Bertholds und Bernolds Chroniken 3534743180, 9783534743186

Zu den zentralen Themen im 11. Jahrhundert gehören die Kirchenreform und die Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Pap

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German Pages 460 [462] Year 2017

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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Benholdchronik
Handschriften und Editionen
II. Die Bernoldchronik
Handschriftenüberlieferung
Literaturverzeichnis
Texte und Übersetzungen
Bertholdi Chronicon (Forma prima)
Bertholdi Chronicon (Forma secunda)
Bernoldi Chronicon
Register
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Bertholds und Bernolds Chroniken
 3534743180, 9783534743186

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Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe M I T T E L A LT E R

BERTOLDS UND BERNOLDS CHRONIKEN Herausgegeben von Ian Stuart Robinson

AUSGEWÄ HLTE Q UELLE N Z U R DE UT SC HEN GESC H IC HTE D E S M ITTE LALT ER S FREIHERR VOM STEIN-GEDÄCHTNISAUSGABE

Begründet von Rudolf Buchner und fortgeführt von Franz-Josef Schmale und Hans-Werner Goetz

Band XIV

BERTHOLDI ET BERNOLDI CHRONICA

E codicibus edidit IAN STUART ROBINSON

WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT

BERTHOLDS UND BERNOLDS CHRONIKEN

Herausgegeben von IAN STUART ROBINSON

Übersetzt von HELGA ROBINSON-HAMMERSTEIN und IAN STUART ROBINSON

WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Ein T iteldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2002 by W issenschaftliche Buchgesellschalt, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Prinred in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de Sonderausgabe 2012 gedruckt von BoD, Books on demand

Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74318-6

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung . 1

I. Die Benholdchronik

8

Handschriften und Editionen II. Die Bernoldchronik

10

.

14

Handschriftenüberlieferung

17

Literaturverzeichnis

Texte und Übersetzungen .

19

Bertholdi Chronicon (Forma secunda)

35

Bertholdi Chronicon (Forma prima)

279

Bernoldi Chronicon

Register

.

435

E I N L E ITUNG I. Die Bettholdchronik Der Bibliograph des 12. Jahrhunderts, der Anonymus Mellicensis (viel­ leicht Wolfger von Prüfening), bezeichnet Berthold (Berhtaldus), Schüler (auditor et discipulus) Hermanns des Lahmen von Reichenau (1013 -1054), als Autor einer Biographie seines berühmten Lehrers und als Verfasser einer Chronik1• Der Anonymus hatte zweifellos Zugang zu einem Codex dieser Bertholdschen Werke, da er die Vita Hermanni bei der Abfassung seines Berichts über Hermann den Lahmen in seinem Liber de Scriptoribus eccle­ siasticis benutzte2• Der Biograph und Chronist ist vermutlich identisch mit jenem Berthaldus doctor egregius, " gelehrt in den heiligen Schriften", dessen Tod " im hohen Alter" die Chronik Bernolds, des Konstanzer Klerikers und Mönchs von St. Blasien, unter dem Jahr 1088 verzeichnet3• Die zwei wich­ tigsten erhaltenen Handschriften j enes Werks, das als Chronik Bertholds von Reichenau bekannt ist, geben einen dritten Hinweis auf den Verfasser. In der Handschrift des 12. Jahrhunderts, Muri-Sarnen 10, fol. 97', steht der Vermerk: Hucusque chronica Hermanni: abhinc Berchtoldus; und Codex Wien, Österreichische Nationalbibliothek 3399 (abgeschrieben vor 1522), fol. 1 09v enthält als Randbemerkung den Satz Abhinc post Hermannum Ber­ tolus cronicam continuat. In beiden Codizes schließen sich an eine Fassung der Hermannchronik j ene beiden vom Anonymus Mellicensis erwähnten Werke an: (1) Vita Hermanni, deren Autor von sich in der ersten Person als einem Lieblingsschüler Hermanns spricht. Dieser Vita folgt (2) eine Fort­ setzung der Hermannchronik, welche in der Fassung des Muri-Sarnen Codex mit dem Ende des Jahres 1079 abschließt und in der Fassung von Wien Hs. 3399 im Jahr 1080 mitten in einem Satz abbricht. Dieses Werk hat Georg Heinrich Pertz als ,Bertholdi Annales' (MG. SS. 5, 267 ff.) herausgegeben. Die Verfasserschaft Bertholds von Reichenau wurde allerdings lange be­ zweifelt. Das Grundproblem der eindeutigen Zuweisung der Bertholdchro­ nik rührt von der Existenz zweier Fassungen her: nicht nur die ausführlichen Ereignisberichte bis 1079/80 der Muri und Wien Handschriften, sondern auch eine verwandte Kurzfassung, die nur in einem Druck von 1529 vorhan1 [Wolfger ?] De Scriptoribus ecclesiasticis 92, hg. E. Ettlinger ( 1 896), S. 85. Ebd. 91, S. 85. 3 s. u., S. 360.

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Einleitung

den ist und die mitten im Jahresbericht für 1066 abbricht. Obwohl in beiden Fällen die Ereignisberichte für die Zeitspanne 1054 -1066 einander sehr äh­ neln, haben Historiker gezögert, für beide Chroniken Berthold, den Schüler Hermanns des Lahmen, als Verfasser anzusehen; statt dessen haben sie oft Werke von zwei verschiedenen, ja gegensätzlichen Persönlichkeiten in ihnen gesehen. Besonders Harry Bresslau4 und Gerold Meyer von Knonau5 be­ zeichneten die im Jahr 1066 endende Kurzfassung als das authentische Werk Bertholds von Reichenau. Diese Fassung legte in ihrer Konzentration der Berichterstattung auf die Taten des Königs und in ihrem mangelnden Inter­ esse an den Handlungen des Reformpapsttums den Schluß nahe, daß Ben­ hold königstreu eingestellt war und die pro-gregorianischen Ansichten der in den Codices von Muri und Wien überlieferten Chroniken nicht teilte. Bresslau und Meyer von Knonau betrachteten letztere - die Penzschen ,Ben­ holdi Annales' - als das Werk eines anonymen gregorianischen Parteigängers, des sogenannten ,Schwäbischen Annalisten'. Man ging davon aus, daß die authentische Bertholdchronik die wichtigste Quelle darstellte, die dem an­ onymen Verfasser in einer nicht mehr vorhandenen Form bekannt war, wel­ che über das Jahr 1066 hinausging. Weiterhin argumentierte man, daß der Anonymus die ,königstreuen' Äußerungen des Benholdsehen Werks durch seine eigenen pro-gregorianischen Ansichten verdrängt habe, woraus dann ein zusammengesetztes Werk entstanden sei: ,Die Annalen von 1075', wie Meyer von Knonau sie nannte. Mit der Nennung dieses Datums wollte er auf jenen Jahresbericht verweisen, in dem das sonst so knapp und ziemlich neu­ tral gehaltene Werk sich plötzlich zu einer weitschweifigen und unverhohlen polemischen Erzählung ausweitet. In einer 1938 veröffentlichten Studie wies Bernhard Schmeidler durch seine klassische Beweisführung mit stilkritischen Mitteln die Chronik der Handschriften von Muri und Wien wiederum Benhold von Reichenau zu6• Der Ausgangspunkt der Untersuchung Schmeidlers war die Vita Hermanni, die bei den ,Bertholdi Annales' in den Jahresbericht für 1054 eingebettet ist und deren Verfasser sich eindeutig als Schüler Hermanns des Lahmen und Mönch von Reichenau vorstellt. Schmeidlers Stilvergleich führte die stilisti­ sche Einheit der Hermann-Biographie und der nachfolgenden Chronik für 1054 -1080 vor und bestätigte die Behauptungen der Schreiber der Hand4 H. Bresslau, Hermann von Reichenau, Bernold und die Schwäbische Weltchro ­ nik, Neues Archiv 8 (1 883), S. 1 88 ff. ; ders., Beiträge zur Kritik deutscher Geschichts­ quellen des 1 1 . Jhs., N. F. I, ebd. 27 ( 1 902), S. 127 ff. 5 G. Meyer von K nonau, Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., 2 (1 894), S. 905 ff. (Exkurs 8). 6 B . Schmeidler, Berthold als Verfasser der nach ihm benannten Annalen bis 1 080 und das Verhältnis seiner Arbeit zur Chronik Bernolds, Archiv für Urkundenfor­ schung 1 5 (1 938), S. 1 59 ff.

Einleitung

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schriften von Muri und Wien, daß beide der Feder Bertholds entstammten. Nachdem er die ,Bertholdi Annales' wieder an Berthold zurückgegeben hat­ te, stellte Schmeidler die Argumente Bresslaus und Meyer von Knonaus bezüglich des Verhältnisses dieses Werks zur kürzeren, mit dem Jahr 1066 schließenden Chronik auf den Kopf. Letzteres erschien jetzt als eine ,an­ onyme Kaiserchronik', die Berthold das Material für die früheren Jahresbe­ richte seiner Chronik an die Hand gab. In jüngster Zeit hat Franz-Josef Schmale eine überzeugende Identifikation der ,Bertholdi Annales' und der ,anonymen Kaiserchronik' geliefert, die ihn zu dem Schluß veranlaßte, daß " wir es bei den sogenannten Annalen der Bearbeitung mit zwei Werken eines und desselben Vedassers zu tun haben"7• Die Forschungsergebnisse dieser Historiker legen den folgenden Ablauf der Abfassung der Benholdsehen Schriften nahe. Berthold von Reichenau verfaßte eine Fortsetzung der Chronik seines Lehrers Hermann, wahr­ scheinlich schon bald nach dessen Tod im Jahr 1054. Die Behauptung, daß diese kürzere Chronik keine der bezeichnenden ,pro-gregorianischen' Merkmale der stark parteiischen ,Bertholdi Annales' aufweise, ist daher ge­ genstandslos. Wenn nämlich die erste Fassung der Benholdchronik in den späten fünfziger und sechziger Jahren durch jährliche Eintragungen zustan­ de kam, dann wurde sie geschrieben, bevor das Reformprogramm Papst Gregors VII. vollständig formuliert und verbreitet war. In der Tat bringt ,Berthold I' eine klare Stellungnahme im Sinne der ,vor-gregorianischen' Re­ formideen im Jahresbericht für 1065, wenn die Nachfolge im Bistum Barn­ berg nach dem Tod Gunthers mit den Worten " ihm folgte Ricimann [Her­ mann] auf simonistische Weise" kommentiert wird. Diese implizite Zurück­ weisung der Simonie im Einklang mit der Gesetzgebung des frühen Reformpapsttums - oder mit der Reformpolitik Kaiser Heinrichs III. - be­ inhaltet auch eine Zurechtweisung des Königs, der seinen Favoriten Her­ mann, Vizedominus der Mainzer Kirche, in das Bistum Bamberg einführte8• Der Jahresbericht für 1065 widerlegt daher auch die Ansicht, daß ,Bert­ hold I' mit ausdrücklich ,königstreuen' Sympathien geschrieben sei. Die in der kürzeren Bertholdchronik anklingenden Meinungen stehen nicht im Wi­ derspruch zu den parteiischen ,pro-gregorianischen' Äußerungen der ,Bert­ holdi Annales'. Benhold überarbeitete seinen ersten Entwurf nach 1066, um seine wach­ sende Identifizierung mit dem Reformpapsttum unter Beweis zu stellen; denn die Abweichungen zwischen ,Berthold II' und ,Berthold I' beruhen im 7 F.-J. Schmale, Die Reichenauer Weltchronistik, in: Die Abtei Reichenau. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Inselklosters, hg. H. Maurer ( 1 974), S. 125 ff., hier S. 1 52. 8 Vgl. Lampert, Annales 1 065 (MG. SS. rer. Germ. 1 894), S. 99 f.

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wesentlichen auf den Berichten über das päpstliche Schisma von 1061-1064, ,das Schisma des Cadalus'9• In ,Berthold I' wird die Erhebung des Bischofs Cadalus von Parma zum Gegenpapst ,Honorius II.' kommentarlos verzeich­ net, während die Erhebung seines Rivalen, des Reformpapstes Alexander II., stark kritisiert wird: " Inzwischen . . . usurpierte Bischof Anselm von Lucca unter Begünstigung gewisser Römer den Apostolischen Stuhl". Hier scheint Benhold das Recht des Königs, in seiner Eigenschaft als patricius Romano­ rum den Papst zu wählen, unreflektiert zu akzeptieren; oder er befleißigt sich zumindest, wie Lampen von Hersfeld10, einer unparteiischen Haltung zum Schisma. ,Berthold II' hingegen belegt die nachdrückliche Bekehrung zur Sache Alexanders II. Der Jahresbericht für 1061 bezeichnet die Wahl des Cadalus als simonistisch, deshalb " solle er das Papsttum niemals inneha­ ben" . Nun wird klärend hinzugefügt, daß Anselm I. von Lucca schon 27 Tage vor der illegalen Erhebung des Cadalus zum Papst gewählt worden war; die Eintragungen zu 1061 schließen mit einer Lobrede auf Papst Alex­ ander II. als einem ,katholischen Doktor'. Diese revidierte Darstellung des Schismas wurde während des Pontifikats Gregors VII. verfaßt, denn sie er­ wähnt nicht nur den Tod des Cadalus (um 1072) 1 1 , sondern spricht auch von " Hildebrand, damals Erzdiakon der römischen Kirche". Möglicherweise nahm Benhold diese Bearbeitung unter dem Eindruck des durch die Briefe Gregors VII. bekannt gewordenen gregorianischen Reformprogramms vor; diese Briefe regten auch anderweitig in der Diözese Konstanz schon 1075 zu pro-päpstlichen Streitschriften an12• B ertholds Übernahme ,pro-gregoria­ nischer' Ansichten im Zeitraum zwischen der Abfassung von ,Berthold I' und ,Berthold II' erinnert an die Bekehrung Abt Wilhelms von Hirsau, des mönchischen Helden der schwäbischen Chronistik, zum Gregorianismus. Als Folge seines Romaufenthaltes in den Jahren 1075 -76 wurde Wilhelm von einem Verfechter des traditionellen Reichsmönchtums und seines kö­ niglichen Schutzherrn zu einem Anhänger des cluniazensischen Mönchtums mit päpstlicher Schutzherrschaft13• In der Zeit, als Hirsau die königliche Schutzherrschaft gegen die päpst­ liche eintauschte, vollzog Bertholds Kloster Reichenau einen nicht unähn­ lichen Wechsel'4• Reichenau wandte sich von seiner traditionellen Königs­ treue ab, als Heinrich IV. dem Kloster nacheinander zwei simonistische Äbte 9 ,Berthold II' fügt auch dem Bericht in ,Berthold I' über Ereignisse in Ungarn einige Details hinzu (a. 1 059, 1 060) . 10 Lampert, Annales 1 064. 1 1 Nach Bonizo von Sutri, Liber ad amicum (MG. Ldl. 1 ,600). 1 2 Bernold, Apologeticus (MG. Ldl. 2,60 ff.). 1 3 ,Berthold II', a. 1 075, unten S. 94 ff. Vgl. H. Büttner, Zeitschrift für Württem­ bergische Landesgeschichte 25 (1 966), S. 321 ff. 1 4 Vgl. F.-J. Schmale (wie Anm. 7), S. 1 52 f.

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aufzwang: Meginward (1069 -1070) und Ruotbert (1071). Berthold verzeich­ nete diese Zumutungen mit verhaltener Wut: "Ein gewisser Meginward von Bildesheim wurde auf simonistische Weise und unter Aufruhr der Brüder mit Mühe vom König als Abt eingesetzt" . "Ein gewisser Ruotbert, Abt in Bamberg, erwarb die Abtswürde von der Reichenau auf simonistische Wei­ se, nachdem er dem König viel Gold gegeben hatte" 15• Unter dem darauf­ folgenden Abt Eggehard, welcher " einer der Brüder von der Reichenau und von ihnen gewählt" worden war (1071-1088), wurde Reichenau zu einem Zentrum der Unterstützung für Papst Gregor VII. Eggehard stammte aus der Familie der Grafen von Nellenburg, der Gründer und Schutzherrn des Klosters Schaffhausen, und stellte somit eine Verbindung zwischen Reiche­ nau und dem neuen reformierten Mönchtum in Süddeutschland her. Dar­ über hinaus "stand Abt Eggehard fest", in den Worten des feindlich gesinnten Chronisten von St. Gallen, " zum falschen König Rudolf" 16• Die Parteinahme Abt Eggehards für den Gegenkönig nach 1077 findet ihren Niederschlag in der äußerst positiven Behandlung Rudolfs von Rheinfelden in ,Berthold li'. Im Wandel der Anhängerschaft der Abtei Reichenau vom König zum Papst dürfen wir einen zwingenden Grund für Bertholds Revision seiner Chronik im pro-gregorianischen Sinn sehen. Die erste Fassung gehört in die späteren Jahre Abt Udalrichs I. von Reichenau (1048 -1069), als das Kloster noch den Grundsätzen des Reichsmönchtums verpflichtet war. Die Zurückweisung der Simonie im Jahresbericht für 1065 spiegelt die reformerischen Bemü­ hungen Kaiser Heinrichs III. und der deutschen Päpste wider. Der über­ arbeitete ,Berthold li' bezeugt die Schockreaktion auf die königlicherseits aufgezwungenen Äbte Meginward und Ruotbert sowie auf die in der Amts­ zeit des Abtes Eggehard veränderten Bedingungen. Die Überzeugungen des Autors entsprechen nunmehr dem radikalen Reformprogramm Gregors VII. Die zweite Fassung der Bettholdchronik behält die annalistische Form bei. (Für die ersten sieben Jahre benutzt Berthold beides, Inkarnations- und Herrscherjahr, doch endet dieser Gebrauch mit dem Jahr 1061.) Das cha­ rakteristischste Merkmal der Chronik ist indes die außerordentliche Länge der Jahresberichte ab 1075. Diese enthalten eine Anzahl polemischer Ab­ schweifungen, in denen Berthold die Sache Gregors VII. verteidigt und die Tyrannei Heinrichs IV. anprangert. Der polemische Ton wird schon in der Überschrift angeschlagen, die Berthold über den Anfang der Regierung Heinrichs IV. setzte, "Heinrich IV., der Sohn Heinrichs, regierte 20 Jahre lang", d. h., die Regierung endet mit der päpstlichen Exkommunikation von 1076. Die literarischen Quellen, sowohl für Bertholds Erzählung als auch für die Abschweifungen, lassen sich leicht bestimmen. Vieles von seinem 1 5 ,Berthold II', a. 1 069, 1 07 1 , unten S. 62, 70. 1 6 Casuum Sancti Galli Continuatio II. 7 (MG. SS. 2,1 56).

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Einleitung

langen Bericht über die Beziehungen Heinrichs IV. zu Gregor VII. im Jahr 1076 ist wörtlich dem Brief des Papstes an die deutschen Gläubigen, JL 4999, entnommen. Er zitiert die Kanones der römischen Herbstsynode von 1078 im vollständigen Wortlaut und die Kanones der vorausgegangenen Fasten­ synode auszugsweise17• Das Quellenmaterial für seine Polemik entnimmt er dem Werk Bernolds und der zeitgenössischen Forschungsarbeit der Kon­ stanzer Dombibliothek, wie Johannes Autenrieth nachgewiesen hat18. Seine in dem Jahresbericht für 1076 eingefügte Verteidigung der Unabänderlich­ keit päpstlicher Dekrete stützt sich auf den Apologeticus Bernolds 19. Die­ selbe Verteidigung zitiert auch aus dem Bernold zugewiesenen ,Schwäbi­ schen Anhang' der 74-Titelsammlung20. Zur Rechtfertigung der Absetzung Heinrichs IV. zitiert Berthold eine Reihe von früheren Königsabsetzungen; diese weisen eindeutige Parallelen auf zu den exempla in Bernolds Apolo­ geticae rationes, im Liber canonum Bernhards von Bildesheim (er war der Lehrer Bernolds in Konstanz) und im Liber ad Gebehardum Manegolds von Lautenbach21 . Die von diesen Polemikern gemeinsam zitierten exempla wur­ den wahrscheinlich in der Konstanzer Domschule zusammengestellt, und zwar entweder von Bernold selbst oder von einem anderen Konstanzer Kle­ riker2. Benhold gibt eine Zusammenfassung der berühmten Unterschei­ dung von nomen und officium des Königs durch Manegold von Lautenbach und teilt Manegolds polemisches Interesse am Schicksal des zeitgenössischen Königs Salomo von Ungarn, des Schwagers Heinrich IV., dessen Absetzung den süddeutschen Gregorianern als Präzedenzfall für die Absetzung Hein­ richs IV. erschien23. So ist also nicht nur die Einstellung Bertholds, sondern auch sein Quellenmaterial identisch mit dem der süddeutschen pro-grego­ rianischen Schriftsteller. Seine ,Gelehrsamkeit' ist die der Domschule von Konstanz: Benhold spricht immer von Konstanz als nostra cathedra. Ereignisse in Schwaben stehen im Mittelpunkt der Berichterstattung Bert­ holds. Sein Lokalpatriotismus zeigt sich in der Verwendung von Bezeich­ nungen wie terrae nostrae und nostrae partes für Alemannia; nos, nostri, nostrates für Alemanni; noster für Alemannicus. Der Herzog von Schwaben, Rudolf von Rheinfelden, ist die weltliche Hauptfigur. Nach seiner Wahl zum Gegenkönig wird Rudolf als Kriegsherr und als Vermittler der Gerechtigkeit für sua Saxonia gefeiert, während Heinrich IV. im Gegensatz dazu als feiger 17 18 19 20 21 22 23

s. u. s. 98 ff., 228 ff., 244 ff. J. Autenrieth, Die Domschule von Konstanz ( 1 956). s. u. s. 1 1 0 ff. J. Autenrieth, Deutsches Archiv 14 ( 1 958), S. 375 ff. s. u. s. 1 5 6 ff. Vgl. I. S. Robinson, Deutsches Archiv 34 ( 1 978), S. 70 ff. s. u. s. 78.

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Tyrann erscheint. (Bertholds Behauptung, daß Heinrich immer als erster das Schlachtfeld verließ, wird von anderen zeitgenössischen Quellen - z. B. Bruno, Saxonicum bellum - nicht bestätigt.) König Rudolf feiert die christ­ lichen Festtage regelmäßig gloriosissime und magnifico plurimum apparatu regio, umgeben von vielen fürstlichen Anhängern und Rittern; Heinrich IV. dagegen begeht sie non multum festive oder non satis magnifice, von fast allen seinen Anhängern verlassen. Über den engen Horizont Schwabens hinaus preist Berthold die Tugen­ den Gottfrieds des Bärtigen, des Herzogs von Niederlothringen und Mark­ grafs von Tuszien, der als " ein besonders vortrefflicher Mann unter den Laien" erscheint. Erzbischof Anno von Köln bewundert er als " frommen und getreuen Knecht Jesu Christi", und weitschweifig belobigt er Kaiserin Agnes. Benhold stellt seine Wertschätzung Abt Wilhelms und der Hirsauer Klosterreform eindeutig unter Beweis. Wir verdanken ihm den ausführlich­ sten Bericht über die römischen Verhandlungen (1075 -76), die zur Ausstel­ lung des päpstlichen Privilegs für Hirsau führten. Gleichermaßen zollt er den Taten der italienischen Parteigänger Gregors VII. großen Beifall, näm­ lich Petrus Igneus, dem Kardinalbischof von Albano, dem römischen Prä­ fekten Cencio di Giovanni Tignoso und dem Mailänder Patariaführer Er­ lembald. Bertholds Jahresbericht für 1077 verdanken wir die Auskunft, daß Gregor VII. die Kanonisierung von Cencio und Erlernbald vornahm. Diese betrachtete der Papst als Modellfälle des christlichen Lebenswandels der Laien. Die Gegner Gregors VII. und Anhänger der salischen Monarchie werden mit den gleichen Beschimpfungen bedacht wie ihr König. Der plötzliche Tod, der einige von ihnen ereilte, wird als direkte göttliche Strafe dargestellt. Bischof Heinrich von Speyer wurde 1075 erschlagen, und zwar " auf wun­ derbare Weise an demselben Tag und zu derselben Stunde, da er in Rom rechtmäßig seiner Würde und seines Bistums enthoben und gebannt wur­ de" . (Gleichfalls schlachtete Bernold von Konstanz das Schicksal Heinrichs als Beweis für die Wirksamkeit des päpstlichen Bannspruchs in einer frühen Streitschrift weidlich aus)24• Bischof Wilhelm von Utrecht, ein Parteigänger Heinrichs IV., wurde 1076 " vom Tisch, an dem er an einem Tag dreimal gezecht und sich schamlos betrunken hatte, weggerissen und starb, vom plötzlichen und unerwarteten Tod ergriffen" . Der heinrizianische Patriarch Sigehard von Aquilej a verlor 1077 den Verstand, als er sich der gregoriani­ schen Sache widersetzte. Und als Bischof Embriko von Augsburg 1077 die Gerechtigkeit der heinrizianischen Sache unter Beweis stellen wollte, indem er sich dem Gottesurteil unterzog, erstickte er an einer Hostie. Georgine Tangl hat den Standpunkt Bertholds gültig zusammengefaßt: " als strammer 24

Bernold, De incontinentia sacerdotum V (MG. Ldl. 2,26).

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Einleitung

Gregorianer fanatisch einseitig in seinem Urteil, liebt er scharfe Kontraste in Schwarz und Weiß"25• Bertholds typischer lateinischer Stil ist ausführlichen Untersuchungen unterzogen worden26• Berthold bevorzugte Substantive mit dem Suffix -or (fern. -rix), von denen er eine Anzahl erfand27• Gleichfalls betätigte er sich wortschöpferisch, indem er die Präfixe anti- oder pseudo- (antiabbas, pseu­ dolegatus usw.) benutzte. Andere augenscheinliche Neologismen sind u. a. modernitas, rependium, obsolentia und die Diminutive commonitoriolum, dormitiuncula und inpensiuncula. Ebenso häufig wie auf -or endende Sub­ stantive sind Adjektive auf -orius und Adverbien auf -orie und Adjektive mit dem Suffix -osus (besonders praesumptuosus). Seine Adjektive euchari­ stiatus und percupientissimus scheinen Neuschöpfungen zu sein. Bei Verben machte Berthold häufigen Gebrauch von Intensiven mit Formen wie collec­ titare, relectitare und percursitare. Indem er portare und vadere statt ferre und ire benutzte, schuf er Verben wie disportare und divadere. Ganz beson­ ders gern stellte Benhold lateinische Versionen von griechischen Wörtern her, z. B. dogmatistes, atrofia, mysteriarcha. In seinen längeren literarischen Stücken wie der Vita Hermanni machte er intensiven Gebrauch von rheto­ rischen Figuren wie ,similiter cadens' und einfachen Wortspielen wie humil­ limae caritatis et caritativae humilitatis. Bei einem anderen Stück mit litera­ rischem Anspruch, der Lobrede auf Kaiserin Agnes, wird deutlich, daß In­ halt und Wortschatz den Briefen des heiligen Hieronymus an adelige Witwen nachempfunden sind28• Benhold hatte also einen sehr markanten, unverkennbaren Schreibstil, der sich gut für die Schmeidlerschen Methoden des Stilvergleichs eignen sollte.

Handschriften und Editionen Von der früheren Fassung der Bertholdchronik (Berthold I) ist keine Handschrift erhalten. Der Text ist nur aus dem Druck des Jahres 1529 durch den Basler Juristen Johannes Sichard bekannt, unter dem Titel ,En damus chronicon divinum plane opus eruditissimorum autorum, repetitum ab ipso 25 G. Tang!, in: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Die Zeit der Sach­ sen und Salier 2, hg . W. Wattenbach - R. Holtzmann - F.-J. Schmale (Neuausg., 1 967), s. 5 1 8 . 26 B . Schmeidler ( wie Anm. 6); 0. Prinz, Mittelalterliches im Wortschatz der An­ nalen Bertholds von Reichenau, Deutsches Archiv 30 (1 974), S. 488 ff . 27 Z. B . Vita Hermanni: apparitor oboedientiae praesentissimus, castitatis amator, virgineae incorruptionis conservator, misericordiae cultor hilarissimus us w. 28 s. u. s. 1 84 ff .

Einleitung

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mundi initio ad annum usque MDXII' (mit Nachdrucken 1539, 1542, 1549, 1579). D er verschollene unbekannte Codex, den Sichard benutzte, wurde von Christian Urstisius (Wurstisen) erwähnt, als er das Werk 1585 nach­ druckte (Germaniae Historicorum Illustrium 1, 230): " ex antiquo exemplari coenobii Sangallensis in Helvetia transcriptus" . Als G. H. Pertz seine Edition der ,Bertholdi Annales' (MG. SS. 5 [1844], 267 ff.) vorbereitete, reicherte er die überarbeitete Bertholdchronik (Bert­ hold II) mit den Jahresberichten 1054 -1066 von Betthold I an (S. 269 -73), so daß man aus seiner Edition nur sehr schwer einen Eindruck von der Verschiedenheit der beiden Fassungen gewinnen kann. Eine ,reine' Edition von Betthold I lieferte Georg Waitz 1881 unter dem Titel ,Chronici Her­ manni Continuatio codicis Sangallensis auctore, ut videtur, Bertholdo' (MG. SS. 13, 720 ff.). Die überarbeitete und erweiterte Fassung der Bertholdchronik (Bett­ hold II) ist in zwei geringfügig voneinander abweichenden Handschriften­ bearbeitungen vorhanden: (A) Wien, Österreichische Nationalbibliothek Hs. 3399 (Codex A l ), vor 1522 von Jakob Mennel kopiert, von der die Wiener Handschrift 7245 (Co­ dex A2) eine Abschrift des 18. Jahrhunderts darstellt. Hier erscheint Bett­ hold II als Fortsetzung einer Kurzfassung der Hermannchronik, welche all­ gemein als ,die Reichenauer Kaiserchronik' bekannt ist. (Das Werk wurde vielleicht von Berthold selbst kompiliert29.) Die Fortsetzung beginnt mit der Vita Hermanni und erstreckt sich bis 1080; sie bricht in diesem Jahresbericht mitten in einem Satz ab. Es ist klar, daß dies nicht das wahre Ende von Berthold II sein kann, aber der Rest des Werkes ist verlorengegangen. Codex A l , obwohl eine Abschrift des 16. Jahrhunderts, enthält die reinste und vollständigste Form von Betthold II. (B) Die Handschrift Muri-Sarnen 10 im Archiv des Benediktinerkollegs Samen (Codex B l ), zur Zeit des Abtes Frowin (1147-1178) im Kloster En­ gelberg abgeschrieben, von der die Handschrift Engelberg, Stiftsbibliothek 9 (Codex B2), auch aus der Zeit Frowins, wiederum eine Kopie darstellt. Eine Abschrift des Muri Codex aus dem 18. Jahrhundert findet sich in Aa­ rau, Hs. 90 ,ex Bibliotheca Beati Fidelis Antonii Zur Lauben' (Codex B3). Der Schreiber von Codex B1 hatte zweifellos Zugang zu einer Handschrift der Bernoldchronik, aus der er Berthold II ergänzte. Zu den Codices B schließt Bertholds Werk mit dem Ende des Jahres 1079, darauf folgt die Bernoldchronik für 1080 -1091. Höchstwahrscheinlich benutzte der Schrei­ ber des Codex B l , ähnlich dem Schreiber von A l , eine Vorlage von Bert­ hold II, in welcher der Jahresbericht für 1080 unvollständig war; er verwarf ihn deshalb zugunsten des vollständigen Jahresberichts der Bernoldchronik. 29 So I. S. Robinson, Deutsches Archiv 36 ( 1 980), S. 84 ff.

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Einleitung

Somit ist zu vermuten, daß schon im 12. Jahrhundert kein vollständiges Exemplar von Berthold II den Klöstern im Bodenseegebiet bekannt war. Bertholds Vita Hermanni ist auch getrennt von der Chronik in der Wie­ ner Handschrift 540 - in die Chronik Ottos von Freising interpoliert - vor­ handen. Es ist daher denkbar, daß die Vita Hermanni auch unabhängig von der Chronik überliefert wurde.

Il. Die Bernoldchronik Während die Verfasserfrage bei der Bertholdchronik lange umstritten war, hat es niemals Zweifel oder Diskussionen über den Autor der Bernoldchro­ nik gegeben. Der Titel auf fol. 12v des Autographen, Clm 432, Hae sunt Cronica Bernoldi quae contradidit monasterio Domini Salvatoris, welcher eine Kurzfassung der Hermannchronik - gefolgt von einer Fortsetzung einleitet, stellt beides als Werk Bernolds vor, eines der bedeutendsten Auto­ ren des späteren 11 . Jahrhunderts. Geboren um 1050 und gestorben am 16. September 1100 im Allerheiligenkloster Schaffhausen, war er Historiker, Polemiker, Kanonist und Liturgiker30. Wahrscheinlich war Bernold Schwabe, obwohl das einmalige Auftreten einer muttersprachlichen Stelle in seinen Schriften nicht für eine nähere Be­ stimmung seiner Herkunft ausreicht31 . In dem Briefwechsel De incontinen­ tia sacerdotum bezeichnet Bernolds Gegner Alboin ihn als unehelichen Sohn eines Priesters32. Er erhielt seine Erziehung in der Domschule von Konstanz: seine Lehrer, Adalbert und Bernhard, werden in der Chronik erwähnt33. Bernhard, später Domschalaster in Bildesheim und selbst Kano­ nist und pro-päpstlicher Polemiker, blieb in brieflicher Verbindung mit sei­ nem ehemaligen Schüler34. In seinen frühesten Schriften erscheint Bernold als Kleriker am Dom von Konstanz, welcher die päpstlichen Reformdekrete verteidigt und die Priesterehe attackiert, in Opposition zu seinem Bischof Otto, den Papst Gregor VII. 1075 wegen reformwidriger Haltung exkom­ munizierte35. Im Jahr 1079 wurden seine Beziehungen zum Papst noch en30 s. J. Autenrieth, Bernold von Konstanz (auch von St. Blasien), Neue Deutsche Biographie 2 ( 1 955), S. 127 f. ; I. S. Robinson, Bernold von St. Blasien, Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 1 (1 978), S. 795 ff. 31 De incontinentia sacerdotum V: ,Ergo et tu cave: Daz dir ieht alsamo bescehe' (MG. Ldl. 2,26). 32 Ebd. Il, S. 12. 33 s. u. a. 1 079, 1 088, 1 09 1 , S. 3 1 6, 360, 376 ff. 34 De damnatione scismaticorum (MG. Ldl. 2, 27 ff.) ; De sacramentis excommu­ nicatorum (ebd., 89 ff.). 35 Apologeticus (MG. Ldl. 2,59 ff.) ; De incontinentia sacerdotum (ebd., 7 ff.).

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ger, als er in Rom bei der Fastensynode anwesend war und die Verkündi­ gung der endgültigen Verdammung der eucharistischen Lehre Berengars von Tours selbst mitanhörte. Das Hauptergebnis seines Romaufenthalts war Bernolds anti-herengarische Abhandlung De veritate corporis et sanguinis Domini (eine sowohl historische wie theologische Schrift), die, wie alle seine Werke, auf die Stärkung der päpstlichen Autorität abzielt36• Gleichfalls wird das sich zuspitzende Schicksal Berengars in der Chronik behandelt. Die Bernoldchronik verweist auf zwei weitere Ereignisse im Leben des Autors. Am 21 . Dezember 1084 wurde er vom päpstlichen Legaten, Kardinalbischof Otto von Ostia (dem späteren Papst Urban II.), zum Priester geweiht und erhielt von ihm Sondervollmachten zur Wiederaufnahme Exkommunizier­ ter. Am 11 . August 1086 war Bernold Augenzeuge der Schlacht bei Pleich­ feld auf der Seite des Gegenkönigs Hermann von Salm37• Vielleicht war er zu dieser Zeit schon Mönch, denn in seiner Streitschrift Apologeticae ratio­ nes, die er kurz nach 1085 verfaßte, spricht er von sich selbst als ,dem ge­ ringsten der Brüder von St. Blasien'38• Später wechselte er ins Allerheiligen­ kloster (monasterium Domini Salvatoris) nach Schaffhausen über. Die Handschriftenüberlieferung seiner Chronik (siehe unten) läßt vermuten, daß die Übersiedlung 1091 geschah. Dafür spricht auch die Tatsache, daß die Jahresberichte der Bernoldchronik nach 1091 detaillierte Mitteilungen über die internen Verhältnisse in Schaffhausen machen. Die Ietzten Jahresberichte bis unmittelbar vor seinem Tod beschreiben ein Kloster, durch Parteiungen zerrissen, von seinem Vogt angegriffen und beraubt und von vielen Brüdern verlassen. Das Autograph der Bernoldchronik, München Clm 432, belegt die Breite der historiographischen Studien Bemolds. Der Codex enthält ein Nekrolog (fol. 1"), dessen kennzeichnendes Merkmal das Auftreten derselben gregoriani­ schen Helden ist, deren Lebensläufe auch in der Chronik vorkommen. Diesem folgt eine Papstliste (fol. 10r), eine Universalchronik in Anlehnung an Bedas De sex aetatibus mundi und verwandte Werke (fol. 12"), gefolgt von einer Kurzfassung der Hermannchronik Bernolds Fortsetzung (fol. 5P) erstreckt sich von 1054 bis zu seinem Todesjahr, 1100. Die Kurzfassung der Her­ mannchronik und die früheren Jahresberichte der Fortsetzung (1054-1074) sind eng angepaßt an die zweite Fassung der Bertholdchronik, oft wörtlich, manchmal stark gekürzt. Bernolds Beitrag zu diesem Teil des Werkes beruht im wesentlichen auf einer Verbesserung der Chronologie sowie auf der Ein­ fügung von Interpolationen (häufig im frühen Teil der Hermannchronik und überall tendenziös). In einigen Jahresberichten zwischen 1054 und 1074 ra36 Hg. H. Weis weiler, Scholastik 12 ( 1 937), S. 58 ff. 37 s. u. s. 338, 352. 38 MG. Ldl. 2,95.

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dierte Bernold später das von ,Berthold II' entlehnte Material aus und er­ setzte es mit Bernoldschen - das gilt besonders für den Lebenslauf Berengars von Tours, dem er, wie sein De veritate corporis et sanguinis Domini belegt, ein großes Interesse entgegenbringt. Der Fall schien ihm nützlich als Beispiel für die Beilegung eines theologischen Disputs und die Widerlegung der Hä­ resie durch päpstliche Autorität39• Gelegentlich ergänzte er das Bertholdma­ terial durch Daten und zusätzliche Informationen. Im letzten Eintrag für 1074 weist das Autograph einen deutlichen Tintenwechsel auf, und mit die­ sem Wechsel tritt eine vollständige Loslösung vom Text des ,Berthold II' ein. Nur in den ersten vier Sätzen von 1075 finden sich noch Spuren der früheren Chronik, danach bringt die B ernoldchronik eine in jeder Hinsicht völlig eigenständige Berichterstattung. Von 1083 bis 1096 sind die Jahresein­ tragungen viel breiter angelegt. Unterschiedliche Tintenfärbung und variie­ rende Schriftgrößen des Autographs lassen vermuten, daß ab etwa 1083 (fol. 58v) die Eintragungen bald nach den jeweiligen Ereignissen, die sie behan­ deln, vorgenommen wurden. Die Bernoldchronik ist wie ,Berthold II' eine durch und durch pro-gre­ gorianische Arbeit, die die pro-päpstlichen Ansichten der Bernoldschen Streitschriften voll absorbiert. Ebenso wie das Werk Bertholds die Einstel­ lung der Reicherrau zur Zeit Abt Eggehards wiedergibt, so spiegelt die Ber­ noldchronik die monastische Reformbewegung Süddeutschlands im späten 11. Jahrhundert. Ein berühmter Abschnitt beschreibt drei Klöster im deut­ schen Königreich, die " hervorragend in ihrer regelmäßigen Zucht gegründet sind, nämlich das Kloster St. Blasien im Schwarzwald, das des heiligen Au­ relius, welches Hirsau, das des heiligen Erlösers, welches Schaffhausen ge­ nannt wird"40• Der Aufbau der Bernold-Fortsetzung gleicht dem der Her­ mannchronik: Jeder Jahresbericht beginnt mit den Weihnachtsfeierlichkeiten des Herrschers. Anhand der Entwicklung des j eweiligen Ersteintrags seiner Jahresberichte läßt sich die wechselnde politische Einstellung Bernolds ganz genau nachvollziehen. Für 1075 und 1076 werden die Weihnachtsfeierlich­ keiten Heinrichs IV. im charakteristischen Stil der Kaiserchronik geboten, wobei der Herrscher ganz im Mittelpunkt der Erzählung steht. Dieses Ver­ fahren wird für die Jahre 1077 bis 1081 aufgegeben, aber wieder hergestellt für 1082 bis 1 088; in der letzten Zeitspanne beschäftigt sich Bernold mit den Feiern des Gegenkönigs Hermann. Schließlich referieren die Jahresberichte für 1092 bis 1100 die Weihnachtsfeierlichkeiten der Päpste Urban II. und Paschalis li. Die Umorientierung der Chronik erscheint hier mit äußerster 39 s. u. a. 1 056, 1 060, S. 280 ff., 284. Über anderen Rasuren beschreibt Bernold den Versuch, Viktor II. ( 1 054) zu vergiften, und die Reformtätigkeit Stephans IX. ( 1 057). 40 s. u. a. 1 083, S. 328. Vgl. H. Jakobs, Der Adel in der Klosterreform von St. Blasien ( 1 968), S. 40 ff., 271 ff., 288 ff.

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Konsequenz durchgehalten. In den Jahresberichten der 1090er Jahre wird das jährliche Itinerar Urbans II. mit ebensoviel Aufmerksamkeit bedacht wie das Itinerar des Königs in der Hermannchronik. Wie ,Berthold II' stützt sich die Berichterstattung Bernolds über das Ver­ hältnis zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. teilweise auf Papstbriefe41 . Seine Darstellung der pro-gregorianischen Synode von Quedlinburg (Ostern 1085) stimmt wörtlich mit der Darstellung der Synode im Codex Vaticanus Reg. 979 überein, was bedeutet, daß Bernold entweder den Be­ richt benutzte oder ihn selbst verfaßte42• Im Unterschied zu ,Berthold II' hat die Bernoldchronik keine breitangelegten erzählenden Stellen. Ihre gelegent­ lichen Abschweifungen beschäftigen sich mit Gegenständen der Bernold­ schen Streitschriften, besonders mit der Exkommunikation und mit den Sakramenten Exkommunizierter, mit Themen also, die er auch in seinem Briefwechsel mit Bernhard von Hildesheim, seinem früheren Lehrer, behan­ delte43. Bernolds etwas schmuckloser, geschäftsmäßiger lateinischer Prosastil besitzt seinerseits nicht die polemische Schärfe eines Berthold. Er scheint sich mehr Isidor von Sevillas empirische Konzeption von der Aufgabe des Historikers (Etymologiae I. 41.1) zu eigen gemacht zu haben, wenn er seine Beschreibung der Schlacht von Pieichfeld (1086) mit der Feststellung ab­ schließt: " Ich selbst, der ich diese Chronik vom Jahr 1054 der Inkarnation des Herrn bis jetzt fortgeführt habe, habe mich auch bemüht, über die er­ wähnte Schlacht nicht so sehr die Berichte anderer als vielmehr das, was ich selbst gesehen und gehört habe, zu Gottes Lob und Ehre den Gläubigen zu künden." Obwohl seine Sprache gemäßigter ist, sind seine Überzeugungen nicht weniger pro-gregorianisch. Feinde, wie z. B. Embriko von Augsburg (1077), der Patriarch Sigehard von Aquileja (1077), Bischof Otto von Kon­ stanz (1086), Gegenbischof Hermann von Passau (1087), werden in die Höl­ le verbannt, wenn auch in weniger blutrünstiger Sprache als bei Berthold. In erster Linie beschäftigt sich die Bernoldchronik mit den Taten der gre­ gorianischen Helden, weltlichen wie geistlichen. Einige dieser Helden wur­ den auch in der Benholdchronik gefeiert, z. B . Petrus ,lgneus', Kardinalbi­ schof von Albano und Abt Wilhelm von Hirsau, " ein für die Sache des heiligen Petrus glühendster und im mönchischen Leben eifrigster Mann, der Vater vieler Klöster" . Als Schutzherr seines eigenen Klosters St. Blasien nimmt der Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden eine zentrale Position in der Erzählung Bernolds ein: Rudolf, " ein zweiter Makkabäer, der in der vordersten Reihe die Feinde bedrängte" . In den Jahresberichten von 1077 41 JL 49 33, Registrum VI. 1 7a: s. u. S. 298, 314. 42 MG. Const. 1, 65 1 ff. Vgl. M. Sdralek, Die Streitschriften Altmanns von Passau und Wezilos von Mainz ( 1 890), S. 1 78. 43 s. u. a. 1 085, 1 09 1 , S. 336, 378 ff.

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bis 1080 bezeichnet das einfache rex immer nur Rudolf. Bernold ist hier konsequenter als Berthold, der Heinrich IV. nicht den Königstitel abspricht. Den weltlichen Verfechtern der gregorianischen Sache legt Bernold be­ zeichnenderweise den Titel " Ritter des heiligen Petrus" (milites sancti Petri) bei44• Mit diesem Titel werden bedacht: der römische Präfekt Cencio di Giovanni Tignoso, Hezilo, der Vogt der Reichenau, Graf Hugo von Egis­ heim, Graf Kuno von Wülflingen, Graf Udalrich von Bregenz. An Graf Friedrich von Mömpelgard wird hervorgehoben, daß er " nach Art des hei­ ligen Sebastian im weltlichen Gewand der eifrigste Streiter Christi war. . . . In seiner Treue zum heiligen Petrus kämpfte er auf das Eifrigste gegen die Schismatiker" . Graf Friedrichs Verwandte, die Markgräfin Mathilde von Tuszien, wird beschrieben als " eine äußerst treue Streiterin des heiligen Pe­ trus" und als " eine Tochter des heiligen Petrus" . Bernold formuliert seine Ansicht von der Rolle der Laien in der christlichen Gesellschaft sehr klar im Jahresbericht für 1089, in welchem er die Heirat Mathildes mit Welf V. von Bayern behandelt. Diese kam zustande " nicht aus mangelnder Enthalt­ samkeit, sondern aus Gehorsam gegenüber dem römischen Papst, um näm­ lich der heiligen römischen Kirche desto kräftiger gegen die Exkommuni­ zierten beistehen zu können«45• Das Thema der obedientia Romani pontificis bildet wie in den andern Schriften Bernolds den zentralen Angelpunkt der Bernoldchronik. Es ist der didaktische Zweck der Chronik, nicht weniger als der Streitschriften, die Gehorsamspflicht gegenüber dem Heiligen Stuhl unter Beweis zu stellen. Die Bodenseechronistik, die mit dem Werk Her­ manns von Reichenau als Aufzeichnung der militärischen und politischen Erfolge des Kaisers beginnt, endet mit der Verteidigung der gregorianischen kirchenpolitischen Position durch Bernold.

Handschriftenüberlieferung Bernolds Autograph, München Clm 432 (M), enthält die Fortsetzung der Hermannchronik von 1054 bis 1100 mit vielen Radierungen und Zusätzen. Würzburg, Universitätsbibliothek M.p.h.f. 1 (W), ist ein Exemplar des 12. Jahrhunderts, welches die Chronik von 1054 enthält, die zum Jahr 1099 mitten im ersten Satz abbricht. Der Verlust einer Anzahl von Seiten unter­ bricht den Text am Ende von 1088 bis zum Beginn von 1089 und wiederum Ende 1092 bis zum Beginn von 1093. Der Codex enthält aber auch viele absichtliche Auslassungen, besonders Belobigungen der gregorianischen Helden und Vorwürfe gegen Heinrich IV. Der Schreiber von W teilte offen44 Vgl. C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens ( 1 9 35), S. 1 89 f. 45 s. u. s. 368.

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bar nicht die Ansichten Bernolds. Die Handschrift entstand i m Kloster Gen­ genbach, wie aus den Zusätzen zu Bernolds Text hervorgeht. Diese geben Aufschluß über die Äbte von Gengenbach und über Ereignisse, die aus­ schließlich für das Kloster selbst von Belang waren. Basel, Handschrift O.II.36 (B), eine Papierhandschrift aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, gehörte früher dem Basler Rechtsgelehrten Ba­ silius Amerbach (1533 -1591). Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde der Co­ dex vor dem Erscheinen des Drucks durch Christian Urstisius (Wurstisen), Germaniae Historicorum illustrium, 1585 (U) angefertigt. Möglicherweise ist der Basler Codex eine Abschrift der Handschrift, die Urstisius in seinem Vorwort erwähnt, die ihm der Basler Richter Franz Rechburger gegeben hatte und die sonst unbekannt ist. Der Basler Codex enthält die ganze Ber­ noldchronik bis 1100 und umfaßt (wie U) auch einen im Autograph fehlen­ den Eintrag, nämlich den Bericht über den Tod Hermanns des Lahmen von 1054. Der Urstisius-Druck (und vielleicht auch Codex B) bietet uns das einzige Zeugnis des Textbestandes der Bernoldchronik, wie sie im Codex St. Georgen bei Villingen festgehalten war, j edoch 1768 durch einen Brand verloren ging. Die Codices Muri-Sarnen 10 (Mu) und Engelberg 9 (E) enthalten die Bernoldchronik von 1080 bis Mitte 1091 . Der Textabschluß im Jahr 1091 läßt vermuten, daß dem Schreiber des Muri Codex eine Abschrift der Ber­ noldchronik vorlag, die bei Bernolds Übersiedlung nach Schaffhausen in St. Blasien zurückblieb. Der Muri Codex ist daher auch bei der Datierung von Bernolds Abreise hilfreich. In diesen Codices fehlen einige der späteren Bernoldschen Änderungen und Zusätze. Der Codex der Bertholdchronik, Aarau Hs. 90 (18. Jahrhundert) enthält die Bernoldchronik von 1080 bis 1091 nach dem Muri Codex und die späteren Jahresberichte von 1091 bis 1100 nach München Clm 432.

L ITE RATURVER Z E I C H N I S Bisherige Ausgaben Herimanni Augiensis Chronici Continuatio . . . auctore, ut videtur, Bertholdo, ed. G. Waitz, MG. SS. 1 3 ( 1 8 8 1 ), 7 30 ff. (,Berthold I') . Bertholdi Annales, e d . G. H . Pertz, M G . S S . 5 ( 1 844), 267 ff. (,Berthold II'). Bernoldi Chronicon, ed. G. H. Pertz, MG. SS. 5 (1 844), 426 ff. (Bernoldchronik).

Deutsche Übersetzungen G. Grandaur, in: Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 47 (2. Auflage, 1 89 3) (,Berthold II'). E Winkelmann, in: Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 47 (2. Auflage, 1 89 3) (Bernoldchronik).

Einige Literaturhinweise J. Autenrieth, Die Domschule von Konstanz ( 1 956). J. Autenrieth, Bernold von Konstanz (auch von St. Blasien), Neue Deutsche Biogra­ phie 2 ( 1 955), S. 1 2 7 f. H. Bresslau, Beiträge zur Kritik deutscher Geschichtsquellen des 1 1 . Jahrhunderts, N. F. I, Neues Archiv 27 ( 1 902), S. 1 27 ff. W. Hartmann, Bernold von Konstanz, Lexikon des Mittelalters 1 ( 1 980), S. 2007 f. R. Kuithan!J. Wollasch, Der Kalender des Chronisten Bernold, Deutsches Archiv 40 ( 1 984), s. 478 ff. G. Meyer von Knonau, Jahrbücher des deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., 1 - 5 ( 1 890 -1 904); vgl. besonders 2 ( 1 894), S. 905 ff. 0. Prinz, Mittelalterliches im Wortschatz der Annalen Bertholds von Reichenau, Deutsches Archiv 30 ( 1 974), S. 488 ff. I. S. Robinson, Bernold von St. Blasien, Die deutsche Literatur des Mittelalters. Ver­ fasserlexikon 1 (1 978), S. 795 ff. I. S. Robinson, Die Chronik Hermanns von Reichenau und die Reichenauer Kaiser­ chronik, Deutsches Archiv 36 ( 1 980), S. 84 ff. I. S. Robinson, B ernold von Konstanz und der gregorianische Reformkreis um Bi­ schof Gebhard III., Freiburger Diözesan-Archiv, 3. Folge, 4 1 ( 1 989), S. 1 55 ff. F. -J. Schmale, Die Reichenauer Weltchronistik, in: Die Abtei Reichenau. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Inselklosters, hg. H. Maurer ( 1 974), s. 1 25 ff.

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Literaturverzeichnis

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B E RTH O L D I C H R O N I C O N ( F O RMA PRIMA)

B E RTH O L D C H R O N I K (ERSTE FASSUNG)

Herimannus1 Wolferadi comitis2 filius ab infantia omnibus membris con­ tractus, sed omnes tune temporis viros sapientia et virtutibus praecellens, in Aleshusan praedio suo defunctus ac sepultus est. Werinherus3 et Li­ utherus in Hierosolymitano itinere defuncti sunt. Conventus ab impera­ tore4 Mogonciae factus est, in quo Gebehardus Eiestetensium episcopus5 ab episcopis electus Romamque missus ibique honorifice susceptus, in sequenti quadragesima in coena Domini6 CLIIII. papa ordinatus Victo­ ris secundi nomen accepit. MLV. Imperator natalem Domini Goslare celebravit ac deinde expe­ ditionem in Italiam paravit et diem sanctum• paschae7 Mantuae egit, diem autem pentecostes8 Florentiae. Ibique coram eo a domno papa generali synodo habita, multa correcta sunt. Imperator Adalbertum9 capitali sen­ tentiae adiudicatum per interventum episcoporum dimisit. Eodem tem­ pore L aut eo amplius armati milites a Normannia latenter per mare transeuntes, Nordmannis contra imperatorem auxilium praebere cupien­ tes, a Pisentibus civibus capti atque ad imperatorem delati 10• Imperator Othonem Novariensem episcopum1 1 Constantinopolim misit, ubi pro Michaele12 nuper defuncto quandam feminam13 totius regni monarchiam tenentem invenit. Quae illum sequenti anno suis etiam legatis adiunctis amicitiam pactumque confirmandum imperatori remisit. Beatrix14 impe-

a sanctae Sichard.

Hermanni, Sohn des Grafen Wolfrad2, der seit seiner Kindheit an allen Gliedern gelähmt war, aber alle seine Zeitgenossen an Weisheit und Tugen­ den übertraf, starb auf seinem Gut Altshausen und wurde dort begraben. Werinharius3 und Liutharius starben auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Vom Kaiser4 wurde ein Reichstag in Mainz abgehalten, auf welchem Bischof Gebhard von Eichstätt5 von den Bischöfen gewählt und nach Rom geschickt wurde; nach einem ehrenvollen Empfang wurde er dort in der Fastenzeit des folgenden Jahres an Gründonnerstag6 zum 154. Papst geweiht und nahm den Namen Viktor II. an. 1055. Der Kaiser feierte die Geburt des Herrn in Goslar und rüstete da­ nach zu einem ltalienzug; er verbrachte den heiligen Ostertag7 in Mantua, den Pfingsttag8 aber in Florenz. Dort wurde in seinem Beisein vom Papst eine allgemeine Synode abgehalten, und viele Mißstände wurden korrigiert. Der Kaiser entließ auf Intervention der Bischöfe Adalbert,9 welcher zum Tode verurteilt worden war. Zur gleichen Zeit wurden fünfzig oder mehr bewaff­ nete Krieger aus der Normandie von den Bürgern von Pisa gefangengenom­ men und dem Kaiser übersandt; denn diese hatten heimlich das Meer über­ quert in der Absicht, den Normannen gegen den Kaiser beizustehen. 10 Der Kaiser schickte Bischof Oddo von Novara" nach Konstantinopel, wo dieser an Stelle des kürzlich verstorbenen Michael'2 eine Frau13 im Besitz der Al­ leinherrschaft über das ganze Reich vorfand. Diese schickte ihn im folgenden Jahr zusammen mit ihren eigenen Botschaftern zum Kaiser zurück, um ihre Freundschaft und ihren Vertrag zu bekräftigen. B eatrix14 kam, um sich dem 1

Hermann der Lahme von Reichenau ( 1 0 1 3-1 054). Wolfrad li. von Altshausen (t 1 065). 3 Werinharius, der Bruder Hermanns, und Liutharius, zwei Reichenauer Mönche, begannen ihre Pilgerfahrt 1 0 5 3 (Hermann, Chronicon 1 05 3) . 4 Heinrich III. 5 1 042 -1 057; Papst Viktor II. ( 1 055 -1 057). 6 1 3. April 1 055. 7 1 6 . April. 8 4. Juni. 9 Vielleicht der ,Markgraf Adelbertus', den der Kaiser in Roncaglia verhört hatte (Arnulf, Liber gestorum recentium III. 1 6). 10 V gl. Lampert, Armales 1 055; aber keine andere Quelle bietet eine genaue Parallele. 1 1 Oddo II. (t 1 078 ?). 12 Der jüngst verstorbene Kaiser war Konstantin IX. Monomachus ( 1 042 -1 055). 1 3 Kaiserin Theodora ( 1 05 5 - 1 056). 1 4 Beatrix von Lothringen, Markgräfin von Tuszien (t 1 076). 2

Bertholdi Chronicon (Forma prima)

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ratori ad deditionem veniens, causa mariti sui15 quanquam data fide, te­ netur filiusque eius puer Bonifacius16 hac causa venire veretur. Sed non multis interpositis diebus, cum imperator ibidem moraretur, idem puer moritur. Gebehardus Ratisponensis episcopus17 et Welffus dux18 licenti­ am repatriandi ab Italia impetraverant militesque eorum, illis ut aiunt ignorantibus, contra imperatorem coniuraverunt. Quo tempore Welffus dux, suis et omni populo admodum flebili morte praeventus 19, apud Al­ torfense coenobium20 sepultus est. Arnoltus episcopus N emetensisb ·21 moritur. MLVI . Imperator de Italia per Baioariam rediens natalem Domini apud castrum Turegum celebravit ibique Othonis marchionis22 filiam23 aequivoco suo filio24 desponsavit. Gebehardus Ratisponensis episcopus ab imperatore de coniuratione contra se facta victus primum in castro Ulfilingino25 dein in Stofola26 per aliquod tempus sub custodia tenetur. C onradus27 ab imperatore Nemeti pro Arnolto episcopo substituitur. Herimannus Agrippinae urbis archiepiscopus28 obiit. Pro quo Hanno29 Goslare prius praepositus in archipraesulatum successit. Imperator diem sanctum paschae

...c.Jo

celebravit. Eodem anno Sclafi, qui Liutici dicun­

tur, terminos Saxonum insectantes quamplurimos eorum principes cum Wilhelmo marchione3 1 peremerunt. Henricus imperator, domno apostolico ad se tempore autumnali invi­ tato, cum in Saxonia in Bothfeldino32 commoraretur, morbo ingraves-

b Metensis Sichard. c Lücke Sichard.

Bertholdchronik (Erste Fassung)

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Kaiser zu unterwerfen, und wurde wegen ihres Gemahls15, obwohl sie Treue gelobt hatte, gefangengehalten; aus diesem Grund fürchtete sich ihr Sohn, der Knabe Bonifatius 16, zu kommen. Aber vor Ablauf weniger Tage, als der Kai­ ser noch an dem selben Ort weilte, starb der Knabe. Bischof Gebhard von Regensburg17 und Herzog Welf1 8 hatten die Erlaubnis erhalten, aus Italien in die Heimat zurückzukehren. Ihre Krieger aber verschworen sich, angeblich ohne daß Bischof und Herzog davon wußten, gegen den Kaiser. Zu dieser Zeit wurde - sehr zum Jammer für die Seinen und das ganze Volk - Herzog Welf vom Tode überrascht19 und im Kloster Altorf2° begraben. Bischof Ar­ nold von Speyer1 starb. 1056. Der Kaiser kehrte über Bayern aus Italien zurück und feierte die Geburt des Herrn in der Burg Zürich; dort verlobte er seinen gleichnamigen Sohn24 mit der Tochter23 des Markgrafen Otto22• Bischof Gebhard von Re­ gensburg wurde vom Kaiser der Verschwörung gegen ihn überführt und eine Zeitlang in Gewahrsam gehalten, zuerst in der Burg Wülflingen25, da­ nach in der Burg Stoffeln26• Konrad27 wurde vom Kaiser in Speyer als Nach­ folger Bischof Arnolds eingesetzt. Erzbischof Hermann von Köln28 starb. Ihm folgte Anno29, der frühere Propst von Goslar, im Erzbischofsamt. Der Kaiser feierte den heiligen Ostertag . . . 30• In diesem Jahr gingen die Slaven, welche Liutizen genannt werden, gegen die Grenzen der Sachsen vor und töteten sehr viele ihrer Fürsten zusammen mit dem Markgrafen Wilhelm31 • I m Herbst lud Kaiser Heinrich, als er in Bodfeld32 i n Sachsen weilte, den Papst zu sich ein; jener war von einer sich ständig verschlimmernden Krank1 5 Ihr zweiter Mann, Gottfried der Bärtige, Herzog von Ober- und Niederlothringen (t 1 069). 16 Fridericus, nach Donizo, Vita Mathildis I. 10 (MG. SS. 12, 368). 1 7 Gebhard III. (1 0 36 -1 060), Bruder von Kaiser Konrad II. 1 8 Welf 111., Herzog von Kärnten (1 047-1 055) und Markgraf von Verona. 1 9 1 3. November. 2° Kloster Weingarten (St. Martin) bei Altdorf. 2 1 1 054 -1 055; t 2. Oktober. 22 Graf von Savoyen (t 1 057/1 060). 23 Bertha von Turin bzw. Susa ( 1 05 1 -1 087). 24 Heinrich IV. 25 Im Thurgau. 26 Im Hegau. 27 1 056 -1060. 28 Hermann II . ( 1 0 36 -1 056), t 1 1 . Februar. 29 Anno II. ( 1 056 -1 075). 30 7. April, in Paderborn. 3 1 Markgraf von der Nordmark, t 1 0. September. 32 Bei Quedlinburg.

Bertholdi Chronicon (Forma prima)

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cente infirmatus obiie3 anno aetatis suae XXXIX., regni vero XVIII., imperii XV., indictione X. Qui inde asportatus Nemetumque translatus in ecclesia sanctae Mariae, quam ipse construxerat adhuc imperfecta, iux­ ta patrem34 matremque35 sepultus. Et filius eius Henricus quartus VII. aetatis annum habens, pro eo regni iura suscipiens, a primoribus matri imperatrici36 educandum est commendatus. MLVII. Henricus rex natalem Domini Ratisponae celebravit. VII . Ka­ lendas Maias immensitas nivis et pruinae magnam partem vinearum per­ didit. Romae Victor secundus decessit37• In cuius locum Fridericus38 fra­ ter Gotefridi ducis, dudum beati Leonis papae39 archidiaconus, tune au­ tem temporis monasterii sancti Benedicti abbas, CLV. papa ordinatus, Stephanus nonus d est nominatus. Otho dux Alemannorum40 obiit, cuius ducaturn Rodolphus41 accepit. Hoc anno Iapides mirae magnitudinis mixti grandine de coelo ceciderunt et nonnulli hominum fulmine perie­ runt. MLVIIIe. Romae Stephanus papa obiit42• Romani autem accepta pe­ cunia quendam Ioannem43 contra canones elegerunt, qui sine consecra­ tione per aliquot dies sedens a Gotefrido duce expellitur44 atque Floren­ tinae civitatis episcopus45 CLVI. papa substitutus Nicolaus secundus est vocatus. Eodem tempore Henricus Augustensis episcopus46 apud impe­ ratricem summum consilii locum habuit, quod nonnullis regni principi­ bus eius insolentiam non ferentibus multum displicuit. MLVIIII. Hoc anno magna mortalitas hominum et pestis pecorum facta est47• Orto inter Mediolauenses et Ticinenses b ello multi ex utraque

d VIII Sichard. e

fehlt Sichard.

Bertholdchronik (Erste Fassung)

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heit geschwächt und starb33 im 39. Jahr seines Lebens, im 18. Jahr seines Königtums, im 15. Jahr seines Kaisertums, in der zehnten Indiktion. Von dort wurde er nach Speyer überführt und in der Kirche der heiligen Maria, die er selbst erbaut hatte, die aber noch unvollendet war, neben seinem Vater34 und seiner Mutter35 begraben. Sein siebenjähriger Sohn Heinrich IV. erhielt an seiner Stelle die Regierungsgewalt und wurde von den Vornehm­ sten der Kaiserinmutter36 zur Erziehung anvertraut. 1057. König Heinrich feierte die Geburt des Herrn in Regensburg. Am 25. April verdarben unermeßliche Schneemassen und starker Rauhreif einen großen Teil der Weinreben. In Rom starb Viktor 11.37 An seiner Stelle wurde Friedrich38, der Bruder Herzogs Gottfrieds, ehemals Erzdiakon des seligen Papsts Leo39, aber zu dieser Zeit Abt des Klosters des heiligen Benedikt, zum 155. Papst geweiht; er erhielt den Namen Stephan IX. Otto, Herzog der Schwaben40, starb, und Rudolf41 erhielt sein Herzogtum. In diesem Jahr fielen Steine von erstaunlicher Größe mit Hagel vermischt vom Himmel, und einige Menschen wurden vom Blitz erschlagen. 1058. In Rom starb Papst Stephan42. Die Römer aber wurden bestochen und wählten einen gewissen Johannes43 gegen die Kanones; ohne Konsekra­ tion regierte er einige Tage und wurde von Herzog Gottfried vertrieben44; der Bischof von Florenz45 wurde an seiner Stelle zum 156. Papst eingesetzt und Nikolaus II. genannt. Zu dieser Zeit war Bischof Heinrich von Augs­ burg46 der wichtigste Ratgeber der Kaiserin; das mißfiel manchen Fürsten des Reiches, die sich nicht mit seiner Überheblichkeit abfinden wollten. 1059. In diesem Jahr kam es zu einem großen Sterben unter den Men­ schen und einer beträchtlichen Seuche unter dem Vieh47. Eine Fehde ent33 5. Oktober. 34 Konrad li. 35 Gisela. 36 Agnes von Poitou ( 1 025 ?-1077). 37 t 28. Juli in Arezzo. 3 8 Friedrich von Lothringen, Kardinalpriester von St. Chrysogonus; Papst Stephan IX. ( 1 057-1 058). 39 Leo IX. ( 1 048-1054). 40 Otto 111. von Schweinfurt, t 28. September. 41 Rudolf von Rheinfelden, Herzog von Schwaben ( 1 057-1 080); Gegenkönig ( 1 077-1 080). 42 t 29. März in Florenz. 43 Kardinalbischof Johannes II. von Velletri (t um 1 073); Papst Benedikt X. ( 1 058 1 059). 44 Wahrscheinlich Mitte Januar 1 059. 45 Gerard ( 1 045 -1061); Papst Nikolaus II. ( 1 058/9 -106 1 ) . 46 Heinrich I I . ( 1 047-1063). 47 Vgl. Annales Altahenses 1 059.

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Bertholdi Chronicon (Forma prima)

parte ceciderunt48. Rodolphus Alemannarum dux Mathildam Henrici regis sororem duxit uxorem. Puldis Eberhardus abbas49 decessit, cui Si­ gefridus50 successit. Andraeas Pannoniae rex5 1 , cum prius pacem pactum­ que per legatos cum Henrico rege confirmasset, etiam sororem eius mi­ norem52 filio suo adhuc puero53 sponsam obtinuit. MLX. Henricus Galliarum rex54 obiit et filius eius, adhuc puer55, reg­ num cum matre56 gubernandum suscepit. Liudpaldus Mogonciensis ar­ chiepiscopus57 decessit, cui Sigefridus Puldis abbas successit58. Conradus Nemetensis episcopus moritur59, in cuius locum Einhardus60 promove­ tur. Mathildas soror regis obiit6 1 . Henricus palatinus comes62 in amenti­ am versus, cum sub specie religionis quasi seculum derelinquens in mo­ nasterium Ephtirnacha63 se contulisset, inde abstractus coniugem suam64 occidit. Et hoc anno, sicut in priori, mortalitas multos extinxit. Hyems satis dura et nivosa et plus solito prolixa frumenti vinique maximum attulit damnum. Andraeas rex Pannoniarum cum a fratre suo65 regnum sibi circunquaque vastante multas iniurias perpessus fuisset, tandem fe­ bre pulsatus omnes thesauros suos in castrum Medilhecka necnon et filium suum66 Henrico regi per Tiedbaldum comitem67 transmisit.

Bertholdchronik (Erste Fassung)

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stand zwischen den Mailändern und den Pavesern und viele starben auf beiden Seiten48. Rudolf, Herzog der Schwaben, heiratete Mathilde, die Schwester König Heinrichs. Abt Eberhard von Fulda49 starb, und Siegfried50 wurde sein Nachfolger. Nachdem König Andreas von Ungarn51 schon frü­ her durch Gesandte einen Friedensvertrag mit König Heinrich geschlossen hatte, erhielt er dessen jüngere Schwester52 als Verlobte für seinen Sohn53, der noch ein Knabe war. 1060. Der Gallierkönig Heinrich54 starb, und sein Sohn55, der noch ein Knabe war, übernahm die Regierung zusammen mit seiner Mutter56. Erzbi­ schof Liutpold von Mainz57 starb, und Abt Siegfried von Fulda wurde sein Nachfolger8. Bischof Konrad von Speyer starb59; an seiner Stelle wurde Einhard60 eingesetzt. Mathilde, die Schwester des Königs, starb61 . Pfalzgraf Heinrich62 verfiel dem Wahnsinn, nachdem er unter dem Anschein der Frömmigkeit die Welt gleichsam verlassen und sich in das Kloster Echter­ nach63 begeben hatte; er riß sich von demselben wieder los und tötete seine Gemahlin64• Und in diesem Jahr, wie schon im vorhergehenden, löschte die Sterblichkeit viele Menschen aus. Der Winter, der ziemlich hart und schnee­ reich und länger als gewöhnlich war, schadete dem Getreide und den Reben sehr. Andreas, König der Ungarn, welchem viel Schaden durch seinen Bru­ der65 zugefügt worden war - letzterer hatte sein ganzes Reich verwüstet erlitt einen Fieberanfall und schickte alle seine Schätze in die Burg Melk, seinen Sohn66 aber durch den Grafen Dietpald67 zum König Heinrich. 48 Die Feindseligkeiten gipfelten in der Schlacht von Campo Morto, 23. Mai 1 06 1 . 49 Ekbert (1 047-1 058), t 1 7. November. 50 1 058 -1 060. 5 1 Andreas I. ( 1 046 -1060). 5 2 Judith Ct 1 093/5), in Ungarn als Sophia bekannt. 53 Salomo ( 1 052 ?-1 087), König von Ungarn ( 1 063 -1 074). 54 Heinrich I. ( 1 03 1-1 060). 55 Philipp I. ( 1 060 -1 1 08). 56 Anna von Kiew Ct vor 1 090). 57 1 05 1-1 059, t 7. Dezember. 5 8 Siegfried I. ( 1 060 -1 084). 59 12. Dezember. 60 1 060 -1 067. 61 12. Mai. 62 Heinrich I., Pfalzgraf von Lothringen. 63 Berthold verwechselt den Ort der späteren Gefangenschaft Heinrichs mit Gorze, dem Ort seiner ersten Profeß. 64 Mathilde, Tochter Gozelos I., Herzog von Ober- und Niederlothringen. 65 Bela I., König von Ungarn ( 1 061-1 063). 66 Salomo. 67 Zu seiner Identität s. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1, S. 1 98 Anm. 62.

Bertholdi Chronicon (Forma prima)

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MLXI1. Magna fames multos consumpsit. Gebehardus Ratisponensis episcopus obiit68, cui Otho69 successit. Conradus70, qui Carentanis solo nomine ducis praefuit, moriens locum dedit, cuius ducaturn B ertholdus 71 Suevigena accepit. Romae Nicolao papa defuncto72 Romani coronam et alia munera Henrico regi transmiserum eumque pro eligendo summo pontifice interpellaverunt. Qui ad se convocatis omnibus Italiae episcopis generalique conventu B asileae habito73 eadem imposita corona patritius Rarnanorum appellatus est. Deiode cum communi consilio omnium Par­ meusern episcopum74 summum Romanae ecclesiae elegit pontificem. In­ terim dum haec aguntur, Anshelmus episcopus de Luca75 quibusdam Romanis faventibus apostolicam sedem sibi usurpavit. Burchardus et Wezil de Zolorin76 occiduntur. Ecclesia Nemetensis dedicatur. Et Agna imperatrix depositis regalibus vestimentis sacro velamine circundata77• MLXII. VI. Idus Februarii terraemotus, fulgura et tonitrua facta sunt. Pestilentia et mortalitas subsecuta multos extinxit. Henricus rex apud Traiectum Frisiae urbem diem paschae78 cum matre imperatrice egit. His diebus Hanno Agrippinae Coloniae archiepiscopus adnitentibus quibus­ dam regni principibus Henricum regem cum lancea et aliis imperii insig­ nibus a matre imperatrice vi arripuit secumque Coloniam adduxir19• Par­ mensis episcopus dudum electus Romam consecrandus adiit. Cui cum Romani armati occurrerent ingressumque prohiberent, multitudo iBo­ rum a militibus eius et occiduntur et in Tiberi submerguntur, caeteri fugantur80•

1 fehlt Sichard.

Bertholdchronik (Erste Fassung)

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1061. Eine große Hungersnot raffte viele Menschen dahin. Bischof Geb­ hard von Regensburg starb68, und Otto69 wurde sein Nachfolger. Konrad70, welcher den Kärntnern nur dem Namen nach als Herzog vorgestanden hat­ te, starb und der Schwabe Berthold71 übernahm sein Herzogtum. Nachdem Papst Nikolaus in Rom gestorben war72, schickten die Römer dem König Heinrich eine Krone und andere Geschenke und riefen ihn wegen der Wahl eines Papstes an. Er rief alle Bischöfe Italiens zu sich und hielt in Basel einen allgemeinen Hoftag ab73, setzte sich die von den Römern geschickte Krone auf und wurde zum Patrizier der Römer erklärt. Danach wählte er mit dem einstimmigen Rat aller den Bischof von Parma74 zum höchsten Bischof der römischen Kirche. In der Zwischenzeit usurpierte Bischof Anselm von Luc­ ca75 unter Begünstigung gewisser Römer den Apostolischen Stuhl. Burchard und Wezil von Zollern76 wurden getötet. Die Kirche von Speyer wurde geweiht. Und die Kaiserin Agnes nahm den heiligen Schleier, nachdem sie die königlichen Gewänder abgelegt hatte.77 1062. Am 8. Februar kam es zu einem Erdbeben mit Blitz und Donner. Eine todbringende Seuche löschte viele Menschen aus. König Heinrich fei­ erte den Ostertag78 in Utrecht, einer Stadt in Friesland, zusammen mit der Kaiserinmutter. Unter Zustimmung einiger Reichsfürsten entriß Erzbischof Anno von Köln in diesen Tagen mit Gewalt den König Heinrich zusammen mit der Lanze und anderen Reichsinsignien der Kaiserinmutter und führte ihn mit sich nach Köln79• Der Bischof von Parma, der zuvor gewählt worden war, ging zu seiner Konsekration nach Rom. Als die Römer sich ihm be­ waffnet entgegenstellten und seinen Einzug zu verhindern suchten, wurden viele von ihnen durch dessen Krieger getötet oder sie ertranken im Tiber; der Rest wurde in die Flucht geschlagen80• 68 2. Dezember 1 060. 69 1 060/1-1089. 70 1 05 6 - 1 06 1 . 71 Berthold I. von Zähringen ( 1 061-1078). 72 1 9. Juli. 73 26. Oktober. 74 Cadalus ( 1 046 -1071); Gegenpapst Honorius Il. 75 Anselm I. ( 1 057-1 073); Papst Alexander Il. ( 1 06 1 -1 073). 76 s. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1 , S. 2 1 4 Anm. 26. 77 Vielleicht am 22. November in Speyer: s. M. Black-Veldtrup, Kaiserin Agnes ( 1 995), s. 1 37. 78 3 1 . März. 79 Nur Berthold, der dieses Ereignis mit seinem Bericht zu den Osterfeierlichkei­ ten verbindet, bietet ein annäherndes Datum für die Entführung Heinrichs IV. bei Kaiserswerth: s. G. Jenal, Erzb. Anno li. v. Köln 1 ( 1 974), S. 1 75 ff. 80 14. April.

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Bertholdi Chronicon (Forma prima) MLXIII. Tempore veris, medio mense Aprilis, per quatuor dies hy­

ems saeva, ventosa et nivosa aves et pecora frigore extinxit, arborum et vinearum maximam quoque partem perdidit. Engilhardus episcopus de Magdiburg81 obiit, cui frater Coloniensis archiepiscopi82 successit. Hen­ ricus Augustensis episcopus obiit83, cui Imbricus84 successit. Eodem anno quaedam mulier iuxta Constantiam infantem duo capita necnon et caetera membra ad usque dunes duplicia habentern peperit. MLXIIII. Henricus rex natalem Domini Coloniae celebravit, diem paschae85 autem Leodii. Synodus Mantuae86• MLXV. Henricus rex natalem Domini Goslare, diem autem paschae87 Wormatiae celebravit. Domus regalis Goslari concremata est. Quod et factum est in VI. Kal. Aprilis, indictione 111. Et ibidem88 accinctus est gladio89 anno regni sui IX., aetatis autem suae XIIII. Et dux Gotifridus

scutarius eius eligebatur. Pataviensis episcopus90 obiit, cui Altmannus91 imperatricis capellanus successit. Hoc tempore Sigifridus Mogonciacen­ sis archiepiscopus, Wilhelmus Traiectensis episcopus92 et Guntharius Ba­ binbergensis episcopus93, Otto Ratisponensis episcopus cum magno ap­ paratu et comitatu Hierusalern proficiscentes94 in eo itinere a paganis multa sunt perpessi. Nam et bellum cum eis inire sunt coacti. In eadem via Guntharius obiit95, cui Ricimannus96 symoniace successit.

Bertholdchronik (Erste Fassung)

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1063 . I m Frühjahr, Mitte April, vernichtete ein vier Tage anhaltendes scharfes, stürmisches und schneereiches Winterwetter Vögel und Vieh und verdarb den größten Teil der Bäume und Weinstöcke. Bischof Engelhard von Magdeburg81 starb; der Bruder des Erzbischofs von Köln82 wurde sein Nachfolger. Bischof Heinrich von Augsburg starb83; ihm folgte Embriko84. Im selben Jahr gebar eine Frau bei Konstanz ein Kind, welches zwei Köpfe und auch sonst bis zum Gesäß alle Glieder doppelt hatte. 1064. König Heinrich feierte die Geburt des Herrn in Köln, den Oster­ tag85 aber in Lüttich. Eine Synode in Mantua86. 1065. König Heinrich feierte die Geburt des Herrn in Goslar, den Oster­ tag87 aber in Worms. Der Königshof in Goslar brannte ab. Dies geschah am 27. März, in der dritten Indiktion. Und am selben Ort88 wurde er im neun­ ten Jahr seiner Regierung, aber in seinem 14. Lebensj ahr mit dem Schwert umgürtet89. Und Herzog Gottfried wurde zu seinem Schildträger gewählt. Der Bischof von Passau90 starb; sein Nachfolger wurde Altmann9I , der Ka­ plan der Kaiserin. Zu dieser Zeit zogen Erzbischof Siegfried von Mainz, Bischof Wilhelm von Utrecht92, Bischof Gunther von Bamberg93 und Bi­ schof Otto von Regensburg mit großem Troß und Gefolge nach Jerusalem94; auf dieser Pilgerfahrt wurde ihnen von den Heiden viel Leid zugefügt. Sie waren nämlich sogar gezwungen, mit ihnen zu kämpfen. Unterwegs starb Gunther95; ihm folgte Ricimann96 auf simonistische Weise.

81 82 83 84 85 86

1 05 1-1 063, t 3 1 . August. Werner (1 063 -1 078). 3 . September. 1 063 -1 077. 1 1 . April. Die Synode vom 3 1 . Mai, welche den Anspruch Alexanders Il. auf das Papsttum gegen Cadalus feststellte. 87 27. März. 88 Der Goslar-Bericht ist offenbar eine Interpolation (vielleicht ursprünglich eine Randglosse), da Bertholds Adverb ,ibidem' sich nur auf Worms beziehen kann. 89 29. März. 90 Egilbert ( 1 045 -1065), t 1 7. Mai. 9 1 1 065 -109 1 . 92 1 054 -1076. 93 1 057-1 065. 94 Ihre Reise begann nach 1 1 . November 1 064. 95 23. Juli. 96 Hermann ( 1 065-1075).

Bertholdi Chronicon (Forma prima)

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MLXVI. Multi nobiles civili bello perierunt97• Henricus rex natalem Domini . . . g·698, pascha99 autem apud Traiectum egit. Eberhardus Treverensis archiepiscopusHJO XVII. Kai. Maii, sabbato sanctae paschae, completis a se ipsius diei officiis, ipsis sacerdotalibus vestimentis indutus requievit in pace. Cui Conradus101 Coloniensis prae­ positus electus a rege succedere debuit, sed a clero et civibus Trevirensi­ bus refutatus est. Unde quidam comes de militia Trevirensi nomine Theodoricus 102 eundem Conradum Trevirim tendentem comprehendit103 et diu sub custodia maceratum quatuor militibus enecandum commisit. Qui dum eum ter per quoddam praecipitium deiecissent et nihil sibi nisi brachium collidere possent, unus ex illis poenitentia ductus ab eo veniam impetravit. Alius autem volens eum decollare maxillam eius tantum ab­ scidit. Et sie ipse Deo dignus martyr ad Dominum migravit, Kai. Iunii. Sepultus ad abbatiam quandam nomine Doleiam104• Tres autem milites mortis illius autores digna ultio postmodum subsecuta est. Nam unus eorum acceptum cibum deglutire non valens, alii duo manus suas lace­ rantes . . . h

g

Lücke Sichard.

h Urstisius vervollständigt aus dem St. Georgener Codex: ,ad Claustra inferni

descenderunt'. ,Hermanni Contracti Chronicon finit': Sichard.

Bertholdchronik (Erste Fassung)

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1066. Viele Adelige kamen im Bürgerkrieg ums Leben97• König Hein­ rich feierte die Geburt des Herrn . . . 98, den Ostertag99 aber in Ut­ recht. Erzbischof Eberhard von Trier100 entschlief in Frieden am 15. April, dem Karsamstag, nachdem er, mit seinen Priestergewändern bekleidet, die Offi­ zien des Tages selbst beendet hatte. Ihm hätte der Kölner Propst Konrad 101, der vom König erwählt worden war, nachfolgen sollen; er wurde aber von dem Klerus und den Bürgern von Trier abgewiesen. Deshalb nahm ein ge­ wisser Graf aus der Ritterschaft von Trier mit Namen Dietrich102 diesen Konrad, als er nach Trier zog, gefangen103• Nachdem er ihn durch lange Gefangenschaft gequält hatte, übergab er ihn vier Kriegern, die ihn töten sollten. Als diese ihn dreimal in einen Abgrund geworfen hatten, ihm aber nur einen Arm brechen konnten, wurde einer von ihnen von Reue ergriffen und bat ihn um Vergebung. Wieder ein anderer, der ihn enthaupten wollte, hieb ihm nur die Kinnlade ab. Und so ging dieser als gotteswürdiger Mär­ tyrer am 1. Juni zum Herrn. Er wurde in einer gewissen Abtei mit Namen Tholey begraben104• Die drei Krieger aber, die Urheber seines Todes, traf später eine angemessene Strafe. Denn einer von ihnen konnte die eingenom­ mene Speise nicht schlucken, die anderen beiden zerrissen sich die Hände . . .

97 Vielleicht die Unruhen in Sachsen, welche auf den Sturz des Erzbischofs Adal­ bert von Bremen folgten: s. Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum III.47. 98 In Mainz (Annales Altahenses 1 066) oder Goslar (Lampert, Annales 1 066). 99 16. April. 100 1 047-1 066. 101 Kuno (Konrad) von Pfullingen, Neffe Annos von Köln. 102 Burggraf und Vogt von Trier (t 1 073). 103 1 8 . Mai. 104 Diözese Verdun.

B E RTH O L D P C H R O N I C ONa (FORMA S E CUNDA)

B E RTH O L D C HRONIK (ZWEITE FA SSUNG)

a-a Voraus geht i n B Huc usque chronica Hermanni. Abhinc Bertoldus. I n AL Abhinc post hermannum Bertolus cronicam continuat; kein Titel in A2.

Vitab Hermanni b Herimannusl, qui et heros magnus, religiosi comitis Wolverad? filius, ab ineunte aetate in exteriori homine passione paralytica omnibus mem­ bris dissolutorie contractus, in interiori autem ingenii vena pre cunctis sui seculi viris mirabiliter dilatatus, artium omnium perplexitates metro­ rumque subtilitates p er semetipsum suo sensu fere comprehendit. Totus semper a primis annis huiusmodi studio et otiis vacanter contraditusc et in tarn plenaria divinarum et secularium litteramm peritia magnus effec­ tus est, ut ab omnibus ad magisterium et doctrinam eius undique con­ fluentibus stupori et admirationi haberetur. Ea vero per omnes artuum compages immanitate dissolutus erat, ne se loco in quo ponebatur absque iuvante quolibet aliquorsum per se movere, neve saltem sed in aliud latus vertere posset, sed in sella quadam gestatoria a ministro suo depositus vix curvatim ad agendum quodlibet sedere poterat. In qua utilis ille et mirabilis sanctae operationis alumnus, quamvis ore lingua labiisque dis­ solutis, fractos et vix intellegibiles verborum sonos quomodocumque tractim formaverit, tarnen auditoribus suis3 eloquens et sedulus dogma­ tistes, tota alacritate festivus et in disputando promptissimus et ad inqui­ sita illorum respondendo morigerus minime defuit. Sive aliquid novi vix digitis itidem dissolutis scriptitabat sive sibi vel aliis lectitabat vel aliqui­ bus utilitatis aut iustae necessitatis sese exercitiis intentissimus semper occupavit. Homo revera sine querela, nihil humani a se alienum putavit4• Enimvero humillimae caritatis et caritative humilitatis executor industri­ us, mirae custos patientiae, apparitor oboedientiae presentissimus, casti-

b--b Al Bl B2. Codices B fügen ,MLIIII' hinzu. c traditus A, C . d fehlt A .

Das Leben Hermanns Hermann1 , das heißt großer Held, ein Sohn des frommen Grafen Wolf­ rad2, war in seiner äußerlichen Gestalt seit seiner frühen Jugend durch eine Lähmung an allen Gliedern entstellt und gelähmt, aber in seinem inneren Wesen übertraf er alle seine Zeitgenossen auf wunderbare Weise durch seine Begabung; aus sich selbst heraus, kraft seines eigenen Verstandes, meisterte er fast vollkommen die Schwierigkeiten aller Künste und die Feinheiten des Versmaßes. Da er sich seit seiner frühen Jugend immer vollständig und ohne Unterlaß seinen Studien und seiner schriftstellerischen Tätigkeit gewidmet hatte, wurde er wegen seiner umfassenden Kenntnis der göttlichen und welt­ lichen Wissenschaften so berühmt, daß ihm von allen, die zu seiner Lehrtä­ tigkeit und seiner Lehre von überall her zusammenkamen, Bewunderung und Anerkennung zuteil wurde. Er war aber infolge des ganzen Baus seiner Gliedmaßen so grausam geschwächt, daß er sich nicht ohne Hilfe von der Stelle wegbewegen konnte, an die man ihn gebracht hatte; er konnte sich nicht auf die andere Seite wenden, sondern nur mit großer Mühe, wenn sein Diener ihn in einen Tragesessel gesetzt hatte, in gekrümmter Haltung sitzen, um eine Tätigkeit auszuführen. Obwohl dieser tüchtige und bemerkenswer­ te Schüler der göttlichen Handlungen, kraftlos an Mund, Zunge und Lippen, den Klang der Worte schwach und kaum verständlich bildete, war er den­ noch von diesem Platz aus ein gewandter und fleißiger Lehrer seiner Hörer3; er war lebhaft und humorvoll, sehr schlagfertig im Disputieren, und ihm fehlte nie eine gehorsame Antwort auf ihre Fragen. Entweder schrieb er etwas Neues mit seinen ebenfalls kraftlosen Fingern mühsam nieder, oder er las aufmerksam für sich oder andere oder beschäftigte sich eifrigst mit irgendwelchen nützlichen oder notwendigen Übungen. Er war fürwahr ein Mann ohne Klage, dem nichts Menschliches fremd war4• Fleißig übte er sich nämlich in demütigster Nächstenliebe und in liebevoller Demut, verfügte über bemerkenswerte Geduld, war ein Diener, ausgezeichnet durch seinen Gehorsam, ein Liebhaber der Keuschheit, ein Bewahrer unbefleckter Jung­ fräulichkeit, ein außerordentlich freudiger Pfleger des Mitleids, ein wahrhaft 1 Hermann der Lahme von Reichenau ( 1 0 1 3 -1 054). 2 Wolfrad II. von Altshausen (t 1 065). 3 Z. B . Benno II. von Osnabrück (Vita Bennonis Kap. 3) und der Konstanzer Domherr Meinzo (E. Dümmler, Neues Archiv 5, S. 202 ff.). 4 Vgl. Terenz, Hauton Timorumenos 1 , 1 ,25.

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Bertholdi Chronicon (Forma secunda)

tatis amator, virgineae incorruptionis conservator, misericordiae cultor hilarissimus, integerrimae fidei orator vere catholicus, veritatis assertor et defensor invictissimus, probatissimus religionis christianae pedagogus, non parvae vir modestiae, sobrietatis et continentiae, utpote qui ab in­ fantia numquam carnes manducaret, psalmodiae, orationi et divinis lau­ dibus officialitere satis devotus et ante et post clericatum susceptum, quem Bern abbate Augiensi5, viro sancto et sapiente, adhortante circa annum tricesimum subierat et totius sanctae et honestae vitae exstitit administrator orthodoxus. Mirae benivolentiae affabilitatis, iocunditatis et humanitatis omnifarie conatu, sese omnibus morigerum et aptum ex­ hibens, utpote omnibus omnia factus6, ab omnibus amabatur. Iniquitatis autem, iniustitiae et totius pravitatis et malitiae vel quicquid contra Deum fit, aversator7 et impugnator indefessus ad usque finem vitae feli­ citer perduravit. Studium1 Hermannl Compoti igitur rationem regulas et nonnulla ar­ gumenta, in quo prioribus cunctis non parum precelluit, satis luculente composuit et ordinavit8 et preter caetera de naturali lunae incensione regulares experientissimos adinvenit, per quos evidentissime sciatur in qualibet hora diei sive noctis a sole incendatur. Ad inveniendam quoque lunae eclypsin regulas experientissimas excogitavit9• Geometriam quan­ dam non parvae profecto, quantum ad artem illam, utilitatis sicuti in hac nemo maiorum tanta scientia et subtilitate preditus fuit, ipse quoque naturali ratione et ordine per numeros et figuras conscripsit10• Cantus item hystoriales plenarios, utpote quo musicus peritior non erat, de sancto Georgio, sanctis Gordiano et Epimacho, sancta Afra martyre, sancto Magno confessore et de sancto Wolfgango episcopo mira suavitate et elegantia euphonicos, preter alia huiusmodi perplura, neumatizavit et composuit1 1 • Libellum huncg chronicorum ab incarnatione Domini us­

que ad annum suumh undecumque laboriosa diligentia collegit12• Gesta

e

officialis A. fehlt A2, C. g fehlt C. h suum, videlicet millesimum quinquagesimum tercium C . f-f

Bertholdchronik (Zweite Fassung)

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katholischer Fürsprecher des reinsten Glaubens, ein unbesiegter Zeuge und Verteidiger der Wahrheit, der erfahrenste Lehrer der christlichen Religion, ein Mann von großer Bescheidenheit, Nüchternheit und Selbstbeherr­ schung, der von Jugend an niemals Fleisch gegessen hatte, ein ganz und gar dem Psalmensingen, dem Gebet und dem Lob Gottes hingegebener Diener; sowohl vor als auch nach Empfang des Priestertums, welches er auf Anraten des Abtes Bern von der Reichenau5, eines heiligen und weisen Mannes, un­ gefähr um das 30. Lebensjahr auf sich nahm, war er während seines ganzen heiligen und ehrenhaften Lebens ein rechtgläubiger Verwalter. Wunderbar an Wohlwollen, Freundlichkeit, Heiterkeit und Menschlichkeit erwies er sich gegen jeden willfährig und handelte angemessen nach Kräften; indem er allen alles war6, wurde er von allen geliebt. Gegenüber Unbilligkeit aber, Ungerechtigkeit und jeglicher Verkehrtheit und Bosheit und allem, was sich gegen Gott richtet, harrte er als ein unermüdlicher Gegner7 und Streiter bis an sein Lebensende glücklich aus. Die Studien Hermanns. Er stellte zusammen und ordnete auf einleuchten­ de Weise die Methode und Regeln des Computus, dazu einige Erörterungen, in welchen er alle seine Vorgänger um vieles übertrafl. Vor allem entdeckte er die zuverlässigsten Regeln des natürlichen Mondlichtes; mit diesen Regeln läßt sich augenfällig erkennen, zu welcher Stunde des Tages oder der Nacht der Mond von der Sonne beleuchtet wird. Er erarbeitete die verläßlichsten Regeln zur Berechnung einer Mondfinsternis9• Er schrieb auch eine Geome­ trie nach natürlicher Methode und Ordnung mit Zahlen und Diagrammen nieder, was zweifellos von großer Bedeutung für diese Wissenschaft war; denn keiner vor ihm war auf diesem Gebiet mit solchem Wissen und derar­ tigen Einsichten begabt gewesen10• Er schrieb und komponierte auch voll­ ständige Historien - es gab nämlich keinen geschickteren Musiker als ihn -, und zwar über den heiligen Georg, die heiligen Gordian und Epimachus, die heilige Märtyrerin Afra, den heiligen Bekenner Magnus und den heiligen Bischof Wolfgang, darüber hinaus auch noch viele andere Gesänge ähnlicher Art von wunderbarer Lieblichkeit und erlesenem Wohlklangl l . Das vor­ liegende Buch, die Chronik von der Geburt des Herrn bis zu seinem eige­ nen Todesjahr, hat er mit Mühe und Fleiß von überall her zusammengesam5 1 008-1048. 6 1. Kor. 9,22. 7 Vgl. Dtn. 25, 16. 8 Hermann, Regulae in computum, noch unediert: s. W. Bergmann in Historiographia mediaevalis. Festschrift f. F.-J. Schmale (1 988), S. 1 03 ff. 9 Hermann, Prognostica de defectu solis et lunae, noch unediert. 10 Nicht erhalten. 11 Von diesen Historien (Offizien) scheint nur das Afra-Officium erhalten: Ana­ leeta hymnica medii aevi SO, S. 3 1 9 (Nr. 247).

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quoque Chuonradi et Heinrici imperatorum pulcherrime descripsit13• Li­ bellum ad hec de octo vitiis principalibus iocundulum, metrica diversi­ tate liricum, poetice satis elaboravit14• In horologicis et musicis instru­ mentis et mechanicis nulli par erat componendis15• In his igitur et in huiusmodi perpluribus, que memorari non brevis est temporis, quantum ad imbecillitatem suam totus semper continuus studuerat. Tandem vero cum de ergastulo mundi huius fastidioso sanctam eius animam Dei pietas dignaretur liberare, pleuretica arreptus passione de­ cem contabescens dies, incessabiliter fere et inmaniter laboravit laetali hac invasione. Turn quadam die summo mane, cum matutina synaxi 16 celebrata, ego, quem quidem familiarem pre caeteris habebat, ad leeturn egrotantis accessissem, ut an se aliquantulum melius habuerit ab eo in­ quisissem, respondit: ,Noli, inquam, de hoc noli me interrogare, quin potius hoc quod tibi, in quo non parum confido, enarrem diligenter attende. Moriar procul dubio in brevi et non vivam nec reconvalescam; ideoque tibi meisque omnibus unice nimis commendo peccatricem ani­ mam meam. Per totam quippe noctem hanc in extasi quadam raptus fueram et videbar mihi ea memoria et scientia, qua orationem solemus dominicam, Hortensium Tullii Ciceronis 17 lectitando et mox relectitando vigilanter percursitare et remanentis adhuc sensum et scripturam materie, quam proposui de vitiis dictandam18, quasi iam perscripserim, similiter lectitare et id genus multa. Cuius nimirum instinctu et hortatu lectionis tanto mihi totus hic presens mundus cum suis omnibus et ipsa haec vita mortalis contemptui et tedio est et e contrario tarn ineffabili desiderio et dilectioni futurus ille non transitorius mundus et aeterna illa et immor­ talis vita, ut quasi nihili et inane cuncta transitoria haec omnino reputen­ tur et flocci pendantur a me. Tedet quidem me vivere19.' Ego autem visionis huius et sermonis non parum stupefactus oraculo

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melt12• Sehr schön beschrieb er auch die Taten der Kaiser Konrad und Hein­ rich13. Darüber hinaus verfaßte er auch auf dichterisch kunstvolle Weise ein ansprechendes Büchlein über die acht Hauptlaster in verschiedenen Versma­ ßen 14. Im Anfertigen von Uhrwerken, Musikinstrumenten und mechanischen Geräten kam ihm niemand gleich15. Mit diesen und vielen anderen ähnlichen Dingen, die aufzuzählen die Zeit nicht ausreicht, war er immerfort und un­ ermüdlich beschäftigt, sofern es seine körperliche Schwäche zuließ. Als aber endlich das Erbarmen Gottes geruhte, seine heilige Seele aus dem widerwärtigen Gefängnis dieser Welt zu befreien, wurde er von einem Lun­ genstechen befallen; er lag zehn Tage an der Krankheit danieder und litt fast ununterbrochen und heftig an dieser tödlichen Krankheit. Als ich, der ihm vertrauter war als die übrigen, eines Morgens früh, nachdem das Morgen­ gebet16 gefeiert worden war, an das Bett des Kranken trat, um ihn zu fragen, ob er sich etwas besser fühle, antwortete er: " Ich will nicht, daß du mich danach fragst, sondern möchte, daß du, in den ich großes Vertrauen setze, aufmerksam anhörst, was ich dir erzählen will. Ich werde ohne Zweifel binnen kurzem sterben und nicht leben und genesen; deshalb empfehle ich dir und den Meinen dringend meine sündige Seele. Diese ganze Nacht hin­ durch befand ich mich nämlich in einer Art Verzückung, und es erschien mir, als ob ich aus dem Gedächtnis und Wissen heraus - wie wir es mit dem Gebet des Herrn zu tun pflegen - den Hortensius des Tullius Cicero17 läse und wiederläse und so aufmerksam durchforschte und den noch verbleiben­ den Sinn und Inhalt der Schrift, die ich über die Laster schreiben wollte18, als wäre er schon niedergeschrieben, gleichfalls durchläse und vieles andere mehr von dieser Art. Durch die Mahnung und Einsicht, die ich aus dieser Lektüre gewonnen habe, ist mir jetzt diese ganze gegenwärtige Welt und alles, was zu ihr gehört, und dieses sterbliche Leben selbst verächtlich und zum Überdruß geworden; und ich verlange im Gegenteil mit solch unaus­ sprechlicher Sehnsucht und Liebe nach der zukünftigen, unvergänglichen Welt und dem ewigen, unsterblichen Leben, daß ich alles Vorläufige als nichtig und leer ansehe und gering schätze. Mich ekelt zu leben19." Ich aber war durch die Mitteilung dieser Vision und Rede sehr betroffen, 1 2 Hermanns Chronicon, MG. 55. 5, S. 74 -133. 13 Nicht erhalten. Vgl. Otto von Freising, Chronica Vl.32. 14 Hg. E. Dümmler, Zs. f. deutsches Altertum 13 (N. F. 1, 1 867), S. 38S ff. 1 5 Zu dem Fragment ,de horologiorum conpositione' von Hermann s. H. Oesch, Berno u. Hermann v. Reichenau als Musiktheoretiker ( 1 96 1 ), S. 1 7 1 . 16 Vgl. Regula B enedicti c. 1 7. 17 Von Ciceros Hortensius sind heute nur noch Fragmente erhalten. 18 In den Schlußzeilen seines De octo vitiis principalibus ( 1 707- 22, S. 433) kündigt Hermann eine Fortsetzung an. 1 9 Vgl. Gen. 27,46; 2. Kor. 1 ,8.

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et ut pro tanti amiei talisque magistri abseessu oportuerat, totus fluens in laerimis et eommotus eiulatu, meme satis indeeenter vix eontinui. Mox ille sie me quasi zelando eorripuit, quam stupido in me obliquans treme­ bundus intuitu: ,Noli amieei mi, noli super me plorare, quin potius mihi tripudiando eongratulare. Aeeipe, queso, tabulas meas et queeumque ad­ hue seribenda restant in eis inprimis tu diligenter emenda, demum seripta eis qui ea dignentur eommenda. Ipse autem tete eottidie eogitans mori­ turum, prepara te semper toto nisu et meditatu in id ipsum iter, quia neseis qualibet die vel hora20 me tuum amieissimum prosequaris. ' Et in haee verba eessavit. Dehine in dies, ut fit, languore semper invaleseente, eheu ! ad extrema perduetus est et totus iam iamque ad eaelestia suspen­ sus. Post eonfessionem peeeatorum ex toto eorde purissimam et eommu­ nieatam devotissime Christi eueharistiam, pluribus qui ad eum visitan­ dum eonfluebant fratribus amieis et familiaribus in unum psallentibus orantibus et eonflentibus, feliei, quod solum pre omnibus exoptavit, eon­ summatione felix ille et ineomparabilis homo Dei VIII. Kai. Oetobris felieiter omnino exspiravit. Et suis omnibus planeturn relinquens non modieum in predio suo apud Alleshusan offieiose lamentabilibus exe­ quiis tumulatus, in paee requieseit. Conventus ab imperatore21 Mogontie faetus est, in quo Gebehardus Aureatensis episeopus22 eleetus ab episeopis Romamque missus, ibique honorifiee suseeptus, in sequente quadragesima in eaena Domini23 CLIIII. papa ordinatus Vietoris II. nomen aeeepiti . MLV. XVI. Imperator natalem Domini Goslare eelebravit ae deinde expeditionem in Italiam paravit et paseha24 Mantue egit, diem autem p enteeostes25 Florentiae. Ibique eoram eo a domno papa generali synodo habita multa eorreeta sunt. Imperator Adalbertum26 eapitali sententiae adiudieatum per interventum episeoporum dimisit.

i

animae B l , B2, C, Pertz.

i Zusatz in Codices B: ,Sedit annos III. Huic subdiaconus toxicum in calicem misit,

quem cum ipse post consecrationem levare vellet nec passet. A Domino causam facti inquisiturus cum populo ad orationem prosternitur; statimque toxicator eius a demo­ nio arripitur. Ita igitur causa facti manifestata, domnus papa calicem cum sanguine dominico cuidam altari iussit includi et pro reliquiis in perpetuum conservari. Deinde iterum cum populo tamdiu ad orationem prosternitur quo usque subdiaconus a de­ monio liberaretur.' (s. Bernoldchronik 1 054, S. 280.)

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und wie es beim Abscheiden eines solchen Freundes und Lehrers nicht anders sein konnte, zerfloß ich fast in Tränen und jammerte, so daß ich meine Fas­ sung kaum wahren konnte. Bald wies mich jener gleichsam heftig zurecht und, indem er mich von der Seite mit starrem Blick und zitternd betrachtete, sagte er: " Weine nicht über mich, mein Freund, sondern beglückwünsche mich lieber mit Freuden. Ich bitte dich, nimm meine Aufzeichnungen entge­ gen und trage fleißig nach, was an ihnen noch zu schreiben ist; danach übergib das Geschriebene denen, die es zu schätzen wissen. Du selbst aber bedenke, daß du j eden Tag sterben kannst, und bereite dich unablässig durch ernstliches Einüben auf diesen Weg vor, denn du weißt nicht, an welchem Tag oder zu welcher Stunde20 du mir, deinem besten Freund, folgen wirst." Und damit hörte er auf zu sprechen. Danach wurde er, wie das zu geschehen pflegt, von Tag zu Tag kränker, ach ! es ging zu Ende mit ihm, und im nächsten Augen­ blick wurde er zum Himmel emporgehoben. Nach dem aufrichtigsten Be­ kenntnis seiner Sünden von ganzem Herzen und dem andächtigsten Empfang der Eucharistie Christi und unter Psalmengesängen, Gebeten und Klagen der vielen Brüder, Freunde und Vertrauten, die herbeigekommen waren, um ihn zu besuchen, hauchte der glückliche und unvergleichliche Mann Gottes, was er sich immer besonders gewünscht hatte, in seliger Vollendung am 24. Sep­ tember vollkommen glücklich seinen Geist aus. All seine Nächsten ließ er in Wehklage zurück; auf seinem Gut Altshausen wurde er unter Klagen zu Gra­ be geleitet und feierlich beigesetzt; er ruht nun in Frieden. Vom Kaiser21 wurde ein Reichstag in Mainz abgehalten, auf welchem Bi­ schof Gebhard von Eichstätt22 von den Bischöfen gewählt und nach Rom geschickt wurde; er wurde dort ehrenvoll empfangen und in der Fastenzeit des folgenden Jahres an Gründonnerstag23 zum 154. Papst geweiht und nahm den Namen Viktor II. an. 1055. 16. Der Kaiser feierte die Geburt des Herrn in Goslar und rüstete danach zu einem ltalienzug; er verbrachte Ostern24 in Mantua, den Pfingst­ tag25 aber in Florenz. Dort wurde in seinem Beisein vom Papst eine allge­ meine Synode abgehalten und viele Mißstände wurden korrigiert. Der Kai­ ser entließ auf Intervention der Bischöfe Adalbert26, welcher zum Tode ver­ urteilt worden war. 20 Mt. 25, 1 3 . 21 Heinrich lU. 22 1 042 -1 057; Papst Viktor II. ( 1 055 -1 057). 23 13. April 1 05 5 . 24 1 6 . April. 25 4. Juni. 26 Vielleicht der ,Markgraf Adelbertus', den der Kaiser in Roncaglia verhört hatte (Arnulf, Liber gestorum recentium Il1.1 6).

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Bertholdi Chronicon (Forma secunda) Imperator Ottonem N eofariensem episcopum27 Constantinopolim

misit, ubi pro Michaele28 nuper defuncto quandam feminam29 totius reg­ ni monarchiam tenentem invenit. Quae illum sequenti anno, suis etiam legatis adiunctis, amicitiam pactumque confirmandum imperatori remi­ sit. XVII. Beatrix30 imperatori ad deditionem veniens causa mariti sui3 \ quamquam data fide, captiva ducta tenetur filiusque eius puer Bonifaci­ us32 hac causa venire veretur. Sed non multis interpositis diebus, euro imperator ibidem moraretur, idem puer moritur. Gebehardus Ratisbonensis episcopus33 et Welf dux34 licentiam repatri­ andi ab imperatore impetraverant militesque eorumk, eis ut aiunt igno­ rantibus, contra imperatorem coniuraverunt. Eo tempore Welf dux suis et omni populo flebili admodum morte preventus35 et voto sanctae mo­ nachicae vitae Deo revera se initiando dedicatus apud Altorfense ceno­ bium36 sepultus est. Arnold episcopus Nemetensis37 moritur et Chuon­ radus38 ei successit. MLVI. Imperator de Italia rediens, natalem Domini Turegi celebravit ibique Ottonis marchionis39 filiam40 equivoco suo [filio]I . 41 desponsavit. Gebehardus Ratisbonensis de coniuratione [ab imperatorer contra se facta victus per aliquod tempus in custodia tenebatur. Gotifridus dux42 imperatori ad deditionem venit. Herimannus Coloniensis archiepisco­ pus43 obiit. Cui Anno Goslarensis prepositus44 successit.

k illorum B. 1 fehlt A, B. m

fehlt A, B.

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Der Kaiser schickte Bischof Oddo von Novara27 nach Konstantinopel, wo dieser an Stelle des kürzlich verstorbenen MichaeF8 eine Frau29 vorfand, welche die Alleinherrschaft über das ganze Reich inne hatte. Diese schickte ihn im folgenden Jahr zusammen mit ihren eigenen Botschaftern zum Kaiser zurück, um ihre Freundschaft vertraglich zu bekräftigen. 1 7. Beatrix30 kam, um sich dem Kaiser zu unterwerfen, und wurde wegen ihres Gemahls31, obwohl sie Treue gelobt hatte, gefangengesetzt und gehal­ ten; aus diesem Grund fürchtete sich ihr Sohn, der Knabe Bonifaz32, zu kommen. Aber vor Ablauf weniger Tage, als der Kaiser noch an dem selben Ort weilte, starb der Knabe. Bischof Gebhard von Regensburg33 und Herzog Welf34 erbaten vom Kai­ ser die Erlaubnis, in die Heimat zurückzukehren. Ihre Krieger aber ver­ schworen sich angeblich, ohne daß j ene davon wußten, gegen den Kaiser. Zu dieser Zeit wurde Herzog Welf vom Tode überrascht35, sehr zum Jammer für die Seinen und für das ganze Volk; er hatte sich selbst Gott geweiht, indem er das Gelübde für das heilige Mönchsleben einging, und wurde im Kloster Altorf36 begraben. Bischof Arnold von Speyer37 starb, und Konrad38 wurde sein Nachfolger. 1056. Der Kaiser kehrte aus Italien zurück und feierte die Geburt des Herrn in Zürich; dort verlobte er seinen gleichnamigen Sohn41 mit der Toch­ ter40 des Markgrafen Otto39• Gebhard von Regensburg wurde der Verschwö­ rung gegen [den Kaiser] überführt und eine Zeitlang in Gewahrsam gehalten. Herzog Gottfried42 kam, um sich dem Kaiser zu unterwerfen. Erzbischof Hermann von Köln43 starb. Ihm folgte Anno, der Propst von Goslar44• 27 28 29 30 31

Oddo II. (t 1 078?). Der jüngst verstorbene Kaiser war Konstantirr IX. Monomacbus ( 1 042 -1 055). Kaiserin Theodora ( 1 055 -1 056). Beatrix von Lothringen, Markgräfin von Tuszien (t 1 076). Ihr zweiter Mann, Gottfried der Bärtige, Herzog von Ober- und Niederlothringen (t 1 069). 3 2 Fridericus, nach Donizo, Vita Mathildis 1 . 1 0 (MG. SS. 1 2, S. 368). 33 Gebhard III. (1036-1 060), Bruder Kaiser Konrads II. 34 Welf III., Herzog von Kärnten ( 1 047-1055) und Markgraf von Verona. 35 1 3 . November. 36 Kloster Weingarten (St. Martin) bei A!tdorf. 37 1 054 -1 055, t 2. Oktober. 3 8 1 056 -1 060. 39 Graf von Savoyen (t 1 057/60). 40 Bertha von Turin bzw. Susa ( 1 05 1-1 087) . 4 1 Heinrich IV. 42 Gottfried der Bärtige (wahrscheinlich Mai-Juni). 43 Hermann II. ( 1 03 6 -1 056), t 1 1 . Februar. 44 Anno II. ( 1 056-1075).

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Bertholdi Chronicon (Forma secunda) XVIII. Imperator diem sanctum pasche . . . n.45 celebravit. Imperator

domno apostolico ad se in Germaniam invitato, cum in Saxonia apud Botfeldin46 moraretur, morbo ingravescente infirmatus et bona conver­ sione paenitentia et confessione purissima premunitus omnibus debito­ ribus suis ex corde dimisit47 et totum quod non bene acquisivit et his qui presentes aderant reddidit; qui autem non aderant, his per imperatricem48 et filium ut redderetur nominatim sollertissime disposuit. Et sie totam spem in Deo ponens, o utinam feliciter! 111. Nonas Octobris obiit, anno

aetatis suae XXX0VIIII0, regni vero XVIII0, imperii autem X0, indictione

xa. Qui inde asportatus Nemetim in aecclesia sanctae Mariae, quam ipse

construxerat, adhuc imperfecta, iuxta patrem49 et matrem50 sepultus est

a domno papa. Filius autem eius Heinricus quartus, iam a patre rex fac­ tus, tune septennis a primoribus regni matri imperatrici ad educandum commendatus, cum matre coepit regnare. Farnes multas provincias afflixit. Heinricus quartus, filius Heinrici, regnavit annos XX5 1 , ab0 Augusto nonagesimus0• MLVII. I. Heinricus rex natalem Domini Ratisbone celebravit. Rome Victor secundus CLIIIIP. decessit52• Post hunc Fridericus53 frater Gote­ fridi ducis, dudum beatae memoriae Leonis pape54 archicapellanus, ex clerico monachus factus, postea abbas in Monte Cassino promotus, Ste­ phanus nonus nomen adeptus, papa CLV. prefuit VIIII mensibus . II. Otto dux Alemannorum55 obiit, cuius ducaturn Ruodolfus56 acce-

n

Lücke A, B. fehlt B. fehlt B.

o-o P

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1 8 . Der Kaiser feierte den heiligen Ostertag . . .45• Der Kaiser rief den Papst zu sich nach Deutschland, als er in Bodfeld46 in Sachsen weilte; jener war von einer sich ständig verschlimmernden Krankheit geschwächt; gestärkt durch die Buße echten Sinneswandels und aufrichtigste Beichte, vergab er allen sei­ nen Schuldnern47 aus vollem Herzen; alles nicht auf ehrenhafte Weise erwor­ bene Gut gab er denen zurück, die anwesend waren; denjenigen aber, die nicht anwesend waren, sollte alles von der Kaiserin48 und seinem Sohn zurückgegeben werden; dies ordnete er mit Namensnennung sehr gründlich an. Und so setzte er seine ganze Hoffnung in Gott und starb - im Gnadenstand, hoffentlich! arn 5. Oktober, im 39. Jahr seines Lebens, im 1 8 . Jahr seines Königtums, im zehnten Jahr seines Kaisertums, in der zehnten Indiktion. Von dort wurde er nach Speyer getragen und in der Kirche der heiligen Maria, die er selbst erbaut hatte, die aber noch unvollendet war, wurde er neben seinem Vater49 und seiner Mutter50 von dem Herrn Papst begraben. Sein Sohn Heinrich IV. aber, der schon vorn Vater zum König gernacht worden war, damals sieben Jahre alt, wurde von den Vornehmsten des Reiches der Kaiserinmutter zur Erzie­ hung anvertraut; und zusammen mit seiner Mutter begann er zu regieren. Eine Hungersnot suchte viele Gegenden heim. Heinrich IV., der Sohn Heinrichs, regierte 20 Jahre lang51, als der 90. nach Augustus. 1057. 1 . König Heinrich feierte die Geburt des Herrn in Regensburg. In Rom starb Viktor II., der 154. Papst52• Nach ihm stand Friedrich53, der Bruder Herzog Gottfrieds, früher Erzkaplan Papst Leos54 seligen Angeden­ kens, nachdem er als Kleriker Mönch geworden, danach zum Abt von Mon­ tecassino befördert worden war und den Namen Stephan IX. angenommen hatte, als 155. Papst neun Monate lang der Kirche vor. 2. Otto, Herzog der Schwaben55, starb, und Rudolf56 erhielt sein Her45 46 47 48 49 50 51

7. April, in Paderborn. Bei Quedlinburg. Mt. 6,12. Agnes von Poitou ( 1 025 ?-1 077). Konrad II. Gisela. Für Berthold war die Regierung Heinrichs IV. mit der Exkommunikation durch Gregor VII. am 1 5 . Februar 1 076 beendet. 52 28. Juli in Arezzo. 53 Friedrich von Lothringen, Kardinalpriester von St. Chrysogonus; Papst Stephan IX. ( 1 057-1 058). 54 Leo IX. ( 1 048/9 -1 054). 55 Otto III. von Schweinfurt, t 28. September. 56 Rudolf von Rheinfelden (1 057- 1 080); Gegenkönig ( 1 077- 1 080).

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pit. Hoc anno Iapides mirae magnitudinis mixti grandine de caelo ceci­ derunt. MLVIII. 111. Rome post Stephanum57 quidam B enedictus58 contra

canones privata quorundam gratia electus, sine consecratione mensibus VII prefuit aecclesiae. Qui a Gotifrido duce expulsus59 atque Gerhardus

Florentiae episcopus secundus Nicolaus60 vocatus papa CLVI. prefuit annis fere tribus . Qui constituit, ut qui tune a symoniacis essent promoti, ministerio suo permitterentur uti. Deinceps autem quicumque ab eis or­ dinarentur, nichil tali promotione lucrarentur61 • Hunc etiam papam Pe­ trus Damiani piae memoriae Ostiensis episcopus62 ad corrigendam iuxta canones clericorum incontinentiam provocavit. MLVIIII. 1111. Hoc anno magna mortalitas hominum facta est63 • Se­

ditio inter Mediolanenses et Ticinenses facta est, et ibi plures bello ceci­

derunt64. Ruodolfus dux Mahthildam regis sororem duxit uxorem. Fuldis Eberhardus abbas65 decessit, et Sigifridus66 successit. Andreas Pannoniae rex67, cum prius pacem pactumque per legatos confirmasset cum Hein­ rico rege68, sororem eius minorem luditam69 filio suo Salomoni70 adhuc puero sponsam obtinuit. Fridericus et fratres eius de Glichberga71 Hein­ rico regi rebellant et postea illi ad deditionem veniunt. MLX. Heinricus Galliarum rex72 obiit et filius eius Philippus73 adhuc

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zogtum. In diesem Jahr fielen Steine von erstaunlicher Größe mit Hagel vermischt vom Himmel. 1058. 3. In Rom wurde nach Stephan57 ein gewisser Benedikt58 gegen die Kanones und durch persönliche Begünstigung einiger Männer gewählt; er stand der Kirche ohne Konsekration sieben Monate lang vor. Er wurde von Herzog Gottfried vertrieben59, und Bischof Gerhard von Florenz, Niko­ laus II. genannt60, regierte als 156. Papst fast drei Jahre lang. Er setzte fest, daß diej enigen, die bis zu diesem Zeitpunkt von Simanisten eingesetzt wor­ den waren, ihr Amt ausüben dürften. Wer aber danach von ihnen ordiniert werden würde, sollte keinen Gewinn aus dieser Beförderung ziehen61 . Pe­ trus Damiani62, Bischof von Ostia frommen Angedenkens, hat auch diesen Papst aufgefordert, die Unkeuschheit der Kleriker nach den Kanones zu korrigieren. 1059. 4. In diesem Jahr kam es zu einem großen Sterben unter den Men­ schen63. Ein Streit entstand zwischen den Mailändern und den Pavesern, und in dieser Fehde fielen dort sehr viele64• Herzog Rudolf heiratete Mathilde, die Schwester des Königs. Abt Eberhard von Fulda65 starb, und Siegfried66 wurde sein Nachfolger. Nachdem König Andreas von Ungarn67 schon frü­ her durch Gesandte einen Friedensvertrag mit König Heinrich geschlossen hatte68, erhielt er dessen jüngere Schwester Judith69 als Verlobte für seinen Sohn Salomo70, der noch ein Knabe war. Friedrich von Gleiberg71 und seine Brüder rebellierten gegen König Heinrich, und danach kamen sie zu ihm, um sich zu unterwerfen. 1060. Der Gallierkönig Heinrich72 starb, und sein Sohn Philipp73, der 57 t 29. März in Florenz. 5 8 Kardinalbischof Johannes II. von Velletri (t um 1 073); Papst Benedikt X. (1 058 1 059). 59 Wahrscheinlich Mitte Januar 1 059. 60 Bischof von Florenz ( 1 045 -106 1 ); Papst Nikolaus II. ( 1 058/9 -106 1 ) . 61 Lateransynode von 1 059 GL 4405), Kap. 9 (MG. Const. 1 , S. 548). 62 1 057-1 072. Siehe Brief 61 (MG. Briefe d. dt. Kaiserzeit 4/2, S. 206 ff.). 63 Vgl. Annales Altahenses 1 059. 64 Die Feindseligkeiten gipfelten in der Schlacht von Campo Morto, 23. Mai 1 06 1 . 65 Ekbert ( 1 047-1 058), t 1 7. November. 66 1 058 -1060. 67 Andreas I. ( 1 046 -1 060). 68 20. September 1 058. 69 In Ungarn als Sophia bekannt (t 1 093/5). 70 1 052 ?-1 087; König von Ungarn ( 1 063 -1074). 71 Gleiberg an der Lahn (bei Gießen): s. G. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1 , s. 43 . 72 Heinrich I. ( 1 03 1 -1 060). 73 Philipp I. ( 1 060 -1 1 08).

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puer regnum cum matre74 gubernandum suscepit. Lupaldus Mogontinus archiepiscopus75 obiit, cui Sigifridus abbas Fuldensis76 successit. Chuon­ radus Nemetensis episcopus77 obiit, in cuius locum Einhardus78 Augu­ stensis prepositus substituitur. V. Mahthilt uxor ducis Ruodolfi obiie9• Et hoc anno sicut in priori mortalitas multos extinxit. Heinricus palatinus comes80 in amentiam ver­ sus cum sub specie religionis quasi seculum derelinquens in monasterium Epftirnacha81 se contulisset, inde abstractus coniugem suam82 occidit. In Ungaria quidam Belo83 fratrem suum Andream regem iam grandevum regno expulit et usque ad mortem perduxit. Hic Andreas a fratre nimis iniuriatus, tandem febre pulsatus omnes thesauros suos in castrum Me­ deleka necnon et filium suum84 Heinrico regi per Tietpaldum comitem85 transmisit. MLXI. VI. Magna fames multos occidit. Gebehardus Ratisponensis episcopus obiit86 et Otto87 ei successit. Chuonradus88, qui Carantanis solo nomine ducis prefuit, moritur, cuius ducaturn B erhtold89 comes Sue­ vigena suscepit. Rome Nicolao papa defuncto VI. Kal. Augusti90 Romani regi Heinrico coronam et alia munera mittentes eumque de summi pontificis electione interpellaverunt. Qui generali concilio Basileae habito, imposita corona a Romanis transmissa, patricius Rarnanorum est appellatus. Deinde com-

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noch ein Knabe war, übernahm die Regierung zusammen mit seiner Mut­ ter74. Erzbischof Liutpold von Mainz75 starb; seine Nachfolge trat Abt Sieg­ fried von Fulda76 an. Bischof Konrad von Speyer starb77; an seiner Stelle wurde Einhard78, Propst von Augsburg, eingesetzt. 5. Mathilde, die Gemahlin Herzog Rudolfs, starb79. Und in diesem Jahr, wie im vorhergehenden, löschte die Sterblichkeit viele Menschen aus. Pfalz­ graf Heinrich80 verfiel dem Wahnsinn; nachdem er unter dem Anschein der Frömmigkeit die Welt gleichsam verlassen und sich in das Kloster Echter­ nach81 begeben hatte, riß er sich von demselben wieder los und tötete seine Gemahlin82. In Ungarn vertrieb ein gewisser Bela83 seinen Bruder, den zu dieser Zeit schon betagten König Andreas, aus dessen Reich; er brachte ihn bis an den Rand des Todes. Dieser Andreas, vom Bruder schwer geschädigt, erlitt einen Fieberanfall und schickte alle seine Schätze in die Burg Melk, seinen Sohn84 aber durch den Grafen Dietpald85 zu König Heinrich. 1061 . 6. Eine große Hungersnot kostete viele Menschenleben. Bischof Gebhard von Regensburg starb86, und Otto87 wurde sein Nachfolger. Kon­ rad88, welcher den Kärntnern nur dem Namen nach als Herzog vorgestan­ den hatte, starb, und der schwäbische Graf Berthold89 übernahm sein Her­ zogtum. Nachdem Papst Nikolaus am 27. Juli90 in Rom gestorben war, schickten die Römer dem König Heinrich eine Krone und andere Geschenke und wandten sich wegen der Wahl eines Papstes an ihn. Er hielt in Basel ein Generalkonzil ab, setzte sich die von den Römern geschickte Krone auf und wurde zum Patrizier der Römer erklärt. Nach dem einstimmigen Rat aller 74 75 76 77 78 79 80 81

Anna von Kiew (t vor 1 090). 1 051-1 059, t 7. Dezember. Siegfried I. ( 1 060-1 084). 12. Dezember. 1 060-1 067. 12. Mai. Heinrich I., Pfalzgraf von Lothringen. Berthold verwechselt den Ort der späteren Gefangenschaft Heinrichs mit Gorze, dem Ort seiner ersten Profeß. 82 Mathilde, Tochter Gozelos I., Herzog von Ober- und Niederlothringen. 8 3 Bela I., König von Ungarn (1 061-1 063). 84 Salomo. 85 Zu seiner Identität s. G. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1, S. 1 98, Anm. 62. 86 2. Dezember 1 060. 87 1 060/1-1 089. 88 1 05 6 - 1 06 1 . 89 Berthold I. von Zähringen ( 1 061-1078). 90 Wahrscheinlich am 19. Juli in Florenz: s. G. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1, S. 2 1 6, Anm. 3 1 .

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muni omnium eonsilio Romanorumque legatis91 eligentibus Chadalous Parmensis episeopus92 VII. Kai. Novembris93 papa multis premiis qui­ busdam ut aiunt datis simoniaee eligitur et Honorius appellatur papaturn numquam possessurus. Sed XXaVIF die ante istius promotionem94 Lu­ eensis episeopus nomine Anshelmus95 a Nordmannis et quibusdam Ro­ manis papa CLVnus ordinatus et Alexander voeatus sedit annos XII. Par­ mensis vero eolleeta undeeumque grandi militia vi destinavit eathedram invadere et ad urbem Romam sie perveniens non permissus est a Roma­ nis intrare. Unde magna eedes ibidem peraeta est96. Et sie non sine vie­ toria eruenta multis Romanis interfeetis ad Parmam suam tristis regres­ sus est solo nomine apostolieo sibi usurpato ad finem vitae infelieiter perdurans. Hie Alexander doetor eatholieus satis strenue symoniaeam heresim destruxit et ministris altaris eum eoniugibus eoire iuxta eanonum statuta eum exeommunieatione interdixit. Ipsosque laieos clerieorum aperte ineontinentium offieia audire per bannum prohibuit et sie illorum ineontinentiam satis prudenter refrenavit97. Huius autem eonstitutionis maxime auetor fuit Hildebrandus tune Romanae aeeclesiae arehidiaeo­ nus98, heretieis maxime infestus. Hisq temporibus Agna imperatrix depositis regalibus vestimentis ve­ lamine saero sese Christo dedieavit99; inr opidum Fruetereiam se eontu­ litr100. MLXII. VI. Idus Februarii terremotus, fulgura et tonitrua faeta sunt. Pestilentia et mortalitas subseeuta multos extinxit et fames magna faeta est. Heinrieus rex apud Traieetum Frisie urbem paseha101 simul eum ma­ tre imperatriee egit. His diebus Anno Coloniensis arehiepiseopus anni-

q r-r

MLXII.His B . fehlt B .

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und durch die Wahl der Gesandten der Römer91 wurde darauf Cadalus, Bischof von Parma92, am 26. Oktober93 auf simonistische Weise zum Papst gewählt und Honorius genannt, nachdem, wie man sagt, viele Bestechungs­ gelder gegeben worden waren; er sollte das Papsttum niemals innehaben. Jedoch 27 Tage vor dessen Erhebung94 wurde der Bischof von Lucca mit Namen Anselm95 von den Normannen und einigen Römern zum 157. Papst geweiht und Alexander genannt; er regierte zwölf Jahre lang. Nachdem der Parmeser von überall her ein großes Heer gesammelt hatte, beschloß er den Papststuhl mit Gewalt einzunehmen, und als er so vor die Stadt Rom ge­ langte, wurde ihm von den Römern der Eintritt verwehrt. Es entstand dort ein großes Gemetzel96• Nicht ohne grausamen Sieg, da viele Römer getötet worden waren, kehrte er als trauriger Mann in seine Stadt Parma zurück; unter dem nur usurpierten Namen eines Papstes fristete er dort unglücklich die Tage bis an sein Lebensende. Dieser Alexander hat als katholischer Dok­ tor die simonistische Häresie sehr kraftvoll zerstört und den Dienern des Altars nach den Statuten der Kanones bei Exkommunikation verboten, mit ihren Frauen Beischlaf zu halten. Er hat den Laien unter Bannandrohung verboten, die Offizien der offenbar unenthaltsamen Kleriker anzuhören, und zügelte so sehr klug deren Unkeuschheit97. Der Urheber dieser Bestim­ mung war vornehmlich Hildebrand, damals Erzdiakon der römischen Kir­ che98, der den Häretikern höchst feindlich war. Um diese Zeit weihte die Kaiserin Agnes im heiligen Schleier Christus ihr Leben, nachdem sie die königlichen Gewänder abgelegt hatte99; sie begab sich in die Stadt Fruttuaria100. 1062. Am 8. Februar kam es zu einem Erdbeben mit Blitz und Donner. Eine todbringende Seuche löschte viele Menschen aus, und es herrschte eine große Hungersnot. König Heinrich feierte den Ostertag101 in Utrecht, einer Stadt in Friesland, zusammen mit seiner kaiserlichen Mutter. Unter Zustim9 1 Graf Gerhard von Galeria und der Abt von S. Gregorio al Celio. 92 1 046 ?-1 071; Gegenpapst Honorius Il. 93 28. Oktober, nach Petrus Damiani, Brief 1 1 2 (MG. Briefe d. dt. Kaiserzeit 4/3, s. 286). 94 1. Oktober, nach Petrus Damiani, Brief 89 (MG. Briefe d. dt. Kaiserzeit 4/2, s. 559). 95 Anselm I. ( 1 057-1 073); Papst Alexander II. (1 061-1 073). 96 14. April. 97 Vgl. Alexander II., Epistola synodica QL 450 1 ) Kap. 3 . 98 1 05 9 -1 073; Papst Gregor VII . ( 1 073 - 1 085). 99 Vielleicht am 22. November in Speyer: s. M. Black-Veldtrup, Kaiserin Agnes ( 1 995), s. 1 3 7. 1 00 Black-Veldtrup S. 38 schlägt 8. Oktober 1 066 als Zeitpunkt dieses Besuchs vor. 101 3 1 . März.

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tentibus quibusdam regni principibus Heinricum regem cum lancea et aliis imperialibus insignibus a matre imperatrice vi arripuit secumque Coloniam adduxit102• Dissensio magna facta est inter imperatricem et Guntharium Babinbergensem episcopum103• MLXIII. Heinricus rex exercitum in Pannonias movens Salomonern filium Andreae regis in regnum patris sui restituit104. Hiems nimis dura aves et pecora frigore extinxit necnon frugum et vini magnam penuriam effecit. Engilhardus Parthenopolitanus archiepiscopus 105 obiit, cui frater Coloniensis episcopi Werinharius 106 successit. Heinricus Augustensis episcopus moritur107, eique Imbricko 108 Mogontiensis canonicus succes­ sit. Cedes magna Goslare accidit in aecclesia rege presente109. Eodem anno quedam mulier iuxta Constantiam infantem duo capita et caetera membra ad usque dunes duplicia habentern peperit. MLXIIII. Heinricus rex natalem Domini Coloniae celebravit, pa­ scha110 autem Leodii. Magna seditio facta est inter Adalbertum Hamin­ burgensem archiepiscopum et principes regni l l l . Synodus Mantue1 12• MLXV. Heinricus rex natalem Domini Goslare, pascha 1 1 3 autem Wormatiae egit. Domus regalis Goslari concremata est. Quod5 et factum est in VI. Kai. Aprilis, indictione tercia. Et ibidem"4 accinctus est gladio, anno regni sui IX., aetatis autem suae XIIIL5 et dux Gotifridus scutarius eius eligebatur.

s-s Eodem anno ab incarnatione Domini M0LX"V0, quando pascha celebratum est VI. Kal. Aprilis, in qua die Christus resurrexit, in tercia die paschalis ebdomadae IV. Kal. Aprilis indictione III•, rex Heinricus anno regni sui VIIII0, aetatis suae XIIII0 accinctus gladio in nomine Domini. B (s. Bernoldchronik 1 065, S. 286.)

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mung einiger Reichsfürsten entriß Erzbischof Anno von Köln in diesen Tagen mit Gewalt den König Heinrich zusammen mit der Lanze und ande­ ren Reichsinsignien der Kaiserinmutter und führte ihn mit sich nach Köln102. Ein großer Streit entstand zwischen der Kaiserin und dem Bischof Gunther von Bamberg103• 1063 . König Heinrich führte ein Heer nach Ungarn und setzte Salomo, den Sohn des Königs Andreas, wieder in die Herrschaft seines Vaters ein104• Ein sehr harter Winter ließ Vögel und Vieh erfrieren und verursachte einen großen Mangel an Früchten und Wein. Erzbischof Engelhard von Magde­ burg105 starb; Werner106, der Bruder des Bischofs von Köln, wurde sein Nachfolger. Bischof Heinrich von Augsburg starb 107; ihm folgte Embriko108, ein Mainzer Kanoniker. In der Kirche von Goslar kam es in Anwesenheit des Königs zu einem großen Gemetzel109• Im seihen Jahr gebar eine Frau bei Konstanz ein Kind, welches zwei Köpfe und auch sonst bis zum Gesäß alle Glieder doppelt hatte. 1064. König Heinrich feierte die Geburt des Herrn in Köln, Ostern 1 10 aber in Lüttich. Ein großer Streit entstand zwischen dem Hamburger Erz­ bischof Adalbert und den Reichsfürstenl l l . Eine Synode in Mantua1 12• 1065. König Heinrich feierte die Geburt des Herrn in Goslar, Ostern1 13 aber in Worms. Der Königshof in Goslar brannte ab. Dies geschah am 27. März, in der dritten Indiktion. Und am seihen Ort1 14 wurde jener im neuntenJahr seiner Regierung, aber in seinem 14. Lebensjahr mit dem Schwert umgürtet, und Herzog Gottfried wurde zu seinem Schildträger gewählt. 102 Nur Berthold, der dieses Ereignis mit seinem Bericht zu den Osterfeierlichkei­ ten verbindet, bietet ein annäherndes Datum für die Entführung Heinrichs IV. bei Kaiserswerth. 103 1 057-1 065. 104 September. 105 1 051-1063, t 3 1 . August. 106 1 063 -1 078. 107 3 . September. 108 1 063 -1077. 109 Pfingsten (8. Juni), wegen eines Streits zwischen Hildesheim und Kloster Fulda: s. G. Meyer von Knonau, Jahrbücher 1, S. 664 ff. 1 10 1 1 . April. 1 1 1 Möglicherweise der Streit zwischen Adalbert ( 1 043 -1 072 ) und dem herzögli­ chen Haus Sachsen, Frühjahr 1 064, oder ein falsch datierter Hinweis auf die Ver­ schwörung gegen Adalbert, Januar 1 066. 1 12 Die Synode vom 3 1 . Mai, welche den Anspruch Alexanders II. auf das Papsttum feststellte. 1 1 3 27. März. 1 1 4 Der Goslar-Bericht ist offenbar eine Interpolation (vielleicht ursprünglich eine Randglosse), da Bertholds Adverb ,ibidem' sich nur auf Worms beziehen kann.

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Bertholdi Chronicon (Forma secunda) Pataviensis episcopus 1 15 obiit, cui Altmannus 1 16 imperatricis capellanus

successit. Hoc tempore Sigifridus Mogontiensis archiepiscopus et Gunt­ harius Babinbergensis episcopus, Otto Ratisponensis episcopus, Willi­ helmus Traiectensis episcopus 1 17, cum magno apparatu et comitatu Ieru­ salem proficiscentes 1 1 8 in eo itinere a paganis multa sunt perpessi. Nam et bellum cum eis inire sunt coacti. In eadem via Guntharius obiit1 19, cui Ricimannus120 symoniace successit. MLXVI. Multi nobiles civili bello perierunt121 . Heinricus rex natalem Domini . . . r. 1 22., pascha123 autem apud Traiectum egit. Eberhardus Treverensis archiepiscopus 124 XVII. Kai. Maii sabbato sancto paschae completis a se ipsius diei officiis, ipsis sacerdotalibus ve­ stimentis indutus, requievit in pace. Cui Chuonradus 1 25 Coloniensis pre­ positus electus a rege succedere debuit, sed a clero et civibus Trevirensi­ bus refutatus est. Unde quidam comes de militia Trevirensi nomine Theodericus 1 26 eundem Chuonradum Trevirim tendentem comprehen­ dit127 et diu sub custodia maceratum quatuor militibus enecandum com­ misit. Qui dum eum ter per quoddam precipitium deiecissent et nihil sibi nisi brachium collidere possent, unus ex illis, paenitentia ductus, ab eo veniam impetravit. Alius autem volens eum decollare maxillam eius tan­ tum abscidit. Et sie ipse Deo dignus martyr ad Dominum migravitu Kai. Junii, sepultus ad abbatiam quandam nomine Doleiamu· 1 28• Tres autem milites mortis illius auctores digna ultio postmodum subsecuta est. Nam unus eorum acceptum cibum deglutire non valens, alii duo manus suas lacerantes sie exspiraveruntv. Preter haec plura miracula ad sepulchrum

t

Lücke AB. migravit. Passus est Kai. lunii, anno ab incarnatione Domini MLX0Vl0, regni vero Heinrici regis X0, sepultus apud abbatiam nomine Doleiam. B (s. Bernoldchro­ nik 1 066, S. 288.) v exspiraverunt. Ad claustra inferni descenderunt. B (s. Bernoldchronik 1 066, S. 288). u-u

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Der Bischof von Passau l l 5 starb; ihm folgte Altmann1 16, der Kaplan der Kaiserin. Zu dieser Zeit zogen Erzbischof Siegfried von Mainz, Bischof Gunther von Bamberg, Bischof Otto von Regensburg und Bischof Wilhelm von Utrecht1 17 mit großem Troß und Gefolge nach Jerusalem1 18; auf dieser Reise wurde ihnen von den Heiden viel Leid zugefügt. Sie waren nämlich sogar gezwungen mit ihnen zu kämpfen. Unterwegs starb Gunther1 19, ihm folgte Ricimann120 auf simonistische Weise. 1066. Viele Adelige kamen im Bürgerkrieg ums Leben 121• König Heinrich feierte die Geburt des Herrn . . . 122, den Ostertag123 aber in Utrecht. Erzbischof Eberhard von Trier124 entschlief in Frieden am 15. April, dem Karsamstag, nachdem er, mit seinen Priestergewändern bekleidet, die Offi­ zien des Tages selbst beendet hatte. Ihm hätte der Kölner Propst Konrad125, der vom König erwählt worden war, nachfolgen sollen; er wurde aber von dem Klerus und den Bürgern von Trier abgewiesen. Deshalb nahm ein ge­ wisser Graf aus der Ritterschaft von Trier mit Namen Dietrich126 diesen Konrad, als er nach Trier zog, gefangen127; nachdem er ihn durch lange Gefangenschaft gequält hatte, übergab er ihn vier Kriegern, die ihn töten sollten. Als diese ihn dreimal in einen Abgrund geworfen hatten, ihm aber nur einen Arm brechen konnten, wurde einer von ihnen von Reue ergriffen und bat ihn um Vergebung. Wieder ein anderer, der ihn enthaupten wollte, hieb ihm nur die Kinnbacke ab. Und so wandelte dieser gotteswürdige Mär­ tyrer am 1. Juni zum Herrn. Er wurde in einer gewissen Abtei mit Namen Tholey begraben128• Die drei Krieger aber, die Urheber seines Todes, traf später eine angemessene Strafe. Denn einer von ihnen konnte die eingenom­ mene Speise nicht schlucken, die anderen beiden zerrissen sich die Hände und starben so. Darüber hinaus ereigneten sich sehr viele Wunder an seinem Grab, durch welche sein Martyrium als verehrenswürdig beglaubigt wurde. 1 15 1 16 1 17 1 18 1 19 120 121

Egilbert ( 1 045 -1 065), t 1 7. Mai. 1 065 -1091 . 1 054 -1 076. Ihre Reise begann nach dem 1 1 . November 1 064. 23. Juli. Hermann ( 1 065 -1 075). Vielleicht die Unruhen in Sachsen, welche auf den Sturz Adalberts von Bremen folgten (Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum III.47). 1 22 Mainz (Annales Altahenses 1 066); Goslar (Lampert, Annales 1 066). 12 3 1 6 . April. 1 24 1 047-1 066. 125 Kuno (Konrad) von Pfullingen, Neffe Annos li. von Köln. 1 26 Burggraf und Vogt von Trier (t 1 073) . 127 1 8. Mai. 12 8 Diözese Verdun.

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facta sunt, per que martyrium illius venerandum probatur. Uto 1 29 cano­ nicus Trevirensis post interfectionem illius archiepiscopus electus a clero constituitur. Cometae sunt visae in octavis paschae, id est VIIII. Kal. Maii, et per dies XXX duraverunt1 30• Nuptiae Heinrici regis apud Triburiam. Item cometa visa est. His temporibus venerabilis Petrus Damiani ex heremita cardinalis episcopus multa conscripsit et incontinentiam sacerdotum satis rationa­ biliter in scriptis suis confutavit, ordinatos autem a symoniacis, ut aiunt, nimium clementer tractavit1 3 1 • Hugo Bizantiensis archiepiscopus 132 vir religiosus, fidelis e t prudens Domini servus gaudium Domini sui super multa constituendus 1 33 felici­ ter intravit. Cui successit a fratribus canonice electus eiusdem aecclesiae canonicus134• MLXVII. Heinricus rex natalem Domini Spirae1 35 celebravit, pascha w autem . . . . 1 36• Saxonia civili laborat discordia137• Burchardus Halberste­ tensis episcopus 138 gentem Leuticorum viriliter devastavit. Einhardus Spirensis episcopus in itinere Rarnano obiit1 39 et Siene sepultus est, cui quidam Heinricus140 successit. His temporibus quidam monachi de valle que vocatur Umbrosa in Florentino episcopatu episcopum suum141 ob symoniacam heresim reci­ pere noluerunt et clerum populumque in tantum ab eo averterunt, ut nullo modo officium illius recipere dignarentur. Qui et sacramenta, que ab eo et ab omnibus symoniacis et uxoratis presbiteris conficerentur,

w Lücke A, B .

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Nach j ener Ermordung wurde Udo129, ein Trierer Kanoniker, von dem Kle­ rus gewählt und zum Erzbischof eingesetzt. Acht Tage nach Ostern, also am 23. April, wurden Kometen gesehen, und sie dauerten 30 Tage lang130• Die Hochzeit König Heinrichs in Tribur. Wie­ derum wurde ein Komet gesehen. Zu dieser Zeit hat der ehrwürdige Petrus Damiani, der vom Eremiten zum Kardinalbischof aufgestiegen war, vieles geschrieben und die Unkeuschheit der Priester in seinen Schriften mit sehr guten Gründen widerlegt. Angeb­ lich aber hat er die von Simanisten Ordinierten zu nachsichtig behandelt131• Erzbischof Hugo von Besan