderungen aufrechterhalten werden. In jedem Fall muss das bestehende Corporate Design kritisch analysiert werden: Was kann es heute noch leisten, wo liegen seine Grenzen? Was ist vom Alten zu übernehmen, was ist zu erneuern? Wenn das Re-Design gelungen ist, herrscht in der Regel für eine Weile kein Handlungsbedarf. Erst wenn es seinen Zweck nicht mehr optimal zu erfüllen scheint, muss neu reflektiert werden.

kommunikation mit bild und text kommunikation mit bild und text

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02_Kommunikation mit Bild und Text Nachdem nun gezeigt wurde, dass Theorie im designpraktischen Bereich grundsätzlich notwendig ist, soll die Designtheorie im folgenden Kapitel präzisierend erläutert werden. Designtheorie muss die Analyse von Kommunikationsdesign – zum Beispiel von Flyern, Plakaten, Werbeanzeigen, Katalogen – ermöglichen. Da es sich bei dem vorliegenden Buch um eine Einführung handelt, wäre es nicht sinnvoll, sogleich komplexe Designeinheiten wie die BewegtbildMedien Film, Video und Animation oder gar interaktive Medien analysieren zu wollen. Wir betrachten zunächst die einfachste Einheit im Kommunikationsdesign: das Einzelbild. Hier zeigt sich schnell, dass eine Ergänzung nötig ist, denn Kommunikationsdesign erscheint auch in seiner einfachsten Form in den meisten Fällen als eine Kombination von Bild und Text, etwa als Slogan in Verbindung mit einer Abbildung. So ergibt sich eine erste Arbeitsthese: Text und Bild müssen als kommunikative Einheit gesehen werden. Eine weitere Arbeitsthese lautet: Die Bedeutung einer solchen Kommunikationseinheit ist kontextabhängig. Behandeln wir zunächst die erste These und beleuchten den Begriff der Einheit. Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, wie sich ein Ganzes zu seinen Teilen verhalten kann: Einmal kann das Ganze lediglich die Summe seiner Teile sein. In diesem Fall spricht man von einem Aggregat. Die andere Möglichkeit ist, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. In einem solchen Fall spricht man von einem System. Je nachdem, ob man den Gegenstand einer Betrachtung als Aggregat oder als System auffasst, ergeben sich nun zwei Wege, das jeweilige Ganze und dessen Teile zu bestimmen. Als Beispiel stellen wir uns einen Sack vor, der kleine, mittelgroße und große Murmeln in den Farben Gelb, Blau und Rot enthält. Um eine einzelne Murmel zu bestimmen, genügt es, festzustellen, dass sie zum Beispiel rot und groß ist. Man ist also in der Lage, ein Teil zu bestimmen, ohne auf das Ganze, den Sack Murmeln, rekurrieren zu müssen. Das Ganze ist dann lediglich die Summe seiner einzeln bestimmbaren Teile. Verringert man die Anzahl der Murmeln, handelt es sich immer noch um einen Sack Murmeln. Ganz anders verhält es sich bei einem System. In diesem Fall geht man von einem Ganzen aus, bei dem man die einzelnen Teile nur bestimmen kann, indem man auf das Ganze rekurriert. Ein Einzelnes wird dann als Effekt des Systems verstanden. Nehmen wir als Beispiel einen Motor. Er ist mehr als die Summe seiner Teile, denn nimmt man nur eines davon heraus, etwa den Vergaser, läuft er nicht mehr. Durch das Wegnehmen eines Teils wird das Ganze nicht nur kleiner, wie beim Aggregat, sondern teilweise oder vollständig funktionsunfähig. Bild-Text-Einheiten im Kommunikationsdesign sind stets als Systeme aufzufassen. Lässt man einzelne Text- oder Bildteile weg, zerstört man die Einheit, da

dann der jeweilige kommunikative Zweck, nämlich das Vermitteln einer bestimmten Botschaft, nicht mehr erfüllt wird. Eine weitere für die Designtheorie wichtige Differenzierung ist diejenige zwischen konstitutiven und regulativen Regeln. Als Beispiel hierfür möge das Schachspiel dienen. Ein Spiel ist es aufgrund eines Systems konstitutiver Regeln. Das Spezifische dieser Art von Regeln ist, dass sie sich nicht auf etwas bereits Vorhandenes beziehen, sondern ein bestimmtes Verhalten überhaupt erst hervorbringen. Zwei Personen spielen nur dann Schach, wenn ihre Handlungen mit dem Regelsystem Schach übereinstimmen. Haben sie sich auf andere konstitutive Regeln geeinigt oder halten sie sich einfach nicht an die Schachregeln, spielen sie nicht mehr Schach, sondern ein anderes Spiel. Insofern ist auch hier das Schachspiel mehr als die Summe seiner konstitutiven Regeln. Lässt man nur eine davon weg, missachtet man das Regelsystem »Schach« als Ganzes. Regulative Regeln hingegen konstituieren nichts, sondern beziehen sich auf bereits Vorhandenes. Beim Schach sind die regulativen Regeln diejenigen, die etwa die Strategie betreffen. Ein defensives oder ein offensives Spiel zu spielen heißt, jeweils bestimmte Regeln anzuwenden. Diese konstituieren aber nicht das Spiel »Schach«, sondern regulieren das konkrete Spiel nach den strategischen Absichten des Spielers. Was die Strategie anbelangt, kann der Spieler wählen; was die konstitutiven Regeln anbelangt, nicht – für Letztere hat er sich bereits entschieden, indem er Schach und nicht ein anderes Spiel spielt. Die Unterscheidung zwischen regulativen und konstitutiven Regeln wird ausführlich von John R. Searle in seinem Buch Sprechakte aus dem Jahre 1969 behandelt. Sie ist in unserem Zusammenhang deswegen interessant, weil sie uns helfen kann festzustellen, wann der Kommunikationspraktiker gestalterische Freiheiten hat und wann nicht. Werden in der Kommunikationspraxis konstitutive Regeln verletzt, löst sich die Kommunikation auf. Das verarbeitete Material kommuniziert nichts mehr. Diese Art von Einflussnahme darf nicht mit Kreativität verwechselt werden. Freiheit herrscht nur im Bereich regulativer Regeln. Auf diesen Bereich hat sich die Kreativität des Kommunikationsdesigners zu beschränken, wenn sie nicht dysfunktional sein soll. Hier hat er nicht nur die freie Wahl, auf bereits bestehende Strategien zurückzugreifen, hier kann er neue ausprobieren. Dies ist zum Beispiel bei der berühmten Benetton-Kampagne von Oliviero Toscani aus den 1990er Jahren geschehen. Sie verflüssigte die Grenzen zwischen den massenmedialen Programmbereichen »Reklame« und »Bericht und Information«. Man bekam nicht, wie gewohnt, glückliche und enthusiasmierte junge Menschen zu sehen, die ein euphorisches Lebensgefühl mit dem Produktimage der Bekleidung verbinden sollten. Stattdessen wurden Fotos von todkranken Menschen im Kreise ihrer verzweifelten Angehörigen oder von blutdurchtränkten Uniformen gefallener Soldaten gezeigt. Es wurden Bilder verwendet, die im öffentlichen Bewusstsein mit Problemen, Krisen und Ängsten der Zeit verbunden waren und nicht mit der visuellen Sphäre bewusster und unbewusster Wünsche nach Glück, Bedürfnisbefriedigung und Erfolg.

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Man könnte auch sagen, der Kommunikationspraktiker spricht Sprachen, die bereits existieren, denn er hat ja Botschaften zu vermitteln und muss deswegen verstanden werden. Kreativ ist er, indem er sich für die Botschaft »Kauf mich« bzw. »Nimm mich wahr« immer neue Darstellungsweisen überlegt. Nur in diesem Sinne ist er innovativ. Anders verhält es sich beim Künstler. Dieser ist kreativ im Sinne des Schaffens neuer konstitutiver Regeln; er ist ein Erfinder neuer Sprachen, und das bringt mit sich, dass diese zunächst nicht verstanden werden. Die Kunst lebt davon, von einer direkten, sofort erkennbaren Funktion befreit zu sein. Sie ist geprägt von ihrer Unverständlichkeit, von ihrem hohen Irritationsgrad. Irritieren darf freilich auch der Kommunikationsdesigner, aber nur, um dadurch die Aufmerksamkeit auf die zu vermittelnde Botschaft zu lenken. Die Irritation darf bei ihm niemals zum Selbstzweck werden. Im Gegensatz zu einigen Vertretern der Werbebranche – zum Beispiel Michael Schirner in seinem Buch Werbung ist Kunst (Schirner 1988) – behaupten wir also, dass Kommunikationsdesign und Kunst im oben beschriebenen Sinne grundsätzlich verschieden sind. Das heißt nicht, dass es zwischen dem System Werbung und dem System Kunst keine Verbindungen gäbe. Offensichtlich existieren hier strukturelle Verkopplungen und innere Affinitäten, die tendenziell bis hin zur Indifferenz beider Sphären führen können. Immer dann, wenn zum Beispiel die Sprache der Werbung Anleihen bei visuellen Sprachen macht, die Künstler bzw. Kunstrichtungen eingeführt und durchgesetzt haben, liegen (simple oder subtile) strukturelle Verkopplungen vor. Das Phänomen der Angleichung beider Sphären lässt sich unter einem funktionalen Gesichtspunkt beobachten. Dazu muss man sich erstens klar machen, dass eine Kausalität zwischen eingesetzten Werbemitteln und tatsächlichen Kaufentscheidungen der Konsumenten nicht wissenschaftlich belegt werden kann. Die altehrwürdige »AIDA-Formel« mag ein nützliches Orientierungsinstrument beim Entwurf von Werbemaßnahmen sein: Zunächst muss man Aufmerksamkeit wecken (attention) und ein Interesse erzeugen (interest). Aber die Formel suggeriert, zwischen dem Begehren (desire), das beim potenziellen Kunden durch die Begegnung mit der werblichen Maßnahme geweckt werden soll, und der Kaufhandlung (action) könne ein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden. Das ist bis heute jedoch nicht gelungen. Es kann höchstens nachvollzogen werden, ob jemand eine Anzeige oder einen Spot gesehen oder gehört hat, oder besser gesagt: ob er sich daran erinnern kann. Auch die gewieftesten Fachleute können nicht mit Sicherheit feststellen, ob es verlässliche Korrelationen zwischen »gesehen haben« bzw. »gehört haben« und »kaufen« gibt. Warum der Konsument sich letztlich für ein Produkt entschieden hat und nicht für ein anderes, kann ebenso wenig deduziert werden wie der Kursverlauf eines Börsenpapiers. (Glücklicherweise, kann man vielleicht sagen, denn andernfalls wären nach der Entdeckung des unfehlbaren Wirkmechanismus die Kommunikationsdesigner bald arbeitslos oder müssten immerzu nach demselben Schema arbeiten.) Auch steht das für Werbung eingesetzte Kapital heute in den meisten Branchen in keinem betriebswirtschaftlich rationalen Verhältnis mehr zu den jeweils eingespielten Erträgen. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden in Deutschland rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Werbung ausgegeben, umgerechnet rund 30 Milliarden Euro. Niklas Luhmann berichtet in seinem Buch über die Realität der Massenmedien, dass in der deutschen Auto-

mobilindustrie zu dieser Zeit über 1 Milliarde Euro pro Jahr für Reklame bezahlt wurde, das heißt, auf jeden verkauften Wagen entfielen durchschnittlich mehr als 250 Euro Werbekosten. Die klassische Kalkulation von Aufwand und Ertrag wird hier nicht mehr angewendet. »Eher scheint es um den Zwang zu gehen, sichtbar zu bleiben«, wie Niklas Luhmann es treffend formuliert hat (Luhmann 1996, S. 93). Bei verschärfter Konkurrenz, permanenter Überproduktion und stagnierender ökonomischer Kaufkraft ist für die Warenproduzenten vor allem wichtig, auf dem Forum wahrgenommen zu werden. Was nicht wahrgenommen wird, existiert nicht. Etwas wahrnehmbar zu machen ist indessen auch eine Form ästhetischer Arbeit. Werbung produziert (von vereinzelten Ausnahmen wie der erwähnten Kampagne von Benetton einmal abgesehen) mithilfe von Zeichen den schönen Schein einer Alltagskultur: Die Dinge haben ihre Ordnung und wir die Freiheit der Wahl. Werbung konstruiert eine Realität eigener Art; das heißt aber auch: Sie arbeitet mit den gleichen Parametern wie das System Kunst. Letzteres erzeugt mit ästhetischen Mitteln eine Differenz zwischen sich selbst und allem Übrigen und somit eine fiktionale »Realität«, die von der realen abgespalten ist. Auch Werbung konstruiert eine eigene Realität – aber indem die Realität der Reklame eine Differenz herstellt, »verdoppelt« sie die Welt. Denn Reklame erzeugt die »Illusion«, dass »Dasselbe gar nicht dasselbe« sei, sondern immer wieder etwas Neues (Luhmann 1996, S. 94). Reklame als l’art pour l’art – davon haben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schon in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts gesprochen. Sie beobachteten die Funktion von Reklame in fortgeschrittenen Industriegesellschaften, in denen die liberalen Marktgesetze von monopolistischen und autoritären Strukturen verdrängt wurden, und stellten fest, dass die Funktion von Reklame jenseits der klassischen ökonomischen Rationalität lag. Wenn die freie Konkurrenz der Warenanbieter eigentlich keine Rolle mehr spiele, weil global players den Markt unter sich aufgeteilt haben, müsse der Kunde nicht mehr umworben werden. Reklame sei ein symbolischer Imperativ, der die Eigentumsordnung und die Sozialstruktur aufrechterhalte. Reklame, meinten Horkheimer und Adorno mit einem gewissen Sarkasmus, werde so »zur Kunst schlechthin«: »Reklame für sich selber, reine Darstellung der gesellschaftlichen Macht« (Horkheimer und Adorno 1947, S. 191). Heute wäre allerdings die Frage zu stellen, ob diese Beobachtung der Selbstgenügsamkeit noch zutrifft, da die Marktgesetze im globalen Kapitalismus keineswegs ausgehebelt sind; sie sind vielmehr auf eine Weltmarkt-Reichweite ausgedehnt worden, wie sie zuletzt in der Zeit des Kolonial-Imperialismus vor dem Ersten Weltkrieg vorzufinden war. Zurück zu unserem ersten Leitsatz: »Text und Bild müssen als kommunikative Einheit gesehen werden.« Klar ist bis jetzt, dass wir solche Einheiten als Systeme verstehen. Doch was ist das jeweilige Ganze? Meint »Text und Bild als kommunikative Einheit« zum Beispiel Bild und Bildunterschrift in einer Zeitung oder ein Plakat mit Bild und Text? Doch was ist mit einem reinen Typoplakat oder einer Broschüre mit bloß textlicher Information? Was heißt eigentlich Text, und was Bild? Schon mit »Bild und Text« kann Unterschiedliches gemeint sein. Im Zusammenhang mit Kommunikation gelangt man schnell zu der These, dass Bild und Text verschränkt seien. Was heißt das? Im Alltagsverständnis ist ein Bild ein Abbild,

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zum Beispiel eine Fotografie oder eine Zeichnung, und ein Text ist geschriebene Sprache. Schon auf dieser Ebene zeigt sich, dass ein Bild allein immer eine Vielzahl verschiedener Lesarten zulässt, und genau deswegen kann hier noch keine Rede von Kommunikation sein. Erst der Text, sei es in der Form einer Bildunterschrift oder als Text im Bild, schränkt die Anzahl möglicher Lesarten ein. Freilich kann auch ein Text vieldeutig sein; er bedarf dann eines Bildes zur Einschränkung der Deutungsmöglichkeiten. Die Aufgabe des Kommunikationsgestalters ist nun, die prinzipielle Mehrdeutigkeit von isoliertem Text- oder Bildmaterial zu einem konkreten Zweck gezielt einzudämmen. Dies ist eine spezifische Form kommunikativer Rationalität, eine visuelle Ökonomie, die sich aufgrund ihrer Zweckgebundenheit radikal von der künstlerischen Praxis unterscheidet. Diese Eindämmung von Mehrdeutigkeit muss nicht zwangsläufig zu einer Eindeutigkeit führen. Kommunikation kann durchaus so gestaltet sein, dass mehrere Lesarten möglich sind. Diese Mehrdeutigkeit darf jedoch nicht dysfunktional in Hinblick auf den kommunikativen Zweck sein. Man muss also zwischen funktionaler und dysfunktionaler Mehrdeutigkeit unterscheiden. Nur Letztere ist zu vermeiden – und die kommunikative Praxis zeigt, dass das nicht immer einfach ist, weil sich oftmals ungewollte Konnotationen einstellen können. Doch »kommunikative Einheit von Text und Bild« muss nicht heißen, dass ein reales Abbild vorhanden ist. Die meisten Menschen haben Tausende von Bildern im Gedächtnis, die ihnen kulturell durch Massenmedien vermittelt worden sind. Das heißt, sie wurden zuerst als reale Bilder geliefert und aufgrund ihrer Prägnanz und permanenten Wiederholung oder auch aufgrund ihrer Schockwirkung oder Schönheit abgespeichert. Aus ursprünglich realen Bildern, die etwa in Zeitungen oder im Fernsehen zu sehen waren, wurden so kollektive mentale Bilder. Die wenigsten davon sind uns ständig präsent; der Kommunikationsdesigner kann sie aber beim Empfänger auslösen, indem er indexikalische Zeichen setzt. Die Schriftzüge »Mona Lisa« oder »Marilyn Monroe auf dem Luftschacht« auf einem Plakat genügen – sofort ist das jeweilige Bild für einen Großteil der Betrachter geistig präsent. »Einheit von Text und Bild« kann also auch dann gegeben sein, wenn nur Text vorliegt. Dieser fungiert dann als indexikalisches Zeichen (siehe Kapitel 03.3, S. 32) für mentale Bilder, die beim Betrachter in der Regel vorhanden sind. Doch selbst im Falle reiner Textgestaltung, die nicht in der Absicht erfolgt, mentale Bilder zu evozieren, ist es sinnvoll, von der Einheit von Text und Bild zu sprechen, da das gesamte Feld typografischer Kategorien wie Schriftart, Schriftgröße, Auszeichnungsarten, Zeilenabstand, Satz, Layout usw. immer auch als Bild zu verstehen sind. Man spricht vom »Schriftbild«, »Satzbild« usw., selbst dann, wenn mit »Bild« nicht ein Abbild von etwas gemeint ist. Auch in einem solchen Fall ist die Ausrichtung auf den jeweiligen kommunikativen Zweck unerlässlich. Eine Vorladung vor Gericht, in dunkelgrüner Frakturschrift auf lachsfarbenes Papier geschrieben, würde kaum als offizielles Schreiben ernstgenommen werden und höchstwahrscheinlich ihren Zweck verfehlen.

Zu unserer ersten Leitthese, dass Text und Bild als kommunikative Einheit verstanden werden müssen, gehört noch ein wichtiger Punkt: Die Verwendung des jeweiligen Mediums muss berücksichtigt werden. Die kommunikative Einheit von Text und Bild verstehen wir immer schon als eine über ein konkretes Medium – zum Beispiel Flyer, Plakat, Visitenkarte, Broschüre, Anzeige – realisierte Einheit. Bisher haben wir solche medialen Bild-Text-Einheiten abstrakt behandelt, indem wir den Kontext, in dem ein Flyer, ein Plakat oder eine Anzeige konkret erscheinen, unberücksichtigt ließen. Man könnte nun zu dem Schluss kommen, dieser räumliche und zeitliche Kontext sei nicht wichtig, denn die Botschaft zum Beispiel eines bestimmten Plakats bleibe doch gleich, egal, wann und wo es aufgehängt werde. Doch dem ist nicht so – und damit kommen wir zur zweiten Leitthese: Die Bedeutung einer Kommunikationseinheit ist kontextabhängig. Bei der Verwendung des Begriffs Kontext ergibt sich die Frage, wo die Kontextgrenze zu setzen sei – und wenn eine Grenze begründet gezogen und damit ein Kontext bestimmt wurde, ist dieser wiederum in einen anderen, übergeordneten Kontext eingebettet. So droht in letzter logischer Konsequenz die Perspektive einer Kosmologie, die für den Designpraktiker keinerlei Handlungsrelevanz mehr besitzt. Insofern benutzen wir zwar den Kontextbegriff, doch nicht, um einen metaphysischen oder quasi-theologischen Holismus zu zelebrieren. Wir gebrauchen ihn nur dort, wo er von designpraktischer Relevanz ist. Mithilfe des Beispiels eines Plakats, das einen Stierkampf ankündigt, soll im Folgenden die Vielfalt des Kontextbegriffs im Kommunikationsdesign verdeutlicht werden. Dabei möchten wir aufzeigen, wie sehr der lokale und temporale Kontext die zu übermittelnde Botschaft beeinflusst. 1_Das Plakat hängt an den offiziellen Anschlagflächen in einer spanischen Stadt. In der Arena dieser Stadt wird der Kampf in zwei Wochen stattfinden. Dies ist der Kontext, für den das Plakat ursprünglich geschaffen wurde. Die Botschaft: »Besucht diesen Stierkampf, der hier in der Arena in zwei Wochen stattfindet« wird verständlich, deutlich und auffällig publik gemacht. Um dies zu erreichen, war ein Kommunikationsdesigner beauftragt worden. 2_Das Plakat hängt wie oben beschrieben, der angekündigte Stierkampf hat jedoch bereits stattgefunden. In diesem Fall haben wir eine zeitliche Kontextänderung . Die Botschaft des Plakats hat sich inzwischen inhaltlich geändert; es verweist auf ein vergangenes Ereignis. 3_Das Plakat hängt in einem deutschen Reisebüro. Hier geht nicht darum, Menschen dazu zu bewegen, den auf dem Plakat angekündigten Stierkampf zu besuchen. Die Botschaft ist allgemeiner gehalten. Sie lautet: »Deutsche, seht her, welch schöne Länder es in Europa gibt; Länder mit einer für euch exotischen Kultur. Verbringt doch den nächsten Urlaub einmal in Spanien!« 4_Das Plakat hängt im Schaufenster des Büros einer Tierschutzorganisation. Dieser Ort verkehrt die ursprüngliche Botschaft in ihr Gegenteil. Sie bezieht sich

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auch diesmal nicht auf den konkret angekündigten Stierkampf, sondern auf Stierkämpfe schlechthin. Die Mitteilung lautet jetzt: »Besucht solche Veranstaltungen nicht, denn dort werden Tiere zuerst gequält und anschließend getötet.« Es handelt sich um eine Variante des italienkritischen Ornithologen-Slogans aus den 1970ern: »Wo Vogelmord, kein Urlaubsort«, mit dem Unterschied, dass im Fall des Stierkampfplakats eine vorgefundene, affirmative Werbemaßnahme umcodiert wurde. 5_Das Plakat wird im Kontext einer Ausstellung zum Thema »Stierkampfplakate« gezeigt. Eine solche Ausstellung wird freilich kaum von Gegnern des Stierkampfes realisiert werden, sondern etwa von Kunsthistorikern, die zeigen wollen, dass die Tradition des Stierkampfplakats so etwas wie eine eigene Ikonografie hervorgebracht hat. Unser Plakat wäre in diesem Fall ein Beispiel für die eigene visuelle Sprache der Stierkampfplakate. 6_Das Plakat hängt in einer Ausstellung zum Thema »Das spanische Plakat heute«. In diesem Fall steht ein aktuelles nationales Designinteresse im Vordergrund. Auch hier dient das Plakat lediglich als Beispiel. 7_Das Plakat wird in einer Ausstellung zum Thema »Hemingway und seine Wirkung 1899-1999« gezeigt. In diesem Kontext teilt uns das Plakat mit, dass es Hemingway war, der durch seine Romane Fiesta und Tod am Nachmittag den Stierkampf weit über die spanischen Grenzen hinaus bekannt gemacht hat. 8_Das Plakat hängt in einer Ausstellung, die das Œuvre des Plakatgestalters zeigt. In diesem Rahmen könnte die Botschaft zum Beispiel heißen: »Seht her, mit diesem Plakat beendete Plakatmacher X seine blaue Phase und begann, als dominante Farbe Rot einzusetzen.« 9_Das Plakat wird in die Sammlung des Museum of Modern Art aufgenommen. Dieser Kontext macht sofort deutlich: Dieses Plakat gehört zu den bedeutendsten der Welt. 10_Das Plakat hängt in einer spanischen Stadt, allerdings nicht an den offiziellen Anschlagstellen, denn die Europäische Union hat inzwischen ein europaweites Verbot von Stierkämpfen erlassen. Durch die veränderte Gesetzeslage verweist das Plakat jetzt auf eine illegale Veranstaltung. Die durch das Plakat vermittelte Aufforderung, die Veranstaltung zu besuchen, ist kriminell. 11_Das Plakat hängt in den Redaktionsräumen einer feministischen Zeitung. Auch hier verändert sich die Botschaft erheblich: »Seht her, die Männer definieren sich als Machos, indem sie Tiere töten, die in diesem ungleichen Kampf doch letztlich keine Chance haben.« 12_Es gibt mittlerweile aber auch ein paar weibliche Stierkämpfer, und wir nehmen an, in der Wohnung einer solchen hängt unser Plakat. Dann freilich heißt die Botschaft: »Die Gleichberechtigung der Geschlechter schreitet voran! Seht her, ich, Frau X, bin in den Stierkampf, eine bislang reine Männerdomäne, eingebrochen.«

Soweit die Beispiele; die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Wichtig ist, zu sehen, dass der Kommunikationsgestalter nur bis zu einem gewissen Grad in der Lage ist, die zu übermittelnde Botschaft zu bestimmen. Prinzipiell können sich weitere Bedeutungen ergeben, die der Designer selbst nicht mehr in der Hand hat. So war eben der kommunikative Zweck des Stierkampfplakats ursprünglich der, für einen konkreten Stierkampf zu werben. Dass dieses Plakat für eine Ausstellung »Das spanische Plakat heute« ausgewählt wird und damit plötzlich einem nationalen Zweck dient, liegt nicht mehr in der Hand des Plakatgestalters, sondern in der der Ausstellungsorganisatoren. Auch die Verwendung des Plakats durch Tierschützer gibt ihm einen völlig neuen Zweck, der vom Plakatdesigner nicht beabsichtigt war. Die prinzipielle Möglichkeit zum Missbrauch, aber auch zur produktiven Neuaneignung , ist immer gegeben. Als Beispiel für Missbrauch möchten wir an den Roman Jud Süß (1925) des antifaschistischen Autors Lion Feuchtwanger über das Schicksal eines Juden im ausgehenden Mittelalter erinnern. Die Nationalsozialisten ließen das Buch 1940 von Veit Harlan verfilmen und instrumentalisierten es auf diese Weise für ihre antisemitischen Zwecke. Auf der anderen Seite kann aber auch Material, das zum Beispiel während des Nationalsozialismus propagandistischen Zwecken diente, heute durch die Einbettung in einen anderen Kontext dem Zweck der Aufklärung und der Aufarbeitung vergangener Geschichte dienen. Negative Bezeichnungen wie »entartete Kunst« können in entsprechenden Kontexten ihren konnotativen Charakter ändern. Ähnliches gilt für das Jargon-Schimpfwort »schwul«, das sich homosexuelle Subkulturen für ihren internen Sprachgebrauch angeeignet haben und das inzwischen auch im allgemeinen Sprachgebrauch meistens ohne Negativ-Konnotationen verwendet wird. Es bleibt nun noch zu klären, was überhaupt damit gemeint sein kann, wenn die Rede von einem »Bild« ist. Doch wieso geschieht das erst jetzt? Wäre es nicht angebracht gewesen, den Bildbegriff vorher zu definieren? Wir haben uns dagegen entschieden, um die Sache nicht gleich zu Beginn unnötig kompliziert zu machen. Wenn es um das »Bild-Text-Verhältnis« geht, ist das alltagssprachliche Vorverständnis von »Bild« durchaus ausreichend. Dabei sollte man jedoch nicht stehenbleiben. Um vorläufig klar zu machen, was unter einem »Bild« verstanden werden kann, eignet sich der Vorschlag von W. J. T. Mitchell zur begrifflichen Beschreibung der »Familie der Bilder« (Mitchell 1990, S. 19–24). Er unterscheidet zwischen fünf Typen von Bildern, die er nicht als natürliche Gegebenheiten begreift, sondern als Ergebnisse von Kodierungen, die sich sozial- und kulturhistorisch entwickelt haben. Es handelt sich um disziplinäre Konstruktionen, die der Ordnung des Diskurses folgen, der in der jeweiligen Disziplin herrscht. Nach Mitchell gibt es grafische Bilder, also Gemälde, Zeichnungen, Fotos, architektonische Pläne etc., aber auch Statuen, die von der Kunstgeschichte (und wir ergänzen: von der Ästhetik) beschrieben werden. Es gibt optische Bilder wie Spiegelungen und Projektionen, für welche die Physik zuständig ist. Weiterhin gibt es perzeptuelle Bilder, also Sinnesdaten, »Formen« (im Sinne der Philosophie des Aristoteles) und Erscheinungen; diese bilden ein Grenzgebiet, auf dem mehrere Wissenschaften

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tätig sind, nämlich Physiologie, Neurologie, Psychologie, Kunstgeschichte, Physik und Philosophie. Weiterhin gibt es geistige Bilder, also Träume, Erinnerungen, Ideen und Vorstellungen (Psychologie und Erkenntnistheorie). Und schließlich gibt es sprachliche Bilder, das heißt Metaphern und bildhafte Beschreibungen; um ihr Verständnis bemüht sich die Literaturwissenschaft. Das Wort »Bild« ist also mehrdeutig und wird in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet (Schweppenhäuser 2007, S. 245–272). Es steht für Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche, Holzschnitte, Fotografien, elektronisch generierte Bildflächen z.B. bei Fernseher und Computer. All das sind zweidimensionale Artefakte. Sie machen etwas sichtbar; sie zeigen etwas; sie stellen etwas dar. Doch können mit dem Begriff auch dreidimensionale Artefakte bezeichnet werden, die sozusagen etwas in den Raum stellen. Plastische Gestaltungen und Statuen nannte man früher »Standbilder«; sie wurden bekanntlich von »Bildhauern« aus verschiedenen Materialien hergestellt. Zum Verständnis ist es nützlich, sich klarzumachen, dass das deutsche Wort »Bild« etymologisch von »Gebilde« abgeleitet wurde, worunter etwas verstanden wird, das (im weitesten Sinne) gestaltet worden ist. Daher stammt die Mehrdeutigkeit in Bezug auf Zwei- und Dreidimensionalität dessen, was als Bild bezeichnet werden kann. In unserem Kontext werden unter »Bildern« in erster Linie die von Mitchell so genannten »grafischen« Bilder verstanden, seltener auch die »sprachlichen« Bilder. Eine zusammenfassende und für die Zwecke des Kommunikationsdesigns auswählende Definition der Aspekte des Bildbegriffs kann folgendermaßen lauten: Ein Bild ist stets etwas zweidimensional Gestaltetes, das etwas auf pikturale Weise repräsentiert, das heißt: darstellt oder bezeichnet. Oder anders gesagt: Wir haben es hier mit Artefakten zu tun, die »bildhaft etwas darstell[en]« (Scholz 2000, S. 623). Wenn man den zeichenhaften Charakter der Bilder betonen möchte, kann man nach einem Wort von Vilém Flusser definieren: Bilder sind bedeutungstragende Oberflächen. Man kann aber auch davon ausgehen, »daß Bilder direkt Unterbewußtsein und Nervensystem ansprechen« (Kracauer 1942, S. 326). Also sollte man berücksichtigen, dass Bildzeichen ihren Bedeutungsgehalt simultan zeigen – im Unterschied zu Wortzeichen, die ihren Sinn im Zuge einer (meist logisch strukturierten) Darlegung von A nach B über C usw. entfalten. Doch auch dann ist zu bedenken, dass sich die Bildzeichen in den allermeisten Fällen als Gebilde mit vielfältigen Bezügen und Implikationen präsentieren, die wir durchaus nicht immer auf einen Blick erfassen. Das Erfassen der Bildzeichen ist vielmehr ein Prozess, der eine gewisse Zeitspanne durchläuft und darin auch Veränderungen unterworfen ist. Das heißt: Einerseits ist das »Verstehen« bildlicher Zeichen ein prädiskursives Verstehen. Affekte und Emotionen sind zu Beginn nicht von den kognitiven Aspekten getrennt und isoliert. Visuelle Formen, schrieb die Philosophin Susanne K. Langer dazu, sind »nicht diskursiv […]. Sie bieten ihre Bestandteile nicht nacheinander, sondern gleichzeitig dar, weshalb die Beziehungen, die eine visuelle Struktur bestimmen, in einem Akt des Sehens erfaßt werden« (Langer 1965, S. 103). Andererseits verweist die Tatsache, dass wir bildliche Zeichen interpretieren können, wiederum darauf, »daß Bilder als eine Art Sprache verstanden

werden müssen« (Mitchell 1990, S. 18). Wenn man also von einer »Sprache der Bilder« spricht, ist das mehr als nur eine Redensart. Das wird deutlich, wenn man mit einem weiten Begriff der Sprache operiert, welcher »Sprache nicht nur als Wortsprache, sondern als Kommunikationsform« versteht, wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer dargelegt hat: »Sprache meint im weitesten Sinne alle Kommunikation, nicht nur Rede« (Gadamer 1993, S. 350). Daher setzen die Methoden der Bildsemiotik beim quasi-diskursiven Charakter der Bilder an, die als Zeichensysteme spezieller Art verstanden werden. Sie haben eine Struktur, und es gibt Codes, nach denen die Elemente der Bilder angeordnet sind. Diese Codes sind aber von anderer Art als Alphabete, Zahlensysteme oder Notenschriften. Bilder sind »eine spezielle Art von Zeichen« (Mitchell 1990, S. 18); sie sind grundsätzlich vieldeutig. Bilder sind nicht so exakt dem zugeordnet, wofür sie stehen, wie andere Zeichensysteme. Buchstaben entsprechen Lauten; Zahlen entsprechen präzise bestimmten Werten. »Bilder können nicht buchstabiert werden« (Scholz 2004, S. 114); sie sind relativ offene Zeichensysteme. Die Bedeutungen sind wandelbar, der Prozess der Kultur verändert sie. Die Kunst des »Bilderlesens« beruht darauf, dass man einerseits die Offenheit und Veränderlichkeit der Bilder berücksichtigt und sie andererseits doch als geordnete Zeichensysteme begreift.

was heißt »semiotik«? was heißt »semiotik«?

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03_Was heißt »Semiotik«? Semiotik ist die Lehre der Zeichen. Sie beschäftigt sich mit einzelnen Zeichen und allen Arten von deren systematischer Verbindung, mit der Wirkungsweise von Zeichen und dem Aufbau von Zeichensystemen. Das griechische Wort semiotikós heißt: »zum Bezeichnen gehörend« (semeion: Zeichen, Wort). Ursprünglich bezeichnete das Wort »Semiotik« einen Teilbereich der Medizin. Im Jahr 1743 wurde in Zedlers verbreitetem Universal-Lexicon Semiotik als derjenige Teil der Medizindefiniert, »welcher von den Zeichen der Kranckheit und Gesundheit handelt, um die Kranckheiten nicht nur voll zu erkennen und zu unterscheiden, sondern auch derselben Ausgang vernünftig zu beurtheilen lehret.« Der englische Philosoph John Locke hat den Terminus im 17. Jahrhundert aus der Medizin übernommen und Semiotik erstmals als einen zentralen Bestandteil der Sprachphilosophie definiert. Die Aufgabe der Semiotik besteht nach Locke darin, »die Natur der Zeichen zu untersuchen, die der Geist verwendet, um sich die Dinge verständlich zu machen oder anderen sein Wissen mitzuteilen.« Semiotik (sêmeiotikê) ist nach Locke »die Lehre von den Zeichen […]. Sie beschäftigt sich mit Betrachtung der Zeichen für das Verständniss der Dinge oder für die Mittheilung des Wissens an Andere. Denn die Dinge sind dem Verstande […] nicht gegenwärtig; deshalb bedarf es eines Andern, was das Zeichen oder die Darstellung des betrachteten Dinges ist und ihm gegenwärtig ist; dies sind die Vorstellungen« (Locke 1690, 4. Buch, Kapitel 21, § 4). Um kommunizieren zu können, müssen wir über Zeichen verfügen, die zwar für individuelle Vorstellungen stehen können, aber gleichzeitig hinreichend allgemeingültig sind. Die Mitteilung von Ideen und Vorstellungen funktioniert (unter anderem) über sprachliche Zeichen. Die Allgemeinheit der Zeichen erlaubt uns den Austausch über unsere Gedanken. Locke argumentiert: »die Scene dieser Vorstellungen, welche das Denken ausmachen, kann dem unmittelbaren Blick Anderer nicht offengelegt werden; sie kann auch nur als solche in dem Gedächtniss aufbewahrt werden, was kein sehr sicheres Behältniss ist; deshalb bedarf es der Zeichen für die Vorstellungen, theils um die Gedanken einander mitzutheilen, theils um sich ihrer zu seinen eignen Zwecken erinnern zu können« (ebd.). 03.1_Was ist ein Zeichen? Das alltagssprachliche Wortfeld, in das der Begriff »Zeichen« gehört, umfasst unter anderem die folgenden Begriffe: »Signal«, »Chiffre«, »Code«, »Abzeichen«, »Losung«, »Gebärde«, »Markierung«, »Stigma«, »Symptom«, »Anzeichen«, »Spur«, »Hinweis«. Wir sprechen von »Zeichensprache« und »Zeichensetzung«, wir nennen etwas »zeichenhaft« und sprechen davon, dass etwas »gezeichnet« sei. Der Philosoph Gottlob Frege unterschied in seiner Terminologie zwischen dem Referenzobjekt und dem Zeichen. Unter dem Referenzobjekt verstand er einen wirklichen Gegenstand, auf den sich das Zeichen bezieht (Frege 1892). Die Worte »mein Auto« etwa sind Zeichen, die sich auf ein bestimmtes Referenzobjekt beziehen, nämlich das Fahrzeug, das ich vor der Tür geparkt habe. Ernst Cassirer, einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, hat den Menschen als animal symbolicum bezeichnet. Der Begriff »Zeichen« wird hier

gleichbedeutend mit »Symbol« verwandt. Kultur ist nach Cassirer die Produktion von Sinn mithilfe von Symbolen. Alle Produkte und Zeugnisse der menschlichen Kultur können in diesem Sinne als Zeichenzusammenhänge verstanden werden. Die Frage »Was ist ein Zeichen?« ist allerdings sehr allgemein formuliert. Man sollte die Frage folgendermaßen spezifizieren: »Wo kommen Zeichen vor? Was tun wir mit Zeichen? Welche Struktur haben Zeichen?« Wo kommen Zeichen vor? Alle Arten von Mitteilungen benötigen Zeichen (Schriftzeichen, Bildzeichen, Morsezeichen, Körpersprache). Wir machen Gebrauch von Zeichen bei geheimen Verabredungen oder gewaltsamen Auseinandersetzungen (»auf mein Zeichen kommt ihr alle aus der Stellung hervorgestürmt ...«), in der Liebe (»sie hat nichts direkt gesagt, aber sie hat mir klare Zeichen gegeben ...«) oder in der medizinischen Diagnostik, wo rote Flecken auf Masern verweisen können und flächige Hautrötungen im Gesicht auf Alkoholismus. Auch Diagnosen auf anderen Gebieten setzen die »Lektüre« von Zeichen voraus: Verbreitete körperliche Defekte in einer Region können auf atomaren Fallout verweisen, und das Kreischen beim Anfahren verweist möglicherweise auf einen defekten Keilriemen. Welche Struktur haben Zeichen? Ganz allgemein gilt, dass ein Zeichen immer für etwas anderes steht als nur für sich selbst. Die Rose ist eine schöne Blume und erfreut den Betrachter. In einem bestimmten kulturellen Kontext repräsentiert sie aber darüber hinaus etwas, das mit ihrer natürlichen Beschaffenheit und Funktion nichts zu tun hat: die Liebe. Wer beim Chef und seiner Gattin eingeladen ist und der Gattin rote Rosen schenkt, kann Unmut bewirken, trotz der Schönheit und des Duftes der Blumen. Es gibt eine Konvention, gegen die hier verstoßen wird: Wenn ein Mann einer Frau rote Rosen schenkt, macht er ihr damit eine Mitteilung, die nichts mit Botanik zu tun hat, sondern mit Erotik. Wir sagen: »Die Rose steht symbolisch für die zärtliche Liebe.« Wenn eine Rose als Zeichen verwendet wird, wird durch sie jemandem etwas mitgeteilt. Die Rose als Zeichen steht dann in einer dreifachen Beziehung, nämlich 1. zum Sender, 2. zum Gegenstand der Mitteilung und 3. zum Empfänger. Das Zeichen »bedeutet« etwas, oder, mit anderen Worten, es stellt einen »Sinn« her, indem es die Nachricht in einem Code transportiert, der sowohl dem Sender als auch dem Empfänger vertraut sein muss. 03.1.1_Definition »Zeichen« Die grundsätzliche Definition lautet: Ein Zeichen ist etwas, das für ein anderes Etwas steht. (Lateinisch: aliquod, quo stat pro aliquo.) Ein Zeichen steht immer für etwas – aber es steht immer für jemanden für etwas! Ein Zeichen ist also etwas, das für jemanden für ein anderes Etwas steht. Was als Zeichen wofür steht bzw. warum es gerade die Rose ist und nicht die Tulpe, spielt hier erst einmal keine Rolle. Es handelt sich, wie gesagt, um eine kulturell bedingte Konvention. In einigen Fällen gehen die kulturellen Konven-

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tionen auf bestimmte Ursachen zurück, die sich erschließen, wenn man die Zeichensysteme geschichtlich betrachtet, aber in den allermeisten Fällen ist der Zusammenhang zwischen einem Zeichen und dem, wofür das Zeichen steht, willkürlich und zufällig – das heißt, es könnte auch etwas anderes sein. Dennoch: Die Frage, warum gerade dieser Gegenstand für diesen Mitteilungsgehalt steht, ist grundsätzlich nicht überflüssig . So unterschiedlich die Zeichen auch sein mögen, jedes ist durch Zweiseitigkeit gekennzeichnet: Bezeichnetes/Bezeichnendes, Signifikat/Signifikant, signatum/ signans oder Bedeutetes/Bedeutendes. Signifikat und Signifikant sind die beiden relata des Zeichens. Das Signifikat bezeichnet die Inhaltsebene, der Signifikant die Ausdrucksebene des Zeichens (Barthes 1964 b). Ferdinand de Saussure bezeichnet Signifikat und Signifikant speziell bei sprachlichen Zeichen als Vorstellung und Lautbild, und ihr Verhältnis zueinander als arbiträr (von lat. arbitrium: Beliebigkeit). Nach Ferdinand de Saussure sind sprachliche Zeichen dadurch bestimmt, dass bei ihnen die Beziehung zwischen Vorstellung und Lautbild beliebig, das heißt unmotiviert ist (de Saussure 1916). Es gibt keine natürliche Beziehung zwischen der Vorstellung »Baum« und der Buchstabenfolge B A U M; die Beziehung kommt durch Konvention zustande, das heißt, die Lautfolge könnte prinzipiell auch eine andere sein. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass in anderen Sprachen andere Wörter die Vorstellung »Baum« ausdrücken. Roland Barthes hat zwischen dem Bedeuteten, dem Bedeutenden und dem Zeichen unterschieden, wobei Letzteres »die assoziative Gesamtheit der ersten beiden Termini ist« (Barthes 1957, S. 90). Am Beispiel der Rose – jener Blume, die in unserer Kultur so hochgradig symbolisierungsfähig ist – erläutert Barthes, wieso es überhaupt notwendig ist, zwischen dem Bedeutungsträger als Ding und dem Zeichen zu unterscheiden. »Man denke an einen Rosenstrauß: ich lasse ihn meine Leidenschaft bedeuten. Gibt es hier nicht doch nur ein Bedeutendes und ein Bedeutetes, die Rosen und meine Leidenschaft? Nicht einmal das, in Wahrheit gibt es hier nur die ›verleidenschaftlichten‹ Rosen. Aber im Bereich der Analyse gibt es sehr wohl drei Begriffe, denn diese mit Leidenschaft besetzten Rosen lassen sich durchaus und zu Recht in Rosen und Leidenschaft zerlegen. Die einen ebenso wie die andere existierten, bevor sie sich verbanden und dieses dritte Objekt, das Zeichen, bildeten. So wenig ich im Bereich des Erlebens die Rosen von der Botschaft trennen kann, die sie tragen, so wenig kann ich im Bereich der Analyse die Rosen als Bedeutende den Rosen als Zeichen gleichsetzen« (Barthes 1957, S. 90 f.). Und warum nicht? Die Differenz liegt darin, dass ein Zeichen nur dann – bzw. nur deshalb – als ein solches fungiert, wenn – bzw. weil – es nicht für sich selbst steht, sondern für etwas anderes. Es wird mit Hilfe eines Codes dechiffriert. So und nicht anders kommt im semiotischen Verständnis Sinn zustande. Deshalb gilt: »das Bedeutende ist leer, das Zeichen ist erfüllt, es ist ein Sinn« (Barthes 1957, S. 91). 03.1.2_Zeichenwelt und Wirklichkeit Zeichen beziehen sich auf Wirkliches. In der »semiotischen Einstellung« werden alle Dinge, die wir in der Welt wahrnehmen, zu Zeichen. Der Kommissar am Tatort nimmt die Welt als Zeichenwelt wahr. Die »natürliche Einstellung« geht verloren und wird durch die »semiotische Einstellung« ersetzt, welche dann

selbst wiederum zu einer »quasinatürlichen Einstellung« werden kann. In diesem Fall kann der Betreffende gar nicht mehr anders, als den Zeichencharakter der Dinge, die ihn umgeben, ständig als solchen wahrzunehmen. Der semiotische Blick wird gleichsam zu seiner zweiten Natur. Angesichts der Allgegenwart von Zeichen, die durch die Reklame und die audiovisuellen Medien vermittelt werden, ist heute häufig die Rede davon, dass es Menschen gibt, die nicht mehr zwischen »Wirklichkeit« und medialem Schein, also einer Zeichen-Welt unterscheiden können. Sie leben dann beispielsweise in der Zeichen-»Realität« einer Fernsehserie, als ob dies ihre »wirkliche« Welt wäre, und kommunizieren innerlich mit den Fernsehfiguren, als seien es reale Menschen aus ihrer Umgebung – möglicherweise sogar intensiver. Wissenschaftler sprechen bei diesem Phänomen von »parasozialen Kontakten«. Häufig ist aber die Welt der medialen Zeichen tatsächlich die »Realität« unseres Lebens, unserer Arbeit etc. 03.2_Die drei Relationen des Zeichens Der Semiotiker Charles William Morris hat im 20. Jahrhundert die drei Verhältnisse unterschieden, in denen ein Zeichen grundsätzlich stehen kann. Es gibt das Verhältnis des Zeichens zu dem, was es bedeutet (Semantik), das Verhältnis des Zeichens zu anderen Zeichen, mit denen es im Verbund steht (Syntaktik), und es gibt das Verhältnis des Zeichens zu den kommunizierenden Zeichenbenutzern, deren Interaktionen durch Zeichengebrauch vermittelt werden (Pragmatik). Alle drei Relationen sind gleich wichtig. 03.2.1_Semantik In der Semantik geht es um die Beziehungen des Zeichens zu seinen Bedeutungen. Fragen der Semantik: Wofür steht das Zeichen? Was bedeutet es? Welche Beziehung besteht zwischen Zeichen und Bezeichnetem? Wie repräsentiert das Zeichen das Bezeichnete? Wie werden Zeichen auf einen Bereich von Objekten angewendet? 03.2.2_Syntaktik In der Syntaktik geht es um die Beziehungen des Zeichens zu anderen Zeichen (Zeichen des gleichen Codes oder eines anderen Codes). Fragen der Syntaktik: Wie werden Zeichen als Teile eines Systems identifiziert? Wie werden komplexe Zeichen aus einfachen Zeichen gebildet? Welche Regeln haben die Beziehungen zwischen den einzelnen Zeichen? Wie können Zeichen kombiniert werden? Nach welchen Regeln werden Zeichen zu Zeichensystemen verknüpft? Wie sehen die internen Strukturen von Zeichensystemen aus? 03.2.3_Pragmatik In der Pragmatik geht es um die Produktions- und Verwendungsweisen des Zeichens (durch die Lebewesen, die die Zeichen gebrauchen). Fragen der Pragmatik lauten: Wie stellen wir Beziehungen untereinander her, indem wir Zeichen austauschen (Kultur, Gesellschaft)? Wie handeln wir durch Zeichengebrauch? Was tun wir, wenn wir sprechen? Wie handeln wir durch Sprache?

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03.3_Aspekte des Zeichens und seiner Objektbeziehungen Bilder sind nicht immer Zeichen – oder besser gesagt: Nicht alle Bilder sind Zeichen. Einige Bilder sind Zeichen und nichts anderes. Andere Bilder sind in bestimmter Hinsicht Zeichen, in anderer Hinsicht nicht. Bildsemiotik ist die wissenschaftliche Betrachtung von Bildern als Zeichen; sie untersucht Bilder, die als Zeichen verwendet oder verstanden werden, auf ihren Zeichencharakter hin. Die Unterscheidung der drei Zeichenaspekte Ikon, Index und Symbol, die für bildsemiotische Analysen grundlegend sind, geht auf eine Beschreibung der unterschiedlichen Zeichen-Typen zurück, die der amerikanische Philosoph Charles S. Peirce im 19. Jahrhundert gegeben hat. Peirce hat die komplexeste Interpretation und Darstellung davon gegeben, was ein Zeichen ist und auf welche Weisen es wirkt. Er betrachtet ein Zeichen grundsätzlich in dreierlei Hinsicht: a) als solches (dann geht es sozusagen um die Materialität und Qualität des Zeichens selbst), b) in Bezug auf den bezeichneten Gegenstand und c) in Bezug auf seine Wirkung. Je nach Perspektive unterscheidet Peirce Zeichen (Zeichen als solche), Objekte (Zeichen in Relation zu Gegenständen) und Interpretanten (Wirkungen der Zeichen). Man kann sich das am besten vergegenwärtigen, indem man diese drei Zeichen-Pole nacheinander betrachtet. a_Der Zeichenpol Jedes Zeichen hat einen »Zeichenkörper« (Nagl 1992, S. 30). Es ist zunächst einmal ein materielles Objekt mit bestimmten Eigenschaften. Dieser Aspekt lässt sich anhand folgender Beispiele verdeutlichen: »Bei Schriftzeichen ist das Zeichen, an sich betrachtet, ›Tintenhügel‹ oder ›Druckerschwärze‹; bei gesprochenen Worten ›Schallwelle‹, bei Gesten motorische Ausdrucksgebärde« (ebd.). Eine Verkehrsampel ist eine Lampe mit drei Birnen und drei verschiedenfarbigen Glasscheiben, die untereinander angeordnet sind. Bei der Betrachtung des Zeichens als solchem unterscheidet Peirce drei Beschaffenheiten bzw. Aspekte. Er nennt sie Qualizeichen, Sinzeichen und Legizeichen. Damit ist Folgendes gemeint: 1_Der Begriff »Qualizeichen« steht für dasjenige eines Zeichens, das wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Man kann das rote Licht einer Ampel sehen oder den lauten Ton einer Hupe hören. Das betrifft sozusagen die Möglichkeiten, in denen Zeichen sinnlich wahrnehmbar auftreten können. Es geht um eine ganz allgemeine Qualität (Beschaffenheit). Peirce nennt diesen Zeichenmodus auch »tone«. Damit meint er die bloße Möglichkeit, dass etwas ganz unmittelbar wahrgenommen wird. Diese allererste Wahrnehmungskategorie heißt bei Peirce die »Erstheit«: Etwas ist, wie es ist. Hier geht es nur um die unmittelbare Erfahrung von etwas, das präsent ist, ohne Bezug auf etwas anderes, also zum Beispiel Sinnesphänomene, Schallwellen, Spontaneität, Material oder auch Gefühle. 2_Der Begriff »Sinzeichen« steht hingegen dafür, wie ein Zeichen ganz konkret im Hier und Jetzt auftritt und von einer bestimmten Person wahrgenommen wird. Ich

sehe zum Beispiel am 27. März 2009 um 16 Uhr an der Kreuzung Randersackerer Straße und Arndtsraße in Würzburg genau das rote Licht, das von der dort stehenden Ampel in diesem Moment abstrahlt. Es geht um ein singuläres, konkretes Vorkommen. Diesen Zeichenmodus nennt Peirce auch »token«. Damit ist gemeint, dass eine Wahrnehmung konkret und individuell realisiert wird. Diese zweite Wahrnehmungskategorie heißt bei Peirce die »Zweitheit«: Ein Zeichen steht im Kontext mit etwas anderem; es steht in Bezug zu Handlungen, Reaktion, Realität. Ein Wort zum Beispiel ist eine Einheit eines sprachlichen Systems (etwa des Deutschen). Nehmen wir beispielsweise das Wort »Zeichen«: In dem hier vorliegenden Text wird es sehr oft konkret realisiert; jede Realisierung ist in dieser Hinsicht ein »token«. 3_Der Begriff »Legizeichen« steht schließlich dafür, was ein Zeichen bedeutet. Es geht darum, wie das Zeichen allgemein verwendet wird, welche allgemeine Geltung es hat. Hier liegt eine Regel zugrunde; die Bedeutung wurde einmal eingeführt und kann beliebig oft wiederholt und überall eingesetzt werden. Ein rotes Licht zum Beispiel, das in einer bestimmten Form und in einem bestimmten Kontext präsentiert wird, bedeutet immer und überall »Stopp«. Peirce nennt diesen Zeichenmodus auch »type«. Damit meint er das allgemeine Realisiertsein einer Wahrnehmung. Diese dritte Wahrnehmungskategorie heißt bei Peirce die »Drittheit«: Ein zweites Zeichen steht im Kontext mit einem dritten; in diesem Fall steht die sichtbare Verkehrsampel in Zusammenhang mit einem gedachten, verbalen Zeichen, also entweder »stop« oder »go«. Hier geht es um Vermittlung, Erinnerung, Gewohnheit, Kontinuität, Kommunikation und Repräsentation der Zeichen. Das Wort »Zeichen«, das in dem hier vorliegenden Text so zahlreich realisiert wird, ist in anderer Hinsicht, nämlich als allgemeine Einheit eines sprachlichen Systems, ein »type«. Diesen »type« gibt es im Deutschen nur einmal. b_Der Objektpol Am Objektpol geht es darum, die Beziehung zu klären, die zwischen einem Zeichen und seinem Gegenstand besteht. Peirce klassifiziert Zeichen in dieser Hinsicht danach, ob das Zeichen dem Gegenstand ähnlich ist (ikonische Zeichen), ob zwischen Zeichen und Gegenstand eine »natürliche« Kausalbeziehung besteht (indexikalische Zeichen), oder ob das Zeichen dem Gegenstand rein willkürlich, per Konvention zugeordnet ist (symbolische Zeichen). 1_Ikonische Zeichen Wieso kann ein Stadtplan für einen Benutzer als Zeichen für die Stadt selbst stehen? Weil der Plan bestimmte Analogien zu der Stadt aufweist. Die urbanen Strukturen (Quartiere, Verkehrswege, herausragende Gebäude wie Kirchen etc.) sind auf ihm »abgebildet« (wenn auch stilisiert). Ein Zeichen, das eine Analogie mit dem Gegenstand aufweist, den es darstellt, nennt man ein »Ikon« oder ein »ikonisches Zeichen«. In der Sprache kann ein Zeichen auch akustische Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten haben. Es gibt lautmalerische Worte und Namen. Diese sind auch »ikonische Zeichen«: der »Wauwau«, der »Kuckuck«; der »Knall« oder Worte wie »Peng« oder »muhen«, »kikeriki« rufen usw. Immer geht es um eine Ähnlichkeitsbeziehung. Ikonische Zeichen gibt es also im visuellen und im akustischen Bereich.

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In früheren Kulturen gab es weit ausgreifende Ähnlichkeitslehren (in der Astronomie, der Medizin etc.). Damals hat man sich die Welt aufgrund von gesehenen oder gehörten Ähnlichkeitsbeziehungen erschlossen. Einige davon erscheinen uns heute seltsam oder unfreiwillig komisch: Im Mittelalter glaubten Ärzte, dass der Rotwein die Blutbildung f ördere. Dem Spargel wurden positive Auswirkungen auf die Manneskraft zugeschrieben. Visuelle Analogien wurden hier also als Zeichen für kausale Wirkungen der Natur gelesen. Man glaubte an die Wirkungen, deren zeichenhafter Ausdruck die ähnlichen Dinge waren. 2_Indexikalische Zeichen Es gibt auch Zeichen, die dem nicht ähnlich sein müssen, wofür sie stehen. Sie bilden die Gegenstände nicht ab, stehen aber in einer realen Beziehung zu den Sachverhalten, die sie »anzeigen«. Solche Zeichen sind durch die Gegenstände (Vorgänge o.Ä.) hervorgerufen worden, zu denen sie in einer Zeichenbeziehung stehen. Sie haben also gleichsam eine »natürliche« Relation zum Gegenstand. Ein Zeichen, das eine reale, kausale Beziehung zu dem Gegenstand hat, für den es steht, nennt man »Anzeichen« oder »Index«. Einige Beispiele: Rauch ist ein Zeichen dafür, dass es ein Feuer gibt; Nässe auf der Straße ist ein Zeichen dafür, dass es geregnet hat; die roten Flecken im Gesicht sind ist Zeichen dafür, dass der Patient die Masern hat; die eingeschlagene Fensterscheibe im Haus ist ein Zeichen dafür, dass es einen Einbruch gegeben hat; die Spuren im Waldboden sind ein Zeichen dafür, dass ein Reh hier entlang gelaufen ist. Ein Index sprachlicher Art sind zum Beispiel Anglizismen in einer Werbebroschüre eines Unternehmens. Sie weisen darauf hin, dass die Firma mit dem Image eines global player liebäugelt. Dialekte indizieren die Herkunft des Sprechers. Indizes können beabsichtigt sein (Spuren bei der Schnitzeljagd, mundartliche Färbung beim Volkstheater) oder unbeabsichtigt (Spuren des Verbrechers am Tatort, Lippenstift auf dem Hemdkragen). Indexikalische Zeichen müssen nicht immer »natürlich« hervorgerufen worden sein, wie Tierspuren im Schnee. Auch Zeichen, deren Beziehung zum Gegenstand »motiviert« ist, wie man in der Sprachwissenschaft sagt, können indexikalische Zeichen sein. In diesem Falle handelt es sich um nicht völlig zufällig und willkürlich gesetzte Zeichen. Es sind Zeichenverhältnisse, die eine Kausalbeziehung aufweisen, welche zwar nicht naturgemäß gilt, wohl aber auf irgendeine Weise von der Sache her motiviert ist. Wenn wir zum Beispiel das Transparent eines Ölkonzerns am Straßenrand sehen, können wir dies als indexikalisches Zeichen dafür deuten, dass wir demnächst an einer Tankstelle vorbeikommen werden. Das Schild hätte auch einige Meter entfernt stehen und anders aussehen können, aber es ist, so oder so, durch die Tankstelle »motiviert«, auf die es verweist. Auch hier haben wir es immer mit Zeichen-Kontexten zu tun, in denen es Zeichen, Benutzer und Deuter gibt. (Ein Zeichen steht immer für etwas, aber es steht eben immer nur für jemanden für etwas!) Wo es Deuter gibt, kann es Fehldeutungen geben. So wurden beispielsweise die Kanäle, die man mit Teleskopen auf der Oberfläche des Mars sehen kann, lange Zeit als indexikalisches Zeichen dafür gedeutet, dass es auf dem Mars intelligentes Leben gäbe.

3_Symbolische Zeichen Es gibt Zeichen, die keine Ähnlichkeit mit und keine reale Beziehung zu dem haben, wofür sie stehen. Sie sind nicht durch das »hervorgerufen«, zu dem die Zeichenbeziehung besteht; die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem ist nicht kausal motiviert, sondern durch eine Übereinkunft (Konvention) festgelegt worden. Diese Konvention ist im Hinblick auf den bezeichneten Gegenstand nicht natürlich, sondern willkürlich (arbiträr). Ein Zeichen, das eine konventionell festgelegte Beziehung zu dem Gegenstand hat, für den es steht, nennt man »Symbol«. Einige Beispiele: die Worte »Hund«, »cane« und »dog« stehen für den bellenden Vierbeiner; »%« steht für »Prozent«; »&« steht für »und«; »#« steht für »Nummer«; die Rose steht für erotische Liebe; das Kreuz steht für die christliche Religion; das rote Kreuz und der rote Halbmond stehen für die Hilfsorganisationen. In unserer Wirklichkeit (also in der Lebenswelt und in der Alltagskommunikation) gibt es diese Zeichenarten so gut wie nie in Reinform. Ikon, Index und Symbol sind Aspekte des Zeichens. Ein Zeichen hat meistens mehrere Aspekte; wir haben es also vorwiegend mit Mischformen zu tun. Heute ist zudem eine durch visuelle Vermarktungsstrategien verursachte Verschiebungstendenz zu beobachten, bei der ikonische Zeichen immer häufiger dazu tendieren, symbolische Zeichen zu werden, wie etwa der knallrote Mund mit der herausgestreckten Zunge zum Firmenzeichen der Marke »Rolling Stones« geworden ist. Zeichen richtig verstehen und analysieren heißt, den Hauptaspekt erkennen, der die Funktion des Zeichens in seinem jeweiligen Kontext bestimmt. c_Der Interpretant Hier geht es darum, zu betrachten und zu untersuchen, wie Zeichen wirken und wozu sie die Zeichenbenutzer motivieren. In jedem Zeichen herrscht stets »ein Wechselverhältnis zwischen einem Element auf der Ebene des Inhalts (Signifikat) und einem Element auf der Ebene des Ausdrucks (Signifikant)« (Volli 2002, S. 27). Was bedeutet das? Was hier als »Ausdruck« bezeichnet wird, ist sozusagen die Außenseite des Zeichens. Es ist das, was jemand wahrnimmt und als Zeichen für etwas interpretiert. Das kann zum Beispiel die geschwollene, grobporige und gerötete Nase im Gesicht eines älteren Mannes sein, die als Erscheinungsweise von dessen gewohnheitsmäßigem Alkoholmissbrauch wahrgenommen wird. Die Tatsache, dass eine Nase wie die beschriebene zu sehen ist, löst eine wie auch immer geartete Wirkung beim Betrachter aus. Diese Wirkung auf jemanden nennt Peirce den Interpretanten. Der Interpretant ist nicht gleichzusetzen mit dem Interpreten: »Der Interpret ist derjenige, der die Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat erfasst«, also die Person, die das Zeichen verwendet und deutet. Der Interpretant ist wiederum »ein weiterer Signifikant, der verdeutlicht, in welchem Sinne man sagen kann, daß ein bestimmter Signifikant einem gegebenen Signifikat als Vehikel dient« (ebd., S. 29 f.).

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Ein Zeichen steht immer für ein Objekt, und es steht immer für jemanden für ein bestimmtes Objekt. Was ruft es in diesem hervor? Es kann (jeweils in erster Linie) etwas Emotionales sein, etwas Handlungsleitendes oder etwas Kognitives bzw. Logisches. 1_Wenn der Interpretant (die Zeichenwirkung) z.B ein Gefühl ist, motiviert das Zeichen unmittelbar. Höre ich etwa einen Ton oder eine musikalische Tonfolge, bewirkt das in mir eine Stimmung. In einem solchen Fall wird ein Zeichen ohne Weiteres richtig verstanden; im Bewusstsein des Interpreten wird die angemessene, u.U. die Wirkung erzielt, die vorgesehen war (Volli 2002, S. 32). 2_Wenn das Zeichen dynamisch motiviert, führt es zu einer Handlung. Es motiviert, oder, mit anderen Worten: Es führt mittelbar zu einem Resultat. Peirce spricht hier auch von energetischen Zeichen. Ich höre zum Beispiel eine Tonfolge von zwei Tönen im Abstand einer Terz, die fortlaufend wiederholt und lauter werden. Ich sitze gerade im Auto, und diese Tonfolge bewirkt, dass ich an den rechten Fahrbahnrand fahre, um einem nahenden Krankenwagen Platz zu machen, den ich zwar noch nicht sehen, aber bereits hören kann. 3_Wenn das Zeichen logisch-kognitiv motiviert, führt es zu einer Schlussfolgerung. Nehmen wir an, im zuletzt genannten Beispiel würde die Tonfolge nicht lauter, sondern leiser. Ich kann in diesem Falle daraus schließen, dass der Krankenwagen sich mir nicht nähert und ich nicht an den Fahrbahnrand fahren muss. Aber der Bereich, um den es Peirce im Falle der logischen Zeichenwirkungen eigentlich geht, ist der Zusammenhang einer Kultur und ganz besonders der Zusammenhang wissenschaftlichen Arbeitens. Hier geht es um Zeichendeutung, die im Kontext einer gemeinsamen Überlieferung steht und ein gemeinsames Ziel hat: die Suche nach der Wahrheit. Also beispielsweise die Zeichen, die Archäologen oder Biologen interpretieren, um aus Bruchstücken und Einzelbeobachtungen herauszufinden, was im alten Rom geschehen oder wie die Evolution der Lebewesen vom Einzeller bis zum Menschen verlaufen ist.

beispiele aus dem werblichen bereich beispiele aus dem werblichen bereich

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04_Sechs Beispiele aus dem werblichen Bereich 04.1_Abb.: »Kieler Woche 1986« Die Wörter und Zahlen auf dem Plakat sind symbolische Zeichen. In einer anderen Sprache und in einem anderen Schrift- und Zahlensystem sähen sie anders aus. Auch der Name der Segelveranstaltung ist ein symbolisches Zeichen, denn die Regatta könnte ebenso gut einen anderen Namen tragen. Das abgebildete Dreieck, das aus einem Stück Papier ausgerissen ist, ist ein ikonisches Zeichen für ein Segel, dem es erkennbar ähnelt, und der monochrom blaue Bildhintergrund ist ein ikonisches Zeichen für Wasser und Himmel, die Elemente, die uns beim Segeln umgeben. Man könnte allerdings auch sagen, dass es starke symbolische Zeichenaspekte hat, denn Wasser und Himmel sind ja tatsächlich nicht immer blau, doch in unserer Kultur ist es üblich, sie so darzustellen. Nach ganz ähnlichen Prinzipien ist das Motiv für ein Titelblatt des Magazins der Süddeutschen Zeitung gut zwanzig Jahre später gestaltet. 04.2_Abb.: »Wollsiegel« Die stilisierte Darstellung eines Wollknäuels ist ein ikonisches Zeichen (Kriterium: visuelle Ähnlichkeit), das als symbolisches Zeichen für eine bestimmte Textilqualität steht. Der Verband der Textilhersteller – genauer gesagt, das Internationale Wollsekretariat – hat festgelegt, dass dieses stilisierte Bild eines Wollknäuels nur diejenigen Textilien kennzeichnet, die aus »reiner Schurwolle« bestehen, genannt »Wollsiegel-Qualität«. Die Abbildung stammt von Francesco Saroglia. Die Form dieses Warenzeichens für Wolle drückt strenge Eleganz und Modernität aus (die einen Gegensatz zur Vorstellung muffiger selbstgestrickter Pullis bilden soll). 04.3_Abb.: »Shell« Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um das ikonische Zeichen für eine Muschel (Kriterium: visuelle Ähnlichkeit), das als symbolisches Zeichen für einen Konzern steht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Firmengründer das stilisierte Muschelbild in Erinnerung an seinen Vater, einen Muschelhändler, als Markenzeichen gewählt. »Bereits 1904 hatte sich das Logo zum Abbild einer Kammuschel entwickelt und wurde seitdem insgesamt sieben Mal überarbeitet. Das bis heute fast unverändert verwendete Logo von 1971 wurde vom amerikanischen Industriedesigner Raymond Loewy entworfen« (www.marken lexikon.com/logos_s.html#Shell [26.01.08]).

An example of John Pasche’s design portfolio, copyright Musidor BV.

04.4_Abb.: »Rolling Stones« Das poppige Bild eines roten Mundes mit herausgestreckter Zunge wurde Anfang der 1970er Jahre von John Pasche als Erkennungszeichen der Rolling Stones entworfen. Die englische Tageszeitung The Guardian berichtete am 2. September 2008, dass das Victoria-and-Albert-Museum in London Pasches Originalzeichnungen des Rolling-Stones-Logos erworben hat. Dabei wurde der Designer mit einer Äußerung zitiert, die erläutert, wie er seinerzeit zu seinem Motiv inspiriert wurde: »I wanted something anti-authority, but I suppose the mouth idea came from when I met Jagger for the first time at the Stones’ offices. I went into this sort of wood-panelled boardroom and there he was. Face to face with him, the first thing you were aware of was the size of his lips and his mouth«

(The Guardian, 02. 09. 2008). In den Augen von Pasche ähnelt sein Logo-Motiv Jaggers Mund – ein klarer Fall von ikonischer Zeichenhaftigkeit. In den späten 1960er Jahren hatten die Beatles die Fotografie eines grünen Apfels als Markenzeichen für ihr Plattenlabel „Apple Records“ eingeführt. Auf dem Cover und auf der A-Seite der Vinylplatten war ein ganzer, auf der B-Seite ein halber Apfel abgebildet. Beide Logos sind ikonische Zeichen, die als symbolische Zeichen genutzt werden.

Hans Hillmann: Kieler Woche

Titelblatt »Süddeutsche Zeitung Magazin, 2007«

04.5_Abb.: »Apple« Der abgebildete Apfel wurde in den 1970er Jahren als Markenzeichen des Unternehmens »Apple Computer Inc.« entworfen. Auch dies ist ein ikonisches Zeichen,

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das als symbolisches Zeichen genutzt wird, nämlich als Firmenlogo. Es kommt noch eine kulturgeschichtliche Symbolik hinzu: Im biblischen Mythos ist der Apfel die Frucht des Baums der Erkenntnis, von der Adam und Eva nicht kosten dürfen. Der Computer-Apfel verweist mit seiner Bissspur darauf, dass jemand sich, ebenso wie Adam und Eva, nicht an das Verbot gehalten hat und daher Erkenntnis besitzt. Sind das wir, die Menschheit? Oder die Hersteller des jeweiligen Produkts? Eine Branchen-Anekdote besagt, der Firmengründer habe im Verlauf einer Sitzung, in der niemandem eine zündende Logo-Idee einfallen wollte, den Apfel, in den er gerade gebissen hatte, auf den Tisch geknallt und den Raum verlassen. Es ist eher unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgeschlossen, dass die Idee zum Motiv so entstanden ist. »Das erste Logo zeigte eine unter einem Baum sitzende Gestalt, die gerade über ein Schriftstück gebeugt war. Der darüber gezeigte Apfel wurde später im Logo übernommen. […] Da das Logo eher wie ein alter Kupferstich aussah und viel zu aufwendig gestaltet war, wurde es wenig später von Regis McKenna überarbeitet und auf den bekannten, angebissenen Apfel reduziert« (www.markenlexikon.com/logos_a.html [26.01.08]). Danach ist die Bildersprache ihrer eigenen Logik gefolgt – auch die Gestaltung des Logos mit fünf Querstreifen in Regenbogenfarben ist dafür ein Indiz: »Der Regenbogen […], dessen Farben für Hoffnung und als Brücke zum Himmel interpretiert werden können, kann als Rückkehr ins verlorene Paradies gedeutet werden. Der Designer selbst lehnte sich laut Eigenaussage jedoch nicht bewusst an den Schöpfungsmythos an, wenngleich das Unternehmen noch heute von dieser ungeplanten Interpretation profitiert« (ebd.). Wie auch immer: Das Halbrund ist ein indexikalisches Zeichen, das ikonisch repräsentiert wird, nämlich die Darstellung der Spur eines Bisses. Der leitende Zeichenaspekt (für die Deutung des Zeichens) ist bei diesen Beispielen aus der kommerziellen Sphäre der symbolische Aspekt. Wir haben es hier nicht mit Abbildungen zu tun, die die Funktion haben, etwas zu zeigen, zu verdeutlichen oder das Aussehen von etwas Abwesendem im Bilde zu vergegenwärtigen o.Ä., sondern mit Firmenlogos.

G. Schweppenhäuser in North Carolina (Foto: Katrin Greiser)

05_Vier Beispiele aus anderen Bereichen 05.1_Bsp.: Fotografie »Gerhard Schweppenhäuser in North Carolina« Ikonische Zeichenaspekte: Das Foto zeigt zwei männliche Personen vor einem Gebäude. Das Foto bildet etwas ab. Also steht der ikonische Aspekt im Vordergrund. Daher klassifizieren wir: Es handelt sich um ein Ikon. Es gibt in diesem Fall aber auch indexikalische und symbolische Aspekte des Zeichens: Indexikalische Zeichenaspekte: Jedes Foto zeigt einen Ausschnitt aus der Welt. Dadurch verweist es auf Nichtgezeigtes (das, woraus der Ausschnitt entnommen worden ist). Hier sehen wir den Ausschnitt einer Straße und eine Teilansicht eines Gebäudes. Wir sehen Teile von (Strom-)Masten, Teilansichten weiterer Gebäude usw. Jedes Foto verweist darauf, dass es auch ein »hinter der Kamera« gibt. Jedes Foto verweist darauf, dass es eine Kamera gab und eine Person, die sie bedient hat. Hier verweist der Schatten der Fotografin darauf, dass die Aufnahme nicht mit Selbstauslöser gemacht wurde. Jedes analoge Foto verweist darauf, dass es einen Film gab, der mit dem von den fotografierten Gegenständen reflektierten Licht in Berührung gekommen ist. Anschließend ist der Film mit bestimmten Chemikalien in Berührung gekommen. Dann wurde der Film in ein Vergrößerungsgerät eingelegt, wo er wieder mit Licht in Berührung kam, während das Negativ auf Papier projiziert wurde. Am Ende dieser physikalisch-chemischen Berührungskette lag das Foto vor (das dann wiederum für die Reproduktion in diesem Buch digital reproduziert worden ist). Symbolische Zeichenaspekte: Unter symbolischen Zeichenaspekten sind alle Aspekte zu verstehen, die ein kodifiziertes Wissen voraussetzen, damit wir sie deuten können. Auf diesem Foto ist das Zeichen »ABC« besonders deutlich sichtbar. So heißen in einigen Staaten der USA die Geschäfte, in denen stark alkoholische Getränke verkauft werden dürfen: »A« für »Alcoholic«, »B« für »Beverage« und »C« für »Control«. In vielen Bundesstaaten der USA sind solche »liquor stores« die einzigen Stellen, an denen es Schnaps zu kaufen gibt. Daher ist in diesem Fall eine ungefähre Bestimmung des Ortes und der Zeit möglich, an dem und in der das Foto gemacht wurde (USA, 20. oder 21. Jahrhundert). Weiterhin deutet die braune Papiertüte in der Hand der Person im Vordergrund darauf hin, dass sich die Szene in einem jener Bundesstaaten der USA abgespielt hat, die besonders rigide im öffentlichen Umgang mit Alkohol sind und verbieten, Schnapsflaschen öffentlich zu zeigen. Eine ungefähre Bestimmung des Ortes und der Zeit ist auch über die Kleidung der beiden männlichen Personen sowie über die Bauweise des Gebäudes möglich.

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Eine ungefähre Bestimmung der Kultur des Bildraums und der sozialen Zugehörigkeit der beiden männlichen Personen ist ebenfalls über ihre Kleidung und, annäherungsweise, auch über die Bestimmung ihrer Hautfarbe möglich. Zusammenfassend kann man also feststellen: Wer ausschließlich die ikonische Zeichenebene dieses Fotos verstanden hat (zum Beispiel: »Dieses Foto zeigt zwei Männer auf der Straße« oder »Dieses Foto zeigt Gerhard Schweppenhäuser und einen unbekannten anderen Mann«), der hat eine ganze Reihe anderer Aspekte des Bildes verpasst.

Piktogramm

05.2_Bsp.: »Piktogramm« Piktogramme sind seit den 1960er Jahren stark verbreitet, als Leitsysteme etwa für neue internationale Großflughäfen oder wichtige Sportereignisse entstanden (geradezu legendär sind die Piktogramme, die Otl Aicher für die Olympischen Spiele in München 1972 entworfen hat). Um Nationalsprachen zu verstehen, muss man viele verschiedene Codes lernen, während – davon war man damals überzeugt – das Verständnis internationaler Bild-Sprachen transkulturell funktioniere. Man ging davon aus, es gäbe anthropologische Konstanten des Bild-Verstehens (anthropologische Konstanten sind Eigenschaften, von denen man annimmt, dass sie alle Mitglieder der menschlichen Gattung überall und zu jeder Zeit haben). Beide Annahmen haben sich als unzutreffend erwiesen. Bilderlesen funktioniert offenbar ähnlich wie das Lesen von Schriftzeichen, da uns Bilder in der Regel schon in einer wie auch immer gearteten Codierung gegenübertreten. Im Fall der Piktogramme erkannten viele Menschen überhaupt nicht, was sie darstellen sollten. Sie sahen nicht, was darauf zu sehen sein sollte. Sie konnten zwar teilweise die abgebildeten Gegenstände identifizieren, aber nicht die Handlungsanweisung »lesen«, die das Piktogramm enthielt.

Bei unserem Beispiel, einem grünen Fluchtweg-Piktogramm, wird klar: Wer hier nur einen Aspekt, insbesondere nur den ikonischen Aspekt, versteht, hat eigentlich gar nichts verstanden. Der indexikalische und der symbolische Aspekt müssen zusätzlich verstanden werden, damit das Piktogramm zu einem funktionierenden Zeichen wird. Wenn heutzutage das »Lesen« von Piktogrammen- besser funktioniert, so liegt das keineswegs daran, dass es doch eine anthropologisch konstante Lesbarkeit der Bildsprache gäbe. Vielmehr haben sich die Konstruktionen eines bestimmten visuellen Codes allmählich weltweit durchgesetzt; die Kommunikationsteilnehmer haben die »Sprache« inzwischen gelernt. Das ist auch ein Stück des Globalisierungsprozesses: Genauso, wie man fast überall auf der Welt weiß, wofür die Muschel, der rote Mund mit der herausgestreckten Zunge und der bunte Apfel mit der Bissspur stehen, kann man auch viele Piktogramme korrekt »lesen«. Ikonischer Zeichenaspekt: Abbildung eines rennenden Männchens. Indexikalischer Zeichenaspekt: Das Piktogramm zeigt den Weg an, der im Notfall benutzt werden soll. Symbolische Zeichenaspekte: Trotz seiner grünen Farbe kann dieses Piktogramm im »Normalfall« bedeuten: »Durchgang verboten«. In diesem Fall bedeutet »Grün« also gewissermaßen »Rot«. Nur im Notfall symbolisiert das grüne Piktogramm das, was in unserer Kultur mit der Farbe Grün assoziiert wird: »Hier haben Sie freie Bahn!« Dieselbe Farbe steht also, kontextabhängig, für zwei entgegengesetzte Bedeutungen. Diese hochkomplexe Mehrfachkodierung muss begriffen, das heißt decodiert werden. Es handelt sich um eine Mischung aus ikonischer, indexikalischer und vor allem symbolischer Zeichenbedeutung. Wie die gegensätzliche Doppelcodierung der Farbe Grün in diesem Beispiel zeigt, können nicht nur in der gesprochenen Sprache, sondern auch im visuellen Bereich Gesagtes und Gemeintes mitunter weit auseinanderdriften. Fragt man bei unserem Beispiel nach dem leitenden Zeichenaspekt, fällt die Antwort schwer. Der indexikalische Aspekt ist es wohl nicht, denn der ist konkret und kontextgebunden, aber den wesentlichen Zeichencharakter des Piktogramms verstehen wir ja auch »abstrakt«, also ohne Kenntnis irgendeiner Örtlichkeit, an der sich das Piktogramm tatsächlich befindet. Der ikonische Aspekt ist entscheidend wichtig, weil das Piktogramm keines wäre, wenn es nicht piktorial, das heißt bildlich (ikonisch) wäre. Aber wie die Diskussion der komplexen Mehrdeutigkeit gezeigt hat, ist hier der symbolische Aspekt der Hauptaspekt.

beispiele aus anderen bereichen 42. 43

Typo-Arbeit von B. Paulot

05.3_Bsp.: Bruno Paulot, »Stilleben« Um diese komplexe Arbeit zu verstehen, müssen die Betrachter zunächst die sprachlichen (das heißt symbolischen) Zeichen lesen können. Damit allein ist aber noch nicht viel erreicht. Die ikonischen und die indexikalischen Zeichenaspekte der Wörter (der symbolischen Zeichen) müssen ebenfalls verstanden werden. Ikonischer Zeichenaspekt: Die Anordnung der Wörter auf der Fläche ist ikonischer Art: Sie arbeitet mit der Analogie der horizontalen Ebene zu einem Tisch, auf dem Gegenstände stehen. Symbolischer Zeichenaspekt: Kenntnis der Wörter und ihrer Bedeutung in der deutschen Sprache. Indexikalischer Zeichenaspekt: Die symbolischen Zeichen stehen stellvertretend für ein künstlerisches Genre, nämlich das Stillleben. Die Anordnung der Wörter verweist darauf, dass der Gestalter dieser typografischen Arbeit typische barocke Stillleben kennt und auch die Weiterentwicklung dieser Bildform durch die Kubisten Picasso, Braque und Gris. Der Gestalter hat ein Stillleben mit Wörtern »nachgebaut«. Er setzt offensichtlich voraus, dass der Betrachter diesen Bildtypus (»barockes Stillleben« bzw. »kubistisches Stillleben«) kennt. Wir können also davon ausgehen, dass es sich beim Gestalter wahrscheinlich um einen Kommunikationsdesigner handelt. Er hat Wörter eingesetzt, um Bilder in den Köpfen der Betrachter entstehen zu lassen.

Die Frage nach dem semiotischen Hauptaspekt ist bei dieser Arbeit von Bruno Paulot (ein ehemaliger Kollege von der Fakultät Gestaltung der Fachhochschule Würzburg) letztlich nicht zu beantworten.

:-) =) ;-) =( Emoticons

05.4_Bsp.: »Emoticons« Ikonischer Zeichenaspekt: Emoticons funktionieren als Zeichen, weil sie rudimentäre Analogien mit der menschlichen Mimik aufweisen. Symbolischer Zeichenaspekt: Benutzer halten sich »automatisch« an die Konvention, dass Emoticons gelesen werden, als seien sie um 90 Grad gedreht, da sie mit der Computertastatur nicht anders eingesetzt werden können. Das gilt allerdings nur für »westliche« Emoticons; ostasiatische können »ungedreht« gelesen werden, wie etwa (^_^). Emoticons werden nur zu bestimmten Mitteilungszwecken und in bestimmten Kontexten eingesetzt. Sie geben »Stimmungsbilder« und fungieren als Zusatzzeichen, mit denen schriftliche Aussagen (etwa in der E-Mail-Korrespondenz) verstärkt, relativiert oder vereindeutigt werden (zum Beispiel, indem sie als Signal für ironische Bemerkungen eingesetzt werden). Indexikalischer Zeichenaspekt: Der Gebrauch von Emoticons ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass es sich um eine online-Kommunikation oder eine per Mobiltelefon handelt. Die Verwender gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Generation und einem Kulturkreis an, der sich einigermaßen genau bestimmen lässt. 05.5_Zusammenfassung Jeder Text und jedes Bild hat ikonische, indexikalische und symbolische Zeichenaspekte. Beim Text steht der symbolische Zeichenaspekt im Vordergrund. Beim Bild (im Sinne einer Abbildung) steht der ikonische Zeichenaspekt im Vordergrund. Im Kommunikationsdesign haben wir es meistens mit Bild-Text-Einheiten (BildText-Kombinationen) zu tun. Bei der »unmittelbaren« Wirkung (in der Alltagskommunikation) liegt in der Regel eine komplex gemischte Wirkungsweise vor. Wenn wir eine Analyse vornehmen, müssen wir berücksichtigen, dass das Bild nicht nur ikonisches Zeichen ist und der Text nicht nur symbolisches Zeichen.

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06_Visuelle Rhetorik In diesem Kapitel werden all jene rhetorischen Elemente vorgestellt, die für die in diesem Buch präsentierten Designanalysen relevant sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer sich ausführlicher mit dem Thema Rhetorik und Design beschäftigen möchte, dem empfehlen wir als Leitfaden zwei aktuelle Arbeiten: Das Buch Design als Rhetorik: Grundlagen, Positionen, Fallstudien von Gesche Joost und Arno Scheuermann (2008) sowie die Publikation Design Papers 6: Design on a Rhetorical Footing des in Halifax lehrenden kanadischen Designwissenschaftlers Hanno Ehses, die ebenfalls 2008 erschienen. Gui Bonsiepe, der an der Hochschule für Gestaltung in Ulm Designtheorie lehrte, Roland Barthes und Umberto Eco haben – wie die oben genannten Autoren – den Rhetorikbegriff, dessen ursprünglicher Schwerpunkt in der verbalen Kommunikation lag, auf den visuellen Bereich ausgeweitet. Dadurch ist er für die aktuellen Medien, die vor allem Bildmedien sind, nutzbar gemacht worden. Im Folgenden wird »Rhetorik« in diesem weiten, visuell-verbalen Sinne verwendet. 06.1_Was ist Rhetorik? Eine erste Definition der Rhetorik könnte lauten: »Rhetorik ist die Lehre von der Redekunst«, wobei dieses Wort noch den ursprünglich verbalen Schwerpunkt, der mit dem Begriff Rhetorik lange Zeit verbunden war, verrät. Man kann das mit Bonsiepe für unsere Zwecke zugleich genauer und allgemeiner, das heißt umfassender beschreiben: Rhetorik umfasst seduktive Techniken zur Beeinflussung von Gefühlen, Stimmungen und Einstellungen (Bonsiepe 1996, S. 86 f.). Gefühle sind kurzfristige somatische Dispositionen, die unsere Handlungsbereiche bestimmen (zum Beispiel: Glücks- oder Schreckmomente). »Gefühle sind Phänomene von kurzer Dauer, die den Fluß normaler Handlungen unterbrechen, etwa wenn der Wagen eines Autofahrers plötzlich auf dem Glatteis ins Schlittern gerät« (ebd., S. 86). Stimmungen sind mentale und somatische Dispositionen von längerer Dauer. Sie bestimmen, wie wir unsere gegenwärtigen und zukünftigen Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen, zum Beispiel: Zuversicht oder das Gegenteil davon, Depression, also eine Grundstimmung, in der »die Zukunft verbaut erscheint« (ebd., S. 86 f.). Einstellungen sind langfristige, konstante Stimmungen. Sie machen unseren Charakter, unsere Persönlichkeit aus (zum Beispiel: risikofreudig, vorsichtig, abwartend, offen, traditionsorientiert). Designerinnen und Designer sind Experten für »visuelle Distinktionen (Farben, Kontraste, Formen, Texturen, Bewegung, Rhythmus) und alltagskulturelle Semantik«; sie setzen visuelle Mittel als Botschaften ein, die bestimmten »formalen und semantischen Kategorien« zugeordnet sind, und beeinflussen dadurch »Gefühle, Stimmungen und Einstellungen der Benutzer« (ebd., S. 87). Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Corporate Identity versuchen Gefühle auszulösen, um Stimmungen zu wecken und Einstellungen zu erzeugen, sie konstant zu halten oder aufzulösen. Dazu bedienen sie sich rhetorischer Elemente. »Der Zweck der

Rhetorik«, so Bonsiepe, »besteht in der effizienten Verwendung sprachlicher Mittel, um bei anderen Menschen Einstellungen zu bilden und ihre Handlungen zu beeinflussen. Wo Zwang herrscht, bedarf es keiner Rhetorik, mehr noch, wo Zwang herrscht, ist Rhetorik nicht möglich. Denn Persuasion setzt Wahlmöglichkeit voraus« (ebd., S. 88). Die Rhetorik als traditionelle Lehre der Redekunst hat zunächst technische Aspekte (sie betreffen die Gliederung der Rede, rhetorische Figuren und die Memorierung), weiterhin hat sie politische und soziale Bedeutung (etwa vor Gericht oder im Parlament), ferner philosophisch-ethische Aspekte (hier geht es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit, um Überredung und Überzeugung, um vordergründiges Blendwerk oder die strukturelle Logik der Argumentation) und schließlich stilistischästhetische und kulturelle Aspekte (diese betreffen Dichtung, Unterhaltung und Umgangsformen). 06.1.1_Kurzer geschichtlicher Abriss der Rhetorik in Europa Im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, nach dem Ende der Tyrannei, lehrten Sophisten in Athen, wie man seine Anliegen erfolgreich vor Gericht vertritt. Wer es sich leisten konnte, nahm bei den Sophisten Rhetorikunterricht. Philosophen stritten sich über Wahrheit und Ideologie sophistischer Rhetorik (Platon) und entwickelten eigene Theorien der Rhetorik (Aristoteles). In der römischen Antike waren die Leitbilder der universal gebildete politische Redner (Cicero) und der tugendhafte Mann, der die Kunst der Rede als sittliche Verpflichtung wahrnimmt (Quintilian). Im Mittelalter waren Rhetorik, Grammatik und Dialektik/Logik im Curriculum der Universitäten Bestandteile der Sieben Freien Künste. Rhetorik wurde zu einem Teil der christlichen Predigtlehre. Zur Zeit des Humanismus wurde in den Wissenschaften in den Künsten die wirkungsvolle Darstellung als wichtiger Faktor wiederentdeckt; es kam zu einer neuen Blüte der Rhetorik. In der Neuzeit ist die Rhetorik nach und nach vom Leitbild der modernen, an den Naturwissenschaften orientierten Methoden verdrängt worden. Erkenntnis soll nicht durch wohlgesetzte Worte, sondern durch Experiment und mathematische Formalisierung gewonnen werden (Descartes, Kant). In der Philosophie der Gegenwart ist das naturwissenschaftliche Argumentations- und Beweisparadigma in Verruf geraten. Philosophen wie Hans Georg Gadamer, Theodor W. Adorno, Jean-François Lyotard und Jacques Derrida haben intensiv darüber nachgedacht, dass es keine Wahrheit ohne sprachliche Darstellung gibt. In den modernen Mediendemokratien wird die Redekunst für Politiker zum Überlebensmittel. In Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft blüht die Rhetorik auf wie nie zuvor. 06.1.2_Visuelle Rhetorik heute In der Werbung werden rhetorische Mittel in sprachlicher und visueller Form eingesetzt. Sie arbeitet mit Kombinationen aus Bildern und Texten. Zunächst zu den Text-Aspekten: Hier spielen Elemente aus der alltagskulturellen Semantik eine wichtige Rolle. Botschaften werden, wie bereits erwähnt, eingesetzt, um Gefühle, Stimmungen und Einstellungen zu beeinflussen. Oft bedient man sich dabei überlieferter rhetorischer Figuren.

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06.2_Stilmittel der Rhetorik Die Stilmittel der Rhetorik kann man nach »Figuren« und »Tropen« unterscheiden. Figuren sind kunstvolle Anordnungen mehrerer Zeichen, Tropen kunstvolle Anwendungen eines einzelnen Zeichens. Tropen werden allerdings auch als »Figuren des Ersatzes« bezeichnet. Rhetorische Figuren zeichnen sich durch auffällige Unterschiede zum allgemein üblichen Gebrauch der Sprache aus, durch die eine gesteigerte »kommunikative Effektivität« (Bonsiepe 1996, S. 89) erreicht wird. Die semiotische Analyse bringt noch mehr zutage: »Ausgehend von dem Sachverhalt, daß man an einem Zeichen zwei Aspekte unterscheiden kann, nämlich die Zeichengestalt und die Zeichenbedeutung, gelangt man zu zwei Typen rhetorischer Figuren: Eine rhetorische Figur kann auf einer Operation mit der Zeichengestalt (syntaktische Figur) oder auf einer Operation mit der Zeichenbedeutung basieren« (ebd., S. 90). Im Folgenden werden die für die visuell-verbale Rhetorik wichtigsten Stilmittel genannt und erläutert. Bei dieser Aufzählung geht es darum, zu verstehen, wie rhetorisch gearbeitet wird. Einige Stilmittel sind besonders wichtig (zum Beispiel Metapher, Allegorie, Symbol, Metonymie u.a.), andere kommen nur selten vor. Zurückgegriffen wird dabei auf eine Klassifizierung, die auf Gui Bonsiepe (1996) und Hanno Ehses (2008) zurückgeht und sich für die visuell-verbale Rhetorik als besonders hilfreich erwiesen hat. 06.2.1_Figuren der Ähnlichkeit Allegorie (bildlicher Ausdruck; altgriech. allegorein: bildlich reden): Allegorien sind bildhafte Darstellungen eines Abstrakten bzw. eines Gedankens zur Verlebendigung und Verdeutlichung. Charakteristische allegorische Gattungsformen sind etwa das Sprichwort (»Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«), Satire und Parodie (zum Beispiel Orwells Animal Farm), die Fabel sowie das biblische Gleichnis (zum Beispiel das Gleichnis vom Sämann, Markus 4, 3-8). Allegorische Strukturen gibt es auch im Drama, zum Beispiel in Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Science Fiction und Wildwest-Romane sind literarische Formen mit allegorischer Qualität. Das Leben auf einem fernen Planeten, in einer fernen Zeit oder im Wilden Westen kann zum Sinnbild bestehender oder vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse werden. Abstrakte Begriffe, Zustände, Ideen, Tugenden u.ä. werden in menschlicher Gestalt dargestellt. Nach Walter Benjamin repräsentiert die Allegorie die Differenz von Besonderem und Allgemeinem, während das Symbol (gemäß der Auffassung der klassizistischen Dichtungslehre) im Unterschied dazu die Identität von Besonderem und Allgemeinem verkörpert. »Äußerlich und stilistisch – in der Drastik des Schriftsatzes wie in der überladenen Metapher – drängt das Geschriebene zum Bilde. Kein härterer Gegensatz zum Kunstsymbol, dem plastischen Symbol, dem Bilde der organischen Totalität ist denkbar« (Benjamin 1928, S. 351). Während das Symbol in seiner reinen Gegenwärtigkeit die Zeit anhält, ist die Allegorie durch Verzeitlichung gekennzeichnet. Die Form der barocken Allegorie »reißt ein Element aus der Totalität des Lebenszusammenhangs heraus«; sie »isoliert es, beraubt es seiner Funktion. Die Allegorie ist daher wesenhaft Bruchstück

und steht damit im Gegensatz zum organischen Symbol« (Bürger 1974, S. 93 f.). Die Geschichte erscheint in der allegorisierenden Kunst »als Naturgeschichte und d.h. als schicksalhafte Geschichte des Verfalls« (ebd., S. 96). Im visuellen Bereich eignen sich allegorische Stilfiguren gut zur Darstellung widersprüchlicher Gehalte. So können Todesallegorien der Barockzeit Leben und Tod dadurch zusammenzwingen, dass beispielsweise eine Plastik vorn einen blühend schönen Menschenkörper zeigt und in der Rückansicht ein Skelett. Allegorische Figuren finden sich auch häufig in der Massenkultur der Gegenwart, man denke beispielsweise an das Video der Rolling Stones zu ihrem Song »Anybody Seen My Baby?« aus dem Jahre 1997, das mit den vertrauten und zugleich unheimlichen Gegensätzen zwischen Leben und Tod, dem herausragenden Einzelnen und der anonymen Masse oder der Schönheit und der Hässlichkeit spielt. Keith Richards erscheint mit Gitarre auf einem Hochhausdach als Bote aus dem Jenseits, der sich visuell mit der Freiheitsstatue amalgamiert. Metapher (altgriech. metaphora: Übertragung der Bedeutung, metapherein: anderswohin tragen, übertragen): Metaphern dienen der Veranschaulichung, Verdeutlichung und Poetisierung. Sie beruhen auf einem Ähnlichkeitszusammenhang, nicht auf einem Sachzusammenhang. Es handelt sich um die Übertragung eines eigentlich fremden, im entscheidenden Punkt aber vergleichbaren Begriffes (a) auf einen anderen (b), wobei der Vergleich nicht ausgeführt wird (a = b), sondern a an die Stelle von b tritt. Im Gegensatz zur Metapher werden beim Vergleich der eigentliche und der uneigentliche Ausdruck ausdrücklich genannt und etwa durch ein »wie«, »als ob«, oder »gleicht« verbunden. Hier drei Beispiele für Vergleiche: »Franz war der beste Fußballspieler im ganzen Viertel. Unter den Jungen seiner Straße fühlte er sich wie ein König, dem die Untertanen zujubeln«; »Manchmal verhalten sich Menschen wie ein schwankendes Rohr im Wind« und die Eichendorff-Zeile »Wolken zieh’n wie schwere Träume«). Es gibt beim Vergleich immer ein tertium comparationis, also eine dritte, gemeinsame Kategorie, auf die sich die zwei Vergleichsgegenstände beziehen lassen. Darum ist die Redensart »Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen« unsinnig. Sie enthält einen Vorwurf und soll besagen, dass Ungleichartiges unzulässigerweise gleichgemacht werden soll. Aber man kann »Äpfel« und »Birnen« sehr gut miteinander vergleichen, denn beide gehören zur Gattung »Obst«, beide wachsen an Bäumen und nicht an Sträuchern usw. Selbst Äpfel und Erdbeeren kann man miteinander vergleichen, denn beim Vergleichen geht es ja darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen – »vergleichen« ist nicht »gleichsetzen«. Das tertium comparationis von Äpfeln und Erdbeeren kann wiederum die Gattung »Obst« sein, aber auch beispielsweise, in einem anderen Vergleichskontext, die Farbe der Früchte. Eine Metapher enthält den Vergleich lediglich implizit. Die entsprechenden Beispiele für Metaphern wären »Franz, der Fußballer, war der König der Straße«; »Oh Mensch, du schwankes Rohr im Winde«; »Alptraumwolken zogen durch seinen Kopf«. Viele Metaphern sind so geläufig geworden, dass sie nicht mehr als Metaphern empfunden werden, und werden deshalb erstarrte Metaphern genannt, zum Beispiel »Flussbett«, »Stuhlbein«, »Lebensabend«, »eine Flut von Eindrücken«, »am Fuße des Berges«. Für manche Metaphern, die notwendigen Metaphern,

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existiert kein eigenes Wort (zum Beispiel »Stecknadelkopf«.) Es gibt auch komplexe Metaphernbildungen, die ohne klassische bildliche Vergleiche arbeiten und schon in die Nähe der absoluten Metapher kommen. In der Regel können auch solche Metaphern aufgelöst und auf Ähnlichkeitsbeziehungen, das heißt auf Vergleiche zurückgeführt werden. Dadurch werden sie überhaupt erst verständlich und kommunizierbar. Das tertium comparationis spielt hier eine wichtige Rolle. Metaphern wie die folgende aus dem Gedicht »Alaska« von Gottfried Benn stellen den Interpreten allerdings vor eine schwierige Aufgabe: »Europa, dieser Nasenpopel / aus einer Konfirmandennase, / wir wollen nach Alaska gehn.« Metaphorische Umkehrung: Hier wird mit der Spannung zwischen primärer und sekundärer Bedeutung gearbeitet. Die Spannung wird so ausgenutzt, dass die visuellen Zeichen die ursprüngliche Bedeutung veranschaulichen, sie also gleichsam wörtlich nehmen. So funktioniert beispielsweise die Werbung für die CaféAbteilung der Fast-Food-Kette McDonald’s, die das Bild einer Kaffebohne in Makro-Optik zeigt (siehe Kapitel 06.3.18, S.73). Es soll auf den ersten Blick als Hamburger erscheinen und erst auf den zweiten Blick als Kaffebohne in Nahaufnahme erkannt werden und beim Betrachter entsprechende Duftassoziationen sowie die Vorfreude auf frischgemahlenen Kaffee auslösen. Analogie: In der visuellen Rhetorik kann ein verbaler Vergleich auf den visuellen Bereich übertragen werden. Dabei verwendet man semantisch äquivalente Zeichen. So werden beispielsweise neue Produkte gern mithilfe von Bildern beworben, auf denen mehr oder weniger frisch geborene Babys zu sehen sind. Personifizierung: Unbelebte Dinge werden mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet. Man zeigt dann beispielsweise Autos mit freundlichen Gesichtern oder Öltanks, die sich zufrieden den Bauch streichen, wenn sie gefüllt werden. Wortspiel: Gleichlautende Worte werden benutzt, die Unterschiedliches bedeuten. Beispiel: »Toulouse a little time in France«. Assoziative Übertragung / assoziative Vermittlung: Aus einer Reihe von Zeichen wird eines herausgegriffen, um die Vorstellungen aus dem assoziativen Kontext, die mit ihm verbunden sind, zu illustrieren. Gui Bonsiepe führt hierfür u.a. das Beispiel einer Werbeanzeige der Spirituosenmarke Gordon’s an: Zu sehen ist ein Ausschnitt einer grünen Ginflasche mit den erhabenen Buchstaben »GO«, darunter die klein gesetzte Schriftzeile: »It’s got to be Gordon’s.« Es handelt sich um eine »Verknüpfung zwischen dem Grün der Flasche, dem Grün der Verkehrsampel mit dem Signal ›Gehen‹ und der Anfangssilbe des Gins Gordon« (Bonsiepe 1996, S. 100). Typogramm: Die Bedeutung der typografischen Zeichen wird anhand dieser Zeichen illustriert. Der Text wird also mit den typografischen Zeichen kurzgeschlossen. Dies kann man beispielsweise umsetzen, indem man eine verbale Aussage, die lautet, dass die Mobiltelefone einer beworbenen Firma immer kleiner (und daher praktischer) werden, durch kleiner werdende Schrift visualisiert.

06.2.2_Figuren des Ersatzes (Tropen) Symbol (altgriech. symbolon: Kennzeichen, symballein: zusammenwerfen, zusammenfügen): Typische Gegenstände (wie Werkzeuge, Kleidungsstücke) werden als etwas Konkretes genannt, um etwas Abstraktes zu bezeichnen. Etwas ist ein Symbol für etwas anderes; ein besonderes Objekt bekommt eine allgemeine Bedeutung in einem umfassenden Sinn, beispielsweise ikonische Symbole wie das Herz, das für die Liebe steht, oder ein Anker für die Seefahrt oder die Hoffnung. Metonymie (altgriech. metonymía: Umbenennung, Namensvertauschung): Das Ersetzen eines Begriffes durch einen anderen, der zu ihm in räumlicher, zeitlicher oder ursächlicher Beziehung steht. Die Metonymie dient der Verdichtung und der Ausdruckssteigerung. Ein Wort wird nicht in seiner bekannten, ihm zugeordneten Bedeutung gebraucht, sondern verweist auf einen mit ihm verbundenen Bedeutungszusammenhang. Im Unterschied zur Metapher wird der jeweilige Begriff durch einen aus demselben Sachbereich ersetzt; beide Begriffe stehen somit in einer realen Beziehung, also in einem zeitlichen, räumlichen, ursächlichen, logischen oder erfahrungsmäßigen Zusammenhang. So kann die Metonymie die Ursache benennen und die Wirkung meinen oder auch umgekehrt. Es gibt u.a. folgende Arten metonymischer Übertragung: Wohnort – Bewohner oder: Staat – Staatsbürger (»Deutschland am Boden, Spanien triumphiert.«) Jahrhundert – Menschen dieses Jahrhunderts (»Das 18. Jahrhundert stellte die Vorherrschaft der Kirche in Frage.«) Gesellschaftsform – Vertreter dieser Gesellschaftsform (»Die Bourgeoisie beutet das Proletariat aus.«) Mensch – Eigenschaft (»Er ist ein philosophischer Kopf.«) Gegenstand – Merkmal (»Das Runde muss ins Eckige.«) Behälter – Inhalt (»Ich habe drei Gläser getrunken.«) Instrument – Resultat (»Seine Geige machte ihn weltberühmt.«) Erzeuger – Erzeugnis (»Heute Abend werde ich Beethoven spielen.«) Ursache – Wirkung (»Der Winter lässt uns frieren.«) Art – Gattung (»Der Reiter saß hoch auf seinem edlen Tiere.«) Wie Metaphern können auch Metonymien mit der Zeit verblassen und an Wirkkraft einbüßen. Synekdoche (altgriech.: Mitverstehen, Mitaufnehmen eines Ausdrucks durch einen anderen): Bei der Synekdoche sind der verwendete Begriff und das Bezeichnete eng miteinander verwandt, aber die Synekdoche verkörpert nur einen Teil des Bezeichneten, ist sozusagen weniger (»Er steht unter dem Pantoffel«, Pantoffel = Frau), oder geht weit über das Bezeichnete hinaus (»Er kam um durch das Eisen«, Eisen = Schwert). Cicero hat das synekdochische Verfahren, welches er nicht beim Namen nannte, beschrieben, indem er es mit der Metonymie verglich: »Benachbart sind ihr (der Metonymie) jene Fälle, die zwar nicht so eindrucksvoll sind, die man aber trotzdem kennen sollte; dabei meint man entweder mit einem Teil ein Ganzes, wenn wir statt Häuser Wände oder Dächer sagen, oder mit einem Ganzen ein Teil, wenn wir zum Beispiel eine einzige Schwadron als die römische Reiterei bezeichnen ...« (Cicero, De Oratore, S. 551). In einer Synekdoche kann der Singular für den Plural stehen, wie etwa in den manchmal

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bis zum Überdruss verwendeten Stereotypen wie »Der Deutsche ist ordnungsliebend« oder »Der Brite pflegt seinen Tee pünktlich um fünf Uhr zu sich zu nehmen«. Wenn ein Teil für das Ganze steht, wie zum Beispiel in dem Werbeslogan »Bei uns finden Sie alles unter einem Dach«, spricht man vom pars pro toto. Das Dach steht in diesem Ausdruck stellvertretend für das gesamte Gebäude, ebenso wie bei den »Brettern, die die Welt bedeuten«, die Bestandteile des Bühnenbodens für die Kulturinstitution Theater einstehen. Pars pro toto: Um Wiederholungen zu vermeiden bzw. anschaulicher zu werden oder etwas besonders zu betonen, wird der Teil für das Ganze eingesetzt. Beispiel wären: »Sie wollte zur Bühne« (statt: zum Theater); »Im Karneval ist alle Welt außer Rand und Band« (statt: viele Menschen); »Frankfurt begrüßte die deutschen Fußball-Helden« (statt: die Bevölkerung Frankfurts); »Der Stahl blitzte in seiner Hand« (statt: das Messer aus Stahl); »Das Leder zappelte in den Maschen« (statt: Der Ball zappelte im Netz bzw. im Tor). Periphrase nennt man eine Umschreibung, die sich indirekt auf das Gemeinte bezieht. Hierbei werden allgemein bekannte Attribute oder charakteristische Eigenschaften genannt. Es handelt sich also um Umschreibungen mit impliziter Merkmalshervorhebung, bei denen andere Zeichen verwendet werden. Beispielsweise ist Beethoven früher gern als »großer Ringer mit den Mächten des Schicksals« bezeichnet worden; in Thomas Manns Roman Doktor Faustus wird Beethoven »die Person des heimgesuchten Schöpfers« der Missa Solemnis genannt. Unterarten der Periphrase (manchmal auch als verwandte Nebenformen bezeichnet) sind Hyperbel, Litotes u. Ironie (siehe unten). Euphemismus: beschönigende Umschreibung einer unangenehmen oder anstößigen Sache. Früher sollte zum Beispiel »Freudenhaus« erfreulicher klingen als »Bordell«. Heute spricht man vom »Heimgang« statt vom Tod, nennt eine Atommülldeponie »Entsorgungspark« oder spricht von »Kollateralschäden«, wenn es um den zwar nicht geplanten, aber billigend in Kauf genommenen Tod von Zivilisten bei militärischen Aktionen geht. So hat sich im Deutschen auch die Bezeichnung »Arbeitgeber« für Menschen eingebürgert, die Mehrwert aus demjenigen Quantum der Arbeit Lohnabhängiger schöpfen, welches – nach Auszahlung eines zur Regeneration der Arbeitskraft notwendigen Lohnes – unbezahlt bleibt. Visuell-verbale Negation: Die Bedeutung einer Wortsequenz wird mit einem visuellen Gegenteil davon illustriert. Diese Figur kann man zum Beispiel umsetzen, indem man geläufige Aussagen über die vermeintlich idealen, standardisierten Körpermaße junger Frauen »von heute« zitiert und dazu kontrastierende Abbildungen junger Frauen zeigt, die ganz unterschiedlich aussehen, um Kundinnen anzusprechen, die sich von der gängigen Werbepraxis abgestoßen fühlen, welche mit tendenziell menschenfeindlichen Model-Normen arbeitet. Visuell-verbaler Vergleich: Mithilfe sprachlicher Vermittlungen werden zwei Bedeutungen visuell miteinander gleichgesetzt bzw. verglichen. Firmen mit Namen wie »König« oder »Kaiser« verwenden beispielsweise häufig Abbildungen, die Monarchen im Staatsgewand zeigen oder konnotieren. »Große« Leistungen und »riesi-

ge« Preisvorteile können mit entsprechenden Allegorien oder mit Abbildungen visualisiert werden, die das Seitenformat der Anzeige bis zum Rande füllen usw. Exemplifizierung: Eine verbal angezeigte Bedeutung wird visuell veranschaulicht. Man könnte dies auch als das Prinzip »What you see is what you get« bezeichnen: Eine Aussage wie »Auf unserem Gebiet sind wir die Ersten« wird dann zum Beispiel durch eine Menschenschlange an der Kasse mit Fokussierung des vordersten Kunden illustriert. 06.2.3_Figuren des Kontrasts Antithese: formale Gegenüberstellung zweier meist logisch entgegengesetzter Ideen, Gedanken oder Begriffe zur scharfen Charakterisierung (siehe auch Chiasmus und Parallelismus). Beispiele: »Dies ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang!«; »Du wirfst mir vor, dass ich um meine Kinder kämpfe? Würdest du das für deine Kinder nicht tun?«; »Als die Amerikaner kamen, empfanden wir das nicht als Besetzung, sondern als Befreiung«. (Im letzten Beispiel wird die Antithese durch eine Alliteration begleitet). Ironie (altgriech. eironeía: Verstellung, Vortäuschung) drückt etwas durch dessen Gegenteil aus; sie ist Mittel des Spotts sowie der humorvollen oder bitteren Kritik. Das Gegenteil wird aufgeführt, aber nicht explizit, sondern nur unausdrücklich verneint; dies muss durch Ironiesignale begleitet werden, die häufig außersprachlicher Natur sind. Das wirklich oder eigentlich Gemeinte muss erst aus dem Zusammenhang abgeleitet werden. Zum Beispiel lässt man einen jungen Snob, der im Wirtshaus mit derben, Zoten reißenden Kerlen zusammengerät, sagen: »Eine feine Gesellschaft ist das hier!« Oder ein Familienvater schaut am verregneten Sonntagvormittag aus dem Fenster und sagt mit himmelwärts gerollten Augen: »Ein glänzendes Wetter – genau das richtige für unser Picknick«. Sarkasmus: (altgriech. sarkazein: zerfleischen, verhöhnen): beißender Spott. Beispielsweise wäre es sarkastisch, die Weltwirtschaftskrise als »ganzjährigen ökonomischen Frühjahrsputz« zu bezeichnen. Litotes (altgriech.: Schlichtheit) ist die untertreibende Abschwächung, bei der ein positiver Begriff durch die Negation des Gegenteils ausgedrückt wird. Das Gegenteil wird gesagt, aber ausdrücklich verneint. Die beabsichtigte Wirkung ist ein besonderer Nachdruck durch scheinbare Untertreibung. Die Litotes bewirkt eine rationale oder emotionale Nuancierung, die vom Kontext abhängig ist. Sie umspielt die Pole oder beschreibt graduelle Veränderungen zwischen den Polen. Zum Beispiel könnten Leser des vorliegenden Buches zu den Autoren sagen »Das ist nicht übel!«, oder auch: »Was Sie da geschrieben haben, ist mir nicht unbekannt.« Paradoxon: Scheinbar widersinnige, in sich widersprüchliche Aussage, deren Wahrheit sich erst durch tiefe Interpretation erschließt. Sokrates hat bekanntlich gesagt: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« In der Alltagssprache oder der Trivialliteratur kann man Paradoxa à la »Hans starrte seinen Onkel unverwandt an« finden. Der Weihnachtskatalog der Firma Land’s End warb 2008 mit dem Slogan »Aufgeweckte Schlafmode« für Pyjamas.

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Hysteron-Proteron heißt im Griechischen: Das Spätere [ist] das Frühere. Dies ist eine Figur, bei der das begrifflich oder zeitlich Folgende an erster Stelle steht. Wird das Hysteron-Proteron als Stilmittel verwendet, handelt es sich um einen absichtlich gesetzten logischen Fehler. »Lasst uns sterben und uns in die Feinde stürzen!«, heißt es beispielsweise in Vergils Aeneis. 06.2.4_Figuren der Verknüpfung Spezifizierung: Ein visuelles Zeichen wird von einem Minimum an Text begleitet, um es verständlich zu machen und semantisch einzuengen. Dabei wird häufig der Firmen- oder Produktname verwendet. So wird häufig in der Kleiderbranche gearbeitet, wenn weibliche und männliche Models das Anzeigenformat füllen und ansonsten nur der Name des Modelabels zu lesen ist. Verschmelzung: Ein visuelles Zeichen wird aufgrund seiner formalen Eigenschaften in ein Superzeichen eingebunden. Die syntaktische Verknüpfung suggeriert bzw. unterstellt eine semantische Verbindung. Das Diagramm eines Kursverlaufs an der Börse kann beispielsweise mit Panoramafotos aus den Alpen verschmolzen werden, um für Finanzprodukte zu werben, die hohen Gewinn versprechen. 06.2.5_Figuren der Steigerung Geminatio: Verdopplung eines Wortes oder Ausdrucks. »Up, up, and away / In my beautiful, my beautiful balloon«, sangen beispielsweise die Künstler der Band 5th Dimension im für die Popkultur so wichtigen Jahr 1967. Anhäufung: Vervielfachung desselben Motivs oder ähnlicher Motive. Ein deutscher Kleinwagenhersteller warb früher mit dem Slogan »Er läuft und läuft und läuft...«. Verstärkung: Ausdehnung eines Motivs durch Anordnung relevanter Bestandteile. Verschiedene Kaffeehersteller bevorzugen beispielsweise in letzter Zeit Werbebilder, die mehrere Produktpackungen zeigen, die auf einem teppichartigen Hintergrund aus zahllosen Kaffeebohnen angeordnet sind. Parallelismus: Dieselbe Wortfolge und Struktur kehrt (bei ungefähr gleicher Wortzahl) wieder in Gestalt von syntaktisch oder semantisch einander entsprechenden Sätzen oder Satzgliedern. Der Parallelismus erzeugt eine musikalische und verdeutlichende, oft entgegengesetzte Wirkung. Alliteration, Homöoteleuton und Paronomasie sind Formen des Parallelismus. Alliteration: Hervorhebung eines Paares oder einer Gruppe von bedeutungstragenden Wörtern durch gleichen Anlaut. Man sagt zum Beispiel: »Gesagt, getan«, oder: »Es waren gut und gern 20 Kilometer zu Laufen.« »Fürchtest du nicht das wild wütende Weib?«, fragt Richard Wagners Brünnhilde ihren Siegfried und jubelt: »Du hehrster Taten töriger Hort!«. Siegfried antwortet: »Prangend strahlt mir Brünnhildes Stern! […] leuchtende Liebe, lachender Tod!« Homoioteleuton: Wiederholung gleicher Endsilben zur Bildung von Parallelismen (siehe Alliteration, Parallelismus). Ein Werbeslogan für Reisen mit der

Deutschen Bahn könnte beispielsweise lauten: »Einsteigen, entspannen, ankommen.« (Heute wäre im Falle der Deutschen Bahn etwas wie »Warten, einsteigen, hoffen« zeitgemäßer.) Paronomasie: Wortspiel zweier klangähnlicher Wörter. Einige (klassische und moderne) Beispiele aus dieser überaus beliebten Kategorie: »urbi et orbi«, »Geiz ist geil«, »Bei der EM-Qualifikation ausgeschieden: die Tränen der Dänen« oder »Quod licet Iovi, non licet bovi«. John Lennons Wortspiel-Name »The Beatles« verdichtete zwei gleichlautende, aber verschieden geschriebene Silben (»beat« und »beet«) zu einem Wortzeichen mit einer Primärbedeutung, die einen musikalischen Fachbegriff konnotiert, und einem Nonsens-Subtext, der vage auf Generationskonflikt und Subkulturen anspielt (u.a. auf den Film The Wild One von 1953 mit Marlon Brando, in dem von einer Motorradgang die Rede ist, die The Beetles (»die Käfer«) heißt). Trikolon: Ein Kolon ist eine rhythmische Sprecheinheit, die auf einer Atempause beruht. Beim Trikolon handelt es sich um ein dreigliedriges Satzgefüge (wie zum Beispiel »Ready, Steady, Go!«) oder um die dreifache Setzung von Wiederholungen und Aufzählungen, die eingesetzt werden, um andere rhetorische Figuren zu verstärken. »Veni, vidi, vici« oder »Verliebt, verlobt, verheiratet« sind allgemein bekannte Beispiele für Trikola mit Alliteration. »My World. My Style. My Ecco.« lautet der Slogan eines dänischen Schuherstellers. Ein ehedem berühmter Buchtitel war »Götter, Gräber und Gelehrte«, und im Kinderprogramm des deutschen Fernsehens wurde die Reihe »Sport, Spiel, Spannung« ausgestrahlt. Auch hier wird das Trikolon mit dem Stilmittel der Alliteration kombiniert, ebenso wie bei »Wünsche werden wahr!«, das oft im Zusammenhang mit dem Weihnachtsgeschäft verwendet wird. In die Geschichte der Reklame ging das Trikolon »Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Pfeife, Stanwell« ein. Asyndeton: Wörter oder Wortgruppen werden ohne Verbindung aneinandergereiht. Das kann dramatische Wirkungen wie Leidenschaft und Erregung bewirken, wenn der Eindruck entsteht, dass keine tiefere Verknüpfung besteht, aber auch so gegensätzliche lyrische Stimmungen wie Zerstreutheit oder gehaltvolle Knappheit zum Ausdruck bringen. In dem Song »The Spider And The Fly« von Mick Jagger und Keith Richards heißt es: »Sitting, thinking, sinking, drinking / Wondering what I'd do when I'm through tonight / Smoking, moping, maybe just hoping / Some little girl will pass on by«. Bei den Zeilen eins und drei handelt es sich um Asyndeta. Hyperbel: Eine Bedeutung wird mit Hilfe von Zeichen visualisiert, deren Gehalt über das des eigentlich Ausgesagten hinausgeht. Eine Hyperbel ist eine Übertreibung von etwas über seine normalen und angemessenen Dimensionen hinaus. Sie kann sowohl vergrößernd als auch verkleinernd erfolgen. »Das dauert mal wieder eine Ewigkeit!«, sagt man beispielsweise, oder: »Darf ich dazu vielleicht auch ein oder zwei Worte sagen?«. Friedrich Holländer schrieb: »Männer umschwirr’n mich wie Motten das Licht.« Und die Gruppe The Fantastic Four sang 1967, frei nach William Shakespeare: »The whole world is a stage / And everybody is playing a part.«

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Understatement: Eine verbale Untertreibung wird visuell veranschaulicht. Eine Sympathie-Werbekampagne für den Deutschen Fußballbund könnte zum Beispiel die Textzeile »In den letzten Jahrzehnten haben die deutschen Fußballer ganz ordentlich mithalten können« mit der kontrastierenden Präsentation von Fotos der zahlreichen Weltmeisterschaftspokale und Medaillen für Endspielteilnahmen verbunden werden. Eine nicht-kontrastierende Visualiserung der Textzeile könnte beispielsweise deutsche Fußballer in einer Reihe mit den Weltstars der Zunft zeigen. Gesetz der wachsenden Glieder (diese Bezeichnung stammt von dem Sprachwissenschaftler Otto Behaghel; vgl. Leumann u.a 1972, S. 772): Wörter oder Wortgruppen werden in einer Reihe angeordnet, sodass der Umfang der Glieder zunimmt; dabei kann eine rhythmische Steigerung eintreten. Zum Beispiel dichtete Paul McCartney für das Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band: »Woke up, / Fell out of bed, / Dragged a comb across my head, / Found my way downstairs and drank a cup / And looking up I noticed I was late ...« (»A Day in the Life«). Klimax: Steigerung von Aussageinhalt oder Aussagekraft durch entsprechende Anordnung von Wörtern, Wortgruppen oder Sätzen (wie im Fall des Gesetzes der wachsenden Glieder oder des Trikolon). So könnte man zum Beispiel formulieren: »Ich fand einen Menschen, ich fand die Liebe, ich fand mein Glück.« Oxymoron: Verbindung zweier sich widersprechender Ausdrücke, um eine Pointe zu schaffen. »Die Letzten werden die Ersten sein« ist ein klassisches Beispiel für diese Figur, »Kaufen heißt Geld sparen« ein neueres. Pleonasmus: Ein eigentlich überflüssiger Zusatz zu einer Aussage, sodass das Gemeinte sprachlich mehrfach zum Ausdruck kommt. Zweck des Pleonasmus sind Nachdruck und Verdeutlichung; oft ist er aber auch indexikalisches Zeichen für einen nachlässigen Stil, z.B.: »der weiße Schimmel« oder »ein alter Greis«. Tautologie: Bezeichnung eines Begriffs durch zwei dasselbe aussagende Worte, der man oftmals als Stilfehler begegnet, zum Beispiel in einem Satz wie: »Die Krisentendenz des Kapitalismus ist bereits schon von Karl Marx mustergültig analysiert worden.« Eine rhetorische Tautologie im strengen Sinne ist die Unterstreichung durch eine Wiederholung desselben Wortes wie beispielsweise in dem Satz: »Was zuviel ist, ist zuviel!« Ellipse: Leicht zu ergänzende Wörter oder Bildzeichen zur Straffung und Prägnanz. »Dass du pünktlich nach Hause kommst!« ist eine elliptische Version des Satzes: »Ich fordere von dir, dass du pünktlich nach Hause kommst.« Ein Beispiel aus der Werbung: »Sommerzeit – Reisezeit«. Rhetorische Frage: eine Behauptung, die um des Effektes willen in die Form einer Frage gekleidet ist und keiner ausdrücklichen Antwort bedarf. Man kann beispielsweise fragen: »Wie oft soll ich Dir eigentlich noch sagen, dass du Dir vor dem Essen die Hände waschen musst?« oder formulieren: »Wie lange sollen wir das noch mitansehen, ehe wir endlich etwas dagegen unternehmen?«, oder, klassischer: »Quousque tandem abutere, Catilina, patientia nostra?« (Cicero, Catilinaria 1).

06.3_Analyse visueller Rhetorik

06.3.1_BHW: »Jetzt auftrumpfen – kein Geld verschenken« Verschmelzung: Die blaue Brille wird aufgrund ihrer Farbe in das Superzeichen BHW eingebunden. Die syntaktische Verknüpfung (gleiche Farbe) suggeriert bzw. unterstellt eine semantische Verbindung. Parallelismus: Die Farbe Blau und das Wort »blau« beziehen sich auf dieselbe Bedeutung. Visuell-verbaler Vergleich: Mithilfe sprachlicher Vermittlungen (»auftrumpfen« = »kein Geld verschenken«) werden zwei Bedeutungen visuell miteinander gleichgesetzt (›Asse‹) bzw. verglichen (»seh’ ich blau« vs. »Ich sehe schwarz«).

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06.3.2_KAISER: »Schauma, wie günstig« Wortspiel: Der Produktname »Schauma« klingt wie die umgangssprachlich ausgesprochene Aufforderung »Schau mal!«. Der Prospekt wurde im Vorfeld des Osterfests verteilt. Das Kind mit Fernglas im Hasenkostüm ist ein satirisch übertriebenes Sinnbild für die Suche nach Ostereiern. Dies konnotiert: So, wie man zu Ostern Ostereier findet, findet man in der Drogeriekette Waren zu besonders günstigen Preisen. Verschmelzung: Die Aufforderung wird aufgrund der Klangähnlichkeit in das Superzeichen »Schauma«, den Produktnamen, eingebunden.

06.3.3_POSTBANK: »Für Finanzlösungen ohne Handicap« Die Anzeige im ganzseitigen Format zeigt in den zwei oberen Dritteln ein Brustbild von Franz Beckenbauer, der im Golfdress mit über die Schulter gezogenem Schläger und festem, zuversichtlichem Blick dem Ball hinterher- und dabei nach rechts aus dem Bild hinausschaut. Im Hintergrund sieht man einen Golfplatz mit kleinem See und üppigem Baumbestand am Horizont, darüber blauen Himmel mit weißen Federwölkchen. Das untere Seitendrittel wird von einem gelben Kasten beherrscht. Links oben, ein Stück über die mittlere Spiegelachse des gelben Feldes hinausgezogen, befindet sich darin ein blaues Feld, in dem in großer weißer Schrift geschrieben steht: »›Für Finanzlösungen ohne Handicap muss man zur richtigen Bank gehen.‹« Darunter, wesentlich kleiner, die Unterzeile (ebenfalls in weißer Schrift): »Mehr Unternehmen. Mit den richtigen Lösungen der Postbank für Firmenkunden.« Auf dem gelben Feld befindet sich der folgende, zweispaltig in kleiner blauer Schrift gesetzte Text: »Machen Sie mehr aus Ihrem mittelständischen Unternehmen. Mit einem Partner, der sich überall einsetzt für mehr Finanzspielraum, mehr Investitionsmöglichkeiten,

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mehr Kostenkontrolle, mehr Wertschöpfung. Eine sichere Bank für alles: Wir managen Ihren Zahlungsverkehr, stellen Anlagemöglichkeiten und Liquidität bereit. […] Wann auch immer Sie mehr Informationen wünschen, wir sind selbstverständlich für Sie da.« Ganz rechts unten befindet sich das bunte Firmenlogo mit dem Schriftzug »Postbank«, darunter in kursiver Versalschrift: »Firmenkunden«. Analogie: Das »Golf-Handicap« der prominenten Werbefigur wird aus dem visuellen Bereich in den metaphorischen Bereich übertragen. Dabei werden semantisch äquivalente Zeichen verwendet. Der verbale Vergleich suggeriert »Kredit ohne Hindernisse«. Metaphorische Umkehrung: Es gibt eine Spannung zwischen primärer und sekundärer Bedeutung von ›Handicaps im Golfsport‹ und ›finanziellen Hindernissen‹: Die visuellen Zeichen veranschaulichen die ursprüngliche Bedeutung, die gleichsam wörtlich genommen wird. Das legt nahe, dass der Kunde der Postbank die Hindernisse bei der Kreditvergabe ebenso leicht überwinden kann, wie der Star-Sportler mit seinem Handicap auf dem Rasen umgeht. Visuell-verbaler Vergleich: Mithilfe sprachlicher Vermittlungen werden hier zwei Bedeutungen visuell miteinander gleichgesetzt bzw. verglichen. Wortspiel: Die Großschreibung des Wortes »Unternehmen« im Satz »Mehr Unternehmen. Mit den richtigen Lösungen der Postbank [...]« besagt grammatisch, dass es mehr Firmen geben wird, weil die Kreditkonditionen und die Betreuung, welche das Werbende Bankhaus bietet, viele Menschen zur Unternehmensgründung ermutigen wird. Gleichzeitig konnotiert der Satz die Aufforderung: »Ihr sollt mehr unternehmen!«

06.3.4_Abb.: SPARKASSE: »Warum jetzt schon an das Alter denken? Aus Vorfreude.« Synekdoche: Die Hand mit Spazierstock steht für den alten Mann (pars pro toto). Allegorie: Der sportliche alte Mann steht für einen aktiven Lebensabschnitt ohne Arbeit und finanzielle Sorgen, dafür mit Gesundheit und Lebensfreude.

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06.3.5_KAISER: »Starke Latschen zum Schlappen-Preis« Wortspiel: Das Wort »Schlappen« kann als Substantiv für »Latschen« stehen, das Adjektiv ›schlapp‹ für ›schwach‹, ›gering‹, ›klein‹. Eindeutigkeit wird mit syntaktischen Mitteln hergestellt (korrekte Groß- und Kleinschreibung sowie Kopplung der letzten beiden Wörter mit einem Bindestrich). Die Eindeutigkeit wird allerdings gleichzeitig durch typografische Mittel wieder etwas in den Hintergrund gerückt (Größenunterschiede in der Darstellung der Worte). Parallelismus: Wortfolge, Struktur und Wortzahl der einander entsprechenden relevanten Satzglieder sind gleich (jeweils ein Adjektiv und ein Substantiv, gespiegelt um das Wort »zum«). Dadurch wird eine rhythmische und verdeutlichende Wirkung erzeugt, die den kontrastierenden Inhalt (›stark‹ – ›schlapp‹) hervorhebt.

06.3.6_KIA: »Man muss nicht groß sein ...« Visuell-verbaler Vergleich: Mithilfe sprachlicher Vermittlungen werden die Bedeutungen ›äußere Größe‹ und ›innere Größe‹ visuell miteinander verglichen. ›Innere (moralische) Größe‹ ist nicht vom Alter abhängig. Antithese: Es geht um groß und klein. Zwei kontrastierende Ideen werden visuell gegenübergestellt; die Großaufnahme des jugendlich wirkenden Gesichts im Bildvordergrund verdeutlicht dies. Sie lässt den Wagen im Hintergrund, um den es ja eigentlich geht, optisch klein wirken. Personifizierung: Der Wagen verkörpert die menschliche Eigenschaft ›innere (moralische) Größe‹, die vom äußeren Umfang unabhängig ist.

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06.3.7_HP: »Farbe mit der Schnelligkeit von Schwarzweiß« Analogie: Ein verbaler Vergleich wird auf den visuellen Bereich übertragen: »Schnelligkeit« beim Laufen und beim Herstellen von Kopien. Dabei wird das semantisch äquivalente Zeichen ›schnelle Raubkatze‹ verwendet. Exemplifizierung: Die verbal angezeigte Bedeutung »von s/w zu Farbe« wird visualisiert. Allegorie: Der abstrakte Begriff »Schnelligkeit« wird in tierischer Gestalt dargestellt.

06.3.8_AUDI: »leicht, mittel, quattro« Spezifizierung: Die markierte Straßenkarte wird von einem Minimum an Text begleitet. Die visuellen Zeichen werden durch den Firmennamen »Audi« verständlich gemacht und semantisch eingeengt. Die Typenbezeichnung »quattro« steht an der Stelle, wo eigentlich das Steigerungswort »schwer« stehen müsste. Metonymie: Die markierten Strecken stehen für den Wagen, in dem der Fahrer jeden Schwierigkeitsgrad meistern kann. Trikolon: Drei kurze Abschnitte, die durch die atembedingte Gliederung der Rede geteilt sind und sich besonders gut einprägen.

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06.3.9_THOMAS COOK: »Außer uns ist Kana da« Wortspiel: Das Reiseziel klingt ähnlich wie die Aussage, dass kein anderer Anbieter mit diesen Preisen konkurrieren könne oder dass die Ziele von keinem anderen Anbieter angeflogen würden. Wortspiele dieser Art nennt man bekanntlich »Kalauer«.

06.3.10_TOGAL: »Noch Schmerzen?« Wortspiel: Der Produktname ähnelt im Klang dem Wort »total« und wird assoziativ mit der Wirkung völliger Schmerzfreiheit verknüpft.

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06.3.11_MASTERCARD: »Es gibt Dinge, die gelten weltweit« Metonymie: Die globalisierende Erweiterung eines europäischen Kreditkartenunternehmens durch Zusammenschluss mit einem anderen wird mit dem kulturübergreifenden symbolischen Zeichen »Herz« in Verbindung gebracht. Das Herz soll nicht mehr nur für Liebe und Zuneigung stehen, sondern auch stellvertretend für das Kreditkartenunternehmen.

06.3.12_BÖRSE ONLINE. »Entweder sie arbeiten für Ihr Geld ...« Metapher, Parallelismus und Hyperbel: Der gezackte Kondensstreifen am Himmel steht nicht durch einen metonymischen Sachzusammenhang, sondern allein kraft ikonischer Ähnlichkeit für die Aufzeichnung der Kurse an der Börse. Die Spur des Flugzeugs stellt die verbale Aussage »an der Börse geht es auf und ab« visuell dar. Stark übertrieben schwingt sich der Aktienkurs hier in ungeahnte Höhen auf. Synekdoche: Die Füße in teuren Schuhen und die Beine in teuren Anzughosen stehen als Teile für das Ganze, einen (vermutlich jungen) Mann, der es versteht, ohne mühselige Arbeit seinen Unterhalt für ein komfortables Dasein zu verdienen. Der teure Rassehund steht ebenfalls als Teil für das Ganze, das komfortable Dasein des Mannes. Antithese: Das metonymisch dargestellte Geld »arbeitet« sich als Kondensstreifen nach oben, während der Eigentümer müßig auf der Wiese liegt. Mithilfe der verbalen Metapher vom »arbeitenden Geld« werden kontrastierende Vorstellungen von »Arbeit« gegenübergestellt. Dass an der Börse angelegtes Geld nicht selbst »arbeitet«, sondern der mögliche Gewinn für den Aktienbesitzer aus dem Profit der Unternehmen stammt, deren Anteile an der Börse gehandelt werden (also letztlich aus der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft), wird hierbei »übermalt«. Parallelismus: Der Börsen-Kondensstreifen weist in Leserichtung ebenso nach oben wie der Kopf des Hundes. Diese visuelle Aufwärtsbewegung entspricht der Vorstellung von der Vermehrung des Geldes zu einem »Vermögen«. Verschmelzung: Über die Farbe Blau werden Himmel und Magazintitel syntaktisch verknüpft, um eine semantische Verbindung zu suggerieren (Aufstieg bzw. himmlische Gunst oder Zufriedenheit).

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06.3.13_CLUBMASTER, »Männer mögen Minis« Analogie: Zwischen dem kurzen Rock und dem kleinen Zigarillo besteht die visuell wahrnehmbare Ähnlichkeit der Kürze (in der ja, wie man so sagt, die Würze liegen soll). Metaphorische Umkehrung: Kurze Röcke, von schönen Frauen getragen, werden mit kurzen Zigarillos verknüpft, die überwiegend von Männern geraucht werden. Hier ist aber die Rockträgerin zugleich die Raucherin. Trikolon: Kurzer Satz, der aus drei gleich anlautenden Worten besteht (Alliteration). Antithese: kurzer Zigarillo, lange Beine.

06.3.14_»Print wirkt« (Anzeige im Zuge der gleichnamigen Kampagne der Publikumszeitschriften im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger) Anhäufung: Der minimalistische Claim wird im Textblock darunter x-mal unverändert wiederholt. Assoziation: Die Anzeige stellt die implizite Behauptung auf, eine Print-Werbung habe im Bereich des Konsums einen ebenso starken Appeal wie der Athletenkörper im Bereich der Erotik; sie stellt eine Beziehung zum Motiv des Sex Appeal her (»sex sells« ist ja einer der Gemeinplätze der Branche). Hyperbel: Sowohl die Wiederholung als auch der »Waschbrettbauch« wirken übertrieben. Beides gibt zu verstehen, dass man ganz bewusst ein bisschen ›dick aufgetragen‹ hat.

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06.3.15_MARLBORO: »Come to where the flavor is« Spezifizierung: Hand, Streichholz und Stiefel werden von einem Minimum an Text begleitet. Diese visuellen Zeichen werden durch die Nennung des Produktnamens »Marlboro« verständlich gemacht und semantisch eingeengt. Synekdoche: Die Teile (Hand und Stiefel) zeigen das Ganze an, nämlich den »Marlboro-Cowboy«. Das Streichholz steht für die im Bild abwesende Zigarette (partes pro toto).

06.3.16_KAISER’S: »Lassen sie mal wieder einen ziehen« Wortspiel: Der mehrdeutige Aufforderungssatz »Lassen Sie mal wieder einen ziehen« besagt Unterschiedliches. Zunächst geht es um verdauungsbedingte ›Winde‹, dann – über den stilistischen Umweg der Ellipse (Auslassung) – um ›Teebeutel‹. Die Stilfigur dient hier der symbolischen Regression, also einer Ersatzhandlung.

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06.3.17_PEUGEOT: »Offene Verführung« Analogie: Die Mehrdeutigkeit des Wortes »offen« wird auf den visuellen Bereich übertragen. Dabei werden semantisch äquivalente Zeichen verwendet: Das Dach des Cabrios ›öffnet‹ sich im zweiten und dritten kleinen Bild, im großen Bild fährt der ›offene‹ Wagen durch eine ›offene‹ Landschaft. Die Verführung, die eine Fahrt in diesem Wagen angeblich darstellt, soll eine sein, die ›frei heraus‹ geschieht, ›ohne Verstellung oder Tarnung‹. Metonymie: Die visuell angezeigte Bedeutung ›offener Wagen‹ wird zu einer anderen Bedeutung in Beziehung gesetzt: die ›offene‹, also unverstellte ›Verführung‹, die der sportliche Wagen für den Fahrer darstellt. Überdies besteht eine thematische Verbindung: Wer ein solches Auto fährt, hat sich nicht nur von ihm verfüh-

ren lassen, sondern ist auch ein erfolgreicher ›Verführer‹ anderer Menschen. Personifizierung: Dabei wird nicht nur suggeriert, wer dieses Fahrzeug besitzt, sei ein erfolgreicher Verführer, sondern auch, das Automobil selbst sei ein erfolgreicher ›Verführer‹. Anhäufung und Trikolon: Das beworbene Gefährt ist auf insgesamt vier Fotos zu sehen; die drei kleinen Abbildungen am rechten Rand der oberen Hälfte bilden ein visuelles Trikolon. Visuell-verbaler Vergleich: Der erste Teil der Textzeile »Langsam näher kommen – und sich nie wieder von ihm trennen wollen« wird durch die drei kleinen Fotos visualisiert, die das Auto zunächst in der Totale und dann in zwei herangezoomten Ausschnitten zeigen. Der Verlauf einer »Verführung« wird hier zudem durch den Übergang vom geschlossenen zum offenen Dach visualisiert, bei dem das Öffnen sowohl romantische als auch erotische Konnotationen trägt (die Herzen öffnen sich, die Verschlüsse der Kleidung werden geöffnet ...); das Schlüsselwort im Text ist die »Liebesgeschichte«, die »schon beim Preis beginnt«. Verschmelzung: Die Farbe des Autos spiegelt die Farbe des Marken-Logos.

06.3.18_MCDONALD’S: »McCafé« Spezifizierung: Das Foto einer Kaffeebohne wird mithilfe des Firmennamens verständlich gemacht und semantisch eingeengt. Verschmelzung: Das Foto wird aufgrund seiner ikonischen Eigenschaft der Ähnlichkeit mit einem Hamburger in das Superzeichen der Fast-Food-Kette eingebunden. Diese rein formale, syntaktische Verknüpfung suggeriert eine semantische Verbindung, indem sie die Unterstellung transportiert, man habe auf dem Kaffeehaus-Sektor eine ähnlich dominante Marktstellung wie im SchnellimbissBereich.

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07_Die strukturale Analyse der Rhetorik des Bildes »Wie erhält das Bild seinen Sinn?«, fragt Roland Barthes. Und weiter: »Wo endet dieser Sinn? Und wenn er endet, was ist hinter diesem Ende?« (Barthes 1964 a, S. 159). Ausgangspunkt der strukturalen Analyse ist die Überlegung, dass auch nichtsprachliche Informationen sprachanaloge Strukturen besitzen. Das heißt, Bilder können Aussagen sein. Sie haben dann eine eigene Rhetorik, und das gilt natürlich in noch viel stärkerem Maße für Kombinationen aus Bild und Text. In der strukturalen Analyse werden visuelle Darstellungen auf ihre quasisprachliche Struktur hin untersucht. Dadurch werden sie als Zeichenzusammenhänge lesbar. Der methodische Gewinn besteht in einer Reduktion von Komplexität, die dabei hilft, die suggestive Kraft massenmedialer Bildkonstrukte ganz zu erfassen. Untersuchungen in der Nachfolge von Barthes (Eco 1968; Ehmer 1971) haben sich immer wieder auf das »Reklamebild« bezogen; die »Signifikate der Reklamenachricht« sind, wie der Begründer dieser Methode festgestellt hat, »im Hinblick auf eine optimale Verständlichkeit gebildet«, oder, mit anderen Worten: »Die Bildreklame ist direkt, zumindest eindringlich« (Barthes 1964 a, S. 159). Die strukturale Analyse ist eine Funktionsanalyse. Welche Elemente gibt es im Akt einer visuellen Kommunikation? Wie wirken sie und was leisten sie? Das Interesse unserer entsprechenden Beispielanalysen geht in zwei Richtungen: Einerseits können sie der Schärfung des Unterscheidungsvermögens bei der Deutung dienen, andererseits können daraus konstruktive Impulse und Ansätze für eigene Entwurfsprozesse hervorgehen. 07.1_Zwei Grundbegriffe der Semiotik In der strukturalen Analyse sind zwei semiotische Begriffe besonders wichtig, die bereits in Kapitel 1 eingeführt worden sind: Denotation und Konnotation. Noch einmal zur Erinnerung: Die Denotation ist die Grundbedeutung des Zeichens; im Falle eines Wortes ist dies dessen lexikalische Bedeutung (zum Beispiel »Rose« = »Blume mit stachligem Stiel« – oder eine ähnliche Definition). Unter einer Konnotation versteht man eine Bedeutung, die zur Grundbedeutung hinzukommt, also die Begleitvorstellungen und möglichen Gedankenverbindungen, sofern sie kulturell codiert sind (zum Beispiel: die rote Rose als Symbol für leidenschaftliche, erotische Liebe). 07.2_Visuelle Mythologien Eine wichtige Grundannahme von Roland Barthes ist, dass in unserer Lebenswelt eine andauernde Produktion visueller »Mythologien« stattfindet. Mythologien sind Zeichensysteme, die als Subtext (oder als Hypertext) an andere Zeichensysteme anschließen. Nehmen wir ein Plakat, zum Beispiel das Stierkampfplakat, von dem im 2. Kapitel die Rede war: Es hat eine manifeste Aussage, aber stets auch eine oder mehrere latente Aussagen, die nicht ausdrücklich gemacht werden, sondern sich im Kopf der Betrachtenden mehr oder weniger bewusst von selbst herstellen – bestenfalls aufgrund präziser Determinanten im Plakat.

Was ist das »Prinzip des Mythos«? Roland Barthes sagt: »[...] er verwandelt Geschichte in Natur«. Das heißt in diesem Falle, dass Zusammenhänge, die von Menschen gemacht sind, als unveränderliche Naturvorgänge erscheinen, die von selbst entstanden sind: »[...] alles vollzieht sich, als ob das Bild auf natürliche Weise den Begriff hervorriefe, als ob das Bedeutende das Bedeutete stiftete« (Barthes 1957, S. 113). Dieses Verfahren kann hilfreich sein, wenn man komplizierte Vorgänge vereinfacht darstellen möchte. Es kann aber auch am Denken hindern. Barthes erkennt darin, dass »›Natur‹ und ›Geschichte‹ ständig miteinander verwechselt werden«, einen »ideologischen Mißbrauch« (ebd., S. 7). Wer den Dingen auf den Grund gehen will, muss sich darüber im Klaren sein, dass in unserer Kultur und in unserer Gesellschaft nichts so sein muss, wie es ist. Alles könnte auch anders sein, als es ist (dies bezeichnet man als Bewusstsein der Kontingenz). Und in vieler Hinsicht wäre es höchst wünschenswert, dass es anders wäre (das ist das Denken der Utopie). Die Produktion visueller Mythologien kann dazu dienen, uns am Nachdenken darüber zu hindern. Wenn die Welt nun einmal so ist, wie sie ist, und immer so bleiben wird, wenn die Zeichen gleichsam von Natur aus den Dingen zugeordnet sind, dann besteht keine Notwendigkeit, kritisch über die Ordnung der Dinge und der Zeichen nachzudenken. Früher wurde die Unveränderlichkeit der bestehenden Zustände mit dem Hinweis auf die göttliche Ordnung gerechtfertigt, heute meist mit dem Hinweis auf die Ökonomie des Marktes oder auf die biologischen Grundlagen unseres menschlichen Daseins. Mythologien funktionieren, in semiotischer Terminologie, folgendermaßen: Ein Zeichen ist (wie in Kapitel 4 ausgeführt wurde) immer ein Drittes. Es setzt sich aus zwei Aspekten zusammen: dem Bezeichneten (Signifikat) und dem Bezeichnenden (Signifikant). Mythologien bilden sozusagen Metasprachen, die an die bestehenden, allgemein verwendeten Sprachsysteme anschließen; oder, mit anderen Worten: Sie legen sich als sekundäre Zeichensysteme darüber (ebd., S. 92). Die Zeichen der Mythologien sind Meta-Zeichen. Sie bilden wiederum jeweils ein Drittes, das sowohl das ursprüngliche Zeichen als auch die weitere Bedeutung in sich einschließt, für die es nun steht. Es wird also mit einem Signifikat verbunden, welches zuvor noch keine Rolle spielte. Wir versuchen, das an einem einfachen Beispiel zu erläutern: Angenommen, die erste Zeichenebene ist die Abbildung eines geöffneten Mundes mit herausgestreckter Zunge. Wird diese Abbildung als Zeichen verwendet, kann sie als Signifikant etwa für die Signifikate »Appetit«, »sinnliche Lust«, »jugendliche Lebensfreude« oder »infantile Oralfixiertheit« stehen. Wir haben also drei Bestandteile: zunächst das Bild des Mundes selbst, dann die Bedeutungen, die damit verbunden werden können, und schließlich das Zeichen, das beides (nämlich Bild und Bedeutungen) integriert. Nun kann die sekundäre Systembildung der »Mythologie« erfolgen: Eine Abbildung eines geöffneten Mundes mit herausgestreckter Zungenspitze kann konnotativ u.a. für die Signifikate »Appetit«, »Lust«, »Lebensfreude« oder »Oralfixiertheit« stehen. Diese Abbildung wird mit einer weltweit erfolgreichen Rockband verbunden. Als Logo der Firma Rolling Stones steht das Zeichen nun zusammenfassend für die Aspekte »Lust und Lebensfreude« einerseits und »Rolling Stones« andererseits. Jetzt sind dies die beiden Aspekte des

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Bedeuteten und des Bedeutenden, und seit das Zeichen in Umlauf ist, gelten diese beiden Aspekte, scheinbar auf ganz natürliche Weise, als sein semiotischer Gehalt. Mit dem folgenden Schema hat Barthes (1957, S. 93) das Andocken des sekundären Bedeutungssystems verdeutlicht: 1. Bedeutendes

2. Bedeutetes

SPRACHE 3. Zeichen I. BEDEUTENDES

II. BEDEUTETES

MYTHOS III.ZEICHEN

Angewandt auf unser Beispiel sieht das Schema so aus: 1. Bedeutendes

Mund

2. Bedeutetes

Lust

SPRACHE 3. Zeichen I. BEDEUTENDES

MYTHOS

Mund als Symbol für den Sinngehalt ›Lust‹

II. BEDEUTETES

musikalischer Ausdruck und Haltung der Rolling Stones

III.ZEICHEN

poppiger Mund als Firmenlogo der Rolling Stones

Die Beispiele dieses Kapitels kommen aus dem Bereich der Werbung. Hier lässt sich mit den Mitteln strukturaler Analyse zeigen, wie Mythologien hergestellt werden, indem Wahrnehmung automatisiert bzw. ein automatisches Wahrnehmen und schnelles Erfassen der verschiedenen Nachrichten, die in ein und demselben Bild enthalten sind, inszeniert wird. Es gibt immer mehrere Botschaften zugleich. Sie wirken simultan, können aber nur nacheinander analysiert werden. Kommunikationsdesignerinnen und -designer sollten wissen, wie das gemacht wird, und sie sollten auch wissen, wie Kommunikationsdesign bei der Produktion von Ideologie mitwirken kann. Was man darüber weiß, weiß man im Wesentlichen durch die strukturale Analysemethode. Es ist wichtig, immer zu bedenken, dass es in der strukturalen Analyse der Botschaften von Bild-Text-Kombinationen nicht primär darum geht, herauszufinden, was die Urheber der Botschaft ausdrücken wollten. Wir möchten im Folgenden nicht interpretieren, was sich die Gestalter der Anzeigen gedacht haben – wir möchten vielmehr herausfinden und semiotisch deuten, was sie gemacht haben. Dazwischen kann es durchaus erhebliche Differenzen geben. Grundsätzlich gilt: Für die Wirkung einer öffentlichen (werblichen, aufklärerischen usw.) Botschaft kommt es primär nicht darauf an, welche Intentionen diejenigen hatten, die diese Botschaft codiert haben, sondern vielmehr darauf, welche Konnotationen sich bei Betrachtern einstellen können, die die Botschaft decodieren. Selbstverständlich ist es nicht möglich, von vornherein das ganze Spektrum jener Konnotationen zu ermitteln. Dies ist die Bedingung dafür, dass sich die verschiedenen Ausdrucksformen stetig wandeln und weiter entwickeln können. Andernfalls ließe sich erfolgreiche Werbung vorprogrammieren, was im besten Falle langweilig und im schlimmsten Falle gefährlich wäre. So wie die Dinge liegen wird es also weiterhin dazu kommen, dass ein Unternehmen manchmal von einer ungeplanten Interpretation profitiert (wie in Kapitel 04.5 anhand des Apple-Logos erwähnt wurde, siehe S. 37) oder auch durch eine ungeplante Interpretation Schaden nimmt. In den meisten Fällen wird sich freilich kein nachweislicher Nutzen und auch kein nachweislicher Schaden einstellen, aber zwischen Codierung und Decodierung zweckgerichteter Botschaften wird sich eine Menge mehr abspielen, als durch eine rein auf Zweck und Effizienz fixierte Denkweise vorhergesehen werden kann.

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Titelblatt »Paris Match«, 1955

Roland Barthes entdeckte das für ihn initiale Beispiel beim Friseur, als er wartend durch Zeitschriften blätterte. In seinem berühmten Buch Mythen des Alltags, das er in den 1950er Jahren schrieb, entwickelte Barthes anhand dieses Beispiels seine Theorie der visuellen Mythologie: Ein Titelblatt der Illustrierten Paris Match (Nr. 326, Juni/Juli 1955) zeigte einen jungen schwarzen Soldaten in der Uniform der französischen Armee beim Fahnengruß, »den Blick erhoben und auf eine Falte der Trikolore gerichtet« (Barthes 1957, S. 95; korrekt übersetzt müsste es heißen: »den Blick erhoben und wahrscheinlich auf eine Falte der Trikolore gerichtet«). Frankreich, schreibt Barthes, werde in derartigen Bildern nicht als die Kolonialmacht dargestellt, die es in Wahrheit sei, mit all den damit verbundenen Problemen, welche staatliche Gewalt, Unterdrückung und Freiheitsberaubung nach sich zögen, sondern vielmehr als ein Land, dessen Söhne ihm ohne Unterschied freudig dienten, um die Freiheit zu verteidigen. Der algerische Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich dauerte von 1954 bis 1962. Die Botschaft des Bildes laute, »daß Frankreich ein großes Imperium ist, daß alle seine Söhne, ohne Unterschiede der Hautfarbe, treu unter seiner Fahne dienen und daß es kein besseres Argument gegen die Widersacher eines angeblichen Kolonialismus gibt als den Eifer dieses jungen

US NAVY, »Let the Journey begin«

Negers, seinen angeblichen Unterdrückern zu dienen« (ebd.). Diese Mythologie brauchte eine Herrschaftsform, die zwar historisch zum Untergang bestimmt war, sich aber noch eine Zeit lang am Leben halten wollte. Dass diese Art der Mythologie- oder Ideologieproduktion auch fünfzig Jahre später noch immer in Blüte steht, mag ein relativ neues Beispiel einer Werbung für die U.S. Navy belegen, die Ähnlichkeit mit dem Beispiel von Barthes aufweist. Für Barthes war das Titelblatt mit dem Fahnengruß ein Beispiel für »ein erweitertes semiologisches System«: »[…] es enthält ein Bedeutendes, das selbst schon von einem vorhergehenden System geschaffen wird (ein farbiger Soldat erweist den französischen militärischen Gruß), es enthält ein Bedeutetes (das hier eine absichtli-

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che Mischung von Franzosentum und Soldatentum ist), und es enthält schließlich die Präsenz des Bedeuteten durch das Bedeutende hindurch« (ebd.). 07.3_Die Nachrichten des Bildes Barthes’ Grundthese zur Analyse der Rhetorik des Bildes ist, dass jede Bild-TextKombination grundsätzlich drei Botschaften hat: eine verbale Botschaft, die aus zwei Ebenen besteht, und zwei Bildbotschaften. Der Einfachheit halber spricht Barthes nicht von den »drei Nachrichten der Bild-Text-Kombination«, sondern von den »drei Nachrichten des Bildes«. Er unterscheidet zwischen der linguistischen (sprachlichen) Nachricht und der ikonischen (bildlichen) Nachricht. Die sprachliche Nachricht umfasst Denotationen und Konnotationen, die bildliche Nachricht umfasst einerseits nicht codierte (denotative) Elemente und codierte (konnotative) Elemente. 1_Die linguistische Nachricht ist die sprachlich formulierte Botschaft; sie besteht aus Denotationen (einfache Bedeutungen der Worte und Zeichen) und Konnotationen (Begleitvorstellungen, die zur Grundbedeutung hinzukommen). »Was die Textbotschaft zunächst rein referenziell bedeutet, wird durch die konnotative Bedeutung geöffnet und zum Konnotationszeichen für eine symbolische Botschaft«, formuliert der Soziologe Stefan Müller-Doohm, der eine kultursoziologische Hermeneutik auf den Spuren von Barthes entwickelt hat. Die so produzierte symbolische Botschaft »ist als Sinnsprache Teilmoment einer kulturellen Diskurspraxis« (Müller-Doohm 1997, S. 101). 2_Die nicht codierte ikonische Nachricht besteht aus den erkennbaren abgebildeten Gegenständen (so, wie wir sie vermöge der Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung erkennen). 3_Die codierte ikonische Nachricht besteht aus den Konnotationen der Bildelemente (den Begleitvorstellungen, die aufgrund unseres kulturellen Kontextwissens hinzukommen). Sie spricht gleichsam eine durch Konnotationen geprägte Metasprache, die den Sinn bzw. die Bedeutung des Bildes bestimmt und die Richtung(en) vorgibt, in denen die Betrachter die Bildbotschaft dechiffrieren. »Der Betrachter empfängt die sinnlich wahrnehmbare und die, dank der eigenen Bildung erkannte, ›kulturelle‹ Nachricht gleichzeitig« (Barthes 1964 a, S. 162). Dabei vermischen sich in der Rezeption textliche und bildliche Zeichen sowie Denotationen und Konnotationen der Zeichen miteinander. »In einem einzigen Menschen finden sich […] ein Pluralismus und eine Koexistenz von Leseweisen« (ebd., S. 163). Die Vermischung der Zeichen wird nun methodisch analysiert, wodurch die unterschiedlichen Wirkungsweisen der Einzelbotschaften beschreibbar werden. Nach Müller-Doohm geht es in diesem Bereich um die ›Rekonstruktion eines Bedeutungsfeldes‹, in dem sich das Ganze des symbolischen Zusammenhangs jeweils entfaltet (ebd., S. 101). Umberto Eco hat in den 1960er Jahren die Beschreibung der »visuellen Rhetorik« von Gui Bonsiepe und die strukturale Analysemethode der »Rhetorik des Bildes« von Roland Barthes übernommen. Leider hat er dabei so getan, als handele es

sich dabei lediglich um Vorarbeiten zu seinen eigenen Errungenschaften; er bezeichnete die einschlägigen Untersuchungen von Barthes und Bonsiepe als Arbeiten, die »auf bloß vorfühlende Weise« durchgeführt hätten, was er selbst dann überhaupt erst methodisch ausgeführt hätte (Eco 1968, S. 269). Dabei hat Eco die Sache allerdings auf produktive Weise vereinfacht: Er spricht nicht mehr von »drei Nachrichten«, die dann eigentlich doch wieder »vier« sind, weil die linguistische Nachricht ja in zwei Ebenen zu unterscheiden ist, sondern unterscheidet stattdessen insgesamt zwischen zwei Ebenen. Er schreibt: »Die Reklamecodes funktionieren auf einem doppelten Register: a) einem verbalen und b) einem visuellen« (ebd., S. 271). Auf jeder Ebene trennt Eco wiederum jeweils zwei Bereiche: die Denotationen und die Konnotationen der verbalen Botschaft sowie die Denotationen und die Konnotationen der visuellen Botschaft. Der »linguistischen Nachricht« mit Denotationen und Konnotationen entspricht das »verbale Register« mit Denotationen und Konnotationen. Der »nicht codierten ikonischen Nachricht« entsprechen die Denotationen des »visuellen Registers«. Der »codierten ikonischen Nachricht« entsprechen die Konnotationen des »visuellen Registers«. Auch diese Terminologie ist sinnvoll und in Analysen anwendbar. Um die Sache übersichtlich zu halten, arbeiten wir wie Eco mit einer Gliederung, die statt drei Nachrichten vier unterscheidet. Die vier Nachrichten eines Bildes sind dann 1. die Denotationen der linguistischen Nachricht und 2. die Konnotationen der linguistischen Nachricht, sowie 3. die Denotationen der ikonischen Nachricht und 4. die Konnotationen der ikonischen Nachricht. In unserer Terminologie ist wie bei Eco nicht mehr von Roland Barthes’ »nicht codierter ikonischer Nachricht« die Rede, sondern stattdessen von den Denotationen der bildlichen Nachricht. Das trägt einer Problematik Rechnung, auf die im semiotischen Diskurs von Eco und anderen hingewiesen worden ist: Ikonische Nachrichten bestehen demzufolge immer schon aus visuellen Zeichen, und diese sind stets Teile eines Zeichensystems. Daher ist es irreführend, von »nicht codierten ikonischen Nachrichten« zu sprechen. Diese Schwierigkeit hängt damit zusammen, dass Barthes mit einem starken Begriff der »Codierung« gearbeitet hat. Dieser beinhaltet, dass Botschaften erst als Teil eines Codes ihre kulturellen und sozialen Bedeutungsimplikationen entfalten. Darüber gibt es in der Semiotik verschiedene Auffassungen. Man kann es ganz schlicht als falsch bezeichnen, dass Barthes die ikonischen Elemente einer Nachricht für etwas gehalten hat, das man, wenn auch nur in einer bestimmten Hinsicht, als »nicht codiert« bezeichnen kann, denn die ikonischen Zeichenelemente haben immer schon symbolische Anteile, da die Art und Weise, wie sie decodiert werden, stets von erlernten kulturellen Codierungen abhängt. Diese Korrektur beeinträchtigt indessen die analytische Kraft der Barthes’schen Methode in keiner Weise, daher wenden wir sie mit dieser leichten Modifikation an.

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»SAT 1«-Anzeige in Der Spiegel, 1999

Wir beginnen mit den Aspekten der linguistischen Nachricht, also der sprachlich formulierten Botschaft. Das nötige Wissen, um diese Nachrichten verstehen zu können, besitzen wir, wenn wir die betreffende Sprache beherrschen. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht (das heißt, die einfachen Bedeutungen der Wörter u. Sätze): »Innovationen«, »Premieren«, »Bei uns sehen Sie die meisten«, »SAT 1« [unterer Textblock], »Bitte drücken: www.sat1.de«, »FCB/Wilkens«.

2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht (Vorstellungen die die Grundbedeutung der Worte z. B. auf emotionaler, expressiver, stilistischer Ebene begleiten): »Innovationen«: Das Wort denotiert »neue Ideen«, »Neues«. Hätte man jedoch das Wort »Neues« verwendet, wären die Konnotationen herkömmlich, altmodisch und weniger »spritzig«. Das Wort »Innovationen« denotiert nicht nur »Neues«, sondern konnotiert es auch zusätzlich. Werfen wir einen Blick auf die Typografie: »Innovationen« ist versal und serifenlos in goldener Farbe gesetzt. Die Schrift wirkt beleuchtet, sie wirft einen Schatten. Das Wort steht (gemeinsam mit »Premieren«, »Bei uns sehen Sie die meisten«, »SAT 1« und dem unteren Textblock) in mittelachsigem Satz. All das bewirkt, dass der Schriftzug »edel«, »wertvoll«, »theatralisch«, »erhaben«, »heroisch«, »legendär«, vielleicht sogar »göttlich« u.Ä. konnotiert. Das Substantiv »Innovationen« steht im Plural. Auf diese Weise konnotiert es »Neues ohne Ende« (»eine Innovation nach der anderen«). Durch das Adjektiv »innovativ« entstünde diese Wirkung nicht. Es könnte auch nicht für sich allein stehen, sondern müsste sich auf »Premieren« beziehen. Die Substantivformen »Innovationen« und »Premieren« konnotieren, dass SAT 1 immerzu Innovationen und Premieren bringt, eben eine nach der anderen. Substantive haben nicht selten etwas »Dinghaftes«, sie können für sich allein stehen und daher eher »Stärke« und »Macht« konnotieren als Adjektive. »Premieren« ist ebenfalls versal und serifenlos in goldener Farbe gesetzt; die Schrift wirkt beleuchtet und wirft einen Schatten. Gemeinsam mit »Innovationen«, »Bei uns sehen Sie die meisten«, »SAT 1« und mit dem unteren Textblock steht auch dieses Wort in mittelachsigem Satz. Die Konnotationen sind die gleichen wie bei »Innovationen«. Die Konnotationen »Stärke« und »Macht« werden hier noch dadurch unterstützt, dass »Premieren« in einer größeren Schrift gesetzt ist. Die abgebildete Frau scheint den Schriftzug zusammen mit der SAT-1-Kugel und dem Wort »Innovationen« zu tragen, ohne etwas davon zu berühren. Der Plural des Substantivs »Premieren« konnotiert auch hier: »Premieren ohne Ende«. Hinsichtlich der Typografie fällt auf, dass der Schriftzug angeschnitten ist: Wir sehen sozusagen nur einen Ausschnitt einer endlosen Fülle. »Premieren« konnotiert weiterhin »Exklusivität«. Das wertet den Sender und die Zuschauer und damit auch die Betrachter der Anzeige auf. Normalerweise kann nur ein kleiner Kreis von Ausgewählten an Premieren teilnehmen: geladene Gäste, Künstler, VIPs und die Presse. Im Medium Fernsehen fällt dieser Aspekt weg; das Fernsehen ist eigentlich das Medium der Serialität, der Wiederholung per se. Im Gegensatz dazu gibt es Theater- und Kinopremieren. Die »Premieren«Konnotationen werden hier somit auf die Welt des Fernsehens übertragen.

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»Bei uns sehen Sie die meisten«: Die Zeile ist ebenfalls versal und serifenlos in goldener Farbe gesetzt, auch hier wirkt die Schrift beleuchtet und wirft einen Schatten. Wie »Innovationen«, » Premieren«, »SAT 1« und der untere Textblock steht sie in Mittelachse. Die Konnotationen sind auch hier dieselben, die oben genannt wurden. Aufgrund der durchgehenden Verwendung von Versalien ergibt sich eine semantische Mehrdeutigkeit: Der Satz ist einerseits im Sinne optimaler Leistung für den Zuschauer lesbar (der Zuschauer wird direkt angesprochen, er kann die meisten Premieren bei SAT 1 sehen), und andererseits ist der Satz im Sinne maximaler Einschaltquoten lesbar (die Premieren, die SAT 1 sendet, werden von den meisten Zuschauern gesehen). »SAT 1«: Der Name des Senders wird mit einer Banderole dargestellt. Er ist ebenfalls versal und serifenlos in goldener Farbe gesetzt, in Mittelachse mit den anderen Textteilen der Anzeige. Das Goldband ist ein neues Element: Nur die Schönsten und Besten erhalten bei Preisverleihungen eine Schärpe, nur die hochwertigsten Pralinen oder Zigarren werden mit einer Banderole ausgezeichnet ... Die helle Schrift auf dunklem Grund hebt den Inhalt hervor. Im Unterschied zu den bisher analysierten Elementen erscheint der untere Textblock im Blocksatz und nicht durchgehend in Versalien, aber auch er ist in goldener Farbe und zentriert gesetzt. Wie zuvor hebt die helle Schrift auf dunklem Grund den Inhalt hervor. Hier ergeben sich ebenfalls die oben aufgezählten Konnotationen – freilich etwas abgeschwächt, auch durch das Fehlen der geheimnisvollen »Beleuchtung«. Der Blocksatz und die Anordnung im unteren Teil der Seite lassen diesen Teil der Anzeige an ein Kinoplakat erinnern. So wird klassische Filmkultur konnotiert. »Bitte drücken: www.sat1.de«: Denotiert wird hier, dass auf der angegebenen Internetseite Informationen über Programm und Sender zu finden sind. Konnotiert wird, dass der Sender international, dynamisch, modern und zukunftsorientiert ist. Diese Konnotation wurde freilich mit der Zeit abgeschwächt, da fast jedes Unternehmen heute eine eigene Homepage besitzt. Zur Typografie: Eine kleine Schrift, gegen die Leserichtung am Rand der Anzeige, besagt, dass diese Information nicht besonders wichtig ist. »FCB/Wilkens« denotiert den Namen der Werbeagentur, von der die Anzeige gestaltet wurde. Es ist denkbar, dass Agenturen ihren Namen nur in ausgewählten Fällen am Anzeigenrand nennen; sie bringen damit zum Ausdruck, dass sie diese Anzeige für besonders wichtig und gelungen halten. Denkbar ist aber auch, dass bestimmte Auftraggeber es nicht mögen, wenn die Agentur eine Anzeige dazu nutzt, für sich selbst zu werben.

3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht – Barthes nennt sie »eine gewisse informationsähnliche Substanz« (Barthes 1964 a, S. 161) – sind die Informationen, die übrig bleiben, wenn man alle codierten Botschaften des Bildes abzieht. Diese ergeben sich einfach (sozusagen auf der untersten Komplexitätsebene) daraus, dass man die abgebildeten Gegenstände erkennen kann. Das Wissen dazu haben wir aus unserer Fähigkeit der Wahrnehmung. In diesem Fall sind das: Kugel-Ausschnitt, Frau, Himmel 4_Bei den Konnotationen der ikonischen Nachricht spielen nicht die einfachen Bedeutungen der Bildelemente eine Rolle, sondern deren beiherspielende und gleichwohl besonders wirkungsvolle Bedeutungen der zweiten Ordnung. Es gibt beim vorliegenden Beispiel zahlreiche Überschneidungen mit den Konnotationen der linguistischen Nachricht. Der Kugel-Ausschnitt: Dabei handelt sich um das Firmenzeichen von SAT 1. Die Frau trägt ihre Kugel mit ähnlich heroischer Haltung wie der Titan Atlas die Himmelskugel. Die Welt ist die Welt von SAT 1. Oder: SAT 1 ist die Welt! Die Betrachter verknüpfen die Schriftzüge »Innovationen« und »Premieren« mit dem Firmenzeichen. Daher lautet die implizite Botschaft: »Die Premieren von SAT 1 sind Weltpremieren [auch wenn dies in den meisten Fällen natürlich nicht zutrifft] und die Innovationen bei SAT sind globale Innovationen«. Die Frau: Ihre Körperhaltung, das lange, schulterfreie Kleid, der unnahbare, verschlossene Blick, die Beleuchtung und Anordnung in Mittelachse konnotieren Feierlichkeit, Würde und Strenge, Erhabenheit, Entrücktsein von der Alltagswelt. Weitere mögliche Konnotationen: »Diva«, »Heldin«, »Hohepriesterin«, das Reich der Klassik. Wie Hermann K. Ehmer analog in einer Analyse einer Schnapswerbung aus den 1960er und 70er Jahren beobachtet hat, signalisiert »die axialsymmetrische Anordnung der Bildform«, kunsthistorisch betrachtet, immer einen »feierlichen, sakralen Charakter«. Der Blick des Betrachters wird von unten hinauf geführt, und das erzeugt »eine Quasi-Devotions- um nicht zu sagen »Adorationshaltung« (Ehmer 1971, S. 176). Der Himmel: Die Darstellung des Himmels unterstützt die bisher genannten Konnotationen. Die Röte kann Morgenröte bedeuten und damit konnotieren, dass Aufbruchstimmung herrscht, weil hier ein neues Zeitalter des Fernsehens und des Films beginnt (siehe oben: »Innovationen«). Die Lichtstrahlen kommen vom Himmel, sie passen daher in das Konnotationsfeld des Göttlichen und Hohepriesterlichen, ebenso das tiefe Blau. Die Röte kann aber auch Abendröte bedeuten. Dann konnotiert sie die weihevolle Stimmung des Abends, die Atmosphäre einer herannahenden, geheimnisvollen und mythischen Nacht: Archaische Rituale und Opferzeremonien beginnen oft in der Abenddämmerung. Übrigens ist der Himmel sichtlich aus zwei symmetrischen Teilen montiert, was den »klassischen« Mittelachsen-Charakter der Anzeige noch verstärkt.

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Zusammenfassend: Alle Konnotationen produzieren gleichsam eine Hyper-Konnotation, nämlich das Superzeichen »Hollywood«. Von hier aus zeigt sich, dass die Anzeige durch eine Art Widerspruch gekennzeichnet ist: Es wird behauptet, dass permanent Innovationen und Premieren stattfinden, aber diese Botschaft wird auf eine ganz und gar traditionelle Weise präsentiert. Die Anzeige konnotiert so stark die herkömmliche Filmwerbung, dass eigentlich eine andere Botschaft vermittelt wird: SAT 1 bringt nichts Neues, sondern die ewige Wiederkehr des Gleichen. Immerzu werden Filme gezeigt, die dem Mainstream entsprechen und die großen, immer gleichen Themen Hollywoods auf immer gleiche Weise behandeln: Liebe, Gefahr, Kampf, Tragik, große Gefühle und Komik. Eine ganz andere Konnotation ist jedoch ebenfalls möglich: Hier spiegelt sich ein Medium im anderen; das ältere Medium Film spiegelt sich im neueren Medium TV. Das neuere Medium gemeindet das ältere ein, es zwingt ihm sein Format auf. Das bringt zwar das ältere Medium in Schwierigkeiten, weil viele Menschen sich Filme mehr und mehr auf käuflich erwerbbaren oder ausleihbaren Datenträgern ansehen. Aber man darf nicht übersehen, dass das Fernsehen auch davon profitiert, denn dadurch werden Fernsehzuschauer auf den Geschmack gebracht und gehen dann auch ins Kino. Das neuere Medium braucht aber auch das ältere, weil es sonst sein Programm nicht attraktiv gestalten könnte. Die ökonomische Abhängigkeit des Fernsehens befördert die Tendenz zu einem gigantischen, ununterbrochenen Werbeblock – da diesen niemand ansehen würde, muss das Programm auch einen nichtwerblichen Content haben, der zu einem gewissen Teil aus Filmen bestehen muss, um Zuschauer anzulocken. Fernsehen und Film, früher tödlich verfeindet und harte ökonomische Konkurrenten, sind heute aufeinander angewiesen. In den 1950er und 1960er Jahren drohte das Fernsehen, dem Kino den Garaus zu machen; heute haben beide ein Zweckbündnis geschlossen und profitieren voneinander.

»BOEING«-Anzeige in Der Spiegel, 1999

1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht, also, vereinfacht gesagt, die Bedeutung der Wörter u. Sätze: »Ein Stück unserer Erfolgsgeschichte wird nahe der Marksburg geschrieben.« Die zwei Textblöcke. Der Schriftzug »BOEING«. »www.boeing.com« 2_Zu den Konnotationen der linguistischen Nachricht, also den Begleitvorstellungen, welche die Grundbedeutung der Worte z. B. auf emotionaler, expressiver, stilistischer Ebene begleiten:

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»Ein Stück unserer Erfolgsgeschichte wird nahe der Marksburg geschrieben.« Dieser Satz ist der Form nach eine Aussage, er behauptet etwas. Behaupten kann man so gut wie alles, ganz gleich, ob es wahr oder falsch ist. Das Besondere in diesem Fall: Die explizite Behauptung des Aussagesatzes enthält implizit eine weitere Behauptung: »Die Geschichte der Firma Boeing ist eine Erfolgsgeschichte.« Wer spricht die Behauptung aus? Offensichtlich die Firma Boeing. Der Schriftzug des Namens mit dem Firmenzeichen steht an der Stelle, wo sich gewöhnlich die Unterschrift unter einem Brief befindet. Selbstverständlich kann nur eine Person etwas unterschreiben und nicht eine Institution bzw. ein Wirtschaftsunternehmen. Doch hier steht der machtvolle Weltkonzern im Blickpunkt; er ist bedeutender, als es noch sein bedeutendster Repräsentant wäre, und dessen Namen würden die Betrachter dieser Anzeige ja auch nicht kennen. Zur Typografie: Dass die Schrift versal ist, könnte die Macht des Namens und die behauptete Richtigkeit der impliziten und der expliziten Behauptung unterstreichen. Das Wort »unsere« steht für eine weitere implizite Aussage: »Die Firma Boeing, das sind wir, eine Firma, zu der alle Beteiligten als Personen gehören.« Das Wort »unsere« signalisiert ein egalitäres Wir-Gefühl. Es macht alle Mitarbeiter der Firma, von der Reinigungskraft bis zum Spitzenmanager, scheinbar gleich, indem es von ihren Funktionen innerhalb des Betriebs und der unterschiedlichen Macht- und Einkommensverteilung abstrahiert. Das Wort »Marksburg« denotiert eine historische Burg in der Nähe von Koblenz. Konnotativ kann es für den Schutz vor Feinden stehen, damit im übertragenen Sinn auch für den Schutz vor der wirtschaftlichen Konkurrenz (das hängt natürlich mit dem in Krisenzeiten viel beschworenen Standortdenken zusammen). Es kann für Sicherheit, Erfolg und Kontinuität stehen, für Deutschland, Tradition, Geborgenheit, Macht und Ähnliches mehr. Dass der Name der Burg »markige« Konnotationen hat, die nichts mit der Bedeutung des Eigennamens zu tun haben, unterstützt die Wirkung. Alle genannten Konnotationen beziehen sich sowohl auf die Flugzeuge der Firma Boeing, deren hoher Sicherheitsstandard in der Anzeige hervorgehoben werden soll, als auch auf die Solidität der Firma Boeing im Ganzen (weltweit) und an ihrem Teilstandort Deutschland im Besonderen. Der Satz »Ein Stück unserer Erfolgsgeschichte wird nahe der Marksburg geschrieben« enthält überdies ein Sprachspiel, das mit dem Mittel der Übertragung entsteht. Mit der Marksburg wurde versucht, deutsche »Geschichte zu schreiben«, als Kaiser Wilhelm II sich 1900 dafür einsetzte, die einzige unzerstörte deutsche Burg am Rhein instandzusetzen. In ihrer Umgebung also wird heute »die Erfolgsgeschichte einer Weltfirma geschrieben«. Kommen wir nun zu den beiden Textblöcken. Das Wort »Burgen« steht, wie zuvor angemerkt, für den Schutz vor Feinden, für Sicherheit, Erfolg und Kontinuität,

für Deutschland, Tradition, für Geborgenheit und Macht sowie für historische Orte u.Ä. »Rhein« ist hier ein pars pro toto: der Fluss steht für das Land, durch das er fließt, der Rhein also für Deutschland. Weiterhin steht der Name dieses Flusses in unserem Kulturkreis auch für Kontinuität, Tradition, Zuverlässigkeit, für das Bleibende im Wechsel und im Bewusstsein älterer Leser wohl auch für die vaterländisch-ideologische Fiktion eines Naturhaft-Ewigen im geschichtlichen Wandel (»Fest steht und treu die Wacht, / Die Wacht am Rhein!«). Die Worte »Burgen« und »Rhein« besitzen eine weitere kulturgeschichtliche Konnotation, denn sie stehen für die ästhetischen Werte der deutschen Romantik. Vorstellungen vom Erhabenen und Schönen wurden in dieser Epoche gern mit Bildern der rheinischen Landschaft und mittelalterlichen Burgmotiven versinnbildlicht. Die Werber wollen den Betrachtern auf diese Weise vermutlich deutlich machen, dass die Mitarbeiter der Firma Boeing keine fantasielosen Technokraten, sondern auch Ästheten sind: ›Seht unsere Flugzeuge an: Sie sind nicht nur sicher, schnell und zuverlässig, sondern auch schön. Sie trotzen Wind und Wetter und verkörpern die Stellung des Menschen gegenüber dem Erhabenen in der Natur: Der Mensch trotzt den Kräften, die ihn zu zermalmen drohen, und beweist damit die eigentliche und wahre, nämlich seelisch-geistige Erhabenheit.‹ Die bereits erwähnte Redensart »Wind und Wetter« hat eine ähnliche Doppelfunktion wie das Wort »Burgen«. Zum einen sind die Flugzeuge von Boeing gemeint, die im buchstäblichen Sinne alle Hindernisse der Witterung überstehen. Zum anderen stehen »Wind und Wetter« metaphorisch für die Widrigkeiten der Konkurrenz und das Auf und Ab der wirtschaftlichen Lage, die das Unternehmen Boeing übersteht. »Hoogovens Aluminium Walzprodukte GmbH« denotiert eine Firma mit (Teil-) Sitz in Koblenz und konnotiert zugleich im weitesten Sinne »global«: Hier wird internationales Wissen und Können eingesetzt. Die Erwähnung der »Teams um Dr. Alfred Heinz und Dr. Otmar Müller« signalisiert Gemeinschaft; alle Mitarbeiter arbeiten gleichberechtigt an einem Projekt. Es heißt nicht etwa: »Teams unter der Leitung von Dr. Alfred Heinz und Dr. Otmar Müller«. Auch hier werden die Rangunterschiede heruntergespielt, die Firmenhierarchien, auch flache, kennzeichnen. Die Doktortitel der beiden Teamchefs stellen denn auch konnotativ die Gleichheit innerhalb der Teams in Frage, denn sie signalisieren gehobenes Sozialprestige und stehen im Bereich der Wissenschaft für ein hierarchisches System der Belohnung besonderer Leistungen durch Karrierestufen, für wissenschaftliche Auszeichnungen, besondere Kompetenz und Erfolg. Dass die Namen der beiden Ingenieure so ausgesprochen deutsch konnotieren, dürfte Zufall sein, passt aber recht gut zur Atmosphäre rheinischer BurgenRomantik.

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Mit den Worten: »sich stets wohl und geborgen fühlen« taucht an dieser Stelle denotativ eine Bedeutung auf, die bei vielen anderen Zeichen in dieser Anzeige auf der konnotativen Ebene erschienen ist. »Boeing arbeitet eben immer mit den Besten ihres Fachs. In Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt«: Hier werden die möglichen negativen Konnotationen von »Deutschland« mithilfe der Wortkombination unbedeutend gemacht. Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Borniertheit und rückständige Gemütlichkeit – all das tritt zurück, und der Akzent liegt, signalisiert durch den Schlusspunkt der Steigerung, eindeutig darauf, dass man heute in Deutschland im fortschrittlichen Verbund mit »der ganzen Welt« agiert. Der Firmenname Boeing, in schräg gestellten, serifenlosen Versalien, konnotiert, dass die Firma international, modern, dynamisch und zukunftsorientiert ist. Die beiden Zeichen rechts unten befinden sich dort, wo bei einem offiziellen Schreiben die Unterschrift zu finden ist. Das gibt den Zeichen konnotativ einen bestätigenden Charakter. »www.boeing.com« denotiert, dass unter diesem Namen Informationen über die Firma im Internet zu finden sind. Es konnotiert, dass die Firma international, modern, dynamisch und zukunftsorientiert ist. Das hatte im Jahre 1999 noch einen markanteren Stellenwert als heute, wo sich Internet-Präsenz von selbst versteht. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht sind ein informationsähnliches Substrat, das übrig bleibt, wenn man alle codierten Botschaften des Bildes abzieht; es handelt sich schlicht darum, dass man die abgebildeten Gegenstände erkennen kann; das Wissen dazu haben die Betrachter aus der Wahrnehmung. In diesem Fall: Burg auf Berg bei aufziehendem Gewitter, zwei männliche Personen, Flugzeug 4_Bei den Konnotationen der ikonischen Nachricht spielen nicht die einfachen Bedeutungen der Bildelemente eine Rolle, sondern die Bedeutungen zweiter Ordnung. Es gibt auch in diesem Beispiel viele Überschneidungen mit den Konnotationen der linguistischen Nachricht: Burg auf Berg bei aufziehendem Gewitter Die gezeigte Burg konnotiert Schutz vor Feinden, Sicherheit, Erfolg, Kontinuität, Deutschland, Tradition, Geborgenheit, Macht, historische Orte sowie Schönheit und Erhabenheit im Sinne der Romantik. Dass die Burg durch die Gewittersonne angestrahlt wird, ergibt einen Spot-Effekt, der die ästhetischen Konnotationen unterstützt. Die Konnotation »Schönheit und Erhabenheit der Romantik« steht visuell dafür, dass die Mitarbeiter der Firma Boeing keine Technokraten sind, sondern auch Ästheten. Dazu passt die ästhetisierende fotografische Darstellung des Flugzeugs.

Lediglich das Bild transportiert die Botschaft »Schönheit und Erhabenheit der Romantik«. In der linguistischen Botschaft ist nur die Rede von »Wind und Wetter«; diese Worte konnotieren kaum jene Bedeutungen. Allerdings gilt auch hier, was oben schon zu »Wind und Wetter« angemerkt wurde: Zum einen sind die Flugzeuge von Boeing gemeint, die jede Witterung problemlos überstehen; zum anderen ist aber auch die Firma selbst gemeint, die »Wind und Wetter« im übertragenen Sinne problemlos übersteht, also die Widrigkeiten von Konkurrenz und Konjunkturschwankungen. Zwei männliche Personen Die beiden Herren sind von unten nach oben fotografiert, als wären sie eine Burg auf einem Berg, der man sich von unten nähert. Das unterstützt die (romantische) Konnotation der Erhabenheit. Sie tragen Trenchcoats, sind also ebenfalls gut vor Wind und Wetter geschützt. Trenchcoats waren ursprünglich Soldatenbekleidung in den Schützengräben des ersten Weltkriegs, was zur militaristisch konnotierenden Rede vom »Standort Deutschland« passt, die heute so beliebt ist. Die zivile Nutzung des Trenchcoats konnotiert die harte, lässige Männlichkeit eines Humphrey Bogart. Dr. Heinz und Dr. Müller haben lässig die Hände in den Taschen. Sie blicken beide souverän in dieselbe Richtung und damit über die Betrachter der Anzeige hinweg. Damit konnotieren sie ähnlich wie die Burg: Sie stehen für Sicherheit, Zuverlässigkeit, Optimismus, Fortschritt und Erfolg und sind gleichzeitig ganz entspannt. Wer sich ihnen anvertraut, darf sich »stets wohl und geborgen fühlen«. Flugzeug Die Schwarz-Weiß-Fotografie eines Düsenflugzeugs in der Dämmerung hat, wie gesagt, eine ästhetisierende Wirkung. Die Fenster des Flugzeugs sind beleuchtet. Auf der regenassen Rollbahn sind Lichtreflexe zusehen. Das Düsenflugzeug strahlt Sicherheit, Schönheit und Erhabenheit aus. Zur Position unterhalb des Krawattenendes, wo der Flieger strotzend gleichsam aus der Körpermitte von »Dr. Alfred Heinz« hervorragt, sei angemerkt, dass Flugzeuge und Zeppeline im frühen 20. Jahrhundert auf die symbolische Bildproduktion des visuellen Unbewussten einen geradezu überwältigenden Einfluss hatten. Träume vom Fliegen und der Schwerkraft trotzenden Flugkörpern konnten in der frühen psychoanalytischen Praxis häufig als bildliche Darstellung sexueller Phantasien dechiffriert werden, denen es gelungen war, die Traumzensur der Menschen unbemerkt zu passieren. Offenbar hallt dies am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch als Echo nach. »Reklame ist umgekehrte Psychoanalyse«, hat Leo Löwenthal einmal bemerkt. Damit meinte er, dass sich die Bild- und Wortsprache der Werbung das Wissen um die Kraft von Triebbedürfnissen und Wünschen zunutze macht, die ins Unbewusste verdrängt sind; sie tut dies jedoch nicht, um den Menschen dabei zu helfen, freier und selbstbestimmter

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denken und handeln zu können, indem über das Verdrängte aufgeklärt würde, sondern um die Menschen gleichsam von innen her auf das beworbenen Produkt zu fixieren. Um allerdings eine Äußerung Sigmund Freuds abzuwandeln: Manchmal ist ein Flugzeug auch einfach nur ein Flugzeug … Zusammenfassend: Die drei codierten ikonischen Zeichen sind denotativ völlig verschieden (Burg, Personen, Flugzeug), aber im Hinblick auf ihre konnotativen Bedeutungen nahezu identisch.

Prospekt KAISER’S-Drogeriemarkt, 2001: »Manche mögen’s weich!«

07.3.3_Beispiel-Analyse: Prospekt KAISER’S-Drogeriemarkt, 2001: Manche mögen’s weich! 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht umfassen folgende Informationen: »über 500 Drogeriemärkte«, »kd – Hier bin ich Kaiser!«, »Manche mögen’s weich!«, den Textblock im Pfeil mit Angaben zum Produkt, die Texte auf dem Produkt-Bildchen sowie die Information »Gültig ab […]« bzw. »Solange Vorrat reicht«. 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht lassen sich, auf der expressiven und auf der stilistischen Ebene, folgendermaßen zusammenfassen: Verspieltheit, eine euphorische For-You-Geste und die Parodie einer Ikone der Populärkultur. Das Firmenlogo in seiner leicht veredelten, aber doch spielerisch wirkenden Groteskschrift mit kleinen Schwüngen an den Enden der Linien präsentiert ein Wortspiel mit den Bedeutungsaspekten des Eigennamens und der allgemeinen lexikalischen Bedeutung. Normalerweise kann man davon ausgehen, dass der Adressat angesprochen wird (»›Kaiser‹ heißen zwar wir, aber hier bei uns sind Sie der Kaiser«). Bei der Anwendung einer solchen For-You-Geste – ein typisches rhetorisches Mittel der Reklame, wie Hermann K. Ehmer (1971) hervorgehoben hat – kann man damit rechnen, dass die Umkehrung vom Betrachter automatisch decodiert wird. Es scheint also der Kunde selbst zu sprechen; der Kunde identifiziert sich mit der beworbenen Firma. So wird eine euphorische Botschaft transportiert, nämlich die, dass ich (die Leserin oder der Leser) im Mittelpunkt stehe. Wenn wir einen Satz lesen, der in der ersten Person Singular geschrieben ist, findet in der Regel eine Identifikation statt, die in diesem Fall zu einer symbolischen Enteignung wird, wenn das lesende Ich gleichsam seinen ihm vom Texter zugewiesenen Platz einzunehmen hat. Der Slogan transportiert eine Kausalbehauptung, die nicht explizit formuliert wird: »Wenn wir das beworbene Produkt verwenden, dann wird unsere Kleidung luftig leicht und weich.« Dieser Slogan funktioniert, weil er ein Element des kollektiven Kulturgedächtnisses konnotiert: Er zitiert parodistisch den berühmten Filmtitel Manche mögen’s heiß (Some Like It Hot) von Billy Wilder aus dem Jahr 1959. Mit einer Parodie kann man komische Effekte erzielen – vorausgesetzt, das Publikum weiß, worauf in der Parodie angespielt wird. Man hört oder sieht dann das Parodierte gleichsam mit. So entsteht eine lustbetonte Spannung zwischen dem Anwesendem und dem Abwesenden, das im Kopf der Betrachtenden gleichwohl anwesend ist. Parodien setzen Wissen und Bildung voraus, in diesem Fall Wissen aus dem Bereich der Popkultur. Im vorliegenden Beispiel hat die Parodie freilich einen weiteren (in diesem Falle vielleicht unfreiwillig) komischen Aspekt, der darin besteht, dass die Pose von Marilyn Monroe auf dem Heißluftschacht nicht aus Manche mögen’s heiß stammt, sondern aus einem anderen Film von Billy Wilder, nämlich Das verflixte siebte Jahr (The Seven Year Itch) aus dem Jahr 1955.

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Doch das spielt weiter keine Rolle, denn das ikonische Zeichen für Marilyn Monroe wird als Superzeichen eingesetzt, dem mit Recht zugetraut wird, dass es beim Betrachter die gewünschten Reflexe auslösen wird. 3_Die Denotationen der bildlichen Nachricht: Eine Frau im weißen Kleid vor einem roten Hintergrund; Flaschen. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Der samtrote Farbton konnotiert eine edle, vornehme Atmosphäre, die zur grafisch dargestellten Kaiserkrone passt. Rot ist in der Farbsymbolik auch als Farbe der Liebe und der Leidenschaft bekannt. Im liturgischen Farbenkanon der katholischen Kirche ist Rot darüber hinaus u.a. die Farbe des Pfingstfestes; sie kann symbolisch mit der Ausgießung des Heiligen Geistes und der Gründung der Kirche verbunden werden. Das weiße Kleid wiederum konnotiert Sauberkeit, Reinheit und Unschuld. Der Rot-Weiß-Gegensatz ist also nicht nur biologisch, sondern vor allem auch theologisch grundiert. Nun zur Gestalt auf dem Bild: Die Marilyn-Monroe-Darstellerin verweist auf den kulturindustriellen Mythos, dass jeder Mensch ein Star werden kann. Das Mädchen von nebenan unterscheidet sich nicht wesentlich vom Superstar; die junge Frau ist zwar nicht Marilyn, könnte es aber ohne Weiteres sein. Die Figur wird durch einen weißen Rand vom Hintergrund abgehoben. In Computerprogrammen zur Bildbearbeitung nennt man das »Strahlen nach Außen«. Ikonografisch spräche man hier von einer Gloriole, dem traditionellen Zeichen für den Ruhmesglanz, oder von einem Nimbus, dem Zeichen für Heiligkeit. Der Kunde, für den »Marilyn« sich hier stellvertretend amüsiert, ist also nicht nur Kaiser. Er ist auf Erden mit Gottes Gnade ausgestattet, er ist ein heiliges Wesen, das ohne Bodenkontakt im atmosphärischen Raum schwebt und zart, doch intensiv strahlt. Das Wunschbild des Kunden wird hier zur Erscheinung, zur Epiphanie des Banalen. Profanität und Sakralität sind verschmolzen. Der Heilige Geist der Marktgesellschaft durchdringt die Welt. Das legt auch ein anderes Beispiel aus dem Drogerie-Katalog nahe:

Kaiser-Prospekt, »Glasnost«

Hier triumphieren Transparenz, Freiheit und das Licht der globalisierten Marktgesellschaft. Es erstrahlt die Kerze eines Gottesdienstes der Warenästhetik. Auch sie ist dominant in Mittelachse angeordnet, die Flamme leuchtet etwas oberhalb des Zentrums. Sie könnte für den Kultus des globalisierten Marktes stehen, der die politischen Konnotationen der Farbe Rot ersetzt hat.

DEUTSCHE BANK-Anzeige »Leistung aus Leidenschaft« in Der Spiegel, 2003

07.3.4_Beispiel-Analyse: DEUTSCHE BANK-Anzeige Die beim Auftraggeber rasch in Ungnade gefallene Anzeige zeigt, im ganzseitigen »Spiegel«-Format, zwei Männerhände, die sich eine Karte überreichen. Eine Hand kommt von links, etwas unterhalb der Bildmitte; man sieht am Bildrand ein Stück von einem dunkelgrauen Anzugärmel, aus dem eine weiße Manschette

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herausragt, und daraus schaut eine rechte Hand mit gepflegten Fingernägeln heraus. Die andere Hand kommt von rechts, etwas oberhalb der Bildmitte. Es ist eine linke Männerhand mit ebenso gepflegten Fingernägeln und Daumennagel; sie steckt in einer weißen Manschette und einem hellgrauen Anzugärmel, welcher vom rechten Bildrand beschnitten wird. Genau in der optischen Bildmitte (also etwas oberhalb von der geometrischen Mitte) befindet sich die Karte, die übergeben wird. Es ist nicht zu erkennen, ob der Mann auf der linken Seite die Karte dem Mann auf der rechten Seite überreicht wird, oder ob es sich genau umgekehrt verhält. Der Hintergrund des Bildes ist nichts weiter als ein von oben nach unten langsam heller werdendes Grau. Die Karte in der Bildmitte ist gleichsam ein Doppelwesen: links Businesscard, rechts eine Spielkarte mit dem Wert »Pik As«. Der Übergang zwischen den beiden Hälften der Karte kommt optisch dadurch zustande, dass sie sich zum Teil innerhalb eines Quadrats mit dickem, transparent grauen Rahmen befindet, der als zweite, grafische Bildebene über das Foto gelegt ist. Bis zum inneren Rand des transparenten Rahmens ist es eine Businesscard, und innerhalb des hellgrauen Quadrats ist es plötzlich eine Pik-AsKarte, amerikanisches Blatt. Als solche dominiert sie das Zentrum und damit das Bild als Ganzes. Oben auf der Seite verläuft vor dunkelrauem Hintergrund eine sehr kleine, weiße Schriftzeile: »CORPORATE & INVESTMENT BANKING | ASSET MANAGEMENT | PRIVATE WEALTH MANAGEMENT | PRIVAT- UND GESCHÄFTSKUNDEN«. Knapp über den Händen und dem Quadrat verläuft eine gut lesbare Schriftzeile mit dem Werbeslogan »Leistung aus Leidenschaft.« Links unterhalb der dunkelärmeligen Hand befindet sich ein Textblock in kleiner Schrift mit der (etwas größeren) Überschrift »Auf Partnerschaft setzen.« Rechts unten steht der Name »Deutsche Bank« (im größten Schriftgrad, der in der Anzeige zu finden ist), daneben das bekannte Logo des Hauses: ein Quadrat mit weißem Rand, durch das ein Schrägstrich, in der Stärke des Quadratrahmens, von links unten nach rechts oben verläuft. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: »Corporate and Investment Banking«, »Asset Management«, »Private Wealth Management«, »Privat- und Geschäftskunden«, »Leistung aus Leidenschaft.«, »Auf Partnerschaft setzen.«, »Sie setzen auf Partnerschaft. Sie erwarten Resultate. Die Deutsche Bank teilt Ihre Leidenschaft, partnerschaftlich zu handeln, Vertrauen zu gewinnen, Mehrwert zu schaffen. Deshalb vertrauen uns gerade die Kunden, die ehrgeizige Zeile erreichen wollen. Über alle Branchen und Wirtschaftsregionen hinweg. Mit engagierter Zusammenarbeit, handfesten Lösungen und langfristigen Vorteilen für unsere Kunden. Sind Sie bereit?«, »www.deutschebank.de«, »Deutsche Bank«. 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: »Corporate and Investment Banking«, »Asset Management«, »Private Wealth Management«, »Privat- und Geschäftskunden«: Die angelsächsischen Termini aus dem Bankerjargon, die 75 % der Kopfzeile ausmachen, signalisieren weltläufiges Finanzmanagement, das im Zeitalter der Globalisierung internationale Märkte bespielt und sich souverän auf dem Parkett einer neoliberalen »neuen Weltordnung« bewegt. Die restlichen 25 % der Kopfzeile sprechen die Anzeigenbetrachter in ihrer Muttersprache an; vielleicht trägt

dies dazu bei, mögliche Ängste vor der fremden, mitunter unheimlichen Welt der Wall Street und des großen Geldes zu beschwichtigen. Die Zeile zählt die vier Geschäftsbereiche des Bankhauses auf; es war in den vergangenen Jahren vor dem Erscheinen der Werbeanzeige mehrfach umstrukturiert worden und möchte sich nun in optimierter, klarer Form präsentieren. Die Zeile bildet als obere Begrenzung des Bildfeldes ein schützendes, doch unaufdringlich gestaltetes Flachdach über dem eigentlichen visuellen Geschehen. Die Zeile ist in serifenloser Versalschrift gesetzt, was die Konnotationen »Stärke«, »Macht« und »Souveränität« auslöst und damit auch die Eigenständigkeit der vier Bereiche unterstreicht. Der kleine Schriftgrad und die professionell wirkenden senkrechten Abteilungsstriche unterstützen das zeitgemäße Layout. »Leistung aus Leidenschaft.«: Etwas oberhalb des optischen Mittelpunktes angeordnet, verbindet eine Alliteration die zwei durchaus unterschiedlichen Stimmungssignale, die wir mit dem Bankhaus verbinden sollen. Auf der einen Seite steht die Leistung. Das Leistungsprinzip harmoniert mit »deutschen« Tugenden wie Fleiß, Einsatzfreude und Tüchtigkeit; es passt auch gut zu aktuellen ökonomischen Qualitäten wie Effizienz, kalkulierendem Weitblick und Rationalität. Auf der anderen Seite steht etwas, das man bei Geldgeschäften normalerweise eher zu beherrschen und im Zaum zu halten versucht, nämlich die emotionale, impulsive Leidenschaft. Leidenschaften, also gesteigerte Emotionen, die sich kaum zügeln lassen, gehen vom limbischen System des Gehirns aus; sie sind dafür verantwortlich, wenn unsere Handlungsweise nicht rational kalkuliert ist. Vor noch gar nicht langer Zeit konnotierte das deutsche Wort »Leidenschaft« in erster Linie einen Zustand des Ausgeliefertseins, der Hingabe bis zur Selbstaufgabe – also das, was im Französischen und Englischen passion heißt. Eine zufällige Stichprobe bei der Internet-Suchmaschine Google für den Begriff »Leidenschaft« brachte am Abend des 11. Februar 2008 auf der ersten Seite u.a. die im Folgenden zitierten Einträge, die allemal für den derzeit gängigen Sprachgebrauch repräsentativ sind und mehrheitlich indizieren, dass der Begriff nach wie vor in erster Linie Konnotationen aus dem sexuell-erotischen Bereich hat: Sexualität. www.femaleaffairs.de. Neues Wissen und Inspiration für ein erfülltes Liebesleben Lust Gratis. www.schnelle-bekanntschaft.com. Frauen die für heute suchen. Ohne Anmeldung! Leidenschaft – Wikipedia. Leidenschaft (gesteigert, aber als Begriff abkommend: Inbrunst) ist eine das Gemüt völlig ergreifende Emotion. Sie umfasst Formen der Liebe und des Hasses […] de.wikipedia.org/wiki/Leidenschaft Leidenschaft ist nicht gleich Leidenschaft: Die gesellschaftlich anerkannte Leidenschaft ist eher die Passion. Sie bezieht sich auf Tätigkeiten wie Sport […] www.netdoktor.de/sex_partnerschaft/fakta/leidenschaft.htm Morgenwelt: Liebe und Leidenschaft. Liebe und Leidenschaft […] Bas Kast: Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt. S. Fischer, Frankfurt/M 2004, 17,90 Amazon.de: Die Psychologie sexueller Leidenschaft: Bücher: David Schnarch, Maja Ueberle-Pfaff, Christoph Trunk […]

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Die christliche Passionsgeschichte ist die Geschichte eines Leidenswegs. Erotische Leidenschaft und die Leidenschaft des Glücksspielers versetzen Menschen in Zustände höchster Euphorie, aber auch in Zustände tiefster Niedergeschlagenheit. Dostojewski zum Beispiel hat die Psyche des Spielers eindrucksvoll als eine beschrieben, die bis zum bitteren Ende von seiner Leidenschaft beherrscht wird. Heute indessen hat sich das Konnotationsfeld des Wortes verschoben: Leidenschaft ist eher positiv besetzt. Einerseits wird die (erotische) Lust im Zuge der allgemeinen Hedonisierung unserer Alltagskultur kaum noch etwas Sündhaftes angesehen. Andererseits gilt es als legitim, Lust und Leidenschaft produktiv zu wenden; dadurch wird Leidenschaft entdämonisiert und zugleich trivialisiert. Sportler oder Politiker gelten beispielsweise als umso glaubwürdiger, je »leidenschaftlicher« sie sich ihrer Tätigkeit hingeben. In anderen Teilen der »Leistung aus Leidenschaft«-Kampagne der Deutschen Bank wurden dementsprechend Bilder eingesetzt, die Szenen aus dem Leistungssport zeigen. Die syntaktische Verbindung der beiden Stimmungswerte »Leistung« und »Leidenschaft« in unserem analysierten Beispiel wird denn auch nicht mit Hilfe des Wortes »und« hergestellt, das farblos und schlaff wirken und wenig besagen könnte. Stattdessen kommt die Verbindung über eine starke Aussage zustande. Sie impliziert, dass die rationale Leistung gerade aufgrund der emotionalen Beteiligung, der Passion, entsteht. »Leistungsprinzip« heißt auf Englisch »performance principle« – das passt zum Kriterium der performance einer Aktie an der Börse. Bei der Deutschen Bank sind Kopf und Herz vereint, nüchterne ökonomische Rationalität und tiefes emotionales Engagement gehen eine Verbindung ein, die zum Erfolg führen muss. Der Punkt am Schluss des elliptischen (das heißt unvollständigen) Satzes verstärkt die Aussage – nach der Devise: Dieser Satz gilt, Ende der Debatte. Die Zeile ist nahe der Bildmitte gesetzt, jedoch nicht achsensymmetrisch, sondern den ikonischen Proportionen angepasst und sozusagen dynamisch ins Bildgeschehen eingebaut. Die Verschränkung von Leidenschaft und Leistung im Dienste der Geldwirtschaft passt zur Tendenz, fremdbestimmte Arbeit aufzuwerten, indem man versucht, sie als selbstbestimmte Arbeit neu zu erfinden. Managementseminare beschäftigen sich immer öfter mit dem Thema »Motivation«: Mitarbeiter sollen motiviert werden, freudig und lustvoll Höchstleistungen zu bringen. Ein »Motiv« ist bekanntlich ein Beweggrund; die inflationäre Verwendung des Wortes ist freilich ein indexikalisches Zeichen für den immensen Zuwachs entfremdeter Arbeit. Von den Menschen, die noch Arbeit haben, gehen offensichtlich immer mehr einer Tätigkeit nach, die sie nicht mögen, denn nur zu einer solchen muss man Menschen »motivieren«. Das heißt aber auch: Immer mehr Menschen haben keine Lust mehr, sich den ökonomisch notwendigen Ausbeutungsstandard gefallen zu lassen. So ist es nur auf den ersten Blick verwunderlich, wenn sich Firmenleitungen für Themen wie Entschleunigung, künstlerische Praxis, Muße oder das Phänomen der Stille interessieren. Diese Themen verkörpern Gegenmodelle zum produktivistischen, effizienzfixierten Zeitgeist der Moderne.

Selbstverständlich geht es aber nicht darum, die Profitmaximierung zu unterminieren; eine Firma, die dies täte, wäre rasch am Ende. Man hat vielmehr festgestellt, dass es Menschen gibt, die man nicht zur Arbeit motivieren muss und für die die Bezahlung nicht das Entscheidende ist, die bis zur Erschöpfung arbeiten, weil Arbeit ihr Leben ist. Es handelt sich um diejenigen, die einer nicht-entfremdeten Arbeit nachgehen: bildende Künstler, Theaterschaffende, Schriftsteller, Filmemacher usw. Jedes Unternehmen wünscht sich solche durch und durch »motivierten« Mitarbeiter, für die nicht einmal die Lohnhöhe entscheidend ist. Kreative Energien und kommunikative Potenziale sollen für die Optimierung der Kapitalverwertung genutzt werden. Textblock unten links: Hier wird zunächst eine Reihe von Feststellungen formuliert, die Mutmaßungen über die innere Disposition der Lesenden mit vollmundigen Selbstbewertungen des Auftraggebers verquicken. Am Schluss steht eine rhetorische Frage. Vom Leser wird behauptet, er sei passioniert und sehe das Bankhaus als effektiven Partner an. Er selbst sei an Vertrauen und Wertschöpfung orientiert. Es gehe ihm nicht etwa darum, mithilfe eines cleveren Verbündeten seinen eigenen Reichtum zu mehren (hier kommt dem heutigen Leser unweigerlich das Stichwort »Liechtenstein« in den Sinn). Der Klient der Deutschen Bank hält es mit ethischen und volkswirtschaftlichen Grundwerten; das kommt durch die Ausdrücke »Vertrauen« und »Mehrwert« zum Ausdruck, die eher das Wohl der Allgemeinheit als den persönlichen Wohlstand des Einzelnen konnotieren (welcher dabei freilich keineswegs ausgeschlossen wird). Die Bank, so wird unterstellt, hält es ebenso, weshalb Menschen zu ihren Kunden zählen, die zielorientiert handeln und Ehrgeiz besitzen. »Vertrauen« ist, im Sinne des Soziologen Niklas Luhmann, ein intuitiver Ersatz für Wissen. Vertrauen ist an Erwartungen gebunden, die wir an das Verhalten von anderen haben, welches wir nicht mit letzter Sicherheit voraussagen können. Insofern ist Vertrauen eine höchst riskante Angelegenheit, wie jeder weiß, der schon einmal einem kleinen oder großen Betrug zum Opfer gefallen ist. Das Knifflige am Vertrauen ist, dass moderne Gesellschaften ohne diese risikoreiche, intuitive Vorleistung jedes Einzelnen anscheinend nicht funktionieren, weil soziale Strukturen in der Moderne hoch komplex und kaum noch begreifbar sind. Und da Vertrauen nie zweifelsfrei begründet sein kann, gehört zum Vertrauen unzertrennlich das Misstrauen (das Bankkunden heute mehr denn an den Tag legen). Vertrauen ist erst so richtig zum Begriffsfetisch geworden, nachdem es verspielt worden war. »Ehrgeiz« als Charaktermerkmal hat in den letzten Jahrzehnten einen ähnlichen Wandel auf der Konnotationsebene durchlaufen wie das Wort »Leidenschaft«. Früher galt es oftmals schon als unsozial, ehrgeizig zu sein. Das wird in Zeiten verschärfter ökonomischer Konkurrenz, die das gesellschaftliche Leben und das Seelenleben der Menschen immer mehr beherrscht, nicht mehr so gesehen. Im weiteren Verlauf des Textes erfolgt ein Bruch der Gesamtkonstruktion. Auf die Behauptung, dass »gerade die [ehrgeizigen] Kunden« dem Bankhaus »vertrauen«, folgen direkt zwei unvollständige Sätze, in denen Attribute des Han-

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delns der Bank beschrieben werden. Diese enthalten keine Erweiterungen der Prädikate des Subjekts aus dem vorausgehenden Satz, was aber nach der syntaktischen Logik des Textes eigentlich der Fall sein müsste. Inhaltlich konnotieren die Aussagen, das Bankhaus sei universal kompetent, auf allen ökonomischen Gebieten und auf der ganzen Welt, und fühle sich seinen Kunden verpflichtet (»Engagement« bedeutet bekanntlich »Bindung«); es ist nicht abgehoben und abstrakt ausgerichtet, sondern praktisch-konkret, und fördert die Interessen seiner Kunden nachhaltig. Wir können unser Geld dieser Bank also ohne Sorge anvertrauen. Die rhetorische Frage am Ende stellt den Sachverhalt gewissermaßen auf den Kopf. Hier geht es nämlich nicht darum, dass ein Geldinstitut Menschen dazu bringen will, ihm ihr Vermögen zu leihen, damit es seinen Profit maximieren und den Kunden dann einen maßvollen Teil der erwirtschafteten Überschüsse abgeben kann (wobei der Kunde das Risiko trägt). Die Frage lautet vielmehr, ob der Kunde stark, reif und entschlossen genug ist, sich auf die Höhe seines Partners zu begeben und an dessen Seite mutig das Wagnis globalen wirtschaftlichen Handelns einzugehen. Die Reklame gibt sich als Eignungstest; der umworbene Geldgeber wird zum Bewerber. »www.deutschebank.de«: Das Bankhaus präsentiert im Internet Informationen über sich, wie das heutzutage bei modernen Unternehmen üblich ist. Der kleine Schriftgrad konnotiert, dass dies für ein Geldinstitut dieses Schlages eine Selbstverständlichkeit ist, auf die nicht aufmerksam gemacht werden muss. »Deutsche Bank«: Der Name des Unternehmens steht rechts unten, dort, wo traditionell eine Unterschrift platziert wird. Hier ist sie ganz nahe ans Firmenlogo herangesetzt, was an die klassische Brief-und-Siegel-Anordnung erinnert. Der Schriftzug ist, wie alle übrigen in dieser Anzeige, nüchtern und zugleich durch den größeren Schriftgrad deutlich exponiert. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht Von Schwarz nach Grau verlaufender Hintergrund, zwei Hände mit Manschetten und einem Stück Ärmel, Spielkarte, transparent-weißer quadratischer Rahmen, opak-weißer quadratischer Rahmen mit Schrägstrich. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht Von Grau nach Schwarz verlaufender Hintergrund: Der Hintergrund konnotiert vorherrschende Farben der Herrenmode im Business-Bereich und somit eine seriöse Atmosphäre, in der Ruhe und Konzentration herrschen und zielführend gehandelt wird. Die Helligkeitsprogression konnotiert Dynamik und Energie. Anzeigen, die ganz in Schwarz-Weiß gehalten sind, entsprechen häufig der allgemeinen Vorstellung von Seriosität. Zwei Hände mit Manschetten und einem Stück Ärmel: Links ist ein männlicher Handrücken, rechts das Handinnere eines Mannes zu sehen: Der eine gibt, der andere nimmt, ohne dass man sagen könnte, wer davon was tut. Geldgeschäfte sind Männersache. Banker und Kunden sind, wie alle seriösen Geschäftsleute, gut

gekleidet und gepflegt. Die ikonologische Folie dieses Motivs ist Michelangelos Darstellung der Schöpfung durch die Berührung der Hand Adams durch Gott (in Leserichtung des Bildes von links unten nach rechts oben). Die Steigung von links unten nach rechts oben deutet Niveau- und Rangunterschiede an; es bleibt offen, wer sich auf höherer Ebene befindet, der Kunde oder der Banker. In jedem Fall konnotiert die unvermeidliche Leserichtung, in der wir die ikonische Nachricht wahrnehmen, dass es hier aufwärts geht. Das entspricht der Botschaft des Logos der Bank (s.u.). Spielkarte mit Name und Zahlen: Die Karte ist eine Kreuzung aus Visitenkarte und Spielkarte; der Name ist der des Kundenberaters, die Zahlen ein Teil seiner Telefonnummer. Der denotierte hohe Wert der Karte, die Kundenberater dem Kunden reicht bekommt, konnotiert einen Trumpf, den ein Partner an den anderen weitergibt. Weitere mögliche Konnotationen: Wir haben immer die besten Karten. Wir stechen die anderen aus. Die Kundenberater der Deutschen Bank haben immer noch eine Trumpfkarte in der Hand (oder im Ärmel). Wir sind immer für Sie da. Zwei leidenschaftliche Spieler. Glück im Spiel. Hoch gepokert. Viel riskiert, viel gewonnen. – Das Pik-As hat den höchsten Wert im Bridge und im Poker. Daher fällt dieser Aspekt nicht nur unter die konsequente Schwarz-WeißGestaltung, sondern er transportiert auch eine Konnotation, die mit dem Wert dieser Spielkarte verbunden ist. Bridge wird häufig als ein eher intellektuelles Spiel wahrgenommen (»Leistung«), während beim Pokerspiel eher die – mitunter hinter dem »Pokerface« verborgenen – starken Emotionen faszinieren (»Leidenschaft«), auch wenn man sie nicht zeigen darf. Eine Pike ist eine Stangenwaffe, dem Speer nicht unähnlich, der aber, anders als eine Pike, geworfen wird; das Pik auf der Spielkarte ist also gleichsam eine Speerspitze. An der Speerspitze hängen sozusagen die Konnotationen des Erfolgs, des Fortschritts und der Avantgarde (ursprünglich ein militärischer Begriff, nämlich die Vorhut). Im Tarot steht das Pik-As für den Tod; diese Konnotation fällt freilich etwas aus dem Rahmen, aber sie könnte den Blick auf ein weites symbolisches Feld der Gewalt und der (Selbst-) Zerstörung öffnen, die spätestens in der globalen Finanzkrise zutage getreten sind. Die visuelle Botschaft verhält sich zur linguistischen Botschaft des elliptischen Satzes »Leistung aus Leidenschaft« redundant. Leistung (dafür steht die seriöse Visitenkarte) und Leidenschaft (dafür steht die Spielkarte mit ihren Gefühlswerten) verschmelzen zu einer Karte. So wird die Kernaussage des Textes visuell wiederholt. Transparenter quadratischer Rahmen: Dieses grafische Element variiert Anton Stankowskis berühmtes Firmenlogo der Deutschen Bank (mehr dazu weiter unten), indem der Schrägstrich weggelassen wird. Er wird durch die Position der Hände vertreten, die von links unten nach rechts oben die Karte übergeben. Opak-weißer quadratischer Rahmen mit Schrägstrich: Das Quadrat bildet einen Rahmen, der für Sicherheit, Seriosität, Zuverlässigkeit und Tradition steht. Der Schrägstrich wird automatisch in Leserichtung wahrgenommen, das heißt man »liest« ihn in aufsteigender Richtung von links unten nach rechts oben. Daher

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konnotiert er Energie und Dynamik, Erfolg und Aufstieg. Mit den Bilanzen geht es aufwärts, wenn ein Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich ist; Kurvenverläufe nach oben suggerieren Wachstum. Dieses schlichte Visualisierungsprinzip knüpft an elementare Naturbeobachtungen an; Pflanzen und Lebewesen wachsen nach oben. Man erzählt sich, dass Anton Stankowski das Logo für den Wettbewerb, den die Deutsche Bank 1972 veranstaltete, nicht eigens neu entworfen hat, sondern einen fertigen Entwurf für ein zuvor entworfenes Logo für einen anderen Zweck um 90 Grad drehte. Der Schrägstrich im Quadrat war zuvor von links oben nach rechts unten verlaufen wie eine Rutsche auf dem Spielplatz – nun ging es stattdessen aufwärts. »Das Logo unterstützt die Identität der Deutschen Bank«, ist in einer hauseigenen Publikation über die Geschichte und Entwicklung des Deutsche Bank Logos zu lesen: »der ›Schrägstrich‹ steht für kontinuierliches Wachstum und eine dynamische Entwicklung[,] das umrahmende Quadrat für Sicherheit und ein kontrolliertes Umfeld. Zusammengefaßt symbolisiert das Logo somit kontinuierliches, dynamisches Wachstum in einem sicheren Umfeld. Es ist sehr markant und unverwechselbar sowie zeitlos und damit ohne modischen Akzent.« Von »Zeitlosigkeit« kann hier natürlich keine Rede sein, denn die sachlich-konstruktivistische Gestaltung entspricht genauso dem fortschrittsoptimistischen Zeitgeist der Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wie die Kaiseradler, die das Firmenemblem der Deutschen Bank von 1870 bis 1918 zierten, auf ihre Weise dem militärisch-imperialistischen Geist der Gründerzeit entsprachen. Auch die neusachlichen Buchstabenmarken in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren alles andere als »zeitlos«; sie waren eine schlüssige Erscheinungsform des gemäßigt-fortschrittlichen Verwertungs-Rationalismus der Moderne. Von Bismarck und Kaiser Wilhelm über Ebert, Hitler und Adenauer strahlten die Firmenzeichen der Deutschen Bank die solide Kraft des großen Kapitals aus. Aber sie taten dies nicht mit einer Bildsprache, die einzig und allein dieser Bank gehörte. Das änderte sich dank Stankowski im Jahr 1974. Die große Rezession von 1974 bis 1975 stürzte die Marktwirtschaft in den westlichen Industriestaaten in eine lang anhaltende Krise. Überkapazitäten der Produktion und strukturelle Arbeitslosigkeit wurden durch die darauf folgende Rezession von 1980 bis 1982 verstärkt. Thatcherismus und Reaganomics sowie der Zusammenbruch des Ostblocks konsolidierten das Wirtschaftswachstum; die durch eine Reihe politischer Weichenstellungen eingeleitete Globalisierung hat es bis heute unerbittlich vorangetrieben. Permanente Innovation innerhalb der Produktivkräfte bei gleichzeitig unveränderlicher Statik der Produktionsverhältnisse – das wird von vielen als Erfolgsrezept der warenproduzierenden Gesellschaften angesehen. Diese ambivalente Mischung klingt visuell in Stankowskis Balkenquadrat an, in dem ein Balken steil nach oben weist, ohne den Rahmen zu sprengen. Eine konservative, statische Komponente wird so mit einer fortschrittlichen, dynamischen gepaart. Es dürfte diese gelungene Kombination sein, die zum nachhaltigen Erfolg des Logos geführt hat. Zusammenfassend: Die Anzeige ist sowohl auf der linguistischen als auch auf der ikonischen Ebene durch ambivalente Konnotationen gekennzeichnet. Die Deutsche Bank ist das traditionsreichste und wirtschaftlich potenteste Geldhaus

in Deutschland. Durch die Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Regime konnten unter seinem legendären Geschäftsleiter Hermann Josef Abs das Vermögen und die Macht des Unternehmens erheblich vermehrt werden. Es ist kein Geheimnis, dass dies durch die Beteiligung an Kriegstreiberei, Ausbeutung von Zwangsarbeitern und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschah. Kurz nach dem Ende der DDR stürzte die Bank viele Menschen im vereinigten Deutschland in den Ruin, weil sie einen betrügerischen Bauunternehmer unterstützt hatte. Eine zynische Äußerung des Vorstandsvorsitzenden, der zufolge es sich bei den finanziellen Verlusten lediglich um »peanuts« gehandelt habe, über die man sich nicht weiter aufregen müsse, führte damals zu einem Imageschaden. Die Aufteilung der Bank in eine Abteilung für Firmenkunden und wohlhabende Privatkunden auf der einen Seite und eine Abteilung für die weniger interessanten Kleinkunden auf der anderen Seite wurde nach wenigen Jahren wieder aufgegeben (obwohl die Deutsche Bank 24 mit ihren kleineren Kunden Gewinne gemacht hatte). Einige Versuche im globalen Fusionskarussell scheiterten, andere erwiesen sich als erfolgreicher. Nun wird wieder verstärkt um die Privatkunden geworben, die längere Zeit vernachlässigt wurden. Das Glücksspiel-Bildmotiv der Anzeige und die Einführung des Wortes »Leidenschaft« tun dies auf eine nicht alltägliche Weise. Von den aus finanzwirtschaftlicher Perspektive eher negativen Konnotationen, die das Wort »Leidenschaft« durchaus immer noch haben kann, war ja bereits die Rede. Die Konnotationen, die das Kartenspiel in Verbindung mit Geldgeschäften mit sich bringt, sind durch und durch ambivalent. Sie umspannen einerseits das Konnotationsfeld »Chancen, Wagnis, schnelles Geld, Glückskind, Gewinnchancen am Kapitalmarkt, über Nacht zum Millionär« und andererseits das Feld »Risiko, Spielschulden, Zocker, Börsenroulette, Hab und Gut verspielt, Ruin«. Das steht in einem Spannungsverhältnis zu den gewünschten Konnotationen aus dem Bereich »Vertrauen und Sicherheit«. Die Entscheidung für das Spielkartenmotiv setzt alles auf den Überhang der positiven Konnotationen. Die Deutsche Bank ist keine Bank für jedermann. Wer ihr Partner werden will, hat ehrgeizige Ziele. Er darf kein Feigling sein, wenn es darum geht, in schwierigen Zeiten mit kühlem Kopf und heißem Herzen auf dem Kapitalmarkt Sieger zu bleiben. Heute, da Finanz- und Wirtschaftskrise allgegenwärtige Medien- und Gesprächsthemen sind, würde man sich vermutlich nicht mehr für eine Bild-Text-Kombination entscheiden, die Zocker-Konnotationen besitzt.

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Die Bundesregierung: Angela Merkel, »Gemeinsam sind wir stärker«, Der Spiegel Nr.1, 2. Januar 2006

07.3.5_Beispiel-Analyse: Die Bundesregierung: Angela Merkel, Diese Anzeige der Bundesregierung wurde zu einer Zeit geschaltet, als den Bundesbürgern die spannende Wahl zum deutschen Bundestag im Herbst 2005 noch recht gut im Gedächtnis war, die den Machtwechsel von einer sozialdemokratisch-grünen Koalition zu einer christdemokratisch-sozialdemokratischen brachte. Der Bildanteil ist in der Anzeige zwar klein, aber wir haben sie dennoch hier aufgenommen, weil die Analyse von politischen Botschaften neben der Gerichtsrede das wichtigste Feld der Rhetorik ist. Max Weber, Begründer der modernen Politikwissenschaft, hat dieses Feld in seiner Schrift Politik als Beruf von 1919 beschrieben: »Der ›Demagoge‹ ist seit dem Verfassungsstaat und vollends seit der Demokratie der Typus des führenden Politikers im Okzident« (Weber

1919, S. 581). Weber verwendet den Begriff der Demagogie in seinem historisch ursprünglichen, nicht abwertenden Sinne, wo er nicht »Volksverführer«, sondern »Volksführer« bedeutet. »Die moderne Demagogie«, so Weber, »bedient sich zwar auch der Rede: in quantitativ ungeheuerlichem Umfang sogar, wenn man die Wahlreden bedenkt, die ein moderner Kandidat zu halten hat. Aber noch nachhaltiger doch: des gedruckten Worts« (ebd). Genau damit haben wir es bei diesem Beispiel zu tun. Es handelt sich bei dieser politischen Anzeige um einen gut durchgearbeiteten, suggestiven politischen Text, der in Hinblick auf die moralisch-politischen Botschaften geradezu idealtypisch ist. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: »Die Bundesregierung« (Textanteil des Logos links oben); »Gemeinsam sind wir stärker«; »Liebe Bürgerinnen und Bürger« (reproduzierte Handschrift); Mengentext mit Zwischenüberschriften; »Ihre Angela Merkel« (»handschriftlich«) und »Angela Merkel« (gesetzt); Internethinweise zur Bundesregierung und zur Bundeskanzlerin. 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: Der zum Logo gehörige Schriftzug ist in einer Groteskschrift mit schmalen, hohen Einzelbuchstaben in Groß-Klein-Schreibung gesetzt. Auch das D des Artikels ist versal. Jeder substantivische Gebrauch von Worten hat, wie zuvor schon bemerkt wurde, eine hypostasierende, verdinglichende Wirkung. In manchen Sprachen werden ausschließlich Gottheiten mit Substantiven ausgedrückt. Der Artikel verstärkt diesen Effekt, und das Bild von der derzeitigen Bundeskanzlerin zeigt sozusagen die personifizierte bzw. verdinglichte Regierung. Es ist ein glückliches Zusammentreffen, dass das Wort »Regierung« einen weiblichen Artikel hat und so mit der Bundeskanzlerin in Verbindung gebracht werden kann. Der Slogan »Gemeinsam sind wir stärker« besagt unmissverständlich, dass die Vermehrung von Stärke positiv bewertet wird. Dazu wird der Komparativ »stärker« verwendet, doch es bleibt vorerst offen, womit hier verglichen wird. Klar: Gemeinsam sind »wir« »stärker« als einzeln, doch in Bezug worauf? Sollen wir gemeinsam stärker sein als unsere Feinde und Konkurrenten? Aber welche wären gemeint? Sind wir vielleicht gemeinsam stärker als zuvor, da wir noch vereinzelt waren? Waren wir das? Wenn ja, bis wann? Und wozu eigentlich »stark sein«? Welchen Zwecken die Stärke dienen soll, wird erst durch die Zwischenüberschriften deutlich, doch dazu später. Im Slogan steht an prominenter Stelle ein »Wir«. Für wen steht also dieses »wir«? Steht das »wir« überhaupt für die »Menschen im Lande« (an dies sich Politiker in Ihren Reden bekanntlich gerne richten), oder steht es vielleicht nur für die Parteien CDU und SPD, die im Verbund stärker auftreten können als gegeneinander? Vermutlich ist das eher nicht intendiert, würde es doch die Ängste vieler Menschen vor einer uniformen Machtpolitik jenseits der gewünschten Konkurrenz der Parteien schüren. Und wenn »Menschen im Lande« gemeint sind: Sind es die Menschen mit deutschem Pass? Oder Menschen, die sich zufällig gerade auf deutschem Boden bewegen, egal ob sie einen deutschen Pass, einen anderen oder gar keinen haben? Menschen, welche die deutsche Kultur und Sprache kennen?

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In der nun folgenden »handschriftlichen« Anrede »Liebe Bürgerinnen und Bürger« bekommen wir einige Antworten. Die Anrede »Liebe ...« wird in der Regel bei persönlich vertrauten Einzelpersonen, mitunter auch Gemeinden verwendet. Insofern könnte sie an dieser Stelle als Anmaßung empfunden werden, in diesem Fall sozusagen als Anmaßung im Amt. Würde uns eine sozial gleichgestellte, aber persönlich unbekannte Person so ansprechen, hätte man ihr früher durchaus vorwerfen können, dass sie sich im Ton vergriffen habe. Da die Bundeskanzlerin in ihrer Herrschaftsfunktion (sie ist ja Repräsentantin des Gewaltmonopols) sozial weit über den meisten Lesern steht – immerhin ist sie zur Zeit die politisch mächtigste Person im Lande – kann sie sich diese Anrede erlauben. Die Definition eines Staates mithilfe der Frage, wer das Gewaltmonopol besitzt, geht auf Max Weber zurück. »Staat«, schreibt Weber, »ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist: daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt: er gilt als alleinige Quelle des ›Rechts‹ auf Gewaltsamkeit« (Weber 1919, S. 566, Hervorhebung im Original). Weber befindet sich mit dieser Bestimmung des Staates in bester liberaler Tradition. »Denn es war W. von Humboldt, der ›den Begriff des Staates‹ als eine ›letzte, widerspruchslose Macht‹ definiert hat, die ihre ›Wirksamkeit auf die Erhaltung der Sicherheit‹ zu richten habe. Im Sinne dieser Definition spricht Humboldt auch von den Sanktionen dieses Staates als von einer ›Rache..., welche keine neue Rache erlaubt« (Lenk 1987, S. 312). Doch die Anrede »Liebe Bürgerinnen und Bürger« wird vermutlich von vielen Lesern gar nicht als Anmaßung aufgefasst. Nach wie vor fühlen sich ja viele gleichsam »geadelt«, wenn sie in die Nähe von Orten und Menschen kommen, von denen aus Macht über sie ausgeübt wird. In diesem Fall werden sie sogar von der persönlichen Repräsentantin der Macht scheinbar ganz persönlich angesprochen. Darüber hinaus verspricht Fremdbestimmung meist eine unterschwellige psychologische Entlastung, für die durch beruflichen und privaten Stress geplagte Menschen dankbar sein dürften. Die Anmaßung der Anrede wird zudem dadurch verdeckt, dass Leserinnen und Leser in ihrer Funktion als Bürgerinnen oder Bürger angesprochen werden. Soll uns die Präsentation der Bundeskanzlerin deutlich machen, dass die Emanzipation der Frauen in Deutschland gelungen sei? Möglich, aber vor allem geht es hier um die bürgerliche Gesellschaft und die dazugehörige stärkste Form der Legitimation von Herrschaft, die der Demokratie. Die Ambivalenz des Bürgerbegriffs, die seit der Französischen Revolution die meisten Demokratiedebatten verschleiert, kommt hier zum Tragen. Werden wir als Citoyens (Staatsbürger) oder als Bourgeois (Besitzbürger) angesprochen? Merkel möchte die Leser sicher als Citoyens ansprechen, schon deswegen, weil Deutschland eine verfassungsmäßige Staatsbürgerdemokratie ist. Wohlgemerkt: Unser Staat ist de jure eine Staatsbürgerdemokratie, doch kritische Politikwissenschaftler haben eine zunehmende Verschiebung hin zu feudalismusähnlichen Verhältnissen einer

Eigentümerdemokratie festgestellt – das Stichwort lautet: »Entstaatlichung der Politik« (Brunkhorst 1999, S. 83). Immer weniger Menschen profitieren von den bestehenden Verhältnissen im Sinne einer Verbesserung ihrer Lebenssituation; für die Mehrheit der Staatsbürger hat sich ihre Lebenssituation in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Erhebungen der Annual Macroeconomic Database der Europäischen Kommission (AMECO) zeigen, wie die Unternehmensgewinne in den 15 Staaten der Europäischen Union kontinuierlich wachsen, während sich die Lohnquote (d.h. die Lohnsumme als Anteil des nationalen Gesamteinkommens) zurückentwickelt: Im Jahre 2005 lagen die Unternehmensgewinne in den Staaten der EU bei ca. 3000 Milliarden US-Dollar, während auf die Arbeitslöhne ca. 65 Milliarden US-Dollar entfielen. Im Jahre 1995 entfielen auf die Löhne noch ca. 67 Milliarden, und die Unternehmensgewinne betrugen ca. 1500 Milliarden US-Dollar. Innerhalb von 10 Jahren haben sich die Unternehmensgewinne in Europa also verdoppelt, d.h. sie sind um 100 % gestiegen, während die Lohnsumme um ca. 3 % zurückgegangen ist. – Früher sprach man von Armut, heute vom »Prekariat«. Die Verlegenheit, in welche die Wortführer der Massenmedien durch den Begriff »Unterschicht« geraten sind, ist ein Beleg für die Probleme, die wir noch immer damit haben, uns einzugestehen, was es wirklich bedeutet, in einer Konkurrenzökonomie zu leben. Wo etwas ausdrücklich als Allgemeininteresse behauptet wird, wo von »wir« und »uns« die Rede ist oder behauptet wird, »etwas sei gut oder schlecht für Deutschland«, da ist ideologiekritische Aufmerksamkeit gefragt. Das gilt auch für Redensarten wie ›gemeinsam‹, »wir sind eine große Familie«, »den Schwachen helfen«, »Zukunft für alle«, »Verantwortung für die Gesellschaft«, »Frieden«, »Umweltschutz«, »Nachhaltigkeit« usw. Nach wie vor wird durch die Form des Privateigentums eine Ökonomie der Vereinzelung realisiert, die durch gemeinschaftliche Werte kompensiert werden soll. Politik bedient die Partialinteressen der Kapitalverwertung, und die Folgen dieser Politik werden von kulturkonservativer Seite beklagt, weil die Gesellschaft auseinanderbricht. Doch eine Ökonomie der Vereinzelung bringt durch die ökonomischen Anforderungen, die an die Arbeitsmarkt-Leidtragenden gestellt werden, denen Flexibilität auf unterschiedlichen Ebenen abverlangt wird (Sennett 1998), offenbar unvermeidlich eine Kultur der Vereinzelung hervor, deren überlastete Träger die singles sind. Ideologiekritische Analysen sind heute selten geworden, doch an der Rhetorik der Politiker hat sich wenig geändert; man muss sich nur nicht mehr so viel Mühe mit dem Verschleiern der realen Nachteile der Politik für die Bürger machen wie zur Zeit des Kalten Krieges, gibt es doch heute keine Systemkonkurrenz mehr. Im Jargon unserer Zeit wird die Politik der Partialinteressen des Kapitals »Politik der Standortsicherung« genannt. Selten war Politik so ehrlich wie heute, und in Anlehnung an Ernst Blochs geflügeltes Wort könnte man sagen, dass die Wirklichkeit mitunter bis zur Kenntlichkeit entstellt wird. Bedroht werden kann die Regierung eines Gemeinwesens, das auf Basis einer kapitalistischen Marktwirtschaft existiert, nicht durch diejenigen, die von den bestehenden Verhältnissen profitieren, sondern von den Verlierern der Modernisierung. Deren Zustimmung zur aktuellen »Standortsicherungspolitik« braucht man – vor allem dann, wenn man Politik noch als demokratisch legitimiert erscheinen lassen möchte –, und zwar

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deshalb, weil sie als Leidtragende dieser Politik eine mögliche Gefahr darstellen. An die Modernisierungsverlierer, mithin an die Mehrheit der Deutschen, richtet sich solche Art moralischer Appellpolitik. Die darin bediente christliche Moral ist traditionell eine Moral der Verlierer – genau deswegen ist sie die perfekte, notwendige Ergänzung zur ökonomischen Ideologie des Erfolgs, der Karriere, des beschworenen Fortschritts und des Wettbewerbs. Sie bedient eine Ökonomie, die eine stets steigende Anzahl von Verlierern produziert. Das objektive Motiv der Anzeige könnte somit die Angst vor einer Legitimationskrise deutscher Herrschaft sein, und das kann durch die Analyse des Inhalts der Textblöcke belegt werden. Doch gehen wir Schritt für Schritt vor. – Die Frage der Bundeskanzlerin zu Beginn, warum sie dieses Land regieren möchte, ist sozialpsychologisch interessant. Warum üben Menschen gern Macht und Gewalt über andere Menschen aus? Viele können sich menschliche Verhältnisse jenseits mehr oder weniger subtiler Gewalt ja gar nicht mehr vorstellen. Dazu finden wir ebenfalls Erhellendes bei Max Weber: »Auch die alten Christen wußten sehr genau, daß die Welt von Dämonen regiert sei, und daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln, sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt, und daß für sein Handeln es nicht wahr ist: daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind« (Weber 1919, S. 605). Weber verweist eindringlich auf die hohe ethische Verantwortung und die Verpflichtung zur Reflexion, der sich moderne Politiker unbedingt zu stellen haben: »Wer Politik überhaupt und wer vollends Politik als Beruf betreiben will, hat sich jener ethischen Paradoxien und seiner Verantwortung für das, was aus ihm selbst unter ihrem Druck werden kann, bewußt zu sein. Er läßt sich, ich wiederhole es, mit den diabolischen Mächten ein, die in jeder Gewaltsamkeit lauern […]. Wer das Heil seiner Seele und die Rettung anderer Seelen sucht, der sucht das nicht auf dem Weg der Politik, die ganz andere Aufgaben hat: solche, die nur mit Gewalt zu lösen sind« (Weber 1919, S. 608). Der Berliner Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr hat sehr nüchtern auf die faktischen Grenzen hingewiesen, die der Ethik im modernen Staat gezogen sind, wo die Menschen eher konditioniert werden, als dass sie lernten, in Freiheit verantwortungsvoll zu handeln. »Die allgemeine Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols wird durch die Entwicklung einer psychischen Verhaltensdressur begleitet«, stellt Narr im Anschluss an den großen Soziologen Norbert Elias fest (Narr 1985, S. 81). – Auch kritische Gesellschaftstheoretiker, dies sei an dieser Stelle erklärend hinzugefügt, leugnen keineswegs, dass der rational legitimierbare Gebrauch von Gewalt als Grundlage sozialer Machtausübung einen Fortschritt gegenüber willkürlicher Gewalt darstellt. Dies ist ja eine der Errungenschaften, die den substanziellen Unterschied zwischen demokratischen und autoritären Herrschaftsformen ausmachen. Gleichwohl interessiert sich die kritische Theorie der Gesellschaft und der Politik auch für die psychologischen Formen, in denen moderne Macht- und Gewaltverhältnisse von den Menschen verinnerlicht werden, die in diesen Verhältnissen leben. Dabei kann sich zeigen, dass die rationaler gewordene Gewaltregulierung durch das staatliche Monopol der legitimen Gewaltausübung Folgeerscheinungen mit

sich bringt, die keineswegs nur rational sind: »Der Staat dominiert als äußerer Disziplinierungsapparat die Entstehung einer entsprechenden (analogen) Disziplinierungsapparatur im staatsgeborenen Gesellschaftsmitglied.« (ebd.) Als Kehrseite dieser Disziplinierung kann sich in den Menschen eine Neigung zu irrationaler, destruktiver Gewaltbereitschaft herausbilden, die auf Gelegenheiten zur Entladung wartet. Schon Freud hat darauf hingewiesen, dass unter den Bedingungen moderner Massengesellschaft scheinbar archaische Impulse an die Oberfläche gelangen, wenn die Bedingungen dafür günstig sind. Massen funktionieren, psychologisch betrachtet, über »Gefühlsbindungen«, die in zwei Richtungen gehen: einerseits die affektive Bindung an die »Führer« der Masse und andererseits »die der Massenindividuen aneinander« (Freud 1921, S. 94). In die entsprechende Richtung gelenkt, können diese Gefühlsbindungen zur Rechtfertigung für Verhaltensweisen werden, die bekanntlich weit hinter das zivilisatorisch erreichte Niveau des kontrollierten Umgangs mit physischer Gewalt zurückfallen. Die Bundeskanzlerin leitet immerhin eine Institution, die sie zur Repräsentantin des Gewaltmonopols macht, und eine solche Führungsrolle muss man erst einmal anstreben. Niemand wird gezwungen, solch eine Position einzunehmen. Sie tat es freiwillig – warum? Die Frage kann und soll an dieser Stelle natürlich nicht beantwortet werden. Man müsste allzu tief in die Sozialpsychologie einsteigen, um das gesellschaftlich Allgemeine dieser déformation professionnelle zu begreifen. Es wäre zu fragen, wie es sich heute mit den Charaktermerkmalen verhält, die Max Weber zufolge die Berufspolitiker kennzeichnen sollten: mit der sachlich motivierten Leidenschaft, dem Gefühl für Verantwortung und dem Augenmaß aus der Distanz. Man müsste auch Experten zu Rate ziehen, die ein Licht auf die komplizierte Balance von Entbehrungen und narzisstischen Erhöhungen werfen, die der Beruf des Politikers heute mit sich bringt. »Wer Politik treibt«, meinte Max Weber, »erstrebt Macht: Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele (idealer oder egoistischer), – oder Macht ›um ihrer selbst willen‹: um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu genießen« (Weber 1919, S. 566). Mit Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud könnte man an dieser Stelle noch nach den verborgenen, intensiven Beziehungen fragen, die in unserem seelischen Haushalt zwischen »idealen Zielen« und dem Genuss bestehen, den das »Prestigegefühl« verschafft. Weber hat auf die unterschiedlich motivierte Befriedigung hingewiesen, die das Gefühl auslösen kann, am Gewaltmonopol teilzuhaben. »Wer ›für‹ die Politik lebt, macht im innerlichen Sinne ›sein Leben daraus‹: er genießt entweder den nackten Besitz der Macht, die er ausübt, oder er speist sein inneres Gleichgewicht und Selbstgefühl aus dem Bewußtsein, durch Dienst an einer ›Sache‹ seinem Leben einen Sinn zu verleihen« (Weber 1919, S. 571). Und Weber hat auch auf wichtigen Unterschied zwischen denjenigen hingewiesen, die Politik als Brotberuf betreiben, und denjenigen, die dies nicht nötig haben: »›Von‹ der Politik als Beruf lebt, wer danach strebt, daraus eine dauernde Einnahmequelle zu machen – ›für‹ die Politik der, bei dem dies nicht der Fall ist. Damit jemand in diesem ökonomischen Sinn ›für‹ die Politik leben könne, müssen unter der Herrschaft der Privateigentumsordnung einige […] sehr triviale Voraussetzungen vorliegen: er muß – unter normalen Verhältnissen – ökonomisch von den Einnahmen, welche die Politik ihm bringen kann, unabhängig

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sein. Das heißt ganz einfach: er muß vermögend oder in einer privaten Lebensstellung sein, welche ihm auskömmliche Einkünfte abwirft« (Weber 1919, S. 572). Heutzutage ist die Berufstätigkeit der Spitzenpolitiker bekanntlich oft der Türöffner für spätere, lukrativere Jobs in Aufsichtsräten. Aber lassen wir das; entscheidend an dieser Stelle ist für uns nur die Frage, warum der Wunsch, 80 Millionen Menschen zu beherrschen, nicht als Problemfall erkannt wird, ganz besonders, nachdem er in Erfüllung gegangen ist. Merkels Antwort auf die Frage, warum sie dieses Land regieren möchte, wird im Text nicht als »Antwort« gekennzeichnet, sondern als »Entgegnung«. Das hätte man durchaus geschickter, nämlich ohne die aggressive Konnotation des »Gegners«, formulieren können. So spricht jemand, der meint, sich verteidigen zu müssen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – aber damit stellt sich für sensible Leserinnen und Leser sogleich die Wahrnehmung eines angespannten Tones ein (oder eines »Pfeifens im dunklen Wald«). Die Entgegnung lautet: »weil ich an dieses Land und seine Menschen glaube! Weil Deutschland voller Chancen steckt. Und weil ich davon überzeugt bin, dass wir sie nutzen können. Ich weiß, dass viele von Ihnen genauso denken. Die große Koalition hat den festen Willen, die Probleme zu lösen und die Herausforderungen zu meistern.« Überzeugungen zu haben und an dieses oder jenes zu glauben, ist beliebig. Es sind lediglich subjektive Meinungen, das heißt, sie können keinen allgemeinen Geltungsanspruch erheben (siehe Kapitel 1_2). In der atheistischen Lesart heißt es im europäischen Kulturkreis: »Glauben heißt nicht Wissen«, und entsprechend depotenziert ist in diesem Zusammenhang die Formulierung des Glaubens. Die christliche Tradition in der europäischen Kultur lebt davon, das Nichtwissen des Glaubens zu veredeln, indem sie ihn in der Hierarchie sogar über das Wissen stellt. Der Christ glaubt an die Dreifaltigkeit von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist. Weil die Bundeskanzlerin nun eben an »an dieses Land und seine Menschen« glaubt, wird so nach christlicher Lesart der deutsche Leser »göttlich veredelt«. Wie schon oben beim Begriff des »Bürgers« spielen Merkel und ihre Redenschreiber auch hier wieder mit der Ambivalenz eines Begriffs, und zwar dem des »Glaubens«. Rhetorisch ist das höchst raffiniert, weil dem Sprecher dann jederzeit ein Fluchtweg offen bleibt (»so habe ich das nicht gemeint«). Aber die Bundeskanzlerin Merkel dieser Anzeige glaubt nicht nur etwas, sie gibt auch vor, etwas zu wissen. Ein solcher Satz beansprucht Geltung, deswegen muss er ernst genommen werden. Sie gibt vor zu wissen, dass viele Deutsche so denken wie sie. Das vermeintliche Wissen bleibt freilich ein bloß behauptetes, da es nicht belegt wird – und behaupten kann man bekanntlich alles. Weiterhin wird ausgesagt, die große Koalition habe einen festen Willen. Das konnotiert freilich immer besser als ein Wille, der nicht fest oder überhaupt nicht vorhanden ist. Außerdem rechnet Merkel hier zielsicher mit der internalisierten liberalen Ideologie, die lehrt, dass wo ein Wille, da auch ein Weg sei. Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich, denn sofort folgt die Kombination »Probleme lösen« und »Herausforderungen meistern«. Und das dürfte bei den Leserinnen und Lesern eher folgende Gedankenverbindung auslösen: »Zum Zwecke der Standortsicherung und der Profitmaximierung sollen wir also schon wieder den Gürtel enger schnallen.«

»Für mehr Arbeit«, »für nötige Reformen«, »für mehr Wachstum« und »für eine bessere Zukunft« – so lauten die Zwischenüberschriften, die in Versalien geschrieben sind, wodurch ihre Wichtigkeit unterstrichen wird. Viermal ist die Bundeskanzlerin für etwas. Das klingt besser, positiver, als wenn es im Nörgelton der Kritiker gegen die hohe Arbeitslosigkeit, gegen den Reformstau usw. vorgetragen würde. Anschließend die Formulierung von den »arbeitswilligen Männern und Frauen«, die keine lohnabhängige Beschäftigung finden: Wer gewillt ist, sich einer fremdbestimmten Arbeit zu unterwerfen, findet also Merkels Zustimmung, doch implizit gesteht sie ein, dass es auch freiheitsliebende »Nichtarbeitswillige« gibt. Was soll mit denen geschehen? In den vergangen Jahren hat es dazu zahlreiche öffentliche Vorschläge gegeben, sie reichten von der Kriminalisierung bis zur Wiedereinführung des Arbeitsdienstes. Im Sinne der objektiven Intention der Standortpolitik tritt die Kanzlerin für ein neues, sprich besseres »Klima für Unternehmen« ein. Es ist taktisch klug, hier eine Kategorie aus dem moralisch sauberen Gebiet des Umweltschutzes zu verwenden, indem vom »Klima« gesprochen wird. Der »Klimawandel« ist ja neuerdings zu einer Art Götze der neuen Ersatzreligion des Bußetuns und Einkehrhaltens geworden. Das Klima, um das es hier geht, ist freilich eines, in dem die Firmen von Kosten entlastet werden sollen, um sie im Wettbewerb des globalisierten Kapitalismus erfolgreicher zu machen. Im sechsten Absatz wird denn auch der Zweck der Regierungsaktivitäten unverschleiert benannt: »Nur wenn unser Land stark und unsere Wirtschaft konkurrenzfähig ist ...«. Der zweite Teil dieses Satzes: »... können wir all denjenigen, die unsere Hilfe brauchen, auch Hilfe geben«, ist zugleich ein Fehlschluss und ein Hysteronproteron-Fehler. Durch Gesetzgebung Menschen zu schaffen, die Hilfe nötig haben, ist ein politisches Resultat und ein Mittel zur Erhaltung und Schaffung einer konkurrenzfähigen Wirtschaft. Firmen werden zum einen von Steuern und zum anderen von Lohnkosten entlastet. Letzteres geschieht sowohl durch die Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten für die Einrichtung von Niedriglöhnen, als auch durch sogenannte Kombilöhne, bei denen der Staat gleich einen Teil des Lohnes durch Steuergelder übernimmt. Für die unter solchen Bedingungen Arbeitenden ist dies identisch mit realer Verarmung, sie gehören nun zur stetig wachsenden Gruppe der working poor. Die so geschaffene Armut ist Basis für das psychologische Motiv, Menschen auch dazu zu bringen, für einen Euro in der Stunde zu arbeiten. Insofern ist »Armut« ein terminus a quo und ein terminus ad quem. Es bleibt dabei, dass die Armut der einen die Grundvoraussetzung für Reichtum anderer ist. Als Folge dieser tendenziellen Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten ist die Binnennachfrage rückläufig. Für ein exportorientiertes Land wie Deutschland ist dies indessen ökonomisch einstweilen noch nicht so erheblich. An mehreren Stellen im Text kommt das Wort »Familie« vor. Es geht »um bessere Förderung der Familien, um mehr Kinder«, und: »Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien alles Gute für 2006!« Auch diese menschlich-allzumenschlich konnotierenden Passagen haben es rhetorisch in sich. Der finanzielle Abbau im Sozialbereich hat dazu geführt, dass die Familien vermehrt Aufgaben übernehmen

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müssen, die vorher staatliche oder zumindest staatlich subventionierte Institutionen übernommen haben. Psychiatrische Beratungsstellen, Pro-Familia-Einrichtungen, Schuldnerbratungsstellen usw. – diese und ähnliche Institutionen verloren in den letzten Jahren staatliche Zuschüsse, obwohl gleichzeitig landesweit eine Verschärfung der sozialen Situationen festzustellen war. Kein Wunder also, dass dem Staat die Familien als soziale Auffangbecken mehr denn je am Herzen liegen. Außerdem geht es Merkel »um mehr Kinder«. Doch in einem liberalen Staat hat die Regierung darauf zu reagieren, was die Bürger tun, und ihnen nicht vorzuschreiben, wie sie sein sollen, indem zum Beispiel die biologische Vermehrung der Bevölkerung politisch gesteuert wird. Wenn in einem liberalen Land das Rentensystem so organisiert ist, dass die nachfolgende Generation die Renten von heute finanziert, dann aber die Kinderzahl der Paare zurückgeht, dann wäre es nicht die Aufgabe des Staates, die Paare zur Reproduktion zu motivieren, sondern eine Veränderung des Rentensystems auf die Tagesordnung zu setzen. Die hohl wirkende Redensart »Überraschen wir uns damit...« versprüht künstliche Fröhlichkeit; weit kann es mit der Überraschung nicht her sein, wenn man sich vorher einvernehmlich darüber verständigt hat. Hier liegt die sicherlich unerwünschte Gedankenverbindung zum traurigen Junggesellen nahe, der sich in der Adventszeit den Kopf darüber zerbricht, womit er sich denn diesmal zu Weihnachten überraschen könnte. Aber es geht ja auch gar nicht um unvorhergesehene Freuden, sondern darum, ein fest umrissenes Ziel zu erreichen: Deutschland soll »nach vorn gebracht« werden. Diese Parole wird noch einmal mit dem alliterationsbetonten Folgesatz eingepeitscht. Das »handschriftliche« Ende des Briefes (»Ihre Angela Merkel«) konnotiert noch einmal das Persönliche; eine mächtige Frau ehrt uns, indem sie sich ganz persönlich an uns wendet. Bei genauer Betrachtung ist die Bundeskanzlerin allerdings der einzige Mensch, der durch den Eigennamen als nicht austauschbare Person in Erscheinung tritt. Die Leserinnen und Leser dagegen werden nur in ihrer Funktion (als Staatsbürger) und eben nicht als Individuen angesprochen. Es handelt sich um eine Spielart des anonymen Briefs – aber hier ist nicht der Absender anonym, sondern der Empfänger. Auch in diesem Punkt ist die Anzeige zumindest ehrlich: Nicht als Personen werden wir geschätzt, sondern als herrschaftslegitimierende Staatsbürger. Die Bundeskanzlerin dagegen hat zwar auch eine Funktion, darf aber in dieser Anzeige als einzige auch Person sein. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Bundesadler, Schwarz-Rot-Gold-Balken (Bildanteile des Logos links oben), Fotografie mit der Bundeskanzlerin rechts oben. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Der Adler ist traditionell der König der Lüfte. Neben anderen Greifvögeln und neben dem Löwen, dem Bären sowie dem Elefanten ist er ein typisches Herrschaftszeichen. In schwarz-weiß gehalten, wirkt er besonders prägnant. Verglichen mit dem Reichsadler wirkt der Bundesadler zwar weniger martialisch, aber er breitet seine Flügel immer noch wehrhaft aus, was auch als schützende Geste verstanden werden kann.

Der schwarz-rot-(gold)gelbe Balken denotiert Deutschland. Da zu Deutschland die Geschichte des Nationalsozialismus gehört und sich daher noch heute beim Namen des Landes oder bei seiner aktuellen Fahne negative Konnotationen kaum ganz vermeiden lassen, wird dieser Negativkonnotation die Schärfe genommen. Die Elemente der deutschen Fahne werden gleichsam analysiert und als Linie neu zusammengesetzt. Das deutsche Hoheitszeichen, welches für viele noch immer mit schrecklichen Erinnerungen verbunden ist, weil sie Gründe haben, die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des »Dritten Reichs« wahrzunehmen, ist sozusagen abwesend und anwesend zugleich. So präsentiert sich ein Staat, der beansprucht, aus seiner Geschichte gelernt zu haben, weil er sie analysiert und ausgewertet hat: eine moderne deutsche Regierung, die mit dem nationalsozialistischen Deutschland aber nicht gleichzusetzen ist. Das wird auch durch das dritte Element des Logos unterstrichen, die serifenlose Schriftmarke. Im Alltagsbewusstsein konnotiert die deutsche Sprache in Frakturschrift immer noch »nationalsozialistisch« – obwohl die Fraktur von den Nationalsozialisten zu einem Zeitpunkt, als man noch auf die Weltherrschaft hoffte, aus dem Verkehr gezogen und, wo immer es ging, durch Antiquaschriften ersetzt wurde, die man für globaliserungskompatibler hielt. Das Bild rechts oben zeigt die Bundeskanzlerin zusammen mit anderen Menschen. Sie lächelt den Betrachter der Anzeige weltoffen an. Im Gegensatz zu den anderen gezeigten Menschen auf dem Bild ist sie als einzige scharf abgebildet, die anderen verschwimmen. Suggeriert wird freilich, dass sie ein Mensch aus dem Volk ist, eine von uns. Soviel ist zu erkennen, dass alle im Geschäftsdress gezeigt werden. Die Bundeskanzlerin ist mit den Erfolgreichen unterwegs, wie sie selbst ja auch zu den Erfolgreichen zählt. Das Foto könnte eine Messesituation darstellen; alle Personen sind in Bewegung, vielleicht fahren sie anderen auf einem Rollband, ein modernes Geländer legt dies nahe. Vielleicht zeigt das Bild ja auch die weltoffene Kanzlerin auf dem Flugplatz, mit ihrer Delegation kompetenter Erfolgsmenschen unterwegs zu neuen Zielen in aller Welt. Sie fährt anscheinend langsam am Betrachter vorbei, der auf diese Weise geschickt in das Bildgeschehen eingebaut ist. Einen Langzeitarbeitslosen, der sich das Bahnticket nicht leisten könnte, geschweige denn, dass er sich auf dem Frankfurter Airport wie zu Hause fühlt, wird diese Perspektive kaum zur Identifikation einladen, aber es gibt ja auch ähnliche Kontaktsituationen in der U-Bahn. Wahrscheinlicher wäre in diesem Fall freilich die distanzierende Wirkung, die dem Bild denotativ zwar nicht attestiert werden kann, ihm aber konnotativ umso stärker eingeschrieben ist. Alle Bildteile zusammengenommen konnotieren Bewegung, Fortschritt, Erfolg, Zuversicht, Zukunft. Die Anzeige im Ganzen erinnert an einen Serienbrief, der durch »handschriftliche« Zusätze personalisiert und verbindlicher gemacht wurde. Vor zwanzig Jahren war es noch durchaus verbreitet, dass Angehörige gebildeter Schichten ihre Grüße zum Jahresende in fotokopierter Form vervielfältigten und mit handschriftlicher Anrede sowie Schlussworten usw. verbindlicher gestalteten. Mittlerweile konnotiert diese Präsentationsform genau das, was die Zeichen der vorliegenden Bild-Text-Kombination auch denotieren, nämlich offizielle Kommuniqués wie z.B. von städtischen Energieversorgungsunternehmen, regierungsamtliche Mit-

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teilungen o.Ä., denen eine persönliche Note gegeben werden soll. Gleiches gilt für oft lästige Anschreiben aus dem Versandhandel. Die Bundesregierung »schreibt uns einen Brief« – eine Adresse, an die wir unsere Antwort richten könnten, wird indessen nicht angeben. Lediglich Internetseiten zum Weiterlesen werden genannt, und das soll selbstverständlich Transparenz und Bürgernähe suggerieren. Auf den einschlägigen Seiten findet man dann auch ein Formular, in dem man der Bundeskanzlerin eine Nachricht per E-Mail schicken kann. Die Asymmetrie zwischen Sender und Adressaten ist also kein Schnitzer, sondern ein weiterer Kunstgriff dieser handwerklich rundum gelungenen politischen Werbemaßnahme.

Wayne Rooney für Nike, 2006

07.3.6_Beispiel-Analyse: NIKE, 2006 Zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 wurde dieses Bild des englischen Fußballstars Wayne Rooney in einer Werbekampagne der Sportartikelherstellers Nike in den überregionalen Zeitungen Englands und auf einer riesigen Leinwand in London präsentiert. Über das Internet fand die Werbung sehr schnell Verbreitung weit über England und Europa hinaus. Als Spieler der englischen Weltmeisterschaftsmannschaft hat Rooney den Ruf eines Machers, keines Grüblers – eines harten, zur Rücksichtslosigkeit neigenden Kämpfers, der aus der Unterschicht kommt und damit auch kokettiert. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: Das einzige Textelement ist der rechts unten positionierte Slogan »Just do it«, versal in einer Serifenschrift gesetzt, grau auf weißem Grund. Ein Punkt am Ende des Satzes fehlt, stattdessen steht dahinter der bekannte Swoosh, das Firmenzeichen von Nike, in rot. Diese Farbe korrespondiert mit dem Rot der ikonischen Botschaft. Der Firmenname Nike wird auf der Anzeige nirgendwo präsentiert. Allein der Swoosh, dessen Funktion als Firmenzeichen beim Betrachter als bekannt vorausgesetzt wird, und die Kenntnis, dass »Just do it« der Slogan der Firma Nike ist, verweisen darauf, dass es sich um eine Kampagne der Firma Nike handelt.

2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: Der Slogan ist einfach, aber inhaltlich äußerst ambivalent. Er konnotiert Ehrgeiz, Wucht und (sportlichen) Eifer auf höchst direkte Art und Weise. Die Aussage »Tu es einfach« passt gut zu Rooneys Image, zielorientiert zu handeln. Macher sind angesagt, wenn es um Sieg und Erfolg geht, nicht nur im Sport. In dieser Botschaft steckt implizit auch eine gewisse Intellekt(uellen)feindlichkeit, denn sie lautet: »Nicht denken, sondern handeln!« Die Denker werden zu Zauderern und Bedenkenträgern zurechtgestutzt. Nike liegt damit durchaus im gesellschaftlichen Trend, der die »Praxis« heroisiert und bedächtig-reflektiertes Tun als altmodisch abqualifiziert. Die Forderung nach der Autonomie von Theorie wird heute kaum noch verstanden. Wie im Sport, so zählt auch gesamtgesellschaftlich ausschließlich der Sieg, der Erfolg, das Ergebnis. Der Fußball ist wie das Leben, das Leben ist Überleben, das Überleben ist Kampf, unser Kampf ist der Fußball. Da man den Slogan sofort mit der martialischen ikonischen Botschaft in Verbindung bringt, stellt sich auch die Kampf-Konnotation sogleich ein, nämlich aktive Gewalt. Ebenso die Opfer-Konnotation, also am eigenen Leib erfahrene, passive Gewalt. Die Konnotation, dass Sport im Gegensatz dazu ja auch lustbetontes, gemeinsames Spiel sein kann, wird gezielt vermieden; diese Bedeutung passte nicht zu Rooneys Image. Ebenso wenig wie die Einsicht, dass es ein Zeichen für einen hohen Entwicklungsstand der Zivilisation ist, wenn man Rudel- oder Dorfgemeinschaftsstreitereien nicht mehr als reale blutige Kämpfe austrägt, sondern in einer regelgeleiteten symbolischen Form. Da diese Werbung zu Beginn der Weltmeisterschaft präsentiert wurde, als noch nicht klar war, ob nicht Hooligans und andere Schläger den Verlauf der Weltmeisterschaft massiv stören würden: Konnte diese Reklame nicht auch als Aufforderung an die Hooligans verstanden werden, besonders gewalttätig in Aktion zu treten? Zwar ist dies zum Glück nicht geschehen, aber es mag durchaus so scheinen, als hätten die Werber diese provokative Botschaft mitkommuniziert. Weiterhin schwingt natürlich auch eine höchst profane Bedeutungsebene bei dem Slogan »Just do it« mit: »Wir stellen Sportartikel her – kauft sie!« Das Firmenzeichen am Ende des Slogans hat Bestätigungscharakter und unterstützt damit die linguistische Botschaft. Man hakt ein Schriftstück ab und sagt damit: »Ja, das passt«, »richtig so« oder »gut gemacht«. Slogan und Swoosh suggerieren, dass alles machbar ist, vorausgesetzt, man will es – und das kommuniziert jenen liberalistischen Gemeinplatz, der von allen am wenigsten originell ist. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Zu sehen ist eine Fotografie des englischen Fußballnationalspielers Wayne Rooney, der sich rot-weiß bemalt mit freiem Oberkörper präsentiert. Seine Arme sind abgespreizt, die Hände zu Fäusten geballt, das Gesicht ist angespannt, der Mund geöffnet, er scheint zu schreien. Kopf und Torso bilden die Mittelachse eines symmetrischen Bildaufbaus. Die Oberkante der Arme teilt das Bild fast im Goldenen Schnitt. Der Hintergrund ist komplett weiß. Das Format ist horizontal.

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4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Rooneys Pose in Verbindung mit der Bemalung ist das erste, was Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Gesichtsausdruck ist verzerrt wie zum Schrei: roh, brutal, aktiv auf der einen Seite, schmerzvoll, leidend, passiv auf der anderen. Rooney schillert also zwischen den Opfer- und den Täterkonnotationen. Das Bild ruft die Gedankenverbindung der Kreuzigung hervor. Das Kreuz selbst wird sowohl durch Rooneys Pose gezeigt, als auch durch die auf den geweißten Leib aufgemalte rote Farbe, die dann als Blut gelesen wird. Das kann so gedeutet werden, dass Rooney als Täter im Blutrausch erscheint – oder als Quasi-Christus, als Märtyrer, der sich heldenhaft für den Sieg des Guten geopfert hat. Eine weitere Konnotation ist augenscheinlich: Die Farbe Rot in Kreuzanordnung auf einem (geweißten) Nationalspieler lässt den Betrachter sofort an die Flagge Englands denken. Rooney wird hier zum Nationalsymbol erhöht; das Gute, für das er kämpft bzw. für das er sich opfert, ist England, sein Land. Nationalsymbole und religiöse Symbole haben eine strukturelle Ähnlichkeit, da sie stets auf ein Allgemeines verweisen, dem man sich unterwirft und das man verehrt. Ob das Allgemeine nun eine Nation ist oder ein wie auch immer strukturierter Gott, ist der Form nach zunächst einmal das Gleiche. Inhaltlich – geschichtlich – gibt es dann freilich doch einen zentralen Unterschied zwischen Rooney als englischem Nationalheld und Jesus als Erlöser der Menschen: Als Nationalheld Englands repräsentiert der Fußballspieler Konkurrenzprinzip und Wettbewerb, den Sieg, der nur durch die Schaffung von Verlieren zustande kommen kann. Den Christus, dessen Botschaft stets auch die Überwindung des Kampfes und der Konkurrenz durch Versöhnung ist, nimmt man Rooney nicht ernsthaft ab, denn er steht für den Kampf. Er leidet für den Sieg, indem er seine Feinde unterwirft. Rooneys Nacktheit transportiert die Konnotation der Wildheit und des Animalischen, aber auch die der kreatürlichen Verletzlichkeit. Rooneys Leib wird als verletzter präsentiert. Die ersten von Menschen realisierten Schriftzeichen wurden vermutlich in das Fleisch nackter Menschenleiber eingeritzt. Das Kainszeichen, von dem im Alten Testament berichtet wird, ist eines dieser frühen Schriftzeichen (Türcke 2005, S. 18 ff.). Rooneys Körper ist in diesem Sinne ein gezeichneter. Unterstützt wird dieses mythische Bild-Archaikum durch die weiße Körperfarbe, die man mit den Mimesispraktiken schamanistischer Zauberer in Verbindung bringen kann oder auch mit der Praxis des cinis caput spargere, der Asche, die zur Strafe und zur Buße auf das Haupt gestreut wird. Ob als Schamane, der ja als Medium zwischen den Göttern und den Menschen fungiert, als jesusähnliche Gestalt oder als englischer Nationalheld: Rooney wird gottähnlich bzw. als Heiliger präsentiert. Und das überträgt sich durch die bloße faktische Nähe auch auf die Marke Nike. Bewusst wird auf die Internetadresse und den Nike-Schriftzug verzichtet. Der Swoosh gilt als das in den USA am häufigste tätowierte Zeichen. Christoph Türcke hat darauf hingewiesen, dass die Schriftkultur der Logos, der Firmenzeichen, heute wieder nach der regressiven Logik der Kainszeichen funktioniert (Türcke 2005, S. 190 ff.). Aus dieser Perspektive würde für einen Global-Player wie Nike, wenn man so will, das Gleiche gelten, was durch den omnipräsenten Weltmeisterschaftsspieler Rooney ikonisch suggeriert wird: Jeder weiß, wo »Er« zu finden ist, »Er« ist überall, »Er« ist unter uns. So wie kein

Christ die Adresse von Gott kennen muss, braucht auch Nike keine (Internet-) Adresse anzugeben; nicht einmal der Schriftzug ist nötig, der Swoosh genügt. Jeder weiß, wo die Nike-Konsumkathedralen auf dieser Welt zu finden sind, jede Stadt weltweit hat Nike-Gotteshäuser, die von den Menschen aufgesucht werden. Dies braucht der Konzern nicht mehr zu kommunizieren. Er verkündet: Ich bin, war und werde immer da sein, ich bin der Größte, überall in der Welt; wir sind eine große Gemeinde der Sieger. Die Anzeige wurde von Christen, die ihre religiösen Gefühle verletzt sahen, und Moralisten, die vor allem das Kokettieren mit der Gewalt für unangebracht hielten, stark kritisiert. Damit haben sie erst zur flächendeckenden Verbreitung dieser Kampagne beigetragen. Man sollte bei dieser Anzeige allerdings eine Konnotation nicht übersehen: Sie wurde von Großbritannien aus geschaltet; für Briten konnotiert diese Anzeige ebenso wie für Kenner des Landes von außerhalb stark den englischen Humor. Und der ist meistens, auf erfrischende Weise, nicht politically correct.

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Werbeagentur Jung von Matt für »SIXT«, in: Der Spiegel, 2007

07.3.7_Beispiel-Analyse: Werbeagentur Jung von Matt für SIXT, Seit Jahren macht die Agentur Jung von Matt mit einem Rezept Werbung für die Autoverleihfirma Sixt, das überraschend wirkungsvoll ist: Man betreibt eine provokante, aber immer auch witzige Werbung, bei der Sixt und Jung von Matt stets mit dem baldigen Verbot des Abdrucks rechnen, zum Beispiel deshalb, weil eine dort abgebildete prominente Person Klage erhebt und vor Gericht Recht bekommt. Die dann zu zahlenden Prozessgebühren planen Sixt und Jung von Matt bereits mit in die Werbekosten ein, und beide fahren stets gut damit. Denn in der Regel genügt es, eine so beschaffene Anzeige lediglich einmal zu schalten.

Das ist natürlich erheblich kostengünstiger, als wenn die Anzeige wochenlang geschaltet wird. So kann eine mögliche Beleidigungsklage ökonomisch problemlos verkraftet werden, oder besser gesagt: Die Beleidigungsklage macht sich bezahlt. Die Rechnung geht deswegen auf, weil sich Werbeagentur und Autoverleihfirma sicher sein können, dass ihre provokante Anzeige trotz eines möglichen Verbotes vielfach reproduziert werden wird – und zwar in den redaktionellen Teilen der Zeitungen und Magazine, sodass die Firma Sixt nicht dafür bezahlen muss. Der Werbeeffekt ist bei dieser Art der Veröffentlichung vermutlich noch größer als bei einer normal geschalteten Werbeanzeige. Man ist im Gespräch, die Medien diskutieren das Für und Wider von Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz, Erwägungen über kreative Freiheit werden angestellt usw. Ein möglicherweise folgendes Verbot des Abdrucks bleibt wirkungslos, da die Anzeige in der Regel nur einmal geschaltet wurde und ein solches Verbot sich nur auf die Verwendung als Werbeanzeige bezieht, nicht auf den Abdruck im redaktionellen Teil einer Zeitung oder eines Magazins. Die von uns ausgewählte Anzeige verlässt insofern das übliche Schema, als sich hier die Leiter der Werbeagentur selbstironisch präsentieren. Sie beziehen sich auf eine ihrer anderen Werbekampagnen, die mit dem Slogan »Geiz ist geil« mittlerweile in die deutsche Umgangssprache eingegangen ist. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: Textblock unten: »Damit Sie noch günstiger Autos mieten können, haben wir unsere Werbeleute im Preis gedrückt.« Text auf Pappschild: »Geiz ist doch nicht geil.« Namen der gezeigten Personen: »Holger Jung«, »Jean-Remy von Matt«. Firmenzeichen rechts oben: »Sixt«, »rent a car«. 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: Im Slogan spielt das unscheinbare Wörtchen »noch« eine wichtige Rolle. Es konnotiert, dass die Autos von Sixt bisher schon unglaublich günstig zu mieten waren, und dass es eigentlich überhaupt nicht nötig war, die Preise zu senken. Somit erscheint die Firma extrem großzügig, fast gönnerhaft. Ideologiekritisch betrachtet, konnotieren die Worte »wir« und »unsere«, dass die Mitarbeiter von Sixt, vom Aufsichtsratsvorsitzenden bis zur kleinen Bürokraft, eng zusammenstehen, zum gemeinsamen Zweck, dem Kunden günstige Preise anbieten zu können. Diese Worte verschleiern wie stets die Machthierarchien von Firmen, die sich in den Gehältern widerspiegeln (siehe Beispiel 7.3.2, S.87 ff.). So auch hier: Die Worte konnotieren Einheit, Gemeinschaft und die Stärke der Firma, die daraus resultiert. Gleich zweimal ist implizit vom Geld die Rede, ausgedrückt durch die Wörter »günstiger« und »Preis«. Dabei wird nicht verschleiert, dass der Reichtum der einen auf der Armut der anderen fußt, was im Prinzip nur durch Unterdrückung gewährleistet werden kann. In die Armut »gedrückt« wurden hier die Werbeleute, um den relativen Reichtum der Sixt-Kunden zu ermöglichen. Als handelndes Subjekt der Unterdrückung tritt dabei die Firma Sixt auf, die Ihre Kunden dadurch symbolisch entlastet. Weniger korrekt könnte freilich das Verhältnis von Armut, Reichtum und Unterdrückung nicht dargestellt werden. Die Firmen

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Jung von Matt und Sixt machen ihre jeweiligen Geschäfte zum legalen, üblichen und allseits geförderten Zweck der Profitmaximierung. Dazu brauchen beide – Sixt direkt, Jung von Matt indirekt – das Geld der Kunden, die einen Wagen mieten. Doch genau um diese Unwahrheit geht es: Der Betrachter erkennt die Aussage sofort als ironisch, schmunzelt und darf sich dabei schlau vorkommen. Verstärkt wird die Botschaft des Textes durch die fette, serifenlose Schrift und den zentrierten Satz. All dies konnotiert Stärke, Festigkeit, Wahrhaftigkeit und Macht. Die Absolutheit der Aussage wird durch den Punkt unterstrichen. Der Slogan ist keine headline, sondern steht unten und konnotiert damit Basis und Bodenständigkeit. Die fette serifenlose Linearantiqua hat zudem einen sehr plakativen Charakter, der durch die Verwendung der (Firmen-)Signalfarbe Orange verstärkt wird. Schwarz auf Orange drückt aus: Achtung! Vorsicht! Aufgepasst! Die Schrift auf dem Schild ist von Hand aufgebracht worden. Sie ist fahrig und unordentlich, in Versalien auf einen abgerissenen Pappdeckel geschrieben. Der Inhalt – »Geiz ist doch nicht geil« – ist ein paraphrasierendes Selbstzitat, das sich auf die ebenso berühmte wie berüchtigte »Geiz ist geil«-Kampagne bezieht, welche die Werbeagentur Jung von Matt vor einigen Jahren für den Elektronikvertreiber Saturn entwickelt hatte. Diese Kampagne ist immer noch präsent; sie wurde in den Medien so stark diskutiert, dass der Slogan in die Sprache des Alltags eingegangen ist. Das geht so weit, dass Politiker im Bundestag, wenn vom heutigen Konsumverhalten die Rede ist, von einer »Geiz-ist-geil-Ära« sprechen. Die Verneinung »doch nicht« wirkt infantil, kleinlaut und verhalten. Auf den ersten Blick wirkt der Satz wie ein Eingeständnis. Die Subjekte der Aussage, es sind Holger Jung und Jean-Remy von Matt, die Chefs persönlich, gestehen scheinbar einen Fehler ein. Avaritia, der Geiz, war schon in der Antike eine Untugend und blieb auch im Christentum eines der Hauptlaster. Dann kam die Werbeagentur, wertete den Geiz ins Positive um und bekennt nun, dass dies ein schwerer Fehler war. Das Gegenteil ist freilich der Fall, denn der Slogan macht deutlich, dass auch diese Anzeige durchaus im »Geiz-ist-Geil-Trend« liegt, da ja suggeriert wird, das Sixt-Angebot sei äußerst günstig. Die beiden Namen sind, klein und unauffällig, direkt den beiden Personen zugeordnet. Die Textfarbe Weiß lässt sie auf dem dunklen Grund leuchten, sodass sie vom Betrachter nicht übersehen werden können. Die kleine Schrift konnotiert »unwichtig«, »nebensächlich«; jedoch eher in Form eines understatements, denn Holger Jung und Jean-Remy von Matt sind schließlich die Leiter einer bedeutenden Werbeagentur, und ihre Namen sind durchaus nicht unwichtig oder unbekannt. Das Logo ist wie der Slogan in einer fetten serifenlosen Linearantiqua gesetzt. »Sixt« steht in Versalien, mit Ausnahme des »i«, das einen orangefarbigen, dynamisch verzogenen i-Punkt erhalten hat, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Swoosh von Nike aufweist. Darunter steht in Kleinbuchstaben »rent a car«. Auf der weißen Schrift liegt ein Glanz. Das Logo konnotiert damit Stärke und Sicherheit, was bei einer Autoverleihfirma sehr wichtig ist, aber auch Dynamik. Auch der Name »Sixt« ist kurz, prägnant und wirkt modern.

3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Zwei Männer, Hund, Hut mit Geld, Plattenboden und Schild. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Beide Männer tragen abgenutzt wirkende, dunkle Kleidung. Der Linke hockt im Schneidersitz, der Rechte etwas zusammengekauert auf einem Steinplattenboden, wie man ihn in Fußgängerzonen findet. Wie wir durch die linguistische Botschaft wissen, ist links Holger Jung und rechts Remy von Matt zu sehen. Beide schauen ein wenig zerknirscht in die Kamera, sie sind unrasiert, ihre Kleidungstücke zerknittert. Der Hut, welcher mit der Öffnung nach oben vor ihnen liegt, weist sie als Bettler aus. Auf den ersten Blick erscheinen beide heruntergekommen. Das Schild, das Remy von Matt hält ist, kennt man von Straßenbettlern, wo der Text beispielsweise lautet: »Obdachloser bittet um eine kleine Gabe«. Berücksichtigt man die reale linguistische Botschaft des Schildes und betrachtet sie zusammen mit der ikonografischen Botschaft, die von den beiden Personen ausgeht, so lautet sie: »Tja, an unserer Lage sind wir ja selbst schuld. Jahrelang haben wir den geilen Geiz gepredigt, und das haben wir jetzt davon.« Bei genauerer Betrachtung der ikonischen Denotation bemerkt man schnell, dass die Kleidungstücke zwar zerknittert, aber nicht schmutzig sind. Die Männer sind zwar unrasiert, aber das könnten auch modische Drei-Tage-Bärte sein. Der saubere Hintergrund versucht gar nicht erst zu verbergen, dass die Aufnahme im Studio gemacht wurde. Außerdem sind die beiden angestrahlt, befinden sich im Rampenlicht. All das passt viel besser zu zwei erfolgreichen Werbern. Auch den mitleidheischenden Hund könnte man zwar für alt halten, denn seine Schnauze ist weiß, doch er wirkt keineswegs räudig oder unterernährt. Insofern wird bei dieser Anzeige stark auf die Botschaft des ersten Blicks sowie auf diejenige des zweiten Blicks gesetzt, wie es bei ironischen Botschaften stets der Fall ist. Ob die Betrachter allerdings diese Ironie auch lustig finden, ist nicht sicher, wenn man die Anzeige in einem größeren Zusammenhang sieht: Die Agentur Jung von Matt ist vor kurzem, zusammen mit vielen anderen Werbeagenturen, negativ in die Schlagzeilen geraten, da sie die Hauptarbeit von Praktikanten erledigen lässt, die mittlerweile nahezu sittenwidrig schlecht bezahlt und mit der Hoffnung auf eine spätere Festanstellung abgespeist werden. Der Begriff »Generation Praktikum« zieht seinen Gehalt nicht zuletzt aus den Missständen dieser Branche. 15 Stunden Arbeit am Tag, auch am Wochenende, kaum Urlaub, und das bei bloß symbolischer Bezahlung, trotz akademischen Abschlusses: So etwas ist mittlerweile branchenüblich. Die Gruppe der working poor wächst durch solche Praktiken. Zumindest auf denjenigen, der als Werbepraktikant einmal durch die eigene Verarmung zur Profitmaximierung von Jung von Matt beigetragen hat, wirkt diese Anzeige wohl nur noch sarkastisch. Bereits die »Geiz-ist-Geil«-Kampagne für Saturn war insofern problematisch, als sie suggerierte, auch der Kunde aus der Mittelschicht könne nun Produkte von Billiganbietern kaufen, ohne Gefahr zu laufen, gesellschaftlich geächtet zu werden. Unterstellt wurde dabei immer, er täte dies freiwillig. Fakt ist freilich, dass die ehemalige Mittelschicht in den letzten 15 Jahren zu großen Teilen tendenziell

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ins sogenannte Prekariat und damit in die existenzielle Unsicherheit überführt wurde. Zum Zwecke nationaler Standortpolitik wurden die dazu erforderlichen Gesetze erlassen. »Geiz-ist-Geil« war und ist also kein ästhetisches Phänomen oder ein politisches Phänomen der Erweiterung von Konsumfreiheit, sondern ein ökonomisches. Die meisten Menschen geben heute weniger Geld aus, nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Doch bei aller Kritik soll auch gesagt sein, dass die »Geiz-ist-geil«-Kampagne auch dazu geführt hat, dass die ins »Prekariat« überführten Menschen, die ehemals zur Mittelschicht gehörten, heute ohne Scheu, schlechtes Gewissen und das Gefühl, ertappt zu werden, bei den Discountern einkaufen können. Die schlimmen Deprivationserfahrungen werden so wenigstens gemildert.

Titelblatt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Nr. 21, 19. Mai 2008

Nr. 21, vom 19. Mai 2008 Die »Finanzkrise« (im Kern eine Überakkumulationskrise des internationalen Kapitals) war zwar schon in vollem Gange, aber sie war noch nicht, wie wenig später, zum alles beherrschenden Thema der Massenmedien geworden, als der Spiegel im Frühjahr 2008 über die Naturschutz-Weltkonferenz berichtete und damit ein Thema auf Platz eins hob, um das sich, unter dem Stichwort »Klimawandel«, seit einiger Zeit zahlreiche und verschiedenartige Ängste vor den zerstörerischen Folgen technisch-industrieller Naturzerstörung gruppiert hatten. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: »Der Preis des (Über-)Lebens«; »Wieviel es kostet, die Natur zu retten«; Tiernamen auf Etiketten; »Der Spiegel Nr. 21/19.5.08 / Deutschland: 3,50 €«; Zahlenreihe unter dem Barcode; »www.spiegel.de«; Länder und Preise; »Printed in Germany«. 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht Auf der Ebene der indirekt artikulierten Bedeutungen werden die Begriffe »Leben« und »Überleben« eng miteinander verbunden, und zwar im Zeichen einer beunruhigenden Konnotation, der »Gefahr«. Es geht nicht mehr um das Leben im vollen, qualitativen Sinne; die Frage ist vielmehr, ob und wie wir noch überleben können. Das Pathos, das im Wort »retten« unweigerlich mitschwingt, passt zur Konnotation »Gefahr«. Die Worte »Preis« und »kostet« fallen dadurch aus der banalen Enge des Kaufmännischen heraus, die ihnen landläufig anhaftet. Sie werden auf eine dramatische Bühne gehoben, auf der es um viel mehr geht als bloß um Geld. Dazu stehen wiederum die Kaufhausetiketten in Kontrast, die auf der Bildebene ohnehin nicht zu den edlen, wilden Tieren passen. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Exotische Tiere vorn im Bild; Etiketten, die an den Tieren hängen; Ausschnitt aus einem tropischem Regenwald bildet den Bildrahmen; Gewässer mit Wal in der Bildmitte; Gebäude mit qualmenden Schornsteinen in der Bildmitte (Hintergrund). 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Das Bild verweist auf eine friedliche Natur, die sich durch erfreuliche Farben, bunte Vielfalt der Arten und lebendige Fülle auszeichnet. Die Tiere schauen den Betrachter neugierig an oder leicht an ihm vorbei. Sie wirken sympathisch, denn sie sind naturbelassen und dennoch freundlich. ›Tiere sehen dich an‹ war früher einmal ein beliebtes Motto für einschlägige Fotoreportagen. Auf dem Titelblatt des Spiegel werden wilde Tiere gezeigt, aber sie wirken nicht wild und gefährlich. Das ist nicht die Natur des ›Fressen und Gefressenwerden‹ und auch nicht das Tierbild, das populärwissenschaftliche Fernseh- oder Kinodokumentationen vermitteln, in denen Tiere bei der Ernährung, bei der Vermehrung oder beim Kämpfen gezeigt werden. Wir sehen vielmehr eine Idylle. Diese Darstellungsweise kommt aus der Tradition der pastoralen Naturszene, aber hier haben wir es mit einer Pastorale ohne Hirten zu tun.

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Die kulturelle Konnotation dieser visuellen Botschaft ist die Vorstellung vom Paradies – die Natur als der wohlgeordnete Garten Eden. Alles ist am rechten Platz, die natürliche Umgebung ist der Rahmen des Lebens, und das Auge erfreut sich an allem, was sich ihm darbietet. Das Paradies ist eine Vision vom Zustand vor der Erschaffung des Menschen, als noch alles in bester Ordnung war. Im paradiesähnlichen Garten dieses Bildbeispiels sind keine Menschen zu sehen, doch die Schornsteine im Hintergrund verweisen indexikalisch auf sie. Im biblischen Mythos brachten die ersten Menschen die Ordnung im Paradies durcheinander, weil sie Erkenntnis besitzen und Freiheit gewinnen wollten. Zur Strafe fielen sie aus der natürlichen, von Gott gewollten Ordnung heraus. Sie schämten sich ihrer Nacktheit, wurden von Gott aus seinem Paradies vertrieben und mussten fortan selbst für ihren Unterhalt sorgen: Sie mussten arbeiten, um sich ernähren, kleiden und vor jenen Naturgewalten schützen zu können, die es in der paradiesischen Natur noch nicht gab. Unser Bildbeispiel zeigt ein Paradies, aus dem die Menschen längst vertrieben worden sind, aber wieder bedrohlich in seine Nähe vorrücken. Am Horizont ist eine Fabrik oder ein Kraftwerk zu erkennen. Die animalischen Bewohner des Gartens tragen erkennbare Spuren der Zivilisation am Körper, sie sind ausgepreist und etikettiert. Der Stimmungshintergrund solch eines Titelblatts ist die allgemeine Sensibilität für die Bedrohungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen; es ist die Aufregung, die der Klimaschock in den Massenmedien verursacht hat. Hinzu kommen längerfristige Stimmungslagen, für welche die Stichworte wie Ökologie, Tierethik, Natursehnsucht und Zivilisationskritik stehen. Die Kultur der industriellen Moderne ist begleitet von der Sehnsuchtsvorstellung natürlicher Lebensverhältnisse, die intakt und gesund sind, während Zivilisation und Kultur angeblich krank machen. Hier hat das Naturbild des Rousseauismus Pate gestanden. In der Philosophie von Jean-Jaques Rousseau wird Natur als das Andere der Zivilisation bestimmt. Zivilisation ist gekünstelt, zwanghaft, repressiv und krank, Natur dagegen frei, offen und gesund. Der Philosoph wollte die befreiende Kraft des naturgemäßen Lebens wieder freilegen, das unter dem Panzer der Zivilisation verborgen ist. Der Weg sollte über die Gefühle führen. Rousseau meinte, Menschen, die ihre innere Natur spüren und nicht unterdrücken, würden in der äußeren Natur Regungen und Kräfte erkennen, die ihnen entgegenkommen. Das Sinnbild dieser Naturauffassung war der englische Landschaftsgarten, die Antithese zum barocken Park in Frankreich. Rousseaus Ideal (nachzulesen in seinem Roman Julie oder Die neue Heloise, 4. Teil, 11. Brief ) war eine Natur, die durch menschliche Arbeit kultiviert wird – aber so, dass man Arbeit und Mühe nicht sieht oder atmosphärisch spürt (wie im barocken Park, der ständig bearbeitet werden muss, damit er seine Formen nicht verliert). Ein Leben gemäß der inneren und der äußeren Natur: Aus diesem philosophischen Programm entstanden dann zwei entgegengesetzte Strömungen, die beide äußerst wirkungsvoll waren: auf der einen Seite das Zeitalter der »schönen Seelen«, der Empfindsamkeit in der Literatur und in der Kunst, und auf der anderen Seite die radikal-revolutionäre Gesinnung. Mit Gewalt (und am Ende der Französischen Revolution mit Terror) sollte eine Gesellschaftsordnung durchgesetzt werden, die der Natur der Dinge und dem Naturrecht entspricht.

Welche These übermittelt das Titelbild vom Mai 2008? Eine mögliche Lesart lautet: »Die Tiere werden zu Waren, es findet ein Ausverkauf der Natur statt; der Mensch hat die letzten Winkel unberührter Natur erfasst und seiner marktwirtschaftlichen Ordnung unterworfen; die Tiere leben in Reservaten, das Paradies ist zum Naturschutzpark degradiert«. In Verbindung mit den ins Bild eingeschriebene Textzeilen geht es indessen in eine andere Richtung: »Wir müssen ›die Natur retten‹, bzw. wir tragen die Verantwortung dafür. Das geht nicht umsonst, wir müssen dafür einen hohen Preis zahlen.« Der Bildaufbau kehrt die traditionelle Deutung um, die aus der Kunst der Romantik bekannt ist. Dort ging der Ausblick meist in die Ferne, auf das Ziel der Sehnsucht. Denken wir beispielsweise an Bilder von Caspar David Friedrich, auf denen im Vordergrund Boden und Bäume in dunklen Erdtönen zu sehen sind, während die Aussicht übers Wasser auf den Horizont in zarten Farben im Zentrum des Bildes stehen. Zwar war für die romantische Bildkunst keineswegs klar, was den sehnsüchtigen Wanderer erwartete; das Ziel der Sehnsucht war ungewiss und vielleicht mit Ängsten verbunden. Aber dennoch war klar, dass die Reise dorthin gehen sollte. In unserem Bildbeispiel wird der Verweis auf den Sehnsuchtsort von einer Allegorie des destruktiven Fortschritts eingenommen. Vielleicht soll dies ja andeuten, dass Zivilisation, Wissenschaft, Technik und profitorientierte Wirtschaft die Natur zwar ruiniert haben, aber die Rettung dennoch nur auf der Basis von Zivilisation, Wissenschaft und Technik gelingen kann? In Richard Wagners Parsifal kann nur der »heilige Speer«, der die Wunde des Königs schlug, diese Wunde auch wieder heilen, indem er sie ein zweites Mal berührt. So ähnlich ist es wohl gedacht, denn das erfährt man im Text der Titelgeschichte. Sie steht unter Überschrift: »Marktplatz der Natur«. Im Vorspann heißt es: »Wieviel ist uns die Erde wert? Auf der Weltkonferenz in Bonn beraten Vertreter aus 191 Staaten über eine Revolution im Naturschutz. Die Rettung von Wäldern, Walen und Korallen soll zum neuen Milliardengeschäft werden – und so das dramatische Artensterben stoppen« (Der Spiegel Nr. 21, 19. Mai 2008, S. 132). Wenn die Rettung als »Milliardengeschäft« geplant wird, ist Skepsis bezüglich des Resultats angebracht. Doch wie dem auch sei, von dem Bild geht eine starke Suggestion, eine Aufforderung aus: Tiere sehen uns an – sie konfrontieren uns, mahnen uns und erinnern an unsere Verantwortung, der wir ohne eine »Revolution im Naturschutz« nicht gerecht werden können. Dieses tiefernste symbolische Bedeutungsfeld entsteht hier durch die leichthändig wirkende visuelle Paradoxie der wilden Tiere mit Barcode-Etiketten.

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KfW-Anzeige »Wie wird Hightech anfassbar?« in Der Spiegel, Juni 2016

07.3.9_Beispiel-Analyse: KfW-Anzeige »Wie wird Hightech anfassbar?« in Der Spiegel, Juni 2016 Die Kreditanstalt für Wiederaufbau wirbt mit diesem Motiv mit ganzseitigen Anzeigen in Zeitschriften und auf ihrer Webseite. 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: Oben links im Bild steht »kfw.de«, die Firmenwebseite. In der unteren Bildhälfte befindet sich in einem weißen Kasten die Überschrift »Wie wird Hightech anfassbar? Die KfW fördert innovative Technologien.« Der erste Satz ist im Blau des Firmen-

logos gehalten, der zweite Satz im Graugrün des Firmenslogans. Darunter steht, in kleinerer Schriftgröße, ein beschreibender Text in Schwarz. An den Text anschließend: eine Webadresse in hellgrüner, fetter Schrift. In der rechten unteren Ecke des weißen Kastens sehen wir das Firmenlogo und den Slogan »Bank aus Verantwortung.« 2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: Der gesamte Text dieser Werbeanzeige ist in einer Groteskschrift gesetzt worden. Es wird ein seriöser und doch modern-innovativer Eindruck vermittelt. Die drei kleinen Pfeile vor der Überschrift »Wie wird Hightech anfassbar?« sind keine geläufigen Satzzeichen. Sie haben keine grammatikalische Bedeutung, vermitteln aber durch die Richtungsweisung und Andeutung von Bewegung eine semantische Dynamik, die mit den Begriffen »Hightech« und »innovative Technologien« verbunden wird. Die Fragestellung »Wie wird Hightech anfassbar?« wird durch den Folgesatz beantwortet. Er behauptet implizit, dass die KfW durch die Förderung innovativer Technologien Hightech anfassbar macht. Das Blau des Firmenlogos sowie der ersten Teilüberschrift verbindet die beiden Textelemente, sodass die Bank als Antwort auf die Frage gelesen werden kann. Der zweite Teilsatz – »Die KfW fördert innovative Technologien« – wird durch die Farbgebung mit dem Slogan der Bank – »Bank aus Verantwortung« – verbunden. Die blaue Webadresse in der oberen linken Ecke schafft eine optische Verbindung zum Logo in der unteren rechten Ecke und dient der Blickführung. Der erste Satz des Fließtextes legt die Betonung auf »Deutschland«. Im zweiten Satz wird von »der Welt« und im letzten Satz wieder von »Deutschland« und den Bedingungen »auf der Welt« gesprochen. Das impliziert Verbundenheit zum Land, durch die Vertrauen bei den einheimischen Lesern geschaffen wird, und erzeugt zugleich das Bild eines global vernetzten und weltweit aktiven Unternehmens. Die Nennung der »mehr als 700« Start-ups, die »jedes Jahr« von der KfW Risikokapital bekommen, verdeutlicht Reichweite und Produktivität des Unternehmens. Die Stellung des Wortes »Risikokapital« auf derselben Blicklinie wie »Verantwortung« im Slogan stellt eine Verbindung her, die impliziert, dass bei der KfW Risiko immer mit Verantwortung einhergeht und somit auf beruhigende Weise abgemildert wird. Zur Konnotation Sicherheit kommt die Konnotation moralische Vertrauenswürdigkeit hinzu, denn wer »Verantwortung« übernimmt, so die gängige Vorstellung, tut dies aus ethischen Gründen, nicht aus Interesse an finanziellem Gewinn und Kapitalverwertung. (Das Motiv des Vertrauens kommt auch in der Anzeige der Deutschen Bank zum Tragen; siehe S. 95 ff.) Im zweiten Satz des Fließtextes bezeichnet sich die KfW selbst als »eine der größten Förderbanken der Welt«. Für sich genommen, könnte das überheblich und anmaßend wirken. Doch durch das nachfolgende Wort »unterstützt« bekommt die Aussage eine positive Wirkung, denn es lässt Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit anklingen. Die KfW wurde Ende 1948 gegründet. Mit erheblichen Geldmitteln aus dem Marshallplan sollte sie dafür sorgen, dass die deutsche Wirtschaft nach dem Zweiten

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Weltkrieg »wieder aufgebaut« werden kann. Adressaten für die Darlehensvergabe waren also nicht die großen Unternehmen; die hatten ja bekanntlich von der Kriegswirtschaft profitiert und waren keineswegs geschwächt aus dem Weltkrieg hervorgegangen. Stellvertretender Vorsitzender der KfW war Hermann Josef Abs, dessen Deutsche Bank Hitlers Vernichtungsfeldzüge mitfinanziert und dabei selbst bestens verdient hatte (siehe S. 95 ff.). Die KfW war für mittelständische Unternehmen gedacht. Sie bot Existenzgründungs- und Investitionsdarlehen und förderte öffentliche Aufträge in Verkehr und Wohnungsbau. Die Eigentümer der KfW sind zum Hauptteil die Bundesrepublik Deutschland und zum kleineren Teil deren Bundesländer. Heute fördert die KfW »unternehmerische Aktivitäten − auch im Ausland« mit folgenden Schwerpunkten: »Existenzgründung sowie Unternehmensübernahmen und -beteiligungen«, »energieeffiziente Maßnahmen in […] Unternehmen zum Schutz unserer Umwelt«, »innovative Umweltverfahren, Forschung und Entwicklung«. Öffentliche Einrichtungen können Kredite für die Bereiche »Wohnwirtschaft« und »kommunale Infrastruktur« sowie »kommunale & soziale Basisversorgung« erhalten sowie für »energetische Stadtsanierung« und, über ein Sonderprogramm, derzeit auch für den »Schutz in Flüchtlingsunterkünften«. Auch für »Investitionen gemeinnütziger Organisationen« können Kredite beantragt werden. An Privatpersonen werden zudem Darlehen für energieeffiziente Maßnahmen im Hausbau sowie für Ausbildungsund Studienförderung vergeben (Quelle: https://www.kfw.de/inlandsfoerderung/Unternehmen/index-2.html [16.02.2017]). Der »helfende« Eindruck der Bank, der vermittelt werden soll, wird durch das Beispiel »Medizintechnik« noch verstärkt. Geförderte Start-ups im Bereich der Waffentechnik hat man nicht als Beispiele ausgewählt, ebenso wenig wird die Profitmaximierung als Zweck der Bank erwähnt. Der letzte Satz des Fließtextes bezieht sich wieder auf die Regionalität und Verbundenheit zu Deutschland, das als »Technologiestandort« bezeichnet und gelobt wird. Der helfende, beinahe karitative Eindruck der KfW wird im letzten Satz weiter gesteigert. So wird erwähnt, dass die KfW die »Lebensbedingungen auf der Welt nachhaltig [...] verbesser[t]«. Deutschland, so die implizite Botschaft, will heute zwar nicht mehr die ganze Welt erobern, aber ohne deutsches Bankkapital geht es eben auch nicht. Die Webadresse sticht durch fetten Schriftschnitt und hellgrüne Farbe hervor, sie verweist auf weitere Informationen zu innovativen Technologien. In der Adresse werden »Innovation« und »Technologie« inhaltlich erneut zusammengeführt. Gebetsmühlenartig wird diese Wortkombination an vielen Stellen der Anzeige wiederholt: »Innovation« und »Technologie« als Heilsbringer. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Die Anzeige besteht – mit Ausnahme des weißen Rechtecks, das den Fließtext enthält – aus einem vollflächigen Bild, dessen verschwommener Hintergrund mehrere Computerbildschirme zeigt. Die vorherrschenden Farben sind Blau und Grün, etwas Schwarz und viel Weiß. In der oberen Bildhälfte ragt von der rechten Seite eine männliche Hand mit schwarzem Pulloverärmel ins Bild und von

der linken Seite eine Hand, die sich aus schwarzem Plastik, Metall und Kabeln zusammensetzt. Die Hände berühren sich mit jeweils ausgestrecktem Zeigefinger an der Fingerkuppe. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Bildschirme und helle Lichtverhältnisse im Hintergrund schaffen den Eindruck eines Laborraumes oder einer modernen Technikerwerkstatt. Man könnte bei der Maschinenhand an eine Prothese denken, zumal im Text die »Medizintechnik« erwähnt wird. Doch in erster Linie mutet sie wie eine Roboterhand an. So wurde dieses Bildelement denn auch von der überwiegenden Mehrzahl der etwa 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Übungen interpretiert, die wir an den Gestaltungsfakultäten in Mannheim und Würzburg durchgeführt haben. Die Hände erinnern an »Die Erschaffung des Adams«, also an jenen Teil von Michelangelos Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle, auf dem sich die Finger Gottes und Adams in ähnlicher Weise nähern. (Dieses Motiv begegnete uns bereits in der analysierten Werbung der Deutschen Bank; siehe S. 95 ff.) Der Mensch in Gestalt des Wissenschaftlers erscheint als »Gott«, der den Roboter nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Bezogen auf die Bank KfW wird damit suggeriert, dass die finanzielle Unterstützung innovativer Technologien mit Gottes Erschaffung des Menschen gleichgestellt werden kann. Durch den sichtbaren Rand des schwarzen Pullovers werden die Menschenhand und die ebenfalls schwarze Roboterhand optisch miteinander verbunden, was Roboter und Mensch dann doch wieder etwas gleichberechtigter erscheinen lässt. Wenn man der Lesart folgt, dass kein Roboter, sondern eine Prothese zu sehen ist, läge außerdem die Assoziation des technisch optimierten Menschen als »Prothesengott« (Sigmund Freud) auf der Hand. Doch ganz gleich, ob es sich hier um die visuelle Evokation einer Mensch-Maschine-Interaktion handelt oder – was weniger wahrscheinlich sein dürfte – um die Andeutung einer technologischen Körpererweiterung: Innovative Technik wird oft mit Unmenschlichkeit und Kälte assoziiert. Diese emotionale Assoziation kann durch das »menschelnde« Handmotiv vermieden werden. Die Fingerspitzen gehören zu den berührungsintensivsten Körperteilen des Menschen. So gesehen, unterstützt die KfW nicht gefühlskalte, unmenschliche Technokratenprojekte, sondern Projektinhalte, die den Menschen dienen, die dabei ihrerseits die Gefühle keineswegs unterdrücken oder verleugnen müssen. Wie schon in der linguistischen Botschaft das der Menschheit dienende Moment der Bank in Verbindung mit dem Beispiel »Medizintechnik« herausgestellt wurde, so geschieht dies auch hier in der ikonischen Botschaft. Ein weiterer Aspekt: Mit Händen wird stets auch Handarbeit assoziiert, die in der Regel mit hoher Qualität in Verbindung gebracht wird. Seit der Wirtschaftskrise im Jahr 2008, in der Banken weltweit mit Milliarden von Steuergeldern saniert wurden, haben viele Geldinstitute einen schlechten Ruf, den sie nun wettzumachen versuchen. Kritisch könnte man die Anzeige auch so lesen: Die Verdinglichung der Menschen geht mit der Vermenschlichung der Dinge einher.

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Titelblatt Der Spiegel, Nr. 2, 10. Januar 2011

07.3.10_Beispiel-Analyse: Titelblatt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Nr. 2, vom 10. Januar 2011 1_Die Denotationen der linguistischen Nachricht: Zur Textbotschaft zählen der Name des Magazins und zahlreiche Detailinformationen am Rand, die für den Zeitschriftenhandel relevant sind, sowie die Angabe der Webadresse des Verlags. All diese Textelemente sind für die Wirkung der Titelseite – im doppelten Wortsinne – marginal. Der zentrale Titeltext lautet »Die Unersättlichen«. Er ist in serifenbetonter Schrift mit Groß- und Kleinschreibung gesetzt. Der Untertitel steht in Versalien und ist in zwei Ebenen geteilt: »Facebook & Co.« oberhalb und »Milliarden-Geschäfte mit privaten Daten« unterhalb der Titelzeile.

2_Die Konnotationen der linguistischen Nachricht: Die Unersättlichen ist der deutsche Titel eines Buchs von Harold Robbins (The Carpetbaggers) aus dem Jahr 1961. »Der umfängliche, in rüdem Ton verfaßte und mit sexuellen Details durchsetzte Roman […] erreichte in kurzer Zeit eine Gesamtauflage von fünf Millionen Exemplaren und stand 40 Wochen lang auf der amerikanischen Bestseller-Liste«, war 1963 im Spiegel zu lesen (Nr. 43,1963, S. 116). 1964 wurde das Buch verfilmt und damit noch populärer. »Carpetbaggers« wurden Handlungsreisende genannt, die nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in Richtung Südstaaten unterwegs waren, um dort Geld zu verdienen. Der Spitzname geht darauf zurück, dass sie ihr Gepäck häufig in aus Teppichstoffen hergestellten Reisetaschen bei sich führten. Man sagte ihren Trägern nach, dass sie sich angesichts der schwierigen Lage in den Jahren nach dem Bürgerkrieg rücksichtslos bereichern wollten. In Harold Robbins’ Buch geht es allerdings um einen geldgierigen »Großindustriellen« aus dem 20. Jahrhundert, der die Leser wohl an einen Zeitgenossen erinnern muss: »Howard Robard Hughes. […] Sein renommiertestes Unternehmen ist die ›Hughes Aircraft Company‹, die heute Falcon-Raketen und Radar-Anlagen fertigt. Die Firma baut auch die Syncom-Satelliten, mit denen die USA ein kosmisches Nachrichtennetz für transkontinentale TV-Übertragungen einrichten wollen.« (Ebd.) Hier klingt bereits das Motiv des Hightech-Mediengeschäfts an. Die Nähe zwischen den Schriftarten des Magazinnamens und der Textzeile »Die Unersättlichen« – beide ähneln sich farblich und erinnern an Egyptienne-Schriften – schafft auf der Titelseite eine Korrespondenz, die durch die Anordnung am oberen und unteren Bildrand noch verstärkt wird. Sicher ist es nicht beabsichtigt, dass sich darin der ökonomische Zweck des Spiegels ausdrücken könnte. Die Bezeichnung »Facebook & Co.« deutet an, dass die Plattformen der Social Media, die ja faktisch miteinander konkurrieren, in Wirklichkeit unter einer Decke stecken – jedenfalls wenn es um den fragwürdigen Umgang mit dem wertvollen Material geht, das Kunden ihnen anvertrauen: Mit schützenswerten informationellen Gütern aus deren Privatsphäre werden »Milliarden-Geschäfte« gemacht. Optisch mutet die Zeile an, als sei sie auf einem Beschriftungsgerät mit Klebefolie hergestellt worden. Die rote Grundfarbe konnotiert Alarm, was zur gelben Signalfarbe der Zeile »Milliarden-Geschäfte mit privaten Daten« passt. Die Zeilen werden durch Versalien in gleicher Schriftart zusätzlich miteinander verbunden. In knappster Form wird ein Gegensatz aufgebaut (»Geschäfte« vs. »privat«) und implizit angedeutet, dass es ein Problem ist, wenn die Privatsphäre zur Ware wird. 3_Die Denotationen der ikonischen Nachricht: Im Hintergrund sieht man eine schlichte moderne Hausfassade mit regelmäßiggleichförmigen Fensteröffnungen. Diese haben jeweils hochgelassene Rollos, Fensterscheiben sind nicht vorhanden. So wirken die Fenster wie offene Löcher. Man sieht aufgeregte Menschen, die sich zum Teil aus den Fenstern stürzen, um sich einem vor der Fassade fliegenden, raupenähnlichen Monster anzuklammern. Dessen Kopf und Rumpf sind metallisch gefasst, während aus dem Hinterleib verschiedenfarbige Kabel hervorragen. Auf dem Kopf hat die Gestalt eine

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Kamera. Die Zähne sind hell leuchtende Scheinwerferlampen und die Gestalt scheint überlegen zu grinsen. 4_Die Konnotationen der ikonischen Nachricht: Wir haben es hier nicht mit einem niedlichen Wesen wie der kleinen Raupe Nimmersatt aus dem gleichnamigen Kinderbuch von Eric Carle zu tun. Hier ist ein großes Ungeheuer unterwegs. Wäre die Figur nicht so offenkundig technoid, könnte sie an einen Wurm oder Parasiten erinnern. Dieses Wesen ist ebenfalls »nimmersatt«, doch es ruft keinerlei Wohlwollen bei den Betrachtern hervor. Das Ungeheuer auf dem Titelblatt hat Ähnlichkeit mit einem Nautilus-Unterseeboot aus den Geschichten von Jules Verne. Es ist mit einer großen Überwachungskamera ausgestattet und verleitet die Menschen zu irrationalem Verhalten. Es dringt mit seinen Tentakeln aus Glasfasern in die Privaträume der Wohnungen ein und zieht die Menschen heraus. Mehr noch: Sie springen anscheinend freiwillig aus den Fensteröffnungen, um sich an die Fangarme des Ungeheuers zu hängen. Die schlichte oder eben öde Hausfassade erscheint als Sinnbild für die Ent-Individualisierung und Gleichförmigkeit des Lebens, für die Homogenisierung der Kommunikation durch Internetplattformen. Menschen verlassen ihr Gehäuse, um – wie man so sagt – auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Sie wollen dabei sein, sei der Preis dafür auch noch so hoch. Scheinen einige auch auf dem Schwanz des Datenmonsters zu balancieren und souverän zu surfen, stürzt die Mehrheit doch in die Tiefe. So wird visualisiert, dass sie nicht ausreichend auf ihre eigene Sicherheit achten: Wer zu viel von sich preisgibt, riskiert den Fall in die Fremdbestimmung durch mächtige Datenhändler. Doch auch wer den Anschluss an die sozialen Netzwerke verpasst, stürzt in den sozialen Abgrund einer Kommunikations- und Beziehungslosigkeit. Das Bild zitiert die Lithografie »Das Gerücht« von A. Paul Weber (1893–1980). Dieses wohl bekannteste Werk des nationalbolschewistischen Antisemiten, der nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik hoch geschätzt wurde, entstand 1943 als Zeichnung und wurde 1953 als Lithografie ausgearbeitet. Bezeichnenderweise wurde dieses Bildzitat von der überwiegenden Mehrheit der etwa 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Übungen, die wir an den Gestaltungsfakultäten in Mannheim und Würzburg durchgeführt haben, nicht erkannt. Das Entstehen von Gerüchten und die Bildung von Datenmengen haben Gemeinsamkeiten. Beide halten keine genaue Trennung zwischen Privaträumen und öffentlichem Raum ein. Der Übergang vom Privaten zum Öffentlichen wird fließend, wenn private Daten durch die sozialen Medien öffentlich werden. Auf der Titelseite des Spiegels wird dies durch fehlende Fensterscheiben versinnbildlicht, die Zimmer schützen nicht mehr vor dem öffentlichen Raum. Der Unterschied zwischen Gerücht und Big Data besteht darin, dass ein Gerücht ein falsches Allgemeines ist, das durch seine Anhänger (die in Webers Lithografie auf treffliche Weise visualisiert sind, gewissermaßen wörtlich, da sie zum Anhängsel des Ungeheuers werden) immer »wahrer« zu werden scheint. Beim Geschäft mit

den Daten geht es dagegen nicht um ein (falsches) Allgemeines, sondern darum, die Individualisierung der Produkte voranzutreiben, um passgenau auf individuelle Bedürfnisse potentieller Kunden eingehen zu können. Es geht um die Erstellung individueller Kundenprofile für effiziente Werbung und spezifische Produktion. Nicht »Für alle eins« (ein Produkt) ist die Datenideologie, sondern »Für jeden seins« (sein Produkt). Die Entdifferenzierung des Privaten vom Öffentlichen geht einher mit der Ideologie der sogenannten Prosumenten, die eine Entdifferenzierung der Produktion und der Konsumtion behauptet. So produzieren beispielsweise Blogger ihre Daten selbst, die sie dann untereinander konsumieren; Autokäufer gestalten die Oberflächen ihrer Fahrzeuge und die Firmen führen diese Designvorgaben aus usw. Daten werden heute mitunter als Weltwährung des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Das kann man durchaus so sehen, dennoch gibt es Unterschiede zur klassischen Währung. Sparsamkeit kann bei einer Geldwährung sinnvoll sein, aus der Sicht der »Datensammler« ist das bei Daten nicht der Fall. Für sie gilt grundsätzlich, dass die Vermehrung der Daten wünschenswert ist. Insofern ist der Titeltext »Die Unersättlichen« in Verbindung mit dem Ungeheuer von A. Paul Weber wirklich treffend. Man könnte sagen, dass die Ideologie des Kapitalismus, die grenzenloses Wachstum für möglich und nötig hält, erst mit den Daten zu ihrer angemessenen Währung kommt. Der hungrig-gierige Datenwurm in HightechRüstung ist ihre furchteinflößende Allegorie. All dies bleibt aber insofern Ideologie (im Sinne eines falschen Bewusstseins), solange nur mit den Daten vermögender Menschen ein Geschäft zu machen ist. Die Daten des stetig zunehmenden Teils der Weltbevölkerung, der durch Armut von der Teilhabe an der legalen Geschäftswelt ausgeschlossen bleibt, sind ökonomisch erst einmal wertlos. Auch die Prosumenten können sich nur insofern als Produzenten fühlen, als sie zwischen einer Vielzahl von Oberflächen auszuwählen haben, Eigentümer der Produktionsmittel sind sie nicht. Sie müssen für die »produzierten« Autos oder Smartphones bezahlen, anstatt dass sie damit Gewinn machen. Und die Hoffnung, dass die »neue Währung« die Welt vor Überproduktions- und Überakkumulationskrisen schützen könnte, wird von den Ergebnissen der empirischen Untersuchungen der gegenwärtigen Weltwirtschaft – wie sie von Thomas Piketty, Angus Deaton und anderen vorgelegt worden sind – zunichtegemacht. Soweit wie hier werden die Überlegungen in der Redaktion womöglich gar nicht gegangen sein. Gleichviel – wie an anderen Stellen ja schon verschiedentlich betont wurde – kommt es für die strukturale Analyse nicht darauf an, was sich Auftraggeber und Gestalter bei der Arbeit tatsächlich gedacht haben, sondern darauf, welche Bedeutungsaspekte konnotiert worden sind und also entsprechende Gedankenverbindungen bei den Betrachtern auslösen (können). Unzweifelhaft ist indessen die Intention, die sich im betrachteten Titelbild manifestiert.

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08_Ausblick: Zur Semiotik des bewegten Bildes Im Folgenden wird das Thema »Bewegtbild« angesprochen, denn es gehört natürlich definitiv zur Bildsemiotik hinzu. Dieses Buch widmet sich aber in erster Linie dem Bereich der Kommunikation mit stehenden Bildern und ihrem Verhältnis zum Text. Daher kann das bewegte Bild nicht tiefgehend oder gar erschöpfend abgehandelt werden. Wir wollen dieses Thema aber immerhin in Gestalt eines Ausblick berücksichtigen und versuchen, knapp und selektiv einige Aspekte anzusprechen, die uns besonders wichtig erscheinen. 08.1_Filmischer und kinematografischer Code nach Umberto Eco Am Beginn (und im Zentrum) der semiotischen Überlegungen zum Film steht dessen besondere mediale Eignung zur Repräsentation von Wirklichkeit. Die Frage ist, ob es sich hierbei um eine Repräsentation handelt, die auf visuellen Analogien beruht, welche nicht den Regeln einer symbolischen Codierung unterworfen sind, oder ob es sich um eine Repräsentation handelt, die einem System von Codierungsregeln gehorcht und nicht die Wirklichkeit so abbildet, wie sie tatsächlich ist. Der französische Filmsemiotiker Christian Metz ist davon ausgegangen, dass es hier ein »Primum« gibt, nämlich »das Bild, eine Art von Analogon der Wirklichkeit, das nicht auf die Konventionen einer ›Sprache‹ zurückgeführt werden könne« (Eco 1994, S. 251). Im Gegensatz dazu wollte Umberto Eco nachweisen, dass es ein derartiges »Primum« nicht gibt. Eco hat zwischen dem kinematografischen Code und dem filmischen Code unterschieden, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen. Diesen beiden Codes entsprechend gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Experimentalfilm. Der kinematografische Code »codifiziert die Reproduzierbarkeit der Wirklichkeit durch kinematographische Apparate« (Eco 1994, S. 250). Beim Experimentalfilm, der mit dem kinematografischen Code experimentiert, wird das technische Medium »Film« nicht als Mittel zum Ausdruck einer Erzählung genommen, sondern vielmehr das Medium »Film« in seiner materialen Selbstwertigkeit zum Thema gemacht. Die Kamera, der Projektor, die Anzahl der Bilder pro Sekunde (die Zeitlichkeit eines Ablaufs), die Filmschicht selbst, die Körnigkeit, der Entwicklungsprozess, die Leinwand usw. bilden das Experimentierfeld. Dieser Art von Experimentalfilm geht es letztlich um die Klärung folgender Frage: Wie kann es sein, dass etwas, das kein materielles Element mit der Wirklichkeit gemein hat, uns als ähnlich mit der Wirklichkeit erscheinen kann? Oder anders formuliert: Wie funktionieren die ikonischen Filmzeichen? Der filmische Code »codifiziert« »eine Kommunikation auf der Ebene bestimmter Erzählregeln« (ebd.). Beim Experimentalfilm, der mit dem filmischen Code experimentiert, geht es darum, folgende Frage zu klären: Nach welchen Regeln lassen sich mit dem Medium Film Geschichten erzählen? Wie wird Spannung erzeugt? Welche Art des Schnitts ist dazu notwendig? Wie sind die Zeitverhältnisse im Film? Wie ist das Verhältnis von Erzählzeit, Rückblenden, Vorblenden und Ähnlichem? Solche spezifischen Fragen betreffen den filmischen Code. Der filmische Code fußt auf dem kinematografischen Code. Eco spricht auch von der kinematografischen Denotation und der filmischen Konnotation.

Der filmische Code besteht aus den Erzählregeln, die Kontinuität und Lesbarkeit im Verlauf des Films gewährleisten. Die Sprache des Films ist konventionell, das heißt, sie beruht auf Übereinkunft und ist kein quasinatürlicher Ausdruck bzw. kein Abbild der Wirklichkeit. Wir sehen zum Beispiel in einer Einstellung einen Mann und eine Frau, die am Tisch sitzen und Wein trinken. Dann ein Schnitt, und die nächste Einstellung zeigt Damenstrümpfe über einem Bettgestell. André Bazin hat diese Technik als elliptisches Verfahren bezeichnet. Es bedient sich einer Auslassung, die das Ausgesparte hervorhebt (Bazin 1958, S. 258). Früher gab es Filmerklärer, die angedeutet hätten, dass Mann und Frau nun zusammengefunden haben. Da das Filmpublikum mittlerweile gelernt hat, den filmischen Erzählcode zu entschlüsseln, wurden Filmerklärer überflüssig. Die Strümpfe auf dem Bett als pars pro toto reichen, um den für die weitere Handlung wichtigen Akt zu konnotieren. In den 1930er Jahren hatte sich, resümiert André Bazin, eine einheitliche Erzählsprache etabliert, »die Filme [sind] fast einheitlich nach dem gleichen Prinzip geschnitten worden«. »Die Geschichte wurde in einer Folge von Einstellungen erzählt, deren Zahl relativ wenig variierte (etwa 600). Das Charakteristische dieser Schnitttechnik war der Schuß/Gegenschuß. Das heißt zum Beispiel in einem Dialog: der Logik des Textes folgend von einem zum anderen Gesprächspartner wechselnde Einstellungen« (ebd., S. 267). Je eindeutiger der filmische Erzählcode, desto reizvoller ist es für den Regisseur, Ambiguität zu schaffen. Die Uneindeutigkeit lebt allerdings davon, dass der traditionelle Erzählcode eindeutig gelesen wird. So kann sich zum Beispiel in Casablanca die Frage einstellen, ob Elsa Lund Viktor László betrogen hat, weil sie in Rick Blaines Hotelzimmer ihre alte Beziehung mit Rick noch einmal hat aufleben lassen, oder nicht. Eco beschäftigt sich nur mit dem kinematografischen Code. Besteht der filmische Code aus Erzählregeln, so umfasst der kinematografische Code hingegen die Repräsentationsregeln, die es ermöglichen, dass etwas als Abbild der Realität erscheinen kann. Wieso erscheint uns beispielsweise die ältere Filmaufnahme eines Wasserfalls als Bild eines realen Wasserfalls, wo doch bestimmte Analogien fehlen, die für die Sache selbst wesentlich sind? Das Bild ist zweidimensional, trocken, schwarz-weiß; die Leinwand, auf der es erscheint, ist glatt, während die Steine, über die das Wasser stürzt, spitz und bemoost sind, sich also rau anfühlten usw. Wie kann darauf für uns ein Abbild der Realität entstehen? Der kinematografische Code ist nicht, wie die Sprache, zweigliedrig, sondern dreigliederig. Eco abstrahiert somit in seiner Filmtheorie von allem, was mit der Erzählebene zu tun hat. Wenn im Folgenden der dreigliedrige kinematografische Code vorgestellt wird, so muss einschränkend vorweg gesagt werden, dass sich dieser nur auf das rein optische Material bezieht. Sämtliche Tonspuren (Dialoge, Sprecherstimme, Geräusche, Musik) bleiben unberücksichtigt. Die zweifache Gliederung des sprachlichen Codes setzt zunächst bei den Phonemen an. Darunter versteht man die kleinsten bedeutungsunterscheidenden, aber nicht selbst bedeutungstragenden Einheiten einer Sprache, also zum Beispiel das Phonem »a« in »Schalter« und das Phonem »u« in »Schulter« oder »R« in »Raum«

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und »B« in »Baum« oder »P« in Pein und »B« in Bein. Die Phoneme entsprechen in etwa den Buchstaben des Alphabets. Phoneme sind keine signifikanten Einheiten. Der nächste Gliederungsschritt setzt bei den Morphemen an. Das sind die kleinsten bedeutungstragenden Spracheinheiten. Erst auf dieser Ebene hat man es also mit sprachlichen Zeichen, das heißt mit signifikanten Einheiten zu tun. Morpheme sind aus Phonemen zusammengesetzt. Aus einer begrenzten Anzahl von Phonemen lässt sich eine unbegrenzte Anzahl von Morphemen bilden. Man unterscheidet zwischen freien Morphemen (Worten), die isoliert stehen können, und gebundenen Morphemen (wie beispielsweise Vorsilben), die nicht isoliert stehen können. Bei Eco ist der kinematografische Code dreifach gegliedert. Die erste Gliederungsebene betrifft die ikonischen Figuren, also zum Beispiel Winkel, Hell-Dunkel-Beziehungen, Rundungen, Kanten usw. Ikonische Figuren sind zwar Teile der ikonischen Zeichen, aber, wie Phoneme in der Sprache, lediglich bedeutungsunterscheidend, aber nicht bedeutungstragend. Die ikonischen Figuren sind das Zeichenmaterial, nicht selbst schon die Zeichen. Die zweite Gliederungsebene betrifft die ikonischen Zeichen, die Einzelbilder oder frames eines Films. Ikonische Zeichen sind das, was man auf einem Einzelbild erkennt, also zum Beispiel ein Einzelbild, das zwei Personen zeigt, die vor einem Haus stehen. Es kann sich um eine Begrüßung oder einen Abschied handeln. Ikonische Zeichen (bzw. Aussagen) sind bedeutungstragende Einheiten, insofern sie Zeichen sind, die etwas abbilden. Die dritte Gliederungsebene betrifft die Kinemorpheme, die das Ganze sozusagen in Bewegung bringen. Kinemorpheme sind signifikante gestische Einheiten wie zum Beispiel ein bejahendes Kopfnicken oder ein Winken mit der Hand. Anhand eines solchen könnte man im vorigen Beispiel etwa erkennen, dass sich die beiden Personen vor dem Haus verabschieden. Die Kinemorpheme verlassen den Bereich des Einzelbildes, in welchem sich die ikonischen Zeichen aufhalten, und betreten den Bereich des bewegten Bildes, das heißt die Einstellung. Bezogen auf die Kinemorpheme haben die ikonischen Zeichen keine Bedeutung, sondern sind lediglich bedeutungsunterscheidend. Beim Film sind also zwei Ebenen zu unterscheiden: die Ebene der ca. 24 Bilder pro Sekunde, mit denen ikonische Figuren, ikonische Zeichen und Kinemorpheme gebildet werden, und die Ebene der filmischen Erzählregeln. Auf beiden Ebenen sind Filme Konstruktionen, die genau bestimmbaren Codierungen folgen. Dem semiotischen Blick erscheint der Film »nicht mehr wie die wunderbare Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern als eine Sprache, die eine andere vorherbestehende Sprache spricht, von denen sich beide mit ihren Konventionssystemen gegenseitig beeinflussen« (Eco 1968, S. 254). Der filmische und der kinematografische Code verweisen aufeinander. Wir sehen nicht die Sachen selbst, sondern deren zeichenhafte Repräsentationen. Diese gehören ihren jeweiligen Zeichensystemen an und folgen den dort geltenden Regeln. Zeichensysteme sind Ergebnisse von Übereinkünften und Kommunikationsregeln.

08.2_Was sucht diese Frau in der Kneipe? Die rhetorische Figur des pars pro toto kann als Grundprinzip des Films angesehen werden. Das soll im Folgenden an einem Beispiel erläutert werden. Was bedeutet es eigentlich, wenn wir von einem »Ausschnitt« sprechen? Oder: Wie funktionieren indexikalische Zeichen? Oder: Wie kann ein Bild (richtiger: eine Einstellung) eine ganze Geschichte erzählen? Stellen wir uns als Beginn eines Spielfilms folgende erste Einstellung vor, wobei der Kamerastandpunkt unverändert bleibt und auch kein Zoom eingesetzt wird. Die Tonspur denken wir uns nicht mit: Wir sehen eine nicht ganz saubere, zerkratzte, hölzerne Tischoberfläche, auf der eine Frauenhand mit den Fingern klopft. An den Fingerspitzen haften Spuren von Schmutz. Am Handgelenk sehen wir einen goldenen Armreifen. Daneben liegt ein roter Handschuh, dessen Finger zum Teil umgedreht sind. Auf der Tischplatte steht ein halbausgetrunkenes Whiskeyglas, daneben liegt ein brauner Geldbeutel, dessen Nähte an manchen Stellen gerissen sind. Hinter der Tischoberfläche sieht man die untere Ecke eines Fensters, dahinter viele Fußgänger und Autos. Es ist hell draußen. Diese Situationsbeschreibung klingt ausgesprochen hölzern, weil wir den Versuch unternommen haben, nur das zu benennen, was uns bei diesem Beispiel tatsächlich optisch gegeben ist. Wir sehen in diesem Fall nicht eine Frau, sondern nur eine Hand von ihr, wir sehen nicht einen Tisch, sondern nur einen Teil von ihm, wir sehen nicht den Innenraum einer Kneipe, sondern nur einen Ausschnitt davon. Der letzte Fall ist, genauer betrachtet, bereits ziemlich komplex. Dass wir überhaupt annehmen können, dass das Bild eine Kneipe zeigt, ist letztlich Resultat eines Schlusses, den wir aufgrund einer ganzen Anzahl indexikalischer Zeichen und entsprechender Interpolationen ziehen: Ein halbleeres Whiskeyglas steht auf dem Tisch und ein Geldbeutel liegt daneben, die Ecke eines Fensters ist sichtbar usw. Es genügt uns ein Teil, um ein Ganzes wahrzunehmen. Dieses Phänomen wird in der Rhetorik Synekdoche oder pars pro toto genannt. Wir übertragen diese Begriffe hier auf den Bereich visueller Kommunikation. Die bisherige Beschreibung des Verhältnisses pars pro toto könnte zu dem Missverständnis führen, dass wir zeitlich zuerst den Teil erfassen und später erst das Ganze. Dem ist nicht so: Sehen wir das Bild, sagen wir sogleich: Da sitzt eine Frau in einer Kneipe. Außerdem haben wir bisher nur den räumlichen Aspekt des pars pro toto berücksichtigt. Freilich ist das Bild, das wir sehen, auch ein Ausschnitt aus der Zeit. Wir sehen eine Vielzahl von Zeichen, die auf den jetzigen Gefühlszustand der Frau verweisen. Dieser hat sicher mit Erlebnissen zu tun, die zeitlich zurückliegen und zum Bild hinzugehören, das wir uns von der Person machen, auch wenn wir keine präzisen Daten dazu haben. Was ist vorher passiert? Warum ist sie so aufgeregt? Sie klopft mit den Fingern; erwartet sie jemanden? Der Handschuh – es ist nur einer, wo ist der zweite? Sie hat ihn hastig abgestreift, denn die Finger sind zum Teil noch umgedreht. Warum diese Hast? Der Handschuh selbst verweist auf Abendgarderobe. Was macht eine Frau tagsüber im Abendkleid in einer Kneipe, die, alle Zeichen

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sprechen dafür, eine Spelunke ist? Whiskey am helllichten Tage – soll er beruhigen, ist sie Alkoholikerin? Wurde die Verabredung für den Abend abgesagt? Warum? Was kam dazwischen? Offensichtlich hat sie vor nicht langer Zeit mit den Händen in Erde gewühlt. Warum wühlt eine Frau in Abendgarderobe in der Erde? Wurde sie überrascht und musste etwas verstecken? Dann der Geldbeutel – es ist eigentlich eine Brieftasche, wie Männer sie benutzen. Warum hat sie eine solche Brieftasche, die auch ziemlich zerschlissen ist und nicht zur festlichen Kleidung passt? So werden bereits durch diese erste Einstellung des Filmes eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen, die dann im Folgenden beantwortet werden. Das erste Bild ist gleichsam die Themenstellung, die Aufgabe, eigentlich schon der ganze Fall, wenn auch noch in ungelöster Form. Alles Wesentliche ist bereits angesprochen. Der Betrachter liest die Zeichen einerseits als Effekt vorausgegangener, aber noch nicht bekannter Ereignisse, und andererseits als Ursache für Ereignisse, die noch stattfinden werden. So entsteht Spannung. Diese ist immer ein Verhältnis von Präsentem und Nichtpräsentem, sowohl im räumlichen als auch im zeitlichen Sinn. Wenn Spannung viel mit dem Nichtgezeigten zu tun hat, dann sind umgekehrt die Filme die formal am wenigsten anspruchsvollen, die versuchen, alles zu zeigen, auf das es in einem bestimmten Fall ankommt. (Es wäre interessant, genauer zu untersuchen, ob es sich bei anderen Medien ebenso verhält.) Der rein pornografische Film steht da an erster Stelle. Beim ihm geht um Geschlechtsverkehr, und er zeigt Geschlechtsverkehr. Anders der erotische Film, welcher von der Dialektik lebt, die zwischen Gezeigtem und Nichtgezeigtem herrscht. Nur im letzteren Fall wird der Betrachter ernsthaft als Interpret beansprucht, denn er hat gleichsam den nichtgezeigten Teil des Films ständig imaginär zu ergänzen; durch diese Leistung des Betrachters wird in diesem Fall der Film erst vollständig. Ähnliches gilt für den »guten Krimi«. Die Qualität der Filme Alfred Hitchcocks kommt genau dadurch zustande, dass der Regisseur sich bestens drauf verstand, den Zuschauern gezielt Wesentliches des jeweiligen Filmes visuell vorzuenthalten. Allgemein kann man die Regel formulieren: Film funktioniert grundsätzlich nach dem Prinzip pars pro toto (als Dialektik von Gezeigtem und Nichtgezeigtem), weil er notwendig ausschnitthaft ist. Qualität allerdings bekommt ein Film erst, wenn der Regisseur dieses Prinzip anwendet, indem er gleichsam mit zwei Drehbüchern arbeitet: Das eine (reale) Drehbuch benennt , was gezeigt wird, und das andere (imaginäre) Drehbuch benennt, was nicht gezeigt wird. Doch unser Beispiel kann auch noch Folgendes verdeutlichen: Um die dort gegebenen Zeichen lesen zu können, muss der Betrachter, ebenso wie der Regisseur, eine Vielzahl kultureller Codes beherrschen. Nehmen wir nur den Sachverhalt, dass unsere Frau Whiskey trinkt. Wir sehen, wie sie ein Glas ergreift, in dem eine braune, klare Flüssigkeit ist. Woher wissen wir denn, dass es sich um Whiskey handelt und nicht um Tee? Doch nur durch die spezifische Form des Glases. Ganz allgemein formuliert, ist ein Code »jedes System von Symbolen, welches durch vorherige Übereinkunft dazu bestimmt ist, die Information zu repräsentieren und sie zwischen Quelle und Bestimmungspunkt zu übertragen« (Miller 1951).

Wichtig für uns sind bei dieser Definition die Begriffe »Übereinkunft« (Konvention) und »System«. Das System ist in diesem Fall das der unterschiedlichen Gläserarten, die sich in unserem Kulturraum durchgesetzt haben. Um sagen zu können: »Dies ist ein Whiskeyglas«, muss man gleichzeitig wissen, dass ein Rotweinglas, ein Schnapsglas, ein Teeglas, ein Bierglas usw. eben kein Whiskeyglas ist. Man muss das System der Gläser oder eben den Gläsercode beherrschen, um ein einzelnes, konkretes Glas bestimmen zu können. Dass sich in unserem Kulturkreis durchgesetzt hat, Whiskey aus Gläsern zu trinken, die zylinderf örmig sind und einen dicken Boden haben, kam durch Konvention zustande. Grundsätzlich hätte sich auch eine andere Form durchsetzen können. Unser ganzes Wirklichkeitsverständnis ist geprägt von solchen kulturellen Codes. Wirklichkeit erfahren und erleben wir nicht »an sich«, sondern immer nur vermittelt über kulturelle Codes. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, gehen wir kurz auf den Geldbeutel ein, der auf dem Tisch liegt. Auch hier muss man erstens den Code beherrschen, der im Bereich unterschiedlicher »Taschen und Beutel« gilt, um zu wissen, dass es sich um einen Geldbeutel handelt. Außerdem muss man das System der Geldbeutel beherrschen, die in der Regel von Frauen getragen werden, und das System der Geldbeutel, die meistens von Männern getragen werden. Dies klingt alles recht banal – und zwar deshalb, weil wir im alltäglichen Leben bei der Anwendung dieser Codes kaum Schwierigkeiten haben. Sie sind für uns selten Thema, sondern lediglich Werkzeug, das wir laufend unbewusst einsetzen. Doch bereits die Hilflosigkeit in einem fremden Land hängt genau damit zusammen, dass man die dortigen Zeichen nicht richtig zu lesen vermag. Man wendet die abgespeicherten Codes der eigenen Kultur auf dortige Phänomene an und interpretiert diese dabei nicht selten falsch. Erst durch solche Fehlinterpretationen wird deutlich, wie sehr Wirklichkeitsbewusstsein von solchen kulturellen Filtern geprägt ist. Auch wenn heute durch die kulturelle Globalisierung in Verbindung mit der Totalität der Warenform eine relativ starke Anähnelung vieler Kulturen zu beobachten ist, gibt es trotzdem immer noch große Unterschiede. Der Kommunikationspraktiker bekommt dies vor allem dann zu spüren, wenn er zum Beispiel bestimmte Werbekonzepte, die sich in einem Land bewährt haben, auf andere Länder zu übertragen versucht. Was sich im einen Land als einfallsreiche Konzeption durchgesetzt hat, kann in einem anderen Land beispielsweise als obszön eingestuft werden. Eine mit Minirock bekleidete Frau auf einer Werbeanzeige ist in Mitteleuropa unproblematisch, im streng katholischen Süden Spaniens dagegen könnte sich dieses Bildmotiv immer noch kontraproduktiv auf den erwünschten Werbezweck auswirken. Kommunikationdesigner müssen sich in einem solchen Fall mit Angehörigen der jeweiligen Kultur beraten, ob sich ein Konzept übertragen lässt oder nicht.

nachweise THOMAS FRIEDRICH GERHARD SCHWEPPENHÄUSER

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Abbildungsnachweise Für die ausdrückliche und freundliche Genehmigung zum Abdruck des Fotos und der Abbildung des »Typografischen Stillebens« sowie der Logos und Werbeanzeigen danken wir Katrin Greiser, John Pasche und Bruno Paulot sowie folgenden Gesellschaften und Agenturen: Apple, AUDI AG, Clubmaster, Condor, Deutsche Bank AG, Draftsfcb Deutschland GmbH, Euro RSCG Düsseldorf GmbH, Hewlett Packard, Kieler-Woche-Büro, Magazin Verlagsgesellschaft Süddeutsche Zeitung mbH, MasterCard Europe, McCann Erickson Frankfurt GmbH, McDonald’s, Peugeot, Publicis Frankfurt GmbH, Sophia Stupperich, Thomas Cook AG, Togal, weigertpirouzwolf Werbeagentur, VDZ-Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und WELTNER GmbH. Die Abbildung auf S. 79 stammt von der Webseite http://arthistoryunstuffed.com/roland-barthes-mythologies/ [17.03.2017]. Trotz eingehender Bemühungen der Autoren war es leider nicht in allen Fällen möglich, die Bildrechte-Inhaber ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche bitten wir, dem Verlag zu melden.

Literaturangaben Barthes, Roland: Mythen des Alltags [1957], Frankfurt am Main 1998 Barthes, Roland: »Rhetorik des Bildes« [1964 a], in: G. Schiwy (Hg.): Der französische Strukturalismus. Mode, Methode, Ideologie, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 158–166 Barthes, Roland: Elemente der Semiologie [1964 b], Frankfurt am Main 1983 Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod [1976], München 1976 Bazin, André: »Die Entwicklung der kinematographischen Sprache« [1958], in: F.-J. Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 42001, S. 256–274 Benjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels [1928]: in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 1, hg. v. R. Tiedemann u. H. Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1974, S. 203–430 Bonsiepe, Gui: »Visuell-verbale Rhetorik. Über einige Techniken der persuasiven Kommunikation« [1965], in: ders.: Interface – Design neu begreifen, Mannheim 1996, S. 85–103 Brunkhorst, Hauke: »Globalisierung, Krise und Demokratie«, in: G. Schweppenhäuser u. J. H. Gleiter (Hg.): Paradoxien der Globalisierung, Weimar 1999, S. 82–94 Bürger, Peter: Theorie der Avantgarde [1974], Frankfurt am Main 41982 Cicero, Marcus Tullius: De oratore/Über den Redner [55 v. Chr.], übers. u. hg. v. Harald Merklin, Stuttgart 2006 Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik [1968], München 81994 Ehmer, Hermann K.: »Zur Metasprache der Werbung – Analyse einer Doornkaat-Reklame« [1971], in: ders. (Hg.): Visuelle Kommunikation. Beiträge zur Kritik der Bewusstseinsindustrie, Köln 81980, S. 162–178 Ehses, Hanno: Design and Rhetoric: An Analysis of Theatre Posters [1986], Design Papers 4, Halifax, Nova Scotia 21989 Ehses, Hanno und Ellen Lupton: Rhetorical Handbook. An Illustrated Manual Graphic Designers [1988], Design Papers 5, Halifax, Nova Scotia 21996 Ehses, Hanno: Design on a Rhetorical Footing, Design Papers 6, Halifax, Nova Scotia 2008 Frege, Gottlob: »Über Sinn und Bedeutung« [1892], in: ders.: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hg. v. G. Patzig, Göttingen 71994, S. 40–65

nachweise THOMAS FRIEDRICH GERHARD SCHWEPPENHÄUSER

142. 143

Freud, Sigmund: Massenpsychologie und Ich-Analyse [1921], in: ders.: Studienausgabe, hg. v. A Mitscherlich et al., Frankfurt am Main 1978, S. 61–134 Friedrich, Thomas: »Semiotik für Kommunikationsdesigner«, in: Würzburger. Magazin für Kommunikation und Gestaltung, Nr. 7 (2001), S. 16 ff. Gadamer, Hans-Georg: Ästhetik und Poetik I: Kunst als Aussage, in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 8, Tübingen 1993 Heine, Heinrich: Werke, Bd. 1, Frankfurt am Main 1968 Horkheimer, Max und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947], in: M. Horkheimer: Gesammelte Schriften, Bd. 5, hg. v. G. Schmid Noerr, Frankfurt am Main 1987 Joost, Gesche und Arno Scheuermann (Hg.): Design als Rhetorik: Grundlagen, Positionen, Fallstudien, Basel 2008 Kopperschmidt, Josef (Hg.): Rhetorik. 2 Bände, Darmstadt 1990/1991 Kracauer, Siegfried: »Propaganda und der Nazikriegsfilm« [1942], in: ders.: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt am Main 1984, S. 321–395 Langer, Susanne K.: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst [1965], Mittenwald 21979 Lenk, Kurt (unter Mitarbeit von Rolf K. Hocˇevar): »Max Weber«, in: Hans Maier, Heinz Rausch und Horst Denzer (Hg.): Klassiker des politischen Denkens, Bd. 2, München 51987, S. 296–313 Leumann, Manu et al.: Lateinische Grammatik, Bd. 2: Lateinische Syntax und Stilistik von J. B. Hofmann, Neubearb. von A. Szantyr, München 1972 Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand [1690], Bd. 2, Berlin 1872 Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien [1995], Opladen 21996 Miller, George A.: Language and Communication, New York, Toronto, London 1951 Mitchell, William James Thomas: »Was ist ein Bild?«, in: V. Bohn (Hg.): Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt am Main 1990 Morris, Charles William: »Semiotik« [1938], in: Ders., Grundlagen der Zeichentheorie / Ästhetik der Zeichentheorie, München 1972 Müller-Doohm, Stefan: »Bildinterpretation als struktural-hermeneutische Symbolanalyse«, in: R. Hitzler und A. Honer (Hg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik, Opladen 1997, S. 81–108

Nagl, Ludwig: Charles Sanders Peirce, Frankfurt am Main, New York 1992 Rousseau, Jean-Jacques: Julie oder Die neue Heloise. Briefe zweier Liebender aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen [1761], München 21988 de Saussure, Ferdinand: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft [1916], Berlin 21967 Scholz, Oliver Robert: »Bild«, in: K. Barck u.a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 1, Stuttgart, Weimar 2000, S. 618–669 Scholz, Oliver Robert: Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung [1991], Frankfurt am Main 22004 Schweppenhäuser, Gerhard: »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt. Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur, Bielefeld 2004 Schweppenhäuser, Gerhard: Ästhetik. Philosophische Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Frankfurt am Main 2007 Searle, John. R.: Sprechakte: Ein sprachphilosophischer Essay [1969], Frankfurt am Main 1971 Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus [1998], Berlin 1998 Türcke, Christoph: Vom Kainszeichen zum genetischen Code. Kritische Theorie der Schrift, München 2005 Ueding, Gert und B. Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode [1976], Stuttgart, Weimar 31994 Ueding, Gert: Klassische Rhetorik [1995], München 32000 Volli, Ugo: Semiotik. Eine Einführung in ihre Grundbegriffe, Tübingen, Basel 2002 Weber, Max: »Politik als Beruf« [1919]: www.sw.fh-koeln.de/akjm/iks/dl/mw.pdf (26. Februar 2008. – Die orthografischen Fehler in den zitierten Stellen wurden korrigiert.) Weber, Max: Politik und Gesellschaft [1919], hg. von D. Lehmann, Frankfurt am Main 2006 Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 36, Halle, Leipzig 1743, Sp. 1758 www.deutsche-bank.de/de/downloads/Logo_Geschichte.pdf (31.8.2009) www.guardian.co.uk/music/2008/sep/02/therollingstones.design (1.9.2009) www.markenlexikon.com

analytisches inhaltsverzeichnis 144 06

Vorwort

08

01_Theorie und Begründung

16

02_Kommunikation mit Bild und Text

26 26 27 28 29 29 29 29 30

03_Was heißt »Semiotik«? 03.1_Was ist ein Zeichen? 03.1.1_Definition »Zeichen« 03.1.2_Zeichenwelt und Wirklichkeit 03.2_Die drei Relationen des Zeichens 03.2.1_Semantik 03.2.2_Syntaktik 03.2.3_Pragmatik 03.3_Aspekte des Zeichens und seiner Objektbeziehungen

36 36 36 36 36 37

04_Sechs Beispiele aus dem werblichen Bereich 04.1_KIELER WOCHE 04.2_WOLLSIEGEL 04.3_SHELL 04.4_ROLLING STONES RECORDS/ APPLE RECORDS 04.5_APPLE MACINTOSH

39 39 40 42 43 43

05_Vier Beispiele aus anderen Bereichen 05.1_Fotografie 05.2_Piktogramm 05.3_Bruno Paulot, »Typografisches Stilleben« 05.4_Emoticons 05.5_Zusammenfassung

44 44 45 45 46 46 49 51 52 52 55 55 56 57 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

06_Visuelle Rhetorik 06.1_Was ist Rhetorik? 06.1.1_Kurzer geschichtlicher Abriss der Rhetorik in Europa 06.1.2_Visuelle Rhetorik heute 06.2_Stilmittel der Rhetorik 06.2.1_Figuren der Ähnlichkeit 06.2.2_Figuren des Ersatzes (Tropen) 06.2.3_Figuren des Kontrasts 06.2.4_Figuren der Verknüpfung 06.2.5_Figuren der Steigerung 06.3_Analyse visueller Rhetorik 06.3.1_BHW 06.3.2_KAISER I 06.3.3_POSTBANK 06.3.4_SPARKASSE 06.3.5_KAISER II 06.3.6_KIA 06.3.7_HP 06.3.8_AUDI 06.3.9_THOMAS COOK 06.3.10_TOGAL 06.3.11_MASTERCARD 06.3.12_BÖRSE ONLINE 06.3.13_CLUBMASTER 06.3.14_PRINT WIRKT 06.3.15_MARLBORO 06.3.16_KAISER III 06.3.17_PEUGEOT 06.3.18_MCDONALD’S

74 74 74 80 82 87 93 95 104 114 118 123 126 130

07_Die strukturale Analyse der Rhetorik des Bildes 07.1_ Zwei Grundbegriffe der Semiotik 07.2_Visuelle Mythologien 07.3_Die Nachrichten des Bildes 07.3.1_SAT1-Anzeige in Der Spiegel, 1999 07.3.2_BOEING-Anzeige in Der Spiegel, 1999 07.3.3_Prospekt KAISER-Drogeriemarkt, 2001 07.3.4_DEUTSCHE BANK-Anzeige in Der Spiegel, 2003 07.3.5_Anzeige der BUNDESREGIERUNG, 2007 07.3.6_Wayne Rooney für NIKE, 2006 07.3.7_SIXT-Anzeige, 2007 07.3.8_Titelblatt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, 2008 07.3.9_KfW-Anzeige in Der Spiegel, 2016 07.3.10_Titelblatt des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, 2011

134 134 137

08_Zur Semiotik des bewegten Bildes 08.1_Filmischer und kinematografischer Code nach Umberto Eco 08.2_Was sucht diese Frau in der Kneipe?

140

Abbildungsnachweise

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Literaturangaben

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Analytisches Inhaltsverzeichnis