Formen selbstreflexiven Erzählens: Eine Typologie und sechs exemplarische Analysen 9783110922332, 9783484181458

The first part of the book presents a systematically reasoned typology of the various forms of narrative self-reflection

173 27 85MB

German Pages 291 [292] Year 1997

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Selbstreflexion im poetologischen und narratologischen Sinn
1. Vorbemerkungen
2. Ist Dichtung per definitionem selbstreflexiv?
2.1. Selbstreflexivität als Merkmal poetischer Sprache? Die Erweiterung des Bühlerschen "Organonmodells" und ihre Folgen
2.1.1. Die strukturalistischen Ansätze Jan Mukařovskýs und Roman Jakobsons
2.1.2. Der semiotische Ansatz Umberto Ecos
2.1.3. Die Grenzen formalistisch begründeter Ansätze
2.2. Selbstreflexivität als Merkmal fiktionaler Rede? Sprachphilosophische Bestimmungsversuche im Gefolge von Sir Philip Sidneys Defence of Poesie
2.2.1. Historischer und systematischer Hintergrund
2.2.2. Die Bestimmung fiktionaler Rede als Repräsentation von Rede
2.2.2.1. Fiktionale Rede als Repräsentation von Rede ohne unmittelbaren Situationskontext und Objektbezug - die Ansätze von Wolfgang Iser, Barbara Herrnstein Smith u. A
2.2.2.2. Fiktionale Rede als Repräsentation von imaginär authentischen Sätzen - der Ansatz Félix Martínez-Bonatis
2.2.3. Poetologische Konsequenzen der Unterscheidung zwischen einem realen und einem imaginären Kontext von fiktionaler Rede
2.2.4. Die pragmatische Komponente des Fiktionalitätsbegriffs oder Wie identifiziert man einen Text als fiktional?
3. Selbstreflexion im narratologischen Sinn
3.1. Terminologische und erzähltheoretische Voraussetzungen
3.2. Die Typen der Selbstreflexion in fiktionalen Erzähltexten
3.2.1. Selbstreflexion im Sinne von "Sich-SelbstBetrachten"
3.2.1.1. Die Ebene des Erzählens
3.2.1.2. Die Ebene des Erzählten
3.2.2. Selbstreflexion im Sinne von "Sich-SelbstSpiegeln"
3.2.3. Narrative Selbstreflexion und "Metafiktion" oder Die Verbindung unterschiedlicher Reflexionstypen im Zeichen einer narrativen Poetik
II. Entwürfe einer narrativen Poetik zwischen Aufklärung und Gegenwart - sechs exemplarische Analysen
1. Allgemeine Voraussetzungen
2. Narrative Fiktion und die "Kunstwerdung der Künste" Christoph Martin Wieland: Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva (1. Ausgabe 1764)
3. Narrative Fiktion und die Verheißung der Erfüllung unendlicher Sehnsucht - E. T. A. Hoffmann: Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot (1820)
4. Narrative Fiktion und die Wirklichkeit eines historischen Wandels - Theodor Fontane: Die Poggenpuhls (1895/96)
5. Narrative Fiktion und die "Märchenhaftigkeit des Alltäglichen" - Arthur Schnitzler: Traumnovelle (1925/26)
6. Narrative Fiktion und die Wirklichkeit des "großen Rätsels" oder "The End of Fiction" - Wolfgang Hildesheimer: Tynset (1965)
7. Narrative Fiktion und Simulation oder Vom Ende der Wirklichkeit - Martin Grzimek: Die Beschattung (1989)
III. Möglichkeiten und Formen selbstreflexiven Erzählens - ein Resümee
IV. Literaturverzeichnis
V Personenregister
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Formen selbstreflexiven Erzählens: Eine Typologie und sechs exemplarische Analysen
 9783110922332, 9783484181458

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STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart, Richard Brinkmann und Conrad Wiedemann

Band 145

Michael Scheffel

Formen selbstreflexiven Erzählens Eine Typologie und sechs exemplarische Analysen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Für Friederike

Scheffel

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Scheffel, Michael: Formen selbstreflexiven Erzählens : eine Typologie und sechs exemplarische Analysen / Michael Scheffel. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 145) ISBN 3-484-18145-1

ISSN 0081-7236

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Buchbinder: Siegfried Geiger, Ammerbuch

Inhaltsverzeichnis

Einleitung I.

Selbstreflexion im poetologischen und narratologischen Sinn 1. Vorbemerkungen 2. Ist Dichtung per definitiomm selbstreflexiv? 2.1. Selbstreflexivität als Merkmal poetischer Sprache? Die Erweiterung des Bühlerschen »Organonmodells« und ihre Folgen 2.1.1. Die strukturalistischen Ansätze Jan Mukarovskys und Roman Jakobsons 2.1.2. Der semiotische Ansatz Umberto Ecos 2.1.3. Die Grenzen formalistisch begründeter Ansätze · 2.2. Selbstreflexivität als Merkmal fiktionaler Rede? Sprachphilosophische Bestimmungsversuche im Gefolge von Sir Philip Sidneys Defence of Poesie 2.2.1. Historischer und systematischer Hintergrund . . . 2.2.2. Die Bestimmung fiktionaler Rede als Repräsentation von Rede 2.2.2.1. Fiktionale Rede als Repräsentation von Rede ohne unmittelbaren Situationskontext und Objektbezug die Ansätze von Wolfgang Iser, Barbara Herrnstein Smith u. a 2.2.2.2. Fiktionale Rede als Repräsentation von imaginär authentischen Sätzen - der Ansatz Felix Martinez-Bonatis 2.2.3. Poetologische Konsequenzen der Unterscheidung zwischen einem realen und einem imaginären Kontext von fiktionaler Rede 2.2.4. Die pragmatische Komponente des Fiktionalitätsbegriffs oder Wie identifiziert man einen Text als fiktional?

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3- Selbstreflexion im narratologischen Sinn 3.1. Terminologische und erzähltheoretische Voraussetzungen 3.2. Die Typen der Selbstreflexion in fiktionalen Erzähltexten 3.2.1. Selbstreflexion im Sinne von »Sich-SelbstBetrachten« 3.2.1.1. Die Ebene des Erzählens 3.2.1.2. Die Ebene des Erzählten 3.2.2. Selbstreflexion im Sinne von »Sich-SelbstSpiegeln« 3.2.3. Narrative Selbstreflexion und »Metafiktion« oder Die Verbindung unterschiedlicher Reflexionstypen im Zeichen einer narrativen Poetik

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II. Entwürfe einer narrativen Poetik zwischen Aufklärung und Gegenwart - sechs exemplarische Analysen

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1. Allgemeine Voraussetzungen 91 2. Narrative Fiktion und die »Kunstwerdung der Künste« Christoph Martin Wieland: Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder Die Abenteuer des Don Sylvia von Rosalva (i. Ausgabe 1764) 94 3. Narrative Fiktion und die Verheißung der Erfüllung unendlicher Sehnsucht - E. T. A. Hoffmann: Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot (1820) 121 4. Narrative Fiktion und die Wirklichkeit eines historischen Wandels - Theodor Fontäne: Die Poggenpuhls (1895/96) . . . 154 5. Narrative Fiktion und die »Märchenhaftigkeit des Alltäglichen« - Arthur Schnitzler: Traumnovelle (1925/26) . . 175 6. Narrative Fiktion und die Wirklichkeit des »großen Rätsels« oder »The End of Fiction« — Wolfgang Hildesheimer: Tynset d9 6 5) 7. Narrative Fiktion und Simulation oder Vom Ende der Wirklichkeit — Martin Grzimek: Die Beschattung (1989) . . .

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III. Möglichkeiten und Formen selbstreflexiven Erzählens - ein Resümee

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IV. Literaturverzeichnis

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Personenregister

Einleitung

Der Blick auf sich selbst sei typisch für die Literatur der Gegenwart, wird von Kritikern und Autoren oft behauptet. So stellt z.B. Hubert Winkels in einem Rückblick auf die deutsche Literatur der achtziger Jahre fest, »daß es selten ein Jahrzehnt gegeben« habe, »in dem so viele [. . .] reflexiv durchgestaltete Texte geschrieben worden« seien,1 und der Schweizer Schriftsteller Martin R. Dean erklärt in einem »Bekenntnis zu Hermann Burger«, daß Burger mit seinem Programm der »Selbstverschriftlichung« jene »Literaturdekade der achtziger Jahre« eingeleitet habe, »die nicht mehr vom realistischen Erzählen, sondern vom Spiel mit den Möglichkeiten des Erzählens und der Sprachwerdung von Wirklichkeit handelt.«2 Vergleichbare Thesen wurden in Frankreich schon vor Jahrzehnten formuliert. »Notre litterature«, schrieb z.B. Roland Barthes 1959 in dem Artikel »Litterature et meta-langage«, est depuis cent ans un jeu dangereux avec sä propre mort, c'est-ä-dire une fagon de la vivre: eile est comme cette heroine racinienne qui meurt de se connaitre mais vit de se chercher (Eriphile dans

Für den besonderen Fall des Romans erklärte Alain Robbe-Grillet, einer der Wortführer des in vielen Ländern einflußreichen nouveau roman? daß der Roman bis Mitte des letzten Jahrhunderts »unschuldig«, das heißt ohne Bewußtsein seiner selbst gewesen sei und erst im »neuen Roman« der Gegen1

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Vgl. Winkels, Literatur, S. 293. Winkels führt das Phänomen der Selbstreflexion auf die neue Konkurrenz durch die elektronischen Medien zurück: »[...] das buchstäbliche Ein-Leuchten eines Fernsehbildes hat den schön geschriebenen Satz um seine unmittelbare Wirkung gebracht. Literatur, die darum weiß, sagt, wenn sie etwas sagt, immer auch, daß und wie sie es sagt.« Ebd. Eine ähnliche, wenn auch negativ bewertete Diagnose stellt z.B. Schirrmacher, Idyllen, S. 267. Volker Hage spricht in seiner Rezension von Peter Handkes Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) dementsprechend von der »neuerdings [...] gefürchtete(n) >postmodernen LitetatenliteraturFaux-MonnayeursMann ohne EigenschaftenHirngespinst»Stute< ist >ein weibliches Pferdmean the same thing,< which proves that the meaning of these words is independent of the particular word chosen to express it. The plurisign, on the other hand, while never entirely lacking in referential function, is at the same time semantically reflexive in the sense that it is a part of what it means. That is to say, the plurisign, the poetic symbol, is not merely employed but enjoyed; its value is not entirely instrumental but largely aesthetic, intrinsic.« Vgl. Jakobson, Linguistik, S. iiof. Ansatzweise bezieht Jakobson Mehrdeutigkeit auch auf die pragmatische Dimension der poetischen Sprache: »Nicht nur die sprachliche Botschaft selbst, auch Sender und Empfänger werden mehrdeutig. Neben Autor und Leser gibt es ein >Ich< des lyrischen Helden oder des fiktiven Erzählers und das >Du< oder >Ihr< des angesprochenen Empfängers dramatischer Monologe, Fürbitten und Episteln. [...] Jede poetische Mitteilung ist eigentlich zitierte Rede mit all den eigentümlichen und verwickelten Problemen, welche >Rede innerhalb der Rede< dem Linguisten auferlegt.« (Vgl. ebd., S. in). Vgl. dazu auch Lachmann, Gedächtnis, die Jakobsons Gedanken von der »Rede in der Rede« als einen für den Aufbau einer »dialogischen Poetik« wesentlichen Ansatz interpretiert.

Für unseren Zusammenhang ist schließlich noch wichtig, daß Jakobson die poetische Funktion nicht auf die Dichtung26 und die Dichtung nicht auf die poetische Funktion reduziert. »Die poetische Funktion«, schreibt Jakobson in seinem programmatischen Aufsatz Linguistik und Poetik, stellt nicht die einzige Funktion der Wortkunst dar, sondern nur eine vorherrschende und strukturbestimmende und spielt in allen ändern sprachlichen Tätigkeiten eine untergeordnete, zusätzliche, konstitutive Rolle. Indem sie das Augenmerk auf die Spürbarkeit der Zeichen richtet, vertieft diese Funktion die fundamentale Dichotomic der Zeichen und Objekte. Aus diesem Grunde darf sich die Linguistik, wenn sie die poetische Funktion untersucht, nicht nur auf das Gebiet der Dichtung beschränken.27

2.1.2. Der semiotische Ansatz Umberto Ecos Auf der Folie eines unterschiedlich differenzierten Kommunikationsmodells und mit jeweils eigenen Akzentuierungen heben sowohl Mukarovsky als auch Jakobson Selbstbezüglichkeit als differentia specified der poetischen Sprache hervor — wobei Jakobson die »poetische Funktion« der Sprache, die diese Selbstbezüglichkeit leistet, keineswegs auf die Sprache der Dichtung beschränkt. Der Semiotiker Umberto Eco erweitert den linguistischen Ansatz Jakobsons, indem er die »ästhetische Funktion« weder auf die Dichtung noch auf die Sprache begrenzt. Eco begreift die poetische Sprache als eine mögliche Form der ästhetischen Botschaft, die er ihrerseits als »autoreflexiv« und »mehrdeutig« bestimmt. Zu diesem Zweck ergänzt Eco die Thesen Jakobsons um Elemente aus der Zeichentheorie und der Informationsästhetik, konkretisiert seine Ausführungen allerdings gleichwohl in erster Linie an sprachlichen Beispielen.28 Um die Besonderheit der »ästhetischen Botschaft« erfassen zu können, führt Eco zunächst eine einfache Unterscheidung ein:

Vgl. ebd. S. 153—171. Zu den m.E. näher liegenden Konsequenzen dieses von Jakobson nicht weiter reflektierten Gedankens, vgl. diese Arbeit weiter unten. 26 Vgl. z.B. Jakobson, Linguistik, 8.95: »Mnemotechnische Zeilen [...], moderne Werbesprüche und mittelalterliche Gesetze [...], wissenschaftliche Sanskrit-Abhandlungen in Versform [...] - all diese metrischen Texte bedienen sich der poetischen Funktion, ohne ihr die zwingende, determinierende Rolle zu verleihen, die sie in der Dichtung spielt.« Ebd., S. 95. 27 Vgl. ebd., S. 92 f. 28 Zur Begründung, die Eco im Anschluß an Jakobson für die exemplarische Untersuchung der »ästhetischen Botschaft« an sprachlichen Beispielen gibt, vgl. ders., Kunstwerk, S. ojf. Vgl. dazu auch Jakobson, Linguistik, S. 103. Zu Ecos Analyse der ästhetischen Botschaft in den visuellen Künsten und der Musik vgl. z.B. ders., Kunstwerk, S. I54ff.

die Unterscheidung zwischen Botschaften mit referentieller Funktion (die Botschaft bezeichnet etwas eindeutig Bestimmtes und - je nachdem - Verifizierbares) und Botschaften mit emotiver Funktion (die Botschaft möchte Reaktionen im Empfänger erregen, Assoziationen hervorrufen, antwortende Verhaltensweisen induzieren, die über das bloße Erkennen der bezeichneten Sache hinausgehen). 29

Diese Unterscheidung verknüpft Eco mit der Zweiteilung zwischen denotativer und konnotativer Funktion des sprachlichen Zeichens wie sie etwa Roland Barthes in seinen Elements de semiologie erläutert hat.30 Botschaften mit referentieller Funktion sind für Eco zugleich Botschaften mit denotativer Funktion, während die emotiven Stimulierungen, die die Botschaft auf den Empfänger ausübt [...], sich als ein von der Struktur der Botschaft gelenktes und kontrolliertes System von Konnotationen herausprofilieren.' r

Eco konkretisiert seine Ausführungen zur »ästhetischen Botschaft« an verschiedenen Beispielsätzen. Ein Satz wie »der Zug kommt um 18 Uhr auf Bahnsteig 3 an« ist nach Eco ein Satz mit referentieller Funktion, der die Aufmerksamkeit des Empfängers auf die kontextuelle Bedeutung der Ausdrücke und von da auf das Referens (lenkt); wir befinden uns außerhalb der Welt der Zeichen, das Zeichen ist verschwunden, es bleibt eine Reihe von Verhaltensfolgen, die die Antwort auf das Zeichen darstellen.'2

Sätze wie der von Jakobson analysierte politische Wahlslogan in der Eisenhower-Kampagne »I like Ike« 33 oder die gleichsam mimetische Beschreibung 29 30

Ebd., S. 67. Vgl. dazu auch Wheelwright, Semantics, S. 270. Vgl. Barthes, Elemente, S. 75ff. Barthes definiert das »Konnotationssystem« (im Anschluß an Hjelmslev) als »ein System [...], dessen Ausdrucksebene durch ein Bedeutungssystem gebildet wird«. Schematisch dargestellt: Signifikant Signifikant

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Signifikat Signifikat

(Vgl. ebd. 75f). Der in diesem Schema enthaltene Gedanke einer primären Denotationsebene (horizontal) und einer sekundären Konnotationsebene (vertikal), bildet, neben Jakobsons Erläuterungen der »poetischen Funktion« und Mukafovskys These eines verminderten Gegenstandsbezugs des ästhetischen Zeichens, einen weiteren Grundpfeiler des Ecoschen Entwurfs einer Poetik des »offenen Kunstwerks«. Zu den Begriffen »Denotation«, »Konnotation« und »Metasprache« (im Anschluß an Barthes und Hjelmslev) vgl. auch Eco, Zeichen, S. 99-102. Vgl. ders., Kunstwerk, S. 6yf. Vgl. Eco, Botschaft, S. 406. Ähnlich in ders., Einführung, S. 145 — 151. Vgl. auch die Beispiele für Sätze mit »referentieller Funktion«, mit »suggestiver Funktion« und mit »gezielter Suggestion«, in ders., Kunstwerk, S. 68-77. Eco zit. Jakobson in ders., Botschaft, S. 408. Jakobson analysiert den Slogan in ders., Linguistik, S. 93.

einer Militärparade »Da kommen die Ritter, da kommen die Soldaten, da kommen die Fahnen«, 34 die bestimmte rhetorische Stilmittel nutzen (hier z. B. Paronomasie und syntaktischer Parallelismus), lenken dagegen, so Eco, die Aufmerksamkeit des Empfängers auf die Zeichen selbst, sie veranlassen ihn, nicht allein ein Signifikat für jeden Signifikanten festzustellen, sondern auch dazu, auf dem Komplex der Signifikanten zu verweilen [...]. Die Signifikanten verweisen auch - wenngleich nicht vor allem - auf sich selbst. Die Botschaft erscheint als autoreflexiv.^

Eng mit der besonderen, als autoreflexiv verstandenen Struktur der ästhetischen Botschaft verbunden ist für Eco - der auch hier aufgreift, was schon Jakobson formulierte 36 - deren zweites Merkmal, die »Mehrdeutigkeit«. Weil der Empfänger im Fall der ästhetischen Botschaft - anders als im Fall der Mitteilung zu rein referentiellen Zwecken — die Signifikanten nicht isolieren könne, um sie »in eindeutiger Weise« auf ihr »denotatives Signifikat zu beziehen«, trete der Effekt ein, daß der Empfänger das Gesamt-Denotatum erfassen (muß). Da jedes Zeichen an andere gebunden ist und von den anderen her erst seine vollständige Physiognomie erhält, ist seine Bedeutung nicht klar umschrieben. Da jedes Signifikat nur in der Verbindung mit anderen Signifikaten erfaßt werden kann, muß es als mehrdeutig perzipiert werden. 37

Die - im Vergleich mit der nichtpoetischen Sprache - enge Verbindung der Zeichen untereinander ebenso wie die Bindung der Materie, aus der die Signifikanten gemacht sind, an die jeweiligen Signifikate38 ist der Grund 34

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Vgl. dazu Eco, Botschaft, S. 407: »[...] das parallele Voranschreiten des Gedankens, das vom parallelen Voranschreiten der Signifikanten wiedergegeben wird, (strukturiert sich) homolog zum parallelen Voranschreiten der Männer, die ich im Vorbeimarschieren darstelle.« Vgl. ders., Kunstwerk, S. 73; vgl. dazu auch Ecos differenziertere Analyse eines Alexandriners aus Racines Phädra (ebd., S. 74ff.) oder von Gertrude Steins Satz »a rose is a rose is a rose is a rose« (ders., Botschaft, S. 4o8f.). Für das einzelne sprachliche Zeichen innerhalb der poetischen Sprachverwendung (also auf dem »molecular level of meaning«), das sogenannte »plurisign«, spricht schon Wheelwright von Selbstbezüglichkeit. Vgl., ders., Semantics, S. 269^ u. Anm. 24. Vgl. Jakobson, Linguistik, S. nof. Eco, Kunstwerk, S. 80. Ohne Mukarovsky zu nennen, greift Eco hier und an anderer Stelle auf zentrale Gedanken des Prager Strukturalisten zurück. Vgl. z.B. die Parallelstelle in Mukarovsky, Benennung, S. 47f. Der Reim z.B. kann die inhaltliche Verwandtschaft zwischen zwei Wörtern unterstreichen, Metrum, Rhythmus und rhetorische Figuren wie der Parallelismus — siehe das oben zitierte Beispiel der Beschreibung einer militärischen Parade — können ihrerseits ausdrücken, was die in die entsprechende Form gebrachten Worte bedeuten. Vgl. dazu Eco, Botschaft, S. 4o6f., u. ders., Einführung, S. 212.S. Vgl. auch Bode, Ästhetik, der einen Überblick über die Theorien zur »Ikonität des literarischen Textes« gibt und sie mit Argumenten ablehnt, die diese Theorien verkürzen

dafür, daß Eco vom ästhetischen Zeichen als einem »ikonischen Zeichen« spricht. Im Anschluß an Charles W. Morris versteht er darunter ein Zeichen, bei dem der semantische Bezug sich nicht im Hinweis auf das Denotatum erschöpft, sondern bei jeder erneuten Rezeption sich kraft seiner unvertauschbaren Verkörperung in dem Material, in dem er sich strukturiert, anreichert; das Signifikat wird ständig auf den Signifikanten zurückgeworfen und reichert sich mit neuen Echos an.·19

Seinen Versuch, die »ästhetische Botschaft« als »autoreflexiv« und »mehrdeutig« (und deshalb vergleichsweise »offen« 40 ) systematisch zu bestimmen, ergänzt Eco in der frühen Arbeit Opera aperta (1962) um eine historische Dimension, indem er eine weitere Unterscheidung einführt. So differenziert er zwischen zwei Typen von »Offenheiten«, nämlich zwischen der »programmatischen Offenheit der heutigen Kunstrichtungen« und einer Offenheit, die er

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(ebd., S. Sjff)· Bode selbst läßt allein onomatopoetische Ausdrücke als »ikonische Zeichen« gelten. Vgl. Eco, Kunstwerk, S. 79. Im Anschluß an C. S. Peirce unterscheidet Morris bekanntlich zwischen Zeichen, die ihrem Denotat ähnlich sind, und solchen, die ihrem Denotat nicht ähnlich sind. Die »semantische Regel« für den Gebrauch eines ikonischen Zeichens besteht nach Morris darin, »daß es jeden Gegenstand denotiert, der dieselben Eigenschaften aufweist wie es selbst (in der Praxis genügt eine Auswahl der Eigenschaften).« Um innerhalb der ikonischen Zeichen wiederum zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Zeichen zu unterscheiden, führt Morris den Begriff des »Wertes« ein. Vgl. ders., Ästhetik, S. ^6if. (zum Problem der abstrakten Kunst vgl. ebd., S. 366.). Später schränkt Morris die hier entwickelten Thesen insofern ein, als er den »schönen Künsten« in »bemerkenswertem Maße ikonische Charakteristika« zuspricht, Ikonität also nicht mehr als ein absolutes Kriterium der Zeichen in den Künsten behauptet. Vgl. ders., Zeichen, S. 298ff. (Definition des ikonischen Zeichens ebd., S. 418). Zur Ausarbeitung des Morrisschen Ansatzes vgl. z.B. Ritchie, Structure, u. Hocutt, Foundations. Für den deutschsprachigen Kontext vgl. z.B. Bense, Aesthetica, (zum Zusammenhang zwischen poetischer Sprache und »Icon« vgl. ebd., S. 93). Zur Kritik (insbesondere an dem Mimesis-Gedanken, der die Übertragung des Begriffs des ikonischen Zeichens auf »ästhetische Zeichen« ermöglicht) vgl. Amyx, Sign. Auch Eco problematisiert den Begriff des »Ikonischen Zeichens« in späteren Arbeiten. Vgl. z.B. ders., Zeichen, S. 6off., u. die weiterführenden Hinweise ebd., S. igif. Im Anschluß an Morris und die älteren Arbeiten Ecos auch Iser, Wirklichkeit, S. 292ff. Zu Isers Position und einer m.E. überzeugenderen Lösung des Problems vgl. weiter unten. »Offenheit« bedeutet durchaus nicht Beliebigkeit. Das Verständnis der ästhetischen Botschaft basiert für Eco »auf einer Dialektik zwischen [...] interpretatorischer Treue und interpretatorischer Freiheit: Einerseits versucht der Empfänger, die Aufforderung der Ambiguität der Botschaft aufzunehmen und die unsichere Form mit den eigenen Codes zu füllen; andererseits wird er von den Kontextbeziehungen dazu gebracht, die Botschaft so zu sehen, wie sie gebaut ist, in einem Akt der Treue gegenüber dem Autor und der Zeit, in der die Botschaft hervorgebracht worden ist.« Vgl. Eco, Botschaft, S. 423f. Zur Ausarbeitung dieses Ansatzes im Sinne der Integration eines »Modell-Lesers« in den literarischen Text und seine Analyse vgl. ders, Lector.

»als charakteristisch für jedes Kunstwerk« begreift.4' Inwieweit Ecos Unterscheidung in systematischer und historischer Hinsicht einleuchtend und berechtigt ist, braucht hier nicht diskutiert zu werden.42 Festzuhalten bleibt, daß Eco, da er »Offenheit«, »Mehrdeutigkeit« und »Autoreflexivität« in einem engen Zusammenhang sieht, mit den zwei — historisch unterschiedlich verteilten — Typen von Offenheit implizit auch zwischen verschiedenen Ausprägungen von Autoreflexivität differenziert. Ergänzt sei außerdem, daß Eco sein geschlossenes Modell eines »objektiv« (also unabhängig von der jeweiligen Rezeptions- und Produktionssituation) in der Struktur der Botschaft angelegten »ästhetischen Reizes« in späteren Arbeiten im Sinne einer konditionalistischen Ästhetik zu öffnen versucht, indem er es über den Begriff der Normverletzung an die Theorie der Deviationsästhetik43 anschließt. Den Zusammenhang von »Autoreflexivität«, »Mehrdeutigkeit« und »Normverletzung« (d.h. Zerstörung und Innovation eines jeweils herrschenden ästhetischen Codes) bindet Eco dann folgendermaßen in ein informationstheoretisch aufgerüstetes Modell der ästhetischen Entwicklung ein: In dem Maße, in dem die Botschaft komplizierter wird, stellt sich die Autoreflexivität ein, wenn sich auf jeder Ebene die Lösungen nach einem homologen Beziehungssystem gliedern. Das Spiel der Differenzen und Oppositionen auf der rhythmischen Ebene gleicht dem der Oppositionen auf der Ebene der konnotierten Signifikate, der Ent-

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Vgl. ders., Kunstwerk, S. 60. Angemerkt sei aber doch, daß Eco die historische Dimension seiner These kaum ausleuchtet. So wird z. B. nicht deutlich, wo und wie Eco den Beginn der modernen Kunst ansetzt. Im einzelnen läuft seine Unterscheidung auf die einfache Beobachtung hinaus, daß vormoderne Werke bei aller »Offenheit« eine »eindeutige Botschaft« vermitteln wollen, während die Werke der Moderne gerade in der »Mehrwertigkeit« der Botschaft ihre eigentliches Anliegen sehen. Vgl. dazu Ecos exemplarischen Vergleich zweier Beispiele aus Dantes Divina Commedia und Joyces Finnegans Wake (ebd., S. Sgff.). Zu einem Versuch, »die Funktion und Bedeutung von Mehrdeutigkeit und >Offenheit< in der Literatur der Moderne« (S. 20) auf der Folie von Ecos »Poetik des offenen Kunstwerks« zu erläutern, vgl. die materialreiche, gedanklich aber nicht über Eco hinausgehende Studie Christian Bodes (ders., Ästhetik). Am Beispiel der »Konkreten Poesie« in einem ähnlichen Sinn (allerdings ohne expliziten Bezug auf Eco) und begrifflich schärfer schon S. J. Schmidt, Negation (zur Bestimmung von »Polyfunktionalität« und »Polyvalenz« als »formale Kritierien der ästhetischen Qualifikation« vgl. ebd., S. 4ioff.). Zur »Ästhetizität« und zur These, daß sich in der Kunst seit etwa 1900 ein Übergang von einem »mimetisch-semiotischen Modell« zu einem »konzeptionell-prozessualen Modell« nachweisen lasse, vgl. ders., Ästhetizität, u. ders., Prozesse. Eco beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Klassiker der Stilistik wie Amado Alonso und Leo Spitzer und deren Gedanken, daß sich die ästhetische Botschaft im »Verstoß gegen die Norm« verwirkliche. (Vgl. Eco, Botschaft, S. 4iof.) Zum Entwurf einer neueren Deviationsäshtetik (deren Elemente schon bei den russischen Formalisten und den Prager Strukturalisten, insbesondere Mukarovsky, angelegt sind) vgl. Fricke, Norm. 21

faltung der angeführten Ideen usw. Was heißt es, von der Einheit von Inhalt und Form in einem gelungenem Werk zu sprechen, wenn nicht, daß dasselbe strukturale Schema die verschiedenen Organisationsebenen beherrscht? Es etabliert sich eine Art Netz von homologen Formen, das den besonderen Code dieses Werks bildet. Dieser ist die Regel der Operationen, die darangehen, den vorher bestehenden Code zu zerstören, um die Ebenen der Botschaft zweideutig zu machen. Die stilistische Kritik lehrt, daß die ästhetische Botschaft sich im Verstoß gegen die Norm verwirklicht. [...] Dieser Verstoß gegen die Norm ist nichts anderes als die zweideutige Strukturation bezüglich des Codes: Alle Ebenen der Botschaft verletzen die Norm nach derselben Regel. Diese Regel, dieser Code des Werks, ist von Rechts wegen ein Ideolekt [...]. Dieser Ideolekt erzeugt Nachahmung, Manier, stilistische Gewohnheit und schließlich neue Normen, wie uns unsere ganze Kunst- und Kulturgeschichte lehrt. 44

2.1.3. Die Grenzen formalistisch begründeter Ansätze Mukarovsky, Jakobson und Eco rücken das Material literarischer Werke, die Sprache, in den Vordergrund ihrer theoretischen Bemühungen um einen Begriff der Poetizität bzw. Ästhetizität. Sie verstehen die Sprache als ein Zeichensystem, das als Kommunikationswerkzeug dient, und unterscheiden im Anschluß an die russischen Formalisten — zwischen einer »rein mitteilenden« und einer poetischen Verwendung der sprachlichen Zeichen. Um diese im Rahmen eines Kommunikationsmodells zu erfassen, ergänzen sie das Bühlersche »Organonmodell« um eine »ästhetische Funktion«, die sie als »Einstellung« auf die Mitteilung als solche bestimmen und als wesentliches Merkmal der poetischen Sprache bzw. des ästhetischen Zeichens bezeichnen. Im Sinne der genannten Theoretiker entspricht dem gelockerten Praxisund Gegenstandsbezug der poetischen Sprache - mit Mukarovsky verstanden als »Abnahme der unmittelbaren Beziehung zur Realität« 45 - eine Zunahme der Abhängigkeit von Kontext und Materialität des ästhetischen Zeichens 44

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Vgl. Eco, Botschaft, S. 41 of. Zum Verfremdungseffekt und zum Problem einer »strukturalen Erklärung der künstlerischen >Kreativitätjüdische Hochzeit vor dem Hintergrund eines Tempels, in dem die enttäuschen Freier Stäbe übers Knie brechen, usw.< bedeutet, sondern die Aufmerksamkeit des Beschauers auch auf die Feinheiten der Malerei, die nicht reproduzierbaren (und in den Druckreproduktionen schlecht wiedergegebenen) Farbabtönungen, auf die Gegenwart der Leinwand mit ihrer besonderen Textur usw. lenkt.« (Vgl. ebd., S. 58). Vgl. Mukarovsky, Benennung, S. 46. Zur Bindung der ästhetischen Funktion an das Subjekt (und nicht wie bei Jakobson an das Objekt) und ihrer Definition als »Art und Weise des Sich-geltend-Machens des Subjekts gegenüber der Außenwelt« (S. 125) vgl. auch Mukarovskys späteren, 1942 gehaltenen Vortrag vor dem Prager linguistischen Zirkel, Standort.

(das wegen des nicht-willkürlichen Zusammenhangs von Zeichen und Bezeichnetem auch als »ikonisch« bezeichnet wird) und damit eine Struktur der poetischen Mitteilung, die per definitiomm »autoreflexiv« und »mehrdeutig« ist. Was die Extension der Merkmale »autoreflexiv« und »mehrdeutig« betrifft, so sieht Jakobson die durch sie bestimmte »poetische Funktion« auf die Sprache, aber nicht die Dichtung beschränkt, Mukarovsky und Eco betrachten sie als Charakteristika einer in allen Zeichensystemen möglichen »ästhetischen Botschaft«. Dabei wird das für unseren Zusammenhang wichtige Merkmal »autoreflexiv« im Kontext der vorgestellten Ansätze im allgemeinen Sinne von »selbstbezüglich« verstanden und meint, daß die poetische Sprache bzw. das ästhetische Zeichen »vor allem (oder auch oder außerdem) ihre spezifische materielle Organisation bedeuten«.40 Ecos hier nur stellvertretend zitierte, ebenso vorsichtige wie umständliche Formulierung »vor allem (oder auch oder außerdem)...« zeigt, daß sich die Autoren selbst - anders als ihnen in der Forschung wiederholt unterstellt worden ist47 - durchaus der logischen Notwendigkeit bewußt sind, daß Zeichen nicht bis zur Beliebigkeit mehrdeutig sein können und definitionsgemäß noch etwas anderes als sich selbst bedeuten müssen, es also weder eine Mitteilung noch ein Zeichensystem geben kann, die oder das ausschließlich auf sich selbst verweist. Trotzdem ist die Formulierung verräterisch, denn sie weist darauf hin, daß die vorgestellten Ansätze grundsätzliche Probleme ungelöst lassen bzw. ignorieren. Im Fall der Sprache z. B. mag eine im oben ausgeführten Sinn verstandene Selbstbezüglichkeit etwa für lautmalerische Ausdrücke wie etwa das Wort »Kuckuck« und mit Einschränkungen auch für eine Wendung wie »I like Ike« zutreffen; wie aber kann eine aus zahlreichen Sätzen bestehende »Mitteilung« wie z.B. ein literarisches Werk in toto ihre »spezifische materielle Organisation bedeuten«? Und was genau hat man sich unter einem per definitionem mehr oder weniger relativ selbstbezüglichen Zeichen vorzustellen? Hier scheinen die vorgestellten formalistischen Ansätze in eine Sackgasse zu münden. Insofern bietet es sich an, zum Ausgangspunkt dieser Ansätze zurückzukehren und an der von Mukarovsky beobachteten Lockerung des Praxis- und Gegenstandsbezugs der Sprache in der Dichtung erneut anzusetzen. Im folgenden sei also untersucht, was diese Beobachtung für semantische und pragmatische Konsequenzen hat.

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Vgl. Eco, Zeichen, S. 58. Ähnlich z.B. in ders., Kunstwerk, S. 73. Vgl. dazu Anm. i. 23

2.2. Selbstreflexivität als Merkmal fiktionaler Rede? Sprachphilosophische Bestimmungsversuche im Gefolge von Sir Philip Sidneys Defence of Poesie Zeitgenössische Literaturtheoretiker wie Wolfgang Iser und Karlheinz Stierle charakterisieren Dichtung als fiktional48 und das Wesen von fiktionalen Texten als »autoreflexiv« oder »autoreferentiell«. Sie versuchen auf diese Weise positiv zu benennen, was diesen Texten ihrer Ansicht nach definitionsgemäß fehlt: der unmittelbare Bezug auf eine außersprachliche Wirklichkeit.49 »Die fiktionale Rede«, so behauptet etwa Iser, ist eine solche Symbolorganisation, der im Sinne Ingardens die Verankerung in der Realität, im Sinne Austins die in einem Situationskontext fehlt. Folglich kann sich die von ihrer Symbolorganisation geleistete >Repräsentation« nicht auf die Vorgegebenheit empirischer Objekte beziehen. Als Organisation von Symbolen indes besitzt sie eine repräsentierende Funktion. Wenn sich diese nun nicht auf die Präsenz eines Gegebenen beziehen läßt, dann kann sich diese nur auf die Rede selbst beziehen. Fiktionale Rede wäre demnach autoreflexiv und ließe sich als Repräsentation von sprachlicher Äußerung bezeichnen, denn mit dieser hat sie die Symbolverwendung, jedoch nicht den empirischen Objektbezug gemeinsam.50

Ein solcher Bestimmungsversuch der fiktionalen Rede als Repräsentation von Rede ohne empirischen Objektbezug steht in einem historischen und systematischen Zusammenhang, ohne dessen Kenntnis er nicht sinnvoll erörtert werden kann. 51 Die folgende Diskussion der Definition fiktionaler Rede als »selbst-« bzw. »autoreflexiv« beginnt daher mit einer knappen Skizze des entsprechenden Hintergrundes. 2.2.1. Historischer und systematischer Hintergrund Die Scheidung von Dichtung und Wirklichkeit ist ein historisches Phänomen. Aus europäischer Sicht entsteht das Bewußtsein von Fiktionalität zusammen mit einer Schriftkultur in der Antike und ist im 4. Jahrhundert v. 48

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51

Eine logische Begründung dieser Position auf der Folie einer »instrumentalen Auffassung der Sprache« gibt z. B. Lauener, Sprache; auf der Folie eines pragmatischen Ansatzes ähnlich etwa Hoops, Fiktionalität. Vgl. zu diesem Punkt auch Hempfer, Autoreflexiviiät, S. 131. Vgl. Iser, Wirklichkeit, S. 291. Im Anschluß an Iser z.B. Stierle, Rezeption, bes. S. 374f.; vgl. auch ders., Gebrauch. In simplifizierter Form auch Imhof, Metafiction, S. 282f.: »Fictions constitute separate ontological entities; they are, like every work of art >autoreflexive^ff. Vgl. Searle, Status. Searle bestimmt den logischen Status der fiktionalen Rede auf der Folie seiner im Anschluß an Austin entwickelten Theorie der Sprechakte. (Austin selbst betrachtet die fiktionale Rede als »unernste« Verwendung der Sprache, bzw. »parasitäre« Ausnutzung »ihres gewöhnlichen Gebrauchs« und schließt sie als Teil der »Lehre von der >Etiolation< (Auszehrung) der Sprache« ausdrücklich aus seinen Untersuchungen aus. Vgl. Austin, Theorie, S. 411".). Nach Searle gibt der Autor fiktionaler Text vor, »illokutionäre Akte zu vollziehen, die er nicht vollzieht« (ebd., S. 87), was wiederum bedeutet, daß allein sein »Äußerungsakt« (in Austins Terminologie also der Akt der Lokution) wirklich ist. Daß in einem ähnlichen Sinne

rere Studien von Studien Barbara Herrnstein Smith (i97off.) 76 zu nennen. »Most of us«, schrieb Smith schon vor Searle und Iser, would be quite willing to grant the existence of what could be called mimetic or fictive Discourse — that is, the representation of speech — at least in dramatic poetry. What I would like to suggest, however, is that all poetry may be so regarded, that we could conceive of as fictive discourse not only the representation of speech in drama, but also lyrics, epics, tales, and novels.77

Den alten aristotelischen Gedanken, daß Dichtung »Mimesis« sei, präzisiert Smith somit in einem besonderen Sinn und akzentuiert den Begriff der »Fiktivität« wie folgt: As a mimetic artform, what a poem distinctively and characteristically represents is not images, ideas, feelings, characters, scenes, or world, but discourse. Poetry does, like drama, represent actions and events, but exclusively verbal ones. And, as a verbal composition, a poem is characteristically taken to be not a natural utterance, but the representation of one. [...] The essential fictiveness of novels, however, is not to be discovered in the unreality of the characters, objects, and events alluded to, but in the unreality of the alludings themselves. In other words, in a novel or tale, it is the act of reporting events, the act of describing persons and referring to places, that is fictive. The novel represents the verbal action of a man teporting, describing, and referring. 78

Aus ihrer Ausgangsthese, daß Dichtung »mimetische« oder »fiktive« Rede sei, folgert Smith u.a., daß »a poem is never spoken, not even by the poet

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schon Gottlob Frege fiktionale Äußerungen als »Scheinbehauptungen« bestimmt, belegt z.B. Rühling, Fiktionalität, S. 32. Zur Kritik an dieser Position vgl. Martinez-Bonati, Act. Genette hat Searle zuletzt insofern ergänzt, als er von »fingierten Assertionen« spricht, »hinter welchen, als indirekten Sprechakten, sich fiktionale Sprechakte verbergen, die selbst wieder per definitionem ernsthaft illokutionäre Akte sui speciei sind.« Vgl. ders. Fiktion, bes. S. 57. Kritisch zu dieser Ergänzung Martinez-Bonati, Ficcion, bes. S. i6off. Die wichtigsten Aufsätze sind in überarbeiteter Form versammelt in Smith, Margins. Ebd., S. 24. In eine ähnliche Richtung wie Smith (und Searle) gehen die ebenfalls Anfang der siebziger Jahre erschienen Arbeiten von Ohmann und Gale, die fiktionale Rede als »fictive use of language« (Gale) bzw. eine Folge von »quasi-speechacts« (Ohmann im Anschluß an Austins Sprechakttheorie) bestimmen. Vgl. dazu Gale, Use; Ohmann, Acts; ders., Action; ders., Literature. Einen knappen Überblick gibt Ryan, Fictions (dort Hinweise auf weitere Arbeiten im Anschluß an Searle, Smith, Ohmann und Gale). Im Anschluß an ältere Arbeiten von Smith auch Keller, Fiktionalität, der den »dichterische(n) Text [...] seinem logischen Status nach« als »die Fiktion einer sprachlichen Äußerung« bestimmt, »die ein Geschmacksurteil fordert, als schön beurteilt und nicht selbst als Urteil oder Aussage über Wirkliches oder zu Verwirklichendes genommen werden will.« (Ebd., S. 21). Vgl. Smith, Margins, S. 25, u. S. 29. Smith behauptet im übtigen ähnlich wie Iser, daß der fiktionale Text seine eigenen Rezeptionsregeln enthalte, indem sie diesen mit einer Partitur oder einem Drehbuch vergleicht und folgert »(it) tells us, in other words, how to produce the verbal act it represents.« Ebd.

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himself. It is always re-cited«,79 daß »the events in the play are historically indeterminate«,80 und daß »the poem refers to and denotes nothing«. 81 Diese Schlußfolgerungen sind problematisch. Sie stellen nur halbe Wahrheiten dar, weil sie sich auf den realen Kontext der Rezeption beziehen, nicht aber auf den (in diesem Kontext gleichwohl präsenten) imaginären Kontext der fiktionalen Rede. Zur adäquaten Rezeption von Dichtung aber gehört eindeutig, daß wir sie als die echte (wenn auch fiktive) Rede eines bestimmten (wenn auch fiktiven) Sprechers verstehen, die nicht auf nichts, sondern auf bestimmte (wenn auch z.T. fiktive) Dinge referiert.82 2.2.2.2. Fiktionale Rede als Repräsentation von imaginär authentischen Sätzen - der Ansatz Felix Martinez-Bonatis Befriedigendere Schlüsse aus der gleichen Beobachtung wie Smith zieht der chilenische Literaturtheoretiker Felix Martinez-Bonati in seiner Arbeit Fictive Discourse and the Structures of Literature^ die von der deutschsprachigen Forschung bis heute nicht beachtet worden ist.84 Auch Martinez-Bonati geht 79

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Vgl. das Zitat im Zusammenhang, ebd., S. 31: »A poem is never spoken, not even by the poet himself. It is always re-cited; for whatever its relation to words the poet could have spoken, it has, as a poem, no initial historical occurrence. What the poet composes as a text is not a verbal act but rather a linguistic structure that becomes, through being read or recited, the representation of a verbal act.« Ebd., S. 34. Ebd., S. . Zu diesem Punkt und einer detaillierten Kritik an Smith (u. Ohmann), vgl. Martinez-Bonati, Discourse, S. 153-159, bes. S. 156. Die Abhandlung des an der Columbia-University lehrenden Martinez-Bonati ist 1981 in englischer Sprache erschienen, die theoretischen Grundlagen gehen auf eine Göttinger Dissertation (1957) und eine spanischsprachige Monographie (1960 u. 1972) zurück. Martinez-Bonati hat die argumentative Basis für seine Thesen insofern lange vor den Arbeiten von Searle, Smith u.a. entwickelt. Vgl. ders., Fragen, u. ders., Estructura. Bezeichnenderweise wird Martinez-Bonati in Petersens kürzlich erschienener »Poetik epischer Texte« nicht erwähnt, obwohl Petersen erklärtermaßen einen »sprachontologischen Ansatz« verfolgt. Vgl. ders., Erzählsysteme. Die einzige mir bekannte Ausnahme von det allgemeinen Regel macht Klemm, Rede, die allerdings nur die begrifflich unschärferen deutschsprachigen Arbeiten Martinez-Bonatis (bis 1973) berücksichtigt. In einer älteren Studie zur »Kommunikationsstruktur des Erzählwerks« verweist der Romanist Dieter Janik auf die Nähe seiner Arbeit zu MartinezBonati, Estructura. Tatsächlich arbeitet Janik (in Anlehnung u.a. an Wayne C. Booth' funktionale Fiktionsbestimmung in ders., Rhetoric) in erster Linie die kommunikationstheoretischen Konsequenzen der These aus, daß die »Qualität des Erzählwerks« darin bestehe, »eine Kommunikation in einer fingierten Kommunikationssituation« zu sein (versteht man »fingiert« im Sinne von »imaginär«, so ist Janiks These mit dem Ansatz des Chilenen kompatibel). Vgl. ders., Kommunikationsstruktur, bes. S. 73.

davon aus, daß Dichtung Rede und die Rede der Dichtung nicht die reale Rede eines historischen Autors ist. In seiner Begrifflichkeit unterscheidet er sich jedoch von den bislang vorgestellten Ansätzen, und seine Folgerungen erlauben dank einer präziseren Bestimmung des besonderen Status der fiktionalen Rede auch eine überzeugendere Antwort auf die Frage, inwiefern diese Rede als grundsätzlich selbstreflexiv zu definieren ist. Die besondere Leistung Martinez-Bonatis85 besteht darin, daß er begrifflich scharf zwischen einem realen und einem imaginären Kontext der fiktionalen Rede unterscheidet und dementsprechend innerhalb derselben Zeichenkette (nämlich den Zeichen der fiktionalen Rede) eine semiotische Differenz sieht zwischen den Zeichen, die ein realer Autor produziert, und den Worten, die ein fiktiver Sprecher äußert. Ermöglicht wird diese Differenzierung durch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Sätzen, in denen die Beziehung von Sprecher, Welt und Zeichen auf eine jeweils verschiedene Weise realisiert ist. So gibt es nach MartinezBonati »real authentische«, »real inauthentische« und »imaginär authentische« Sätze, wobei sich die Bedeutung der zwei kombinierten, eine jeweils binäre Opposition bezeichnenden Merkmalpaare im einzelnen wie folgt bestimmen läßt: - Real/'imaginär. Ein Satz mit dem Merkmal »real« ist an eine konkrete, in Zeit und Raum lokalisierbare Kommunikationssituation gebunden, seine Äußerung stellt ein bestimmtes historisches Ereignis dar. Einem Satz mit dem Merkmal »imaginär« fehlen diese Eigenschaften. - Authentisch/inauthentisch: Ein Satz ist »authentisch«, wenn er »linguistisch« etwas bedeutet, d. h. wenn er auf konventionelle Weise einen Gegenstand bezeichnet. Er ist »inauthentisch«, wenn er »ikonisch« etwas bedeutet, d. h. wenn er das reproduziert, wofür er ein Zeichen ist. Ein »real authentischer« Satz ist demzufolge ein Satz, der, so Martinez-Bonati, as a perceptible product of a speaker's communicative action, effects communication by causing the listener (the addressee) to perceive and comprehend it as a communicative sign. The production and perception of the sentence determines the scope of the communicative situation, a scope that may be narrow, as sometimes in the case of a copresence of speaker and listener, or broad, spatially or temporally (written sentences, recorded ones, etc.).86 85

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Im Rahmen seines phänomenologisch orientierten Ansatzes beschäftigt sich Martinez-Bonati u.a. ausführlich mit dem logischen und ontologischen Status der einzelnen Sätze der fiktionalen Erzählrede. Diese Überlegungen vernachlässige ich hier zugunsten der allgemeinen Thesen, die Martinez-Bonati für die Beziehung von Sprache und Literatur, d.h. insbesondere den illokutionären Status der fiktionalen Rede formuliert. Vgl. Martinez-Bonati, Discourse, S. 78. Vgl. zu diesem Punkt und meiner Rekonstruktion auch Ryan, Fictions, S. I34ff. 35

Ein so verstandener »real authentischer« Satz kann durch einen anderen Satz repräsentiert werden, der dann seinerseits ein ikonisches Zeichen für den »real authentischen Satz« und damit ein »Pseudo-Satz« oder auch — sofern er in eine reale Kommunikationssituation eingebunden ist - »real inauthentischer« Satz ist. Martinez-Bonati nennt für diesen Fall das Beispiel des Zitats in der direkten Rede und begründet folgendermaßen, warum im Fall des zitierten Satzes von einem »nichtlinguistischen« Satz, einem »Pseudo-Satz« oder auch »real inauthentischen« Satz gesprochen werden kann: If I tell someone of a dialogue I have had with a third party and, in direct speech, say: »He said: >Pedro is my friendPedro is my friend< that I pronounce hie et nunc as part of my account is not a real authentic sentence but the representative of a real authentic sentence that was spoken by the third party in question. Of course, the sentence >Pedro is my friendPedro is my friendrepresents< it) in a way that is different from linguistic signification: in its performance as a sign, the ideal entities of the immanent meaning of a linguistic sign play no part. This nonlinguistic sign reproduces in fact that of which it is a sign, it materially recreates it; [...] it is [...] of the same kind as the sign of the representational plastic arts, portrait painting, etc. (to the extent that these works are considered signs of the objects they represent). These reproductive sentences seem to be sentences, then, without this being the case. Therefore, we will designate them as pseudo-sentences.87

Die Tatsache, daß wir in einer realen Kommunikationssituation Sätze äußern können, die selbst keine »linguistischen« Sätze, sondern bloß die ikonische Repräsentation von Sätzen aus einer anderen Kommunikationssituation und damit Pseudo-Sätze sind,88 ermöglicht schließlich auch die Existenz rein imaginärer Sätze innerhalb der Kommunikation: Such is the phenomenon of literature. The fundamental convention of literature as a human experience is to accept these sentences as language and to attribute meaning to them generally.89 87

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Vgl. Martinez-Bonati, Discourse, S. j 8 f . Dazu, daß das nicht-linguistische Zeichen »Pedro is my friend« im Anschluß an Peirce und Morris als ikonisches Zeichen beschrieben werden kann, vgl. ebd., S. 79. Zum Begriff des linguistischen Zeichens vgl. auch den Abschnitt »Toward a Concept of the Linguistic Symbol«, ebd., S. 135-141. Vgl. dazu ebd., S. 79f.: »The virtue of the pseudo-sentence is to make present an authentic sentence from another communicative situation (whether real or mereley imaginary). To comprehend a sentence represented in this way (that is, to fully grasp its semantic dimensions) is to imagine its communicative situation, to imagine it in the context of its communicative situation.« Ebd., S. 8o. Vgl. auch die Erläuterung dieser These am Beispiel der Lektüre eines Gedichts: »In properly reading a poem, we apprehend the graphic signs not as sentences (like the sentences we find in a letter, for example), but as pseudo-senten-

Auf der Folie einer pragmatischen Unterscheidung zwischen »real authentischen« (unvermittelte Äußerung), »real inauthentischen« (direktes Zitat) und »imaginär authentischen« Sätzen (Fiktion)90 bestimmt Martinez-Bonati die fiktionale Rede also als imaginäre Rede, die durch ein pseudo-verbales Ikon repräsentiert wird. Anders gewendet: Lesen (oder hören) wir als reale Leser (oder Hörer) ein fiktionales Werk, so lesen (oder hören) wir die realen PseudoSätze eines realen Autors; diese Pseudo-Sätze repräsentieren ihrerseits ikonisch imaginäre Sätze, die in keiner realen, in Zeit und Raum lokalisierbaren Kommunikationssituation stehen, von uns aber gleichwohl als authentische Sätze aufgefaßt werden. Die weiteren Implikationen der (auch den Ansätzen von Smith und Iser zugrundeliegenden) Prämisse, daß fiktionale Rede die Repräsentation eines illokutionären Sprechakts sei, lassen sich nun präziser formulieren. Sie berühren zunächst die oft diskutierte Frage der Trennung von Autor und fiktivem Sprecher sowie den von Iser angesprochenen, aber nicht befriedigend dargestellten Zusammenhang zwischen dem fehlenden Situationskontext des in der fiktionalen Rede repräsentierten illokutionären Sprechakts und dem »imaginären Gegenstand«, den der Rezipient der fiktionalen Rede in seiner »Vorstellung« produziert. Der bekannten Tatsache, daß zwischen dem realen Autor eines fiktionalen Werks und dem fiktiven Aussagesubjekt der fiktionalen Rede unterschieden werden muß, trägt der hier vorgestellte Ansatz Rechnung, indem er davon ausgeht, daß der reale Autor nicht-linguistische Pseudo-Sätze produziert, die ikonisch imaginäre linguistische Sätze repräsentieren.9' Auf diese Weise teilt der reale Autor in erster Linie nicht etwas außerhalb der Sprache Liegendes

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ces, with no concrete context, which represent imaginary authentic sentences. The >situation< of every poem is, simply, the (historical) realm of the spirit; and its context none other than the implicit determination of its being a poem (at times made explicit in its title or presentation). Our reading a poem consists of the task of comprehending these imaginary sentences, which, as far as their (missing) situational predetermination goes, no one has ever said anywhere to anyone. To comprehend them, then, is to imagine their situation without any auxiliary determinations — that is, to unfold the situation immanent in the sentence, to project the situation imaginarily on the basis of its vehicle, the producer from the procuct, and the object from its description.« Ebd. Zur Öffnung dieses geschlossenen Modells auf der Basis der zwei von MartinezBonati angegebenen Merkmalpaare und einer dementsprechend differenzierteren Klassifizierung von Sätzen, die auch kompliziertere Fälle wie das Zitat im Zitat oder das Zitat eines fiktionalen Satzes in einem nichtfiktionalem Text etc. berücksichtigt, vgl. Ryan, Fictions, S. I37f. Insofern ist Sidneys These, daß der Dichter in seinem Werk nicht lügt, weil er nichts behauptet, also dahingehend zu spezifizieren, daß der Dichter in seinem Werk schon deshalb nichts behauptet (und damit auch nicht lügt), weil er - als eine historische Person - in seinem Werk nicht spricht.

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(wie etwa eine Geschichte), sondern Rede mit. 92 Zu deren Spezifika gehört, daß ihre Kommunikationssituation imaginär ist.93 Die ikonisch repräsentierten imaginären Sätze des fiktionalen Werkes bedeuten insofern eine eigene Welt und zugleich ihre eigene Kommunikationssituation. Mit anderen Worten: Zur literarischen Fiktion, dem »imaginären Gegenstand« in Isers Terminologie, gehören sowohl die erzählten Ereignisse und Gegenstände als auch die Kommunikationssituation, die den entsprechenden erzählenden oder beschreibenden Sätzen immanent ist. Im Anschluß an das Bühlersche Organonmodell und seine Unterscheidung zwischen drei Funktionen von sprachlichen Zeichen (d. h. Ausdrucksfunktion, Darstellungsfunktion und Appellfunktion) läßt sich der Zusammenhang zwischen »fehlendem Situationskontext« und einem in der Vorstellung des Rezipienten produzierten »imaginären Gegenstand« (Iser) für den Fall von imaginären Sätzen damit wie folgt detaillieren: The speaker (lyric, narrative, etc.) of imaginary sentences is the expressed (or revealed) element in them; the addressee, the appellative element immanent in them; the object, the represented element in them. Literary fiction, therefore, is not only the fiction of narrated events, but the fiction of a complete narrative or, in general, communicative situation. The being of the literary work is constituted not only by the fictive world of the work, long since recognized as such, nor by this world plus the fictional narrator, found by Kayser in studying the novel, nor even by both of these plus the fictional reader, which, as Kayser also indicated, belongs to the work — but by all of these together with the fictional sentences, whose immanent meaning the other three elements are. (To use terms of recent French criticism: literature is the fiction of both the sujets de l'enonceznd the situation de I'enonciation).94 92

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Vgl. ebd., S. 81: »The concrete situation of reading literature may be defined as a concrete >language< situation, or communicative situation, in which there are only pseudo-sentences. Is this, properly speaking, a communicative situation? It is, but not a linguistic communicative situation. The reader is the addressee not of author's sentences but of pseudo-sentences. The imaginary authentic sentences that these pseudo-sentences represent are not, qua authentic sentences, sentences of the author, inasmuch as they are not perceptible products of his communicative action (a real person could scarcely pronounce imaginary sentences). The author communicates to us not a particular situation (a communicated situation) by means of real linguistic signs but, rather, imaginary linguistic signs by means of nonlinguistic ones. In other words, the author himself does not communicate with us by means of language; instead he communicates language to us.« Vgl. ebd., S. 8of.: »Every (absent) sentence that is represented (wether by pseudosentences - that is, iconically — or by description in authentic sentences) has, as such, an imagined situation, but only the literary sentence has an imagined situation without accessory determination. Literature is the pure development of the situation immanent to the sentence.« Vgl. ebd., S. 8jf. Ähnlich ebd., S. 8if. Martinez-Bonati bezieht sich hier auf Kayser, Roman, u. ders., Entstehung. Zur Bedeutung des Lesers vgl. neben Iser, Wirklichkeit, ders., Leser. Vgl. ferner Goetsch, Leserfiguren; W. Müller, Anrede; Wilson, Readers. Zum Problem der Leseransprache und dazu, daß es sich auch hier um das Moment einer imaginären linguistischen Kommunikation handelt, also nicht etwa der reale

Berücksichtigt man, daß die Sätze eines fiktionalen Werkes nicht wirkliche kommunikative Rede, sondern ein mit den Zeichen der Sprache kommuniziertes imaginäres Objekt darstellen,95 wird schließlich die besondere Leistung der Dichtung deutlich (auch in diesem Punkt läßt sich Isers Ansatz jetzt präzisieren): Dank der fiktionalen Rede kann Rede zu einem transzendenten Objekt für Autor und Leser (oder Hörer) werden, das heißt alle drei Konstituenten der dieser Rede immanenten, rein imaginären Kommunikationssituation können betrachtet werden, ohne daß der reale Produzent oder Rezipient der fiktionalen Rede in diese Situation selbst unmittelbar eingebunden wären. 2.2.3. Poetologische Konsequenzen der Unterscheidung zwischen einem realen und einem imaginären Kontext von fiktionaler Rede Folgt man der Bestimmung fiktionaler Rede als Repräsentation von imaginär authentischen Sätzen, dann läßt sich nunmehr auch die eingangs vorgestellte Erweiterung des Bühlerschen Organonmodells begründet ablehnen und unsere Ausgangsfrage nach dem grundsätzlichen Selbstbezug von Dichtung beantworten. Die Erweiterung der Trichotomie des Bühlerschen Organonmodells um eine Dichotomic zwischen einer praktischen und einer poetischen bzw. ästhetischen Funktion der Sprache, wie sie Mukarovsky, Jakobson und Eco vornehmen, ist aus folgenden Gründen zurückzuweisen: Als wesentliches Merkmal für die poetische Funktion der Sprache geben die genannten TheoreAutor zu einem realen Leser spricht, vgl. Martmez-Bonati, Discourse, S. 95f. Zum Problem des unzuverlässigen Erzählers und dem Entwurf einer auf den entsprechenden erzähllogischen Gegebenheiten aufbauenden Typologie vgl. ebd., S. iO2ff. Vgl. hierzu ebd., S. 73, u. S. 8iff. Vgl. auch Bode, Ästhetik, der das »Skandalen des selbstbezüglichen Zeichens« auf seine Weise zu lösen versucht und auf einem anderen Weg zu einem im Ansatz vergleichbaren Ergebnis kommt: »Ist der Text primär ein Modell und zugleich praktisches Beispiel menschlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten, so steht et für sich, verweist auf nichts, und ist damit das einzige, was auch ein >selbstbezügliches Zeichen< sensu stricto nur sein kann (das Skandalen löst sich): kein Zeichen mehr, sondern — und zwar genau in dem Maße, wie es >selbstbezogen{. Vgl. dazu auch Van Zoest, Fictionnel, bes. S. 6f. Zu diesen Merkmalen im einzelnen Anm. 64. Vgl. z.B. Anderegg, Fiktion , S. io6f.; Genette, Fiktion, S. Sgff.; Hoops, Fiktionalität, S. 29yf.; Jacquenod, Contribution, S. 84ff.; Rühling, Fiktionalität, bes. S. 28f. u. 32f; Schlaffer, Poesie, S. 145; Van Zoest, Fictionnel, S. 6f.; Vogt, Aspekte, S. i6ff; Weinrich, Fiktionssignale, S. 525^ Mit seiner umfangreichen Auflistung von »Charakteristika illusionsstörender Narrativik und Verfahren des Illusionsabbaus« (vgl. ders., Illusion, bes. S. 2o8ff.) hat Werner Wolf den Katalog der von den genannten Autoren aufgeführten Fiktionsmerkmale für den Fall erzählender Texte zuletzt beträchtlich erweitert und differenziert. Wolf definiert die Qualität dieser Merkmale allerdings durchweg negativ im Sinne des »Illusionsabbaus« und läßt die darüber hinaus mögliche - im oben skzizzierten und weiter unten ausgeführten Sinne — Leistung »illusionsstörender« Elemente unberücksichtigt.

rellen Kontext fest kodifiziert sind. Wäre das der Fall, so könnten die Regeln für das (Sprach-)Spiel der literarischen Fiktion nur in nichtfiktionalen Texten vermittelt oder in sozialen Zusammenhängen außerhalb des Spiels der Fiktion eingeübt und verändert werden. Tatsächlich aber kann die fiktionale Rede noch auf andere Weise auf ihre spezifischen Bedingungen aufmerksam machen: Indem sie nämlich ihren eigenen Status, d. h. das Verhältnis von literarischer Fiktion und Lebenswirklichkeit, in Form und Inhalt reflektiert und sowohl die Grundlagen ihrer Produktion explizit macht als auch Anweisungen für ihre Rezeption enthält. Die Möglichkeit einer Rezeption als nichtfiktionale Rede oder einer »quasipragmatischen Rezeption« 115 schließt diese Art von Rede, so steht zu vermuten, nicht allein durch bestimmte kodifizierte Signale, sondern durch die besondere Form dessen, wovon sie spricht, von vornherein aus. 1 ' 6 Bevor ich nun die jeweils spezifischen Konsequenzen dieser Art von literarischer Selbstreflexion am Beispiel von Erzähltexten untersuche, seien die möglichen Formen der Selbstreflexion für den Fall dieser besonderen Gattung fiktionaler Texte systematisch bestimmt.

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Zur entsprechenden Begrifflichkeit vgl. Stierle, Rezeption, S. 357: »Es gibt eine Rezeptionsform fiktionaler Texte, die man quasipragmatische Rezeption nennen kann. Bei quasipragmatischer Rezeption wird der fiktionale Text überschritten in Richtung auf eine textjenseitige, durch den Anstoß des Textes vom Rezipienten selbst erzeugte Illusion. [...] Die Illusion ist gleichsam die verflüssigte Form der Fiktion, die in der quasipragmatischen Rezeption von ihrer Artikulationsbasis abgelöst wird, ohne doch einen Ort zu haben im textjenseitigen Handlungsfeld des realen Rezipienten.« Als Beispiel für eine »quasipragmatische Rezeption« in diesem Sinne führt Stierle die rein inhaltsbezogene, unreflektierte Lektüre von Trivialliteratur an. Vgl. dazu auch ebd., S. 370ff. Auch Stierle betont, daß es fiktionale Texte gibt, »bei denen die Form selbst schon ihre reflexive Rezeption vorzeichnet.« (Ebd., S. 376) Stierle setzt den historischen Beginn dieser Form von Texten allerdings erst bei Flaubert und Mallarme an. Vgl. ebd., bes. S. 377. 45

3- Selbstreflexion im narratologischen Sinn Die Frage nach der Selbstreflexivität fiktionaler Texte im allgemeinen Sinn ist für den Zusammenhang dieser Arbeit beantwortet. Was aber heißt Selbstreflexion im besonderen Fall von Erzähltexten und in welcher Bedeutung läßt sich dieser Begriff für die Beschreibung einzelner Texte oder Textteile fruchtbar machen? Das verwirrende Neben- und z.T. Durcheinander scheinbar verwandter Bezeichnungen wie »autoreflexiv«,1 »autothematisch«, 2 »metanarrativ«, 3 »metadiskursiv«,4 »metafiktional«, 5 »metanovel« »introverted novel«7 »self-conscious-novel«8 oder »self-begetting novel«9 deutet jedenfalls darauf hin, daß in der Erzählforschung hier durchaus noch Klärungsbedarf besteht. Was z.B. bezeichnen die Etiketten »rückbezüglich«, 10 »abyssisch«, 11 »metasprachlich«, 12 »metafiktional«, »self-begetting novel« oder »reflektierter Roman«/ 3 unter denen jeweils verschiedene Autoren dieselben Erzähltexte Becketts untersuchen? Und sind entsprechende »Reflexionsstrukturen« 14 - wie viele Autoren unterstellen bzw. ausdrücklich behaupten15 - in sogenannten traditionellen, realistischen Werken nicht vorstellbar? Die empirisch-induktive Methode der detaillierten Untersuchung ausgewählter Primärtexte, die so viele wissenschaftliche Arbeiten zum Thema der narrativen Selbstreflexion praktizieren, reicht nicht aus, um hier zu befriedigenden Antworten zu gelangen.16 Eine allgemeingültige Unterscheidung einzelner For1 2 3 4 5

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Vgl. z. B. Hempfer, Autoreflexivität. Vgl. z. B. Schmeling, Dichtung. Vgl. Hamon, Texte; Prince, Remarques, u. ders., Narratology, S. 115 — 128. Vgl. Heuvel, Narrateur. Vgl. u.a. Christensen, Meaning; Hutcheon, Narrative; Imhof, Metafiction; Schäbler, Metafiction; Waugh, Metafiction. Vgl. Lowenkron, Metanovel. Vgl. Fletcher/Bradbury, Novel. Vgl. Stonehill, Novel. Vgl. Kellman, Novel. Vgl. z. B. Breuer, Rückbezüglichkeit. Vgl. Dällenbach, Refit; zur »Eindeutschung« des Terminus »mise en abyme« vgl. Schmeling, Dichtung, S. 78. Vgl. z.B. Smuda, Becketts. Vgl. Schröder, Roman. Vgl. ebd. Vgl. dazu den Überblick in der Einleitung dieser Arbeit. Die Analyseergebnisse und Begriffsbildungen zahlreicher Arbeiten zu diesem Thema vermögen schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie ihren Gegenstand in erzähltheoretischer Hinsicht nicht hinreichend spezifizieren. Ausnahmen von der allgemeinen Regel finden sich bei Dällenbach, Redt; Hempfer, Autoreflexivität; Hutcheon, Narrative, (vgl. ebd., S. 17 — 35); Lauzen, Notes; Ricardou, Population; Schme-

men selbstreflexiven Erzählens setzt ein genau bestimmtes Verständnis von dem Begriff der Selbstreflexion und ein narratologisch begründetes Beschreibungsmodell einer Erzählung voraus.

3.1. Terminologische und erzähltheoretische Voraussetzungen Zunächst einige Anmerkungen zu den von dem lateinischen Verb »reflectere« abgeleiteten Begriffen »Selbstreflexivität« und »Selbstreflexion«. Sieht man von der umgangssprachlichen Form »reflektieren auf« im Sinne von »etwas haben wollen«, »sich um etwas bemühen« ab, so gibt es zwei Bedeutungen des Verbs »reflektieren« (und des entsprechenden Nomens): i. zurückstrahlen, (wider)spiegeln; 2. nachsinnen, betrachten, erwägend Bezeichnet »Selbstreflexivität« (und das entsprechende Adjektiv) also eine Eigenschaft bzw. einen Zustand im allgemein Sinne von »Selbstbezüglich(keit)«, so meint »Selbstreflexion« eine Tätigkeit, die sich - und das wird auch in der Forschung oft nicht deutlich unterschieden — wahlweise als »Sich-Selbst-Spiegeln« oder als »SichSelbst-Betrachten« spezifizieren läßt.18 Für den besonderen Fall von Erzähltexten bedarf »(Selbst-)Reflexion« in der Bedeutung von »Spiegelung« einer weiteren Präzisierung. Denn da Erzählungen — in der Sprache von Lessings Laokoon - nicht »Körper«, sondern »fortschreitende Handlungen« zum Gegenstand haben und selbst an eine »Folge der Zeit« gebunden sind, 19 muß auch der Begriff »Spiegelung« in

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ling, Dichtung', Wolf, Illusion; einen oberflächlichen Überblick über das »Repertoire of Reflexivity« gibt auch Stonehill, Novel, S. 19 — 31; für die Begriffe »metanarrativ« und »metadiskursiv« vgl. Hamon, Texte; Heuvel, Narrateur, Prince, Narratology, S. ii5ff., u. ders., Remarques. Belege dafür, daß diese Versuche jeweils nur einzelne Aspekte der möglichen Formen selbstreflexiven Erzählens erfassen, vgl. weiter unten. Vgl. z.B. Brockhaus Wahrig, Bd. 5, S. 322; Duden, Bd. 5, S. 2119; Paul, S. 685. Schon Zedlers »Universal-Lexicon« verweist unter dem Stichwort »Reflectiren« auf die zwei Bedeutungen »Überdencken« und »Zurückprallen«. Vgl. ebd., Bd. 30, Sp. 1674. Ein berühmtes Beispiel dafür, daß die (Früh-)Romantiker beide Bedeutungen des Begriffs der Reflexion auch im Einzelfall seiner Verwendung bewußt verbinden, ist Nr. 238 aus F. Schlegels Athenäums-Fragmenten. Vgl. AthenäumsFragmente, S. 204. Allgemein zu den zahlreichen Facetten des Begriffs der »Reflexion« (u.a. als Synonym für »Denken« im Sinne von »Selbsterkenntnis«, »Selbstbewußtheit«, »Selbstbespiegelung«) in den programmatischen poetologischen und philosophischen Schriften der (Früh-)Romantiker vgl. Benjamin, Begriff, bes. S. 20ff., u. Menninghaus, Verdoppelung, S. 72iff. Da sich beide Reflexionsarten ihrem Wesen nach durch »Selbstbezüglichkeit« auszeichnen, kann ein Gegenstand oder ein Subjekt, der oder das sich selbst reflektiert (im Sinne von »spiegeln« und/oder »betrachten«), in einem weiteren Sinn als »selbstreflexiv« bezeichnet werden. Vgl. Lessing, Laokoon, bes. S. ujf.

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ihrem Zusammenhang in erster Linie zeitlich und nicht - wie es seiner ursprünglichen Bedeutung entspricht - räumlich verstanden werden. Es scheint mir daher sinnvoll, die mit einer »Spiegelung« verbundene »Verdoppelung« in diesem Fall als eine besondere Form von Wiederholung zu bestimmen. So gesehen hat die Differenzierung zwischen einem Wortsinn »Spiegelung« und einem Wortsinn »Betrachtung« für die Bestimmung der Formen selbstreflexiven Erzählens unmittelbare Konsequenzen. Selbstreflexion im Sinne von »Spiegelung« liegt in einer Erzählung demnach vor, sobald ein Teil dieser Erzählung unter noch zu spezifizierenden Umständen in einer Wiederholungsbeziehung zu anderen Teilen oder der Erzählung als Ganzes steht.20 Hiervon zu unterscheiden sind all die Fälle, in denen innerhalb einer Erzählung Betrachtungen angestellt werden, die unmittelbar oder mittelbar Teile der Erzählung oder die Erzählung als Ganzes betreffen. Mit dem bislang entwickelten Verständnis von narrativer »Selbstreflexion« sind folgende Voraussetzungen verbunden: 1. Selbstreflexion führt nicht notwendig zur Selbst- oder Rückbezüglichkeit einer Erzählung als Ganzes (andernfalls wären nur Erzählungen nach dem Modell »dieser Satz hat fünf Wörter« als selbstreflexiv zu beschreiben); 2. Selbstreflexion in der Bedeutung von »Sich-Selbst-Spiegeln« oder »SichSelbst-Betrachten« ist nicht notwendig an die Fiktionalität einer Erzählung gebunden (insofern ist der Begriff der narrativen Selbstreflexion schon a priori von dem der »Metafiktion« zu unterscheiden); 3. Selbstreflexion ist ein Phänomen, das markierte intertextuelle Anspielungen einschließen kann, dessen eigentlicher Ort aber im intratextuellen Zusammenhang einer einzelnen Erzählung liegt. Grundsätzlich meint der Begriff also unterschiedliche Formen der Selbstbezüglichkeit einer bestimmten Erzählung (oder einzelner Teile) und nicht deren Verhältnis zu anderen Erzählungen. 21

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Dazu, daß mit der Wiederholung auch ein Erzählebenenwechsel verbunden sein muß, vgl. weiter unten. Auch Lämmert, Bauformen, verwendet den Begriff der »Spiegelung« in einem ähnlichen Sinn. Er versteht darunter eine »korrelative Verknüpfung« (im Gegensatz zur »additiven« oder »konsekutiven Verknüpfung«) auf der Ebene der erzählten Geschichte. Vgl. ebd., S. 52ff.; im Anschluß an Lämmert ähnlich z.B. Maatje, Doppelroman, S. 103. Um den Begriff der narrativen Selbstreflexion nicht bereits im Ansatz bis zur Beliebigkeit auszuweiten, verstehe ich also Parodie, Travestie, Satire u.a. nicht als per definitionem selbstreflexiv — im Gegensatz z.B. zu Schmeling, der Parodie und Travestie als »Spielarten autothematischer Literatur« begreift. Vgl. ders., Dichtung, S. 79. Nach meinem Verständnis können sogenannte »Hypertexte« (vgl. Genette, Palimpseste, bes. S. 39ff.) jeweils unterschiedliche, für den Einzelfall zu spezifizierende Formen der Selbstreflexion realisieren, sind aber nicht einfach schon dank ihrer Eigenschaft »Text zweiten Grades« selbstreflexiv.

Um die auf zwei Reflexionsarten aufbauenden möglichen Formen narrativer Selbstreflexion nun im einzelnen bestimmen zu können, seien zunächst die Merkmale einer Erzählung im allgemeinen präzisiert. Mit den älteren Standardwerken der Erzähltheorie gehe ich davon aus, daß »die Grundform allen Erzählens ein >und dannErzählungnarrationDiskursesGeschichteHow could you begin?< said she. >I can comprehend your going on charmingly, when you had once made a beginning; but what could set you off in the first place?< >I cannot fix the hour, or the spot, or the look, or the words, which laid the foundation. It is too long ago. I was in the middle before I knew that I had begun.< >My beauty you had early withstood, and as for my manners - my behaviour to you was at least always bordering on the uncivil, and I never spoke to you without rather wishing to give you pain than not. Now, be sincere; did you admire me for impertinence? >For the liveliness of your mind, I did Wahlverwandtschaften zwischen den Elementen«, das Charlotte, Eduard und der Hauptmann in Goethes Wahlverwandtschaften führen — wobei der Bezug zur erzählten Geschichte zunächst nur mittelbar ist und bezeichnenderweise erst von Eduard in (scheinbar) unmittelbarer Form hergestellt wird (abgesehen davon, daß der Blick auf das Erzählte im Unterschied zu dem oben zitierten Fall prospektiv und nicht retrospektiv ist). Vgl. bes. das Resümee des Hauptmanns und Eduards Antwort gegen Ende des Gesprächs: >»Wenn Sie glauben, daß es nicht pedantisch aussieht,< versetzte der Hauptmann, >so kann ich wohl in der Zeichensprache mich kürzlich zusammenfassen. Denken Sie sich ein A, das mit einem B innig verbunden ist, durch viele Mittel und durch manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie sich ein C, das sich ebenso zu einem D verhält; bringen Sie nun die beide Paare in Berührung: A wird sich zu D, C zu B werfen, ohne daß man sagen kann, wer das andere zuerst verlassen, wer sich mit dem ändern zuerst wieder verbunden habe.< >Nun denn!< fiel Eduard ein; >bis wir alles dieses mit Augen sehen, wollen wir diese Formel als Gleichnisrede betrachten, woraus wir uns eine Lehre zum unmittelbaren Gebrauch ziehen. Du stellst das A vor, Charlotte, und ich dein B; denn eigentlich hänge ich doch nur von dir ab und folge dir wie dem A das B. Das C ist ganz deutlich der Kapitän, der mich für diesmal dir einigermaßen entzieht. Nun ist es billig, daß, wenn du nicht ins Unbestimmte entweichen sollst, dir für ein D gesorgt werde, und das ist ganz ohne Frage das liebenswürdige Dämchen Ottilie, gegen deren Annäherung du dich nicht länger verteidigen darfst.C'ero anch'io' interrupe l'altro personaggio. >Dove? in via dei Serpenti?< >No, nel sesto romanzo. Lei mi deve della gratitudine.< >Le debbo?.. .
erwartest du Gäste, von denen ich nichts weiß?< >Nichts weiter hab ich vorals daß ich dem schönen Wetter und dem Saale zu Ehren ein bißchen Staat machen will. Dazu hoff ich, durch das Ensemble aller dieser Dinge unserm Freunde, dem Herrn Lee, einen bunten Eindruck zu verschaffen; vielleicht, wenn er seine Geschichten fortsetzt, beschreibt er es einst auf einer halben Seite, und mit dem Saale schmuggelt sich meine fragwürdige Figur zugleich in das Buch hinein!» Vgl. ebd., 4. Bd., I I . Kap., S. 1039.

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>Lo credo! sono quel passante ehe c'e in fine; ehe l'ha urtato e le ha fatto cadere la sigaretta nell'acqua: cosi lei per il dispiacere s'e ammazzato e ha potuto ricominciare un po' piü sul serio, se no chi sa come andava a finite.
Perdio, ehe cos'e?< gridai >una congiura? un agguato? tutti siete venuti? siete pazzi? o volete far impazzire me? Sarö o non sarö padrone di scrivere, per divertire il pubblico e cos! mantenere onestamente la mia famiglia, di scrivere quello ehe mi pare, senza ehe i miei personaggi cäpitino un giorno a rompermi le scatole: tu, lei, lei, quei due la.. .< E poiche il cameriere in quel momento si piegava a versarmi il caffe, rivolsi a lui la fine della mia agitata allocuzione: >Scusi, anche lei, per caso, non e un personaggio dei romanzi di Vita Intensa?< >S1, signore: io sono Bartoletti./'7 66

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Vgl. Bontempelli, Vita intensa, S. 135. Der erstmals 1919 erschienene, vergleichsweise wenig beachtete Roman nimmt zahlreiche Motive von Pirandellos zwei Jahre später uraufgeführtem Sei personaggi in cerca d'autore vorweg. Daß die Empörung einer Figur gegen ihren Schöpfer schon in Immermanns Münchhausen gestaltet ist, belegt Heimrich, Fiktion, S. 87. Auf einer höheren diegetischen Ebene (ein Schriftsteller entwirft die Figur eines Schriftstellers, in dessen Werk seine Figuren schließlich über ihn zu Gericht sitzen) findet sich der oben vorgestellte Typ der Selbstreflexion z.B. in Plann O'Briens At swimm to Birds (wobei das Motiv der Klage der Figuren gegen ihren Autor ins Burleske getrieben ist — zu den während eines regelrechten Prozesses in den Zeugenstand gerufenen Figuren gehört eine sprechende Kuh! Vgl. ebd., u.a. S. 294ff.). Als Beispiel für die Reflexion einer Figur, die ihre eigene Fiktionalität bedenkt und auf der Ebene des Erzählten einen unmittelbaren Bezug zur Erzählung ermöglicht, aber nicht notwendig herstellt, vgl. etwa in Raymond Queneaus Zazie dans le Metro Gabriels träumerische Bemerkung mitten auf einer Straße in Paris: »Paris n'est qu'un songe, Gabriel n'est qu'un reve (charmant), Zazie le songe d'un reve (ou d'un cauchemar) et toute cette histoire le songe d'un songe, le reve d'un reve, ä peine plus qu'un delire tape a la machine par un romancier idiot (oh! pardon).« (Vgl. ebd., S. 90). Zu vergleichbaren Beispielen aus dem Raum der englischsprachigen Literatur vgl. Körte, Du, S. ijjff. Radikalisiert ist die Form der unmittelbaren Selbstreflexion der Erzählung auf der Ebene des Erzählten und die mit ihr verbundene Aufhebung der Grenze zwischen Erzählen und Erzähltem schließlich in den Werken des nouveau nouveau roman der Tel QuelGruppe, die eine erzählte Geschichte nur als Allegorie der Erzählung zulassen will. Was in den vorgenannten Romanen nur einzelne Szenen oder Sätze betrifft, bestimmt hier die Struktur des gesamten Textes. Im Kontext z.B. von Philippe Sollers' Drame setzt ein sich selbst reflektierender Satz wie »Nous habitons cette ville (ce livre): deux fois les memes mots« die Ebene des Erzählten (la ville) mit der Ebene des Erzählens (ce livre) gleich und verweigert auch insofern jeden Ansatz einer von der Erzählung zu unterscheidenden Geschichte, als sein Subjekt, das Personalpronomen »nous«, sich nicht auf bestimmte Figuren, sondern auf einen mit diesem Satz konstituierten Hörer und Sprecher bezieht. Vgl. ebd., S. 138. Allgemein zum nouveau nouveau roman und Drame als »poetologischem Traktat« vgl. Hempfer, Texttheorie, bes. S. 7iff. Vgl. Bontempelli, Vita intensa, S. I36f. 67

Allein die Form dieses Typs der Selbstreflexion auf der Ebene des Erzählten ist eindeutig inkonsistent. Er bedient sich des Verfahrens der narrativen Metalepse,68 d. h. er verbindet auf einer gemeinsamen Ebene, was logisch nicht zusammengehört, nämlich die Ebene des Erzählens und die des Erzählten. Dementsprechend verletzt er notwendig die Fiktion einer faktualen Erzählung und ist ein offensichtliches Fiktionssignal. Neben dem Erzählten, dem Erzählen und der Erzählung läßt sich auch auf der Ebene des Erzählten das poetologische Prinzip der Erzählung reflektieren. In unmittelbarer Form geschieht das z. B. in dem bereits zitierten Gespräch zwischen Don Quijote, Sancho Pansa und dem Baccalaureus über den ersten Teil des Don Quijote. Denn hier werden nicht nur bereits erzählte Ereignisse kommentiert und einige im ersten Buch fehlende Details aus der Perspektive der Protagonisten ergänzt, sondern der Don Quijote des maurischen Autors wird auch in poetologischer Hinsicht diskutiert - und in den Betrachtungen der Figuren über das Verhältnis von Historiker und Dichter,09 über den maurischen Autor und die »Wahrheit« seiner Geschichte, über die kompositorische Notwendigkeit der eingelegten Novelle vom »törichten Vorwitz« und schließlich den pragmatischen Aspekt der Erzählung, d. h. die Produktionsund Rezeptionsbedingungen des Romans, ist zugleich das poetologische Prinzip reflektiert, das auch dem Don Quijote des Cervantes zugrundeliegt.70 Dabei wird im Gespräch der Figuren eine ähnliche Position entwickelt, wie ich sie oben im Zusammenhang mit der Selbstreflexion auf der Ebene des Erzählens in Diderots Jacques k Fataliste skizziert habe: Von der beliebigen Phantastik und lebensfernen Welt der Werke von Autoren, die ihre Bücher, wie Don Quijote sagt, wie »Fastnachtskrapfen« unter die Leute werfen, wird die Volksnähe, der Realismus und die wohlbegründete »Wahrheit« des von einem verständigen Mann verfaßten Don Quijote deutlich abgegrenzt.71 68

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Zu dem Begriff »narrative Metalepse« vgl. Genette, Figures III, S. 243ff. (Erzählung, S. loyff.); Genette definiert »Metalepse« als »prendre (raconter) en changeant de niveau.« Ebd., S. 244; zur Bedeutung der mit der Metalepse verbundenen Grenzverletzung vgl. ebd., S. 245: »Tous ces jeux manifestem par l'intensite de leurs effets l'importance de la limite qu'ils s'ingenient ä franchir au mepris de la vraisemblance, et qui est precisement la narration (ou la representation) elle-meme; frontiere mouvante mais sacree entre deux mondes: celui oü raconte, celui que raconte.« Vgl. Don Quijote, bes. S. 64, wo der Baccalaureus mit seiner Unterscheidung zwischen »poeta« und »historiador« fast wörtlich die (oben in Kapitel 2.2.1. zitierte) berühmte Passage aus dem 9. Kapitel der Poetik des Aristoteles' referiert. Der hier vorgestellte Typ der unmittelbaren Reflexion des poetologischen Prinzips auf der Ebene des Erzählten findet sich z. B. auch im zweiten Band des Godwi in einem der Gespräche verwirklicht, das Godwi und Maria über den ersten Band führen. Vgl. Godwi, S. 3C>7ff. Zur Lektüre des Don Qutjote als Darstellung einer »wohlgegründeten Wirklichkeit« - allerdings ohne Bezug auf die entsprechenden selbstreflexiven Passagen vgl. Auerbachs Don Quijote-K&p'ite\ in ders., Mimesis, S. 3i9ff. Für die Position Don

Reflektiert die Unterhaltung der Figuren in den ersten Kapiteln des zweiten Teils im wesentlichen unmittelbar das poetologische Prinzip des Don Quijote, so bezieht sich z.B. Don Quijotes Gespräch mit dem »verständigen Edelmann aus der Mancha« dagegen mittelbar auf ein Prinzip der Erzählung, die das Gespräch enthält: Don Quijote verteidigt hier - im Sinne seines Autors — die von dem Edelmann sorgenvoll beobachtete Begeisterung seines Sohnes für das Studium der Poesie und bricht bei dieser Gelegenheit eine Lanze dafür, daß auch ein Dichter mit ernsten Absichten seine Werke nicht in der Sprache der alten Griechen oder Römer, sondern in der Sprache seiner Zeit und seines Volkes schreibt: a lo que decis, senor, que vuestro hijo no estima mucho la poesia de romance, doyme a entender que no anda muy acertado en ello, y la razon es esta: el grande Homero no escribio en latin, porque era griego, ni Virgilio no escribio en griego, porque era latino. En resolucion todos los poetas antiguos escribieron en la lengua que mamaron en la leche, y no fueron a buscar las estranjeras para declarar la alteza de sus conceptos. Y siendo esto asi, razon seria se estendiese esta costumbre por todas las naciones, y que no se desestimase el poeta alemän porque escribe en su lengua, ni el castellano, ni aun el Vizcaino, que escribe en la suya. 72 In vergleichbarer Form reflektieren viele Erzählungen ihr eigenes poetologisches Programm. Einschlägig für diesen Typ der Selbstreflexion ist z.B. das Gespräch über Kunst und Literatur, das Lenz und Kaufmann in Büchners

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Quijotes und als Beleg dafür, wie die Selbstreflexion hier vom unmittelbaren in den mittelbaren Bezug übergeht, vgl. die Erwiderung Don Quijotes auf des Baccalaureus' Bemerkung, daß der Don Quijote kein unanständiges Wort und nur ehrliche Gedanken enthalte (wobei Don Quijote u.a. indirekt den kompositorischen Grund für die eingelegte Novelle nennt und den Begriff der Wahrheit sowie den Unterschied zwischen einem vorgestellten und einem echten Narren erläutert): » — A escribir de otra suerte - dijo don Quijote —, no fuera escribir verdades, sino mentiras; y los historiadores que de mentiras se valen habian de ser quemados, como los que hacen moneda falsa; y no se yo que le movio al autor a valerse de novelas y cuentos ajenos, habiendo tanto que escribir en los mios. Sin duda se debio de atener al refran: >De paja y de heno. ..Imaginemos que una porcion del suelo de Inglaterra ha siedo nivelada perfectamente y que en ella traza un cartografo un mapa de Inglaterra: La obra es perfecta; no hay detalle del suelo de Inglaterra, por diminuto que sea, que no este registrado en el mapa; todo tiene ahi su correspondencia. Ese mapa, en tal caso, debe contener un mapa del mapa, que debe contener un mapa del mapa del mapa, y asi hasta lo infinite.< Por que nos inquieta que el mapa este incluido en el mapa y las mil y una noches en el libro de Las Mil y Una Nocftes? Por que nos inquieta que Don Quijote sea lector del Quijote, y Hamlet, espectador de Hamlet? Creo haber dado con la causa: tales inversiones sugieren que si los caracteres de una ficcion pueden ser lectores o espectadores, nosotros, sus lectores o espectadores pueden ser ficticios.8' 82

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Bildlich dargestellt, entspricht das hier realisierte Modell der »seltsamen Schleife« bzw. der »verwickelten Hierarchie« (vgl. Hofstadter, Gödel, bes. S. y28ff.) M. C. Eschers Zeichnung »Zeichnende Hände« (Abbildung z.B. ebd., S. 734), in der eine kreisförmig angeordnete linke und rechte Hand sich wechselseitig zeichnen; die unendliche Wiederholung des weiter oben zitierten Kinderliedes entspricht dagegen dem Modell der berühmten Haferflockenpackung, auf der ein Mann abgebildet ist, der eine Haferflockenpackung in der Hand hält, auf der ein Mann etc. etc. Da Erzählungen naturgemäß keinen bestimmten Augenblick, sondern eine »Folge der Zeit« gestalten, führen beide Modelle letztlich zum gleichen Effekt der unendlichen Wiederholung. Vgl. Borges, Magias, S. 669. Allein der oben vorgestellte Typ von Spiegelung in der Form der unendlichen Wiederholung scheint mir allerdings tatsächlich den von Borges beschriebenen Effekt auszulösen. Die von Borges selbst genannten Beispiele entsprechen diesem Typ dagegen nicht. Das Theaterspiel, das Hamlet aufführen läßt, zeigt nicht den Hamlet (nicht einmal einen Teil davon, sondern die Ermordung von Hamlets Vater, d.h. eine dem Rahmenspiel zeitlich vorausliegende Handlung - von .SWtoreflexion kann hier nur insofern die Rede sein, als sich Hamlets Betrachtungen über die Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle, die Schauspielkunst und die Funktion des Theaters unmittelbar auch aufsein eigenes Verhalten und mittelbar zugleich auf die poetologischen Voraussetzungen des Hamlet beziehen); Schehrezädes Geschichte von dem Prinzen, der der Frau eines schlafenden Dämons zu Willen sein muß, wiederholt nicht die Rahmengeschichte der Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten, sondern variiert einen Teil dieser Rahmengeschichte. Sie weicht in mehrfacher Hinsicht von diesem Teil ab (u. a. andere Figurenzahl, anderer Ausgang der Geschichte) und erfüllt in ihrem unmittelbaren Kontext, d.h. in der sie auf der nächsthöheren diegetischen Ebene einrahmenden »Geschichte von der Tücke der Weiber oder von dem König, seinem Sohne, seiner Odaliske und den sieben Weisen«, eine ganz andere Funktion als die ähnliche Episode innerhalb der Rahmengeschichte aller übrigen Erzählungen. Borges' Feststellung, daß der König in der 602. Nacht aus dem Mund der Königin seine eigene

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Das von Borges zitierte Bild von der Karte in der Karte hat viele Jahre vor dem argentischen Schriftsteller in ähnlicher Form schon Andre Gide verwandt, um eine bestimmte Kompositionsform innerhalb der Kunst und insbesondere der Literatur zu illustrieren.84 So notierte er 1893 in seinem Journal: J'aime assez qu'en une oeuvre d'art on retrouve ainsi transpose, ä l'echelle des personnages, le sujet meme de cette oeuvre. Rien ne l'eclaire mieux et n'etablit plus sürement routes les proportions de l'ensemble. Ainsi, dans tels tableaux de Memling ou de Quentin Metzys, un petit miroir convexe et sombre reflete, ä son tour, l'interieur de la piece oü se joue la scene peinte. Ainsi, dans le tableau des Menines de Velasquez (mais un peu differemment). Enfin, en litterature, dans Hamlet, la scene de la comedie; et ailleurs dans bien d'autres pieces. Dans Wilhelm Meister, les scenes de marionettes ou de fete au chateau. Dans la Chute de la maison Usher, la lecture

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Geschichte zu hören bekomme und hier der Fall einer paradoxen Interpolation (verbunden mit der Möglichkeit der unendlichen Wiederholung) vorliege, trifft insofern nicht zu. (Vgl. ebd., u. Die Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten. Bd. IV, S. 259ff. Zum Don Quijote siehe weiter oben) Im Anschluß an Borges z.B. Todorov, Poetik, S. 28ff.; Dällenbach, Redt, S. 12 i u. S. 218, u. Hart-Nibbrig, Spiegelschrift, S. 88. Jean Paul nutzt ein vergleichbares Bild, um in den Flegeljahren die Transzendentalphilosophie Fichtescher Prägung zu karikieren. So läßt er die Brüder Vult und Walt im »sogenannten Wirtshaus zum Wirtshaus« einkehren und seinen Erzähler berichten: »Vult mußte lange passen und seine Gedanken über die nächsten Gegenstände haben, z.B. über den Wirt, einen Herrnhuter, der auf sein Schild nichts weiter malen lassen als wieder ein Wirtshaussschild mit einem ähnlichen Schild, auf dem wieder das gleiche stand; es ist das die jetzige Philosophie des Witzes, die, wenn der ähnliche Witz der Philosopohie das Ich-Subjekt zum Objekt und umgekehrt macht, ebenso dessen Ideen sub-objektiv Widerscheinen lasset; z.B. ich bin tiefsinnig und schwer, wenn ich sage: Ich rezensiere die Rezension einer Rezension vom Rezensieren des Rezensierens, oder ich reflektiere auf das Reflektieren auf die Reflexion einer Reflexion über eine Bürste. Lauter schwere Sätze von einem Widerschein ins Unendliche und einer Tiefe, die wohl nicht jedermanns Gabe ist; ja vielleicht darf nur einer, der immer imstande ist, denselben Infinitiv, von welchem Zeitwort man will, im Genitiv mehrmals hintereinander zu schreiben, zu sich sagen: ich philosophiere.« Vgl. Jean Paul, Flegeljahre, S. 641 (l. Bändchen, Nr. 12). Ähnlich ebd., S. 644 u. S. 657. Erzählerisch umgesetzt und zugleich ironisiert ist das Bild von der unendlichen Wiederholung im 2. Kapitel des ersten Bändchens (»Nr. 2 Katzensilber aus Thüringen«), wo der Erzähler an seine Auftraggeber, die Testamentsexekutoren, u.a. schreibt: Das Katzensilber aus Thüringen habe ich ganz erhalten; nächstens läuft das Kapitel dafür ein, das aus einer Kopie des gegenwärtigen Briefes, für die Leser, bestehen soll. Ein weder zu barocker noch zu verbrauchter Titel für das Werk ist auch schon fertig; Flegeljahre ist es betitelt.» Unmittelbar im Anschluß an den vollständig zitierten Brief aber heißt es: «Die im Briefe an die Exekutoren versprochene Kopie desselben für den Leser ist wohl jetzt nicht mehr nötig, da er ihn eben gelesen. Auf ähnliche Weise setzen uneigennützige Advokaten in ihren Kostenzetteln nur das Macherlohn für die Zettel selber an, setzen aber nachher, wiewohl sie ins Unendliche fort könnten, nichts weiter für das Ansetzen des Ansetzens an.» Vgl. ebd., S. 583 u. S. 586.

que fait ä Roderick, etc. Aucun de ces exemples n'est absolument juste. Ce qui le serait beaucoup plus, ce qui dirait mieux ce que j'ai voulu dans mes Cahiers, dans mon Nardsse et dans la Tentative, c'est la comparaison avec le precede du blason qui consiste, dans le premier, ä en mettre un second >en abymegelebter Literatur in der Literatur^ wenn eine literarische Figur aufgrund von Begegnung mit (schöner) Literatur - meist gestützt auf Buchlektüre, aber auch auf mündlichen Vortrag oder Theateraufführung, gebenenfalls auf ergänzende Literaturgespräche und Interpretationen — einen Prozeß von bewußter oder unbewußter, von zeitweiliger oder zum Habitus gewordener Literaturnachahmung durchläuft.« Vgl. ebd., 85

3.2.3. Narrative Selbstreflexion und »Metafiktion« oder Die Verbindung unterschiedlicher Reflexionstypen im Zeichen einer narrativen Poetik An den vorgestellten Textbeispielen haben sich die in dem entworfenen Merkmalkatalog vorgesehenen Typen narrativer Selbstreflexion (und damit auch die angenommenen Kombinationsmöglichkeiten der Merkmale) im wesentlichen verifizieren lassen.120 Es hat sich gezeigt, daß tatsächlich alle Konstituenten der mit den imaginär authentischen Sätzen einer fiktionalen Erzählung entworfenen imaginären Kommunikationssituation innerhalb der Erzählung in unterschiedlichen Formen und mit verschiedenen Funktionen betrachtet und gespiegelt werden können. Entsprechend zahlreich sind die Möglichkeiten einer Erzählung, mit Hilfe jeweils einzelner Reflexionstypen ihren eigenen Status und die Regeln sowohl ihrer Produktion als auch ihrer Rezeption zu reflektieren. An dem ausführlicher behandelten Beispiel der in Tiecks Zauberschloß erzählten Geschichte in der Geschichte ist schließlich ein Phänomen deutlich geworden, dessen pragmatische Grundlagen in Kapitel 2.2.4. bereits angesprochen wurden und dessen Existenz für den weiteren Gang der Untersuchung von entscheidender Bedeutung ist: Innerhalb einer Erzählung können unterschiedliche Typen des »Sich-Selbst-Betrachtens« und des »Sich-SelbstSpiegelns« eng miteinander verbunden und — trotz des Bezugs auf verschiedene Komponenten der Erzählung - zu einem gemeinsamen Zweck eingesetzt sein. So dient die Kombination verschiedener Reflexionstypen im Fall von Tiecks Erzählung im wesentlichen dazu, ein bestimmtes literarisches Genre auf Kosten eines anderen zu etablieren und die Umrisse einer narrativen Poetik zu entwerfen, die neben dem Verhältnis von narrativer Fiktion und Lebenswirklichkeit auch die Rolle von Leser und Erzähler reflektiert. Mit einem solchen Entwurf aber leistet Tiecks Erzählung, was in der neueren, in erster Linie englischsprachigen Forschung als eine genuine Qualität der

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S. i if. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Walter Pabsts materialreichen Überblick über das Motiv der »unheilvollen Lektüre« in ders., Victimes (zu dem nach Pabst ältesten Beleg für die »Konstante des unheilvollen LesensDon QuijoterealisierenWahns< im weitesten Sinne, als aspektgebundene Wirklichkeit also wird das Wunderbare glaubwürdig: seine Wahrscheinlichkeit hängt davon ab, daß es sich als subjektive Erfahrung manifestiert.« Im Sinne von Preisendanz bereits Matthecka, Romantheorie, S. goff.; später z.B. Brenner, Krise, bes. S. 211; Lim, Don Sylvia, bes. S. 7if.; Müller-Solger, Dichtertraum, S. 131; Stahl, Wunderbare, S. 227ff. Im Zusammenhang mit der besonderen Problematik der Figur des Schwärmers ähnlich Lange, Gestalt, S. 161; Viering, Erwartung, bes. S. 53f. Vgl. dazu die »Unmaßgeblichen Gedanken des Autors« über eine »zweifache Art von Würklichkeit«, derzufolge »wir bei der Erzählung unsers jungen Ritters einen Unterschied machen müssen zwischen demjenigen was ihm würklich begegnet war, und zwischen dem, was seine Einbildungs-Kraft hinzugetan hatte.« DS, S. 54ff. Zur besonderen Rolle der Zauberer Caramussal und Padmanaba, bzw. der Feen Melisotte und Caprosine in diesem Zusammenhang vgl. z.B. Wührls Schema der Handlungsstruktur der Geschichte. Ders., Kunstmärchen, S. jof. Insofern ist es eben nicht, wie z.B. Erhart formuliert, »die Schwärmerei des Helden selbst, die für den Schluß der Geschichte verantwortlich gemacht werden muß.« Vgl. ders., Entzweiung, S. 64; ähnlich Wilson, Strategy, S. 47ff. III

zu Recht als »seltsam und wunderbar« bezeichnen. Denn an der Geschichte des Don Sylvio ist nicht nur das wunderbar — wie z. B. Preisendanz behauptet -, »was auf die Rechnung der Schwärmerei des Helden kommt«, und ebensowenig wird im Don Sylvio wirklich »alles getan«, um dem Erzählten »das Ansehen einer wahrhaften und glaubwürdigen Geschichte zu geben.« 87 »Wenn man die Sache auf der einen Seite ansieht«, so sagt der über die wahren Hintergründe des verlorenen Bildnisses bereits aufgeklärte Pedrillo zu Don Sylvio, kurz nachdem dieser im Labyrinth von Lirias die menschliche Phantasie als die »vielleicht [...] einzige und wahre Mutter des Wunderbaren« entdeckt hat, so meinte man, die Fee habe euch nur zum besten gehabt; und doch ist es auf der ändern Seite richtig, daß sie ihr Wort gehalten hat; das Bildnis ist da, das hat seine Richtigkeit, und die Princessin ist auch da, ob sie gleich eigentlich zu reden, weder ein blauer Schmetterling, noch was man sagen möchte, eine Princessin ist; der Henker mag dieses verworrne Zeug auseinander lesen; denn etwas muß man doch sein, und wenn das Bildnis — ich weiß selbst nicht was ich sagen wollte, der Kopf wird mir ganz warm davon, wenn ich unsern Begebenheiten nachsinne; daß Feerei darin ist, das laß ich mir nicht ausreden; denn man kann es, meiner Six, mit Händen greifen, daß sich das alles nicht von ungefähr so wunderlich zusammen fügen konnte.88

Pedrillo betrachtet hier unmittelbar die erzählte Geschichte und bringt die Doppelrolle, die die Feen darin als - je nach Perspektive - narrende Chimären oder leibhaftige »Wohltäterinnen«89 spielen, bei all seiner Verwirrung genau auf den Punkt. Darüber hinaus bringt er noch eine andere, besondere Art von »Feerei« ins Spiel, die aus der Sicht von fiktivem Autor und Leser von dem überirdischen Zauberwerk der Feen und all ihrer Artgenossen wohl zu unterscheiden ist. Denn Pedrillo spricht mittelbar an, was auf der Ebene des Erzählens u.a. in den oben zitierten Betrachtungen des »Autors« unmittelbar reflektiert worden ist:90 Nicht die einzelnen erlebten Begebenheiten, 87

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Vgl. Preisendanz, Auseinandersetzung, 8.83. Ähnlich z.B. Kurth, Wirklichkeit, S. 156. Vgl. DS, S. 357. Vgl. dazu die entsprechende Erkenntnis Don Sylvios, kurz nachdem Donna Felicia ihn ebenfalls über die Geschichte des Bildnisses aufgeklärt hat: »Wenn die Feen auch nur Geschöpfe unserer Einbildungskraft sind [...]; so werde ich sie doch immer als meine größte Wohltäterinnen ansehen, da ich ohne sie noch immer in der Einsamkeit von Rosalva schmachtete, [...].« Ebd., S. 361. Auf der Ebene des Erzählens wird die Parallele zwischen dem Werk der Feen und dem des »Autors« schon am Anfang des Romans mittelbar angesprochen. So heißt es dort im Zusammenhang mit der für den Fortgang der Geschichte entscheidenden Tatsache, daß Don Sylvio eine Sammlung von Feen-Märchen als Lesestoff entdeckt: »Allein, vermutlich wollte die Fee, die sich in das Schicksal des jungen Sylvio mischte, nicht zugeben, daß er seine Bestimmung verfehlen sollte; und da er einst in Abwesenheit seiner Tante [...] in der Bücher-Kammer herum stöberte, um sich etwas zur Zeitkürzung auszusuchen, so geriet er, es sei nun von ungefähr oder durch

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sondern ihre Verknüpfung und ihr finaler Nexus sind »wunderlich«, die erzählte Geschichte ist selbst ein Produkt der menschlichen Phantasie, das Wahrheit nicht im Sinne historischer Faktizität, sondern allein im Sinne der allgemeinen Übereinstimmung mit den »Gesetzen der Vernunft, der Wahrscheinlichkeit und der Sittlichkeit« für sich beansprucht. Mit anderen Worten: Die Geschichte des Don Sylvio ist ebenso »wahrscheinlich« wie »wunderbar«, denn - so wird im Don Sylvio durch unterschiedliche Typen der Selbstreflexion wiederholt deutlich gemacht - nur im Reich der Fiktion stimmt das, was dem »ordentlichen Lauf der Natur« entspricht, auch problemlos mit den Gesetzen der Vernunft und der Sittlichkeit überein, und nur hier führt die Suche nach einem verzauberten blauen Schmetterling geradewegs aus einem prosaischen Dasein in ein reales »Arcadien« 91 und ein glückliches Leben an der Seite der Nachfahren bekannter literarischer Figuren.92 Der Wunderglaube seines Helden erlaubt es dem »Autor« der Geschichte also, auch im nüchternen Zeitalter der »Vergrößerungs-Gläser«93 eine Zauberwelt glaubwürdig in die Welt des Alltags zu integrieren und mit ihrer Hilfe die Geschichte der Liebe und Heirat zweier Nachbarskinder in einem phantasievolleren Gewand zu präsentieren als dem einer »Alltags-Historie«, »die aufs höchste gut genug gewesen wäre, einen Artikel in den Zeitungen [...] auszufüllen.« 94 Wie Don Gabriels »possierlicher« »Biribinker« vermag

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den geheimen Antrieb der besagten Fee, auf ein starkes Heft von Feen-Märchen.« Ebd., S. 24. Auf der Ebene des Erzählten ähnlich Lauras Bemerkung zu Donna Felicia nach der ersten Begegnung mit Don Sylvio und Pedrillo: »Und wer weißt, ob die Kobolte, die sich mit seinem Schicksal abgeben, ihn nicht eben so gut nach Lirias führen können, als sie uns heute in dieses Rosengebüsche geführt haben, welches, so wahr ich ein Mädchen bin! der bezauberten Laube einer Feen-Königin so ähnlich sah, als ich in meinem Leben was gesehen habe.« Ebd., S. 146. Dazu, daß Donna Felicia selbst von den »Poeten« beeinflußt ist und auf ihrem Gut eine »Art von Schäferei« angelegt hat, »aus welcher sie nach und nach ein andres Arcadien zu machen gedachte«, vgl. ebd., S. i35ff. Das Problem der Friktion (wenn nicht gar des Widerspruchs) von »empirischer Plausibilität« und »normativ-teleologischer Exemplarität« des Erzählten, das Frick am Beispiel des Agathen untersucht und dort für die »Entblößung der Fiktion« verantwortlich macht, prägt also schon im Ansatz Geschichte und Erzählung des Don Sylvio. Vgl. Frick, Providenz, bes. S. 4896^ Vgl. DS, S. 55: »Seit der Erfindung der Vergrößerungs-Gläser haben die unsichtbaren Dinge ein böses Spiel, und man braucht nur ein Geist zu sein, um alle Mühe von der Welt zu haben, die Leute von seinem Dasein zu überzeugen.« Auch dieser Gesichtspunkt ist auf der Ebene des Erzählten bereits in dem »Literaturgespräch« über die Geschichte des Prinzen Biribinker angesprochen. Vgl. dazu die Antwort der Donna Felicia auf den Einwurf Don Eugenios, daß der Prinz ohne die Mißachtung einer »moralischen Maxime« wie andere Prinzen am Hofe seines Vaters aufgewachsen und schließlich mit der Prinzessin Galactine verheiratet worden wäre: »Sie haben hierin vollkommen recht, [...] aber [...] wenn man diesen einzigen Umstand wegtäte, so würde die ganze Geschichte des Prinzen Biribinkers 113

auf diese Weise auch der Don Sylvio seine Leser zu unterhalten und zu ergötzen. Aber eben nicht nur. Dank der erklärten Subjektivierung des Wunderbaren und der teleologischen Konstruktion der Geschichte, die die »Erkrankung« und Heilung des Helden notwendig mit seiner Eingliederung in die wohlgesittete Gesellschaft von Lirias verbindet, entsprechen die »Characters« und die »Begebenheiten« des Don Sylvio — anders als im »Biribinker« - den Gesetzen der Vernunft und der Sittlichkeit und sichern neben dem unterhaltsamen auch den didaktischen Wert des Erzählten. Der bereits im »Nachbericht des Herausgebers« angesprochene Nutzen des Don Sylvio ist allerdings auch damit noch nicht hinreichend erfaßt. Eine Interpretation des Don Sylvio als »Desillusionsroman«,95 in dem der »finale Sieg der Aufklärung« am Ende trotz aller »Fabulierlust« nichts als »eine vom Wunderbaren und Phantastischen bereinigte Naturszenerie« zurückläßt,96 wird dem Roman ebensowenig gerecht wie dessen Lektüre als Apotheose des Märchens oder als Dokument einer »nur schlecht verhehlten Flucht in die Imagination«. 97 Ein Blick zurück auf die eingangs zitierte Labyrinth-Szene macht deutlich, warum beide Lesarten nicht befriedigen können. Berücksichtigt man den dargestellten Zusammenhang der erzählten Geschichte, so läßt sich die besondere Bedeutung der Szene nun präzisieren. Sie markiert auch deshalb einen entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung des Protagonisten, weil Don Sylvio nach seiner Niederlage im Disput mit Don Gabriel und Don Eugenio hier dank einer sinnlichen Erkenntnis eigenständig nachvollzieht, was dort theoretisch reflektiert worden ist. Dabei scheint mir wichtig zu sein, daß das hier anschaulich in der »Kühle des Morgens«98 ins Bild gesetzte Erwachen eines emphatischen Lesers aus seinem »Lektüretraum« 99 eben nicht in der Natur, sondern - im buchstäblichen

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an statt eines der possierlichsten Feen-Märchen, eine Alltags-Historie sein, die aufs höchste gut genug gewesen wäre, einen Artikel in den Zeitungen seiner Zeit auszufüllen. Und das wäre wohl schade gewesen.« Ebd., S. 339. Vgl. Schings, Roman, S. 253. Vgl. Vietta, Phantasie, S. 193. Ähnlich z. B. Brenner, der im Anschluß an ein Hegelzitat behauptet, daß Don Sylvio in die »bestehenden Verhältnisse« hineingebildet werde. Vgl. ders., Form, S. lySf. Vgl. Michelsen, Welt, S. 199. Vgl. auch ebd., S. 197: »Im Don Sylvio aber wird Dichtung insgeheim als ein Spiel aufgefaßt, das dem verpflichtenden Sein - und dafür gilt in Wielands Credo die empirische Wirklichkeit — nichts schuldig ist und ganz und gar den eigenen Gesetzen, bzw. denen der Phantasie folgt.« Vgl. DS, S. 352. Bereits am Anfang des Romans wird Don Sylvios Zustand mit dem eines Tagträumers verglichen (vgl. ebd., S. 57). Allgemein zum Verhältnis von »Traumerfahrung« und »Wirklichkeitserfahrung« im Don Sylvio vgl. Müller-Solger, Dichtertraum, S. 13 iff. Zum Begriff des »Lektüretraums« vgl. Koebner, Lektüre, bes. S. 44f. Im Unterschied zu den von Koebner untersuchten Fällen ist Don Sylvios Ausgangssituation am Ende bezeichnenderweise entscheidend verändert und bleibt ihm ein

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Sinn - mitten im Reich der Kunst erfolgt,100 und daß Don Sylvio den Auszug des Wunderbaren aus dem Reich der Natur in diesem Kontext nicht als Verlust, sondern als Gewinn erlebt. Mit dem neuen ontologischen Status des Wunderbaren ist für Don Sylvio eine neue Form der Wahrnehmung und damit auch eine neue Erfahrung verbunden. Denn erst seit dem Augenblick, da er das Labyrinth als ein von menschlicher Hand geschaffenes »Werk der Kunst« betrachtet, sieht er auch dessen Schönheit und vermag den Aufenthalt an diesem »angenehmsten Ort von der Welt« ziellos und zeitverloren um seiner selbst willen zu genießen. Dabei bindet die Geschichte des Don Sylvio, und das scheint mir ebenfalls bemerkenswert, die sinnliche Erkenntnis, die das bewußt als Kunstwerk rezipierte Kunstwerk ermöglicht, an das Reifen des jugendlichen Helden zum Erwachsenen und stellt sie in den Dienst einer — von der Ebene des Erzählens aus betrachtet — erklärten sozialen Utopie. Erst die im Labyrinth von Lirias gemachte Entdeckung der Phantasie als »Mutter des Wunderbaren« sichert dem Helden die Hand der schönen Donna Felicia 101 und verschafft ihm Zutritt in eine Gesellschaft Gleichgesinnter, die ebenso vertraut im Umgang mit der Welt102 wie mit der Phantasie und ihren Werken sind. 103

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Erwachen, »das den >Rückfall< in die Wirklichkeit als Schreck und Qual empfinden läßt« (ebd., S. 45), erspart. Damit unterscheidet sich der Don Sylvio wesentlich von dem von Kurrelmeyer als Vorbild bezeichneten Roman Voyage Merveilleux du Prince Fan-Feredin dans la Romancie (1735) des Jesuiten Guillaume Hyacinthe Bougeant (vgl. Kurrelmeyer, Sources). In diesem echten Antiroman, mit dem der Autor seinen Lesern, wie er in seinem Widmungskapitel schreibt, »un juste degoüt de la lecture des Romans« einflößen wollte, bleibt am Ende — nachdem der Protagonist zu Hause aus seinen Träumereien erwacht — tatsächlich nichts als die »vom Wunderbaren und Phantastischen bereinigte« wohlbekannte Alltagswirklichkeit. Das entscheidende Gespräch zwischen Don Sylvio und Donna Felicia, in dem diese auch die Herkunft des Bildnisses aufklärt (das nicht sie selbst, sondern ihre Großmutter Dorothea von Jutella zeigt), folgt bezeichnenderweise unmittelbar auf die zitierte Labyrinth-Szene. Vgl. ebd., 7. Buch, 2. Kap., S. 357ff. Auch Don Sylvio tritt schließlich noch, um sich »des Besitzes der schönen Felicia würdiger zu machen«, eine Reise durch die »vornehmsten Teile von Europa« an, denn, wie es am Schluß heißt, »so große Ursache man auch hatte zu glauben, daß unser Held von den Würkungen, welche die Feerei auf sein Hirn gemacht, völlig hergestellt sei, so nötig fand man, den leeren Raum, den die Verbannung der Feen darin gelassen hatte, nunmehr mit den Ideen wirklicher Dinge anzufüllen.« Vgl. ebd., S. 371. Für das Ideal der schönen Gesellschaft von Lirias spielen die Künste in mehrfacher Hinsicht eine bedeutende Rolle. Unabhängig vom »literarischen Stammbaum« des Ortes und seiner Bewohner ist die Gemeinschaft von Lirias auch aus der Perspektive der Figuren nach literarischen Vorbildern angelegt. Donna Felicia versucht hier »alle die angenehmen Entwürfe zu realisieren, die sie sich von einer freien und glücklichen Lebensart, nach den poetischen Begriffen machte.« Ebd., S. 136 (Hervorhebung — M. S.). Überdies treten die Mitglieder der Gesellschaft von Lirias nicht nur

Deutlich werden mit dem nicht mehr als »bezauberte Gegend«,104 sondern als ein Werk der menschlichen Phantasie wahrgenommenen Labyrinth mittelbar auch das poetologische Prinzip der Erzählung und ihr pragmatischer Aspekt reflektiert. 105 Hier wie dort ist das Natürliche mit dem Wunderbaren verbunden, und mit ihren Spiegelungen und zahlreichen intertextuellen Bezügen, ihren Geschichten in der Geschichte, die wiederum unterschiedliche literarische Genres zitieren, ist die Anlage der Erzählung ebenso »mannigfaltig« wie die des Labyrinths von Lirias. Mit dessen unterschiedlicher Wahrnehmung durch Don Sylvio bekommt der Leser im Erlebnis des Helden auch seine eigenen Erfahrungsmöglichkeiten als Rezipient des Don Sylvio vor Augen geführt. Wie das Labyrinth von Lirias offenbart der Don Sylvio seine »Schönheiten« nicht dem bloß empfindenden, sondern erst dem »wissenden« Leser, der ihn reflektiert 106 als ein Werk der Kunst rezipiert. Die in diesem Fall ermöglichte ästhetische Erfahrung 107 wiederum setzt, so zeigt die Geschichte des Don Sylvio, Kenntnis der Welt und der Künste sowie das Bewußtsein seiner selbst und des besonderen Status der im Kunstwerk gestalteten Wirklichkeit voraus. Während Don Sylvio die elementaren Voraussetzungen für diese Erfahrung gewinnt, versucht der »Autor« der Erzählung durch unterschiedliche Reflexionsarten und -typen (mittelbare, einfache Spiegelungen und konsistente Betrachtungen auf der Ebene des Erzählten, unmittelbare, konsistente und inkonsistente Betrachtungen auf der Ebene des Erzählens) das entsprechende Bewußtsein bei seinen Lesern auszubilden und für die spezifischen Bedingungen der narrativen Fiktion zu kultivieren. Dabei machen Geschichte und Erzählung des Don Sylvio mit jeweils eigenen Mitteln deutlich, was auf jeden Fall zur adäquaten Rezeption des Romans und zum Glauben an die ebenso fiktive wie erstrebenswerte Gemeinschaft von Lirias gehört: die Leser müssen »einwilligen, angenehm getäuscht zu werden«, d.h.

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als Leser und Förderer der Künste hervor, sondern betätigen sich auch selbst als Künstler. Don Gabriel gibt eine überzeugende Probe seines Erzähltalents und seiner Phantasie mit der frei erfundenen »Geschichte vom Prinzen Biribinker«, Hyacinthe hat sich als Schauspielerin bewährt, und Donna Felicia wird als eine Art Universaltalent beschrieben: sie singt, spielt Laute, zeichnet, malt und verfaßt »Sonnete, Idyllen und kleine Sinngedichte«. Vgl. ebd., S. 136. Vgl. ebd., S. 353. »Reflektiert« in diesem Fall in der Bedeutung von betrachten und spiegeln — denn die Tatsache der sinnlichen Erkenntnis besagt ja gerade, daß praktische Erfahrung und theoretische Erkenntnis hier unmittelbar zusammengehen. Zu den Parallelen dieses Reflexionsbegriffes zum ästhetischen Begriff der Reflexion, wie er sich in Kants »Kritik des Geschmacks« findet, vgl. Baeumlers Rekonstruktion in ders., Irrationalitätsproblem, bes. S. 2y4ff. Zum Begriff der »ästhetischen Erfahrung« in historischer und systematischer Hinsicht vgl. Schödlbauer, Ästhetische Erfahrung; vgl. außerdem Jauß, Negativität.

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sie müssen sich willentlich »von der Wahrheit dessen, was wir wahr zu finden wünschen, überreden [...] lassen«.108 Das hier im Rahmen der werkimmanenten Analyse rekonstruierte Programm einer mit dem »Sieg der Natur über die Schwärmerei« verbundenen Erziehung zur ästhetischen Erfahrung — verstanden als Voraussetzung für die Möglichkeit einer »schönen Gesellschaft«109 - läßt sich schließlich in mehrfacher Hinsicht auch als »Reflex« zeitgenössischer Lebenswirklichkeit verstehen. Einige Möglichkeiten seien zum Abschluß skizziert. Daß Christoph Martin Wieland mit der Geschichte seines Helden in idealisierter Form eine »anthropologische Herabstimmung« 110 gestaltet, wie sie der aus der Schweiz in seine Heimatstadt Biberach zurückgekehrte BodmerSchüler mit seinem »famosen descensum aus den Platonischen Sphären« in eine »körperliche Sublunarische Welt« 111 selbst durchlebt hat, ist in der Forschung mehrfach dargestellt worden. 112 Über diesen biographischen Zusammenhang hinaus scheint mir bemerkenswert, daß Wieland mit seinem Roman unmittelbar auf Probleme antwortet, die mit seiner persönlichen Situation im »Anti-Parnaß«" 3 von Biberach verbunden sind. 1 ' 4 Der reale Autor des Don Sylvia schreibt sein Werk, wie entsprechende Dokumente belegen, um sich in einer schweren Krise ökonomisch und psychisch zu entlasten. So bietet Wie108

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Vgl. Wieland: »Über den Hang der Menschen an Magie und Geistererscheinungen zu glauben.« Sämmtliche Werke. Bd. 24, S. 75; ähnlich in der »Vorrede zum ersten Band« in ders., Dschinnistan, S. 6. Vgl. Jacobs, Wielands, bes. S. loff. Zum entsprechenden rezeptionsästhetischen Aspekt, d.h. dazu, daß auch die Leser des Don Sylvia in den Geist der »schönen Gesellschaft« von Lirias eingeübt werden sollen, vgl. ebd. u. Kurth-Voigt, Perspectives, bes. S. njff. Vgl. Schings, Roman, S. 251. Vgl. Wielands Brief an Geßner v. 29.8.1764. Briefwechsel, 296ff., hier zit. S. 298. Vgl. z.B. Schings, Roman; Sengle, Wieland, S. lySfF. Vgl. Wielands Brief an Zimmermann v. 11.2.1763, Briefwechsel, S. 15 iff., hier zit. S. 152. Der Brief ist im übrigen eines von vielen Beispielen für das Selbstbewußtsein des jungen Autors: »Biberach ist [...] schlechterdings der Ort nicht wo ich bleiben kan, und je bälder ich aus diesem Anti-Parnaß erlöst würde, je besser war' es für mich. [...] Mein Verstand sagt mir daß ich noch nichts nützliches und großes gethan habe, und die Empfindung meiner selbst sagt mir daß ich in günstigen Umständen zu beydem fähig wäre. Hier gehen meine Talente für das Publicum verloren. Unter solchen Zerstreuungen, unter solchen Leuten, bey einem solchen Amte, ohne Bibliothek, ohne Aufmunterung, was kan ich da thun?« Ebd. In die Entstehungszeit des Don Sylvia fällt u.a. das schmerzhafte Ende der nicht standesgemäßen Liebesbeziehung zu Christine (»Bibi«) Hogel und der konfessionsbedingte Streit um das von Wieland in Biberach bekleidete Amt, in dessen Folge der 1760 vom gemeinsamen Rat gewählte (und seitdem auch tätige) Kanzleiverwalter Wieland erst vier Jahre später offiziell eingestellt und ausgezahlt wird. Die Konsequenzen der »sozialen Lage« Wielands in Biberach analysiert ausführlich Erhart, Entzweiung, S. 77ff.

land den Don Sylvia in einem Brief vom 20./2i. Oktober 1763 dem Verleger Salomon Geßner von Geßner & Cie. mit dezidierten finanziellen Forderungen an und erläutert: Ich muß von itzt an biß nächter Ostern wenigstens 40 bis 50 Louis haben oder ich bin unwiderbringl. verlohnen. Ohne diesen harten Umstand würde ich nimmermehr ein Buch geschrieben haben, wie Don Sylvio ist [...]. Allein zu seiner Erhaltung sind alle Mittel erlaubt. Ich wollte ein Buch machen, aas für die Meisten wäre, und wovor mir ein jeder Buchhändler, der solvende und NB. nicht schon (wie ihre Societaet) mit wichtigen Geschäften und Entreprisen überladen ist gerne eine beträchtliche Summe baar bezahlen würde." 5

Und jenseits solcher ökonomischer Überlegungen heißt es wenige Monate später in einem Brief an den Freund Johann Georg Zimmermann zum Ursprung des Don Sylvio'. Les derniers mois de l'annee passee, accable de toute part de desastres, de vexations et de sentimens douloureux, cette debauche d'esprit dont je Vous envoye la i ere partie a etc mon unique ressource, en me divertissant moimeme, et en suspendant par des folies amüsantes le sentiment de mes maux. Voila l'origine de Don Sylvio.116

Daß ein junger, von keinem Mäzen geförderter und keinen festen Stand repräsentierender Autor seine Phantasie und sein literarisches Talent selbstbewußt und pragmatisch nutzt, um erklärtermaßen in einem doppelten Sinne sich selbst zu erhalten, ist bezeichnend für eine historische Veränderung der »literarischen Handlungsrollen« 1 ' 7 und damit für den sozial- und funktionsgeschichtlichen Wandel der narrativen Fiktion gegen Mitte des 18. Jahrhunderts."8 Es paßt in eine Zeit, die sich mit Reinhard Wittmann als die »>Inkubationszeit< des freien Schriftstellers« in Deutschland charakterisieren läßt,"9 und es ist Ausdruck einer Epoche des poetologischen Umbruchs, in der Gott115

Vgl. Briefwechsel, S. 193—197, hier: S. 197. Zu den Gründen dafür, daß Geßner & Cie den Roman ablehnten, vgl. Ungern-Sternberg, Wieland, Sp. 1331. Vgl. Brief an Zimmermann v. 8.3.1764, Briefwechsel, S. 252. "7 Zur Ausdifferenzierung dieser »Handlungsrollen« (i.s. die Rollen von Literaturproduzent, -Vermittler, -rezipient und -verarbeiter) um die Mitte des 18. Jahrhunderts und ihrer komplexer werdenden funktionalen Verzahnung, die sich — systemtheoretisch gefaßt — als »Entstehung« und »Autonomisierung« eines funktional spezifizierten »Sozialsystems Literatur« beschreiben läßt, ausführlich S. J. Schmidt, Selbstorganisation, bes. S. 28off; im unmittelbaren Anschluß an Schmidt, Jäger, Reflexivität. Vgl. zuletzt auch Anz, Norm; mit besonderem Interesse für die Rolle des Literaturrezipienten Berthold, Fiktion; Viehoff, Sozialisation. 118 Zur besonderen Rolle Wielands, zu seinem Weg »vom ständischen Dichtertum zur professionellen Autorschaft« und zu seiner - im Unterschied etwa zu Klopstock pragmatischen Auffassung vom »Schriftstellerberuf« als einem bürgerlichen Beruf neben anderen, vgl. Ungern-Sternberg, Wieland, bes. Sp. I203ff. 119 Vgl. Wittmann, Geschichte, S. 144. Wittmann versteht darunter den Zeitraum zwischen 1748-1768. Im Ansatz ähnlich Haferkorn, Schriftsteller, bes. Sp. 527; Ungern-Sternberg, Schriftsteller, bes. S. I58ff., u. Kiesel/Münch, Gesellschaft, S. yyff.

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scheds Regelpoetik an Einfluß verliert und im Gegenzug die Schweizer Bodmer und Breitinger — wenn auch noch vorsichtig tastend und im Rahmen einer am Konzept der Naturnachahmung orientierten Poetik - die »schöpferische Einbildungskraft« als »die den Dichter charakterisierende Eigenschaft« entdecken. 120 Vor diesem Hintergrund erscheint die Gestalt, die Wieland seinem literarischen Entlastungsversuch gibt, als zeittypisch und zugleich zukunftsweisend. Denn mit der jederzeit als ein Werk der »dichterischen Imagination« zu durchschauenden Geschichte von der glücklichen Integration seines Helden in die schöne Gemeinschaft von Lirias realisiert und reflektiert Wieland den für den Beginn der Neuzeit charakteristischen Prozeß der »Kunstwerdung der Künste« 121 am Beispiel des Romans und vollendet insofern ebenso dessen Befreiung vom Wahrheitskriterium historischer Faktizität wie seine Ablösung vom Gebot der Nachahmung einer metaphysisch-providentiell geordneten Wirklichkeit. 122 Aus kulturgeschichtlicher Sicht läßt sich der skizzierte historische Prozeß mit Odo Marquard als ein Wechselspiel von zwei gegenläufigen Bewegungen begreifen: Die Versachlichung der Welt entschädigt sich durch die Genese der Innerlichkeit. Zur Entzauberung der Wirklichkeit gehört als Kompensation die Entwicklung der Subjektivität als Stätte einer ausgleichenden — der ästhetischen — Faszination. 12 '

Dem Prinzip der Kompensation, das nach Marquard den Verlauf der kulturgeschichtlichen Entwicklung bestimmt, folgt neben der Genese des Don Sylvio auch die Geschichte Don Sylvios. Tatsächlich entschädigt Wieland seinen Helden für den Verlust der »wunder-vollen Feen-Welt« durch den Gewinn

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In diesem Sinne z.B. das Ergebnis von Bing, Naturnachahmungstheorie. Vgl. ebd., bes. S. J j f f , hier zit. S. 77. Vgl. dazu auch Tumarkin, Überwindung', Herrmann, Naturnachahmung (ebd., S. 8iff. eine Geschichte des Begriffs »Phantasie«); Stahl, Wunderbare, bes. S. I23ff. (ebd., S. iff., ein »wortgeschichtlicher Überblick« zum »Wunderbaren«). Für den europäischen Kontext z.B. Apel, Nachahmung, bes. S. Soff. Zur Rekonstruktion der zeitgenössischen »Auseinandersetzung mit dem Nachahmungsprinzip« im besonderen Zusammenhang mit dem Don Sylvia vgl. u.a. Preisendanz, Auseinandersetzung, u. Lim, Don Sylvia. Detailliert zu den zahlreichen Interpretationen der poetologischen Konzepte der Frühaufklärung, die längst ihre eigene Geschichte haben, Horch/Schulz, Wunderbare. Vgl. Schödlbauer, Ästhetische Erfahrung, S. 43. Eine detaillierte Darstellung der Entwicklung des Romans vom »strukturellen Analogon der Historic [...] zu ihrem ästhetischen Korrektiv« gibt Frick, Providern (hier zit. S. 244), am Beispiel ausgewählter europäischer Romane des 17. und 18. Jahrhunderts (Wielands Don Sylvia ist allerdings nicht berücksichtigt). Allgemein zur Entwicklung des Romans zu einer »Fiktion der Realität von Realitäten« im Zeichen der »> Erweiterung des Bereiches des Ai«.n:/W2möglichenkomponiertJudith und HolofernesSimson und DelilaBrouillon< abschloß. Im Januar 1892 spricht Fontäne in einem Brief an Georg Friedlaender vom »Abschluß« des »kleinen Romans« (vgl. HA IV, Bd. 4, S. 173), der dann, über den Zeitraum von Fontanes schwerer physischer und psychischer Krise im Jahre 1892 hinaus, liegen bleiben sollte. Erst nachdem Fontäne diese Krise - nicht zuletzt dank des »autobiographischen Romans« Meine Kinder jähre — überwunden hat und Effi Briest erschienen ist, wendet er sich im Juni 1894 den Korrekturarbeiten an den Poggenpuhls zu, die schließlich als letzter Roman vor dem Stechlin im November 1896 im Verlag Friedrich Fontanes in Berlin erscheinen. Zur Entstehung im einzelnen vgl. z.B. HA I, Bd. 4 , 5 . 8 lyff. Ebd., S. 543. Ebd., S.

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Was Sophie hier und in anderen Briefen als eine »Aufgabe« beschreibt, die sie »ganz neu zu lösen« trachtet, läßt sich in mehrfacher Hinsicht auch auf Die Poggenpuhls beziehen. Im folgenden seien diese Bezüge erläutert und gezeigt, daß und mit welchen Konsequenzen auch Fontanes scheinbar selbstund fiktionsvergessen erzählter realistischer »Roman« 4 mit der Reflexion seiner eigenen Grundlagen ein poetologisches Programm formuliert. 5 Daß die in der Forschung vergleichsweise wenig beachteten Poggenpuhls6 - anders als z.B. noch Jost Schillemeit behauptet — durchaus kein »ganz sorglos und ohne Rücksicht auf Komposition hingeplauderte(s) Nebenwerk« 7 sind, soll bei dieser Gelegenheit deutlich werden. Zunächst aber einige allgemeine Bemerkungen zum Kontext des zitierten Briefausschnitts und zu Form und Aufbau der Erzählung. »Lassen Sie Ihr Auge freundlich auf diesem Neusten ruhn. Es hat zwei Tugenden. Erstens ist es kurz, und zweitens wird nicht drin geschossen.« Mit diesen vielzitierten Worten hat Fontäne dem Kritiker Paul Schlenther sein neu erschienenes Werk seinerzeit ans Herz gelegt.8 Tatsächlich wird in den Poggenpuhls nicht nur nicht geschossen, sondern es passiert auch sonst nicht viel, was sich als Plot erzählen ließe: Die weiblichen Mitglieder der altpommerschen Adelsfamile Poggenpuhl - eine verwitwete Majorin und ihre drei Töchter Therese, Sophie und Manon — sind von Pommersch-Stargard nach Berlin übergesiedelt, wo sie in »ganz kleinen Verhältnissen« 9 leben. Am Morgen des 3. Januars eines in der Erzählung nicht genannten Jahres,10 einen 4

So der Untertitel der Poggenpuhls. Vgl. dazu auch Fontanes weiter unten zitierten Brief an Siegmund Schott vom 14.2.1897. Allgemein zu Fontanes großzügiger Verwendung des Begriffs, Mittenzwei, Theorie, bes. S. 234. 5 Eine systematische Dichtungstheorie hat Fontäne bekanntlich nicht geschrieben. Dennoch gibt es mehrere Versuche, ausschließlich aus seinen nichtfiktionalen Texten, d.h. in erster Linie aus seinen zahlreichen Briefen, Essays, Literatur- und Theaterkritiken, eine »Poetik« oder eine Romantheorie zu rekonstruieren. Vgl. neben Hillebrandt, Theorie, S. 230ff., bes. Greter, Fontanes, u. zuletzt Fues, Poesie, S. 24off. Diese Versuche sind insofern problematisch, als sie die Entwicklung in Fontanes »Poetik« kaum berücksichtigen. In besonderem Maß gilt das für Fues, der seine Darstellung um Fontanes Gustav-Freytag-Rezensionen von 1855 und 1875 gruppiert und die Kluft zwischen dem, was Fontäne hier fordert, und dem, was er Jahrzehnte später in seinem Spätwerk realisiert, nicht thematisiert. 6 Zur neueren Fontäne-Forschung vgl. Paulsen, Stand; Loster-Schneider, Erzähler, S. ioff.; zu den Poggenpuhls zuletzt Poltermann, Auswahlbibliographie, S. 278. 7 Vgl. Schillemeit, Fontäne, S. 16. 8 Vgl. Fontanes Brief an Schlenther vom 4.11.1896, Brinkmann/Wiethölter (Hg.), Fontäne, S. 466. Schlenthers Rezension - die erste des Romans - erschien kurz darauf in der Vossischen Zeitung (am 8. November). Vgl. dazu Fontanes Brief an Schlenther vom gleichen Tag. Ebd., S. 406f. Allgemein zur Rezeption des Romans in der zeitgenössischen Literaturkritik Aust, Fontäne, bes. S. 2i5f. 9 Vgl. HA I, Bd. 4, S. 482. 10 Die genaue Datierung des Erzählten ist in der Forschung umstritten. Gotthard 155

Tag vor dem siebenundfünfzigsten Geburtstag11 der Majorin, kündigt ein Brief Leos, eines ihrer beiden im hinterpommerschen Regiment in Thorn dienenden Söhne, überraschend seinen Besuch an. Am folgenden Festtag macht ebenso unerwartet auch der zufällig in Berlin weilende Onkel Eberhard seine Visite. Tags darauf reist Leo wieder ab, und der Onkel verkündet seiner Schwägerin Albertine bei einem zweiten Besuch, daß er eine ihrer Töchter noch am selben Tag mit zu sich nach Hause nehmen möchte. Sophie soll ihm und seiner Frau Gesellschaft leisten und auf Schloß Adamsdorf, wo alles noch das Wappen der Familie des verstorbenen ersten Mannes der Tante trägt, Teller mit dem Poggenpuhlschen Wappen malen. Im folgenden diskutiert der stets in Geldnöten steckende Leo in einem Briefwechsel mit Manon die bereits in Berlin aufgebrachte Heiratsfrage Erler spricht ohne weitere Belege davon, daß die »zahlreichen Reflexe auf Zeitgenossen und Zeitereignisse« die »exakte Datierung der Handlung auf das Jahr 1888« ermöglichen. Vgl. ders., Entstehungsgeschichte, S. 69 (ähnlich Reuter, Poggenpuhls, S. 347). Donald C. Riechel bestreitet diese Datierung mit dem Hinweis darauf, daß Wildenbruchs Quitzows, deren Aufführung die Poggenpuhls besuchen, erst im November 1888 uraufgeführt wurden, der »alte Kaiser«, den Leo in dem Palais Unter den Linden an seinem Eckfenster zu sehen hofft (vgl. HA I, Bd. 4, S. 510), aber schon am 9.3.1888 gestorben sei. Vgl. ders., Thou, S. 25if. Keitel und Nürnberger weisen überdies darauf hin, daß es sich bei dem »Kaiser Wilhelm«, auf dessen Wohl Onkel Eberhard am Sedantag (2. September) eine Rede halten soll (vgl. HA I, Bd. 4, S. 557), um Kaiser Wilhelm I. handele und insofern ein weiterer »Anachronismus« vorliege (vgl. ebd., S. 832 u. 843). Mir scheint hier jedoch der junge Kaiser Wilhelm II. gemeint — was die besondere Nervosität des Onkels vor dieser Rede erklärt — , den Fontäne auch andernorts schlicht »Kaiser Wilhelm« nannte (vgl. z.B. ders., Briefe III, S. 266, u. HA IV, Bd. 4, S. 697). Will man die Handlung eindeutig datieren, sollte man dementsprechend nur die Aufführung der Quitzows im Januar als »Anachronismus« bzw. künstlerische Freiheit werten und das Dreikaiserjahr als Handlungsgegenwart ansetzen. Diese Lesart unterstützt ein deutlicher Hinweis in der Erzählung, den, soweit ich sehe, alle Interpreten übersehen: Major von Poggenpuhl ist bei Gravelotte (18.8.1870) gefallen, die jüngste Tochter Manon wurde »erst etliche Monate nach dem Tode des Vaters geboren« (vgl. HA I, Bd. 4, S. 480) und ist zu Beginn der Erzählung »jetzt siebzehn« (ebd., S. 484)Meines Wissens hat in diesem Zusammenhang erstmals Lämmert auf einen - unterstellt man, daß eine Ambivalenz hier nicht beabsichtigt ist - »offensichtlichen Lapsus in der Zeitrechnung« (vgl. ders. Bauformen, S. 228 u. S. 280) aufmerksam gemacht: das 2. Kapitel setzt ein: »Es war ein Wintertag, der dritte Januar«; der Geburtstag der Majorin fällt, wie mehrmals versichert wird, auf den 4. Januar; das 3. Kapitel aber beginnt: »Der nächste Tag kam. Als es am Nachmittag schon dämmerte, hielt eine Droschke vor dem Haus.« — Leo kommt an, und erst am Tag darauf (also am 5. Januar) feiert man den Geburtstag. Berücksichtigt man überdies, daß Sophie bei Erhalt von Leos Brief traurig ist, daß sie »heute abend (Hervorh. M. S.), wenn Leo kaum angekommen ist, auf die Polterabendprobe muß«, so hat Fontäne schlicht vergessen, den Satz »Der nächsre Tag kam« zu streichen. Vgl. HA I, Bd. 4, S. 156

»Esther oder Flora« - eine Frage, die zunächst als zukunftsentscheidend behandelt 12 und die dann aus gegebenem Anlaß wieder fallen gelassen wird. 13 In einer zweiten Korrespondenz schildert Sophie ihr Leben auf Schloß Adamsdorf. Das Ereignis, das ihre Briefe im Sinne einer »Geschichte« verbindet, ist eine »Hörnerschlittenfahrt«, 14 die mehrmals angekündigt und verschoben wird und die schließlich mit Sophies Unfall endet. Sophie hat kaum acht Monate mit dem Onkel und der Tante im Riesengebirge verbracht, da erkältet sich der alte Generalmajor, als er am Sedantag die übliche Festrede halten muß, und stirbt wenige Tage später, am 8. September. Nach seiner Beerdigung in Adamsdorf erfahren die Berliner Poggenpuhls, daß sie fortan mit einer Vermehrung ihrer Jahreseinnahmen um etwa sechshundert Taler rechnen können. Wie die am Ende wieder nach Berlin zurückgekehrte Familie feststellt, reicht dieses Erbe aus, um ihre Lebensverhältnisse im Rahmen des Bestehenden ein wenig zu verbessern, mehr nicht. »Das Buch ist kein Roman und hat keinen Inhalt, das >Wie< muß für das >Was< eintreten - mir kann nichts Lieberes gesagt werden.« 15 So hat Fontäne dem Kritiker Siegmund Schott einst für eine verständnisvolle Kritik gedankt und damit auf die besondere Bedeutung hingewiesen, die er selbst der Form seiner Erzählung beigemessen hat. Dabei scheint die Art der Präsentation des Erzählten auf den ersten Blick nicht sonderlich bemerkenswert zu sein. Wie alle Erzählungen Fontanes sind auch die Poggenpuhls nicht dem Prinzip der »eigentlichen«, sondern dem der »szenische(n) Erzählung« im Sinne Otto Ludwigs verpflichtet.' 6 Die Präsenz eines fiktiven Erzählers entspricht gewiß 12

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»Deine ganze Zukunft«, schreibt Manon, »so viel wird mir immer klarer, dreht sich um die Frage: Esther oder Flora.« Ebd., S. 546. Leo verliert das Interesse an Esther in Thorn, und um Manons Berliner Freundin Flora, die Tochter der reichen, aber traditionslosen Bartensteins für sich gewinnen zu können, müßte Leo - so glaubt jedenfalls Manon -, zunächst eine »Familiengeschichte der Poggenpuhls« in Form einer »Ruhmesbroschüre« verfassen, was eine Aufgabe darstellt, der Leo sich nicht gewachsen fühlt. Vgl. ebd., S. 545ff. Berücksichtigt man die Bedeutung des Schlitten- und Flugmotivs (»je mächtiger die Schneedecke, desto schöner die Fahrt talwärts und desto gefahrloser; der Schlitten fliegt dann über die Felsblöcke weg, als ob es Maulwurfshügel wären«, schreibt Sophie. Vgl. ebd. S. 540) in anderen Erzählungen Fontanes (Effi z.B. wird von Crampas erstmals während einer Schlittenfahrt verführt, und in Unwiederbringlich »fliegt« der verheiratete Graf Holk mit Ebba übers Eis, bevor er ihr in der Nacht darauf verfällt), so läßt sich diese Geschichte einer für die Romanhandlung folgenlosen Schlittenfahrt (»Mein Retter war ein junger Assessor (adlig) und schon verlobt« und »in vier Wochen, spätestens in sechs, kann ich wieder tanzen« berichtet Sophie. Ebd., S. 543.») auch als ironisches Selbstzitat lesen. Zum Motiv von Flug und Schlittenfahrt vgl. auch Demetz, Formen, bes. S. aogf. Brief an Siegmund Schott v. 14.2.1897, Brinkmann/Wiethölter (Hg.), Fontäne, S. 469. Ähnlich in einem Brief an Heinrich Josef Harwitz v. 6. 11.1896. Vgl. ebd., S. 466. Vgl. Ludwig, Studien, S. 3O4ff. Allgemein zu einer weiteren, von mir hier nicht 157

nicht dem in der zeitgenössischen Romantheorie etwa von Friedrich Spielhagen formulierten Ideal einer »objektiven Darstellungsweise«, 17 ist aber doch vergleichsweise eingeschränkt. Längere Rückblenden, Vorgriffe oder erläuternde Exkurse des Erzählers fehlen ebenso wie explizite Hinweise auf die Vermitteltheit oder gar Fiktionalität des Erzählten.18 Der Schöpfungs-, Erzähl-, Schreib- oder Leseprozeß wird ebensowenig angesprochen wie die Kluft zwischen der Zeit des Erzählten und der des Erzählens. Die Zeitadverbien in Formulierungen wie - ich greife willkürlich ein paar typische Beispiele heraus - »Eben kam Friederike von ihrem regelmäßigen Morgeneinkaufzurück, [.. .]«,'9 »Friederike versprach alles, und nun trennte man sich«, 20 »[...] und keine Stunde mehr, so kam auch schon eine Droschke mit Reisekoffer die Großgörschenstraße herauf«, 21 schwächen das epische Präteritum und fördern den Eindruck der unmittelbaren Gegenwart des Erzählten. Wie auf einer Bühne 22 wird das Geschehen in einer Folge von Szenen — im weiteren Sinne verstanden als Schauplatz- und Handlungseinheit — geradlinig fortlaufend in seinem zeitlichen und pragmatischen Zusammenhang vergegenwärtigt, wobei das in der direkten Rede wiedergegebene Gespräch der Figuren dominiert 23 und der weitgehend an den Wissensstand der Figuren sowie an den Raum und die Zeit der jeweils erzählten Szene gebundene Standort des Erzählers dessen leibliche Gegenwart im Kreis der Figuren suggeriert. Auch der Leser

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näher ausgeführten Konsequenz der szenischen Erzählform, nämlich dem TableauCharakter des Erzählten (woraus sich ein weiterer Bezug zu Sophies Malarbeiten ergibt), vgl. Brinkmann, Moment. Vgl. Spielhagen, Beiträge, z.B. S. 134. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Brief Fontanes an Spielhagen vom 24.11.1896, in dem Fontäne sich entschuldigt, daß »das Buch, wenn auch sehr ungewollt, fast wie ein Protest gegen die von Ihnen festgestellte Romantechnik wirkt, eine Technik, hinsichtlich deren ich Ihnen gegenüber und hinter Ihrem Rücken immer wieder und wieder ausgesprochen habe, daß ich sie für richtig halte.« Brinkmann/Wiethölter (Hg.), Fontäne, S. 40yf. Informativ zu Fontanes oft diskutiertem Verhältnis zur Theorie des »objektiven« Erzählens z.B. Greter, Poetik, S. 74ff. Vergleicht man die Erzählform der Poggenpubls z.B. mit der der Prinzessin Brambilla, so scheint mir Fues' zentrale »Hypothese«, daß »reflektierte Fiktionalität die Grundstruktur seines (i.e. Fontäne — erg. M. S.) Erzählens« sei, zumindest mißverständlich formuliert. Vgl. ders., Poesie, bes. S. 25off. Vgl. HA I, Bd. 4, S. 485. Ebd., S. 562. Ebd., S. 572. Allgemein zur Theaternähe der Fontaneschen Erzählform zuletzt Scheffel, Drama. Lämmert errechnet für den Dialog einen Anteil von »nahezu 6o%«. Vgl. ders., Bauformen, S. 226. Zur Funktion der Gespräche vgl. ebd., S. 220ff.; vgl. auch Brinkmann, Fontäne, bes. S. 83, u. Mittenzwei, Sprache, S. ijoff. Allgemein zur szenischen Erzählweise und zur »dialogischen Facettierung« des Erzählten bei Fontäne u.a. Ohl, Bild, S. i j o f f ; zum Dialog als »facteur constructif du recit« auch Bange, Ironie (zu den Poggenpuhls ebd., S. 2O2ff.).

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scheint auf diese Weise geradezu körperlich in die erzählte Welt eingebunden zu sein.24 Der Abwesenheit einer auf ein bestimmtes Ende hin orientierten Entwicklung auf der Ebene des Erzählten entspricht, daß die einzelnen Szenen zeitlich aufeinanderfolgen, ohne im dramatischen Sinne auseinander hervorzugehen. Im gleichen Maße, in dem das in lockerem Plauderton geführte Gespräch in keinem übergreifenden Handlungszusammenhang steht und sich stellenweise zur Causerie verselbständigt,25 erscheint die einzelne Szene als - relativ - autonom und in sich geschlossen. Dabei wird der Eindruck des Episodischen und Undramatischen durch die besondere Verwendung zweier Darstellungsweisen unterstützt, die im Vergleich zu älteren Erzählungen Fontanes an Gewicht gewonnen haben: Die szenische Erzählweise wird durchbrochen durch Schilderungen eines Erzählers, die weniger Vorgänge als Zustände beschreiben (wie z. B. die Wohnverhältnisse der Poggenpuhls zu Beginn der Erzählung),2 und durch die kommentarlose, zwei Kapitel der Erzählung umfassende Wiedergabe der beiden Briefwechsel,27 in denen die Möglichkeit einer Verwicklung jeweils angedeutet und wieder zerstreut wird. 28 Dieses »Abbrechen der Erzählung, um an Stelle derselben in Briefen fortzufahren«, 29 setzt in radikaler Konsequenz fort, was ne24

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Die relativ starke Bindung des Erzählers an Raum und Zeit der jeweils erzählten Szene schwächt seine heterodiegetische Position und suggeriert eine homodiegetische Erzähl- bzw. Zuschauerperspektive. Insofern ist sie eine wesentliche formale Garantie dafür, daß dem Leser tatsächlich - so Fontanes vielzitierter Anspruch an den Roman — »eine Welt der Fiktion auf Augenblicke als eine Welt der Wirklichkeit erscheinen« kann (vgl. dazu Fontanes Rezension von Freytags Ahnen, HA III, Bd. i, S. 3o8ff., bes. S. 3i6ff.). In einem anderen Zusammenhang beschreibt Hans Blumenberg den entsprechenden Illusionierungseffekt wie folgt: »[...] je mehr die Wirklichkeit des Romans vom Standpunkt des vermittelnden Subjekts abhängig wird, um so weniger scheint sie von ihm selbst und seiner Imagination abhängig zu sein, um so mehr jenes von ihr.« Vgl. ders., Wirklichkeitsbegriff, S. 24. Daß die Gespräche dennoch keine bloßen »Sprach-gespräche« (vgl. Mittenzwei, Sprache, S. 163) sind, sondern durchaus auch äußeres Geschehen vor- und nachbereiten, hat schon Lämmert zu Recht betont. Vgl. ders., Bauformen, S. 230. Lämmert errechnet für die »statische Beschreibung des Milieus« einen Anteil von mehr als 10%. Vgl. ders., Bauformen, S. 227. Grundsätzlich zur Funktion des Briefes im Erzählwerk Fontanes vgl. Honnefelder, Konstruktion, (die Poggenpuhls sind allerdings nicht erwähnt). Vgl. dazu den für die abschätzige Bewertung der Poggenpuhls in der älteren FontäneForschung typischen Stoßseufzer Conrad Wandreys: »Welche amüsanten Entwicklungen hätten sich nun anspinnen lassen, zu welchem Schluß auch Fontäne die Geld-, Liebes- und Standeswirren gelenkt hätte, nach Thorn oder in die Voßstraße.« Ders., Fontäne,, S. 298. Vgl. Fontanes Brief an Spielhagen vom 24.11.1896, Brinkmann/Wiethölter (Hg.), Fontäne, S. 407f. (hier zit. Anm. 17). Im Sinne der Spielhagenschen »Objektivitätstheorie« bezeichnet Fontäne die Briefe hier zu Recht als »Fehler« (ebd.). Im Sinne des in den Poggenpuhls entworfenen Programms scheinen sie mir aus den oben ausgeführten Gründen jedoch keine »technische Inkonsequenz« darzustellen wie z.B. 159

ben der Abwesenheit »einer in sich geschlossenen Komposition und folgerichtigen Entwicklung« 30 als eigentliche Besonderheit der Poggenpuhls gelten kann: Zahlreiche Begebenheiten im durchaus nicht ereignislosen Leben der Familie — wie z. B. Sophies Unfall oder der Tod des Onkels - werden in der Erzählung gar nicht selbst dargestellt, sondern dem Leser nur über das Gespräch der Figuren vermittelt, das diese Ereignisse vor- und nachbereitet und letztlich mehr über die Sprechenden als über das Gesprochene verrät. Wie auf den geplanten biblischen Bildern Sophies dominiert offensichtlich also auch in Form und Inhalt der Poggenpuhls das Episodische und ist die « »Szenerie«, das »Landschaftliche« an Stelle einer — nach dem Modell von »Judith und Holofernes«3* — mehr oder minder dramatisch konstruierten Geschichte mit deutlich markiertem Anfang und Ende getreten. Betrachtet man den Kontext von Fontanes Erzählwerk, so ist mit dem Befund einer im Sinne von »Geschichtslosigkeit« (und nicht etwa »Handlungslosigkeit«) verstandenen »Stofflosigkeit« 32 allerdings ein Problem verbunden. Er hat nicht einen >Faden gesponnem, sondern er hat dem Drama und seinen strengen Anforderungen und Gesetzen auch die Vorschriften für Behandlung des Romans entnommen. Das dünkt uns ein Fortschritt [. . .].33

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Demetz behauptet (vgl. ders., Formen, S. 178; ähnlich negativ Martini, Fontäne, S. 789). In Übereinstimmung mit diesem Programm unterstützt die kommentarlose, »unzensierte« Wiedergabe der Familienbriefe überdies die Illusion der Zugehörigkeit sowohl des Erzählers als auch des Lesers zum vertrauten Kreis der Familie Poggenpuhl. So Schott in einer Rezension des Stechlins rückblickend zu den Poggenpuhls. Vgl. ders.: »Theodor Fontanes letzter Roman.« In: Allgemeine Zeitung, Beilage, 11.11.1898, S. 5. Zit. nach Aust, Fontäne, S. 234. Fontäne selbst hat die Geschichte von Judith und Holofernes bekanntlich in Stine aufgenommen, wo sie im Hause der Witwe Pittelkow von Wanda Grützmacher als »Trauerspiel in zwei Akten« aufgeführt wird und auf der Ebene des Erzählten das Schicksal Waidemars mittelbar und prospektiv spiegelt. Daß Sophie »all dergleichen [...] fallen zu lassen« gedenkt, stellt also auch in diesem weiteren Kontext eine ironische Selbstreflexion dar. Vgl. Fontanes Brief an Ernst Heilborn vom 16.1.1897, Brinkmann/Wiethölter (Hg.), Fontäne, S. 468. Betont sei, daß Die Poggenpuhls durchaus nicht »handlungslos« sind, wie in der Forschung wiederholt behauptet wird (vgl. zuletzt MüllerKampel, Theater-Leben, S. 78). Mit »geschichtslos« meine ich hier die weitgehende Auflösung der Handlung in das Gespräch auf der Ebene des Erzählens und auf der Ebene des Erzählten die Tatsache, daß die auch in den Poggenpuhls vorhandenen traditionellen Handlungselemente wie Streit (vgl. die wiederholten Auseinandersetzungen Thereses mit ihrer Mutter), Überraschungsbesuch, Reise, Liebeswirren, Unfall, Tod und Erbschaft fast ohne Konsequenzen bleiben, d. h. kaum ausgeführt und zu einer zusammenhängenden, abgeschlossenen Geschichte verbunden sind. Sophies Malprojekt spiegelt eine so verstandene »Geschichtlosigkeit« auch insofern, als Sophie nicht die klassischen Stationen der Heilsgeschichte, sondern einzelne, voneinander unabhängige Szenen aus dem Alten Testament illustriert.

Vgl. HA III, Bd. i,S. 296.

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So hat Fontäne einst in einer Rezension über Gustav Freytags Roman Soll und Haben geurteilt, den er als »die erste Blüte des modernen Realismus«34 begrüßte und ausdrücklich von der als nicht eben vorbildhaft charakterisierten »Formlosigkeit des englischen Romans« unterschied: Dickens und Thackeray >spinnen ihren Faden< [...] und ziehen allerhand echte und unechte Perlen an demselben auf. Wenn der Faden eine beliebige Länge erreicht hat, so denkt entweder Publikum und Verleger oder im günstigsten Fall auch der Schriftsteller daran, daß es Zeit sei, abzuschließen. Er bindet die beiden Enden des Fadens rasch zusammen und nennt das Abrundung und Abschluß.'5

Berücksichtigt man diese und ähnliche programmatische Äußerungen,3*5 und blickt man auf Fontanes frühere Erzählungen zurück, die - bis hin zu der 1895 erschienen Effi Briest — vor dem ideologischen Hintergrund eines »Mysterium^} von Schuld und Sühne« 37 immer einen Konflikt gestalten38 und ausnahmslos einem dramatischen Kompositionsschema verpflichtet sind,39 so stellt die offene Erzählform 40 der Poggenpuhh eine Neuerung dar, die der Er34

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Ebd., S. 294. Fontäne begrüßt Freytags Roman zugleich als »Verdeutschung (im vollsten und edelsten Sinne) des neueren englischen Romans.« Ebd. Ebd., S. 296. Vgl. z.B. Fontanes Aufsatz über Willibald Alexis (1872), in dem er als »speziellen Vorzug seiner Romane« den »klare(n), gutgegliederte(n) Aufbau« lobt, »in dem sich die Pyramide der drei oder fünf Akte erkennen läßt.« HA III, Bd. i, S. 410. Vgl. HA I, Bd. 3., S. 14. Zum Wandel zwischen einem »geschlossenen Schicksalsmodell« in den frühen »Schicksalsnovellen« und Gesellschaftsromanen bis hin zu Effi Briest und einem »offenen Schicksalsmodell« in den beiden letzten Romanen vgl. Schlaffer, Schicksalsmodell. Im direkten Anschluß an den in der Fontäne-Forschung wenig beachteten Aufsatz Schlaffers auch Poltermann, Frau Jenny Treibet. Daß die Komposition eines Großteils von Fontanes Erzählungen dem von Gustav Freytag in seiner Technik des Dramas (i. Aufl. 1863) geforderten »pyramidalen Bau« des Dramas verpflichtet ist, wird in der Forschung mehrfach angesprochen, aber kaum am Text konkretisiert. Am Beispiel von Grete Minde und Schach von Wuthenow vgl. zuletzt Scheffel, Drama (dort auch weiterführende Literaturhinweise). Zu dem sogenannten »Vielheitsroman« Vor dem Sturm, der m.E. ebenfalls einem dramatischen Strukturmodell verpflichtet ist und insofern zu Unrecht wiederholt in unmittelbare Nachbarschaft zu dem Stechlin gerückt wird, vgl. ebd. Zum besonderen Fall von Frau Jenny Treibet, die sich als eine Art erzählte Komödie lesen läßt, zuletzt Poltermann, Frau Jenny Treibet. Bei aller Offenheit folgen allerdings auch die Poggenpuhls einer Gliederung und stellen schon deshalb mehr als die von Fontäne seinerzeit abschätzig beurteilte »lose Aneinanderreihung von Charakterbildern« (vgl. HA III, Bd. , S. 296) dar. Berücksichtigt man das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit, den Wechsel der Darstellungsformen und die wenigen Veränderungen im Leben der Familie, so liegt eine triadische Gliederung auf der Hand, für deren Teile wohl am besten der neutrale, nicht auf ein geschlossenes Sinnganzes bezogene Begriff »Ausschnitt« angemessen ist. Im einzelnen werden diese drei Ausschnitte, die sich zu einem Tableau der Familie Poggenpuhl runden, durch die Kapitel 1—9, 10-12 und 13—15 gebildet. Leos Bemerkung, daß er »nur nach einer Disposition, dreigeteilt, also wie 'ne 161

läuterung bedarf. Hat Fontäne mit den Poggenpubls erstmals gegen seinen eigenen poetologischen Grundsatz verstoßen und hier tatsächlich aufgegeben, was er als »Abrundung und Abschluß« bezeichnet? Was rechtfertigt eine Erzählung nahezu ohne Geschichte, deren Schluß zudem so unvermittelt ist, daß ein Verlagslektor seinerzeit das Wort »Ende« auf die letzte Seite setzen wollte? 41 Auch die Antworten auf diese Fragen lassen sich meines Erachtens aus der Erzählung selbst gewinnen. Es erscheint mir in diesem Zusammenhang aufschlußreich, daß die mit Sophies Malprojekt verbundene mittelbare Spiegelung des poetologischen Prinzips der Erzählung auf der Ebene des Erzählten umfassender ist, als ich bislang ausgeführt habe. Verfolgt man den Fortgang der Malarbeiten, von denen Sophie nach ihrer Genesung in zahlreichen Briefen berichtet, ergeben sich noch weitere Bezüge zu den Poggenpuhls. So schreibt Sophie in einem dieser Briefe, die der Erzähler wiederholt in Ausschnitten zitiert und in seinen eigenen Bericht integriert: Ich bin jetzt bei der Sündflut, die ja, wenn man will, auch ins Landschaftliche fällt. Wasser ist doch auch Gegend und Gegend ist Landschaft. Und was denkt ihr nun wohl, wie meine Sündflut aussieht? Ganz anders wie andre, was ich, ohne unbescheiden zu sein, sagen darf, weil die Idee nicht von mir, sondern von Onkel Eberhard herrührt. Und auch eigentlich nicht von ihm, wie ihr gleich hören werdet. Als ich mich nämlich vorige Woche beim Tee dahin äußerte, daß ich jetzt an die Sündflut herangehen wolle, sagte der Onkel: >Ja, Fiechen, wie denkst du dir das nun eigentlich? Oder richtiger, ich will es gar nicht wissen, ich will dir lieber gleich sagen, wie ich es mir denke und wie ich es mir wünsche. Als ich noch in Berlin bei >Alexander< stand, war ich mal auf Besuch in einer benachbarten Dorfkirche, drin viele Bilder waren, auch eine Sündflut. Und aus der Sündflut ragte nicht bloß, wie gewöhnlich, der Berg Ararat mit der Arche hervor, nein, neben dem Ararat befand sich auch noch in geringer Entfernung ein zweiter Berg, und auf

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Predigt« erzählen könne (vgl. HA I, Bd. 4, S. 525), stellt insofern eine Betrachtung dar, die sich auf der Ebene des Erzählten mittelbar auch auf das Erzählen und die Erzählung bezieht. Zur — m.E. willkürlichen — Gliederung der Erzählung nach »fünf triadischen Gruppen« und zur »triadischen Symmetrie« auch innerhalb der erzählren Zeit vgl. Riechel, Thou, bes. S. 253^ Vgl. dazu den hübschen Brief Fontanes an seinen Sohn Friedrich vom 13.6.1896: »[...] mit dieser Karte gebe ich die letzten Bogen der >Poggenpuhls< zur Post. Auf der letzten Seite stand noch eigens >Endeja, nun ist es ausEnde< doch sehr, weil sich darin eine ganz richtige Kritik ausspricht. Kein Mensch kann annehmen, daß das ein Schluß ist und so war es nöthig, dem Blattleser zu versichern: >ja, Freund, nun ist es aus; wohl oder übel.ff., u. Paulsen, Stand, S. 500. Vgl. HA I, Bd. 4, S. 553. »Es war, als ob Gott sie gleich dahin gestellt habe. Natürlich kann man darüber lachen, aber man kann sich auch darüber freuen«, fügt Sophie hinzu und macht damit deutlich, daß sie sich der Naivität des Gedankens wohl bewußt ist (vgl. ebd.; vgl. dazu auch Aust, Fontäne, S. 232). 163

Im gleichen Brief nimmt Sophie ihren Anfangsgedanken, daß auch die »Sündflut« ins Landschaftliche falle, noch einmal auf und schließt die Beschreibung ihres Bildes mit den Worten: Auf stürmische Bewegung, weil ich doch sozusagen nur den Schlußakt der Sündflut gemalt habe, glaubte ich, ohne dadurch unkorrekt zu werden, verzichten zu können.47

Sophies Betrachtungen lassen sich mittelbar ebenso auf das poetologische Prinzip der Erzählung wie auf das in ihr Erzählte beziehen. Wie auf Sophies Bild ist in den Poggenpuhls das »Landschaftliche« mit der wiedererkennbaren Darstellung der - für den zeitgenössischen Rezipienten — gegenwärtigen Wirklichkeit verbunden. Und wie Sophies Version der »Sündflut« entwirft auch Fontanes Erzählung ein Bild des Wandels, das ohne »stürmische Bewegung« auskommt, weil es — je nach Sichtweise - nur den »Schlußakt« eines Untergangs, bzw. den ersten Akt eines Neuaufbaus gibt. So setzen Die Poggenpuhls zu einem Zeitpunkt ein - das wird in der Forschung meist übersehen -, da ein wichtiger Schritt auf dem Weg des Niedergangs der alten pommerschen Adelsfamilie, d.h. die Übersiedelung der Poggenpuhls von ihrer angestammten Heimat nach Berlin, längst erfolgt ist48 und die Familienmitglieder sieben Jahre49 Zeit hatten, um sich den kleinen Verhältnissen der Großgörschenstraße mit ihrer bezeichnenden »Doppelaussicht« auf die »Erbbegräbnisse des Mätthäikirchofs« und »Schulzes Bonbonfabrik« 50 anzupassen. Die Charaktere der Figuren offenbaren sich hier in den unterschiedlichen Formen, in denen sie sich mit den Folgen eines umfassenden historischen Prozesses arrangieren, der sich über ihre Köpfe hinweg vollzogen hat. 51 »Wir sind nicht mehr dran. Was jetzt so aussieht, ist bloß noch Aufflackern [...]« - so beschreibt Onkel Eberhard knapp und treffend den Verlust der

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Vgl. HA I, Bd. 4, S. 554.

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So behauptet z.B. Aust, daß sich »zwischen epischer Vorgeschichte, aktualisiert in den Bildern, und Romangegenwart keine Wendepunkte ausmachen lassen [...].« Vgl. ders., Fontäne, S. 220. Als einer von wenigen Intetpreten betont Reuter ausdrücklich, daß die Zeit »über die Familie Poggenpuhl [...] bereits >hinweggegangenInsel der Seligen Vgl. ebd., S. 47766 Vgl. ebd., S. 478. 67 Vgl. ebd., S. 476. 61

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unsere Hochzeit sein. Aber das Brautkleid war noch nicht da. Oder irrte ich mich vielleicht?«), 68 um Vorgänge in ihrem Inneren zu erfassen,69 und setzt Orts- und Zeitadverbien ein, um auch bei den erzählten äußeren Vorgängen trotz des epischen Präteritums — die Perspektive des erlebenden Ichs zu simulieren (»Es war die wohlvertraute Gegend: dort war der See, vor uns die Berglandschaft«; »Galeerensklaven hatten dich hergerudert, ich sah sie eben im Dunkel verschwinden«; »Da standest du nun.«). 70 Daß der Inhalt dessen, was Albertine erzählt, zahlreiche Parallelen zu den nächtlichen Erlebnissen Fridolins aufweist (einfache, mittelbare Spiegelung des Erzählten auf der nächsthöheren Ebene des Erzählten), haben viele Interpreten der Traumnovelle zu Recht bemerkt. 7 ' Damit sind jedoch noch nicht alle mit Albertines Traum verbundenen Formen der Spiegelung genannt. Denn nicht nur Binnen- und Rahmengeschichte, sondern auch Binnen- und Rahmenerzählung zeigen deutliche Ähnlichkeiten (einfache, mittelbare Spiegelung des Erzählens auf der Ebene des Erzählten). 72 Wie Fridolin den Traum 68

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Vgl. ebd. Setzt man die zitierten Sätze von der ersten in die dritte Person, so sind alle Bedingungen für die erlebte Rede erfüllt. Grundsätzlich zu den »narrative modes for rendering consciousness« vgl. Cohn, Minds, bes. S. 11 ff. Vgl. ES, Bd. 2, S. 476 u. S. 479. Auch das Problem der Perspektivierung wird von Albertine reflektiert. Vgl. ebd., S. 478: »Ich war auch längst - seltsam: dieses längst! - nicht mehr mit diesem Mann allein auf der Wiese.« Wie Fridolin im Magazin des Maskenverleihers Gibiser (vgl. ebd., S. 458) sieht sich auch Albertine in ihrem Traum mit einer breiten Auswahl von Kostümen konfrontiert (vgl. ebd., S. 476); gegen Ende des Traums trägt Fridolin einen schwarzen Mantel (vgl. ebd., S. 479), der an sein Mönchskostüm auf dem Fest der geheimen Gesellschaft erinnert; die »Fürstin des Landes« (vgl. ebd., S. 479f) ähnelt der schönen Unbekannten, die Fridolin kurz zuvor »ausgelöst« hat, und wie im Rahmen von Fridolins Abenteuern finden sich auch in Albertines Traum die — allerdings jeweils unterschiedlich funktionalisierten - Motive der Orgie und des Opfers. Vgl. dazu z.B. Caputo, Schnitzlers, S. 70f.; Hinck, Träume, S. 235f. u. 8.289; Kluge, Wunsch, S. 330; Perlmann, Traum, bes. S. 197; Rey, Schnitzlers, S. 119. Sieht man Albertine nicht nur als Erzählerin, sondern auch als »Autorin« ihres Traums, so ergibt sich hier überdies noch eine einfache, mittelbare Spiegelung der Erzählung und des poetologischen Prinzips. Albertines Traum, in dem alle zu Beginn der Traumnovelle erzählten Geschichten (d. h. ebenso das eingangs zitierte Märchen wie die verschiedenen Erzählungen Fridolins und Albertines) aufgenommen und fortgesetzt sind, enthält die unglücklich endende Variante der Geschichte von Fridolin und Albertine, die die Rahmenerzählung erzählt. Wie die Traumnovelle präsentiert dabei auch Albertines Traumerzählung das Erzählte szenisch in einem chronologischen Zusammenhang, folgt einer deutlichen Kreisbewegung (zum Motiv des Fliegens an Anfang und Ende vgl. Rey, Schnitzlers, S. 114) und nutzt Handlungs- und Strukturelemente des Märchens für eine abgeschlossene Geschichte, in der Märchen- und Alltagswelt - wie z.B. das Bild der gleichermaßen »orientalischen« wie »altdeutschen« Stadt zeigt (vgl. ES, Bd. 2, bes. S. 477) — zu einem neuen, »phantastischen« (vgl. ebd.) Ganzen verbunden sind. 189

Albertines, so bekommt auch der Leser der Traumnovelle die Abenteuer Fridolins scheinbar lückenlos aus der Perspektive des erlebenden Ich präsentiert, und hier wie dort ist mit der Perspektivierung des Erzählten zugleich die Konzentration auf das Innere des Subjekts verbunden.73 Dabei entspricht den unterschiedlichen psychischen Voraussetzungen der beiden Protagonisten, daß Fridolin, anders als Albertine, zunächst nicht als Erzähler, sondern nur als Reflektorfigur in Erscheinung tritt. Im Rahmen einer personalen Erzählsituation, 74 die zwischen dem zweiten und dem Anfang des siebten Kapitels dominiert, ist mit Hilfe von erlebter Rede, Gedankenzitat und Ansätzen des Inneren Monologs75 sprachlich gestaltet, was sich der durch Wien irrende Fridolin in dieser Form noch gar nicht bewußt gemacht hat. Scheinbar unmittelbar läßt sich verfolgen, wie Fridolin in der besonderen Atmosphäre einer lauen Vorfrühlingsnacht 7 »immer weiter fort aus dem gewohnten Bezirk seines Daseins in irgendeine andere, ferne, fremde Welt« 77 entrückt, in der er sich »ungeschickt, hilflos« fühlt und wo ihm alles »unwirklich« wird und »unter den Händen« zerfließt.78 Der Leser wird zum Zeugen, wie der Aufenthalt in dieser Welt Fridolins starre Denk- und Verhaltensmuster so offensichtlich überfordert, daß der seiner selbst einst so sichere Arzt schließlich einsehen muß, was Albertine längst begriffen hat und mit der Plazierung der Maske auf seinem Kopfkissen noch einmal sinnfällig zum Ausdruck bringt: Nicht nur zu Albertines, sondern auch zu Fridolins alltäglichem Leben gehören »Schein und Lüge«79 und ein Inneres, das bei näherem Hinsehen voller Widersprüche und Rätsel, voller geheimer Ängste und Wünsche ist. 73

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Ohl betont in seinem allgemeinen Vergleich der »szenischen Erzählweise« Fontanes und Schnitzlers zu Recht, daß die bereits bei Fontäne »vorhandene Perspektivierung des Geschehens bei Schnitzler noch ein erhebliches Stück weitergetrieben ist.« Vgl. Ohl, Zeitgenossenschaft, S. 301. Allgemein zur Perspektivierung auf das Innere der Schnitzlerschen Figuren vgl. Neuse, Rede. Zur Traumnovelle vgl. ebd., S. 334, S. 348 u. S. 354. Zur »Innenorientiertheit« als Charakteristikum der »Jung-Wiener-Dichtung« zuletzt Strelka, Wiener. Zu den Begriffen »Reflektorfigur« und »personale Erzählsituation« vgl. Stanzel, Theorie, bes. S. I9off. Stellenweise ist das Gedankenzitat so ausgebaut, daß man trotz der Inquit-formel auch von einem Inneren Monolog sprechen kann. Vgl. z.B. ES, Bd. 2, S. 442: »Wie alt mag sie sein? fragte er sich weiter. Als ich zum erstenmal zum Hofrat gerufen wurde, vor drei oder vier Jahren, war sie dreiundzwanzig. Damals lebte ihre Mutter noch. Sie war heiterer, als ihre Mutter noch lebte. Hat sie nicht eine kurze Zeit hindurch Gesangslektionen genommen? Also diesen Dozenten wird sie heiraten. Warum tut sie das? [..-]« Der Hinweis auf die laue Vorfrühlingsluft wird mehrfach wiederholt. Vgl. z.B. die Anfänge des zweiten, dritten und vierten Kapitels, ebd., S. 441, S. 446 u. S. 451. Vgl. ebd., S. 451. Vgl. ebd., S. 491. Ähnlich z.B. schon ebd., S. 446 u. S. 449. Vgl. ebd., S. 488. Fridolin unterstellt »Schein und Lüge« zunächst nur Albertine (vgl. z.B. ebd., S. 48of.) und macht sich nicht bewußt, daß auch zu seiner eigenen

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Er wußte: auch wenn das Weib noch am Leben war, das er gesucht, das er verlangt, das er eine Stunde lang vielleicht geliebt hatte, [...]; — was da hinter ihm lag in der gewölbten Halle, im Scheine von flackernden Gasflammen, ein Schatten unter ändern Schatten, dunkel, sinn- und geheimnislos wie sie -, ihm bedeutete es, ihm konnte es nichts anderes mehr bedeuten als, zu unwiderruflicher Verwesung bestimmt, den bleichen Leichnam der vergangenen Nacht.80

So heißt es am Ende, als Fridolin im Pathologisch-anatomischen Institut den toten Körper einer ihm fremden Frau verläßt. Fridolin, der kurz zuvor erschrocken entdeckte, daß er sich die verzweifelt gesuchte Unbekannte »mit den Zügen Albertinens vorgestellt hatte«, 81 verabschiedet hier nicht nur die Illusionen der vergangenen Nacht. Er läßt auch ein Frauenbild hinter sich, das nur zwei Typen des Weiblichen kennt: Hier die treu ergebene Gattin, Hausfrau und Mutter, dort das geheimnisvolle, verführerisch lockende Weib.82 Konsequenterweise verzichtet Fridolin nun seinerseits auf die Rolle des überlegenen Verführers, Retters, Ritters oder Ehebrechers,83 die er zu keinem Zeitpunkt überzeugend ausgefüllt hat, und kehrt direkten Weges nach Hause zurück. Laut schluchzend sinkt er neben Albertine nieder, bittet um Gehör und wird endlich selbst zum Erzähler all der Empfindungen und Erlebnisse, die der Leser dank der personalen Erzählsituation bereits in actu hat mitverfolgen können.84

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sozialen Existenz notwendig ein Komödienspiel gehört. Das zeigt z.B. seine Rede auf dem Maskenball der geheimen Gesellschaft: »Was kann es Ihnen, meine unbekannten Herren, bedeuten, ob Sie diese Faschingskomödie, und sei sie auch auf einen ernsthaften Schluß angelegt, zu Ende spielen oder nicht. Wer immer Sie sein mögen, meine Herren, Sie führen in jedem Fall noch eine andere Existenz als diese. Ich aber spiele keinerlei Komödie, auch nicht hier, [...].« Vgl. ebd., S. 470. Vgl. ebd., S. 502 Vgl. ebd., S. 497. Kurz darauf begegnet Fridolin der Toten mit der gleichen Körpersprache (vgl. sein Fingerspiel ebd., S. 500), die in seinen Gesprächen mit Albertine wiederholt eine wichtige Rolle spielt. Als Fridolins schlichtes Frauenbild erstmals erschüttert wird, flüchtet er sich bezeichnenderweise in die Misogynie (vgl. z.B. ebd., S. 485: »Eine wie die andere, dachte er mit Bitterkeit, und Albertine ist wie sie alle - sie ist die Schlimmste von allen.«). Zu Fridolins Entwicklung im einzelnen Santner, Masks; Sebald, Schrekknis. Zum zeitgenössischen Frauenbild, das in Otto Weiningers Übersteigerung stereotypischer Vorstellungen des Mannes über die Frau einflußreichen Ausdruck fand, vgl. Le Rider, fall. In den einzelnen Abenteuern spielt Fridolin jeweils mehrere der genannten Rollen, doch sind die Akzente unterschiedlich gesetzt. Gegenüber der Tochter des verstorbenen Hofrats versucht Fridolin sich als Verführer (vgl. ebd., bes. S. 489), gegenüber der minderjährigen Tochter Gibisers in erster Linie als Retter, auf dem Maskenfest der heimlichen Gesellschaft ausdrücklich als »Ritter« (vgl. ebd., bes. S. 468) und gegenüber Albertine als Ehebrecher aus Kalkül. Vgl. ebd., S. 503. Berücksichtigt man, daß Fridolin am Anfang der erzählten Geschichte nur auf Albertines Aufforderung hin erzählt und nur widerstrebend einwilligt, »einander solche Dinge künftighin immer gleich« zu erzählen (vgl. ebd., 191

Daß Fridolin seine realen Abenteuer - anders als Albertine ihre geträumten — nicht zu Ende erlebt, dafür jedoch zu seinem Innern Zugang findet und seinen Erfahrungen in einem bewußten Akt sprachlichen Ausdruck verleiht, ist die psychologisch realistische Bedingung dafür, daß die beiden Ehepartner sich am Ende »für lange« als »erwacht« betrachten können. 85 Wie aber ist zu erklären, daß sie einander schließlich noch im Schlummer »traumlos« nahe sind? Warum können Fridolins - im Kontext des Erzählten unzweifelhaft »wirkliche« Abenteuer so »unwirklich« wirken, und warum kann Albertines Traum Details aus Fridolins nächtlichen Erlebnissen enthalten, von denen Albertine eigentlich nicht wissen kann? 86 Unterstellt man der Traumnovelle — wie das viele Interpreten mehr oder minder ausgesprochen tun, indem sie die beiden Protagonisten und ihre Erlebnisse vorzugsweise vor der Kulisse des Freudschen Lehrgebäudes interpretieren — allein den Versuch der psychologisch realistischen Gestaltung eines typischen »Falls«, läßt sich auf diese Fragen keine befriedigende Antwort geben. Die Erzählung selbst enthält jedoch deutliche Hinweise darauf, daß sie nicht allein den Gesetzen eines psychologischen Realismus verpflichtet ist.87 Das zeigt ein Blick zurück auf den Anfang der Traumnovelle. Denn mit dem Zitat einer Geschichte in der Geschichte wird hier neben dem Erzählten und dem Erzählen auch das poetologische Prinzip der Erzählung gespiegelt. Und zwar ebenso in einem allgemeinen wie in einem besonderen Sinn. Unabhängig von Inhalt und Herkunft des Märchens läßt sich — von der Ebene des Erzählens aus betrachtet - der unmittelbare Beginn mit einer Märchenszene zugleich als Fiktionssignal und Hinweis darauf verstehen, daß auch die folgende Geschichte im Zeichen der /««/>;/-Formel »Es war einmal« beginnt und wie ein Märchen zu lesen ist, das seine Helden eine Folge von Abenteuern bestehen läßt und schließlich einem guten Ende entgegenführt. Dem bereits mit den ersten Sätzen signalisierten Märchencharakter des Erzählten entspricht auf der Ebene des Erzählens die stark typisierte Eingangssi-

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S. 438), so spricht auch die Tatsache, daß er jetzt von sich aus bittet, »alles erzählen« zu dürfen, für seine Entwicklung. Vgl. den vielzitierten letzten Wortwechsel zwischen den Eheleuten, ebd., S. 503^: »>Nun sind wir wohl erwachtNiemals in die Zukunft fragen.persönlichen< Geschmack ein und ahmte doch eigentlich nur nach, was ich vorher irgendwo gesehen hatte. Wir wollten, wie alle anderen auch, einzigartig und einmalig sein, und waren doch nur wie alle anderen: kollektiv und Schablone.« 7 Vgl. ebd., S. 17. Zur Ununterscheidbarkeit von Fiktion und Wirklichkeit trägt hier bei, daß die Mitglieder der von Felix beschriebenen Gesellschaft durch fingierte Unfälle, Terroranschläge, Entführungen etc. in Atem gehalten werden. Vgl. ebd., S. 9iff. 8 Vgl. ebd. 9 Vgl. ebd., S. 18: »[...] bis zu unserem letzten gemeinsamen Tag warst Du von der Vorstellung besessen, daß wenigstens ich zu etwas Außergewöhnlichem befähigt sei. Weil ich Dir im Club einen Zettel mit drei Wörtern geschrieben hatte, glaubtest Du, ich könnte vielleicht Schriftsteller werden. Hast Du mir nicht sogar eine alte mechanische Schreibmaschine gekauft?« Zu Felix' vergeblichen Schreibversuchen vgl. auch z.B. ebd., S. gaf. 217

unwiderrufbar ausgelöscht wird; in unser Leben den Begriff einer unverwechselbaren Individualität zu setzen: die Verbreitung von wahren Geschichten, die Veröffentlichung der individuellen Biographie als Lebensbericht. [...] Wir, die Interviewer, sammeln das Individuelle dort, wo es noch vorhanden ist. Meistens sind unsere Klienten schon alt, leben auf dem Land oder sehr zurückgezogen und haben ihre Vergangenheit in sich konserviert. Wir rufen diese Erinnerungen ab. Das GIB archiviert sie, bringt die Interviews in eine lesbare Fassung und läßt sie in etwa dreißig angeschlossenen Verlagen veröffentlichen. [...] Auch Du hast schon, wie wir alle, die Bereicherung durch die Lektüre von CIBBüchern empfunden. Du hast die Filme und Fernsehspiele, die nach ihnen hergestellt wurden, genossen: weil du auf ihre von niemandem manipulierte Wahrheit vertrauen konntest. Wir alle wußten, daß uns nichts vorgemacht wird, und konnten uns auf die staatlich verbürgte Glaubwürdigkeit des Editorials dieser Bücher verlassen: Dies ist ein ClB-Buch. Es ist ausschließlich unter Verwendung authentischen Erinnerungsmaterials existenter Personen entstanden. Nichts ist erfunden oder nachträglich hinzugefügt·10

Neben der Geschichte einer gescheiterten Beziehung und der Beschreibung einer Gesellschaft, deren bevorzugte »Literatur« offensichtlich aus Büchern mit amtlicher Authentizitätsgarantie besteht," enthält Felix' Brief schließlich auch die Erklärung dafür, warum sein Verfasser »am Ende« ist: Während seines letzten mehrwöchigen Interviews kam es zu einem schweren Zwischenfall. Mit Hilfe von Tabletten hat die »Klientin« unbemerkt Selbstmord begangen, und Felix, der in ihrer Wohnung blieb, die Leiche in einen Kühlschrank steckte und seinen Brief an Felicitas begann, hat so massiv gegen die strengen Verhaltensregeln des GIB verstoßen, daß er jetzt, nach Abschluß seines Briefes, auf der Flucht sein muß. »Armseliger Verrückter,« 12 - so beginnt die Antwort der Frau, die Felix wiedersehen wollte. Felicitas, die unterdessen in einer Art Kommune auf dem Lande wohnt und zeigen will, »daß man auch anders leben, daß man füreinander da sein kann«,' 3 widerspricht den Aussagen ihres ehemaligen Lebensgefährten Punkt für Punkt. Die gemeinsame Vergangenheit und die Trennung erscheinen in einem neuen Licht, und der Staat, in dem die beiden leben, wird ganz anders, nämlich als ein Ort des Terrors und der Manipulation beschrieben. Rätselhafte Selbstmorde, die Felix erwähnte,' 4 scheinen in Wahr10 11

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Vgl. ebd., S. i7ff. Vgl. ebd., S. 21: »[...] Millionen Bücher sind es, die das GIB jährlich verkaufen läßt. Wer nicht in einem Sachbuch, einem historischen Werk, einem HeftchenRoman oder einem der vielen >Non-books< blättert, der hat fast immer ein vom GIB herausgegebenes Buch in den Händen.« Vgl. ebd., S. 119. Vgl. ebd., S. I 2 i . Daß sich immer wieder Jugendliche allein oder in Gruppen von U-Bahnen oder Zügen überrollen lassen, erwähnt Felix, als er von einer Zugfahrt von der Wohnung seiner Klientin zurück nach Hause berichtet. Vgl. ebd., S. 33ff.

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heit staatlich geduldete, wenn nicht gar verordnete Morde zu sein, dank derer sich eine Bande von Transplantationschirurgen mit Organen versorgt;15 der Großrechner des GIB, der laut Felix die digitalisierten, auf Disketten aufgezeichneten Erinnerungen der Klienten mit allen bereits existierenden Texten vergleicht und zuverlässig auf ihre Einmaligkeit hin überprüft, manipuliert die angeblich authentischen Geschichten; ein Mitarbeiter, der, wie Felix schrieb, das GIB zu Unrecht kritisierte und verschwand, war Mitglied einer geheimen Widerstandsorganisation, der auch Felicitas angehört, und wurde beseitigt, weil er die Wahrheit sagte. Der im Anschluß an die beiden Briefe abgedruckte »Bericht«' 7 einer »Autonomen Untersuchungsbehörde« (AUB) schließlich versammelt Aktenauszüge, Gutachten, Gesprächsprotokolle, eine »Anklageschrift der Hohen Staatsanwaltschaft« sowie nachgelassene »Notizen«. Diesem »Bericht« ist zu entnehmen, daß das GIB durch einen anonymen Anruf vom Tod einer Klientin erfuhr und den »Sicherheitsdienst« alarmierte. In der Wohnung der Klientin fanden die Sicherheitskräfte die Leiche der offensichtlich vergifteten Rodea Braun (Selbstmord oder Mord?), in der Wohnung des für das Interview zuständigen Mitarbeiters Felix Seyner fanden sie handschriftliche »Notizen« sowie ein Manuskript mit der Aufschrift »Der Brief« — Seyner selbst aber blieb trotz Großfahndung unauffindbar. Wenige Tage später, so wird weiter berichtet, beschlagnahmte der Sicherheitsdienst ein an Seyner adressiertes Päckchen, das ein zweites, mit der gleichen Handschrift geschriebenes Manuskript mit der Aufschrift »Die Antwort« enthielt. Felix und Felicitas, so erläutert der Leiter der AUB, sind ein und dieselbe Person, die beiden Briefe das Werk eines Psychopathen, eines verhinderten Schriftstellers, der »gegen das Authentische, für das er sich verdingt hatte«,' 8 eine »fiktive, irreführende Vorstellungswelt«' 9 stellen wollte. »Er gaukelt uns Machenschaften und Verdächtigungen, Verschleppungen und Verbrechen vor, um der Gleichförmigkeit und der Langeweile seines Lebens zu entfliehen.« 20 Mit dieser Erklärung wird der Fall Seyner abgeschlossen und zu den Akten gelegt. 15

Vgl. ebd., S. 126. " Vgl. ebd., S. 179. Felicitas bestätigt hier im nachhinein die Aussage eines bereits von Felix zitierten ehemaligen Mitarbeiters des GIB, der behauptet hatte, daß im Keller des Instituts in Wahrheit »geschickt programmierte Computer« am Werk seien, die den »sentimentalen Schrott der gesamten E. & U. Literatur in seine Bestandteile zerlegen, kräftig durchschütteln, neu zusammensetzen, aufpolieren und in zigtausendfacher Auflage als geschmacklosen Konsumdreck auf Makulaturpapier zwischen zwei Buchdeckeln auf den Markt werfen.« Vgl. ebd., S. 20. 11 Vgl. ebd., S. I 97 ff. 18 Vgl. ebd., S. 240. 19 Vgl. ebd., S. 233. 20 Vgl. ebd., S. 238. 219

Dies ist ein CIB-Buch Es ist ausschließlich unter Verwendung authentischen Erinnerungsmaterials existenter oder existent gewesener Personen entstanden und enthält nichts, was erfunden oder nachträglich hinzugefügt worden ist. (Resolution iO29) 21

Mit diesem Hinweis beginnt das letzte Kapitel der Beschattung, das »Editorial« eines Werks, dessen »Schriftstücke« sich auf Ereignisse beziehen, die, wie eine Nachschrift erläutert, »gemäß der von der Hohen Staatsanwaltschaft angesetzten Verjährungsfrist« zwanzig Jahre zurückliegen. »Der geneigte Leser wird bemerkt haben«, schreibt das GIB weiter, »daß [...] das GIB selbst im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht und von Vorwürfen und Anschuldigungen nicht verschont bleibt.« Trotzdem sei das vorliegende Textmaterial »mit Bedacht« in die Reihe der von dem »Centralinstitut« in Auftrag gegebenen Bücher aufgenommen worden. Denn, so wird abschließend erläutert, wir möchten der in letzter Zeit laut gewordenen Kritik entgegentreten, CIB-Bücher würden nur ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wiedergeben und so in Verdacht geraten, daß die ihnen zugrunde liegenden Biographien eine Authentizität nur vortäuschten, während sie in Wahrheit nur geschickt zusammengesetzte Splitter verschiedenster Erinnerungen seien. Indem wir uns nicht scheuen, den Lesern mit diesem Buch sogar gegen uns selbst gerichtetes Material vorzulegen, möchten wir mit der Publizierung dieser authentischen Schriftstücke den Beweis antreten, daß wir uns bei unserer Arbeit keiner anderen Aufgabe gewidmet haben als der, die Wahrheit zu Wort kommen zu lassen."

Ähnlich wie etwa in Wielands Don Sylvia oder Hoffmanns Prinzessin Brambilla wird also auch die in Grzimeks Die Beschattung erzählte Geschichte in einem Rahmen präsentiert. Anders als dort allerdings - und anders als es in Romanen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts gemeinhin üblich ist - wird dieser Rahmen nicht durch eine Vorrede,23 sondern durch eine Art Nachschrift begründet. Zu den Besonderheiten der Erzählung gehört, daß die unter den 21 22 23

Vgl. ebd., S. 251. Vgl. ebd., S. 25if. Grundsätzlich zur »Entwicklung der Romanvorrede von der Formel zum literarischen Motiv« vgl. Ehrenzeller, Studien. Unter einem systematischen Aspekt zur »Instanz des Vorwortes« (wobei das Nachwort als »Variante des Vorworts« erscheint) vgl. Genette, Paratexte, S. I57ff.

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Überschriften »Der Brief«, »Die Antwort«, »Der Bericht« versammelten »Schriftstücke« kommentarlos, d.h. ohne Einleitung, ohne jede Einmischung eines übergeordneten, all- oder teilwissenden Erzählers aufeinanderfolgen und erst am Ende des Textes mit einer »Wahrheitsbeteuerung« 24 versehen und in den Rahmen einer Manuskript- 25 und Herausgeberfiktion gekleidet werden. Dabei weist diese Fiktion weitere spezifische Merkmale auf. Nicht ein bestimmtes Individuum, sondern das anonyme Kollektiv einer staatlichen Behörde tritt als »Herausgeber« auf, und sowohl dieser Herausgeber als auch die von ihm herausgegebenen Bücher spielen bereits im Kontext der erzählten Geschichte eine besondere, wiederholt reflektierte Rolle. Der Bedeutung dieser Rolle entspricht, daß der Rahmen der Herausgeberfiktion außergewöhnlich weit angelegt ist. Neben den beiden Briefen und dem »Bericht« umfaßt er auch, was z.B. Genette den »verlegerischen Peritext« 26 nennt, d.h. Teile dessen, was in der zeitgenössischen Lebenswirklichkeit des realen Lesers zu jedem neu veröffentlichten Buch, aber normalerweise nicht zur fiktionalen Erzählrede bzw. zum Text des realen Autors gehört: Erläuterung des Urheberrechts,27 Verlagsangabe und ISBN-Nummer 28 sind in den Text der Geschichte integriert, der real authentische, rechtswirksame Vermerk des Copyrights auf der Rückseite des Titelblatts der Erzählung nennt neben dem »Carl Hanser Verlag« auch das »Centralinstitut für Biographik«. 29

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Vgl. dazu Ehrenzeller, Studien, bes. S. 36. Vgl. dazu auch die folgenden Hinweise im »Editorial«: »Die Originale der Manuskripte und Schriftstücke liegen im Hauptgebäude des Centralinstituts im >Weißen Quadrat< zur autorisierten, fachlichen Begutachtung aus. Wir versichern, daß das vorliegende Buch die Originale unververfälscht wiedergibt.« Vgl. Beschattung, S. 252. Allgemein zu Bestimmung und Tradition der Manuskriptfiktion im deutschen Roman zwischen Grimmeishausen und Jean Paul vgl. Ehrenzeller, Studien, z. B. S. 130. Zur verbreiteten Wiederaufnahme dieser Technik und der mit ihr verbundenen Vervielfältigung der Erzählinstanzen in zahlreichen englischsprachigen Romanen der Gegenwart vgl. Musarra, Discourse, bes. S. 215. Vgl. Genette, Paratexte, S. 22ff. Unter Punkt IV des »Editorials« heißt es: »Fürsorglich sei vor einem Mißbrauch dieses Buches durch illegalen Nach- oder Raubdruck sowie durch die nicht autorisierte Verfielfältigung durch Tonträger gewarnt. Verbreitung und Besitz solcher Produkte werden gemäß Artikel 27 des Strafvermeidungsgesetzes (SVG) mit Gefängnis bis zu 5 Jahren geahndet.« Vgl. Beschattung, S. 253. Vgl. dazu den letzten Punkt des »Editorials«: »Das Centralinstitut für Biographik dankt dem staatsunabhängigen Carl Hanser Verlag für Ausstattung und Distribution dieses Buches, das von der Hohen Staatsanwaltschaft unter der CIB-Nr. ISBN-)— 446—15398-5 freigegeben und archiviert worden ist.« Ebd. Vgl. ebd., o.S. : »© 1989 Carl Hanser Verlag München Wien und Centralinstitut für Biographik.« 221

Ausgehend vom Entwurf einer Gesellschaft, deren Mitglieder von Erfahrungsleere und Phantasiearmut gezeichnet und dem Kult der Authentizität verfallen sind, wird in der Beschattung also eine ebenso spannende wie verwikkelte Geschichte erzählt und ein abwechslungsreiches Spiel mit der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit gespielt. Dabei ist Grzimeks Roman durchaus nicht nur dem Prinzip des »delectare« verpflichtet, sondern reflektiert und gestaltet zugleich ein didaktisches Projekt, das auf Probleme unserer zeitgenössischen Lebenswirklichkeit zu antworten versucht. Welche Typen der Selbstreflexion daran beteiligt sind und inwiefern mit ihrer Hilfe eine narrative Poetik entworfen und zugleich unterschiedliche Funktionen und Erscheinungsweisen von Literatur in Szene gesetzt werden, sei nun im einzelnen betrachtet. Die besondere Rahmung der in der Beschattung erzählten Geschichte hat unmittelbare Konsequenzen für die Lektüre und das Verständnis des Textes. Je nach Perspektive und Wissensstand können die Sätze der ersten beiden Kapitel der Erzählung auf einer ersten Ebene als imaginär authentisch, auf einer zweiten als imaginär inauthentisch und auf einer dritten wieder als imaginär authentisch verstanden werden.30 Folgt man der Schachtelstruktur der Erzählung in der normalen Leserichtung von vorne nach hinten, so liest man die ersten beiden Kapitel der Erzählung zunächst als Folge von zwei im Rahmen der Fiktion - echten, d. h. imaginär authentischen Briefen, die ein Mann und eine Frau miteinander wechseln, und rezipiert den Roman Die Beschattung des realen Autors Martin Grzimek dementsprechend als einen Briefroman. Die beiden langen, jeweils über mehrere Tage hinweg geschriebenen und in zahlreiche Abschnitte untergliederten Briefe 3 ' decken das gesamte Spektrum der nach Voss möglichen »Brieftypen« ab.32 Betrachtet man die 30 31

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Zur Systematik im einzelnen vgl. Kap. 2.2.2.2. Felix' Brief ist zwischen dem 24. und dem 31.8. eines nicht genannten Jahres entstanden, er ist, darauf weisen Zeit- und Ortsangaben am Beginn einzelner Abschnitte hin, an zwei verschiedenen Orten (zu Hause und in der Wohnung der toten Klientin) geschrieben und auch im Verlauf eines einzelnen Tages oft unterbrochen worden. Felicitas hat ihre »Antwort« unmittelbar anschließend in sieben Tagen zwischen dem 31.8. und dem 6.9. an ein und demselben Ort verfaßt, die Gliederung ihres Briefes folgt - bis auf eine Ausnahme (vgl. Beschattung, S. 154) — dem Rhythmus der Tageswechsel. Vgl. E. T. Voss, Erzählprobleme, bes. S. i43ff. Beide Briefe enthalten jeweils ein typographisch abgesetztes »Indiz«, das »unmittelbar Wirklichkeit bezeugt« (in Felix' Brief sind das kursiv gedruckte Originalzitate aus Felix Interview mit der Klientin, in Felicitas' Brief ist das ein im Wortlaut des Originals zitiertes Abschiedsgedicht eines Jugendlichen, der Mitglied der Landkommune war und Selbstmord beging, während Felicitas an ihrem Brief schrieb); beide Briefe bezeugen als Ganzes oder in einzelnen Passagen — mit jeweils unterschiedlicher Zielsetzung - ein »Bewirken« (»Aktionsbrief«), ein »Aussprechen« (»Berichtbrief«) ein »Übermitteln« (»Reaktionsbrief«) sowie ein »Durchdringen« (»Betrachtender Brief«) und ein »Überwin-

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beiden Briefe als Folge zweier Ich-Erzählungen, 33 so werden mit Hilfe verschiedener Typen der Selbstreflexion überdies alle Aspekte dieses - in der Terminologie Voßkamps — »zweiseitigen Briefwechselromans«34 reflektiert. Daß in der Beschattung die Geschichte einer Beziehung von einem Partner erzählt und vom anderen Partner korrigiert und noch einmal und anders erzählt wird, hat eine wiederholte unmittelbare Betrachtung des Erzählten auf der Ebene des Erzählens zur logischen Folge. Aber nicht erst von Felicitas, sondern auch schon in Felix' Brief wird das Erzählte hinterfragt und reflektiert. 35 Die Briefform der in der Beschattung erzählten Geschichte und die mit ihr verbundene besondere Kommunikationssituation ermöglichen überdies, daß die beiden Ich-Erzähler ausführlich ihren Schreib- und Erzählakt thematisieren, in Dialog mit einem Leser treten und die Rezeption des von ihnen Geschriebenen reflektieren. Wiederholt weisen Felix und Felicitas auf die besonderen Umstände hin, unter denen sie den vorliegenden Text schreiben, bzw. geschrieben haben;36 sie stellen Betrachtungen über den Transport des

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den« (»Theoretisierender Brief«) der »konkreten Wirklichkeit«. Zu den »Grundfunktionen« des Briefs vgl. in diesem Zusammenhang auch Nickisch, Brief, bes. S. I3ff. Grundsätzlich zum Briefroman als Form der Ich-Erzählung z.B. Hamburger, Logik, S. 2 7 7 ff.

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Zu diesem Begriff und zur Unterscheidung des entsprechenden Briefromantyps von der autobiographischen und monologischen Form des Briefromans sowie dem mehrstimmigen Briefwechselroman vgl. Voßkamp, Vergegenwärtigung, bes. S. 96. Vgl. Beschattung, z.B. S. 28f., wo Felix von Arnim berichtet, seinem persönlichen »Agenten« beim GIB, der seine Interviewaufträge telefonisch vermittelt und bestätigt, und der nach der herrschenden Meinung — wie alle anderen Agenten auch — ein Computer ist. Felix schreibt in diesem Zusammenhang: »Alles ist völlig sicher und wohldurchdacht. Was ich Dir allerdings jetzt erzählen muß, würde in CIBKreisen als etwas Unerhörtes aufgefaßt [...]: ich kann nicht mehr glauben, daß Armin ein Computer ist!« »Ich möchte, daß das, was ich Dir von nun an jeweils nachts hier am Westufer und tagsüber in der Wohnung einer Klientin im Bank-Viertel zu erzählen habe, unter uns bleibt. Der einzige Nachteil ist, das (sie! - M. S.) ich alles mit der Hand schreiben muß. Schon jetzt verkrampfen sich meine Finger, schmerzt der Arm« (ebd., S. 12), schreibt Felix am Beginn seines Briefes und erwähnt im folgenden immer wieder die verschiedenen Schreibsituationen, -Zeiten und -orte, seine Angst, unterbrochen zu werden (vgl. z. B. ebd., S. 28), seine Müdigkeit, die ihn Schreibfehler machen läßt (vgl. ebd., S. 80), seine Schmerzen, die er mit Tabletten und einer Salbe bekämpft (vgl. z.B. ebd., S. 50, S. 53, S. 81 u. S. 84), seine »völlig verkrampfte Schreibhand« (vgl. ebd., S. 19) und die »immer schlechter werdende Schrift« (vgl. ebd., S. 50). Überdies berichtet er mehrfach davon, daß und unter welchen Umständen er das Geschriebene noch einmal wiederliest (vgl. z.B. ebd., S. 43 u. S. 76 u. S. 98). Felicitas schildert dagegen eine ganz andere Schreibsituation: »Wir haben uns hier darauf geeinigt, daß ich Dir ungestört antworten kann. Fred hat mir sofort ein Zimmer in einem Nebenhaus des Campo einrichten lassen. [...] Ich kann das Zimmer verlassen, wann ich will. Aber ich verzichte darauf. Das Essen wird mir gebracht. Ich möchte mich vollkommen auf diese Antwort 223

Briefes,37 die Person des Adressaten und seine möglichen Reaktionen an38 und reflektieren die Art und Weise, wie er das mit der Hand bzw. dem Computer Geschriebene lesen wird39 (unmittelbare, konsistente Betrachtung des pragmatischen Aspekts auf der Ebene des Erzählens).40 Neben dem Erzählten und dem Erzählen wird in diesem Zusammenhang auch die Erzäh-

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konzentrieren. [...] Zum Glück brauche ich auch nicht mit der Hand zu schreiben, da wir im Besitz eigener Processoren sind. [...] Gegen sieben Uhr abends zog ich in dieses weiß gekalkte Zimmer ein. Seitdem schreibe ich, ruhig und überlegt [...].« (Vgl. ebd., S. 120 u. S. 124.) Der entspannten Situation entspricht, daß Felicitas die Umstände ihres Schreibens im folgenden kaum mehr reflektiert (als Ausnahme vgl. z.B. ebd., S. I45f. u. S. 189). Felix will eine CIBlerin als »Briefträgerin« einsetzen (vgl. u.a. ebd., S. 77), Felicitas ihre »Antwort« dagegen von einem Mann aus ihrer Kommune überbringen lassen, den sie ausdrücklich nicht als »Briefträger«, sondern als »Boten« bezeichnet.» Vgl. ebd., S. 146. Während Felix seine Erinnerung an die ihm bekannte Lebensgefährtin nur um Vermutungen über die ihm unterdessen fremde Adressatin ergänzt (vgl. z.B. ebd., S. 15: »Was ist aus Dir geworden? Wie lebst Du? Sind Deine Haare immer noch lockig und blond? Freutest Du Dich, als Du meinen Brief bekamst, oder bist Du verärgert, daß ich noch einmal in Dein Leben trete? Ahnst Du, wie ängstlich mich diese Fragen machen? Denn was weiß ich von Dir? Absolut nichts!«), enthält Felicitas' Brief neben zahlreichen Vorwürfen gegen den ehemaligen Freund auch scharfe Angriffe gegen sein Verhalten in der Gegenwart. Die ebenfalls reflektierte, mit den Briefen intendierte Reaktion des jeweiligen Partners ist unterschiedlich. Felix will von Felicitas eine Antwort, dank derer er sich noch einmal in sie »einfühlen« kann (vgl. ebd., S. i I3f.); er will diese Antwort erzwingen, indem er Felicitas mit seinem Brief zur »Mitwisserin« macht und droht, sie zu denunzieren, falls sie nicht antwortet. Felicitas wiederum schreibt ihren Brief mit ganz anderer Absicht. Sie will Felix zwingen, sich selbst zu denunzieren, und hat zusammen mit den Mitgliedern ihrer Kommune beschlossen, daß Felix' Vergehen, sein »CIB-Denken und -Handeln«, an die Öffentlichkeit gelangen muß. »Deshalb«, schreibt sie, »werden wir deinen Brief und meine Antwort publizieren und in Umlauf bringen. Eine Abschrift Deines Geschmieres ist bereits im Gange. [...] Was Du hier vor Augen hast, ist also eigentlich nicht für Dich bestimmt. Du darfst es lesen.« Vgl. ebd., S. 120. Felix stellt Felicitas die konkrete Form ihrer Lektüre frei: »Wenn Du alles gelesen hast, wirst Du mich verstehen. Aber natürlich steht Dir auch frei, mit diesem Brief das gleiche zu tun, was ungeduldige und dumme Leser mit Büchern machen, nämlich anzufangen, sie >von hinten< zu lesen, um immer schon alles im voraus zu wissen. Ich kann nur dagegenhalten, daß dies kein Roman ist, sondern mein Leben.« (Vgl. ebd., S. 28) Felicitas hingegen will Felix zwingen, tatsächlich von Anfang an und Seite für Seite zu lesen: »Die Einzelheiten über Art und Verlauf Deiner Selbstdenunziation erfährst Du am Schluß meines Schreibens. Damit Du Dich nicht zu den >dummen Leuten< zählen mußt, die Bücher >von hinten< lesen, haben die anderen beschlossen, daß Hermes (so heißt der Bote, der den Brief überbringt, M. S.) Dir nacheinander immer nur jeweils zwei Seiten von meiner Antwort gibt. Eine Fotokopie Deines Briefes hast Du hingegen gleich als Ganzes erhalten. Da Du schnell zu vergessen und nichts lieber zu tun scheinst, als zu verdrängen, sollst Du jederzeit kontrollieren können, ob ich Dich richtig zitiere.« Vgl. ebd., S. I40f. Ich lasse hier zunächst unberücksichtigt, daß die Reflexionsart der Betrachtung in

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lung, d.h. der Text der Geschichte betrachtet: Felicitas z.B. bezieht sich in ihrer »Antwort« unmittelbar auf bestimmte, mit der entsprechenden Seitenzahl genannte Stellen in Felix' Brief, die, wie Felicitas schreibt, »Lügen über unsere Trennung« 41 enthalten und die Felix zur Strafe noch einmal aufschlagen und laut lesen soll, nachdem er Felicitas' »wahre« Version der Geschichte erhalten und gelesen hat. 42 Die variationsreiche Reflexion unterschiedlicher Aspekte der Erzählung wird im Rahmen der beiden Briefe schließlich nicht nur mit Hilfe der Reflexionsart »Betrachtung«, sondern auch mit Hilfe verschiedener Spiegelungen realisiert. So schildert Felicitas am Anfang ihrer »Antwort« anschaulich, unter welchen Umständen sie gelesen hat,43 was Felix schrieb, und sowohl Felicitas als auch Felix selbst erzählen davon, daß Felix, bevor er zum GIB ging, schon einmal erfolglos zu schreiben versuchte (einfache, mittelbare Spiegelung des pragmatischen Aspekts, die im ersten Fall die Produktion und im zweiten die Rezeption der Erzählung betrifft). Felix, berichtet Felicitas, habe einen »Roman« 44 schreiben wollen und sei dann bei seinen Vorarbeiten schon an

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den oben genannten Fällen stellenweise - sobald die erzählenden Elemente überwiegen - eng mit der der Spiegelung auf der Ebene des Erzählten verbunden ist. Vgl. ebd., S. 153. Vgl. ebd., S. I53f.: »Siehst Du das rote Kreuz oben auf dieser Seite? Ich habe es aufgemalt. Es ist ein Zeichen für Hermes. Er wird, wenn Du gleich dieses Blatt aus den Händen legst, darauf achten, daß Du meinen Wünschen entsprichst: Du wirst Deinen Brief vornehmen und folgende Seiten heraussuchen: [10], [n], [14], [i5lDu wirst bemerken, daß auf ihnen einzelne oder mehrere Abschnitte mit einem blauen Stift gekennzeichnet sind. Sie beinhalten Deine Lügen über unsere Trennung. [...] - all diesen Irrsinn einer krankhaften Rechtfertigung wirst Du gleich — laut und vernehmlich, Satz für Satz vorlesen*. [...] Als nächstes wirst Du den Satz auf Seite [76] lesen: >Ich habe Dir längst verziehene Schlag die Seite auf, auch wenn ich den Satz hier abgeschrieben habe! Du sollst Deine Schrift sehen! Du brauchst den Satz nicht zu sprechen. Lies ihn!» Anders als z.B. in Brentanos Godwi (vgl. diese Arbeit, S. 66) ist die Form der Betrachtung hier schon deshalb inkonsistent, weil die Seitenzahlen nur z.T. den tatsächlichen Seitenzahlen entsprechen. Die Art der Lektüre ist insofern bemerkenswert, als Felicitas sich außerstande erklärt, den Brief allein zu lesen und ihn deshalb — im Gegensatz zum Leser des Briefwechsels — im Kollektiv, d. h. gemeinsam mit drei anderen Mitgliedern der Kommune liest. Vgl. ebd., bes. S. 123: «Da wir die übrigen Campomitglieder nicht von ihrer Arbeit wegholen wollten, lasen erst wir vier, Seite für Seite einander weitergebend, schweigend Deinen Brief. Wir zogen uns in die Bibliothek zurück, um nicht gestört zu werden. Es war eine gespenstische Situation. Wie oft verkrallten sich meine Hände vor Wut in die Lehnen des Sessels! Wie oft rutschte Gomez auf seinem Sitz hin und her [...]. Ab und zu stand jemand von uns auf, trat ans Fenster und blickte in den grauen Himmel oder in den Garten, um noch stiller zum Lesen zurückzukehren.» Vgl. z.B. ebd., S. 141. 225

dem vergleichsweise schlichten Vorhaben gescheitert, das ihm jetzt, viele Jahre später, mit seinem langen Brief offensichtlich erstmals gelungen ist: persönlich Erlebtes sprachlich zu verarbeiten und in Form einer Erzählung festzuhalten. 45 Felicitas zitiert in ihrem Brief fünf unzusammenhängende Sätze, die Felix seinerzeit auf fünf Zetteln notiert und weggeworfen hat 4 und die davon zeugen, daß Felix bei seinen früheren Schreib- bzw. Erzählversuchen tatsächlich, wie auch er sich in seinem Brief erinnert, »über die erste Zeile« 47 nie hinausgekommen ist. Außer diesem Dokument des wiederholten Scheiterns zitieren die Briefe von Felix und Felicitas aber auch jeweils eine geglückte, d.h. abgeschlossene Erzählung. Deutlich sind mit dieser Binnenerzählung in beiden Fällen mehrere Spiegelungen verknüpft. Wie in den Briefen von Felix und Felicitas wird auch in dem Abschiedsbrief eines Drogenabhängigen, den Felicitas abgeschrieben hat,48 die Erinnerung an die eigene Jugend formuliert (einfache, mittelbare Spiegelung des Erzählens und des Erzählten). Die gleichen Typen der Spiegelung finden sich in der zweiten Binnenerzählung, die Felix in seinem Brief zitiert. Es ist die Erzählung der von Felix zuletzt interviewten alten Klientin, die sich ebenfalls an ihre — in diesem Fall weit zurückliegende — Jugend erinnert und von ihrer ersten großen Liebe, dem Selbstmord des Geliebten und ihrer späteren Ehe mit einem anderen Mann berichtet. Mit dieser Binnenerzählung verbindet sich noch eine weitere wichtige Spiegelung. Felix bindet seine - nach den CIB-Statuten streng verbotene49 - Mitschrift der Geschichte, die Rodea Braun in den Tagen vor Beginn seines Briefes Wort für Wort — »als wären die Worte Steine, die man einzeln ins Wasser wirft« 50 - mit quälender Langsamkeit und wiederholten Unterbrechungen erzählt hatte, in besonderer Form 45

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Vgl. den in beiden Briefen erwähnten gescheiterten Versuch, den Besuch im »Lichtwiesen-Park« (in dessen Verlauf insofern etwas Außergewöhnliches passierte, als Felix Felicitas geschlagen hat) schriftlich aufzuarbeiten. Vgl. ebd., S. 5 iff. u. S. I4iff. Der Zusammenhang zu dem jetzt von Felix geschriebenen Brief wird von diesem übrigens selbst ausdrücklich hergestellt. Vgl. ebd., S. 53: »Ich schwor mir, nie wieder etwas aufzuschreiben. Es wäre auch nicht mehr nötig gewesen. Ich hatte meinen Beruf gefunden. Ich sammelte die Erinnerungen anderer, das, was sie >loswerden< wollten. Seit drei Tagen und Nächten schreibe ich zum zweiten Mal [...].» Vgl. ebd., S. 140. Die fünf Zettel sind das einzige, was von Felix' umfangreichen Schreibversuchen noch erhalten ist. Felicitas hat sie seinerzeit wieder aus dem Papierkorb geholt und »bis heute behalten«. Vgl. ebd., S. I39f. Vgl. ebd., z.B. S. 10 u. S. 114. Vgl. dazu auch Felicitas' Antwort, ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. i88f. Der junge Mann, der in der Landkommune lebte, wurde von Felicitas betreut und beging Selbstmord, während sie zurückgezogen ihre »Antwort« schrieb. Seine Erinnerungen an eine trostlose Jugend sind in der Form eines »Geburtstagsgedichts« verfaßt. Vgl. z.B. ebd., S. 87. Vgl. ebd., S. 79.

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in seine Erzählung ein. »Du bist der erste außerhalb des Instituts stehende Mensch«, schreibt Felix an Felicitas, der absolut authentisches, wenn auch in diesem Fall ungewöhnliches CIB-Material vor Augen hat. Deshalb auch, um die Echtheit zu wahren, muß ich die Erzählung den Stunden und Tagen gernäß in Blöcke zerteilen. Du sollst nachempfinden, was ich erlebte. 5 '

Was Felix selbst nur auf seine Wiedergabe der Erzählung Rodea Brauns bezieht, trifft zugleich auf seinen Brief im ganzen zu. Wie das GIB fühlt sich auch sein inzwischen auf Abwege geratener Mitarbeiter der Idee der Authentizität verpflichtet; und wie das GIB mit seinen Büchern möchte auch Felix, der nun endlich »über die erste Zeile« hinausgekommen ist, mit seinem Brief die Erinnerung an eine persönlich erlebte Geschichte festhalten, wobei er den Text seiner authentischen Geschichte so gestaltet, daß dessen Empfängerin möglichst unmittelbar nachempfinden kann, was sein Verfasser erlebte (insofern ist mit Rodea Brauns Erzählung also auch eine einfache, mittelbare Spiegelung des poetologischen Prinzips der Rahmenerzählung und mit ihrer Betrachtung zugleich eine mittelbare Betrachtung der Rahmenerzählung und ihres poetologischen Prinzips verbunden). Auch in diesem Punkt bleiben Felix Behauptungen allerdings nicht unbestritten. Felicitas bezweifelt, daß Felix tatsächlich einhält, was er in seinem Brief verspricht und was der Text seiner mit zahlreichen Unterbrechungen erzählten und nach dem Wechsel von Schreibzeit und -ort in entsprechend viele Abschnitte gegliederten Geschichte zu gewährleisten scheint. »Es gibt so viel Falschheit in Deinem >BriefBrief< ernst: als

Nicht nur die Wahrheit des Erzählten, sondern auch die Authentizität der Erzählung wird von Felicitas also in Frage gestellt und eine besondere Form 51

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Vgl. ebd., S. 85. Als Felix zitiert, was Rodea Braun erzählt hat, spricht er mehrfach auch die konkrete Lesezeit des Textes an und reflektiert insofern unmittelbar die Erzählung und ihre Rezeption. »Lies es noch einmal!«, fordert er Felicitas auf, »wie lange hast Du dafür gebraucht? 12, 15 Sekunden? Und jetzt tu mir den Gefallen, leg eine Uhr neben diese Seite und sprich den Text laut vor Dich hin und laß Dir drei (3) Minuten dafür Zeit! So lange brauchte sie dafür. Hast Du das ausgehalten? Hast Du gemerkt, wie unerträglich es ist. Man hat das Gefühl, platzen zu müssen.« (Vgl. ebd., S. 71). Vgl. ebd., S. 125. 227

ihrer Rezeption reflektiert. Für den Leser der Beschattung bedeutet das: Glaubt er nicht Felix, sondern Felicitas, und nimmt er ernst, was Felix' frühere Freundin vermutet, dann sieht er sich in den ersten beiden Kapiteln des Romans mit einem fingierten und einem authentischen Brief konfrontiert. Im Rahmen der beiden Briefe ist damit bereits ein Verdacht formuliert, den der im folgenden Kapitel der Beschattung abgedruckte »Bericht« auf unerwartete Weise bestätigt, indem er beide Briefe als fingiert ausweist. Traut man den Erkenntnissen, die die »Autonome Untersuchungsbehörde« »stimmungsfrei, objektiv und mehrdimensional im Sinne des Strafvermeidungsgesetzes (SVG)«53 gewonnen zu haben behauptet, dann läßt sich die oben zitierte Reflexion also ebensogut auf Felix' »Brief« wie auf Felicitas' »Antwort« beziehen und insofern - von der nächsthöheren Erzählebene aus gesehen - als mittelbare Betrachtung des poetologischen Prinzips eines Textes verstehen, den ein Mann namens Felix Seyner geschrieben hat. Die Information, daß Seyner der reale Autor der Briefe von Felix und Felicitas ist und beide Ich-Erzähler genaugenommen fiktive Aussagesubjekte sind, wirft auf die in den ersten beiden Kapiteln der Beschattung abgedruckten »Schriftstücke« ein neues Licht. Danach hat Felix Seyner viel radikaler gegen die Regeln seiner Behörde verstoßen, als es nach dem Brief seines Ich-Erzählers Felix zunächst den Anschein hatte. Dem Bericht zufolge hat Seyner zwar — wie er seinen Ich-Erzähler Felix schreiben läßt — den plötzlichen Tod seiner Klientin verschwiegen, den Computer des CIBs mit Hilfe eines raffinierten technischen Tricks überlistet, die Fortsetzung des Interviews simuliert 54 und die so gewonnene Zeit genutzt, um erstmals selbst einen längeren, zusammenhängenden Erzähltext zu verfassen; doch anders als Felix in seinem Brief behauptet, versucht Seyner bei dieser Gelegenheit nicht, die »ganze Wahrheit« 55 zu erzählen, d.h. möglichst unmittelbar und wahrheitsgetreu wiederzugeben, was er selbst erlebte. Im Gegenteil. Gegen die Erzählung Rodea Brauns und die vom GIB erwartete authentische Geschichte setzt Seyner einen geschriebenen Text, mit dem er das Ideal seiner Behörde syste" Vgl. ebd., S. 199. 54 Seyner gelingt es, das GIB und seinen Computer zu überlisten, indem er den Spezialapparat knackt, der das mündlich geführte Interview auf kopier- und abhörsichere Disketten aufzeichnet und mit Hilfe eines Adapters zugleich per Telefon direkt an den CIB-Computer weiterleitet. Nachdem das reale Interview durch den unerwarteten Tod der Klientin statt nach den geplanten drei Wochen schon nach einer Woche beendet ist, täuscht Seyner seine Fortsetzung in der Wohnung der Klientin vor, indem er dem Computer (der die eingehenden Erzählungen mit allen bereits vorhandenen Texten, aber nicht mit sich selbst vergleicht) in den folgenden beiden Wochen nicht die Fortsetzung der Erzählung Rodea Brauns übermittelt, sondern ihre Wiederholung, d.h. zweimal dasselbe auf der Diskette aufgezeichnete, sieben Tage dauernde Originalinterview vorspielt. Vgl. u.a. ebd., S. 66. 55 Vgl. ebd., S. 64.

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matisch ad absurdum führt. Zu diesem Zweck bedient er sich der Textsorte des Briefes, die schon qua Genre die Authentizität des Erzählten, des Erzählens und der Erzählung verheißt.56 Mit einem fingierten Brief täuscht er Authentizität vor und setzt seine Verfolger auf eine falsche Spur, mit Hilfe eines zweiten signalisiert er seinen Lesern, daß sie getäuscht worden sind, und lockt sie in eine Art Spiegelkabinett, in dem sich Sein und Schein, Wahrheit und Lüge kaum noch auseinanderhalten lassen. Liest man die beiden »Briefe« als einen zusammenhängenden Text, dann problematisiert Seyner auf diese Weise neben dem ontologischen Status der zwei Erzählungen auch die Tätigkeit des Erzählens an sich. Anders als das GIB, das in seinen mit Authentizitätsgarantie versehenen Büchern die jeweils unumstrittene, selbstvergessen erzählte Geschichte einer einzelnen Person präsentiert, konfrontiert Seyner die Leser seines Textes mit den Erzählungen zweier Figuren, die eine Folge von Behauptungen und Gegenbehauptungen enthalten und zwei unterschiedliche Geschichten derselben Jugendliebe entwerfen. Nimmt man ernst, was die beiden Ich-Erzähler jeweils glaubwürdig erzählen, dann führt Seyner seinen Lesern anschaulich vor Augen, daß das Erinnern und Erzählen von Erlebtem immer auch eine Perspektivierung und Subjektivierung des Erzählten bedeutet und bestenfalls zu einer authentischen Erzählung, nicht aber zu einer authentischen Geschichte führt. Anders als die AUB in ihrem »Bericht« behauptet, treibt den abtrünnigen CIB-Mitarbeiter wohl nicht allein der »Wille zur Zerstörung« 57 an. Indem Seyner ein Ideal sabotiert, für dessen Realisierung er, wie die AUB bestätigt, viele Jahre engagiert eingetreten ist, wird er endlich selbst zum Autor und schreibt zu Hause an seinem Schreibtisch58 einen eigenständigen Text, der sofern seine entsprechenden Signale richtig verstanden werden59 - die Kriterien für eine fiktionale Erzählung erfüllt. Mit seinen »Briefen« überwindet der verhinderte Schriftsteller, der einst »nur [...] einzelne Wörter auf kleine Zettel«60 notierte, neben der persönlichen Schreibblockade aber auch die Aus56

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Grundsätzlich dazu zuletzt Anton, Authentizität. Zur entsprechenden Verwendung des Briefes vor allem in Romanen des 18. Jahrhunderts vgl. Honnefelder, Brief, S. 69ff; Nickisch, Brief, bes. S. i88f. Vgl. Beschattung, S. 238. So läßt jedenfalls der »Bericht« vermuten. Vgl. ebd., S. 2O4f. Von der Ebene des - im Kontext der Rahmenfiktion - realen Produktions- und Rezeptionskontextes der beiden Briefe aus gesehen, zählt zu diesen Signalen z.B. die Tatsache, daß Seyner beide Briefe mit der Hand geschrieben hat und seine IchErzählerin Felicitas Betrachtungen darüber anstellen läßt, daß sie ihren Brief in aller Bequemlichkeit mit einem Computer schreibt. Für die Leser des in Wahrheit handgeschriebenen Textes ist mit Felicitas Betrachtung insofern eine unmittelbare, inkonsistente Betrachtung des Erzählens verbunden, die die Fiktion einer faktualen Erzählrede notwendig verletzt. Vgl. ebd., S. 133. Felicitas' Aussage wird durch Seyners nachgelassene, im »Anhang« des »Berichts« abgedruckte »Notizen« bestätigt. Vgl. ebd., S. 229

druckskrise seiner Zeit. Denn Seyner schafft nicht einfach, wie die AUB behauptet, eine beliebige »fiktive [...] Vorstellungswelt«, 61 sondern ein literarisches Werk, das zahlreiche Aspekte der zeitgenössischen Lebenswirklichkeit reflektiert. Dazu gehören auch die besonderen Anforderungen, die die Wirklicheit einer hochtechnisierten Kommunikationsgesellschaft an einen Schriftsteller stellt, der seinen Lesern nichts vormachen und ihnen mehr als eine »heile Welt« oder eine unverbindliche »Gruselphantasie« präsentieren will. Im Rahmen seines Bildes dieser Gesellschaft thematisiert und realisiert Seyner verschiedene Bedingungen und Formen des Erzählens und Schreibens und trägt der allgegenwärtigen Digitalisierung dadurch Rechnung, daß er seine eigene Erzählung nach dem Prinzip des einfachen Gegensatzes und des Zweierschritts strukturiert, das auch die Sprache der Computer bestimmt. 63 Daß sich Fiktion und Wirklichkeit in der in den »Briefen« beschriebenen »>Als-obHamburger Stiftung zur Förderung v. Wissenschaft u. Kultur< in Zusammenarbeit mit dem >Wieland Archiv< u. H. Radspieler. Hamburg 1984. — Sämmtliche Werke. Hg. v. d. >Hamburger Stiftung zur Förderung v. Wissenschaft u. Kultur< in Zusammenarbeit mit dem >Wieland Archiv< u. H. Radspieler. Hamburg 1984. - »Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geister-Märchen, theils neu erfunden, theils neu übersetzt und umgearbeitet.« In: Wielands Gesammelte Schriften. Hg. v. d. Deutschen Kommission d. Preußischen Akademie d. Wissenschaften, i. Abt., Bd. 18, Berlin 1938. Wildenbruch, Ernst von: »Die Quitzows«. In: ders.: Gesamelte Werke. Hg. v. B. Litzmann. Zweite Reihe. Bd. 9, Berlin 1914.

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