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German Pages 244 Year 2014
Thomas Waitz Bilder des Verkehrs
Edition Medienwissenschaft
Thomas Waitz (Dr. phil.) arbeitet als Medienwissenschaftler an der HBK Braunschweig und ist Lehrbeauftragter an einer Reihe von Hochschulen, so z.B. der Universität Wien und der Leuphana Universität Lüneburg.
Thomas Waitz
Bilder des Verkehrs Repräsentationspolitiken der Gegenwart
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Inhalt
Einleitung — 6 Thematik, Forschungsintention und methodische Prämissen — 7 Gegenstandsfelder — 19 Aufbau der Arbeit — 23
Kreisverkehr · Zirkulation um ihrer selbst willen — 28 »Das unberechtigte Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben« — 29 Die ›Idee‹ des Verkehrs — 37 Verkehr und gesellschaftliche Ordnung — 41 Postmoderne Zirkulation — 53 Die Utopie des Kreisens — 68
Flughafen · Subjekte des Verkehrs — 78 »Un viaggio a parte« — 79 Strukturwandel von Mobilität — 85 Ein Ort der Kulturtheorie — 89 Die kulturelle Produktivität des Flughafens — 107 Ästhetiken der Einsamkeit — 113 ›Befreiung‹ statt Einsamkeit — 124 Duty Free — 133
Peripherie · Erfüllungsgrade von Moderne — 138 »Der Beginn einer neuen Epoche« — 139 Zentrum und Peripherie: Eine Leitunterscheidung der Moderne — 148 Peripherie als Nicht-Moderne — 153 Das Gegenbild der Stadt — 161 »Zwischenstadt«: Neue Konzepte der Siedlungsgeographie — 166 Die Kritik des Peripheren — 173 »Verkehrsprojekte« — 203
Nachwort — 206 Die Tatsache des Verkehrs — 207
Anhang — 212 Quellenverzeichnis — 213 Danksagung — 241
Einleitung
Thematik, Forschungsintention und methodische Prämissen
Verkehr stellt einen Objektbereich dar, der den Alltag der meisten Menschen nachhaltig prägt. Die Durchführung und Regelung, die zukünftige Ausgestaltung, aber auch die Bedingungen der Teilhabe am Verkehr werfen wesentliche ökonomische, soziale und politische Fragen auf. Diese Fragen eint, dass mit ihnen immer auch die Verfasstheit von Gesellschaft in einem umfassenden Sinne zur Verhandlung steht und dass sie bis hinein in die Weisen, wie sich empirische Menschen als ihre funktionstüchtigen Mitglieder begreifen, wirken. Die ›Idee‹ des Verkehrs – die Vorstellung rationaler, marktförmig geordneter, sachlicher Austauschbeziehungen – ist ein kulturelles Konzept der Moderne. In den Bildern davon, was Verkehr ›ist‹, welche Auswirkungen er hat, wie er unsere Erfahrungen prägt, wie er das soziale Miteinander, aber auch uns selbst bestimmt, wird daher immer auch Modernität – oder, präziser: der Wunsch, modern zu sein – reflektiert. Diese Arbeit zeigt mit Bezug auf die Gegenwart, wie Bilder des Verkehrs in Kulturkritik, Kulturtheorie und Kultursoziologie, in Fotografien, Filmen und literarischen Texten produktiv werden, um in grundlegender Weise Moderne zu reflektieren. Sie analysiert, auf welche Weise, aus welchen Gründen und mit welchen Konsequenzen dies geschieht und wie sich dabei das Selbstverständnis und die Vorlieben jener, von denen diese Reflexion ausgeht – nämlich Intellektuellen – strukturell einschreiben. Die Untersuchung verdeutlicht, wie die so identifizierten Repräsentationspolitiken zum einen auf medialen Verfahren und der Wahl je spezifischer, ästhetischer Modelle gründen, die daraus resultierenden symbolischen Verräumlichungen jedoch zugleich von einem unhintergehbaren Eigensinn des Verkehrs bestimmt sind.
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Einleitung
›Verkehr‹ als Gegenstand Den Überlegungen dieser Arbeit liegt eine simple, aber weitreichende Beobachtung zu Grunde. Viele gegenwärtiger Zeugnisse der Kulturtheorie und der Kunst befassen sich mit dem, was sich zunächst als ›Phänomene‹ des Verkehrs bezeichnen ließe. Soziologische, philosophische oder kulturkritische Texte, aber auch Fotografien, Filme und literarische Arbeiten entdecken, so scheint es, in der Tatsache des Verkehrs, in Kreisverkehrsanlagen und in Flughäfen, in Autobahnen und den von ihnen durchschnittenen und überwundenen Räumen ein produktives Potential für unterschiedliche und verschiedenartige Symbolisierungen. Diese Symbolisierungen eint, dass sie zwar Bilder des Verkehrs in einem engeren Sinne aufrufen. Mit ihnen geht es jedoch stets um mehr – nämlich die umfassende Erörterung gesellschaftlicher Problemlagen, die auf das Projekt der Moderne zielen und anhand von Bildern des Verkehrs emblematisch und problematisch zugleich werden. Die implizite oder explizite Inanspruchnahme dessen, was sich vordergründig als ›Phänomene‹ des Verkehrs fassen ließe, wird damit als ein Vorgang beschreibbar, den Michel Foucault mit dem Begriff der »Problematisierung« zu fassen gesucht hat: »Problematisierung bedeutet nicht die Repräsentation eines präexistenten Objekts und auch nicht die diskursive Erschaffung eines nichtexistierenden Objekts. Es ist das Ensemble diskursiver und nichtdiskursiver Praktiken, das etwas ins Spiel des Wahren und Falschen eintreten lässt und es als Gegenstand des Denkens konstituiert.« (Foucault 1985, 158)
Zwar mag in der erhofften Anschlussfähigkeit an die vermeintliche Erfahrungswelt der Rezipientinnen und Rezipienten oftmals ein wesentlicher Impuls für den Bezug auf das Feld des Verkehrs zu finden sein. Doch als Problematisierung begründet sich das verkehrliche Symbolisierungspotential nicht alleine – wie zunächst vermutet werden könnte – mit Verweis auf eine fraglos gegebene, alltagsweltliche Bedeutung. Andererseits und zugleich gilt, dass etwaige ›innere‹, substantielle Eigenschaften des Verkehrs, materielle oder faktische Gegebenheiten nicht abschließend zur Erklärung, warum Verkehr rhetorisch wirksam wird, herangezogen werden können. Weder ›verkörpert‹ Verkehr in prototypischer oder substantieller Weise eine bestimmte Form von Modernität (oder gar Modernität per se), noch gilt umgekehrt, dass in den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Beispielen ein solcher Zusammenhang ausschließlich konstruktiv – etwa durch den kulturtheoretischen Diskurs – hergestellt würde und letztlich arbiträr wäre.
Thematik, Forschungsintention und methodische Prämissen
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Analyse von Repräsentationspolitiken Die Emergenz des Gegenstands Verkehr in Kulturtheorie und Kunst ist ein Effekt von Diskursen und Praktiken, von Artefakten und konkreten Strukturen gleichermaßen. Sie beruht auf einem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis, das sowohl durch materielle Möglichkeitsbedingungen gewährt wie von gesellschaftlichen Zuschreibungen bestimmt ist. Wenn im Folgenden vom Verkehr die Rede ist, dann steht daher nicht die Repräsentation eines vorgängigen Objektbereichs zur Debatte. Die Arbeit stellt vielmehr den Versuch dar, nach den Politiken solcher Repräsentation zu fragen – und damit immer auch nach der Konstitution des Objekts selbst. Dies bedeutet, diejenigen Formen und Prozesse in den Blick zu nehmen, mittels derer Verkehr im Wechselspiel materieller Strukturen, sozialer Bedingungen und der Verfertigung kultureller Bedeutung für eine Problematisierung von Moderne produktiv wird – so etwa, zu fragen, welche Bedingungen und Verfahren einer scheinbaren Sinnbildlichkeit notwendigerweise vorausliegen. Was Verkehr ›ist‹ oder was als Verkehr erscheint, ist damit weder unproblematisch noch von vornherein geklärt. Trotzdem wird die Arbeit nicht versuchen, die Prekarität dieses Status zu überwinden. Umgekehrt gilt, dass die Untersuchung zeigen wird, wie die Produktivität des Verkehrs gerade darin besteht, dass er nicht zu einem Bild gerinnt, nicht in einem Bild zu fassen ist, sondern vielfältig – und oftmals widersprüchlich – in Anschlag gebracht wird. Er gewinnt, mit anderen Worten, seine Produktivität dort, wo er in seinen Repräsentationspolitiken eine Signifikationskraft entwickelt, die polysem oder ambivalent bleibt. Seine Bilder prägt dabei eine doppelte Einschreibung: Sie sind sowohl von einer »Eigenlogik« (Winkler 2008, 98) des Medialen als auch dem Eigensinn der materiellen Strukturen des Verkehrs bestimmt.1 So verstanden, begreift die vorliegende Untersuchung Bilder des Verkehrs nicht als Ausdruck einer ahistorischen, fraglos gegebenen Ontologie des Sichtbaren, sondern stellt ihre Analyse in den Kontext ihrer wechselvollen kulturellen Einbettung und ihrer gesellschaftlichen Kontexte und Praktiken. Ihr Erscheinen, ihre Konjunktur, ihre Sichtbarkeit ist damit stets »ein Produkt
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Dieser ›Eigensinn‹ lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen lokalisieren: So wird die Untersuchung zeigen, wie Verkehr eine Produktivität für Bilder etwa dort gewinnt, wo er funktionale Bewegungen ausbildet, die nicht-narrativen Logiken folgen (genauer: solchen Logiken, die sich nicht in konventionelle narrative Muster fügen), oder dort, wo Verkehr eine ästhetische Dynamik aufweist, welche über die Stillstellung der Fotografie bzw. die Bewegung des filmischen Bildes erfahrbar wird.
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Einleitung
diskursiver, institutioneller, kultureller und historischer Vorbedingungen« (Maasen et al. 2006, 18) und »nie umstandslos gegeben« (Holert 2000, 20). Die Untersuchung wird sich daher auch nicht auf eine Motivanalyse beschränken (auch, wenn exemplarische Analysen jeweils am Beginn einzelner Kapitel und Abschnitte stehen), sondern nach den Bedingungen des Erscheinens und den sozialen Gebrauchsweisen, welche Bilder des Verkehrs konstituieren, fragen. Ihre Sichtbarkeit wird so begriffen als »Gegenstand, Schauplatz und Resultat von Regulierungen, Einschränkungen, Ausschlüssen und Umarbeitungen, von Machtprozessen also, die man [ihnen] keinesfalls ansieht, geschweige denn auf den ersten Blick. Vielmehr sind gerade die Verfahren des Vor-Augen-Stellens, der Evidenzstiftung, selbst Teil der Prozeduren, auf die Grenzen der Sichtbarkeit einzuwirken und Ausschlüsse als solche zu verunsichtbaren und zu naturalisieren.« (Voßkamp/Weingart 2005, 11)
Eben solche »Strategien und Taktiken«, die »Regulierungen, Einschränkungen, Ausschlüsse und Umarbeitungen«, welche der scheinbar unhintergehbaren Evidenz von Bildern des Verkehrs vorausliegen, werden – im Begriff der Repräsentationspolitiken gefasst – durch die Arbeit exemplarisch untersucht und beschreiben.2
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Bilder – oder gar ›das‹ Bild in einem umfassenden Sinn – sind in den vergangenen Jahren Gegenstand vielfältiger Problematisierungen gewesen. Das Vorgehen dieser Arbeit erschöpft sich nicht in der Analyse einzelner Bilder (im Sinne von ›Interpretationen‹ oder ›Deutungen‹), sondern stellt den Versuch dar, soziale Gebrauchsweisen, ihre Medialität, ihren »Ort« (Belting 2001), ihr »Kommunikationsvermögen« (Regener 2004), aber auch ihr »Wollen« (Mitchell 2005) mitzudenken. In dieser Hinsicht lässt sich das Vorgehen den Ansätzen der Visual Culture Studies zurechnen. Das so bezeichnete Forschungsparadigma beschreibt die Analyse von miteinander verwobenen und wiederstreitenden Praktiken, über die sich Bilder konstituieren. Aus solcher Sicht gilt: »Images do not stand for themselves, and they also cannot be understood by themselves, instead they are included in (partly contradictory) practices« (Adelmann et al. 2007, 9). Die einer solchen Perspektive zugrundeliegende Prämisse besteht darin, dass Bilder nicht über einen ›allgemeinen Sinn‹ verfügen, der ihnen gesellschaftliche Wirksamkeit verliehe, sondern primär Ergebnisse eines Unterscheidungsprozesses darstellen. Diese Unterscheidungen, die im Moment der Betrachtung vollzogen werden, versucht eine Bilddiskusanalyse in zweiter Ordnung zu beobachten und zu beschreiben (vgl. Miggelbrink/Schlottmann 2009, 189). — Die Annahme, dass Bilder erst über ihre Einbettung in gesellschaftliche Praxen konstruiert werden, impliziert auch, dass kein Primat einer vorgängigen Realität existiert. In der Analyse von Repräsentationspolitiken geht es also nicht um ›Abbilder‹ von Realität, sondern um Bilder, die selbst real sind. Eine solche Konzeptualisierung hat den Vorteil, dass sie die Probleme des Abbildtheorems – also die nicht zu lösende Frage nach dem zumeist als Referenz beschriebenen Verhältnis von Bild und Realität – überwindet. Bilder verweisen
Thematik, Forschungsintention und methodische Prämissen
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Moderne und Modernität Die Beantwortung der Frage, wie Bilder des Verkehrs in Kulturtheorie und Kunst produktiv werden, um in grundlegender Weise Moderne zu reflektieren, hängt zu einem wesentlichen Teil davon ab, was unter dem Begriff der ›Moderne‹ verstanden wird. Bezeichnend ist nicht nur, dass denkbar unterschiedliche und uneinheitliche Definitionen dessen, worin die Kategorie der Moderne in wahlweise soziologischer, historischer, ästhetischer oder auch philosophischer Hinsicht zu bestimmen wäre, existieren. Die Unabschließbarkeit, die jeder essentialistischen Festlegung entgegenzustehen scheint, kann als Effekt einer für die Moderne konstitutiven, fortlaufenden Selbstreflexion verstanden werden. Die Moderne erscheint somit weniger als eine klar abzugrenzende Epoche, sondern vielmehr als »historically unprecedented amalgam of new practices and institutional forms (science, technology, industrial production, urbanization), of new ways of living (individualism, secularization, instrumental rationality), and of new forms of malaise (alienation, meaninglessness, a sense of impending social dissolution)« (Taylor 2002, 91).
Letzthin erschließt die Rede von der Moderne daher keine historische Dimension, die außerhalb des modernen Verständnisses von Fortschritt und fortwährender Erneuerung begründbar wäre, sondern gewinnt ihre Produktivität als eine performative und selbstreferentielle Kategorie, als eine »symbolische Ordnung, die sich, ungeachtet aller ökonomischen Voraussetzungen, die ihr zugrundeliegen, selbst erst qua Beschreibung gesetzt hat« (Hartle 2005). Zugleich gilt aber auch, dass Rimbauds vielbeschworenes Diktum, »Il faut être absolument moderne«, einst als radikale, avantgardistische Forderung gemünzt, heute ein kultureller Gemeinplatz ist. Mögen die theoretischen und ästhetischen Fassungen dessen, was sich mit dem Konzept der Moderne beschreiben lässt, wiederholt kritisiert oder gar verworfen worden sein – als »große Erzählung« (Jameson 1992), über die sich Gesellschaft entwirft und begreift, stellt sie ein bisher unüberbotenes Sinngebungspotential bereit. Der niederländische Kulturphilosoph René Boomkens (1998) hat gezeigt, wie der diskursive Bezug auf Modernität nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Handelns darstellt,
nicht auf eine (aus medienwissenschaftlicher Sicht nicht zu untersuchende) ›Realität‹, sie sind selbst tatsächlich (vgl. Winkler 2008, 62).
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Einleitung
sondern zugleich ein Versprechen markiert, das ein Verlangen ausdrückt: Denn ›modern‹ ist man nicht, ›modern‹ gilt es stets zu werden (vgl. ebd., 17).3 Ein wesentliches Merkmal des Modernitätsdiskurs, das durch die Versuche der Kritik eines solchen Sprechens vielfältig herausgearbeitet worden ist, lässt sich in der konstitutiven Hervorbringung antagonistischer Kategorien verorten. Tatsächlich, so Alain Touraine (1995), beruhe das gesamte moderne Denken zu einem wesentlichen Teil auf Oppositionsbildungen, so etwa ›Natur‹ vs. ›Kultur‹, ›Irrationalität‹ vs. ›Vernunft‹, ›Körper‹ vs. ›Geist‹, ›Tradition‹ vs. ›Fortschritt‹ oder auch – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ›Gemeinschaft‹ vs. ›Gesellschaft‹. Bruno Latour (1998) hat in prominenter Weise gezeigt, dass die Moderne weniger dort zu bestimmen sei, wo sie sich, wie zunächst scheinen mag, jeweils für eine der beiden Seiten entscheidet und diese verteidigt, sondern, dass bereits die diskursive Hervorbringung solcher Unterscheidungen ein wesentliches Moment von Modernität darstellt. Dabei handelt es sich allerdings um Unterscheidungen, die, wie Latour ausführt, notwendigerweise fehlschlagen müssen, so dass sich Moderne als fortgesetzt scheiternde »Reinigungs- und Übersetzungsarbeit« (ebd., 20) erweise. Moderne stellt daher nicht einfach die Privilegierung des Verstandes über die Erfahrung, die Präferenz für Funktion anstelle von Substanz oder die Abwertung von Tradition zugunsten von Fortschritt dar, sondern gestaltet sich als Narrativ einer performativen Aushandlung, innerhalb derer solcherart Unterscheidungen zuallererst hervorgebracht und immer wieder neu bestimmt werden. Die vorliegende Arbeit begreift Moderne somit nicht als stabile Ordnung, sondern, im Anschluss an Keith Hetherington (1997), als notwendigerweise unvollständigen und unabschließbaren Prozess des Ordnens. Aus einem solchen Verständnis folgt, »to offer a critique of static views of social order that do not take account of the processes, ambiguities and differences involved in trying to think about the social ordering that we have come to call modernity« (ebd., VII). Entscheidend ist nun, dass im Falle des Verkehrs dieser moderne Prozess des Ordnens eine spezifische Dimension betrifft: jene des Raums.
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Natürlich fällt die ungebrochene alltagsweltliche Konjunktur des semantischen Feldes ›Modernität‹ nicht in eins mit einem vermeintlich unproblematischen Status der Theorien von Moderne. Doch die Tatsache, dass Moderne – und sei es ex negativo – immer noch eine Kategorie darstellt, die zu problematisieren oder auch emphatisch zu verabschieden lohnt, zeigt, dass dem Begriff eine Produktivität zufällt, die nicht ohne Weiteres zu hintergehen ist.
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Verkehr als Verräumlichung Aus Sicht der Verkehrswissenschaft – jenem Teilbereich wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion, die bereits in ihrem Titel den Gegenstand des Verkehrs führt4 – konstituiert sich Verkehr als Effekt eines spezifischen Teilas-
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Die im deutschsprachigen Raum existierende Verkehrswissenschaft arbeitet an den Schnittstellen von Ingenieurwissenschaft und Ökonomie. Wie die Kommunikationswissenschaft stellt sie einen Spezialbereich sozialwissenschaftlicher Theorieund Modellbildung dar. Kommunikations- und Verkehrswissenschaft wurden dabei ursprünglich als Einheit gefasst. Noch 1943 beschreibt eine einschlägige Einführung in das Gegenstandsfeld »Verkehr (im verkehrswissenschaftlichen Sinn) [als] räumliche Übertragung von Personen, Gütern und Nachrichten« (Napp-Zinn 1943, 204, zit. nach Schlimm 2009, 67; vgl. Neubert 2012). Die Begründung für eine solche Engführung – prominent etwa bei Karl Knies (1857) – liefert eine systemische Sichtweise, die Verkehrsmittel in ihrer historischen Bindung an Zwecke der Nachrichtenübermittlung fasst: »Dies gilt für den antiken Boten und die Postkutsche, Telegraphie und Telefon bis hin zur ›informationellen‹ Revolution durch digitale elektronische Medien« (Neubert/Schabacher 2008). Verkehrs- und Kommunikationsmittel, so heißt es in der ersten Ausgabe der 1911 erschienenen Zeitschrift Weltverkehr und Weltwirtschaft, »[u]nterliegen […] sämtlich den gleichen wirtschaftlichen Gesetzen und Axiomen, und das volle Verständnis ihrer kulturellen und nationalökonomischen Bedeutung ist daher kaum möglich, solange sie sich nahezu hermetisch gegeneinander abschließen!« (Hennig/Süsserott 1911, 1) — Grundlegend für die Ontologiebildung der Disziplin in ihrer heutigen Fassung ist die Unterscheidung zwischen »Verkehr« und »Verkehrsprozess« (Ammoser/Hoppe 2006, 35). So beschreibt der Begriff des »Verkehrsprozesses« gewöhnlich die »operative Komponente bzw. die eigentliche Ausführung« einer Verkehrsdienstleistung«, die sich unter mikro- und makroökonomischen Gesichtspunkten analysieren lässt. Der Begriff des ›Verkehrs‹ hingegen adressiert in einem umfassenden Sinne die »Prozesse bzw. Vorgänge der Interaktion zwischen verschiedenen sozialen Akteuren, also den sozialen Umgang zwischen Menschen«, ebenso jedoch »die Ortsveränderung von Objekten (z. B. Güter, Personen, Nachrichten) in einem definierten System« (ebd., 21). Ein drittes Konzept schließlich kommt aus Sicht der Verkehrswissenschaft mit dem Begriff der »Mobilität« ins Spiel: Es dient dazu, eine »geistig-intellektuelle sowie eine soziale Dimension« (ebd., 12) zu integrieren. Im Rahmen eines im engeren Sinne verkehrswissenschaftlichen Zugriffs erlangt diese jedoch nur insofern Bedeutung, wie sie sich in technische und ökonomische Effekte zerlegen lässt. Der verkehrswissenschaftliche Zugang fasst Verkehr als technisch und ökonomisch beschreibbares Ensemble materieller Einrichtungen und Institutionen. Kennzeichnend ist, dass er als präfigurierter, vorgängiger Untersuchungsgegenstand formiert und interventiven Eingriffen zugänglich ist. Eine solche Perspektive betont vor allem materielle, substanzlogische Konzepte von Verkehr. Die kulturelle Konstituierung des Verkehrsbegriffs bleibt aus Sicht der substanzlogisch argumentierenden Verkehrswissenschaft hingegen notwendigerweise unreflektiert. »Verkehrsprozesse« erscheinen als historisch wandelbare Phänomene, die sich in gesellschaftlichen Entwicklungen begründen; Mobilität wird konzipiert als eine »natürliche Eigenschaft von Gegenständen und Lebewesen« (ebd., 9), die sich zwar
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Einleitung
pektes von Moderne, nämlich einer »strong and increasing emphasis on purely rational considerations« (Scott 2006, 110). Diese Rationalität, die sich als ökonomisches Handeln begreift, umschließt in einem totalisierenden Anspruch sämtliche Teilaspekte menschlichen Verhaltens: »The modern social condition comprises a rationally organised way of life in which social actions take the form of techniques or strategies that use the most appropriate and exact means for pursuing goals« (ebd., 111). Aus einer solchen, dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der Verkehrswissenschaft und der Fassung ihres Gegenstandes zugrundeliegenden Perspektive stellt Verkehr eine spezifische Ausprägung modernen Ordnungsdenkens dar, nämlich eines solchen, das auf den Raum gerichtet ist. So kommt Anette Schlimm (2009) in ihrer Aufarbeitung der Geschichte und des Selbstverständnisses der Verkehrswissenschaft zu dem Schluss, »Im Kontext von Ordnungsdenken und social engineering wird ›Verkehr‹ immer als räumliche Erscheinung verhandelt und kann nur als räumliche Ordnung einen Stellenwert erhalten« (ebd., 79). Schlimm zeigt, dass das Ordnungsstreben der Moderne und die in ihm eingelagerten, untrennbaren Widerstände im Hinblick auf den Verkehr nicht die Herstellung von Ordnung in einem umfassenden oder unbestimmten Sinne adressieren, sondern vor allem in einer Hinsicht, nämlich als raumkonstituierende, räumliche Dynamik wirken. Für die vorliegende Untersuchung hat dies eine bedeutsame Konsequenz: Denn liest man Verkehr als »Versuch […], die Bewegung im Raum zu ordnen« (Etzmüller 2009, 38), so folgt daraus, dass die Repräsentationspolitiken, die sein Erscheinen bestimmen, notwendigerweise im Hinblick auf ihre räumliche Dynamik analysiert werden müssen. Nun stellt die Engführung räumlicher Strukturen und gesellschaftlicher Entwicklungen eine häufig gewählte rhetorische Figur dar – insbesondere in soziologisch argumentierenden Untersuchungen. So haben bereits Georg Simmel (2006) und Emil Durkheim (1981) auf einen solcherart gefassten Zusammenhang abgehoben; strukturalistische, respektive marxistische Theoretiker – prominent etwa Henri Lefebvre (1974) – haben ihn in elaborierter Weise weitergeführt (vgl. Schmid 2005). Die Behauptung eines – jeweils unterschiedlich bestimmten und gedeuteten – Wechselverhältnisses räumlicher und sozialer Strukturen bildet folglich den zentralen Bezugsrahmen sozialwissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Raum (vgl. Löw 2001; Schroer
in unterschiedlichen »Mobilitätskulturen« ausdifferenziere, wobei es sich jedoch um einen Prozess handele, der, so wird eingeräumt, »mit technischen oder ökonomischen Maßnahmen allein schwer beeinflussbar« (ebd., 10) sei.
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2006). Sich in einem solchen Kontext bestimmende Arbeiten stützen sich zumeist auf die Analyse spezifischer Räume oder Orte, die einer Lesart unterzogen werden, welche in ihnen den Ausdruck gesellschaftlicher Zustände zu erkennen beabsichtigt.5 Solche Vorgehensweisen – vor allem das ihnen zugrundeliegende Konzept, im Raum eine »Bühne«6 (Schroer 2006, 111) sozialer Prozesse zu konstruieren, sind im Kontext des Spatial Turns kritisiert worden (vgl. Bachmann-Medick 2006). Arbeiten, die sich auf diesen Begriff und die mit ihm behauptete Wende beziehen, versuchen demgegenüber, das Augenmerk auf die zugrundeliegenden Aushandlungen zu lenken – Aushandlungen, die an den Schnittstellen von tatsächlichen Orten und ebenso tatsächlichen Bildern stattfinden. Die dabei vorgenommene Neufokussierung des Raumbegriffs verdankt einen Gutteil ihrer Produktivität einer Hinwendung zu den Voraussetzungen und Bedingungen für die Konstitution des Sozialen, als dessen Teil Räumlichkeit konzeptualisiert wird: »Die vermeintlich natürliche geographische Wirklichkeit wird damit nicht länger als vorgängig und voraussetzungslos, sondern im Gegenteil als gesellschaftlich produziert und hoch voraussetzungsvoll begriffen« (Lossau 2007, 66). Mit diesem Perspektivwechsel gewinnen Medien und mediale Aushandlungsprozesse, deren Effekt in ihrer scheinbaren Vorgän5
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Eine häufig paraphrasierte These lautet etwa, dass der Bahnhof einen paradigmatischen Ort der klassischen Moderne darstelle. Bahnhöfe entwickelten sich, so etwa Martin Burckhardt in seiner Theorie der Wahrnehmung, »zu den Kultstädten der Moderne […], stellen sie doch jene Orte dar, wo die Geschwindigkeit der Zeit fühlbar wird« (Burckhardt 1997, 278f.). Einen Artikel der Building News vom 6. August 1875 zum Ausgang nehmend, beschreibt Burckhardt, wie Bahnhöfe und Hotels für das 19. Jahrhundert gemeinhin das repräsentierten, was »Klöster und Kathedralen für das 13. Jahrhundert waren« (ebd., 279). In ähnlicher Weise lässt sich etwa die räumliche Struktur des Gebäudetyps Bahnhof aus kunstgeschichtlicher Sicht im Hinblick auf Baustile und ästhetische Merkmale historisieren; eine eher technikgeschichtliche Perspektive hingegen läge darin, ihre ›Tatsache‹ in den Kontext technikliberalistischen Hoffnungen, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts an die Eisenbahn richten (beispielhaft: List 1833), zu stellen. Als einen solcherart bestimmten Ort der Moderne – genauer genommen: als einen Ort, an dem sich die Versprechen der Moderne leitbildlich abzeichnen und erfüllen – kennzeichnet etwa Alfred Gottwald (2005) den Bahnhof. All diese kulturgeschichtlichen Perspektiven eint, dass sie essentialistisch argumentieren: Stets ›ist‹ eine generische räumliche Struktur – so der Bahnhof – in der ein oder anderen Weise kausaler Ausdruck von wiederum zu benennenden historischen Entwicklungen. Nicht nur für Räume, die als »Erfahrungswelten« (Geisthövel/Knoch 2005) der klassischen Moderne gefasst werden, auch für vermeintlich ›postmoderne‹ Räume, wie etwa Flughäfen (vgl. Gordon 2008) ist ein solches Vorgehen versucht worden. Eine solche Konzeption verweist nicht zuletzt auf ein problematisches Verständnis der Kategorie ›Bühne‹ hin (vgl. Haß 2005).
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gigkeit besteht, an strukturellem Gewicht für die vorgenommenen Untersuchungen.7 Räume des Verkehrs (und ihre Bilder) erweisen sich nicht nur als eine »imaginary geography« (Said 1993), die sozialkonstruktiv hergestellt wäre, sondern vielmehr als »real-and-imagined-places« (Soja 1996). Im Gefüge eines »radical postmodernism« (ebd., 3) argumentierend und im Anschluss an die Arbeiten Henri Lefebvres, hat der Stadt- und Umweltplaner Edward Soja die Praktiken solcher Raumkonstruktion im Begriff des »Thirdspace« zu fassen gesucht. Mit ihm beschreibt er »Räume, die gleichzeitig materiell und symbolisch, real und konstruiert und in konkreten, raumbezogenen Praktiken ebenso wie in Bildern repräsentiert sind« (Soja 2003, 289). 8 7
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Diese Hinwendung findet auf verschiedenen disziplinären Feldern statt – etwa in medienwissenschaftlicher Sicht (vgl. Falkheimer/Jansson 2006), aus kulturgeographischer Perspektive (vgl. Ek 2006; Glasze/Mattissek 2009), aber auch mit Blick auf sozialwissenschaftliche Paradigmen (vgl. Döring/Tielmann 2007). Ein Beispiel für die Dynamik einer solchen Entwicklung bietet etwa die im englischsprachigen Raum entstandenen Mobility Studies (vgl. Urry/Sheller 2006; Cresswell 2006; Urry 2007). So untersucht die sozialwissenschaftlich orientierte Mobilitätsforschung die Motive und Bedingungen von Mobilität, wobei sie Ansätze und Modelle der Raumplanung, der Kulturgeographie, aber auch der Verkehrspsychologie aufnimmt. Verkehr erscheint hier allenfalls als Möglichkeitsbedingung von Mobilität – wobei die raumstrukturellen, materiellen Voraussetzungen von Mobilität, als ›konkrete Wirklichkeit‹ gedeutet, den konventionellen Ansätzen eines verkehrswissenschaftlichen Zugriffs überlassen blieben. Bislang rückten mit dem Mobilitätsparadigma Aspekte sozialen Handelns in den Mittelpunkt; symbolische und ästhetische Praktiken, aber auch materielle Strukturen wurden zumeist nur in Ansätzen berücksichtigt (kritisch dazu: Crang 2002). Zwar existieren zahlreiche Untersuchungen, die nach Räumen und ihrer ›Bedeutung‹ fragen, aber diese beziehen sich eher auf einen unterstellten ›Symbolgehalt‹ oder die schlichte Tatsache ihrer Sichtbarkeit, ohne dass die daran geknüpften Verfahren problematisiert würden (vgl. Lagopoulos 1993). Solche Sichtweisen sind erst in jüngster Zeit erweitert worden: So beschreibt Tim Creswell Mobilität ausdrücklich als »an entanglement of movement, representation, and practice« (Cresswell 2010, 17). Unter dem Begriff des »Dritten Raums« lassen sich drei Konzepte fassen, die zwar in Beziehung zueinander stehen, jedoch unterschiedliche Dimensionen von Räumlichkeit adressieren: Im Kontext postkolonialistischer Theoriebildung entwirft Homi K. Bhabha (1994) die Vorstellung eines abstrakten »third space«, der sich als Folge der Ungleichzeitigkeit globaler und nationaler Kulturen eröffne und innerhalb dessen Fragen von Identität und Differenz erfahrbar und verhandelbar würden. Die Etablierung der so gefassten räumlichen Metapher geschieht zwar mit Blick auf Fragen der eigenen Epistemologie. Der damit verbundene Impuls wurde jedoch erst von Edward Soja (1996) im Kontext der Radical Geography aufgegriffen und an die kulturgeografische Untersuchung physischer Räume rückgebunden. Henri Lefebvres Trialektik der Produktion des Raumes (2006) aufgreifend, skizziert Soja die Vorstellung eines »thirdspace«, der dem »gelebten Raum« (franz. »espace vécu«) Lefebvres entspricht, ihn jedoch gegenüber anderen Dimensionen von Räumlichkeit in
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Die vorliegende Arbeit wählt für die Summe und die Effekte der von Soja angesprochenen Praktiken den Begriff der ›Verräumlichung‹. Mit ihm ist das Gewebe materieller Bedingungen und physischer Strukturen, symbolischer und sozialer Praxen, die etwas als Raum erscheinen lassen, plausibilisieren und handhabbar machen, angesprochen.9 Indem die Arbeit drei Verräumlichungen zum Ausgangspunkt nimmt, um über Bilder des Verkehrs und die in ihnen stattfindenden Reflexionen von Moderne nachzudenken, greift sie die epistemische Konstruktion, die Soja im Begriff des »Thirdspace« vornimmt, einerseits auf. Allerdings folgt sie nicht dem naheliegenden Impuls, in »dritten Räumen« – im Sinne einer »Denkfigur des Dritten« (Bachmann-Medick 1998) – das Möglichkeitsfeld ›alternativer‹, emphatisch ersehnter sozialer Strukturierungen zu erkennen, wie dies etwa eine häufig anzutreffende Tendenz in der kulturwissenschaftlichen Adaption des von Michel Foucault vorgeschlagenen Konzepts der »Heterotopien« (Foucault 2005) ist. 10 Damit nimmt sie eine skeptische Position ein gegenüber dem »Erlösungsanspruch der postmodernen Philosophie […], die angetreten war, ›das Andere‹ und ›das Differente‹ zu retten« (Schweppenhäuser 2007, 90). Indem Bilder des Verkehrs als sozial wie symbolisch, materiell und in medialen Verfahren bestimmt begriffen werden, sollen die diskursiven Prinzipien, ästhetischen Verfahren, wissenschaftlichen Modelle und materiellen Möglichkeitsbedingungen, die ihrem Erscheinen vorausliegen, in den Blick genommen werden. Aus einer solchen Sicht erscheinen die untersuchten Topologien weniger als ›Ausdruck‹ spezifischer gesellschaftlicher Entwicklungen oder als ›Sinnbild‹ eines sich noch stets erfüllenden Erwartungshorizontes, emphatischer Weise privilegiert und für die Analyse und Politik postmoderner Räume zu nutzen sucht. Ihm erscheint der »thirdspace« als »gelebter Raum von radikaler Offenheit […], ein strategischer Raum von Macht und Dominanz, aber auch von Selbstermächtigung und Widerstand« (Soja 1996, 311). Sowohl Bhabhas als auch Sojas Konzeptualisierungen kennzeichnet das Bemühen, binär geprägte Modelle der Wissensproduktion zugunsten von Theorien sozialkonstruktivistischer bestimmter Räume zu überwinden. Von dieser differenztheoretisch argumentierenden Prägung des Raums ist das sozialräumliche Konzept der »Dritten Orte (engl. »third place«) zu unterscheiden. Hierunter fasst der Soziologe Ray Oldenburg (1989) in Abgrenzung zu Wohn- und Arbeitsräumen solche Stätten, die der geselligen Begegnung und dem informellen Austausch dienen und in deren Existenz er eine zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche Entwicklung zu erkennen glaubt. 9 In hiervon zu unterscheidender Verwendung geht der Begriff der ›Verräumlichung‹ ursprünglich auf Henri Bergson (1994) zurück; eine vergleichbare Bestimmung findet sich hingegen in Martina Löws Konzeption einer Raumsoziologie (2001). 10 Vgl. beispielsweise der nur mehr symbolische Einsatz des Begriffs der »Heterotopie« in Kleiner 2006.
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Einleitung
sondern als stets nur vorläufige Verräumlichungen – als Effekte symbolischer Praxen wie materieller Strukturen, deren Erscheinen sich nur aus der Verbindung einer Eigenlogik von Infrastrukturen und diskursiven und medialen Prozessen zugleich erschließt. Die Verräumlichungen des Verkehrs weisen jedoch auch ein eigenständiges, eigensinniges und nicht vollständig anzueignendes Selbstverhältnis auf. Sie sind nicht Endprodukte diskursiver Akte oder materieller Tatsachen, sie sind zugleich ihr Ausgangspunkt in einem nicht abzuschließenden, wechselseitigen Verweisen.
Gegenstandsfelder
Die vorliegende Untersuchung wird nach Bildern des Verkehrs und den sie begründenden Repräsentationspolitiken im Hinblick auf zwei miteinander verbundene Gegenstandsfelder fragen: Texte der Kulturkritik, Kulturtheorie und Kultursoziologie auf der einen, Fotografien, Filme und literarische Arbeiten, denen die Eigenschaft, ›Kunst‹ zu sein, diskursiv zugeteilt wird, auf der anderen Seite.11 Wenn die Untersuchung eine gegenwartsbezogene Perspektive aufweist, dann deshalb, weil die Funktion von Verkehr als Motiv für eine ›klassische‹ Hochphase der Moderne, das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, bereits gut erforscht ist. Angesichts wesentlicher Modifikationen des »Projekts der Moderne« (Habermas 1981), die Anfang der 1980er Jahre in der Proklamation der »Postmoderne« (Lyotard 1979) kulminieren, scheint jedoch lohnenswert, nach der gegenwärtigen Relevanz und Validität des Motivs zu fragen. Dementsprechend soll unter ›Gegenwart‹ jener Zeitraum gefasst werden, in dem die Moderne durch die ausdrückliche oder implizite Bezugnahme auf die Konzepte des Modernismus bzw. der Postmoderne eine wesentliche Reflexion erfährt.12
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Neben kulturkritischen, kulturtheoretischen und kultursoziologischen Texten im engeren Sinne werden im Rahmen dieser Arbeit auch Überlegungen weiterer Disziplinen – so etwa der Architekturtheorie, der Medienwissenschaft oder der Kulturgeografie – in die Untersuchung einbezogen. Der sprachlichen Einfachheit halber, und da diese Texte weniger aus der Binnenlogik ihrer Disziplinen, als vielmehr im Hinblick auf die sie bedeutenden symbolischen Praktiken angeführt werden, seien sie im Folgenden ebenfalls mit dem Begriff der Kulturtheorie angesprochen. 12 Ausführlich zu dieser Unterscheidung, der Konstruktion des epistemischen Objekts ›Verkehr‹ in der Moderne und der Modifikation durch postmoderne Perspektiven vgl. das Kapitel Kreisverkehr – Zirkulation um ihrer selbst willen der vorliegenden Arbeit.
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Einleitung
Die Auswahl der Analysebeispiele erfolgt nicht, weil unterstellt wäre, dass kulturtheoretische Texte oder künstlerische Arbeiten per se über eine privilegierte Einsicht in gesellschaftliche Zustände verfügten, geschweige denn, dass Wissenschaft oder Kunst ein konstitutives Wahrheitsmoment zufiele. Theoretische Texte und künstlerische Arbeiten bilden für die Untersuchung Gegenstände, da sie »selbst Teil des ursprünglichen Terrains, auf dem das Soziale konstituiert wird« (Laclau/Mouffe 2000, 147), sind. Aus soziologischer Sicht stellen sowohl Wissenschaft als auch Kunst jeweils ein »ausdifferenziertes soziales Teilsystem mit eigenen Institutionen, Rollen, Regeln und Ritualen« (Schwietring 2010, 221) dar. Tatsächlich erweisen sich beide Teilsysteme vor dem Hintergrund der ›Idee‹ der Moderne als wesentliche und substantielle Bedingungen für die Möglichkeit moderner Gesellschaften: So stellt die Ausbildung und Institutionalisierung des modernen Wissenschaftsdispositivs nicht nur eine Begleiterscheinung im Prozess der Modernisierung dar; beide Vorgänge stehen vielmehr im Zusammenhang wechselseitiger Voraussetzung. Dabei erscheint »Wissenschaft in der modernen Gesellschaft [als] das System […], das exklusiv wahrheitsfähige bzw. in ihrer Wahrheit bestreitbare Aussagen produziert« (Fuchs 2005, 78). Aber auch die Zeugnisse, Diskurse und sozialen Praxen gegenwärtiger Kunstproduktion und -rezeption lassen sich in den Kontext der Ausbildung der Moderne stellen: »Kunst und die Vorstellung autonomer künstlerischer Praxis sind ein typisches Merkmal moderner Gesellschaften, und die Herausbildung einer ästhetischen Moderne war und ist eine der Triebkräfte für die Modernität von Gesellschaften schlechthin. Die für die Moderne zentralen Ideen des Fortschritts, der ständigen Überbietung und Selbsthinterfragung sind in der Kunst und der Vorstellung der künstlerischen Avantgarde in besonders reiner und drastischer Form wirksam.« (Schwietring 2010, 221)
Entscheidend ist nun nicht einmal, ob man bereit ist, eine solche letzthin immer auch normativ wirkende, wissenschafts- und kunstsoziologische Auffassung zu teilen. Ihre Ausrufung – der Glaube daran, dass Wissenschaft und Kunst »in besonderes reiner und drastischer Form« Ausdruck moderner Entwicklungen seien – und die diskursive Konjunktur einer solchen Fassung bewirken eine kulturelle Dynamik, in deren Folge beide Felder für das Selbstbild der Moderne eine zentrale Stellung einnehmen (vgl. Eagleton 1994). Mit Blick auf die Kunst gilt zudem, dass die moderne Bestimmung ihrer Funktion eine strukturelle Verwandtschaft mit der Kulturtheorie zur Folge hat. Vor allem die klassische Soziologie hat der Kunst eine gesellschaftliche Funktion zugewiesen, welche die eigenen Interessen, Anliegen und Fragestellungen zu spiegeln scheint: Kunst und Kulturtheorie konfrontieren sich,
Gegenstandsfelder
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indem sie sich als ›modern‹ konstituieren, mit ähnlichen Problemen und erkennen im jeweils anderen Dispositiv mögliche Antworten auf die eigenen Fragen (vgl. Lichtblau 1999, 52ff.). Mag auch die Behauptung einer solchen strukturellen Verwandtschaft problematisch und von Diskursteilnehmerinnen und -teilnehmern, aber auch modernitätskritischen Analysen bestritten werden, so ist sie doch integraler Bestandteil wirkmächtiger bürgerlicher Vorstellungen von Kunst und bestimmt deren Wahrnehmung und Selbstbild in entscheidender Weise. Nicht zuletzt bildet sie die Folie, vor der die vielfältigen Debatten um die Ankunft einer Postmoderne, mit der die Moderne in eine Phase verstärkter Selbstreflexion eingetreten ist, in ihrer Verschränkung kultursoziologischer und ästhetischer Fragestellungen verständlich wird. Für den Diskurs der Moderne, der sich als fortgesetzte Selbstthematisierung und -problematisierung erweist, nehmen daher sowohl Kunst als auch Kulturtheorie vergleichbare Funktionsstellen ein: Beide Dispositive erweisen sich als »Reflexionsform[en] moderner Gesellschaften […], deren Reflexivität sich auch auf die eigenen Leistungen und Erkenntnisse erstreckt« (Schwietring 2010, 231). Wenn die vorliegende Arbeit die Gegenstände ihrer Analysen in Kulturtheorie und Kunst bestimmt, dann ist dies jedoch auch noch einer zweiten Absicht geschuldet. Denn – dies wird die Untersuchung nachzuweisen suchen – mit dem Verkehr wird nicht nur Moderne reflektiert, sondern immer auch das Selbstverständnis und die Vorlieben jener, von denen diese Reflexion ausgeht, nämlich Intellektuellen. Nun mag eingewendet werden, dass ein Nachdenken über symbolische Ordnungsmuster von Gesellschaft per definitionem eine intellektuelle Tätigkeit ist. Und doch wäre dadurch noch nicht gesagt, dass hiermit in jedem Fall eine Selbstreflexion einherginge. Im Falle des Verkehrs ist jedoch genau dies nicht nur der Fall, sondern es existiert eine strukturelle Dimension, mit der sich intellektuelle Selbstentwürfe in die Inanspruchnahme von Verkehr einschreiben.13 Intellektualität stellt nicht nur einen kulturellen Entwurf dar, der sich historisch an die Moderne koppelt (vgl. Bering 2010). Die Funktion und die Rolle von Intellektuellen sind im Kontext der Debatte um die Postmoderne vielfältig problematisiert worden. So stellt die Behauptung einer Krise intellektueller Selbstentwürfe gar eine der zentralen Diagnosen postmoderner Theorie dar. Dabei erfährt Intellektualität eine doppelt Herausforderung: Einerseits wird die Vorstellung einer Autonomie des Individuums – genauer: das 13 Vgl. hierzu insbesondere das Kapitel Flughafen – Subjekte des Verkehrs der vorliegenden Arbeit.
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Konzept von Individualität insgesamt – durch Vertreter postmodernen Denkens abgelehnt. Andererseits wird behauptet, dass mit dem Anbruch der Postmoderne die Möglichkeit allgemeiner, universeller Wahrheiten und »großer Erzählungen«, auf welche sich das Selbstverständnis von Intellektuellen bezogen habe, fragwürdig geworden sei.14 Das Nachdenken über Moderne stellt somit immer auch eine Selbstreflexion von Intellektuellen dar, und zwar umso stärker, desto mehr das Leitbild der Moderne in die Krise gerät. Indem die vorliegende Arbeit nach der strukturellen Dimension, mit der dieser Zusammenhang anhand von Bildern des Verkehrs hergestellt wird, fragt, geht es ihr nicht zuletzt darum, die eigene Sprecherposition zu reflektieren und die Begrenztheit der aus ihr abgeleiteten Diagnosen nicht nur mitzubedenken, sondern sie auch an die spezifische soziale Rolle rückzubinden, die den Autorinnen und Autoren der untersuchten Texte, aber auch dem Verfasser selbst, zukommt. Die Untersuchung der Bilder des Verkehrs als Reflexion von Moderne und Postmoderne mag vordergründig eine Auseinandersetzung mit der »cultural condition of an intellectual minority« (Butler 2002, 14) darstellen. Und tatsächlich: Für den Großteil der Menschen – vor allem in der sogenannten ›westlichen Welt‹ – dürfte Verkehr ein letztlich banaler und höchstens alltagsweltlich bedeutsamer Gegenstandsbereich sein. Dass ausgerechnet jene kulturelle Elite, die ganz wesentlich darüber mitbestimmt, wie gesellschaftliche und politische Entscheidungen getroffen werden und wie sich Gesellschaft und ihre Subjekte begreifen, in ihm ein Moment der Selbstreflexion erkennt, erscheint daher umso bemerkenswerter und wird in seinen Ursachen eingehender zu analysieren sein.
14 So erklärt Michel Foucault (2003) das Modell des »universellen«, »totalen« Intellektuellen für obsolet und setzt diesem den Entwurf eines »spezifischen Intellektuellen«, der sich ein Urteil nur in Bezug auf ein klar abgegrenztes Areal zu erlauben vermöge, entgegen. Mit ähnlichen Konsequenzen begrüßt Jean-François Lyotard im Grabmal des Intellektuellen (1985) die Erlösung des Menschen von der »Obsession der Totalität«, die in Folge von Aufklärung, Idealismus und Historismus die Moderne geprägt habe.
Aufbau der Arbeit Struktur des Vorgehens Bilder des Verkehrs werden in Kulturkritik, Kulturtheorie und Kultursoziologie, in Fotografien, Filmen und literarischen Arbeiten für die Problematisierung einer Reihe von Dimensionen der Moderne produktiv. Die vorliegende Arbeit unternimmt nicht den Versuch, dieses Feld umfassend und abschließend aufzuarbeiten, sondern wird drei davon exemplarisch herausgreifen: Das erste Kapitel verdeutlicht, vor welchem Hintergrund Verkehr und Moderne enggeführt werden und wie sich dieser Zusammenhang in der Postmoderne verändert. Das zweite Kapitel analysiert, wie Bilder des Verkehrs dazu dienen, moderne und postmoderne Subjektivierungsweisen zu problematisieren und dabei spezifisch intellektuelle Selbstentwürfe verhandelt werden. Und das dritte Kapitel untersucht schließlich, wie der Stellenwert und gegenwärtige Status von Moderne als »Projekt« in einer Weise an den Verkehr gebunden wird, in deren Folge Moderne als ein Versprechen beschreibbar wird, das sich nur zum Teil erfüllt hat. In jedem der drei Kapitel steht jeweils eine paradigmatische Verräumlichung des Verkehrs, nämlich Kreisverkehr, Flughafen und Peripherie, deren Bilder und zugrundeliegende Repräsentationspolitiken analysiert werden, im Mittelpunkt der Untersuchung. Die so getroffene Auswahl stellt eine Setzung dar, die rhetorischen Erwägungen folgt, ohne dass damit notwendigerweise eine exklusive oder strukturelle Beziehung zwischen den jeweiligen Verräumlichungen und den entsprechenden Untersuchungsdimensionen behauptet wäre. Im Gegenteil: Die leitmotivische Wahl jeweils einer paradigmatischen Verräumlichung, welche die Untersuchung der entsprechenden Kapitel bestimmt, ist weder dahingehend zu verstehen, dass es sich bei den so identifizierten Repräsentationspolitiken um solche handeln würde, die alleine für die jeweilige Verräumlichung zu benennen wären, noch, dass die jeweiligen Verräumlichungen ausschließlich in der jeweiligen Hinsicht kulturell produktiv würden. Und nicht zuletzt ist es nicht die Absicht, dass die untersuchten Di-
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mensionen in ihrer Summe ein erschöpfendes Bild der Repräsentationspolitiken des Verkehrs entstehen lassen. Die Fragestellung, welche die drei Kapitel miteinander verbindet, lautet: Wie wird Verkehr über bestimmte Verräumlichungen produktiv, um Moderne zu reflektieren? Die Spezifik der dabei zugrundeliegenden Erkenntnisinteressen bedingt in der Frage nach den jeweiligen Repräsentationspolitiken notwendigerweise die Ausdifferenzierung und Variation des jeweiligen methodischen Vorgehens: Die Verräumlichung des Kreisverkehrs ist ganz anders konstituiert als die des Flughafens oder jene der Peripherie, und deshalb müssen die Fragen nach dieser Konstitution auch andere sein. Am Anfang jedes Kapitels steht eine Motivanalyse, mittels der die zu untersuchende Problematik entwickelt wird, und jedes Kapitel schließt mit einem ›Gegenentwurf‹, der den herausgearbeiteten, intellektuell-hegemonialen Modellen, wie Verkehr für die Reflexion von Moderne produktiv wird, eine alternative Strukturierung gegenüberstellt, ohne dass damit eine ästhetische Wertung oder Nobilitierung intendiert wäre.15
Gliederung der Einzelkapitel Das erste Kapitel beschreibt die Weisen, wie Verkehr als Erscheinungsform der Moderne begriffen wird. Es schildert die Geburt der ›Idee‹ des Verkehrs aus dem Geist einer totalisierenden Rationalität und ihre Modifikation in Folge von Reflexionen, die sich im Modernismus und der Postmoderne ankündigen. Zu diesem Zweck untersucht das Kapitel zunächst am Beispiel des Anfangs von Robert Musils Romanfragment Der Mann ohne Eigenschaften (1981), wie ein Motiv des Verkehrs dazu dient, Moderne als rationale Zirkulation zu begreifen. Die moderne Perspektive auf den Verkehr, die in ihm das Sinnbild einer zweckrationalen, funktionalistischen Gesellschaftlichkeit erkennt, und die sowohl wissenschaftliche wie künstlerische Diskurse kennzeichnet, markiert jedoch zugleich den Eintritt einer Krise, die im Begriff der Postmoderne zu
15 Der Versuch, nach der spezifischen kulturellen und sozialen Produktivität von Bildern des Verkehrs und den ihnen zugrundeliegenden Repräsentationspolitiken zu fragen, wirft das kaum einzuholende Problem auf, dass sich das Feld möglicher Gegenstandsanalysen als ein denkbar weit darstellt. Mit Blick auf den Flughafen etwa läge es nahe, auch Filme wie Steven Spielbergs The Terminal (USA 2004) oder Angela Schanelecs Orly (D/F 2010), die beide signifikante Verräumlichungen entwerfen, zu untersuchen. Die Auswahl der vorliegenden Arbeit lässt sich daher auch nicht letztbegründen, sondern folgt den Prämissen der hier entwickelten Forschungsperspektive.
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fassen gesucht worden ist. Diese Krise beruht auf der Anerkenntnis des Scheiterns der modernen Versprechen, das aus der prinzipiellen Unüberwindbarkeit der sie prägenden Paradoxien herrührt. Die Analyse von Jacques Tatis Film Playtime (1967) wird zeigen, wie für die Verhandlung dieser Krise wiederum ein Bild des Verkehrs – das Motiv eines um sich selbst zirkulierenden Kreisverkehrs – produktiv gemacht wird. Dabei wird auch deutlich, dass das filmische Motiv des Verkehrs nicht einfach einen vorgängigen Objektbereich referenziert, sondern dass das, was als Verkehr erscheint, stets der Effekt medialer Verfahren ist. Anhand der Verräumlichung des Kreisverkehrs – ein dezidiert postmodernes Knotenmodell von Verkehrswegen – wird im Anschluss untersucht, wie Kulturtheorie und Kunst die Krise modernen Ordnungsdenkens reflektieren und auf sie Antwort suchen. Das Bild des Kreisverkehrs steht dabei sinnbildlich für die Diagnose einer Gesellschaft, die sich als Effekt einer selbstbezüglichen Zirkulation, welche weder ›Ankunft‹ noch ›Ziel‹ kennt, begreift. Konträr zur Begrüßung des Verkehrs in der Moderne und seiner komischen Wendung in Playtime, erweist sich die vermeintliche Logik des Verkehrens dabei zumeist als negativer Impuls. Während ein Teil der gegenwärtigen Kulturtheorie aus dieser Diagnose bedeutungsschwere Konsequenzen ableitet, zeigt ein literarisches Gegenbeispiel – Magnus Mills Roman The Scheme for Full Employment (2003) –, dass mit den Weisen dieser Modifikation letztlich die stellvertretende Verabschiedung der Moderne und der sie kennzeichnenden gesellschaftlichen Utopie einhergeht. Das zweite Kapitel beschreibt und analysiert anhand der Verräumlichung des Flughafens die Formen und Umstände, wie unter Bezugnahme auf Bilder des Verkehrs postmoderne Formen der Subjektivierung problematisiert werden. In den 1990er Jahren behaupten eine Vielzahl einschlägiger Abhandlungen der Kulturkritik, Kultursoziologie und Architekturtheorie, aber auch eine Reihe von Projekten der künstlerischen Fotografie, dass die sozialen Erscheinungsweisen eines weltumspannenden Verkehrs jenen Modus bestimmen, wie sich »die in Institutionen stattfindende Verwandlung empirischer Einzelmenschen in solche, die sich als Subjekte begreifen und als Individuen handeln« (Schrage 2008, 4125, mit Bezug auf Foucault 1987), vollzieht. In jenen Strukturen, die sich, so wird behauptet, prototypisch und sinnbildlich am Flughafen auffinden lassen, erkennen die untersuchten Texte gesellschaftliche Entwicklungen, denen ihre entschiedene Kritik gilt. Die auffällige Konjunktur der Bezugnahme auf den Flughafen, der als Verräumlichung wiederkehrend für eine umfassende Kritik der Postmoderne in Anschlag gebracht wird, ist jedoch alles andere als zufällig. Die 1990er Jahre stellen einen Zeitraum dar, in
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welchem der internationale Flugverkehr seine Exklusivität verliert, zu einer gewöhnlichen Erfahrung wird und breiten Bevölkerungskreisen – so auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern – neue Formen des privaten und beruflichen Reisens ermöglicht. Spezifisch intellektuellen Repräsentationspolitiken des Flughafens, innerhalb derer er als Ort von Vereinzelung und Subjektschwund erscheint, wird im Anschluss ein alternativer Entwurf, der eine entgegengesetzte Aussage aufweist, gegenübergestellt. Die Analyse eines Films des Mainstreamkinos – Danièle Thompsons Décalage horaire (2002) – wird zeigen, wie die Erfahrung des Flughafens und das Aufgehen des Individuums im Verkehr als Möglichkeitshorizont glückender Subjektentwürfe gedeutet werden können. Das Kapitel wird einerseits offenlegen, dass die gegensätzlichen Bewertungen Ausdruck der jeweiligen Wünsche, Ängste und Selbstentwürfe jener sind, die sie adressieren. Es zeigt aber auch, dass die Weisen, wie die so entworfenen Bilder des Verkehrs lesbar werden, sowohl auf medialen Verfahren als auch einem inkommensurablen Eigensinn der Verräumlichung des Flughafens beruhen. Während die Repräsentationspolitiken des Verkehrs in den im zweiten Kapitel untersuchten Beispielen vor allem als Subjektivitätspolitiken erscheinen, gründen sie im dritten Kapitel auf einen anderen Zusammenhang: der Hierarchisierung von Modernität. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie der gegenwärtige Stand des gesellschaftlichen »Projekts der Moderne« (Habermas 1981) – der postmodernen Annahme einer prinzipiell »tragische[n] ›Unvollendetheit‹« (Lyotard 1996, 33) entgegenstehend – anhand von Bildern des Verkehrs reflektiert wird. Zu diesem Zweck wird eine Verräumlichung analysiert, die auf den ersten Blick, vor allem aber im Vergleich mit Flughafen und Kreisverkehr weniger zwingend eine des Verkehrs zu sein scheint: die Peripherie. Infolge einer kulturtheoretischen Sichtweise, die angesichts der Emergenz neuerer Medien- und Kommunikationstechnologien ein ›Schwinden‹ des Raums verkündet – eine These, die innerhalb postmoderner Theoriebildung vielfältig aufgerufen worden ist –, erscheint Peripherie als residualer Raum. Die Untersuchung des einschlägigen siedlungsgeografischen Theoriediskurses wird um die Analyse eines Dokumentarfilms – Alexandra Sells Durchfahrtsland (2002) –, der sich dem ländlichen und suburbanen Raum widmet, ergänzt. Dabei wird eine Repräsentationspolitik kenntlich, die Peripherie als Effekt des Verkehrs wirkmächtig konstruiert. Die wissenschaftliche und künstlerische Hinwendung zum Raum der Peripherie, die sich in den letzten zehn Jahren vollzogen hat, lässt sich dabei, so die zu begründende These, als Ausdruck eines tiefgreifenden Zweifels am modernen Projekt lesen. Auch hierfür ist ein Wechselspiel aus der materiellen
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Eigenlogik des Gegenstandsfeldes und den symbolischen Verfahren, die es konstituieren, kennzeichnend: Denn die tatsächliche Vermehrung suburbaner Räume, die auf eine Reihe von siedlungsstrukturellen und raumplanerischen Entwicklungen der Nachkriegszeit zurückzuführen ist, geschieht vor dem Hintergrund einer weitreichenden und folgenschweren kulturellen Hierarchie von Zentrum und Peripherie, deren Unterscheidung sich als Leitdifferenz der Moderne erweist. Dieser Sichtweise, die intellektuelle Bezugnahmen auf die Peripherie bestimmt, wird abschließend eine alternative Perspektive, welche Ansätze der marxistisch argumentierenden New Cultural Geography aufgreift und der britischen Diskussion entstammt, entgegengestellt. Auch innerhalb der so gefassten Problematisierung, für die prototypisch Patrick Keillers Film Robinson in Space (1995) steht, erscheint Peripherie als Effekt des Verkehrs. Doch dient seine Verräumlichung hier nicht zur Markierung eines Zustands des Schwunds oder einer noch nicht erreichten Stufe innerhalb eines unzweifelhaften Modernisierungs- und Fortschrittsprozesses, sondern zur Etablierung des Möglichkeitsraums eines utopischen, emanzipatorischen Aufbruchs in eine ganz andere Moderne, deren Erfüllung aussteht.
Kreisverkehr Zirkulation um ihrer selbst willen
»Das unberechtigte Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben«
Am Anfang von Robert Musils Romanfragment Der Mann ohne Eigenschaften (1981), das der Moderne, vor allem aber dem Subjekt der Moderne ein neues Antlitz verliehen hat, steht die Beschreibung einer Wetterlage, die in ihrem präzisen meteorologischen Duktus nur einem Ziele zustrebt: den Tag, dem diese Beschreibung gilt, als einen durch und durch gewöhnlichen zu charakterisieren. »Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotopen taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung. Der Auf- und Untergang der Sonne, des Mondes, der Lichtwechsel des Mondes, der Venus, des Saturnringes und viele andere bedeutsame Erscheinungen entsprachen ihrer Voraussage in den astronomischen Jahrbüchern. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine höchste Spannkraft, und die Feuchtigkeit der Luft war gering.« (ebd., 9)
Der so bestimmt Tag ließe sich aber auch, wie der Erzähler ironisch anmerkt, auf eine wenn auch »etwas altmodische Weise« wie folgt bezeichnen: »Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913« (ebd.). Durch die Gestaltung der Exposition stellt Musil nicht nur »den Topos des Sonnenstandes […] unter die Vorzeichen der technischen Moderne« (Bickenbach 2009, 101). Sie und den weiteren Verlauf des Kapitels kennzeichnen darüber hinaus, dass jeder Hinweis, der das Geschehen vereindeutigen, konkretisieren oder auch nur verlässlich verorten würde, umgehend relativiert, abstrahiert oder in den Stand immer schon gültiger, allgemeiner Aussagen versetzt wird. So ist der Schauplatz der folgenden Ereignisse zwar Wien, doch selbst eine solche Festlegung scheint keineswegs von Bedeutung, denn, so vermerkt der Erzähler, »Die Überschätzung der Frage, wo man sich befinde,
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stammt aus der Hordenzeit, wo man sich die Futterplätze merken mußte« (Musil 1981, 9). Die »Reichshaupt-und Residenzstadt« (ebd.) tritt dem Leser in Folge nicht als ein tatsächlicher, aufgrund konkreter Merkmale zu referenzierender Ort entgegen, sondern als symbolisch zu lesender Text, als Summe aus Zeichen, Signalen und Bewegungen: »Wie alle großen Städte bestand sie aus Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, Zusammenstößen von Dingen und Angelegenheiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung der Rhythmen gegeneinander, und glich im Ganzen einer kochenden Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaftem Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht.« (ebd.)
Musil skizziert eine spezifisch moderne Wirklichkeitserfahrung, die sich qua ihrer literarischen Form als »eine Reihe von Abstraktionsstrategien«, als »gleichsam konkretheitsverdünnende Metaphernwucherung« (Fuchs 2005, 83) repräsentiert und die schließlich in der Eigenschaftslosigkeit des Protagonisten Ulrich – respektive der Gesamtheit seiner gleichbedeutenden, unterschiedslosen und unverbundenen Eigenschaften – ihre sinnfällige diegetische Entsprechung findet. Zunächst setzt jedoch das eigentliche Geschehen des ersten Kapitels ein, von dem es im Untertitel heißt, dass aus diesem »bezeichnender Weise nichts hervorgeht«. Dabei zeigt sich, dass all das, was bisher als semiotische Struktur auf eine abstrakte Erfahrung verwies, nunmehr als Erscheinungsweisen des Verkehrs Gestalt gewinnt: »Autos schossen aus den schmalen, tiefen Straßen in die Seichtigkeit heller Plätze. Fußgängerdunkelheit bildete wolkige Schnüre. Wo kräftigere Striche der Geschwindigkeit quer durch ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie sich, rieselten nachher rascher und hatten nach wenigen Schwingungen wieder ihren gleichmäßigen Puls.« (Musil 1981, 10)
Das Bild hektischer Betriebsamkeit, welches der Text hier aufruft, ist ein Bild des Verkehrs – ein Verkehr, »den wir gewiß für außerordentlich harmlos gehalten hätten, so wie er von den Wienern des Jahres 1913 erlebt worden ist«, wie Hans Ulrich Gumbrecht (2012) spekuliert. Doch der Eindruck »außerordentlicher Harmlosigkeit« und scheinbarer Gewöhnlichkeit des Verkehrs, in dessen Mitte sich, wie wir in Kürze erfahren sollen, ein Unfall ereignet hat, ist – anders als Gumbrecht unterstellt – keine unbestrittene Tatsache, die sich allein über den alltagsweltlichen Kontext erschließen ließe. Vielmehr erweist er sich geradewegs als Effekt der Wahl literarischer Verfahren des Textes, so etwa
»Das unberechtigte Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben«
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der Sachlichkeit des Tons oder des Abstraktionswillens der Beschreibung. Und tatsächlich: Nicht einmal der dramaturgische Gesichtspunkt der Beobachtung modelliert, so scheint es, die Situation zu einem Augenblick, der über individuelle Bedeutung verfügt. Lakonisch – und einigermaßen überraschend – heißt es, »Ein Mann, der wie tot dalag, […] war durch seine eigene Unachtsamkeit zu Schaden gekommen, wie allgemein zugegeben wurde.« (Musil 1981, 10; Hervorhebung T.W.). Um die Wende zum 20. Jahrhundert stellen automobile Unfälle ein historisch neues und vielfältig problematisiertes Phänomen dar (vgl. Niedenthal 2007). Doch 1930 – jenes Jahr, in welchem nach neun Jahren Arbeit der erste Teil des Mann[s] ohne Eigenschaften im Rowohlt-Verlag erscheint – haben sich im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen ausdifferenzierte Umgangs-, Bewältigungs- und Reflexionsweisen ausgebildet. So weist Matthias Bickenbach darauf hin, dass sich »zwischen 1900 und 1930 eine Wandlung [vollzieht]. Es sind die neuen, modernen Gesetzmäßigkeiten des Autounfalls, die Musil beschreibt und die bis heute gelten« (Bickenbach 2009, 89). Während das Auto um 1900 noch »als Bedrohung, ja als Gefahr der öffentlichen Ordnung gesehen und angeprangert« werde (ebd., 92), erscheine es kaum dreißig Jahre später als »Symptom der Moderne« (ebd., 94), dessen implizites Fortschrittsversprechen allgemein bejaht werde. Doch zugleich erweisen sich die Konsequenzen der Durchsetzung des Automobils als denkbar weitreichend. »Als Maschine zur Erzeugung von Geschwindigkeit produziert das Automobil mithin selbsttätig eine Ordnung« (ebd., 95) – und diese Ordnung, die im Verkehr Ausdruck und Voraussetzung findet, erlangt eine so umfassende – eben: ›allgemeine‹ – Geltung, dass selbst »die automobilen wie die technischen Abläufe, aber auch die physiologischen […] durch den Unfall nur vorübergehend gestört« (ebd., 104) werden. Wenn Musil am Anfang des Mann[s] ohne Eigenschaften ein Bild des Verkehrs aufruft, dann kann die alltagsweltliche, faktische Bedeutung des Phänomens der Verkehrsunfälle zum Zeitpunkt der Handlung also kaum eine befriedigende Erklärung für die Wahl anzeigen. Die Inanspruchnahme des Verkehrs stellt vielmehr eine »Problematisierung« (Foucault 1985, 158) dar, in deren Zentrum solche Eigenheiten und Eigenschaften der Moderne stehen, die anhand des Verkehrs thematisch zu machen sind. Die bedeutsamste dieser Eigenschaften ist ein funktionalistisches, rationales und von Individualität absehendes Denken. Um diese Engführung zu erreichen, bedient sich der Roman dreier textueller Verfahren: Auf stilistischer Ebene wird ein objektivierender Ton gewählt, der einer funktionalistischen Perspektive auf den Verkehr notwendigerweise
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vorausliegt. Auf narrativer Ebene ist es das Motiv des Unfalls und das ihn bedeutende Moment der Störung, die es ermöglichen, Verkehr in seiner vermeintlich innewohnenden »abgründigen Logik« (Bickenbach 2009, 96) zu thematisieren. Und auf medialer Ebene schließlich dient die sekundäre Rahmung des Geschehens durch die Einführung zweier diegetischer Beobachter – einen namenlosen »Herrn« und eine »Dame«, die Zeugen des Geschehens werden und über deren Empfinden der Text eine Reihe von Mutmaßungen anstellt – dazu, die Formen von Subjektivität, welche der Verkehr zu erzwingen scheint, zu verhandeln. Die Reaktion jener Umstehenden, die Zeugen des Unfalls geworden waren, so lesen wir weiter, schwankt zwischen Neugier und Entsetzen. Sinnlose Tätigkeiten füllen die Zeit, »bis mit der Rettungsgesellschaft sachkundige und befugte Hilfe käme« (Musil 1981, 11). »Man hörte jetzt auch schon die Pfeife eines Rettungswagens schrillen, und die Schnelligkeit seines Eintreffens erfüllte alle Wartenden mit Genugtuung. Bewundernswert sind diese sozialen Einrichtungen. Man hob den Verunglückten auf eine Tragbahre und schob ihn mit dieser in den Wagen. Männer in einer Art Uniform waren um ihn bemüht, und das Innere des Fuhrwerks, das der Blick erhaschte, sah so sauber und regelmäßig wie ein Krankensaal aus.« (ebd.)
›Sauberkeit‹, ›Regelmäßigkeit‹, ›Sachkunde‹: Der Unfall bricht keineswegs als externe Störung in eine funktionale Ordnung hinein, stellt keine Aufhebung der Ordnung dar, markiert nicht ihr temporäres Scheitern. Seine moderne Fassung modelliert ihn von Anfang an als ein Moment ihrer Erfüllung, und der Mann ohne Eigenschaften beschreibt ihn in einer Weise, die in ihm die restlose Bestätigung moderner Prinzipien erkennt. Nur vor dem Hintergrund einer impliziten Anerkenntnis dieser Prinzipien erscheint es daher »ein ›unberechtigtes Gefühl‹ der Beobachterin, etwas Besonderes erlebt zu haben und aus dem Umfallgeschehen geht eben ›bemerkenswerterweise‹ nichts Außergewöhnliches hervor« (Bickenbach 2009, 107). Und so »ging [man] fast mit dem berechtigten Eindruck davon, daß sich ein gesetzliches und ordnungsgemäßes Ereignis vollzogen habe« (Musil 1981, 11). In der funktional differenzierten Gesellschaft, deren Mechanismen sich im »Ausnahmezustand« (Schmitt 1927, 35) des Unfalls offenbaren, obliegt es dem Einzelnen, so scheint das erste Kapitel des Romans zu berichten, den »gräßliche[n] Vorfall in irgend eine Ordnung« zu bringen und zu einem »technischen Problem [zu machen], das [ihn] nicht mehr unmittelbar anging« (Musil 1981, 11). Und doch ist es nicht der Unfall selbst, es ist seine literarische Fassung, es sind abstrahierende, ›objektivierende‹ Verfahren der Darstellung, welche die rationale Einordnung des Geschehens leisten, auch, indem die
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Perspektive der Unfallopfer ausgespart und so eine zutiefst rationale, moderne Ordnung etabliert wird. Auch die Perspektive der Unfallbeteiligten bleibt in der literarischen Fassung unberücksichtigt; »die Menschen, die sich am Unfallort versammeln, sind a-individuell« (Fuchs 2005, 84). »Wie die Bienen um das Flugloch hatten sich im Nu Menschen um einen kleinen Fleck angesetzt, den sie in ihrer Mitte freiließen« (Musil 1981, 10), heißt es bei Musil, und die hier offenbar werdende »Ent-Spezifikation, Ent-Singularisierung des Menschen« (Fuchs 2005, 84) setzt sich im weiteren Verlauf fort. So, wie zuvor die Angabe des Sonnenstandes stilistisch in den Kontext des meteorologischen Spezialdiskurses gestellt wurde, gegen den eine impressionistische Schilderung »altmodisch« wirken müsse, so überführt der Erzähler auch den Unfall in eine Ordnung, die vom Individuum absieht und die – der von Max Weber beschriebenen bürokratischen Rationalität gleich – nur mehr generische ›Fälle‹ kennt: »Die statistische Determination gleitet am Einzelfall gewissermaßen ab: die raum-zeitliche Unschärfe ihrer Vorherbestimmung gestattet zwar (technische) Vorsorge, nicht aber eine individuelle Bestimmung oder Beobachtung, sie erlaubt keine Verarbeitung des betreffenden Geschehens.« (Böhme 1988, 52)
In der literarischen Wirklichkeit des Mann[s] ohne Eigenschaften, die nicht mehr der Ausdruck eines unveräußerlichen, enunziatorischen Standpunktes ist und in der nur mehr »seinesgleichen geschieht«, wie der Titel des zweiten Teils des ersten Bands nahelegt, wird nicht nur jede denkbare Konkretion der Folgen des Verkehrsunfalls in die Sphäre des Unspezifischen, Allgemeinen verschoben. Sein Ereignen vollzieht sich als ein nicht-individuelles Geschehen, das allein statistisch – das heißt: mit den quantitativen Verfahren der die Moderne in all ihren Erscheinungsweisen zu bestimmen suchenden empirischen Sozialforschung – angemessen einzuordnen ist: »›Nach den amerikanischen Statistiken‹, so bemerkte der Herr, ›werden dort jährlich durch Autos 190.000 Personen getötet und 450.000 verletzt‹« (Musil 1981, 11).16 Was Musil hier – gleichsam en passant – anhand des Verkehrs schildert, und wofür das Bild des Verkehrsunfalls produktiv wird, weist daher über 16 Die genannten Zahlen entsprechen nicht einmal annähernd der historischen Realität (vgl. Bickenbach 2009, 107). Ihre Anführung etabliert eine Wahrnehmung, die den Verkehr zutiefst ambivalent erscheinen lässt: Einerseits erweist er sich als Ausdruck der von ihm bestimmten, modernen Ordnung, deren Rationalität und Effizienz die bewundernde Anerkennung der bürgerlichen Betrachterinnen und Betrachter gilt. Zugleich stellt er eine kaum zu unterschätzende Bedrohung bürgerlicher Moral dar, nimmt er doch von der Individualität seiner Opfer nicht einmal Notiz.
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diesen im engeren Sinne hinaus. Die literarische Fassung bedient sich zwar eines Bildes des Verkehrs. Mit der Bezugnahme auf dieses steht jedoch eine größere, umfassende Diagnose in Absicht. Und so gilt: »Der programmatische Verzicht auf die Perspektive der Betroffenen verweist auch auf die Antiquiertheit tradierter Vorstellungen vom ›individuellen‹ Tod in einer Gesellschaft, die die Kategorie ›Individuum‹ längst ausgehöhlt hat« (Polt-Heinzl 2001). Der ›Tod des Subjekts‹, den ein postmodernes Sprechen zur epistemologischen Diagnose erheben wird, deutet sich bereits in den Umgangsweisen des Verkehrs, die Musil in Mann ohne Eigenschaften entwirft, an – auch, wenn der Roman die Konsequenzen einer solchen Diagnose noch nicht ausbuchstabieren wird und seinem Protagonisten Ulrich zunächst nur einen »Urlaub vom Leben« (Musil 1981, 47) in Aussicht stellt.17 Die Formen der »funktionalen Gesellschaftsorganisation« (Wachter 2011, 73), welche den Verkehr prägen, lassen dabei jede Frage nach Sinn und Bedeutung zugunsten von Funktion und bestimmbarer Folge zurücktreten: »Eine Demontage der Bedeutung, die noch Goethe den ›Aspekten‹ zuerkennt, betreibt Musils Romananfang in ironischer Manier« (Böhme 1988, 53). Dass aus dem ersten Kapitel nun eben »nichts« hervorgehe – dieser Satz ergibt nur dann Sinn, wenn man an ›etwas‹ eine substanzlogische Vorstellung knüpft.
Problemstellung und Zielsetzung Die ›Idee‹ des Verkehrs – die Vorstellung rationaler, marktförmig geordneter, sachlicher Austauschbeziehungen – ist ein kulturelles Konzept der Moderne. In den Bildern davon, was Verkehr ›ist‹, welche Auswirkungen er hat, wie er unsere Erfahrungen prägt, wie er das soziale Miteinander, aber auch uns selbst bestimmt, wird daher immer auch Modernität – oder, präziser: der Wunsch, ›modern‹ zu sein – reflektiert. Dieses Kapitel wird die Weisen, in denen Verkehr als Erscheinungsform von Moderne begriffen wird, analysieren. Dabei zeigt sich, dass die Geburt der ›Idee‹ des Verkehrs aus dem Geist einer totali17 Angesichts solcher Tendenzen mag es kaum überraschen, dass tatsächlich und verschiedentlich der Versuch unternommen worden ist, Musils Roman als Ausdruck postmodernen Denkens avant la lettre zu lesen. So behauptet etwa Hartmut Böhme: »Die sozialen und kulturellen Strukturen, die heute zur Begründung der Postmoderne aufgeführt werden, hat Musil, ein Klassiker der Moderne, weitgehend bereits in sein Romanprogramm integriert« (Böhme 1988). Vgl. auch Hofmann 2001; eine Kritik solcher Lesarten als »Vereinnahmung« findet sich in Midgley 2008.
»Das unberechtigte Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben«
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sierenden Rationalität erfolgt, die in Folge von Reflexionen, welche durch Modernismus und Postmoderne angestoßen werden, in die Krise gerät. Die Untersuchung der Exposition von Robert Musils Romanfragment Der Mann ohne Eigenschaften (1981) verdeutlichte, wie ein Motiv des Verkehrs produktiv wird, um Moderne als rationale Zirkulation zu entwerfen. Diese spezifische Produktivität wird im Folgenden genauer zu betrachten sein. Kennzeichnend ist, so soll gezeigt werden, dass mit der Rede vom Verkehr stets mehr angesprochen wird als Verkehr im ›engeren‹ Sinne: Zur Verhandlung stehen widerstreitende Modelle gesellschaftlicher Ordnung, ihre Implikationen in subjektpolitischer und ästhetischer Hinsicht, aber auch die grundsätzliche Möglichkeit gesellschaftlicher Entwürfe im Angesicht der Moderne. Die moderne Perspektive auf den Verkehr, die in ihm das Sinnbild einer zweckrationalen, funktionalistischen Gesellschaftlichkeit erkennt, und die sowohl wissenschaftliche wie künstlerische Diskurse kennzeichnet, durchläuft jedoch spätestens mit der Postmoderne eine entscheidende Krise. Das Eintreten dieser Krise beruht auf der Anerkenntnis des Scheiterns moderner Versprechen, welches wiederum – so wird behauptet – auf der prinzipiellen Unüberwindbarkeit der sie prägenden Paradoxien beruht. Anhand der Verräumlichungen von Kreisverkehrsplätzen – einem dezidiert postmodernen Knotenmodelle von Verkehrswegen – zeigt das Kapitel, wie Kulturtheorie und Kunst die Krise modernen Ordnungsdenkens reflektieren und auf sie Antworten suchen. Dabei dient die Analyse von Jacques Tatis Film Playtime (1967) als Ausgangspunkt. Der Film schildert, wie bürgerliche Subjektentwürfe im Verkehr, der als radikal funktionalistische Ordnung erscheint, brüchig und obsolet werden. Dies geschieht vor einem spezifischen historischen Hintergrund, der bereits frühe Bezugnahmen auf Verkehr kennzeichnet: Die Differenz zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft wird wiederkehrend am Verkehr, der als Ausdruck gesellschaftlichen Denkens entworfen wird, problematisiert. Verkehr erscheint so einerseits als Ausdruck von Vernunft – einem wesentlichen, sinnstiftenden Prinzip der Moderne; zugleich liegt in der solitären Vertraglichkeit, welche er bedeutet, eine fortwährende Bedrohung, denn jede soziale Ordnung, die der Verkehr etabliert, erscheint insofern vorläufig, als sie funktionalistisch und zweckrational bestimmt ist und daher zu jedem Augenblick flüchtig und kontingent bleiben muss. Playtime, so soll gezeigt werden, reflektiert nicht nur diesen Konflikt mit filmischen Mitteln, sondern überführt ihn auch in ein ironisches Spiel, weshalb der Film einen Übergang zu postmodernen Verweisstrukturen markiert.
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Die postmoderne Verräumlichung des Kreisverkehrs greift die in der Moderne geprägte und eingeübte äußere Form rationaler Zirkulation auf, überführt und modifiziert ihr Prinzip jedoch in nachhaltiger Weise. Das Bild des Kreisverkehrs steht dabei sinnbildlich für die Diagnose einer Gesellschaft, die sich als Effekt einer selbstbezüglichen Zirkulation, welche weder ›Ankunft‹ noch ›Ziel‹ kennt, begreift. Konträr zur Begrüßung des Verkehrs in der Moderne und seiner komischen Wendung in Playtime, erweist sich die vermeintliche Logik des Verkehrens dabei zumeist als negativer Impuls. Während ein Teil der gegenwärtigen Kulturtheorie aus dieser Diagnose bedeutungsschwere Konsequenzen ableitet, zeigt ein literarisches Gegenbeispiel – Magnus Mills Roman The Scheme for Full Employment (2003) –, dass mit den Weisen dieser Modifikation letztlich die stellvertretende Verabschiedung der Moderne und der sie kennzeichnenden gesellschaftlichen Utopie einhergeht.
Die ›Idee‹ des Verkehrs Etymologie Noch Anfang des 20. Jahrhunderts meint der Begriff ›Verkehr‹ kaum den späteren Straßen-, Eisenbahn- und Flugverkehr, als vielmehr »die Gesamtheit der Beziehungen der Menschen untereinander«, wie der Große Brockhaus des Jahres 1911 verzeichnet. Auch Johann August Eberhards 1910 erschienenes Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache (2011) wählt für das Lemma eine ähnliche Definition und fasst ›Handel‹, ›Gewerbe‹ und ›Verkehr‹ als semantisches Feld zusammen. Während unter dem Begriff des Handels der »bloße Umtausch von Produkten« (ebd.) verstanden wird, heißt es mit Bezug auf den Verkehr, »Verkehr ist der Umtausch selbst und besonders das mit diesem verbundene Kommen und Gehen von Personen. Wer einen lebhaften Handel und ein einträgliches Gewerbe hat, bei dem ist und der hat viel Verkehr« (ebd.). Einem solchen umfassenden Verständnis entspricht auch der Konturierung des Begriffs im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, das Verkehr mit ›Umgang, Betrieb‹ umschreibt und dem lateinischen commercium gleichstellt. Mit dieser Verwendung sind zwei Hauptbedeutungen zugleich angesprochen: Zum einen der ›kaufmännische Verkehr‹, zum anderen, in übertragener Bedeutung, ein allgemeiner ›Umgang‹. Diese doppelte Prägung ist bis heute wirksam: Aus sozialökonomischer Sicht etwa unterscheidet den Begriff des ›Verkehrs‹ vom engeren Konzept des ›Transports‹, dass dieser auch die kommerziellen und gesellschaftlichen Anteile des Verkehrens umschließt (vgl. Predöhl 1961, 103). Mag auch im gegenwärtigen, alltagsweltlichen Verständnis eine Vorstellung von Verkehr als Summe von Verkehrs- und Transportmitteln dominant sein, so ist doch der ursprüngliche Bedeutungshorizont, der Vorstellungen eines geselligen Umgangs, sozialen Austauschs bis
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hin zur metaphorisch-verhüllenden Rede vom ›sexuellem Verkehr‹ umfasst, stets mit aufgerufen.18
Kulturelle Fassung Die sich über die doppelte Bedeutung des lateinischen commericum erschließende Verwendung prägt auch den Einsatz des Begriffs in der Kulturphilosophie (vgl. Köhnke 2001) und Kultursoziologie, wo die Rede vom Verkehrs zwar nicht in die Ausbildung eines allgemeinen Begriffs oder gar einer Terminologie mündet, jedoch ein wissenschaftliches Verständnis aufruft, das den alltagsweltlichen Bezugsrahmen überschreitet. Ein Beispiel hierfür findet sich etwa bei Norbert Elias, der 1939 »Verkehr« (Elias 2001, 12) als eine Voraussetzung für den Prozeß der Zivilisation beschreibt. In seiner soziogenetischen Studie führt Elias langfristige Entwicklungsprozesse innerhalb europäischer Gesellschaften nicht allein auf politische und wirtschaftliche Umbrüche zurück, sondern beobachtet grundlegende Veränderungen menschlichen Verhaltens. Als Verkehr beschreibt er affekt- und verhaltensbezogene Umgangsweisen, die, so Elias, im Kontext einer politischen Ökonomie verstanden werden müssten. Daher sei Verkehr stets Ausdruck eines »Verflechtungszusammenhangs« (ebd., LXVII), in dessen Folge sich menschliche Verhaltensweisen zunehmend normierten. Auch wenn Elias den Begriff des Verkehrs nur zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung wählt, später kaum expliziert und keineswegs systematisch einbettet, so erscheint offenkundig, dass mit dem von ihm im Begriff des Verkehrs angesprochenen Konzept zu einem wesent18 Dass ein alltagsweltliches Verständnis des Begriffs »Verkehr« heute vor allem Bilder des Straßenverkehrs aufruft, bezeichnet der britische Kulturwissenschaftler Joe Moran (2005b) als eine kaum reflektierte und ideologische Wahrnehmungsweise. Moran untersucht eine Reihe kennzeichnender »Mythen« des Verkehrs. Dabei bezieht er sich bereits in der Wahl dieses Konzepts – ohne dies explizit zu begründen – auf Roland Barthes’ (1964) kritische Semiotik unbewusster und kollektiver Bedeutungen, die er um eine an den Cultural Studies geschulte Analyse von »Lesarten« (Fiske 1995) erweitert. Die kulturellen Aufladungen des Verkehrs offenzulegen und seine Repräsentationen in der populären Kultur als Ausdruck von Problemlagen zu begreifen, die primär außerhalb seiner eigenen Logiken verortet werden können, ist auch das Ziel von Kirstin Ross (1995). In ihrer Untersuchung der kulturellen Umbrüche im Frankreich der 1960er Jahre identifiziert sie Vollzugsweisen des Alltags – und hierbei die Problematisierung von Automobil und Verkehr – als Austragungsort sozialer und identitätspolitischer Konflikte. So werde etwa im Hinblick auf den Straßenverkehr und die kulturellen Verhandlungen, in die er eingebettet sei, auffällig, so Ross, »the race to appropriate road space is largely reducible to class conflict not perceived as such« (ebd., 62).
Die ›Idee‹ des Verkehrs
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lichen und entscheidenden Teil Fragen einer gesellschaftlichen Ordnung der Moderne adressiert werden. Die Spezifik dieser modernen Ordnung liegt darin, dass sie, indem sie empirische Menschen adressiert, abstrakte personae hervorbringt, die, in Tausch- und Vertragsverhältnissen eingebunden, als Markt- und Verkehrsteilnehmer beschrieben werden. Die indifferente kulturtheoretische Prägung des Verkehrsbegriffs und der stets aufgerufene Verweis auf Dimensionen alltagsweltlicher Erfahrung, die sich pars pro toto bei Elias ablesen lassen, ließe sich nicht nur als Desiderat der Theoriebildung deuten, sondern kann auch als Beleg für die Evidenz aller Bilder des Verkehrs gelten. Die Tendenz, unter Anführung des Verkehrsbegriffs Aussagen über gesellschaftliche Entwicklungen und Zustände zu treffen, kennzeichnet die Rede vom Verkehr daher auch dort, wo dieser im engeren Sinne des heutigen, alltagsweltlichen Verständnisses in den Blick gerät. In ihrer Untersuchung Ordnungen des Verkehrs hat Anette Schlimm (2011) am Beispiel des Entstehens einer sozialwissenschaftlich operierenden, an ökonomischen Modellen ausgerichteten Wissenschaft vom Verkehr gezeigt, wie das Sprechen über den Gegenstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur einen »zentralen Bereich der Gesellschaftsgestaltung« darstellt, sondern sich als »Arbeit an der Moderne« (ebd., 9) begründet. Wesentlich sei dabei, so Schlimm, dass in den von ihr untersuchten Expertendiskursen Verkehr nicht ausschließlich im Sinne eines Straßen- oder Schienenverkehrs verstanden werde. Seine Anführung sei vielmehr stets in den »Kontext von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft« (ebd.) gestellt: Indem vom Verkehr im engeren Sinne die Rede sei, werde gesellschaftliche Ordnung in einem umfassenden Sinne problematisiert. In dieser Strategie, so Schlimm weiter, lasse sich eine prägnante Umgangsweise, »Moderne zu bewältigen« (ebd., 10), verorten. Die von Schlimm untersuchte argumentative Figur lässt sich zudem noch weiter rückverfolgen. Denn die von ihr beschriebene »Bewältigung« – oder, vielleicht präziser: Reflexion – der Moderne, die mittels eines Sprechens vom Verkehr erfolgt, vollzieht sich nicht nur innerhalb des wissenschaftlichen Spezialdiskurses, sondern auch in der Literatur sowie im Film. So haben Helmuth Lethen (1994) und Johannes Roskothen (2003) analysiert, wie Verkehr ein »dominierende[s] Wahrnehmungsmodell« (Lethen 1994, 44), respektive einen zentralen »Topos« (Roskothen 2003, 4) der Literatur der 1920er Jahre darstellt. Verkehr erscheint in den von ihnen untersuchten Texten als »funktionsgerechtes Verhalten«, das sich an der Forderung der »Sachlichkeit« orientiert (Lethen 1994, 45). In Verhaltenslehren der Kälte, einer Untersuchung, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit der Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessners steht, formuliert Helmut Lethen die Beobachtung,
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dass »[d]ie Devise der Neuen Sachlichkeit, ›Statt Ausdruck – Signale, statt Substanz – Bewegung‹ […] im Verkehr Spielraum und Milieu [findet]« (ebd., 46). Im Anschluss an Lethens eher kursorisch bleibenden Analysen hat Johannes Roskothen die literarischen Repräsentationen von Verkehr für denselben Zeitraum in großer Ausführlichkeit untersucht. Literarische Texte dienen Roskothen dabei als »Dokumente für die technische, soziologische Dimension der zirkulierenden Oberflächen« (Roskothen 2003, 19). Sein Interesse gilt »Wahrnehmungs- und Fiktionalisierungsschemata« des Verkehrs, von denen er behauptet, dass diese auf »lebensweltlichen, sinnlich wahrnehmbaren Strukturierungen von Raum und Zeit« (ebd.) basierten. Die von beiden Autoren als ›Verkehrsliteratur‹ identifizierten Romane und Erzählungen werden dabei in je unterschiedlicher Weise als Entwürfe lesbar, welche die Integration des modernen Menschen über dessen Teilnahme am Verkehr zu gewährleisten suchen. Im Hinblick auf das so identifizierte, kulturelle Programm kommt schließlich auch dem Film eine wichtige Bedeutung zu (vgl. Waitz 2013). Es ist jenes Medium, das in den 1920er Jahren antritt, Modelle gelingender Subjektentwürfe als »Verkehrsteilnehmer« bereitzustellen, ohne die »substanziell […] der Moderne innewohnende Erfahrung einer Dezentrierung und Auflösung des Subjekts« (ebd.) zu negieren. Als originäres Medium der Moderne schreibt sich dabei das Vermögen des Films in die Auseinandersetzung mit dem Verkehr in selbstreferentieller Weise ein. Das Feld dieser kulturellen Fassungen und Problematisierungen des Verkehrs, das sich bis in die 1960er Jahre erstreckt19, eint, dass der Gegenstand des Sprechens in je unterschiedlicher, aber dennoch vergleichbarer Weise als »soziale[s] Interventionsfeld« (Etzmüller 2009, 15) für Strukturierungen und Rationalisierungen erscheint, so dass die Etablierung »eine[r] Mesoebene, die eine ganz eigene, holistische gesellschaftspolitische Qualität besitzen sollte« (ebd., 17), die Folge ist. Stets geht es um ›mehr‹ als um Verkehr im engeren Sinne: Zur Debatte stehen widerstreitende Modelle gesellschaftlicher Ordnung, ihre Implikationen in subjektpolitischer und ästhetischer Hinsicht, aber auch die Möglichkeit gesellschaftlicher Entwürfe überhaupt im Angesicht der Moderne. Diese moderne Rationalität ist es, welche die ›Idee‹ des Verkehrs begründet.
19 Die Inanspruchnahme des Verkehrs im Faschismus, insbesondere die umfassende ›Mobilmachung‹ des Nationalsozialismus, muss an dieser Stelle ausgespart bleiben. Vgl. hierzu beispielhaft Kopper 1995 und Hochstetter 2005.
Verkehr und gesellschaftliche Ordnung »Playtime« Wie am Anfang des Mann[s] ohne Eigenschaften, so findet sich auch am Ende von Jacques Tatis Film Playtime (F/I 1967) ein Bild des Verkehrs – und zwar eines, das ein gleichermaßen bemerkenswertes wie häufig zitiertes Motiv darstellt. Die letzte Einstellung des Films besteht aus der Totale eines Kreisverkehrs; um eine runde, mit Blumen bepflanzte Verkehrsinsel bewegt sich ein nicht abreißender Strom von Fahrzeugen, unablässig kreisend wie ein Karussell (Abb. 1). Playtime verhandelt einen tiefgreifenden sozialen Wandel, der Frankreich Mitte der 1960er Jahre bestimmt. Für Teile der französischen Intellektuellen stellt sich die Ablösung einer weitgehend agrarisch und bürgerlich geprägten Gesellschaft durch eine sich im Konsum konstituierende Massengesellschaft als Schock dar. Zwei Jahre bevor Tatis Film zur Aufführung kommt, beschreibt der Schriftsteller Georges Peréc in Les Choses. Une histoire des années soixante (1965) diese gesellschaftliche Entwicklung als eine umfassende »chosification de la société de consommation« (ebd., 34). Mit der Diagnose einer »Verdinglichung« zeichnet Peréc das Bild einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, an das Jacques Tati mit Playtime anschließen wird.20 Dessen Film wirft einen zugleich faszinierten wie spöttischen Blick auf die Erscheinungsformen der warenförmigen Vergesellschaftung der Moderne (vgl. Fieschi/Narboni 1968; Bruache 1987) – eine Moderne, die in skurriler Dysfunktionalität ihrer
20 Peréc beschreibt die »Verdinglichung« von Gesellschaft nicht nur in materialismuskritischer Absicht, sondern stellt einen weit umfassenderen Befund, indem er seinen Figuren die Einsicht in die eigene Fremdbestimmtheit versagt und so einen emanzipatorischen Lebensentwurf, der eine Alternative zu einer gesellschaftlichen Teilhabe, die sich allein über Konsum vollzieht, verunmöglicht. — Zum im Wesentlichen auf Georg Lukács zurückgehenden Begriff der »Verdinglichung« vgl. die begriffsgeschichtlichen Ausführungen in Honneth 2005, 19ff.
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»Dinge« und dem permanenten Scheitern ihrer ureigensten Versprechen von Sinn, Ordnung und Vernunft wiederkehrend komisch vorgeführt wird. Abbildung 1: Playtime (F/I 1967, R: Jacques Tati), Filmstill
Die Welt, in die Tatis alter ego Monsieur Hulot buchstäblich hineinstolpert, bleibt diesem – ausgerüstet noch mit den verblassenden Insignien des Kleinbürgers – bis zum Schluss des Films fremd und unwirtlich. Dabei besteht der Running Gag des Films – und auch dies ist wörtlich zu nehmen – darin, dass der Fußgänger Hulot, der beständig auf der Suche nach einem Monsieur Giffard ist, diesen unter Aufbietung allerlei komischer Situationen ein ums andere Mal knapp verpasst. Stets entzieht sich Giffard, der sich mit großer Selbstverständlichkeit inmitten des großstädtischen Verkehrs bewegt, dem Zugriff Hulots, dem nichts anderes bleibt, als hinterher zu stolpern. Dieser Verkehr, in dem Giffard aufzugehen scheint und dem Hulot fremd gegenüber steht, ist das eigentliche Thema des Films. Die Analyse der ›Idee‹ des Verkehrs hat gezeigt, dass sich der Begriff in zwei Weisen fassen lässt: In einem alltagsweltlichen, ›engen‹ Sinne meint der Begriff des Verkehrs die Erscheinungsformen und Umstände der Massenmotorisierung, so etwa den Flug-, Bahn- und Straßenverkehr und die durch sie bewirkten Mobiltätspolitiken und -hierarchien. In einem über diese Verwendung hinausweisenden, ›weiten‹ Sinne adressiert der Begriff des Verkehrs jedoch zugleich eine spezifisch moderne Form des gesellschaftlichen Umgangs. Diese Umgangsform besteht in einem an der sachlogischen Ordnung der Dinge orientierten Miteinander, das, vom empirischen Menschen absehend, soziale Rollen statt individuellen Stand präferiert und vernünftiges, zweckoptimiertes und ökonomisches, kurzum: modernes Handeln zum Leitbild sozi-
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aler Austauschvorgänge erhebt. So verstanden, lässt sich die von Georges Peréc beschriebene »Verdinglichung« der französischen Gesellschaft der 1960er Jahre als Ausdruck einer umfassenden Entwicklung lesen, mit der Gesellschaftlichkeit über Gemeinschaft, geschäftsmäßiges Handeln über Intimität und Funktion über Individualität gestellt wird. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer haben die daraus folgende »Entfremdung« in der Dialektik der Aufklärung dahingehend gedeutet, dass »[a]lle Verdinglichung […] ein Vergessen [ist]« (1947, 274), welche, so Adorno, in eine »Technifizierung der Inwendigkeit« (Adorno 1951, 412) münde. Wie im Mann ohne Eigenschaften, so stellt Verkehr auch in Playtime daher weit mehr als ein Oberflächenphänomenen der Moderne dar: Er fungiert als Sinnbild der in der Rede von der Modernisierung angesprochenen, gesellschaftlichen Veränderungen. Die bei Musil noch offene Frage, was mit dem Subjekt, das in den Verkehr gerät, geschieht, ist in Playtime allerdings entschieden: Es erscheint als komische Figur. Die Inanspruchnahme des Verkehrs findet nicht nur – wie zunächst naheliegen mag – auf der Ebene des Settings Ausdruck und Form, sie lässt sich auch im Hinblick auf eine Reihe weiterer Dimensionen des Filmischen bestimmen. Dies betrifft narrative Verfahren, Strategien der ästhetischen Gestaltung sowie ein Moment der Selbstreflexion, mit der sich das kinematografische Dispositiv in die filmische Diegese einschreibt. So erscheint zunächst bemerkenswert, dass Playtime kaum Bemühungen entwickelt, eine konsistente Fabel, deren Präsentation Erwartungen an das konventionelle Erzählkino entspräche, zu formulieren. Sein Sujet kennzeichnet vielmehr ein wiederkehrendes Abschweifen, oder, mehr noch, die Gleichzeitigkeit scheinbar kontingenter, kaum miteinander verbundener ›Geschehnisse‹. Ein markantes Beispiel hierfür stellt die Eingangssequenz des Films bereit, deren Setting ein in der Formensprache des International Style errichteter »Aéroport de Paris« ist. In langen Plansequenzen und mit den ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten des 70mm-Films entwickelt Playtime ein filmisches Tableau, dessen Verräumlichung durch den Verzicht auf die konventionelle narrative Staffelung in einen bedeutsamen Vorder- und einen weniger bedeutsamen Hintergrund gekennzeichnet ist. An die Stelle dieser räumlichen Zweiteilung und der ihr immanenten, narrativen Hierarchisierung tritt die räumliche Gleichzeitigkeit unverbundener Mikronarrationen. Diese erstrecken sich – entgegen eingeübten Sehkonventionen – nicht nur in der gesamten Tiefe des sichtbaren Bildes, sie erfolgen auch über weite Einheiten der Montage. So lässt uns der Film sehen, wie eine Reisegruppe amerikanischer Touristen umhergeführt wird, wie sich in einem Teil des Foyers eine Handelsmesse moderner Erfindungen – jede auf skurrile Art dysfunktional – befindet,
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aber auch, wie eine verwirrende Vielzahl filmischer Figuren, einer unsichtbaren Choreografie folgend, gleichermaßen beflissen wie zielstrebig umher eilt. Eine eigentümliche Geschäftigkeit liegt über dieser Szenerie – eine Geschäftigkeit des Verkehrs, die, soweit erkennbar, zu nichts weiter zu führen scheint und deren Sinn allein Zweck ihrer selbst ist. Die Eingangssequenz von Playtime präsentiert uns eine hochgradig atomisierte, dabei zugleich anonyme, vielsprachige Zahl menschlicher Akteure, deren Bewegungen allein durch die bauliche Struktur des Flughafenterminals und dessen rationalen Zweck bestimmt zu sein scheinen. Die Funktion der sich so entfaltenden Exposition begründet sich daher auch weniger darin, das Personal des Films zu erschließen, noch, den Schauplatz einzugrenzen, geschweige denn, mit den Konventionen des klassischen Erzählfilms in die sich im weiteren Verlauf entwickelnden handlungsbestimmenden Konflikte einzuführen. Stattdessen etabliert die Eingangssequenz eine spezifische Form der Wahrnehmung – und zwar einer solchen, die sich auf den Verkehr richtet und zugleich als deren Ausdruck erscheint. Die sich so entfaltende Ästhetik lässt sich als Ausdruck dessen lesen, was Charles Baudelaire (1962) in einem einschlägig Diktum als »Wesen der Moderne« beschrieben hat: »le transitoire, le fugitif, le contingent« (ebd., 467). Baudelaire behauptet nicht nur, dass ein unerbittlicher Wandel das Charakteristikum des modernen Lebens darstelle, sondern formuliert auch Forderungen an eine Ästhetik, welche diese Eigenschaft zum Ausdruck zu bringen vermöge, und die als Modernismus beschrieben worden ist. Allerdings stellt die modernistische Ästhetik einen Bruch mit den Prinzipien der Moderne als – im weitesten Sinne – philosophischer Idee dar: »This aesthetic modernism rejected any search for eternal truths and principles and sought to bring out the transience and fluidity of all cultural forms« (Scott 2006, 112). Das Verhältnis von Moderne und Modernismus erweist sich dennoch nicht als Opposition, sondern stellt sich als eine reflexive Bewegung dar: »Im Modernismus richtete die Moderne ihren Blick auf sich selbst zurück und versuchte, die Klarsicht und die Selbstwahrnehmung zu erreichen, die schließlich ihre Unmöglichkeit enthüllen sollte, wodurch sie den Weg für die postmoderne Neubewertung freimachte.« (Bauman 1992b, 16)
Playtime etabliert ein ästhetisches Modell, in welchem das Beieinander, das Nebeneinander und – in komischer Konsequenz – das Durcheinander kennzeichnende und wiederkehrende Elemente darstellen. In der Zurschaustellung der vielgestaltigen Mikronarrationen, die allein durch die ordnende Instanz der Montage verbunden sind, und im kinematographisch evozierten, panoramatischen Übersichtsblick konstituiert Playtime in seiner Eröffnungssequenz,
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aber auch im späteren Verlauf der filmischen Enunziation, eine spezifisch modernistische Erzähl- und Wahrnehmungsweise, die mit jener des Verkehrs in eins fällt. Die auf Dauer gestellte Wachsamkeit und gleichzeitige Rücksichtnahme entindividualisierter Subjekte, die sich als Verkehrsteilnehmer funktionalem Handeln unterwerfen, findet in der »Gleichgültigkeit« (Rancière 2006, 79) der filmischen Ordnung und des sie hervorbringenden Betrachtersubjekts Entsprechung und Ausdruck. Den Film kennzeichnet zugleich, dass dieser Zusammenhang, der sich in Strategien und Verfahren der Sichtbarmachung bestimmt, wiederum mit filmischen Mitteln reflektiert wird. Eine zentrale Sequenz aus Playtime veranschaulicht dies in besonders eindrücklicher Weise: In ihr wird uns sehen gemacht, wie Monsieur Hulot in der Wohnung eines Freundes, dem er zuvor zufällig begegnet ist, gegen Abend zu Gast ist. Die filmische Form der sich hieraus ergebenden Narration lässt sich dabei als Reflexion des filmischen Dispositivs – und damit der Frage nach Sichtbarmachung »als unabdingbare[r] Grundfunktion des Films« (Engell 2008, 76) – lesen. Mittels einer Plansequenz, welche durch eine langsame Fahrt gebildet wird, blickt die Kamera von Außen durch zwei nebeneinanderliegende, große und durch keinerlei Vorhänge verdeckte Fenster in zwei Wohnzimmer. In der Folge wird es möglich, die Tätigkeiten der Bewohner zu beobachten, wobei sich die doppelte Rahmung als sekundäre Inszenierung und selbstreflexive Bezugnahme auf die technische Strukturierung des kinematographischen Apparats lesen lässt. Gleich einem filmischen »Experimentalsystem« (Rheinberger 2001), das auf die Herkunft des Films aus der modernen wissenschaftlichen Mess- und Beobachtungstechnik verweist, gestattet uns die Sequenz die komparative Beobachtung divergierender Modelle der Vollzüge alltäglichen Lebens. Beide Bewohnergruppen (die mit Hulot befreundete Familie auf der einen, Giffard auf der anderen Seite) sind in einer stummen Übereinkunft durch mediale Einrichtungen geeint: In die Wand, die zugleich beide Appartements voneinander trennt, sind auf beiden Seiten, so scheint es, Fernseher eingelassen (wodurch sich eine weitere mediale Selbstreferenz ergibt). Dabei ist es die Figur des Monsieur Hulot, die als Auslöser von Unruhe innerhalb dieses Settings fungiert. Denn wenig angetan von der Art der Abendgestaltung seiner Gastgeber, verweigert sich Hulot zunächst dem gemeinsamen Fernsehkonsum, bis er schließlich ganz die Wohnung verlässt, infolge dessen »[d]er Gang der Dinge […] in den zwei Appartements wieder alltäglich« wird (Sykora 2005, 32). Der sich so ergebenen, filmischen Strukturierung wohnt eine doppelte Produktivität inne. Es ist zuallererst die filmische Anordnung, die das alltägliche Verkehren der menschlichen Akteure in ihrer Sichtbarkeit produziert.
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Und es sind eine Störung der so etablierten Ordnung – das Erscheinen Hulots – und deren spätere Wiederherstellung, welche den Modus ihrer Sichtbarkeit bestimmen. Wenn Kristin Ross behauptet, »Playtime is a narrative reflection of the increased standardization of daily life in France« (Ross 1995, 174), dann lässt sich ergänzen, dass diese Reflexion nicht nur Schauplätze, Figuren und Motive des Verkehrs – Sinnbild jener Standardisierung – nutzt, sondern sich dies auch – gleichsam selbstreferentiell – über narrative und filmische Verfahren vollzieht, die eine modernistische Ästhetik des Verkehrs konstituieren. Mehr noch: Der Inanspruchnahme des Verkehrs, seinem strategischen Einsatz als Sinnbild liegen spezifisch mediale Verfahren strukturell voraus. Auf den Ebenen seiner Konstitution, vor allem aber auf der Ebene von Repräsentation und Ästhetik sind es ästhetische Modelle, als deren Effekt Verkehr in je unterschiedlicher Weise hergestellt wird.
Teilhabe am Verkehr Playtime erweist sich jedoch nicht nur als filmischer Ausdruck moderner Wirklichkeitserfahrung. Der Film formuliert zudem eine entschiedene Kritik am »Projekt« (Habermas 1981) der Moderne, stellt er doch mit seinem ›Helden‹, Monsieur Hulot, der nicht nur von Tati gespielt wird, sondern dem auch erkennbar die Sympathie des Films gilt, dem Verkehr und der durch ihn versinnbildlichten Moderne eine filmische Figur entgegen, die zu ihrer Umgebung in einem denkbar scharfen Kontrast steht. Philippe Leclercq hat die Haltung der Moderne gegenüber jenen Menschen, für welche die Figur des Hulot prototypisch steht, mit den Worten beschrieben, »Tous les êtres agissent comme si la simple circulation du corps était soumise à un strict principe d’obéissance et de rationalité du temps et de l’espace. […] L’homme doit savoir s’adapter« (Leclercq 2003). Monsieur Hulot – und hierin begründet sich ein narrativer Grundkonflikt von Playtime – zeichnet hingegen aus, dass er sich gerade nicht anzupassen gedenkt. Inmitten des Verkehrs wird er von einer Unzeitmäßigkeit bestimmt, welche der Film immer wieder für komische Effekte zu nutzen weiß. Ein Beispiel hierfür ist etwa jene Sequenz des Films, die uns zeigt, wie Hulot in einem stilvollen wie unterkühlten Restaurant, das den Namen »Royal Garden« trägt, zu Abend isst. So werden wir Zeugen, wie dieses Mahl als Folge einer eskalierenden Serie von Verwicklungen auf absurde und groteske Weise in einer alles umfassenden Unordnung versinkt, wobei Hulot einerseits der unfreiwillige Auslöser der sich entfaltenden Kaskade, als auch deren Kontra-
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punkt darstellt. Ihm, dem offenkundig jede großstädtische »Blasiertheit« (Simmel 1903, 189) fehlt, präsentiert sich das ihn umgebende Umfeld, das noch im Moment größter Konfusion auf die penible Einhaltung der formellen Umgangsweisen des gesellschaftlichen Verkehrs bedacht ist, schlicht als Unordnung, als dysfunktionale, gescheiterte Strukturierung. Der komische Effekt der filmischen Anordnung liegt dabei nicht allein in Elementen des Slapstick, mittels derer die Ordnung buchstäblich dekonstruiert wird, sondern verstärkt sich durch die Spannung zwischen dem Agieren der filmischen Figuren und der äußeren Form eines filmischen Versuchsaufbaus, der sich in langen, frontalen und tableauartigen Einstellungen und mittels einer zurückhaltenden, beobachtenden Kamera und Montage konstituiert. Deren Wirkung besteht in dem Eindruck, dass die mediale – und das heißt: die symbolische – Ordnung durch das Schicksal des empirischen Menschen, den der Film emphatisch als Individuum zeichnet, unberührt bleibt. In dieser und einer Vielzahl analog operierender Sequenzen erweist sich Playtime als ein Film, der über Mittel der Figurenentwicklung antagonistische Ordnungsverfahren des Gesellschaftlichen thematisiert. Dabei erscheint Verkehr als Ausdruck einer radikalen gesellschaftliche Ordnung, die in der »rückhaltlose[n] Verwerfung der bourgeoisen Moderne« ihre »verzehrende negative Leidenschaft« erkennt (Calinescu 1977, 42). So führt Playtime ein ums andere Mal vor, dass es der Verkehr ist, der bürgerliche (oder auch nur kleinbürgerliche) Vorstellungen von ›Sinn‹ und ›Substanz‹, wie sie die Figur des Monsieur Hulot verkörpert, in eine funktionalistische Ordnung überführt. Verkehr im ›engeren‹ Sinne – jener in den Straßen genauso wie jener der aus dem höfischen Zeremoniell gewonnenen, eben: höflichen Umgangsweisen im ›royalen‹ Restaurant – erscheint hierbei als Form einer Vergesellschaftung, die von jedem anderem Sinn als ihrem eigenen absieht und gerade darin ihr modernes Prinzip erkennt. Die Ausformulierung eines solchen Prinzips in der Form von Verkehrsregeln beschreibt Kurt Tucholsky bereits 1929 mit den Worten, »[D]iese Regelung hat weiter keinen Wunsch und Willen, als den von ihr aufgestellten Regeln um ihrer selbst willen Geltung zu verschaffen«. Bei Verkehrsregeln handele es sich, so Tucholsky weiter, um »Vorschriften, die keinen andern Sinn haben, als durchgeführt zu werden«, wodurch sich die Praxis des Verkehrs als »sinnlose Mechanisierung« erweise (Tucholsky 1975, 306). Wollte man in Hulots Erfahrung eine politische Dimension erkennen, dann ließe sie sich mit der »Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände« in eins setzen, die Karl Marx und Friedrich Engels mit einem einschlägigen Diktum zu fassen gesucht haben:
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»Alle festen, eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.« (MEW 4, 465)
Allerdings lässt sich Playtime nicht einem gegen die bürgerliche Ordnung gerichteten politischen Impuls zurechnen. Denn was Marx und Engels um die Jahrhundertwende als Zersetzungssymptom der bourgeoisen Gesellschaft interpretieren und was Tucholsky in den 1920er Jahren zum Anlass einer kulturkritischen Glosse gereicht – der nüchterne Blick, die auf Dauer gestellte Veränderlichkeit des Gesellschaftlichen, die Mechanisierung aller Umgangsweisen im Verkehr –, das vollzieht sich aus jener bürgerlichen Perspektive, die Playtime entwirft, als Farce. Indem der Film die Figur des Monsieur Hulot immer wieder im Verkehr verortet, dort, »wo die Fahrer einen einzigen Strom bilden, in dem jeder falsche Individualismus völlig verschwindet« (Tucholsky 1975, 308), ihn aber in einer Weise als bürgerlichen Charakter entwirft und mit einer Disposition ausrüstet, die es ihm nicht gestattet, dort Teilnehmer zu sein, verhandelt der Film die Unmöglichkeit bürgerlicher Subjektentwürfe im Angesicht des Verkehrs. Dabei bildet die Anerkenntnis des Verkehrs und das Beharren auf bürgerliche Prinzipien der Sinngebung den wesentlichen Antagonismus, der die narrative Entfaltung der Fabel bestimmt. Es ist ein Antagonismus, den der amerikanische Soziologe David Riesman in einer Entwicklungstypologie des amerikanischen Charakters einige Jahre zuvor in den konkurrierenden Modellen von »Radartyp« (Riesman 1958, 137) und »innen-geleitetem Charakter« verortet hatte (ebd., 120). Dass dieser Hulot nicht anders kann, als sich dem Verkehr entgegenzustellen – das macht ihn zu einer komischen Figur. Einen Hinweis, der eine solche Lesart des Films unterstützt, findet sich nicht zuletzt in Selbstzeugnissen Jacques Tatis. In einer Pressemeldung zur Premiere von Playtime, der nach dreijähriger Produktionsphase im Dezember 1967 in Paris uraufgeführt wird, wird dieser mit Bezug auf jenen Typ von Menschen, wie ihn die Figur des Monsieur Hulot repräsentiert, zitiert: »Je suis là pour essayer de défendre l’individu et la personnalité, qu’on respecte les gens […]« (zit. nach AFCAE 2012). Wenn man wollte, könnte man Tatis offenkundiges Insistieren auf die Unverbrüchlichkeit bürgerlicher Konzepte von Individualität gegenüber der Sphäre des gesellschaftlichen Verkehrs als verbindenden Subtext fast aller seiner Filme lesen. Sei es angesichts der Technisierung des Verkehrs (wie in Jour de fête; F 1949) oder in Anbetracht der absurden Eigenlogik der zivilen Mobilisierung (wie in Trafic; F/I 1971): Tatis Filme zeichnet nicht nur aus, dass sie in komischer Folge das Eigenleben der
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Dinge (und der mit ihnen verbundenen »Verdinglichung«) ausstellen, welche dem modernen Menschen Gesten und Bewegungen aufzwingt. Denn es sind nicht nur die Gesten, »that had not yet congealed into any degree of rote familiarity« (Ross 1995, 5) – es ist eine sich als Verkehr formierende Ordnung des Gesellschaftlichen, die radikal neue Umgangsweisen einfordert.
Verkehr und Gesellschaftlichkeit Jacques Tatis Playtime und den Anfang von Robert Musils Mann ohne Eigenschaften eint, dass Verkehr jeweils als Ausdruck gesellschaftlicher Ordnung produktiv wird. ›Gesellschaftlich‹ meint dabei eine Ordnung, die in ebenso expliziter wie emphatischer Abgrenzung zu Formen der Assoziation, die auf Prinzipien der Gemeinschaft beruhen, entworfen wird.21 Der hierin angesprochene Antagonismus von Gesellschaft und Gemeinschaft erweist sich dabei über längere historische Periodisierungen als eine diskursive Figur, die wiederkehrend als Leitunterscheidung in Verhandlungen von Moderne dient, und für deren Problematisierung die Anführung des Verkehrs ihren Sinnzusammenhang erhält. Während es in den 1920er Jahren 21 Neben dieser Gemeinsamkeit lassen sich auch eine Reihe signifikanter Unterschiede, die den Einsatz des Verkehrs in beiden Analysebeispielen kennzeichnen, aufzeigen. Eine kaum zu überschätzende Differenz liegt etwa in der faktischen Bedeutung des Personen- und Warenverkehrs, der sich in den 1920er Jahren wesentlich geringer ausnimmt und im Zeitraum seit den 1960er Jahren mit der Hochphase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem bestimmenden Indikator der ökonomischen und sozialen Entwicklung in Europa geworden ist. Zwar steht der Automobilverkehr bereits in den 1920er Jahren, etwa durch den Motorrennsport, »ganz zentral im Erwartungshorizont der Menschen« (Gömmel 1993, 309). Auch hat der Eisenbahnbau seit Beginn der Industrialisierung neue Formen des Wohnens und Arbeitens ermöglicht. Doch diese Entwicklungen repräsentieren gerade deshalb kulturelle Leitvorstellungen, weil sie sich erst in Teilen – und zwar in den wachsenden Großstädten – erfüllt haben, während zugleich Residuen eines scheinbar ›vormodernen‹ Lebens erhalten geblieben sind. Diese Situation hat sich jedoch insbesondere im Frankreich der 1960er Jahre – so scheint es den zeitgenössischen Beobachtern – mit einem Mal entschieden (vgl. Ross 1995): Das Auto ist nicht nur zum Massenverkehrsmittel aufgestiegen; die »Kultur des Automobils« (Miller 2001) präfiguriert fortan sämtliche lebensweltlichen Bereiche. Zur selben Zeit, in der Playtime entsteht, forciert die Regierung de Gaulle etwa eine Welle von Stadterneuerungsprojekten, welche die Bildung sogenannter Zones à urbaniser en priorité vorsehen, Zonen, »based on the notion of the separation of accommodation, industry and offices, and increasing use of the car« (Gildea 1997, 80, zit. nach Marie 2001, 258). Insofern zeichnen sich zur Entstehungszeit von Playtime gesellschaftliche Entwicklungen ab, die sich in der unmittelbaren Gegenwart noch zugespitzt, verdichtet und expliziert haben.
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jedoch zu einer expliziten Thematisierung kommt, wirken die dabei angestoßenen Debatten für die Gegenwart – so auch für Playtime, und letztlich für alle Bezugnahmen auf den Verkehr insgesamt – implizit fort. Daher lohnt eine genauere Betrachtung der beiden »soziologischen Grundbegriffe« (Lichtblau 2000, unter Bezug auf Weber 1947c). In den 1920er und 1930er Jahren erhält die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft im deutschsprachigen Kontext innerhalb der sich zu jenem Zeitpunkt formierenden Philosophischen Anthropologie eine politische Dimension, die bis heute den Modernediskurs grundiert. Die beiden Begriffe werden als gegensätzliche Modelle konturiert, nach denen sich das menschliche Zusammenleben organisieren ließe – und zwar angesichts der als zersetzend wahrgenommenen Kräfte einer Modernisierung, welche die ständische Ordnung obsolet werden ließ, ohne, so das zeitgenössische Empfinden, an deren Stelle eine auch nur in ihren Konturen erkennbare neue soziale Form treten zu lassen (vgl. Parr 2000). So kennzeichnet Siegfried Kracauer das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft mit den Worten, »Versteht man unter dieser etwa das anorganische Getriebe der entseelten, nur noch zweckbestimmten Menschen, die sich in der durch Kapitalismus und Technik mechanisierten Welt bewegen, so wird jene als das organische Miteinander der ganzen Menschen gedacht, die sich in die richtige Ordnung zu schicken wissen.« (Kracauer 1990d, 268)
Ferdinand Tönnies, der entschieden für eine Politik der Gemeinschaft eintritt, betont bereits 1887, »Gemeinschaft ist das dauernde und echte Zusammenleben, Gesellschaft nur ein vorübergehendes und scheinbares. Und dem ist gemäß, daß Gemeinschaft selber als ein lebendiger Organismus, Gesellschaft als ein mechanisches Aggregat und Artefact verstanden werden soll.« (Tönnies 1963, 5)
Gegen Tönnies wendet sich Helmuth Plessner, der eine Gesellschaft der rein rationalen und anonymen Vertragsbeziehungen, die von Höflichkeit und Takt geprägt sind und in einer »Kultur der Distanz« (Asendorf 2005, 71f.) ihren Ausdruck finden, verteidigt. Seine Kritik des sozialen Radikalismus, so der Untertitel des 1924 erschienenen Werks Grenzen der Gemeinschaft (2002), lässt sich daher als eine entschiedene Verteidigung der Moderne lesen (vgl. Asendorf 2005, 76). Tatsächlich spricht Plessner vom »gesellschaftlichen Verkehr«, den er als »Inbegriff von Möglichkeitsbeziehungen zwischen einer unbestimmten Zahl und Art von Personen« (Plessner 2002, 51) fasst – eine Verwendung, deren Semantik an Robert Musils Rede erinnert, der im Mann ohne Eigenschaften
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in ganz ähnlicher Weise vom »Möglichkeitssinn« (Musil 1981, 16) sprechen wird. Sowohl Tönnies’ Eintreten für die »organische« Gemeinschaft als auch Plessners Hinweis auf die Grenzen derselben lassen sich als Extreme innerhalb eines Diskurses begreifen, der sich an den Verwerfungen der Moderne und den sich daraus ergebenden Fragen nach Modellen glückender Subjektentwürfe abarbeitet (vgl. Lethen 1994; Lethen 2002; Eßbach et al. 2002). Während jedoch Tönnies in der Künstlichkeit des Gesellschaftlichen den Auslöser eines Subjektschwunds identifiziert, erkennt Plessner im Verkehr den Umschlagpunkt einer Subjektermächtigung. Denn, so Plessner, »[j]eder Verkehr zwischen Menschen, welcher des Werkzeugs, des künstlichen Mittels bedarf, hebt sich aus der Gemeinschaftssphäre heraus« (Plessner 2002, 40). Die Zuspitzung auf die Auseinandersetzung zwischen Plessner und Tönnies könnte dazu verleiten, die Grundsätzlichkeit und strukturelle Bedeutung des sich hier andeutenden Konflikts für die Moderne zu unterschätzen. Tatsächlich stellt der Antagonismus von Gesellschaft und Gemeinschaft jedoch bis heute eine Konstante für die Reflexion und Bewältigung der Moderne dar (vgl. Gertenbach et al. 2010).22 Ohne an dieser Stelle auf die detaillierten Linien dieses Diskurses eingehen zu können, wird deutlich, dass der Unterscheidung von Gesellschaft und Gemeinschaft in der politischen Philosophie, in der Kultursoziologie, aber auch in der Kulturkritik bis in die Gegenwart eine weitreichende Produktivität zukommt (vgl. Böckelmann/Morgenroth 2008; Marchart 2010). Kennzeichnend ist, dass vor allem die Kulturkritik von einer grundlegenden Skepsis gegenüber dem Gesellschaftlichen insgesamt geprägt ist: »Alles Technische, Künstliche, Vermittelnde, summa summarum: Mediatisierende im sozialen Verkehr gerät dann unter Verdacht« (Sander 1998, 13). So binden Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung (1947) die von ihnen als »Entfremdung« (ebd., 41) beschriebene Ausbreitung des Gesellschaftlichen explizit an die Sphäre des Verkehrs, wenn sie in der Kritik der »Massenkultur« (ebd., 107) davon sprechen, »daß die Individuen gar keine sind, sondern bloße Verkehrsknotenpunkte der Tendenzen 22 In zentraler Weise geschieht dies etwa im Werk von Jean-Luc Nancy (1988), so in seiner Auseinandersetzung mit Heideggers Begriff des »Mit-Seins« (Nancy 2007; vgl. Bippus et al. 2008), bei Maurice Blanchot (2007), der die Grundstrukturen des Gemeinschaftsdenkens befragt (vgl. Saar 2010; Gertenbach et al. 2010, 154), aber auch bei Zygmunt Bauman (2002), der aus gesellschaftspolitischer Sicht argumentiert, und nicht zuletzt bei Giorgio Agamben, der in einer Kommende[n] Gemeinschaft (2003) den Fluchtpunkt einer gesellschaftlichen Utopie identifiziert.
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des Allgemeinen« (ebd., 184). Diese Diagnose sei umfassend, denn »[d]aß das Verkehrsmittel isoliert, gilt nicht bloß im geistigen Bezirk« (ebd., 263). Einmal mehr wird Verkehr hier als Sinnbild produktiv – und so beschreiben die Autoren die Durchsetzung des automobilen Individualverkehrs gegenüber der Eisenbahn in dessen vermeintlicher Folge für die Individuen: »Wenn sie an Sonntagen oder auf Reisen in den Gasthöfen zusammentreffen, deren Menüs und Räume auf entsprechenden Preisniveaus miteinander identisch sind, so finden die Besucher, daß sie mit zunehmender Isolierung einander immer ähnlicher geworden sind.« (ebd.)23
Markus Schroer vermutet, dass die anhaltende Konjunktur der immer wieder auf Bilder des Verkehrs rekurrierenden Debatte um Gesellschaft und Gemeinschaft ein Indiz für eine generelle Rückwärtsgewandtheit konservativer Kultursoziologie sei. Er, Schroer, hege den Verdacht, »dass aktuelle Zeitdiagnosen nur wohl vertraute Klänge einer nostalgischen Kulturkritik variieren, die den Übergang in die Moderne schon immer mit Skepsis begleitet hat. Obwohl Gesellschaft als Hauptbegriff der Soziologie gilt, zeigen ihre regelmäßig vorgetragenen Krisendiagnosen doch immer wieder, wie sehr sie sich den Idealen der Gemeinschaft verpflichtet fühlt.« (Schroer 2008, 157)
Zu behaupten, dass eine bestimmte Argumentationsweise »nostalgisch« sei und von »Übergängen« zu sprechen, entspricht jedoch einer Sichtweise, die selbst aus dem Geist der Moderne und einer sie bestimmenden Fortschrittssemantik verfährt. Betrachtet man den Antagonismus von Gesellschaft und Gemeinschaft, aber auch die Weisen, wie dieser rhetorisch an Verkehr gebunden wird, und für den umgekehrt Verkehr immer wieder produktiv wird, jedoch nicht als Ausdruck einer sich ausschließenden Konkurrenz, sondern als eine sich wechselseitig bestimmende Dialektik, welche die Formen, »wie Verkehr und Moderne in der gegenwärtigen Kulturtheorie miteinander verflochten werden« (Schlimm 2011, 20), kennzeichnet, treten die Konturen eines Konflikts zu Tage, der seinen Ausgang in einer zunächst latenten, spätestens mit der Postmoderne hingegen explizit werdenden Krise moderner Rationalität selbst nimmt.
23 Eine identische Argumentationslinie findet sich ohne explizite Referenz in Marc Augés Überlegungen zu Orte[n] und Nicht-Orte[n] (1994). Vgl. den entsprechenden Abschnitt im Kapitel Flughafen – Subjekte des Verkehrs der vorliegenden Arbeit.
Postmoderne Zirkulation Die Krise moderner Rationalität Die ›Idee‹ des Verkehrs und die ihr zugrundeliegende Rationalität geraten im Zuge dessen, was sich zunächst als Bruch mit modernen Prinzipien durch eine modernistische Ästhetik, die seit dem 19. Jahrhundert Gestalt gewinnt, ankündigt, und schließlich zur Proklamation der Postmoderne führt, welche der ästhetischen eine philosophische Dimension anheim stellt, in eine entscheidende und anhaltende Krise. Und doch stellt die Postmoderne nicht nur eine Krise dar; sie erweist sich zugleich als Modell eines veränderten Umgangs mit den in ihrer Folge nicht zu mehr zu leugnenden Paradoxien der Modernisierung. Die maßgebliche Orientierung an Vernunft, die im Rationalismus der Aufklärung ihre moderne Ausprägung findet, ist nicht nur eine wesentliche Erscheinung der Moderne (vgl. Vietta 2012). Die Affirmation einer umfassenden Rationalisierung stellt vielmehr eine entscheidende Bedingung des Modernisierungsprozesses selbst dar. So beschreibt Max Weber in der Protestantischen Ethik (1973), wie Rationalisierung im Sinne einer Zweckrationalität, die instrumentelles Handeln bedingt, die notwendige Voraussetzung für die soziale Praxis der Modernisierung bildet. Weber begreift die Durchsetzung dieser Rationalität als eine Entwicklung, die umfänglich für sämtliche lebensweltlichen Zusammenhänge Geltung beansprucht. Denn, so Weber, »[d]ie Lebensinhalte überhaupt werden nicht auf Personen, sondern auf ›sachliche‹, rationale Zwecke ausgerichtet« (ebd., 347). Konsequenterweise identifiziert Weber die bürokratische Herrschaft als »die modernste Form der Gesellschaftsorganisation« (Jameson 2004, 217), erscheint ihm diese doch in beispielhafter Weise als Ausdruck »sachlichen« Handelns: »›Sachliche‹ Erledigung bedeutet in diesem Fall in erster Linie Erledigung ›ohne Ansehen der Person‹ nach berechenbaren Regeln. ›Ohne Ansehen der Person‹ aber ist auch die Parole des ›Marktes‹ und aller nackt ökonomischen Interessenverfolgung überhaupt.« (Weber 1947c, 661f.)
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Für die mit der Anerkenntnis der Marktprinzipien einhergehende Veränderung menschlicher Beziehungen, ja, des Menschen selbst, findet Georg Simmel bereits 1900 einen Begriff, der einschlägig werden sollte: Er spricht davon, dass der Mensch angesichts des Geldverkehrs »rechenhafter« (Simmel 1900, 500) werde. So gilt, dass »[a]lle Beziehungen und Tauschvorgänge […] sich auf ihre Berechenbarkeit [reduzieren]. Denn Tausch sucht Mittel für die Erreichung von Zwecken effizient einzusetzen« (Junge 2006, 91). Die sich bei Simmel abzeichnende Form der Vergesellschaftung entspricht einem Modell, das Michael Makropoulos (2008) als kennzeichnend für die Moderne beschrieben hat: die »objektorientierte« Vergesellschaftung. Diese zeichne sich durch das Spezifikum aus, dass sie »anonym« sei: »Vergesellschaftung durch Architektur und Konsum ist buchstäblich die Versachlichung von Vergesellschaftungsprozessen, die deshalb auch nicht mehr in Sozialisationsprozessen aufgehen, sofern man unter ›Sozialisation‹ autoritäts- oder wertbezogene moralische Prozesse der Vergesellschaftung versteht.« (ebd., 51)
Bezeichnenderweise spricht Makropoulos denn auch von einem »Primat des Verkehrs«, der ihm als Ausdruck eines gesellschaftlichen Programms der Anonymisierung und Einübung in die fortdauernde Kontingenz einer »artifiziellen Wirklichkeit der Moderne« scheint (ebd., 63). Die in solcherart Diagnosen gefasste Entwicklung trifft allerdings früh auf eine Kritik, die fortlaufend aktualisiert worden ist. Denn sowohl die klassischen soziologischen Texte, insbesondere jedoch die Kritische Theorie und die aus ihr entwickelten poststrukturalistischen Ansätze eint, dass sie den Rationalismus der Moderne mit größter Skepsis betrachten (vgl. Zima 2001, 47ff.; Imbusch 2005; Miller/Soeffner 1996). So bezeichnet bereits Weber selbst eine »durchrationalisiere Beamtenbürokratie« als »schwere politische Gefahr« (vgl. Weipert 1965, 183 zit. nach Zima 2001, 49). Und dass der moderne Fortschritt stets die Möglichkeit eines Rückfalls in die Barbarei impliziert, stellt die zentrale Überzeugung von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung (1947) dar. Aus ihrer Sicht erweist sich Aufklärung letzthin stets als »radikal gewordene, mythische Angst« (ebd., 27). Adornos und Horkheimers Kritik der zwangsläufigen »Verselbständigung instrumenteller Sozialpraktiken« (Bonacker/Römer 2008, 360), die Jürgen Habermas (1981) als Ausfluss der »subjektzentrierten Vernunft« zu interpretieren suchte, mündet schließlich in eine entschiedene Absage »instrumenteller Vernunft« bei Zygmunt Bauman (1992a). Soziologisch begründet, erkennt er in der Präferierung dieser Erscheinung von Rationalität jene Voraussetzung, aus der sich die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts entwickeln konnten.
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Bemerkenswert ist, dass eine solche Kritik, die das Ordnungsdenken der Moderne und den ihr zugrundeliegenden Primat der Rationalität betrifft, bereits zu einem frühen Zeitpunkt auch auf den Verkehr angewandt wird: Was Verkehr an Vernunft und Funktionalismus etabliert, dass kassiert und negiert er auf unerbittliche Weise im Hinblick auf bürgerliche Konzepte wie ›Sinn‹, ›Substanz‹ oder Vorstellungen wie der Unverbrüchlichkeit von Individualität. Ein Ausdruck hiervon ist die Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Verlust bürgerlicher Umgangsformen der ›Höflichkeit‹, einem kulturellen Konzept der frühen Neuzeit, dessen Adaption als ›civilité‹ mit dem politischen Aufstieg des Bürgertums einherging (vgl. Elias 2001), angesichts des Verkehrs. So kritisiert Kurt Tucholsky 1929 ein, wie er behauptet, »typisch deutsches« Beharren auf die vollumfängliche Regelung des Verkehrs, der er die Vorstellung einer nahtlosen und situationsbezogenen Integration des Individuums in den Verkehr gegenüber stellt: »Das kommt daher, daß die Deutschen sich einbilden, man könne eine Sache zu Ende organisieren. Das kann man eben nicht. Man kann eben nicht alles kodifizieren, vorherbestimmen, ein für allemal voraussehen, alle jemals vorkommenden Lagen bedenken, sie ›regeln‹ und dann keinen Einspruch mehr gelten lassen… so sieht die Justiz dieses Landes aus, und sie ist auch danach. Auf den Straßen aber ergibt sich das groteske Zerrbild, daß der Fußgänger der Feind des Autos ist, das er neidisch und verächtlich ignoriert – er wird es den Brüdern schon zeigen –; der Fahrer Feind des Fußgängers – wo ick fahre, da fahre ick – ums Verrecken bremst er nicht vorsichtig ab, fährt nicht um den Fußgänger herum, weil ›der ja ausweichen kann‹… und aller Feind ist der regelnde Mann: der Polizist.« (Tucholsky 1975, 308)
Ein Jahr später berichtet Siegfried Kracauer in einem bemerkenswerten Aufsatz, der den beziehungsreichen Titel Kleine Signale (1990c) trägt, von zweierlei: dem Besuch eines Caféhauses und dem Phänomen des gelben Lichts der Verkehrsampeln. Das eine scheint mit dem anderen wenig gemein zu haben. Und doch erkennt Kracauer eine Verbindung: Sie liegt für ihn darin, wie der Einzelne »entmenschlicht« werde – der Kellner im Caféhaus wie der Autofahrer gleichermaßen: »Es fehlt der menschliche Kontakt zwischen den Menschen, sie sind nur noch die Vollstrecker ökonomischer und sozialer Funktionen. Apparate und Idole stehen einander hart gegenüber« (ebd., 235). So sei der Kellner nicht aufgrund eines Selbstverständnisses freundlich zum Gast, sondern weil er dazu ermahnt worden sei. In der gleichen Weise wirke die Gelbphase der Verkehrsampeln, denn »durch die Einschaltung des Zwischenlichts wird die Rücksichtnahme gewissermaßen objektiviert und die Initiative aus den Menschen herausgesetzt« (ebd.). Bereits in diesen frühen Beobachtungen wird eine ausgeprägte Konstante in der Problematisierung von Verkehr deutlich: Einerseits erscheint Verkehr
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als Ausdruck der Rationalität der Moderne und modernen Fortschrittsdenkens. Doch zugleich und stets, so hat Anette Schlimm für die Diskurse der sich formierenden Verkehrswissenschaft der 1950er und 1960er Jahre gezeigt, »ist er […] Bedrohung (durch Auflösung aller sozialen Bindungen)« (Schlimm 2011, 23). Sowohl die historischen Verkehrsdiskurse – ein Beispiel hierfür stellte die Exposition des Mann[s] ohne Eigenschaften dar – als auch eine gegenwärtigere Bezugnahme auf Verkehr als »Beschreibungsmodus der Moderne« (ebd., 28), wie sie sich prototypisch und in prägnanter Weise in Playtime abzeichnet, kennzeichnet daher eine tiefgreifende Paradoxie: In der solitären Vertraglichkeit, welche der Verkehr bedeutet, seiner ›Gesellschaftlichkeit‹, liegt eine fortwährende Bedrohung. Denn jede soziale Ordnung, die der Verkehr etabliert, erscheint insofern vorläufig, als sie funktionalistisch und zweckrational bestimmt ist und daher zu jedem Augenblick flüchtig bleiben muss. Auch Jacques Tatis Film Playtime verhandelt die Ambivalenz modernen Ordnungsdenkens, das sich im Verkehr abzeichnet. Allerdings – und das ist das Entscheidende – wählt der Film eine Umgangsweise mit dem sich hieraus ergebenden Konfliktpotential, die sich deutlich von den Einlassungen Kracauers und Tuchoskys, aber auch den radikalen Lösungsversuchen Plessners und Tönnies’ unterscheidet. Vierzig Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Teils des Mann[s] ohne Eigenschaften, nach den Erfahrungen von Faschismus, zweitem Weltkrieg und der Shoah sucht der Film nach einer Antwort auf die von Musil aufgeworfene Frage, was mit dem Subjekt, das in den Verkehr gerät, geschieht. Doch bietet der Film tatsächlich eine Antwort an? Die einleitende Betrachtung von Playtime hat schließlich verdeutlicht, dass der Film aus den Beobachtungen, was passiert, wenn das Ordnungsdenken des Verkehrs nicht nur für den Straßenverkehr im engeren Sinne, sondern für alle Formen gesellschaftlichen Umgangs wirksam wird, sein komödiantisches Potential gewinnt. Die Pointe von Playtime liegt gerade darin, dass die so formulierte Frage notwendigerweise offen bleiben muss, weshalb sich in der Folge sowohl eine konservative Kulturkritik als auch die Apologeten modernistischer Ästhetik auf Tatis Film berufen können: Den einen erscheint der Film als eine notwendige Kritik der Künstlichkeit und Normierung menschlichen Verhaltens, den anderen als ikonisches Beispiel des Avantgardekinos. Playtime tritt dem Verkehr weder affirmativ, noch aus dem Geiste einer kulturkonservativen Haltung entgegen. Seine Repräsentationspolitik beruht auf einem ästhetischen Verfahren, das mit dem offensichtlichen Widerspruch zwischen der Wahl des filmischen Ausdrucks und dem, was sich die »semantische Substanz« (Metz 1972, 38) des Films nennen ließe, spielt.
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Denn einerseits, so wurde gezeigt, erscheint Playtime gefangen von den Oberflächenerscheinungen des Verkehrs, dem bruchstückhaften und doch funktionalen Sprachengemisch am Flughafen, der modernistischen Architektur, die das Set Design aufbietet, kurzum: all jenen Erscheinungsformen, denen die Figur des Monsieur Hulot bis zum Schluss hilflos gegenübersteht. Mittels langer Plansequenzen und unter Zuhilfenahme eines filmischen Ausdrucks, der, auch das wurde bereits gezeigt, die Herkunft des Mediums aus der verwissenschaftlichten Beobachtung aufruft, etabliert Playtime einen visuellen Stil, für den sich der von Jay D. Bolter und Richard Grusin geprägte Begriff der »hypermediacy« (Bolter/Grusin 2000, 272) anwenden ließe. Und so erscheint nur konsequent, wenn Playtime in der Filmwissenschaft häufig als prägnantes Beispiel für einen hochgradig modernistischen Film und als Paradigma intellektuellen Filmemachens gelesen wird. So erscheint er seit vielen Jahren auf der jährlich vom British Film Institute veröffentlichten Liste der Top 50 Greatest Films of All Time (British Film Institute 2012) und Laurent Marie konstatiert unter Bezug auf Kristin Thompson (1988), »Play Time has since often been considered an avant-garde film mostly for its mise-en-scene and its modification of the comedy genre in terms of narrative and characterization« (Marie 2001, 257). Diesem Modernismus, der sich auf der Ebene des »Stils« (Bordwell 2001) beobachten lässt, steht jedoch ein Merkmal des Films gegenüber, das sich nicht ohne Weiteres einer modernistischen Haltung zurechnen lässt: das komisch gewendete, permanente Scheitern der Hauptfigur. Denn Monsieur Hulot bleiben die Versprechen einer sich im Verkehr versinnbildlichen Ordnung versagt, und mit dem Effekt der Komik führt der Film ein ums andere Mal vor, wie sich die Versprechen der Moderne nicht erfüllen, wie sie, gleich den technischen Erfindungen in der Eingangssequenz, ihren Funktionsnachweis schuldig bleiben. Playtime lässt sich damit als Ausdruck einer Haltung lesen, welche die Moderne hinter sich lässt: Die eben nur scheinbar funktionale, moderne Ordnung, die Playtime im Verkehr erkennt, bleibt paradox und inkommensurabel. In einer solchen Geste aber, mit der die Kunst die »Paradoxien und Inkommensuabilitäten« der Moderne hervortreten lasse, identifiziert Jean-François Lyotard (1985, 85) ein wesentliches Moment der Postmoderne, deren ästhetische Erscheinung er in der permanenten Wiederholung des Modernismus fasst.
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Die Privatisierung von Ambivalenz Im Anschluss an Jean-François Lyotard (1979) beschreibt Zygmunt Bauman in seiner soziologischen Studie Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit (1992b) das Wesen der Postmoderne als eine fortgesetzte und radikalisierte Selbstreflexion der Moderne. Dabei bestimmt er ihren Eintritt über die Anerkenntnis der ihr zugrundeliegenden Paradoxien: »Postmoderne ist nicht mehr (aber auch nicht weniger) als der moderne Geist, der einen langen, aufmerksamen und nüchternen Blick auf sich selbst wirft, auf seine Lage und seine vergangenen Werke, nicht ganz überzeugt von dem, was er sieht, und den Drang zur Veränderung verspürt. Postmoderne ist die Moderne, die volljährig wird: Die Moderne, die sich selbst aus der Distanz betrachtet statt von innen, die ein vollständiges Inventar von Verlust und Gewinn erstellt, sich selbst psychoanalysiert, die Absichten entdeckt, die sie niemals zuvor so gründlich analysiert hat, und findet, dass sie sich gegenseitig ausschließen und widersinnig sind. Postmoderne ist die Moderne, die sich mit ihrer eigenen Unmöglichkeit abfindet.« (ebd., 333)
Die ›Möglichkeit‹ der Moderne hatte Jean-François Lyotard, sich auf Jürgen Habermas’ Rede von der Moderne als unvollendete[m] Projekt (Habermas 1981) beziehend, mit der polemischen Bemerkung zu desavouieren versucht, »›Auschwitz‹ kann als ein paradigmatischer Name für die tragische ›Unvollendetheit‹ der Moderne genommen werden« (Lyotard 1987, 33). Wenn Bauman daher davon spricht, dass es sich nunmehr mit der »Unmöglichkeit« derselben abzufinden gelte, dann folgt daraus für ihn das Scheitern einer spezifischen Aufgabe, der sich die Moderne verschrieben habe: Nämlich der »Aufgabe der Ordnung«, respektive der »Ordnung als Aufgabe« (Bauman 1992b, 16). Tatsächlich, so behauptet Bauman weiter, sei »Ordnung und die Möglichkeit, sie zu erzwingen […] der Fluchtpunkt der Moderne« (ebd., 23). Im Versuch der kategorischen Aufhebung und »Auslöschung« (ebd., 22) aller Ambivalenz lasse sich nicht nur der »Geist der Moderne« (ebd., 46) verorten. Ihr Impuls bilde vielmehr »die typisch moderne Praxis, die Substanz moderner Politik, des modernen Intellekts, des modernen Lebens« (ebd., 22). Doch der Anspruch der Moderne, »die Welt durchschaubar zu machen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil er die grundsätzliche Ambivalenz der Welt und die Zufälligkeit unserer Existenz, unserer Gesellschaft und unserer Kultur leugnete« (ebd., Klappentext).24 24 Die hier angesprochene Beurteilung der Moderne ähnelt in ihrem argumentativen Ausgangspunkt der von Bruno Latour (1998) vorgebrachten Kritik. Während Latour jedoch das Scheitern der Moderne, deren Praxis er als »Reinigungs- und Übersetzungsarbeit« (ebd., 20) kennzeichnet, auf eine grundlegende Selbsttäu-
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Die grundlegende Paradoxie der Moderne liege gerade darin, dass jene Ambivalenz, die zu bannen sie angetreten sei, »im Prozess kultureller Ordnungserzeugung notwendigerweise entstehen muss« (ebd., 65f.) – woraus sich ergebe, dass die Moderne in ihrem Wesenskern zum Scheitern verurteilt sei. Denn »[u]nter den vielen unmöglichen Aufgaben, die die Moderne sich selbst gestellt hat und die die Moderne zu dem gemacht haben, ragt die Aufgabe der Ordnung […] heraus – als die am wenigsten mögliche unter den unmöglichen und die am wenigsten entbehrliche unter den unentbehrlichen« (Bauman 1992b, 16).
Als diejenige gesellschaftliche Institution, der die Arbeit an der Ordnung in der Moderne zukomme, identifiziert Bauman dabei den Staat. Sein Wirken, das er als »gärtnerisch« (ebd., 51) beschreibt, habe jedoch letztlich – und hier bezieht sich Bauman auf die Dialektik der Aufklärung (Adorno/Horkheimer 1947) – in den Totalitarismus, vor allem aber in die Shoah des 20. Jahrhunderts geführt. Mit dem Scheitern des Staates sei die Arbeit an der Ordnung jedoch nicht obsolet geworden. Den Bruch zwischen Moderne und Postmoderne markiere vielmehr, dass ihre Aufgabe in der Gegenwart an die Subjekte delegiert worden sei – sie sei, so Bauman, gleichsam »privatisiert« worden (Bauman 1992b, 35). Mit dieser »Privatisierung« einher gehe die Einsicht in die prinzipielle Unabschließbarkeit der Aufgabe: Der Umgang mit ihr sei »[w]ie alles andere […] zu einer der Stützen in dem Postmoderne genannten Spiel geworden« (ebd., 343).25 Die »Erlangung von Klarheit der Absicht und Bedeutung«, so subsummiert Bauman, »ist zu einer individuellen Aufgabe und persönlichen Verantwortung geworden. Die Anstrengung ist etwas Persönliches. Und ebenso das Scheitern der Anstrengung. Und der Vorwurf für das Scheitern. Und das Schuldgefühl, das der Vorwurf mit sich bringt« (Bauman 1992b, 311).
schung zurückführt und folglich auch ihre postmoderne Revision ablehnt, entwirft Bauman die Postmoderne als errettende »Chance«: »Die Postmoderne ist, weil sie eine Reflexion der Moderne ist, eine Chance für die Moderne, ihre innere Struktur zu erkennen. Ebenso eine Chance, um die Unmöglichkeit ihres Anliegens, eine eindeutige Ordnung zu schaffen, zu akzeptieren« (Junge 2006, 62). 25 Ähnlich argumentierend, hat Wolfgang Welsch in Anlehnung in Unsere postmoderne Moderne (1987) die Postmoderne als Auflösung der moderner Einheit und Anerkenntnis von Multiplizität affirmiert.
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Im Kreisverkehr Für die »Privatisierung« der Arbeit an der Ordnung und den damit einhergehenden Umgangsweisen mit Ambivalenz wählt Playtime ein sinnfälliges Bild: einen Kreisverkehr. Die letzte Einstellung des Films kann als Evidenz jener von Bauman als »Deregulierung der Postmoderne« (Junge 2006, 368) beschriebenen Umgangsweise mit dem Konflikt modernen Ordnungsstrebens gelesen werden – und diese Operation ermöglicht es Playtime, Fragen nach der sozialen Ordnung in eine räumliche, und das heißt: eine filmisch repräsentierbare Struktur zu überführen. Die Einstellung erschließt einen filmischen Raum, der über Verfahren der Kadrierung und Montage, des Set Designs und Sound Designs als Kreisverkehr lesbar wird. Was wir sehen, ist eine Anordnung unablässig rotierender Fahrzeuge im Verkehr, unterlegt von einer extradiegetischen Musik, welche den Eindruck, einer Jahrmarktsattraktion ansichtig zu werden, noch verstärkt. Das Bild des Kreisverkehrs erscheint damit als Ausdruck einer uneigentlichen, sich im Titel des Films andeutenden »play time«, eines Spiels, das in die Geste eines Als-ob mündet, mit welcher der Film, vielleicht, ohne davon zu wissen, die endgültige Abkehr vom Modernismus und die Hinwendung zu postmodernen Verweisstrukturen vollzieht. Die räumliche Struktur des Kreisverkehrs steht somit im Schnittfeld von kulturellen Diskursen und bildbezogenen Politiken, die es symbolisch aufladen und lesbar machen. Verkehr im engeren Sinne bildet in Playtime den Auslöser für komödiantische Verwicklungen. Zugleich machen die Politiken seiner Repräsentationen diesen engeren Verkehr für einen größeren Kontext produktiv: Verkehr erscheint – in einem weiten Sinne – als ein Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen. So kann Verkehr eine Selbsterzählung der Moderne verkörpern, die in ganz unterschiedlicher und keineswegs zu vereindeutigender Weise kulturell produktiv wird, und die selbst Sinnbild ist – im Falle von Playtime: Das Bild der leerlaufenden Bewegung, a »congestion leading to nowhere« (AlSayyad 2006, 115), einer sich selbst genügenden Zirkulation. Einige Jahre vor Tatis Film wählt Henri Lefebvre für die Beschreibung gesellschaftlicher Zirkulation ebenfalls ein Bild des Verkehrs, wenn er von der kreisenden Fahrt des Automobils spricht, die er beschreibt als »simultaneity without exchange, each element remaining enclosed in its own compartment, tucked away in its shell« (Lefebvre 1961, 100f.). Das Bild, mit dem Playtime schließt, lässt sich jedoch nicht nur mit Blick auf eine kulturkritische Diagnose lesen. Der filmischen Einstellung des Kreisverkehrs wohnt zugleich eine Selbstreferenz inne, ist doch »[d]er Kreisel […] vor allem auch die Filmspule, deren Bilder der Projektionist mit einem
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Knopfdruck zum Laufen bringt und uns damit zur nächsten Kinovorstellung einlädt« (Sykora 2005, 38). Abbildung 2: Trafic (F/I 1971, R: Jacques Tati), Filmstill
Tatsächlich ist der letzten Einstellung eine weitere vorangestellt: In ihr sehen wir, wie eine Münze in einen Parkautomaten eingeworfen wird, was filmisch über die découpage als Auslöser der Bewegung des zuvor stillgestellten Verkehrs gedeutet wird. Wenn die Montage über die Leerstelle des Filmschnitts eine narrative Logik zwischen dem Einwurf und dem sich daraufhin scheinbar in Bewegung setzenden Kreisverkehr herstellt, dann fungiert dieses Motiv als »Anstifter der Funktion eines regelrecht apparativen Systems« (Wendler/Engell 2009, 42, mit Bezug auf Walker 2005, 270ff.): Der Film modelliert die Funktionslogik des Kreisverkehrs als seinen eigenen Effekt, als Folge dezidiert filmischer Verfahren. Und schließlich ruft das Bild des Kreisverkehrs intertextuelle Bezüge auf. Denn die Einstellung scheint nicht nur das emblematische Bild des Kinderkarussell aus Jour de Fête (F 1948) zu zitieren und ironisch zu brechen. Auch der spätere Trafic (F/I 1971) wird ein ähnliches Bild aufweisen: grotesk kreiselnde, nach einer Massenkarambolage zerstörte Fahrzeuge inmitten einer vorfahrtsgeregelten Verkehrskreuzung (Abb. 2). Das Schicksal der Kleinbürgers Hulot, der sowohl in Playtime als auch in Trafic in den Verkehr gerät, erinnert daher an das Marx’sche Diktum, demzufolge sich Geschichte stets zweimal vollziehe – zuerst als Tragödie, dann als Farce.
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Dass für Playtime die Verräumlichung eines Kreisverkehrs produktiv wird, um aus einer Gegenwartsdiagnose ein Sinnbild zu entwickeln, ist jedoch alles andere als zufällig. Denn die 1960er Jahre bilden nicht nur die Entstehungszeit von Playtime. Sie stellen auch dasjenige Jahrzehnt dar, in welchem – ausgehend von Großbritannien und Frankreich – Verkehrspolitik, Straßenverkehrsplanung und Straßenbautechnik den Kreuzungstyp des Kreisverkehrs in seiner modernen Ausprägung erfinden (vgl. Robinson 2000, 2). In einem Handbuch des U.S. Departments for Transport, das die Vorteile von Kreisverkehren aufzählt, heißt es, »A roundabout brings together conflicting traffic streams, allows the streams to safely merge and traverse the roundabout, and exit the streams to their desired directions. The geometric elements of the roundabout provide guidance to drivers approaching, entering, and traveling through a roundabout.« (ebd., 82)
Anders als durch Ampelanlagen geregelte Kreuzungen, die ein hierarchisches Regulierungsmodell zur Steuerung von Verkehrsströmen darstellen, liegt das Funktionsprinzip von Kreisverkehren in der Bereitstellung einer sekundären Führung (»guidance«), welche die, mit Bauman gesprochen, »Ambivalenzen« des Verkehrs nicht zugunsten einer binaristischen Ordnung aufzulösen sucht, sondern den Umgang mit ihnen den einzelnen Verkehrsteilnehmern auferlegt. Denn »[b]ei einem Kreisverkehr wird dem Autofahrer weit mehr Verantwortung übertragen, als es dies bei einer Ampelanlage der Fall ist. Diese legt genau fest, wann gefahren werden darf. Der Kreiselfahrer entscheidet selbst, wann es weiter geht« (Goerg 2011). So beschreibt der Verkehrswissenschaftler Werner Brilon, der in den 1980er Jahren in Deutschland, das sich im Hinblick auf Kreisverkehrsplätze getrost als ›verspätete Nation‹ bezeichnen darf, maßgeblich die Einführung von Kreisverkehrsanlagen vorangetrieben hat, in der Wochenzeitung Die Zeit deren Funktionsprinzip mit den Worten, dass diese »viel Rücksicht und gentleman agreement« (Strassmann 2001) voraussetzten. Eine entscheidende Bedingung hierfür liege, so Brilon, in der »Gabe, sich auf andere Verkehrsteilnehmer einzustellen« (ebd.). Die Tugend der Höflichkeit, die Tucholsky und Kracauer durch die funktionalistische Ordnung des Verkehrs negiert sahen, wird im Hinblick auf die postmoderne Fassung des Verkehrs somit in den Stand einer notwenigen Voraussetzung erhoben. Denn im Kreisverkehr, so scheint es, ist jene Eigenschaft systemisch geworden, die Kracauer in einem Essay, das im November 1932 in der Frankfurter Zeitung erscheint, und in welchem er die Auswirkungen der Errichtung eines Rondells auf dem neugestalteten Alexanderplatz beschreibt, noch in weiter Ferne scheint. In diesem Bild des Verkehrs, das Kracauers Text aufruft, »umkreisen [alle] diese grüne
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Rasenfläche, die wie ein Niemandsland daliegt […]. Den unaussprechlichen Frieden, den sie ausströmt, können auch die gelben Straßenbahnen nicht stören« (Kracauer 1990a, 151). Heute hingegen stellen Kreisverkehre aus Sicht der Straßenverkehrsplanung eine Form der Verkehrsführung dar, die sich entgegen vorfahrts- oder ampelgeregelten Kreuzungen gerade dadurch auszeichnet, dass sie Verkehrsteilnehmer zu Eigenverantwortung, Rücksichtnahme und kooperativem Verhalten auffordert und die Steuerung des Verkehrsflusses diesen selbst anvertraut. Wenn dies gelingen soll, ist die Bereitstellung von Wissen um die Funktion des Kreisverkehrs eine wichtige Prämisse. So vermerkt das Handbuch des amerikanischen Verkehrsministeriums, »One of the important issues facing a State considering the implementation of roundabouts is the need to provide adequate driver, cyclist, and pedestrian education« (Robinson 2000, 43). Das Dispositiv ›Kreisverkehr‹ erweist sich so in letzter Konsequenz als eine Kreuzungsform, die sich im Kontext »gouvernementaler« Formen der Macht beschreiben ließe. Mit der Durchsetzung dieser politischen Rationalität, die von Michel Foucault (2004) im Rahmen seiner Analytik der Macht untersucht und von den Governmentality Studies als für die Gegenwart bestimmend beschrieben worden ist, geht »nicht per se die Abwesenheit von Herrschaftseffekten« (Bröckling et al. 2000, 28) einher, sondern es sind Formen der Selbstregierung, deren zentrale Momente der Appell an Eigenverantwortung und die Bereitstellung von Wissen darstellen, die an Bedeutung gewinnen (vgl. Lemke 1997; Reichert 2004). Zwar ohne Bezug auf Foucault, aber in inhaltlich entsprechender Weise beschreibt Bauman den postmodernen Umgang mit Ambivalenz als bestimmt durch »das Netzwerk des Fachwissens, unterstützt und vermittelt vom Verbrauchermarkt, als eine Situation […], in der Individuen im Verlauf ihrer privaten, selbstkonstruktiven Anstrengungen […] allein mit dem Problem der Ambivalenz konfrontiert sind« (Bauman 1992b, 36).
Solche von Bauman apostrophierten »privaten, selbstkonstruktiven Anstrengungen« sind von Michel Foucault mit dem Konzept der Technologien des Selbst (1984) beschrieben und auf die Gegenwart zu übertragen versucht worden (vgl. Martin et al. 1993). Die Verhandlung postmoderner Modi der Herstellung gesellschaftlicher Ordnung und die Strategien des Umgangs mit der dabei entstehenden Ambivalenz basieren in Kulturtheorie und Kunst auf der Produktivität von symbolischen Verräumlichungen, deren Emergenz Ausdruck und Voraussetzung ei-
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ner veränderten Wahrnehmung und eines neuen Begriff davon, was Verkehr zu bedeuten scheint, ist: Die rationale Ordnung des Sozialen erweist sich als Zirkulation, die um ihrer selbst willen geschieht.
»Autobahnschleife« Ein elaboriertes Beispiel für die Vorstellung von Verkehr als selbstbezüglicher Zirkulation findet sich in einer künstlerischen Arbeit der aus Marc Weis und Martin De Mattia bestehenden Gruppe M+M, die den Titel Autobahnschleife (2000) trägt. Der Titel des Werks bezeichnet ein fiktives Verkehrsbauwerk, bei dem es sich um die Erweiterung einer bestehenden Talbrücke der italienischen Autobahn A 27 in der Nähe der Kleinstadt Vittorio Veneto handelt, die, so wird suggeriert, im Zuge der Vollendung des Kunstwerks um eine kreisförmige Fahrbahn, die schleifenförmig an die bestehende Trasse anschließt, ergänzt wird. Die Gruppe beschreibt das 1996 begonnene Work-in-Progress mit den Worten, »Das Projekt bietet dem Autofahrer die Möglichkeit, an einem ausgesuchten Abschnitt der Autobahn von dieser abzufahren, eine 360 Grad-Kurve zu beschreiben, um danach wieder auf die Schnellstraße zurückzukehren. Das Vorhaben wird in enger Zusammenarbeit mit einem Ingenieurbüro entwickelt. So wurde zunächst ein genauer Plan für die Konstruktion des Bauwerks erstellt. Ein digital bearbeitetes Foto und eine Videosimulation veranschaulichen die Skulptur und das Fahrgefühl in der Landschaft bei Vittorio Veneto/Italien. Die ›Ausschreibung‹ in Buchform ermöglicht eine genaue Kostenkalkulation. Weitere Schritte bis zur endgültigen Realisierung der Autobahnschleife sollen folgen.« (M+M 2003)
Das Werk besteht aus einem sogenannten Erläuterungsbericht (2000), einem Künstlerbuch, das der äußeren Form nach vermeintliche Merkmale eines bauplanerischen Vorentwurfs aufgreift und eine Reihe technischer Zeichnungen, Detail- und Übersichtspläne sowie eine Serie von Fotomontagen enthält (Abb. 3). Darüber hinaus existiert eine computeranimierte 3D-Videosimulation des Bauwerks. Der Materialität des Buches kommt eine entscheidende Bedeutung zu: Mit der Verwendung einer Spiralbindung, der Beilage einer auf halbtransparentem Entwurfspapier gefertigten, herausnehmbare Konstruktionszeichnung und durch die typografischen Gestaltung wird versucht, den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei dem beschrieben Vorhaben um ein tatsächlich zu realisierendes Projekt handele. Auch die Einlassungen der Künstler wecken, indem diese mit großer Ernsthaftigkeit von einem »genaue[n] Plan« und der Ermöglichung einer »genauen[n] Kostenkalkulation« sprechen, entsprechende Erwartungen der Leserinnen und Leser. Diese Er-
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wartungen werden jedoch gleichzeitig konterkariert: Nicht nur ist der Band durch sein Impressum als Künstlerbuch markiert, auch der Umschlag weist auf eine Herausgeberschaft sowie eine limitierte Auflage von 500 nummerierten Exemplaren hin. Bei genauerer Betrachtung stellt sich zudem die konstruktive Planung des Bauwerks alles andere als »genau« heraus. In Form einer Collage werden vielmehr Versatzstücke aus dem Inventar der Textsorte Bauplanung angeordnet, ohne dass diese in ihrer Summe eine konsistente Konzeption ergäben. Abbildung 3: M+M, Ohne Titel, Fotosimulation (1996)
»Das mutet absurd an«, beschreibt Wolfgang Ullrich (2004, 151) in einem Katalog, der anlässlich der Ausstellung der filmischen Arbeiten von M+M im Museum für Fotografie der Staatlichen Museen Berlin entstanden ist, denn auch das Work-in-Progress. Der Eindruck von Absurdität entsteht vor allem dadurch, dass die Ernsthaftigkeit und Rationalität der Umgangsformen einer sachlogischen, modernen Entwurfs- und Konstruktionspraxis der äußeren Form nach aufgegriffen, durch die Abwesenheit einer sich sinnfällig erschließenden Zweckrationalität jedoch hintertrieben werden. Ullrich kennzeichnet die künstlerische Rolle von M+M daher als die von »Agenten«, und beschreibt deren Arbeitsweise mit den Worten, »Den Anfang macht immer ein Konzept, das den geplanten Eingriff in ein System vorstellt. Dabei präsentieren M+M ihre Konzepte in den zur Darstellung des Systems gängigen Bildsprachen, womit bereits auf dieser ersten Stufe die gesamte Autorität des anderen Bereichs zur Geltung kommt.« (ebd., 150)
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In einem Interview, das Reinhard Spieler mit Weis und De Mattia geführt hat, scheinen diese eine solche Einschätzung zu bestätigen. Sie äußern, »Es gibt also das Autobahnnetz, das ein scheinbar selbstverständlicher, unbestrittener Teil unseres Alltagslebens ist. Wir überlegen uns dann, wie wir dieses System aufbrechen, es in etwas Neues überführen oder etwas Fremdes einbauen können. Die Fragestellung besteht darin, das System zu benutzen und es gleichzeitig zu unterminieren.« (M+M 2004, 100f.)
Das sich hier abzeichnende künstlerische Verfahren erstreckt sich nicht nur auf die Gestaltung des Künstlerbuchs, sondern umschließt auch die Beteiligung der Autoren und ihres Umfelds an der diskursiven Hervorbringung der Bedeutung des Werks. In einem Begleittext, der in der äußeren Form eines Interviews mit den Künstlern, die jedoch nur mit »Ja«, respektive »Ja, natürlich« antworten, gestaltet ist, beschreibt Christoph Keller fiktive Folgen der vermeintlichen Entwurfsplanung der Autobahnschleife: »Während der Projektphase wurde auf das Projekt bereits von vielen verschiedenen Seiten reagiert. Bundesinnenminister a.D. Gerhard Baum hat sich als vehementer Befürworter der Schleife gezeigt, während Fraktionen der italienischen Umweltschutzverbände bei verschiedenen Gelegenheiten Misstrauen gegenüber der Zweckmäßigkeit eines solchen Vorhabens geäußert haben.« (Keller/M+M 2004)
Der ganze ›Witz‹ des Werks, den an dieser Stelle zu erklären etwas schal anmutet, liegt allerdings darin, dass eine sich selbst genügende Zirkulation aus dem Verständnis der zweckrational argumentierenden Moderne schlechterdings kaum »zweckmäßig« genannt werden kann. Die ironische Brechung, die das postmoderne Spiel kennzeichnet, funktioniert jedoch nur deshalb, weil Zweckmäßigkeit, Vernunft und Rationalität weiterhin den Begehrenshorizont der intellektuellen Konsumentinnen und Konsumenten von Kunstwerken wie der Autobahnschleife markieren. Ihr ›Genuss‹ realisiert sich als Form einer Reflexion dieses Begehrens, welche ohne die Aufgabe der zugrundeliegenden Wertvorstellungen auskommt. Dieses doppelte Begehren – nach der Moderne und nach ihrer Selbstreflexion – generiert jene ironische Distanz, welche dem Werk eine gesellschaftliche Bedeutung zu verleihen vermag. Das Werk Autobahnschleife gewinnt seine Wirkungsaussage nicht nur über eine vermeintliche Absurdität, die aus dem vorgeblichen Bruch mit moderner Rationalität folgt. Die Abwesenheit eines »Zwecks« außerhalb des eigenen Sinns verweist auf eine sinnbildliche Dimension: So, wie der Verkehr um seiner selbst willen geschieht, so bleibt die Zirkulation des Gesellschaftlichen selbst frei von Sinn. Die in den untersuchten Beispielen geleistete Verräumlichung des Kreisverkehrs greift die in in der klassischen Moderne geprägte ›Idee‹ des Verkehrs
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auf, um die Diagnose einer Gesellschaft, die weder ›Ankunft‹ noch ›Ziel‹ kennt, und in der Fragen nach ›Sinn‹ und ›Bedeutung‹ obsolet scheinen, zu stellen. Doch sowohl Autobahnschleife als auch Playtime kennzeichnet, dass das Begehren, das hinter dieser Frage liegt, nur scheinbar aufgehoben wird. In der Negativität der Ironie bleibt das Verlangen nach einem den Verkehrs überschreitenden Sinn ungebrochen. Tatsächlich haben Kulturtheorie und Kunst – neben einer Faszination für die ästhetischen Strukturen des Kreisens26 – aus der symbolischen Verräumlichung der Zirkulation zumeist negative Lesarten gewonnen, und zwar, wie das folgende, zweite Kapitel der Untersuchung am Beispiel des Flughafens analysieren wird, vor allem im Hinblick auf die sie vermeintlich evozierenden Subjektpolitiken. Zuvor soll jedoch anhand eines literarischen Gegenbeispiels – Magnus Mills’ Roman The Scheme for Full Employment (2003) – gezeigt werden, dass die Vorstellung einer Zirkulation, die um ihrer selbst willen geschieht, auch als Folie für eine komische Verabschiedung der modernen Utopie insgesamt zu dienen vermag.
26 Kreisverkehrsplätze sind – wie viele andere infrastrukturelle Einrichtungen des Verkehrs – durch Film und Fotografie auch explizit thematisiert worden. Beispiele hierfür sind etwa die Werkgruppe Roundabouts des Schweizer Fotografen und Kunstsammlers Andreas Züst (2004), aber auch Volko Kamenskys experimenteller Dokumentarfilm Divina Obsesión (D 1999), der aus einer Reihe von Fahrten durch Kreisverkehrsanlagen besteht (vgl. auch Truniger 2002).
Die Utopie des Kreisens »The Scheme for Full Employment« Die diegetische Welt von Magnus Mills’ Roman The Scheme for Full Employment (2003; dt. Ganze Arbeit, 2006) ist eine Gesellschaft, die von der Existenz eines umfassenden »Plans zur Vollbeschäftigung« (ebd., 112) geprägt ist. Aus der Perspektive eines namenlosen Ich-Erzählers schildert der Roman den Alltag und schließlich den krisenhaften Zusammenbruch dieses Plans, der sich im Laufe eines Sommers vollziehen wird. Mills, der, bevor er mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit reüssierte, als Busfahrer im Londoner Stadtverkehr beschäftigt war, greift vordergründig Topoi der Arbeiterliteratur auf, dekonstruiert die literarische Gattung jedoch, indem er ihrem Bedeutungskern – die Herstellung sozialer Sichtbarkeit – keine Geltung beimisst, so dass diese auf ihre äußeren Merkmale reduziert wird. Zunächst fällt auf, dass sich Ort und Zeitpunkt der Handlung kaum eingrenzen lassen. Die geografischen Eigennamen und der durch den Erzähler gegebene Hinweis, dass sich die folgende Geschichte in einem Land, das »nicht auf dem Kontinent« (ebd., 7) liegt, zugetragen habe, sind jedoch geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass sich die Schilderung auf ein – freilich fiktives – Großbritannien bezieht. Die konstitutive Unsicherheit über die diegetische Welt, die sich somit bereits in der Exposition abzeichnet, betrifft jedoch nicht nur das Setting des Romans, sondern kennzeichnet auch die narrative Entfaltung der Fabel und die Vermittlung der Plot Points. So bleibt den Leserinnen und Lesern die längste Zeit verborgen, welcher Art Geschäftsbetrieb das mutmaßlich staatliche Unternehmen, welches mit der Durchführung des Plans beauftragt ist, nachgeht. Aus den Schilderungen des Erzählers lässt sich immerhin entnehmen, dass zur Unternehmenstätigkeit gehört, eine Flotte von Lieferwagen, die über einen kastenförmigem Aufbau verfügen und im Roman als »UniVans«, respektive schlicht als »Vans« bezeichnet werden, vorzuhalten. Welchem Zweck der Betrieb der Fahrzeuge, die auf einem ring-
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förmigen Netz verkehren, das sich zwischen »Depots« genannten Betriebsstätten erstreckt, jedoch im eigentlichen Sinne dient, bleibt offen. Die Enunziation kennzeichnet ein lakonischer, knapper und nüchterner Stil. Der Ich-Erzähler trägt, so scheint es, ausschließlich Fakten vor, welche nur sehr selten um wertende oder erläuternde Einschübe ergänzt werden, und beschränkt sich stets auf eine sachliche Darstellung von Ereignissen. Jegliche Ausschmückung, Meinung oder gar psychologisierende Deutung bleiben dabei ausgespart; die Mehrzahl aller Informationen erhält die Leserin oder der Leser durch die Wiedergabe der wörtlichen Rede von Figuren des Romans. So gestalten sich weite Teile wie der folgende Abschnitt, in dem es heißt, »Über unser Gespräch hatten wir die Ringstraße erreicht und fuhren in Richtung Osten. Gelegentlich kamen uns UniVans entgegen, und wenn sie aus Long Reach waren, blendeten wir zum Gruß kurz auf. […] Eine Minute später stießen wir auf zähfließenden Verkehr, und ich musste bis fast auf Schrittgeschwindigkeit herunterbremsen.« (ebd., 13)
Mittels seiner narrativen Verfahren unterläuft der Text somit eine zentrale Erwartung, die gegenüber dem literarischen Genre des Romans besteht, nämlich der charakterlichen oder psychologischen Fundierung des Handelns des Personals. Wenig erfahren wir über die Wünsche und Gefühle des Protagonisten, nichts über die Motivlagen und Beweggründe der Nebenfiguren. So äußert sich etwa George, einer der Fahrer der Lieferfahrzeuge, einmal zur zukünftigen Entwicklung des Plans, die, ohne dass dies expliziert würde, in Frage zu stehen scheint: »Diese UniVans wurden extra für diese Aufgabe gebaut, oder etwa nicht? Tausende von Lastwagen, in Sonderanfertigung, mit austauschbaren Einzelteilen und rostbeständig. […] Niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, wird sie aus dem Verkehr ziehen. Es gäbe einen öffentlichen Aufschrei, wenn man das täte, und außerdem, was würde aus den ganzen Depots und den Reparaturbetrieben und den Zulieferern werden? Sie wären zu nichts anderem zu gebrauchen.« (ebd., 12f.)
Bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Romans ist damit die Funktionsweise des Plans angesprochen, allerdings in einer Form, die es vermeidet, dessen innere Logik offenzulegen. Der eigentliche Witz in Georges Behauptung – nämlich, dass die vielen infrastrukturellen Einrichtungen zum Betrieb des Plans nicht ohne Weiteres einer alternativen Nutzung zugeführt werden könnten – gewinnt für die Leserinnen und Leser ihre komische Bedeutung erst mit dem Wissen um die eigentliche Arbeitsweise des Plans, das jedoch erst im späteren Verlauf der Diegese gewährt wird. Denn, so erfahren wir nach zwei Dritteln des Romans, die Bereitstellung der Vans und ihre regelmäßigen, schematischen Fahrten zwischen den einzelnen Depots dienen keinem ande-
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ren Zweck als Ersatzteile, die zu ihrem Betrieb und ihrer Wartung benötigt werden, zu transportieren. Der gesamte Betrieb des Plans, mit anderen Worten, löst also ein Problem, das ohne seine Existenz nicht bestünde, wie der Ich-Erzähler einräumt: »Korrekt, sagte ich. Das System hält sich selbst am Leben. Wir transportieren Einzelteile von einem Depot zum anderen. Das schafft Arbeit für uns alle.« (ebd., 100) Die Spezifik des Romans besteht nun allerdings darin, dass er die Arbeiten, die innerhalb des Plans ausgeführt werden, in ihrem scheinbaren Selbstzweck nicht als ›sinnlos‹ – und das heißt zugleich: nicht als ›absurd‹ – diffamiert. Während Playtime das Scheitern der modernen Versprechen aus dem Geist einer modernistischen, also einer den Prinzipien modernen Denkens verhaftet bleibenden Argumentation verhandelt, und Autobahnschleife mittels der zum Werk gehörenden Paratexte mit den Prinzipien der Rationalität ironisch spielt, um sie letztlich doch zu erretten, kennzeichnet The Scheme for Full Employment, dass der Roman das sich im Verkehr versinnbildlichende Ordnungsdenken der Moderne gleichsam super-affirmiert. Dabei besteht zwischen den Figuren – und über die Funktionsstelle des Ich-Erzählers auch zwischen dem Text und seinen Leserinnen und Lesern – die stillschweigende Übereinkunft, über den vermeintlich paradoxen Grundkonflikt, der darin liegt, dass das Personal des Romans mit allergrößtem Ernst einer Tätigkeit nachgeht, die keinen Zweck außerhalb ihrer selbst findet, konsequent hinwegzusehen. Eine offensichtliche Wirkung dieses literarischen Gedankenexperiments, das bemerkenswerterweise ohne ironische Brechungen auskommt, besteht in Folge darin, dass die sozialen Konvention, mittels der Erwerbsarbeit als sinnstiftend konstruiert wird, als brüchig und in ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen als Ideologem befragbar werden. Eine ausschlaggebende Bedeutung kommt dabei auch in diesem Fall der Konstruktion einer Fallhöhe zu, die sich aus der Ernsthaftigkeit des Handelns der literarischen Figuren (einschließlich des Ich-Erzählers) und dem alltagsweltlichen Wissen der Leserinnen und Leser um die Irrationalität der Situation begründet. Ähnlich den künstlerischen Verfahren, die M+M in Autobahnschleife anwenden, resultiert der so etablierte Widerspruch in Strukturen von Komik. So findet sich etwa an einer Stelle des Romans die Beschreibung eines Wandgemäldes, das von der Logik des Plans Auskunft erteilt: »In kräftigen Farben waren dort Alltagsszenen im Leben des PLANS festgehalten. Auf einem Teil der Fläche wurde gezeigt, wie UniVans von fleißigen Männern in schicken blauen Uniformen be- und entladen wurden. Auf einem anderen konnte man verfolgen, wie sie eine große, freie Hauptverkehrsstraße entlangfuhren, auf der der Verkehr ausschließlich aus UniVans bestand. Andere Szenen zeigten würdevolle Oberaufseher, lä-
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chelnde Hilfsarbeiter und entschlossene Torwärter, die im Geist der Kooperation zusammenarbeiteten.« (ebd., 77)
Den eigentlichen Alltag innerhalb des Plans kennzeichnet der Ich-Erzähler demgegenüber in einer Weise, die hierzu in einem denkbar scharfen Kontrast steht – allerdings ohne dass dieser Gegensatz thematisiert würde: »Als ich mich der Ringstraße näherte, sah ich an verschiedenen bewährten Orten parkende UniVans, deren Besatzungen darauf warteten, daß der Nachmittag verstrich. Manchmal standen sie in Gruppen zusammen: Fünf oder sechs Männer diskutierten dann die eine oder andere Frage. An anderen Stellen verrieten Füße, die aus einem der Fenster in der Kabine hervorsahen, daß der Fahrer ein kleines Nickerchen machte. Sein Gehilfe saß unterdessen in der Sonne und las Zeitung. Das Wetter war inzwischen sehr frühlingshaft geworden. Während ich die kleinen Seitenstraßen entlangjagte, war ich mir sicher, daß wir uns auf ein paar schöne Tage freuen durften.« (ebd., 93)
Von Anfang an wird deutlich, dass die Erwerbsarbeit, die im Plan geleistet wird, keine ›Arbeit‹ im emphatisch modernen Sinne darstellt; ihr Zweck ist allein die Generierung der Betriebsamkeit eines Verkehrs, der um seiner selbst willen geschieht. Dass die Mikrophysik dieses Verkehrs hochgradig rationell strukturiert ist, steht in einem eigentümlichen Gegensatz zur vordergründigen Sinnlosigkeit des Unterfangens im Hinblick auf die gesellschaftliche Makroebene, jedenfalls dann, solange man – und hierin liegt die Herausforderung – darauf besteht, ›Sinn‹ außerhalb eines Selbstzweckes des Verkehrs bestimmen zu wollen. In dieser Konstellation begründet sich die eigentliche Pointe von The Scheme for Full Employment, der damit einmal mehr, so scheint es, an jene Kritik moderner Rationalität, für die der Verkehr produktiv gemacht worden ist, anschließt. Der Roman entwirft eine diegetische Welt, welche die Rationalität des Verkehrs um den Preis der Aufhebung jeglicher Substanz zu ihrem Prinzip erhoben hat – allerdings, und dies ist gleichermaßen erstaunlich wie innovativ, ohne darin einen Anlass für Kulturpessimismus zu erkennen. Stattdessen erscheint die Zirkularität des Verkehrs dem Ich-Erzähler umso mehr als »Vorbild an Effizienz« (ebd., 51), je mehr sie sich als Selbstzweck gestaltet. Er resümiert, »Der Erfolg des PLANS beruhte in erster Linie auf dem schönen Schein. Er war beliebt, weil ihm die Leute Tag für Tag beim Funktionieren zuschauen konnten.« (ebd., 49) Die so angesprochene Evidenz einer sich im Verkehr verkörpernden Rationalität erstreckt sich bis in kleinste Aspekte seiner Organisation und Durchführung. Der Verkehr etwa, den die UniVans erzeugen, folge, so betont der Ich-Erzähler, zur Gänze den Prinzipien vernünftigen, rücksichtsvollen Handelns:
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»Innerhalb des PLANS gab es einen Verhaltenskodex, der unter anderem Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer vorschrieb. Der UniVan stand nachgerade sinnbildlich für den Inbegriff eines perfekt gelenkten Fahrzeugs, das sich die Straße mit anderen teilte.« (ebd., 70)
Auch die Arbeit, der die Protagonisten nachgehen, wird stets mit größter Ernsthaftigkeit betrieben – seien es oft auch nur kleine und banale Transportaufträge, die ausgeführt werden. Tatsächlich entsteht ein ums andere Mal der Eindruck, dass es sich beim eigentlichen Transport der Güter um einen Aspekt der Tätigkeit handele, der letztlich zu vernachlässigen sei – im Gegensatz zu bürokratischen Abläufen wie der gewissenhaften Verbuchung von Lieferscheinen, der peniblen Beachtung aller Verfahren oder der strikten Einhaltung der ausgeprägten hierarchischen Strukturen. Aus dem so entstehenden Kontrast gewinnt der Roman einen Gutteil der Spannung, die ihn über seine gesamte Dauer kennzeichnet, aber auch einen Teil seiner Komik. So zeigt das Personal etwa trotz der Tatsache, dass man in einem der Depots zum wiederholten Male nur einen einzige Kiste einlädt, größte Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit: »›Ist die für Blackwell?‹ fragte ich. ›Jawohl‹, sagte er. ›Rollenführungen. Vier Dutzend.‹ — ›Oh, deswegen mag ich diesen Job so gerne‹, bemerkte George. ›Wegen der Abwechslung‹« (ebd., 21). Nicht zuletzt entsteht eine für den Roman konstitutive Spannung aus den Strukturen des Plots, dessen Präsentation sich als geschicktes Spiels mit den Erwartungen der Leserinnen und Leser erweist, die ein bedeutsames Ereignen, das stets ausbleibt, vergeblich zu antizipieren versuchen. Mehrere Male unternimmt der Text den Ansatz, Konflikte oder Problemlagen zu konstruieren, doch jedes Mal unterläuft er die Erwartungen an eine Zuspitzung derselben. Wie bei Musil begründet sich der ästhetische Reiz darin, dass aus dem Text »bemerkenswerter Weise nichts hervorgeht«, oder, genau gesagt: nichts in einer bezeichnenden Weise, und das meint: im Sinne eines allegorischen oder allgemein symbolischen Verweisens. Dass der Verkehr, von dem The Scheme for Full Employment erzählt, für ›nichts‹ steht, ist aber auch der Effekt der literarischen Verfahren des Romans und der medialen Kontexte, die er aufruft. Denn der Roman ist, historisch gesehen, jenes Medium, das mit dem Aufstieg des Bürgertums wesentlich verknüpft ist. Indem sich Mills dessen äußerer Form bedient, sie aber um jeglichen Bedeutungskern bringt, legt er, nebenbei, die medialen Bedingungen eines solchen Zusammenhangs offen. Mills’ Roman kann daher als Gegenentwurf zu bürgerlichen Problematisierungen des Verkehrs gelten, schildert er doch eine Welt, in der die Sehnsucht nach ›Sinn‹ und ›Substanz‹ aufgehoben scheint. Verkehr erscheint hier als Zirkulation um ihrer selbst willen, und zwar ohne dass dies ironisch gebrochen oder kritisiert
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würde. Doch der Roman zeigt auch, wie dieses Modell im Zuge einer krisenhaften Zuspitzung scheitert – und damit, sinnbildlich, die Utopie der Moderne im Moment ihrer ultimative Erfüllung.
Verkehr an seinem Ende Tatsächlich weist der Ich-Erzähler bereits zu Beginn von The Scheme for Full Employment darauf hin, dass der »Plan zur Vollbeschäftigung«, dessen Alltag der Roman aus Sicht seiner Angestellten schildert, zusammenbrechen wird. Diese Vorwegnahme präfiguriert die gesamte Erzählung: Zunächst noch in Andeutungen, beschreibt der Roman später explizit eine kritische Haltung, die unter den Mitarbeitern des Plans aufkommt. Zum einen, so erfahren wir, betreibt einer der Fahrer einen unerlaubten, aber lukrativen Nebenverdienst, indem er neben seiner eigentlichen Tätigkeit Torten und Gebäckstücke ausliefert. Ein weiterer Fahrer kritisiert den Plan offen als »ineffizient, teuer und unrentabel« (ebd., 149) und fährt fort, »Man müßte ihn mal gründlich auf Zack bringen! Diese Vans müßte man so einsetzen, daß sich ihr Unterhalt lohnt, anstatt sie immer im Kreis herum fahren zu lassen, voller überflüssiger Ersatzteile. Die Depots müßten wirtschaftlich richtig genutzt und die Belegschaft nach Leistung bezahlt werden. Sonst wird es diesem ganzen Laden genauso ergehen wie all den anderen gescheiterten Sozialexperimenten, wie dem öffentlichen Nahverkehr, dem Schulwesen und den städtischen Orchestern!« (ebd., 149f.)
Der Roman deutet zunächst an und beschreibt später immer deutlicher, wie im Zeitraum eines Sommers eine Vielzahl kleinerer Konflikte, die sich etwa an ungeklärten Fragen bürokratischer Zuständigkeit, der Fragwürdigkeit von Dienstanweisungen oder den vermeintlichen Privilegien von Kollegen entzünden, zunehmend eskalieren. Der Ich-Erzähler leistet dabei keine Analyse oder Bewertung dieser Konflikte, suggeriert allerdings, dass die Linien der sich so abzeichnenden Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern eines sogenannten »Pauschaltag[s]« und jenen eines »vorgezogene[n] Feierabend[s]« (ebd., 106) verlaufen. Letztere, so heißt es, betrieben die Aufkündigung der unausgesprochenen Übereinkunft, sich auch dann noch im Dienst zu befinden, wenn keine Arbeit mehr vorhanden sei – wodurch, so die Befürchtung ihrer Opponenten, die Existenz des Plans insgesamt gefährdet werde: »Acht Stunden Arbeit für acht Stunden Lohn. Das war die Abmachung, und jeder fand sie fair« (ebd., 49). Es läge nahe, The Scheme for Full Employment in einer Weise zu lesen, die den Roman über den Topos einer Ablösung von Planwirtschaft zugunsten eines ökonomischen Modells, das auf dem Menschbild unternehmerischer
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Subjekte beruht, begreift. Doch sowohl diese als auch die umgekehrte Perspektive, die unterstellte, dass es dem Roman an der romantische Errettung eines letzthin zwar scheiternden, gleichwohl als erstrebenswert gezeichneten, planwirtschaftlichen Arbeitslebens gelegen sei, dürften ihm nicht gerecht werden. In einer Weise, die über das engere Thema moderner Formen von Erwerbsarbeit hinausweist, vollzieht sich der von Mills geschilderte Zusammenbruch jener Zirkulation, die um ihrer selbst willen geschieht, als Ausdruck des Scheiterns eben jenen modernen Utopie, deren Dysfunktionalität auch schon Playtime komisch zu fassen suchte. Tatsächlich, so erfahren wir, scheitert der »Plan für Vollbeschäftigung« nicht an den zunehmenden Konflikten innerhalb der Arbeiterschaft, die zu schildern einen Großteil des Romans ausmachten, sondern aufgrund von Umständen, die zunächst kaum erklärlich scheinen, bei genauerer Betrachtung aber eine sinnbildliche Bedeutung entfalten. Anlässlich eines als höchst bedeutsam geschilderten »Tests« – »eigentlich nur eine Formsache: Eine Art Ritual, um zu zeigen, daß sie alles im Griff haben« (ebd., 148) –, der darin besteht, dass einer der UniVans gewogen wird, stellt sich heraus, dass das Ergebnis von dem zu erwartenden Wert abweicht. »Auf dem Heimweg durchfuhr mich ein Gedanke. ›Erinnerst du dich noch an den Palettentransportwagen, den wir seit Wochen mit uns herumfahren?‹ – ›Ja, und?‹ antwortete George. – ›Meinst du, der könnte den Gewichtstest beeinflußt haben?‹ – ›Das glaube ich kaum‹, sagte er. ›Einer von Trace’ Kuchen schon, aber nicht dieser Wagen.‹ — Ich war fünf Jahre, drei Monate und vier Tage beim PLAN. Ich weiß das so genau, weil ich vierzehn Tage nach dem Gewichtstest einen Brief erhielt, in dem das stand. In diesem Brief wurde ich auch darüber informiert, daß der Test negativ ausgefallen war und daß der PLAN aus diesem Grund im Verlauf der kommenden Monate abgewickelt werden mußte.« (ebd., 185)
Das Scheitern jenes Plans, der in der Etablierung einer Zirkulation um ihrer selbst willen bestand, vollzieht sich damit in jenem Moment, in dem dieser durch das subversive Handeln der Beschäftigten, die ihre regelmäßigen Fahrten dazu nutzten, Gebäck auszuliefern, einen Sinn außerhalb seiner eigenen Logik erhielt. Sein Funktionieren war, so scheint es, an die Sinnlosigkeit der Zirkulation geknüpft, und diese vollzog sich umso effizienter – die »Dinge [laufen] umso glatter« (ebd., 10), wie der Erzähler anmerkt – solange diese von jeder buchstäblichen wie sinnbildlichen ›Aufladung‹ verschont blieb. Magnus Mills’ The Scheme for Full Employment beschreibt das postmoderne Versprechen des Verkehrs – die selbstbezügliche, allein den inhärenten Regeln folgende Zirkulation um ihrer selbst willen – als eine Rationalität, die geradewegs eine soziale Utopie markiert: Eine Utopie, die letzthin scheitert, was
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sich – auf einer Ebene, die eben nicht sinnbildlich, sondern zunächst nur buchstäblich ist – zu einem frühen Zeitpunkt angedeutet hatte: »Da ich mir nicht bewußt war, eine Umleitung gefahren zu sein, beschloß ich, daß das für mich nicht galt, und fuhr weiter geradeaus. Ein paar Meilen weiter gelangte ich an eine unbeschilderte Gabelung. Hier bog ich links ab, weil ich vermutet, jetzt auf der Tangente zu sein beziehungsweise von dort auf sie bald zu stoßen, wenn ich sie jetzt noch nicht erwischt hatte. Meine Vermutung stellte sich in doppelter Hinsicht als falsch heraus. Die Straße, die ich genommen hatte, erwies sich nur als Verbindung zwischen mehreren Kreisverkehren, deren einzige Absicht es anscheinend war, mich am Vorwärtskommen zu hindern. Von diesen Kreisverkehren war auf dem Kartenabschnitt, wo ich mich zu befinden glaubte, keine Spur zu sehen. Ich hörte also auf, mich nach ihr zu richten, und fuhr statt dessen der Nase nach weiter. Erst als ich ein Schild erblickte, das mich zurück auf die Ringstraße verwies, sah ich ein, daß ich den falschen Weg gefahren war. Das allein wäre noch zu ertragen gewesen, auch wenn es ziemlich ärgerlich war. Allerdings machte jetzt auch noch der Van schlapp. Ich hatte schon während der Fahrt ein- oder zweimal bemerkt, daß er nicht so gut zog wie sonst, und als jetzt der Motor ausging, wurde mir klar, warum: Der Tank war leer.« (ebd., 112)
Ging es im Mann ohne Eigenschaften, in Playtime und in Autobahnschleife um eine Kritik und Verarbeitung der Krise moderner Rationalität, so kehrt The Scheme for Full Employment die zugrundeliegende Perspektive um: Hier ist es das Beharren auf bürgerliche Vorstellungen von Sinn und Vernunft, welches eine zersetzende, verzehrende Wirkung gegenüber der Utopie des Verkehrs bewirkt. Der Roman schließt mit den Worten, »Danach sahen wir hilflos zu, wie der große Entwurf vor unseren Augen demontiert wurde. Man hatte uns gewarnt, und wir hatten nicht darauf gehört. Jetzt war alles verloren. Die kalten Winde kehrten zurück. Das war das Ende unseres glorreichen Sommers.« (ebd., 188)
Das Scheitern der gesellschaftlichen Utopie des Plans beruht wie das Scheitern Hulots auf der Opposition des Intellektuellen als »Kleinbürger« (Foucault 2003, 145), der dem Verkehr feindlich gegenübersteht. Und in gewisser Hinsicht schließt sich damit ein Kreis: Denn betrachtet man die Produktionsgeschichte von Playtime, so lässt sich auch hier das Ende eines utopischen Aufbruchs finden. Jacques Tati und der für das Production Design zuständige Architekt Eugène Roman errichteten im südöstlich von Paris gelegenen Bois de Vincennes auf einem Areal von 15.000 Quadratmetern gewaltige Hochhausattrappen mit Fahrstühlen und Rolltreppen – die Verräumlichung eines modernistischen Fiebertraums aus 1.200 Quadratmetern Glas und 50.000 Kubikmetern Beton, die über das Ende der Dreharbeiten erhalten blieb (vgl. Borden 2002, 217; Penz 1997). Die europäische Moderne ist nicht nur aus den Konfrontation mit den Ruinen der Vergangenheit erwachsen, als utopía verwirklicht sie sich, so ihr
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Mythos, im Moment des Einsturzes (vgl. Hell/Schönle 2009). Doch sowohl das kulturelle Konzept der Ruine, als auch die Imaginationen gesellschaftlicher Utopien als Anbruch des Neuen erweisen sich aus postmoderner Sicht als vergangen (vgl. Zima 2001, 14). Und so musste auch Tativille, jene auf einem Brachgelände errichtete Kulissenstadt, die wie eine Vorahnung dessen zu ein schien, was Michel Serres in La légende des anges (1993) als »villeneuve« beschreiben wird, letztlich einem anderen Verkehrsprojekt weichen: dem Bau der Autoroute de l’Est und ihrer Anbindung an die Pariser Ringautobahn, den Boulevard périphérique.
Flughafen Subjekte des Verkehrs
»Un viaggio a parte«
Eine monochrome, grobkörnige Schwarz/Weiß-Fotografie (Abb. 4): Sie zeigt das Innere eines Abfertigungsgebäudes. Eine weit gestreckte, gegliederte Fensterfront unterteilt den sichtbaren Raum des Bildes. Zugleich erschließt sie als bildimmanente Kadrierung den Blick auf das Vorfeld des Flughafens, darüber ein leerer, hellgrauer und konturloser Himmel. Am unteren Rand der Fensterleiste lassen sich, wenngleich nur schemenhaft, ein abgestelltes Flugzeug erkennen, ein Flutlichtmast und Versorgungseinrichtungen auf dem Rollfeld. Die starken Helligkeitsdifferenzen zwischen dem Innen- und Außenraum erzeugen einen nahezu grafischen Kontrast. Was uns das Bild sehen lässt, ist weniger eine Fensterfront als eine abstrakte, gitternetzförmige Struktur, die zwischen dem Betrachtersubjekt und der Außenwelt des Abfertigungsgebäudes, in dem sich dieses verortet, liegt. Keilförmig verjüngt sich die grafische Struktur, die sich aus den Fenstersegmenten in der linken Bildhälfte ergibt, zum rechten Bildrand. Der übrigen Bildaufbau verstärkt noch den abstrakten, formalistischen Eindruck: In der rechten Bildhälfte erkennen wir eine bauliche Anordnung, die, aus dem Dunkel des äußeren Bildrandes hervortretend, eine abgetrennte Galerie zu sein scheint. Durch große, vertikal gegliederte Glasflächen, Handläufe und einen gläsernen Übersteigschutz gesichert, erscheint dieser Bereich als ein sekundärer, abgeteilter und abgegrenzter Raum im Inneren der Abfertigungshalle. Glasflächen begrenzen und scheiden die Bereiche des so gefassten Raums und schließen, als deren ultimative Grenze, das Außen aus. Von dieser Struktur scheint die Fotografie zu berichten, mehr noch: sie ist ihr Produkt, denn das Betrachtersubjekt ist durch die baulichen Einrichtungen in spezifischer Weise platziert worden. Zugleich gilt die Umkehrung: Es ist ein spezifisches Blicken und Wollen, das diese Struktur identifiziert. Die starken Kontraste des Bildes bewirken eine zweidimensionale Wahrnehmung, die in den flächigen, scheinbar planen Silhouetten, die sich sche-
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menhaft vor den Glasflächen abheben, deutlich wird. Es sind menschliche Körper, die wir hier sehen, doch sie scheinen eigenschafts- und identitätslos. Die perspektivische Verzerrung, die sich aufgrund der Untersicht ergibt, erzeugt eine dynamische Bildwirkung, die noch durch die Wahl des breiten Bildformats und die stürzenden Linien, die aus der optischen Verzerrung des Weitwinkelobjektivs entstehen, verstärkt wird. Wir erblicken ein Bild ohne Tiefenstruktur: Die Gliederung des vormedialen Raums korrespondiert nicht mit den ästhetischen Gestaltungsprinzipien des fotografischen Bildes, eine bildliche Segmentierung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund liegt quer zu der vormedialen Situation. In der Folge entsteht eine komplexe Perspektive: Im Zentrum des Blickens, das dieses Bild bedeutet, stehen nicht die Betrachterin oder der Betrachter, sondern die räumliche Anordnung selbst. Abbildung 4: Francesco Cianciotta, »Helsinki-Malmin Lentoasema«
Das Bild entstammt einer Werkgruppe des italienischen Fotografen Francesco Cianciotta, die den Titel Un viaggio a parte. Fuori e dentro gli aeroporti (dt. »Eine Reise für sich. Innen und Außen von Flughäfen«, 2008) trägt. Die Aufnahmen, welche das so benannte Fotobuch versammelt, entstanden mit fester Brennweite, Fixfokus, unveränderlicher Blendenöffnung und starrer Belichtungsdauer mittels einer kleinen Plastikkamera auf 35mm Schwarz/Weiß-Film – und zwar, so Cianciotta im Vorwort, über zwölf Jahre hinweg, während der er als Geschäftsreisender zahlreiche Flughäfen auf der ganzen Welt besucht habe. Dabei, so heißt es weiter, sei ein Konvolut von etwa 6.000 Bildern zustande gekommen, von denen – nicht zuletzt aufgrund der technischen Unzulänglichkeit der meisten Aufnahmen – 53 Bilder für die Werkgruppe ausgewählt worden seien (vgl. ebd., 6).
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Drei Aspekte scheinen an dem so entstandenen und als Fotobuch27 veröffentlichten Projekt bemerkenswert. Der erste betrifft die formale Gestaltung der Einzelbilder: Weit davon entfernt, Schnappschüsse zu sein, kennzeichnet sie ein hoher formaler Gestaltungswille. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die fotochemische Verarbeitung der Negative und die Anfertigung der für den Druck verwendeten Abzüge. Die Werkgruppe weist darüber hinaus in ihrer Gesamtheit eine hochgradig kohärente, formale Gestalt auf – angesichts eines Entstehungszeitraums von über zwölf Jahren keineswegs selbstverständlich. Zudem ist auch auf der Ebene von Motiven, Sujets und Bildsprache ein großes Maß an Gleichförmigkeit zu verzeichnen. Mit anderen Worten: Es finden sich keinerlei divergierende Darstellungsstrategien, mit denen sich einzelne Flughäfen oder die Entstehungszeitpunkte einzelner Fotografien voneinander abgrenzen ließen. Der zweite Aspekt betrifft Francesco Cianciottas biografischen Hintergrund, denn er ist kein hauptberuflicher Fotograf oder Künstler, sondern verfügt über eine sozialwissenschaftliche Ausbildung und arbeitet bei einer Mailänder Consultingagentur als Unternehmensberater, entstammt somit nicht dem institutionalisierten und über Akademien und Hochschulen organisierten Kunstbetrieb. Tatsächlich beschreibt sich Cianciotta selbst im Vorwort als ambitionierten »Amateur«, der über keinerlei künstlerische Ausbildung verfüge; bei Un viaggio a parte handele es sich um seine erste Publikation (vgl. Cianciotta 2008, 6). Der dritte Aspekt betrifft schließlich die äußere Form, in der das Projekt veröffentlicht worden ist. Die Publikation erschien in einem der traditionsreichsten Verlage Italiens, Federico Motta. Die zweisprachige Ausgabe verfügt über einen Hardcover-Einband, ist in einem aufwändigen Druckverfahren hergestellt worden und verfügt mit einer Größe von 41 × 26 cm über nahezu unhandliche Dimensionen, so dass es naheliegt, den Band dem Segment der Coffee Table Books zuzurechnen.28 Können die Gebrauchsweisen und der me27 Fotobücher sind erst in den vergangenen Jahren als genuines Medium künstlerischer Fotografie in den Blick der Forschung geraten. So betont Peter Pfundner, dass sie ein »vollwertiges und eigenständiges Ausdrucksmittel« seien und unterstreicht ihre »zentrale Rolle für die Veröffentlichung und Verbreitung von Fotografien« (Pfundner 2012, 42). Umso bedauerlicher sei daher, »dass Geschichte, Bedeutung und Rezeption von Fotobüchern erst rudimentär erforscht sind« (ebd.). Zum Medium des Fotobuchs vgl. den Literaturüberblick in Koetzle 2011, 11f. und die dem Thema gewidmete und von Anton Holzer (2010) herausgegebene Nummer 117 der Zeitschrift Fotogeschichte. 28 Das so bezeichnete Segment des Verlagsgeschäfts wird üblicherweise von großformatigen Architektur-, Kunst- und Landschaftsbildbänden, aber auch von Bü-
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diale Kontext, der diesen Bildern eine gesellschaftliche Bedeutung verleiht, einen Hinweis geben auf die Bedürfnisse, auf die sie wiederum antworten und deren Produkt sie zugleich sind?29 Bevor diese Frage – am Ende des Kapitels – beantwortet wird , lohnt es sich jedoch, die eingangs beschriebene Fotografie noch einmal genauer zu betrachten. Im Abbildungsverzeichnis des Fotobuchs findet sich eine Angabe, die das ansonsten titellose Bild verortet: »Helsinki, Helsinki-Malmin Lentoasema« (Cianciotta 2008, 94). Diese Angabe, die unzweifelhaft zu bestimmen scheint, was das Bild zeigt, stimmt allerdings nicht. Die Fotografie ist nicht auf dem Gelände des unbedeutenden und verhältnismäßig kleinen finnischen Verkehrsflughafens in Malmi entstanden. Dieser dient nur der allgemeinen Luftfahrt, nicht jedoch dem Linien- und Charterverkehr der großen Fluggesellschaften, und dementsprechend verfügt er auch nicht über eine Abfertigungshalle wie jene, die das Bild zeigt. Denkbar scheint allenfalls, dass das so bezeichnete Bild am etwa 15 km nördlich von Helsinki gelegenen Internationalen Flughafen Vantaa entstanden ist. Die fehlerhafte Verortung der Aufnahme ist allerdings aufschlussreich. Zwar verzeichnet der Anhang des Bandes für jedes einzelne Bild vorgeblich genaue Angaben über den Entstehungsort. Andererseits scheinen der Fotograf oder auch nur das Lektorat des Verlages diesen keine sonderlich große Bedeutung beizumessen. Mehr noch: Für die eigentliche Aussage des Projekts, so scheint es, sind sie gänzlich bedeutungslos. Denn die Fehlangabe erscheint kaum kurios angesichts der Tatsache, dass wenig an der Fotografie auf einen konkreten, spezifischen Ort und dessen eigentümliche Charakteristik verweist. Tatsächlich eint die Bilder in Un viaggio a parte nicht nur eine hohe formale Kohärenz. In der Wahl der Motive, der Sujets, aber auch der Kadrierung und chern zum Gartenbau sowie Atlanten bestimmt. In einer der wenigen Studien zu diesem Publikationstyp hat Finis Dunaway (2005) am Beispiel der Geschichte des kalifornischen Sierra Buchclubs und den Landschaftsfotografien der Exhibit Format Series gezeigt, dass Coffee Table Books nicht nur ein ästhetisches Interesse der Leserinnen und Lesern und den Wunsch nach Prestige und Distinktion bedienen, sondern dass ihnen ein wesentlicher Einfluss auf die Wahrnehmung der amerikanischen Landschaft als bedroht und schützenswert zukommt, wovon die Nationalpark-Bewegung in den USA wiederum maßgeblich beeinflusst worden sei. 29 Hinter der Formulierung dieser Frage verbirgt sich die Annahme, dass ein Verweis auf die vermeintliche ›ästhetische Faszination‹, die von architekturalen Ensembles wie Flughäfen ausgehen mag, keine hinreichende Erklärung für die Strategien, Verfahren und Politiken ihrer Repräsentation bilden kann. Dennoch ist unzweifelhaft, dass seit dem Wandel in der Architektur von Flughafenterminals, der sich in den 1960er Jahren vollzieht, deren repräsentative Funktion eine intendierte Wahrnehmung darstellt (vgl. Hart 1985).
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der textuellen Gestalt entsteht nicht eine Vielzahl individueller, eigentümlicher Flughäfen. Gleich der Eigenschaft des Films, einen synthetischen Raum zu erschaffen, ist die bestimmende Wirkung von Cianciottas Fotografien nicht eine, welche die spezifischen Eigenheiten konkreter Räume hervortreten lässt. Stattdessen erscheinen sie in ihrer Summe als Ausdruck eines prototypischen, oder vielmehr: eines generischen und daher so nur medial möglichen Raums – dem Raum des Flughafens per se. Warum aber konstruiert Cianciottas fotografische Praxis den Raum des Flughafens in einer solchen Weise? Warum sucht sie danach, den Raum des Flughafens als austauschbaren und vorgeblich ›identitätslosen‹ Raum zu begreifen? Und warum wird ausgerechnet der Flughafen für diese Absichten produktiv? Denn das Bild aus Un viaggio a parte steht stellvertretend für eine umfassende Repräsentationspolitik, welche die Verräumlichung des Flughafens im Kontext der künstlerischen Fotografie der Gegenwart kennzeichnet. Eine mögliche Antwort auf die so formulierte, doppelte Frage ergibt sich aus der Aufarbeitung des künstlerischen und kulturtheoretischen Diskurses, innerhalb dessen sich Un viaggio a parte verorten lässt. Dieser Diskurs wird jedoch nur begreiflich vor dem Hintergrund einer konkreten gesellschaftlichen Entwicklung – einem tiefgreifenden Strukturwandel von Mobilität, der Mitte der 1980er Jahre einsetzt und Anfang der 1990er Jahre einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Problemstellung und Zielsetzung Flughäfen gelten als räumliche Strukturen, die, so wird behauptet, in paradigmatischer Weise über gesellschaftliche Zustände Auskunft geben. »Flughäfen stehen symbolisch wie materiell für den global ausgerichteten Möglichkeitsraum der mobilen Risikogesellschaft« (Kesselring 2007, 826) und sie erscheinen als »iconic space for discussions of modernity and postmodernity« (Cresswell 2006, 220).30 Dieses Kapitel wird der Frage nachgehen, warum es zu einer solchen Bezugnahme kommt, in welcher Weise sie sich vollzieht und worin sich ihre
30 Dieser Zusammenhang mag in vergleichbarer Weise auch für Shopping Malls und Freizeitparks gelten (vgl. Sorokin 1992; Geisthövel/Knoch 2005; Herman 2005; Legnaro/Birenheide 2005a). Dennoch erweist sich die Verräumlichung des Flughafens als eine, die hervorsticht. So behauptet der Humangeograph Mike Crang: »Of all the spaces of a globalised world, airports may be the most emblematic« (Crang 2002, 571).
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spezifische Leistung begründet. Dabei wird sich zeigen, dass im Zentrum der Verräumlichung des Flughafens sowie der sie bestimmenden Politiken der Repräsentation die Problematisierung postmoderner Subjektivität steht. Die Untersuchung soll zeigen, dass sich diese aus Sicht der zu analysierenden kulturtheoretischen Texte und fotografischen Arbeiten als Subjektschwund darstellt. Tatsächlich aber, so die These, lassen sich die Praktiken dieser Bezugnahme als Ausweis einer Subjektpolitik lesen, die, indem sie »Einsamkeit« und »Eigenschaftslosigkeit« als prägende Umstände postmoderner Subjektivität behauptet, eine Subjektivierung erschließt, welche die Figur eines intellektuellen, männlich-codierten, melancholischen Beobachters zum Effekt hat. Das Kapitel wird zunächst vier einschlägige kulturtheoretische Texte, die sich innerhalb eines solchen Diskurses verorten lassen, im Hinblick auf ihre Inanspruchnahme des Flughafens und den jeweils zugrundeliegenden Strategien und Verfahren untersuchen. Dabei wird sich zeigen, dass die Verräumlichung des Flughafens in dreifacher Hinsicht für die Kulturtheorie produktiv wird, und zwar im Hinblick auf den Status seiner Räumlichkeit, die Abkehr von zentralen Elementen des Modernitätsparadigmas sowie – und dies ist entscheidend – mit Blick auf eine spezifische Form der Subjektivierung, die gebunden ist an das Konzept des Verkehrs. Um dieses Argument zu verdeutlichen, und um zu zeigen, wie sich die so kennzeichnende Subjektpolitik durch den Einsatz medialer Verfahren in einer Zurichtung des Sicht- und Sagbaren bestimmt, werden zwei Gegenstandsanalysen, die in sehr unterschiedlicher Konsequenz auf den Flughafen Bezug nehmen, einander gegenübergestellt: Martha Roslers Buch- und Ausstellungsprojekt In the Place of the Public (1998) und der französische Spielfilm Décalage horaire (F 2002, R: Danièle Thompson). Die Analyse wird verdeutlichen, dass sich die Produktivität der Bezugnahme weniger darin begründet, dass mit der Anführung des Flughafens ein Bezug zu einer immer schon gegebenen sozialen Wirklichkeit hergestellt wäre, als dass sich vielmehr eine Verräumlichung konstituiert, die anschlussfähig ist an die Wünsche, das Begehren und die habituellen Werturteile derjenigen, die an der bedeutungsvollen Herstellung der so bestimmten Texte beteiligt sind.
Strukturwandel von Mobilität
Während das erste Kapitel gezeigt hat, wie die ›Idee‹ des Verkehrs aus dem Geist modernen Ordnungsdenken entsteht und angesichts dessen postmoderner Krise als Zirkulation, die um ihrer selbst willen geschieht, reformuliert wird, soll nun am Beispiel der symbolischen Verräumlichung des Flughafens verdeutlicht werden, wie die Repräsentationspolitiken des Verkehrs Modi der Subjektivierung bereitstellen, welche die Konstruktionen intellektueller Subjektpolitiken zum Effekt haben. Konträr zu den eingangs angeführten, kulturtheoretischen Diagnosen wären Flughäfen somit gerade nicht postmoderne Orte schlechthin – etwa, weil sie dies aufgrund vorgängiger Eigenschaften wären –, sondern, weil sie erstens in der entsprechenden Weise über spezifische Repräsentationspolitiken hergestellt worden sind, und zweitens, weil ihr zu untersuchendes Erscheinen – in Form eines wechselseitigen Konstitutionsverhältnisses – wiederum spezifische kulturelle Bezüge plausibilisiert. Denn »[m]ore than any other building type in the last century, their being seems to depend on cultural identification no less than architectural use, on their aesthetic properties no less than technological function« (Pascoe 2001, 10f.). Stets existiert eine materielle Möglichkeitsbedingung jeder Bezugnahme, und diese begründet sich im untersuchten Zeitraum in einem tiefgreifenden Strukturwandel von Mobilität. Die 1980er und 1990er Jahre erweisen sich als Zeitraum, in welchem der internationale Flugverkehr in den Industrieländern seine Exklusivität verliert, für immer mehr Menschen zu einer ›gewöhnlichen‹ Erfahrung wird und größeren Bevölkerungskreisen – so auch Intellektuellen, Künstlerinnen und Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – neue Formen des privaten und beruflichen Reisens ermöglicht. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren bildet die Ausrufung des ›Düsentriebzeitalters‹ ein Versprechen auf Teilhabe am Flugverkehr, das sich jedoch für eine größere Zahl von Reisenden erst in den 1990er Jahren erfüllen wird.
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Ab Ende der 1980er Jahre werden in vielen Ländern Europas Vorbereitungen zur Privatisierung ehemaliger nationaler Fluggesellschaften getroffen. Die mit der ökonomischen ›Liberalisierung‹ einhergehende rasante Entwicklung der Passagierzahlen und des Flugaufkommens nimmt ihren Ausgang jedoch bereits Anfang der 1980er Jahre. Die Zahl der Reisenden und die Flugbewegungen am Frankfurter Flughafen etwa – der größte Passagierflughafen Deutschlands und der zweitgrößte Europas – nehmen nach vielen Jahren bescheidenen Wachstums seit 1982 in erheblichem Umfang zu. Allein zwischen 1985 und 2005 kommt es jeweils zu Verdoppelungen der entsprechenden Kennzahlen.31 Heute ist Fliegen eine selbstverständliche Option und »für viele zur alltäglichen Mobilitätspraxis geworden« (Kesselring 2007, 827): »Gegenwärtig nutzen bereits vier Millionen Menschen am Tag weltweit ein Flugzeug. […] Jedes Jahr werden rund 1,6 Milliarden Flugreisen gemacht. Bei den zentralen europäischen Drehkreuzen […] liegen die Steigerungsraten seit Jahren bei sieben bis acht Prozent.« (ebd., 831)
Diese Entwicklung wirkt gesamtgesellschaftlich, denn »Fliegen ist durchaus kein Randphänomen mehr, auch wenn es längst nicht mit dem alltäglichen Verkehr auf Schiene und Straße vergleichbar ist. Doch es ist längst nicht mehr allein den gesellschaftlichen Eliten vorbehalten« (ebd., 832). 32 Tatsächlich sind vor allem »die Reisepraktiken von Wirtschaftseliten […] mehr und mehr auf den Flugverkehr eingestellt« (Kesselring 2007, 829), und diese Entwicklung betrifft auch »politische, kulturelle oder zivilgesellschaftliche Akteure, so etwa Wissensarbeiter« (Kesselring 2006, 829). Eine Erklärung für die auffällige Weise, in welcher der Flughafen in den 1990er Jahren für Kulturtheorie und Kunst zur Verhandlung gesellschaftlicher Problemlagen produktiv wird, und die dessen Verräumlichung kennzeichnet, ist daher auch eine Entwicklung, in deren Folge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler seit Mitte der 1980er Jahre vermehrt am internationalen Flugverkehr teilnehmen und in deren Folge sich ein zunehmend ›globaler‹ akademischer Austausch und Kunstmarkt etablieren. 31 So stiegen die Passagierzahlen zwischen 1972 von 11,6 auf 17,2 Mio. im Jahr 1982. Bis 1992 erhöhte sich ihre Zahl auf 30,8 Mio. Passagiere. In den folgenden zehn Jahren kommt es erneut zu einer Steigerung auf 48,4 Mio. Fluggäste. Betrachtet man die zentralen europäischen Drehkreuze insgesamt, so »haben sich die Zahlen innerhalb von dreizehn Jahren verdoppelt. 1989 nutzen 116 Millionen Menschen diese Drehkreuze, 2002 waren es bereits 234 Millionen« (Kesselring 2007, 831, mit Bezug auf infas/DIW 2004). 32 Zum Bedeutungsgewinn des Flugverkehrs seit den 1980er Jahren vgl. auch Urry 2003 sowie Fuller/Harley 2005.
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Der britische Literaturwissenschaftler David Lodge hat die mit dieser Entwicklung einhergehenden Veränderungen für die Akademia, vor allem aber ihre affektive Aufladung, in pointierter Weise beschrieben. In seinen Romanen beobachtet Lodge »die hektische Reisetätigkeit rund um den Erdball, […] die Kondensstreifen, die sich über den Meeren kreuzen und den Zug der Gelehrten von Kontinent zu Kontinent bezeichnen, deren Pfade einander näherkommen, sich begegnen und trennen« (Lodge 1985, 8).
In Small World. An Academic Romance (1984; dt. Schnitzeljagd, 1985) rekrutiert sich das Personal aus einem wissenschaftlichen Jet Set, das sein wissenschaftliches Prestige und seinen Marktwert durch den Besuch unzähliger Konferenzen zu erkunden und zu steigern sucht. Lodges Academic Novel beschreibt einen vermeintlich globalisierten Forschungsbetrieb, »a new academic community, a global campus inhabited by wandering scholars« (Lodge 2012), dessen Existenz stärker von den Möglichkeiten des internationalen Flugverkehrs als von den Gepflogenheiten und Traditionen des hergebrachten akademischen Lebens bestimmt zu sein scheint. So äußert sich einer der Protagonisten – ein hochrangiger Literaturwissenschaftler – über die Zukunft der akademischen Institutionen: »Sehen Sie mal die Bibliothek – sieht sie nicht aus wie ein riesiges Lagerhaus? Es schreit uns förmlich an: ›Hier ist Wissen magaziniert. Wenn ihr wollt, kommt und holt es euch.‹ Und das gilt eben heute nicht mehr. […] Weil Information in der modernen Welt sehr viel transportabler geworden ist. Genau wie Menschen. Ergo braucht man Informationen nicht mehr in einem Gebäude zu horten oder die besten Wissenschaftler in einem Campus einzupferchen. Drei Dinge – allerdings haben das bisher nur die wenigsten kapiert – haben in den letzten zwanzig Jahren das akademische Leben revolutioniert: das Düsenflugzeug, die telefonische Direktwahl und der Fotokopierer. Wenn Wissenschaftler Anregungen austauschen wollen, brauchen sie nicht mehr im gleichen Haus zu arbeiten. Sie rufen sich an oder treffen sich bei internationalen Tagungen. Und sie brauchen, um sich ihre Unterlagen zu beschaffen, nicht mehr in den Bibliotheken herumzuhocken. Wenn ein Buch oder ein Artikel sie interessiert, lassen sie ihn fotokopieren und lesen ihn zu Hause. Oder in der Maschine, mit der sie zur nächsten Tagung fliegen. Ich arbeite heutzutage meist zu Hause oder im Flugzeug. An der Universität bin ich eigentlich nur zu meinen Seminaren.« (Lodge 1985, 52)
Zwar fußt Lodges Beschreibung auf dem Einsatz des Stilmittels der Übertreibung. Doch die Utopie, die Lodge Mitte der 1980er Jahre entwirft, repräsentiert einen Entwurf, der auf jene, die im Wissenschaftsbetrieb zu Hause sind, eine bis in die Gegenwart kaum zu unterschätzende, ambivalente Faszi-
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nation auszuüben scheint.33 Diese Faszination und der ihr zugrundeliegende Strukturwandel von Mobilität sind es auch, die den rhetorischen Einsatz des Flughafens in der Kulturtheorie der frühen 1990er Jahre grundieren.
33 So portraitiert das Onlineangebot der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht fast dreißig Jahre nach Small World mit den Worten: »Man nennt ihn [Gumbrecht, T.W.] auch einen Luftbürger. Nur Beamte des CIA dürften weltweit öfter landen und gleich wieder abfliegen als er, hieß es einmal über ihn. Hans Ulrich Gumbrecht, Literaturprofessor in Stanford und einer der einflussreichsten Intellektuellen Deutschlands, nutzt die Flexibilität des elektronischen Mediums für intellektuelle Momentaufnahmen an seinen verschieden Aufenthaltsorten« (Gumbrecht 2012).
Ein Ort der Kulturtheorie
In seiner 1998 erschienen Untersuchung The Corrosion of Character: The Personal Consequences of Work in the New Capitalism (dt. Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, 2000) versucht Richard Sennett – ausgehend von vier Fallbeispielen – zu beschreiben, wie der gegenwärtige Kapitalismus die Lebensentwürfe, Biografien und soziale Integration des Menschen nachhaltig verändert. Kennzeichnend dafür sei, so Sennett, eine zunehmende Flexibilisierung und Orientierung »auf den unmittelbaren Moment« (ebd., 12). Im Mittelpunkt der ersten dieser Fallstudien steht Rico, ein junger Mann, der, so Sennett, befürchte, durch seinen Lebensstil, den der Konkurrenzkampf in der modernen Wirtschaft erzwinge, jede innere Sicherheit zu verlieren und in einen Zustand des Dahintreibens, den Sennett mit dem Begriff der »Drift« beschreibt, zu geraten (ebd., 22). Sennetts Erzählung, in der Rico, einem Weber’schen »Idealtypus« gleich, Beispiel für eine bestimmte gesellschaftliche Entwicklung ist, findet ihren Schauplatz an einem charakteristischen Ort: einem Flughafen. Tatsächlich erscheint der Kulturtheorie der Flughafen Anfang bis Mitte der 1990er Jahre als paradigmatischer Ort: Seine sozialen Bedingungen, seine architektonische Gestalt und die vermeintlichen Erfahrungen seiner Nutzerinnen und Nutzer werden, so scheint es, für eine Analyse sozialer Transformationen, die über den eigentlichen Ort ihrer Beschreibung hinausweisen, in auffälliger Weise produktiv. Wenn Sennett lakonisch festhält, dass die von ihm beschriebene »flexibilisierte« Welt »weder ökonomisch noch sozial viel Narratives« (ebd., 36) zu bieten habe, dann unterliegt er jedoch einer Täuschung: Denn es ist das Paradigma des Flughafens selbst, dessen Verräumlichung und deren zugrundeliegenden Repräsentationspolitiken neue Formen der Subjektivierung bestimmen. Im Folgenden sollen vier einschlägige Texte der Kulturtheorie, die sich bis heute als äußerst wirkmächtig erwiesen haben, im Hinblick auf ihre Bezug-
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nahmen auf den Flughafen als Verkehrsraum untersucht werden. Zunächst sollen die einzelnen Texte vorgestellt und in ihren wechselseitigen Bezügen erläutert werden. Anschließend gilt es, eine Reihe von Tendenzen, die sich übergreifend abzeichnen, herauszuarbeiten.
Michel Serres: Stätten der Engel, 1993 Eine frühe und zugleich prominente Bezugnahme auf den Raum des Flughafens durch die Kulturtheorie, die zudem wesentliche Motive späterer Verwendungen präfiguriert, findet sich in Michel Serres’ La légende des anges. Das ursprünglich 1993 im französischen Original vorgelegte und 1995 in einer deutschen Übersetzung erschienene Buch ist wie Serres’ gesamtes Werk im deutschsprachigen Raum nur ansatzweise rezipiert worden. Ein möglicher Grund hierfür mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Arbeiten von Serres, insbesondere die späteren, den strukturalistischen Ansatz überschreitende Texte, nur wenige Anschlüsse an die deutsche Philosophietradition bieten (vgl. Röttgers 2000). Der rhetorische Einsatz von Bildern (im Sinne von Abbildungen) und eine bildhafte Sprache, die bewusst vieldeutige und offene Lesarten ermöglicht, lässt selbst wohlwollende Leserinnen und Leser wie etwa den Serres-Schüler Bruno Latour behaupten, dass sich das Werk einer umfassenden »Aufklärung« (vgl. Serres/Latour 2008) entziehe. Der titelgebende Begriff der »Legende« verweist nicht nur auf den Charakter des Textes, der mythen- und anspielungsreich jahrhundertelange, disparate philosophische Traditionen zusammenführt, sondern ist zugleich und in einem buchstäblichen Sinne ein Hinweis auf die Funktion der Legende als Leseanweisung (Serres 1995, 293ff.). In diesem Sinne erweist sich der Text als eine Aufforderung, die ›Geschichte‹ der Engel als Geschichte der Kommunikation und des Raumbezugs zu lesen (vgl. Hénaff 1997, 59). Gleichwohl ist La légende des anges keine Theorie der Kommunikation. Serres’ Text (im Sinne eines Gewebes intertextueller Beziehungen von sprachlichen und nicht-sprachlichen Referenzen) ist allenfalls als mittelbare Rekonstruktion einer Theorie konzipiert, ohne selbst theoretischen Anspruch erheben zu wollen. Auf einer vordergründigen Ebene erweist sich dabei der sprachliche Text, der als Dialog formiert ist, als eine Liebesgeschichte, genau genommen »eine unablässige Liebeserklärung« (Serres 1995, 297). Ein wesentlicher Teil dieses Plots hat als Schauplatz den in der Nähe der Siedlung Roissy-en-France gelegenen Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Pantope, so der Name eines der beiden Protagonisten, ist ein reisender »Inspizient« der Fluggesellschaft Air France (ebd., 8). Ihr gegenübergestellt ist Pia. Als
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»Ärztin im Flughafenkrankenhaus lebt sie zwischen den ankommenden und den abfliegenden Passagieren, aufmerksam und unbeweglich inmitten der Bewegung. […] Während Pantope allein um die Welt fliegt, strömt die Welt um Pia herum: Das Universum fließt zwischen ihren Armen hindurch.« (ebd.)
Serres widmet sich in La légende des anges umfänglich dem Wesen der Kommunikation – und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits den Kennzeichen und Eigenheiten der Kommunikation, andererseits der Wesenheit des Kommunikativen, als die er die Engel konzipiert und denen er die Funktion des Boten zukommen lässt, wodurch eine zentrale Figur medienphilosophischer Theoriebildung angesprochen ist (vgl. Zons 2010, 153ff.). Engel erscheinen Serres in diesem Sinne als Allegorie oder, vorsichtiger formuliert, als ›Sinnbild‹ jeglichen kommunikativen Aktes. Sybille Krämer hat daher eine Lesart vorgeschlagen, die in den Mittelpunkt von Serres’ Denken den Begriff der »Übertragung« stellt (Krämer 2008, 66). Bestimmend für diese rhetorische Figur erscheint Krämer eine Entmaterialisierung und »Entkörperung« (ebd., 76) jeglichen Kommunizierens: »Die moderne Informationsgesellschaft mit ihren technischen Netzen kann – so Serres’ Vermutung – als Objektivierung dieses Übertragungs-Archetypus gelten: Der antike Hermes lebt ebenso wie der christliche Engel fort in den weltumspannenden Computernetzwerken.« (ebd., 74)
In dieser Folge, so Krämers Exegese, komme es zum Verschwinden des Boten. Sie zitiert Serres: »Der Vermittler tritt hinter die Botschaft zurück. Er darf sich nicht in den Vordergrund drängen oder gar blenden und gefallen wollen, er darf nicht in Erscheinung treten« (Serres 1995, 102). Dieses Moment sei, so Krämer in ihrer Metaphysik der Medialität, die notwendige Voraussetzung für das Gelingen der Übertragung. Serres selbst fasst diesen Zusammenhang in ein Bild, wenn er schreibt, »Am flüssigsten ist der Verkehr in einem leeren Kanal« (ebd., 104). Was als illusionäres Phantasma medialen Handelns scheint, hat bei Serres jedoch auch einen unmittelbaren, wiederum gleichsam buchstäblichen Anteil. Denn es ist der Mensch selbst, der ihm, als Bote im Himmel lebend, erscheint – und seine Flüchtigkeit gerät deshalb zum Subjektschwund. Solcherart formiert, dienen die Figur des Engels und der Schauplatz des Flughafens Serres dazu, eine nach seiner Auffassung grundsätzliche Verfasstheit des Menschen in der Gegenwart zu beschreiben: »Wir empfangen, senden, analysieren Botschaften, und nichts anderes als das. Wir sind Empfänger, Sender, Träger und Verarbeiter von Botschaften. […] Wir sind alle Boten!« (Serres 1997, 188). Jedoch ist diese Diagnose beschränkt auf den Menschen der sogenannten ›westlichen Welt‹ – und auch hier betreffe sie »längst nicht alle« (Serres 1995,
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258). Serres’ engelsgleiche Menschen, das sind jene, die von der Last körperlicher Arbeit enthoben, arbeitend »nach Art der Engel […], als Träger von Botschaften« (ebd., 43) und einem geistigen Leben zugewandt scheinen – Intellektuelle, in deren Reihen er sich selbst einschließt: »Mehr noch als in unseren Häusern leben wir in unseren Wissenschaften, in der Mechanik seit der frühen Neuzeit, in der Thermodynamik seit dem neunzehnten Jahrhundert und in der Informationstheorie seit dem zwanzigsten« (ebd., 71). Diese umfängliche Diagnose überführt Serres schließlich in das viel zitierte Diktum, »Wir werden Wissen und Relationen essen… Wir sind heute fern von der Einsamkeit des Feldes und der Geselligkeit der Werkstatt. Unsere Botschaften erreichen große Populationen, fast die gesamte Menschheit.« (ebd., 55) Die so bestimmte menschliche Verfassung resultiert in eine räumliche Struktur, die Serres abwechselnd als »Los Angeles« (ebd., 59) oder »Neue Stadt« (ebd., 63) bezeichnet.34 In horizontaler Richtung dehne sich diese Stadt über den gesamten Erdball aus (vgl. Serres 1995, 64): »Die Stadt ähnelt einem einzigen Band, auf dem Außen und Innen sich vermischen; die Straße führt von einer Fußgängerzone zu einem großen Boulevard oder, wenn man will – ich schalte um oder zappe – zu einem Flugsteig oder, eine andere Möglichkeit – ich schalte um oder zappe – zum Radio oder zum Fernseher… […] Sie realisiert die Kurve, die durch sämtliche Punkte der Mannigfaltigkeit führt […].« (ebd., 66f.)
Die »Neue Stadt« – das ist bei Serres die Summe der Verbindungslinien der Flughäfen dieser Welt. Die Subjekte, die sie bevölkern, sind allein relationale Adressen in einem Koordinatensystem – so auch Pantope, »A340; OSA-CDG; 14F« (ebd., 64), und damit »nothing other than go-betweens«, so David Pascoe (2001, 14). Wenn Serres schreibt, »Millionen von Menschen bewohnen dieses Obergeschoß der Stadt, das ganz stabil ist, obwohl es sich fast mit Schallgeschwindigkeit bewegt« (Serres 1995, 64), dann verdeutlicht er jedoch auch, dass dies nicht die einzige Erfahrung ist, die Menschen in einer solcherart entworfenen Gegenwart machen. Wo es ein »Obergeschoß« gibt, da existiert auch ein Parterre. Während bei Serres die symbolische Verräumlichung des Flughafens somit auch für eine Beschreibung des Sozialen produktiv wird, gilt dies für eine Vielzahl derjenigen, die sich auf ihn berufen, nicht mehr.
34 Die Bezugnahme auf Los Angeles – »The most photographed and least remembered city in the world« (Klein 1997) – ist insofern bezeichnend, als die Stadt, ihr mediales Bild und die expansive Entwicklung ihrer Siedlungsstrukturen wie vielleicht nur noch Las Vegas für die Kulturtheorie der Postmoderne wiederkehrend wesentliche Impulse geliefert hat. Vgl. beispielhaft etwa Kling et al. 1991, Soja 1995, Soja 1996 und insbesondere Banham 1971.
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So hat etwa Peter Bexte (2006) im Anschluss an Serres den Versuch einer Philosophie der Relationen unternommen. Auffällig ist, dass die von Serres explizit als nicht umfassend angelegte Diagnose hier um die Dimension ihrer eingeschriebenen sozialen Schichtung reduziert wird. Bei Bexte erscheint der Raum des Flughafens allein als ein Ort des Dazwischen, »wo man nicht sprechen darf und sprechen soll zugleich. Wo sich Kontakte qua Kontaktverbot ergeben. Wo man zwischen den Stühlen sitzt und nicht beiseite gehen darf« (ebd.). Wer aber ist dieses »man«? Bexte geht es nicht mehr um einige wenige Menschen der ›westlichen Welt‹, sondern um eine anthropologische Grundbedingung, zu deren argumentativer Behauptung er Serres in Anschlag bringt. Seine Beschreibung mündet in ein dystopisches, sprachliches Bild. Es kündet von der »Trostlosigkeit der Transitreisenden in den Wartesälen internationaler Flughäfen, wo sie unter Neon-Röhren dämmern, weder angekommen noch in Bewegung, weder schlafend noch wachend, kurz: in dem Zwischenzustand, welcher dieser Sphäre zukommt und ihr Bild exakt bestimmt« (ebd.).
Bei Serres heißt es noch vielsagend, dass »Elend und Ausschluß am Ursprung der kommenden, sich ankündigenden Welt liegen, wie ja die tödliche Gewalt die menschliche Geschichte begründet« (Serres 1995, 297). Der sich in der Lektüre von Bexte abzeichnende Schwund der Dimension sozialer Ungleichheit ist insofern bezeichnend, als die sich so abzeichnende Tendenz nicht auf die Rezeption von Serres’ La légende des anges beschränkt ist, sondern symptomatisch für die Verräumlichung des Flughafens durch die Kulturtheorie ist. Dies zeigt auch das folgende Beispiel.
Marc Augé: Nicht-Orte der Einsamkeit, 1992 1992 erscheint in Frankreich ein Buch, das in den folgenden Jahren weniger in theoretischer oder paradigmatischer Sicht reüssieren wird, als dass sein Titel wirkmächtig einen ganzen Diskurs bis hinein in die Gegenwart prägen wird – und zwar sowohl in Bezug auf den fachwissenschaftlichen Spezial-, als auch den Interdiskurs: Die Rede ist von Marc Augés Buch Non-Lieux. Introduction à une anthropologie de la surmodernité (1992). Bereits das im Untertitel angesprochene Konzept der »Übermoderne« (so die deutsche Übersetzung ) liefert einen Hinweis auf das Forschungsinteresse des Autors. Der Ethnologe Augé wendet sich mit dem Werk nicht nur einer Diagnose gegenwärtiger, gesellschaftlicher Phänomene, sondern auch der eigenen Kultur zu.
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In epistemologischer Hinsicht könnten Serres’ La légende des anges und Augés Untersuchung kaum unterschiedlicher sein. Während Serres die prothetische Dominanz kommunikativer Strukturen, Akte und Verhältnisse für die gegenwärtige Gesellschaft als bestimmend begreift und diese im Hinblick auf deren räumliche Effekte und die Selbstentwürfe von Intellektuellen beschreibt, bildet Augés Ausgangspunkt die Beschreibung des Aufkommens eines neuen Typs Raum, den er als bestimmend für die Verfasstheit des Menschen der »Übermoderne« ansieht. So sehr sich beide Texte in Rhetorik, Absicht, Anspruch und disziplinärem Bezugsrahmen unterscheiden, so offenkundig sind jedoch auch die Überschneidungen. Beiden Autoren geht es um eine kulturtheoretisch fundierte Diagnose gesellschaftlicher Wirklichkeit; beide Autoren eint ein nahezu umfassender Anspruch des eigenen Beschreibungsmodells und beide Autoren erkennen schließlich im Flughafen jenes Sinnbild, respektive jenen »Archetyp« (Augé 2008, 8) einer räumlichen Struktur, die sich, so behaupten sie, als leitmotivisch für die gegenwärtige Gesellschaft erweise. Während Serres’ Schreiben in eklektizistischer und häufig indirekter, anspielungsreicher Form zahllose Bezüge zur europäischen Philosophie- und Kulturgeschichte aufweist, bleibt Augés Text nachgerade autistisch und in seiner argumentativen Struktur oftmals apodiktisch. Beide Autoren pflegen einen essayistischen, keinen im strengen Sinne wissenschaftlichen Stil – auch darin mag, insbesondere mit Blick auf Augé, eine Erklärung für den Stellenwert des Textes für die kulturkritische Rede von gegenwärtigen Räumen liegen. So hat sich der Begriff der »Nicht-Ortes« vom ursprünglichen ethnographischen Konzept Augés gelöst und ist etwa in Raumplanung, Architekturund Kunsttheorie zu einem Schlagwort geworden. Die Popularität des Begriffs erscheint dabei weniger ein genuines Verdienst Augés, als vielmehr dem Bedürfnis geschuldet, für komplexe – vielleicht auch nur banale –, letztlich jedoch weithin diffuse Erfahrungen und scheinbare ›Phänomene‹ oder dem sozialen und individuellen Begehren nach ihnen ein rhetorisches Punktum gegenüberstellen zu können. In Non-Lieux. Introduction à une anthropologie de la surmodernité unternimmt Augé nun den Versuch, Grundzüge einer »Ethnologie der Einsamkeit«, so der deutsche Untertitel, zu zeichnen. Zu diesem Zweck nimmt Augé narrativ nicht nur die Perspektive eines Flugreisenden ein; Bezüge auf die vermeintlichen Eigenschaften und die Erfahrung moderner Verkehrsflughäfen finden sich wiederkehrend und an prominenten Stellen im gesamten Text. Dabei erscheint der Flughafen als prototypisch für eine räumliche Erfahrung, die Augé im Konzept des »Nicht-Ortes« zu beschreiben sucht. Diesen kennzeichnet er
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qua Negation und in Abgrenzung zum Konzept des »Ortes«: »So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekennzeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht-Ort« (Augé 1994, 92). »Nicht-Orte« seien emblematisch für die Postmoderne – oder »Übermoderne« –, sie erwiesen sich als »das Maß unserer Zeit«: »Ein Maß, das sich quantifizieren lässt und das man nehmen könnte, indem man […] die Summe bildete aus den Flugstrecken, den Bahnlinien und den Autobahnen, den mobilen Behausungen, die man als ›Verkehrsmittel‹ bezeichnet (Flugzeuge, Eisenbahnen, Automobile), den Flughäfen, Bahnhöfen und Raumstationen, den großen Hotelketten, den Freizeitparks, den Einkaufszentren und schließlich dem komplizierten Gewirr der verkabelten oder drahtlosen Netze, die den extraterrestrischen Raum für eine seltsame Art der Kommunikation einsetzen, welche das Individuum vielfach nur mit einem anderen Bild seiner selbst in Kontakt bringt.« (ebd., 94)
Augé behauptet nun, dass zwischen dem Auftreten und der Vermehrung von »Nicht-Orten« und einer neuen Erfahrung von Einsamkeit, die für die »Übermoderne« charakteristisch sei, ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Denn im Unterschied zum »anthropologischen Ort« (ebd., 53), der sich, so Augé, durch seinen eingeschriebenen und symbolisierten Sinn auszeichne, seien die »Nicht-Orte« anonym und austauschbar. Sie seien sämtlich Durchgangsorte35, zum Zweck des kurzzeitigen Aufenthalts bestimmt, und gäben der Geschichte – gemeint ist eine philosophische Kategorie von Historizität – keinen Raum, sondern erfüllten ausschließlich die Erfordernisse des Augenblicks (vgl. Augé 1994, 93). Dies führe zu einer folgenschweren Entwicklung: »Der Passagier der Nicht-Orte« mache »die Erfahrung der ewigen Gegenwart« (ebd.). Während Orte von einer lebendigen »Gemeinschaft« und »Kultur« gekennzeichnet seien und »Organisch-Soziales hervorbringen«, schafften »Nicht-Orte« eine »solitäre Vertraglichkeit« (ebd., 111). An ihnen werde der Mensch selbst zu einem Teil jener anonymen Masse, die mit dem »Nicht-Ort« in ein Vertragsverhältnis trete. Um Zutritt zu erlangen, müsse der Mensch sich an die Regeln halten, gleichzeitig aber werde er aufgefordert, seine Identität zu offenbaren und seine »Unschuld nachzuweisen« (ebd., 120). Solche Identitätskontrollen erfolgten beispielsweise im Flughafen durch das Vorzeigen des Flugtickets, an der Grenze durch die Passkontrolle oder im Supermarkt durch das Prüfen der Kreditkarte. Die für die anthropologischen Orte charakteristische menschliche Interaktion werde daher von einer Zeichenhaftigkeit abge-
35 Ohne dies zu kennzeichnen, bezieht sich Augé hier vermutlich auf einen Begriff Paul Virilios, der von den »lieu de transit« (Virilio 1975, 52) spricht.
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löst, die über den empirischen Menschen hinausweise. Die anonyme Masse der Menschen werde mit den Worten und Texten angesprochen, welche die »Nicht-Orte« kennzeichneten: Vorschriften, Verbote, Informationen, die als »Gebrauchsanleitung« für die Benutzung des »Nicht-Ortes« dienten. Mit anderen Worten: Der entindividualisierte Mensch wird adressiert durch Verkehrsregeln. Tatsächlich bedient sich Augé explizit einer solchen Terminologie des Verkehrs, wenn er ausführt: »Auf diese Weise stellt man die Bedingungen für den Verkehr in Räumen her, in denen die Individuen nur mit Texten zu interagieren scheinen, deren Urheber ausschließlich ›juristische‹ Personen oder Institutionen sind (Flughäfen, Fluggesellschaften, Verkehrsministerien, Handelsgesellschaften, Verkehrspolizei, Stadtverwaltungen), wobei deren Präsenz sich nur in Andeutungen zeigt oder expliziten Ausdruck findet […] hinter den Anweisungen, Ratschlägen, Kommentaren und Botschaften auf den zahllosen Trägern (Schildern, Anzeigetafeln, Plakaten), die ein Bestandteil der heutigen Landschaft sind.« (ebd., 113)
Die Aufforderungen, die sich – und diese These erscheint nun besonders bemerkenswert – unterschiedslos an alle Reisenden richteten, erzeugten den »Durchschnittsmenschen«, die von allen »geteilte Identität« (ebd., 118). Augé betont, das dies durchaus als Befreiung empfunden werden könne, da das Betreten des »Nicht-Ortes« den Einzelnen von seinen gewohnten Bestimmungen befreie und ihm für eine Weile die »passiven Freuden der Anonymität und die aktiven Freuden des Rollenspiels« (ebd., 121) biete. Jenseits des Augenblicks aber bleibe nur »Einsamkeit« und »Ähnlichkeit«: »Letztlich findet er sich hier mit einem Bild seiner selbst konfrontiert, allerdings mit einem ziemlich fremdartigen Bild. Das einzige Gesicht, das er sieht, die einzige Stimme, die Gestalt annimmt in dem schweigsamen Dialog, der sich zwischen ihm und der Landschaft mit den an ihn wie an die anderen gerichteten Texten entwickelt, sind seine eigenen – Gesicht und Stimme einer Einsamkeit, die umso verwirrender ist, als sie an die Einsamkeit von Millionen anderen gemahnt. Der Passagier der Nicht-Orte findet seine Identität nur an der Grenzkontrolle, der Zahlstelle, oder der Kasse des Supermarktes. Als Wartender gehorcht er denselben Codes wie die anderen, nimmt dieselben Botschaften auf, reagiert auf dieselben Aufforderungen. Der Raum des Nicht-Ortes schafft keine besondere Identität und keine besondere Relation, sondern Einsamkeit und Ähnlichkeit.« (ebd.)
Zwar stellt der Flughafen innerhalb der Betrachtungen Augés nur einen Ort unter zahlreichen weiteren, denen er seine Beispiele entnimmt, dar. Ihn kennzeichnet jedoch, dass er aus Augés Sicht die Eigenschaften des »Nicht-Ortes« in prototypischer Weise verkörpert und für dessen Symbolisierung produktiv wird. So bekräftigt Augé an anderer Stelle, »Airports are the archetype of the non-place« (Augé 2008, 8). Tatsächlich kommt kaum eines der einschlägigen kultur- und sozialwissenschaftlichen Werke zum Ort des
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Flughafens ohne einen zumindest knappen Verweis auf Augé aus. Auffällig ist, dass Augés Überlegungen, die ein diffuses Gefühl von Verlust zu bedienen scheinen, selten explizit problematisiert werden; auf eine fast schon befremdliche Weise mutet die Rede vom »Nicht-Ort« selbstevident an.36
Rem Koolhaas: Vorbild für den städtischen Raum, 1995 Die Texte Michel Serres’ und Marc Augés entstammen dem engeren Kontext der Kulturtheorie. Im Falle des niederländischen Architekten Rem Koolhaas ergibt sich – vordergründig – ein anderer Bezugsrahmen. Koolhaas hat Mitte der 1970er Jahre das Architekturbüro Office for Metropolitan Architecture (OMA) mitgegründet, das einen wesentlichen, vor allem aber viel beachteten und weithin sichtbaren internationalen Beitrag zur Architektur der letzten 30 Jahre geleistet hat. Neben bedeutenden Bauwerken zumeist öffentlicher Auftraggeber – etwa der Botschaft des Königreichs Niederlande in Berlin oder der Hauptsitz des Chinesischen Staatsfernsehens CCTV in Peking – gehören zu den verwirklichten Vorhaben auch städtebauliche Großprojekte, so der Masterplan Euralille, ein städtebauliches Entwicklungsprojekt im Zuges des Neubaus eines TGV-Bahnhofs in der nordfranzösischen Stadt Lille, sowie die Teilnahme an zahlreichen prestigeträchtigen, internationalen Wettbewerben der letzten Jahrzehnte (vgl. Kuhnert et al. 2005, 19ff.). Koolhaas ist darüber hinaus jedoch vor allem durch einschlägige architekturtheoretische Schriften bekannt geworden, insbesondere den 1995 mit Bruce Mau vorgelegten Band S, M, L, XL, ein Werk, das mit seinem Umfang von annähernd 1400 Seiten, einem Gewicht von über zweieinhalb Kilogramm, der aufwändigen Gestaltung und einem durchgehend vierfarbigen Druck für das Genre architekturtheoretischer Literatur stilbildend wurde. Der Band versammelt eine Reihe von zum Teil bereits veröffentlichten Aufsätzen, Essays, Konstruktionszeichnungen und Tagebucheintragungen. Zum Umfang trägt jedoch vor allem der umfassende Einsatz von Bildern und Standbildern des Fotografen und Videokünstlers Hans Werlemann bei. Kennzeichnend ist, dass diese nicht dazu dienen, illustrativ den schriftlichen Text zu begleiten oder dessen Argumentation zu kontextualisieren. Vielmehr bilden sie über weite Strecken einen eigenen Diskurs aus. Dieses Verfahren mag auf den ers36 Von Marc Augé stammt auch ein Geleitwort, das den Fotografien Francesco Cianciottas (2008) vorangestellt ist, und in dem er wesentliche Ideen aus Non-Lieux noch einmal aufgreift. Es trägt die vielsagende Überschrift Cielo, folla e solitudine (dt. »Himmel, Menschenmenge und Einsamkeit«).
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ten Blick jenem rhetorischen Einsatz von Bildern, wie er sich bei Michel Serres verzeichnen lässt, ähneln. S, M, L, XL ist jedoch weniger an der anspielungsreichen, historischen Erarbeitung einer Typologie (etwa, im Falle Serres’, jener der ›Engel‹) interessiert. Stattdessen sucht der Band die eigene Bildproduktion, ihren Einsatz im Kontext eines behaupteten Forschungsprogramms und den ihr innewohnenden, rhetorischen und diskursiven Eigensinn als Gewinn eines kollaborativen, gestalterischen Prozesses zu begreifen (vgl. Eggers 2008, 188ff.). Koolhaas’ Schreiben kennzeichnet darüber hinaus ein Gestus, der sich mit dem Begriff der ›Super-Affirmation‹ beschreiben ließe: Provokative Vereinfachungen, Übertreibungen und Zuspitzungen stellen kein Desiderat oder rhetorisches Unvermögen, sondern bewusst gewählte Stilmittel dar. So räumt Koolhaas mit Blick auf viele der Aussagen, die er in S, M, L, XL trifft, denn auch bereitwillig ein, »I boldly universalized« (Koolhaas 1999, 79). Koolhaas’ Kritiker legen diese Haltung indessen häufig als Zynismus aus oder charakterisieren sie gar als »post-critical« (Fischer 2005). Jochen Becker (2001) etwa spitzt eine solche Bewertung noch zu: Er sieht in den von Koolhaas realisierten wie auch in den Entwurf gebliebenen Projekten den Versuch eines grundlegenden Umbaus des Städtischen unter dem Primat unternehmerischen Handelns, der sich als postfordistischer und sich offen antidemokratisch gebärdender Größenwahn entpuppe. Einen – vielleicht sogar den – zentralen Text in S, M, L, XL stellt der Aufsatz The Generic City dar. In ihm entwirft Koolhaas eine städtebauliche Vision, die paradigmatisch frühere Ansätze (vgl. etwa Koolhaas 1996a) zuspitzt und innerhalb der auch die symbolische Verräumlichung des Flughafens eine zentrale Funktion einnimmt. Dabei erweist sich der Flughafen als, so Koolhaas, »paradigmatic guideline for our current conception and experience of space« (Koolhaas 1999, 79).37 In einer deutschen Übersetzung, die Fritz Schneider angefertigt hat, erschien The Generic City auch in der Zeitschrift arch+, und zwar unter dem Titel Die eigenschaftslose Stadt (1996b). Zwar stellt dieser Titel unter editionskritischen Gesichtspunkten keine angemessene Übersetzung dar. Gleichwohl ergibt sich über ihren Titel ein intertextueller Bezug, den der Text in seiner originalsprachlichen Fassung allenfalls implizit aufweist, nämlich zu Robert 37 The Generic City erweist sich vor allem mit Blick auf Architekturtheorie und Städtebau als äußerst wirkmächtige Auseinandersetzung. Doch auch kulturtheoretisch und feuilletonistisch sind Koolhaas’ Überlegungen vielfältig aufgegriffen worden – bis hin zu expliziten Bezügen im Kunstdiskurs, so beispielhaft in Dan Grahams Auseinandersetzungen mit der Suburban City (1996).
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Musils unvollendetem, und gleich Koolhaas’ »generischer Stadt« in vielerlei Hinsicht Fragment gebliebenen Roman Der Mann ohne Eigenschaften (1981), dessen erster Teil 1930 erschienen ist. Die Wahl des Titels mag daher problematisch sein, dennoch erscheint der Bezug zu Musil aufschlussreich. Denn gleich der Figur des unentschlossenen Intellektuellen Ulrich in Musils Roman verfügt auch die »generische Stadt« in Koolhaas’ Entwurf keineswegs über keinerlei Eigenschaften, sondern zeichnet sich gerade durch eine gleichförmige Vielzahl unverbundener und unvermittelter Aspekte aus. Das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit hat mittels der Analyse der Exposition des Romans gezeigt, wie Musils Interesse dabei einer sich im Verkehr bestimmenden Welt und deren Folgen für das bürgerliche Subjekt gilt. Aus Koolhaas’ Sicht wären die sich hieraus ergebenden Fragen gewiss entschieden: Indem er das gesellschaftliche Sinnbild – in städtebaulicher Hinsicht gar das Vorbild – dieses neuen, »gegenwärtigen« Typs Stadt im Flughafen erkennt, wählt er eine Perspektive, die mit dem Reiz der Provokation antritt, bürgerliche Vorstellungen zugunsten einer dezidiert postmodernen Auslöschung zu verabschieden. Im Eingang des Textes ist dieser Zusammenhang noch in Form von Fragen formuliert, die Marc Augés Diagnose der Gleichförmigkeit und »Ähnlichkeit« (Augé 1994, 121) der »Nicht-Orte« aufzugreifen scheinen, allerdings ohne dies zu explizieren: »Is the contemporary city like the contemporary airport – ›all the same‹? Is it possible to theorize this convergence? And if so, to what ultimate configuration is it aspiring? Convergence is possible only at the price of shedding identity. That is usually seen as a loss. But at the scale at which it occurs, it must mean something. What are the disadvantages of identity, and conversely, what are the advantages of blankness?« (Koolhaas 1995, 1248)
Koolhaas überführt diese rhetorischen Fragen in ein Manifest, das angesichts behaupteter Eigenschaften städtischer Siedlungsstrukturen wie »Einförmigkeit« und »Leere« solche Effekte nicht als zu vermeidende Fehlentwicklungen beschreibt, sondern in ihnen die eigentlichen Qualitäten und Ansatzpunkte städtebaulicher Entwicklungspotentiale erkennt. Diese Sichtweise, die einzunehmen Koolhaas in seinem Text vorschlägt, mündet in Folge in die Behauptung, dass es nunmehr gelte, das Endes jeglicher urbanistischen Utopie überhaupt anzuerkennen, ja, dass die ›Idee‹ der Stadt selbst zu verabschieden sei. Ergänzt um eine Wendung, die sich zugleich gegen die vermeintliche Alternative zum Materialismus, nämlich das Sprechen vom »Simulakrum« (Baudrillard 1978) richtet, mündet diese Forderung in eine doppelte Absage, welche den Text beschließt: »The city is no longer. We can leave the theater now« (Koolhaas 1995, 1264).
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Koolhaas argumentiert, dass die als Verlust beklagte »Homogenisierung« nicht ein unerwünschter Nebeneffekt einer gesellschaftlichen Entwicklung, sondern deren Kern darstelle, den Kern nämlich einer »global liberation movement: ›down with character‹« (ebd., 1248): Das, was bleibe, wenn alle Eigenschaften in großer Eigenschaftslosigkeit zusammenfielen, sei das Allgemeine, eben das »Generische«. Habe bisher gegolten, »Identity centralizes; it insists on an essence, a point« (ebd.), so sei gegenwärtig zu beobachten, dass Konstruktionen von »Sinn« und »Identität«, die noch an eine physische Substanz gebunden waren, zunehmend bedeutungslos geworden seien. Die Kategorie der Geschichte verliere an Bindungskraft und verkümmere durch den Tourismus, der auf der Suche nach dem Charakteristischen nichts als Staub zurücklasse. Mit ihr verlören Konzepte wie ›Zentralität‹ und ›Peripherie‹ – und die ihnen zugrundeliegende, zutiefst moderne Unterscheidung – ihre sinnstiftende Funktion (vgl. ebd.).38 Diesen Befunden stellt Koolhaas nun das Konzept der »Generic City« gegenüber: »The Generic City is the city liberated from the captivity of center, from the straitjacket of identity. […] It is nothing but a reflection of present need and present ability. It is the city without history. […] It is ›superficial‹ – like a Hollywood studio lot, it can produce a new identity every Monday morning.« (ebd., 1249-1250)
In Koolhaas’ Typologie erscheint die generische Stadt nicht nur als eine ästhetische Erfahrung, ihre eigentliche Qualität bestimmt sich nur mehr in der Wahrnehmung ihrer Oberflächenstrukturen, in »color variations in a fluorescent lightning of an office building just before sunset, the subtleties of the slightly different whites of an illuminated sign at night. Like Japanese food, the sensations can be reconstituted and intensified in the mind, or not – they may simply be ignored (There’s a choice.)« (ebd., 1251)
Die generische Stadt kennzeichne darüber hinaus gerade nicht Geschäftigkeit, sondern Ruhe. Sie sei geprägt von Verkehrswegen, vor allem von Straßen für Autos: »Highways are a superior version of boulevards and plazas; their design, seemingly aiming for automotive efficiency, is in fact surprisingly sensual, a utilitarian pretense entering the domain of smooth space« (ebd.). Da sich die generische Stadt über ihre Substanzlosigkeit begreife, lasse sie sich auch nicht essentialistisch bestimmen. Im Gegenteil, ihre ›Bestimmung‹ vollziehe sich
38 Vgl. auch das Kapitel Peripherie – Erfüllungsgrade von Moderne der vorliegenden Arbeit.
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über die schiere, die reine Geschwindigkeit – »unadulterated speed – at which point the sensation of the Generic City may even become intense or at least acquire density […] – at which point the thinness of the Generic City is at its most noticeable« (ebd.). Diese – wenn man so will: paradoxalen – Eigenschaftszuschreibungen realisieren sich nun in exemplarischer Weise an einem spezifischen Ort: dem Flughafen: »Once manifestations of ultimate neutrality, airports are among the most singular, characteristic elements of the Generic City, its strongest vehicle of differentiation. They have to be, being all the average person tends to experience of a particular city. Like a drastic blast of the local identity (sometimes it is also the last). Far away, comfortable, exotic, polar, regional, Eastern, rustic, new, even ›undiscovered‹: those are the emotional registers invoked. Thus conceptually charged, airports become emblematic signs imprinted on the global collective unconscious in savage manipulations of their non-aviatic attractors – tax-free shopping, spectacular spatial qualities, the frequency and reliability of their connections to other airports. In terms of its iconography/performance, the airport is a concentrate of both the hyper-local and the hyper-global – hyper-global in the sense you can get goods there that are not available even in the city, hyper-local in the sense you can get things there that you get nowhere else.« (ebd.)
Flughäfen erweisen sich aus dieser Sicht nicht nur als emblematische Räume, innerhalb derer sich die Prinzipien der »generischen Stadt« vollziehen; ihre »gestalt« (ebd.; sic!), so Koolhaas, bilde die Blaupause für den städtischen Raum selbst: »[T]hey are on the way to replacing the city« (ebd.). Denn, so Koolhaas beinahe wortgleich mit dem wiederum nicht zitierten Augé, aber auch in Bezug auf Serres: »[T]he in-transit condition is becoming universal« (ebd.). Bilden die Bedingungen eines Lebens im Transit tatsächlich das Paradigma postmoderner Wirklichkeitserfahrung? An eine solche Behauptung knüpft Mitte der 1990er Jahre der spanische Soziologe Manuel Castells an und bemüht sich, diese auf eine empirisch und theoretisch fundierte Basis zu stellen. Seine Ausführungen sollen daher abschließend betrachtet werden.
Manuel Castells: Am Ort der Ströme, 1996 Zwischen 1996 und 1998 veröffentlicht der spanische Soziologe Manuel Castells seine dreibändige, wirkmächtige Untersuchung The Information Age. Economy, Society, and Culture. In ihr entwirft Castells, ein Schüler Henri Lefebvres, aus kultursoziologischer Sicht eine Gegenwartsdiagnose, innerhalb derer er die Analyse ökonomischer Entwicklungen, Fragen nach der Verfasstheit des Staates und seiner Institutionen sowie die Untersuchung des sozialen Han-
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delns seiner Bürgerinnen und Bürger zu verbinden beabsichtigt. Diese umfängliche Untersuchung, vor allem aber zahlreiche der von ihm entwickelten zentralen Begriffe, haben seit Ende der 1990er Jahre kulturtheoretische Debatten maßgeblich beeinflusst. Inklusive einiger aus heutiger Sicht nicht zutreffender Zukunftsvorhersagen kennzeichnet Castells’ Vorgehen ein umfassender Geltungsanspruch. Sein Text steht daher im Kontext einer Tradition von »ehrgeizigen Deutungsentwürfen von zuweilen prophetischem Zuschnitt« (Osterhammel/Petersson 2003, 14). Castells unternimmt den Versuch, aus sozialwissenschaftlicher Perspektive jene allgemeinen kulturellen Diagnosen, die auch für Serres, Augé und Koolhaas den argumentativen Ausgangspunkt bildeten, zu systematisieren und zu integrieren. Zentral für Castells’ Untersuchung ist die These, nach der gegenwärtige liberal-demokratische Gesellschaften durch zwei kennzeichnende Phänomene bestimmt seien: Zum einen identitätsstiftende Praktiken der Selbstkonstitution, zum anderen eine neuartige Organisations- und Erscheinungsweise des sozialen Raums. Für letzteres Phänomen prägt Castells den Begriff der »Netzwerkgesellschaft«; der Begriff ist zugleich der Titel des ersten Bandes der Trilogie (Castells 1996b). In epistemologischer Hinsicht bestimmt Castells’ Ansatz, der sich deutlich von seinen früheren, marxistisch geprägten Arbeiten zur Stadtsoziologie unterscheidet, dass der Autor von einer unhintergehbaren, symbolischen und kulturelle Formung von Welt ausgeht (vgl. Nollmann 2006, 481). Das Feld der Ökonomie, Produktionsverhältnisse und materielle ›Gegebenheiten‹ werden nicht deterministisch oder als vorgängig gefasst, sondern erweisen sich – in historisch wandelbarer Weise – als sozial hergestellt. Dieser Ansatz unterscheidet sich somit auch von phänomenologischen Konzepten, wie sie etwa bei Marc Augé dominieren. Trotzdem sind gerade die Parallelen zwischen Castells und Augé recht offenkundig: Beide Autoren kommen in zahlreichen Einzelaspekten zu ähnlichen Schlüssen.39 Die Ausbildung einer sich gegenwärtig realisierenden, »irreversiblen« Netzwerkökonomie, so Castells (1996b, 34), antworte auf und beschwöre zugleich die Krise eines wesentlichen Kennzeichens der gesellschaftlichen Moderne, nämlich die Ausbildung der »großen Organisationen von Politik, Verwaltung und Gesellschaft. […] Sie haben ihre Gestalt angesichts chronischer Verteilungs- und Stagnationsprobleme längst geändert« (Nollmann 2006, 485).
39 Die Reichweite der Untersuchungen unterscheidet sich allerdings erheblich, und kennzeichnend ist zudem, dass Castells vor dem Hintergrund einer sozialquantitativen Methodik einen wesentlich umfassenderen Wahrheitsanspruch erhebt.
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Das Postulat einer »Netzwerkgesellschaft«, wie sie Castells skizziert, lässt sich daher in epistemologischer Hinsicht als Forderung begreifen, die auf die Verabschiedung immer schon normativer sozialwissenschaftlicher Beschreibungsmodelle, welche die gesellschaftliche Moderne und ihren inhärenten, auf Wachstum basierenden Fortschrittsglauben bestimmt haben, zielt. In diesem Sinne lässt sich Castells’ Ansatz als ›postmodern‹ kennzeichnen. Im Kontext der an dieser Stelle angestellten Überlegungen ist bedeutsam, dass sich Castells in seinen Thesen zum Aufstieg der »Netzwerkgesellschaft« auch auf eine sich verändernde soziale Bedeutung von Räumen bezieht. Leitbildend hierfür ist die Unterscheidung von zwei entgegengesetzten räumlichen Modellen: Einem hergebrachten, sich jedoch gegenwärtig als obsolet erweisenden »space of places« auf der einen, sowie einem postmodernen »space of flows«, der als Effekt der »Netzwerkgesellschaft« erscheint, auf der anderen Seite (Castells 1996b, 453f.). Den »Raum der Orte« kennzeichne, so Castells, das er noch an Konzepte wie »Erfahrung« und »Sinn« geknüpft sei: »A place is a locale whose form, function and meaning are self-contained within the boundaries of physical contiguity.« (ebd., 423) Diese Diagnose weist nicht nur Parallelen zu Marc Augés dichotomen Konzept der »Orte und Nicht-Orte« auf. Wie Augé beschreibt auch Castells für die Gegenwart einen Ablöseprozess: »Experience, by being related to places, becomes abstracted from power, and meaning is increasingly separated from knowledge. […] The dominant tendency is toward a horizon of networked, ahistorical space of flows, aiming at imposing its logic over scattered, segmented places, increasingly unrelated to each other, less and less able to share cultural codes.« (ebd., 428)
Analog hingegen zu Michel Serres betont Castells die signifikante Bedeutung, die den Informations- und Kommunikationstechniken zukomme. Im Gegensatz zu Paul Virilio spricht Castells jedoch nicht von einer »Auslöschung« der tatsächlichen Orte.40 Stattdessen beschreibt er die »Netzwerkgesellschaft« als »den Aufbau, die Verdichtung und die zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung«, einen Vorgang, den Jürgen Osterhammel und Niels Petersson (2003, 24) als »Globalisierung« fassen. Bedeutsam für diesen Prozess erscheint eine
40 Zur Problematik von Paul Virilios These eines Schwindens des Raums vgl. den entsprechenden Abschnitt im Kapitel Peripherie – Erfüllungsgrade von Moderne der vorliegenden Arbeit.
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»constant, accelerating mobility to global, consumer-based capitalism. This last point may be made in relation to the now-extensive work on the relationship between information and communication technologies and globalization. As Manuel Castells shows, data-flows are essential to emerging modes of organization.« (Lyon 2008, 31)
In Castells’ Argumentation dienen räumliche Erscheinungen in ihrer materiellen Struktur einmal mehr als Belege für soziale Entwicklungen. Tatsächlich stellt Castells selbst die eigene Untersuchungsweise in eine »intellectual tradition that has used the forms of the built environment as one of the most signifying codes to read the basic structure of society’s dominant values« (Castells 1996b, 418). Zwar räumt Castells ein, dass die Beziehung zwischen Architektur und den Bedürfnisstrukturen einer Gesellschaft keineswegs unmittelbar sei. Dennoch existiere eine »halbbewußte Verbindung« zwischen dem, was die Gesellschaft – in ihrer Vielfalt – gesagt habe und jenem, was die Architekten sagen wollten (ebd.). Als wesentlichen Ausdruck der räumlichen Logik von »scattered, segmented places, increasingly unrelated to each other, less and less able to share cultural codes« (ebd., 428) identifiziert Castells die Architektur der Postmoderne (vgl. ebd., 420), die er unter implizitem Bezug auf Francis Fukuyama (1989) – als »architecture of the end of history« bezeichnet (Castells 1996b, 418). Der Postmodernismus zeichne sich, so Castells, nicht nur durch eine Zerstörung der modernen Vorstellungen von Fortschritt, Technologie und Rationalität aus. Seine eigentliche ›Absicht‹ bestehe vielmehr in anderer Hinsicht: »Yet, in fact what most postmodernism does is to express, in almost direct terms, the new dominant ideology: the end of history and the supersession of places in the space of flows« (ebd., 419). Die Architektur, die in den durch die Logik des Raums der Ströme geprägten Gesellschaften am meisten mit der sie bestimmenden Ideologie aufgeladen zu sein scheine, sei, so Castells weiter, paradoxerweise eine »architecture of nudity« – und auch in deren Wirkungsbeschreibungen wird eine Augé’sche Diagnose, nämlich jene der »Einsamkeit«, an zentraler Stelle aufgegriffen: »That is, the architecture whose forms are so neutral, so pure, so diaphanous, that they do not pretend to say anything. And by not saying anything they confront the experience with the solitude of the space of flows. Its message is the silence« (ebd., 420). Für die behauptete »Auflösung der Orte im Raum der Ströme« und ihren Ausdruck in einer »Architektur der Nacktheit« wählt Castells ein bezeichnendes Beispiel: Den von Ricardo Bofill entworfenen Neubau des Flughafens Barcelona. Die Architektur des Terminals beschreibt Castells als geprägt von einer »dark glass facade, and transparent glass separating panels in an im-
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mense, open space« (ebd., 421) und behauptet, dass den Flughafen eine kalte Schönheit (»cold beauty«; ebd.) auszeichne. Dies bedeute insbesondere, »[n]o cover up of the fear and anxiety that people experience in an airport« (ebd.). Die einzige Gewissheit, welche die Reisenden ergreife, sei diese: »They are alone, in the middle of the space of flows, they may lose their connection, they are suspended in the emptiness of transition.« (ebd.) In dieser Diagnose verschränken sich Marc Augés Behauptung, nach der die Erfahrung des Transitorischen die bestimmende postmoderne Lebenswirklichkeit widerspiegele, mit Rem Koolhaas’ ästhetischem Forderungskatalog der »generischen Stadt«. Die »Neutralität« der Form, die »Reinheit« der Architektur, die Castells am Ort des Flughafens verwirklicht sieht, entspricht in ihrer Wirkung exakt dem Leitbild der »generischen« Eigenschaftslosigkeit bei Koolhaas. Eine solche Ästhetik der »Nacktheit« und ihre emphatische Einforderung ist allerdings keine neue Erscheinung: Sie entspricht den reduktionistischen und funktionalistischen ästhetischen Präferenzen der modernistischen Architektur. Le Corbusier etwa fordert eine solche Ästhetik in Bezug auf den Flughafen explizit als ästhetisches Leitbild ein, wenn er schreibt, »Une fois au sol, une seule architecture semble tolérable et parfaitement admissible: c’est celle des magnifiques avions qui vous ont amenés ou que vous allez prendre, et qui occupent devant vous l’espace visible. Leur biologie est telle, leur forme est une telle expression d’harmonie, qu’aucune architecture ne devient raisonnable à côte, ni aucun bâtiment supportable. Un aéroport semblerait donc devoir être nu, entièrement à plein ciel, à pleine prairie, à pleines pistes de ciment.« (Le Corbussier 1966, 198)
Castells’ Diagnose und das Beispiel, das ihm zur Verdeutlichung dient, sind aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert. Erstens scheint nicht so sehr die »Nacktheit« der postmodernen Architektur paradox, als vielmehr Castells’ Argumentation. Denn wie kann Architektur als Aussage von gesellschaftlichen Bedürfnisstrukturen gefasst werden, wenn ihr Kennzeichen nun gerade und zugleich darin identifiziert wird, dass sie »aussagelos« ist? Hier stellt sich zumindest ein begriffslogisches Problem. Begreift man den Eindruck von Aussagelosigkeit jedoch als Effekt eines wechselseitigen, textuellen Konstitutionsverhältnisses, für das materielle Strukturen produktiv werden, dann wäre einmal mehr zu fragen, welche Erwartungshaltungen und Bedürfnisse eine solche Lesart präferieren und plausibel erscheinen lassen. Der zweite Punkt betrifft die scheinbare Evidenz des Kerns der argumentativen Aussage. »Neutralität«, »Sauberkeit« und »Transparenz« (Castells 2001) – jene Begriffe, welche die deutsche Übersetzung in der Beschreibung der »Architektur der Nacktheit« wählt – sind keineswegs ahistorische, universelle
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oder immer schon evidente Kategorien. Was als »neutral« erscheint, ist Ausdruck einer wechselvollen Geschichte der Dar- und Herstellung, in die sich Werturteile, kulturelle Konventionen und »Techniken des Betrachters« (Crary 1992) eingeschrieben haben. Was aber, wenn gerade die scheinbare »Nacktheit« der Architektur, ja, der »Raum der Ströme« selbst, vor allem aber seine Erscheinungsformen als Verkehr weniger auf die vermeintlich ›postmoderne‹ Abwesenheit kultureller Sinnstiftung verwiesen, sondern, wenn sie selbst als sinnstiftende Konzepte zu verstehen wären? Nimmt man diese Punkte auf, dann ist in Folge weniger zu fragen, warum der Flughafen als postmoderner Ort schlechthin erscheint – eine Frage, welche die Faktizität dieses Verhältnisses als gegeben voraussetzte. Stattdessen ist zu untersuchen, welche machtvollen diskursiven und medialen Strategien, aber auch, welche konkreten, materiellen Strukturen der symbolischen Verräumlichung, die den Flughafen als postmodernen, »übermodernen«, als »generischen« oder als »Raum der Ströme« konstituieren, zugrundeliegen. Als Effekt dieser Strategien entsteht ein Bild – mehr noch: eine Repräsentationspolitik, welche sich etwa aus der imaginären Summe jener Vielheit fotografischer Aufnahmen Cianciottas bildete. Denn ihr Effekt ist das, was Castells als ihre motivische Voraussetzung beschreibt – »a horizon of networked, ahistorical space of flows, aiming at imposing its logic over scattered, segmented places, increasingly unrelated to each other, less and less able to share cultural codes« (Castells 1996b, 428).
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An dieser Stelle soll es nicht um eine Bewertung der Validität der Beschreibungsversuche, Modellbildungen und Thesen jener kulturtheoretischen Texte gehen, die im Flughafen ein Sinnbild für ihre jeweiligen Diagnosen erkennen. Stattdessen soll nach den Gründen für die Wirkmächtigkeit und spezifische Evidenz, welche die symbolische Verräumlichung des Flughafens Mitte der 1990er Jahre prägt, gefragt werden. Denn obwohl die Analyse dieses Diskurses ausschnitthaft und exemplarisch bleiben muss, lassen sich drei verbindende Merkmale, die in den untersuchten Texten wiederkehrend die Verräumlichung des Flughafens bestimmen, kennzeichnen: Das erste Merkmal betrifft den Status seiner Räumlichkeit, das zweite die Abkehr von zentralen Elementen des Modernitätsparadigmas und das dritte – und im vorliegenden Kontext entscheidende – schließlich eine spezifische Form der Subjektivierung, für die der Flughafen in seiner symbolischen Verräumlichung produktiv wird und die gebunden ist an das Konzept des Verkehrs.
Ein Raum neuen Typs Ein erstes, verbindendes Merkmal der Verräumlichung des Flughafens in allen untersuchten Texten besteht darin, dass sie bestimmt ist von einer zum Teil offen, zum Teil eher implizit problematisierten, in jedem Fall jedoch als weitreichend gedachten Veränderung der Kategorie des Raums selbst. Im Zuge einer von der Kulturtheorie identifizierten, wachsenden Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien erfreut sich die These, dass die Bedeutung des Raums für die Zukunft abnehmen wird, Anfang bis Mitte der 1990er Jahre großer Popularität. Eine extreme, gleichwohl häufig paraphrasierte Position innerhalb dieses Diskurses stellt die Behauptung dar, dass es zu einem ›Schwinden‹ des Raums im Sinne dessen nahräumlicher Qualitäten und seiner Substitution durch ›virtuelle Welten‹ kom-
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me.41 So spricht Michel Serres in La légende des anges – wenn auch in einem unscharfen, nicht medienwissenschaftlichen Sinne – davon, dass sich der Raum selbst als »neues Medium« erweise: »Das neue Medium umfaßt Räume unterschiedlichen Charakters; die physikalische Ausdehnung ebenso wie die Enzyklopädie des Wissens, die Menschen und Sprachen; in diesem Medium wechseln wir von der Welt zum Geist, von der Erde zum Alphabet und umgekehrt.« (Serres 1995, 67)
Doch ›Raum‹ wird solcherart nicht nur begrifflich neu bestimmt. Die Behauptung einer qualitativen, umfassenden Veränderung findet schließlich im Sprechen von der »Globalisierung« einen vorläufigen Höhepunkt (vgl. Noller 2000; Ott/Uhl 2006). So beschreibt etwa Anthony Giddens in den Konsequenzen der Moderne (1995) die Erfahrung des Menschen als die eines »dis-embedding«, einer Ortlosigkeit, deren Gründe, so Giddens, in den Folgen eben jener »Globalisierung« zu suchen seien. Der Flughafen erscheint in diesem Kontext gerade deshalb als Paradigma, weil es wesentlich der Luftverkehr ist, der im Erwartungshorizont der Betrachterinnen und Betrachter das ›Zusammenwachsen‹ der Welt zu verkörpern scheint. Dabei ist gleichgültig, ob sich dies als Denkfigur oder als individuell erfahrene, an alltagsweltliche Umstände gebundene Realität erweist, noch, ob die Versprechungen, an die sich die Wirksamkeit dieser Rhetorik knüpfen, faktisch begründet sind. Tatsächlich hat die sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung mit dem Abstand einiger Jahre nachgewiesen, »[w]hile it might be imagined that there would be less need of physical meetings with improved technology, on the contrary, scheduled visits and meetings have become highly significant« (Larsen et al. 2006, 47). Die ambivalenten Wunschvorstellungen, mit denen das Sprechen von der Neubestimmung der Kategorie des Raums aufgeladen ist, zeigen sich nirgendwo deutlicher als im Begriff der »Global City« – ein Konzept, das von der Stadtsoziologin Saskia Sassen (1991) geprägt worden ist. Es impliziert die Vorstellung einer transnationalen Ökonomie, deren wirtschaftliche und politische Zentren das Netzwerk der »Globalen Städte« ausbilden, die – vernetzt über die Flugrouten ihrer internationalen Flughäfen – stärker miteinander verbunden sind als ihr unmittelbares Umland. Für Michel Serres erscheint die von Sassen gestellte Diagnose längst universell gültig. Er hält 1995 fest,
41 Beispielhaft etwa bei Weibel/Decker 1990, Faßler/Halbach 1994 oder Virilio 1995. Vgl. auch das Kapitel Peripherie – Erfüllungsgrade von Moderne der vorliegenden Arbeit.
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»Heute können wir von jedem beliebigen Ort an jeden anderen gelangen. […] Man könnte sagen, es gibt überall einen stabilen, universellen und zugleich in Bewegung befindlichen Verkehrsknotenpunkt, der miteinander verknüpft, was früher keinerlei Verbindung besaß.« (Serres 1995, 68)
Kennzeichnend für die Wirksamkeit der Konzeptualisierungen einer sich in den 1990er Jahren radikal verändernden räumlichen Hierarchie ist, dass sie nicht auf den sozial- oder auch medienwissenschaftlichen Spezialdiskurs beschränkt bleibt. Vielmehr strahlen solcherart formierte Sichtweisen in interdiskursive Zusammenhänge aus, innerhalb derer die Herkunft und Genese solcher Argumentationen nicht mehr befragbar ist und evident erscheint. So heißt es in einem Katalogtext, den Hubertus von Amelunxen und Ulrich Pohlmann 1997 anlässlich einer Ausstellung zeitgenössischer französischer Fotografie verfassen, »im Zuge der Diskussion über die Möglichkeiten der medientechnischen Aufhebungen von Ferne und Nähe [gewinnt] die Frage nach dem Ort, nach dem Raum unserer Anwesenheit zusätzlich an Bedeutung. Durch die dimensionale Einebnung des Raumes auf die Fläche des Bildschirms, durch die Vorgabe eines rein funktionalen Dispositivs, aber auch in der Wahrnehmung architektonisch geprägter Orte als Nicht-Orte, denen keine Identität mehr eignet, wird es notwendig, den öffentlichen Raum und seine Auswirkungen einer zeitgemäßen Neubestimmung zu unterziehen« (Amelunxen/Pohlmann 1997, 7f.).
Es sind solcherart Vorstellungen von »Einebnung« und »Zeitgemäßheit«, welche die symbolische Verräumlichung des Flughafens konturieren.
Eine Moderne nach ihrem Ende Geknüpft an Diagnosen der Veränderung des Raums ist die nachdrückliche Verabschiedung zentraler Bestandteile des modernen »Projekts« (Habermas 1981) ein Kennzeichen des hier untersuchten kulturtheoretischen Diskurses. Es ist ein Abschied, der sich, so wird behauptet, in »emblematischer« (Koolhaas 1995, 1251), respektive »archetypischer« (Augé 2008, 8) Weise am Ort des Flughafens vollziehe. Angesprochen sind dabei Kategorien wie ›Sinn‹, ›Substanz‹ und ›Geschichte‹, ja, der gesamte modernisierungstheoretische Fortschrittsbegriff. Von all diesen heißt es – etwa in Lyotards Konzept der Postmoderne (1979), dass sich die mit ihnen assoziierten Konzepte erschöpft hätten; eine Beobachtung, aus der etwa Rem Koolhaas die affirmative Forderung, »down with character« (Koolhaas 1995, 1248), gewinnt. Diese Verabschiedung erfährt – wie im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit dargestellt – eine extreme Zuspitzung in der Rede von der sogenannten
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»Posthistoire«. Der von dem Ökonomen Francis Fukuyama ab 1989 popularisierte Begriff stellt eine wesentliche Verschärfung des in sich paradoxalen postmodernen Arguments, demzufolge sich die Narrative der Moderne in einer »crise des récits« (Lyotard 1979, 7) als überkommen erwiesen haben, dar. Fukuyama behauptet aus neokonservativer Sicht, dass es mit dem Ende des kalten Krieges zu einer »end of history« gekommen sei (Fukuyama 1989). Nicht nur habe der Kapitalismus und die ihm zugrundeliegende liberal-demokratische Ordnung weltweit gesiegt; in Folge gebe es auch keinen Anlass mehr zu einem Wettbewerb der politischen und wirtschaftlichen Systeme. Mehr noch: Der Anbruch der »Posthistoire« verunmögliche jedwede widerständige Position, es bleibe nur die Anpassung und Bejahung des Bestehenden (vgl. ebd.). Vor allem bei Rem Koolhaas finden sich deutliche Hinweise für die Adaption einer solchen Position – etwa, wenn er in The Generic City polemisch resümiert, »Golf courses are all that is left of otherness« (Koolhaas 1995, 1251).42
Postmoderne Subjekte Das dritte und im vorliegenden Kontext entscheidende Merkmal der symbolischen Verräumlichung des Flughafens in der Kulturtheorie Mitte der 1990er Jahre betrifft schließlich – in Folge der beiden zuvor skizzierten Entwicklungen, respektive ihrer wirkmächtigen, diskursiven Behauptung – Fragen nach dem Subjekt als »kulturelle[r] Form der Moderne« (Reckwitz 2006, 11). So spricht Peter Bexte im Anschluss an Serres von der »Trostlosigkeit der Transitreisenden« (Bexte 2006), Marc Augé behauptet, dass »Einsamkeit und Ähnlichkeit« (Augé 1994, 121) die bestimmenden Erfahrungen des Flugreisenden seien, und Rem Koolhaas konstatiert, dass es in solcher Folge zu einem »Verlust der Identität« (Koolhaas 1995, 1248) komme. Und schließlich – und unter Verwendung gleichlautender Begriffe – konstatiert auch Manuell Castells die Existenz einer »solitude of the space of flows« (Castells 1996b, 420) und trifft damit eine sehr weitreichende Aussage, welche die Verfasstheit 42 Die Untersuchung im Kapitel Peripherie – Erfüllungsgrade von Moderne der vorliegenden Arbeit wird zeigen, wie die von der postmodernen Theorie angestrebte Verabschiedung der Moderne ein Vorhaben darstellt, gegen das sich bürgerliche Intellektuelle stemmen, und wie dafür auch der Verkehr und die von ihm bestimmten Räume produktiv werden. So geschieht die Verräumlichung der Peripherie in Kulturtheorie und Kunst mit der Absicht, die Gültigkeit des modernen Projekts gerade dort zu bestätigen, wo sich seine Versprechen vermeintlich noch nicht erfüllt haben.
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des gegenwärtigen Menschen, seine sozialen Lebensbedingungen und die räumlichen Einflussgrößen des Flughafens zueinander in Beziehung setzt. Wie aber kommt es zur Diagnose dieser charakteristischen symbolischen Verräumlichung? Woher rührt die Produktivität des Flughafens? Wenn – wie in den analysierten Texten am Beispiel des Flughafens – vom Verkehr die Rede ist, dann geht es nicht nur um die Verhandlung eines modernen Prozesses des Ordnens, der sich im Raum niederschlägt. Mit dem Begriff und den Oberflächenphänomenen des Verkehrs sind in gleichem Maße – so hat die Analyse der ›Idee‹ des Verkehrs in der Moderne, die im Mittelpunkt des vorangegangenen Kapitels stand, gezeigt – Fragen der Subjektivierung angesprochen. Mit diesem Begriff sind jene Vorgänge gemeint, »die aus empirischen Einzelmenschen autonom handelnde Subjekte und an die Erfordernisse der modernen Gesellschaft angepasste Individuen machen« (Schrage 2008, 4125). Mit dem Prozess der Subjektivierung ist in den Arbeiten Michel Foucaults – insbesondere jenen zur Geschichte der Sexualität (Foucault 1983) sowie in Überwachen und Strafen (1977) – die These angesprochen, dass die Ausbildung von Individualität keineswegs eine ahistorische Tatsache darstellt, sondern geknüpft ist an die funktionalen Erfordernisse moderner Gesellschaften: »Subjektivierung bezeichnet vor diesem Hintergrund die in Institutionen stattfindende Verwandlung empirischer Einzelmenschen in solche, die sich als Subjekte begreifen und als Individuen handeln.« (Schrage 2008, 4125, mit Bezug auf Foucault 1987)43
So beschreibt Foucault (1977) am Beispiel des Gefängnisses, wie das moderne Subjekt mittels disziplinierender und regulativer Verfahren hervorgebracht wird und sich die Form dieser Subjektivierung an räumliche Strukturen sowie die mit ihnen verbundenen Sichtbarkeitsregime knüpft. Das ›individuelle‹ Subjekt erweist sich in einer solchen Perspektivierung nicht nur als »Produkt von Machtkonstellationen, die als diskursive Formationen beschreibbar sind« (Zima 2007, 238). Foucault verortet das Machtgefüge vielmehr innerhalb jenes »entschieden heterogene[n] Ensemble[s], das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen; Gesetze, administrative Maßnahmen wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst« (Foucault 1978, 119)
— dem Dispositiv. 43 Ausführlich zum Subjektbegriff und seiner Funktion für eine Kulturtheorie der Moderne, die sich nicht in Diagnosen von »Individualisierung« und »Disziplinierung« erschöpft, vgl. Reckwitz 2006.
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Der Flughafen fungiert in einer solchen Perspektive nicht nur als symbolischer Bezugspunkt, der politische Botschaften und gesellschaftliche Entwicklungen über seine baulichen Strukturen und die ihn bestimmenden sozialen Praxen vermittelt und evident macht. Er ist auch alles andere als ein »nacktes«, funktionalistisches Gebäude (vgl. Castells 1996b, 421), sondern, im Gegenteil, gerade der Eindruck von »Nacktheit« – um nur einen auszuwählen – wäre der Effekt einer hochgradig machtvollen Zurichtung, und das heißt im untersuchten Fall, einer Repräsentationspolitik. Das scheinbar vorgängige, architekturale Gebilde ›Flughafen‹ erweist sich in einer solchen Perspektivierung als ein Dispositiv, über dessen symbolische Verräumlichung die Subjektivität seiner ›Nutzerinnen‹ und ›Nutzer‹ in spezifischer Weise hergestellt wird. Diese Form der Subjektivität – und dies ist wesentlich – ist jene als Verkehrsteilnehmer. Das erste Kapitel der vorliegenden Arbeit hat untersucht, wie sich mit der ›Idee‹ des Verkehrs in der Moderne ein tiefgreifender Konflikt aufspannt: Verkehr erscheint einerseits als Ausdruck von Vernunft, einem wesentlichen, sinnstiftenden Prinzip der Moderne; zugleich liegt in der solitären Vertraglichkeit, welche der Verkehr bedeutet, eine fortwährende Bedrohung, denn jede soziale Ordnung, die er etabliert, erscheint insofern vorläufig, als sie funktionalistisch und zweckrational bestimmt ist und daher zu jedem Augenblick flüchtig und kontingent bleiben muss. In der Auseinandersetzung mit diesem Widerspruch begründet sich die Subjektpolitik des Verkehrs, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Ästhetiken der Einsamkeit »In the Place of the Public« In the Place of the Public: Observations of a Frequent Flyer ist der Name eines Ausstellungsprojekts der amerikanischen Künstlerin Martha Rosler, das, kuratiert vom Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, im Herbst 1998 realisiert wurde. Neben der eigentlichen Ausstellung, die in einem Zwischengeschoß von Terminal 2 des Frankfurter Flughafens eingerichtet wurde, erschien zeitgleich eine begleitende Publikation – weniger ein Katalog als vielmehr ein eigenständiges Werk. Es besteht aus einem Text- und einem Bildteil, die beide den etwa gleichen Umfang aufweisen. Neben einer Einführung finden sich unter den Textbeiträgen ein Essay der Künstlerin, das den Titel der Ausstellung trägt, sowie ein Aufsatz des Architekturtheoretikers und -kritikers Anthony Vidler. Darüber hinaus besteht der Band aus einer Zusammenstellung von Fotografien Roslers, die im Verlaufe mehrerer Jahre an internationalen Flughäfen entstanden sind, in einem Register räumlich verortet werden und denen in großformatiger Typografie zumeist Schlagworte, Phrasen oder knappe Sinnsprüche grafisch gegenübergestellt sind. Zwischen den Textfragmenten und den Fotografien entsteht so ein wechselseitiges Kommentarverhältnis. Auf einer Doppelseite findet sich etwa eine Fotografie, die einen engen, röhrenartigen, fensterlosen Korridor zeigt (Abb. 5). Durch den Gang führt ein Laufband, auf dem sich Geschäftsreisende, die mit dem Rücken zum Betrachtersubjekt stehen, aufhalten. Strahlenförmig läuft der Korridor auf die Mitte des Bildes zu, durch dessen zentralperspektivische Linienführung eine soghafte Wirkung entsteht. Dem Bild gegenüber gestellt ist eine graue Fläche. In plakativer Typografie finden sich auf ihr die Worte »trace odors of stress and hustle«; am entgegengesetzten Rand die deutsche Übersetzung, »Spurenelemente von Streß und Gedränge« (Rosler 1998, 96). Korridore und Gänge, solcherart kadriert, stellen ein häufig gewähltes Motiv in Roslers Bildern dar. Neben zahlreichen Fotografien, die in den
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funktionalen Innenräumen von Terminalgebäuden entstanden sind, existieren auch eine Reihe von Aufnahmen aus dem Inneren von Flugzeugen. Menschen allerdings sind auf diesen Bildern zumeist auf ihre Silhouetten reduziert oder wenden der Betrachterin oder dem Betrachter den Rücken zu. Abbildung 5: Martha Rosler, »Spurenelemente von Stress und Gedränge«
Anders als in den Fotografien von Francesco Cianciotta, wo die Anwesenheit von Menschen etwa der Proportionierung der gebauten Strukturen dient, wird man die Bilder Roslers jedoch nur schwer einer Ästhetik der Architekturfotografie zurechnen können. Der Titel des Projekts – In the Place of the Public – verweist daher auch auf eine zentrale Beobachtung, die Rosler in ihrem Essay entfaltet. Flughäfen, so heißt es dort, erwiesen sich heutzutage als Stätten, die nur mehr Öffentlichkeit simulierten, die aber tatsächlich privatwirtschaftliche, hochgradig kommodifizierte Orte darstellten, die über keinerlei Qualitäten, die üblicherweise dem öffentlichen Raum zugeschrieben würden, verfügten. So resümiert sie in der Terminologie von Manuel Castells, »This is a ›public‹ constituted only as a regulated flow« (ebd., 63).44
44 Diese Wahrnehmung und ihre rhetorische Fassung im Bild des Fließens finden ihre Bezugsrahmen in den baulichen Strukturen. Denn die Erzeugung eines solchen »Flusses« stellt ein wesentliches Paradigma der Flughafenarchitektur dar, deren gegenwärtiges Leitbild maßgeblich und stilbildend durch das von Eero Saarinen entworfene und nach 1960 errichtete TWA Flight Center, dem heutigen Terminal 5 des New Yorker Flughafens JFK, beeinflusst worden ist. Das Paradigma der hierbei
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Während Francesco Cianciottas Fotografien in Un viaggio a parte perspektivische Strukturen betonen und einen anhand geometrischer Kontraste entwickelten Bildaufbau aufweisen, dessen grafische Abstraktion noch durch die Verwendung stark gekörnten Schwarz/Weiß-Films betont wird, kennzeichnen Roslers Aufnahmen andere Merkmale. Aufgrund der Verwendung von Farbfilm und der durch die fehlende Korrektur der Lichttemperatur hervorgerufenen Einfärbung der Fotografien, aber auch durch eine oftmals unpräzise Schärfenführung haftet den Bildern der Charakter von Schnappschüssen an. Doch der erste Eindruck täuscht: Roslers fotografische Praxis folgt erkennbar dem Prinzip, vorgefundene Elemente der räumlichen Situation in den Abfertigungsgebäuden – etwa Werbeplakate, Anweisungen oder Bildtafeln – durch deren motivische Auswahl einer rekontextualisierenden Lektüre zugänglich zu machen. Neben den offensichtlichen Unterschieden, welche sich bereits durch eine oberflächliche Analyse des visuellen Befunds ergeben, zeigen sich jedoch auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen In the Place of the Public und Un viaggio a parte. Auffällig ist etwa ein fast vollständiger Verzicht auf mögliche Bildtypen, die nicht Innenaufnahmen mittlerer Einstellungsgröße entsprechen. So finden sich bei beiden Werkgruppen weder Detailaufnahmen, noch Portraits, noch totalisierende Außenaufnahmen der Abfertigungsgebäude. Und wie schon Cianciotta, scheint auch Rosler nur ein geringes Interesse an der konkreten Verortung der Bilder zu haben; ein Index am Ende des Bandes nennt zwar die Orte der Aufnahmen, weist aber Lücken und Unbestimmtheiten auf, »unknown place and date«, heißt es einmal gar (Rosler 1998, 169). Auf den ersten Blick wird deutlich, dass sowohl Cianciottas wie auch Roslers Fotografien die kulturtheoretischen Prämissen, die Mitte der 1990er Jahre die Verräumlichung des Flughafens bestimmen, zu beglaubigen, vielleicht auch nur zu illustrieren scheinen. Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen den hier gewählten (oder behaupteten) künstlerischen Strategien und der kulturtheoretischen Formierung des Feldes jedoch komplexer. So ist offensichtlich, dass sich Bilder nicht nur durch das bestimmen, »was auf der materiellen Oberfläche des Bildträgers sichtbar dargestellt ist. Sie werden ebenfalls davon angeregt, was nicht dargestellt ist und unbestimmt bleibt« (Huber 2004, 84). Eine medienwissenschaftliche, an diskursanalytischen Fragestellungen geschulte Bezugnahme auf Bilder wird diese nicht als
erstmals verwirklichten Architektur bilden Vorstellungen eines Fließens und Gleitens der Passagiere durch den umbauten Raum, ein buchstäblicher »space of flows« (vgl. Vidler 1998, 14f.). Zur Architekturgeschichte des Terminals vgl. Hart 1985.
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›Tatsache‹ begreifen, sondern als Effekt einer machtvollen Anordnung innerhalb »polytechnischer Dispositive« (Mayerhauser 2006, 78). Aus einer solchen Perspektive ist Sichtbarkeit keine den Dingen anhaftende Eigenschaft, sondern stets in spezifischer Weise hergestellt, und zwar in Bezug auf zu untersuchende Macht/Wissens-Konstellationen. Die Bilder, die eine Gesellschaft von sich entwirft, mehr noch, die Gesellschaft als Bild, ist daher nicht fassbar in der Analyse der autonomen ›Werke‹ individueller Künstlersubjekte, sondern allein beschreibbar als Problematisierungsweisen des Sicht- und Sagbaren, die, gebunden an mediale Verfahren, geknüpft sind an das, was der Fotografietheoretiker Allan Sekula ihre »kulturelle Praxis« nennt (Sekula 1982, 86). Und aus einer solchen Sicht zeigt sich, dass neben den offenkundigen Unterschieden, die Francesco Cianciottas und Martha Roslers Bilder des Flughafens auszeichnen, eine Repräsentationspolitik existiert, welche, gleich einem kulturellen Unbewussten, beide Projekte verbindet. Eine erste Parallelität besteht etwa in der Art und Weise, wie die Künstlerin und der Künstler ihre jeweiligen Arbeitsweisen beschreiben. So verweist Cianciotta im Vorwort seines Fotobuchs darauf, dass er die Aufnahmen, die er präsentiere, über den Verlauf vieler Jahre und während geschäftlicher Reisen beiläufig angefertigt habe (vgl. Cianciotta 2008, 6). Doch was zunächst wie eine eigenwillige, höchst persönliche Annäherung an ein Thema, das sich erst über den zeitlichen Abstand formiert, erscheint, erweist sich als ein Narrativ, das auch Rosler in der Verortung ihrer Arbeit aufruft. So schreibt sie, »In the past twenty years, living an artist’s life, I have frequently found myself flying on commercial airlines. […]. I changed my black-and-white film for color, and my serious 35-millimeter camera for a less weighty pocket version. […] And I continue to fly, and to photograph. I continue, no doubt indefensibly, to resist researching airports beyond the elements and experiences accessible to the ordinary traveller with ideas in her head and a camera in her hand.« (Rosler 1998, 27)
Francesco Cianciotta beschreibt diesen Zugang ähnlich: »I’ve used a ›little‹ camera without pretension which I bought for a bit of money at a duty free shop. […] For twelve years I took photographs in airports without having a true purpose, driven only by the pleasure of doing so, which was lost and rediscovered in observing spaces without place and without time, confusing dawn with sunset. Isn’t this perhaps how each journey begins?« (Cianciotta 2008, 7)
Die Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen beiden künstlerischen Projekten betreffen allerdings nicht nur den Duktus der Selbstzeugnisse, mit denen Cianciotta und Rosler ihre jeweiligen Vorgehensweisen verdeutlichen, den Hinweis auf die simple technische Ausrüstung, die beide bewusst gewählt haben, die Länge des Projektzeitraums und die zwischenzeitliche Beiläufigkeit
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seiner Verfolgung. Die Gemeinsamkeiten umfassen selbst Einzelaspekte wie die Wahl von Motiven, von Kamerastandpunkten und Perspektiven, selbst, wenn man wird einräumen müssen, dass sich im Hinblick auf die formale Gestaltung signifikante Unterschiede abzeichnen. Und schließlich, aber nicht zuletzt, suchen sowohl Cianciotta als auch Rosler, indem sie Texte von Marc Augé respektive Anthony Vidler ihren eigenen Werken voranstellen, die Nähe zur kulturtheoretischen Formierung des Feldes, das ihre eigenen Arbeiten erschließt. Die Ähnlichkeiten zwischen beiden Projekten sind daher nicht anekdotischer Art45, sondern struktureller Gestalt. Sie sind Hinweis auf eine spezifische Subjektpolitik, mittels derer sich Intellektuelle als Verkehrsteilnehmer entwerfen. Diese Subjektpolitik findet ihren Ausdruck und ihre Voraussetzung in einer augenfälligen Repräsentationspolitik, welche die Weisen, wie der Flughafen für das eigene Anliegen produktiv wird, kennzeichnet. Um zu beantworten, worin sich diese begründet, was ihre ›Leistung‹ ist, und auf welche Bedürfnisse der an der bedeutungsvollen Herstellung der jeweiligen Texte beteiligten sozialen Gruppen sie antwortet, ist eine genauere Analyse von Roslers künstlerischem Projekt hilfreich. Sowohl in ihren eigenen Einlassungen wie auch in dem ergänzenden Essay von Anthony Vidler lassen sich zahlreiche Hinweise auf die Fabrikation der Subjektpolitik und der sie bestimmenden Prämissen finden.
45 Eine mögliche Erklärung für die auffälligen Parallelen innerhalb der beiden künstlerischen Projekte könnte auch dadurch begründet werden, dass der Flughafen als gebaute Struktur aufgrund seiner architektonischen und nutzungsbedingten Einschränkungen bestimmte Sichtweisen oder »Techniken des Betrachters« präferierte, andere ausschließen würde, und die Übereinstimmungen daher der vormedialen ›Situation‹ des Sujets geschuldet wären. So einleuchtend eine solche Argumentation sein mag, so kurz griffe sie in letzter Konsequenz, unterschlüge sie doch nicht nur die konkreten Entscheidungen, welche den jeweiligen Fotografien zugrundeliegen, sondern auch die komplexen medialen Verfahren, die jegliches Herstellen von Bildern bestimmen und in die sich sowohl intentionale Entschlüsse als auch das Machtgefüge des Gesellschaftlichen eingeschrieben haben (vgl. Fuller 2008). — Eine zweite, alternative Erklärung für die Ähnlichkeiten beider Werke könnte darin liegen, dass sich Francesco Cianciotta, dessen Buch 2008 publiziert wurde, von dem zehn Jahre früher veröffentlichten In the Place of the Public hat beeinflussen lassen. Diesem Argument zu folgen, hieße jedoch, sich in das Feld unergiebiger Spekulation zu begeben. Für den vorliegenden Kontext ist die Frage nach dem künstlerischem ›Wert‹, oder gar der künstlerischer ›Originalität‹ der untersuchten Arbeiten letztlich bedeutungslos.
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Mediale Verfahren der Vereinzelung Die auffälligen Übereinstimmungen in den sich doch so persönlich gebenden, fotografischen Arbeiten von Rosler und Cianciotta (Abb. 6/7), die gemeinsame Repräsentationspolitik, die sie bestimmt und die vergleichbaren diskursiven Bezüge, die mittels der jeweiligen Bild/Text-Verhältnisse hergestellt werden, verweisen darauf, dass wir es nicht mit individuellen Sichtweisen auf den Flughafen zu tun haben, sondern dass dessen symbolische Verräumlichung Ausdruck einer Repräsentationspolitik ist, in die sich soziale Kontexte, habitualisierten Wertvorstellungen und ästhetische Geschmacksurteile eingeschrieben haben. Indem die hier untersuchten Verräumlichungen des Flughafens eine Repräsentationspolitik ausbilden, lassen sie sich nicht mehr nur auf Bewusstseinsinhalte konkreter Akteure, die ein bürgerlicher Diskurs als Künstlerinnen und Künstler identifiziert, zurückführen, sondern – über Verfahren der Normalisierung – als Ausdruck von »typischen Subjektformen, die ihr Weltverhältnis organisieren« (Schrage 2008, 4127). In diesem Sinne haben wir es nicht zuletzt, »so lehren uns die diskursanalytischen Untersuchungen der Diskursanalytiker in Übernahme Foucaultscher Theoreme, bei dem Photoapparat mit einer optischen Maschine der Disziplinierung und Normierung zu tun« (Stiegler 2006, 373).
Die Subjektkonstruktion, die nun sowohl die Bilder Cianciottas als auch jene Roslers bestimmt, sei, so wird in den kontextualisierenden Texten, welche den Bildern beigeordnet sind, und in Übereinstimmung mit den kulturtheoretischen Bezugnahmen auf den Flughafen einmal mehr behauptet, eine von »Einsamkeit« und »Gleichförmigkeit«. So äußert sich Marc Augé im Vorwort zu Un viaggio a parte, »Apparently slightly lost in this world of transparency and technology, in this mixture of time and space the oscillations of which are registered by the arrivals and departure boards, the silhouettes of passengers, men and women of all origins, appear at first as an illustration and symbol of solitude, an essential solitude which has nothing anecdotal about it and refers to no-one’s personal history.« (Augé 2008, 13)
Auch Anthony Vidler schließt seine einleitenden Bemerkungen zu In the Place of the Public mit einer ähnlichen Diagnose. Er umschreibt Roslers Projekt als »images of subjective alienation in transit« (Vidler 1998, 17) und führt weiter aus:
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Abbildung 6: Francesco Cianciotta, »Flughafen Frankfurt am Main«
Abbildung 7: Martha Rosler, »anderswo und anders, Frankfurt 1997«
»The absence of people from these images, then, is not for aesthetic reasons but to mark their real nonexistence for spaces occupied by their transient bodies, moved through as quickly as possible. Bleakness would then be seen in the place of modernist fulfilment; anomie and estrangement in the place of a truly ›public realm‹. Space that is, have been substituted for places.« (ebd., 13)
Wenn aber Anthony Vidler Roslers Bilder als »ubiquitous in their uniformity« (ebd., 20) beschreibt, und Marc Augé die typische Erfahrung des Reisenden, wie, so Augé, durch Cianciottas Bildern belegt, als »essential solitude« kennzeichnet, dann sind diese Eindrücke nichts anderes als Effekte spezifischer
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medialer Verfahren. So ist die »placelessness« (Rosler 1998, 22)46 des Flughafens einem Blicken geschuldet, dass diese als solche erkennen will, sich auf die »generischen« Anteile der Architektur beschränkt, und nicht zuletzt der Strategie zuzurechnen, jegliche kontextualisierende Verortung in einen Index auszugliedern, der nicht einmal sonderliche Genauigkeit beanspruchen kann. In gleicher Weise ist die »Einsamkeit« der Reisenden in den Bildern Cianciottas und Roslers die Folge einer Anordnung, welche sie als einsam exponiert, indem sie individuelle Merkmale der menschlichen Körper mittels starker Kontraste auf Silhouetten reduziert oder diese in Rückenansicht fasst, so dass eine Zuschreibung von Charaktereigenschaften über die Möglichkeit der Stereotypisierung den Betrachterinnen und Betrachtern verwehrt wird. Wie sehr sich diese Repräsentationspolitik als ein Effekt medialer Verfahren und diskursiver Bezugnahmen erweist, wird auch deutlich, wenn Marc Augé über die Summe der menschlichen Körper in Cianciottas Fotografien spricht. So heißt es: »The passenger that Cianciotta’s photographs allow us to glimpse of is a ›generic‹ character too. Standing, hesitant, he is apparently trying to find his way after taking the escalator to change level. Contemplative, more relaxed, resigned, we find him again a little further on, slightly later, absorbed in his reading, like his immediate neighbours. A delay has no doubt just been announced which leaves him a little more time. It is him again that we can see pushing an overcharged trolley down an endless corridor or dozing on a seat. It is him, it is someone else, and it is us.« (Augé 2008, 13) 47
Die Faszination für die »Abwesenheit der Menschen«, die Vidler für In the Place of the Public behauptet, geht indessen so weit, dass er den visuellen Befund der Bilder ignoriert. Denn tatsächlich sind auf sehr vielen von Roslers Aufnahmen menschliche Körper zu erkennen. Allein der Modus ihrer Sichtbarkeit (in Rückenansicht, als entindividualisierte Silhouetten) scheint nicht mit den bürgerlichen Vorstellungen von Individualität, deren Verlust hier betrauert wird, in Einklang zu bringen. Darüberhinaus betreffen die Zuschreibungen der Absenz in ihrer eigentlichen Absicht gar nicht einmal so sehr die menschlichen Körper auf der Ebene des sichtbaren Bildes. Sie gelten, in einem übertragenen Sinne, für die Marginalität jeglicher Subjektposition, einschließ-
46 Rosler argumentiert hier vermutlich mit implizitem Bezug auf Relph 1976. 47 Die medialen Verfahren, mittels derer die einzelnen Subjekte bildlich und, in deren Folge, auch metaphorisch vereinzelt werden, unterscheiden sich demnach deutlich von jenen Repräsentationspolitiken, welche die Ausbildung der modernen Gesellschaft in den 1920er Jahre begleiten, und die von der lustvoll gefürchteten Faszination für das Aufgehen des Einzelnen in einer ›Massengesellschaft‹ bestimmt sind (vgl. Weyergraf/Lethen 1995).
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lich – und vielleicht sogar insbesondere – der eigenen, künstlerischen und intellektuellen. In Cianciottas Selbstzeugnissen erscheint diese Marginalisierung noch als künstlerische Strategie: Ausgerüstet mit einer unscheinbaren Kamera, so schreibt er, habe er eine Rolle eingenommen: »[N]obody took me seriously in any airport in the world« (Cianciotta 2008, 7). Für Martha Rosler hingegen stellt sich diese Erfahrung kaum mehr als Erleichterung, sondern als ultimative Negation der eigenen Person dar. So konstatiert sie, »When I became something of a frequent flyer, I felt like a displaced person« (Rosler 1998, 22). Die Beiläufigkeit, mit der hier Vertreibung und tatsächliche Obdachlosigkeit auf der einen, und die – subjektiv möglicherweise nachvollziehbaren – Gefühle einer »Vielfliegerin« auf der anderen Seite in eins gesetzt werden, ist jedoch, gelinde gesagt, problematisch. Oft genug erweist sich der Idealtypus eines ›intellektuellen Nomaden‹ jedoch als Blaupause intellektueller Selbstentwürfe in postmodernen Texten (vgl. Lindemann 2002).48 In besonders anschaulicher Weise hat sich diese Tendenz im Werk von Paul Virilio niedergeschlagen. Der deutschen Ausgabe der Aufsatzsammlung Fahren, fahren, fahren… (1978) vorangestellt, findet sich der Hinweis, »Sarah Krasnoff gewidmet, die 1971 auf der Flucht vor den Psychiatern praktisch ohne Unterbrechung fünf Monate lang in den Maschinen der K.L.M. saß und über 160 Mal den Atlantik überquerte, bevor sie ruiniert und am Ende ihrer Kräfte im Zimmer 103 des Hotel Frommer in Amsterdam starb.« (ebd., 5)
Widmungen sind Ausdruck einer ersehnten oder tatsächlichen Verbundenheit. Doch welche Verbundenheit liegt zwischen einem französischen Wissenschaftler und einer 80 Jahre alten Frau aus Cleveland, Ohio? Virilio deutet das moderne Versprechen fortwährender Zirkulation, indem er es nicht topologisch, sondern zunächst chronologisch – als Kreisen, das zu keinem Ende findet – und schließlich nur mehr metaphorisch begreift: nicht als Verheißung,
48 Eine gegensätzliche Narration intellektueller Selbstentwürfe findet sich bei Regis Debray. In Le Pouvoir intellectuel en France (1979), einer Geschichte der französischen Intellektuellen der letzten einhundert Jahre, versucht Debray gerade nicht Begriffe des Nomadischen zu verwenden. Stattdessen sind es spezifische Orte der Behausung – von den Akademien über Verlage bis hin zu Massenmedien –, die ihm zur Entwicklung seiner historischen Typologie dienen. Diese Orte eine, dass sie zwar »alle unterschiedlich, aber alle gleichermaßen heimatlich, nett ausgestattet, sicher, warm und oft sogar gastfreundlich« seien, wie Zygmunt Bauman festhält, um schließlich zu resümieren: »Wenn die Intellektuellen jemals Nomaden gewesen sind, so sind sie es nicht mehr. Sie sind angekommen« (Bauman 1992b, 149). Zur Diskursfigur des Nomadischen als Strategie des Kunstmarktes zur Verbreitung westlicher Normvorstellungen vgl. Haenel 2007.
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sondern als äußerste Bedrohung der Unversehrtheit jedes Subjekts. Es ist eine Bedrohung, der er eine anthropologische Qualität beimisst. Über die Flugpassagiere heißt es bei ihm, »[i]hre flüchtige Gegenwart entspricht der Irrealität und der Geschwindigkeit ihrer Reise. Die Benutzer der Transit-Städte sind Schemen, die ein exotisches und zukunftsloses Ganzes bilden« (ebd., 33).49 Die so angesprochene ›Erfahrung‹ beschreibt auch Anthony Vidler – wie zuvor Augé – als Effekt einer Lebensrealität, die sich nicht nur sinnbildlich am Flughafens vollziehe: »For Rosler some seventy years later, it seems that the space of the contemporary airport offers the combined discomfort of demoralized waiting and anonymous passage.« (Vidler 1998, 16) Dank der Sicherheitseinrichtungen, die ein permanentes Kontrollregime darstellten, bleibe der Raum des Flughafens, so Vidler, »free of the disturbing presence of the truly homeless, leaving them open to the vicarious and temporary homelessness of privileged nomadism« (ebd.). Diese Diagnose ist allerdings so bezeichnend wie unzutreffend. So hat Tim Cresswell (2006, 284f.) anhand empirischer Untersuchungen am Beispiel des niederländischen Flughafens Schipol gezeigt, dass Terminals Orte darstellen, die sehr wohl – und in überraschendem Ausmaß – von Obdachlosen zum Aufenthalt genutzt werden. Vor dem Hintergrund des Mechanismus, dass »[i]n einer Medien- und Informationsgesellschaft […] exkludiert zu sein bedeute[t], sich nicht sichtbar machen zu können« (Schroer 2005, 333), verweist die intellektuelle Verräumlichung des Flughafens und der sie vermeintlich bewohnenden Subjekte nicht nur auf blinde Flecken der Selbstwahrnehmung Intellektueller, sondern reproduziert eine gesellschaftlich exkludierende hegemoniale Ordnung. Intellektuelle mögen sich diskursiv und über Repräsen-
49 Anthony Burgess hat in einer dystopischen Kurzgeschichte, die den Titel The Endless Voyage (1989) trägt, eine ähnliche Figur imaginiert. Im Vergleich mit Virilios Bezugnahme auf Sarah Krasnoff wird dabei jedoch eine auffällige Verschiebung auf der Ebene von Gender deutlich. Denn anders als die weibliche Figur Krasnoff, welche in der zeitgenössischen Presseberichterstattung als ›Getriebene‹ und von Virilio als »auf der Flucht« beschrieben wird, und die ihr Handeln letztlich – hegemonialen Vorstellungen weiblicher Opferschaft entsprechend – mit dem Tod bezahlt, trifft Burgess’ männlicher Protagonist – »an erect man with a full head of snowy hair« (ebd., 151), indem er sich auf eine »endlose Flugreise« begibt, eine höchst bewusste, durchdachte und rationale Entscheidung: Diese, in ihren Konsequenzen von einem namenlosen Ich-Erzähler beobachtet, besteht darin, nach dem Einchecken am Schalter eines Flughafens den eigenen Reisepass fortzuwerfen, um das restliche Leben entweder fliegend oder in den Transitbereichen internationaler Flughäfen zu verbringen. Diese Wahl wird ihm freilich letztlich verwehrt; so wird der Ich-Erzähler Zeuge, wie der Protagonist gegen seinen Willen der Psychiatrie zugeführt wird.
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tationspolitiken, die sie als entindividualisierte Verkehrsteilnehmer in »anonymisierten Passagen« (Vidler 1998, 16) zeichnen, entwerfen. Im Gegensatz zu den meisten Obdachlosen sind sie gleichwohl integriert in der Ordnung des Diskurses. Ist aber die Repräsentationspolitik, welche bei Rosler und Cianciotta aufscheint und die präfiguriert ist von der kulturtheoretischen Verräumlichung des Flughafens, der einzige Modus, wie sich in der kulturellen Produktion Subjektentwürfe am Flughafen vollziehen? Dass sich das Aufgehen im Verkehr der Terminals, das sich als Effekt dezidiert medialer Verfahren erweist, keineswegs über die Behauptung eines Subjektschwunds vollziehen muss, soll ein Gegenentwurf, der dem populären Kino entnommen ist, zeigen. Dabei wird auch deutlich werden, dass die eigensinnige Dynamik, welche die Verräumlichung des Flughafens bestimmt, gleichermaßen dazu dienen kann, eine das Subjekt befreiende Mobilisierung zu imaginieren.
›Befreiung‹ statt Einsamkeit »Décalage horaire«50 Félix wacht jäh im Flugzeug auf. Wo man gelandet sei, fragt er die Stewardess überrascht. In Paris, antwortet sie. Er scheint nicht sehr erfreut. »Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen, an der Art und Weise, wie die Bewegung in den Straßen schwingt«, schreibt Robert Musil (1981, 7) im ersten Kapitel des Mann[s] ohne Eigenschaften, nicht jedoch, ohne anzufügen, wenigstens sei dies eine allgemeine Annahme, und es sei letzthin gleichgültig, ob sie tatsächlich zuträfe. Für den von Jean Reno dargestellten Félix, einen der Protagonisten in Décalage horaire (dt. Jetlag – oder: Wo die Liebe hinfliegt, F 2003) gilt diese Mutmaßung zweifellos nicht mehr. Mit der eingangs geschilderten Szene beginnt der Film der französischen Regisseurin Danièle Thompson, der einmal mehr mit dem wuchernden Diskurs um den Verlust ›konkreter Orte‹ in Zeiten des allumfassenden Verkehrs kokettiert, ihn jedoch bricht. Denn der unscheinbare Spielfilm ist alles andere als eine bedeutungsschwere Auseinandersetzung mit dem ›einsamen‹ Subjekt im Angesicht der Globalisierung, wie sie die Kulturtheorie Mitte der 1990er Jahre in unterschiedlicher, in ihren Konsequenzen jedoch letztlich erstaunlich gleichförmiger Weise sucht. Zygmunt Bauman (1998) hat auf die Polarisierung zwischen denen, die sich freiwillig auf den Weg gemacht haben und jenen, die es gezwungenermaßen tun, zwischen Touristen und Vagabunden, Reisenden und Flüchtlingen, hingewiesen. Diese Aufteilung, so Bauman, produziere eine neue »globale Hierarchie der Mobilität« (ebd., 70), und zwar im Hinblick auf die Frage, welche sozialen Konflikte diese Entwicklung hervorbringe (oder eben nicht). Auch in Décalage horaire spielt die Frage nach der Existenz des Menschen im Verkehr, 50 Der folgende Abschnitt folgt einer früheren Verwendung des Gegenstandsbeispiels in Waitz, Thomas (2006): »Verkehr als medialer Effekt. Danièle Thompson: ›Jetlag‹«, in: Andreas Jahn-Sudmann/Christian Hißnauer (Hg.): Medien – Zeit – Zeichen. Marburg: Schüren, S. 212-218.
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seine Subjektivierung als Verkehrsteilnehmer am Flughafen, eine zentrale Rolle, jedoch mit bemerkenswert anderen Schlüssen, als Serres, Augé und ein Großteil der Kulturtheorie sie ziehen. Für Félix stellt sich unmittelbar nach der Landung in Paris heraus, dass seine Weiterreise unter wenig guten Vorzeichen steht: Ein Streik der Fluglotsen, dem sich weitere Beschäftigte des Transportgewerbes angeschlossen haben, wird ihn zur Immobilität zwingen – und mit ihm zahlreiche andere Passagiere, von denen wir jedoch nur eine einzige näher kennen lernen: Rose (Juliette Binoche), eine französische Kosmetikerin, die sich auf dem Weg nach Mexiko befindet. Décalage horaire ist, man ahnt es, der Versuch, das Bedeutungsinventar der Romantic Comedy in eine gänzlich leidenschaftslose Ordnung zu transferieren, nämlich die des Verkehrs. Dieses Unterfangen stellt freilich selbst einen romantischen Kommunikationstyp dar, der im Bewusstsein einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit wiederherzustellen versucht, was längst verloren ist. Doch Décalage horaire erweist sich bei näherer Betrachtung als bei weitem nicht so eindeutig, dass er sich ideologiekritisch als Ausdruck eines falschen Bewusstseins ›entlarven‹ ließe – und er wird sich auch nicht mit dem pejorativen Hinweis auf genrebedingte Unterkomplexitäten abqualifizieren lassen. Denn was ihn im Hinblick auf die Frage nach der »semantischen Substanz« (Metz 1972, 38) seiner symbolischen Verräumlichung des Flughafens so bemerkenswert macht, ist, dass diese für eine wesentliche narrativ-mediale Operation produktiv wird, von denen die impliziten und romantisierenden Aussagen des Films nicht zu trennen sind. Als Reisende sind Félix und Rose immobilisiert: In Paris angekommen, geht es für beide nicht weiter, und das wird auch bis fast zum Schluss des Films so bleiben. Décalage horaire thematisiert damit die Situation einer Störung, die in mindestens zwei Beziehungen zu denken ist: Zum einen liegt eine Störung in der Stockung, die eintritt, wenn Verkehrswege nicht zur Verfügung stehen. Das Funktionssystem Verkehr ist zwar zusammengebrochen, aber es ist nicht aufgehoben, bildet es doch weiterhin den Bezugs- und Handlungsrahmen der Figuren. Diese werden im Verlaufe des Films einige Versuche unternehmen, die Störung zu überwinden. Eine ganze Menge seines komödiantischen Potentials gewinnt Décalage horaire aus der Serialität, mit der solche Situationen wiederkehren. Diese ›buchstäbliche‹ Detopologisierung der Figuren korrespondiert zum anderen mit einem sinnbildlichen Verständnis der Verunmöglichung eingeschlagener Wege. Sowohl Félix als auch Rose werden als Charaktere eingeführt, die – und hier liegt das dramatische Reservoir des Films – an Punkten ihres Lebens stehen, welche von ihnen weitreichende Entscheidungen und
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unangenehme Eingeständnisse abverlangen. Félix scheint, so erfahren wird, unter Beziehungsängsten und ungeklärten Konflikten mit seinem Vater zu leiden, Rose beabsichtigt, sich von ihrem Partner zu trennen und ein neues Leben in Mexiko zu beginnen. Der unvorhergesehene Aufenthalt am Flughafen und die gemeinsame Nacht im Hotel markieren den titelgebenden Zeitraum einer Selbstvergewisserung, innerhalb dessen die Figuren eine genretypische Wandlung durchlaufen, sich ihrer Ängste und Schwächen bewusst werden und schließlich einander näher kommen. Dieses Narrativ ist gewiss nicht neu; im Genrekino aber ist Originalität gerade nicht eine entscheidende Kategorie, sondern die je unterschiedlichen Spielarten und Variationen stereotyper Handlungsinventare. Thompson arrangiert nun eine Situation, die sich bereits in ihrer Ikonographie ausweist als jene der Augé’schen »Nicht-Orte«. Flughafen und Hotel – die zusammen beinahe ausschließlich das Setting des Films bestimmen – bieten allerhand Anlass zu Momenten der »UnHeimlichkeit« (Vidler 2002 mit Bezug auf Freud), und Regie, Kamera und Montage wissen die »generische« Eigenschaftslosigkeit (Koolhaas 1995) dieser Räume geschickt für die Symbolisierung ihrer narrativen Absichten zu nutzen. Kurz nach der Ankunft im Hotel etwa bestellt Félix für sich und Rose ein Abendessen auf das Zimmer. Gleich den miteinander am Tisch sitzenden Figuren in Serres’ La légende des anges, von denen es heißt, »[d]er Lärm des Fernsehers hindert sie, einander zu verstehen« (Serres 1995, 153), bilden sie eine Gemeinschaft an einem hochgradig un-heimlichen Ort. Die Situation ist keineswegs entspannt, noch hat man sich in dieser Zweckgemeinschaft nicht passabel arrangiert, geschweige denn, dass man einander sympathisch fände. Als der Kellner den fahrbaren Tisch hereinbringt, der alle Insignien eines kultivierten, wenn auch provisorischen Mahls aufweist, will sich dennoch keine befreite Stimmung einstellen: Rose nimmt auf der Bettkante Platz; Félix, der von Beruf Koch ist, mäkelt an den Speisen, die Situation eskaliert schließlich vollständig. Die wiederkehrend eingesetzten seitlichen Halbtotalen der beiden am Tisch einander gegenübersitzenden Protagonisten verstärken zudem den konfrontativen Eindruck, den diese Anordnung auszeichnet. Wir werden Zeuge einer Konfiguration, die ihrer formalen Struktur nach eine Tischgemeinschaft darstellt, die jedoch als kulturelle Praxis um ihren Bedeutungskern gebracht worden ist – den einer Gemeinschaft nämlich. Am miteinander geteilten Tisch sitzend, so der Effekt dieses filmischen Verfahrens, sind diese Figuren dennoch an einem »Nicht-Ort«, inmitten eines »Raum[s] der Ströme«, keinem »Raum der Orte« (Castells 1996b).
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Die symbolische Verräumlichung des Flughafens als transitorisch bildet in Décalage horaire den Resonanzraum innerer Verwerfungen und das Ausdrucksfeld der psychologischen Tiefenstrukturen der Figuren. Was sie von den impliziten Subjektkonstruktionen der Kulturtheorie unterscheidet, ist jedoch eine Repräsentationspolitik, die nicht antritt, den Eindruck von »Leere« und »Einsamkeit« manifest werden zu lassen, sondern einer gegensätzlichen Rhetorik folgt. Denn Thompsons Film verhandelt zwar den Flughafen als Raum des Verkehrs, spart diesen aber auf der Ebene seiner Bilder fast vollständig aus. Konträr zur Repräsentationspolitik des Flughafens bei Cianciotta oder Rosler sehen wir prinzipiell nicht, dass die filmischen Figuren warteten, dass sie Langeweile hätten oder zur Untätigkeit verdammt wären. Wenn Rose sich etwa zu Beginn des Films durch den Flughafen bewegt, dann ist sie permanent in Handlungen engagiert, vor allem aber in Kommunikation, und zwar mittels ihres Mobiltelefons. Während Cianciotta sich für eine Bildsprache entscheidet, die zu jedem Zeitpunkt darauf hinarbeitet, den Eindruck von Einsamkeit manifest werden zu lassen, scheint in Décalage horaire etwas anderes dominant: unablässige Aktion und Reaktion, durchaus typisch für eine Situationskomödie. Und doch schreibt sich auch der Diskurs um transitorische Identitäten in einen Film wie Décalage horaire unmittelbar ein. Wie ein sinnbildlicher Hinweis auf das »Unbehaustsein« (Flusser 1997, 160), die »nomadische Existenz« (Deleuze/Guattari 1992), die Anpassung an die Erfordernisse eines Lebens in »segmented places, increasingly unrelated to each other« (Castells 1996b, 428), scheint, wenn Rose fortdauernd mit ihrem Gepäck – einem Rollkoffer und einer überdimensionierten Kosmetiktasche – hantiert.
Das Überwinden der Störung Im Hinblick auf Décalage horaire lassen sich auf der Ebene der Diegese zwei Störungsparadigmen unterscheiden, die je narrativ operationalisiert werden: Zum einen die Dysfunktion der Technik, verdeutlicht etwa in der verunmöglichten Kommunikation Roses, die ihr Mobiltelefon verliert, aber auch im Ausfall des Verkehrssystems, ein Aspekt, der eine Analogie zur gestörten Interaktion der Figuren bildet. Auf der anderen Seite steht eine Detopologisierung, in deren Konsequenz eingeschlagene Wege unmöglich geworden sind und die mit der Lebenssituation der Figuren korrespondiert. Wo der Verkehr gestört ist, da gewinnen jene Machtverhältnisse Geltung, die zuvor von ihm nivelliert worden sind. Das Moment der Störung produziert die Notwendigkeit binaristischer, universeller Codierungen. Die antagonisti-
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sche Freund/Feind-Schematisierung der Protagonisten wird bezeichnenderweise erst im Augenblick der Wiederherstellung freier Zirkulation überwunden. Erst in jenem Moment, in welchem die Figuren wieder mobilisiert und in den fließenden Verkehr eingebunden sind, ist es ihnen, ganz im Sinne einer avantgardistischen Verkehrsanthropologie, wie sie Helmuth Plessner in den 1920er Jahren entwirft, gestattet, »einander näher zu kommen, ohne sich zu verletzen« (Plessner 2002, 80; vgl. Waitz 2013). Dass dieser Errungenschaft mit der sich anschließenden Liebesgeschichte sogleich eine romantische (und damit zu Plessners Entwurf konträre) Umwidmung folgt, bleibt davon zunächst unberührt. Entscheidend ist, dass der gestörte Verkehr in Décalage horaire über die symbolische Verräumlichung des Flughafens den Umschlagpunkt bildet für eine Ermächtigung der Figuren, ihr Verhalten und ihre Lebensentwürfe zu überdenken und zu verändern. Die Störung und ihre anschließende Überwindung stellen damit in Décalage horaire eine wesentliche Evokation von Handlungsmacht dar. Störungen bilden zugleich immer auch ein Moment, an dem sich mediale Konfigurationen selbstreflexiv in ihr jeweiliges Narrativ einschreiben. So erscheint der auffällige Verzicht auf jene Ästhetik der Leere, welche bei Cianciotta und Rosler vorherrscht, in Décalage horaire als Effekt genuin filmischer Verfahren. Wenn Rose etwa durch den Flughafen eilt, komprimiert die Montage ihren Gang auf wenige, beispielhafte Stationen, die in ihrer Gesamtheit nicht die vorfilmische Dauer der Bewegung repräsentieren, sondern in Form einer Ellipse allein illustrativen Charakter aufweist. Die Montage einzelner, prominenter Schauplätze – ein Laufband im Terminal, die Kontrolle beim Zoll, der Waschraum einer Toilette – ist jedoch über die akustische Ebene, ein fortlaufend geführtes Telefongespräch, welche die bildlichen Auslassungen nicht nachvollzieht, miteinander verbunden. Was hier – und zwar allein über das filmische Mittel eines synthetisierenden Schnitts – entsteht, ist ein hohes Maß an Kontinuität in einem Augenblick des Diskontinuierlichen. Und auch wenn auf der Ebene der mise-en-scène permanent Bewegung herrscht, die entfesselte Kamera hochflexibel den Figuren folgt, ihnen vorauseilt und sie umkreist, entsteht der Effekt außerordentlicher Mobilität in einem Moment der Stase, ein Effekt, der allein aus der kontrapunktischen Mobilität der filmischen Apparatur rührt. Dass in Décalage horaire eine Störung den Anlass der Narration bildet, ist, so ließe sich einwenden, primär eine rhetorische Figur, die darauf zielt, über die Ausnahme die Routine zu erfahren, über die schrittweise Stillstellung ein Muster der Bewegung. Andererseits liegt in der Visualisierung einer Störung ein Punkt, an dem sich beispielhaft narrative mit medialen Effekten ver-
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schränken. Denn als Abweichung von einer latenten Ordnung bildet die Stockung des Verkehrs einen Anlass, an dem das Funktionieren der Verräumlichung Flughafen ablesbar wird. Oder, um mit Carl Schmitt zu sprechen, »in einer Zeit, die aus ihren eigenen Voraussetzungen keine große Form und keine Repräsentation hervorbringt« (Schmitt 1991, 19), bildet die Störung eben jenen »Ausnahmezustand« , der »blitzartig […] den Kern der Dinge« enthülle (Schmitt 1927, 35) und damit einer Sichtbarwerdung von Funktions-, Wirkungs- und Machtstrukturen notwendigerweise vorausliegt. Dieser Ausnahmezustand stellt sich in Décalage horaire in dreifacher Hinsicht ein: zeitlich als Plötzlichkeit, sachlogisch als Verunmöglichung der Bewegung, und figurenpsychologisch als Infragestellung von Selbstbildern und Verhaltensschemata. Filmisch aber ist dieser Ausnahmezustand als Moment einer Mobilisierung des Blickes markiert, die in einem eigentümlichen Kontrast zur Demobilisierung der Figuren steht, der Wiederherstellung des Verkehrs vorauszugreifen scheint und selbige als medialen Effekt erscheinen lässt. Erst, wenn der Verkehr gestört ist, wird er als Wahrnehmungsmodell und symbolische Repräsentation sichtbar. Indem der Film aber mittels der Kontinuität seiner eigenen Bewegung und Beweglichkeit in einem Augenblick der Stase und Stockung ein Moment der Mobilisierung generiert, produziert er den Eindruck des Fortbestehens der symbolischen Ordnung Verkehr. Die Sichtbarmachung des Verkehrs ist somit ein medialer Effekt, die Überwindung seiner Störung ein ideologischer. Sein Ertrag ist der Eindruck individueller Freiheit: Denn am Ende von Décalage horaire steht – wie könnte es anders sein – die überwundene Störung. Wo Stockung und Stau herrschten, fließt nun der Verkehr. Wo Ratlosigkeit und Unentschlossenheit bestanden, finden sich nun Zuversicht und das plötzliche Erkennen neuer Wege. Rose, die sich mit Félix zum Flughafen begeben hat, um dort endlich zu ihrem ›neuen Leben‹ in Mexiko aufzubrechen, führt ein Telefongespräch. »Ja, das hat lange gedauert, aber jetzt kann ich endlich fliegen«, sagt sie, und den Zuschauerinnen und Zuschauern ist die Mehrdeutigkeit dieser Aussage natürlich bewusst: Die Figuren des Films, so scheint es, sind ihrer ursprünglichen Sorgen enthoben. Und schließlich, denn wir haben es mit einer Romantic Comedy zu tun, hat sich Félix, das Publikum ahnt es bereits, bevor es der Figur bewusst wird, in Rose verliebt. Aus der Überwindung dieser Störung erwächst das spezifische Empfinden der Freiheit. Rose wird tatsächlich nach Mexiko aufbrechen. In einer Parallelmontage sehen wir, wie sie im Flugzeug sitzt, während Félix am Boden zurückbleibt und der Maschine nachsieht. Zu einem Abschied war keine Zeit, der Aufbruch überhastet. Während sich Rose auf der Reise befindet, wird sich Félix seiner Gefühle bewusst. Auf einer Fahrt zum
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Haus seiner Eltern, das auf dem Land liegt, sehen wir, wie er aus dem Fenster des Taxis blickt. Die Landschaft fliegt vorbei, die schwebende, entfesselte Kamera erblickt ihn aus der Vogelperspektive: Ein Auto, das schmale Straßen entlangfährt; am Ende der Fahrt geht Félix zu Fuß, trifft auf seinen Vater, mit dem er sich aussprechen wird. Und schließlich erblicken wir ihn in einer Telefonzelle: Er spricht auf Roses Anrufbeantworter, gesteht ihr seine Liebe und bittet sie, umzukehren und mit ihm in Frankreich zusammenzuleben.
Das Versprechen der Freiheit In Décalage horaire wird das Freiheitsversprechen des Verkehrs über die Erzeugung scheinbar schwereloser Beweglichkeit der Kamera – und in einem übertragenen Sinne, auch der Figuren – in einer Weise filmisch operationalisiert, dass es nicht nur für die symbolische Verräumlichung des Flughafens, sondern, in einem weit umfassenderen Sinne, als gesellschaftliches Paradigma evident scheint. Und doch wird die generalisierende Aussage, »[d]ie Kulturindustrie konzentriert sich auf die Vermittlung eines Eindrucks von freier Beweglichkeit« (Spiegl/Teckert 2004, 103), solchen Effekten kaum gerecht. Zum einen unterstellt der Begriff des »Eindrucks«, dass die Freiheit, die sich im Verkehr erlangen ließe, eine von vornherein illusorische oder nur scheinbare wäre. Zum anderen unterschlägt eine solche Behauptung, dass sich die bedeutungsvolle Herstellung einer Verräumlichung, als deren Effekt dieses Freiheitsversprechen erscheint, an spezifisch filmische Verfahren – in Décalage horaire: Verfahren der Mobilisierung – knüpft und keineswegs a priori existiert. Im Gegenteil: Die symbolische Verräumlichung des Flughafens im filmischen Beispiel steht konträr zu den Entwürfen und Einschreibungen der Kulturtheorie. Denn Freiheit wohnt dem Verkehr nicht inne, sondern ist der Effekt einer spezifischen Zurichtung des Sagbaren und Sichtbaren. Die Zusicherung der Veränderbarkeit individueller Lebensentwürfe, die den filmischen Figuren in Décalage horaire gewährt wird, entspricht damit paradoxerweise jener, die Rem Koolhaas als Eigenschaft der »Generischen Stadt« für diese selbst entwirft. Bei ihm heißt es, »The Generic City is the city liberated from the captivity of center, from the straitjacket of identity. […] It is nothing but a reflection of present need and present ability. It is the city without history. […] It is ›superficial‹ – like a Hollywood studio lot, it can produce a new identity every Monday morning.« (Koolhaas 1995, 1249f.)
In Décalage horaire sind die potenziellen ›Ankünfte‹ im bildlichen Sinne Augés tatsächlich bedeutungslos. Die letzten Bilder des Films schwelgen in den
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Mustern ununterbrochener Bewegungen, welche genau jene »Seinsentlastung« zu verheißen scheinen, von der Siegfried Kracauer einmal schrieb, sie sei das Versprechen des Unterwegsseins (Kracauer 1990b, 176). Wir sehen Rose, die, in Acapulco angekommen, mit dem Taxi den Weg vom Flughafen in die Stadt zurücklegt. Die Einstellungen ähneln jenen, die der Film für Félix’ Fahrt vorgesehen hatte: ein Auto, das über eine sonnendurchflutete Küstenstraße in Mexiko fährt, Rose, die aus dem Fenster in eine objektlose, außerdiegetische Ferne zu blicken scheint. In Form eines Voice Overs hören wir nun auch die Nachricht, die Félix auf Roses Anrufbeantworter gesprochen hat, ein Geständnis seiner Liebe. Als er an das Ende seines Monologes gekommen ist, spricht Rose mit dem Taxifahrer. »Fahren sie bitte zurück zum Flughafen«, bittet sie ihn, und aus der Luft sehen wir, wie der Wagen an einem Kreisverkehr wendet und die Fahrtrichtung wechselt (Abb. 8). Eine Chiffre: Das Leben zu ändern, heißt, die Fahrtrichtung wechseln zu können. Abbildung 8: Décalage horaire (F 2003, R: Danièle Thompson), Filmstill
Décalage horaire vollbringt es, dieses Verhältnis als pathetischen Wunsch zu formulieren und es zugleich ironisch zu brechen. Das Leben sei kein Hollywoodfilm, man müsse seine »Happy Ends« selbst erfinden, spricht Félix auf Roses Anrufbeantworter, aber dieser Hinweis adressiert in einem eigentlichen Sinne die Zuschauerin und den Zuschauer. In der listenreichen Anspielung auf die standardisierten Strategien der kulturindustriellen Befriedigung kollektiver Bedürfnisse schreiben sich nicht nur die mediale Konfiguration und das soziale Dispositiv Kino in den filmischen Text ein. In dieser Geste am Ende des Films liegt eine Rhetorik der Unmittelbarkeit: Der Film schließt, das Publikum tritt hinaus auf die Straße, zurück in den Verkehr. Wo Hartmut Rosa im Versuch soziologischer Präzisierung Paul Virilios von der »Desintegration« und »Desynchronisation« als Folge eines das Sub-
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jekt umschließenden Verkehrs spricht (Rosa 2005), da wählt Décalage horaire eine divergierende Sichtweise. Paul Virilios kulturpessimistische Befürchtung, »Die Flughäfen sind Stätten, in denen der Passagier einen kurzen Augenblick aufsetzt, bevor er weiterspringt; Antreteplätze, gleichsam Neuauflagen von Bahnhöfen, Schwellen einer neuen Akrobatik, deren Auswirkungen wir noch kaum kennen« (Virilio 1978, 33),
ist in Thompsons Film zu einem Versprechen geworden. Der Flughafen erscheint hier als Ort des Fortgehens, »the site of a take-off, an ascent into the vertical realm, with all its attendant tropes of power and transcendence« (Fuller 2003).
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Die Weisen, in denen die Kulturtheorie Anfang der 1990er Jahre den Flughafen in Anschlag gebracht hat, sind in den folgenden Jahren verschiedentlich auf Widerspruch gestoßen. In Bezug auf Rem Koolhaas’ Konzept der »Generic City« stellt etwa Chris Berry die Frage, »Could it be that in his description of the Generic City, Koolhaas is confusing his own experiences as an international architect from those of ordinary inhabitants? Or do ordinary inhabitants not count as real people for members of the Master-of-the-Universe class?« (Berry 2010, 165)
Und mit Blick auf die zahlreichen Apologeten der Diagnosen von »Einsamkeit« und »Eigenschaftslosigkeit« resümiert Tim Cresswell, »Perhaps these members of the kinetic elite are mistaking their experience – their particular geographic trajectories – for a general global condition.« (Cresswell 2006, 222) Die so formulierte Kritik betrifft zwei Aspekte: Zum einen verweist sie darauf, dass die Beschreibungen der Kulturtheorie für wenig mehr Menschen als eine schmale intellektuelle Schicht in der sogenannten ›westlichen Welt‹ zutreffen. Zum anderen kritisiert sie die repräsentationspolitische Konstruktion der hierin angesprochenen ›Erfahrung‹ als ein einseitiges Narrativ. Bezeichnenderweise – so hat die Untersuchung gezeigt – wird diese zu einem Zeitpunkt dominant, der mit der Popularisierung und einer erleichterten wirtschaftlichen Verfügbarkeit des Flugverkehrs, von der auch Intellektuelle profitieren, in eins fällt. Eine vielsagende Spur des Versprechens, das die Repräsentationspolitik des Flughafens aufzubewahren scheint, findet sich in der englischsprachigen Ausgabe von Marc Augés Non-Lieux. In dieser Textfassung heißt es, »[I]n one form or another ranging from the misery of refugee camps to the cosseted luxury of five-star hotels, some experience of non-place (indissociable from a more or less clear perception of the acceleration of history and the contraction of the planet) is today an essential component of all social existence.« (Augé 1995, 119)
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In der deutschsprachigen Übersetzung durch Michael Bischoff, die sich dicht an der französischen Originalausgabe orientiert, fehlt jedoch die Gleichsetzung von »Flüchtlingslager« und »Fünf Sterne-Hotel«. Hier heißt es an gleicher Stelle, »[S]owohl in ihren bescheidenen Formen als auch in ihren luxuriösen Ausprägungen ist die Erfahrung des Nicht-Ortes (die unlösbar verbunden ist mit der mehr oder minder deutlichen Wahrnehmung, daß die Geschichte sich beschleunigt und unsere Erde kleiner wird) heute ein wesentlicher Bestandteil sozialer Existenz« (Augé 1994, 140).
Die Mobilität in den begünstigten Schichten ›westlicher‹ Gesellschaften lässt sich nicht trennen von den divergierenden Mobilitätshierarchien im Rest der Welt. Wenn Kulturtheorie und Kunst die Erfahrung des »einsamen« Subjekts absolut setzen, vergeben sie zweierlei: Einen Blick auf die machtvollen Praktiken und Diskurse, die Mobilität herstellen. Und eine Perspektive darauf, dass sich der eigene Status als Subjekt im Verkehr nicht trennen lässt von dem der Arbeitsmigrantinnen und -migranten oder der Flüchtlinge, sich aber sehr wohl – und zwar in deutlicher und benennbarer Weise – von diesen unterscheidet.51 In diesem Sinne lässt sich schließlich auch Michel Serres’ kaum verfolgter Hinweis verstehen, demzufolge sich die »Neue Stadt« – der Raum des Flughafens – als »[e]ine Stadt der grausamen Ungerechtigkeit« (Serres 1995, 77) erweise. Tatsächlich, so hat die sozialwissenschaftlich orientierte Mobilitätsforschung gezeigt, produzieren Flughäfen »[a]ls stabile Einheiten einer elitären Form der Fortbewegung, als Mobilitätsmaschinen, […] neue soziale Ungleichheiten, indem sie die einen zum stationären Hilfspersonal der Beweglichkeit der anderen machen« (Kesselring 2007, 827). Und so fallen nicht nur die ökologischen, sondern auch »die sozialen Bilanzen des Flugverkehrssystems […] bisher verheerend aus« (ebd.) – allerdings in signifikant anderer Weise, als von den untersuchten Beispielen der Kulturtheorie und Kunst imaginiert. Wie Peter Adey (2008) anhand seiner Studie zu den Besucherterrassen früher Flughäfen und der sie bestimmenden sozialen Gruppe der »plane spotter« gezeigt hat, können sich Flughäfen sehr wohl als soziale Orte erweisen, die vielfältige Praktiken ermöglichen und von diesen – durchaus wider-
51 Aus sozialwissenschaftlicher Sicht – und implizit auf die Techniken symbolischer Verräumlichung bezogen – haben die problematischen Weisen des In-eins-Setzens der Kulturtheorie schließlich Ende der 1990er Jahre zu einer Erschöpfung des Sprechens von der ›Globalisierung‹ geführt. Roland Robertsons Forderung, »[W]e should begin with the task of complexification before we engage in the task of simplification« (Robertson 1998, 26f.) war hiervon Ausdruck.
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sprüchlich – bestimmt werden. Gerade das Beispiel der Terrassenbauwerke und ihr Stellenwert in architektonischen Entwürfen zeigt aber auch, dass die symbolische Verräumlichung des Flughafens bereits zu einem historisch frühen Zeitpunkt in hohem Maße von Begehrensstrukturen bestimmt ist. So zeichnet das Dispositiv Flughafen von Beginn an eine spezifische Form der Sichtbarkeitsproduktion aus, welche die Wünsche und Sehnsüchte der betrachtenden Subjekte, die sie zugleich hervorbringt, zum Ziel hat. Kennzeichnend sei dabei, so Adey, das etwa in den USA zu Beginn der 1930er Jahre Flughäfen explizit als »stages for the spectacle of flight« (ebd., 31) konzipiert worden seien. Dies sei letzthin mit finanziellen Absichten geschehen: »Airport experts and architects saw the airport view as a money-making design […]. While the mobility of aircraft created the spectacle of the show, attracting people to the airport and conveying a sense of air-mindedness, the airfield was spatially designed in order to optimize the viewing of the spectacle.« (ebd.)
Vor diesem Hintergrund lässt sich der Flughafen als ein Ort beschreiben, der ein soziales Gefüge hervorbringt, das sich durch »Gemeinschaftlichkeit« auszuzeichnen vermag: »[T]he spectators’ interest in the space cannot be put down to the monadic spectatorial experience of aircraft. Watching aircraft occurred simultaneously with others and, thus, there is a general sense of community and identity associated with the airport and the aircraft people came to watch.« (ebd., 40)
Solche empirischen Befunde, aber auch das Aufgehen im Verkehr, das die Figuren in Décalage horaire kennzeichnet, stehen in einem eigentümlichen Kontrast zum kulturtheoretischen Diskurs und der Repräsentationspolitik, welche die untersuchten künstlerischen Projekte kennzeichnet. Wenn Manuel Castells die Erfahrung der Flugreisenden als eine »terrible truth« beschreibt, die in der Erkenntnis bestehe, »they are alone, in the middle of the space of flows« (Castells 1996b, 421), dann ist dies eine Argumentation, die zu kurz greift. So vermutet Mark Gottdiener, dass Castells seine eigenen Ängste projiziere und zur Basis einer umfassenden gesellschaftlichen Diagnose mache. Gottdiener führt aus, »He [Castells, T.W.] cannot conceive of an airport as a distinct place that can create a social life of its own out of positive social communion rather than fear« (Gottdiener 2001, 70). Und doch schiene eine solche Unterstellung kaum hinreichend, um die im Eingang dieses Kapitels gestellte Frage nach den der Leistung der Bilder in Francesco Cianciottas Un viaggio a parte und den Bedürfnissen, auf die sie antworten und deren Produkt sie zugleich sind, zu beantworten. Wenn die so identifizierten Bilder des Verkehrs die Form einer Verarbeitung darstellen, die
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eben nicht nur individuell, sondern aufgrund ihres sozialen Kontextes und ihrer medialen Rahmung gesellschaftlich wirksam ist – was ist dann, über die Bilder selbst und das ästhetische Vergnügen, das sie Betrachterinnen und Betrachtern offenbar zu bereiten vermögen, ihr Produkt? Die Analyse hat gezeigt, wie die kulturelle Produktivität des Flughafens sich darin begründet, dass die Praktiken der kulturtheoretischen und künstlerischen Bezugnahme eine Subjektpolitik erschließen, die, indem sie ›Einsamkeit‹ und ›Eigenschaftslosigkeit‹ als prägende Umstände postmoderner Subjektivität behauptet, selbst eine Subjektivierung ermöglicht, welche die Figur eines intellektuellen, männlich-codierten Beobachters zum Effekt hat. Der historische Idealtyp dieser Figur stellt eine in Literatur, Kulturtheorie und Kunst vielfältig variierte, kennzeichnende Erscheinung der Moderne dar: Es ist der Flaneur (vgl. Tester 1994). In der Benjamin’schen Spielart steht der Flaneur für einen an den Verkehr geknüpften, intellektuellen Selbstentwurf, einen Beherrschungsversuch, der seine Wirksamkeit gewinnt dank eines »sense of control and a unifying gaze upon the world« (Oakes/Minca 2004, 283). Dieser »vereinheitlichende Blick« ist jedoch stets gebunden an einen Standpunkt außerhalb des Verkehrs – und exakt hierin begründet sich die eigentliche Leistung der so bestimmten Subjektpolitik, die ein beobachtendes Subjekt, das selbst marginal bleiben muss, voraussetzt und zugleich herstellt. Solcherart ›Beobachter‹ und ›Flaneure‹ »sind Rührung auslösende Figuren der Selbstbetrachtung, weil Intellektuelle selbst ja nichts lieber sein wollen als: marginal. Und das mit solcher Intensität, dass sie längst Marginalität als notwendige Vorbedingung für Intellektualität ausgemacht haben.« (Gumbrecht 2004)
Das sich dabei abzeichnende Selbstbild von Intellektuellen ist allerdings nicht nur mit Blick auf ein fehlendes Bewusstsein sozialer Ungleichheit problematisch. Die Subjektpolitik, mit der die in diesem Kapitel beispielhaft untersuchten intellektuellen Repräsentationspolitiken des Flughafens einhergehen, weist eine nicht thematisierte Genderdimension auf. Rosi Braidotti macht auf diesen Aspekt aufmerksam, wenn sie schreibt, »But I do have special affection for the places of transit that go with travelling: stations and airport lounges, trams, shuttle buses, and check-in areas. In between zones where all ties are suspended and time stretched a sort of continuous present. Oases of nonbelonging, spaces of detachment. No (wo)man’s land« (Braidotti 1994, 18, zit. nach Cresswell 2006, 221)
Tatsächlich haben zahlreiche Analysen der Gender Studies nicht nur gezeigt, dass die Figur des Flaneurs keineswegs eine universell gültige, sondern eine
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spezifisch männlich-codierte Subjektkonstruktion darstellt (vgl. Wolff 1985; Wilson 1992; Friedberg 1993, 15ff.). In gleicher Weise ist auch die Figur des Intellektuellen in der Moderne als Ausdruck einer spezifischen Form von Männlichkeit begriffen worden: »Die Moderne war nach der Reformation der letzte Schub, in dem, oft in Anlehnung an eine in diesem Prozess eigenartig verformte Antike, die Figur des Denkers – des Philosophen, des Theologen, des Genies, des Intellektuellen – rein männlich codiert wurde. […] Denn der moderne Autor, der moderne Denker konstituiert sich durch eine Usurpation theologischer Motive, die den Mann als Schöpfer gottgleich machen. Er wird nicht mehr erfüllt oder ergriffen, er steht in sich selbst.« (Vinken 2010, 15)
Die Repräsentationspolitik und die Narrative von »Einsamkeit« und »Eigenschaftslosigkeit«, für welche die symbolische Verräumlichung des Flughafens produktiv wird, lässt sich daher auch lesen als melancholische Reflexion der postmodernen Krise von Intellektualität (vgl. Kaplan 1996, 15). Sie zeigt sich dort, wo ihre individuelle Erfahrung, die sich an die Wertvorstellungen und Wahrnehmungsweisen einer sozial privilegierten Minderheit knüpft, umstandslos in den Stand allgemeinen Gesellschaftsdiagnosen erhoben wird. Das ambivalente Versprechen des Verkehrs, von der Last der Existenz zu befreien, sich als duty free zu begreifen, führt aber, auch dies hat die Untersuchung verdeutlicht, zu denkbar instabilen Kippfiguren von Subjetschwund und Subjektermächtigung. In ihrer Kritik der männlich-codierten Figur des Flaneurs schreibt Elizabeth Wilson, »The fragmentary and incomplete nature of urban experience generates its melancholy – we experience a sense of nostalgia, of loss for lives we have never known, of experiences we can only guess at« (Wilson 1992, 107f.). In Michel Serres’ prosaischem La légende des anges findet sich eine ganz ähnliche Beobachtung. In der »Leseanweisung«, die am Ende des Buchs steht, fragt die Figur des Lesers die des Autors in einem imaginierten Dialog, »Was wird aus Pantope und Pia?«, und Serres lässt den Autor antworten, er habe gehört, wie beide gleichzeitig sagten, »Wir haben gefunden, was wir nicht mehr verlieren können, auch wenn es verschwunden ist« (Serres 1995, 297).
Peripherie Erfüllungsgrade von Moderne
»Der Beginn einer neuen Epoche«52
Ein Bild zeigt die neue Straße (Abb. 9). Am linken Bildrand liegt ein Waldstück, davor, kaum identifizierbar, weiße, rechteckige Objekte, die Schilder sein könnten. Am Horizont, sich nur wenig vom grauen Himmel abhebend, liegen Hügel. Vom Vordergrund des Bildes bis zum Mittelgrund erstreckt sich, grafisch abstrahiert und in zentralperspektivischer Bildkomposition strahlenförmig auf die Bildmitte weisend, die graue, durch weiße Randmarkierungen begrenzte Straßenoberfläche. Die radikale Verjüngung, hervorgerufen durch die Wahl der Perspektive und die vertiefte Lage der Bahn im Gelände, bewirkt eine starke Dynamisierung der Bildwirkung. Das Ende der Straße ist nicht zu erahnen, sie verliert sich zwischen Mittelgrund und dem Grau des Horizonts. Eine schnurgerade Linie, in einem Trog liegend, führt das Verkehrsbauwerk, auf dem sich keine Fahrzeuge befinden, durch eine Landschaft, die der Betrachterin oder dem Betrachter ebenso leer erscheint wie die Straße selbst. Wer hat diese Fotografie angefertigt? Zu welchem Anlass und mit welcher Absicht ist sie entstanden? Kaum etwas lässt einen Rückschluss darauf zu, wo sich diese Straße befindet, noch weniger, wohin sie führt. Es ist kein konkretes Bild, das wir sehen, es ist ein Bild an sich, ein Emblem. Es verfügt über eine konkrete Evidenz nur insofern, als es ein Paradigma bildet: Jenes der Straße selbst, die als autistisches Bauwerk erscheint – ganz im Sinne ihrer weithin gleichförmigen Wahrnehmung. So heißt es etwa: »Die Autobahn ist eine monofunktionale Struktur, die nur als Verbindung zwischen A und B dem schnellen Verkehr dient. Anhalten, Auffahren und Abfahren sind durch Geschwindigkeits- und Sicherheitsvorschriften strikt geregelt. Als geschlossenes System hat die Autobahn kaum einen Bezug zur Umgebung.« (Gribat/Nielsen 2006, 102) 52 Der folgende Abschnitt folgt einer früheren Verwendung der Gegenstandsbeispiele in Waitz, Thomas (2012): »Der grüne Rand. Über den Blick auf städtische Peripherie«, in: Pablo Abend/Tobias Haupts/Claudia Müller (Hg.): Medialität der Nähe. Situationen – Praktiken – Diskurse. Bielefeld: Transcript, S. 349-366.
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Abbildung 9: N.N., Ohne Titel (Kraftwagenstraße Köln–Bonn)
In dem Popsong Autobahn der Gruppe Kraftwerk – die Autoren sind Ralf Hütter und Florian Schneider – finden sich die einschlägigen Zeilen, welche eine gute Unterschrift für dieses Bild abgeben könnten: »Vor uns liegt ein weites Tal / Die Sonne scheint mit Glitzerstrahl / Wir fahren, fahren, fahren auf der Autobahn / Die Fahrbahn ist ein graues Band / Weiße Streifen, grüner Rand«
Mit der rohen Type einer Schreibmaschine gesetzt, stehen diese Verse auf dem Umschlag der deutschen Ausgabe von Paul Virilios Text Véhiculaire, erschienen 1978 im Merve Verlag.53 Virilios Interesse gilt darin der Erfahrung eines zusammenschmelzenden Raums der Geschwindigkeit (in den Worten von Kraftwerk: dem »grauen Band«) und weniger all jenen Bereichen der Wirklichkeit, die, vom Prozess der Beschleunigung ausgenommen, zurückbleiben (dem »grünen Rand«). Der periphere Raum erscheint hier nur mehr als sinnfällige Platzierung; es ist aber letztlich die menschliche Existenz selbst, die Virilio der Vernichtung anheim gegeben scheint. Den Ausgangspunkt seiner Reflexionen bildet daher die Frage, »Wo sind wir, wenn wir reisen? Wo liegt
53 Virilios Text lässt sich als Vorüberlegung verstehen zur späteren »Dromologie«, jener Lehre von der Geschwindigkeit, die, so Virilios vielfach variierte These, ein wesentliches Dispositiv der Gegenwart bilde, das es in seinen Bedingungen und Konsequenzen zu untersuchen gelte (vgl. Virilio 1980).
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dies ›Land der Geschwindigkeit‹, das nie genau mit dem zusammenfällt, das wir durchqueren?« (Virilio 1978, 19). Die hier angesprochene, eigentümliche räumliche Unbestimmtheit, welche den Umstand der Mobilität zu kennzeichnen scheint, und von der auch das Bild der Straße in einer scheinbar ›leeren‹ Landschaft zeugt, veranlasst Virilio zu zwei Schlüssen. Zum einen zieht er eine Parallele von der räumlichen Erfahrung des Autofahrers zur jener des Kinopublikums, indem er das Auto dem Filmprojektor gleichsetzt. Und doch, so führt er aus, »das Hier und Jetzt der Geschwindigkeit und der Beschleunigung entgehen uns, obwohl sie schwersten Einfluß auf das Bild der durchquerten Landschaft haben« (ebd.). Zum anderen nimmt er eine paradoxale Neubestimmung der Begriffe seines Denkens vor, denn es ist die Straße, die Virilio als »Fahrzeug« beschreibt: »So wie die Brücke eine Straße ist, die den Fluß überquert, so ist die Straße eine Brücke, die den Wald durchquert, sind alle Straßen Brücken, Punkte, die zu Strichen geworden sind, Geraden, die endlos weiterlaufen« (ebd., 23). Die Straße aber wolle, so Virilio, »mit dem Land, das sie durchquert, nichts mehr zu tun haben, sie sucht die geometrische Abstraktion, die Einförmigkeit, Einlinigkeit. Die Geschwindigkeit ruft die Leere hervor, die Leere treibt zur Eile…« (ebd., 91). Doch ist es tatsächlich die Geschwindigkeit, welche eine Entleerung des Raums bewirkt? Oder bewirkt diese aus Virilios Sichtweise nicht vielmehr ein spezifisches Blicken, dessen Effekt wiederum – als Bild – der Eindruck von Leere ist? Tatsächlich beschreibt Virilio nicht nur, wie die buchstäbliche Erfahrung der Geschwindigkeit dieses historisch ›neue‹ Blicken hervorbringt, sondern auch, dass dieser Blick mit dem Verlust der Wahrnehmung von etwas anderem einhergeht – dem »Erblinden« des Passagiers, das, auch ohne diese Referenz zu etablieren, einem Benjamin’schen »Choque« der Moderne gleicht und »Wirkungen einer Depersonalisierung anzeigt« (ebd., 25f.). Dieser Schock mündet für Virilio in eine doppelte Frage, die er in Véhiculaire ausformuliert: »Was bleibt dann von der Welt? Was bleibt von uns?« (ebd., 31). Man mag Virilios Überlegungen, vor allem die kulturpessimistischen Konsequenzen, die er aus ihnen ableiten wird, für apodiktisch oder schlicht unzutreffend halten.54 Und doch lässt sich kaum übersehen, dass seine Argumentation, innerhalb derer Denkfiguren von Geschwindigkeit und Beschleunigung in Folge einer »weltweiten Vernetzung der Teletechnologien« (Virilio 1990, 345) zu bestimmenden Größen kulturellen Wandels erhoben werden, prototypisch für eine Sichtweise sind, die sich lange Zeit als maßgeb54 Vgl. die Diskussion aus medienwissenschaftlicher Perspektive in Tholen 1999.
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lich für die Kulturtheorie, insbesondere in ihren postmodernen Spielarten, erwiesen hat. Verkehrstechnische Entwicklungen und medientechnologische Dispositive erweisen sich dabei stets als Auslöser einer »Vernichtung«, »Auflösung« oder »Entortung« des Raums – mag dieser nihilistische Impuls nun als Folge einer Wahrnehmungsveränderung, eines Bedeutungsverlustes oder gar eines Schwindens des empirischen Menschen selbst erscheinen.55 Tatsächlich findet sich die Grundfigur dieser Überlegungen, die anhand der jeweils neuesten technischen Entwicklungen fortlaufend aktualisiert worden ist, bereits bei Martin Heidegger, der davon spricht, »Den Gipfel der Beseitigung jeder Möglichkeit der Ferne erreicht die Fernsehapparatur, die bald das ganze Gestänge und Geschiebe des Verkehrs durchjagen und beherrschen wird« (Heidegger 2004, 157). Aus dem Geist dieser verbreiteten Wahrnehmung markiert auch die verkehrstechnische Etablierung des Dispositivs Autobahn einen jener Momente, in deren Konsequenz die Bedeutung des Raums einer grundlegenden Neubewertung unterzogen ist, der Raum einer »Ästhetik des Verschwindens« (Virilio 1995) unterliegt und wir, so wird behauptet, Zeugen werden einer »Auflösung des Ortes zugunsten des Nicht-Ortes der Fahrt« (Virilio 1978, 46).56 Doch solchen Argumentationen haftet ein Makel an: Indem in einer nihilistischen Geste der Raum des Dazwischen getilgt wird, verunmöglicht sich die Frage nach seinen spezifischen Qualitäten. Die Ironie einer solchen Sichtweise liegt darin, dass die Apologeten einer Kritik der Moderne, die sich als Geschichte der Beschleunigung und Raumvernichtung begreift, in ihrem Blicken, so scheint es, unwillkürlich genau jene Auslöschung affirmieren, die sie zu kritisieren vorgeben. Vielleicht lässt sich Virilios Frage, »Was bleibt dann von der Welt? Was bleibt von uns?« nur dann sinnvoll beantworten, wenn wir den Blick auf den »grünen Rand«, die Peripherie lenken. Welcher Eigenschaften bestimmen ihre Produktivität? Denn auch die Peripherie – obwohl viel diffuser als die Verräumlichungen von Kreisverkehr und Flughafen – trägt ihre Eigenlogik und
55 Vgl. beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit Virilio 1983, Faßler 1999, Willke 2001, Bolz 2001. 56 Stephan Günzel (2007) hat daran erinnert, dass Wolfgang Schivelbusch bereits vor vielen Jahren davor gewarnt habe, »die verkehrstechnische Verkürzung von Distanzen und die ›Tilgung der Zwischenräume‹ mit der Auslöschung von Räumlichkeit schlechthin gleichzusetzen« (ebd., 16). Vielmehr erweise sich die behauptete »Auflösung« als Krise einer bestimmten Vorstellung des Raums, nämlich jener des Raums als ›Behälter‹ (vgl. Schivelbusch 1977, 33ff.).
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-dynamik in Bilder ein und erhält durch Bilder und die ihnen zugrundeliegenden Repräsentationspolitiken ihre Bedeutung. Ein instruktiver Hinweis auf ein solches Vorgehen lässt sich Niklas Luhmanns Schriften entnehmen – und zwar dann, wenn man seine Aussage, Raum sei eine »erfahrbare Realität« (Luhmann 1984, 13), gegen dessen eigentliche, ontologische Argumentationsweise wendet. Verwirft man die materielle, scheinbar unhintergehbare Referenz von Räumlichkeit, die für Luhmann zentral ist, ergeben sich zwei produktive, durch den Kontext von Luhmanns Einlassung nicht zu legitimierende Lesarten des Terminus von der »erfahrbare[n] Realität«. In der ersten Lesart läge die Betonung auf »Realität« und damit auf einer topologischen »Funktionsbeziehung«, durch welche »Räumlichkeit allererst hervorgebracht wird« (Günzel 2007, 15). Die zweite Möglichkeit hingegen wäre ein Abheben auf den ersten Teil des Begriffs, jenen der »Erfahrung« nämlich, und also eine Betonung der intersubjektiven oder, in poststrukturalistischer Wendung, der textuellen Bedingungen und Voraussetzungen des prinzipiellen Hergestellt-Seins von Räumlichkeit, der in konstitutiver Weise mediale Prozesse eingeschrieben sind. Jede solche ästhetische »Erfahrung« ist zugleich mediales Handeln: Die »Welt vor der Windschutzscheibe« (Zeller/Mauch 2008) ist Bild und Begrenzung durch einen Kader, und jegliches ›Abbilden‹ ist als Politik eine Aussage über die Welt, die ihr doch als Weg und Straße vorauszuliegen scheint. Das Bild der leeren Straße in einer ›leeren‹ Landschaft ist in anlässlich der Einweihung der Kraftwagenstraße Köln-Bonn durch Konrad Adenauer, den Oberbürgermeister der Stadt Köln, am 6. August 1932 entstanden. Abgedruckt findet es sich in Heft 8 des fünften Jahrgangs der Zeitschrift Die Autobahn, »Organ der HAFRABA e.V.«, des Vereins zur Vorbereitung der Autostraße Hansestädte Frankfurt–Basel. Der Titel: »Der Beginn einer neuen Epoche in Deutschland!« (vgl. Strohkark 2001, 120). Die Inbetriebnahme der Kraftwagenstraße zwischen Köln und Bonn markiert ein verkehrsgeschichtlich höchst bedeutsames Ereignis. Die heutige A 555 ist die erste öffentlich zugängliche Autobahn Deutschlands (vgl. Kunze/Stommer 1982).57 Aus Sicht der Verkehrsgeschichte stellt ihre Konzeption und Realisierung eine Reaktion auf die zunehmende Dichte und die steigende Geschwindigkeit des motorisierten Verkehrs dar. Dieser soll, so das Ziel der
57 Dass Kraftwerk mit dem eingangs zitierten Autobahn nicht irgendeine Straße, sondern die nämliche A 555 im Sinne gehabt haben, behauptet der Journalist Philipp Wöhler (2005).
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Verkehrsplanung, außerhalb des Netzes der Provinzialstraßen und unter Verzicht auf Ortsdurchfahrten auf einer eigenen Trasse geführt werden. Die neue Straße und der technische Fortschritt, den sie zu verkörpern scheint, begeistern die Tagespresse und ihre Leserinnen und Leser. Am 16. Juli 1932 veröffentlicht der Bonner Generalanzeiger den Brief einer Person, die in Erwartung der neuen Kraftwagenstraße fasziniert schreibt, »[D]as Herz eines jeden Autofahrers lacht, wenn er auf diese Strecke kommt. Hier kann er ›aufdrehen‹. […] Diese Neuanlage läßt alle Orte rechts und links liegen, nichts hindert den Fahrer, hier kann man den Wagen einmal ausfahren.« (N.N. 1932c, zit. nach Strohkark 2001, 121)
Die enthusiastische Begrüßung der späteren Autobahn, die hier deutlich wird, steht beispielhaft für viele ähnliche Zeugnisse der zeitgenössische Wahrnehmung. Die neue Straße erscheint als eigenständiger Raum, dessen buchstäbliche ›Erfahrung‹ etwaige Orte des Dazwischen bedeutungslos werden lässt. In einer weiteren Zuschrift greift eine andere Person diese Sichtweise auf: Die Absicht jeglicher Fahrt auf der Kraftwagenstraße sei die beschleunigte Durchquerung der »Ebene«, ihr Ziel das südlich von Bonn liegende Siebengebirge. »Die sieben Berge grüßen in der Ferne als begehrtes Ziel. So schnell wie möglich sucht man diese Ebene zu überwinden«, führt die Leserin oder der Leser glühend aus (N.N. 1932a, zit. nach Strohkark 2001, 121). Die Rheinisch-Westfälische Zeitung schließlich bringt die Vorstellung einer Straße, die nicht mehr mit der sie umgebenden Landschaft verbunden scheint, bereits im Titel ihrer Berichterstattung zum Ausdruck. Er verheißt auf ebenso schlichte wie prägnante Weise: »Eine absolute Straße« (N.N. 1932b). Doch die Veränderung des Raums, sein Bedeutungswandel, sein »Schwund« stellen keine tatsächliche Tilgung, sondern ein sich zunächst imaginatives und dann medial entäußerndes Verfahren der Ausblendung, der Überdeckung, der Zuschreibung dar. Die Distanzüberwindung vernichtet, so scheint es, der Raum. Tatsächlich aber entsteht ein Raum neuen Typs: Der »grüne Rand«, die Peripherie, ist ein Effekt der automobilen Moderne und ihrer Repräsentationspolitiken, in die sich die Wünsche der so Sprechenden und ihr Begehren nach unzweifelhafter Modernität eingeschrieben haben. So schreibt der englische Bildhauer Anthony Gormley mit Blick auf den Autobahnbau in Großbritannien: »The opening of the first sections of the M1 in 1959 confirmed the age of the car and as most of us now live in cities, landscape becomes more passed through than dwelt in: seen through the windows of the cars, we are separated from it not simply by distance but also by speed.« (Gormley 2007, 7)
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Das Neue dieses künftig als ›Landschaft‹ erfahrenen Raums begründet sich nicht alleine in seinen inneren Eigenschaften, sondern in einem gleichermaßen verkehrstechnischen wie medialen Dispositiv, das es hervorbringt. Die mediale Eigenlogik des »Rauminterface« Verkehr (Schabacher 2007, 1) wird dort produktiv, wo es unter den Vorzeichen der Distanzüberwindung den Raum des Peripheren erschafft. Die Bilder dieser Landschaft, oder, mehr noch, diese Landschaft als Bild werden in den 1920er und 1930er Jahren zu einem Problem und Gegenstand der Regulierung – in den Strategien der Landschaftsgestaltung beim späteren Autobahnbau etwa, aber auch mit Bezug auf eine allgemeine Verfasstheit der gesellschaftlichen Moderne, von der sie Zeugnis abzulegen scheinen. Immer aber ist diese Landschaft aus dem Blickwinkel ihres Durchfahrenwerdens ein buchstäblich ›beiläufiges‹ Problem, weniger scheint sie ein Raum eigener Qualität (vgl. Dagognet 1981).
Problemstellung und Zielsetzung Wie Kreisverkehr und Flughafen stellt auch die Peripherie eine symbolische Verräumlichung dar, die in der Kulturtheorie und Kunst der Gegenwart in auffälliger Weise problematisiert wird. Kennzeichnend hierfür ist, dass Peripherie stets als Ausdruck und Funktion des Verkehr erscheint. Konträr zu der lange Zeit dominanten kulturtheoretischen Lesart, die nahelegt, dass es im Zuge von »angelistischen Fernverkehrsprozessen« (Sloterdijk 2004b, 654) zu einem Schwinden des Raums komme, lässt sich jedoch gegenwärtig eine Hinwendung zum peripheren Raum und zum Konzept der Peripherie selbst verzeichnen – und zwar in sowohl wissenschaftlichen wie künstlerischen Diskursen. Diese vielfältigen und zum Teil widersprüchlichen symbolischen Verräumlichungen von Peripherie lassen sich, so jene These, der im vorliegenden Kapitel nachgegangen werden soll, als Ausdruck eines tiefgreifenden Zweifels am Erfolg des Projekts der Moderne lesen. Die dieser These zugrundeliegende Annahme lautet, dass die gegenwärtige Thematisierung des ›Phänomens‹ der Peripherie in Kulturtheorie, Siedlungsgeographie und Raumplanung sowie Film und Fotografie Ausdruck einer Krise ist. Diese entsteht zu einem Zeitpunkt, an dem die kulturelle Dichotomie von Zentrum und Peripherie als Leitdifferenz der Moderne und die aus ihr abgeleiteten Kategorien brüchig zu werden drohen und ihre sinnstiftende Kraft zu verlieren scheinen. Daher soll zunächst aus sozialwissenschaftlicher Sicht die kulturtheoretische Bedeutung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie für die Theorie der Moderne rekonstruiert werden. Hierbei wird deutlich, dass die
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Peripherie als eine hybride Verräumlichung erscheint, die Ausdruck eines sich nicht – oder noch nicht – erfüllenden Modernisierungsversprechens ist. In einem zweiten Schritt wird anhand von zwei Gegenstandsanalysen der Frage nachgegangen, wie künstlerische Bezugnahmen auf die Peripherie den zuvor untersuchten kulturtheoretischen Diskurs reflektieren und in spezifische Repräsentationspolitiken überführen. Den Anlass hierfür bilden zwei Auseinandersetzungen mit dem von der Autobahn 555 durchquerten Siedlungsraum zwischen Köln und Bonn: Durchfahrtsland, ein Dokumentarfilm von Alexandra Sell aus dem Jahre 2002, sowie Peripheriewanderung Bonn, eine aus einem Bild-/Textzyklus bestehende Werkgruppe des Künstlers Peter Piller (2007). Es handelt sich um zwei bezeichnende Beispiele dafür, wie sich Teile der Kunstproduktion mit dem peripheren Raum beschäftigen. Diese Beschäftigung erfolgt vor dem Hintergrund einer wirkmächtigen kulturellen Vorstellung, innerhalb derer die Kategorien von ›Stadt‹ und ›Land‹ (bzw. suburbanem Raum) als different konstruiert werden. So wird ›Stadt‹ in emphatischer Weise als jener Ort entworfen, von dem die historische Emanzipation des Bürgertums ausging. In Folge erscheint Urbanität als notwendige Voraussetzung von Modernität schlechthin. Der Rekurs auf diesen historischen Zusammenhang wird verdeutlichen, warum die untersuchten künstlerischen Bezugnahmen auf die Peripherie diesen als nichtmodernen, regressiven Raum entwerfen. Auch die Siedlungsgeographie hat die Peripherie in den letzten Jahren entdeckt: Die Etablierung von Konzepten wie jenem der »Zwischenstadt« (Sieverts 1997) scheint zunächst einer Aufwertung des peripheren Raums zu entsprechen. Tatsächlich erfolgt die Formierung des so entdeckten Raums jedoch entlang derselben Parameter, die aus postmoderner Sicht zu seiner Auslöschung geführt haben, nämlich eine Wahrnehmung en passant. In dieser Wahrnehmung, die in den Bildern des Durchwanderns (Piller) oder des Durchfahrens (Sell) ihren Ausdruck findet, ähneln sich Siedlungsgeographie und die untersuchten künstlerischen Projekte. Beide diskursiven Stränge lassen sich als Antwort auf ein identisches Problem lesen: Es geht in ihnen um eine Errettung der Moderne und des eigenen modernen Selbstverständnisses angesichts postmoderner Tendenzen der Auflösung moderner Begrifflichkeiten und Grundoppositionen in einem Moment ihrer radikalen Zuspitzung. Diesen deutschsprachigen, gegenwärtigen Verräumlichungen der Peripherie soll im Anschluss eine filmische Bezugnahme gegenübergestellt werden,
»Der Beginn einer neuen Epoche«
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die sich mit der Peripherie der englischen Landschaft befasst58: Patrick Keillers Film Robinson in Space, dessen Untersuchung aufgrund der zahlreichen Bezüge des Films und der im deutschsprachigen Raum nicht ohne Weiteres zu erschließenden kulturellen Kontexte detailliert ausfällt. Den Film zeichnet aus, dass er mittels eines differenten theoretischen Bezugsrahmens das Konzept der Peripherie reflektiert, es als machtvolle, symbolische Verräumlichung offenlegt und in seiner Wirkmächtigkeit untersucht. Auf ein im deutschsprachigen Raum nur in Ansätzen rezipiertes theoretisches Gefüge – die Radical Geography – rekurrierend, ermöglicht er nicht nur eine Kritik der so identifizierten Repräsentationspolitiken, sondern setzt diesen mit den Mitteln des Films eine eigene entgegen. In deren Folge erscheint der periphere Raum nicht als Schwundstufe einer gescheiterten Moderne, sondern als offener Möglichkeitsraum eines unvollendeten, emanzipatorischen Projekts, dem die politische Ökonomie des Kapitalismus entgegensteht. In Umkehrung der Perspektive von Durchfahrstland und Peripheriewanderung wird Peripherie hier in einer Weise verräumlicht, die in ihr als »gelebtem Raum« (Lefebvre 1974) das Potential gesellschaftlicher Befreiung erkennt. Die vergleichende Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Modellen der Bezugnahme auf die symbolische Verräumlichung der Peripherie, die im Folgenden geleistet wird, ist damit auch eine Verhandlung divergierender intellektueller und akademischer Haltungen, derer sie entspringen.
58 Vorstellungen des Peripheren sind in der deutschen und der englischen, respektive britischen Gesellschaft unterschiedlich geprägt. So dürften etwa kulturelle Konzepte von Zentralität aufgrund des historisch stark ausgeprägten Föderalismus in Deutschland deutlich anders ausfallen als in England und Großbritannien. Im vorliegenden Kontext und vor dem Hintergrund der zu untersuchenden These, der zufolge die Verräumlichung der Peripherie als Ausdruck eines tiefgreifenden Zweifels am Erfolg des Projekts der Moderne gelesen werden kann, ist der Vergleich dennoch produktiv, weil er nicht auf die differente Prägung abstrakter Konzepte abhebt, sondern verdeutlicht, dass der diskursive Einsatz der Peripherie auf je unterschiedlichen Repräsentationspolitiken fußt, deren Effekte höchst widersprüchlich ausfallen.
Zentrum und Peripherie: Eine Leitunterscheidung der Moderne
Die Abgrenzung von ›Zentrum‹ und ›Peripherie‹ stellt eine für die Moderne essentielle Unterscheidung dar. Der Gegensatz dieser sich wechselseitig voraussetzenden Begriffe bildet etwa in Niklas Luhmanns Theorie Soziale[r] Systeme (Luhmann 1984) einen wesentlichen Bezugspunkt in der Beschreibung der Genese und des Arrangements von Gesellschaft. Die Bedeutung dieser Unterscheidung geht so weit, dass Luhmann die Ausbildung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie mit stratifikatorischer Differenzierung insgesamt gleichsetzt (vgl. Luhmann 1997, 663). Zwar entwickelt Luhmann die Beschreibung des so behaupteten Wirkungszusammenhangs in historischer Perspektive; er betont jedoch, dass es sich bei den beschriebenen Prozessen um gleichzeitige und wiederkehrend stattfindende Vorgänge handele. So gefasst, ist kennzeichnend, dass die sozialräumliche Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie nicht notwendigerweise mit einer topologischen Differenz zusammenfällt. Maßgeblich für die Differenzierung ist einmal mehr die Kommunikationsdimension: Denn die Kommunikation an der Peripherie zeichne aus, so Luhmann, dass sie zu jener des Zentrums anschluss- und folgenlos bleibe – jedenfalls dann, solange sie an Interaktion gebunden bleibe. Dort jedoch, wo eine medienvermittelte Kommunikation die Regel sei, vermöge diese die strukturelle Differenz von Zentrum und Peripherie zu nivellieren. Zwar behauptet Luhmann nicht, dass das Eine die unmittelbare oder zwangsläufige Folge des Anderen sei. Dennoch findet sich auch bei Luhmann ein wesentliches Narrativ der Moderne wieder, wenn behauptet wird, dass medientechnologische Entwicklungen räumliche Strukturen zu überwinden vermögen, so dass in deren Folge die medientechnische Ausdifferenzierung einer Gesellschaft ihrer funktionalen entspräche – und somit den Modernisierungsgrad von Gesellschaft insgesamt widerspiegele (vgl. ebd., 152f.).
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In der Logik dieses Narrativs, das sich paradigmatisch durch weite Teile der sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Literatur zieht, entstehen mit »verbesserten Transport- und Kommunikationstechnologien […] in ehemaligen Peripherien neue Verkehrsknotenpunkte, reizarme Grenzregionen verwandeln sich plötzlich in florierende Marktplätze, Familiennetzwerke und Nachbarschaften erstrecken sich nicht mehr über das lokale Wohnviertel, sondern teilweise über Kontinente hinweg« (Reuter 2010, 18).
In diesem Sinne beschreibt etwa Edward Soja (1995) anhand von Los Angeles und seinen metropolitanen »Restrukturierungen«, wie im Zuge der Globalisierungen des Kapitals buchstäblich die ganze Welt zum »Hinterland« [im Original deutsch] einer Stadt werden könne. Fraglich ist allerdings, ob der fortgesetzten Behauptung einer solchen Entwicklungsdynamik stets tatsächliche gesellschaftliche Prozesse gegenüberstehen, oder ob es sich nicht vielmehr um eine Reihe von Selbstmystifikationen handelt, die sich bei genauerer Betrachtung als Technikutopien oder politische Wunschvorstellungen entpuppen. So weisen Aldo Legnaro und Almut Birenheide darauf hin, dass sich Ausrufung eines spätmodernen Raums, der im Konzept der »Global Cities« (Sassen 1991) seine ultimative Zuspitzung finde, wenig mehr sei als der unverhohlene Traum von der »Verwirklichung der hegemonialen gesellschaftlichen Phantasien« (Legnaro/Birenheide 2005b, 10). Auch Modelle, die das grundlegende eurozentrische Narrativ der Modernisierung ablehnen, kommen kaum ohne jene Hierarchisierung aus, die in der Dichotomie von Zentrum und Peripherie angelegt ist. So lehnt etwa Immanuel Wallerstein (2004) – unter Bezug auf Luhmanns Konzept einer »Weltgesellschaft« (Luhmann 1997) – wesentliche Voraussetzungen der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, insbesondere die Grundlagen klassischer Modernisierungstheorien, ab. Dabei verneint er vor allem ein lineares Entwicklungsmodell gesellschaftlichen Fortschritts, begründet dies jedoch vor allem mit Blick auf eine Teleologie, die ihren gedanklichen Ausgangspunkt in der Konstruktion einer zugrundeliegenden ›Nicht-Entwicklung‹ nimmt. Abgesehen davon unterstellt Wallerstein gleichfalls eine Hierarchisierung von Zentrum, Peripherie und »semiperipheral« (Wallerstein 2004, 28) ausdifferenzierten, geographischen Zonen, die differente Grade der Entwicklung aufwiesen und durch ungleiche Austauschverhältnisse bestimmt seien. Von dieser Sichtweise lässt sich Shmuel Noah Eisenstadts (1968) dezidiert kultursoziologische Konzeption von Zentrum und Peripherie abgrenzen. Ihm erscheint die räumliche Dimension kultureller Differenzierungen als sekun-
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därer Effekt der Ausbildung sozialer Unterschiede. Eisenstadts Interesse gilt gesellschaftlichen und intellektuellen Eliten, die er als Agenten kultureller Wandlungsprozesse begreift. Die von ihnen ausgehende soziale Differenzierungsleistung, die sich, so seine These, in der symbolischen Verhandlung von Vorstellungen sozialer Ordnung begründe, beschreibt er in Folge als Ausbildung von »Zentren«. Deren Beziehung zur Peripherie erscheint damit als Kampf um die Institutionalisierung sozialer Ordnung (vgl. ebd., 3ff.). Sämtliche Vorstellungen von Zentrum und Peripherie sind von postkolonialen Ansätzen als problematisch, im Kern kolonialistisch oder zumindest eurozentrisch kritisiert worden. Doris Bachmann-Medick etwa sieht Modelle von Zentrum und Peripherie angesichts einer postkolonialen Wende und der Hinwendung zu poststrukturalistischen Raumkonzepten grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. Bachmann-Medick 2006, 295). Eine gleichfalls weitreichende Kritik lässt sich in den – ebenfalls postmoderner Theoriebildung zuzurechnenden – Überlegungen des Architekten Rem Koolhaas finden.59 Dabei interessieren an dieser Stelle weniger seine städtebaulichen Forderungen, als vielmehr die ihnen zugrundeliegende Kritik des Narrativs der Modernisierung. Koolhaas beschreibt – in der bewussten Absicht, zu provozieren – das Beharren auf eine Unterscheidung von Zentrum und Peripherie als zutiefst modern und an Identität gebunden: »Identity centralizes; it insists on an essence, a point« (Koolhaas 1995, 1248). Seine Kritik an der Bedeutung der Dichotomie von Zentrum und Peripherie schließt daher auch die antagonistische Hinwendung zur Peripherie mit ein. So behauptet er: »[T]he recent, belated discovery of the periphery as a zone of potential value – a kind of pre-historical condition that might finally worthy of architectural attention – is only a disguised insistence on the priority of and dependency on the center: without center, no periphery; the interest of the first presumably compensates for the emptiness of the latter.« (ebd., 1248f.)
Koolhaas geht es somit letztlich um die Überwindung jeglichen Zentralitätsdenkens – denn diesem sei, so Koolhaas, vor allem mit Blick auf die aus ihr abgeleiteten Stadt- und Raumplanung, eine grundlegende Paradoxie eingeschrieben: »The insistence on the center as the core of value and meaning, font of all significance, is […] destructive. It […] means that the center has to be constantly maintained, i.e., 59 Vgl. ausführlicher im entsprechenden Abschnitt des Kapitels Flughafen – Subjekte des Verkehrs der vorliegenden Arbeit. Ein zentraler Aspekt von Koolhaas’ Kritik – die Affirmation des Nicht-Zentralen – findet sich aus städtebaulicher Sicht präfiguriert bei Venturi et al. 1979.
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modernized. As the ›most important place,‹ it paradoxically has to be at the same time the most old and the most new, the most fixed and the most dynamic.« (ebd., 1249)
Einem solchen Beharren setzt er das Konzept der »Generic City« entgegen: »The Generic City is the city liberated from the captivity of center, from the straitjacket of identity. […] It is nothing but a reflection of present need and present ability. It is the city without history. […] It is ›superficial‹ – like a Hollywood studio lot, it can produce a new identity every Monday morning.« (ebd., 1249f.)
Man muss Koolhaas’ weitreichenden städtebaulichen Forderungen nicht folgen, um anzuerkennen, dass er mit seiner Diagnose sehr früh Argumente vorbringt (und verwirft), die durch die Siedlungsgeographie und Raumplanung einige Jahre später sehr ähnlich formuliert werden – doch dazu später mehr. Die Betrachtung sozialwissenschaftlicher und kulturtheoretischer Positionen, die an dieser Stelle ausschnitthaft bleiben muss, zeigt, dass der Unterscheidung von Zentrum und Peripherie eine wesentliche Funktion für die Konstruktion von Modellen der Modernisierung zukommt.60 Das Insistieren auf die Kategorie der Peripherie erfüllt ihre entscheidende argumentative Leistung dort, wo sich, indem eine diachrone in eine synchrone Perspektive überführt wird, mit ihr unterschiedliche Erfüllungsgrade von Modernisierung behaupten lassen. Damit erscheint die Differenz von Zentrum und Peripherie nicht als Wirkung unhintergehbarer Modernisierungsprozesse, sondern als diskursive Funktion – und damit: als Effekt medialer Zuschreibungen, deren zugrundeliegendes Paradigma das Narrativ der Modernisierung ist. In Folge kommt der Peripherie nicht nur eine argumentative, sondern auch eine epistemologische Funktion zu.61 So bestimmt Zygmunt Bauman den Wert peripherer Räume in seiner Analyse der Ausbildung jener politischen Ökonomie, deren Aufkommen er in Liquid Modernity (2000) als Konsequenz der Industriellen Revolution beschreibt, in deren Bedeutung für die wissenschaftliche Theorie- und Modellbildung:
60 Vgl. dazu ausführlich die Ergebnisse der Arbeitsgruppe »Zentrum und Peripherie in soziologischen Differenzierungstheorien« (2011, 101ff.). 61 Eine weitere Bezugnahme auf die Kategorie des Peripheren, die in ihr eine epistemologische Voraussetzung des eigenen Denkens erkennt, findet sich nicht zuletzt in Jacques Derridas Denken, das sich als Projekt einer Überwindung des Logozentrismus und oppositionaler begrifflicher Ordnungen erweist. So erkennt Derrida in der Marginalität und den Zwischenräumen sprachlicher Gegensätze ein Ferment des Denkens überhaupt.
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»The tendencies at full swing in the ›centre‹ are, as a rule, most promptly spotted and most clearly articulated in places temporarily relegated to the ›fringes‹. Living at the outskirts of the civilizational centre means being near enough to see things clearly, yet far enough to ›objectify‹ them and so to mould and condense the perceptions into concepts.« (ebd., 141)
Angesichts der grundlegenden Bedeutung, die dem Gegensatz von Zentrum und Peripherie für die Kultur der Moderne zufällt, mag es daher kaum verwundern, dass dieser auch für künstlerische Bezugnahmen eine wiederkehrende Referenz bildet.
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»Durchfahrtsland« Der Film Durchfahrtsland der Kölner Regisseurin Alexandra Sell stellt eine mediale Konstruktionen des Siedlungsraums zwischen Köln und Bonn, dem Vorgebirge, dar, die in signifikanter Weise die vermeintlich verkehrstechnischen Bedingungen seiner Existenz aufgreift. Im Pressetext des Filmverleihs heißt es, der gezeigte Raum sei »eine dieser Gegenden, durch die man durchfährt, um anderswo einen Ausflug zu machen. Nicht Stadt, nicht Land, zersiedelt und austauschbar. Für die Menschen allerdings, die dort wohnen, ist das Vorgebirge die Mitte der Welt. In dieser Mitte gilt es, sich einen Platz zu erobern. Was nicht immer ganz leicht ist, ganz besonders nicht für die vier Protagonisten des Films.« (Realfiction 2005)
Mit dem Gestus dokumentarischer, ethnografischer Beobachtung, zu der ein gewollt distanzierter, häufig jedoch spöttischer Voice Over-Kommentar tritt, lernen wir vier Figuren kennen, deren Leben der Film im Laufe eines Jahres zu beschreiben vorgibt: den Pfarrer der Gemeinden Hemmerich und Rösberg, Hans Wilhelm Dümmer, die in Sechtem wohnende Sekretärin und Schriftstellerin Sophia Rey, Mark Basinski, ein Realschüler aus Walberg, und Giuseppe Scolaro, Berufssoldat und erster Vorsitzender des Tambourcops Klingendes Spiel Vochem. In einem Texttitel, dem Film gleich einem Motto vorangestellt, heißt es, »Der Weg zu Lande von Bonn nach Köln – unerachtet der schönen Chaussee auf welcher man ihn in weniger als vier Stunden zurücklegt – ist unbeschreiblich öde und langweilig — Johanna Schopenhauer 1828«. Auch der Begriff »Durchfahrtsland« scheint wenig schmeichelhaft; in seiner Aussage steht er ganz in der Tradition der Leserzuschriften, die den späteren Bau der das Vorgebirge durchquerenden Autobahn 555 begrüßten. Durchfahrtsland kon-
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struiert den städtischen Siedlungsraum zwischen Köln und Bonn in gleicher Weise als Peripherie, in seiner Funktion und seinen Grenzen bestimmt durch Verkehrswege. Abbildungen 10-12: Durchfahrtsland (D 2002; R: Alexandra Sell), Einstellungssequenz
Bereits in den Paratexten des Films finden sich aber auch Hinweise auf eine Perspektive, die in dem portraitierten Raum eigentümliche Widersprüche erkennt (und die der Film in der Folge für Effekte der Komik zu nutzen trachtet). So besteht das Plakat, das die Kinoauswertung des Films bewirbt, aus der Fotografie einer auf einem Feldweg marschierenden Blaskapelle. Im Bildhintergrund befinden sich Kühltürme und Hochspannungsleitungen, die zu einem Braunkohlekraftwerk gehören. Hier, so scheint dieses Bild zu sagen, passt etwas nicht zusammen, und das ist komisch oder auch nur skurril. Dörfliche Traditionspflege und die funktionalen Oberflächenerscheinungen einer industriell genutzten und verbrauchten Landschaft bilden einen fortwährenden Widerspruch innerhalb des filmischen Textes. In einer längeren, in drei Segmente zerfallenden Sequenz wird dies deutlich (Abb. 10-12): Sie beginnt mit einer Folge von Einstellungen, die den Protago-
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nisten Mark Basinski zeigen. Aus großer Distanz kadriert sehen wir, wie er auf einem Fahrrad einen Feldweg entlang fährt. Das Voice Over schildert sein Ringen um eine Entscheidung für die eigene berufliche Zukunft. Er sei, so haben wir zuvor erfahren, künstlerisch begabt und plane, in Köln Modedesign zu studieren. Der mittlere Teil der Sequenz zeigt die Schriftstellerin Sophia Rey in ihrer häuslichen Umgebung. Skeptisch erwägt sie die Möglichkeit einer Autorenlesung. Bisherige Lesungen, so hieß es zuvor, seien von den Bürgern der Gemeinde, in der sie lebt, ignoriert worden. Und schließlich folgt ein aus einer einzelnen Einstellung bestehendes Segment, welches vordergründig die filmische Narration voran treibt. Die Erzählstimme summiert Ereignisse, die entweder die Region oder die beobachteten Protagonisten betreffen. Auf der Bildebene, mit langer Brennweite ausschnitthaft kadriert, sehen wir Bauarbeiten, die, so scheint es, am Rande des Parkplatzes eines Lebensmitteldiscounters stattfinden. Eingeleitet wird dies mit den Worten, »In diesem Sommer bekam das Vorgebirge eine neue Autobahnausfahrt und zwei neue Supermärkte«. Die hier geschilderte Sequenz steht beispielhaft für ein mediales Verfahren der Konstruktion von Text/Bild-Verhältnissen, das den Film wiederkehrend kennzeichnet und sich als kontrastive Gegenüberstellung zweier unversöhnlicher Sphären beschreiben lässt. Auf der einen Seite, repräsentiert durch die textuelle Ebene der Voice Over-Narration, stehen Mutmaßungen über das Handeln der Akteurinnen und Akteure, Aspekte der Figurenzeichnung und Verweise auf die Individualität der filmischen Figuren vor dem Hintergrund der Konventionen einer dokumentarisierenden Lektüre. Auf der anderen Seite, repräsentiert über das sichtbare Bild und als Effekt der filmischen Montage, finden sich die Erscheinungsformen einer suburbanen Landschaft, Bilder austauschbarer Siedlungen und belangloser und in ihrer Belanglosigkeit ausgestellter Verkehrswege. Diese Einstellungen sind fast immer aus einer distanzierenden Perspektive aufgenommen, die durch lange Brennweiten und ebensolche Einstellungsdauer gekennzeichnet ist. Die bildliche Konstruktion der suburbanen Landschaft dient der filmischen Narration einerseits für strukturierende Zwischenschnitte. Andererseits bildet sie in ihrer Gesamtheit einen Bildtypus, welcher Ausweis ist der behaupteten Trostlosigkeit und Gleichförmigkeit nicht nur eines landschaftlichen Raums, sondern auch des Sozialraums der ihn bewohnenden Menschen und ihrer Lebensentwürfe. Während wir hören, dass der Gasthof – Sinnbild der bürgerlichen Vorstellung eines historischen Ortes, auf welche der Begriff des ›Lokals‹ einen direkten Verweis darstellt – zerstört sei, zeigt der Film nicht
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die Überreste der Ruine, die wir imaginieren müssen, sondern nur einen Parkplatz – einen funktionalen, austauschbaren Raum des Verkehrs. Diese filmische Strategie, die buchstäblich ein Blick aus der Distanz ist, repräsentiert nicht nur eine Distanzierung gegenüber dem Raum. Sie ist zugleich eine Distanznahme gegenüber den filmischen Figuren, weil den Zuschauerinnen und Zuschauern eine affektive Nähe schon über die Wahl filmischer Mittel verweigert wird: »Die fremde Welt vor der eigenen Haustür« (ebd.), welche der Film, wie es im Presseheft heißt, zu beobachten vorgibt, bleibt auch deshalb fremd, weil sie ein distanzierter Blick als fremd konstruiert. Die damit einhergehende Verweigerung von Nähe ist doppelter Gestalt: Sie betrifft die Raum- wie die Sozialdimension und identifiziert beide Ebenen. Und so erscheint es kaum zufällig, dass der Film das höchste identifikatorische Potential noch ausgerechnet für jene Figur aufbringt, die selbst in größtmöglicher Distanz und intellektueller Abgeklärtheit dem sie bestimmenden und von ihr bestimmten Raum gegenübersteht: Pfarrer Dümmer, von dem es zu Beginn des Film heißt, er habe bei seiner Ankunft wenig über das Vorgebirge gewusst, und das sei vielleicht auch gut so gewesen. Nun wäre es wohlfeil, den Blick auf das »Durchfahrtsland«, den Raum zwischen Köln und Bonn, als einen überheblichen, intellektuellen Blick abzutun (und Teile der Filmkritik haben genau dies getan). Eine solche Diagnose würde jedoch das, was als suburbanes »Durchfahrtsland« erscheint, und gleichermaßen das, was in der Vorstellung des Urbanen ex negativo immer mitgemeint ist, als substanzlogische Tatsache voraussetzen. Tatsächlich ist das, was sich in Folge als Peripherie bezeichnen lässt, jedoch nicht nur das Produkt verkehrstechnischer Innovationen wie der Kraftwagenstraße und Autobahn, sondern zugleich der Effekt eines spezifischen Blickens, das ebenso verwoben ist mit verkehrstechnischen Dispositiven wie als Resultat medialer Eigenlogiken erscheint. Die Repräsentationspolitik des Peripheren lässt sich dabei als Ausdruck eines enttäuschten kulturellen Begehrens nach der Moderne zu lesen. Dieses Begehren ›nach‹ der Moderne ist in beiderlei Sinne gemeint: temporal als ein Begehren zum Zeitpunkt des vermeintlichen Endes der Moderne, aber auch resultativ als Begehren, das auf die Moderne zielt. Die auf Dauer gestellte Enttäuschung dieses Begehrens bildet ein Trauma, dessen Ausdruck die »imaginäre Geographie« (Said 2009) des Peripheren darstellt, eine, in den Worten Virilios, »ortlose« Welt, der ihre Ortlosigkeit regelmäßig vorgehalten wird. Sie ist zugleich eine mediale Topologie, die im Moment des Medialen die Uneigentlichkeit einer Welt, die selbst nur Bild ist, in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit aufbewahrt.
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»Peripheriewanderung« Wohl nichts verweist auf dieses Trauma so sehr, wie jene Empörung, die aus der in Versform vorgebrachten Äußerung spricht, »Dass dieser Muff hier / überhaupt existieren darf, / ist ein Skandal«. Geschrieben hat den Satz Peter Piller (2007), Professor für Fotografie im Feld zeitgenössischer Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Piller hat im Sommer 2006 auf Einladung der Beethovenstiftung eine Umwanderung Bonns »entlang der Besiedlungsgrenze in acht Etappen« (ebd.) unternommen. Der dabei entstandene Bild-/Textzyklus Peripheriewanderung Bonn gliedert sich als Werkgruppe in drei Teile: Eine in Versform angeordnete, sprachliche Beschreibung seiner Eindrücke, 16 skizzenhafte Zeichnungen, die entsprechenden Segmenten der »Peripheriewanderung« zugeordnet sind und mittels Titeln verortet oder thematisch benannt werden, vor allem aber eine Serie von unbetitelten Farbund Schwarz/Weiß-Fotografien. Diese wurden in der Ausstellung und im zugehörigen Katalog in einer Weise angeordnet, dass ein inter- und intratextuelles Referenzverhältnis die Folge ist. Die Bilder scheinen sich zu kommentieren, wodurch signifikante Bedeutungsverschiebungen eintreten, vor allem aber jene Komik der Inkongruenz, die auch Durchfahrtsland charakterisiert, die Folge ist. So lassen sich eine Reihe von Motiven benennen, die in den Fotografien wiederkehrend auftauchen. Hierzu zählen etwa die zahlreichen Mauern, Zäune und Begrenzungsanlagen, die Piller in den Blick nimmt. Immer wieder zeigen seine Aufnahmen diese als bestimmende Elemente der suburbanen Landschaft. In der Summe entspricht seine fotografische Erkundung dennoch keiner Typologie; zu verstreut, widersprüchlich und sich nicht einem homogenen ästhetischen Eindruck fügend erweist sich das auf den Fotografien Abgebildete. Es ist vielmehr die ästhetische Praxis der Auswahl und Anordnung selbst, die, so scheint es, einer disparaten und beiläufigen Wahrnehmung einen Zusammenhang verleiht – auch, wenn dieser sich als denkbar brüchig erweisen sollte. So dürfte es schwer fallen, die so abgebildete Welt einer konkreten Geographie zuzuordnen, zu generisch und letztlich austauschbar erscheint der Siedlungsraum um Bonn. Tatsächlich hat Piller eine Reihe weiterer »Peripheriewanderungen« unternommen, so rund Hamburg, im Ruhrgebiet und, drei Jahre nach Bonn und auf Einladung des Steirischen Herbstes, entlang den Außengrenzen der Stadt Graz (Piller 2010). Die dabei entstandenen Bilder weisen eine große Ähnlichkeit zu jenen aus dem früheren Projekt auf. Zwei Gründe mögen diesen Eindruck bewirken: Der erste gründet in der spezifischen ästhetische Zurichtung
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durch Pillers fotografische Praxis, so die Wahl von Motiven, die technische Gestaltung der Aufnahmen und ihre Anordnung innerhalb von Ausstellung und Publikation. Der zweite Grund lässt sich in einer verbindenden Strategie verorten. Diese kennzeichnet ein Blicken, das den so gefassten Raum als peripher erkennen will. Denn Pillers Bilder, so die Pressemitteilung des Steirischen Herbstes, »beschreiben keinen konkreten urbanen oder regionalen Zusammenhang, konstruieren keine Besonderheiten, sondern erzeugen ein Feld von durchaus auch widersprüchlichen und heterogenen Bildern, unzusammenhängender Eindrücke, die erst im und durch das Buch ihre Fassung und ihren Kontext finden« (Maierhofer 2011).
Die umstandslose Übertragung des ästhetischen Programms von der einen in die andere ›Peripherie‹ mag vor allem ein Hinweis sein auf eine Sichtweise, die ihre Effekte als Wunsch und Begehren vorwegnimmt. Und so erscheint Bonn auch deshalb als »als ziemlich provinzielle Ansammlung von kleinen Dörfern« (Piller 2009), weil es ein Blick ist, der den so begangenen Raum als provinziell identifiziert. In der Pressemitteilung heißt es weiter, Pillers visuelle Strategie »liegt in dem Interesse am scheinbar Unwichtigen, Nebensächlichem, an jenen Bildern, die aussortiert werden, die keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen – ohne jedoch das Alltägliche und Banale zu romantisieren, ohne im Alltäglichen das Besondere suchen zu wollen« (Maierhofer 2011).
Gerade der Mangel am »Besonderen« ist allerdings exakt eine jener Eigenschaften, die dem peripheren Raum üblicherweise zugerechnet werden: Er ist solcherart ›eigenschaftslos‹ und ›allgemein‹ in jenem Sinne, dass er ortlos erscheint. Und tatsächlich: Bereits die Textfragmente, die Piller der fotografischen Serie in Peripheriewanderung Bonn vorangestellt hat, kennzeichnet, dass hierin dem so erfahrenen und als Bild konstruierten Raum seine indifferente Ortlosigkeit vorgehalten wird, ohne dass diese als sekundärer Effekt der eigenen ästhetischen Praxis reflektiert würde. So heißt es hier, »die vagen begrenzungen der gärten, / die hausflure als braves niemandsland, / die übergänge von nutzland zur brache, / die ratlosigkeit der jugendlichen über spuckeseen / an endhaltestellen« (Piller 2007). Eine solche »Endhaltestelle« bildet auch eines der Motive der fotografischen Serie (Abb. 13). Die Farbaufnahme zeigt ein Wartehaus, das sich am Ende einer großen, den Bildvordergrund dominierenden, geteerten Fläche befindet. Im Bildhintergrund, der durch einen flachen Horizont, den einzelne Bäume und ein Waldstück bilden, abgeschlossen wird, liegen Wiesen. Ein Stadtbus, in dem sich weder Fahrgäste noch Fahrpersonal befinden, steht, scheinbar verlassen, neben dem Wartehaus. Ein großer Wegweiser gibt zwei
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Richtungen an: Die erste leitet zu einer Bundesstraße, die nach Köln führt, die zweite weist auf ein nicht weiter bestimmtes »Zentrum« hin, das sich in derselben Richtung zu befinden scheint. Eine auffällige, weiße Tafel, welche die Ziffer »7« trägt, und die jenen entspricht, die an Flüssen zur Markierung der Stromkilometer verwendet werden, lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass es sich bei der großen Fläche im Bildvordergrund um die Zufahrtsrampe einer Rheinfähre handelt. Abbildung 13: Peter Piller, Ohne Titel
Das trübe Licht, hervorgerufen durch starke Bewölkung, die monochromatische Anmutung, von der allein der auffällig lila lackierte Stadtbus abweicht und die Abwesenheit von Menschen in der so gefassten Szenerie erzeugen eine trostlose Wirkung, die dennoch, bewirkt durch die fotografische Perspektive und die geometrische Strenge der Kadrierung, eine eigentümliche Spannung aufweist. Ein weiteres Textfragment führt Abläufe der Natur und Erscheinungsformen eines automobilen Lebensstils in spezifisch kleinbürgerlicher Ausprägung zusammen. Hier heißt es, »die sinnlos erscheinende güte / der abendlichen sonnenstrahlen auf den carport« (ebd.). »Sinnlosigkeit« und »Ortlosigkeit« – Eigenschaften, die Piller in seinen Texten und mittels seiner Fotografien, die den filmischen Bildern aus Durchfahrtsland in vielfacher Hinsicht ähneln, der Peripherie zuschreibt, entsprechen Werturteilen, die auf die ungebrochene Wirkmächtigkeit moderner Vorstellungen von ›Sinn‹, ›Substanz‹ und ›Geschichte‹ verweisen. So beschreibt der kanadische Humangeograph Edward C. Relph in seiner 1976 erschienenen
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Untersuchung Place and Placelessness mit dem Begriff der »Ortlosigkeit« eine spezifisch moderne Entwicklung im Prozess menschlicher Raumerfahrung und -aneignung. Der Eindruck von Ortlosigkeit, so Relph, trete dort auf, wo Standardisierung und ein geringes Maß an Authentizität die menschliche Wahrnehmung bestimmten. Dieser Entwicklung gilt seine Kritik: Das unmerkliche Verschwinden distinkter Orte und die Entstehung vereinheitlichter Landschaften, sei, so Relph, zurückzuführen auf einen grundlegenden Mangel an gesellschaftlicher Sensibilität gegenüber der Bedeutung des Ortes. Die Ursache hierfür meint Relph in einer unkritischen Übernahme massenmedial vermittelter Wertvorstellungen, in der gesellschaftlichen Wirkung von Kommunikationstechnologien, im Konsumismus und in der Vielzahl massenkultureller Sinnstiftungsangebote zu erkennen. Zwar argumentiert Piller innerhalb seiner Werkgruppe Peripheriewanderung Bonn nicht explizit kulturkonservativ. Sein visueller Befund ist in seiner Aussage jedoch der Diagnose Relphs vergleichbar: Die medialen Oberflächen der Bilder der Peripherie, ein Carport in abendlichen Sonnenstrahlen – sie erscheinen wie ein Fingerzeig auf einen Verlust der »Tiefendimension«, mit der Jean-François Lyotard eine spezifisch postmoderne Erfahrung benennt: einen Verlust von Gefühlen, Erfahrungen und Erinnerungen (vgl. Lyotard 1984).
Das Gegenbild der Stadt
In seiner Studie Drempelwereld. Moderne ervaring en stedelijke openbaarheid hat der niederländische Kulturphilosoph René Boomkens gezeigt, wie sich die Absicht, ›modern zu sein‹ mit einem spezifischen Lebensstil, mit Schnelligkeit, einer technisierten Umgebung und dem Leben in der Stadt verbindet, wie Modernität aber zugleich immer auch ein Versprechen darstellt, das ein Verlangen ausdrückt: ›Modern‹ ist man nicht, ›modern‹ gilt es zu werden (vgl. Boomkens 1998, 17). Bezeichnend für die Verknüpfung der Versprechen der Moderne mit einem bestimmten Vorstellung von Raum ist ein Dualismus, der die Kulturtheorie des 20. Jahrhunderts bestimmt, und der seinen historischen Ausdruck in einer doppelten Gleichsetzung findet: jener der Großstadt mit einer distanzierten Lebensweise einerseits, jener der Kleinstadt mit Nähe und Intimität andererseits. Nirgendwo findet sich dieser Gegensatz so explizit entfaltet wie im Werk von Georg Simmel. Bereits in der Soziologie (Simmel 1908, 640ff.), so Christoph Asendorf, »gelangt er [Simmel, T.W.] zu einer Korrelation, wo Nähe und Einheitsgefühl auf der einen gegen Distanz und Intellektualität auf der anderen Seite stehen« (Asendorf 2005, 22). Vor allem aus Sicht des großstädtischen Bürgertums »lebten in den Vororten vor allem die arrivierten, oft spießigen Kleinfamilien, die sich enge, rückwärtsgewandte Verhaltensregeln auferlegten« (Weinhold 2005, 191). 62 Diese pejorative Wahrnehmung des suburbanen Raums ist bis heute kennzeichnend: »The Suburbs have remained a form of sunken heritage, or worse: they are deemed cultureless à outrance« (Boomkens 1999, 216). Aus einer solchen Wahrnehmung erscheinen die Erscheinungsformen des Suburbanen stets als Flucht aus der Stadt, niemals jedoch als eigenständiger Modus der 62 Diese Sichtweise stellt keineswegs einen deutschen oder europäischen ›Sonderweg‹ dar; vgl. etwa aus amerikanischer Sicht Carey 1992.
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Urbanisierung. Vor allem den vermittelnden Versuchen, die vermeintlichen Vorteile des Landlebens mit jenen der Stadt zu versöhnen – etwa im Konzept der Gartenstadt – gilt eine vehemente Kritik, die in die Behauptung mündet, dass die mit der Vorstadt assoziierten Lebensmodelle die ›Errungenschaften‹ des Städtischen schlechthin negierten: »Suburbia […] turns it back on that city.« (ebd., 220)63 In Simmels wenige Jahre nach der Soziologie erschienenem, einschlägigen Aufsatz Die Großstädte und das Geistesleben wird der Zusammenhang von intellektueller Distanziertheit und Urbanität weiter ausgeführt. Hier kennzeichnet Simmel Intellektualität gar als ein notwendiges »Präservativ des subjektiven Lebens gegen die Vergewaltigung der Großstadt« (Simmel 1903); Intellektualität erscheint ihm als »Distanzierungsmittel« (Asendorf 2005, 22). Simmels Diagnose ist umfassend: Der ländliche Raum und das, was er das »subjektive Leben« (Simmel 1903) nennt, bilden, so seine These, keine widerständigen Potentiale zur Idee der Modernisierung – oder, um einen Begriff zu wählen, den Theodor W. Adorno prägen wird: den Konsequenzen der »verwalteten Welt«. Für Simmel jedoch sind es der Verkehr selber und die ihm eigene »reine Sachlichkeit in der Behandlung von Sachen und Dingen« (ebd., 542), die ein Überleben in der gesellschaftlichen Moderne ermöglichen: »Daß man sich mit einer so ungeheuren Zahl von Menschen so nahe auf den Leib rückt, wie es die jetzige Stadtkultur mit ihrem kommerziellen, fachlichen, geselligen Verkehr es bewirkt, würde den modernen, sensiblen und nervösen Menschen verzweifeln lassen, wenn nicht jene Objektivierung des Verkehrscharakters eine innere Grenze und Reserve mit sich brächte« (Simmel 1900, 542)64
63 Allerdings ist die pejorative Wahrnehmung des Suburbanen und Ruralen nicht denkbar ohne ihr dialektisches Gegenstück, ein emphatisches Lob des Landlebens Rousseau’scher Prägung, das für die Moderne genauso prägend ist wie die Valorisierung des Zentrums. Entscheidend ist indessen, dass etwa Rousseaus Blick auf das Land in gleicher Weise von urbanem Vorurteil geprägt ist wie die umgekehrte Perspektive. — Die Überwindung der sich hier abzeichnenden, unfruchtbaren Opposition erfolgt im amerikanischen Kontext erst mit Jane Jacobs einflussreicher Studie The Death and Life of Great American Cities (1961). Vgl. Vicenzotti 2011, 99ff. sowie aus amerikanischer Sicht Bunce 1994, 113ff. 64 Zur Aktualität von Simmels Überlegungen als »Extrakt einer allgemeinen Soziologie der Moderne« vgl. Lindner 2004, 175ff.
Das Gegenbild der Stadt
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Eine bürgerlich konzipierte Intellektualität, die aufs Engste mit emphatischen Vorstellungen von Urbanität verknüpft ist, erscheint somit als conditio sine qua non, als Garantie des Überlebens des Individuums in der Moderne.65 Mit dieser politischen Aufladung geht eine spezifische Wahrnehmung des Lebens in der Stadt einher, das im Gegensatz zu rural geprägten Lebensformen steht, und klassischerweise mit der Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit beschrieben worden ist (vgl. Bahrdt/Herlyn 1961). Diese Differenz zeigt sich in sozialer Hinsicht etwa darin, dass der öffentliche Raum – gleichsam die »Vorderbühne« (Siebel 2003a, 24) – als ein »Ort des stilisierten, distanzierten Verhaltens und der Anonymität« (ebd.) gekennzeichnet ist. »Der private Raum dagegen ist ›Hinterbühne‹, Ort von Intimität, Emotionalität und Körperlichkeit.« (ebd.). Entscheidend ist nun, dass diese Trennung normativ wirkt: »Urban«, so folgert Walter Siebel in seinem Standardwerk Die europäische Stadt, »nennen wir eine verfeinerte, intellektualisierte und distanzierte Art des Verhaltens, die Trennung von öffentlichem und privatem Leben, von Arbeit und Freizeit« (Siebel 2003b, 25). In solcherart Vorstellungen fungiert die räumliche Struktur der Stadt als »Gefäß und Symbol der urbanen Lebensweise« (ebd., 16), als »geformter Geist« (Schwind 1964). Die Idee einer notwendigen Voraussetzung der Großstadt für die Ausbildung einer spezifischen Form der Intellektualität degradiert den suburbanen und ruralen Raum, lässt ihn als rückständig und eben allenfalls peripher an den Segungen des städtischen Lebens beteiligt erscheinen. Eine solche Wahrnehmungsweise ist insbesondere in der deutschsprachigen Kulturtheorie weit verbreitet – und das nicht einmal nur innerhalb von Konzepten, die sich umstandslos einem bürgerlichen Gesellschaftsbild zurechnen ließen. So wenden sich Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest in scharfen Worten gegen den »Idiotismus des Landlebens« (MEW 4, 466), von dem sie glauben, dass ihn die Bourgeoisie in ihrem historischen Sturmlauf überwinden werde. In ähnlicher Weise setzt die Frankfurter Schule die Stadt/Land-Dichotomie in eins mit der Behauptung einer Entwicklungs- und Modernisierungsdynamik, die sich in der Peripherie kaum durchgesetzt habe. So argumentiert Theodor W. Adorno, »Die fortdauernde Divergenz von Stadt und Land, die kulturelle Ungeformtheit des Agrarischen, […] ist eine der Gestalten, in denen die Barbarei sich perpetuiert.« (Adorno 1963, 46f., zit. nach Belina/Michael 2007b, 14).
65 Zur historischen Genese dieses Topos und dem konstitutiven Anteil des Films an seiner Entstehung in den 1920er Jahren vgl. Waitz 2013.
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Peripherie
Ein möglicher Grund für das auffällig emphatische Eintreten für das Städtische und die daraus abgeleitete Gleichsetzung von Urbanität und Modernität begründet sich darin, dass die europäische Stadtgeschichte stets als Emanzipationsgeschichte des Bürgertums begriffen worden ist. So beschreibt Max Weber die nordeuropäische Stadt des Mittelalters als »Marktort«, dessen Existenz der politischen Aufwertung des Bürgertums in notwendiger Weise vorausgelegen habe (vgl. Weber 1947a; Weber 1947b). Zusammen mit der Ausbildung der »protestantische Ethik« sei es ihre Raumstruktur, die, so Weber, den Aufstieg und die hegemoniale Stellung Europas begründet habe. Damit erweist sich die Stadt als »Zentrum der gesellschaftlichen Dynamik in Richtung auf die moderne, kapitalistisch organisierte und demokratisch verfasste Gesellschaft« (Siebel 2003b, 14). Solche Narrative prägen die Wahrnehmung des Städtischen bis heute und »transzendier[en] ihre Gegenwart« (Siebel 2003a). Als symbolische Verräumlichung der Emanzipationsgeschichte des Bürgertums verkörpert sie »die Hoffnung, sich als Städter aus beengten politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen befreien zu können« (Siebel 2003b, 13). Ungeachtet der zahlreichen Übergangsformen, zeigt sich damit zugleich die wechselseitige Konstitution von »Stadt« und »Land« als diskursive Chiffre: »Was Stadt ist, ergibt sich aus der Differenz zur Nichtstadt, zum Land« (ebd., 12). Auf diesen Zusammenhang hebt Zygmunt Baumann ab, wenn er schreibt, »Nicht jedes Stadtleben ist modern; doch jedes moderne Leben ist ein Stadtleben. Modernität bedeutet in bezug auf das Leben, einem Leben in der Stadt immer ähnlicher zu werden« (Bauman 2007, 205). Die Wirksamkeit eines sich hier begründenden Paradigmas, innerhalb dessen Raum- und Modernitätskonzepte enggeführt und miteinander in eins gesetzt werden, ist, das zeigen die Beispiele von Durchfahrtsland und Peripheriewanderung, kaum zu unterschätzen. Es bildet unausgesprochen die argumentative Folie, vor der die jeweilige ›Kritik‹ der Peripherie wirksam wird. Rene Boomkens sieht daher unsere Vorstellungen von Modernität »filled with images, certainly also idealizations, that – thanks to writers, historians, painters, or photographers, and a little bit also to oral tradition – we derive precisely from that same 19th century« (Boomkens 1999, 218f.). Die Persistenz dieses Paradigmas ist auch deshalb bemerkenswert, weil Henri Lefebvre bereits 1970 in La révolution urbaine (dt. Die Revolution der Städte, 1990) nachzuweisen versucht hat, dass das emphatische Konzept der Stadt über keinerlei substanzlogische Entsprechung verfügt, sondern einer Imagination entspringt. Lefebvre konstatiert,
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»Der Begriff der Stadt entspricht keinem gesellschaftlichen Objekt mehr. Soziologisch gesehen ist er ein Pseudobegriff. Dennoch besitzt die Stadt eine historische Existenz, die nicht ignoriert werden kann. Noch gibt es kleine und mittelgroße Städte, und es wird sie noch lange geben. Das Bild oder die Darstellung der Stadt können weiterbestehen und unter eigenen Voraussetzungen überleben, eine urbanistische Ideologie und urbanistische Projekte ins Leben rufen. In anderen Worten: Das ›wirkliche‹ soziologische Objekt ist in diesem Fall Bild und – vor allem – Ideologie.« (ebd., 65, zit. nach Guelf 2010)66
Zwar argumentiert Walter Siebel aus einer gänzlich anderen wissenschaftlichen Perspektive als Lefebvre. Doch auch er kommt in seiner Geschichte der europäischen Stadt zu dem Schluss, dass die mit ihr in Verbindung gebrachte urbane Lebensweise »heute ubiquitär« (Siebel 2003b, 25) geworden sei. Warum dann aber noch die Rede von der Peripherie? Die Repräsentationspolitik, mittels derer Alexandra Sells Film Durchfahrtsland und Peter Pillers Bild-/Textzyklus Peripheriewanderung den suburbanen und ruralen Raum entwerfen, lässt sich – über die untersuchten Beispiele hinaus – als kennzeichnend und typisch für große Teile gegenwärtiger symbolischer Verräumlichungen des Peripheren beschreiben. Ihre Valenz alleine mit der grundlegenden Bedeutung des Urbanen für Vorstellungen von Intellektualität und Modernität begründen zu wollen, liefe jedoch fehl. Hingegen lässt sich nachweisen, dass sie zu einem Zeitpunkt stattfindet, da die zugrundeliegende Dichotomie von Zentrum und Peripherie selbst in die Krise geraten ist. Dies wird vor allem mit Blick auf Modelle der Siedlungsgeographie und Raumplanung deutlich .
66 Vgl. auch Schmid 2005, 22ff.
»Zwischenstadt«: Neue Konzepte der Siedlungsgeographie
Die Kulturgeographie – insbesondere die Siedlungsgeographie67 – und in ihrer Folge die Stadt- und Raumplanung haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt solchen Räumen zugewandt, die sie selbst als peripher kennzeichnen.
67 Im weitesten Sinne der Human- bzw. Kulturgeographie zugehörig, bemüht sich die Siedlungsgeographie, den Widerspruch zwischen einer umfänglichen Theorie- und Gegenstandsforschung zur Urbanität und einer in erheblich geringerem Ausmaße vorliegenden Geschichte und Theorie des ruralen Raums zu überwinden. Diese Trennung ist keineswegs allein heuristisch begründet; gewinnt doch jeder Einzelkomplex innerhalb dieses Gegensatzpaares seine Produktivität über die stets implizite Komplementarität zum jeweils anderen. Einen wesentlichen Ausgangspunkt für die deutschsprachige Theoriebildung stellt hierbei das von Walter Christaller 1933 entwickelte Modell der »zentralen Orte«, respektive von »Zentralität« dar (Christaller 1980). Sein ökonomisch argumentierendes Modell, dessen Wirkung für die Stadt- und Raumplanung in der Bundesrepublik Deutschland kaum überschätzt werden kann, vermeidet die Begriffe von ›Stadt‹ und ›Land‹. Stattdessen etabliert es eine abgestufte Hierarchie von »Zentren« unterschiedlicher Größe, damit nicht zwangsläufig korrespondierenden Bedeutungen und sogenannten »Ergänzungsgebieten«. »Peripherie« und ruraler Raum, Stadt und »Zentrum« fallen damit als Kategorien gerade nicht in eins - und doch prägt die in dieser Opposition aufgehobene Vorstellung einer Hierarchisierung die Konzepte räumlicher Differenzierung. Dieses funktionalistische Modell der Betrachtung ist, obwohl nach wie vor dominant, in den vergangenen Jahren zunehmender Kritik innerhalb der Siedlungsgeographie ausgesetzt gewesen. Sie betrifft nicht nur methodologische Defizite, sondern bezieht sich insbesondere auf den angezweifelten Anwendungswert vor dem Hintergrund gegenwärtiger siedlungsstruktureller Entwicklungen. So beurteilen Axel Borsdorf und Oliver Bender in ihrer Einführung in die Allgemeine Siedlungsgeographie (2010) den »Stellenwert des Modells zentraler Orte in der Postmoderne« als »gering«, es habe, so heißt es weiter, »an deskriptiver, aber auch explikativer Aussagekraft verloren« (ebd., 275).
»Zwischenstadt«
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Für den deutschsprachigen Raum lassen sich gleich mehrere diskursive Ausgangspunkte dieser Hinwendung verzeichnen: Hierzu gehören das 1995 vom Westfälischen Kunstverein Münster durchgeführte Symposion Die verstädterte Landschaft und die Veröffentlichung der Studie Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land durch den Stadtplaner Thomas Sieverts 2001, die zusammen die entscheidende Initiierung eines mittlerweile wuchernden Diskurses darstellt (vgl. Vicenzotti 2011). Auch die Beiträge des Deutschen Pavillons auf der 9. Internationalen Architekturbiennale 2004 in Venedig, die unter dem Titel Deutschlandschaft. Epizentren der Peripherie standen, setzten sich mit der These auseinander, dass sich die städtische Wirklichkeit verändere, Unterscheidungen zwischen Zentrum und Peripherie brüchig geworden seien und es neuer stadt- und raumplanerischer Konzepte bedürfe. Wenn es im Vorwort des Katalogs der Architekturbiennale heißt, das Projekt »lenkt den Blick bewusst von den großstädtischen Zentren auf die Orte an der Peripherie« (Ferguson 2004, 11), dann scheint das kuratorische Vorhaben bereits in seiner behaupteten konzeptuellen Anlange Alexandra Sells Film Durchfahrtsland zu entsprechen, von dem es heißt, er sei »ein Heimatfilm über die fremde Welt vor der eigenen Haustür« (Realfiction 2005). Die Ausstellung Deutschlandschaft erhebt dabei den Anspruch, Fallbeispiele guter architektonischer Praxis aufzuzeigen und »eine genaue Analyse der vorliegenden Kontexte« in »architektonische Interventionen« zu überführen (Ferguson 2004, 13). Aufschlussreich erscheint, wie das Konzept der Peripherie hierbei eine Neubewertung erfährt. In einem Gespräch, das die Herausgeberin des Katalogs mit dem Architekten Stefano Boeri geführt hat, erklärt dieser etwa, »Peripherie ist keine Frage des Bebauungszustands, sondern ein Ort, an dem etwas nicht vorhanden ist. Peripherie ist ein Fehlen, eine Leere. […] Ein Un-Ort« (Boeri/Ferguson 2004, 41). Weiter wird ausgeführt, »In gewissem Sinne ist Peripherie auch ein Zustand. Wir recherchieren in den Medien und sammeln Tageszeitungen, Reportagen und Fernsehsendungen« (ebd., 42). Boeri beschreibt, dass eine emotional geprägte Wahrnehmung von Peripherie, die in eine Pathologisierung ihrer Erscheinungsweise münde, das Verhältnis vieler Menschen zu dem so bezeichneten Raum präge. Wenn sich Peripherie jedoch als Zustand – oder besser: als eine diskursive und repräsentationspolitische Zuschreibung – darstellt, dann ist mit dieser These eine systematische Verbindung zum Medialen angesprochen. Tatsächlich äußert Boeri weiter, dass die Peripherie durch ein hohes Maß an Einförmigkeit, Abwechslungsarmut und eine generische Selbstähnlichkeit gekennzeichnet sei. »Wenn man in solchen Gebieten herumfährt, staunt man darüber, dass man keinen logischen Zusammenhang entdecken kann. Erst sieht man ein Einfamilienhaus, dann
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einen Autobahnabschnitt, dann den Altstadtkern, dann ein Einkaufszentrum, dann wieder ein Einfamilienhaus. Die einzelnen Satzteile werden sozusagen aus einem dürftigen Vokabular aufgebaut, das den Satzbau für uns unleserlich macht« (ebd., 43)
Wenn Boeri das »Herumfahren« in der peripheren »Deutschlandschaft« als den primären Modus ihrer Erfahrung benennt, dann ist dies bezeichnend. Eine solche Wahrnehmung en passant kennzeichnet wiederkehrend die diskursive Konstitution des Gegenstands. Die sprachliche Nähe zur Vorstellung eines »Durchfahrtslands«, wie sie Alexandra Sells Film nahelegt, könnte kaum größer ausfallen. Die so gekennzeichnete ›Erfahrung‹ bedeutet ein Blicken, das in der Peripherie jedoch einmal mehr genau das zu erkennen sucht, was sie zu kritisieren beabsichtigt.
Postmoderner Raum, postmoderne Wahrnehmung In ihrem Aufsatz Stadt ohne Bild schildert Susanne Hauser den Raum der Peripherie, den sie »Agglomeration« nennt, als »autistisch; verbunden mit anderen Teilen und getrennt von ihnen ist er durch Straßen oder Schienen« (Hauser 2003, 106). Seine Erscheinungsweise umschreibt sie phänomenologisch: »Gewerbegebiete, urbane Zonen und Siedlungen verschiedenster Art, Handelszentren und Industriegebiete, Freizeitanlagen wie Sporthallen und Diskotheken, Flughäfen, Einkaufs- und Entertainment-Zentren, die sich in offensichtlich geordneter und auch nicht auffällig koordinierter Weise um Städte und kleinere Kerne herum ausgebreitet haben. Dazu kommen Felder, Wiesen, Tankstellen, Brachen, Militärgelände, mehr oder weniger gepflegte Waldstücke oder irgendwelche eher doch idyllisch wirkende Ökotope, die sich Ausgleichsmaßnahmen beispielsweise eines Autobahnbaus verdanken, gelegentlich ein Schloss, gelegentlich ein Klärwerk.« (ebd.)
Es erscheint bezeichnend, wenn die sprachliche Form von Hausers Aufzählung an eine Autofahrt – mehr noch: an eine filmische Montage – erinnert.68 Auch in Thomas Sieverts Beschreibung des Raums, den er mit dem später zum Schlagwort avancierten Begriff der »Zwischenstadt« bezeichnet, spielen
68 Tatsächlich haben sich die Autoren des Bandes, dem ihr Aufsatz entnommen ist, 100% Stadt. Der Abschied vom Nicht-Städtischen, einer solchen Methodik bedient. Die Publikation geht auf ein Projekt des Hauses der Architektur in Graz im Jahr 2003 zurück. Bestandteil der Publikation ist eine Video-DVD, die einen unbetitelten Film enthält. In der Form eines Phantom Ride zeigt dieser die Stadt Graz aus der imaginierten Perspektive eines Autofahrers. Der über die Bilder gelegte Voice Over-Kommentar besteht aus einer Kompilation einzelner Aussagen der im Band versammelten Aufsätze.
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Fragen nach Sichtbarkeit und Wahrnehmung eine entscheidende Rolle. So betont Sieverts die grundlegende Schwierigkeit, zu einem visuellen Befund zu gelangen und spricht von der »Unübersichtlichkeit und Bildlosigkeit« der »Zwischenstadt« (Sieverts 2003, 85). Dessen ungeachtet besteht sein gleichnamiger Band zu großen Teilen aus Fotografien von Brachflächen, Industriegebieten und suburbanen Siedlungen. Axel Borsdorf und Oliver Bender schließlich behaupten, dass im Zuge der Ausbreitung neuer Siedlungsformen, wie sie die »Zwischenstadt« repräsentiere, »[d]ie traditionellen räumlichen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Stadt und Land […] ihre Gültigkeit [verlieren]« (Borsdorf/Bender 2010, 23). Dadurch entstehe ein neuer »rurbaner Raum« (ebd., 26) – den sie ebenfalls in Form einer Aufzählung entwerfen: »Die Vermischung des Städtischen und des Ländlichen – der Einfamilienhaussiedlungen mit den Shopping Malls und den alten Dorfkernen, Autobahnen und Alleen, Gewerbe- bzw. Büroparks und landwirtschaftlichen Flächen, Golfanlagen und Weingärten, Villen und Bauernhöfen, Flughäfen und Bahnstationen, Bade- und Ziegelteichen, grasenden Kühen und jugendlichen Skatern, Erlebnisparks und Schutzgebieten, inszenierten Wohnwelten und Authentizität – ist nicht durchschaubar […].« (ebd.)
Die summarische Fassung dessen, was wahlweise als »Agglomeration«, »Zwischenstadt« oder »ruraler Raum« entworfen wird, stellt nicht nur ein wiederkehrendes rhetorisches Mittel dar. Sie ist ein auffälliger Hinweis darauf, dass es mit dem Diskurs um periphere Räume um mehr geht als um die Frage, wie diese beschaffen sind. Zur Verhandlung stehen vielmehr die Bedingungen und Abhängigkeiten des Sichtbarwerdens der so untersuchten Räume. Die Hinwendung zur Peripherie erweist sich daher in einem eigentlichen Sinne als Anerkenntnis der symbolischen Dimension jeglicher Verräumlichung. Und sie lässt sich lesen als Problematisierung der Formierung der epistemischen Objekte der Kulturgeographie und ihrer Anwendungsdisziplinen. Wenn aber Borsdorf und Bender von der »Undurchschaubarkeit« des »ruralen Raums« sprechen, dann erfüllt die Wahl des Begriffs mindestens zwei Funktionen. Zum einen wird er in metaphorischer Sicht eingesetzt, indem seine Verwendung auf die prekäre Einhegung des Gegenstands verweist. In gleicher Weise spricht auch Susanne Hauser in Bezug auf die Peripherie von einer Stadt ohne Bild (Hauser 2003) und behauptet, dass den peripheren Raum eine Form der »Anästhetik« (ebd., 107) kennzeichne – ein »Zustand«, der die »Wahrnehmungsgewohnheiten« herausfordere (ebd.). Tatsächlich sei jedoch die »Zwischenstadt« »kein neues, sondern ein neu gesehenes Phänomen« (ebd., 106):
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»Die Frage nach der Wahrnehmung, nach dem ästhetischen Zugang zu diesen Gebieten, die wir heute als Zwischenstadt, als Agglomeration halb städtischen, halb ländlichen oder landschaftlichen Charakters ansehen, ist problematisch. Geht man von einem weiten Konzept von Wahrnehmung und Ästhetik aus, nämlich von dem, was eine Gesellschaft wahrzunehmen bereit ist und als Gegenstand anerkannter Wahrnehmung auch thematisiert, dann ist festzustellen, dass die zwischenstädtischen oder auch zwischenlandschaftlichen Gebiete bis vor etwa 40 Jahren gar nicht, auch aus künstlerisch-ästhetischer Sicht nicht, wahrgenommen wurden.« (ebd.)
Der Begriff der »Undurchschaubarkeit« adressiert somit auch – und hierin begründet sich seine zweite Funktion – die epistemologischen Bedingungen des eigenen Sprechens, etwa die Fragen danach, was unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher medialen Konfigurationen sichtbar gemacht wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es keineswegs zufällig, dass »Undurchschaubarkeit« als Gegenbegriff zur modernistischen Forderung nach Transparenz gelesen werden kann. Umgekehrt gilt, dass die mangelnde Transparenz und das scheinbare Fehlen einer Selbstevidenz des so formierten Gegenstands wiederum als Ausweis seiner der Moderne entgegenstehen Qualitäten gelesen wird. Der so als postmodern identifizierte Raum der Peripherie ist jedoch vor allem eines: der Effekt einer selbst postmodernen Weise der Zurichtung. Vielleicht liegt genau hierin die eigentliche Bedeutung der lakonischen Feststellung, die der Stadtsoziologe und Architekturtheoretiker Walter Prigge trifft: Peripherie ist überall (1998).
Bildlosigkeit und Trauma Die hier untersuchten künstlerischen Projekte zur Peripherie und der entsprechende Diskurs in Siedlungsgeographie und Raumplanung lassen sich als Antwort auf ein identisches Problem lesen: Es geht in ihnen und mit ihnen um eine Errettung der Moderne und des je eigenen, modernen Selbstverständnisses angesichts postmoderner Tendenzen der endgültigen Auflösung modernistischer Begrifflichkeiten und Grundoppositionen in einem Moment ihrer radikalen Zuspitzung. Was sie unterscheidet, ist, dass die Siedlungsgeographie diese Räume zu verändern und den Modellen der Raumplanung zugänglich zu machen beabsichtigt. Als postmoderne Verräumlichung konstituiert, werden so die Modelle und das Beschreibungsinventar der Moderne nicht verabschiedet, sondern zugespitzt und letztlich zu bestätigen gesucht. Die analysierten künstlerischen Projekte hingegen erkennen in der Peripherie allein einen Ort der Regression oder begreifen die Kenntnisnahme der Peripherie als Trauma.
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Vor allem in Durchfahrtsland finden sich zahlreiche Hinweise auf die Behauptung einer grundsätzlichen Regression des peripheren Raums. Hier, so scheint es, bleibt die mit dem städtischen Leben in eins gesetzte Moderne in ihrer Wirkung randständig; bestenfalls, so legt es der Film nahe, vollziehe sich ihre Adaption als Farce. Dabei ist es insbesondere eine filmische Figur, deren Anlage und Gestaltung Hinweis auf eine solche Haltung gibt: Der Schüler Mark Basinski, der seine Bemühungen, das dörfliche Umfeld zu verlassen, um Modedesigner zu werden, im Laufe des Films zugunsten einer Ausbildung als Florist aufgeben wird. Dies kommentiert die Voice Over-Narration mit den Worten, »In Köln war es nicht ganz so, wie Mark gehofft hatte. Auf dem Stundenplan standen unnötige Fächer wie Mathematik und Sport, die Tage waren lang und der Weg nach Hause war weit.« Tatsächlich zeichnet der Film die Figur als Außenseiter. Kaum an den dörflichen Riten des Übergangs zur Adoleszenz interessiert, exaltiert sprechend und sich ebenso bewegend, noch dazu musisch interessiert, zeichnet sich die Darstellung des jungen Manns vor allem dadurch aus, dass sie in Opposition zu heteronormativen Geschlechtskonstruktionen steht. Doch der Film nimmt diese Abweichungen, die sich in erster Linie als Abweichungen dessen lesen lassen, was aus der Sicht von Intellektuellen dem Klischee eines dörflichen Lebensstils entspricht, nicht zum Anlass einer Revision des eigenen, eingeschränkten Bildes vom »Durchfahrtsland«. Stattdessen bringt er milden Spott für die Figur auf, betont, dass sich der Jugendliche für die Anschaffung einer Stereoanlage und gegen eine zunächst geplante Australienreise entschieden habe. Und so gestattet der Film seinen Figuren keine gelingenden Identitätskonstruktionen, vielleicht, weil er nicht zugestehen vermag, dass sich solche ebenso gut im ländlichen Raum vollziehen können wie in einer Großstadt, die über eine Film- und Kunsthochschule verfügt. Die Konstruktion des ländlichen Raums als peripher geschieht hier weniger im Geiste einer nur mehr topografisch gedachten ›Zentralität‹, sondern einer Idee disparater Begehrensgrade, ›modern‹ werden zu wollen, die sich räumlich abbilden. Auch deshalb kann die Peripherie paradoxerweise überall sein – sie ist, wie es im Presseheft von Durchfahrtsland heißt, »[n]icht Stadt, nicht Land, zersiedelt und austauschbar« (Realfiction 2005). Am Ende der Peripheriewanderung erlebt das lyrische Ich seine Annährung als Überschreiten einer Distanz, als Grenzverletzung, für die bezeichnenderweise das sprachliche Bild eines zerstörten Hauses steht: »eingedrungen in das innere eines leeren hauses / und die fotos davon nicht in diesem buch […] jemand schlief hier eingerollt / mir macht nichts angst, nicht bloss lauter
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dinge. ohne es zu wollen stehle ich mich doch weg / wie ein verbrecher aus dieser art bonn, die es längst nicht mehr gibt« (Piller 2007)
Die sprachliche Beschreibung evoziert ein Bild des Verlustes und der Scham. Der Moment dieser Nähe bleibt jedoch eine fotografische Leerstelle. Die Tatsache, dass das Bild nicht im Buch enthalten ist, erinnert an ein berühmtes und ebenso berüchtigtes Vor-Bild: Die fotografische Aufnahme der Mutter, die in Roland Barthes La chambre clair nicht enthalten ist, und der doch seine größte Aufmerksamkeit gilt (Barthes 1989). Der Ort, von dem das Trauma seinen Ausgang nimmt, ist ein utopischer Ort, buchstäblich ein Nicht-Ort, der durch den Riss von Wahrnehmung und Bewusstsein gekennzeichnet ist. Jaques Lacan hat beschrieben, wie das Trauma mit solcher Geschwindigkeit eintritt, dass es kein Bild hinterlässt. Susanne Hauser notiert, »Das Verlangen, in der Zwischenstadt Bilder zu finden, sie zu einem Bild zu schließen, wird nicht erfüllt werden. Gegen die Bildfähigkeit der Zwischenstadt spricht ihre Struktur, spricht die Isolierung und Destillierung des früher bestimmenden, heute anachronistischen Musters der Stadtwahrnehmung, spricht die wachsende Bedeutung sozialer Räume, denen keine Bilder entsprechen.« (Hauser 2003, 119)
»Bildlosigkeit« heißt jedoch nicht, dass nicht eine Repräsentationspolitik existierte. Im Falle von Durchfahrtsland und Peripheriewanderung – das zeigt die Analyse – ist diese geprägt von einer Haltung, die Hauser an anderer Stelle beschreibt mit »der Prolongierung und Pflege lang gehegter (stadt-)bürgerlicher Träume […], die eine Nicht-Anerkennung gesellschaftlicher Entwicklungen und der ihnen entsprechenden Raumkonstrukte bedeuten« (ebd., 107). Mit exakt diesem Problem wird sich jedoch das folgende Beispiel auseinandersetzen – ein Beispiel, das verdeutlicht, dass die von Hauser beschriebene und sich in Durchfahrtsland und Peripheriewanderung ausdrückende Haltung nicht alternativlos ist.
Die Kritik des Peripheren »Robinson in Space« Zwei filmische Einstellungen, nacheinander montiert (Abb. 14-15): Die erste zeigt einen Landschaftseinschnitt, der sich aus einer natürlichen Felsformation ergibt. Am rechten Bildrand ragt der Aufbruch des schroffen Gesteins in die Höhe und zieht sich bis zum Bildmittelgrund, wo der Blick auf die glatte Wasserfläche eines Sees fällt. Dahinter, den Horizont bildend, befinden sich Hügel, ein Waldstrich, und – allein schemenhaft zu erkennen – ein oder mehrere Gebäude. Die linke Bildhälfte ist bestimmt durch eine sanft abfallende Grasebene, die sich vom Vordergrund bis zum Horizont zu erstrecken scheint. Eine Senke, vielleicht ein Pfad, zieht sich schlängelnd, kaum zu erahnen, durch das Gelände. Die braun-grüne Grasnarbe, das matte Blau des Himmels und das metallische Schimmern der Wasserfläche bilden die dominanten Farben der Landschaft, die in ein diffuses Licht getaucht ist. In ihrer Ikonografie, in der technischen Gestaltung der fotografischen Aufnahme und der Raumwahrnehmung, die sie erschließt, vor allem aber in der Abwesenheit weiterer motivischer Objekte erinnert die Einstellung, die wir erblicken, an eine konventionelle Landschaftsfotografie. Über die Dauer von fünf Sekunden wird sie statisch gehalten, dann erfolgt ein Schnitt. Die zweite Einstellung, unmittelbar folgend, zeigt eine Telefonkarte, wie sie für öffentliche Fernsprecher verwendet wird. Sie liegt auf einer Fläche aus Steinen; dabei kadriert die Kamera sie in einer Weise, dass die Karte, zentriert angeordnet, etwa die Hälfte der Bildfläche einnimmt. Der Untergrund ist grob, die Steine scheinen alt zu sein und sind von Moosflechten überzogen, doch mehr vermag die Zuschauerin oder der Zuschauer nicht zu erkennen. Die Karte liegt nicht nur auf der Steinfläche, in der Logik der Bildoberfläche liegt sie vor ihr, oder, vielmehr: zwischen ihr und dem betrachtenden Subjekt. Die Telefonkarte trägt das bis 2003 verwendete Logo des britischen Netzbetreibers BT, der ehemaligen British Telecom. Die Wort-/Bildmarke zeigt neben den Initialen BT die stilisierte Darstellung des Pipers, einer in eine Trompete bla-
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senden, menschlichen Figur. Das von der englischen Designagentur Wolff Olins entwickelte und im Zuge eines 1991 durchgeführten Rebrandings der Marke BT eingeführte Logo kostete 50 Millionen Pfund und geschah zu einem Zeitpunkt massiver Stellenstreichungen innerhalb des Konzerns (vgl. Billings 2003). Häufig persifliert und abgewandelt, repräsentierte der Piper nicht nur, wie intendiert, die Marke BT, sondern diente, in kritischer Absicht, als Chiffre für ein ökonomisches Gebaren, das ein Kommentator der BBC in den Begriff der »pretentiousness« fasste (BBC Newsdesk 2003). Abbildungen 14–15: Robinson in Space (R: Patrick Keiller, GB 1997), Einstellungssequenz
Etwa zwei Drittel der Telefonkarte werden eingenommen von der Abbildung einer Fotografie, in deren linker, oberer Ecke in roter Schrift die Worte »English Heritage« eingefügt worden sind; daneben befindet sich das Logo der so benannten, staatlichen Denkmalschutzbehörde. Das auf der Telefonkarte abgedruckte Bild zeigt in gelb-grüner, fast monochromer Anmutung eine Landschaft, die so fotografiert worden ist, dass sie von dem Steinwall, der sich in ihr erstreckt, dominiert wird. Dieser Wall dehnt sich vom linken Bildvordergrund zum rechten Mittelgrund, verläuft über eine Reihe von Hügeln und reicht, so scheint es, bis zum Horizont der menschenleeren Gras- und Weideflächen, die von Wällen und Hecken segmentiert werden. Der Standpunkt der Aufnahmeapparatur befindet sich, zur Mauer hin leicht versetzt, auf einer Anhöhe. Diese Wahl ermöglicht nicht nur einen panoramatischen Blick in leichter Aufsicht, sondern bewirkt auch eine dynamische, raumgreifende Perspektive, welche durch das die Horizontale privilegierende Verhältnis der Bildseiten und die hohe Horizontlinie noch verstärkt wird. Vielen britischen Nutzern dürfte das Motiv auf der Telefonkarte vertraut sein – und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die verwendete Aufnahme der typischen, nahezu stereotypen Ikonographie des abgebildeten Objekts ent-
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spricht (vgl. Brabbs 2008, 97f.). Die Fotografie zeigt ein kurzes Segment der im zweiten Jahrhundert angelegten Befestigungsanlage Hadrian’s Wall, die seit 1987 von der UNESCO zum Weltkulturerbe gezählt wird. Sie wurde angefertigt in den Nähe von Housesteads Fort, einer römischen Befestigungsanlage in Northumberland, das an der historischen Grenze zu Schottland liegt, mit dem Blick nach Osten auf Crag Lough. Die Stelle, an der die Kamera positioniert worden ist, stellte lange Zeit einen bei Fotografinnen und Fotografen, aber auch Touristen beliebten Standpunkt, von dem aus die Wallanlage betrachtet werden konnte, dar. In der Nähe befinden sich nicht nur ein Parkplatz und ein von English Heritage betriebenes Besucherzentrum; vor allem die Möglichkeit des Blicks in eine unverbaute, scheinbar ›natürliche‹ Landschaft haben zu der Attraktivität des Ortes beigetragen. Im Laufe der Jahrzehnte dürften tausende Aufnahmen mit ähnlicher Perspektive, Wahl des Ausschnitts und Bildgestaltung, wie sie die Fotografie auf der Telefonkarte aufweist, entstanden sein: Effekte eines Blickens, das die Anlage als archäologische Stätte konstituiert. Die kulturelle Vorstellung einer Ruine, ihre Zeichenhaftigkeit und Sinnfälligkeit sind nicht nur zutiefst moderne Konzepte (vgl. Beasley-Murray 2009, 212). Das eigentliche Anliegen solcher »scenarios of imperial ruin gazing« (Hell 2009, 170) ist der Status der eigenen, gegenwärtigen Kultur.69 Anfang der 1990er Jahre entschied der National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty, in deren Besitz sich der Grund befindet, auf dem die Mauer errichtet wurde, dass zum Schutz vor Erosion der Landmarke der Zugang zu dem Standort, an dem die Fotografie – und mit ihr zahlreiche andere – entstanden ist, nicht länger zulässig sei (Davidson 2005, 232). Die Telefonkarte der BT erschien etwa zeitgleich mit dieser Entscheidung, welche die ›private‹ Herstellung des entsprechenden Bildes verunmöglichte (Keiller 1999, 199). Die filmische Einstellung, welche die auf dem steinernen Untergrund liegende Telefonkarte zeigt, dauert mehr als doppelt so lange wie die vorangegangene – etwa 13 Sekunden; auch sie ist statisch. Die beiden durch einen harten Schnitt verbundenen Einstellungen stehen in einem intratextuellen Referenzverhältnis: Mit den Mitteln einer imaginären filmischen Geographie verortet die nachfolgende die zuvor gezeigte. Die auf diese Weise selbstreferentielle, ästhetisch gebrochene Repräsentation von Hadrian’s Wall stellt, ohne 69 So behauptet Bruce Bégout in Zeropolis (2003), eine Untersuchung, die sich mit Las Vergas als Sinnbild des amerikanischen Traums befasst, dass die Faszination für Ruinen deshalb so groß sei, weil die Ruine »im Moment ihrer ›Hinfälligkeit‹ […] zum ersten Mal in [ihrer] banalen Existenz etwas Menschliches [bekommt]«. Der Ruin markiere den Gewinn einer »eigenen Bedeutung«, die sich in der »Zurschaustellung des Verlustes jeglicher Funktion« begründe (ebd., 69).
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dass ein expliziter Hinweis gegeben würde, einen gleichsam lakonischen wie dezidiert filmischen Kommentar der ökonomischen Bedingungen jeglicher Bildproduktion dar. Dies geschieht, indem der Film, dem diese beiden Einstellungen entnommen worden sind, mittels der sekundären Rahmung der Fotografie auf der Telefonkarte auf die gesellschaftlichen Produktionsweisen und Warenförmigkeit des Raums aufmerksam macht und diese – das Wissen der Zuschauerin oder des Zuschauers um die Zugänglichkeit der archäologischen Stätte voraussetzend – in denkbar beiläufiger Weise als problematisch offenlegt. So einer kritischen Perspektive zugänglich gemacht, erweisen sich die Stätten, welche im kulturellen Diskurs gemeinhin als »heritage«, als gemeinsames »Erbe«, entworfen werden, als immer schon kommodifizierte und unter privatwirtschaftlichen Bedingungen hergestellte Räume, deren Bildproduktion in ihren Un-/Möglichkeiten hiervon Ausdruck und Voraussetzung zugleich ist. Der Voice Over-Kommentar, eine freundliche, sanfte Stimme, vermerkt, »On October 30th, without warning, we were told that our contracts had been terminated, and we heard on the car radio that a tornado had crashed into the North Sea.« Der Film, dem das Bild dieser Einstellung entstammt, ist Robinson in Space (GB 1997, R: Patrick Keiller), »the visual, satirical record of a journey made by a fictional character named Robison, narrated by his traveling companion and researcher, through the increasingly unknown space of present-day England« (Keiller 1999., I). Den Film kennzeichnet, dass die Reise ihre Figuren nun gerade nicht zu den vordergründigen, ›touristischen‹ Attraktionen des Landes führt, sondern vielmehr eine hochgradig subjektive und oftmals entlang der Randgebiete von Siedlungsräumen entworfene Bildkritik darstellt, »including areas which are typically hidden from the camera« (Mazierska/Rascaroli 2006, 63). Robinson in Space lässt sich – und dies wird im Folgenden zu präzisieren sein – als filmische Auseinandersetzung mit der englischen Peripherie und, darüber hinaus, mit der Kategorie der Peripherie überhaupt lesen. Es wird sich zeigen, dass der Film die symbolische Verräumlichung dieses Raumtypus untersucht, indem er sich bemüht, die ihm eingeschriebenen ökonomischen Strukturen offenzulegen. So fragt er nach der Produktion peripherer Räume und ihrer Bedeutung für die Ausbildung einer »imagined community« (Anderson 1991), indem er zwei bildliche Phänotypen der Peripherie voneinander abgrenzt (und deren Opposition letztlich verwerfen wird): Auf der einen Seite den Raum der urbanen und suburbanen Landschaft Mittel- und Nordeng-
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lands, auf der anderen die scheinbar pastorale Idylle der südenglischen Home Counties.70 Robinson in Space rekonstruiert beide Verräumlichungen als Effekte einer einzigen, ideologisch motivierten Repräsentationspolitik, die er einer filmischen Relektüre unterzieht, in ihrer kulturellen Wirkmächtigkeit befragt und im Laufe des Films verabschiedet. Dabei erfolgt nicht nur eine explizite Bezugnahme auf den wissenschaftlichen Diskurs zum Raum. Der Film übernimmt innerhalb dieser Anordnung als Medium eine epistemologische Funktion und erweist sich als »analytical tool to map the shifting dynamics of urban space« (Hallam 2007, 272).
Film als analytisches Werkzeug Die Filme des englischen Architekten Patrick Keiller sind, obwohl sie auf europäischen Festivals – etwa in Rotterdam und Berlin – eine Reihe von Auszeichnungen erhielten, im deutschsprachigen Kontext weitgehend unbekannt geblieben. So sind Keillers frühe Langfilme, London (GB 1994) und Robinson in Space (GB 1997), beide von der BBC in Auftrag gegeben, weder im Kino ausgewertet worden, noch wurden sie im Fernsehen ausgestrahlt, noch erfolgten Veröffentlichungen auf Video oder DVD. Ein möglicher Grund für das auffällige Desinteresse der Verleih- und Vertriebswirtschaft mag der essayistischen und sich damit gängigen Genre- und Vermarktungskonventionen widersetzenden formalen Gestaltung der Filme geschuldet sein. Ein zweiter ist gewiss auf die Tatsache zurückzuführen, dass beide Langfilme aufgrund ihrer Thematik ein nicht zu unterschätzendes kontextuelles Wissen in Bezug auf die historische und politische Genese der englischen Gesellschaft voraussetzen, so dass sie außerhalb der britischen Inseln weitgehend auf Unverständnis stoßen dürften. Und schließlich könnte ein dritter Grund darin zu finden sein, dass Keillers Filme explizit als Äußerungen innerhalb eines wissenschaftlichen Diskurses beabsichtigt sind. In der Tradition des ethnografischen Films stehend und damit betraut, »Beweise zu liefern« (Hohenberger 1988, 152) entziehen sie sich einer Lesart, die vor allem an Zerstreuung interessiert ist. Der Titel des Films, Robinson in Space, adressiert nicht etwa das Weltall, in das sich die filmische Figur vorwagte, als vielmehr – in der engeren Bedeutung
70 Zum Bild des englischen Nordens und den konstitutiven Gegensatz zum Süden, durch den es bestimmt wird, vgl. ausführlich Shields 1991, 207ff. — Shields beschreibt die Prägung dieses Gegensatzes als durch Medien bestimmt: im Falle des Südens durch die Literatur, im Falle des Nordens durch die »kitchen sink«-Filme der British New Wave der 1950er und 1960er Jahre.
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– den (weiten) Raum, die Peripherie jenseits der großen Städte, welche während des gesamten Films sorgsam ausgespart bleiben und von denen allein die Ränder der Siedlungsgebiete und die sie umgebenden Verkehrswege in den Blick genommen werden. Sowohl London als auch Robinson in Space stellen nicht nur qua ihrer eigenen Repräsentationspolitik eine symbolische Verräumlichung dar. Vielmehr sind sie selbst allein vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Vor-Bilder lesbar und entfalten ihre Wirkung als filmische Kritik einer spezifischen, benennbaren Repräsentationspolitik des Raums. Dieses doppelte Verfahren – die Kritik hegemonialer Repräsentationspolitiken der Peripherie und ihrer eingelagerten ideologischen Vorstellungen auf der einen, und der filmische Gegenentwurf einer alternativen Strukturierung auf der anderen Seite – ist kennzeichnend für beide Filme. In der Summe, so wird durch den Voice Over-Kommentar behauptet, ergeben die Erörterungen, die innerhalb der beiden Filme durch die Figur des Erzählers vorgenommen werden, zwei Seiten desselben »Problems«, das sie formulieren. So heißt es zu Beginn von London, dass sich die »Forschungsreise« der beiden Protagonisten, welche der Film in seiner Diegese schildere und deren Produkt er zugleich sei, mit dem »problem of London« befasse, wobei jedoch zunächst unklar bleibt und auch bis zum Schluss kaum expliziert wird, worin dieses bestehe. Der Erzähler behauptet allerdings, dass Robinson in London der These nachgehe, dass die ›Mitte‹ der britischen Hauptstadt – die City of London – eigentümlich leer und unzugänglich erscheine. Diese Tatsache, so der Voice Over-Kommentar weiter, könne als Ausdruck der englischen Verfassungsgeschichte gelesen werden. Sie sei, so wird zumindest eingangs behauptet, eine Folge der aus republikanischer Sicht unvollständig gebliebenen Glorious Revolution des 17. Jahrhunderts und der ihr folgenden Ausbildung einer rationalistischen Capitalist Aristocracy. Diese Sichtweise, auf die später noch zurückzukommen sein wird, stellt ein dominantes Erklärungsmodell der politischen und ökonomischen Geschichte Englands (und Großbritanniens) dar; Ellen Meiksins Wood hat sie – vier Jahre vor Robinson in Space – wie folgt beschrieben: »Yet though England was the world’s first capitalist system, Western culture has produced a dominant image of capitalism to which the English experience fails to conform: a true capitalism is essentially an urban phenomenon, and the true capitalist is by origin a merchant, a bourgeois. Because the capitalist economy in England originated in the countryside, dominated by a landed aristocracy, it is, at least according to some versions of this dominant model, imperfect, immature, inadequately modern and, above all, peculiar – a kind of ›bastard capitalism‹, with a pre-modern state and antiquated ruling ideologies.« (Wood 1991, I)
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Wie Wood aus marxistischer Perspektive, wird auch Keiller (respektive die Figur des Robinson) dieses Modell verwerfen, indem er danach trachtet, die es bestimmenden, ideologischen Einschreibungen offenzulegen, und zwar vor allem im zweiten Teil der Robinson-Filme.71 Denn mit der Überwindung dieses Erklärungsmodells geht eine zweite Verabschiedung einher: Jene der konstitutiven Rolle, die der Gegensatz von Stadt und Land innerhalb der so kritisierten, hegemonialen Erzählung des Prozesses gesellschaftlichen ›Fortschritts‹ und Modernisierung spielt (vgl. Wood 1991, II). So in ihrer jeweiligen argumentativen Linie enggeführt, scheinen sich London und Robinson in Space aus mindestens drei Gründen für eine summarische Betrachtung anzubieten: Erstens ähneln sich beide Filme in ihrer ästhetischen Gestaltung und weisen einen gleichbleibenden, typischen Einsatz filmischer Verfahren auf. Zweitens finden sich im späteren Robinson in Space explizite Bezugnahmen auf den früheren London. So ist etwa die im Titel benannte Figur Robinson bereits in London eingeführt worden. Und wenn auch – drittens – mit Blick auf Robinson in Space nicht von einem Sequel im engeren, ökonomischen Sinne gesprochen werden kann, so finden sich doch im Film eine Reihe sowohl thematischer als auch formaler Bezugnahmen auf London wie auch einige signifikante Verschiebungen, die sich als intertextuelle Referenzen lesen lassen.72 Im vorliegenden Kontext soll vor allem auf Robinson in Space eingegangen werden, und zwar aus zwei Gründen. Der erste liegt in der Absicht einer argumentativen Verdichtung. So hat Patrick Keiller darauf hingewiesen, dass einige Überlegungen, die er in London angestellt habe, in Robinson in Space wesentlich präzisiert oder gar revidiert worden seien. Der zweite Grund liegt darin, dass, wie zu zeigen sein wird, der periphere Raum und das Konzept der Peripherie, stärker als in London, bestimmende Themen von Robinson in Space bilden.73
71 Wood lehnt insbesondere die Gleichsetzung von Moderne und Kapitalismus ab und behauptet ein kontingentes Verhältnis beider Entwicklungen (vgl. Wagner 2009, 119). 72 Im September 2010 fand im Rahmen der Mostra internazionale d’arte cinematografica in Venedig die Premiere eines dritten Teils statt. Robinson in Ruins (GB 2010), so der Titel, führt die formale Struktur der ersten beiden Filme fort und greift ähnliche Motive auf. Der Film entstand im Rahmen eines vom Arts and Humanities Research Council geförderten und gemeinsam mit Doreen Massey und Patrick Wright durchgeführten Forschungsprojekts am Royal College of Art in London. 73 Wo es – wie etwa in Bezug auf die formale Gestaltung – sinnvoll erscheint, wird auch auf den ersten der drei Filme, London, summarisch Bezug genommen. Die Betrachtung wird insgesamt wesentlich ausführlicher ausfallen als die zuvor vorgenommenen Analysen von Durchfahrtsland und Peripheriewanderung. Dies scheint
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Ausgehend von der zugrundeliegenden These, dass sich die vielfältigen Problematisierungen und symbolischen Verräumlichungen der Peripherie in der gegenwärtigen Kultur als Ausdruck eines tiefgreifenden Zweifels am Erfolg der gesellschaftlichen Moderne lesen lassen, soll daher im Folgenden Patrick Keillers Film Robinson in Space mit Blick auf die Frage, wie er zugleich eine Kritik wie auch Konstruktion des peripheren Raums ermöglicht, analysiert werden. Dabei wird sich zeigen, dass die filmische Auseinandersetzung mit dem Raum der Peripherie in Robinson in Space denkbar komplex konstruiert ist: Der Film greift einerseits auf kulturelle (und, wie zu zeigen sein wird, insbesondere filmische) Vor-Bilder zurück, um die mit ihnen verbundene Repräsentationspolitik peripherer Räume offenzulegen. Zugleich bedeutet er selbst eine symbolische Verräumlichung, in der eine repräsentationspolitische (Re-)Konstruktion des peripheren Raums in gezielter Absicht geschieht. Diese Absicht mündet in eine Kritik des Kapitalismus und der von ihm bestimmten Produktionsverhältnisse. Dabei ist kennzeichnend, dass sich diese Kritik – in Anlehnung an die neomarxistische Analyse Henri Lefebvres und die aus ihr abgeleitete Radical Geography – als eine Kritik der Produktion des Raumes (Lefebvre 1974) erweist. Den experimentellen britischen Film kennzeichnet seit Ende der 1970er Jahre, dass er sich jeglicher Inhaltsangabe zu widersetzen scheint (vgl. Rees 1999, 119). Auch London und Robinson in Space, so Paul Dave (2000), seien in dieser Hinsicht zwei besonders eindrückliche Beispiele. »They are perhaps best described as fictionalized documentaries, blending the picaresque narrative, the documentary portrait and the filmed essay. Both films work through their themes with a wry, ironic, often surreal sense of humour and an avant-garde commitment to aesthetic experimentation. Equally, they adopt a self-consciously literary personal and poetic sensibility with affinities to art cinema.« (ebd., 339)
Sowohl London als auch Robinson in Space geben vor, die Dokumentationen und zugleich das jeweilige Ergebnis der Erkundungsreisen zweier Personen zu sein, die als filmische Figuren während des gesamten Films unsichtbar bleiben. Dabei handelt es sich um Robinson und den nicht weiter benannten Erzähler. Dessen Stimme – die dem britischen Schauspieler Paul Scofield gehört – und die von ihm vorgetragenen Berichte der Reise, Beschreibungen, grundsätzlichen Überlegungen und häufig in Parenthese wiedergegebenen, kulturtheoretischen Reflexionen sowie historischen Exkurse bilden eine der zwei
geboten, da die vielfältigen Bezugnahmen in Robinson in Space aufgrund des zeitlichen und kulturellen Abstands nicht ohne Weiteres einsichtig sein werden.
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narrativen Ebenen der Filme, die sich unterscheiden lassen. Die zweite ergibt sich aus dem Diskurs des Sichtbaren: Beide Filme stellen eine Reihe lange gehaltener Einstellungen, die von einer statischen Kamera aufgenommen worden sind, und die eine häufig unbewegte oder sich kaum verändernde mise-en-scène zeigen, dar. Auf diese Weise ist die filmische Narration weniger vom Eindruck der dominanten Erscheinungsweise filmischen Erzählens, einem »filmischen Fluss der Bilder« (Heller 2010), als einer rigiden und seriellen, durch eine schematische Montage verbundene Abfolge einzelner Einstellungen geprägt. Als deren Folge erscheinen die Filme hochgradig formalisiert; das starre, ästhetische Regime ordnet die mise-en-scène ihrer filmischen Ordnung unter. Während sich London mit dem als ›leer‹ entworfenen Zentrum der britischen Hauptstadt und deren Randgebieten beschäftigt, schildert Robinson in Space – so behauptet die Voice Over-Narration – eine Reihe von sieben Reisen. Diese folgten, so heißt es weiter, der literarischen Beschreibung der englischen Landschaft in der dreibändigen Tour through the Whole Island of Great Britain, die Daniel Defoe (1927) zwischen 1722 und 1725 unternimmt.
Verkehr als Motiv und Chiffre Wie in Durchfahrtsland und Peripheriewanderung, stellen Erscheinungen des Verkehrs und verkehrliche Infrastruktureinrichtungen auch in Robinson in Space ein häufige bemühtes filmisches Motiv dar. Dieser Eindruck mag vordergründig eine Folge der Wahl spezifischer Settings darstellen. Verkehr – so scheint es – ließe sich als ein faktisches Moment jener Orte, die Robinson in Space ›abbildet‹, begreifen. Das Medium des Films verfügt jedoch nicht nur über ein indexikalisches Verhältnis zum Raum, sondern auch über ein narratives. Und so begründet sich der Eindruck in einer bewussten Strategie der Repräsentation, welche der Film verfolgt, und in deren Konsequenz sich ein filmisches Bild der englischen Landschaft ausbildet, das wesentlich durch Raststätten und große Shopping Malls geprägt zu sein scheint. Dennoch ist Verkehr in Robinson in Space nicht allein ein Motiv dokumentarischer Bilder, die den Film bestimmen – und damit keine empirische Tatsache. Seine filmische Erscheinung stellt, die Ebene der Repräsentation überschreitend, sowohl die Folge als auch der Ausgangspunkt eines Diskurses dar, innerhalb dessen der Film gesellschaftliche Entwicklungen problematisiert. So heißt es einmal im Voice Over-Kommentar, »In England, 1.1 per cent of employees work in agriculture. In 1995 a coffee-shop assistant at Tesco earned a £3.53 an hour. We very often ate at supermarkets. For the pro-
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vincial spy, or anyone in a hurry who needs petrol, parking, telephone, postal services, clean toilets and palatable food, there is really no practical alternative« (Keiller 1999, 94)
Während wir diese Worte vernehmen, erblicken wir auf der Ebene des sichtbaren Bildes die Fläche eines leeren, großen Parkplatzes, auf den eine Zufahrt führt (Abb. 16). Den Bildhintergrund bildet ein langgezogenes, an eine Scheune erinnerndes Gebäude im Tudor-Style – die Filiale einer Supermarktkette. Den Bildvordergrund bestimmt die geteerte, weitgehend leere Fläche, in deren Mitte sich ein mit Zierspringbrunnen versehenes Wasserbassin befindet. Die filmische Einstellung wird für die Zuschauerin oder den Zuschauer durch den Voice Over-Kommentar nicht kontextualisiert; insbesondere wird sie nicht verortet. Dennoch vermag das Motiv für ein informiertes Publikum zur Entstehungszeit des Films mindestens zwei Assoziationen hervorzurufen. Abbildung 16: Robinson in Space (R: Patrick Keiller, GB 1997), Filmstill
Bei dem abgebildeten Supermarkt handelt es sich nämlich nicht um eine gewöhnliche Filiale – und zwar sowohl in Bezug auf das Gebäude, in dem sie untergebracht ist, als auch den Betreiber, das britische Unternehmen Tesco plc. Die in der filmischen Einstellung gezeigte Niederlassung befindet sich auf einem Grundstück in Dorchester, das zum Landbesitz des Duchy of Cornwall zählt, welcher durch den Prince of Wales – den britischen Thronfolger Prinz Charles – kontrolliert wird. Der auf ihr errichtete Neubau entstand im Stil der Revivalist Architecture, einer Bewegung, die sich entschieden gegen die Architektur der Moderne wendet und deren Grundzüge und Merkmale von Prinz Charles in A Vision of Britain: A Personal View of Architecture (1989) dargelegt
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worden sind. Die Errichtung des Gebäudes ist von der britischen Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt worden. Es dürfte daher vielen Zuschauerinnen und Zuschauern nicht nur in seiner Ikonografie vertraut sein; sein Erscheinen innerhalb des Films ermöglicht zudem die Aktualisierung eines konkreten geografischen Wissens. Darüber hinaus vermag die Einstellung auch auf der symbolischen Ebene eine Reihe von Konnotationen aufzurufen: Tesco ist nicht nur der größte Betreiber von Supermärkten in Großbritannien. Das Unternehmen steht aufgrund einer ganzen Reihe als negativ empfundener, gesellschaftlicher Entwicklungen, für die es – zum Teil stellvertretend für die gesamte Branche – verantwortlich gemacht wird, in der öffentlichen Kritik (vgl. Tescopoly Alliance 2011). Diese Kritik zielt insbesondere auf die aggressive Expansionspolitik des Unternehmens (vgl. Boyle 2010; Wimbush 2011) und die daraus resultierenden Folgen für lokale ökonomische Strukturen. So behaupten die Autoren der 2005 erschienen Studie Clone Town Britain, »Many town centres that have undergone substantial regeneration have lost their sense of place and the distinctive facades of their high streets under the march of the glass, steel, and concrete blandness of chain stores built for the demands of inflexible business models that provide the ideal degree of sterility to house a string of big, clone town retailers.« (Simms et al. 2005, 1)
Tesco erscheint dabei als Stellvertreter für eine Reihe umkämpfter gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Ein Beispiel hierfür ist etwa, dass Stuart Hall seine Kritik des Konsumismus und die Scheinbarkeit jener Inklusion, die eine sich im Konsum vollziehenden Gesellschaft offeriert, 1984 mit den Worten begründet, »There is nothing ›respectful‹ about Tesco’s« (Hall 1984, 19). Der nahezu selbstevidente Bezug auf Tesco fungiert für die britische Linke seit vielen Jahren als Chiffre für die Kritik an sehr viel umfassenderen, gesellschaftlichen Strukturen. Die hier beschriebene, aus einer einzelnen Einstellung bestehende Szene aus Robinson in Space ruft diesen diskursiven Zusammenhang einerseits auf. Andererseits erweitert sie die so angesprochene Kritik durch eine raumbezogene Wendung – und zwar im Hinblick auf Erscheinungsweisen des Verkehrs. Denn die das filmische Kader dominierenden Zufahrtsstraßen und Parkplätze, so der Effekt dieses Verfahrens, scheinen gleichsam sinnbildlich Ausdruck der vom Voice Over-Kommentar allein diskursiv und auch nur in Andeutungen vorgebrachten ökonomischen Verhältnisse zu sein. Aus der argumentativen Logik des Film erscheint dabei keineswegs zufällig oder auch nur ironisch, dass sich der Supermarktbetreiber in einem Gebäude niedergelassen hat, das unter Rückbezug auf eine vormoderne architektonische Stilepoche entworfen
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worden ist. In Robinson in Space erscheint eine solche Beobachtung vielmehr als Beleg für die grundsätzliche Richtigkeit einer Wahrnehmung, welche die Wirklichkeit als ›postmodern‹ beschreibt. Ohne einer genaueren Untersuchung der filmischen Verfahren, die hier zum Einsatz kommen, vorzugreifen, kann anhand der beschriebenen Einstellung bereits ein wesentliches Kennzeichen der komplexen Herstellung von Bedeutungen in Robinson in Space verdeutlicht werden: Es besteht in einer doppelten, strategischen Inkongruenz, und zwar jener zwischen einzelnen Einstellungen (auf der Ebene der filmischen Montage) einerseits und jener zwischen sichtbarem Bild und Voice Over-Kommentar andererseits. Dabei wäre es zu kurz gegriffen, in diesen Verfahren alleine die manieristischen Stilmittel eines »intellectual film-making« (Kossoff 1994, 46, zit. nach Dave 2000, 340) erkennen zu wollen. Die offenkundige Disparität, die sich aus der filmischen Verbindung von Voice Over-Narration und der lakonischen Fotografie ergibt, die Ausstellung ihrer Unversöhnlichkeit markieren eine Kommentierungsbedürftigkeit des Gezeigten, die jedoch durch den Inhalt des Voice Over-Kommentars, der eine kohärente Narration genauso wie Hinweise zum Verständnis des Gezeigten zugunsten einer assoziativen, sprunghaften und anekdotischen Rede verschweigt, auf Dauer gestellt bleibt. Dies resultiert in einer Spannung, die den Film über seine gesamte Dauer prägt und die Betrachterin oder den Betrachter zur fortgesetzten eigenen Kontextualisierung des Sichtbaren und Sagbaren zwingt (vgl. Nigianni 2005, 6). 74
Kritik des Raums als Kritik des Kapitalismus London als auch Robinson in Space erschöpfen sich keineswegs in einer allgemeinen Zivilisationskritik (wie etwa Robinson 2008 behauptet), noch stellen sie eine ästhetische Abrechnung mit den vermeintlich zweifelhaften Oberflä-
74 Darüber hinaus ist die Verbindung von Verkehrsinfrastrukturen und dem Hinweis auf die Nahrungsaufnahme (»We very often ate at supermarkets«), bezeichnend für eine argumentative Überblendung, die nahezu stereotyp ist. Denn indem Robinson in Space die Darstellung verkehrlicher Infrastrukturen mit einem Hinweis auf den hochgradig affektiv besetzten Objektbereich der Ernährung verknüpft, entscheidet er sich für eine diskursive Engführung, die Paul Kingsnorth in seiner populären Abrechnung mit der englischen Peripherie, die, so Kingsnorth, im Verschwinden der Pubs und in der Ausbreitung von Tesco ihren Ausgangspunkt nehme (Kingsnorth 2007, 21ff. & 107ff.), zehn Jahre später ebenfalls wählen wird (vgl. Aughey 2010, 509).
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chenerscheinungen der modernen Welt dar.75 Insbesondere Robinson in Space erweist sich stattdessen als eine dezidierte Kritik der angelsächsischen, radikal marktliberalen Form des Kapitalismus, und zwar insofern sich dieser als Erscheinungsweise, Voraussetzung und Konsequenz räumlicher Strukturen begreifen lässt. Bei diesem Vorgehen lassen sich drei intertextuelle Bezugnahmen, die den Film kennzeichnen, unterscheiden: eine epistemologische, eine methodische sowie eine argumentative. Die erste, implizite Bezugnahme, durch die sich die narrative Anlage und die argumentative Logik von Robinson in Space bestimmen, begründet sich in dem epistemologischen Kontext, dem der Film entstammt. Denn die bedeutungsvolle Herstellung der Dichotomie von Stadt und Land, die konventionellerweise mit der Unterscheidung von Zentrum und Peripherie einherging und die einen narrativen Ausgangspunkt des Films darstellt, ist durch die britischen Kulturtheorie einschlägig untersucht worden. Entscheidend ist dabei, dass Keiller mit seinem Film nicht nur auf den entsprechenden Kontext reagiert; er findet darüber hinaus zu einer eigenständigen argumentativen Position. Angesprochen sind hier zunächst die Arbeiten von Raymond Williams. Williams hat nicht nur gezeigt, dass Kultur eine soziale Aushandlung darstellt, die hochgradig umkämpft ist und ein wesentliches Feld sozialer Differenzierungen darstellt. Auch für die Kulturgeographie, respektive jenen Teil, der im britischen Kontext gemeinhin unter dem Schlagwort der New Cultural Geography gefasst wird, hat er entscheidende Impulse beigetragen. In seiner wirkmächtigen Studie The Country and the City untersucht Raymond Williams 75 Eine solche Form der Kritik kennzeichnet etwa jener Untersuchung, welche die kulturgeografische Beschäftigung mit der Kategorie der Landschaft maßgeblich initiiert hat: William George Hoskins’ 1955 erschienenes Buch The Making of the English Landscape. So behauptet Hoskins im letzten Kapitel, »Since the year 1914, every single change in the English landscape has either uglified it or destroyed its meaning, or both. It is a distasteful subject, but it must be faced for a few moments« (Hoskins 2006, 298). — Vergleichbare Sichtweisen, die in Diagnosen einer »erosion of English culture and identity by bland corporation and the endless advance of global market forces« (Neal 2009, 3) münden, fanden in den vergangenen Jahren in der britischen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit. So beklagt Roger Scruton in England. An Elegy, »The land loses its history and its personal face« (Scruton 2000, 246) und Paul Kingsnorth behauptet aus globalisierungskritischer Sicht, Engländer würden immer mehr zu »citizens of nowhere« (Kingsnorth 2007, 1). Für Roger Askwith (2007) schließlich zeichnet sich dieser Verlust vor allem im ländlichen Raum ab; der städtische Raum erweist sich in solchen Diagnosen hingegen als per se verloren. — Sarah Neal (2009) hat gezeigt, dass solche Diagnosen über einen nicht thematisierten Subtext verfügen, in dem es wesentlich um Vorstellungen von Ethnizität und Identitätspolitiken gehe.
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(1973) mit Blick auf den aufkommenden Merkantilismus des Spätmittelalters und die Entstehung frühkapitalistischer Strukturen in der Neuzeit, wie mittels Verfahren der Bildlichkeit literarische Arbeiten in signifikanter Weise einen Gegensatz zwischen Stadt und Land herstellen und diesen mit politischer Bedeutung versehen. In ihrer Anlage, nicht jedoch Durchführung und Konsequenz ähnelt seine Untersuchung Max Webers (1947a) Projekt einer Geschichte der Sozialökonomik. Dem im weitesten Sinne kulturwissenschaftlich argumentierenden Williams geht es jedoch vor allem um den Einfluss von Sprachbildern auf die Wahrnehmung und politische Bewertung eines ökonomischen Wandels, der aus seiner Sicht die Modernisierung begründe. Er konstatiert, »The contrast of the country and city is one of the major forms in which we become conscious of a central part of our experience and of the crises of our society« (Williams 1973, 289). Zwar finden sich in Robinson in Space keine expliziten Bezugnahmen auf die Untersuchung von Williams.76 Aufgrund der Wirkmächtigkeit von Williams’ Untersuchung für die Etablierung kulturwissenschaftlicher Analyseund Beschreibungsmodelle, vor allem aber durch die thematische Kongruenz von Film und wissenschaftlichem Werk, liegt jedoch nahe, eine Referenz zu unterstellen. Tatsächlich greift Robinson in Space Williams’ methodisches Vorgehen, nach Bedeutungsproduktionen zu fragen, einerseits auf, indem er dessen Programm auf die Gegenwart anwendet. Zugleich überschreitet er Williams Ansatz in poststrukturalistischer Weise, weil es Robinson in Space nicht um »Stadt« und »Land« als feststehende Begriffe geht, sondern um deren Verfertigung als kulturelle Konzepte. Ohne sich explizit auf The Country and the City zu beziehen, lässt sich Robinson in Space damit als Vorwegnahme einer Kritik lesen, die jüngst an Williams’ Vorgehen geübt worden ist, und die darauf beruht, ›Stadt‹ und ›Land‹ als vorgängige und unproblematische Kategorien zu denken: »While country and city may continue to describe concrete and specific geographical places, they do so as relational constructs within the social production of space, with its movements of capital, labour and commodities. What Williams figured as an analytical dichotomy can be more satisfactorily grasped as a series of permeable boundaries.« (MacLean et al. 1999)
Mit ebensolch »durchlässigen«, umkämpften und mit politischer Bedeutung aufgeladenen Grenzziehungen beschäftigen sich die ersten beiden Robin76 Wohl aber werden durch den Voice Over-Kommentar zahlreiche Hinweise auf den Textkorpus, den Williams zur Grundlage seiner Untersuchung gewählt hat, gegeben.
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son-Filme: London untersucht die Stadt (und die kulturelle Konstruktion eines Zentrums), Robinson in Space den ruralen und suburbanen Raum (und die kulturelle Konstruktion der Peripherie). Aus diesem methodischen Design lässt sich bereits der zweite Kontext erschließen, auf den Robinson in Space Bezug nimmt: die Radical Geography. Unter diesem Begriff lässt sich seit den 1970er Jahren ein vor allem in Großbritannien entwickelter Ansatz der Kulturgeographie fassen, der auf die raumtheoretischen Arbeiten Henri Lefebvres zurückgeht (vgl. Belina/Michael 2007a). Besonders Lefebvres raumtheoretisches Hauptwerk, La production de l’espace (1974), das »neben brillanten Ideen auch viel Frustration ob der Unverständlichkeit mancher Assoziationen« (Belina/Michael 2007b, 17) bietet, bildet einen entscheidenden Bezugspunkt. Lefebvre entwickelt nicht nur eine Terminologie, die Raum – einer phänomenologischen Sichtweise entgegenstehend – in den »Dimensionen von Materialität, Bedeutung und ›gelebtem Raum‹« (ebd.) zu begreifen sucht. Er betont zugleich unter Einsatz marxistischer Beschreibungskategorien, dass Raum stets ein Effekt der Produktionsverhältnisse und der in sie eingebundenen Subjekte einer Gesellschaft sei. Jegliche Analyse des Raums sei damit zugleich eine Weise seiner Produktion. Lefebvre selbst fasst diesen Zusammenhang wie folgt: »Es geht also nicht mehr um den so oder so näher bestimmten Raum, sondern um den Raum als Totalität oder als Globalität, den man folglich nicht nur analytisch untersuchen muss (was das Risiko von ins Unendliche reichenden Fragmentierungen und Aufteilungen beinhaltet, die dem Ziel der Analyse gehorchen); vielmehr muss man ihn durch die und in der rhetorischen Erkenntnis erst hervorbringen.« (Lefebvre 2006, 334)
In dieser Grundlegung liegt die Bedeutung von Lefebvres theoretischem Werk für einen Film wie Robinson in Space – lässt sich aus ihr doch ein methodisches und politisches Programm ableiten, das der Film umzusetzen sich anschickt. Unter Rückgriff auf Lefebvre wird somit eine wesentliche und charakteristische Vorgehensweise Keillers in Robinson in Space deutlich. Anders jedoch als Raymond Williams, der in The Country and the City bei der Analyse verharrt, setzt Keiller (oder vielmehr, der Logik der filmischen Diegese folgend: die Figur des Robinson) der als hegemonial analysierten, räumlichen Strukturierung der englischen Peripherie eine eigene, konträre und als widerständig entworfene filmische Raumproduktion entgegen, worin sich eine politische Praxis begründet. Für dieses Programm greift Keiller noch einmal auf Lefebvre zurück, der in dem, was er die »Repräsentationsräume« (ebd., 336) nennt – die gesellschaftliche Praxis der Bedeutungsproduktion durch Gebrauch – die Möglichkeit des Widerstandes oder aber der affirmativen Reproduktion der Verhältnisse erkennt. Denn, so Lefebvre, das Soziale sei nicht nur strukturiert
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durch den Raum; umgekehrt – in der Form einer Dialektik – liege hierin zugleich ein emanzipatorisches Potential verborgen (vgl. ebd., 336f.). Keiller greift diese Grundlegung methodisch auf, wenn er versucht, alternative Strukturierungsmöglichkeiten offenzulegen. So stellt etwa Steve Pile mit Bezug auf London fest, »Keiller […] is concerned with the search for locations of memory: memories that disturb the idea that the past necessarily had to lead to the catastrophe of the present« (Pile 2005, 8). Als ein Hinweis77 auf ein solches Programm lässt sich etwa unschwer das Motto lesen, das Robinson in Space vorangestellt ist. Es entstammt dem 3. Abschnitt des 23. Kapitels von Raoul Vaneigems 1967 veröffentlichter, situationistischer Schrift Traité de savoir-vivre à l’usage des jeunes générations. In der englischen Übersetzung, die unter dem Titel The Revolution of Everyday Life veröffentlicht worden ist, und die der Film anführt, lautet die entsprechende Stelle: »Although I can always see how beautiful anything could be if only I could change it, in practically every case there is nothing I can really do. Everything is changed into something else in my imagination, then the dead weight of things changes it back into what it was in the first place. A bridge between imagination and reality must be built…« (Vaneigem 1974)
Es liegt nahe, dass Keiller in der eigenen filmischen Praxis jene »Brücke« zu sehen glaubt, deren Fehlen Vaneigem beklagt. Auch in einem Interview, das Joe Kerr mit Keiller geführt hat und das die Zeitschrift Architectural Design veröffentlichte, stellt dieser seine eigene künstlerische Produktion in den Kontext von Lefebvres marxistischer Kritik des Raums, wenn er ausführt, »The spaces of everyday life are transformed in various way; as a result of changes in economic, social and hence spatial relationships, by new technologies and so on. In the context of landscape and built structures one can distinguish between actual physical alteration – that is, the production of new architecture – and the subjective transformation of already existing space (what Lefebvre identifies as representational space), which is a phenomenon more usually characteristic of literature and visual art, in particular photography and film, but which often has some reflexive impact on the physical environment.« (Keiller/Kerr 2000, 82)
Robinson in Space bezieht sich nicht nur in epistemologischer und methodisch-konzeptioneller Weise auf einen größeren diskursiven Rahmen, der das kritische Anliegen des Films begründet. Unter Rückgriff auf eine spezifische politische Auseinandersetzung in der britischen Kulturtheorie, die in den 77 Tatsächlich finden sich auch eine Reihe expliziter Bezugnahmen auf Henri Lefebvres Werk bei Keiller — Vgl. hierzu Robinson 2008.
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1960er Jahren durch Vertreter der New Left angestoßen worden ist, lässt sich eine Kontextualisierung auch auf der Ebene des inhaltlichen Arguments vornehmen. Zwar erfolgt auch diese Bezugnahme keineswegs explizit – jedenfalls dann nicht, sofern man hierunter eine direkte Verbalisierung durch den Voice Over-Kommentar versteht. Trotzdem lassen sich eine ganze Reihe von Aussagen und Einlassungen innerhalb des Films nur im Kontext einer Kenntnis des entsprechenden Diskurses als bedeutsame Artikulationen lesbar machen. Dieser Diskurs ergibt sich, so hat Paul Dave (2000) gezeigt, aus der Auseinandersetzung mit der sogenannten Nairn/Anderson-These, die Tom Nairn und Perry Anderson (1992) 1962 erstmalig formulieren und die für die britische Kulturtheorie große Bedeutung erlangte. Sie besagt, dass die englische Revolution des 17. Jahrhunderts letztlich unvollständig geblieben sei: So habe sich weder die Idee einer Republik noch anti-klerikale Ideen durchsetzen können. Und während es gelungen sei, eine neue, kapitalistische Ordnung zu etablieren, sei die soziale Ordnung von diesen Umwälzungen – im Gegensatz zu Kontinentaleuropa, und hier insbesondere im Kontrast zu Frankreich – unberührt geblieben (vgl. Brooker 2002, 106f.). Die aus dieser Sichtweise abgeleitete Folgerung besteht nun darin, dass sich, so wird behauptet, die Versprechen der Moderne für England niemals erfüllt hätten: Die Revolution »occurred to soon for the bourgeoisie to fulfil its historic destiny as the agent of modernity« (Dave 2000, 113). Im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Moderne lasse sich daher für England eine weitgehende kulturelle Rückständigkeit verzeichnen (vgl. ebd., 342f.). Die »Ausgangsthese« von Robinson in Space, die, so wird durch den Erzähler suggeriert, die »These« Robinsons sei, besteht – der Sichtweise von Nairn/Anderson entsprechend – zunächst darin, dass die englische Kultur der Moderne feindlich gegenüberstehe. Diese These, wie auch die aus ihr abgeleiteten Erklärungsmodelle ökonomischer Rückständigkeit werden im Laufe des Films jedoch verworfen. So beschreibt Keiller Robinson in Space als »essentially […] an exploration, and, ultimately, a dismissal of the idea that the UK, or England, is a backward, failing capitalism because it has never had a successful bourgeois revolution« (Keiller 2009, 409). Diese narrative Entwicklung nimmt im Film mit der Aussage, »[t]he narrative of Britain since Defoe’s time is the result of a particular English kind of capitalism« ihren Ausgangspunkt. Robinson in Space macht sich diese Aussage allerdings nicht zu eigen, sondern nimmt sie zum Anlass der eigenen ›Erkundung‹, als deren Produkt sich der Film und die von ihm bedeutete Verräumlichung präsentiert. Damit wird deutlich, dass der Film aus seiner eigenen, diegetischen Logik zwar einer räumlichen Erkundung der Peripherie Englands entsprechen mag. Die eigent-
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liche Bedeutung dieser explorativen und bildgebenden Bewegung liegt jedoch darin, dass der periphere Raum – und zwar mit filmischen Mitteln – als Ausdruck zugrundeliegender, ihn bestimmender gesellschaftlicher Narrative gelesen wird. Am Beispiel von England als »imagined community« (Anderson 1991) untersucht der Film die Repräsentationspolitik dieser spezifischen symbolischen Verräumlichung von Peripherie, kritisiert sie und verwirft sie in seinem Verlauf. Ihr stellt er eine eigene Repräsentationspolitik gegenüber und unternimmt den Versuch (der jedoch nur bedingt eingelöst wird und dessen Schwierigkeiten ein Thema des Films bilden), dieser eine konträre Produktion des Raumes (Lefebvre 1974), deren Möglichkeitsbedingungen er befragt, entgegenzusetzen. Auf diese Weise lassen sich drei Adressen der Kritik in Robinson in Space unterscheiden: der politische Diskurs, die symbolischen Verräumlichungen, welche dieser bedeutet, und schließlich die Repräsentationspolitiken, mittels derer eine solche wirksam wird. Die ästhetischen Verfahren, deren sich Robinson in Space sowohl zur Kritik als auch zur Konstruktion einer eigenen symbolischen Verräumlichung bedient, sollen nun abschließend untersucht werden.
Filmische Re-Lektüren In der Untersuchung der Kontexte, auf die Robinson in Space Bezug nimmt, und vor deren Hintergrund er seine eigene Repräsentationspolitik des peripheren Raums entwickelt, wurde bisher auf ein wesentliches Element nicht eingegangen: Die Tatsache nämlich, dass die englische Peripherie in vielfältiger Weise diskursiv, insbesondere aber durch eine eigene Repräsentationspolitik, auf welche der Film reagiert, bestimmt ist. Dabei handelt es sich nicht um allgemeine kulturelle Vorannahmen und Stereotypen, die etwa Aussagen über den ruralen Raum per se beinhalteten, sondern einen dezidiert filmisch geprägten Hintergrund, der die Folie für die Auseinandersetzung, die Robinson in Space darstellt, bildet. Er lässt sich anhand von zwei kulturellen Phänomenen bestimmen: der Vorstellung eines »Merry England« sowie dem Heritage Cinema. Beide Konzepte werden in Robinson in Space aufgegriffen, transformiert und mit einer eigenen Repräsentationspolitik kontrastiert, welche die Peripherie als ›leeren‹, für Zuschreibungen offenen und damit einer hegemonialen Strukturierung nicht restlos unterworfenen Raum zu fassen sucht. Ein kennzeichnendes ästhetisches Verfahren von Robinson in Space begründet sich im Verhältnis von Voice Over-Narration und sichtbarem Bild. Zwar wird suggeriert, dass Robinsons Handeln die Entfaltung der Diegese bestimme. Als ›Figur‹ in einem narratologischen Sinne lässt er sich allerdings
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kaum bezeichnen. Tatsächlich kommen sowohl London als auch Robinson in Space ohne Protagonisten, die on screen zu sehen wären, aus. Von Robinsons Handeln und dem Verlauf der »Forschungsreise« erfahren wir ausschließlich durch den Voice Over-Kommentar, der dem auf der Ebene des sichtbaren Bildes ebenfalls abwesend bleibenden Erzähler entstammt. Die Tatsache, dass der Körper dieser Figur nicht im Bild sichtbar wird, legt es nahe, mit Bezug auf Michel Chion von einer »akusmatischen Stimme« (Chion 1982, 12) zu sprechen. Doch der ontologische Status dieser Stimme ist auch in einem weiteren Sinne prekär: So kommt dem Voice Over-Kommentar zwar eine ordnende und orientierende Funktion für die Entfaltung der filmischen Diegese zu. Doch bleibt die durch die Rede verfertigte Subjektposition brüchig. Weder fällt sie in eins mit der bürgerlichen Konstruktion eines ›Autors‹, noch weist das so bestimmte Subjekt Merkmale einer filmischen Figur auf. Es ist nicht der Filmemacher, der hier spricht – tatsächlich bleibt unklar, wer aus der inneren Logik der Diegese der Urheber der filmischen Bilder, die wir sehen, ist. Zudem erfahren wir durch den Voice Over-Kommentar keineswegs die Gedanken des durch die akusmatische Stimme konstruierten, namenlosen Erzählers, sondern allenfalls diejenigen Robinsons, welche in nüchterner, distanzierter Diktion, so scheint es, wiedergegeben und hin und wieder durch sachlogische Anmerkungen ergänzt werden. Beiläufige Beobachtungen, Statistiken, Anekdoten und selbst behauptete Eigentümlichkeiten des Wetters treten somit an die Stelle einer kohärenten, dem Handeln der Figuren verpflichteten Narration. Das sich hier abzeichnende Verfahren der Enunziation ist somit mehrfach gebrochen. In dieser Hinsicht erweist sich die filmische Narration – durch die Form einer auf Dauer gestellten Disparität der diegetischen Welt – als Ausdruck eines Bewusstseins, dass die grundsätzliche Problematik jeglicher Erzählposition, die keine anthropozentrische Fundierung mehr aufweist, sondern nur mehr in disparaten, okkasionalistischen und sich niemals zu einem ganzen fügenden ›Beobachtungen‹, die der Film zu sein vorgibt, aufscheint, reflektiert. Auf diese Weise entsteht nicht nur ein diskontinuierliches Feld der Diskurse, die Robinson in Space aufzurufen scheint; mittels seiner narrativen Brüche betont der Film die Zeichenhaftigkeit der eigenen Existenz und die Grenzen jeglicher Repräsentationen von Wirklichkeit. Dieser Effekt der Distanzierung, der Uneigentlichkeit und der medialen Selbstreflexion findet auf der Ebene des sichtbaren Bildes eine Entsprechung: Die wohl signifikanteste und auffälligste ästhetische Strategie, die London und Robinson in Space auszeichnet, stellt die Gestaltung des filmischen Bildes durch Kamera und Mon-
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tage dar. Beide Filme bestehen ausschließlich aus eine Reihe von long shots, die von einer statischen Kamera aufgenommen worden sind, und die eine häufig unbewegte oder sich kaum verändernde mise-en-scène zeigen. Die Wahl dieser Ästhetik ist auffällig, weil sie nicht den konventionalisierten und dominanten Strategien narrativer Filme entspricht. Ihr Einsatz entfaltet nicht nur Wirkung auf der Ebene der Repräsentation, er trägt zudem noch eine zweite Aussage. Denn in ihrer Ausstellung kann die ästhetische Form als Verweis auf die filmische Enunziation selbst gelesen werden. Die formalisierte Gestaltung dient nicht nur – oder vielleicht sogar in geringster Hinsicht – einem mimetischen Zweck. Sie erscheint als ein Verfahren der Verfremdung, das die Künstlichkeit jeglicher Repräsentation durch die Zurschaustellung der ästhetischen Verfahren betont, statt sie zugunsten eines Illusionseindrucks zu überdecken. Paul Dave bezeichnet die so beschriebene Ästhetik als hochgradig modernistisch, und führt aus: »Keiller manages to translate this apparently static world through the use of aesthetic practises inspired by traditions of modernism, in particular practices of de-familiarisation.« (Dave 2000, 348) In London findet sich gar eine Sequenz, innerhalb derer der Film die Herstellung und Auswahl des filmischen Bildes aus der Logik seiner diegetischen Welt explizit thematisiert, wenn der Voice Over-Kommentar von »Postkarten« der Stadt spricht, die Robinson anfertige. Tatsächlich erinnert die Wahl von Kadrierung, Standpunkten, Motiven und Perspektiven, mittels derer der Film sein Zeigen organisiert, vor allem aber die Abwesenheit von Kamerabewegungen und die sich zumeist kaum verändernde, vorfilmische ›Welt‹ auf den ersten Blick an eine Bildpraxis, die jener der Fotografie entspricht: Es sind lange, statische Einstellungen zumeist mittlerer bis weiter Einstellungsgrößen, die lange gehalten werden (vgl. Pile 2005, 9). Doch die so erzielte Stillstellung des filmischen Bildes widersetzt sich nicht nur den unterstellten Sehgewohnheiten des Publikums, zugleich kommt ihr eine spezifische Leistung zu. So beschreibt Steve Pile die hier eingesetzten ästhetischen Verfahren als »phantasmagorisch«, und führt – unter Bezug auf London, aber übertragbar auf Robinson in Space – aus, »These postcards frame the city; slow it down, enticing us to look at the city with different eyes. By giving us time to look at the spaces of the city become apparent: its motion, its duration, its endurance, its persistence… and its passing« (ebd.). Die filmische Stillstellung, die Auslösung des Einzelbildes aus dem üblichen Kontinuum filmischer Bewegtbilder bewirken eine Veränderung der Wahrnehmung: Sie betonen jede Einstellung als bedeutsam, sie thematisieren das Blicken selbst und legen es als artifiziell offen. Indem es weder auf eine
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alltagsweltliche noch eine konventionalisierte filmische Wahrnehmung verweist, ermöglicht das Verfahren des Films eine kontemplative und genaue Betrachtung. Als Teil einer Repräsentationspolitik überführt das Verfahren – mit Henri Lefebvre gesprochen – die »räumliche Praxis« des nicht-reflexiven, die Verhältnisse reproduzierenden Alltags in jene Dimension des Räumlichen, die Lefebvre im Begriff des »Repräsentationsraums« fasst, dessen Bedeutung durch strategischen Gebrauch erzeugt wird und dem allein, so seine These, das Potential des Widerständigen innewohne. Die ästhetischen Verfahren in London und Robinson in Space betreffen jedoch nicht nur die filmische Fassung des Dargestellten; sie adressieren zugleich einen größeren Zusammenhang von Motivwahl und Repräsentationspolitiken. Der rurale – oder oftmals auch nur: suburbane – Raum Englands ist in kultureller Hinsicht nicht nur durch eine negative Abgrenzung gegenüber Vorstellungen des Urbanen, wie sie in der Dichotomie von Zentrum und Peripherie aufbewahrt sind, und die, wie gezeigt wurde, für die deutschsprachige Diskussion bestimmend ist, gekennzeichnet. Es sind vielmehr Vorstellungen von Landschaft und »Englishness«, die historisch aufs Engste miteinander verknüpft (vgl. Matless 1998). Dabei weist die hybride, sozial- und naturräumliche Kategorie des ›Landes‹ eine eigenständige Form der Prägung und Formierung auf, die ihren schlagenden Ausdruck im Konzept des »Merry England« findet. Dieses »heitere« England habe sich, so die implizite Behauptung, gegen die Kräfte der Modernisierung behaupten können. Das so bezeichnete, imaginäre Bild entspricht der Vorstellung einer pastoralen, ländlichen Idylle, in der die englische Gesellschaftsordnung ihren naturräumlichen Ausdruck finde. Das vormoderne, ursprünglich im Frühmittelalter entstandene Konzept (vgl. Hutton 1994), das eine idealisierte und stereotype Vorstellung von »Englishness« beinhaltet, lässt sich jedoch nicht auf seine Funktion als Ausdruck nostalgischer Verklärung reduzieren. Es erweist sich stattdessen als bewusst vage gehaltene, selten explizierte politische Konstruktion, auf die in unterschiedlicher und widersprüchlicher Weise Bezug genommen werden kann – worin wiederum seine eigentliche Leistung besteht (vgl. Blaicher 2000). Eine weitere Zuspitzung erfahren die unter diesem Konzept verhandelten und anlässlich jeweils aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen regelmäßig aktualisierten Vorstellungen einer ursprünglichen »Englishness« durch ein zweites kulturelles Bild – nämlich jenes eines »Deep England«. Dieses beruht weniger auf tatsächlich vorhandenen, sich an konkreter Geographie orientierenden räumlichen Strukturen, sondern bezieht sich – analog zur Vorstellung eines »France profonde« – allein auf mediale Referenzen. So bestimmt etwa
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Angus Calder »Deep England« in sowohl geographischen wie imaginär-medialen Parametern, wenn er behauptet, es erstrecke sich »from Hardy’s Wessex to Tennyson’s Lincolnshire, from Kipling’s Sussex to Elgar’s Worcestershire« (Calder 1991, 182, zit. nach Wild 2004). Ein wesentliches und verbindendes Kennzeichen der in den Vorstellungen eines »Merry« oder »Deep England« eingelagerten, gesellschaftlichen Wunschvorstellungen stellt die Idealisierung einer behaupteten ländlichen Lebensweise dar (vgl. ebd.). Sie findet ihren Ausdruck in einer spezifischen Ikonografie, die in England – entgegen Calders Diagnose – in den letzten vierzig Jahren jedoch weniger in Literatur, Malerei oder durch die klassische Musik gepflegt worden ist, als vielmehr filmisch wirksam geworden ist. In prominenter Weise stehen hierfür die Literaturverfilmungen der Romane E. M. Fosters durch das Produzententeam Merchant/Ivory – etwa A Room with a View (GB 1985) oder Howards End (GB 1992). Dieses zumeist als Heritage Cinema (Hill 1999) bezeichnete Segment des populären Unterhaltungskinos, das in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren für die britische Filmwirtschaft erhebliche ökonomische Bedeutung gewann, kennzeichne, so Andrew Higson, eine nostalgische Verklärung und regressive Sehnsucht nach einer in der Moderne unvollendet gebliebenen, nationalen Identität, die ihren sinnfälligen Ausdruck in vielfältig beschworenen »Bildern von Dauerhaftigkeit« einer gesellschaftlichen Oberschicht finde (Higson 1993, 119). Diese ideologische Grundierung sei, so Higson, selbst dort wirksam, wo vordergründig eine moralisierende Kritik an einzelnen Figuren oder gesellschaftlichen Zuständen geübt werde. Denn tatsächlich stelle diese Kritik die gesellschaftliche Ordnung nicht infrage, sondern re-etabliere sie – über die Verlockungen von Dekor, Ausstattung und Set Design – als statisches »heritage« immer wieder aufs Neue, wobei jedoch deren kultureller Bedeutungskern, der in der Beschwörung einer überkommenen, ständischen Ordnung liege, verleugnet werde (vgl. ebd.). Für die Analyse der Repräsentationspolitik von Robinson in Space ist nun entscheidend, dass das Heritage Cinema in seinen Strukturmerkmalen durch eine Reihe von Motiven und Themen bestimmt ist, die Keiller in seinem Film – scheinbar – aufgreift, »for example, the focus on representations of archaic, elite English institutions, the countryside and country houses, the aristocracy and the monarchy« (Dave 2000, 341). Neben dieser motivischen Bezugnahme findet sich aber auch eine explizite, diskursive Bezugnahme auf das Heritage Cinema, etwa, wenn der Voice Over-Kommentar berichtet, »We know of six Jane Austen film or television adaptations under way, all involving country houses, mostly in the west of England. ›Sense and Sensibility‹ was made at Montacute.« (Keiller 1999, 97)
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Während wir die Worte des Voice Over-Kommentars vernehmen, präsentiert uns der Film eine Einstellung, die aufgrund großer Brennweite und daraus folgender, flächiger Geometrie eine Bildwirkung erzeugt, die das Bild in zwei horizontale Hälften zu trennen scheint. Im unteren Segment sehen wir Felsformationen: die Abbruchkante eines gewaltigen Steinbruchs. Im oberen Teil des Bildes findet sich die zwischen grüne Hügel und Parklandschaft eingebettete, durch die Ikonografie der räumlichen Umgebung identifizierbare, Church of St. Giles in Leigh-upon-Mendip (Abb. 17). Der Voice Over-Kommentar schließt lakonisch, »The DoE believes that the demand for aggregates could more than double in the next twenty years«. Abbildung 17: Robinson in Space (R: Patrick Keiller, GB 1997), Filmstill
Die Gestaltung des sichtbaren Bildes gewinnt ihre Produktivität hier über das Mittel einer innerhalb des Kaders vollzogenen Montage. Sie führt mittels der Raumkonstruktion des sie bestimmenden Blicks zwei diskursiv unvereinbare Bereiche zusammen, stellt sie in ihrer Unversöhnlichkeit aus und vermag die inhärenten Paradoxien der Konstruktion des Peripheren im Kontext von Vorstellungen eines »Merry England« und des Heritage Cinema zu veranschaulichen: ein pastorales, vormodernes Idyll und die industrielle Nutzung und der Verbrauch von Landschaft. Diese Produktion von Landschaft, ihre Kommodifizierung und ihr Konsum beschränkten sich aus einer solchen Logik jedoch nicht auf die Gewinnung von Gestein. Denn zum einen ist die »heritage industry« – ironischerweise – in ihrer historischen Entwicklung selbst ein Effekt ökonomischer Verschiebungen:
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»The declining aristocracy inadvertently created the heritage industry as it exists today. Country estates crumbling under poor management, bad debts and high taxation, were ›given to the nation‹ in lieu of taxes and administered by the National Trust. […] In the 1980s and 1990s heritage became a commodity: themed shops (Past Times), pubs, period-style street furniture and garden ornaments, and the pastiche Cotswold new-build estate, complete with barge boards, porticoes and mock sash windows, proliferated in the landscape of Olde England.« (Penrose 2007, 158)
Demgegenüber hat Patrick Keiller lakonisch vermerkt, »Britain is no more a traditional society than ›Ye Olde Clocke House Inne‹ is a traditional inn.« (Keiller/Wright 1999, 224). Zum anderen ließe sich auch der Verbrauch des Raums durch die Bildproduktion der Filmindustrie als Topophagie beschreiben. Sie, so ließe sich die filmische Anatomie der Einstellung lesen, unterscheidet sich strukturell kaum von dem Landschaftsverbrauch eines Steinbruchs. Vor einer solchen Argumentation wird auch deutlich, dass es Keiller in Robinson in Space nicht darum geht, die – wiederum mit Lefebvre gesprochen – hegemonialen »Raumrepräsentationen« als ›verlogene‹ zu kritisieren (etwa in jenem Sinne, dass diese sich als identitätslose »Nicht-Orte« erwiesen). Keillers Kritik in Robinson in Space ist sehr viel weitreichender. Sie umfasst jegliche Produktion der Orte als Ausdruck kapitalistischer Verwertungslogiken. So, wie es ein bestimmtes (und bestimmbares) Blicken ist, das den Vorstellungen eines »Merry England« vorausliegt, so ist es gleichermaßen ein filmisches Blicken, das geeignet ist, diesem andere Bilder entgegenzusetzen – und damit: andere Strukturierungsweisen des peripheren Raums zu etablieren. Robinson in Space erkundet keineswegs eine vormedial existente, immer schon gegebene oder gar naturräumliche Landschaft. Der Film erweist sich vielmehr als die Rekonstruktion einer umkämpften kulturellen Produktion des peripheren Raums, innerhalb derer eine vielschichtige, palmipszestartige Struktur aus Bedeutungsschichten offengelegt wird. Entscheidend für dieses Vorgehen ist, dass Robinson in Space den peripheren Raum Englands als offen – und das bedeutet: offen für alternative Zuschreibungen – konstruiert. Dies geschieht über eine eigene Repräsentationspolitik, die durch den Verzicht auf das, was sich mit dem Begriff eines »touristischen Blicks« bestimmt ließe, gekennzeichnet ist.
Eine Bejahung des Verkehrs In seiner Untersuchung The Tourist Gaze: Leisure and Travel in Contemporary Societies hat John Urry (1990) nachzuweisen gesucht, dass sich das, was er den »touristischen Blick« nennt, dadurch kennzeichne und sich von anderen Modi
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des Betrachtens unterscheide, dass dieser stets ein distinktes Objekt benötigte, auf das er sich richte. Dieses Objekt wiederum stehe in einem besonderen Verhältnis zu alltäglichen Erfahrungen: »The tourist gaze is directed to features of landscape and townscape which separate them off from everyday experience. Such aspects are viewed because they are taken to be in some sense out of the ordinary« (ebd., 3). Eine solche Definition, die vor allem auf vorgängige Objektqualitäten des Erblickten abhebt, sieht jedoch von jenen spezifischen »Techniken des Betrachters« (Crary 1992) ab, die das Blicken zugleich ermöglichen wie bestimmen. Vor ihrem Hintergrund ließe sich Urrys Argumentation umkehren – und zugleich radikalisieren: So erscheine der »touristic gaze« nicht nur objektbestimmt, sondern seine Praxis begründe sich darin, dass dieser seine Objekte überhaupt erst konstituiere. Folgt man dieser Annahme, wäre – in Umkehrung – ein wesentliches Kennzeichen jedes Blickens, dass sich selbst als nicht-touristisch entwirft, dass es die Verdinglichung des Erblickten – und, in kapitalistischer Logik: seine Kommodifizierung – zu vermeiden suchte. Unter Verdinglichung ist dabei jede sinnstiftende, bedeutungsvolle Überführung der vorfilmischen ›Welt‹ in eine hegemonial bedeutsame Konstruktion zu verstehen, eine Aufladung mit Sinn, welche jegliche Heterogenität des so Erblickten einzuebnen imstande ist. Dieses Blicken ›erwählt‹ seine Orte nicht zuletzt unter der Prämisse, so Urry, dass es eine Form der Einfühlung ermöglicht, »especially through daydreaming and fantasy, of intense pleasures, either on a different scale or involving different senses from those customarily encountered. Such anticipation is constructed and sustained through a variety of non-tourist practices, such as film […], which construct and reinforce that gaze.« (Urry 1990, 3)78
Robinson in Space kennzeichnet jedoch, dass eine solche Aufladung permanent unterlaufen wird. Durch die scheinbare Okkasionalität des Gezeigten, durch eine sprunghafte, Brüche betonende statt die filmische Illusion verschweißende Montage und durch narrative Verfahren der Distanzierung und Uneigentlichkeit wird eine Verortung des Sicht- und Sagbaren in konventionellen sinnstiftenden Strukturen erschwert. Dies geschieht zum einen, indem einschlägige Objekte des touristischen Blickens dekontextualisiert werden (z.B. im Falle der untersuchten Einstellungen, welche die Church of St. Giles oder 78 Konträr zu industriellen Versprechen offeriert der Tourismus daher auch nicht Erfahrungen eines gänzlich Anderen, sondern stellt die notwendige Anschlussfähigkeit jeder dieser Erfahrungen (im etymologischen Sinne des Wortes) an hegemoniale Sinnstiftungsprozesse sicher. In eben dieser Hinsicht gelte: »To be a tourist is one of the characteristics of the ›modern‹ experience« (ebd., 4).
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Hadrian’s Wall zeigen). Zum anderen wählt Keiller solche Objekte und Motive, die belanglos, alltäglich und unbedeutend scheinen, versieht sie jedoch – durch assoziative Verfahren des Voice Over-Kommentars – mit neuen, widersprüchlichen Zuschreibungen. Ein Beispiel für diese Strategie ist die Gestaltung jener Einstellung, die eine leere Bushaltestelle zeigt, und die sich im letzten Drittel des Films findet. Zunächst erinnert die Art und Weise, wie der Ort in Robinson in Space kadriert ist, an Peter Pillers Fotografie einer Endhaltestelle und die auf sie bezogene Rede von der »ratlosigkeit der jugendlichen über spuckeseen« in Peripheriewanderung (Piller 2007). In beiden Fällen erscheint die Haltestelle als gewöhnlicher, vielleicht sogar hässlicher Ort. In Robinson in Space vermerkt der Voice Over-Kommentar, »›Much of life for many people,‹ read Robinson, ›even in the heart of the First World, still consists of waiting in a bus-shelter with your shopping for a bus that never comes‹«. Es handelt sich, ohne dass dies nachgewiesen wäre, um ein Zitat aus einem Text der Kulturgeographin Doreen Massey (1992, 8). In ihrem Aufsatz A Place Called Home? führt sie aus, »that the practice of standing at a bus stop counters the more excitable visions of contemporaneity in cultural theory, which emphasize its restless mobility and pervasive mediatisation« (ebd., 7). Die filmische Einstellung zeigt in frontaler Kadrierung ein schmuckloses, grün gestrichene Wartehäuschen. Durch seine milchigen Glasscheiben erblicken wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite einzelne Gebäude eines Fabrikgeländes. In diffuses Licht getaucht und vor einem verhangenen, hellgrauen Himmel fotografiert, könnte die Einstellung einen Satz illustrieren, den der Kulturwissenschaftler Joe Moran notiert hat: »Waiting for the bus may be well-known British tradition, but it is about an experience as unglamorous as you can get« (Moran 2005a, 3). Moran verweist auf den niedrigen sozialen Status, den die Benutzung des Busses habe, und ergänzt mit Blick auf Studien, die zeigen, dass ein großer Teil der Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs, hätten sie die Möglichkeit, lieber auf den Individualverkehr zurückgreifen würden: »It is hard to stand at a bus stop, as the single-occupant cars stream by, without feeling somehow denied full membership of society. Insofar it forms part of cultural representation at all, the bus is the vehicle that cannot keep up with the pace of modernity, that splutters along behind, picking up all those people who will never quite make it into either ›History‹ or ›Tomorrow‹.« (ebd.)
Die individuelle Einbindung in den Verkehr erzeugt somit nicht nur soziale Hierarchien; diese erscheinen zudem als Ausdruck unterschiedlicher Grade von Teilhabe an den Versprechungen der Moderne. Joe Moran hat darüber
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hinaus daran erinnert, dass es gerade Alltagspraxen wie das Warten sind, anhand derer Henri Lefebvre seine Kritik des Alltags (Lefebvre 1991) entwickelt habe (vgl. Moran 2005a, 8). Der Alltag – und mit ihm die scheinbar unbedeutenden, verschütteten Erfahrungen, die ihn bestimmten, so Lefebvre, erweise sich als eine »Lagerstätte« dessen, was von den großen Erzählungen der Moderne abfalle: »Everyday life, in a sense residual, defined by ›what is left over‹ after all distinct, superior, specialized, structured activities have been singled out by analysis, must be defined as a totality« (Lefebvre 1991, 97).79 Die filmische Einstellung, welche die Bushaltestelle zeigt, wird stumm gehalten, dann fährt der Voice Over-Kommentar fort, »When the bus finally arrived, Robinson had disappeared, to a sexual encounter with a stranger he had contacted through the Internet while we were waiting at the bus-stop«. Einmal mehr verknüpft die Montage zwei Diskurse, die üblicherweise nicht zusammengedacht werden: Das Konzept bürgerlicher Intimbeziehungen, in welche, individuell aufgehoben, normalistische Vorstellungen von Sexualität eingebettet sind, auf der einen, und die seriellen, entindividualisierten, verkehrlichen Erscheinungsformen der suburbanen Landschaft andererseits. Indem die filmische Einstellung beide Komplexe miteinander verschränkt, ist ein komischer Effekt die Folge. Wo die »Endhaltstelle« bei Piller aber als mediokres Phantom einer grundlegenden Rückständigkeit der Peripherie erscheint, da verweigert sich Robinson in Space eines wertenden Untertons. Lakonisch und scheinbar unzusammenhängend vermerkt der Kommentar: »Our employer had equipped us with a notebook computer and a mobile phone.« Etwas jedoch eint Pillers Bild und Text auf der einen und Keillers filmische Einstellung auf der anderen Seite – zumindest auf den ersten Blick. So, wie Piller die »Endhaltestelle« im Übergangsbereich der Siedlungsgrenze von Bonn verortet, so ist auch bei Keiller das Wartehaus durch die Voice Over-Narration in einer Weise verortet, die prototypisch für Vorstellungen des Peripheren gelesen werden kann, befindet sie sich doch im nordwestlich von Birmingham gelegenen Metropolitan Borough West Bromwich.
79 Demgegenüber erkennt Peter Sloterdijk in der Architektur des Wartens gar eine Grundfigur menschlichen »Aufgehalten-Seins« (Sloterdijk 2004b, 507), wobei er unter Bezug auf Villem Flusser der Haltestelle eine gleichsam »therapeutische Wirkung« zuspricht, denn sie verknüpfe »die Grundstimmung des aufgehaltenen Lebens mit einer Aussicht auf Umstimmung durch neue Verkehrsangebote« (ebd., 509).
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In der imaginären Geographie Englands erscheinen die Midlands als ein Raum ›dazwischen‹80 – ein Siedlungsraum, den zudem auszeichnet, dass er in der öffentlichen Wahrnehmung als in jeder Hinsicht ›gewöhnlich‹ beschrieben wird. Birmingham erscheine stellvertretend für die Region, so Gargi Bhattacharyya, als »empty in-between place in the national imagination« (Bhattacharyya 2000, 164). Der urbane und suburbane Raum Mittelenglands repräsentiere »the kind of city culture which Britain tries to deny and ignore, but which increasingly is the main experience of ordinary people. […] Although this is the landscape of many British lives (including many of the ›really‹ metropolitan lives lived in London), Birmingham somehow absorbs all the blame for this mundane flavour of living« (ebd., 162).
Weder dem in der öffentlichen Wahrnehmung gemeinhin mit der Schwerindustrie (und deren Ruinen) assoziierten Norden zugehörig, noch dem als »Deep England« verklärten und mit Vorstellungen pastoraler, vormoderner Idylle verbundenen Süden der Home Counties zurechenbar, ist die Mitte Englands im Hinblick auf das Bild, das die britische Öffentlichkeit von ihr hat, somit durch eine eigentümliche Leere, oder, wie Tim Hall (1997) vorgeschlagen hat, »enduring silence« (ebd., 210) gekennzeichnet. So liegt ein häufig bemühtes Klischee darin, Birmingham vor allem mit dem als »Spaghetti Junction« bezeichneten Autobahnkreuz Gravelly Hill in eins zu setzen, so dass die Stadt erscheine als »a lump of concrete tangled in motorways with no distinguishing features apart from a funny way of pronouncing vowels« (Bhattacharyya 2000, 165). In David Lodges Roman Changing Places (1979) etwa wird die fiktive Universitätsstadt Rummidge – deutlich als Birmingham zu erkennen – beschrieben als »large, graceless industrial city sprawled over the English Midlands at the intersection of three motorways, twenty-six railway lines and half-a-dozen stagnant canals« (ebd., 13). Im Verlaufe des Romans bezeichnet sie einer der Protagonisten – mit dem Blick aus dem Flugzeug – gar als »great dark smudge« (ebd., 52).
80 Ein Beispiel hierfür stellt etwa die Werbung der British Rail dar. Ein Werbeplakat, das 1970 die Einführung neuer Verbindungen nach Schottland bewirbt, zeigt eine Panoramakarte von Großbritannien, wobei die Mitte des Landes wellenförmig aufgefaltet ist. Ausgehend von London passieren zwei Züge den zusammengeschrumpften Raum, wobei sie auf dem Weg nach Glasgow und Edinburgh die durch die Faltung verborgenen Midlands per Tunnel unterqueren. Der Claim verspricht: »Now Only Six Hours Away by Inter-City«.
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Eine entscheidende Divergenz der Repräsentationspolitiken in Pillers Peripheriewanderung und in Robinson in Space liegt jedoch in der je unterschiedlichen Funktion der symbolischen Verräumlichung, welche die Bushaltestellen bedeuten. Denn allein Robinson in Space erkennt in den Räumen des Verkehrs utopische Momente des Aufbruchs und des Möglichkeitssinns. Der »bus-stop« ist eben alles andere als eine »Endhaltestelle«: Der zwischenzeitliche Aufenthalt lässt sich auch lesen als Chance der Veränderung im Verkehr (und sei es nur – oder vielleicht gerade – des sexuellen Verkehrs). Der Voice Over-Kommentar von Robinson in Space zitiert noch einmal die Kulturgeografin Doreen Massey: »Admit the Ridley Scott images of world cities, the writing about skyscraper fortresses, the Baudrillard visions of hyperspace […] most people actually still live in places like Harlesdon or West Brom« (Massey 1992, 14).
Welche Antwort auf diese Wirklichkeitsdiagnose aber gibt Robinson in Space? Indem er die Wahrnehmung von Peripherie nicht als Hinweis auf ontologische oder substanzlogische Eigenschaften deutet, sondern als Effekt eines Diskurses offenlegt, werden die mit ihr verbundenen Attribute als Zuschreibungen deutlich – und damit in ihrer potentiellen Veränderbarkeit kenntlich. Es ist vor allem das Ende von Robinson in Space, das eine Hoffnung, einen Ausblick, einen in die Zukunft gerichteten Gedanken erkennen lässt. Zwar, so erfahren wir über den Voice Over-Kommentar, scheitert die Erkundung, deren Produkt der Film zu sein vorgibt, da der »Geldgeber« die finanziellen Mittel nicht mehr zur Verfügung stelle. Doch der Film selbst endet mit einem in die außerdiegetische Welt geöffneten Bild. Die filmische Einstellung zeigt eine Reihe von Brücken, die, räumlich gestaffelt, ein Gewässer überqueren. Aufgrund der Ikonografie und der filmischen Narration kann die Aufnahme unschwer verortet werden: Sie ist in Newcastle entstanden. Die lange Brennweite des Teleobjektivs eliminiert die räumliche Tiefe der vorfilmischen Szenerie zugunsten eines grafisch abstrahierenden Eindrucks sich überlagernder Linien und Stränge. Die Voice Over-Narration schließt, »I cannot tell you where Robinson finally found his utopia«. Brücken stellen nicht nur Verkehrsbauwerke dar, es sind auch solche, deren kultureller Symbolisierungsgehalt kaum größer sein könnte, dienen sie doch in einem zumeist emphatischen Sinne als Emblem für die Bedeutung von Kommunikation, aber auch für die Einbettung des Subjekts in ein gesellschaftliches, anorganisches Gefüge, als das sich der Verkehr selbst entwirft (vgl. Strohmayer 2011). In Robinson in Space erscheint als dieser Nicht-Ort die Neubestimmung der Peripherie der englischen Landschaft, eine symbolische
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Verräumlichung, die, befreit vom ideologischen Ballast des »heritage«, als »gelebter Raum« ein ganz anderes, ein – im eigentlichen Sinne – ›utopisches‹ Leben erschließt. Anders als in Durchfahrtsland ist die Frage nach einem glückenden Leben in der Moderne nicht mehr gebunden an die Verräumlichungen von Zentrum und Peripherie. Im Gegenteil: Gerade die Peripherie, ihre symbolische Verräumlichung als Raum des Alltäglichen, erscheint als Möglichkeitsbedingung jeglichen gesellschaftlichen Aufbruchs. In dieser Hinsicht lässt sich die ›Leere‹ der Peripherie, wie sie am Ende von Robinson in Space entworfen wird, als Gegenentwurf zu den jenen »illusionären Zentrumsbildern«, »mit denen das leere Zentrum der Gesellschaft gefüllt wird« (Sloterdijk 2004a, 21) und mit denen sich Keiller in London auseinandergesetzt hat, lesen. In Robinson in Space klingt nicht nur die Aufwertung des Gewöhnlichen, des Alltäglichen an, welche die marxistisch bestimmten British Cultural Studies ausgezeichnet haben. Ihre Bejahung des Gewöhnlichen ist eine Bejahung des Verkehrs, »the enigmatic ephemera of everyday life« (Smith 1997, 44, zit. nach Mazierska/Rascaroli 2006, 74).
»Verkehrsprojekte«
Am Anfang der Überlegungen zur symbolischen Verräumlichung der Peripherie stand das Bild einer leeren Straße in einer – so schien es – gleichermaßen leeren Landschaft. Auch am Ende soll noch einmal ein einzelnes Bild stehen (Abb. 18). Der Leipziger Fotograf Hans-Christian Schink hat 1999 dieses Foto gemacht, das – gleichwohl ohne ein bewusstes Zitat zu sein – beinahe wie eine direkte Bezugnahme auf die siebzig Jahre ältere Aufnahme scheint. In Kadrierung und Perspektive, vor allem aber in der Wahl seines Motivs ähnelt es jenem Foto, das anlässlich der Eröffnung der Kraftwagenstraße Köln-Bonn entstanden ist. Es trägt einen gleichermaßen lakonischen wie vagen Titel: »A71 – bei Traßdorf«. Entnommen ist es Schinks Werkgruppe Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (2004), für die er zahlreiche verkehrsinfrastrukturelle Neubauvorhaben in den neuen Bundesländern nach der deutschen Wiedervereinigung fotografierte. Die Stützpfeiler von Brückenbauwerken, karge Abfahrtsrampen aus Beton vor blassbrauen Feldern und graue Autobahntrassen in einer stets menschenleeren Landschaft sind im unterkühlten Stile der Fotografie der Neuen Sachlichkeit, für die etwa die Schule Bernd und Hilla Bechers steht und die das diffuse Licht eines einheitlich grauen Himmels wie geometrische Strenge kennzeichnen, gehalten. Beim Betrachten des Bildes stellt sich einmal mehr die Frage: Wohin führt diese Straße? Wenn wir den Blick an den Horizont wenden, finden wir keine Antwort. Diese Straße führt allein zu uns. Als Text und zugleich in einem diegetischen Sinne ist dieses Bild zur Betrachterin oder zum Betrachter hin geöffnet: Die Straße, genauer: das tragende Betonbett der späteren Fahrbahn bricht am unteren Bildrand ab. Was wir sehen, ist ein zutiefst romantisches Bild, eines, das in die Ferne weist, dem aber zugleich eine politische Ästhetik inne wohnt, die auf die Figur des Betrachters oder der Betrachterin gerichtet ist, und die den lustvoll empfundenen, theoretischen Antihumanismus der Moderne ausstellt und zugleich – in einer Geste des Unerledigten, des Unfer-
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Peripherie
tigen, mit ihren uneingelösten Versprechen zu versöhnen trachtet. Dass die Bilder Schinks »Ausdruck [seien] einer Haltung der Bewegung, nicht des Bleibens«, heißt es im Katalogtext, den Matthias Flügge für den Ausstellungskatalog verfasst hat, und dass der Zweck der auf Ihnen abgebildeten Architekturen der Transport sei: »Und der geht meist an den Menschen, deren Landschaftsbild die Trassen durchschneiden, vorbei« (Flügge 2004, 106). Abbildung 18: Hans-Christian Schink, »A71 – bei Traßdorf«
Hans Belting hat, Überlegungen von Erwin Panofsky aufgreifend, einmal mehr darauf hingewiesen, dass jegliche Perspektive eben nicht nur den Raum als Bild erschließt, sondern dass diese vielmehr eine umfassende »Kulturtechnik« darstelle, die stets das Blicken selbst thematisiere: »Der ikonische Blick, den die Perspektive erzeugt, ist […] ein zum Bild gewordener Blick« (Belting 2009, 9). In diesem Sinne gelte etwa, »[w]enn man von Zentralperspektive spricht, so deshalb, weil ihr Zentrum immer der Betrachter war« (ebd.). Dieser »Bild gewordene Blick«, in die Ferne schweifend, die Peripherie konstruierend, das dem bürgerlichen Subjekt unvollendet gebliebene Versprechen der Moderne ins Auge fassend, ist der Blick auf das Eigene: Die intellektuelle Figur eines stets abwesend bleibenden, betrachtenden Subjekts, das sich gerade darin gefällt.
Nachwort
Die Tatsache des Verkehrs What was central now was the fact of traffic Raymond Williams
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit war die These, dass Kulturtheorie und Kunst der Gegenwart auf Bilder des Verkehrs zurückgreifen, um die Verfasstheit von Gesellschaft, die Lage ihrer Subjekte sowie den eigenen Status zu problematisieren. Grundlage hierfür bildete die Auffassung, dass die ›Idee‹ des Verkehrs – die Vorstellung rationaler, marktförmig geordneter, sachlicher Austauschbeziehungen – ein kulturelles Konzept der Moderne darstellt. So hat die Analyse versucht, zu verdeutlichen, dass in den Bildern davon, was Verkehr ›ist‹, welche Auswirkungen er hat, wie er unsere Erfahrungen prägt, wie er das soziale Miteinander, aber auch uns selbst bestimmt, immer auch Modernität – oder, präziser: der Wunsch, modern zu sein – reflektiert wird. Anhand der exemplarischen Untersuchung von drei symbolischen Verräumlichungen – Kreisverkehr, Flughafen und Peripherie – habe ich versucht, die historische Entwicklung der dabei zu beobachtenden Repräsentationspolitiken darzulegen, die sie bedeutenden Subjektpolitiken zu analysieren und abschließend zu beleuchten, wie der rhetorische Einsatz von Bildern des Verkehrs dazu dient, das Projekt der Moderne als offen und damit als in seiner Wirksamkeit weiterhin valide zu entwerfen. So wurde zunächst betrachtet, vor welchem Hintergrund Verkehr und Moderne enggeführt werden und wie sich dieser Zusammenhang im Zuge einer Entwicklung, die in der Ausrufung der Postmoderne kulminierte, veränderte. Dabei zeigte sich, dass spätestens mit der Postmoderne das Ordnungsdenken der Moderne, dessen Logiken für die Konstitution des Objektbereichs Verkehr bestimmend sind, eine nachhaltige Krise erfährt. In ihrer Folge verändern sich nicht nur die Modelle, wie der individuelle Umgang mit Verkehr gefasst wird; Verkehr erscheint zudem als Zirkulation, die um ihrer selbst willen geschieht.
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Nachwort
Das zweite Kapitel analysierte, wie Bilder des Verkehrs dazu dienen, moderne und postmoderne Subjektivierungsweisen zu problematisieren und wie dabei – zumeist implizit – intellektuelle Selbstentwürfe verhandelt werden. Am Beispiel der symbolischen Verräumlichung des Flughafens in den 1990er Jahren zeigte die Untersuchung, dass die vermeintlichen Effekte des Verkehrs, die von Kulturtheorie und Kunst als Subjektschwund gedeutet werden, umgekehrt auch als Umschlagpunkt einer Subjektermächtigung gelesen werden können, deren Ertrag die Emergenz der Figur eines intellektuellen, männlich-codierten Beobachtersubjekts ist, das sich selbst außerhalb des Verkehrs verortet. Die Betrachtung verdeutlichte aber auch, dass die Formen der Verräumlichung auf einen tiefgreifenden Strukturwandel von Mobilität verweisen, in dessen Folge der Flugverkehr zu einer gewöhnlichen Erfahrung wird und breiten Bevölkerungskreisen – so auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern – neue Formen des privaten und beruflichen Reisens ermöglicht. Das dritte Kapitel untersuchte abschließend, wie der Stellenwert und gegenwärtige Status von Moderne als »Projekt« in einer Weise an den Verkehr gebunden wird, in deren Folge Moderne als ein Versprechen beschreibbar wird, das sich nur zum Teil erfüllt hat. Dafür, so hat die Analyse dargelegt, wird vor allem die Verräumlichung der Peripherie, die nach 2000 in Kulturtheorie, Siedlungsgeographie, Film und künstlerischer Fotografie Gestalt gewinnt, produktiv. Dabei, so zeigte sich, geschieht die tatsächliche Vermehrung suburbaner Räume, die auf eine Reihe von siedlungsstrukturellen und raumplanerischen Entwicklungen der Nachkriegszeit zurückzuführen ist, vor dem Hintergrund einer weitreichenden und folgenschweren kulturellen Hierarchie von Zentrum und Peripherie, deren Unterscheidung sich als Leitdifferenz der Moderne erwies. Sie ermöglicht, das Projekt der Moderne als in die Zukunft offen erscheinen zu lassen. Ein wichtiger Teilaspekt, der das Programm der gesamten Untersuchung bestimmte, lag in der Überprüfung der These, dass mit den Bildern des Verkehrs nicht nur Moderne reflektiert wird, sondern immer auch das Selbstverständnis und die Vorlieben jener, von denen diese Reflexion ausgeht, nämlich Intellektuellen. Indem ich versucht habe, die sozialen Kontexte der wissenschaftlichen und künstlerischen Problematisierungen von Verkehr mitzubedenken, zeigte sich, dass ein zentrales Moment der Produktivität seiner Bilder und der sie bestimmenden Repräsentationspolitiken darin besteht, dass ihr Einsatz einen spezifisch intellektuellen Selbstentwurf zur Folge hat. Die Analyse zeigte jedoch auch, dass dieser Effekt mit der Gefahr einhergeht, die eigene Wirklichkeitserfahrung umstandslos zur allgemeinen Gesellschaftsdiag-
Die Tatsache des Verkehrs
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nostik zu erheben. So wurde deutlich, dass Bilder des Verkehrs zumeist in Anschlag gebracht werden, um vermeintliche Erfahrungen von Entfremdung, Vereinzelung und Einsamkeit zu plausibilisieren. Die Analyse einer Reihe von Gegenentwürfen verdeutlichte demgegenüber, dass Bilder des Verkehrs gleichermaßen dazu dienen können, Momente von Komik, Ausgangspunkte eines bejahenden Aufbruchs oder den Möglichkeitshorizont einer emanzipatorischen, politischen Befreiung zu konstituieren. Die Art des Vorgehens bestimmt, dass das Feld, dem sich die Arbeit gestellt hat, nicht abschließend aufgearbeitet werden konnte. Eine Reihe von Fragestellungen blieb offen, eine Reihe von Problemstellungen unbearbeitet. So böte sich etwa an, die Analyse von Bildern des Verkehrs im Rahmen eines kulturellen Vergleichs noch breiter aufzustellen und dabei insbesondere außereuropäische Perspektiven in Betracht zu ziehen. Auch die Frage, in welchem Verhältnis die untersuchten Bezugnahmen auf Bilder des Verkehrs durch Kulturtheorie und Kunst zu alltagsweltlichen Problematisierungen stehen, muss vorläufig offen bleiben. Und nicht zuletzt ergibt sich eine Reihe von Fragestellungen angesichts der in ihren Konsequenzen heute noch kaum abzuschätzenden Transformationen, die aus dem Erreichen des globalen Ölfördermaximums und dem Versiegen fossiler Energieträger folgen. Wird sich die Moderne angesichts des künftigen Veränderungsdrucks weiterhin als unabgeschlossenes Projekt begreifen lassen? So behauptet der Kulturwissenschaftler Harald Welzer in einem Interview, das die Schweizer WOZ geführt hat, »[w]ir sind, bildlich gesprochen, schon lange nicht mehr auf einer komfortablen Autobahn, sondern auf einem riskanten abschüssigen Feldweg mit tiefen Schlaglöchern« (Welzer 2013). Utopische Entwürfe verfügen nicht zuletzt deshalb über eine entscheidende Bedeutung für die Moderne, weil sich die kulturelle Imagination von der vermeintlichen Zukunft die Gegenwart borgen konnte: Sie bildete den Erfüllungshorizont, auf den der Fortschritt zulaufen konnte. Mit ihrem Versiegen stehen daher nicht die Imaginationen eines Morgen in Frage, sondern die Gegenwart selbst. Verkehr stellt – das hat vor allem das dritte Kapitel der Untersuchung gezeigt – immer auch einen Modus dar, mit dem sich der die Moderne kennzeichnenden Spekulation über offene Zukünfte begegnen lässt. Dieses Denken – auch dies hat die Analyse zu zeigen beabsichtigt – ist in den Varianten ihrer kulturtheoretischen und künstlerischen Phantasien jedoch fast immer blind für die Begrenztheit des eigenen Standpunkts, der gerade deshalb begrenzt ist, weil er buchstäblich ein Standpunkt ist: ein Standpunkt außerhalb des fließenden Verkehrs.
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Nachwort
Die vorliegende Arbeit leistet, so hoffe ich, zweierlei: Sie skizziert erstens den historischen Ausgangspunkt und die postmoderne Modifikation der Repräsentationspolitiken des Verkehrs für die Gegenwart, und sie zeigt zweitens die Leistung der Bilder des Verkehrs im Hinblick auf die sie bedeutenden Subjektpolitiken und die der Moderne innewohnenden Fortschrittssemantik. Die Analysen, die in dieser Arbeit angestellt worden sind, haben aber auch offengelegt, dass die intellektuellen und hegemonialen Bezugnahmen auf Bilder des Verkehrs nicht alternativlos sind, sondern – indem sie mögliche Gegenentwürfe, die divergierende Lesarten privilegieren, angeführt hat – vielfältig und polysem in Anschlag zu bringen sind. Dabei zeigte sich die Produktivität des Verkehrs insgesamt: nämlich, dass er nicht zu einem Bild gerinnt, nicht in eine Repräsentationspolitik zu fassen ist, und dass seine Verräumlichungen widersprüchlich und uneindeutig bleiben. — In der Theorie des Films analysiert Siegfried Kracauer einmal den »Charakter der heutigen Denkprozesse«: Es sei, so schreibt er, als ziele die Moderne darauf ab, »die Route zu veranschaulichen, die unsere Gedanken und Gefühle durchmessen. Diese Routen haben ihr Gegenstück in der Realität selber: Sie gleichen jenen Autobahnen und Straßen, die durch die Leere zu führen scheinen – an unbegangenen Wäldern und Dörfern vorbei, die dem Blick verborgen sind.« (Kracauer 1964, 382)
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Danksagung
Dieses Buch ist die Druckfassung meiner Dissertation, die ich im Mai 2013 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main verteidigt habe. Mein größter Dank gilt Vinzenz Hediger, der die Betreuung der Arbeit übernahm und ihre Entstehung durch aufmerksame und konstruktive Kritik begleitet hat, sowie Oliver Fahle und Matthias Christen, die sich freundlicherweise bereit erklärten, die weiteren Gutachten zu verfassen. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Markus Stauff, der mich instruktiv und mit Blick für pragmatische Lösungen in einer entscheidenden Phase der Arbeit unterstütze. Gleichfalls danke ich Wolfgang Beilenhoff, dessen intellektuelle Neugier und Offenheit mich in der ersten Phase der Arbeit begleiteten. Andrea Seier, Judith Keilbach und Hilde Hoffmann standen immer wieder mit freundschaftlichem Rat zur Seite. Ulrike Bergermann, Hanjo Berressem, Elisabeth Büttner und Klemens Gruber haben mir durch die Gewährung von Beschäftigungsverhältnissen ermöglicht, dieses Projekt zu verfolgen, und mich auch darüber hinaus auf vielfältige Weise unterstützt. Charlotte Brunsdon, Franziska Heller, Natalie Lettenewitsch, Petra Löffler, Christoph Neubert, Kathrin Peters, Anna Ullrich, Gabriele Schabacher und Florian Sprenger gaben mir – neben vielen anderen – wertvolle Anregungen und Hinweise. Ihnen allen – sowie all jenen, die ich in dieser Aufzählung vergessen haben sollte – danke ich sehr herzlich. Für all das, was sich hingegen nicht in Worte fassen lässt, danke ich meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Frau Nadine Carina. Wien, im Juni 2013
Edition Medienwissenschaft Martin Eckert Werbung mit Behinderung Eine umstrittene Kommunikationsstrategie zwischen Provokation und Desensibilisierung März 2014, 356 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2537-0
Sven Grampp, Jens Ruchatz Die Fernsehserie Eine medienwissenschaftliche Einführung November 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-8376-1755-9
Joachim Knape, Anne Ulrich Medienrhetorik des Fernsehens Begriffe und Konzepte Juni 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2587-5
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Edition Medienwissenschaft Bernd Kracke, Marc Ries (Hg.) Expanded Narration. Das Neue Erzählen 2013, ca. 750 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2652-0
Ramón Reichert Die Macht der Vielen Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung 2013, 216 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2127-3
Sonja Yeh Anything goes? Postmoderne Medientheorien im Vergleich Die großen (Medien-)Erzählungen von McLuhan, Baudrillard, Virilio, Kittler und Flusser 2013, 448 Seiten, kart., 45,99 €, ISBN 978-3-8376-2439-7
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