Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten: Auswirkungen, Ursachen, Abhilfemöglichkeiten, Rechtsschutzmöglichkeiten [1 ed.] 9783428528417, 9783428128419

In Deutschland existiert keine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer. Gleichwohl hat der Bürg

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German Pages 445 Year 2008

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Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten: Auswirkungen, Ursachen, Abhilfemöglichkeiten, Rechtsschutzmöglichkeiten [1 ed.]
 9783428528417, 9783428128419

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1105

Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten Auswirkungen, Ursachen, Abhilfemöglichkeiten, Rechtsschutzmöglichkeiten

Von Andreas Steger

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANDREAS STEGER

Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1105

Überlange Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten Auswirkungen, Ursachen, Abhilfemöglichkeiten, Rechtsschutzmöglichkeiten

Von Andreas Steger

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12841-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Dio

Vorwort Dieser Veröffentlichung liegt meine Doktorarbeit zugrunde, die ich im Januar 2006 nach gut einem Jahr Bearbeitungszeit fertig gestellt hatte. Nachdem im Januar 2008 das Erstgutachten vorlag, habe ich die Arbeit vor der Veröffentlichung noch einmal gründlich überarbeitet und aktualisiert. Sie berücksichtigt nun die Rechtsprechung und die Literatur bis März 2008. Die Einleitung zu diesem Buch [A.] zeigt, dass weder der schnelle Abschluss eines Verfahrens um jeden Preis noch ein gründliches, aber nie zum Abschluss gebrachtes Verfahren erstrebenswert ist. Das Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz ist damit das zentrale Problem der überlangen Verfahrensdauer, weswegen ein Kapitel über dieses Spannungsverhältnis [B.] diese Arbeit eröffnet. Anschließend wird anhand von Statistiken ein Überblick über die aktuelle Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten geboten [C.], und zwar eine Übersicht über die Verfahrensdauer an den deutschen Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten, dem Bundesverfassungsgericht, dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Gericht erster Instanz und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Auf nationaler Ebene tritt das Problem der überlangen Verfahrensdauer in besonderem Maße bei den drei mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichtsbarkeiten auf, von denen die Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere die des Landes Nordrhein-Westfalen, im Mittelpunkt der nachfolgenden Darstellung steht. Auch wenn diese Darstellung die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit nur am Rande erwähnt und auch die Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit nicht im Zentrum der Arbeit stehen, so handelt es sich bei dem Problem der überlangen Verfahrensdauer doch grundsätzlich um ein alle Gerichtsbarkeiten betreffendes Problem, so dass die im Hinblick auf die Verwaltungsgerichte getroffenen Aussagen im Wesentlichen auch auf die anderen Gerichtsbarkeiten übertragbar sind. Im Anschluss daran werden einige der gravierendsten Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer [D.] sowie mögliche Ursachen und Abhilfemöglichkeiten dagegen [E.] dargestellt. Einen weiteren Schwerpunkt dieser Arbeit bildet danach die Frage, in welchen Normen der Wunsch des Gesetzgebers nach zügigen Gerichtsverfahren zum Ausdruck kommt und aus welchen Normen sich ein Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist ergibt [F.]. Abschließend wird dann der Frage nachgegangen, welche Rechtsschutzmöglichkei-

8

Vorwort

ten ein von überlanger Verfahrensdauer betroffener Bürger hat [G.], wobei ein Schwerpunkt auf der Diskussion über die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde liegt. Nach der Zusammenfassung [H.] finden sich im Anhang die Mitschriften von Gesprächen mit Professoren, Rechtsanwälten und Richtern verschiedener Gerichte zum Thema „überlange Verfahrensdauer“ sowie ein Redebeitrag auf einer Tagung. An erster Stelle gilt es meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Löwer, ganz herzlich für die Erstellung des Erstgutachtens zu danken. Er hat mir bei der Wahl und der Bearbeitung des Themas die von mir gewünschte Freiheit gelassen und sich immer wieder Zeit für interessante Gespräche zur Problematik der überlangen Verfahrensdauer genommen. Außerdem danke ich ihm für die Vermittlung von Kontakten zu drei weiteren interessanten Gesprächspartnern, Herrn Dr. Niehues, Frau Professor Dr. Graßhof und Herrn Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Ress. Ganz herzlich möchte ich mich auch bei Herrn Professor Dr. Redeker bedanken, der innerhalb weniger Tage das Zweitgutachten erstellt, sich stets Zeit für interessante Gespräche zum Thema meiner Arbeit genommen, einen Gesprächskontakt zu Herrn Dr. Arntz hergestellt und mir die Benutzung der kanzleieigenen Bibliothek gestattet hat. Ein herzliches Dankeschön für die Gespräche zum Thema meiner Arbeit geht auch an den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Köln Herrn Dr. Arntz, den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Köln Herrn Stegh, den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen Herrn Dr. Bertrams, den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht a. D. Herrn Dr. Niehues, die Richterin am Bundesverfassungsgericht a. D. Frau Professor Dr. Graßhof, sowie den Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte a. D. Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Ress. Ganz herzlich danke ich auch dem im Referat für das Gerichtsorganisationsgesetz tätigen Mitarbeiter des österreichischen Bundesjustizministeriums Herrn Reiter für die Auskünfte zum Fristsetzungsantrag und für die Vermittlung des Gesprächskontakts zu Herrn Dr. Rassi. Beim Richter am Landesgericht Eisenstadt (Österreich) Herrn Dr. Rassi bedanke ich mich ganz herzlich für die ausführlichen Informationen zum österreichischen Fristsetzungsantrag. Herrn Professor Dr. Mayen danke ich dafür, einen von ihm gehaltenen Vortrag in den Anhang meiner Arbeit aufnehmen zu dürfen. Ein Dankeschön gilt auch Herrn Dr. Simon, LL.M., für die Aufnahme dieser Abhandlung in die Reihe „Schriften zum Öffentlichen Recht“.

Vorwort

9

Bei der Konrad-Redeker-Stiftung möchte ich mich ganz herzlich für das Stipendium, das mir während der Erstellung der Dissertation gewährt wurde, bedanken. Meinen Eltern, Theo und Reglindis Steger, bin ich dankbar für die immer gewährte Förderung und Unterstützung während meiner Kindheit, Schulzeit, Studium und Promotion sowie für die Übernahme der Druckkosten. Meiner Tochter Athena Steger bin ich dafür dankbar, dass sie die zeitintensive Überarbeitung und Aktualisierung der Arbeit durch Verzicht auf ihren Papa ermöglicht hat. Last but definitely not least danke ich meiner Ehefrau Diotima Steger und widme ihr dieses Buch, da dies alles ohne ihre tatkräftige Hilfe und liebevolle Unterstützung nicht möglich gewesen wäre. Bonn, im April 2008

Andreas Steger

P.S. Wenn im Rahmen dieses Buches aus Gründen der Lesbarkeit nur die männliche Form verwendet wird, so sind selbstverständlich auch die Richterinnen, Rechtsanwältinnen und Professorinnen gemeint.

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

B. Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

I.

Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

1. Verfahrensdauer an den deutschen Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . .

31

2. Verfahrensdauer an den nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten

32

3. Verfahrensdauer an den deutschen Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

4. Verfahrensdauer am nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in der Rechtsmittelinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

5. Verfahrensdauer am Bundesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

Sozialgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

1. Verfahrensdauer an den Sozialgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

2. Verfahrensdauer an den Landessozialgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

3. Verfahrensdauer am Bundessozialgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

Finanzgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1. Verfahrensdauer an den Finanzgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

2. Verfahrensdauer am Bundesfinanzhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

IV.

Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

V.

Europäischer Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

VI.

II.

III.

Europäisches Gericht erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

VII. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

I.

Materielle und immaterielle Auswirkungen auf die Betroffenen . . . . . . .

50

II.

Volkswirtschaftliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

III.

Schaden für das Ansehen der Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

IV.

Bedeutungsverlust für die Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

12

Inhaltsverzeichnis

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anzahl der Richterstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besetzung der Spruchkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zulassungsberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtsbescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Privatisierung von Teilen der Justiz und Übertragung von Aufgaben auf Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Gesetzliche Höchstfristen für Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Spezielle Entlastungsmöglichkeiten für das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Kompliziertheit des Rechts und Normenflut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Primär von den unmittelbar am Verfahren beteiligten Personen zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhalten der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsweise der Richter und richterliche Unabhängigkeit . . . . . . b) Umfang der richterlichen Entscheidungsbegründungen . . . . . . . . . c) Nebentätigkeiten der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Amtsermittlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Konsensuale Streitschlichtung, Mediation und Vergleich . . . . . . . . g) Früher erster Termin und Erörterungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhalten der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhalten der Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhalten der Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Ausstattung der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisation des Geschäftsablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berichterstatterwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verzögerung von Hauptsacheverfahren durch Eilverfahren . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialgerichtsgesetz (SGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64 67 68 74 85 91 94 97 98 99 102 105 106 110 111 111 119 125 126 129 131 139 141 146 147 149 149 153 157 158 159 166 166 167 168

Inhaltsverzeichnis

II.

3. Finanzgerichtsordnung (FGO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zivilprozessordnung (ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Strafprozessordnung (StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerichtskostengesetz (GKG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Deutsches Richtergesetz (DRiG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die EMRK als Teil der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rang in der Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Völkerrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich nach dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Englische Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Französische Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gegenüberstellung der englischen und der französischen Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Dokumente über die Vorarbeiten („travaux préparatoires“) bb) Parallelen zu anderen völkerrechtlichen Kodifikationen . . . . . cc) Artikel 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Entstehung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systematische Stellung innerhalb der Norm . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Stellung innerhalb der EMRK . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Mögliche Gegenbegriffe zur Einschränkung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ziel und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anwendungsbereich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs . .

13 169 169 170 170 171 171 171 172 172 173 174 176 177 178 179 179 183 185 186 187 188 188 190 191 192 194 196 196 197 197 198 199 199 199 202

14

Inhaltsverzeichnis

III.

IV. V.

VI.

aa) Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sozialgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Finanzgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Evolutiv-dynamischer Charakter der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu berücksichtigender Zeitraum für die Berechnung der Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Komplexität der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhalten des Beschwerdeführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhalten der Behörden und Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer und Eilbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gesamtwürdigung der verschiedenen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundgesetz (GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschlägige Artikel des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Artikel 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Materielle Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Charta der Grundrechte der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rang des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist in der Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204 207 208 209 211 213 216 217 219 221 223 225 227 228 229 229 229 230 230 233 234 234 235 236 236 237 243 243 243 245 245 247 248 248

Inhaltsverzeichnis G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . I. Entschädigungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amtshaftungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überlange Verfahrensdauer als Revisionsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Präventive Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dienstaufsichtsbeschwerde und richterliche Unabhängigkeit . . . . . . . . 3. Anzeige des Richters wegen Rechtsbeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Richteranklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Amtshaftungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . 8. Untätigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aktuelle gesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweckmäßigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erforderlichkeit einer Beschwerdemöglichkeit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte . . e) Aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzentwurf der Landesregierung Hessen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzentwurf der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut und Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verbesserungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 251 252 252 254 256 258 259 261 261 262 267 269 269 269 270 271 272 275 276 281 285 288 288 290 291 294 296 299 300 300 301

H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 I. Gespräch mit Herrn Professor Dr. Redeker, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 II. Gespräch mit Herrn Dr. Arntz, Präsident des Verwaltungsgerichts Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

16

Inhaltsverzeichnis III.

Gespräch mit Herrn Stegh, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gespräch mit Herrn Professor Dr. Löwer, Ordentlicher Professor an der Universität Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gespräche mit Verwaltungsrichtern und Fachanwälten für Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Referat von Herrn Professor Dr. Mayen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gespräch mit Herrn Dr. Bertrams, Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Gespräch mit Herrn Dr. Niehues, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht a. D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Gespräch mit Frau Professor Dr. Graßhof, Richterin am Bundesverfassungsgericht a. D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Gespräch mit Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Ress, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte a. D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Gespräch mit Herrn Dr. Rassi, Richter am Landesgericht Eisenstadt (Österreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

326 326 332 332

343 348 356 365 365

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

A. Einleitung „Die Gerichtshöfe sollen keine Rennbahnen seyn, wo der Richter einziges Bestreben nur dahin geht, diese mit den Partheyen so schnell als möglich zu durchlaufen. Die Gerechtigkeit soll nicht auf Kurierpferden durchreiten, und nur den an ihr Theil nehmen lassen, der die flüchtige Gottheit zufällig bei den Flügeln faßt.“1

Mit dieser poetisch formulierten Metapher warnte Ludwig Friedrich Griesinger im Jahre 1820 eindringlich vor übereilten Urteilen der Gerichte. Und auch Johann Kaspar Gensler betonte 1821: „Die Gerechtigkeit darf der Schnelle nicht zum Opfer gebracht werden.“2 Ebenfalls in diese Richtung geht die Ansicht von Paul Johann Anselm von Feuerbach aus dem Jahre 1825, dass das Bemühen um Verfahrensbeschleunigung, „indem es die Prozesse abkürzt, auch das Recht verkürzt“.3 Schon 1778 fügte Karl Ferdinand Hommel seiner Übersetzung des berühmten Werkes „Dei delitti e delle pene“ („Über Verbrechen und Strafen“) von Cesare von Beccaria im Hinblick auf die Dauer von Gerichtsverfahren die Anmerkung hinzu, man habe „eher Ursache sich über Eilfertigkeit, als Verzögerung zu beklagen“.4 Und bereits im ersten Jahrhundert vor Christus warnte der römische Dichter Publilius Syrus in einer seiner Sentenzen davor, dass beim Richten Schnelligkeit verbrecherisch sei („In iudicando criminosa est celeritas“).5 Es finden sich in der Geschichte also immer wieder Warnungen vor zu großer Eile bei Gerichtsverfahren. Auch in neuerer Zeit wird angesichts von Bestrebungen, die Verfahrensdauer zu verkürzen, vereinzelt vor einer „Rechtsverkürzung“6 oder „Fast-Law-Justiz“ gewarnt7 und betont: „Schnelligkeit allein schafft überhaupt kein Recht“8 oder „Schneller Rechtsschutz ist nichts wert, wenn er schlecht ist“.9 Den meisten erscheinen heute solche Warnungen angesichts des insgesamt hohen Rechtsschutzstandards in Deutschland und Europa sowie wegen der lan1 2 3 4 5 6 7 8 9

Griesinger (1820) S. 39. Gensler (1821) S. VIII Fn 4. v. Feuerbach (1825) S. 109. Hommel (1778) S. 95 Fn m. Liebs (1998) S. 105 Nr. J77. Lohrmann AnwBl 2001, 95, 96. Addicks NWVBl 2005, 293, 296. Rudolph in: FS-Richterakademie (1983) S. 151, 152. Addicks NWVBl 2005, 293, 294.

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A. Einleitung

gen Dauer vieler Gerichtsverfahren jedoch eher als Sarkasmus.10 Anstatt vor übereilten Urteilen zu warnen, wird heutzutage in zahlreichen Gerichtsurteilen und an unzähligen Stellen in der Literatur immer wieder betont und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zur Justizgewährleistungspflicht des Staates auch das Gebot gehört, streitige Rechtsverhältnisse zügig, rechtzeitig beziehungsweise in angemessener Zeit zu klären.11 Eine überlange Verfahrensdauer gleicht nämlich einer Rechtsverweigerung12 und durch sie wird das Recht schlechthin verweigert.13 Recht ist ein Gut, das 10

Küng-Hofer (1984) S. 2; Schlette (1999) S. 13. BVerfG (1. Senat) 18. Juli 1973 Az 1 BvR 23/73, 155/73 BVerfGE 35, 382, 405; BVerfG (2. Senat) 27. März 1980 Az 2 BvR 316/80 BVerfGE 54, 39, 41; BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG (1. Senat) 16. Mai 1995 Az 1 BvR 1087/91 BVerfGE 93, 1, 13; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 26. März 2001 Az 1 BvR 383/00 NJW 2001, 2161, 2162; VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Bauer (1973) S. 96; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Blümel in: FS-Forsthoff (1967), 133, 144; Buermeyer (1975) S. 90; Dahm SozVers 1997, 123, 124; Dienes (1975) S. 160; Dörr (1984) S. 155 und 166 und 176; Dörr (2003) S. 27 und 29 und 35 und 278; Dombert SächsVBl 1995, 73, 74; v. Els FamRZ 1994, 735, 735; Endemann VBlBW 1994, 297, 297; Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 10; Huber in: v. Mangolt/Klein/Stark (2005) Art 19 Abs 4 Rn 479; Hummel GR 2000, 143, 145; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 304 und 307; Jescheck JZ 1970, 201, 204; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Klink SGb 1973, 431, 431; Krebs in: v. Münch/Kunig (2000) Art 19 Rn 64; Kunig (1986) S. 441 f.; Lingens NZWehrr 2005, 25, 26; List DB 2005, 571, 571; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 43 und 70; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 111; Maurer in: FS-Kern (1968), 275, 283; Mayen Anhang VI (2005) S. 338; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 32; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 3 und 77; Pawlita SozVers 1997, 266, 266; Pfeifer ÖZöRV 12 (1962/1963), 1, 68 f.; Pitschas ZRP 1998, 96, 99; Prütting in: Germelmann u. a. (2008) § 9 Rn 4; Ramsauer in: AK (2001) Art 19 Abs 4 Rn 95; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 233; Sachs ZRP 1982, 227, 231; Schmidt-Jorzig in: Bundesjustizministerium (1998) S. 3, 3; Schoenfeld DB 2004, 2287, 2287; SchulzeFielitz in: Dreier (2004) Art 19 IV Rn 111; Schwachheim in: Umbach/Clemens (2002) Art 19 IV Rn 178; Sendler (2000) S. 2; Stein/Frank (2004) S. 431; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177; Stern (1984) S. 854; Stilz ZGR 2001, 875, 900; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Tettinger (1980) S. 358; Vollkommer in: Zöllner (2005) Einleitung Rn 49 f. 12 VGH Bayern (6. Senat) 11. August 1977 Az 102 VI 77 BayVBl 1978, 212, 213; VGH Bayern (10. Senat) 27. Januar 2000 Az 10 C 99/3695 NVwZ 2000, 693, 693; OLG Koblenz (1. Senat) 13. Oktober 1971 Az 1 Ws 34/71 NJW 1972, 404, 405; OLG Frankfurt am Main (16. Senat) 22. Februar 1974 Az 16 W 11/74 NJW 1974, 1715, 1716; OLG Zweibrücken (1. Senat) 21. September 1988 Az 1 Ws 402/88 StV 1989, 51, 52; OLG Hamburg (2. Senat) 3. Mai 1989 Az 2 UF 24/89 NJW-RR 1989, 1022, 1022; OLG Koblenz (1. Senat) 9. Dezember 1992 Az 1 Ws 502/92 NJW 1994, 1887, 1887; AG Pankow-Weißensee 14. Dezember 1998 Az 11 F 485/95 FamRZ 2000, 168, 169; Baur (1966) S. 2; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 55; Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 78; Bull NJW 1957, 1100, 1101; Deumeland SZS 1996, 25, 26; Dörr (1984) S. 176; Dütz (1970) S. 194; Fawcett ICLQ-SP 11 (1965), 70, 71; Feiber NJW 1975, 2005, 2006; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 20; Gut11

A. Einleitung

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zeitabhängig und zeitbezogen ist, und nur das rechtzeitig wirksam werdende Recht beantwortet die Gegenwartsfrage an das Recht, während verspätete Antworten Rechtsverweigerung sind.14 Nur rechtzeitiger Rechtsschutz kann wirksamer Rechtsschutz sein15 und daher ist spätes Recht schlechtes Recht.16 Umgekehrt kann ein gutes Recht nur ein Recht sein, dass sich in angemessener Zeit durchsetzen lässt.17 Doch nicht erst in neuerer Zeit wird auf das Problem der überlangen Verfahrensdauer hingewiesen. Nur wenige Seiten vor seiner oben zitierten Warnung vor einer Verkürzung der Gerechtigkeit durch übereilte Urteile beklagte Johann Kaspar Gensler auch den „schleppenden Prozessgang in den teutschen Gerichten“ und mahnte die „möglichste Kürze und Einfachheit“ der Prozesse an.18 Und Paul Johann Anselm von Feuerbach kritisiert die überlange Verfahrensdauer vor dem Reichskammergericht in Wetzlar, vor dem sich einige Prozesse über mehrere Generationen dahinschleppten,19 indem er darauf hinweist, dass dieses Gericht „scherzweise“ mit dem „Olymp, auf welchem die Unsterblichen wohnen“ verglichen wurde.20 Im Hinblick auf Strafverfahren vertrat der oben erwähnte Cesare von Beccaria bereits im Jahre 1764 die Ansicht, „je schneller und rascher die Strafe dem hardt-Schulz in: FAZ vom 28. Dezember 1999 S. 10; Harries-Lehmann (2004) S. 68 und 369 f.; Hofe in: Pitschas (1999) S. 211, 215; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 304; Kollatz DWiR 1992, 70, 70; Lesch BDVR-R 1998, 44, 45; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 43; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 32; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 73; Mittelstädt in: FAZ vom 11. August 1995 S. 8; Papier NJW 1990, 8, 10; Ravazoulas AnwBl 1997, 271, 271; Redeker RuP 1982, 51, 52; Redeker NJW 2002, 2610, 2611; Rößler DStZ 1985, 375, 376; Schoch (1988) S. 173; Sendler DVBl 1982, 157, 157; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 176 und 191; Sölla FoInt 1996, 157, 162; Stelkens NVwZ 1995, 325, 325 und 330 f.; Stöcker DStZ 1989, 367, 373; Ulrich in: SZ vom 9. November 2005 S. 11; Verrel NStZ 2002, 334, 334; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 105; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 160; Ziekow (1998) S. 11. 13 Baur (1966) S. 9; Frowein in: HStR VII (1989) § 180 Rn 50; Otto (1994) S. 19; Sendler DRiZ 1991, 111, 112; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 105 und 131; Ziekow (1998) S. 10; Ziekow DÖV 1998, 941, 941. 14 Harries-Lehmann (2004) S. 67; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kirchhof in: FSDoehring (1989) S. 439, 440; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Schlette (1999) S. 24; Schlette EuGRZ 1999, 369, 369; Wilfinger (1995) S. 2 und 53. 15 Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Dörr (2003) S. 29; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 85. 16 Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350. 17 Bertrams DVBl 2006, 997, 1003; Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 23; Hoffmann DStR 1994, 856, 856; Petersen BDVR-R 1998, 14, 17; Rudolph in: FS-Richterakademie (1983) S. 151, 152; Sangmeister DStZ 1993, 31, 33 Fn 21; Sendler (2000) S. 1; Voss DRiZ 1988, 466, 466. 18 Gensler (1821) S. V. 19 Winkler (1995) S. 175. 20 v. Feuerbach (1825) S. 177.

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begangenen Verbrechen folgt, desto gerechter und nützlicher ist sie. [. . .] Von der größten Wichtigkeit ist also die schnelle Folge von Verbrechen und Strafe“.21 Auch das alte Sprichwort „Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen“ drängt auf eine Beschleunigung im Strafprozess.22 Und bereits im Jahre 1679 veröffentlichte der Philosoph und Jurist Gottfried Wilhelm Leibniz (1640– 1716) ein Werk mit dem viel sagenden Titel: „Mittel den Prozess zu verkürzen, ohne Abgang der Gerechtigkeit, und des Vorteils der Interessierten“.23 Selbst in die Kunst hat das Problem der überlangen Verfahrensdauer Eingang gefunden. Im altehrwürdigen Palais de Justice in Paris ist eine weibliche Statue der Gerechtigkeit zu sehen, deren linker Fuß auf einer Schildkröte ruht. Auf diese Weise wollte der Künstler schon damals die Langsamkeit der Justiz allegorisch zum Ausdruck bringen.24 Und im Innenhof der Casa de l’Ardiaca in Barcelona befindet sich ein marmorner Briefkastenschlitz über dem drei Schwalben fliegen und zu dem eine Schildkröte hinaufklettert. Diesen Briefkasten hat der katalanische Modernisme-Architekt Iluís Domènech i Montaner für die dortige Anwaltskammer entworfen, die dort Ende des 19. Jahrhunderts ihren Sitz hatte. Geistvoll werden so die schildkrötengleich langsam mahlenden Mühlen der Justiz ironisiert, die doch eigentlich schnell wie der Flug der Schwalben arbeiten sollten.25 Damit zeigt sich, dass die Kritik an zu langer Verfahrensdauer mindestens genauso alt ist wie die eingangs zitierten Warnungen vor zu großer Eile bei der Rechtsprechung.26 Ergeht die verbindliche, die Rechtslage abschließend klärende Gerichtsentscheidung erst nach langer Zeit, ist sie für den Bürger auch bei Obsiegen häufig wertlos, ja geradezu gleichbedeutend mit einer Rechtsschutzverweigerung.27 21

Beccaria (1764) S. 47 f. Duden Redewendungen (2002) S. 250; Schünemann NJW 1968, 975, 975; Siegert DRiZ 1932, 203, 204. 23 Beyer NJW 1988, 312, 312; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 327. 24 Henke ZZP 83 (1970), 125, 143. 25 Schröder (2007) S. 25. 26 Dombert SächsVBl 1995, 73, 73; v. Els FamRZ 1994, 735, 738; Fischer DÖV 1988, 1040, 1040; Henke ZZP 83 (1970), 125, 135 und 166; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kießling DRiZ 1977, 326, 326; Klink SGb 1973, 431, 431; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 203; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Niehues Anhang VIII (2005) S. 348; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Redeker DVBl 1977, 132, 133; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Redeker (2000) S. 24; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; v. Stackelberg NJW 1960, 1265, 1265; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 327; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 121; Weiß BRAKMitt 1999, 61, 61. 27 Busse (2005) S. 9; v. Els FamRZ 1994, 735, 736; v. Feuerbach (1817) S. 132; Hauck in: Hauck/Helml (2006) § 9 Rn 2; Klose NJ 2004, 241, 245; Kopp BayVBl 22

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Um noch einmal Paul Johann Anselm von Feuerbach zu bemühen: „Ein verspäteter Rechtsgewinn ist öfters so schlimm, oft verderblicher als ein zeitiger Rechtsverlust“.28 Eine noch so richtige Entscheidung ist falsch, wenn sie zu spät kommt.29 Im anglo-amerikanischen Recht wird dies bereits seit der magna charta von 1215, in deren Artikel 40 es heißt: „to none will we sell, to none deny, right or justice“ („Nulli vendemus, nulli negabimus, aut differemus rectum aut justiciam“),30 und auch angesichts des sechsten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1791 („The accused shall enjoy the right to a speedy and public trial“)31 auf die folgende prägnante Formel gebracht: „right delayed is right denied“ beziehungsweise „justice delayed is justice denied“.32 Bekannt geworden sind diese Formulierungen aufgrund ihrer leicht abgewandelten Verwendung durch den Schriftsteller Walter Savage Landor, der von 1775 bis 1864 lebte („delay of justice is injustice“), durch William E. Gladstone (1809–1898), der von 1868 bis 1894 als britischer Premierminister amtierte („justice delayed is justice denied“), und nicht zuletzt durch Martin Luther King Junior (1929–1968), den berühmten amerikanischen Bürgerrechtler („a right delayed is a right denied“). In Frankreich sah schon der französische Schriftsteller und Staatsphilosoph Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689–1755) die Gefahr für die Gerechtigkeit in Verzögerungen des Rechtsschutzes und nicht in der Ausgestaltung des Prozessrechts („L’injustice n’est pas dans les formes mais dans les délais“),33 der Moralist und Schriftsteller Jean de La Bruyère (1645–1696) wies ebenfalls auf die Bedeutung einer möglichst prompten gerichtlichen Entscheidung für die Gerechtigkeit hin („Une circonstance essentielle à la justice, c’est de la faire promptement et sans différer; la faire attendre, c’est injustice.“),34 und auch heute noch mahnt ein altes französisches Rechtssprichwort vor überlanger Verfahrensdauer („Justice rétive, justice fau1980, 263, 267; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 36; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Schlette (1999) S. 24; Schlette EuGRZ 1999, 369, 369; Stoll SchlHA 1993, 263, 266. 28 v. Feuerbach (1817) S. 132. 29 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 427; Niesler (2005) S. 16; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler (2000) S. 1 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 448. 30 Gaede wistra 2004, 166, 168. 31 Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 106. 32 v. Els FamRZ 1994, 735, 736; Schlette (1999) S. 24; Schlette EuGRZ 1999, 369, 369; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1135. 33 Baert in: Storme (1983), 15, 42; Otto (1994) S. 38 Fn 18. 34 Duden Redewendungen (2002) S. 733 f.; Kopp BayVBl 1980, 263, 267 Fn 28; Kopp DVBl 1982, 613, 614 Fn 4; Pieck (1966) S. 82; Sangmeister DStZ 1993, 31, 33 Fn 21; Schlette (1999) S. 25; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 338.

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tive“).35 Selbst in der lateinischen Sprache findet sich ein entsprechendes Rechtssprichwort, das besagt, dass das Hinauszögern der Rechtsgewährung eine Art ist, sie zu verweigern („Iustitiae dilatio est quaedam negatio“).36 Auffällig ist jedoch, dass ein vergleichbares Rechtssprichwort in der deutschen Sprache nicht existiert,37 hingegen in Deutschland oft die Rede vom „kurzen Prozess“ ist,38 wo gerade der Sorge um eine überstürzte gerichtliche Entscheidung Ausdruck verliehen wird.39 Dies kann nicht daran liegen, dass die Gerichtsverfahren in Deutschland schneller als in anderen Staaten wären, wie das alte deutsche Sprichwort „Die Mühlen der Justiz mahlen langsam“ zeigt.40 Es ist auch bezeichnend, dass die bekannte deutsche Redewendung „Etwas auf die lange Bank schieben“ aus dem Gerichtsbereich stammt, wo die Akten schon im Mittelalter auf den als Ablage dienenden bankähnlichen Truhen immer weiter nach hinten gerückt wurden.41 Was dorthin kam, blieb lange unerledigt, während die Akten, die auf dem Tisch des Richters blieben, schneller bearbeitet wurden.42 Nicht nur hinsichtlich der Entscheidung des Gerichts, sondern auch bezüglich des Zeitpunkts einer Entscheidung haben viele Rechtsschutzsuchende inzwischen das Gefühl: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“.43 Den verzweifelt auf sein Recht wartenden Bürger kann dann auch nicht mehr das Sprichwort „Gut Ding will Weile haben“44 mit der Hoffnung auf ein besonders schön formuliertes Urteil beruhigen. Die Suche nach Gerechtigkeit gleicht 35

Schlette (1999) S. 24 Fn 30; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1135. Liebs (1998) S. 118 Nr. J193; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1135. 37 Terhechte DVBl 2007, 1134, 1135. 38 Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 4; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Buciek StuW 1999, 53, 53 und 60; Geiger ZRP 1998, 252, 253; Harries-Lehmann (2004) S. 31 und 95; Hillenkamp JR 1975, 133, 134; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 352 Fn 2; Meier NVwZ 1998, 688, 689; Niesler (2005) S. 5; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 327; Stelkens NVwZ 1995, 325, 330; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Wilfinger (1995) S. 118. 39 Niesler (2005) S. 5; Schlette (1999) S. 24 Fn 30. 40 Blomeyer NJW 1977, 557, 557; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 21; Kerscher in: SZ vom 13. Dezember 2004 S. 14; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 205; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Schlette (1999) S. 17. 41 Duden Redewendungen (2002) S. 91; Eylmann RPfl 1998, 45, 46; Ress in: FSMatscher (2005) S. 39, 57; Sangmeister DStZ 1993, 31, 31; Stelkens NVwZ 2000, 155, 158; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 432; Stöcker DStZ 1989, 367, 368. 42 Duden Redewendungen (2002) S. 91. 43 Beise in: SZ vom 22./23. Januar 2005 S. 23; Leisner (2003) S. 224; Redeker NJW 2002, 2610, 2611; Riemann in: SZ vom 15./16. Januar 2005 S. 41. 44 Duden Redewendungen (2002); Dürr BDVR-R 2002, 44, 45; Krumm NJW 2004, 1627, 1627. 36

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einem „Marathonlauf zum Recht“,45 bei dem nur noch die Bürger mit der größten Ausdauer das Ziel, ein abschließendes Urteil zu erhalten, erreichen. Die Verfahrensdauer ist gewissermaßen die „offene Flanke“46 oder „Achillesferse“47 des ansonsten nahezu perfekten deutschen Rechtsschutzsystems. Auch ausländische Beobachter sind fasziniert von dem in Deutschland gewährten Rechtsschutz, jedoch betroffen von der Länge der Gerichtsverfahren.48 Die zu lange Dauer vieler Gerichtsverfahren ist ein gravierendes Problem49 und stellt damit ein „Grundübel der Judikative“50 und ein „Fundamentalproblem des ganzen Rechtsschutzes“51 dar.

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Kerscher in: SZ vom 10. Dezember 2004 S. 9. Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 109. 47 Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 262. 48 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 448; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57. 49 Arntz Anhang II (2005) S. 325; Bertrams und die Präsidenten der VGNW BJ 2001, 223, 223; Bertrams NWVBl 2005, 245, 247; Körner BDVR-R 2005, 11, 11; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Otto (1994) S. 1; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332. 50 Redeker NJW 2002, 2610, 2611. 51 Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 175; Forsthoff VVDStRL 18 (1960), 176, 184; Harries-Lehmann (2004) S. 8 Fn 22; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Niesler (2005) S. 18; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 309; Schlette (1999) S. 15; Schlette EuGRZ 1999, 369, 371; Schoch (1988) S. 172; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206; Sendler DVBl 1982, 157, 164; Sendler DVBl 1982, 923, 923; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 180; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler (2000) S. 12. 46

B. Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz „Wenn jemand einen Rechtsfall zu entscheiden hat, muss allein die Gerechtigkeit sein Maßstab sein.“1

Im dritten Buch Mose, Kapitel 19, Vers 15, wird mit diesen Worten Gottes die Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der Rechtsprechung gerückt. Neben der zeitlichen Komponente stellt die Gründlichkeit von Entscheidungen – und damit als Ziel die materielle Gerechtigkeit – einen weiteren Faktor des effektiven Rechtsschutzes dar.2 Wirksamer Rechtsschutz hat nicht nur mit der für die Entscheidung benötigten Zeit, sondern auch mit dem Gehalt, der Güte von Entscheidungen zu tun.3 Der Faktor Zeit ist elementar bei jeder staatlichen Tätigkeit, ganz besonders aber dann, wenn es darum geht, Recht zu sprechen.4 Die meisten Bestandteile richterlicher Tätigkeit, wie das Durcharbeiten von Akten, die Prüfung von Rechtsfragen, das Vorbereiten und die Durchführung einer Verhandlung mit Anhörung der Beteiligten sowie das Abfassen einer schriftlichen Entscheidung, sind im Wesentlichen zeitaufwändige intellektuelle Prozesse.5 Qualitätvolle richterliche Arbeit erfordert damit vor allem Zeit.6 Während Zeit genau messbar ist, kann Gerechtigkeit nicht so ohne weiteres gemessen werden.7 Fest steht jedoch, dass ein gerechtes Urteil nur auf der Wahrheit beruhen kann.8 Daher muss die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gründlich ermittelt, aufgearbeitet und nicht zuletzt in Ruhe durchdacht werden, wobei dies um so mehr Zeit erfordert, je komplexer eine Sache ist.9 Gründlich-

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Bibel 3. Buch Mose (Levitikus) Kapitel 19 Vers 15. Appel (1961) S. 55; Lautmann (1972) S. 170; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42. 3 Harries-Lehmann (2004) S. 69; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2003, 413, 417; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 352; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 635; Schlette (1999) S. 31. 4 Bertrams DVBl 2006, 997, 1003; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2003, 413, 417; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 226; Röttgen ZRP 2003, 345, 345; Werner in: Hill/Klages (1997) S. 77, 88. 5 Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2003, 413, 417; Hohendorf NJW 1984, 958, 959. 6 Addicks NWVBl 2005, 293, 294; Klose NJ 2004, 241, 244; Quaas DRiZ 2001, 79, 80. 7 Sendler DVBl 1982, 157, 164. 8 Bernhardt in: FS-Rosenberg (1949) S. 9, 11; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107. 2

B. Spannungsverhältnis zwischen schnellem und gründlichem Rechtsschutz

25

keit ist oft zeitaufwendig10 und eine Entscheidung im Sinne eines „fast food Service“ ist gerade nicht erstrebenswert.11 Die Richtigkeit und Gründlichkeit einer Entscheidung rangiert damit grundsätzlich vor ihrer Schnelligkeit.12 Die Entscheidung eines Rechtsstreits erfordert stets auch einen inneren Prozess des Nachdenkens,13 denn eine richterliche Entscheidung ist nicht nur actio, sondern auch cogitatio.14 Während die Forderung nach einem rechtzeitigen Urteil auf eine größtmögliche Verkürzung des Rechtsfindungsverfahrens drängt, erfordert das Gebot eines gerechten Urteils die sorgfältige und umfassende Sachverhaltsermittlung und das besonnene Gewichten und Abwägen der Rechtsfrage.15 Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist darf also nicht zu einer Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis und damit zum sprichwörtlichen „kurzen Prozess“ führen,16 der genauso rechtsstaatswidrig wie eine überlange Verfahrensdauer wäre.17 Um es mit den Worten von Paul Johann Anselm von Feuerbach auszudrücken, die dieser 1817 in seiner Antrittsrede anläßlich seiner Einführung als Präsident des Appellationsgerichts gebrauchte: „Nicht zögern ist Richterpflicht; aber eben so gewiß nicht eilen; denn Eile übereilt sich, und ein eilfertiger Rechtsspruch ist sehr oft nur ein eilendes Unrecht.“18

9 Harries-Lehmann (2004) S. 86 ff.; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kloepfer JZ 1979, 209, 210; Schlette (1999) S. 31; Schünemann NJW 1968, 975, 975; Schütz BJ 2005, 72, 74. 10 Leisner (2003) S. 242. 11 Schäfer DRiZ 1995, 461, 470. 12 Addicks NWVBl 2005, 293, 294; Appel (1961) S. 55; Bischofberger (1972) S. 120; Grunsky RdA 1974, 201, 203; Hillenkamp JR 1975, 133, 135; Klose NJ 2004, 241, 244; Leisner (2003) S. 225 und 287; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Schenke in: BnK (2004) Art 19 Abs 4 Rn 423; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Weth NJW 1996, 2467, 2469. 13 Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 2; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Eylmann u. a. (2004) S. 15 Rn 33; Harries-Lehmann (2004) S. 87; Quaas DRiZ 2001, 79, 80; Schlette (1999) S. 32. 14 Beyer NJW 1988, 312, 312; Harries-Lehmann (2004) S. 87 Fn 350. 15 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55. 16 Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 4; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Buciek StuW 1999, 53, 53 und 60; Geiger ZRP 1998, 252, 253; Harries-Lehmann (2004) S. 31 und 95; Hillenkamp JR 1975, 133, 134; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 352 Fn 2; Meier NVwZ 1998, 688, 689; Niesler (2005) S. 5; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 327; Stelkens NVwZ 1995, 325, 330; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Wilfinger (1995) S. 118. 17 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Kopp BayVBl. 1980, 263, 267; Müller KJ 1977, 11, 17; Niesler (2005) S. 5; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 307; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 635; Schlette (1999) S. 31; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Sendler DVBl 1982, 923, 926; Sendler DRiZ 1991, 111, 111; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Ule DVBl 1982, 821, 823; Wilfinger (1995) S. 7. 18 v. Feuerbach (1817) S. 132.

26

B. Spannungsverhältnis zwischen schnellem und gründlichem Rechtsschutz

Beispiele für rechtsstaatswidrige kurze Prozesse gibt es in der deutschen Geschichte genug, zuletzt in der Zeit des Nationalsozialismus und in der ehemaligen DDR.19 Zwischen einem schnellen Prozess, der ein rechtsstaatliches Desiderat, und einem kurzen Prozess, der eine rechtsstaatliche Fehlleistung ist, läuft oft nur ein schmaler Grat.20 Der Konflikt zwischen materieller Gerechtigkeit und Beschleunigung ist ein „Grunddilemma rechtsstaatlicher Rechtsprechung“21 und ein „Dauerproblem in jeder Prozessordnung“.22 Damit tritt ein Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz zutage.23 Dieses ist dahingehend aufzulösen, dass zur Bestimmung der Angemessenheit der Frist auch der Umfang der tatsächlichen und rechtlichen Aufarbeitung des Prozessstoffs einzufließen hat.24 Das Bestreben, Prozesse zu beschleunigen, darf nicht zu einer Verkürzung der Gerechtigkeit führen.25 Ein übermäßiger Zeitdruck auf die Gerichte wäre schädlich,26 denn dann bestünde die Gefahr, dass die Gerichte hinsichtlich ihrer Entscheidungen eine Selbstentlastung durch eine Absenkung des Niveaus betreiben würden.27 Anzustreben ist ein ausgewogenes Mittel, bei dem sowohl Schnelligkeit als auch Gründlichkeit gewährleistet sind,28 also der vielzitierte „goldene Schnitt“, der schonende Ausgleich zwischen größtmöglicher Schnelligkeit und maximaler Richtigkeit von Entscheidungen.29 Bei allen Überlegungen zur überlangen Verfahrensdauer ist zu bedenken, dass weder die Raschheit eines Verfahrens an für sich einen Wert noch die längere 19

Sendler VBlBW 1989, 41, 45 f.; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 327 f. Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263. 21 Harries-Lehmann (2004) S. 88; Otto (1994) S. 37; Schlette (1999) S. 31 Fn 62. 22 Otto (1994) S. 37; Schlette (1999) S. 31 Fn 62. 23 Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Dörr (2003) S. 29; v. Els FamRZ 1994, 735, 735; Hill JZ 1981, 805, 807; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128 und 130 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 210; Klose NJ 2004, 241, 241; Kopetzki ZaöRV 42 (1982), 1, 3 f.; Kopp BayVBl 1980, 263, 267; Krumsiek/Frenzen DÖV 1995, 1013, 1018; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 34; Niehues Anhang VIII (2005) S. 349; Otto (1994) S. 38; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 233; Schlette (1999) S. 30; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 108. 24 Jaeger VBlBW 2004, 128, 130; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kopp BayVBl. 1980, 263, 267. 25 v. Feuerbach (1825) S. 109; Horn Recht (2000) S. 30; Redeker DVBl 1982, 805, 808. 26 Kloepfer JZ 1979, 209, 212; Leisner (2003) S. 233; Schlette (1999) S. 31. 27 Addicks NWVBl 2005, 293, 296; Dürr BDVR-R 2002, 44, 45; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Weise BtPrax 1998, 63, 63. 28 Appel (1961) S. 55; v. Els FamRZ 1994, 735, 735; Kloepfer JZ 1979, 209, 211 f.; Schlette (1999) S. 31; Sendler DVBl 1982, 157, 164 f.; Sendler (2000) S. 2. 29 Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Eylmann RPfl 1998, 45, 46; Harries-Lehmann (2004) S. 90; Kloepfer JZ 1979, 209, 211; Otto (1994) S. 40; Sendler DVBl 1982, 157, 164 f.; Sendler DVBl 1982, 923, 933; Stoll SchlHA 1993, 263, 263; Wilfinger (1995) S. 165. 20

B. Spannungsverhältnis zwischen schnellem und gründlichem Rechtsschutz

27

Dauer eines Verfahrens an für sich einen Unwert darstellt.30 Die Verfahrensdauer muss dem Gegenstand des anhängigen Verfahrens angemessen sein.31 Zwar darf in einem Rechtsstaat die Beschleunigung allein nicht eine Legitimation für bewusste Rechtsabweichungen sein, aber die Alternative zu überlangen, materiell „richtigen“ Entscheidungen muss nicht zwangsläufig eine schnelle und „unrichtige“ Entscheidung sein.32 Es ist ein Trugschluss zu glauben, schnell und richtig seien stets Gegensätze.33 Rechtzeitige Rechtsgewähr und die Gewähr des richtigen Rechts sind nicht notwendigerweise Zielkonflikte.34 In einigen Fällen, wie bei der Beweiserhebung durch Zeugen, schließen sich Schnelligkeit und Gründlichkeit nicht aus, vielmehr führt eine schnellere Vernehmung des Zeugen in aller Regel auch zu einem „richtigeren“ Ergebnis.35 Je mehr Zeit vergeht, desto größer wird die Gefahr, dass das Erinnerungsvermögen von Zeugen nachlässt.36 Im Fall eines zwischenzeitlichen Todes des Zeugen kann eine überlange Verfahrensdauer unter Umständen aufgrund der Beweislast sogar zwangsläufig zu „falschen“ Entscheidungen führen.37 Damit spielt für die richterliche Entscheidungsfindung die materielle Gerechtigkeit die Hauptrolle, Wahrheit und Gerechtigkeit sind also die Leitprinzipien,38 doch gewährleistet in der Regel nur eine schnelle Justiz eine wirkliche Rechtsschutzgewährung.39 Nur wenn der Rechtsschutzsuchende innerhalb kurzer Zeit eine durchsetzbare Entscheidung erhält, wird der Gerichtsschutz der zum Zeitpunkt des Anhängigwer30

Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63; Winkler (1995) S. 175. Harries-Lehmann (2004) S. 89; Winkler (1995) S. 175. 32 Otto (1994) S. 37 ff.; Sendler (2000) S. 1. 33 Mayen Anhang VI (2005) S. 339. 34 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 439; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Mayen Anhang VI (2005) S. 339; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 35; Sendler (2000) S. 1. 35 BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 271; HarriesLehmann (2004) S. 88; Hillenkamp JR 1975, 133, 134; Kloepfer JZ 1979, 209, 210; Otto (1994) S. 9 und 47; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 44; Schlette (1999) S. 32 und 59; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer; Wilfinger (1995) S. 56. 36 BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 271; Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte 27. April 1993 Az GmS-OBG 1/92 NJW 1993, 2603, 2605; VerfGH Bayern (6. Senat) 28. Januar 1963 Az Vf 47/VI/62 NJW 1963, 707 f., 707; Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 1; Geppert Jura 1992, 597, 602; Harries-Lehmann (2004) S. 88; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; Helmken ZRP 1978, 133, 135; Keller/Schmid wistra 1984, 201, 202 Fn 14; Kloepfer JZ 1979, 209, 210 und 213; Mendler NJW 1961, 2103, 2103 f.; Otto (1994) S. 39; Pillmann DRiZ 1998, 511, 516; Schlette (1999) S. 32; Schroth NJW 1990, 29, 30; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 106; Waldner (1983) S. 149 f.; Weth NJW 1996, 2467, 2470. 37 Köhl in: Bonner GA vom 13. Dezember 2005 S. 9; Schlette (1999) S. 32; Schroth NJW 1990, 29, 30; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 106. 38 Jescheck JZ 1970, 201, 204; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 76; Stoll SchlHA 1993, 263, 268. 31

28

B. Spannungsverhältnis zwischen schnellem und gründlichem Rechtsschutz

dens des Rechtsstreits bestehenden tatsächlichen Lage gerecht.40 Da sich bei lang andauernden Prozessen die tatsächlichen und persönlichen Bedingungen, unter denen das Verfahren begonnen wurde, und folglich die daraus resultierenden Interessen der Beteiligten verändert haben können, wäre der Rechtsschutz in diesem Fall nicht mehr effektiv.41 Ein noch so gerechtes Urteil dient in der Regel nicht mehr der Gerechtigkeit, wenn der Kläger noch vor Abschluss des Prozesses verstirbt.42 Das Problem der überlangen Verfahrensdauer wird insofern überhaupt nicht zutreffend von den folgenden Worten von Walter Leisner erfasst: „Immer wird und muss [d]er [Richter] die Wahrheit höher stellen als die Zeit, die bei ihrer Findung verlorengeht. [. . .] Schicksal und Wesen einer Gerichtsbarkeit [. . .] ist es daher, dass sie stets überlastet ist: ihre Entscheidungen mögen zu spät kommen, wenn sie nur richtig sind.“43 „Richterliche Gewalt kommt notwendig und überzeugend spät – oft zu spät. Dies nimmt ihr entscheidend Mächtigkeit, die sie mit Recht der Gründlichkeit opfert.“44

Diese These mag zwar einem überlasteten oder Entschuldigung für seine ineffektive Arbeitsweise suchenden Richter angenehm in den Ohren klingen, doch darf sich ein Richter nicht damit beruhigen, das wenige von ihm Erreichte sei wenigstens richtig.45 Es ist keinesfalls notwendig, dass Entscheidungen der Gerichte oft zu spät kommen, und im Regelfall ist allein die rechtzeitige Entscheidung die richtige Entscheidung.46 Überspitz formuliert kann die These sogar dahingehend in ihr Gegenteil verkehrt werden, dass eine zu spät kommende Entscheidung nur falsch sein kann.47 Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit herbeizuführen, ist selbst eine Forderung materieller Gerechtigkeit, denn sie führt zu zügiger Sicherung rechtsstreitig verunsicherter Freiheit oder zur Vergewisserung ungeklärten Rechts.48 39 BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 271; Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Hauck in: Hauck/Helml (2006) § 9 Rn 2; Otto (1994) S. 2. 40 Bauer (1973) S. 97; v. Goethe (1813) S. 116; Klose NJ 2004, 241, 245. 41 Bauer (1973) S. 97; v. Goethe (1813) S. 116; Klose NJ 2004, 241, 245. 42 v. Goethe (1813) S. 116; Müller/Müller in: Beilage Wochenende zur SZ vom 15./ 16. Januar 2005 S. III; Schlette (1999) S. 14; Stech in: Bonner GA vom 8. April 2008 S. 2; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 448. 43 Leisner (1982) S. 236. 44 Leisner (2003) Vorwort. 45 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 177; Sendler (2000) S. 1. 46 Borm (2005) S. 44 f.; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 440 und 456; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55 und 60; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 177. 47 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 427; Niesler (2005) S. 16; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 178; Sendler VBlBW 1989, 41, 48. 48 BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 269; Otto (1994) S. 38.

B. Spannungsverhältnis zwischen schnellem und gründlichem Rechtsschutz

29

Zur Lösung des Konflikts zwischen materiell richtiger und beschleunigter Gerichtsentscheidung muss manchmal eines dieser widerstreitenden Gebote zurücktreten.49 Die Entscheidung, welches Rechtsgut hinter dem anderen zurücktreten muss, obliegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zunächst dem Gesetzgeber. Es ist seine Aufgabe, diesen Konflikt bald nach der Seite der zügigen Entscheidung, bald nach der Seite der materiellen Gerechtigkeit hin zu entscheiden.50 Geschieht dies ohne Willkür, so kann ein solches Verfahren nicht beanstandet werden.51 Mit den Worten des Kritikers Karl Kraus aus seinem im Jahre 1912 veröffentlichten Buch „Pro domo et mundo“ kann dies folgendermaßen pointiert formuliert werden: „Ungerechtigkeit muss sein, sonst kommt man zu keinem Ende.“52

49 BVerfG (1. Senat) 18. Dezember 1953 Az 1 BvL 106/53 BVerfGE 3, 225, 237; BVerfG (1. Senat) 8. November 1967 Az 1 BvR 60/66 BVerfGE 22, 322, 329; BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 268 f.; BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG (1. Senat) 20. Juni 1995 Az 1 BvR 166/93 BVerfGE 93, 99, 108; BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1924; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 31. 50 BVerfG (1. Senat) 18. Dezember 1953 Az 1 BvL 106/53 BVerfGE 3, 225, 237; BVerfG (1. Senat) 14. März 1963 Az 1 BvL 28/62 BVerfGE 15, 313, 319: BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 268 f.; BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG (1. Senat) 20. Juni 1995 Az 1 BvR 166/93 BVerfGE 93, 99, 108; BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1924; Hillenkamp JR 1975, 133, 135; Hofmann in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 31; Otto (1994) S. 39. 51 BVerfG (1. Senat) 18. Dezember 1953 Az 1 BvL 106/53 BVerfGE 3, 225, 237 f.; BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 289 und 301; BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124 f.; BVerfG (1. Senat) 20. Juni 1995 Az 1 BvR 166/93 BVerfGE 93, 99, 108. 52 Kraus (1912) S. 158.

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten Vor einer eingehenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Problem der überlangen Verfahrensdauer ist zunächst ein Blick auf die Rechtswirklichkeit erforderlich. Die Frage, ob es an den deutschen Verwaltungs-, Sozial-, und Finanzgerichten, dem Bundesverfassungsgericht, dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Gericht erster Instanz und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überhaupt ein Problem der überlangen Verfahrensdauer gibt und als wie gravierend es sich darstellt, lässt sich am Besten anhand von Statistiken über die Verfahrensdauer dieser Gerichte beurteilen. Auch wenn man mit einem – möglicherweise fälschlich – dem ehemaligen britischen Premierminister Sir Winston Churchill (1874–1965) zugeschriebenen Zitat nur an die Statistik glauben sollte, die man selbst gefälscht hat, und wenn man aus vielen Statistiken fast alles herauslesen kann, so bietet diese Vorgehensweise doch die beste Möglichkeit, sich einen Gesamtüberblick über das Ausmaß des Problems zu verschaffen. Auch wenn Zahlen die Rechtswirklichkeit nur unvollkommen zu erfassen und abzubilden vermögen, so kann anhand ihrer doch ein Überblick über die von den Gerichten geleistete Arbeit gewonnen werden.1 Um eine gewisse Vergleichbarkeit der Verfahrensdauer an den unterschiedlichen Gerichten und in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten zu ermöglichen, beschränkt sich die Auswahl der statistischen Daten im Wesentlichen auf den Zeitraum von 1998 bis 2006. Für einige Gerichte lagen auch schon Zahlen für 2007 vor. Nicht alle Angaben aus diesem Zeitraum wurden von den Gerichten erfasst und veröffentlicht, so dass einige Felder in den Tabellen frei bleiben mussten. So existieren für die Sozialgerichtsbarkeit erst seit dem Jahr 2000 detaillierte Statistiken, die auch die durchschnittliche Verfahrensdauer der Verfahren angeben. Die Statistiken der Sozialgerichtsbarkeit weisen als einzige keine Prozentzahlen auf, so dass die absoluten Zahlen jeweils in Prozent umgerechnet werden mussten. Die statistischen Daten für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Jahr 2007 wurden zwar bereits erhoben und an das Statistische Bundesamt weitergeleitet, dort jedoch noch nicht ausgewertet und daher bisher nicht veröffentlicht. Die Daten der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit konnten Dank einer vorab erfolgten Mitteilung durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts noch eingearbeitet werden. 1 Bertrams NWVBl 1999, 245, 250; Eckerts-Höfer (2008) S. 1 f.; Houtte in: Storme (1983), 1, 9; Stojan SchlHA 1990, 64, 64.

I. Verwaltungsgerichtsbarkeit

31

Bedauerlicherweise variiert die Veröffentlichungspraxis der Gerichte derart stark voneinander, dass es äußerst schwierig ist, vergleichbare statistische Angaben zu erhalten. Manchmal werden nur Angaben zur Verfahrensdauer aller Verfahren insgesamt veröffentlicht, in anderen Fällen wird zwischen verschiedenen Erledigungsarten unterschieden, jedoch werden im Gegenzug keine Durchschnittswerte für alle Erledigungsarten angegeben. Einige Gerichte geben sehr detaillierte und aussagekräftige Statistiken heraus, die sowohl die durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten als auch die jeweiligen Prozentsätze der innerhalb von einem Jahr bis hin zu den innerhalb von sechs Jahren abgeschlossenen Verfahren beinhalten. Andere hingegen beschränken sich bei den Angaben zur Verfahrensdauer nur auf einige wenige Zahlen. So weisen die Finanzgerichte – immerhin unter statistischen Gesichtspunkten vorbildlich – Verfahrensdauern bis sechs Jahre gesondert aus, wohingegen bei den Sozialgerichten eine weitere Differenzierung bei Verfahrensdauern von über zwei Jahren fehlt. So kann der letzten Zeile einer Tabelle – also der nach oben offenen „Restangabe“ – nicht entnommen werden, ob die Verfahren nur einige Monate oder sogar mehrere Jahre länger gedauert haben. Eine wesentlich längere Dauer ist insbesondere dann zu vermuten, wenn sich in der letzten Zeile Prozentzahlen in oberen einstelligen oder sogar im zweistelligen Bereich befinden. Wünschenswert wäre es, wenn die Angaben zur Verfahrensdauer in Jahresschritten so lange fortgeführt würden, bis in der letzten Zeile ein Wert von null Prozent verbleiben würde. Nur dann ließe sich die Problematik der überlangen Verfahrensdauer insoweit vollständig anhand des statistischen Materials erkennen. Trotz dieser Einschränkungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit und Aussagekraft der Statistiken geben die vorliegenden Angaben doch insgesamt einen guten Überblick über die Verfahrensdauer an den im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichten.

I. Verwaltungsgerichtsbarkeit 1. Verfahrensdauer an den deutschen Verwaltungsgerichten2 Die durchschnittliche Verfahrensdauer aller Hauptverfahren an den deutschen Verwaltungsgerichten ist nach einem leichten Anstieg auf knapp 19 Monate in den Jahren 2000 und 2001 auf rund 14 Monate in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Statt rund der Hälfte werden nunmehr circa 60 Prozent der Verfahren innerhalb eines Jahres erledigt. Etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Verfahren dauert ein bis zwei Jahre und über zehn Prozent der Verfahren zwei bis drei Jahre. Die Zahl der länger als drei Jahre anhängigen Verfahren ist von fast 17 Prozent in den Jahren 2000 und 2001 auf rund 8 Prozent gesunken. In abso2

Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.4 2003 S. 16 ff. und 2006 S. 23.

32

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Jahr

1998

Erledigte Hauptverfahren Dauer in Monaten

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

218.272 211.479 215.490 192.645 190.875 201.603 206.855 204.191 163.860

16,8

18,1

18,7

18,8

16,9

15,3

13,6

14,1

14,0

0–12 Monate

49,5%

47,7%

48,7%

48,5%

54,1%

56,0%

60,0%

55,8%

58,3%

12–24 Monate

23,5%

22,8%

21,5%

22,0%

20,8%

21,5%

21,9%

26,5%

22,4%

24–36 Monate

14,3%

14,7%

13,1%

12,8%

12,5%

11,9%

10,1%

10,3%

11,5%

>36 Monate

12,7%

14,9%

16,7%

16,7%

12,7%

10,6%

8,0%

7,4%

7,7%

luten Zahlen benötigen die Verwaltungsgerichte damit aber immerhin noch in über 12.000 Verfahren länger als drei Jahre bereits in der ersten Instanz, wobei einzelne Verfahren auch erheblich länger gedauert haben, in der Statistik jedoch nicht mehr gesondert ausgewiesen werden. Seit 2001 geht die durchschnittliche Verfahrensdauer tendenziell zurück, doch beträgt sie auch heute noch im Schnitt über ein Jahr. Bei all diesen Durchschnittswerten muss berücksichtigt werden, dass sie nur statistisch ermittelte Mittelwerte sind, von denen im konkreten Fall auch erhebliche Abweichungen nach oben möglich sind. 2. Verfahrensdauer an den nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten3 Jahr

1998

Erledigte HauptVerfahren Dauer in Monaten 0–12 Monate

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

51.738 50.405 55.131 51.438 48.281 51.872 47.477 51.661 40.219 29.227

20,5

22,3

24,9

24,0

19,4

18,1

15,2

14,4

13,0

11,8

41,6% 39,6% 35,3% 37,7% 44,1% 44,7% 51,3% 51,5% 57,8%



12–24 Monate 21,5% 20,9% 20,6% 21,0% 22,3% 23,1% 26,0% 30,3% 24,1%



24–36 Monate 16,6% 15,9% 16,3% 15,2% 16,2% 19,3% 14,4% 12,3% 13,5%



>36 Monate



3

20,3% 23,7% 27,9% 26,2% 17,5% 13,0%

Justizministerium NRW Justizgeschäftsstatistiken.

8,4%

5,9%

4,6%

I. Verwaltungsgerichtsbarkeit

33

Bereits ein kurzer Blick auf die Statistik der Verfahrensdauer an den im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten verdeutlicht, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer der erledigten Hauptverfahren in diesem Bundesland lange Jahre erheblich über dem Bundesschnitt gelegen hat. Andererseits zeigt die Statistik auch, dass die Verfahrensdauer in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren merklich abgenommen hat und inzwischen knapp unterhalb der durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten in ganz Deutschland liegt. Seit dem Jahr 2000 konnte sie im Schnitt immerhin mehr als halbiert werden. Einige Richter der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit sehen daher bereits „ein Licht am Ende des Tunnels“.4 Berücksichtigt man jedoch, dass eine durchschnittliche Verfahrensdauer von knapp unter einem Jahr nur einen Mittelwert darstellt, wird deutlich, dass einzelne Verfahren erheblich länger dauern. Eine Vielzahl einfach zu erledigender Verfahren wird in der Regel zügig abgearbeitet, einige kompliziertere Verfahren bleiben erfahrungsgemäß wesentlich länger liegen. Die Statistik fasst zwar alle Verfahren mit einer Verfahrensdauer von über drei Jahren in einer Zeile zusammen, dies besagt jedoch keinesfalls, dass nicht einzelne Verfahren fünf oder gar sechs Jahre lang anhängig waren. Trotz einer gesunkenen durchschnittlichen Verfahrensdauer können damit in Nordrhein-Westfalen weiterhin extrem lange Verfahrenslaufzeiten auftreten. Als interessant erweist sich auch ein Vergleich der Verfahrenslaufzeiten in den verschiedenen Bundesländern, die immer noch signifikante Unterschiede aufweisen. Während in Brandenburg die Erledigung der Verfahren im Jahr 2006 im Schnitt fast 3 Jahre und in Nordrhein-Westfalen gut 1 Jahr erforderte, wurden die Verfahren in Rheinland-Pfalz hingegen in durchschnittlich weniger als 5 Monaten erledigt.5 3. Verfahrensdauer an den deutschen Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen6 Bei den Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen dauerten die Verfahren, in denen sie als Rechtsmittelinstanz tätig wurden, in den vergangenen Jahren rund 9 Monate. Ungefähr drei Viertel der Verfahren konnten innerhalb eines Jahres erledigt werden, etwa 13 bis fast 18 Prozent dauerten ein bis zwei Jahre und zwischen gut 5 und circa 8 Prozent der Verfahren konnten innerhalb von zwei bis drei Jahren abgeschlossen werden. Im Bereich von gut 2

4

Bertrams NWVBl 2005, 245, 248; Bertrams Anhang VII (2005) S. 344. Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.4 2006 S. 24 f. 6 Justizministerium Sachsen Justizgeschäftsstatistiken; Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.4 2003 S. 68 f. und 2006 S. 74 f. 5

34

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Jahr Erledigte Verfahren Dauer in Monaten in der Rechtsmittelinstanz

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

35.682 31.692 30.678 24.528 24.207 24.324 22.846 22.425 21.428

8,7

9,3

9,1

8,9

9,3

8,6

7,8

8,7

8,4

0–12 Monate

72,7% 73,4% 76,3% 75,3% 75,6% 76,8% 77,1% 73,9% 74,1%

12–24 Monate

14,8% 13,8% 14,2% 13,1% 13,6% 13,4% 14,9% 16,5% 17,8%

24–36 Monate

8,2%

7,3%

5,2%

6,3%

6,0%

6,0%

5,1%

6,3%

5,9%

>36 Monate

4,2%

5,5%

6,3%

5,3%

4,9%

3,8%

3,0%

3,3%

2,1%

Dauer in Monaten ab Eingang in der 1. Instanz

31,8

34,2

34,6

34,7

34,0

32,3

30,4

30,1

28,7

0–12 Monate

17,7% 16,3% 18,2% 17,9% 22,4% 23,0% 22,2% 19,8% 21,0%

12–24 Monate

22,9% 22,9% 22,2% 24,0% 21,5% 25,3% 26,9% 29,6% 29,8%

24–36 Monate

21,2% 18,9% 18,5% 17,8% 18,7% 15,8% 20,2% 21,1% 21,4%

36–48 Monate

18,1% 17,0% 14,1% 13,2% 12,7% 15,5% 11,9% 12,3% 12,7%

48–60 Monate

13,0% 11,9% 11,3% 10,9%

>60 Monate

9,5%

7,5%

8,0%

7,0%

7,3%

7,2% 12,9% 15,7% 16,1% 15,1% 12,8% 10,8% 10,2%

7,7%

bis über 6 Prozent liegt der Anteil der Verfahren, für deren Erledigung mehr als drei Jahre benötigt wurde, wobei insbesondere der Anteil der mehr als drei Jahre anhängigen Verfahren in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen hat. Auch hier ist die Statistik nach oben offen und somit ist davon auszugehen, dass einzelne Verfahren erheblich länger als drei Jahre gedauert haben. Zählt man zu der Verfahrensdauer an den Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen als Rechtsmittelinstanz noch die Dauer der vorangegangenen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten hinzu, so addiert sich die durchschnittliche Gesamtdauer eines einzelnen Verfahrens schnell auf eine mehrjährige Verfahrensdauer allein in diesen zwei Instanzen. Zwischen zwei und drei Jahre muss ein Bürger in einem solchen Fall im Schnitt auf sein Recht warten. In den vergangenen Jahren konnte die Anzahl der innerhalb von zwei Jahren erledigten Verfahren von gut 40 auf über 50 Prozent gesteigert werden. Zwischen rund 7 bis fast 16 Prozent der Rechtsmittelverfahren dauerten vom ersten Eingang in der ersten Instanz bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof mehr als fünf Jahre.

I. Verwaltungsgerichtsbarkeit

35

Diese Statistik zeigt, warum es bei der Beschäftigung mit der Problematik der überlangen Verfahrensdauer angemessen ist, die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Mittelpunkt der Bearbeitung zu rücken. Die Erledigungszeiten der Verwaltungsgerichte lassen sich insgesamt trotz deutlicher Verbesserungen in den vergangenen Jahren mit gutem Recht als immer noch „völlig inakzeptabel“ bezeichnen.7 4. Verfahrensdauer am nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in der Rechtsmittelinstanz8 Jahr

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Erledigte Verfahren

7.350

6.643

6.966

5.557

5.575

5.328

5.370

5.281

6.205

4.642

9,8

10,1

7,8

7,7

7,8

7,2

7,3

8,2

7,6

9,5

Dauer in Monaten 0–12 Monate

70,0% 70,9% 78,9% 76,6% 76,8% 75,0% 75,1% 71,6% 73,9%



12–24 Monate 13,9% 12,9% 11,6% 15,3% 14,7% 18,0% 18,1% 19,8% 21,0%



24–36 Monate 10,5%

8,2%

3,6%

5,0%

5,9%

5,2%

5,4%

7,1%

4,5%



>36 Monate

8,0%

5,8%

3,1%

2,6%

1,9%

1,3%

1,5%

0,5%



5,6%

Am Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen schwankte die durchschnittliche Verfahrensdauer in der Rechtsmittelinstanz in den Jahren 1998 bis 2007 zwischen etwa 7 und rund 10 Monaten. In den Jahren 1998 und 1999 lag die durchschnittliche Verfahrensdauer in Nordrhein-Westfalen mit etwa 10 Monaten noch über dem Bundesschnitt, seitdem bis einschließlich 2006 aber unterhalb des Bundesschnitts. Vergleichszahlen für das Jahr 2007 liegen zurzeit noch nicht vor. Im Zeitraum 1998 bis 2006 wurden rund drei Viertel der Verfahren innerhalb eines Jahres erledigt, zwischen annähernd 12 und 21 Prozent der Verfahren konnten innerhalb von ein bis zwei Jahren abgeschlossen werden und knapp 4 bis gut 10 Prozent dauerten zwischen zwei und drei Jahre. Die Anzahl der mehr als drei Jahre anhängigen Verfahren konnte von 8 Prozent im Jahr 1999 auf unter 1 Prozent im Jahr 2006 gesenkt werden.

7 8

Busse (2005) S. 12. Justizministerium NRW Justizgeschäftsstatistiken.

36

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

5. Verfahrensdauer am Bundesverwaltungsgericht9 Jahr

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Erledigte Verfahren insgesamt*

3.747

3.211

2.809

2.223

2.514

2.372

2.080

1.837

1.897

1.987

Verfahren 1. Instanz

134

114

116

100

135

107

135

166

109

108

Dauer in Monaten/Tagen

11/7

8/28

8/6

6/28

5/29

7/29

8/3

7/5

5/6

6/22

Erledigte Beschwerden

2.652

2.147

1.911

1.357

1.367

1.335

1.192

931

1.125



Dauer in Monaten/Tagen

2/19

2/27

2/0

2/6

2/15

3/22

3/16

3/12

3/10

3/27

0–12 Monate

99,3% 98,5% 99,7% 99,5% 99,5% 99,0% 99,2% 99,9% 99,6%



>12 Monate

0,7%

1,5%

0,3%

0,5%

0,5%

1,0%

0,8%

0,1%

0,4%



Durch Urteil beendete Revisionen

266

247

251

271

214

216

228

216

176



Dauer in Monaten/Tagen 11/11 10/11 10/15

9/23

10/25 10/22 10/17 11/16 10/24 10/27

0–12 Monate

62,8% 68,9% 61,3% 69,8% 61,2% 66,6% 70,6% 57,9% 71,1%



12–24 Monate

34,9% 30,7% 38,7% 30,2% 37,9% 33,4% 29,4% 40,8% 27,8%



>24 Monate

2,3%

0,4%

0,0%

0,0%

0,9%

0,0%

0,0%

1,4%

1,1%



* ohne Disziplinar- und Wehrdienstsenate

Für die relativ überschaubare Zahl von jedoch teilweise sehr komplexen erstinstanzlichen Verfahren benötigte das Bundesverwaltungsgericht in den vergangenen Jahren nur zwischen knapp einem halben und einem ganzen Jahr. Die Beschwerdeverfahren konnten durchschnittlich innerhalb von 2 bis fast 4 Monaten erledigt werden und annähernd 100 Prozent wurden innerhalb eines Jahres abgeschlossen.

9 Bundesverwaltungsgericht Statistik www.bverwg.de; Franßen DVBl 1999, 501, 504; Franßen DVBl 2000, 536, 539; Franßen DVBl 2001, 522, 522; Franßen DVBl 2002, 593, 595; Hien DVBl 2003, 443, 446; Hien DVBl 2004, 464, 468; Hien DVBl 2005, 348, 351 f.; Hien DVBl 2006, 350, 350; Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.4 2003 S. 109; 2004 S. 115; 2005 S. 115; 2006 S. 115.

II. Sozialgerichtsbarkeit

37

Die Revisionssenate des Bundesverwaltungsgerichts benötigten im Schnitt zwischen circa 10 und 12 Monate für die Erledigung der anfallenden Revisionen. Dabei konnten rund zwei Drittel der Verfahren innerhalb eines Jahres erledigt werden, rund ein Drittel dauerte zwischen einem und zwei Jahre und für nur sehr wenige Verfahren benötigte das Bundesverwaltungsgericht länger als zwei Jahre. Die Lage beim Bundesverwaltungsgericht hat sich damit insgesamt zum Guten gewendet und das Gesamtbild ist insgesamt positiv, auch wenn in Einzelfällen weiterhin Verfahren überlang dauern.10

II. Sozialgerichtsbarkeit 1. Verfahrensdauer an den Sozialgerichten11 Jahr Erledigte Klagen Dauer in Monaten

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

241.961 249.069 249.030 251.992 266.992 270.208 288.611 299.885 306.051 —



15,2

15,1

15,3

15,3

14,7

13,3

13,3

0–12 Monate

52,6%

49,3%

49,0%

49,9%

49,1%

49,0%

52,0%

53,2% 54,5%

12–24 Monate

34,7%

35,6%

33,7%

32,6%

32,8%

32,8%

30,6%

30,6%

28,5%

>24 Monate

12,7%

15,1%

17,3%

17,5%

18,1%

18,2%

17,4%

16,1%

17,0%

Die Sozialgerichte erledigten die bei ihnen eingegangenen Klagen in den Jahren 2000 bis 2006 innerhalb von rund 13 bis 15 Monaten. In den Jahren 1998 und 1999 wurden in der Sozialgerichtsbarkeit noch keine statistischen Daten für die Berechnung der durchschnittlichen Verfahrensdauer erhoben. Etwa die Hälfte der Verfahren konnte innerhalb des ersten Jahres abgeschlossen werden und rund ein Drittel dauerte zwischen ein und zwei Jahren. Für annähernd 13 bis gut 18 Prozent der Verfahren benötigten die Sozialgerichte länger als zwei Jahre. Bedauerlicherweise werden die länger als zwei Jahre dauernden Verfahren in den Statistiken der Sozialgerichte nicht weiter aufgeschlüsselt, so dass deren Aussagekraft für die Problematik der überlangen Verfahrensdauer be-

10

Redeker NVwZ 2003, 641, 642. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung BArbBl 11/1999, 83, 83 f. und BArbBl 12/2000, 104, 104 f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Statistiken 2000–2001 Tabelle 4.1; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Statistiken 2002–2004 Tabelle 4.1; Justizministerium Sachsen Justizgeschäftsstatistiken; Statistisches Bundesamt Geschäftsentwicklung S. 27. 11

38

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

schränkt ist. Es ist jedoch davon auszugehen, dass einige Verfahren erheblich länger gedauert haben. 2. Verfahrensdauer an den Landessozialgerichten12 Jahr Erledigte Berufungen Dauer in Monaten Rechtsmittelinstanz

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

22.237 23.478 24.526 24.590 24.970 25.574 27.809 27.665 27.954





14,9

14,6

15,2

15,6

15,0

13,6

14,0

0–12 Monate

55,4% 53,6% 51,6% 52,6% 49,4% 48,7% 52,0% 52,7% 51,8%

12–24 Monate

31,1% 30,2% 31,2% 30,4% 32,6% 32,0% 29,7% 29,6% 27,9%

>24 Monate

13,5% 16,2% 17,2% 17,0% 18,0% 19,3% 18,3% 17,7% 20,3%

Dauer in Monaten ab Eingang 1. Instanz 0–12 Monate





4,9%

4,7%

39,6

34,8

37,2

4,3% 13,6% 11,5%

40,8

39,6

37,3

37,5

5,0%

5,1%

5,5%

5,9%

12–24 Monate

26,0% 23,6% 21,2% 20,6% 19,9% 18,9% 21,2% 19,9% 20,0%

24–36 Monate

31,8% 31,2% 29,3% 25,4% 26,7% 28,0% 26,3% 25,9% 24,2%

36–48 Monate

20,3% 20,4% 21,4% 19,4% 18,5% 21,7% 20,5% 20,0% 20,2%

>48 Monate

17,0% 20,0% 23,8% 20,9% 23,5% 26,4% 26,9% 28,6% 29,6%

Die Landessozialgerichte benötigten für die in den vergangenen Jahren erledigten Berufungen im Schnitt rund 15 Monate. Etwa die Hälfte der Verfahren wurde innerhalb eines Jahres erledigt, knapp ein Drittel dauerte ein bis zwei Jahre und zwischen gut 13 und mehr als 20 Prozent der Verfahren konnten in der Rechtsmittelinstanz erst nach mehr als zwei Jahren beendet werden. Deutlicher tritt die Problematik der überlangen Verfahrensdauer bei einem Blick auf die Verfahrenslaufzeiten ab dem Eingang in der ersten Instanz hervor. Für Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit, die zwei Instanzen durchlaufen haben, ergab sich in den letzten Jahren eine durchschnittliche Verfahrensdauer von meist et12 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung BArbBl 11/1999, 83, 83 f. und BArbBl 12/2000, 104, 104 f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Statistiken 2000–2001 Tabelle 4.1; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Statistik 2002–2004 Tabelle 4.1; Justizministerium Sachsen Justizgeschäftsstatistiken; Statistisches Bundesamt Geschäftsentwicklung S. 28.

II. Sozialgerichtsbarkeit

39

was über drei Jahren. Etwa ein Fünftel der erledigten Berufungen dauerten drei bis vier Jahre und zwischen 17 und fast 30 Prozent konnte erst nach mehr als vier Jahren abgeschlossen werden. In Einzelfällen werden die Verfahren vermutlich sogar mehr als fünf oder sechs Jahre gedauert haben. Dies sind unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht mehr hinnehmbare Zeiten.13 3. Verfahrensdauer am Bundessozialgericht14 Das Bundessozialgericht konnte in den vergangenen Jahren rund 90 Prozent aller Verfahren innerhalb eines Jahres erledigen und nur in weniger als 1 Prozent der Verfahren benötigte es länger als zwei Jahre. Die Nichtzulassungsbeschwerden dauerten in mindestens 95 Prozent der Fälle weniger als ein Jahr und für nahezu keines dieser Verfahren benötigte das Bundessozialgericht mehr als zwei Jahre. Die Revisionsverfahren konnten in gut 55 bis 73 Prozent der Fälle innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden, in zwischen rund 25 bis 42 Prozent der Fälle benötigte das Gericht ein bis zwei Jahren für die Erledigung und in gut 1 bis 6 Prozent der Fälle dauerten die Revisionsverfahren mehr als zwei Jahre. Das Bundessozialgericht, das lange Zeit schneller als das Bundesverwaltungsgericht war,15 weist bei der Verfahrensdauer der erledigten Revisionen damit inzwischen ähnliche Werte wie das Bundesverwaltungsgericht bei den durch Urteil beendeten Revisionen auf. Besonders aussagekräftig im Hinblick auf das Problem der überlangen Verfahrensdauer ist die Angabe der durchschnittlichen Verfahrensdauer ab dem Eingang in der ersten Instanz. Für ein Verfahren, das bis zum Bundessozialgericht gelangt ist, benötigte die Sozialgerichtsbarkeit in den vergangenen Jahren im Schnitt circa vier Jahre. Zwischen gut ein Drittel und annähernd die Hälfte aller erledigten Revisionen dauerte ab dem Eingang in der ersten Instanz länger als vier Jahre. Wenn die Verfahren im Schnitt rund vier Jahre dauern und etwa die Hälfte der Verfahren innerhalb von vier Jahren erledigt wird, lässt sich unschwer erahnen, dass einzelne Verfahren beim Durchlaufen aller Instanzen acht oder sogar zehn Jahre bis zu ihrer Erledigung anhängig bleiben. Selbst bei äußerst komplexen Sachverhalten und rechtlichen Problemen ist es nicht akzeptabel, dass ein Bürger im Einzelfall fast ein Jahrzehnt auf eine abschließende Entscheidung in seiner Sache warten muss. 13

Busse (2005) S. 11. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung BArbBl 11/1999, 83, 83 f. und 12/2000, 104, 104 f.; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Statistiken 2000–2001 Tabelle 4.1; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung Statistiken 2002–2004 Tabelle 4.1; Bundessozialgericht Tätigkeitsberichte 1999–2007 Tabellen 5 und 8; Statistisches Bundesamt Geschäftsentwicklung S. 29. 15 Löffler ErsK 1990, 96, 96; Reiter in: SZ vom 29. August 1995 S. 8. 14

40

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Jahr

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Erledigte Verfahren insgesamt

3.585 2.265 2.381 2.336 2.255 2.318 2.420 2.476 2.565 2.657

0–12 Monate



90,5% 90,1% 91,7% 90,9% 90,0% 89,5% 87,8% 90,1% 87,1%

12–24 Monate



8,8%

9,5%

7,9%

8,2%

9,7%

9,9% 11,6%

9,9% 12,5%

>24 Monate



0,7%

0,4%

0,4%

0,9%

0,3%

0,7%

0,0%

0,6%

0,4%

Nichtzulassungsbeschwerden

2.597 1.691 1.724 1.780 1.686 1.804 1.926 1.956 2.090 2.157

0–12 Monate

97,0% 97,2% 97,3% 97,8% 96,9% 96,5% 95,0% 96,3% 95,4% 92,1%

12–24 Monate

2,9%

2,8%

2,7%

2,1%

2,6%

3,5%

5,0%

3,6%

4,5%

7,9%

>24 Monate

0,1%

0,0%

0,0%

0,2%

0,5%

0,0%

0,1%

0,0%

0,0%

0,0%

Erledigte Revisionen

988

574

657

556

569

514

494

520

475

500

Dauer in Monaten





9,1

9,4

9,7

10,0

10,2

11,6

10,0



0–12 Monate

59,1% 70,5% 71,2% 72,3% 73,0% 67,3% 68,0% 55,5% 66,1% 65,8%

12–24 Monate

34,9% 26,7% 27,4% 26,4% 24,6% 31,1% 28,9% 41,8% 33,7% 32,2%

>24 Monate Dauer in Monaten ab Eingang 1. Instanz 0–24 Monate

6,0%

2,8%

1,4%

1,3%

2,5%

1,6%

3,0%

2,7%

0,2%

2,0%





51,6

45,6

46,8

52,8

50,4

51,1

49,0



7,3%

7,3% 11,0% 11,9% 11,2%

6,6% 12,3% 12,3% 15,6%



24–36 Monate

25,7% 24,8% 20,1% 24,8% 26,0% 19,3% 16,8% 15,8% 20,8%



36–48 Monate

29,4% 21,6% 18,7% 27,5% 24,8% 25,5% 23,7% 22,9% 16,2%



>48 Monate

37,6% 46,3% 50,2% 35,8% 38,0% 48,6% 47,2% 49,0% 47,4%



Bedauerlicherweise existiert für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende Verwaltungsgerichtsbarkeit keine vergleichbare Statistik der Verfahrensdauer ab dem Eingang in der ersten Instanz. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine solche Statistik ein ähnliches Bild wie die Statistik der Sozialgerichtsbarkeit zutage fördern würde. So positiv die Tatsache zu bewerten ist, dass die Sozialgerichtsbarkeit die dafür erforderlichen Daten erhebt, so enttäuschend ist jedoch auch die fehlende Aufschlüsselung der mehr als vier Jahre dauernden Verfahren. Zumindest eine Differenzierung in Jahresschritten bis zu einem Zeitraum

III. Finanzgerichtsbarkeit

41

von zehn Jahren wäre sinnvoll und dringend erforderlich. Noch erfreulicher wäre es natürlich, wenn die Verfahren erst gar nicht so lange dauern würden.

III. Finanzgerichtsbarkeit 1. Verfahrensdauer an den Finanzgerichten16 Jahr Erledigte Verfahren Dauer in Monaten

1998

1999

2000

69.458 67.288 70.174

2001

2002

2003

2004

70.292 68.303 68.146 67.823

2005

2006

60.285 53.410

15,7

16,7

17,0

17,8

18,3

17,4

17,0

18,6

19,0

0–12 Monate

60,7%

57,3%

55,6%

53,6%

53,1%

54,3%

55,1%

49,0%

48,6%

12–24 Monate

18,5%

18,8%

19,2%

18,7%

17,3%

17,5%

17,5%

21,0%

19,2%

24–36 Monate

8,8%

11,0%

11,9%

12,7%

12,9%

12,8%

12,5%

13,4%

15,0%

36–48 Monate

6,0%

6,4%

7,1%

8,5%

9,2%

8,9%

8,1%

9,1%

9,3%

48–60 Monate

3,0%

3,3%

3,2%

3,7%

4,6%

4,0%

4,2%

4,7%

4,6%

60–72 Monate

1,4%

1,4%

1,6%

1,5%

1,6%

1,7%

1,5%

1,9%

2,2%

>72 Monate

1,7%

1,7%

1,4%

1,4%

1,2%

0,9%

1,0%

1,0%

1,3%

Bereits der allererste Blick auf diese Statistik verdeutlicht die teilweise katastrophalen Zustände in der deutschen Finanzgerichtsbarkeit. In den vergangenen Jahren ist die Verfahrensdauer bei den Finanzgerichten kontinuierlich angestiegen, obwohl die Zahl der erledigten Verfahren im gleichen Zeitraum von fast 70.000 auf gut 53.000 abgenommen hat. Ohne auf die Zahlen im Einzelnen eingehen zu wollen, lässt sich mit Erschrecken feststellen, dass einige Verfahren sogar nach mehr als sechs Jahren in der ersten Instanz immer noch nicht abgeschlossen sind. Während sich die Realität im Hinblick auf die Verfahrensdauer bei den Statistiken der Verwaltungsund Sozialgerichte verschämt hinter dem in der letzten Zeile angegebenen „Rest“ von länger dauernden Verfahren verbirgt, verdeutlicht die vorbildlich aufgeschlüsselte Statistik der Finanzgerichte das dramatische Ausmaß des Problems der überlangen Verfahrensdauer. 16 Justizministerium Sachsen Justizgeschäftsstatistiken; Statistisches Bundesamt Geschäftsentwicklung S. 22; Statistisches Bundesamt Arbeitsunterlagen 1998–2001 S. 10; Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.5 2002 S. 11; 2003 S. 11; 2004 S. 14; 2005 S. 18; 2006 S. 18.

42

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Anhand dieser Zahlen wird deutlich, dass das Zustandekommen von überlangen Verfahrensdauern unabwendbare tägliche Praxis in vielen Verfahren vor den deutschen Finanzgerichten ist.17 Insgesamt ist die Verfahrensdauer vor diesen Gerichten nicht hinnehmbar.18 2. Verfahrensdauer am Bundesfinanzhof19 Jahr

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

Erledigte Verfahren Insgesamt

3.520

3.270

3.325

3.225

3.425

3.596

3.663

3.652

3.468

Dauer in Monaten

9

9

9

13

10

11

12

11

10

1.666

1.558

1.582

1.592

2.045

2.078

2.145

2.247

1.937

Dauer in Monaten

7

7

7

6

7

8

8

9

9

Revisionen mit Sachentscheidung

680

604

590

623

600

695

728

635

653

Dauer in Monaten

20

19

22

24

24

24

21

21

21

Nichtzulassungsbeschwerden

0–12 Monate

36,6% 38,9% 26,6% 21,5% 17,4% 20,7% 29,3% 23,1% 22,8%

12–24 Monate

30,9% 33,8% 40,0% 40,8% 44,8% 36,3% 38,7% 46,0% 47,6%

24–36 Monate

17,9% 14,9% 17,6% 18,6% 19,8% 26,3% 20,2% 21,3% 19,0%

36–48 Monate

11,8%

8,4%

9,8% 11,2% 11,3%

8,8%

7,1%

5,4%

5,4%

>48 Monate

2,8%

4,0%

5,9%

7,9%

6,5%

7,9%

4,7%

4,3%

5,2%

Revisionen ohne Sachentscheidung

459

452

434

385

227

225

252

168

169

Dauer in Monaten

8

9

7

33

13

27

36

11

12

0–12 Monate

81,7% 77,2% 85,7% 49,9% 61,7% 66,2% 57,9% 70,2% 66,3%

12–24 Monate

11,8%

9,1%

8,3% 11,2% 23,3% 12,9%

9,9% 19,0% 18,9%

24–36 Monate

2,8% 10,2%

3,7%

4,4%

7,5%

5,8%

5,6%

4,2%

7,1%

36–48 Monate

1,5%

2,9%

0,9%

1,3%

4,0%

1,3%

2,4%

2,4%

3,0%

>48 Monate

2,2%

0,7%

1,4% 33,2%

3,5% 13,8% 24,2%

4,2%

4,7%

17

Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 432. Busse (2005) S. 12. 19 Statistisches Bundesamt Geschäftsentwicklung S. 23; Statistisches Bundesamt Arbeitsunterlagen 1998–2001 S. 26; Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.5 2002 S. 27; 2003 S. 27; 2004 S. 30; 2005 S. 34; 2006 S. 34. 18

IV. Bundesverfassungsgericht

43

Am Bundesfinanzhof dauerten die Verfahren in den vergangenen Jahren insgesamt im Schnitt zwischen 9 und 13 Monaten. Nichtzulassungsbeschwerden konnten innerhalb von 6 bis 9 Monaten erledigt werden. Für die Revisionen, bei denen eine Entscheidung in der Sache erforderlich war, benötigte der Bundesfinanzhof durchschnittlich fast zwei Jahre. Immerhin noch etwa 5 bis fast 12 Prozent der Verfahren waren drei bis vier Jahre anhängig und knapp 3 bis beinahe 8 Prozent der Verfahren dauerten mehr als vier Jahre, wobei einzelne Verfahren auch noch länger gedauert haben, in der Statistik jedoch nicht mehr gesondert aufgeführt werden. Bezüglich der Revisionen ohne Sachentscheidung weist die Statistik große Schwankungen von Jahr zu Jahr auf. Der Negativrekord hinsichtlich der Verfahrensdauer wurde im Jahr 2004 mit einer durchschnittlichen Dauer von drei Jahren erreicht. In den Jahren 2005 und 2006 sank die durchschnittliche Verfahrensdauer immerhin wieder auf etwa ein Jahr. Auch beim Bundesfinanzhof zeigt sich, dass zahlreiche Verfahren viel zu lange dauern und die Verfahrensdauer vor diesem Gericht nicht hinnehmbar ist.20

IV. Bundesverfassungsgericht21 Am Bundesverfassungsgericht stellen die Verfassungsbeschwerden mit rund 97 Prozent aller Verfahren den wesentlichen Belastungsfaktor für das Gericht dar.22 Auf die Verfassungsbeschwerdeverfahren beschränken sich daher auch die nachfolgenden Angaben. Im Jahresbericht des Bundesverfassungsgerichts für das Jahr 2007 wird die durchschnittliche Verfahrensdauer für Verfassungsbeschwerden der Eingangsjahre 1995 bis 2007 folgendermaßen angegeben: Innerhalb eines Jahres wurden in diesem Zeitraum 66,9 Prozent der Verfassungsbeschwerden erledigt, ein bis zwei Jahre dauerten 19,6 Prozent, zwei bis drei Jahre 4,4 Prozent und mehr als vier Jahre 2,4 Prozent.23 Aus diesem Zeitraum waren noch 4,7 Prozent der Verfassungsbeschwerden anhängig, für die daher noch keine abschließende Erledigungsdauer ermittelt werden konnte.24 Diese statistischen Zahlenangaben erfassen die Problematik der überlangen Verfahrensdauer am Bundesverfassungsgericht noch nicht einmal annähernd. Nur etwa zwei Prozent der Verfassungsbeschwerden sind erfolgreich. Manche vergleichen daher den Weg von Verfassungsbeschwerden mit einem Marathonlauf, bei dem Tausende hoffnungsvoll an den Start gehen, aber nur eine kleine Gruppe ans Ziel kommt.25 Mehrere tausend Verfassungsbeschwerden werden 20 21 22 23 24 25

Busse (2005) S. 12. Bundesverfassungsgericht Jahresbericht 2007. Borm (2005) S. 9; Schmidt-Jortzig in: Bundesjustizministerium (1998) S. 3, 3. Bundesverfassungsgericht Jahresbericht 2007. Bundesverfassungsgericht Jahresbericht 2007. Kerscher in: SZ vom 10. Dezember 2004 S. 9.

44

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

jährlich relativ zügig als unzulässig abgewiesen26 und führen damit statistisch zu einer scheinbar noch erträglichen Verfahrensdauer. Die nicht veröffentlichte durchschnittliche Dauer der zulässigen und begründeten Verfassungsbeschwerden liegt jedoch um ein Vielfaches über den Durchschnittswerten für alle Verfassungsbeschwerden. Die Verfassungsbeschwerdeverfahren haben insgesamt zu einer chronischen Überlastung des Bundesverfassungsgerichts geführt.27 Der Bericht einer vom damaligen Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig im Sommer 1996 eingesetzten „Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts“ hat verdeutlicht, dass das Gericht in jeder Weise überlastet ist und daher seine Funktionsfähigkeit gefährdet ist.28 Die außerordentlich hohe Zahl jährlich anhängig werdender Verfahren, insbesondere von Verfassungsbeschwerden, hat zu einer von den Richtern des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zu bewältigenden Arbeitsbelastung geführt.29 Wenn man sich vergegenwärtigt, dass sechzehn Richter im Jahr 5.000 Verfassungsbeschwerden bescheiden sollen, dann wird schnell deutlich, dass das eine unrealistische Erwartung ist.30 Dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog soll angesichts der Überlastung des Gerichts einmal der Satz entwichen sein: „Wenn man uns nicht hilft, saufen wir ab.“31 Um die negativen Folgen der Überlastung des Gerichts abzumildern, versuchen die Richter zwar besonders wichtige Verfahren vorrangig zu behandeln,32 doch insgesamt dauern die meisten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht viel zu lange.33

V. Europäischer Gerichtshof 34 Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg erledigte die bei ihm anhängig gewordenen Verfahren im Schnitt innerhalb von rund zwei Jahren, wobei die Verfahrensdauer in den letzten Jahren auf rund 18 Monate gesunken ist. Diese Abnahme der Verfahrensdauer beruht auf der Schaffung von zehn neuen Rich26

Borm (2005) S. 11; Graßhof Anhang IX (2005) S. 358. Fuss/Arnold in: Goffin (1975) II/6 S. 78 ff.; Leisner (2003) S. 248; Schmidt-Jorzig in: Bundesjustizministerium (1998) S. 3, 3; Ziekow DÖV 1998, 941, 946; Zoll in: FS-Graßhof (1998) S. 391, 392. 28 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 21; Schmidt-Jortzig in: Bundesjustizministerium (1998) S. 3, 3. 29 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 15 und 21. 30 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 28; Graßhof Anhang IX (2005) S. 358; Limbach DRiZ 1998, 7, 8. 31 Würkner NVwZ 1992, 309, 309. 32 Graßhof Anhang IX (2005) S. 358; Kuhr in: SZ vom 27. Dezember 2004 S. 22; Zuck in: FAZ vom 5. Juni 1996 S. 16. 33 Knapp in: Bonner GA vom 11./12. November 2006 S. 2; Redeker (2000) S. 24. 34 Europäischer Gerichtshof Rechtsprechungsstatistiken. 27

VI. Europäisches Gericht erster Instanz

45

Jahr

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Erledigte Verfahren insgesamt

420

395

526

434

513

494

665

574

546

570

Erledigte Vorabentscheidungsverfahren

246

192

268

182

241

233

262

254

266

235

Dauer in Monaten

21,4

21,2

21,6

22,7

24,1

25,5

23,5

20,4

19,8

19,3

Erledigte Direkte Klagen

136

141

180

179

215

193

299

263

212

241

Dauer in Monaten

21,0

23,0

23,9

23,1

24,3

24,7

20,2

21,3

20,0

18,2

Erledigte Rechtsmittelverfahren

32

53

73

59

47

57

89

48

63

88

Dauer in Monaten

20,3

23,0

19,0

16,3

19,1

28,7

21,3

20,9

17,8

17,6

terstellen im Jahr 2004 im Rahmen des Beitritts von zehn neuen Mitgliedstaaten. Da die Verfahren aus den neuen Mitgliedstaaten einige Zeit auf dem Weg durch die nationalen Instanzen benötigen, ist die Anzahl der zu bearbeitenden Fälle zunächst nicht entsprechend angestiegen. Dadurch konnten die bereits anhängigen Verfahren zügiger bearbeitet werden. Besonders problematisch im Hinblick auf den Aspekt des Zustandekommens einer überlangen Verfahrensdauer sind dabei die Vorabentscheidungsverfahren, deren Dauer von immer noch rund 19 Monaten zu der oft mehrjährigen Dauer der nationalen Gerichtsverfahren hinzutritt.

VI. Europäisches Gericht erster Instanz35 Das Europäische Gericht erster Instanz in Luxemburg, das im Jahr 1989 zur Entlastung des Gerichtshofs eingerichtet wurde, benötigt inzwischen gut zwei Jahre für Klagen zum geistigen Eigentum, sowie fast drei Jahre für Klagen zum öffentlichen Dienst. Zur Entlastung des Europäischen Gerichts erster Instanz wurde inzwischen ein eigenes Gericht speziell für die beamtenrechtlichen Streitigkeiten der EU-Beamten geschaffen. Sonstige Klagen dauern inzwischen fast 30 Monate. Da dies nur Durchschnittswerte sind und Verfahren damit im Einzelfall erheblich länger dauern, sind diese Zahlen für ein erstinstanzlich zuständiges Gericht keinesfalls befriedigend.

35

Europäisches Gericht erster Instanz Rechtsprechungsstatistiken.

46

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Jahr

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Erledigte Verfahren insgesamt

349

659

343

340

331

339

361

610

436

397

Erledigte Klagen zum geistigen Eigentum

1

2

7

30

29

47

76

94

90

128

Dauer in Monaten



8,6

9,1

16,4

19,5

15,8

17,3

21,1

21,8

24,5

Erledigte Klagen zum öffentlichen Dienst

120

88

101

133

96

104

101

236

71

51

Dauer in Monaten

16,7

17,0

15,6

18,7

17,2

17,9

19,2

19,2

24,8

32,7

Erledigte sonstige Klagen

199

544

219

162

189

169

159

237

241

185

Dauer in Monaten

20,0

12,6

27,5

20,7

21,3

21,6

22,6

25,6

27,8

29,5

VII. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ist gemäß Artikel 19 der Europäischen Menschenrechtskonvention seit dem Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls am 1. November 1998 als ständiger Gerichtshof organisiert.36 Der Übergangsprozess vom nichtständigen zum ständigen Gerichtshof ist jedoch noch immer nicht in befriedigender Weise abgeschlossen, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch immer nicht über eine angemessene Finanz- und Personalausstattung verfügt, um die Zahl der eingehenden Beschwerden in angemessener Zeit zu erledigen.37 Angesichts der steigenden Arbeitslast, dem sich zunehmend verschlechternden Verhältnis zwischen der Zahl der Eingänge und ihrer Erledigung, also dem Auflaufen großer Rückstände, ist die derzeitige Situation noch weit von der Erreichung dieses Ziels entfernt.38 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war seit seiner Gründung als ständiger Gerichtshof wegen der budgetären Zwänge, ausgelöst

36 Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 21; Bernhardt in: FS-Ress (2005) S. 911, 914; Bröhmer in: FS-Ress (2005) S. 917, 917; Herdegen (2008) Rn 8; Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 110 f.; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 1999, 1165, 1165; Oppermann (2005) S. 31; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 40. 37 Bernhardt in: FS-Ress (2005) S. 911, 912 ff.; Oppermann (2005) S. 33; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 41. 38 Bernhardt in: FS-Ress (2005) S. 911, 912 ff.; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 41 f.

VII. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

47

durch die „politique de croissance zéro“ („Nullwachstumspolitik“), noch nie in der Lage, den Rückstand und die steigende Zahl der Fälle zu bewältigen.39 Mittlerweile leben mehr als 800 Millionen Bürger im Geltungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Flut von Individualbeschwerden wächst von Jahr zu Jahr.40 Jährlich gehen mehr als 40.000 Beschwerden beim Gerichtshof ein.41 Auch derzeit gehen monatlich etwa 1.000 Fälle mehr ein, als der Gerichtshof erledigen kann, und damit steigt der Rückstand jeden Monat um mehr als 1.000 auf inzwischen über 65.000 Fälle.42 Insgesamt klagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit zu Recht über eine zu hohe Arbeitsbelastung.43 Ein großer Teil der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhobenen Beschwerden beruht auf Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und betrifft die überlange Dauer von Verfahren vor den nationalen Gerichten.44 Durch diese Verfahren wird der Gerichtshof selbst belastet und seine Verfahrensdauer steigt an.45 Damit befindet er sich in der paradoxen Situation, wegen der eigenen Überlastung nicht mehr diejenige Verfahrensdauer gewährleisten zu können, die er den nationalen Gerichten abverlangt.46 Dadurch besteht die Gefahr, dass das Konventionssystem an seiner errungenen Akzeptanz zugrunde geht.47 39

Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 46 Fn 20 und S. 54. Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 37; Oppermann (2005) S. 33; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 54. 41 European Court of Human Rights statistics; Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 37; Oppermann (2005) S. 33. 42 European Court of Human Rights statistics; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 54. 43 Golsong EuGRZ 1992, 249, 249; Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 180; Oppermann (2005) S. 33; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 42; Rubner in: SZ vom 18. Oktober 2005 S. 6; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 114 f.; Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 869; Wildhaber EuGRZ 2002, 569, 571. 44 Becker DBVR-R 2002, 53, 53; Bolesch in: SZ vom 15. August 2006 S. 3; Castberg (1971) S. 116; Demko HRRS 2005, 283, 283; Grabenwarter (2003) S. 360; Matscher in: FS-Wiarda (1988), 395, 395; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 1; Miehsler/ Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Vorbemerkung; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 3 und 136 und 155; Redeker NJW 2003, 488, 488; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 627; Rubner in: SZ vom 18. Oktober 2005 S. 6; Schlette REDP 8 (1996), 493, 494 und 503 und 524 f.; Schlette REDP 9 (1997), 195, 196 und 221; Schlette REDP 10 (1998), 479, 499; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 540; Velu AJCL 18 (1970), 259, 260; Voss in: Gearty (1997) S. 143, 159; Widmaier ZBR 2002, 244, 251. 45 Becker DBVR-R 2002, 53, 53; Bolesch in: SZ vom 15. August 2006 S. 3; Gundel DVBl 2004, 17, 20; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 133; Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 180; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 136 und 155; Rubner in: SZ vom 18. Oktober 2005 S. 6. 46 Becker DBVR-R 2002, 53, 53; Bolesch in: SZ vom 15. August 2006 S. 3; Frowein in: FS-Carstens (1984) S. 327, 327; Kerscher in: SZ vom 18. Februar 2005 S. 4; Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 185; Müller in: FAZ vom 11. Oktober 2003 S. 10; 40

48

C. Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

VIII. Zusammenfassung Die Statistiken zur Verfahrensdauer an den im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichten verdeutlichen, dass der Bürger bei einem Verfahren vor den deutschen Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten mit einem mehrjährigen Verfahren bereits vor einer Instanz rechnen muss. Ein Vergleich mit der wesentlich kürzeren Verfahrensdauer vor den ordentlichen Gerichten – beispielsweise dauern die durch streitiges Urteil erledigten Zivilprozesssachen vor den Amtsgerichten durchschnittlich nur rund 6 Monate48 – zeigt, dass das Problem langer Verfahrensdauer in den für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zuständigen Gerichtsbarkeiten ganz besonders deutlich hervortritt.49 Beim Durchlaufen des gesamten Instanzenzugs können leicht Verfahrensdauern entstehen, die sich über sehr viele Jahre erstrecken. Tritt zu einem solchen Verfahren dann noch ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Europäischen Gerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hinzu, so verzögert sich eine endgültige Klärung der streitigen Rechtsfragen noch weiter. In vielen Fällen kann dann nicht mehr von Rechtsschutz in angemessener Frist gesprochen werden. Auf den ersten Blick mögen die durchschnittlichen statistischen Erledigungszahlen der Gerichte noch einigermaßen erträglich erscheinen. Das Bild verschlechtert sich jedoch schon, wenn die Betrachtung auf Verfahren beschränkt wird, die durch Urteil abgeschlossen werden, wenn also die besonders schnell zu erledigenden unproblematischen Entscheidungen herausfallen.50 Durchschnittswerte, die nur Mittelwerte zwischen besonders kurzen und besonders langen Prozessen wiedergeben, sagen nicht zwangsläufig etwas darüber aus, wie es mit der Verfahrensdauer im Einzelfall steht.51 Der Blick auf die Länderstatistik zeigt zudem, dass in einigen Bundesländern durchschnittliche Erledigungszeiten erreicht werden, die mit dem Anspruch des Bürgers auf ein Verfah-

Peukert EuGRZ 1993, 173, 176; Prantl in: SZ vom 2. Juli 1997 S. 1; Schellenberg (1983) S. 258; Schlette EuGRZ 1999, 219, 222 Fn 24; Ulrich in: SZ vom 3. November 1998 S. 1; Wildhaber EuGRZ 2002, 569, 572; Wilfinger (1995) S. 187. 47 Wilfinger (1995) S. 187. 48 Statistisches Bundesamt Fachserie 10 Reihe 2.1 2003 S. 24. 49 Busse (2000) B IV 1; Busse (2005) S. 12 und 51; Dauner-Lieb AnwBl 2005, 369, 371; Deutscher Anwaltverein (2005) S. 2; Guthardt-Schulz in: FAZ vom 28. Dezember 1999 S. 10; Harries-Lehmann (2004) S. 9; Kerscher in: SZ vom 6. Mai 2005 S. 9; Klose NJ 2004, 241, 245; Mayen Anhang VI (2005) S. 336; Papier DRiZ 2006, 261, 261; Redeker RuP 1982, 51, 52; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker (2000) S. 27; Redeker BDVR-R 2002, 132, 133; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Redeker BDVR-R 2002, 175, 175; Scholz DVBl 1982, 605, 611; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Storost NordÖR 2005, 248, 248. 50 Schmieszek VR 1990, 149, 149; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523. 51 Schmieszek VR 1990, 149, 149 f.; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523.

VIII. Zusammenfassung

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ren in angemessener Frist nicht vereinbar sind.52 Hinzu kommt, dass sich selbst dann, wenn es im statistischen Mittel keine unerträgliche Überlastung der Justiz geben mag, doch zweifellos Überbelastungen einzelner Spruchkörper beobachten lassen, die teilweise dramatische Auswirkungen auf die Verfahrensdauer haben.53 Da sich die Belastung der Justiz nicht allein mit statistischen Werten messen lässt, erschöpft die statistische Dimension das Thema nicht.54 Eine rein statistische Sicht würde den Blick auf die eigentlichen Probleme verstellen.55 Andererseits ermöglicht die Betrachtung der Statistiken einen ersten Überblick über die Problematik der überlangen Verfahrensdauer. Zwar wäre es übertrieben zu behaupten, die Justiz befinde sich in einem allgemeinen Zustand der Verfahrensverschleppung und sei daher mit dem Reichskammergericht gleichzustellen,56 doch sind die Verfahrenslaufzeiten an den im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichten weit davon entfernt, den Rechtsschutz suchenden Bürger zufrieden zu stellen. Der Ruf nach effektivem Rechtsschutz und schneller gerichtlicher Entscheidung sollte daher kein „justizpolitischer Ladenhüter“57 sein, sondern die Justiz in ihren Bemühungen um angemessenere Verfahrenslaufzeiten bestärken. Ein noch so perfektes Rechtsschutzsystem nutzt dem Bürger nichts, wenn er sein Recht erst nach vielen Jahren erhält. Mit einem englischen Rechtssprichwort kann dies folgendermaßen zusammengefasst werden: „Justice must not only be done, it must also be seen to be done.“58

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Schmieszek VR 1990, 149, 150; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523. Dauner-Lieb AnwBl 2005, 369, 371; Mayen Anhang VI (2005) S. 339. Kempf AnwBl 1997, 75, 75; Kempf StV 1997, 208, 208. Nehm/Senge NStZ 1998, 377, 377. Otto (1994) S. 1; Winkler (1995) S. 175. Dombert SächsVBl 1995, 73, 73. Schmuckli (1990) S. 52; Stoll SchlHA 1993, 263, 263.

D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer Eine überlange Verfahrensdauer kann sich sowohl auf die unmittelbar an einem Gerichtsverfahren beteiligten Personen und Behörden als auch auf die Allgemeinheit auswirken. Zudem wird die Gerichtsbarkeit insgesamt durch die Problematik der überlangen Verfahrensdauer beeinflusst. Im Folgenden werden einige dieser Auswirkungen exemplarisch dargestellt.

I. Materielle und immaterielle Auswirkungen auf die Betroffenen Als Erstes soll auf die materiellen und immateriellen Folgen für die unmittelbar von dem Verfahren Betroffenen eingegangen werden. Hierbei kann zwischen verschiedenen Aspekten unterschieden werden, die anhand einiger Beispielsfälle verdeutlicht werden. Zunächst geht es bei vielen Gerichtsverfahren um die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen.1 Als Beispiel hierfür kann ein Unternehmer dienen, für den eine überlange Verfahrensdauer zu einem unkalkulierbaren Investitionsrisiko führt.2 Plant ein Investor ein größeres Bauvorhaben, so muss er in der Regel mit erheblichen Geldsummen für die Planung des Vorhabens in Vorleistung gehen.3 Wird ihm dann eine Baugenehmigung unrechtmäßigerweise verweigert, kann dies für ihn hohe finanzielle Einbußen zur Folge haben, die noch verstärkt werden, wenn der Prozess über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung unan-

1 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 111 = EuGRZ 1978, 406, 420 Rn 111; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Blomeyer NJW 1977, 557, 557; Haas VBlBW 1991, 232, 234; Heims in: SZ vom 26. Mai 2006 S. V2/1; Niesler (2005) S. 110; Schneider ProzRB 2003, 22, 23; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 439. 2 Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Bertrams NWVBl 1999, 245, 246; Harries-Lehmann (2004) S. 68; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Krumsiek/Frenzen DÖV 1995, 1013, 1026; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 718; Leisner (2003) S. 254; Lesch BDVR-R 1998, 44, 45; Millgramm SächsVBl 2003, 104, 109; Millgramm BDVR-R 2003, 128, 133; Redeker NJW 2002, 2610, 2610; Redeker BDVR-R 2002, 175, 175; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Rößler DStZ 1993, 381, 382; Röttgen ZRP 2003, 345, 345; Rumpf NVwZ 1997, 981, 981; Schlette (1999) S. 15 und 43; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 448; Ule DVBl 1978, 553, 561; Wilfinger (1995) S. 2. 3 Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 718.

I. Materielle und immaterielle Auswirkungen auf die Betroffenen

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gemessen lange dauert.4 Wenn ein Bauvorhaben deswegen scheitert, kann sich der Unternehmer noch nicht einmal darauf verlassen, im Wege der Amtshaftungsklage vor den Zivilgerichten stets zügig zu seinem Recht zu gelangen.5 Dies zeigt zum Beispiel der als einer der längsten Zivilprozesse in die bundesdeutsche Geschichte eingegangene Fall des Investors Jürgen Gräßer, der in Saarbrücken einen Supermarkt errichten wollte und seit nunmehr über 30 Jahren auf Schadensersatz für die aus der unrechtmäßigen Nichterteilung der Baugenehmigung entstandenen Millionenschäden hofft.6 Dieser Fall hat den Investor finanziell ruiniert.7 Damit kann im Extremfall verspätet gewährte Liquidität sogar die Fortführung eines Unternehmens gefährden.8 Auch bei einem weiteren Beispiel aus dem Baurecht führt die überlange Verfahrensdauer dazu, dass ohnehin entstehende Schäden durch die unangemessen lange Dauer eines Prozesses erheblich verstärkt werden. Ein nicht zügig durchgeführter Prozess über die Rechtmäßigkeit eines Bauvorhabens kann dazu führen, dass ein Bürger sein Eigenheim nicht rechtzeitig beziehen kann und daher länger zu Miete wohnen muss. Möglicherweise steigen auch inzwischen die Preise für die Errichtung oder Fertigstellung seines Bauvorhabens. Preissteigerungen gehören zwar zum allgemeinen Lebensrisiko, doch wenn diese aufgrund einer unangemessen langen Dauer eines Prozesses unnötig verstärkt werden, sind diese für den Betroffenen besonders ärgerlich. Darüber hinaus fallen für den Bürger oft Kosten für einen Rechtsanwalt an, die mit zunehmender Dauer eines Gerichtsverfahrens immer weiter ansteigen.9 Die einem von einer überlangen Verfahrensdauer betroffenen Bürger drohenden vermögensrechtlichen Einbußen können beachtliche Ausmaße annehmen.10 4 Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 718; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 448. 5 Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 721 f. 6 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 214; Müller/Müller in: Beilage Wochenende zur SZ vom 15./16. Januar 2005 S. III; Niesler (2005) S. 98. 7 Müller/Müller in: Beilage Wochenende zur SZ vom 15./16. Januar 2005 S. III. 8 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Blomeyer NJW 1977, 557, 557; Haas VBlBW 1991, 232, 234; Heims in: SZ vom 26. Mai 2006 S. V2/1; Kirchhof in: FSDoehring (1989) S. 439, 441; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Leisner (2003) S. 254; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Schlette (1999) S. 14; Stötter NJW 1968, 521, 521; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23; Weth NJW 1996, 2467, 2470. 9 Breyer RVG-B 2005, 45, 45; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 440; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55. 10 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 46; Bortloff AnwBl 1999, 107, 108; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 524 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 68; Heath GRUR Int 1993, 497, 498; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 82; Kloepfer JZ 1979, 209, 214; Limbach DRiZ 1998, 7, 7; Otto (1994) S. 45; Peukert EuGRZ 1993, 173, 176; Redeker AnwBl 2004, 71, 75; Rößler DStZ 1993, 381, 382; Schlette (1999) S. 14;

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D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer

Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer ist ein Prozess um die Erteilung oder den Entzug einer Erlaubnis zur Ausübung eines Berufs, bei dem eine überlange Verfahrensdauer zu einem faktischen Berufsverbot für die Dauer des Verfahrens führt.11 So darf ein Arzt, dem die Approbation entzogen wurde, solange nicht mehr seinen Beruf ausüben, bis das Gericht entschieden oder zumindest die aufschiebende Wirkung wieder herstellt hat. Dauert das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Erteilung oder des Entzugs einer Erlaubnis zu lange, kann dies die berufliche Existenzgrundlage des Betroffenen zerstören. Ein Paradebeispiel für besonders gravierende materielle und immaterielle Auswirkungen auf die Betroffenen bietet das Prüfungsrecht.12 Dort bleiben manche Verfahren so lange liegen, bis sie sich durch Zeitablauf selbst erledigt haben oder keine praktische Bedeutung mehr für den Betroffenen haben.13 Es ist nicht hinnehmbar, dass beispielsweise ein abgelehnter Habilitand, der um seine Lebenschance kämpft, Professor zu werden, erst dann ein Urteil erhält, wenn er jenseits aller Einstellungsgrenzen ist.14 Auch ein gewonnener Rechtsstreit bezüglich des ersten juristischen Staatsexamens, der dem Prüfungskandidaten die Chance eröffnet, die Prüfung erneut abzulegen, hilft dem Kläger in der Regel nur auf dem Papier, wenn er nach so langer Zeit die Prüfung kaum erfolgreich wiederholen kann.15 Der Wert gerichtlicher Entscheidungen für den Betroffenen sinkt regelmäßig proportional zum Zeitablauf.16 Wenn der Betroffene bereits seit Jahren berufstätig ist, bringt ihm eine nach langer Zeit ergangene Entscheidung eines Gerichts zu seinen Gunsten in der Regel noch nicht einmal Genugtuung, sondern muss dem Betroffenen eher wie Zynismus oder blanker Hohn vorkommen.17 Das Recht ist in diesem Fall nichts mehr wert, wenn es erst nach Jahren gewährt wird.18 Schroth NJW 1990, 29, 30; Stötter NJW 1968, 521, 521; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer. 11 Schlette (1999) S. 15. 12 Guthardt-Schulz in: FAZ vom 28. Dezember 1999 S. 10; Heims in: SZ vom 17. Februar 2006 S. 11; Horstkotte in: SZ vom 16. Januar 2006 S. 14; Klose NJ 2004, 241, 245; Löwer Anhang IV (2005) S. 331; Sendler DVBl 1982, 157, 163 Fn 38; Sendler DVBl 1982, 812, 814. 13 Guthardt-Schulz in: FAZ vom 28. Dezember 1999 S. 10; Heims in: SZ vom 17. Februar 2006 S. 11; Horstkotte in: SZ vom 16. Januar 2006 S. 14; Klose NJ 2004, 241, 245; Löwer Anhang IV (2005) S. 331; Sendler DVBl 1982, 157, 163 Fn 38; Sendler DVBl 1982, 812, 814. 14 Horstkotte in: SZ vom 16. Januar 2006 S. 14; Löwer Anhang IV (2005) S. 331. 15 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 178 f. 16 Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Klose NJ 2004, 241, 245. 17 Klose NJ 2004, 241, 245; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 178 f. 18 Guthardt-Schulz in: FAZ vom 28.12.1999 S. 10; Klose NJ 2004, 241, 245; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10.

I. Materielle und immaterielle Auswirkungen auf die Betroffenen

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Die vorangegangenen Beispielsfälle veranschaulichen nur einen kleinen Ausschnitt aller denkbaren materiellen und immateriellen Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer auf die Betroffenen. Auf die unzähligen weiteren denkbaren Fälle aus dem Baurecht, dem Prüfungsrecht, dem Gewerberecht, dem Umweltrecht und anderen Rechtsgebieten, bei denen es um die Erteilung einer Genehmigung, den Entzug einer Erlaubnis oder eine andere Verfahrenskonstellation geht, kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Alle diese Beispielsfälle zeigen jedoch, dass ein „Warten auf Gerechtigkeit“19 einerseits wirtschaftlich belastend für die Betroffenen ist, andererseits verdeutlichen sie zugleich, dass eine überlange Verfahrensdauer bei den Betroffenen auch immaterielle Auswirkungen haben kann. Diese resultieren insbesondere aus der von einem überlangen Verfahren hervorgerufenen Zukunftsungewissheit.20 Diese kann sowohl zu Zermürbung und Verbitterung21 als auch zu Resignation und Demotivation führen.22 Eine unangemessen lange Verfahrensdauer kann auch aufgrund einer den Prozess begleitenden negativen Berichterstattung in den Medien23 zu einem verstärkten Ansehensverlust für den Betroffenen führen.24 Insgesamt sind die Betroffenen wegen einer überlangen Verfahrensdauer unnötig lange einer psychischen Belastung ausgesetzt,25 die sogar gesundheitliche Schä-

19 Harries-Lehmann (2004) S. 67; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kirchhof in: FSDoehring (1989) S. 439, 439; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Schlette (1999) S. 14; Wilfinger (1995) S. 2 und 53. 20 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 105 = EuGRZ 1978, 406, 419 Rn 105; BVerfG (1. Senat) 18. Juli 1973 Az 1 BvR 23/73, 155/73 BVerfGE 35, 382, 405; Busse (2005) S. 9; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 329; Gaede wistra 2004, 166, 168; Hien DVBl 2004, 909, 912; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 82; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 328; Schlette (1999) S. 63; Schorn (1965) S. 215; Sendler DVBl 1982, 812, 816; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 470; Wilfinger (1995) S. 166. 21 Bull NJW 1957, 1100, 1101; Geppert Jura 1992, 597, 602; Harries-Lehmann (2004) S. 67; Henke ZZP 83 (1970), 125, 125; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 36; Schlette (1999) S. 15 und 70; Siegert DRiZ 1932, 203, 204; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107. 22 Fritz in: FAZ vom 23. Dezember 2004 S. 10; Schlette (1999) S. 70. 23 Kohl JZ 1985, 668, 668; Schlette (1999) S. 63; Vogelgesang NJW 1994, 1845, 1845. 24 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 440; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kloepfer JZ 1979, 209, 214; Otto (1994) S. 45; Schroth NJW 1990, 29, 30; Velu/Ergec (1990) S. 438. 25 BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 24. November 1983 Az 2 BvR 121/83 NJW 1984, 967, 967; BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) 19. März 1992 Az 2 BvR 1/91 NJW 1992, 2472, 2473; BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) 19. April 1993 Az 2 BvR 1487/90 NJW 1993, 3254, 3255; BVerfG (3. Kammer des 2. Senats) 5. Februar 2003 Az 2 BvR 327/02, 328/02, 1473/02 NJW 2003, 2225, 2225; BVerfG (3. Kammer des 2. Senats) 25. Juli 2003 Az 2 BvR 153/03 NJW 2003, 2897, 2897; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 15. Dezember 2003 Az 1 BvR 1345/03 NVwZ 2004, 471, 471; VG Frankfurt am Main (Disziplinarkammer) 25. September 1990 Az

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D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer

den verursachen kann.26 Bildlich gesprochen kann ein Verfahren wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen hängen.27 Ein ganz anderer Aspekt im Hinblick auf die Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer auf die Betroffenen ergibt sich daraus, dass sich der Schaden des einen Betroffenen auch zum Wohl des anderen auswirken kann.28 Derjenige, der sich der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs erfreut, ist oft an einer möglichst langen Prozessdauer interessiert.29 Ein besonders anschauli-

DK 8/90 NVwZ-RR 1991, 498, 499; OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; OLG Koblenz (1. Senat) 9. Dezember 1992 Az 1 Ws 502/92 NJW 1994, 1887, 1887; OLG Stuttgart (3. Senat) 18. März 1993 Az 3 Ws 36/93 StV 1993, 289, 290; OLG Düsseldorf (11. Senat) 3. März 1998 Az 11 W 9/98 MDR 1998, 1052, 1052; Kammergericht Berlin (13. Senat) 24. November 2000 Az 13 UF 7180/00 FamRZ 2001, 928, 929; LG Krefeld 18. Mai 1971 Az 6 c StK 8/67 JZ 1971, 733, 734; LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725, 1728; Kreisgericht Saalfeld 17. August 1993 Az Cs 5 Js 10926/91 StV 1993, 535, 535; Baumann in: FS-Schmidt (1961) S. 525, 540; Beccaria (1764) S. 48; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 459; Bortloff AnwBl 1999, 107, 108; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 10; Bruns (1985) S. 182; Busse (2005) S. 9; Demko HRRS 2005, 283, 291; Dölling in: Dölling u. a. (2000) S. 9, 9; Fritz in: FAZ vom 23. Dezember 2004 S. 10; Gaede wistra 2004, 166, 168; Geppert Jura 1992, 597, 602; Gössel in: Juristentag (1994) S. C13; Guradze (1968) Art 6 Rn 20; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 135; Hanack JZ 1971, 705, 706 und 711; Harries-Lehmann (2004) S. 67; Henke ZZP 83 (1970), 125, 129; Hillenkamp JR 1975, 133, 135; Kerscher in: SZ vom 13. Dezember 2004 S. 14; Kirchhof DStZ 1989, 55, 55; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 82; Kloepfer JZ 1979, 209, 214; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 205; Küng-Hofer (1984) S. 83; Leisner (2003) S. 254; Limbach DRiZ 1998, 7, 7; Lingens NZWehrr 2005, 25, 26; Münchhalffen StraFo 1996, 148, 148; Ostendorf/Radke JZ 2001, 1094, 1094; Otto (1994) S. 45; Peters JR 1978, 247, 247; Peukert EuGRZ 1993, 173, 176; Pillmann DRiZ 1998, 511, 514; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 295; Redeker NJW 2002, 2610, 2610; Rößler DStZ 1993, 381, 382; Rothenfluh RPS 100 (1983), 366, 366; Satzger JA 1999, 367, 370; Scheffler JZ 1992, 131, 135; Scheffler NStZ 1992, 79, 79; Schorn (1965) S. 215; Schroth NJW 1990, 29, 30; Schulz MDR 1971, 191, 191; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 183; Sendler NVwZ 2003, 957, 958; Siegert DRiZ 1932, 203, 203; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 470; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer; Velu/Ergec (1990) S. 438; Vogelgesang NJW 1994, 1845, 1845; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107; Wagner EuGRZ 1983, 484, 485. 26 Busse (2005) S. 9; Hanack JZ 1971, 705, 711; Harries-Lehmann (2004) S. 67; Kloepfer JZ 1979, 209, 214; Otto (1994) S. 45; Schlette (1999) S. 15 und 63; Sendler NVwZ 2003, 957, 958. 27 Duden Zitate und Aussprüche (2002) S. 103; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1973. 28 Neue Richtervereinigung Pressemitteilung vom 17. September 2005; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 259. 29 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Bertrams Anhang VII (2005) S. 344; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 302 Fn 34; Redeker (2000) S. 25; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Sendler DVBl 1982, 157, 165; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Sendler DÖV 1989, 482, 489; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 325; Stoll SchlHA 1993, 263, 266.

I. Materielle und immaterielle Auswirkungen auf die Betroffenen

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ches Beispiel hierfür sind die zahlreichen Verfahren aus dem Bereich des Asylrechts, in denen es den Klägern und deren Rechtsanwälten oft maßgeblich darum geht, die Verfahrensdauer möglichst lange auszudehnen und durch einen möglichst langen Aufenthalt im Land den Aufenthaltsstatus des Asylsuchenden zu festigen.30 Und andere Kläger, die eine Verurteilung zur Zahlung fürchten müssen, werden naturgemäß die Zahlungspflicht möglichst lange hinausschieben wollen.31 Der Prozess kann sich damit für diese als Mittel zum billigen Kredit erweisen.32 Die überlange Verfahrensdauer wird also auch von manchen Beteiligten im eigenen Interesse und auf Kosten der anderen zu eigenen Zwecken ausgenutzt.33 Insbesondere bei den an einem Verfahren beteiligten Behörden wird deutlich, dass sie von der Problematik der überlangen Verfahrensdauer in vielen Fällen profitieren, manchmal aber auch selbst Opfer von bewussten Verfahrensverzögerungen der anderen Beteiligten werden. Manche Behörden spekulieren mehr oder weniger offen auf eine lange Verfahrensdauer vor den Gerichten und zwingen den Bürger so schon im Verwaltungsverfahren zu Kompromissen, die dieser bei der Möglichkeit, sein Recht rechtzeitig durchzusetzen, nicht eingegangen wäre.34 Damit instrumentalisieren manche Behörden die überlange Verfahrensdauer zu ihren Zwecken.35 Solche Fälle gelangen zwar selten an die Öffentlichkeit, doch ist es unter mit dem öffentlichen Recht befassten Juristen ein offenes Geheimnis, dass Behörden immer wieder nicht im Gesetz vorgesehene „Auflagen“ durchsetzen, gegen die sich der betroffene Bürger aufgrund der überlangen Verfahrensdauer vor den Gerichten nicht wehrt.36 Dadurch erleidet der Rechtsstaat einen erheblichen Schaden.37 30 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Bertrams Anhang VII (2005) S. 344; MeyerLadewig DVBl 1979, 539, 542; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 325. 31 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Neue Richtervereinigung Pressemitteilung vom 17. September 2005; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 259. 32 Bull NJW 1957, 1100, 1101; Haegert BB 1991, 36, 43 f.; Hirte in: FAZ vom 18. Juni 1996 S. 10; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Plagemann NZS 2006, 169, 170; Schlette (1999) S. 15 Fn 14; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107. 33 Neue Richtervereinigung Pressemitteilung vom 17. September 2005; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 259. 34 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 175; Harries-Lehmann (2004) S. 69; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; Klose NJ 2004, 241, 245; Körner BDVR-R 2005, 11, 11; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 718; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Schlette (1999) S. 15 Fn 14; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 456; Wilfinger (1995) S. 2 und 184. 35 Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 175; Klose NJ 2004, 241, 245; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 718; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker NJW 2003, 2956, 2958.

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D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer

Andererseits kommt es immer wieder vor, dass Behörden rechtmäßige Vorhaben nicht umsetzen können, weil sie durch eine Vielzahl von dagegen angestrengten Prozessen daran gehindert werden.38 Insbesondere bei großen Investitionsvorhaben besteht die Gefahr, dass der durch überlange Gerichtsverfahren eintretende Zeitverlust vielfach zur Durchsetzung politischer Interessen instrumentalisiert wird.39 So werden einerseits Großvorhaben, wie die Errichtung von Flughäfen, Autobahnen und Energieversorgungsanlagen, andererseits aber auch die Festsetzung von Naturschutzgebieten auf Kosten der Allgemeinheit von Interessengruppen bewusst verzögert.40

II. Volkswirtschaftliche Auswirkungen „Ohne schnelle Justiz kein Kredit, ohne Kredit kein Verkehr, und ohne Verkehr kein Wohlstand.“41

Diese einfache Gleichung machten schon 1828 Karl Eduard Morstadt und 1831 Rudolph Freiherr von Holzschuher auf und bezogen sich dabei auf die Redewendung „bis dat, qui cito dat“ („Doppelt gibt, wer schnell gibt“), die auf die Sentenz „inopi beneficium bis dat, qui dat celeriter“ („Dem Armen gibt eine doppelte Gabe, wer schnell gibt“) des römischen Dichters Publilius Syrus aus dem ersten Jahrhundert vor Christus zurückgeht und durch die von Johann Wolfgang von Goethe leicht abgewandelte Verwendung mit „Doppelt gibt, wer gleich gibt“ bekannt wurde.42 Mit dieser Gleichung soll verdeutlicht werden, dass eine schnelle Justiz aufgrund der durch sie gewährleisteten Durchsetzbarkeit des Rückzahlungsanspruchs eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass Menschen dazu bereit sind, einander Geld zur Verfügung zu stellen. Die Gewährung von Krediten ist jedoch die Voraussetzung für einen funktionierenden Handelsverkehr, der wiederum zu einer Zunahme des Wohlstands führt. Kurz gesagt führt eine schnelle Rechtsprechung volkswirtschaftlich gesehen zu mehr Wohlstand. Eine Justiz, 36 Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 175; Klose NJ 2004, 241, 245; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker NJW 2003, 2956, 2958. 37 Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 175. 38 Boecker in: SZ vom 6. Dezember 2005 S. 11; Schäfer DRiZ 1995, 461, 465; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523; Sendler DVBl 1982, 923, 932. 39 Boecker in: SZ vom 6. Dezember 2005 S. 11; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 251; Schäfer DRiZ 1995, 461, 465; Schenke DÖV 1982, 709, 711; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523; Sendler DVBl 1982, 923, 932; Sendler DÖV 1989, 482, 489; Stelkens NVwZ 1995, 325, 330. 40 Boecker in: SZ vom 6. Dezember 2005 S. 11; Kopp DVBl 1982, 613, 614; Schäfer DRiZ 1995, 461, 465; Sendler DVBl 1982, 923, 932. 41 Holzschuher (1831) S. VI; Morstadt (1828) S. 1 ff.; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107. 42 Bayer (2003) S. 225 Nr. 1037; Duden Zitate und Aussprüche (2002) S. 139.

II. Volkswirtschaftliche Auswirkungen

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die dem Bürger schnell zu seinem Recht verhilft, ist also „doppelt“ so viel wert wie eine langsam arbeitende Justiz. Trotz der heutzutage deutlich komplexeren Wirtschaftsstruktur hat diese Aussage auch heute noch Gültigkeit. Durch eine zu lange Dauer von Gerichtsverfahren können die Betroffenen über lange Zeiträume hinweg nicht über ihr Geld verfügen und damit erfolgt eine volkswirtschaftlich unerwünschte Festlegung von Vermögenswerten auf viele Jahre.43 Außerdem verstärkt eine überlange Verfahrensdauer das Risiko, dass eine Forderung durch eine inzwischen eingetretene Insolvenz des Beklagten völlig entwertet wird.44 Unternehmer, die jahrelang auf gerichtliche Entscheidungen warten müssen, werden in dem betreffenden Land nicht mehr investieren.45 Damit ist eine effektiv arbeitende Justiz auch ein wichtiger Standortfaktor für eine Volkswirtschaft.46 Neben diesen mittelbaren Auswirkungen für die Volkswirtschaft und den bereits oben erwähnten unmittelbaren Kosten für die am Verfahren beteiligten Personen verursachen überlange Gerichtsverfahren auch Kosten für den Staatshaushalt. Auch wenn die Justiz nach Ansicht einiger „kein Teil jenes aufgeblähten Staatsapparats“ ist, „der im Interesse des Steuer zahlenden Bürgers notwendig verschlankt werden muss“,47 und auch wenn die Kosten der Justiz den Staatshaushalt mit nur ein bis drei Prozent der Gesamtausgaben eher gering belasten,48 verursachen überlange Gerichtsverfahren doch unnötige Kosten und sind 43 Huff in: FAZ vom 8. Oktober 1993 S. 6; Leisner (2003) S. 254 f. und 267; Redeker NVwZ 1992, 713, 715; Redeker NJW 2003, 488, 488; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Röttgen ZRP 2003, 345, 345; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107. 44 Blomeyer NJW 1977, 557, 558; Busse (2005) S. 12; Leisner (2003) S. 254; Schlette (1999) S. 14; Stötter NJW 1968, 521, 521; Weth NJW 1996, 2467, 2470. 45 Busse (2005) S. 12; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 23; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Lesch BDVR-R 1998, 44, 45. 46 Arntz Anhang II (2005) S. 317; Asbrock NJ 1997, 185, 186; Bader DÖV 1997, 442, 443; v. Bargen in: SZ vom 30. April/1. Mai 2005 S. 15; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Beise in: SZ vom 22./23. Januar 2005 S. 23; Boecker in: SZ vom 6. Dezember 2005 S. 11; Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Busse (2000) B X; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 22; Dolderer DÖV 1999, 104, 104 und 110; Franßen in: Lüder (1998) S. 31, 33; Hien DVBl 2005, 348, 351; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 225; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Johlen DÖV 2001, 582, 588; Jung BDVR-R 1998, 10, 10; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 718; Lesch BDVR-R 1998, 44, 45; Lindemann ZRP 1999, 200, 203; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Meier NVwZ 1998, 688, 694; Millgramm SächsVBl 2003, 104, 108; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 63 und 75; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 76; Redeker NJW 2003, 488, 488; Riotte NWVBl 1997, 1, 3; Rumpf NVwZ 1997, 981, 981 f.; Schäfer DRiZ 1995, 461, 463; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 330 f.; Stelkens NVwZ 1995, 325, 331 f.; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 4; Wagner in: FAZ vom 28. Februar 2001 S. 57; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 177; Weth NJW 1996, 2467, 2473; Zypries in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10; Zypries (2007) S. 1. 47 Schäfer DRiZ 1995, 461, 462. 48 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 392; Arntz Anhang II (2005) S. 316; Asbrock NJ 1997, 185, 185; v. Bargen in: SZ vom 30. April/1. Mai 2005 S. 15; Busse (2000) B X;

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D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer

damit teuer für die Staatskasse.49 Damit geht wiederum Geld für sinnvollere Investitionen in die Zukunft des Landes verloren. Außerdem muss der Bürger die für überlange Gerichtsverfahren nutzlos aufgewandten Mittel über höhere Steuern finanzieren. Insgesamt führt eine nicht hinreichend zügig arbeitende Justiz damit nicht nur für die unmittelbar von dem Verfahren Betroffenen, sondern auch für die Allgemeinheit zu negativen Auswirkungen.

III. Schaden für das Ansehen der Justiz Überlange Gerichtsverfahren können außerdem zur Folge haben, dass eine rechtswidrige Situation unnötig lange andauert, und führen daher zu einer faktischen „Etablierung des Unrechts“.50 Dadurch wird in den Augen der Bürger nachhaltig das Ansehen der Justiz und damit das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat geschädigt.51 Das Erfordernis der Rechtsschutzgewährung innerhalb Busse (2005) S. 5; Dauner-Lieb AnwBl 2005, 369, 371; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Jung BDVR-R 1998, 10, 10; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Prantl/Roßmann in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10; Schäfer DRiZ 1995, 461, 462; Schlette (1999) S. 16 Fn 22 und S. 30; Schmieszek in: Pitschas (1999) S. 185, 185; Stelkens NVwZ 1995, 325, 332. 49 Baur (1966) S. 9; Gröpl VA 93 (2002), 459, 460 Fn 1; Hagen NJW 1970, 1017, 1017; Kerscher in: SZ vom 13. Dezember 2004 S. 14; Kirchner notar 2005, 74, 74; Meurer JR 1994, 84, 84; Münchhalffen StraFo 1996, 148, 148; Peters JR 1978, 247, 248; Pillmann DRiZ 1998, 511, 512; Pitschas ZRP 1998, 96, 100; Prantl in: SZ vom 2. Juni 2006 S. 4; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 73; Suermann in: SZ vom 19. Januar 2005 S. 35; Thielmann ZRP 2005, 123, 123 ff. 50 Harries-Lehmann (2004) S. 67; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Schlette (1999) S. 14; Wilfinger (1995) S. 2. 51 VerfGH Bayern (6. Senat) 28. Januar 1963 Az Vf 47/VI/62 NJW 1963, 707, 707; Arntz Anhang II (2005) S. 324; Baur (1966) S. 2 und 9; Bommarius in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 1; Bundesrechtsanwaltskammer Pressemitteilung vom 16. September 2005; Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 22; d.Castro Mendes ZZP Int 2000, 431, 433; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Dombert SächsVBl 1995, 73, 75; Eylmann RPfl 1998, 45, 46; Figlestahler IBR 2000, 398, 399; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 150; Hien DVBl 2004, 909, 911; Hill JZ 1981, 805, 806; Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 481; Hoffmann-Riem in: Pitschas (1999) S. 95, 95; Huff in: FAZ vom 29. August 1995 S. 8; Jung BDVR-R 1998, 10, 10; Klink SGb 1973, 431, 431; Klose NJ 2004, 241, 245; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 223; Krumsiek RuP 1994, 127, 127; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 4; Leisner (2003) S. 245; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Otto (1994) S. 1; Pawlita SozVers 1997, 266, 266; Pillmann DRiZ 1998, 511, 513; Prantl in: SZ vom 2. Juli 1997 S. 1; Quaas VBlBW 2004, 461, 461; Quaas BDVR-R 2004, 147, 147; Ravazoulas AnwBl 1997, 271, 271; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 73; Redeker NJW 2002, 2610, 2610; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Rieß NStZ 1994, 409, 410 f.; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 261; Rothenfluh RPS 100 (1983), 366, 383; Schäuble RuP 1994, 134, 135; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Schilling IPRax 2004, 294, 294; Schlette (1999) S. 27 Fn 49; Schlette EuGRZ 1999, 219, 222; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 98; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 192; Sendler DÖV 1989, 482, 486; Sendler in: FS-Stern (1997) S. 297, 317;

III. Schaden für das Ansehen der Justiz

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einer angemessenen Frist dient nicht nur dem individuellen Schutz des einzelnen Bürgers, sondern auch der Gewährleistung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit sowie der Verhinderung von Selbstjustiz.52 Kommt gerichtliche Hilfe zu spät, greifen Bürger zwangsläufig zur Selbsthilfe.53 Anstatt auf den Rechtsstaat zu vertrauen, verlassen sie sich lieber auf Maßnahmen wie die Einrichtung einer Vermieterschutzkartei,54 Inkassobüros, private Wachmannschaften und „schwarze Sheriffs“.55 Auf diese Art und Weise wird der Rechtsstaat schrittweise ausgehöhlt. Darüber hinaus verursachen überlange Gerichtsverfahren auch einen Schaden für das Ansehen des Staats gegenüber dem Ausland.56 Insbesondere Verurteilungen eines Landes durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer lassen den jeweiligen Staat in einem schlechten Licht erscheinen. Ein eklatantes Beispiel dafür bietet Italien, das für die Länge seiner Gerichtsverfahren berüchtigt ist57 und dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte attestiert hat, in ständiger Praxis gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verstoßen.58 Sendler NJW 2001, 1256, 1258; Siegert DRiZ 1932, 203, 203; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 432; Stötter NJW 1968, 521, 521; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107; Walther LKV 1995, 288, 288; Wassermann NJW 1994, 1106, 1107. 52 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 23; Dörr (2003) S. 34; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 530; Harries-Lehmann (2004) S. 70; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 448; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 79; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 1; Redeker NJW 2000, 2796, 2796 f.; Rieß NStZ 1994, 409, 409; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 259; Sachs ZRP 1982, 227, 231; Schlette (1999) S. 23 und 27; Schöpflin JR 2003, 485, 485; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 447; Stöcker DStZ 1989, 367, 372; Vorwerk JZ 2004, 553, 553; Wilfinger (1995) S. 14; Ziekow (1998) S. 10. 53 Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 259. 54 Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 524 ff.; Tiemann in: SZ vom 17. Februar 2005 S. 36. 55 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 23. 56 Otto (1994) S. 1; Prantl in: SZ vom 2. Juli 1997 S. 1; Siegert DRiZ 1932, 203, 203; Wassermann NJW 1994, 1106, 1107. 57 EuGH Gasser GmbH/MISAT Srl 9. Dezember 2003 Az C-116/02 EuGRZ 2004, 293, 293 ff.; Frowein in: HStR VII (1989) § 180 Rn 50; Grigolli BRAK-Mitt 2003, 8, 8; Gundel DVBl 2004, 17, 20; Kühne StV 2001, 529, 531; Meyer-Ladewig NJW 2001, 2679, 2679; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2000, 934, 934; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1028 Fn 2; Peukert EuGRZ 1993, 173, 175; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 136 Fn 576 und Rn 153; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 618; Prantl in: SZ vom 2. Juli 1997 S. 1; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 627 und 647; Rubner in: SZ vom 18. Oktober 2005 S. 6; Sattler in: Bonner GA vom 30. Dezember 2004 S. 4; Schilling IPRax 2004, 294, 294; Schlette (1999) S. 13; Stelkens NVwZ 2000, 155, 155 Fn 1; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 115; Ulrich in: SZ vom 9. November 2005 S. 11; Ulrich in: SZ vom 26. Januar 2007 S. 7; Wildhaber EuGRZ 2002, 569, 572. 58 Casadevall NJW 2001, 2701, 2701; Frowein in: HStR VII (1989) § 180 Rn 50; Grabenwarter (2003) S. 362; Gundel DVBl 2004, 17, 20; McGuire GPR 3 (2003/

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D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer

Teilweise befindet sich Italien in einem Zustand einer „regelrechten Paralyse des Justizsystems“.59 Auch Deutschland gehört zu den Staaten, die sehr häufig wegen überlanger Verfahrensdauer verurteilt werden.60 Aber nicht nur in Deutschland und anderen europäischen Staaten bereitet die Dauer von Gerichtsverfahren Probleme, die Realisierung einer schnelleren Gerichtsbarkeit ist vielmehr ein weltweit gewünschtes Ziel.61 Im Ausland halten viele den in Deutschland gewährten Rechtsschutz für vorbildlich, doch erscheint manchen auch die Dauer der Gerichtsverfahren in den mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichtsbarkeiten eine kritische Länge erreicht zu haben.62 Deutschland ist eben auch für die Schwerfälligkeit und Langatmigkeit von Gerichtsverfahren bekannt.63 Auch wenn die Behauptung, alle Gerichtsverfahren in Deutschland würden zu lange dauern, sicher übertrieben ist, so führt die überlange Verfahrensdauer in einem Teil der Gerichtsverfahren, insbesondere im Bereich der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, dennoch insgesamt zu einem Ansehensverlust der Justiz.

IV. Bedeutungsverlust für die Gerichtsbarkeit Kommt es in einzelnen Gerichtsbarkeiten nicht nur in Ausnahmefällen zu einer überlangen Verfahrensdauer, sondern ist die Verfahrensdauer insgesamt zu lang, so versuchen die Betroffenen diese Gerichte zu meiden, weil ein Warten auf eine Entscheidung für sie oft unzumutbar ist.64 Einige renommierte Rechtsanwälte betrachten es schon als eine Art „Kunstfehler“, die Gerichte überhaupt zu bemühen.65 Sie versuchen sich vielmehr im Interesse ihrer Mandanten irgendwie mit informellen Absprachen zu einigen, weil die dabei entstehenden Blessuren selbst bei einem im Endergebnis erfolgreichen Abschluss des Prozes2004), 159, 161; Meyer-Ladewig/Petzold NJW 2000, 934, 934; Peukert in: Frowein/ Peukert (1996) Art 6 Rn 153; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 647 f.; Schilling IPRax 2004, 294, 294. 59 Henke ZZP 83 (1970), 125, 143; Stelkens NVwZ 2000, 155, 155 Fn 1; Ulrich in: SZ vom 9. November 2005 S. 11. 60 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 5; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 19 Fn 21; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 288; Redeker (2000) S. 23 f. 61 Baert in: Storme (1983), 15, 42; d.Castro Mendes ZZP Int 2000, 431, 433; Henke ZZP 83 (1970), 125, 135 und 143; Houtte in: Storme (1983), 1, 7. 62 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 448; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 749. 63 Leisner (1982) S. 235; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 374; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 121; Wilfinger (1995) S. 1. 64 Arntz Anhang II (2005) S. 324; Körner BDVR-R 2005, 11, 14; Quaas BDVR-R 2004, 147, 147; Sendler DÖV 1989, 482, 486; Sendler (2000) S. 12; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 10. 65 Sendler (2000) S. 12 und These A 6.

IV. Bedeutungsverlust für die Gerichtsbarkeit

61

ses geringer sind als die von einem überlangen Prozess hervorgerufenen.66 So willigen manche Bürger lieber in einen für sie ungünstigen Kompromiss mit einer Behörde ein, als ihr gutes Recht vor Gericht durchzusetzen, jedoch auf Jahre hinaus nicht mit einer abschließenden Entscheidung rechnen zu können.67 Daher erreichen immer mehr Fälle aus attraktiven Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts gar nicht mehr die Gerichte.68 Dies führt jedoch nicht automatisch zu einer Entlastung der Gerichte und damit zu einer kürzeren Verfahrensdauer.69 Während manche aufgrund der überlangen Verfahrensdauer erst überhaupt nicht versuchen, berechtigte Ziele zu erreichen, beziehungsweise Ansprüche vor Gericht durchzusetzen,70 lassen es andere auch in aussichtslosen Fällen auf einen Prozess ankommen, um Zeit zu gewinnen.71 Der Arbeitsentlastung des Gerichts durch unterbliebene Versuche, berechtigte Ansprüche durchzusetzen,72 steht daher eine vermehrte Belastung durch von vornherein aussichtslose Verfahren gegenüber, die allein zum Zeitgewinn angestrengt werden.73 Die Medaille bietet also durchaus zwei Schauseiten, die allerdings darin übereinstimmen, dass beide ein schlechtes Licht auf den Rechtsstaat werfen.74 Auf der einen Seite macht sich Resignation darüber breit, dass das Recht zu lange auf sich warten lässt und das verspätete Urteil schließlich nur noch „Steine statt Brot“75 gewährt, auf der anderen Seite ist eine Inanspruchnahme des Rechtsstaats zu beobachten, die an Missbrauch grenzt und mit schuld daran 66

Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler (2000) S. 12. Harries-Lehmann (2004) S. 69; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; Körner BDVRR 2005, 11, 11; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Schlette (1999) S. 15 Fn 14; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler DÖV 1989, 482, 486; Sendler (2000) S. 12; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 456; Wilfinger (1995) S. 2 und 184. 68 Quaas BDVR-R 2004, 147, 147. 69 Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Sendler DÖV 1989, 482, 489. 70 Grawert DVBl 1983, 973, 975; Harries-Lehmann (2004) S. 69; Hill JZ 1981, 805, 806 und 813; Kirchmann (1848) S. 41; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Schlette (1999) S. 15; Sendler DÖV 1989, 482, 489; Sprotte DRiZ 1932, 207, 207; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 432 und 456; Tiemann in: SZ vom 17. Februar 2005 S. 36; Wilfinger (1995) S. 184; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 107; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 159. 71 Blankenburg ZRP 1986, 262, 266 f.; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Redeker (2000) S. 25; Schlette (1999) S. 15; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Sendler DVBl 1982, 157, 165; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 181; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Sendler DÖV 1989, 482, 489; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 325; Wilfinger (1995) S. 15. 72 Schlette (1999) S. 15; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler DÖV 1989, 482, 489; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 432. 73 Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Sendler DÖV 1989, 482, 489. 74 Sendler DÖV 1989, 482, 489. 75 Bibel Matthäusevangelium Kapitel 7 Vers 9; Duden Redewendungen (2002) S. 729; Mayen Anhang VI (2005) S. 339; Sendler DÖV 1989, 482, 489. 67

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D. Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer

ist, dass es für diejenigen zu lange dauert, die tatsächlich zu ihrem Recht kommen möchten.76 Überlange Verfahrensdauer führt also dazu, dass vielfach nicht dem Recht zum Durchbruch verholfen wird, sondern dem Unrecht, und dass die Gerichte damit kontraproduktiv arbeiten.77 Diese Entwicklung führt insgesamt zu einem Bedeutungsverlust der Gerichte.78 Aber auch aufgrund gesetzgeberischer Entscheidungen droht den Gerichten bei anhaltend zu langen Verfahrenslaufzeiten ein Bedeutungsverlust. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit, der manche sogar prognostizieren, sie sei auf dem besten Wege, sich selbst überflüssig zu machen.79 Auch wenn dies angesichts der insgesamt doch recht hohen Akzeptanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit ein wenig übertrieben ist,80 so zeigt sich doch, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit insgesamt an Bedeutung verliert.81 Immer mehr interessante und zukunftsträchtige neue Materien des Verwaltungsrechts werden vom Gesetzgeber aufgrund der langen Verfahrenslaufzeiten nicht mehr den Verwaltungsgerichten, sondern der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen, obwohl es sich bei ihnen unzweifelhaft um verwaltungsrechtliche Materien handelt.82 So wurden Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit für das Vergaberecht und das Energiewirtschaftsrecht begründet und zukünftig soll sogar das Telekommunikationsrecht von den ordentlichen Gerichten bearbeitet werden.83

V. Zusammenfassung Dieser Überblick über die möglichen Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer zeigt, dass die unmittelbar davon Betroffenen vielfach gravierende materielle und immaterielle Folgen erleiden, die entweder erst aufgrund der überlangen Verfahrensdauer auftreten oder durch diese über das unvermeidbare Maß hinaus intensiviert werden. Während manche Betroffene eine überlange Verfahrensdauer eher gelassen sehen oder diese sogar zu ihren Zwecken ausnutzen, drohen anderen nicht nur erhebliche finanzielle Verluste und psychische Belastungen, sondern auch die Zerstörung ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Existenz. Außerdem wirken sich überlange Gerichtsverfahren nicht nur auf die 76

Sendler DÖV 1989, 482, 489. Sendler VBlBW 1989, 41, 49. 78 Quaas BDVR-R 2004, 147, 147; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler DÖV 1989, 482, 486; Sendler (2000) S. 12; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 10. 79 Sendler (2000) S. 12. 80 Bertrams NWVBl 1999, 245, 245; Mayen Anhang VI (2005) S. 335. 81 Arntz Anhang II (2005) S. 324; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Mayen Anhang VI (2005) S. 335. 82 Mayen Anhang VI (2005) S. 335. 83 Mayen Anhang VI (2005) S. 335. 77

V. Zusammenfassung

63

Verfahrensbeteiligten, sondern auch auf die Allgemeinheit aus. Jeder einzelne Fall, bei dem es zu einer überlangen Verfahrensdauer kommt, untergräbt das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Mit zunehmender Dauer der Gerichtsverfahren steigt die Gefahr, dass die Bürger zum Mittel der Selbstjustiz greifen. Zudem ist eine effektiv arbeitende Justiz, die nicht nur einen möglichst hohen Rechtsschutzstandard gewährt, sondern auch zügig arbeitet, ein wichtiger Faktor für das Funktionieren einer Volkswirtschaft. Darüber hinaus kann die überlange Verfahrensdauer von den Behörden dahingehend instrumentalisiert werden, dass der an einer baldigen Klärung eines Sachverhalts interessierte Bürger unter Hinweis auf die anderenfalls drohenden langen Gerichtsverfahren zu Kompromissen gezwungen wird, die er bei Vorhandensein einer zügig arbeitenden Justiz nicht eingegangen wäre. Auch damit führt überlange Verfahrensdauer zu unrechtmäßigen Zuständen und schädigt den Rechtsstaat insgesamt. Diese exemplarische Zusammenstellung von Auswirkungen einer überlangen Verfahrensdauer bestätigt damit die bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit getroffene Feststellung, dass es sich bei der überlangen Verfahrensdauer tatsächlich um eines der gravierendsten Probleme des Rechtsschutzes insgesamt handelt.

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen Den Anlass für Kritik an der überlangen Dauer von Gerichtsverfahren bildet zumeist ein medienwirksamer Einzelfall oder ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in dessen Folge sich die Medien des Themas annehmen und Vertreter der Justizverwaltung, der Richterschaft und der Rechtsanwälte Stellung beziehen. Je nach Interessenstandpunkt wird das Problem dabei aufgebauscht oder verharmlost und jede Interessengruppe präsentiert ihre eigene, in der Regel simple und einsichtige Erklärung des tatsächlichen oder vermeintlichen Missstandes. Nach oft pauschalen Schuldzuweisungen kehrt meist schon nach einigen Tagen wieder völlige Ruhe ein, bis sich dasselbe Spiel nach einiger Zeit wiederholt.1 Systematische Darstellungen zu den möglichen Ursachen überlanger Verfahrensdauer und den Abhilfemöglichkeiten dagegen finden sich hingegen bisher kaum.2 Oft wird nur angesichts eines konkreten Einzelfalls Stellung bezogen und meist wird das Problem der überlangen Verfahrensdauer nur aus dem jeweiligen Blickwinkel als Rechtswissenschaftler, Richter, Rechtsanwalt oder Rechtspolitiker betrachtet.3 Im Folgenden soll ein möglichst umfassender Überblick über mögliche Ursachen für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer und denkbare Abhilfemöglichkeiten dagegen gegeben werden, wobei angesichts der Vielzahl der in Betracht kommenden Punkte auch hier eine Vollständigkeit nicht erreicht werden kann. In der Regel ergibt sich eine denkbare Abhilfemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer unmittelbar aus der ermittelten Ursache, so dass es nicht sinnvoll ist, die Abhilfemöglichkeiten losgelöst von den Ursachen zu behandeln. Teilweise entzündet sich die Diskussion über die Problematik der überlangen Verfahrensdauer an Schlagworten, die eine der Ursachen näher beschreiben, teilweise rückt eine denkbare Abhilfemöglichkeit in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Anhand dieser Schlagworte wird im Folgenden eine Zuordnung der einzelnen Problemkreise zu den relevanten Akteuren vorgenommen. Diese Zuordnung muss zwangsläufig ungenau sein, da fast jeder einzelne Faktor von mehreren verschiedenen Beteiligten zu verantworten oder zu beeinflus-

1 2 3

Redeker RuP 1982, 51, 51; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 58. Henke ZZP 83 (1970), 125, 144; Nehm/Senge NStZ 1998, 377, 377. Henke ZZP 83 (1970), 125, 144; Nehm/Senge NStZ 1998, 377, 377.

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

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sen ist. So sind für die sachliche Ausstattung der Gerichte nicht nur die Justizverwaltungen verantwortlich, sondern auch der Haushaltsgesetzgeber, der die finanziellen Rahmenbedingungen für die Ausstattung der Gerichte schafft. Bei vielen Ursachen und Abhilfemöglichkeiten werden die Rahmenbedingungen vom Gesetzgeber geschaffen, die konkrete Ausgestaltung liegt jedoch meist in den Händen der Richter, ohne deren Engagement eine Besserung der Verfahrenslaufzeiten nicht erreicht werden kann. Die behandelten Themenkomplexe gehen teilweise ineinander über und eine scharfe Trennung zwischen ihnen ist daher nicht immer möglich. Insgesamt werden Ursachen und Abhilfemöglichkeiten behandelt, die vom Gesetzgeber [E. I.], den unmittelbar am Verfahren beteiligten Personen [E. II.] und den Justizverwaltungen [E. III.] beeinflusst werden können. Die Reihenfolge der behandelten Inhalte wurde dabei nicht anhand ihrer Relevanz für das Zustandekommen oder die Verhinderung einer überlangen Verfahrensdauer gewählt, sondern es wurde vielmehr versucht, miteinander besonders eng verknüpfte Themenkomplexe nacheinander darzustellen. Um Wiederholungen zu vermeiden wird auf denkbare Abhilfemöglichkeiten im Sinne von Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers gegen überlange Verfahrensdauer erst an späterer Stelle [G.] eingegangen. Nicht immer ist eine Abhilfemöglichkeit, die eindeutig zur Verfahrensbeschleunigung beitragen würde, auch vertretbar unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgewährung für den Betroffenen. Es gilt hier stets ein ausgewogenes Mittel zwischen möglichst gründlichem und möglichst schnellem Rechtsschutz zu finden. Die Gründe, warum viele Prozesse zu viel Zeit in Anspruch nehmen, sind bislang auf empirischer Grundlage noch nicht wissenschaftlich exakt erforscht und sie werden auch kaum abschließend erforschbar sein, so dass auf Einzelbeobachtungen und individuelle Erfahrungen von Professoren, Rechtsanwälten und Richtern zurückgegriffen werden muss, die entsprechend ihrer unterschiedlichen prozessualen Situation auch die Frage nach den Ursachen der Verfahrensverzögerungen unterschiedlich beantworten.4 Fest steht eigentlich nur, dass eine Vielzahl von Faktoren zusammenwirkt.5 Der hier gebotene Überblick zu denkbaren Ursachen und Abhilfemöglichkeiten beruht nicht nur auf bereits veröffentlichten Äußerungen, sondern auch auf mit Professoren, Rechtsanwälten und Richtern verschiedener Gerichte geführten Gesprächen, von denen die meisten im Anhang [I.] dieser Arbeit abgedruckt sind. Ergänzt werden diese Erkenntnisse zudem durch Informationen aus Vorträgen, Referaten, Diskussionen, 4 Houtte in: Storme (1983), 1, 8; Ule (1977) S. 222; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer. 5 Borm (2005) S. 7; Busse (2005) S. 51; Eylmann u. a. (2004) S. 5 Rn 2; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Henke ZZP 83 (1970), 125, 133 und 144; Kopp DVBl 1982, 613, 614; Löwer Anhang IV (2005) S. 331; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Stötter NJW 1968, 521, 521; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer.

66

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Strategiepapieren, Positionspapieren und Arbeitspapieren zum Thema überlange Verfahrensdauer. Bei der folgenden Darstellung steht die nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mittelpunkt, doch lassen sich die meisten Aussagen auch problemlos auf die Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit insgesamt, sowie auf das Bundesverfassungsgericht, den Europäischen Gerichtshof, das Europäische Gericht erster Instanz und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte übertragen. Sofern sich bezüglich eines dieser Gerichte Besonderheiten ergeben, werden diese jeweils am Ende eines Abschnitts kurz gesondert angesprochen. Viele Punkte betreffen aber auch die gesamte Gerichtsbarkeit und damit auch die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichte, so dass die getroffenen Feststellungen teilweise auch generelle Geltung beanspruchen können. Die Hauptursache für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer ist sicherlich ganz generell die Überlastung der Gerichte,6 für die wiederum zahlreiche Ursachen denkbar sind. Nur sehr vereinzelt wird – meist mit Blick auf die ordentliche Gerichtsbarkeit – behauptet, eine solche Überlastung bestünde gar nicht.7 Die Justiz „am Rande des Infarkts“,8 „kurz vor dem Systemzusammenbruch“9 oder „kurz vor dem Kollaps“10 zu sehen, ist jedoch ebenfalls als übertrieben anzusehen.11 Weitgehende Einigkeit besteht jedoch dahingehend, 6 Ambos Jura 1998, 281, 281; Baumgärtel JZ 1971, 441, 443; Bertrams NWVBl 1999, 245, 246; Bohlander MDR 1996, 1093, 1095; Bommarius in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 1; Breuer NJW 1978, 1558, 1560; Broß in: FS-Graßhof (1998) S. 357, 358; Clausing NVwZ 1992, 717, 717; Dahm SozVers 1997, 123, 123; Eifert DV 30 (1997), 75, 75; v. Els FamRZ 1994, 735, 738; Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 176; Grassmann in: SZ vom 26. November 2004 S. 6; Harries-Lehmann (2004) S. 4 und 7 und 537; Hill JZ 1981, 805, 805; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 421; Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 213; Klein DStZ 1988, 599, 599 ff.; Kopp DVBl 1982, 613, 613; Lemke/Rothstein-Schubert ZRP 1997, 488, 488; Limbach DRiZ 1998, 7, 7; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 54; Müller-Piepenkötter in: Bonner GA vom 17. Oktober 2005 S. 5; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Quaas NVwZ 1998, 701, 702; Redeker RuP 1982, 51, 51; Rubner in: SZ vom 18. Oktober 2005 S. 6; Sangmeister DStZ 1993, 31, 32; Sarstedt in: Sarstedt/Hamm/Köberer/Michalke (1971) S. 217, 217; Schaefer NJW 1994, 428, 428; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Schoch (1988) S. 165; Schulte-Kellinghaus BJ 2004, 343, 343; Sendler DÖV 1989, 482, 490. 7 Asbrock NJ 1995, 341, 343 f.; Busse (2000) B II; Kirchhof BRAK-Mitt 2000, 14, 15; Schäfer DRiZ 1995, 461, 470; Voss DRiZ 1988, 466, 466; Weth ZRP 2005, 119, 120. 8 Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 72 und 79. 9 Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42. 10 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 21; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 72. 11 Arntz Anhang II (2005) S. 307; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 13 f.; Lohrmann AnwBl 2001, 95, 95.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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dass sich die Gerichte mit einer „Prozessflut“,12 „Verfahrensflut“13 oder mit „Prozesslawinen“14 konfrontiert sehen und dass einzelne Verfahren das Ausmaß von „Monsterprozessen“15 annehmen.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren Als Erstes soll auf primär vom Gesetzgeber zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren eingegangen werden. Einen ganz wesentlichen Punkt stellt dabei die Anzahl der Richterstellen [E. I. 1.] dar, die unmittelbar von den vom Haushaltsgesetzgeber zur Verfügung gestellten Finanzmitteln abhängt. In diesem Zusammenhang soll auch die Besetzung der Spruchkörper [E. I. 2.] angesprochen werden, die zwar nicht unmittelbar durch den Gesetzgeber vorgenommen wird, für die der Gesetzgeber aber ebenfalls die maßgeblichen Rahmenbedingungen schafft. Außerdem sollen Abhilfemöglichkeiten dargestellt werden, die der Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten bereits ergriffen hat, um die Verfahrensdauer zu verkürzen. Zu diesen zählen als faktische Verkürzung des Instanzenzugs [E. I. 3.] die Einführung der Zulassungsberufung [E. I. 4.] sowie der Gerichtsbescheid [E. I. 5.] und die Präklusion [E. I. 6.]. Weiterhin werden auch einige Abhilfemöglichkeiten angesprochen, über deren Realisierung zwar diskutiert wird, die jedoch bislang nicht umgesetzt wurden. Dazu gehören die Privatisierung von Teilen der Justiz und Übertragung von Aufgaben auf Notare [E. I. 7.] im Bereich der mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichtsbarkeiten, die Festlegung gesetzlicher Höchstfristen für Gerichtsverfahren [E. I. 8.] und die Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten [E. I. 9.].

12 Grawert DVBl 1983, 973, 975 und 977; Hill JZ 1981, 805, 805 und 808 und 811; Kramer NVwZ 2005, 537, 539; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 128; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 84; Ponschab AnwBl 1997, 145, 145; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 76; Schaffner AnwBl 1997, 139, 139; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523; Stiefel ZRP 1989, 324, 324. 13 Addicks BJ 2005, 77, 78; Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 24; Bertrams NWVBl 1999, 245, 245; Bommarius in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 1; Klein in: FAZ vom 17. Dezember 1997 S. 10; Müller in: FAZ vom 11. Oktober 2003 S. 10; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Otto (1994) S. 44; Ponschab AnwBl 1997, 145, 146; Schlette JZ 1999, 219, 219 ff.; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 10. 14 Grawert DVBl 1983, 973, 975; Hoecht DÖV 1981, 323, 323; Ponschab AnwBl 1993, 430, 431. 15 Quaas BDVR-R 2004, 147, 151; Siegert DRiZ 1932, 203, 203 f.; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Ein eigener Abschnitt befasst sich mit einigen speziellen Entlastungsmöglichkeiten für das Bundesverfassungsgericht [E. I. 10.], die von der „Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts“ diskutiert wurden. Abgeschlossen wird dieser Überblick über die primär vom Gesetzgeber zu verantwortenden oder zu beeinflussenden Faktoren mit dem einzigen ausschließlich vom Gesetzgeber selbst zu beeinflussenden Faktor: der zu großen Anzahl von Gesetzen und ihrer teilweise ungenügenden Qualität, die zu einer unnötigen Kompliziertheit des Rechts und zu einer Normenflut [E. I. 11.] führen. 1. Anzahl der Richterstellen „Am nächsten Tag setzte sich Mose hin, um in Streitfällen Recht zu sprechen. Die Leute drängten sich vor ihm vom Morgen bis zum Abend. Als sein Schwiegervater sah, wieviel Arbeit Mose damit hatte, fragte er ihn: [. . .] Musst du das alles allein tun? [. . .] Du musst das anders anfassen. Es ist einfach zu viel für dich; du kannst nicht alles alleine tun. [. . .] Für die leichteren Streitfälle aber wählst du angesehene Männer aus [. . .].“16

Schon in der Bibel im zweiten Buch Mose, Kapitel 18, Verse 13 bis 23, wird die Überlastung eines Gerichts beklagt und im Anschluss daran die Schaffung weiterer Richterstellen zur Entlastung des obersten Richters Mose als Abhilfe gefordert. Viele Jahrhunderte später, 1772, arbeitete Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) als Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar, einem Gericht, dem noch bis heute nachgesagt wird, dass dort die Akten unterm Dach aufgehängt und erst dann bearbeitet wurden, wenn der Strick durchgefault war.17 Den Alltag bei diesem Gericht im 17. Jahrhundert beschreibt er im 12. Buch des 1813 erschienenen dritten Teils seiner Autobiographie „Aus meinem Leben – Dichtung und Wahrheit“ mit den Worten: „Ein allgemeiner Fehler, dessen sich die Menschen bei ihren Unternehmungen schuldig machen, war auch der erste und ewige Grundmangel des Kammergerichts: zu einem großen Zwecke wurden unzulängliche Mittel angewendet. Die Zahl der Assessoren war zu klein; wie sollte von ihnen die schwere und weitläufige Aufgabe gelöst werden!“18 [. . .] „Aber alle diese späteren und früheren Gebrechen entsprangen aus der ersten, einzigen Quelle, aus der geringen Personenzahl.“19 [. . .] „Ein ungeheurer Wust von Akten lag aufgeschwollen und wuchs jährlich, da die siebzehn Assessoren nicht einmal imstande waren, das Laufende wegzuarbeiten. Zwanzigtausend Prozesse hatten sich aufgehäuft, jährlich konnten sechzig abgetan werden, und das Doppelte kam hinzu.“20 16

Bibel 2. Buch Mose (Exodus) Kapitel 18 Verse 13–23. Prantl in: SZ vom 16. Dezember 2004 S. 1; Schmidt-v. Rhein NJW 1990, 489, 491; Zypries (2007) S. 1. 18 v. Goethe (1813) S. 111 f. 19 v. Goethe (1813) S. 115 f. 17

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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Die Klage, die Gerichte seien überlastet und die Verfahrensdauer sei zu lang, ist also uralt, wenn nicht sogar so alt wie es Gerichte gibt.21 Angesichts dessen ist es kaum tröstlich zu wissen, dass man heutzutage hinsichtlich der Verfahrensdauer von den Zuständen des Reichskammergerichts in Wetzlar weit entfernt ist, vor dem sich Rechtsstreitigkeiten mitunter über mehrere Generationen hinschleppten.22 Auch heute noch ist einer der am häufigsten genannten Gründe für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer die knappe personelle Ausstattung der Gerichte.23 Auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Gericht erster Instanz und dem Bundesverfassungsgericht ist die Anzahl der zu bearbeitenden Fälle im Laufe 20 21

v. Goethe (1813) S. 117.

Dombert SächsVBl 1995, 73, 73; v. Els FamRZ 1994, 735, 738; Fischer DÖV 1988, 1040, 1040; Henke ZZP 83 (1970), 125, 135 und 166; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kießling DRiZ 1977, 326, 326; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 203; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 31 und 36; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Niehues Anhang VIII (2005) S. 348; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Redeker DVBl 1977, 132, 133; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Redeker (2000) S. 24; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Schlette (1999) S. 13; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; v. Stackelberg NJW 1960, 1265, 1265; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 327; Stelkens NVwZ 1995, 325, 330; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 121; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 61. 22 Otto (1994) S. 1; Winkler (1995) S. 175. 23 Arntz Anhang II (2005) S. 307; Bauschulte/Drees StV 1995, 402, 402; Bertrams NWVBl 1997, 3, 6; Bertrams NWVBl 1999, 245, 248; Bertrams Anhang VII (2005) S. 343; Clausing NVwZ 1992, 717, 717 und 720; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8 und 14; Dombert SächsVBl 1995, 73, 73; Dütz (1970) S. 193 und 198; Dury DRiZ 1999, 160, 161; Eylmann u. a. (2004) S. 16 Rn 35; Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978) S. 169, 176; Finkelnburg BDVR-R 2004, 72, 73; Geiger ZRP 1998, 252, 253; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Grunsky RdA 1974, 201, 202 f.; Gundel DVBl 2004, 17, 21; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 144; Hanack JZ 1971, 705, 705; Harries-Lehmann (2004) S. 14; Hien DVBl 2003, 443, 444; Hien DVBl 2004, 909, 912; Huff DRiZ 2000, 7, 7; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 212; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 206; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 208; Krumsiek DRiZ 1988, 465, 467; Lesch BDVR-R 1998, 44, 44 f.; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 112; Neskovic (2005) S. 1; Niesler (2005) S. 1; Petersen BDVR-R 1998, 14, 17; Piepenkötter in: Bonner GA vom 17. Oktober 2005 S. 5; Piorreck (2003) S. 4; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Prantl in: SZ vom 19. September 2006 S. 1; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 54 f.; Schaefer NJW 1994, 428, 428; Schlette (1999) S. 16; Schmieszek VR 1990, 149, 152; Schoch (1988) S. 167; Schulte-Kellinghaus BJ 2004, 343, 343; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10; Stelkens in: FSRedeker (1993) S. 313, 324; Stelkens NVwZ 1995, 325, 333 f.; Stiefel ZRP 1989, 324, 324; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 452; Stöcker DStZ 1989, 367, 374; Stüer/ Hermanns DVBl 2004, 746, 750; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1136; Ule DVBl 1978, 553, 561; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer; Voß BB 1991, 247, 247; Weber-Grellert NJW 1990, 1777, 1778; Zurheide in: Bonner GA vom 17. Oktober 2005 S. 5.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

der letzten Jahre und Jahrzehnte immer weiter angestiegen, ohne dass die Anzahl der Richter auch nur annähernd proportional dazu erhöht worden wäre.24 Obwohl sich die Anzahl der zu bearbeitenden Fälle dieser vier Gerichte aufgrund des Beitritts zahlreicher weiterer Staaten zur Europäischen Menschenrechtskonvention, der Osterweiterung der Europäischen Union beziehungsweise der Wiedervereinigung Deutschlands im vergangenen Jahrzehnt erheblich erhöht hat, wurde weder das richterliche noch das nichtrichterliche Personal hinreichend aufgestockt, so dass immer mehr Rückstände auflaufen und vielfach eine Entscheidung in angemessener Frist nicht mehr gewährleistet ist.25 Im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen und in einigen anderen Bundesländern hat insbesondere der massive Anstieg der Asylverfahren in den 1990er Jahren ohne eine gleichzeitige Aufstockung der Richterstellen zu einer Überlastung der Gerichte geführt, die auch nach dem Rückgang der Eingangszahlen aufgrund der zahlreichen verbliebenen Altverfahren nur langsam abnimmt.26 Der Anstieg der Eingangszahlen war in dieser Zeit derart hoch, dass die Verwaltungsgerichte aufgrund der großen Anzahl von Asylverfahren regelrecht „abgesoffen“ sind.27 Trotz hoher Erledigungszahlen dauert es daher lange, bis durch einen Abschluss der Altverfahren die Verfahrenslaufzeiten insgesamt sinken.28 Problematisch sind zudem die Zunahme verwaltungsgerichtlicher Streitigkeiten im Bereich des Planungsrechts und des Umweltrechts sowie die Bewältigung von massenhaften Gerichtsverfahren bei Flughäfen, Kernkraftwerken und Industrieanlagen.29 Dass eine rechtzeitige Erhöhung der Anzahl der Richterstellen zu einer Verminderung des Problems der Altverfahren und damit zu kürzeren Verfahrenslaufzeiten auch in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern geführt hätte, zeigt das Beispiel von RheinlandPfalz.30 Dort wurde durch eine rechtzeitige Einstellung von Richtern auf den 24 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 20; Graßhof Anhang IX (2005) S. 358; Niesler (2005) S. 1; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 54 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 452. 25 Bernhardt in: FS-Ress (2005) S. 911, 912; Bolesch in: SZ vom 15. August 2006 S. 3; Graßhof Anhang IX (2005) S. 358; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1027; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 45 und 54 ff. 26 Arntz Anhang II (2005) S. 307; Bertrams NWVBl 1997, 3, 6; Bertrams NWVBl 1999, 245, 245 und 248; Bertrams Anhang VII (2005) S. 343; Bertrams DVBl 2006, 997, 998; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; Hien DVBl 2004, 909, 913; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 179 f.; Sendler DVBl 1991, 300, 301; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 320; Stelkens NVwZ 1995, 325, 328; Stelkens NVwZ 2000, 155, 156; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 9. 27 Arntz Anhang II (2005) S. 308; Bertrams Anhang VII (2005) S. 344. 28 Arntz Anhang II (2005) S. 307; Bertrams Anhang VII (2005) S. 343; HarriesLehmann (2004) S. 10 f.; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 326. 29 Harries-Lehmann (2004) S. 13; Kopp DVBl 1982, 613, 618 f.; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 102; Schenke DÖV 1982, 709, 712; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 323; Stoll SchlHA 1993, 263, 264.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

71

extrem hohen Anstieg der Eingangszahlen reagiert und selbst nach dem Nachlassen der Eingangszahlen die Zahl der Richterstellen nicht sofort wieder reduziert, so dass dort heute kaum noch Altverfahren aufzuarbeiten sind.31 Angesichts der ständigen Vermehrung richterlicher Aufgaben32 und der Betrauung der Richter mit Aufgaben, die in anderen Staaten nicht als richterliche Aufgaben angesehen werden,33 ist es kaum verwunderlich, dass Deutschland bereits jetzt weltweit eines der Länder mit der höchsten Richterdichte ist.34 Deutschland hat eines der umfangreichsten und kompliziertesten Rechtspflegesysteme weltweit und wird daher teilweise nicht nur als Rechtsstaat, sondern als ein Staat der Richter, Rechtswege und Rechtsmittel wahrgenommen.35 Das Scheitern der Weimarer Republik und der Bruch elementarer Rechtsprinzipien in der Zeit des Nationalsozialismus haben zu dem Bestreben geführt, die Demokratie durch den Ausbau einer möglichst alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft erfassenden richterlichen Kontrolle zu stabilisieren.36 Zum Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür wurde die richterliche Kontrolldichte immer weiter ausgebaut, wodurch einerseits der Rechtsschutz des Bürgers intensiviert, andererseits jedoch auch die Verfahrensdauer verlängert wird.37 30 Arntz Anhang II (2005) S. 308; Bertrams Anhang VII (2005) S. 343; Hien DVBl 2004, 909, 913; Mayen Anhang VI (2005) S. 340. 31 Arntz Anhang II (2005) S. 308; Bertrams Anhang VII (2005) S. 343; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 10. 32 Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Franßen DVBl 1992, 350, 351; Geiger ZRP 1998, 252, 253; Henke ZZP 83 (1970), 125, 137; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56. 33 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 391; Busse (2005) S. 48; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Eylmann RPfl 1998, 45, 50; Lindemann ZRP 1999, 200, 203; Stelkens NVwZ 2000, 155, 157 Fn 18; Walther LKV 1995, 288, 288. 34 Berra (1966) S. 14; Blankenburg ZRP 1986, 262, 265; Blankenburg ZRP 1992, 96, 96; Blankenburg/Verwoerd DRiZ 1987, 169, 170 f.; Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 20; d.Castro Mendes ZZP Int 2000, 431, 434; Eylmann RPfl 1998, 45, 45; Guthardt-Schulz in: FAZ vom 28. Dezember 1999 S. 10; Henke ZZP 83 (1970), 125, 149; Hoffmann-Riem JZ 1997, 1, 3; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 212; Klein DStZ 1988, 599, 603; Limbach DRiZ 1998, 7, 7; Löwer JR 1991, 58, 59; Ponschab AnwBl 1997, 145, 146; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 76; Redeker RuP 1982, 51, 51; Schäuble RuP 1994, 134, 134; Schlette (1999) S. 17; Schmidt-Hieber in: FS-Richterakademie (1983) S. 193, 207; Sendler DÖV 1989, 482, 490; Stelkens NVwZ 2000, 155, 157 Fn 18; Wassermann NJW 1994, 2196, 2196; Weber ZRP 1997, 134, 134; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63; Zypries in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10. 35 Eylmann RPfl 1998, 45, 45; Limbach DRiZ 1998, 7, 7; Mackenroth notar 2005, 94, 97. 36 Eylmann RPfl 1998, 45, 45; Sendler VBlBW 1989, 41, 47; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 330; Stelkens NVwZ 2000, 155, 157. 37 Arntz Anhang II (2005) S. 316; Bertrams NWVBl 1999, 245, 246; Dombert SächsVBl 1995, 73, 75; Gasser ThürVBl 2003, 97, 100; Grawert DVBl 1983, 973, 978; Herzog NJW 1992, 2601, 2601; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 104; Hien DVBl 2003, 443, 445; Hill JZ 1981, 805, 808; Kopp BayVBl 1980, 263, 268; Löwer

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Als Abhilfemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer wird immer wieder eine bessere Personalausstattung der Gerichte, insbesondere eine Vermehrung der Richterstellen, angemahnt.38 Bei der Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes sollte nicht von vornherein nur von den bereits vorhandenen Kapazitäten ausgegangen werden.39 Man muss vielmehr darüber nachdenken, wie viel Rechtsschutz man sich leisten kann und möchte,40 denn einen Rechtsstaat gibt es nicht kostenlos und in die Justiz muss daher hinreichend investiert werden.41 Die Justizpolitik darf nicht zum verlängerten Arm der Haushaltspolitik degenerieren42 und man sollte sich stets darüber bewusst sein, dass der Rechtsstaat nicht nur teuer, sondern auch kostbar ist.43 Bei aller gebotenen Sparsamkeit darf die Justiz nicht kaputt gespart werden, denn Gerechtigkeit ist unbezahlbar.44

in: FS-Redeker (1993) S. 515, 515; Löwer/Linke WissR 30 (1997), 128, 155; Millgramm SächsVBl 2003, 104, 108; Redeker DÖV 1971, 757, 757 ff.; Redeker NVwZ 1992, 713, 716; Redeker DÖV 1993, 10, 15 f.; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker (2000) S. 21; Redeker AnwBl 2004, 71, 71 ff.; Sendler DVBl 1982, 812, 818; Sendler DVBl 1982, 923, 932; Sendler VBlBW 1989, 41, 47; Sendler in: FS-Feldhaus (1999) S. 479, 498 und 504; Sendler (2000) S. 13 und These B 10; Sendler NVwZ 2003, 957, 958; Stelkens NVwZ 2000, 155, 157; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178. 38 Arntz Anhang II (2005) S. 310; Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Bertrams NWVBl 1999, 245, 248; Clausing NVwZ 1992, 717, 720; Finkelnburg in: FSBVerwG (1978) S. 169, 176; Geiger ZRP 1998, 252, 254; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Harries-Lehmann (2004) S. 16; Hillenkamp JR 1975, 133, 133; Hoecht DÖV 1981, 323, 323; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Klein DStZ 1988, 599, 603; Leisner (2003) S. 261; Lesch BDVR-R 1998, 44, 44 f.; List DB 2005, 571, 571; Millgramm BDVR-R 2003, 128, 132; Neumann DRiZ 2000, 82, 82; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 20; Petersen BDVR-R 1998, 14, 17; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 306; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Redeker NJW 2002, 2610, 2610; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 54 f.; Scheffler (1991) S. 54; Schlette (1999) S. 16; Schmieszek VR 1990, 149, 150; Stelkens in: FSRedeker (1993) S. 313, 334; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 440; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 115; Wagner EuGRZ 1983, 484, 485; Weth NJW 1996, 2467, 2467 und 2472 f.; Weth in: FS-Lüke (1997) S. 961, 977; Winkler (1995) S. 175; Ziekow DÖV 1998, 941, 951. 39 BVerfG (1. Senat) 18. Juli 1972 Az 1 BvL 32/70 und 25/71 BVerfGE 33, 303, 333; Haug/Pfarr/Struck (1985) S. 20; Kloepfer JZ 1979, 205, 213. 40 Dauner-Lieb AnwBl 2005, 369, 373; Haas VBlBW 1991, 232, 234; Mackenroth notar 2005, 94, 95 und 98; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 177. 41 Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 460; Haas VBlBW 1991, 232, 234; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Mackenroth notar 2005, 94, 95 und 98; Mayen DRiZ 2005, 223, 228; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 334. 42 Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 458; Kropp NJ 2005, 208, 208; Mackenroth notar 2005, 94, 95. 43 Mayen DRiZ 2005, 223, 228; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 70. 44 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 392; Mackenroth notar 2005, 94, 98; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Schäfer DRiZ 1995, 461, 461.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

73

Eine mögliche Vermehrung der Richterstellen wird teilweise jedoch auch kritisch gesehen.45 Der Rechtsstaat muss schließlich bezahlbar bleiben46 und darf seine Richterschaft daher nicht einfach immer weiter vermehren,47 zumal nach Ansicht mancher mehr Richter nichts Entscheidendes an den Prozessverzögerungen ändern würden.48 Außerdem sei bei einer Vermehrung der Richterstellen die qualitativ angemessene Besetzung der vielen neu geschaffenen Richterstellen zweifelhaft.49 Die Behauptung, es ließen sich nicht genügend geeignete Bewerber für weitere Richterstellen finden, ist angesichts der attraktiven Besoldung der Richter und auch aufgrund der durch eine Richterstelle gewährleisteten Arbeitsplatzsicherheit nicht richtig.50 Jedes Jahr bewerben sich weit mehr hoch qualifizierte Volljuristen um eine Stelle als Richter, als Richterstellen zu vergeben sind, und ein Mangel an qualifizierten Bewerbern ist daher nicht das Problem.51 Ob sie nun als wünschenswert oder sogar als nicht erstrebenswert angesehen wird, eine deutliche Erhöhung der Richterstellen wird sich schon aus finanziellen Gründen im gebotenen Umfang bis auf weiteres nicht realisieren lassen.52 An 45 46 47

Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 57. Mackenroth notar 2005, 94, 94. Hill JZ 1981, 805, 813; Krumsiek RuP 1994, 127, 127; Stötter NJW 1968, 521,

521. 48 Klein DStZ 1988, 599, 603; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; SchmidtAßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110. 49 Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33; Stötter NJW 1968, 521, 521. 50 Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 453; Stöcker DStZ 1989, 367, 374. 51 Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 453. 52 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 392; Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 78; Bertrams NWVBl 1997, 3, 6; Bertrams NWVBl 1999, 245, 248; Bertrams DVBl 2006, 997, 999; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 20; Däubler-Gmelin in: SZ vom 12. Juni 1999 S. 10; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Eylmann u. a. (2004) S. 6 Rn 6; Feiber NJW 1975, 2005, 2005; Gasser ThürVBl 2003, 97, 99; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Härtel JZ 2005, 753, 756; Harries-Lehmann (2004) S. 14; Heister-Neumann (2004) S. 1; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 102; Hien DVBl 2004, 909, 913; Hill JZ 1981, 805, 813; Hoecht DÖV 1981, 323, 323; Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem (1998) S. 13, 14; Hoffmann-Riem in: Pitschas (1999) S. 95, 96; Jahn NJW 2006, 652, 654; Jung BDVR-R 1998, 10, 13; Karpen in: FS-Leisner (1999) S. 989, 989; Krumsiek DRiZ 1988, 465, 465; LaRoche-Thomé in: Pitschas/Koch (2002) S. 27, 29 f.; Lemke/Rothstein-Schubert ZRP 1997, 488, 488; Limbach DRiZ 1998, 7, 7; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350; Mayen Anhang VI (2005) S. 334; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Peschel-Gutzeit in: Hoffmann-Riem (1998) S. 9, 9; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 64 und 90; Redeker RuP 1982, 51, 54; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Schäuble RuP 1994, 134, 134; Schenke DÖV 1982, 709, 711; Schlette (1999) S. 17; Schoch (1988) S. 167 Fn 18; Schoenfeld DB 2004, 2287, 2287; Sendler (2000) S. 2; Sprotte DRiZ 1932, 207, 207; Steinbrück (2004) S. 8, 8; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 321; Stiefel ZRP 1989, 324, 324; Stötter NJW 1968, 521, 521; Terhechte DVBl 2007,

74

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

dieser Feststellung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert und auch in den kommenden Jahrzehnten wird sich daran wohl nichts Entscheidendes ändern. Es ist daher sinnvoll und vor allem dringend notwendig, über Abhilfemöglichkeiten nachzudenken, die keine Vermehrung der Richterstellen erfordert. Richterliche Arbeitskraft und Arbeitszeit sind eine „knappe Ressource“53, die Rechtsgewährung also ein „knappes Gut“54 und daher sollte im Mittelpunkt einer Diskussion über die Reduzierung der Verfahrenslaufzeiten der bessere Einsatz der gegebenen knappen Ressourcen stehen.55 Ein wirtschaftliches Denken ist gerade in Zeiten knapper Mittel auch in der Justiz notwendig.56 2. Besetzung der Spruchkörper Eine Möglichkeit für einen effektiven Einsatz der richterlichen Arbeitskraft ist die viel diskutierte vollständige oder zumindest teilweise Umstellung vom Kollegial- auf das Einzelrichterprinzip.57 Derartige Änderungen wurden in den 1134, 1136; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23; Wassermann NJW 1994, 2196, 2196; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 160; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63; Wilfinger (1995) S. 211; Ziekow DÖV 1998, 941, 941. 53 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 78; Berlit BJ 2002, 319, 320; Damkowski/ Precht NVwZ 2005, 292, 292; Eifert DV 30 (1997), 75, 96; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 50; Hassemer in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 40; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 14; Keller/Schmid wistra 1984, 201, 201; Kerscher in: SZ vom 31. Mai 2006 S. 6; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 224; Krumsiek DRiZ 1988, 465, 465; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 128; Mayen Anhang VI (2005) S. 335; Pitschas ZRP 1998, 96, 97; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 66 und 69; Redeker RuP 1982, 51, 51; Redeker DVBl 1982, 805, 806; Redeker (2000) S. 8; Rieß NStZ 1994, 409, 409; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 235; Sendler (2000) S. 2; Thielmann ZRP 2005, 123, 123; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 179; Walther LKV 1995, 288, 289; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 13; Walther DRiZ 2005, 127, 127; Ziekow DÖV 1998, 941, 942. 54 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 71 und 78; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 102; Hill JZ 1981, 805, 813; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 361; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 54; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 8; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 249; Walther LKV 1995, 288, 289. 55 Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 240; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Mayen Anhang VI (2005) S. 337. 56 Mackenroth notar 2005, 94, 95; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 523; Stoll SchlHA 1993, 263, 264. 57 Addicks u. a. (2005) Punkt 3.1; Baur (1966) S. 2; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Buciek StuW 1999, 53, 53 f.; Busse (2000) C V; Busse NJW 2001, 1545, 1546; Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 25 f.; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Däubler-Gmelin in: SZ vom 12. Juni 1999 S. 10; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 458; Duhme VR 2003, 37, 37 ff.; Eylmann u. a. (2004) S. 20 ff. Rn 48 ff.; Grawert DVBl 1983, 973, 981; Hamann VA 83 (1992), 201, 201 ff.; Harries-Lehmann (2004) S. 4 f. und 16; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 215; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 227; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf (2008) Art 19 Rn 31 und 37; Holch ZRP 1980, 38, 38 ff.; Kern in: Pitschas/ Walther (2005) S. 147, 152; Klink SGb 1973, 431, 435; Kopp DVBl 1982, 613,

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

75

vergangenen Jahrzehnten bereits vielfach durchgeführt. So wurde zum Beispiel durch die Einführung des § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 199258 die Einzelrichterentscheidung in der Finanzgerichtsbarkeit ermöglicht.59 In der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wurde mit dem Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993,60 der fünften Novelle der VwGO,61 die Entscheidung durch Einzelrichter in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Sachen ohne besondere Schwierigkeiten und ohne grundsätzliche Bedeutung zum Regelfall erklärt.62 Dieser Änderung waren heftige Diskussionen vorausgegangen,63 und während sich der Gesetzgeber noch vor Erlass der vierten Novelle der VwGO gegen den Einzelrichter ausgesprochen hatte,64 so bezeichnete er diese Auffassung innerhalb von

616 f.; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2006) § 6 Rn 9; Lemke BDVR-R 1997, 40, 40 ff.; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 738 und 741; Mankiewicz DRiZ 1932, 205, 206; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 543; Niehues Anhang VIII (2005) S. 357; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Otto (1994) S. 41; Petersen BDVR-R 1998, 14, 16 f.; Pitschas ZRP 1998, 96, 100 und 103; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 70 und 85 und 90; Quaas NVwZ 1998, 701, 707; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151 f.; Redeker DVBl 1982, 805, 808 f.; Redeker (2000) S. 26; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 50 f.; Redeker in: Redeker/v. Oertzen (2004) § 6 Rn 1; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 60; Rößler DStZ 1993, 381, 381; Sauthoff BDVR-R 1998, 40, 42; Schäfer DRiZ 1995, 461, 468 f.; Schenke DÖV 1982, 709, 719 f.; Schlette (1999) S. 16; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525; Schütz (2005) S. 286 ff.; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Sendler DRiZ 1991, 111, 111 f.; Sendler (2000) S. 5; Sprotte DRiZ 1932, 207, 207; Stauch KJ 1992, 235, 236 f.; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 315 f. und 336 f.; Stelkens NVwZ 2000, 155, 158 f.; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Weber ZRP 1997, 134, 134 ff.; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 61; Wilfinger (1995) S. 57. 58 BGBl 1992 I S. 2109. 59 Buciek StuW 1999, 53, 53 f.; Koch in: Gräber (1997) § 6 Rn 1; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2006) § 6 Rn 9; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 793 Fn 8. 60 BGBl 1993 I S. 50. 61 Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 149; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 42 und 52; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 4. 62 Armborst BDVR-R 1997, 44, 44; Bader VBlBW 1997, 449, 453; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 21; Duhme VR 2003, 37, 37; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 227; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Martens NVwZ 1993, 232, 234; Petersen BDVR-R 1998, 14, 17; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151; Redeker DVBl 1992, 212, 213; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 51 f.; Redeker in: Redeker/v. Oertzen (2004) § 6 Rn 1 f.; Rieß AnwBl 1993, 51, 56; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 231; Schütz (2005) S. 287; Stauch KJ 1992, 235, 235 f.; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 314 Fn 7a; Stelkens NVwZ 2000, 155, 158 f.; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 4; Weber ZRP 1997, 134, 134 Fn 8; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 61. 63 Hamann VA 83 (1992), 201, 201 ff.; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 738 ff.; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 52; Schenke DÖV 1982, 709, 719; Stauch KJ 1992, 235, 236 f.; Stelkens NVwZ 2000, 155, 158.

76

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

nicht einmal zwei Jahren bereits als überholt.65 Seit der Einführung des § 6 VwGO wird von der Möglichkeit der Entscheidung durch Einzelrichter zunehmend Gebrauch gemacht, so dass heute ein sehr hoher Prozentsatz aller Verfahren, in einigen Rechtsgebieten sogar 80 bis 90 Prozent, bereits durch Einzelrichter entschieden wird.66 Bevor die Einzelrichterentscheidung 1993 zum Regelfall erklärt wurde, entschieden in der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich Richterkollegien. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der Regel bereits vor Beginn des Verwaltungsprozesses ein Widerspruchsverfahren durchgeführt wurde und daher ursprünglich fast nur solche Streitfälle vor die Verwaltungsgerichte gelangten, bei denen die Beurteilung der Sach- und Rechtslage Schwierigkeiten bereitete. Der Verwaltungsakt wurde normalerweise bereits im Widerspruchsverfahren von einem Verwaltungsjuristen geprüft. Demzufolge erschien es in der Verwaltungsgerichtsbarkeit lange Zeit nicht sinnvoll, in solchen Fällen die Streitentscheidung einem Richter allein zu überlassen, der oft dem im vorausgegangenen Verfahren tätig gewordenen Verwaltungsjuristen – abgesehen von der richterlichen Unabhängigkeit67 – nicht zwangsläufig wesentlich überlegen ist. Aus der Praxis der Gerichte ergab sich jedoch mit der Zeit, dass in vielen Verfahren ohnehin von Anfang an der Berichterstatter den Prozess im Wesentlichen allein bearbeitete, während die Kammer diesen allenfalls „begleitete“. Es kam immer mehr zu Spezialisierungen auf der Seite des Gerichts und das Fachwissen der Verwaltungsjuristen konnte damit nicht immer mithalten. Außerdem wurde in jüngster Zeit in immer mehr Bereichen das Widerspruchsverfahren abgeschafft.68 Zudem wurden mit der Ausweitung der Rechtsfigur des Verwaltungsakts mit Drittwirkung mehrpolige Rechtsstreitigkeiten immer häufiger, in denen die Behörde nur noch eine unbedeutende Rolle spielt und es vielmehr um einen Streit zwischen zwei Privatpersonen geht. Daraus entstand die Überlegung, zumindest den fakultativen Einzelrichter für die Fälle vorzusehen, in denen aus der Sicht des Gerichts keine Gefahr der Überforderung eines Einzelrichters besteht.69 64 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Hamann VA 83 (1992), 201, 211 f.; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152; Schmieszek VR 1990, 149, 149. 65 BT-Drs 12/1217 vom 27. September 1991 S. 54; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 52. 66 Arntz Anhang II (2005) S. 317; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Bertrams Anhang VII (2005) S. 348; Duhme VR 2003, 37, 45; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 227 f.; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 61. 67 Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2. 68 Addicks (2007) S. 1; v. Nieuwland NdsVBl 2007, 38, 38 ff.; Stroh in: SZ vom 5. März 2007 S. 33. 69 Klink SGb 1973, 431, 434; Lemke BDVR-R 1997, 40, 44; Redeker RuP 1982, 51, 55; Redeker DVBl 1992, 212, 215; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 50 f.; Rzepka BayVBl 1991, 460, 461; Schenke DÖV 1982, 709, 720.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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Bei der Diskussion über eine weitere Ausdehnung des Einzelrichterprinzips muss stets zwischen dem originären, dem obligatorischen und dem fakultativen Einzelrichter unterschieden werden.70 Der originäre Einzelrichter, der bei Eilverfahren im Asylprozess gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes vorgesehen ist, wird unmittelbar, also ohne eine Beteiligung der Kammer, von Gesetzes wegen in einem Verfahren zuständig.71 Der obligatorische Einzelrichter wird zwar erst aufgrund einer Übertragung durch die Kammer tätig, doch ist diese unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen verpflichtet, das Verfahren auf den Einzelrichter zu übertragen, wobei Rückübertragungsmöglichkeiten vorgesehen sein können.72 Der fakultative Einzelrichter wird zwar ebenfalls aufgrund einer Übertragung durch die Kammer tätig, doch entscheidet diese im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens, ob sie von dieser Ermächtigung Gebrauch macht.73 Die Einführung des originären oder obligatorischen Einzelrichters wird hauptsächlich von Rechtspolitikern gefordert, deren zentrales Anliegen die Kostenreduzierung im Justizsektor ist,74 während die meisten Richter, Rechtsanwälte und Rechtswissenschaftler eher das Prinzip des fakultativen Einzelrichters bevorzugen, wie es in der heutigen Fassung des § 6 VwGO vorgesehen ist.75 Insbesondere vor der Einführung des Einzelrichterprinzips in der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Regelfall wurde immer wieder bezweifelt, dass der Einzelrichter zu einer erheblichen Beschleunigung beitragen könne, da in den Richterkollegien bereits ein Großteil der Arbeit von den Berichterstattern und damit von einem einzelnen Richter geleistet wurde.76 Außerdem muss sich die Kam70 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 38; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152 f.; Martens NVwZ 1993, 232, 234; Redeker DVBl 1992, 212, 214; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 51 f.; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 6. 71 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Duhme VR 2003, 37, 38 Fn 11; Lemke BDVRR 1997, 40, 41; Schütz (2005) S. 287; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 6. 72 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Duhme VR 2003, 37, 38; Kern in: Pitschas/ Walther (2005) S. 147, 152 f.; Redeker DVBl 1992, 212, 214. 73 Duhme VR 2003, 37, 38; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152 f.; Redeker DVBl 1992, 212, 214; Stauch KJ 1992, 235, 236. 74 Schütz (2005) S. 287 Fn 126; Storost NordÖR 2005, 248, 250. 75 Arntz Anhang II (2005) S. 317; Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 38; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 152 f.; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Martens NVwZ 1993, 232, 234; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 51 f.; Schütz (2005) S. 287 Fn 126; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Stauch KJ 1992, 235, 237; Storost NordÖR 2005, 248, 250. 76 Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 45; Koch in: Gräber (1997) § 6 Rn 1; Kopp DVBl 1982, 613, 616; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Lotz/ Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Redeker RuP 1982, 51, 55; Redeker DVBl 1992, 212, 214 f.; Rzepka BayVBl 1991, 460, 460; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Sprotte DRiZ 1932, 207, 207; Stauch KJ 1992, 235, 236; Stoll SchlHA 1993, 263, 265.

78

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

mer vor einer Übertragung der Rechtssache an den fakultativen Einzelrichter selbst mit dem Fall befassen, um festzustellen, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Übertragung gegeben sind.77 Dies könnte möglicherweise zu einem Zeitverlust führen, der die spätere Zeitersparnis wieder aufzehrt.78 Es wurde daher befürchtet, dass durch die Ermöglichung von Entscheidungen durch Einzelrichter nur ein relativ geringer Entlastungseffekt eintreten würde.79 Ob mit dem Einsatz von Einzelrichtern stets eine Beschleunigung des Verfahrens erreicht wird, lässt sich auch heute nur schwer nachweisen; zumindest sind die Statistiken insoweit kaum aussagekräftig.80 Fest steht insoweit nur, dass der verstärkte Einsatz von Einzelrichtern allein nicht zwangsläufig zu kürzeren Verfahrenslaufzeiten führt.81 Dies zeigt das Beispiel eines Verwaltungsgerichts in Nordrhein-Westfalen, das die meisten Entscheidungen durch Einzelrichter trifft, aber zugleich die höchste Verfahrensdauer hat.82 Dies kann an einer Überforderung einzelner Einzelrichter liegen.83 Manchmal bedarf es offensichtlich der Straffung der Dezernatsarbeit durch einen erfahrenen Kammervorsitzenden.84 Bei ansonsten gleich effizienter Arbeitsweise der Richter sehen aber viele eine deutliche Effizienzsteigerung bei einer teilweisen Umstellung vom Kollegial- auf das Einzelrichterprinzip.85 So entscheidet bei einer Übertragung des Rechtsstreits an einen Einzelrichter dieser allein und ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter.86 Die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter soll

77 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 45; Grawert DVBl 1983, 973, 981; Koch in: Gräber (1997) § 6 Rn 1; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Rzepka BayVBl 1991, 460, 460; Schenke DÖV 1982, 709, 720. 78 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 45; Grawert DVBl 1983, 973, 981; Koch in: Gräber (1997) § 6 Rn 1; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Rzepka BayVBl 1991, 460, 460; Schenke DÖV 1982, 709, 720. 79 Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 45; Kopp DVBl 1982, 613, 617; Koch in: Gräber (1997) § 6 Rn 1; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Redeker DVBl 1992, 212, 215; Rzepka BayVBl 1991, 460, 460; Stauch KJ 1992, 235, 236. 80 Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Duhme VR 2003, 37, 45; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 50; Schütz (2005) S. 287 Fn 123; Stelkens NVwZ 2000, 155, 158; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 81 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Duhme VR 2003, 37, 45; Holch ZRP 1980, 38, 38 f. 82 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347. 83 Holch ZRP 1980, 38, 40. 84 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Holch ZRP 1980, 38, 40; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 85 Arntz Anhang II (2005) S. 317; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Busse NJW 2001, 1545, 1546; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 228; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2006) § 6 Rn 9; Otto (1994) S. 41; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 90; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525; Weber ZRP 1997, 134, 135; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

79

der Bürgerbeteiligung am Staatsgeschehen dienen87 und die Akzeptanz des verwaltungsgerichtlichen Richterspruchs steigern, indem die Berufsrichter gezwungen werden, die Gründe ihrer Entscheidung diesen Bürgern plausibel zu machen.88 Die ehrenamtlichen Richter sind angesichts der oft sehr komplexen rechtlichen Probleme, die bei Verfahren vor den Verwaltungsgerichten auftreten, jedoch vielfach überfordert und tragen damit zu Verfahrensverzögerungen bei.89 Auch aus diesem Grund kann der verstärkte Einsatz von Einzelrichtern zu einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeit führen.90 Der Einsatz von Einzelrichtern ermöglicht den flexiblen und ressourcenschonenden Einsatz der Richter und von dieser Möglichkeit wird auch, zumindest in der Praxis der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in großem Umfang Gebrauch gemacht.91 Bei einer zu weiten Ausdehnung des Einzelrichterprinzips, beispielsweise durch die Einführung des originären oder obligatorischen Einzelrichters als Regelfall in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, bestünde allerdings die Gefahr, dass die Qualität der richterlichen Entscheidungen sinkt.92 „Nemo solus sapit satis“ („Niemand ist für sich allein weise genug“), stellte bereits im dritten Jahrhundert vor Christus der römische Komödiendichter Titus Maccius Plautus fest.93 86 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 153; Kopp DVBl 1982, 613, 617; Redeker DVBl 1992, 212, 213; Sauthoff BDVR-R 1998, 40, 42; Schenke DÖV 1982, 709, 720; Schütz (2005) S. 287; Stauch KJ 1992, 235, 237; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 317. 87 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Düfer/Meyer BDVR-R 1998, 47, 49; Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 95; Kopp DVBl 1982, 613, 617; Kramer NVwZ 2005, 537, 538; Schenke DÖV 1982, 709, 720; Stauch KJ 1992, 235, 237; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 317; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 7. 88 Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 96; Kramer NVwZ 2005, 537, 539; Kruschinsky RuP 2004, 73, 73; Sendler DRiZ 1991, 111, 113; Stauch KJ 1992, 235, 237; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 317; Storost NordÖR 2005, 248, 250; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 7. 89 Haas VBlBW 1991, 232, 233; Kramer NVwZ 2005, 537, 538 f. 90 Kramer NVwZ 2005, 537, 538 f.; Weber ZRP 1997, 134, 135. 91 BT-Drs 12/1217 vom 27. September 1991 S. 54; Arntz Anhang II (2005) S. 315; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 228; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2006) § 6 Rn 9; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525; Stauch KJ 1992, 235, 237. 92 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Busse (2000) C V; Eylmann u. a. (2004) S. 21 f. Rn 49 ff.; Hamann VA 83 (1992), 201, 202; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 215; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 31 und 37; Kopp DVBl 1982, 613, 616 f.; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Petersen BDVR-R 1998, 14, 17; Redeker RuP 1982, 51, 55; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 50 f.; Rößler DStZ 1993, 381, 381; Schäfer DRiZ 1995, 461, 468; Schenke DÖV 1982, 709, 719 f.; Sendler (2000) S. 5; Stauch KJ 1992, 235, 236; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 315 f. und 336; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Storost NordÖR 2005, 248, 249; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 6; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 93 Bayer (2003) S. 314 Nr. 1464; Walther (1965) S. 98 Nr. 16452a; Walther in: Schmidt (1983) S. 620 Nr. 38697a.

80

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Solange menschliche Erkenntnisfähigkeit begrenzt ist, bietet die Entscheidung durch ein Richterkollegium in besonders komplizierten Fällen die beste Gewähr für abgewogene Entscheidungen.94 Die materielle Richtigkeitsgewähr einer Entscheidung bei noch dienstjungen und damit notwendigerweise weniger erfahrenen Einzelrichtern kann in einigen Fällen unterhalb derjenigen liegen, die eine unter Leitung eines erfahrenen Vorsitzenden stehende Kammer als Richterkollegium getroffen hat.95 Insbesondere im Bereich der Verwaltungsgerichte führt die am Leitbild des Einheitsjuristen ausgerichtete Juristenausbildung dazu, dass junge Richter vielfach nicht optimal auf die Anforderungen, die sich an einen Verwaltungsrichter stellen, vorbereitet sind.96 So besteht in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Referendarzeit nur ausnahmsweise die Gelegenheit, eine Ausbildungsstation an einem Verwaltungsgericht zu absolvieren. Die Heranführung an die prozessuale und materielle Praxis des Verwaltungsrechts erfolgt daher bisher im Wesentlichen innerhalb der Kammern.97 Der junge Richter schaut erfahrenen Kollegen über die Schulter, um unter Kontrolle und Anleitung Erfahrungswissen zu sammeln, das er später in entsprechender Weise weitergeben kann.98 Daher ist die Kammer auch für die Vermittlung richterlicher Erfahrung von älteren an jüngere Richter erforderlich,99 wobei jedoch der Erfahrungsvor94 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Bertrams NWVBl 1999, 245, 252; Busse (2000) C V; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Eylmann/Kirchner/Knieper/Kramer/Mayen (2004) S. 21 Rn 49; Geiger BDVR-R 1999, 8, 10; Haas VBlBW 1991, 232, 233; Hamann VA 83 (1992), 201, 202; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 215; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 37; Klink SGb 1973, 431, 435; Kopp DVBl 1982, 613, 617; Lemke BDVR-R 1997, 40, 42; Lindemann ZRP 1999, 200, 203; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Petersen BDVR-R 1998, 14, 17; Redeker RuP 1982, 51, 55; Schäfer DRiZ 1995, 461, 468 und 470; Scholz DVBl 1982, 605, 611; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 336; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Storost NordÖR 2005, 248, 249; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 6; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 95 Busse (2000) C V 3; Clausing NVwZ 1992, 717, 719 f.; Düfer/Meyer BDVR-R 1998, 47, 47; Ewer ZG 1998, 47, 51; Eylmann u. a. (2004) S. 22 Rn 52; Haas VBlBW 1991, 232, 233; Klink SGb 1973, 431, 435; Lemke BDVR-R 1997, 40, 43; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 112; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Selbherr (2004) S. 27, 27; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Sendler in: Blümel/Pitschas (1997) S. 74, 95; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Storost NordÖR 2005, 248, 249; Voß BB 1991, 247, 247. 96 Eylmann u. a. (2004) S. 28 Rn 72 und S. 31 Rn 84; Haas VBlBW 1991, 232, 233. 97 Eylmann u. a. (2004) S. 22 Rn 52; Haas VBlBW 1991, 232, 233; Lemke BDVRR 1997, 40, 43; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Storost NordÖR 2005, 248, 249. 98 Busse (2000) C V 3; Eylmann u. a. (2004) S. 22 Rn 52 und S. 28 Rn 73; Haas VBlBW 1991, 232, 233; Lemke BDVR-R 1997, 40, 43; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Storost NordÖR 2005, 248, 249; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 99 Addicks u. a. (2005) Punkt 7.5; Bertrams NWVBl 1999, 245, 252; Clausing NVwZ 1992, 717, 720; Däubler-Gmelin in: SZ vom 12. Juni 1999 S. 10; Eylmann

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

81

sprung des Vorsitzenden zunehmend an Bedeutung verliert, je mehr Erfahrung der Einzelrichter gewinnt.100 Gemessen an ihren Examensergebnissen gehören Richter zwar zu den besten Juristen, doch sitzen diesen in besonders anspruchsvollen und komplizierten Verfahren oft ebenso gut qualifizierte Rechtsanwälte von Rechtsabteilungen großer Unternehmen und großer Anwaltskanzleien gegenüber.101 Diese Rechtsanwälte sind oftmals höchst spezialisiert und haben außerdem ein Verbundnetz von ebenfalls hoch spezialisierten Kollegen zu ihrer Unterstützung.102 In diesen Fällen würde sich ein Einzelrichter einer Übermacht gegenüber sehen103 und stünde trotz Kommentarlektüre und Juris-Recherchen auf verlorenen Posten, wenn er nie Anlass und Gelegenheit hatte, seine Auffassung über die Rechtssache in kollegialem Austausch in Worte zu fassen.104 Der wechselseitige Austausch zwischen den Richterkollegen mit der Folge, eine gefundene Lösung argumentativ verteidigen zu müssen und den einmal gefundenen Standpunkt auch wieder zu hinterfragen, erleichtert die Rechtsfindung erheblich.105 Recht entsteht aus dem Diskurs und die Richtigkeitsgewähr durch Kollegialität ist ein wichtiger Faktor.106 Bei komplizierten Fällen ist der Richter daher auf die Möglichkeit der Beratung innerhalb einer Kammer angewiesen, in der die Richterkollegen ebenfalls mit dem Sachverhalt vertraut sind.107 Qualität sollte hier

u. a. (2004) S. 22 Rn 52 und S. 28 Rn 73; Geiger BDVR-R 1999, 8, 10; Klink SGb 1973, 431, 435; Lemke BDVR-R 1997, 40, 43; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Pitschas DVBl 1982, 96, 103; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 90; Schäfer DRiZ 1995, 461, 469; Selbherr (2004) S. 27, 27; Sendler DVBl 1982, 812, 814; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Storost NordÖR 2005, 248, 249; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 100 Klink SGb 1973, 431, 435; Stoll SchlHA 1993, 263, 266. 101 Arntz Anhang II (2005) S. 318; Redeker NVwZ 1996, 126, 130; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 750; Weber ZRP 1997, 134, 135. 102 Arntz Anhang II (2005) S. 318; Weber ZRP 1997, 134, 135. 103 Arntz Anhang II (2005) S. 318. 104 Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 49; Hamann VA 83 (1992), 201, 202; Klink SGb 1973, 431, 435; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Quaas NVwZ 1998, 701, 707; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Weber ZRP 1997, 134, 135. 105 Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 49; Hamann VA 83 (1992), 201, 202; Klink SGb 1973, 431, 435; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Quaas NVwZ 1998, 701, 707; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Schenke DÖV 1982, 709, 720; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Weber ZRP 1997, 134, 135. 106 Löwer Anhang IV (2005) Zeilen 856 ff.; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 232. 107 Arntz Anhang II (2005) S. 318; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 49; Hamann VA 83 (1992), 201, 202; Klink SGb 1973, 431, 435; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Quaas NVwZ 1998, 701, 707; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 232; Schenke DÖV 1982, 709, 720;

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

nicht für Zeit hingegeben werden.108 Die Richter sollten daher die Möglichkeit haben, bei besonders schwierigen Fällen als Kollegialgericht zu entscheiden.109 Daher ist im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit eine vollständige Umstellung vom Kollegialprinzip auf das Einzelrichterprinzip abzulehnen.110 Ein weiterer Vorteil des Kollegialprinzips ist, dass die Entscheidungen durch Kammern oft berechenbarer sind, wodurch wiederum unnötige Rechtsstreitigkeiten vermieden werden.111 Insoweit sollte die Bedeutung des Kammerprinzips für die Kontinuität der Rechtsprechung nicht unterschätzt werden.112 Andererseits treten die hier geschilderten Vorteile des Kollegialprinzips, die zugleich die Nachteile des Einzelrichterprinzips sind, bei der Vielzahl von Fällen nicht auf, die keine besonderen sachlichen und rechtlichen Schwierigkeiten aufweisen.113 Insofern spricht vieles für die in § 6 FGO und § 6 VwGO vorgesehene Regelung des fakultativen Einzelrichters, der von einer Kammer immer dann eingesetzt werden kann, wenn er nicht durch den konkreten Fall überfordert ist.114 Die Erfahrung mit der Einführung des fakultativen Einzelrichters hat gezeigt, dass grundsätzlich kein messbares Qualitätsgefälle zwischen Kammer- und Einzelrichterentscheidungen festzustellen ist.115 Kraftvolle Richterpersönlichkeiten Sendler DVBl 1982, 812, 814; Sprotte DRiZ 1932, 207, 207; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Weber ZRP 1997, 134, 135. 108 Löwer Anhang IV (2005) S. 328. 109 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 50; Hamann VA 83 (1992), 201, 202; Klink SGb 1973, 431, 435; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Sendler DRiZ 1991, 111, 112; Weber ZRP 1997, 134, 135. 110 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 50; Klink SGb 1973, 431, 435; Löwer Anhang IV (2005) S. 328; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Weber ZRP 1997, 134, 135. 111 Bertrams DVBl 2006, 997, 1006; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Haas VBlBW 1991, 232, 233; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176; Lemke BDVRR 1997, 40, 43; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Redeker DVBl 1992, 212, 214; Rzepka BayVBl 1991, 460, 461; Sendler DRiZ 1991, 111, 111; Stelkens in: FSRedeker (1993) S. 313, 337; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 6; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 112 BT-Drs 11/7030 vom 27. April 1990 S. 20; Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Bertrams NWVBl 1999, 245, 252; Bertrams DVBl 2006, 997, 1006; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Geiger BDVR-R 1999, 8, 9 ff.; Haas VBlBW 1991, 232, 233; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176; Lemke BDVR-R 1997, 40, 43; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 741; Quaas BDVR-R 2004, 147, 152; Redeker DVBl 1992, 212, 214; Rzepka BayVBl 1991, 460, 461; Schäfer DRiZ 1995, 461, 469; Sendler DRiZ 1991, 111, 111; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 6; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 63. 113 BT-Drs 12/1217 vom 27. September 1991 S. 54; Addicks u. a. (2005) Punkt 3.1; Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Arntz Anhang II (2005) S. 317; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Pitschas ZRP 1998, 96, 103; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 90. 114 Armborst BDVR-R 1997, 44, 47; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 49; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2006) § 6 Rn 9; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525.

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überzeugen auch alleine.116 Dies gilt natürlich nur insoweit, als es für die Entscheidung von besonders anspruchsvollen Fällen bei der Zuständigkeit der Kammer verbleibt und daher keine Überforderung des Einzelrichters eintritt. Das personalaufwändigere Kollegialgericht sollte nur noch dort eingesetzt werden, wo es aus Sachgründen zwingend erforderlich ist.117 Es ist ein Irrglaube, die Kammer sei dem Einzelrichter grundsätzlich überlegen.118 Überlegen ist die Kammer dem Einzelrichter eben nur in besonders schwierigen Fällen. Zwar weisen Berufungsquote und Berufungserfolg zwischen Einzelrichter und Kammer keine nennenswerten Unterschiede auf,119 obwohl sie bei den vom Einzelrichter entschiedenen einfachen Fällen eigentlich niedriger sein müssten als bei den von Kammern entschiedenen besonders schwierigen Fällen, doch ist dies allein kein Argument dafür, den Einzelrichterentscheidungen die erforderliche Qualität abzusprechen. Dieses Problem entsteht vielmehr dadurch, dass teilweise die Abgrenzung zwischen einfachen und besonders schwierigen Fällen kompliziert ist und im Einzelfall auch einmal falsch vorgenommen werden kann. In den weitaus meisten Fällen scheint es den Richtern jedoch zu gelingen, diese Abgrenzung zwischen einfachen und besonders schwierigen Fällen richtig vorzunehmen. Durch den verstärkten Einsatz von Einzelrichtern bricht also keineswegs der Rechtsstaat zusammen, sondern dieser wird vielmehr durch eine handlungsfähigere und schnellere Justiz gestärkt.120 Die derzeit praktizierte Form des fakultativen Einzelrichters bedeutet eine Effizienzsteigerung gegenüber dem früheren System, das stets eine Kammerentscheidung erforderte.121 Eine geringere Qualität von Einzelrichterentscheidungen gegenüber den Entscheidungen von Richterkollegien in den bisher an Einzelrichter übertragenen Bereichen ist bisher nicht festzustellen.122 Der fakultative Einsatz von Einzel115 BT-Drs 12/1217 vom 27. September 1991 S. 54; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Busse (2000) C V; Busse NJW 2001, 1545, 1546; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 26; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 460; Duhme VR 2003, 37, 44; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 49; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2003) § 6 Rn 9; Otto (1994) S. 41; Pitschas ZRP 1998, 96, 103; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 90; Redeker DVBl 1982, 805, 808; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 52; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525. 116 Weber ZRP 1997, 134, 135. 117 Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 26; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 51. 118 Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 26. 119 Busse (2000) C V 2 b; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 26; Schäfer DRiZ 1995, 461, 469. 120 Buciek StuW 1999, 53, 54 f. und 60; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 26. 121 BT-Drs 12/1217 vom 27. September 1991 S. 54; Addicks u. a. (2005) Punkt 3.1; Armborst BDVR-R 1997, 44, 47; Arntz Anhang II (2005) S. 317; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Pitschas ZRP 1998, 96, 103; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 90. 122 Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 51; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525; Weber ZRP 1997, 134, 135.

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richtern hat sich damit in der Praxis bewährt und kann mit dazu beigetragen, die Verfahrenslaufzeiten zu verkürzen.123 Die teilweise Umstellung vom Kollegial- auf das Einzelrichterprinzip ist daher in vielen Fällen auch im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit sinnvoll und kann die Verfahrensdauer verkürzen.124 In einigen besonders komplizierten Fällen würde jedoch die Gefahr bestehen, dass die Qualität der Entscheidungen sinkt. Von der in den meisten Verfahrensordnungen, zum Beispiel in § 6 FGO und § 6 VwGO, bereits vorgesehenen Möglichkeit der Entscheidung durch Einzelrichter sollte daher seitens der Richter verstärkt Gebrauch gemacht werden, wenn es um einfache Sach- und Rechtsfragen geht.125 Nicht von Einzelrichtern, sondern von Richterkollegien sollten dagegen diejenigen Fälle bearbeitet werden, die besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweisen oder mit deren Bearbeitung der zuständige Einzelrichter aus anderen Gründen überfordert wäre.126 Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass bei einem sinnvollen Einsatz von Einzelrichtern durchaus eine Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten durch die Umstellung auf das Einzelrichterprinzip zu erzielen ist.127 Im Bereich des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Europäischen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichts erster Instanz und des Bundesverfassungsgerichts werden immer mehr Entscheidungen von größeren Spruchkörpern (Große Kammer, Plenum oder Senat) an kleinere Spruchkörper (Kammern) übertragen, wodurch eine deutliche Effizienzsteigerung eintritt.128 Im Fall des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sollen nach dem Inkrafttreten des 14. Protokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 13. Mai 2004 in einigen Fällen sogar Einzelrichter entscheiden. Ohne eine Übertragung von Streitigkeiten an kleinere Spruchkörper wären diese Gerichte heute

123 Armborst BDVR-R 1997, 44, 47; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 50; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2003) § 6 Rn 9; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525; Weber ZRP 1997, 134, 135. 124 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 50; Kronisch in: Sodan/Ziekow (2006) § 6 Rn 9; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525. 125 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 51; Lemke BDVR-R 1997, 40, 44; Redeker DVBl 1982, 805, 809; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525; Scholz DVBl 1982, 605, 611. 126 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 51; Lemke BDVR-R 1997, 40, 44; Redeker DVBl 1982, 805, 809; Scholz DVBl 1982, 605, 611. 127 Armborst BDVR-R 1997, 44, 46; Buciek StuW 1999, 53, 54 f.; Eylmann u. a. (2004) S. 21 Rn 50; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 525. 128 Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 28; Everling (1986) S. 73; Graßhof Anhang IX (2005) S. 362; Oppermann (2005) S. 32; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 60.

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nicht mehr funktionsfähig.129 Auch bei diesen Gerichten sollten jedoch Grundsatzfragen und Verfahren mit besonders komplizierten Sach- und Rechtsfragen von größeren Spruchkörpern entschieden werden, da es in diesen Fällen erforderlich ist, dass innerhalb der Richterkollegien eine intensive Beratung stattfindet und derart wichtige Entscheidungen eine höchstmögliche Richtigkeitsgewähr bieten. Angesichts der Überlastung der Gerichte werden jedoch zunehmend auch solche Verfahren von kleineren Spruchkörpern bearbeitet, die aufgrund ihrer Bedeutung oder Komplexität eigentlich in den Aufgabenbereich der größeren Spruchkörper gehören.130 Die Aufgabe der kleineren Spruchkörper sollte vielmehr sein, die Vielzahl unproblematischer Fälle zügig und effektiv erledigen, um damit zur Verkürzung der Verfahrensdauer beizutragen. 3. Instanzenzug Auffällig ist, dass in Fällen überlanger Verfahrensdauer häufig ein Verfahren zugrunde liegt, das sich über mehrere Instanzen erstreckt hat. Als eine Ursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer wird daher die vielzitierte „Instanzenseligkeit“131 und die darin zum Ausdruck kommende „Hypertrophie des Rechtsstaats“132 angesehen. Was die Fülle der Instanzen in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess anbelangt, hat Deutschland im internationalen Vergleich lange Zeit die einsame Spitze eingenommen.133 Es begann mit einem zweistufigen Verwaltungsverfahren, an das sich ein grundsätzlich dreiinstanziges Gerichtsverfahren anschloss, nach dessen Abschluss der rechtsuchende Bürger auch noch Verfassungsbe-

129 Everling (1986) S. 73; Graßhof Anhang IX (2005) S. 362; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 60. 130 Graßhof Anhang IX (2005) S. 362; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 60. 131 Barton StV 1996, 690, 693 f.; Baur (1966) S. 3; Leisner (2003) S. 248; Eylmann RPfl 1998, 45, 48; Heß ZZP 108 (1995), 59, 104; Meyer-Goßner/Ströber StV 1997, 212, 214; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 73; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Rieß NStZ 1994, 409, 409; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 61; Sendler DVBl 1982, 157, 164; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 183; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 317 und 328; Weth NJW 1996, 2467, 2471; Wilfinger (1995) S. 203 Fn 3; Ziekow DÖV 1998, 941, 943. 132 Eylmann RPfl 1998, 45, 45; Harries-Lehmann (2004) S. 51; Kühnert DRiZ 1979, 349, 349; Mrugalla in: SZ vom 7. Dezember 2004 S. 11; Niesler (2005) S. 16; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 3; Schenke DÖV 1982, 709, 714; Schmelz (2004) S. 24; Schmidt DRiZ 1971, 77, 77; Sendler DVBl 1982, 157, 164 f.; Sendler in: FSStern (1997) S. 297, 307; Sendler NJW 2001, 1256, 1256; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 332; Ule DVBl 1978, 553, 561; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 180; Weber (1970) S. 92 f.; Wilfinger (1995) S. 23; Ziekow DÖV 1998, 941, 943. 133 Kopp BayVBl 1980, 263, 269; Kopp DVBl 1982, 613, 615; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181.

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schwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen kann.134 Gegebenenfalls können auch noch Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt werden. Das Abwarten von Entscheidungen anderer Gerichte verlängert die Verfahrensdauer oft erheblich.135 Hinzu kommen noch die Nebenverfahren, insbesondere solche, die dem vorläufigen Rechtsschutz dienen.136 Wird die sofortige Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts von der Behörde angeordnet oder eine begehrte Leistung verweigert, so steht dem Betroffenen insoweit wiederum ein neben dem Hauptverfahren abzuwickelnder grundsätzlich zweistufiger Rechtsschutz zu, der regelmäßig auch in Anspruch genommen wird. Das Nebeneinander von verschiedenen Verfahren in derselben Sache führt dazu, dass sich die Gerichte gegenseitig behindern, zum Beispiel weil die für die Fortführung des Hauptsacheverfahrens erforderlichen Akten gerade von einem anderen Instanzgericht im Rahmen des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz benötigt werden.137 Ein derart langer Instanzenzug führt somit leicht zu einer überlangen Verfahrensdauer.138 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 28. Juni 1978 im Fall König gegen Deutschland 139 dem geradezu perfektionistisch anmutenden Rechtsschutzsystem Deutschlands Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit angekreidet und dazu aufgefordert, daraus Konsequenzen zu ziehen und für Vereinfachungen zu sorgen.140 Ein zu langer Instanzenzug lässt nach Ansicht einiger Kritiker den Rechtsstaat zum „Rechtswegestaat“ mutieren.141 Manche betonen, dass auch in diesem Zusammenhang „weniger oft mehr“ wäre,142 warnen vor dem „totalen Rechtsstaat“143 oder sehen „Deutsch134 Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 153; Kopp BayVBl 1980, 263, 269; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 73; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181. 135 Dörr (2003) S. 232; Everling (1986) S. 73; Hakenberg ZEuP 8 (2000), 860, 862 ff.; Hakenberg DRiZ 2000, 345, 345; Heß ZZP 108 (1995), 59, 101; Ibler in: BK (2004) Art 19 IV Rn 218; Klinke (1989) S. 139; Lenz NJW 1993, 2664, 2665; Lenz EuGRZ 2001, 433, 433; List DB 2005, 571, 571; Middeke in: Rengeling u. a. (2003) § 10 Rn 11; Redeker NVwZ 2003, 641, 642; Satzger JA 1999, 367, 370; Schwarze (1988) S. 14; Sendler DVBl 1991, 300, 301; Stegh Anhang III (2005) S. 326; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 105. 136 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181 f. 137 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 182. 138 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 79; v. Feuerbach (1825) S. 109; Grawert DVBl 1983, 973, 978; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 448; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Klink SGb 1973, 431, 434; Kopp DVBl 1982, 613, 615; Kropp NJ 2005, 208, 208; Leisner (2003) S. 243 und 261; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 94; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 253; Schenke DÖV 1982, 709, 713 f.; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 182. 139 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 = EuGRZ 1978, 406, 406 ff. 140 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181 Fn 19.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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land auf dem Weg zum Richterstaat“,144 dessen überperfektionierter Rechtsschutz zu überlanger Verfahrensdauer führt.145 Das deutsche Rechtsschutzsystem wird teilweise als so opulent und unübersichtlich bezeichnet, dass es an „Erstickungsanfällen“ leide und daher „schlanker“ gemacht werden sollte.146 Die Gerichte seien zu schwerfällig und könnten vor lauter Kraft nicht gehen.147 An die Feststellung, Deutschland habe sich an seinem Rechtssystem „überfressen“,148 schließt sich dann konsequenterweise die Forderung nach einem „schlankeren“ Staat an.149 Zur Verkürzung der Verfahrensdauer wird daher von vielen über eine Reduzierung des Instanzenzugs diskutiert.150 141 Bettermann AöR 96 (1971), 528, 528; Endemann VBlBW 1994, 297, 297; Harries-Lehmann (2004) S. 19 und 43; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 104; Niesler (2005) S. 16; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 4; Schlette (1999) S. 16; SchmidtAßmann EuGRZ 1988, 577, 580; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 98; Stelkens NVwZ 1995, 325, 330 f.; Wilfinger (1995) S. 23. 142 Duden Zitate und Aussprüche (2002) S. 590; Otto (1994) S. 43; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 175 und 191. 143 Redeker in: Handelsblatt vom 9. April 2003 S. R1; Sendler VBlBW 1989, 41, 51. 144 Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 103; Sendler VBlBW 1989, 41, 50; Sendler in: FS-Stern (1997) S. 297, 307. 145 Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 542; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 307; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 175 ff. 146 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 71; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 59 ff.; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 177; Sendler in: FS-Stern (1997) S. 297, 307; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10. 147 Duden Redewendungen (2002) S. 439; Sendler VBlBW 1989, 41, 41; Sendler in: FS-Stern (1997) S. 297, 307. 148 Huff in: FAZ vom 8. Oktober 1993 S. 6. 149 Harries-Lehmann (2004) S. 275; Karpen in: FS-Leisner (1999) S. 989, 989; LaRoche-Thomé in: Pitschas/Koch (2002) S. 27, 40 f.; Lindemann ZRP 1999, 200, 200; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Redeker in: Handelsblatt vom 9. April 2003 S. R1; Stelkens NVwZ 1995, 325, 331. 150 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 79; Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 26 f.; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 458; Eyermann in: SZ vom 8. Februar 2005 S. 5; Eylmann RPfl 1998, 45, 48; Gössel GA 1979, 241, 244; Graßhof Anhang IX (2005) S. 360; Harries-Lehmann (2004) S. 15 f.; Hill JZ 1981, 805, 814; Horn Recht (2000) S. 30; Huff in: FAZ vom 8. Oktober 1993 S. 6; Jescheck JZ 1970, 201, 204; Klink SGb 1973, 431, 434 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 216; Kopp BayVBl 1980, 263, 269; Kopp DVBl 1982, 613, 615; Krumsiek/Frenzen DÖV 1995, 1013, 1026; Lindemann in: SZ vom 7. Dezember 2004 S. 11; Martin ZSchR NF 107/ 2 (1988), 1, 94; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 54; Meyer-Goßner/Ströber StV 1997, 212, 214; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 541; Otto (1994) S. 42 f.; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 20 und § 154 Rn 77; Pitschas ZRP 1998, 96, 99; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 70 und 83 f.; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 253; Sangmeister DStZ 1993, 31, 34; Schenke DÖV 1982, 709, 714 f.; Schlette (1999) S. 16; Sendler DVBl 1982, 157, 158; Sendler DVBl 1982, 923, 924; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181; Sendler DRiZ 1991, 111, 111; Sendler DVBl 1991, 300, 300; Sendler in: FS-Feldhaus (1999) S. 479, 480; Sendler (2000) S. 5; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Ule in: FS-Heymanns-Verlag (1965) S. 53, 77 ff.; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Weth NJW 1996, 2467, 2471.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Eine Reduzierung des Instanzenzugs wird teilweise jedoch auch höchst kritisch gesehen.151 Instanzenseligkeit und Rechtsmittelhypertrophie seien ein übertriebenes Vorurteil.152 Es sei bereits eine „schlanke“ Gerichtsbarkeit geschaffen worden, der eher Hypotrophie als Hypertrophie drohe.153 An der schlanken Justitia seien kaum Speckröllchen zu finden, und ihr eine weitere Diät verordnen zu wollen, könne nur zur Magersucht führen.154 Außerdem sei in der Regel die erste Instanz der hauptsächliche zeitliche Engpass.155 Wenn nur noch die erste Instanz eine so genannte Tatsacheninstanz sein soll, dann wäre jeder Rechtsanwalt gezwungen, jeden auch nur erdenklichen potentiellen Zeugen bereits in der ersten Instanz zu benennen und einvernehmen zu lassen, was zu einer Mehrarbeit des Gerichts führen würde.156 Außerdem zeige die Erfahrung, dass sich für die Beteiligten vielfach erst aus dem Urteil der ersten Instanz Lücken und Unzulänglichkeiten ihres Vortrags ergeben.157 Stünde ihnen keine zweite Tatsacheninstanz zur Verfügung, so würde dies nicht nur die Effektivität des Rechtsschutzes, sondern auch die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch die Verwaltungsgerichte beeinträchtigen.158 Daher sollte dem Bürger grundsätzlich ohne Einschränkungen eine zweite Tatsacheninstanz offen stehen.159 Die vielfach geforderte Einschränkung der Rechtsmittel160 sei deswegen abzulehnen,161 nicht zuletzt auch, weil beim Fehlen eines Instanzenzugs der Weg zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung verschlossen sei.162 Insbesondere wenn bereits im Verwaltungsverfahren eine detaillierte Überprüfung des Sachverhalts stattgefunden hat – was allerdings angesichts der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens163 nicht mehr in jedem Fall gewährleistet ist –, muss mit einer Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzugs jedoch keineswegs eine Schmälerung des Rechtsschutzes verbunden sein.164 Es ist ein Irrglaube, dass mehr Instanzen auch mehr Gerechtigkeit bedeuten.165

151 Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 31; Kopp DVBl 1982, 613, 615; Redeker RuP 1982, 51, 55; Wilfinger (1995) S. 205. 152 Dury DRiZ 1999, 160, 161. 153 Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 338. 154 Mackenroth notar 2005, 94, 95. 155 Neumann DRiZ 2000, 82, 82; Redeker RuP 1982, 51, 55; Schlette (1999) S. 17. 156 Kaiser in: SZ vom 7. Dezember 2004 S. 11; Kerscher in: SZ vom 14. Januar 2000 S. 7. 157 Kopp DVBl 1982, 613, 615. 158 Kopp DVBl 1982, 613, 615. 159 Kopp DVBl 1982, 613, 615. 160 Eylmann u. a. (2004) S. 7 Rn 7; Gössel GA 1979, 241, 244; Grassmann in: SZ vom 26. November 2004 S. 6; Klein DStZ 1988, 599, 604. 161 Meyer-Goßner in: SZ vom 7. Dezember 2004 S. 11. 162 Niehues Anhang VIII (2005) S. 352; Weth in: FS-Lüke (1997) S. 961, 962. 163 Stroh in: SZ vom 5. März 2007 S. 33.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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Tatsächlich erfordert eine Verkürzung des Instanzenzugs, dass bereits in der ersten Instanz Sachverhaltsdefizite vermieden werden müssen, die ansonsten möglicherweise nicht mehr beseitigt werden können.166 Dies könnte aber auch dem Trend entgegenwirken, dass die Akzeptanz erstinstanzlicher Urteile abnimmt,167 und daher zu einer Stärkung der ersten Instanz168 sowie zu einer Konzentration richterlicher Verantwortlichkeit im Instanzenzug führen.169 Das Grundgesetz garantiert grundsätzlich Gerichtsschutz nur durch ein Gericht, nicht aber auch einen Rechtsweg gegen Entscheidungen eines Richters.170 Die abschließende Entscheidung in möglichst nur einer Instanz verkürzt die Verfahrensdauer wesentlich und erleichtert es damit dem Gericht, dem Betroffenen rechtzeitig sein Recht zuzusprechen.171 Der Richter, gegen dessen Urteil kein Rechtsmittel mehr gegeben ist, wird sich hierdurch nicht zur Oberflächlichkeit oder Willkür verleiten lassen, sondern – gemäß der vom römischen Dichter Publilius Syrus überlieferten Sentenz „Deliberandum est diu quod statuendum est semel“ („Es ist längere Zeit zu bedenken, was ein für allemal festzusetzen ist“)172 – in dem Bewusstsein der ihm obliegenden Verantwortung zu einer noch sorgfältigeren Arbeit veranlasst.173 Er weiß, dass seine Entscheidungen sozusagen für die Ewigkeit geschrieben werden und trägt entsprechend mehr Verantwortung.174 Der Richter kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass etwaige Fehler in einer höheren Instanz korrigiert 164 Klink SGb 1973, 431, 434; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66; Schenke DÖV 1982, 709, 714 f.; Schmidt-Aßmann DVBl 1997, 281, 285. 165 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 27; Otto (1994) S. 42; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 234. 166 Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178. 167 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Wilfinger (1995) S. 203. 168 Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 460; Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178. 169 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56. 170 BVerfG (1. Senat) 21. Oktober 1954 Az 1 BvL 9/51, 2/53 BVerfGE 4, 74, 94 f.; BVerfG (2. Senat) 17. März 1988 Az 2 BvR 233/84 BVerfGE 78, 88, 99; BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1924; Borm (2005) S. 84; Duhme VR 2003, 37, 44; Geiger ZRP 1998, 252, 252; Graßhof Anhang IX (2005) S. 360; Herzog NJW 1992, 2601, 2601; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 31; Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Kissel/Meyer in: Kissel/Mayer (2008) Einleitung Rn 203; Koch in: Gräber (1997) § 1 Rn 14; Offerhaus (1985) S. 36; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 84; Quaas NVwZ 1998, 701, 702; Redeker RuP 1982, 51, 53 f.; Redeker NJW 1996, 1870, 1871; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 103; Schütz (2005) S. 286; Storost NordÖR 2005, 248, 249. 171 Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Otto (1994) S. 43. 172 Liebs (1998) S. 62 Nr. D20. 173 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 79; Niehues Anhang VIII (2005) S. 352. 174 Niehues Anhang VIII (2005) S. 352.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

werden, und wird dementsprechend eher noch gründlicher arbeiten als sonst.175 Durch eine Reduzierung des Instanzenzugs werden daher die erstinstanzlichen Gerichte zwar nicht entlastet, durch eine Entlastung der zweiten und gegebenenfalls dritten Instanz verringert sich jedoch die Verfahrensdauer insgesamt.176 Eine wirklich wirksame Beschleunigung der Gerichtsverfahren lässt sich nicht ohne eine Straffung des Verfahrensablaufs erreichen.177 In der derzeitigen Fassung der Verwaltungsgerichtsordnung gibt es bereits zahlreiche Ausnahmen von dem grundsätzlich dreiinstanzlichen Gerichtsverfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit.178 So wurden in den §§ 47 ff. der Verwaltungsgerichtsordnung erstinstanzliche Zuständigkeiten der Oberverwaltungsgerichte beziehungsweise Verwaltungsgerichtshöfe und sogar des Bundesverwaltungsgerichts begründet und in einigen Sondergesetzen ein Rechtsmittelzug von den Verwaltungsgerichten unmittelbar an das Bundesverwaltungsgericht vorgesehen.179 Auf diese Art und Weise wurde in einigen Rechtsgebieten bereits eine funktionelle Reduzierung der Instanzen verwirklicht, ohne eine der drei institutionellen Instanzen abzuschaffen.180 Eine komplette Abschaffung einer der drei Instanzen wäre angesichts des föderalen Aufbaus Deutschlands auch sehr problematisch, da abschließende Entscheidungen über Landesrecht in den Ländern und über Bundesrecht auf Bundesebene getroffen werden sollten. Auch die Einführung der Zulassungsberufung, auf die im Anschluss hieran genauer eingegangen wird [E. I. 4.], hat zu einer faktischen Reduzierung der Instanzen geführt.181 Die institutionelle Dreistufigkeit mit Verwaltungsgerichten, Oberverwaltungsgerichten beziehungsweise Verwaltungsgerichtshöfen und Bundesverwaltungsgericht schließt eine funktionelle Zweistufigkeit also nicht 175

Niehues Anhang VIII (2005) S. 352. Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 71. 177 Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 25; Eylmann RPfl 1998, 45, 46; Eylmann u. a. (2004) S. 3; Gössel GA 1979, 241, 244; Grassmann in: SZ vom 26. November 2004 S. 6; Jescheck JZ 1970, 201, 204; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Klink SGb 1973, 431, 434; Krumsiek RuP 1994, 127, 129; Kurth NJW 1978, 2481, 2481; Mackh (1991) S. 9; Martens ZRP 1985, 278, 280; Meyer-Ladewig/ Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 74; Otto (1994) S. 43; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 20 und § 154 Rn 77; Pitschas ZRP 1998, 96, 100; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 72; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 179 ff.; Winkler (2002) S. 32. 178 Graßhof Anhang IX (2005) S. 360; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 153; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 183. 179 Boecker in: SZ vom 6. Dezember 2005 S. 11; Clausing NVwZ 1992, 717, 718; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 153; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 70 f.; Redeker DVBl 1982, 805, 809; Scholz DVBl 1982, 605, 610; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 183 f. 180 Graßhof Anhang IX (2005) S. 360; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 184. 181 Graßhof Anhang IX (2005) S. 360; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 719; Niehues Anhang VIII (2005) S. 352. 176

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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aus.182 Dass durch diese Reduzierung des Instanzenzugs der Rechtsschutz notleidend geworden sei, ist dabei nicht zu erkennen.183 Es wird zwar immer wieder behauptet, wer den Instanzenzug reduziere, verkürze den Rechtsschutz. Wäre das richtig, würde jede Verlängerung des Instanzenzugs den Rechtsschutz verbessern, was jedoch niemand ernsthaft behauptet.184 Im Interesse eines effektiven und hinreichend schnellen Rechtsschutzes wäre es daher wünschenswert, die Mehrzahl aller Fälle in grundsätzlich maximal zwei gerichtlichen Instanzen zu erledigen. Ohne eine Straffung des Instanzenzugs kann die mit einer überlangen Verfahrensdauer verbundene Rechtsschutzverweigerung nicht effektiv beseitigt werden.185 4. Zulassungsberufung Als Maßnahme zur faktischen Reduzierung der Instanzen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit zur Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten wurde mit dem sechsten VwGO-Änderungsgesetz vom 1. November 1996186 durch die Änderung des § 124 VwGO und die Einführung des § 124a VwGO die Zulassungsberufung in der heute gültigen Form in die Verwaltungsgerichtsordnung eingeführt.187 Dem waren bereits Vorläuferregelungen vorausgegangen, die durch das Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978188 und durch das vierte VwGO-Änderungsgesetz vom 17. Dezember 1990189 eingeführt worden waren.190 Eine ähnliche Vorschrift findet sich auch in § 144 des Sozialgerichtsgesetzes.191 Mangels Berufungsinstanz in der Finanzgerichtsbarkeit enthält die Finanzgerichtsordnung keine vergleichbare Regelung.192 Der Einführung der Zulassungsberufung waren zahlreiche Diskussionen vorausgegangen und auch heute noch ist diese Maßnahme zur Entlastung der Ge182

Clausing NVwZ 1992, 717, 718; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175,

186. 183 Boecker in: SZ vom 6. Dezember 2005 S. 11; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 65; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 184. 184 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 187. 185 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 186 f. 186 BGBl 1996 I S. 1626. 187 Hien und die Präsidenten der OVGe/VGHe (2005) S. 1; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig (2005) § 144 Rn 1; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66 und 72 und § 124 Rn 1 und § 124a Rn 1 und 5. 188 BGBl 1978 I S. 446. 189 BGBl 1990 I S. 2809. 190 Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig (2005) § 144 Rn 1; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 67. 191 Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig (2005) § 144 Rn 1. 192 Ruban in: Gräber (1997) vor § 115 Rn 3.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

richte nicht unumstritten.193 Manche äußern erhebliche Bedenken gegen die Ersetzung der dem Bürger zuvor grundsätzlich zulassungsfrei zur Verfügung stehenden Berufung durch eine Zulassungsberufung.194 Sie halten den Entlastungseffekt für eher zweifelhaft, da es bei der Berufungsinstanz – anders als bei der Revisionsinstanz – in der Regel um eine Neuverhandlung der Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geht und Fragen der Grundsätzlichkeit und der Divergenz in der Regel keine wesentliche Rolle spielen.195 Für die Prüfung, ob ein Zulassungsgrund vorliegt, muss jedoch auf Fragen der Grundsätzlichkeit und der Divergenz eingegangen werden, was für die Gerichte eine zusätzliche Belastung bedeutet und vor allem mit Prüfungsarbeit verbunden ist, deren Ergebnisse für die spätere Sachentscheidung meist keine weitere Bedeutung haben.196 Hinzu kommt, dass im Berufungsverfahren ohne Anwaltszwang der rechtsunkundige Bürger mit der Formulierung einer Zulassungsbeschwerde in der Regel überfordert wäre.197 Angesichts der sehr kurzen Fristen stellt die Formulierung der Zulassungsgründe selbst für einen erfahrenen Rechtsanwalt eine anspruchsvolle Aufgabe dar.198 Außerdem wird kritisiert, dass die Berufungsrichter durch die Zulassungsentscheidung ein unkontrollierbares Mittel zur Steuerung ihrer eigenen Arbeitsbelastung erhalten und jede ablehnende Zulassungsentscheidung damit dem Verdacht ausgesetzt wäre, sie diene nur der Arbeitserleichterung.199 Darunter würde das Ansehen der Justiz leiden.200 Desweiteren wird kritisch angemerkt, die Zulassungsberufung führe zwar zu einer Entlastung der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe, doch wirke sich der Fortfall der zweiten Instanz und das daraus resultierende „Austrock193 Bader VBlBW 1997, 449, 451; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Johlen DÖV 2001, 582, 583 f.; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 154; Kopp DVBl 1982, 613, 615 f.; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Martens NVwZ 1993, 232, 233; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 544; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66 und § 124 Rn 66; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 104; v. Nieuwland NdsVBl 2005, 318, 319; Quaas NVwZ 1998, 701, 702 ff.; Redeker DVBl 1982, 805, 807 f.; Redeker DVBl 1992, 212, 215 f.; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 231; Sendler DVBl 1982, 812, 820; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 185; Sendler DVBl 1991, 300, 301; Stauch KJ 1992, 235, 235 und 238; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 4. 194 Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Kopp DVBl 1982, 613, 615; Redeker DVBl 1992, 212, 215 f.; Stauch KJ 1992, 235, 235; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 4. 195 BT-Drs 12/1217 S. 72; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Kopp DVBl 1982, 613, 615; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 740 Fn 27; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66; Redeker DVBl 1992, 212, 215 f. 196 Kopp DVBl 1982, 613, 615; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66; Redeker DVBl 1992, 212, 216. 197 Bader VBlBW 1997, 449, 451; Johlen DÖV 2001, 582, 583; Kopp DVBl 1982, 613, 615 f.; Redeker DVBl 1992, 212, 215. 198 Johlen DÖV 2001, 582, 583. 199 Busse NJW 2001, 1545, 1546; Streck AnwBl 1991, 326, 326. 200 Busse NJW 2001, 1545, 1546.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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nen“ des Bundesverwaltungsgerichts als Revisionsinstanz nachteilig auf die Fortentwicklung und Vereinheitlichung des Landes- und Bundesrechts aus.201 Andere halten die umfassende Einführung der Zulassungsberufung, die es dem Gericht ermöglicht, ersichtlich unbegründete Berufungen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss abzulehnen, für einen sinnvollen und wichtigen Beitrag zur Entlastung der Gerichte.202 Die Zulassungsberufung führt zu einer strafferen und beschleunigten Rechtsschutzgewährung und zu einer Entlastung der zweiten und damit auch der dritten Instanz.203 Zwar wird die erste Instanz – bei der besonders lange Verfahrenslaufzeiten vorherrschen – durch die Zulassungsberufung nicht entlastet, doch führt ein kürzerer Instanzenzug insgesamt zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer.204 Der Einführung der Zulassungsberufung liegt der richtige Gedanke zugrunde, dass die Berufung nicht immer, sondern nur in wichtigen Fällen gegeben sein sollte, in denen eine Überprüfung durch eine zweite Tatsacheninstanz von der Sache her angebracht ist.205 Im Einzelfall besteht natürlich die Gefahr, dass mangels Zulassung einige Fälle, bei denen ein Berufungsverfahren sinnvoll wäre, nicht in die nächste Instanz gelangen. Werden die Vorschriften zur Zulassungsberufung von den Gerichten jedoch in angemessener Weise ausgelegt und angewendet, so könne diese durchaus zu angemessenen Ergebnissen führen.206 Insgesamt hat sich die Zulassungsberufung bisher bewährt und bereits zur Entlastung zumindest der oberen Instanzen beigetragen.207

201 Bader VBlBW 1997, 449, 453; Redeker DVBl 1982, 805, 808; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159. 202 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Franßen DVBl 2001, 522, 523; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 740; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 544; Meyer-Ladewig/ Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66 und § 124 Rn 65; Scholz DVBl 1982, 605, 612; Sendler DRiZ 1991, 111, 111; Sendler DVBl 1991, 300, 301. 203 Franßen DVBl 2001, 522, 523; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 740; MeyerLadewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 71; Scholz DVBl 1982, 605, 612. 204 Franßen DVBl 2001, 522, 523; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 71. 205 Franßen DVBl 2001, 522, 523; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 65. 206 Franßen DVBl 2001, 522, 523; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 72. 207 Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Franßen DVBl 2001, 522, 523; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 544; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 65; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 185; Sendler DRiZ 1991, 111, 111.

94

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

5. Gerichtsbescheid Als eine weitere Möglichkeit zur Entlastung der Gerichte und damit zur Reduzierung der Verfahrensdauer wurde mit dem vierten VwGO-Änderungsgesetz vom 17. Dezember 1990208 durch die Änderung des § 84 VwGO der Gerichtsbescheid als urteilsvertretende Endentscheidung in die VwGO eingeführt.209 Dem war eine befristete Vorgängerregelung durch das Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978210 vorausgegangen.211 Ähnliche Regelungen enthalten auch § 105 des Sozialgerichtsgesetzes und § 90a der Finanzgerichtsordnung.212 Der Gerichtsbescheid ermöglicht es dem Gericht, nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn die Sache nach Ansicht des Gerichts keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.213 Die Pflicht zur mündlichen Verhandlung wird von vielen Richtern als „Nadelöhr“ betrachtet, das die zügige Erledigung vieler Verfahren behindert.214 Auch aufgrund der Beteiligung der ehrenamtlichen Richter in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die mündliche Verhandlung oft zu schwerfällig.215 Diese wirken deshalb an der Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht mit,216 wodurch eine Beschleunigung des Verfah208

BGBl 1990 I S. 2809. Aulehner in: Sodan/Ziekow (2006) § 84 Rn 3; Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2; Haas VBlBW 1991, 232, 234; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 27; Hofe/ Müller BayVBl 1995, 225, 227; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 150; Kuhla/ Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Leitherer in: Meyer-Ladewig (2005) § 105 Rn 1a; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 738; Martens NVwZ 1993, 232, 232; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 48; Schmieszek VR 1990, 149, 150; Sendler DVBl 1982, 157, 159; Sendler DVBl 1982, 812, 820; Sendler DVBl 1991, 300, 301; Stoll SchlHA 1993, 263, 265. 210 BGBl 1978 I S. 446. 211 Aulehner in: Sodan/Ziekow (2006) § 84 Rn 3; Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2; Leitherer in: Meyer-Ladewig (2005) § 105 Rn 1a. 212 Aulehner in: Sodan/Ziekow (2006) § 84 Rn 8; Benkel NZS 1995, 289, 289; Clausing in: Schoch u. a. (2004) §84 Rn 2; Koch in: Gräber (1997) § 90a Rn 1; Leitherer in: Meyer-Ladewig (2005) § 105 Rn 1a; Martens NVwZ 1993, 232, 232. 213 Bader VBlBW 1997, 449, 453 f.; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 27; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 738 f.; Martens NVwZ 1993, 232, 232; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Schmieszek VR 1990, 149, 150. 214 Eylmann u. a. (2004) S. 38 Rn 103; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 48; Schmieszek VR 1990, 149, 150; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 188. 215 Kramer NVwZ 2005, 537, 538 f.; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 48; Schütz (2005) S. 287 Fn 123; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 188. 216 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 9; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 738; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49; Schütz (2005) S. 287. 209

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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rens erreicht wird.217 Da es keine verfassungsrechtliche Garantie auf die Beteiligung ehrenamtlicher Richter gibt, ist der Grundsatz des gesetzlichen Richters durch diese Regelung nicht tangiert.218 Bedenken bezüglich des Gerichtsbescheids bestehen aber im Hinblick auf Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, nach dem die Beteiligten vor Gericht ein Recht auf zumindest eine mündliche Verhandlung in einer Instanz haben.219 Durch die Regelung in § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wird jedoch diesbezüglich ein Kompromiss gefunden, indem eine mündliche Verhandlung auf Antrag zuzulassen ist, wenn kein Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid gegeben ist.220 Anderenfalls muss eine mündliche Verhandlung zumindest im Rahmen des Rechtsmittels stattfinden.221 Auch wenn vereinzelt bezweifelt wird, dass eine nachträgliche mündliche Verhandlung hinsichtlich der Effektivität des rechtlichen Gehörs und der Unbefangenheit der Richter den Anforderungen des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention genügt,222 sorgt der in § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO gefundene Kompromiss doch dafür, dass auf Antrag des Betroffenen zumindest eine mündliche Verhandlung stattfindet.223 Außerdem können die Beteiligten gegen den Gerichtsbescheid gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Berufung einlegen, wenn diese zugelassen worden ist, oder nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wahlweise einen Zulassungsantrag stellen oder die mündliche Verhandlung beantragen.224 Wenn ein Beteiligter keinen Antrag auf mündliche Verhandlung stellt, ist insoweit von einem Verzicht auf die Rechte aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention auszugehen.225 Daher verstößt die Regelung des Gerichtsbescheids nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.226

217

Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 540; Schütz (2005) S. 287. Eylmann u. a. (2004) S. 20 Rn 48; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 541; Schütz (2005) S. 286 f. 219 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 6; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 309; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Kopp DVBl 1982, 613, 619 f.; MeyerLadewig DVBl 1979, 539, 540; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49; Sendler DVBl 1982, 812, 819. 220 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 6; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Kopp DVBl 1982, 613, 619. 221 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 6; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 309; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Kopp DVBl 1982, 613, 619. 222 Bader VBlBW 1997, 449, 454; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 309. 223 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 6; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Kopp DVBl 1982, 613, 619. 224 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 309; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Kopp DVBl 1982, 613, 619; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49. 225 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 309. 226 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 6. 218

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Die Einführung des Gerichtsbescheids hat anfangs zu einer deutlichen Entlastung der Verwaltungsgerichte geführt.227 Von der Möglichkeit, Gerichtsbescheide zu erlassen, ist von den Gerichten jedoch schon immer sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht worden.228 Bei einigen Kammern ist er stets die Ausnahme geblieben, andere haben ihn sehr häufig angewandt.229 Seit der Einführung der Zulassungsberufung im Jahr 1996 hat der Gerichtsbescheid allerdings erheblich an Bedeutung verloren.230 Aufgrund der seit der Einführung der Zulassungsberufung wenig berechenbaren Zulassungspraxis der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe wählen inzwischen die meisten Anwälte nicht mehr den Antrag auf Zulassung der Berufung, sondern die mündliche Verhandlung.231 Dadurch wurde die mündliche Verhandlung doch wieder notwendig und der Gerichtsbescheid ist damit im Hinblick auf die Verfahrensbeschleunigung für die Gerichte weniger interessant geworden.232 Durch die Einführung der Zulassungsberufung hat der Gesetzgeber ihn also faktisch seiner Wirkung beraubt.233 Damit erfüllt der Gerichtsbescheid den bei seiner Einführung beabsichtigten Zweck, zur Verfahrensbeschleunigung beizutragen, nur noch in Einzelfällen und erweist sich damit nicht mehr als besonders geeignetes Mittel zur Abhilfe gegen überlange Verfahrensdauer.234

227 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2 und 47; Kopp DVBl 1982, 613, 619; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 68; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Sendler DVBl 1982, 157, 159. 228 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 27; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49; Sendler DVBl 1982, 157, 159. 229 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 27; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49; Sendler DVBl 1982, 157, 159. 230 Aulehner in: Sodan/Ziekow (2006) § 84 Rn 7; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2 und 47; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 27; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Redeker in: FSKutscheidt (2003) S. 41, 49. 231 Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Kopp DVBl 1982, 613, 619; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 68; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49; Sauthoff BDVR-R 1998, 40, 41; Stelkens NVwZ 2000, 155, 159. 232 Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) § 124 Rn 68; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 101; Redeker DVBl 1992, 212, 216; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49. 233 Aulehner in: Sodan/Ziekow (2006) § 84 Rn 7; Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2 und 47; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66 und § 124 Rn 68; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 101; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 49. 234 Aulehner in: Sodan/Ziekow (2006) § 84 Rn 7; Clausing in: Schoch u. a. (2004) § 84 Rn 2 und 47; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 66

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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Für die oberen Instanzen,235 aber auch für das Bundesverfassungsgericht, den Europäischen Gerichtshof, das Europäische Gericht erster Instanz, oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte spielt der Gerichtsbescheid keine Rolle. 6. Präklusion Als ein weiteres Mittel, Gerichtsverfahren zu beschleunigen, wird oft auch die Präklusion, also die Verwirkung von Rechten bei verspätetem Vorbringen, genannt.236 Dahinter steht der Gedanke, dass die Tatsachen, die in erster Instanz problemlos hätten vorgetragen werden können, auch dort auf den Tisch gelegt werden sollten.237 In die Verfahrensordnungen, zum Beispiel in § 87b und § 128a der Verwaltungsgerichtsordnung, wurden bereits Präklusionsvorschriften eingeführt.238 Problematisch an der Präklusion ist, dass sie die Richtigkeit der rechtlichen Entscheidung gefährdet, da möglicherweise streitentscheidende Tatsachen nicht mehr für die Entscheidung berücksichtigt werden können.239 Außerdem wird die Justiz dadurch belastet, dass aus Sorge vor der Präklusion zur Sicherheit auch Überflüssiges vorgebracht wird.240 Andererseits ermöglichen Präklusionsvorschriften dem Richter, beabsichtigte Prozessverzögerungen seitens der Beteiligten zu unterbinden. Angesichts der drohenden Gefahren für die materielle Richtigkeit der Entscheidung sollte von den Präklusionsvorschriften jedoch nur in wirklich eindeutigen Fällen Gebrauch gemacht werden.241 Dass die Möglichkeit der Präklusion die Verfahrensdauer insgesamt verkürzen kann, ist eher zweifelhaft.242 Überhaupt keine Abhilfe versprechen und § 124 Rn 68; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 101. 235 Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 236 Baur (1966) S. 2; Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 2; Behrens NWVBl 1996, 121, 122; Beyer NJW 1988, 312, 314; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 461; Eylmann u. a. (2004) S. 37 Rn 99; Gensler (1821) S. VIII; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Kirchberg in: Ziekow (2004) S. 5, 59; Leisner (2003) S. 262; Henke ZZP 83 (1970), 125, 130 und 134; Mackh (1991) S. 9 ff.; Martens ZRP 1985, 278, 280; Otto (1994) S. 73; Redeker DVBl 1982, 805, 810; Redeker (2000) S. 26; Sangmeister DStZ 1993, 31, 34; Schenke DÖV 1982, 709, 715 f.; Schöpflin JR 2003, 485, 490; Scholz DVBl 1982, 605, 612; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 319; Stoll SchlHA 1993, 263, 266 f. 237 Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 461. 238 Eylmann u. a. (2004) S. 37 Rn 101; Johlen DÖV 2001, 582, 583; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 157; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717. 239 Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 4; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 53; Kopp DVBl 1982, 613, 618; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 349; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Stoll SchlHA 1993, 263, 266. 240 Lindemann AnwBl 1983, 389, 390; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 349. 241 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181. 242 Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Präklusionsvorschriften, wenn die Verzögerungen durch das Gericht verursacht wurden.243 7. Privatisierung von Teilen der Justiz und Übertragung von Aufgaben auf Notare Primär unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis, aber auch unter dem Aspekt, die Verfahrensdauer durch eine Entlastung der Gerichte zu verkürzen, wird zurzeit darüber diskutiert und teilweise bereits erprobt, Teile der Justiz zu privatisieren und Aufgaben auf Notare zu übertragen.244 So sollen Familienund Erbschaftsangelegenheiten weitgehend auf Notare verlagert werden245 und eventuell sogar außergerichtliche Scheidungen bei Notaren ermöglicht werden.246 Desweiteren ist eine Privatisierung des Gerichtsvollzieherwesens,247 der Gerichtshilfe und der Bewährungshilfe geplant.248 Dieser Privatisierung von

243

Stoll SchlHA 1993, 263, 266. Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Busse (2005) S. 50; Deutscher Anwaltverein (2005) S. 9; Eyermann in: SZ vom 8. Februar 2005 S. 5; Eylmann RPfl 1998, 45, 50; Eylmann u. a. (2004) S. 43 Rn 117 und S. 47 Rn 128 ff.; Grassmann in: SZ vom 26. November 2004 S. 6; Heims in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 7; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 427; Käppner in: SZ vom 27. Dezember 2005 S. 4; Kirchner notar 2005, 74, 75; Kohrs in: Bonner GA vom 25. November 2004 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 208; Kruis ZRP 2000, 1, 1 ff.; Mackenroth notar 2005, 94, 97; Prantl in: SZ vom 2. März 2005 S. 5; Prantl in: SZ vom 25. April 2005 S. 1; Prantl in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 4; Prantl in: SZ vom 2. Juni 2006 S. 8; Wagner ZRP 2000, 169, 169 ff.; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 12 f.; WerwigkHertneck DGVZ 2003, 113, 114 f.; Zypries in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10. 245 Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Busse (2005) S. 49; Deutscher Anwaltverein (2005) S. 9; Eylmann RPfl 1998, 45, 50; Eylmann u. a. (2004) S. 48 Rn 133 und S. 52 f. Rn 144 f.; Grassmann in: SZ vom 26. November 2004 S. 6; Heims in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 7; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 427; Kirchner notar 2005, 74, 76; Kohrs in: Bonner GA vom 25. November 2004 S. 2; Mackenroth notar 2005, 94, 96; Prantl in: SZ vom 2. März 2005 S. 5; Prantl in: SZ vom 25. April 2005 S. 1; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 13. 246 Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Eylmann RPfl 1998, 45, 50; Eylmann u. a. (2004) S. 53 Rn 145; Heims in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 7; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 427; Kirchner notar 2005, 74, 76; Kropp NJ 2005, 208, 208; Mackenroth in: Bonner GA vom 24./25. Dezember 2004 S. 4; Mackenroth notar 2005, 94, 96; Prantl in: SZ vom 25. April 2005 S. 1; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 13. 247 Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Busse (2005) S. 50; Deutscher Anwaltverein (2005) S. 9; Eyermann in: SZ vom 8. Februar 2005 S. 5; Eylmann u. a. (2004) S. 4 und S. 49 ff. Rn 135 ff.; Heims in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 7; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Kirchner notar 2005, 74, 75; Kohrs in: Bonner GA vom 25. November 2004 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 208; Mackenroth notar 2005, 94, 97; Prantl in: SZ vom 2. März 2005 S. 5; Prantl in: SZ vom 25. April 2005 S. 1; Prantl in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 4; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Prantl in: SZ vom 2. Juni 2006 S. 8; Roth/Karpenstein ZVI 2004, 442, 442 ff.; Werwigk-Hertneck DGVZ 2003, 113, 114 f.; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 12. 244

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

99

Teilen der Justiz liegt der Gedanke zu Grunde, in Zeiten der Haushaltseinsparungen müsse sich die Justiz auf ihre Kernaufgaben beschränken und nicht zwingend staatliche Aufgaben sollten auf Private übertragen werden,249 ein Gedanke auf dem auch die im Juli 2004 für das niedersächsische Justizministerium erstellte Studie „Zukunftsfähige Justiz – Strukturreform durch Konzentration auf ihre Kernaufgaben“ beruht.250 Ob und inwieweit durch eine teilweise Privatisierung der Justiz Kosten eingespart werden können oder ob nicht nur eine Verlagerung der Kosten erfolgt, ist bis heute nicht eindeutig geklärt und auch bezüglich der Auswirkungen auf die Verfahrensdauer bleiben die endgültigen Ergebnisse von den zur Zeit durchgeführten Modellversuchen abzuwarten.251 Darüber hinaus sollte bei den Überlegungen zur Privatisierung von Teilen der Justiz nicht vergessen werden, dass es sich bei der Justiz um einen Kernbereich der Staatsgewalt handelt, so dass, wenn überhaupt, nur unwesentliche Randbereiche privatisiert werden sollten. Daher ist zumindest für den Bereich der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte,252 aber auch für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, dem Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Gericht erster Instanz und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine teilweise Privatisierung der Justiz kein sinnvoller oder gangbarer Weg, um etwas an den langen Verfahrenslaufzeiten zu ändern. 8. Gesetzliche Höchstfristen für Gerichtsverfahren „Damit die Prozesse nicht fast unsterblich werden und die Spanne des menschlichen Lebens überschreiten, halten wir es für richtig, darüber sogleich ein Gesetz zu geben. So verordnen wir, dass alle vermögensrechtlichen Prozesse, welchen Streitwert sie auch immer haben, nicht über die Dauer von drei Jahren von der Rechtshängigkeit an hinausgezogen werden dürfen. Jeder weiß doch, dass die Dauer der Prozesse vorzüglich von dem richterlichen Einfluß abhängt; wenn es die Richter 248 Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Brause BewHi 2002, 194, 203; Dörries in: SZ vom 15./16. Januar 2005 S. 6; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 427; Käppner in: SZ vom 27. Dezember 2005 S. 4; Meyer BewHi 2004, 272, 272 und 282; Steindorfner BewHi 2004, 242, 243 und 249. 249 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 393; Busse (2005) S. 48 ff.; Dörries in: SZ vom 15./16. Januar 2005 S. 6; Eylmann u. a. (2004) S. 3 und S. 6 Rn 6 und S. 43 Rn 117; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 422; Kirchner notar 2005, 74, 74; Kruis ZRP 2000, 1, 1; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Mayen DRiZ 2005, 223, 223; Weth ZRP 2005, 119, 121. 250 Eylmann u. a. (2004) S. 3 und S. 6 Rn 6 und S. 43 Rn 117. 251 Busse (2005) S. 50; Käppner in: SZ vom 27. Dezember 2005 S. 4; Kirchner notar 2005, 74, 76; Weth ZRP 2005, 119, 121; Zypries in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10. 252 Käppner in: SZ vom 27. Dezember 2005 S. 4; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353.

100

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

selbst nicht wollen, so wird sich keiner erdreisten, einen Prozeß gegen die Vorsätze des Richters zu verschleppen.“253

Diese Anordnung verkündete der römische Kaiser Justinian in seinem „Codex Iustitianus III 1, 13 – de iudicis“ und versuchte durch die Festlegung einer Höchstdauer für Gerichtsverfahren von drei Jahren dem Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer entgegenzuwirken. Leider sind keinerlei Quellen überliefert, anhand derer nachzuweisen wäre, ob diese Anordnung an der Langsamkeit der byzantinischen Justiz etwas bessern konnte.254 Auch den preußischen Monarchen war sehr viel an der Wirksamkeit ihrer Rechtspflege gelegen und so versuchten sie die Justiz durch scharfe Gesetze zu zügigerer Arbeit anzuhalten, unter anderem durch die Anordnung von maximalen Verfahrenslaufzeiten.255 Den Anfang der preußischen Beschleunigungsgesetze machte eine „Allgemeine Ordnung, die Verbesserung des Justiz-Wesens betreffend“ vom 21. Juni 1713, die den Willen von Friedrich Wilhelm I. (1688– 1740), dem König von Preußen (1713–1740) folgendermaßen kundgibt: „Dass in jeder Instanz die Haupt-Sachen, die zur schriftlichen Deduction und Ausführung verwiesen worden, innerhalb Jahr und Tag, die aber durch mündliches Verfahren und Recessieren erörtert und abgethan werden können, allemahl wo möglich innerhalb wenigen Monathen entschieden werden sollen.“256

Um das bevorzugte Ziel der damaligen Prozessgesetzgebung – den Abschluss aller Rechtsstreitigkeiten binnen Jahresfrist – durchzusetzen, ordnete Friedrich der Große (1712–1786), König von Preußen (1740–1786), im Jahr 1745 an, dass „alle Processe, nach Beschaffenheit derer Sachen, sonder alle Weitschweifigkeiten und Verzögerungen nach wahrem Rechte kurz und gut in jeder Jahresfrist abgethan und entschieden werden mögen.“257 Außerdem wurde am 3. April 1748 in einer selbstständigen Ausgabe ein frühes Werk des Monarchen veröffentlicht, das „Project des Codicis Fridericiani, oder eine, nach Sr. Königl. Majestät von Preussen Selbst vorgeschriebenem PLAN entworfene Cammer-Gerichts-Ordnung, nach welcher alle Processe in einem Jahr durch drey Instanzen zum Ende gebracht werden sollen und müssen“.258 Dass man bei der Umsetzung dieser Beschleunigungsziele nicht zimperlich und allzu besorgt um die Frage der Gerechtigkeit zu Werke ging, zeigt die Devise „Marsch, marsch, was fällt, das fällt!“ des preußischen Großkanzlers Philipp Joseph Pandin de Jariges.259 Aus vielen Orten der Monarchie trafen Er253 254 255 256 257 258 259

Henke ZZP 83 (1970), 125, 137. Henke ZZP 83 (1970), 125, 137. Henke ZZP 83 (1970), 125, 138; Küng-Hofer (1984) S. 1; Niesler (2005) S. 83 f. Henke ZZP 83 (1970), 125, 139. Büsching (1790) S. 237. Henke ZZP 83 (1970), 125, 139. Henke ZZP 83 (1970), 125, 140 f.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

101

folgsmeldungen über die Anzahl der erledigten Prozesse ein und insbesondere unmittelbar vor und während der Visiten von Abgesandten des Königs bei den Gerichten wurden teilweise mehrere tausend Verfahren innerhalb kürzester Zeit erledigt.260 Auch wenn der Eifer der Richter zu dieser Zeit aufgrund des strengen Justizregiments der Könige und der neuen Prozessgesetze besonders stark war, trat dennoch keine andauernde Besserung der Situation ein und Friedrich Wilhelm I. musste 1722 und noch einmal 1739 eingestehen: „Ich habe alles angewandt, daß die Justiz gut und kurz gefasst sein solle, aber leider habe ich nicht reussirt.“261 Den Versuchen der Landesherren, überlange Verfahrensdauer durch Höchstfristen zu verhindern, innerhalb derer der Rechtsstreit beendet sein musste, war demnach kein andauernder Erfolg beschieden.262 Vielmehr stellte Friedrich der Große in einem Reskript aus dem Jahre 1775 an den preußischen Großkanzler Carl Fürst von Kupferberg fest: „. . . begann die Justiz immer wieder einzuschlafen.“263 Anhand der zahlreichen erhaltenen Berichte aus der preußischen Geschichte des 18. Jahrhunderts lässt sich insofern recht gut beurteilen, dass diese Beschleunigungsversuche langfristig kein wirksames Mittel gegen die lange Dauer vieler Gerichtsverfahren darstellten.264 Um dem Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer zu begegnen, wird auch heute noch vereinzelt über die Einführung gesetzlicher Höchstfristen für die Länge von Gerichtsverfahren diskutiert.265 Angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahrensgegenstände, die sowohl generell als auch im Einzelfall einen erheblich unterschiedlichen Zeitaufwand bei der Fallbearbeitung erfordern, können jedoch keine absoluten zeitlichen Vorgaben für die Qualitätsbeurteilung gerichtlichen Rechtsschutzes herangezogen werden.266 Außerdem müssten derartige Fristen notgedrungen relativ lang bemessen sein und würden damit unter Umständen bei einfachen Sachen zu weiteren Verzögerungen führen, wenn die Fristen auch in diesen Fällen ausgenutzt werden dürften.267 Andererseits muss eine Verlängerungsmöglichkeit für besonders umfangreiche Sachen vorgesehen 260

Henke ZZP 83 (1970), 125, 141. Henke ZZP 83 (1970), 125, 141. 262 Henke ZZP 83 (1970), 125, 136; Küng-Hofer (1984) S. 1. 263 Henke ZZP 83 (1970), 125, 136 Fn 52. 264 Henke ZZP 83 (1970), 125, 136. 265 Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Klose NJ 2004, 241, 244; Niesler (2005) S. 84 f.; Otto (1994) S. 173 ff.; Schlette (1999) S. 29; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 441 f.; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 111. 266 Klose NJ 2004, 241, 244; Roller DRiZ 2007, 82, 87; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1136. 267 Niesler (2005) S. 90; Roller DRiZ 2007, 82, 87; Schlette (1999) S. 29; Sendler (2000) S. 7; Sendler NJW 2001, 1256, 1257; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 111. 261

102

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

werden, womit aber gerade der Zweck der festen zeitlichen Begrenzung preisgegeben würde.268 Daher wird die Einführung fester gesetzlicher Höchstfristen für Gerichtsverfahren zur Verkürzung der Verfahrensdauer zu Recht fast einhellig abgelehnt.269 9. Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten Unter dem Aspekt der Effektivitätssteigerung wird schon seit Jahrzehnten und in letzter Zeit wieder verstärkt über die Zusammenlegung der Verwaltungsund Sozialgerichtsbarkeit – teilweise auch der Finanzgerichtsbarkeit – zu einer einheitlichen Gerichtsbarkeit sowie über eine Vereinheitlichung ihrer Prozessordnungen diskutiert.270 Teilweise wird kritisiert, dass mit der verfassungsmäßigen Festschreibung einer fünfgliedrigen Fachgerichtsbarkeit auf Bundesebene die Weichen für ein breit ausgebautes System von Spezialgerichtsbarkeiten gestellt wurden, in denen sich die einzelnen Sparten der Justiz immer weiter voneinander entfernen und ihre Besonderheiten, die sie offenbar als identitätsstiftend betrachten, eifersüchtig pflegen.271

268

Niesler (2005) S. 88; Schlette (1999) S. 29; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102,

111. 269 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 10; Klose NJ 2004, 241, 244; Niesler (2005) S. 85; Roller DRiZ 2007, 82, 87; Schlette (1999) S. 29; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1136; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 111. 270 Berlit BJ 2004, 226, 226 ff.; Bertrams DVBl 2006, 997, 1004; Busse (2005) S. 13 und 21 f. und 39 ff.; Deutscher Anwaltverein (2005) S. 2; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom 3. November 2005; Eyermann in: SZ vom 8. Februar 2005 S. 5; Eylmann u. a. (2004) S. 17 Rn 41; Flint DRiZ 2004, 217, 217 und 221; Heims in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 7; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Hien DVBl 2005, 348, 349; Hien und die Präsidenten der OVGe/VGHe (2005) S. 1; Hill JZ 1981, 805, 815; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 213; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 226 f.; Jung BDVR-R 1998, 10, 13; Kohrs in: Bonner GA vom 25. November 2004 S. 2; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Kohrs in: Bonner GA vom 13. Dezember 2005 S. 5; Kruschinsky RuP 2004, 73, 74; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 737 f.; Mackenroth notar 2005, 94, 96; Martens ZRP 1985, 278, 278; Meyer BDVR-R 2005, 130, 130; Meyer NJW 2007, Heft 15, Editorial; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 74; Müller-Piepenkötter (2005) S. 2; v. Nieuwland NdsVBl 2005, 318, 319; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 86; Prantl in: SZ vom 2. März 2005 S. 5; Prantl in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 4; Prantl in: SZ vom 2. Juni 2006 S. 8; Redeker DVBl 1970, 233, 233; Redeker DVBl 1977, 132, 132; Redeker DVBl 1982, 805, 805; Redeker DVBl 1992, 212, 212; Redeker NVwZ 2003, 641, 642; Redeker NJW 2004, 496, 496 ff.; Redeker AnwBl 2004, 417, 417 ff.; Schild/Weth in: FS-Ress (2005) S. 1555, 1555; Schmieszek VR 1990, 149, 149; Scholz DVBl 1982, 605, 605; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8 f.; Verstegen in: Pitschas (1999) S. 173, 181; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 13; Weth ZRP 2005, 119, 119. 271 Eylmann RPfl 1998, 45, 45; Eylmann u. a. (2004) S. 17 Rn 41; Prantl in: SZ vom 2. Juni 2006 S. 8; Redeker DVBl 1982, 805, 806.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

103

Als Argument für eine Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten wird zum einen das Gebot der Rechtswegklarheit angeführt.272 Bei einer einheitlichen Gerichtsbarkeit für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten müssten Bürger und Anwälte nicht mehr darauf achten, welche Gerichtsbarkeit für ihren konkreten Fall zuständig ist. Die Behauptung, die Zusammenlegung entlaste den Bürger und die Anwälte von komplizierten Zuständigkeitsfragen, trifft jedoch nicht zu, da es komplizierte Zuständigkeitsfragen zwischen den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten kaum gibt.273 Die oftmals viel schwierigere Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten würde hingegen bestehen bleiben. Zum anderen dient der bessere Ausgleich von Belastungsunterschieden zwischen den Gerichtsbarkeiten als Argument für eine Zusammenlegung.274 Dieses Argument hat mit der Verlagerung der Sozialhilfestreitigkeiten von der Verwaltungs- an die Sozialgerichtsbarkeit an Gewicht gewonnen.275 Aufgrund dieser Zuständigkeitsverlagerung fehlen den Sozialgerichten Richter, während an den Verwaltungsgerichten die zuvor mit Sozialhilfestreitigkeiten befassten Richter anderweitig eingesetzt werden müssen.276 Da sich jedoch einige Richter freiwillig von den Verwaltungs- an die Sozialgerichte haben versetzen lassen, hat dieses Argument inzwischen etwas an Bedeutung verloren.277 Zutreffend bleibt jedoch die Aussage der Befürworter der Zusammenlegung, der Zusammenschluss biete den Vorteil größerer persönlicher Flexibilität, also die Möglichkeit des Einsatzes von Richtern an den Stellen, an denen sie benötigt werden.278 Allerdings wird diese größere Flexibilität auch kritisch gesehen, da durch die Zusammenlegung weniger Spezialisierung der Richter möglich sei und dadurch Sachkompetenz verloren gehe.279 Dem wird jedoch zu Recht entgegen gehalten, dass die organisatorische Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten eine Speziali272

Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 86. Kruschinsky RuP 2004, 73, 74. 274 Bertrams DVBl 2006, 997, 1004; Eylmann u. a. (2004) S. 17 Rn 41; Flint DRiZ 2004, 217, 221; Hien DVBl 2005, 348, 349; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 214; Kruschinsky RuP 2004, 73, 74; Meyer BDVR-R 2005, 130, 130; Meyer NJW 2007, Heft 15, Editorial. 275 Bertrams DVBl 2006, 997, 1004; Büser in: Bonner GA vom 26. Januar 2007 S. 5; Hien DVBl 2005, 348, 350; Hochschild/Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 214; Kruschinsky RuP 2004, 73, 74; Kuhr in: SZ vom 29. Januar 2008 S. 5; Meyer NJW 2007, Heft 15, Editorial. 276 Meyer NJW 2007, Heft 15, Editorial; Pfundt in: Bonner GA vom 29. Januar 2008 S. 5. 277 Hien DVBl 2005, 348, 350. 278 Bertrams DVBl 2006, 997, 1005; Eylmann u. a. (2004) S. 18 Rn 43; Kruschinsky RuP 2004, 73, 76; Meyer NJW 2007, Heft 15, Editorial. 279 Deutscher Richterbund Stellungnahme vom 3. November 2005; Kruschinsky RuP 2004, 73, 76; Müller-Piepenkötter (2005) S. 2. 273

104

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

sierung von Richtern nicht ausschließt.280 Auch bei einer einheitlichen Gerichtsbarkeit für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten könnten besondere Spruchkörper für einzelne Rechtsgebiete gebildet werden.281 Damit würde als Vorteil eine höhere Flexibilität gewonnen, ohne dass damit der Nachteil einer geringeren Spezialisierung der Richter einherginge. Ob durch die Zusammenlegung die Verfahrenslaufzeiten reduziert und Kosten eingespart werden können, ist aus heutiger Sicht reine Spekulation.282 Die von den Befürwortern einer Zusammenlegung angeführten Synergieeffekte und Kosteneinsparungen sind jedenfalls nicht nachvollziehbar belegt.283 Möglicherweise besteht sogar die Gefahr, dass durch die Zusammenlegung Gerichtsgrößen erreicht werden, die weit über dem zur effektiven Aufgabenerledigung vertretbaren Optimum liegen.284 Bisher hat sich bei Geschäftsprüfungen fast immer gezeigt, dass kleinere Gerichte deutlich bessere Verfahrenslaufzeiten aufweisen als größere Gerichte.285 Letztendlich lässt sich aus heutiger Sicht nicht abschließend beurteilen, ob eine Zusammenlegung der Gerichtsbarkeiten im Hinblick auf die Dauer der Gerichtsverfahren positive oder negative Auswirkungen haben würde. Ein Wundermittel zur Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten ist sie jedenfalls auf keinen Fall. Schließlich ergibt die Zusammenlegung von drei Kranken keinen Gesunden oder auch nur Gesünderen.286 Da eine Zusammenlegung einen gewaltigen organisatorischen Kraftaufwand erfordern würde, sowie einer breiten Unterstützung auf politischer Ebene und durch die Richterschaft selbst bedarf, wird aus ihr vorläufig nichts werden.287 Zumindest in nächster Zeit ist eine Zusammenlegung der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit nicht realisierbar.288

280 Eylmann u. a. (2004) S. 17 Rn 41; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 13; Meyer BDVR-R 2005, 130, 130. 281 Eylmann u. a. (2004) S. 17 Rn 41; Meyer BDVR-R 2005, 130, 130. 282 Deutscher Richterbund Stellungnahme vom 3. November 2005; Kruschinsky RuP 2004, 73, 75. 283 Deutscher Richterbund Stellungnahme vom 3. November 2005; Hochschild/ Schulte-Kellinghaus DRiZ 2004, 213, 213; Kruschinsky RuP 2004, 73, 75; Müller-Piepenkötter (2005) S. 2. 284 Kruschinsky RuP 2004, 73, 75. 285 Niehues Anhang VIII (2005) S. 349. 286 Busse (2005) S. 13; Deutscher Anwaltverein (2005) S. 2; Kerscher in: SZ vom 6. Mai 2005 S. 9. 287 Hien DVBl 2005, 348, 350; Lindemann ZRP 1999, 200, 204. 288 Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 227; Jung BDVR-R 1998, 10, 13; Redeker DVBl 1982, 805, 806.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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10. Spezielle Entlastungsmöglichkeiten für das Bundesverfassungsgericht Als Abhilfemöglichkeit gegen die überlange Verfahrensdauer beim Bundesverfassungsgericht wurde von der 1996 eingesetzten „Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts“ vorgeschlagen, die Annahme von Verfassungsbeschwerden in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts zu stellen.289 Nach den Vorstellungen dieser Kommission sollte dem Bundesverfassungsgericht für die Annahme von Verfassungsbeschwerden eine Auswahlkompetenz eingeräumt werden, deren Ausübung an der besonderen Bedeutung der Entscheidung des Gerichts für die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage oder für den Schutz der Grundrechte zu orientieren ist.290 Damit orientierte sich die Kommission an dem „writ of certiorari“-Verfahren des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika.291 Die Einführung dieser Entlastungsmaßnahme für das Bundesverfassungsgericht hätte jedoch eine Grundgesetzänderung erfordert und wurde daher bis jetzt angesichts des Fehlens der dafür erforderlichen Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht umgesetzt. Die Einräumung eines Ermessens bei der Annahme von Verfassungsbeschwerden wäre die wirkungsvollste Maßnahme, um dem Bundesverfassungsgericht den zur Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit dringend benötigten Freiraum zu schaffen.292 Die Richter könnten unbegründete Verfassungsbeschwerden noch zügiger als bisher erledigen und dafür die wirklich wichtigen Verfassungsbeschwerdeverfahren und sonstigen Verfahren am Bundesverfassungsgericht sowohl gründlicher als auch in angemessener Zeit abschließen.293 Im Hinblick auf eine Verkürzung der Verfahrensdauer wäre die Annahme von Verfassungsbeschwerden nach dem Ermessen des Gerichts daher sehr zu begrüßen. Als eine weitere Entlastungsmöglichkeit für das Bundesverfassungsgericht wurde von der „Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts“ die Abgabe der Verfahrensgrundrechtebeschwerde an die obersten Bundesgerichte angedacht.294 Nach diesem Vorschlag soll die Entscheidung über einige Verfahrensgrundrechte, zu denen auch das Recht auf ein Verfahren in angemessener Frist gehört, von den obersten Bundesgerichten grundsätzlich abschließend entschieden werden.295 Dadurch würde das Bundesverfassungsgericht maßgeblich 289 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 15; Schmidt-Jortzig in: Bundesjustizministerium (1998) S. 3, 3. 290 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 15 f. 291 Klein in: FS-Graßhof (1998) S. 367, 367. 292 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 33. 293 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 32 f. 294 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 77 ff.; Graßhof Anhang IX (2005) S. 360; Jessen in: FAZ vom 16. Februar 1998 S. 10. 295 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 77; Graßhof Anhang IX (2005) S. 360.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

entlastet und dadurch könnte die Verfahrensdauer an diesem Gericht erheblich verkürzt werden.296 Außerdem würden die Fachgerichte dazu gezwungen, sich noch nachhaltiger mit den Verfahrensgrundrechten zu befassen.297 Ein erster geringfügiger Schritt in die Richtung, die Verfahrensgrundrechte von den Fachgerichten entscheiden zu lassen, wurde inzwischen mit der Einführung der Anhörungsrüge unternommen.298 Der wesentliche Unterschied der Anhörungsrüge zu diesem Entlastungsvorschlag ist jedoch, dass bei der Abgabe der Verfahrensgrundrechtebeschwerde an die Fachgerichte diese Gerichte abschließend entscheiden sollen.299 Insgesamt wurde diese Entlastungsmaßnahme von der Mehrheit der Kommission jedoch abgelehnt, da einer geringfügigen Entlastung des Bundesverfassungsgerichts durch diese Maßnahme eine Mehrarbeit der anderen Gerichte gegenüber stehen würde.300 Tatsächlich würde eine Verlagerung der Zuständigkeit für die Verfahrensgrundrechtebeschwerde nur zu einer Verlagerung der Belastung führen, nicht aber insgesamt zur Verkürzung der Verfahrensdauer führen. Daher ist dies keine sinnvolle Abhilfemöglichkeit zur Verkürzung der Verfahrensdauer. 11. Kompliziertheit des Rechts und Normenflut „Lorsqu’une loi n’est pas nécessaire, il est nécessaire de ne pas faire la loi.“ („Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen.“)

Diese dem französischen Schriftsteller und Staatsphilosophen Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689–1755) zugeschriebene Mahnung richtet sich an den Gesetzgeber und versucht diesen davon zu überzeugen, keine unnötigen Gesetze zu erlassen. Eine solche Mahnung scheint auch in heutiger Zeit dringend erforderlich zu sein, denn die „Kompliziertheit des Rechts“301 sowie die vielzitierte „Gesetzesflut“302 oder „Normenflut“303 296

Graßhof Anhang IX (2005) S. 360. Graßhof Anhang IX (2005) S. 360. 298 Graßhof Anhang IX (2005) S. 360. 299 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 77. 300 Benda u. a. in: Bundesjustizministerium (1998) S. 5, 82; Graßhof Anhang IX (2005) S. 360. 301 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Baumgärtel JZ 1971, 441, 443; Baur (1966) S. 6; Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 72; Bertrams NWVBl 1999, 245, 246; Blankenburg ZRP 1992, 96, 97; Brudermüller in: SZ vom 10. Mai 2005 S. 5; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 20; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Dombert SächsVBl 1995, 73, 73; Dury DRiZ 1999, 160, 160; v. Els FamRZ 1994, 735, 735 Fn 2; Fischer DÖV 1988, 1040, 1042 f.; Gasser ThürVBl 2003, 97, 100; Geiger ZRP 1998, 252, 254; Gössel in: Juristentag (1994) S. C15; v. Groll in: Gräber (2006) vor § 1 Rn 1; Harries-Lehmann (2004) S. 15; Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 481; Kempf AnwBl 1996, 561, 564; Kempf AnwBl 1997, 75, 76; Kempf StV 1997, 208, 210; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 222; Klein DStZ 1988, 599, 599; Klink SGb 1973, 431, 297

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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wird als eine weitere Ursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer angesehen. Die zunehmende gesetzliche Durchnormierung nahezu sämtlicher Lebensbereiche und die immer weiter zunehmende Regulierungsdichte haben zu einem stetigen Aufgabenzuwachs und zu beständig steigenden Anforderungen für die Gerichte geführt.304 Bereits im ersten Jahrhundert nach Christus stellte der römische Historiker und Politiker Gaius Cornelius Tacitus fest: „Je schlechter der Staat, desto mehr Gesetze erlässt er“ („Pessima res publica, plurimae leges“)305 und „Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen“.306 Im Paradies brauchte man nur eine Vorschrift: das Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen. Moses erhielt bereits zehn Gebote; die Römer kamen mit zehn Tafeln aus, die fast jeder Römer auswendig kannte; und der erste Jahrgang des Reichsgesetzblatts enthielt noch 413 Seiten, während das heutige Bundesgesetzblatt mehrere tausend Seiten umfasst.307 Heute werden innerhalb eines Jahres so viele Gesetze im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wie vor hundert Jahren innerhalb von zehn Jahren.308 Der Ausstoß nimmt Jahr für Jahr quantitativ zu und Normen werden geradezu am Fließband erzeugt.309 Diese hektische Gesetzgebungstätigkeit wirft oft neue Zweifelsfragen auf, die anschließend von den Gerichten geklärt werden müs-

432 und 434; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 206; List DB 2005, 571, 571; Löwer Anhang IV (2005) S. 329; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Redeker NJW 2002, 2756, 2757; Redeker in: Handelsblatt vom 9. April 2003 S. R1; Redeker in: Handelsblatt vom 11. August 2004 S. 34; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 792; Schlette (1999) S. 16; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 97; Sendler DVBl 1982, 157, 164; Sendler DÖV 1989, 482, 488; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 333; Stöcker in: FSFelix (1989) S. 429, 437; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 161; Weth NJW 1996, 2467, 2472; Widmaier NStZ 1994, 414, 414 f. 302 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 71; Busse (2005) S. 6; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; Franßen in: SZ vom 15. Februar 1995 S. 5; Horn Rechtsstaat (2000) S. 18; Kopp BayVBl 1980, 263, 269; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 127; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Schenke DÖV 1982, 709, 712; Stelkens NVwZ 1995, 325, 334; Walther LKV 1995, 288, 289; Weth ZRP 2005, 119, 119. 303 Behrens NWVBl 1996, 121, 122; Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 71 Fn 127 und Rn 73; Geiger ZRP 1998, 252, 254; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 102; Klein DStZ 1988, 599, 600; Redeker ZRP 2004, 160, 161; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 251; Stelkens NVwZ 1995, 325, 330. 304 Papier DRiZ 2006, 261, 265; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1136. 305 Bayer (2003) S. 405 Nr. 1912; Walther (1965) S. 814 Nr. 21433b. 306 Klein DStZ 1988, 599, 601. 307 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; Horn Rechtsstaat (2000) S. 18; Klein DStZ 1988, 599, 601. 308 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 73; Horn Rechtsstaat (2000) S. 18. 309 Redeker ZRP 2004, 160, 161.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

sen.310 Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers lassen nicht nur ganze Bibliotheken zur Makulatur werden, wie der Rechtsphilosoph Julius Hermann von Kirchmann (1802–1884) in einem Vortrag mit dem Titel „Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ im Jahre 1847 zutreffend festgestellt hat,311 sondern erschüttern oft unbeabsichtigt auch eine seit Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung der Gerichte. Immer wieder sind neue Gesetze auch schlicht ungenügend redigiert und enthalten handwerkliche Mängel.312 Schon der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) meinte: „Wer weiß, wie Gesetze und Würste gemacht werden, kann nicht mehr ruhig schlafen.“313 Eine vernünftige Beratung innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens findet heute vielfach gar nicht mehr statt, sondern Gesetze werden „im Schweinsgalopp“ verabschiedet oder im Vermittlungsausschuss bei Nacht und Nebel unter politischem Druck „zusammengezimmert“.314 Es wird versucht, die eigentlich für eine Rechtsförmlichkeitsprüfung und ähnliche Kontrollen erforderliche Zeit abzukürzen, weil die Gesetzesentwürfe als politisch so wichtig angesehen werden, dass sie unbedingt schnell „durchgeboxt“ werden müssen.315 Vielfach wird dabei gegen den Grundsatz „Fixigkeit geht nicht über die Richtigkeit“ verstoßen.316 Oft beruhen Gesetzestexte auch auf politischen Kompromissen innerhalb der regierenden Koalitionen und im Rahmen des Vermittlungsausschusses, die viele Streitfragen offen lassen.317 Anschließend fragen sich die Gesetzesadressaten dann, was der Gesetzgeber eigentlich gemeint hat.318 Auch fehlende Gesetzesbegründungen tragen zu dieser Unsicherheit bei.319 Ein Paradebeispiel für eine solche gesetzestechnische Fehlleistung bietet die im Vermittlungsausschuss zustande gekommene Verlagerung der Zuständigkeit für die Sozialhilfe von den 310 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Busse (2005) S. 6; Dauner-Lieb AnwBl 2005, 369, 371; Redeker NJW 2002, 2756, 2757; Redeker ZRP 2004, 160, 161 f.; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 792; Schild/Weth in: FS-Ress (2005) S. 1555, 1555; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 4; Weth ZRP 2005, 119, 119. 311 Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 313. 312 Arntz Anhang II (2005) S. 312; Grawert DVBl 1983, 973, 978; Redeker NJW 2002, 2756, 2757; Redeker ZRP 2004, 160, 161 f.; Redeker in: Handelsblatt vom 7. April 2004 S. R1; Redeker in: Handelsblatt vom 11. August 2004 S. 34. 313 Barroso in: SZ vom 3./4. Dezember 2005 S. 11. 314 Arntz Anhang II (2005) S. 312; Redeker ZRP 2004, 160, 162; Redeker in: Handelsblatt vom 7. April 2004 S. R1; Redeker in: Handelsblatt vom 20. April 2005 S. 41. 315 Arntz Anhang II (2005) S. 312; Herzog NJW 1992, 2601, 2604; Redeker ZRP 2004, 160, 162; Redeker in: Handelsblatt vom 20. April 2005 S. 41. 316 Redeker in: Handelsblatt vom 11. August 2004 S. 34. 317 Arntz Anhang II (2005) S. 312, Herzog NJW 1992, 2601, 2604; Redeker NJW 2002, 2756, 2757; Sendler in: FS-Stern (1997) S. 297, 309. 318 Arntz Anhang II (2005) S. 312; Redeker ZRP 2004, 160, 161 f. 319 Redeker/Karpenstein NJW 2001, 2825, 2831; Redeker NJW 2002, 2756, 2759; Redeker ZRP 2004, 160, 162; Redeker in: Handelsblatt vom 7. April 2004 S. R1.

I. Primär vom Gesetzgeber zu verantwortende Faktoren

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Verwaltungs- an die Sozialgerichte, mit deren Folgen die beiden Gerichtsbarkeiten noch lange beschäftigt sein werden.320 Dies alles macht den Gerichten deutlich mehr Arbeit, da vieles, was früher bereits im Gesetzgebungsverfahren korrigiert wurde, inzwischen von den Gerichten korrigiert werden muss.321 Immer wieder treten bei Gesetzesnovellen Unstimmigkeiten zwischen neuem und altem Recht auf, für die keine Übergangsregelungen vorgesehen sind und die daher zu Verunsicherung führen.322 Die Unübersichtlichkeit, Widersprüchlichkeit und ständige Änderung des Gesetzesrechts führt zu mehr Unsicherheit und Prozessfreudigkeit.323 Vielfach wird daher eine Vereinfachung oder Entschlackung sowohl des materiellen Rechts als auch des Prozessrechts gefordert.324 Andererseits wird jedoch auch gesehen, dass bereits der föderale Aufbau Deutschlands mit Bund, Ländern und kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften eine gewisse Komplexität der Rechtsordnung erfordert. Eine moderne Demokratie muss vieles regeln und der Ruf nach dem einfachen Recht ist in einer hoch entwickelten industriellen oder postindustriellen Gesellschaft unrealistisch.325 Die Rechtswirklichkeit wird im Laufe der Zeit zunehmend komplizierter.326 Viele Verfahren vor den Gerichten kommen aus Gebieten, die es vor einigen Jahren noch gar nicht 320 Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Kruschinsky RuP 2004, 73, 74; Redeker in: Handelsblatt vom 7. April 2004 S. R1; Sendler DVBl 1982, 812, 816. 321 Arntz Anhang II (2005) S. 312; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 792. 322 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Behrens NWVBl 1996, 121, 122; Redeker ZRP 2004, 160, 161. 323 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Behrens NWVBl 1996, 121, 122; Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 77; Dombert SächsVBl 1995, 73, 73; Eylmann RPfl 1998, 45, 46; Fischer DÖV 1988, 1040, 1043; Geiger ZRP 1998, 252, 253; Hillenkamp JR 1975, 133, 133; Klein DStZ 1988, 599, 600; Prantl in: SZ vom 17. April 2001 S. 4; Redeker NJW 1996, 521, 526; Redeker in: Handelsblatt vom 7. April 2004 S. R1; Schäfer DRiZ 1995, 461, 466; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Sendler DÖV 1989, 482, 488. 324 Caesar RuP 1994, 131, 133; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Harries-Lehmann (2004) S. 16; Hill JZ 1981, 805, 815; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 222; Klein DStZ 1988, 599, 604; Klink SGb 1973, 431, 432; Krumsiek/Frenzen DÖV 1995, 1013, 1018; Löwer Anhang IV (2005) S. 329; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 792 f.; Rößler DStZ 1985, 375, 377; Schlette (1999) S. 16; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10. 325 Horn Rechtsstaat (2000) S. 18; Klink SGb 1973, 431, 432; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Redeker NJW 2002, 2756, 2757; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 331; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 177. 326 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; Franßen in: Lüder (1998) S. 31, 32; Geiger ZRP 1998, 252, 254; Henke ZZP 83 (1970), 125, 160; Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 225; Klink SGb 1973, 431, 432; LaRocheThomé in: Pitschas/Koch (2002) S. 27, 41; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Ponschab AnwBl 1997, 145, 146; Redeker NJW 2002, 2756, 2757; Redeker in: Handelsblatt vom 20. April 2005 S. 41; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 234 f.; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 144; Schäfer DRiZ 1995, 461, 464; Schenke DÖV

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

gab und die hohe Anforderungen in juristischer, aber auch in technischer Hinsicht an den Richter stellen.327 So bearbeiten beispielsweise im Verwaltungsgericht Köln allein drei Kammern schwerpunktmäßig das Telekommunikationsrecht und Deregulierungsverfahren und damit einen Bereich, den es früher gar nicht gab.328 Ein weiteres hoch komplexes Rechtsgebiet stellt das Arzneimittelzulassungsrecht dar, das ein Beispiel für den insgesamt wachsenden Einfluss des Europarechts auf den Verwaltungsprozess ist.329 Insgesamt ist eine Europäisierung des Verwaltungsrechts festzustellen.330 Auch dies ist ein Aspekt, der die Tätigkeit des Richters anspruchsvoller und komplizierter gemacht hat und zu längeren Verfahrenslaufzeiten beiträgt.331 Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber den Erlass unnötiger Gesetze vermeiden würde und bei Gesetzesänderungen stets auch die Auswirkungen auf die Gerichte, insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensdauer, berücksichtigen würde. Durch eine klare und verständliche Formulierung von Gesetzen können unnötige Prozesse vermieden und damit die Gerichte entlastet werden, wodurch wiederum die Verfahrenslaufzeiten sinken würden.

II. Primär von den unmittelbar am Verfahren beteiligten Personen zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren Maßgeblichen Einfluss auf das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer im konkreten Fall haben die unmittelbar am Verfahren beteiligten Personen. Zu diesen zählen die Richter [E. II. 1.], die Verfahrensbeteiligten [E. II. 2.], die Sachverständigen [E. II. 3.] und die Rechtsanwälte [E. II. 4.]. Nachfolgend soll auf die primär von diesen zu verantwortenden oder zu beeinflus-

1982, 709, 710; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 333; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Strempel AnwBl 1993, 434, 435. 327 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; Stoll SchlHA 1993, 263, 264. 328 Arntz Anhang II (2005) S. 311. 329 Arntz Anhang II (2005) S. 311. 330 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Bertrams DVBl 2006, 997, 999; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Everling in: FS-Redeker (1993) S. 293, 293; Eylmann u. a. (2004) S. 5 Rn 2; Harries-Lehmann (2004) S. 147 ff. und 241; Hirsch in: FS-BVerwG (2003) S. 3, 3; v. Nieuwland NdsVBl 2005, 318, 318; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 63; Schmidt-Aßmann DVBl 1997, 281, 283; Schmidt-Aßmann in: FS-BVerwG (2003) S. 487, 487 ff.; Schoch in: FS-BVerwG (2003) S. 507, 507 ff.; Sendler in: FS-Feldhaus (1999) S. 479, 488 ff.; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 749; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8; Wilke NordÖR 1999, 491, 491 ff.; Zypries (2007) S. 1. 331 Arntz Anhang II (2005) S. 311; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 19; v. Nieuwland NdsVBl 2005, 318, 318.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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senden Ursachen für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen eingegangen werden. 1. Verhalten der Richter Die Richter stehen im Mittelpunkt eines jeden Verfahrens. Sie müssen sich einerseits mit den vom Gesetzgeber, den Justizverwaltungen und der Gesellschaft vorgegebenen Rahmenbedingungen arrangieren, andererseits auf die Wünsche der Beteiligten auf Verfahrensbeschleunigung oder deren Versuche einer Verfahrensverschleppung reagieren. Insbesondere wirken sich jedoch das eigene Verhalten und der Umgang mit den vorhandenen Instrumenten zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren auf die Verfahrensdauer aus. Der Richter ist der Dreh- und Angelpunkt bei der gesamten Diskussion um die Problematik der überlangen Verfahrensdauer. Keine Maßnahme des Gesetzgebers oder der Justizverwaltungen zur Verfahrensbeschleunigung kann ihre beabsichtigte Wirkung entfalten, wenn der Richter diese nicht sachgerecht umsetzt. a) Arbeitsweise der Richter und richterliche Unabhängigkeit „Richterliche Unabhängigkeit bedeutet, daß ein Richter morgens später zum Dienst kommen muß und nachmittags früher gehen darf. Insbesondere am Freitag ab 12 (spätestens) macht sich der Richter regelmäßig unabhängig.“332

Mit dieser humoristischen Erläuterung der richterlichen Unabhängigkeit in seinem satirischen „Wörterbuch für Paragraphenfuchser und Schreibtischhengste“ bringt Hansjörg Staehle das Klischee vom „faulen Richter“ auf den Punkt. Der Vorwurf, Richter seien faul, wird regelmäßig geäußert und genauso regelmäßig dementiert.333 Schon 1821 kritisierte Johann Kaspar Gensler den „Schlendrian der Richter“.334 Manche sehen „Faulheit und Schlamperei der 332

Staehle (2001) S. 84. Arntz Anhang II (2005) S. 307; Bertrams NWVBl 2005, 245, 247; Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Bohlander MDR 1996, 1093, 1094 f.; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8; Dombert SächsVBl 1995, 73, 74; Dombek DRiZ 2006, 247, 249; v. Feuerbach (1810) S. 152; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Glogowski BDVR-R 1998, 19, 19; Hieronimi NJW 1984, 108, 109; Hohendorf NJW 1984, 958, 958; Huff in: FAZ vom 8. Oktober 1993 S. 6; Kaiser BDVR-R 1998, 18, 19; Kirchhoff BJ 2002, 253, 253; Kirchmann (1848) S. 41; Kropp NJ 2005, 208, 208; Kühnert DRiZ 1979, 349, 349; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Piorreck (2003) S. 1 und 3; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Quaas DRiZ 2001, 79, 80; Schäfer in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30; Schneider MDR 1998, 1397, 1397; Sendler DVBl 1982, 923, 930 Fn 29; Sendler NJW 1983, 1449, 1450; Sendler (2000) S. 1; Sendler NJW 2001, 1256, 1256; Techen in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23; Wassermann NJW 1994, 2196, 2196; Weth NJW 1996, 2467, 2469. 334 Gensler (1821) S. XVII. 333

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Richter“ als Grund für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer an335 und bemängeln, dass es „keinen Schutz gegen faule Richter“ gibt,336 wenn diese „ihr Glück in der Freizeitgesellschaft suchen“.337 Viele betonen, die richterliche Unabhängigkeit trage zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer bei.338 Diese ist jedoch kein Standesprivileg des Richters zur bequemeren Ausübung des Berufs339 und sollte nicht „als Deckmantel für Faulheit und Arroganz“ genutzt werden.340 Die richterliche Unabhängigkeit ist ohne jeden Zweifel ein hohes Gut und eine rechtsstaatliche Errungenschaft, jedoch wird immer wieder zu Recht hervorgehoben, dass diese allein den Interessen der Rechtsschutzsuchenden dient.341 Der Richterberuf ist einer der Berufe, in denen man Engagement mitbringen muss und nicht nach der Arbeitszeit schielen darf, und einen Richter, der nur nach einem „Job“ sucht, hätte die Justizverwaltung nicht einstellen dürfen.342 Dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht, dass einige Richter nicht viel mehr als drei Stunden pro Arbeitstag arbeiten343 und auch mit dem Klischee vom Tennis spielenden Richter sehen diese sich immer wieder konfrontiert.344 Daher muss sich die Richterschaft immer wieder mit der Forderung nach Dienstzeiten und Anwesenheitspflichten für Richter auseinandersetzen,345 wobei immer wie-

335

Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 72 und 83 und 85. Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33. 337 Leisner (2003) S. 258. 338 Bertrams NWVBl 1999, 245, 248; Glogowski BDVR-R 1998, 19, 19; Pitschas ZRP 1998, 96, 101 f.; Prantl in: SZ vom 30. Dezember 2004 S. 4; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Redeker NVwZ 1992, 713, 715; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Redeker NVwZ 2003, 641, 642; Sarstedt in: Sarstedt/Hamm/Köberer/Michalke (1957) S. 213, 213; Schuppert in: Hoffmann-Riem (1998) S. 215, 216 ff.; Vorwerk JZ 2004, 553, 553. 339 Arndt DRiZ 1974, 248, 251; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Dinslage DRiZ 1960, 201, 203; Haberland DRiZ 2002, 301, 301; Holthus in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30; Leuze DÖD 2002, 133, 133; Leuze DÖD 2005, 78, 79; Quaas DRiZ 2001, 79, 80; Techen in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30. 340 Glogowski BDVR-R 1998, 19, 19; Karpen in: FS-Leisner (1999) S. 989, 997; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33; Prantl in: SZ vom 30. Dezember 2004 S. 4; Seidel AnwBl 2002, 325, 325 f. 341 Haberland DRiZ 2002, 301, 301; Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 31; Klose NJ 2004, 241, 244; Kropp NJ 2005, 208, 210; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Quaas DRiZ 2001, 79, 81; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Seidel AnwBl 2002, 325, 325 f. und 329; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 342 Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33. 343 Hieronimi NJW 1984, 108, 109; Hohendorf NJW 1984, 958, 959; Sendler DVBl 1982, 923, 930 Fn 29; Sendler NJW 1983, 1449, 1450. 344 Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Quaas DRiZ 2001, 79, 80; Schäfer in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30. 345 Böhm DRiZ 2005, 138, 138; Eylmann u. a. (2004) S. 25 Rn 63; Haberland DRiZ 2002, 301, 303; Kerscher in: SZ vom 23./24. September 2006 S. 5; Kiesel 336

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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der bemängelt wird, dass dahingehende Vorstöße stets mit pauschalen Hinweisen auf die richterliche Unabhängigkeit abgeblockt werden.346 Auch wenn die Einführung einer Gesamtarbeitszeit und von Kernarbeitszeiten mit Anwesenheitspflicht sogar von einigen Richtern als mit der richterlichen Unabhängigkeit für vereinbar gehalten wird,347 so bezweifeln doch die meisten Richter, dass die Einführung von Dienstzeiten tatsächlich geeignet und erforderlich ist, um die Effektivität des Rechtsschutzes zu steigern und lehnen diese daher ab.348 Sie geben zu bedenken, dass die Lösung eines schwierigen Falls durchaus eine geistige Anstrengung ist, die auch viel mit Kreativität zu tun hat und nicht immer auf Knopfdruck abzurufen ist.349 Dienstzeitregelungen für Richter würden dazu führen, dass diese mehr oder weniger gezwungenermaßen im Gericht säßen, aber nicht notwendigerweise effektiver arbeiten würden.350 Ein weniger fleißiger Richter würde auch bei einer Dienstzeitregelung Mittel und Wege finden, seine Zeit im Gericht anderweitig zu gestalten.351 Der Arbeitstag eines Richters ist nach Verlassen des Gerichts ohnehin noch lange nicht beendet, denn auch außerhalb des Gerichts setzen sich die meisten Richter intensiv mit ihren Verfahren auseinander.352 Eine vorgeschriebene Dienstzeit würde manche Richter eher in ein Korsett zwängen, das die Sache nicht fördert, und könnte dazu führen, dass sich mancher Richter nach Dienstschluss nicht mehr mit seinen Fällen auseinandersetzt, sondern seinen Griffel bei Dienstschluss fallen lässt.353 Viel Erfolg versprechender ist es daher, an das Ethos der Richter zu appellieren, ihnen das Bewusstsein für die Bedeutung von Verfahrenslaufzeiten zu verBDVR-R 2005, 132, 132; Kropp NJ 2005, 208, 209; Schröder NJW 2005, 1160, 1160 ff.; Schumann BDVR-R 2005, 132, 132. 346 Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Glogowski BDVR-R 1998, 19, 19; Hieronimi NJW 1984, 108, 109; Kerscher in: SZ vom 23./24. September 2006 S. 5; Leuze DÖD 2005, 78, 79; Redeker (2000) S. 69 f.; Seidel AnwBl 2002, 325, 325 f. und 329; Sendler NJW 2001, 1909, 1910. 347 Eylmann u. a. (2004) S. 34 Rn 93; Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Leuze DÖD 2005, 78, 83; Schäfer in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30; Schröder NJW 2005, 1160, 1165; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 348 Arntz Anhang II (2005) S. 318; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Haberland DRiZ 2002, 301, 303; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Schröder NJW 2005, 1160, 1160. 349 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Haberland DRiZ 2002, 301, 303; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 350 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Haberland DRiZ 2002, 301, 303. 351 Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 352 Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 353 Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

mitteln und sie zu motivieren.354 Ohne den Willen der Richter selbst wird eine Beschleunigung der Verfahren nicht erreichbar sein.355 Eine Reform der Gerichtsbarkeit muss vor allem in den Köpfen der Mitarbeiter stattfinden.356 Außerdem darf man nicht den sozialen Druck innerhalb des Kammersystems unterschätzen.357 Wenn der Gerichtspräsident nicht mitbekommt, ob ein Richter viel oder wenig arbeitet, dann bekommen das die Richterkollegen in der Kammer und die Mitarbeiter in den Serviceeinheiten mit.358 Auch die seit Jahrzehnten regelmäßig durchgeführten Geschäftsprüfungen der jeweiligen Präsidenten der höheren Instanz bei den Gerichten der unteren Instanzen, bei denen die Richter insbesondere auch zur Verfahrensdauer und den ältesten noch anhängigen Verfahren befragt werden, führen zumindest zu einem gewissen psychologischen Druck bei den Richtern und vermitteln diesen die Notwendigkeit, Verfahren zügig zu bearbeiten.359 Auffälligstes Ergebnis bei diesen Geschäftsprüfungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen ist, dass seit Jahrzehnten die kleineren Gerichte deutlich bessere Verfahrenslaufzeiten haben, als die größeren Gerichte.360 Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass größere Gerichte eine bessere Möglichkeit bieten, sich mit einer Minderleistung zu verstecken, während bei den kleineren Gerichten eine wesentlich stärkere gegenseitige Kontrolle der Kollegen untereinander stattfindet.361 Der weitaus größte Teil der Richterschaft legt ohnehin einen sehr hohen Arbeitseinsatz an den Tag,362 bei dem die wöchentliche Arbeitszeit eher über 50 als über 40 Wochenstunden liegt.363 Viele Richter arbeiten auch an Wochenenden, Feiertagen und sogar während ihrer Ferien.364 Diese hohe Arbeitszeit fällt bei Richtern jedoch nicht auf, weil sie keine festgelegten Arbeitszeiten haben und Überstunden daher nicht registriert werden.365 Die Tatsache, dass Richter 354 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Haug/Pfarr/Struck (1985) S. 54 f.; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 750. 355 Clausing NVwZ 1992, 717, 720; Henke ZZP 83 (1970), 125, 142; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker NVwZ 2003, 641, 642. 356 Clausing NVwZ 1992, 717, 720; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 10. 357 Arntz Anhang II (2005) S. 319. 358 Arntz Anhang II (2005) S. 319. 359 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Bertrams Anhang VII (2005) S. 344; Niehues Anhang VIII (2005) S. 348. 360 Niehues Anhang VIII (2005) S. 349. 361 Niehues Anhang VIII (2005) S. 349. 362 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Kerscher in: SZ vom 23./24. September 2006 S. 5; Kropp NJ 2005, 208, 209; Mertin RuP 2005, 67, 68; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Roller DRiZ 2007, 82, 87. 363 Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 209; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23. 364 Arntz Anhang II (2005) S. 310; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 209.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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keine festgelegten Arbeitszeiten haben, führt in der Außenwahrnehmung zu Problemen, wenn manche Richter ein oder sogar zwei Tage in der Woche nicht im Gericht anwesend sind, obwohl der weitaus größte Teil der Richter in einem solchen Fall zu Hause arbeitet.366 Insgesamt ist die Anwesenheit der Richter bei Gericht jedoch inzwischen sehr hoch und auch am Freitagnachmittag arbeiten inzwischen viele Richter noch im Gericht.367 Insofern trifft das am Anfang dieses Abschnitts wiedergegebene Klischee auf die meisten Richter nicht zu. Deshalb haben Teile der Richterschaft zunächst mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen, dass die wöchentliche Arbeitszeit im öffentlichen Dienst auf über 40 Stunden hochgesetzt worden ist.368 Die meisten Richter wären froh, wenn sie damit auskommen würden.369 Bei einer festgelegten Arbeitszeit würden viele Richter vermutlich weniger arbeiten, als dies heute der Fall ist.370 Nicht nur, aber auch an den Verwaltungsgerichten wird teilweise bis an die Grenze des physisch Möglichen gearbeitet.371 Warum sich dennoch hartnäckig das Vorurteil des faulen Richters hält, hängt wohl damit zusammen, dass ein einzelnes Beispiel schlechten richterlichen Verhaltens mehr Breitenwirkung entfaltet und die Außenwahrnehmung stärker beeinflusst, als die im gerichtlichen Alltag weithin selbstverständliche, hohen Anforderungen genügende Arbeit.372 Bei der Frage, wieviel Richter arbeiten und ob durch Mehrarbeit der Richter die Verfahrensdauer verkürzt werden kann, darf nicht vergessen werden, dass der erforderliche Zeitaufwand zu einem großen Teil auch von der individuellen Arbeitsweise des Richters abhängt.373 So wird auch fachliches Versagen einzelner Richter oder die langsame Arbeitsweise einiger Richter als möglicher Grund für überlange Gerichtsverfahren angeführt.374 Selbst Richter räumen ein, dass es 365 Arntz Anhang II (2005) S. 310; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23. 366 Arntz Anhang II (2005) S. 310. 367 Arntz Anhang II (2005) S. 310. 368 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23. 369 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Turnwald in: Bonner GA vom 4./5. Dezember 2004 S. 23. 370 Arntz Anhang II (2005) S. 319; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Graßhof Anhang IX (2005) S. 361; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 371 Arntz Anhang II (2005) S. 310; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Hieronimi NJW 1984, 108, 109; Jung BDVR-R 1998, 10, 10; Redeker RuP 1982, 51, 55; Seidel AnwBl 2002, 325, 327; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 749. 372 Addicks u. a. (2005) Punkt 9.1; Seidel AnwBl 2002, 325, 325 ff. 373 Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Gottwald BRAK-Mitt 1998, 60, 60; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Hohendorf NJW 1984, 958, 958; Klink SGb 1973, 431, 434; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Redeker (2000) S. 2; Sendler (2000) S. 1. 374 Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Henke ZZP 83 (1970), 125, 145 und 153; Klink SGb 1973, 431, 434; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996,

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

unter ihnen – wie in allen anderen Berufen auch – solche gibt, die sich stärker engagieren, und solche, die sich weniger engagieren, und dass es sicherlich auch Richter gibt, die effizienter arbeiten könnten.375 Als eine denkbare Abhilfemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer kann daher auch eine insgesamt bessere Ausbildung der Juristen376 und intensivere Fortbildung der Richter,377 bessere Unterstützung und Führung durch erfahrene Kollegen378 sowie die Auswahl von Richtern nach dem Gesichtspunkt der Entscheidungskraft und die Ausbildung der Richter zur Entscheidungsfähigkeit gesehen werden.379 In einigen Fällen führen eben auch individuelle Arbeitsprobleme der Richter zu überlanger Verfahrensdauer.380 So führt beispielsweise das verspätete Absetzen eines Urteils zu Mehrarbeit, weil sich der Richter erneut in die Akten einarbeiten muss und auch die aus der Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr so präsent hat, wie unmittelbar nach Abschluss der mündlichen Verhandlung.381 Entscheidungen sollten möglichst am gleichen oder am nächsten Tag, jedenfalls aber vor der nächsten Sitzung abgesetzt werden.382 Mit Recht ist daher die Frist, binnen der ein Urteil 717, 717; List DB 2005, 571, 573; Redeker (2000) S. 2 und 33; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 56; Sendler (2000) S. 1. 375 Arntz Anhang II (2005) S. 307; Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Hohendorf NJW 1984, 958, 958; Klink SGb 1973, 431, 434; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 376 Baumgärtel JZ 1971, 441, 445; Bohlander MDR 1996, 1093, 1096; Busse NJW 2001, 1545, 1547; Dury DRiZ 1999, 160, 163; Henke ZZP 83 (1970), 125, 153; Hoffmann-Riem JZ 1997, 1, 7; Klink SGb 1973, 431, 433; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 426 f.; Niehues Anhang VIII (2005) S. 351; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Ott in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30; v. Plottnitz AnwBl 1997, 362, 362; Schäuble RuP 1994, 134, 136; Scheffler (1991) S. 55. 377 Addicks BJ 2005, 77, 80; Addicks u. a. (2005) Punkte 7 und 7.4; Addicks u. a. Arbeitspapier II (2005) Punkt 3; Arntz Anhang II (2005) S. 307; Baumgärtel JZ 1971, 441, 445; Bertrams NWVBl 1999, 245, 252; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246; Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Bertrams DVBl 2006, 997, 1000 f.; Busse NJW 2001, 1545, 1547; Dury DRiZ 1999, 160, 163; Eylmann u. a. (2004) S. 3 und S. 33 Rn 88; Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Hoffmann-Riem JZ 1997, 1, 7; Karpen in: FSLeisner (1999) S. 989, 999; Klink SGb 1973, 431, 433; Lorse DRiZ 2004, 122, 124; Millgramm SächsVBl 2003, 104, 108 Fn 19; Millgramm BDVR-R 2003, 128, 134 Fn 17; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 427; Niehues Anhang VIII (2005) S. 351; Schäuble RuP 1994, 134, 136. 378 Bertrams DVBl 2006, 997, 1000; Dury DRiZ 1999, 160, 164; Eylmann u. a. (2004) S. 28 Rn 73; Lorse DRiZ 2004, 122, 124. 379 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Bertrams DVBl 2006, 997, 1000; Eylmann u. a. (2004) S. 25 Rn 63; Harries-Lehmann (2004) S. 15; Henke ZZP 83 (1970), 125, 136 und 153; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 445; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Klink SGb 1973, 431, 434; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 427; Schlette (1999) S. 16; Sendler (2000) S. 11. 380 Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Gottwald BRAK-Mitt 1998, 60, 60; Klink SGb 1973, 431, 434; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10; Sendler (2000) S. 12; Thienel ÖJZ 1993, 473, 474; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer. 381 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 417 f.; Sendler (2000) S. 7 f.

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zur Geschäftsstelle zu geben ist, immer weiter herabgesetzt worden.383 Der Gesetzgeber geht in § 117 Abs. 4 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung grundsätzlich von einer Frist von zwei Wochen aus („Ein Urteil [. . .] ist vor Ablauf von zwei Wochen [. . .] vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übergeben.“). Nur in Ausnahmefällen dürfen Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung gemäß § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO „alsbald“ nachgereicht werden.384 Nach dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Bundesgerichte vom 27. April 1993385 wird der Begriff „alsbald“ sehr großzügig ausgelegt und daher ist eine Entscheidung im äußersten Fall binnen fünf Monaten zur Geschäftsstelle zu geben.386 Mit diesem Urteil haben die Richter bedauerlicherweise aus zwei Wochen fünf Monate gemacht. Es wäre wünschenswert, dass sich die Richter an die vom Gesetzgeber statuierte Pflicht zur unverzüglichen Urteilsabfassung halten würden. Das sofortige Absetzen des Urteils erfordert jedoch Selbstdisziplin, eine gute Arbeitseinteilung und eine ausgefeilte Arbeitstechnik, über die nicht alle Richter verfügen.387 Auch zur eigenen Arbeitserleichterung ist es jedoch sehr sinnvoll, die Entscheidung möglichst unmittelbar abzusetzen.388 Die Auswahl des richterlichen Nachwuchses orientiert sich daher zunehmend am Aspekt der Praxistauglichkeit, also daran, ob der Bewerber in der Lage ist, nicht nur qualitativ gut zu arbeiten, sondern auch große Pensen in angemessener Zeit praxistauglich zu bewältigen.389 Weltfremde Theoretiker des Rechts haben bei Gericht nichts verloren.390 Bei der Einstellung von Richtern bei den Verwaltungsgerichten in NordrheinWestfalen wird den Berufsanfängern vor ihrem Dienstantritt ein gemeinsames Strategiepapier der Präsidenten der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte und des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. April 2001 ausgehändigt, das den aussagekräftigen Titel trägt: „Die Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten als vorrangiges Ziel der nordrheinwestfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit“.391 Darin wird den Richtern vor Au382

Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 418. Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 418. 384 Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte 27. April 1993 Az GmS-OBG 1/92 NJW 1993, 2603, 2604. 385 Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte 27. April 1993 Az GmS-OBG 1/92 NJW 1993, 2603, 2604. 386 Gemeinsamer Senat der Obersten Bundesgerichte 27. April 1993 Az GmS-OBG 1/92 NJW 1993, 2603, 2604; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 419; Redeker in: Redeker/v. Oertzen (2004) § 117 Rn 8. 387 Sendler (2000) S. 8. 388 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 419. 389 Bertrams NWVBl 2005, 245, 246. 390 Bertrams NWVBl 2005, 245, 246. 391 Bertrams und die Präsidenten der VGNW BJ 2001, 223, 223; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246 Fn 8; Bertrams DVBl 2006, 997, 1003. 383

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

gen geführt, dass effektives Arbeiten und zu erwartende kurze Verfahrenslaufzeiten nicht nur für die Einstellungsentscheidung maßgeblich sind, sondern auch wesentlich bei der dienstlichen Beurteilung und für Beförderungsentscheidungen sind.392 In dem Papier wird ausgeführt, dass in den Proberichterbeurteilungen Effizienzdefizite klar und frühzeitig zu benennen sind, damit über konkrete Maßnahmen, bis hin zur Entlassung innerhalb der Probezeit, zeitnah entschieden werden kann.393 In den Beurteilungen soll deutlich gemacht werden, dass nur derjenige Chancen auf einen beruflichen Aufstieg hat, der sich sowohl durch die Qualität, als auch durch die Effizienz seiner Arbeit hervorgetan hat.394 Dieses Strategiepapier verdeutlicht, dass die Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten an den Verwaltungsgerichten inzwischen zu einem zentralen Anliegen der Justizverwaltung geworden ist, und dass die Gerichtspräsidenten – bis an die Grenze des angesichts der richterlichen Unabhängigkeit Möglichen – versuchen, die Richter zu schnellerem Arbeiten anzuhalten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in einigen Fällen – das leugnen nicht einmal die Richter selbst – Richter mangels Motivation, aufgrund fehlender Geeignetheit für ihre Aufgabe oder wegen urlaubs- und krankheitsbedingter Ausfälle maßgeblich zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauern beitragen.395 In den weitaus meisten Fällen werden Richter jedoch versuchen, trotz erdrückend hoher Arbeitslast und immer wieder erhöhter Pensen zur Erledigung von Rechtssachen, sowohl gründlich als auch effektiv Recht zu sprechen und den Beteiligten zu ihrem Recht zu verhelfen. Dass vielen Richtern die zügige Verfahrenserledigung ein wichtiges Anliegen ist, wird auch in dem Arbeitspapier einer autonomen Gruppe von nordrheinwestfälischen Verwaltungsrichtern mit dem Titel „Qualitätsdiskussion in der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ vom 12. Februar 2005 deutlich, in dem an zahlreichen Stellen darauf hingewiesen wird, das Rechtsschutz so zügig wie möglich zur Verfügung gestellt werden muss.396 Um die Qualität der Verwaltungsgerichtsbarkeit weiter zu verbessern, halten diese Verwaltungsrichter auch die regelmäßige und auch auf Eigeninitiative beruhende Fortbildung der Richter für dringend erforderlich und wünschenswert.397 Dazu gehört auch ausdrücklich der Kontakt zu Vertretern der Verwaltung und zu Rechtsanwälten durch die gemeinsame Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen.398 Ein gutes Beispiel für eine 392 Bertrams und die Präsidenten der VGNW BJ 2001, 223, 223; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246. 393 Bertrams und die Präsidenten der VGNW BJ 2001, 223, 223. 394 Bertrams und die Präsidenten der VGNW BJ 2001, 223, 223. 395 Arntz Anhang II (2005) S. 324; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 524; Niehues Anhang VIII (2005) S. 349; Piorreck (2003) S. 4; Stötter NJW 1968, 521, 524. 396 Addicks u. a. (2005) Punkte 1, 1.1, 1.1.1, 2.2.3, 3, 3.1, 9.3.; Bertrams DVBl 2006, 997, 1003. 397 Addicks u. a. (2005) Punkt 7.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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solche Fortbildungsveranstaltung bietet die am 17. Juni 2005 im Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster durchgeführte Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein zum Thema „Effektivität in der Verwaltungsgerichtsbarkeit“, bei der intensiv und konstruktiv über Möglichkeiten zur Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten diskutiert wurde.399 In der Verwaltungsgerichtsbarkeit in NordrheinWestfalen werden zudem auch Schulungen in den Bereichen Zeitmanagement und Organisation sowie zum Thema Kommunikation im Spruchkörper durchgeführt.400 Insgesamt zeigen diese Anstrengungen zum einen, dass hinsichtlich der Arbeitsweise der Richter zumindest in Einzelfällen durchaus noch deutliche Effizienzgewinne zu erzielen sind. Zum anderen verdeutlichen sie aber auch, dass viele Richter mit großem Engagement und auch mit bereits vorzeigbaren Ergebnissen darauf hinarbeiten, alles aus der Sicht des Richters Mögliche unternehmen, um zu einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten beizutragen. b) Umfang der richterlichen Entscheidungsbegründungen „Dann werden unsere Richter wohl ein angenehmes, beschauliches Dasein führen, sich in gemächlicher Ruhe mit ihren Prozessen befassen und ihre Entscheidungen gründlich überdenken? Im Gegenteil! Selbst jene, die den Richtern nicht wohlwollen – und viele wollen ihnen nicht wohl – räumen ein, dass unsere Richter Schwerarbeiter sind, gehetzte Menschen, die große Aktenberge wälzen, sich vor allem in der Recht-Schreibung verzehren, um auch in Bagatellsachen Urteilsbegründungen durch tiefschürfende juristische Abhandlungen bedeutsam werden zu lassen. Dann wird es um die Rechtspflege, die über so eifrige und gründliche Richter verfügt, gut bestellt sein und der Richterstand in gutem Ansehen stehen? Im Gegenteil! Starke, vielleicht sogar überwiegende Kräfte in der Öffentlichkeit sind der Ansicht, unsere Rechtspflege leiste gerade das nicht, wofür sie da sei und was vor allem die heutige Zeit von ihr fordere.“401

Mit dieser provokanten Beschreibung stellt Xaver Berra in seinem 1966 erschienen Buch „Der Paragraphenturm“ das Problem einiger Richter, sich bei ihren Entscheidungsbegründungen auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich entsprechend kurz zu fassen, zwar verallgemeinernd, doch zumindest bezüglich einiger Richter zutreffend dar. Die Art und Weise, in der Richter ihre Entscheidungen abfassen, steht in engem Zusammenhang mit der Arbeitsweise der Richter im Allgemeinen, wobei 398

Addicks u. a. (2005) Punkt 7.4. Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332. 400 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347. 401 Berra (1966) S. 14. 399

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

das Abfassen von Entscheidungen einen nicht unerheblichen Teil der richterlichen Arbeitskraft bindet.402 In Bezug auf die Verfahrensbeschleunigung wird daher auch immer wieder die Forderung nach einer Abkürzung des Entscheidungsinhalts laut,403 pointiert auch als „Pflicht zur Kürze“ bezeichnet.404 Urteile und Beschlüsse gleichen insbesondere im Bereich des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit angesichts ihrer Länge oft wissenschaftlichen Aufsätzen und Dissertationen.405 Hier wäre gemäß dem alten Sprichwort „In der Kürze liegt die Würze“406 weniger oft mehr.407 Richter sollten kurz und prägnant formulieren und nicht zu „Richterdichtern“ werden.408 Nahezu jedem großen Geist wird die Sentenz nachgesagt, er habe einen langen Brief verfasst, weil er zu einem kurzen keine Zeit gehabt habe.409 Es ist tatsächlich manchmal zeitraubender, eine Entscheidung prägnant und präzise, auf das Wesentliche gestützt, zu schreiben, als eine weitschweifige und alles abdeckende, die damit auch die unwesentlichen Punkte umfasst.410 Ein etwas längeres Nachdenken darüber, was in ein Urteil hineingehört, erspart jedoch Zeit beim Diktat, beim Schreiben, beim Korrekturlesen, bei einer gegebenenfalls erforderlichen Beratung mit Richterkollegen und bei den Lesern.411 Die deutschen 402 Jung BDVR-R 1998, 10, 12; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 415; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Sendler DVBl 1982, 923, 926. 403 Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Beyer NJW 1988, 312, 313; Eylmann u. a. (2004) S. 15 Rn 32; Gössel in: Juristentag (1994) S. C93; Hien DVBl 2004, 909, 913; Hoecht DÖV 1981, 323, 329; Jung BDVR-R 1998, 10, 12; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Meyke DRiZ 1990, 58, 58; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 416; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 309; Quaas VBlBW 2004, 461, 461; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Redeker BDVR-R 2002, 132, 133; Redeker NVwZ 2003, 641, 642 f.; Redeker in: Redeker/v. Oertzen (2004) § 117 Rn 6; Sendler DVBl 1982, 923, 926; Sendler (2000) S. 9 und These B 2. 404 Sendler (2000) S. 9 ff.; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 405 Dombert SächsVBl 1995, 73, 75; Eylmann u. a. (2004) S. 15 Rn 32; Fischer DÖV 1988, 1040, 1045; Harries-Lehmann (2004) S. 373; Kirchmann (1848) S. 40; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 422; Niehues Anhang VIII (2005) S. 349; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 309; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Redeker DVBl 1977, 132, 134; Redeker DVBl 1992, 212, 215; Redeker NVwZ 1992, 713, 715; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Redeker BDVR-R 2002, 132, 133; Redeker NVwZ 2003, 641, 643; Sarstedt in: Sarstedt/Hamm/Köberer/Michalke (1957) S. 213, 215; Sendler DVBl 1982, 923, 926 f.; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 192; Sendler DRiZ 1991, 111, 111; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 749; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 163; Wilfinger (1995) S. 212; Zuck NJW 1996, 1656, 1656. 406 Duden Redewendungen (2002) S. 455; Hoecht DÖV 1981, 323, 329. 407 Duden Zitate und Aussprüche (2002) S. 590; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 175 und 192. 408 Löwer Anhang IV (2005) S. 329. 409 Sendler DVBl 1982, 923, 926. 410 Addicks u. a. (2005) Punkt 6.1; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 33.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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Richter – insbesondere die Richter am Bundesverfassungsgericht und an den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten – halten den Rekord an Aufwand und Gründlichkeit,412 was nicht allein auf den Amtsermittlungsgrundsatz zurückzuführen ist.413 Außerdem wird Richtern immer wieder „Zitiersucht“ vorgeworfen,414 wobei darauf hingewiesen wird, dass schlechte, falsche oder irreführende Zitate die Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit einer noch so guten Begründung eher schmälern.415 Nicht immer ist die wissenschaftliche Durchdringung der sich aus dem Streitfall ergebenden Rechtsfragen notwendig416 und Intellektualismus und intellektuelle Selbstverwirklichung der Richter ist bei der Verfassung eines Urteils in der Regel fehl am Platz.417 Teilweise trägt zu diesem Problem wohl auch die zu große Universitätsnähe vieler Richter bei.418 Urteile sollten nicht primär für die Öffentlichkeit oder für die Vereinigung der Staatsrechtslehrer, sondern für die Beteiligten des Verfahrens geschrieben werden.419 Oft wird der Einzelfall zum Anlass für juristische Hochleistung genommen, ohne das es interessiert, ob der Bürger überhaupt etwas damit anfangen kann.420 Manchmal entsteht der Eindruck, dass die Richter sich aufgerufen fühlen, das Rad neu zu erfinden, statt das Loch im Reifen zu flicken, worum es aus der Sicht der Betroffenen in den meisten Fällen doch allein geht.421 411

Sendler DVBl 1982, 923, 926. Blankenburg/Verwoerd DRiZ 1987, 169, 171; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 419; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 309. 413 Redeker (2000) S. 27. 414 Eylmann u. a. (2004) S. 38 Rn 105; Fischer DÖV 1988, 1040, 1045; Hien DVBl 2004, 909, 913; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 416 f.; Priebe in: FSv. Simson (1983), 287, 309; Sendler DVBl 1982, 923, 927; Sendler (2000) S. 10 und These B 3; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Wilfinger (1995) S. 212. 415 Addicks u. a. (2005) Punkt 6.1; Eylmann u. a. (2004) S. 38 Rn 105; Sendler DVBl 1982, 923, 927. 416 Addicks u. a. (2005) Punkt 6.1; Busse NJW 2001, 1545, 1547; Eylmann u. a. (2004) S. 15 Rn 32; Harries-Lehmann (2004) S. 15; Hien DVBl 2004, 909, 912; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 416; Niehues Anhang VIII (2005) S. 349; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 309; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149 f.; Redeker RuP 1982, 51, 51; Redeker DVBl 1992, 212, 215; Redeker NVwZ 2003, 641, 643; Sendler DVBl 1982, 923, 927 f.; Sendler (2000) S. 10 und These B 4. 417 Fischer DÖV 1988, 1040, 1045; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149 f.; Redeker NVwZ 1992, 713, 715; Redeker (2000) S. 7 und 17; Redeker BDVR-R 2002, 132, 133; Redeker NJW 2002, 2610, 2611; Redeker NVwZ 2003, 641, 642; Sendler DVBl 1982, 923, 926 f.; Sendler (2000) S. 10; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Wilfinger (1995) S. 212. 418 Bertrams Anhang VII (2005) S. 344; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 420. 419 Koch DRiZ 2004, 222, 223; Redeker NVwZ 1992, 713, 715; Sendler DVBl 1982, 923, 928 f.; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 163; Wilfinger (1995) S. 212. 420 Quaas BDVR-R 2004, 147, 150. 421 Geiger BDVR-R 1999, 8, 12; Quaas VBlBW 2004, 461, 463; Quaas BDVR-R 2004, 147, 150; Redeker (2000) S. 8. 412

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Die Länge vieler Urteile ist einer der Gründe für die vielzitierte „hausgemachte Überlastung der Gerichte“.422 Einige halten daher die nach französischem Vorbild in knappem Prozessstil gehaltenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für vorbildlich.423 Doch wird auch kritisiert, dass diese nur mit Kenntnis der erheblich längeren Schlussanträge der Generalanwälte verständlich und daher nur scheinbar kürzer sind.424 Auch die rechtswissenschaftliche Literatur, die die Gerichte immer wieder kritisiert, Rechtsmeinungen nicht intensiv genug berücksichtigt zu haben, trägt zu der Überlänge von Urteilen bei.425 Zu kurz und apodiktisch sollte ein Urteil allerdings auch nicht sein, denn ein unbegründetes Urteil spricht nicht Recht, sondern verschweigt das Recht.426 Wenn man nach Kürze, schneller Abfassung und Beschränkung auf das Notwendige bei Entscheidungen ruft, darf nicht übersehen werden, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes als Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Gerichte verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.427 Der Richter hat aber nur die Aufgabe zu entscheiden und dafür klar zu sagen, was er nach gehöriger Abwägung im konkreten Fall für richtig hält. Nur darauf kommt es an und dies kann auch in aller Kürze gesagt werden.428 Dass manche Richter bei der Abfassung ihrer Entscheidungen noch effektiver arbeiten könnten, wird auch von der Richterschaft selbst erkannt und zu erreichen versucht.429 Bei manchen Richtern in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist eine gewisse Theorie- und Kopflastigkeit festzustellen.430 Insbesondere diejenigen, die zunächst eine wissenschaftliche Karriere in Erwägung gezogen haben,

422 Clausing NVwZ 1992, 717, 720; Harries-Lehmann (2004) S. 15 und 372; Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 483; Jung BDVR-R 1998, 10, 12; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lindemann AnwBl 1983, 389, 389; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1311; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 309; Redeker NVwZ 1992, 713, 715; Sangmeister DStZ 1993, 31, 32 Fn 10; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2953; Sendler DVBl 1982, 157, 165; Sendler DVBl 1982, 923, 924 ff.; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 191 Fn 54; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler (2000) S. 5; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 334; Wassermann NJW 1994, 2196, 2196 f. 423 Heermann BDVR-R 2003, 66, 68; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 419 f.; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 309; Sendler DVBl 1982, 923, 926 Fn 13. 424 Heermann BDVR-R 2003, 66, 68; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 419; Wagner (2001) S. 46; Wilfinger (1995) S. 212. 425 Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110. 426 Heermann BDVR-R 2003, 66, 68; Kirchhof in: FAZ vom 18. September 1997 S. 11; Martens ZRP 1985, 278, 281; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 425. 427 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 425; Niesler (2005) S. 33. 428 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 426. 429 Niehues Anhang VIII (2005) S. 349; Sendler DVBl 1982, 923, 926. 430 Bertrams Anhang VII (2005) S. 344.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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dann aber aufgrund ihrer guten Examensergebnisse das Richteramt vorzogen, arbeiten oft zu wissenschaftlich und damit zu kompliziert.431 Ihnen gelingt oft nicht die Gratwanderung zwischen Schnelligkeit und Gründlichkeit und daher scheitern immer wieder Juristen mit wissenschaftlichem Hintergrund trotz bester Examina im richterlichen Dienst.432 Mit zu diesem Problem beigetragen hat, dass Beurteilungen und Beförderungsentscheidungen lange Zeit primär aufgrund einer Begutachtung der von einem Kandidaten verfassten Urteile erfolgten.433 Daher ist es kein Wunder, dass beförderungswillige Juristen glauben, Glanzleistungen an Gründlichkeit, Vollständigkeit und Auseinandersetzung mit allen in Betracht kommenden Literaturstellen und höchstrichterlichen Entscheidungen liefern zu müssen.434 Natürlich gibt es Prozesse, in denen man sich mit Literatur, unterschiedlichen Meinungen und höchstrichterlicher Rechtsprechung auseinandersetzen muss, doch passiert dies in der Regel in den unteren Instanzen recht selten. In allen übrigen Fällen ist die schnelle Bearbeitung und kurze Begründung die allein richtige Lösung.435 In einem von dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und den Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe der Länder verfassten Positionspapier „Standards verwaltungsgerichtlicher Arbeit“ vom 7. März 2005 wird die Forderung nach praxistauglichen Entscheidungen erhoben, die sich in gebotener Kürze auf das Wesentliche konzentrieren und lebensnah und für alle Beteiligten verständlich sein sollen.436 Ein Richter muss entscheidungsfreudig sein und sein Pensum erledigen können.437 Auch in dem von Verwaltungsrichtern erarbeiteten Arbeitspapier „Qualitätsdiskussion in der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ vom 12. Februar 2005 wird betont, dass längere Entscheidungsbegründungen die Akzeptanz von Entscheidungen nicht mehr fördern als kurze, und dass die Beteiligten in der Regel nicht dadurch überzeugter werden, wenn ihnen lange wissenschaftliche Abhandlungen geboten werden.438 Zwar sehen auch diese Verwaltungsrichter das Problem, dass kurze Entscheidungen nicht per se zu einer Zeitersparnis bei der Abfassung des Urteils führen, da gerade die Beschränkung auf das Wesentliche vielfach eine noch stärkere Ordnung der Gedanken und damit zeitintensivere Überarbei-

431

Niehues Anhang VIII (2005) S. 349. Niehues Anhang VIII (2005) S. 349. 433 Kropp NJ 2005, 208, 208; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 426; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149. 434 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 426; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149. 435 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 426. 436 Bertrams NWVBl 2005, 245, 247; Bertrams DVBl 2006, 997, 1003; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 9. 437 Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 427. 438 Addicks u. a. (2005) Punkt 6.1. 432

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

tung des Textes voraussetzen. Doch neben einer Förderung der Überzeugungskraft der Entscheidung durch eine solche Ordnung und Straffung sind auch erhebliche Zeitgewinne zu erwarten, wenn auf detailverliebte Argumentationen, das Erörtern von Randaspekten oder das Widerlegen eher abseitigen Vortrags verzichtet wird.439 Eine gute und zugleich kurze Entscheidung zeichnet sich dadurch aus, dass die Entscheidungsbegründung nicht den gesamten Entstehungsprozess der Entscheidungsfindung wiedergibt, der mitunter von umfangreicher Lektüre, Selbstzweifeln und Irrwegen begleitet war, sondern das Ergebnis kurz und knapp darstellt. Dies erfordert allerdings die Bereitschaft, möglicherweise mühsam Erarbeitetes fallen zu lassen.440 Eine weitere Effizienzsteigerung kann dadurch erreicht werden, dass unproblematische Punkte – wozu meist auch die in der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits entschiedenen Streitigkeiten gehören – entweder ganz weggelassen oder lediglich ergebnishaft dargestellt werden. Außerdem sollten längere Erörterungen zu Fragen, die offen gelassen werden, weggelassen werden. Auch obiter dicta sollten nur dann ausnahmsweise in einer Entscheidung platziert werden, wenn sie im Einzelfall für die Beteiligten eine weiterführende oder befriedende Funktion haben.441 Juristische Meinungsstreitigkeiten sollten nicht dazu verführen, allen Verästelungen der verschiedenen Argumentationsstränge nachzugehen, sondern es sollten lediglich die wesentlichen Aspekte dargestellt werden. Auch die Begründung der eigenen Position sollte sich auf das Wesentliche beschränken. Wird zwei besonders überzeugenden Argumenten ein weiteres weniger überzeugendes Argument hinzugefügt, wird in aller Regel die Überzeugungskraft nicht gestärkt, sondern eher geschwächt. Schließlich sollten Zitate nur dort verwandt werden, wo sie die Überzeugungskraft der Entscheidung stärken oder straffende Funktion haben, also etwa im Zusammenhang mit neuen oder bislang ungeklärten Fragestellungen oder zur Entlastung der Entscheidungsgründe.442 Dieser Aufzählung in dem Arbeitspapier ist nichts mehr hinzuzufügen und wenn sich alle Richter an diese eigentlich selbstverständlichen Vorschläge halten würden, würde nicht nur die Akzeptanz der Entscheidungen und damit das Ansehen der Richterschaft steigen, sondern auch ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten unternommen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch diejenigen Richter, die sich diese Arbeitsweise bisher noch nicht zu Eigen gemacht haben, offen auf diese konstruktiven Vorschläge aus ihrem Kollegenkreis reagieren und die genannten Vorschläge beherzigen.

439 440 441 442

Addicks Addicks Addicks Addicks

u. a. u. a. u. a. u. a.

(2005) (2005) (2005) (2005)

Punkt Punkt Punkt Punkt

6.1. 6.1. 6.1. 6.1.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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Auch wenn dieses Arbeitspapier für Verwaltungsrichter verfasst wurde, gelten die darin getroffenen Aussagen im Wesentlichen auch für alle anderen Gerichtsbarkeiten. Sollten diese Vorschläge überall Berücksichtigung finden, könnten die Verfahrensdauern an allen Gerichten insgesamt verkürzt werden. c) Nebentätigkeiten der Richter Ein weiteres Problem, das zur Überlastung der Richter und damit zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer beiträgt, sind die zahlreichen Nebentätigkeiten der Richter.443 Insbesondere die Richter der höheren Instanzen und am Bundesverfassungsgericht verreisen häufig, halten zahlreiche Vorträge und verfassen Aufsätze, Monographien und Gesetzeskommentare.444 Außerdem wirken viele Richter bei der Juristenausbildung mit.445 Diese Tätigkeiten binden teilweise einen nicht unerheblichen Teil der richterlichen Arbeitskraft.446 Bei aller Kritik an den Nebentätigkeiten der Richter ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Gerichtsbarkeit nicht außerhalb des demokratischen und des wissenschaftlichen Kommunikationsprozesses steht.447 Oft ist es auch für die richterliche Tätigkeit hilfreich, wenn ein Richter in den Bereichen, in denen er praktisch tätig ist, seine Ansichten von einem Kreis von kritischen Zuhörern hinterfragen lässt.448 Außerdem wird durch Nebentätigkeiten der Richter im Rahmen der Referendarausbildung oder an der Universität praktische Erfahrung und Wissen an die nachfolgende Generation weitergegeben. Ohne die Unterstützung von Richtern könnten weder die Referendarausbildung noch die Prüfungen im juristischen Staatsexamen durchgeführt werden.449 Auch das Verfassen von Aufsätzen und Monographien ist ebenso wie die Bearbeitung von Gesetzeskommentaren für die Fortbildung des Rechts unerlässlich. Es ist durchaus sinnvoll 443 Bäumer BJ 2003, 160, 160 ff.; Gruber ZRP 1997, 216, 216; Harries-Lehmann (2004) S. 374; Kirchhoff BJ 2002, 253, 253; Klein in: FAZ vom 17. Dezember 1997 S. 10; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Piorreck DRiZ 1988, 154, 154; Piorreck (2003) S. 4; Rudolph NJW 1997, 2928, 2928; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 750. 444 Ackermann in: FS-Offerhaus (1999) S. 223, 225; Bäumer BJ 2003, 160, 160 ff.; Gruber ZRP 1997, 216, 216; Harries-Lehmann (2004) S. 374; Kirchhoff BJ 2002, 253, 253; Kneier in: Bonner GA vom 25. März 2008 S. 4; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Rudolph NJW 1997, 2928, 2930. 445 Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Piorreck DRiZ 1988, 154, 154. 446 Klein in: FAZ vom 17. Dezember 1997 S. 10; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Piorreck DRiZ 1988, 154, 154; Rudolph NJW 1997, 2928, 2928 ff. 447 Ackermann in: FS-Offerhaus (1999) S. 223, 230; Bäumer BJ 2003, 160, 162; Klein in: FAZ vom 17. Dezember 1997 S. 10; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354. 448 Ackermann in: FS-Offerhaus (1999) S. 223, 230; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354. 449 Bäumer BJ 2003, 160, 161 f.; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Rudolph NJW 1997, 2928, 2929.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

und notwendig, dass sich die Richter als Rechtspraktiker an diesem Prozess beteiligen.450 Problematisch werden diese Tätigkeiten erst dann, wenn darunter die Arbeit der Richter bei Gericht leidet, wenn sie also nicht zu den üblichen Arbeitszeiten hinzutreten, sondern die für die eigentliche Rechtsprechungstätigkeit verbleibende Zeit stark beeinträchtigen.451 Der Öffentlichkeit ist es kaum zu vermitteln, dass einerseits seitens der Richter über eine personelle Unterbesetzung der Gerichte geklagt wird, andererseits jedoch von diesen in nicht unerheblichem Maße Nebentätigkeiten wahrgenommen werden.452 Die Gefahr, dass die Grenzen einer mit der Richtertätigkeit verträglichen Form der Nebentätigkeit überschritten werden, ist groß.453 Insbesondere bei Richtern in den höheren Instanzen und am Bundesverfassungsgericht, aber auch am Europäischen Gerichtshof, am Europäischen Gericht erster Instanz und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, ist die Nachfrage von Akademien und Verlagen groß. Hat sich ein Richter erst einmal einen Namen gemacht, dann wird er immer wieder gebeten, Aufsätze, Bücher und Kommentare zu verfassen, Vorträge zu halten und dazu auch zu verreisen.454 Ein Richter bewegt sich hier stets auf einem schmalen Grat und muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen im Prinzip für die richterliche Tätigkeit fruchtbaren Nebentätigkeiten und der für seine eigentliche Tätigkeit zur Verfügung stehenden Zeit finden.455 Es sollte niemals ein Zweifel darüber entstehen, welche der Tätigkeiten die Haupt- und welche die Nebentätigkeit ist.456 Auch bezüglich der Nebentätigkeiten kommt es letztendlich auf die Haltung der Richter und ihre Einstellung zu ihrer Tätigkeit an und damit können Gespräche mit den Richtern und Fortbildungen dazu beitragen, ein ausgewogenes Mittel im Hinblick auf die Nebentätigkeiten zu finden.457 d) Amtsermittlungsgrundsatz Zum Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer trägt auch eine teilweise zu extensive Anwendung des in § 86 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsge450

Ackermann in: FS-Offerhaus (1999) S. 223, 231 f.; Bäumer BJ 2003, 160, 161 f. Bäumer BJ 2003, 160, 161 ff.; Gruber ZRP 1997, 216, 216; Rudolph NJW 1997, 2928, 2929; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 750. 452 Bäumer BJ 2003, 160, 162. 453 Bäumer BJ 2003, 160, 162 f.; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354. 454 Ackermann in: FS-Offerhaus (1999) S. 223, 231 f.; Bäumer BJ 2003, 160, 161; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354. 455 Bäumer BJ 2003, 160, 161 ff.; Niehues Anhang VIII (2005) S. 354; Rudolph NJW 1997, 2928, 2929. 456 Bäumer BJ 2003, 160, 160; Gruber ZRP 1997, 216, 216. 457 Niehues Anhang VIII (2005) S. 354. 451

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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richtsordnung normierten Amtsermittlungsgrundsatzes bei, nach dem der Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen ist.458 Entsprechende Regelungen enthält auch § 103 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes und § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung.459 Als ein extremes Beispiel für eine solche zu extensive Sachverhaltserforschung durch einen Richter wird stets die Nichtigerklärung einer Satzung aufgrund falscher Farben im Landeswappen angeführt.460 In dem Positionspapier der Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe „Standards verwaltungsgerichtlicher Arbeit“ vom 7. März 2005 wird angesichts solcher Extremfälle betont, dass einer „hypertrophen Amtsermittlung“ im Rahmen der Binnenmodernisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit „zu Leibe gerückt“ wird.461 Um dies zu verdeutlichen wurde in dem Positionspapier die Formulierung „Was man dem Richter nicht klagt, soll er nicht richten“ gewählt,462 die auch vom Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster in seinem Vortrag bei der Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein am 17. Juni 2005 in Münster nachdrücklich verteidigt wurde.463 Manche lehnen diese Formulierung angesichts der gesetzlich statuierten Pflicht des Richters, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, strikt ab,464 zumindest ist sie jedoch „gefährlich“.465 Gerade im Verwaltungsprozess besteht die Gefahr, dass der Richter zu früh Schluss macht und etwas für rechtmäßig erklärt, was er im nächsten Verfahren dann doch aufgrund eines anderen Mangels für rechtswidrig erklären muss.466 Dem Bürger kann jedoch kaum verständlich gemacht werden, dass – zum Beispiel bei einem Verfahren über einen Bebauungsplan – sein Verfahren ganz anders ausgeht als das seines unmittelbaren Nachbarn, nur weil dieser etwas anderes vorgetragen hat als er.467 Justitia trägt zwar eine Binde vor den Augen, gleichwohl ist sie nicht blind, sondern hat grundsätzlich sämtlichen, ihr erkennbar gewordenen Mängeln nachzugehen, von 458 Arntz Anhang II (2005) S. 315; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Bertrams NWVBl 2005, 245, 247; Dawin in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (2000) § 86 Rn 6 ff.; Eylmann u. a. (2004) S. 40 Rn 110 und S. 41 Rn 113; Höfling/Rixen in: Sodan/Ziekow (2006) § 86 Rn 2; Martens ZRP 1985, 278, 279 f.; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Sendler DVBl 1982, 812, 818; Sendler in: FS-Feldhaus (1999) S. 479, 498; Sendler NVwZ 2003, 957, 958; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8; Wittmann BayVBl 1987, 744, 745. 459 Eylmann u. a. (2004) S. 40 Rn 110; Leitherer in: Meyer-Ladewig (2005) § 103 Rn 1; Stapperfend in: Gräber (2006) § 76 Rn 1. 460 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 461 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Bertrams DVBl 2006, 997, 1003. 462 Bertrams NWVBl 2005, 245, 247. 463 Bertrams NWVBl 1997, 3, 4; Bertrams NWVBl 2005, 245, 248. 464 Addicks NWVBl 2005, 293, 294; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 8. 465 Arntz Anhang II (2005) S. 315. 466 Arntz Anhang II (2005) S. 315; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151. 467 Arntz Anhang II (2005) S. 315; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

wem auch immer sie gerügt oder übersehen worden sind.468 Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes setzt einer Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes Grenzen, die nicht überschritten werden sollten und dürfen.469 Dieser Grundsatz ist in der Verwaltungsgerichtsbarkeit angesichts des vielfach bestehenden öffentlichen Interesses an dem Verfahren und auch wegen der grundsätzlichen Überlegenheit des Staates gegenüber dem Bürger unverzichtbar.470 Dies wird allerdings auch von den Kritikern einer zu weitgehenden Amtsermittlung so gesehen und ihnen geht es daher auch ausdrücklich nicht um die Abschaffung des Amtsermittlungsgrundsatzes, sondern um dessen Modifizierung.471 Eine sinnvolle Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes könnte so aussehen, dass auch bei komplexen Sachverhalten die Amtsermittlung bei von den Beteiligten vorgebrachten Anknüpfungstatsachen ansetzt.472 Dagegen sollte ein Verwaltungsakt nicht aus Gründen aufgehoben werden, die auch bei Zugrundelegung einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ von den Beteiligten gar nicht angesprochen worden ist.473 Eine ungefragte Fehlersuche ist also zu vermeiden.474 Die Mitwirkung der Beteiligten bei der Sachverhaltsdarstellung ist auch in den vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Verfahren notwendig und zumutbar.475 Die Beteiligten sollen darlegen und geltend machen, wo sie sich beschwert fühlen und das soll der Richter richten.476 So ist wohl auch die Formulierung in dem oben zitierten Positionspapier gemeint und so wird der Amtsermittlungsgrundsatz auch von vielen Richtern praktiziert.477 Eine Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes sollte jedoch nicht im Rahmen von irgendwelchen gesetzlichen Regelungen, sondern nur im Sinne einer Selbstbe468

Quaas BDVR-R 2004, 147, 151. Arntz Anhang II (2005) S. 315. 470 Arntz Anhang II (2005) S. 315; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 41; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Petersen BDVR-R 1998, 14, 18; Redeker RuP 1982, 51, 55; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 336; Stoll SchlHA 1993, 263, 265. 471 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Mayen Anhang VI (2005) S. 341. 472 Eylmann u. a. (2004) S. 42 Rn 116; Johlen DÖV 2001, 582, 582; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 156; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Schenke DÖV 1982, 709, 724 f.; Stoll SchlHA 1993, 263, 265 f. 473 Eylmann u. a. (2004) S. 42 Rn 116; Mayen Anhang VI (2005) S. 341. 474 Stelkens NVwZ 2000, 155, 157. 475 Clausing NVwZ 1992, 717, 718; Eylmann u. a. (2004) S. 3 f. und S. 41 Rn 115 und S. 42 Rn 116; Johlen DÖV 2001, 582, 582; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 156; Kopp DVBl 1982, 613, 618; Martens ZRP 1985, 278, 280; Otto (1994) S. 41 f.; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 85; Redeker RuP 1982, 51, 55; Redeker DVBl 1982, 805, 810; Schenke DÖV 1982, 709, 724 f.; Stapperfend in: Gräber (2006) § 76 Rn 2; Stoll SchlHA 1993, 263, 265. 476 Eylmann u. a. (2004) S. 41 Rn 115 und S. 42 Rn 116; Johlen DÖV 2001, 582, 582; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Stoll SchlHA 1993, 263, 265. 477 Mayen Anhang VI (2005) S. 341. 469

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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schränkung der Richter, eines „judical self-restraint“, erfolgen.478 Doch wie das Positionspapier zeigt, geht auch die Richterschaft selbst davon aus, dass der Amtsermittlungsgrundsatz nicht durchweg in dieser Art und Weise praktiziert wird.479 Insofern kann auch eine sinnvolle Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen,480 wobei wiederum die – möglicherweise durch Fortbildungen beeinflusste – Einstellung des Richters maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg dieser Möglichkeit hat.481 e) Kontrolldichte Ähnlich wie eine zu extensiv ausgeübte Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen kann auch eine zu weit in den Bereich der Exekutive hinein erstreckte Kontrolldichte zu einer Mehrbelastung der Gerichte und damit zu überlanger Verfahrensdauer führen.482 Teilweise wird bemängelt, dass sich Deutschland einen überzogenen Rechtsstaat leistet, in dem alles und jedes rechtlich normiert und damit rechtlichen Bindungen unterworfen wird, die unvermeidlich Streit und damit unvorhersehbare richterliche Entscheidungen provozieren.483 Zuviel Recht kann das Recht selbst zerstören.484 So wurden zum Beispiel wiederholt Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Prüfungsrecht vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, weil die Gerichte die Entscheidungen der Behörde nicht hinreichend intensiv überprüft hätten.485 Die Verwaltungsgerichte wollten den Justizprüfungsämtern eine Ein478 Arntz Anhang II (2005) S. 315; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 106; Ossenbühl in: FS-Redeker (1993) S. 55, 68 f.; Sendler DVBl 1982, 923, 932; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 858. 479 Eylmann u. a. (2004) S. 41 Rn 115; Mayen Anhang VI (2005) S. 341. 480 Arntz Anhang II (2005) S. 315; Eylmann u. a. (2004) S. 40 Rn 110 und S. 41 Rn 113; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Sendler DVBl 1982, 812, 818; Sendler in: FS-Feldhaus (1999) S. 479, 498; Sendler NVwZ 2003, 957, 958; Stoll SchlHA 1993, 263, 264; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8; Wittmann BayVBl 1987, 744, 745. 481 Niehues Anhang VIII (2005) S. 351. 482 Graßhof Anhang IX (2005) S. 359; Muckel WissR 27 (1994), 107, 107 ff.; Redeker (2000) S. 22 f.; Riotte NWVBl 1997, 1, 1; Rumpf NVwZ 1997, 981, 981; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 524; Schulze-Fielitz JZ 1993, 772, 781; Wittmann BayVBl 1987, 744, 745; Würkner NVwZ 1992, 309, 310. 483 Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 421; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Pschera VBlBW 1997, 472, 473; Redeker in: Handelsblatt vom 9. April 2003 S. R1; Rumpf NVwZ 1997, 981, 981; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 524; Seifert in: Pitschas/ Walther (2005) S. 59, 61. 484 Franßen in: Lüder (1998) S. 31, 42. 485 BVerfG (1. Senat) 17. April 1991 Az 1 BvR 1529/84, 138/87 BVerfGE 84, 34, 45 ff.; BVerfG (1. Senat) 17. April 1991 Az 1 BvR 419/81, 213/83 BVerfGE 84, 59, 72 ff.; Brehm/Zimmerling NVwZ 2000, 875, 879; Ewer NVwZ 1994, 140, 141; Fran-

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

schätzungsprärogative einräumen, wurden jedoch durch das Bundesverfassungsgericht daran gehindert. Auch wenn im Gerichtsalltag Fälle zu weit ausgedehnter Kontrolldichte wohl eher Einzelfälle sind und damit für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer insgesamt nur nachrangige Bedeutung haben,486 so bietet doch die vorsichtige Rücknahme der Kontrolldichte durch die Einräumung größerer Beurteilungsspielräume der Verwaltung eine weitere Möglichkeit, überlanger Verfahrensdauer zu begegnen.487 Dahingehende Versuche in der Verwaltungsgerichtsbarkeit scheitern jedoch regelmäßig aufgrund der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes.488 Solange sich diese nicht ändert, können die Richter der Fachgerichte an diesem Punkt nur wenig zu einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten beitragen.489 Allerdings spielt auch hier die Einstellung der Richter insoweit eine entscheidende Rolle, als dass sie die Kontrolldichte nicht noch über das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Maß hinaus erstrecken.490 Auch ohne die Diskussion über die Kontrolldichte erneut aufzurollen, können Richter versuchen, vernünftig mit den hohen Anforderungen an die Kontrolldichte umzugehen und gegebenenfalls andere praktische Lösungsansätze zu entwickeln, wie zum Beispiel die Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungsgrundsätze statt der Einschaltung von Sachverständigen.491 Dabei sollte der Richter stets das Rechtsschutzinteresse des Bürgers mit dem Interesse der Bürger an einer leistungsfähigen Verwaltung zur Übereinstimmung bringen.492 Eine zu weit in den Bereich der Exekutive hinein erstreckte Kontrolldichte kann zu

ßen in: Lüder (1998) S. 31, 38; Herzog NJW 1992, 2601, 2601 ff.; Löwer in: FS-Redeker (1993) S. 515, 523 ff.; Löwer/Linke WissR 30 (1997), 128, 128 ff.; Mayen NVwZ 1995, 255, 255; Michaelis VBlBW 1997, 441, 442; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 107; Muckel WissR 27 (1994), 107, 108 ff.; Niehues NJW 1991, 3001, 3001 ff.; Niehues (2000) Rn 664; Niehues (2004) Rn 464 ff. und 846 ff. und 863; Niehues Anhang VIII (2005) S. 351; Redeker (2000) S. 22 f.; Schmidt-Aßmann DVBl 1997, 281, 281 ff.; Schulze-Fielitz JZ 1993, 772, 772 ff.; Stein/Frank (2004) S. 431; Wimmer in: FS-Redeker (1993) S. 531, 531; Würkner NVwZ 1992, 309, 310. 486 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 487 Arntz Anhang II (2005) S. 321; Niehues Anhang VIII (2005) S. 350; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker (2000) S. 22 f.; Sendler DVBl 1982, 812, 818; Sendler DVBl 1982, 923, 932; Sendler VBlBW 1989, 41, 51; Sendler in: FS-Feldhaus (1999) S. 479, 498; Sendler NVwZ 2003, 957, 958; Stoll SchlHA 1993, 263, 264. 488 Everling in: FS-Redeker (1993) S. 293, 308; Mayen NVwZ 1995, 255, 255; Michaelis VBlBW 1997, 441, 442; Muckel WissR 27 (1994), 107, 108 ff.; Niehues NJW 1991, 3001, 3001; Niehues Anhang VIII (2005) S. 350; Redeker (2000) S. 23; Schulze-Fielitz JZ 1993, 772, 776. 489 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350; Redeker (2000) S. 23. 490 Niehues Anhang VIII (2005) S. 351; Redeker (2000) S. 23. 491 Michaelis VBlBW 1997, 441, 446; Niehues Anhang VIII (2005) S. 351; Redeker (2000) S. 23; Sendler in: Blümel/Pitschas (1997) S. 74, 95 f. 492 Redeker DÖV 1971, 757, 758; Ress (1968) S. 259 ff.; Schmieszek VR 1990, 149, 149; Würkner NVwZ 1992, 309, 312.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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einer Lähmung der Verwaltung führen.493 Eine behutsame Rücknahme der Anforderungen an die Kontrolldichte durch die Richter des Bundesverfassungsgerichts könnte für die Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte in Deutschland durchaus zu einer Entlastung und damit zu einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten führen.494 f) Konsensuale Streitschlichtung, Mediation und Vergleich „Es ist nicht einzusehen, weshalb es neben den Rechtsanwälten, die unser Recht durchsetzen wollen, nicht auch Versöhnungsanwälte gibt, die uns Rechtsstreitigkeiten ersparen möchten.“495

Dieser Aphorismus des deutschen Dramatikers Sigmund Graff (1898–1979) spricht einen weiteren Punkt an, der zur Belastung der Gerichte und damit zur langen Dauer vieler Gerichtsverfahren beiträgt: Zu selten werden Streitschlichtungsmechanismen angewendet, die Prozesse bereits im Vorfeld verhindern oder zumindest einen zügigeren Abschluss des Verfahrens ohne Urteil ermöglichen. Insbesondere in neuerer Zeit wird daher verstärkt darüber diskutiert, die Überlastung der Gerichte und damit auch die Verfahrensdauer zu reduzieren, indem eine außergerichtliche, gerichtsnahe oder gerichtsinterne Streitschlichtung durchgeführt wird.496 493

Ress (1968) S. 259. Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 495 Duden Zitate und Aussprüche (2002) S. 766. 496 Addicks u. a. (2005) Punkte 5.4 und 5.5; v. Bargen DVBl 2004, 468, 468 ff.; v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 55 ff.; v. Bargen in: SZ vom 30. April/1. Mai 2005 S. 15; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Bertrams NWVBl 1997, 3, 6; Bertrams DVBl 2006, 997, 1006; Büscher in: Pitschas/Walther (2005) S. 209, 211 ff.; Busse (2000) B VII; Busse NJW 2001, 1545, 1546; Busse (2005) S. 46; Caesar RuP 1994, 131, 132; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 18 und 24; Carl/Strecker BJ 2004, 215, 215; Clostermann u. a. BDVR-R 2004, 18, 18; Däubler-Gmelin in: SZ vom 12. Juni 1999 S. 10; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Duve in: FAZ vom 23. April 1999 S. 22; Entringer/Josephi/deWitt BJ 2003, 24, 24 ff.; Eyermann in: SZ vom 8. Februar 2005 S. 5; Eylmann RPfl 1998, 45, 49; Eylmann u. a. (2004) S. 4; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 333 f.; Gottwald BRAK-Mitt 1998, 60, 60 ff.; Grawert DVBl 1983, 973, 981 f.; Härtel JZ 2005, 753, 753; Harries-Lehmann (2004) S. 16; Haunhorst DStZ 2004, 868, 868 ff.; Heinke in: SZ vom 29. April 2005 S. 39; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 14; Henn (2000) S. 4; Hennemann in: SZ vom 16. Oktober 1999 S. 5; Hill JZ 1981, 805, 815; Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 246 ff.; Hirte in: FAZ vom 18. Juni 1996 S. 10; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 422 ff.; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kempf AnwBl 1997, 75, 75; Kempf StV 1997, 208, 208; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 158 ff.; Kissel/Mayer in: Kissel/ Mayer (2008) Einleitung Rn 133 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 216; Körner BDVR-R 2005, 11, 13; Kohl BJ 2004, 219, 219; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Kramer NVwZ 2005, 537, 539; Leisner (2003) S. 257; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Lindemann ZRP 1999, 200, 203; Löer ZZP 119 (2006), 199, 199; MaierMannhart in: SZ vom 9. August 1999 S. 20; Maier-Mannhart in: SZ vom 16. Januar 2002 S. 24; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 125 und 147 ff.; Millgramm BDVR-R 494

132

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Eine zurzeit besonders populäre Möglichkeit der konsensualen Streitschlichtung ist die außergerichtliche, gerichtsnahe oder gerichtsinterne Mediation, auf die im Folgenden anhand des Beispiels der gerichtsinternen Mediation näher eingegangen werden soll.497 Bei dieser Form der Mediation gibt der gesetzliche Richter ein bei ihm anhängiges Verfahren mit dem Einverständnis der Beteiligten an einen speziell ausgebildeten Richtermediator ab, wenn er eine Einigung der Beteiligten im Wege eines Mediationsverfahrens für denkbar hält.498 Der zuständige Richtermediator vereinbart daraufhin mit den Beteiligten einen Termin, bei dem er ein Einigungsgespräch zwischen diesen moderiert.499 Die Beteiligten werden von ihm bei diesem Gespräch darauf hingewiesen, dass er – da er nicht der gesetzliche Richter ist – keine Entscheidungsbefugnis hat und dass es ihm deswegen auch nicht darauf ankommt, wer in dem vorliegenden Streitfall Recht hat, sondern wie er mit den Beteiligten einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss finden kann.500 Die Mediation unterscheidet sich also von Vergleichsverhandlungen insbesondere dadurch, dass der Mediator keine Entscheidungsbefugnis hat.501 1997, 99, 102; Millgramm SächsVBl 2003, 104, 108; Millgramm BDVR-R 2003, 128, 132; Mohr in: Pitschas/Walther (2005) S. 179, 181 ff.; Nebeling in: FAZ vom 15. Oktober 2003 S. 23; Neuenhahn in: SZ vom 31. Januar 2005 S. 40; Notter in: SZ vom 25./26. November 2006 S. 26; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 396; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1315 f.; Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2; Petersen BDVR-R 1998, 14, 15 f.; Pitschas ZRP 1998, 96, 97; Pitschas NVwZ 2004, 396, 396 ff.; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 33; Pitschas/Walther in: Pitschas/ Walther (2005) S. 9, 9; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430 ff.; Prantl in: SZ vom 1. Juli 2005 S. 4; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Redeker RuP 1982, 51, 53; Redeker (2000) S. 6 und 15 f.; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Redeker BDVR-R 2002, 175, 175 f.; Redeker ZRP 2004, 160, 160; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 255 und 262 ff.; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 133 ff.; Schäfer DRiZ 1995, 461, 467 und 470; Schaffner AnwBl 1997, 139, 139 ff.; Schlette (1999) S. 16; Schmid BJ 2001, 28, 28 f.; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 91 ff.; Schreiber BJ 2004, 216, 216 ff.; Schwab/Walter (2000) S. 5; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 61; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Sendler NVwZ 2003, 957, 958; Seuß in: FAZ vom 6. November 1998 S. 28; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 323; Stoll SchlHA 1993, 263, 268; Strempel AnwBl 1993, 434, 434 f.; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 748; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1136; Trenczek in: SZ vom 12. Mai 2006 S. 2; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 179 f.; Walther BDVR-R 2004, 26, 26; Walther DRiZ 2005, 127, 127; Ziekow NVwZ 2004, 390, 390 ff. 497 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 57; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 334; Härtel JZ 2005, 753, 756 und 760; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; Löer ZZP 119 (2006), 199, 199; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1316; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Ortloff NVwZ 2004, 385, 390; Pitschas NVwZ 2004, 396, 398 ff.; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Walther DRiZ 2005, 127, 127. 498 Härtel JZ 2005, 753, 755 und 760; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 396. 499 Härtel JZ 2005, 753, 754 f. und 760; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 396. 500 Härtel JZ 2005, 753, 755 und 760; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 396.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

133

Ein klassisches Beispiel für mediationsgeeignete Fälle sind Nachbarschaftsstreitigkeiten, in denen ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung ausschlaggebend ist.502 Eine Lösung solcher Konflikte ist in der Regel nicht durch die Entscheidung des dem gesetzlichen Richter vorliegenden Streitfalls möglich, sondern erfordert ein Eingehen auf die Vorgeschichte und weitere zwischen den Nachbarn schwelende Konflikte.503 Würde der gesetzliche Richter in einem solchen Fall dem einen der Nachbarn Recht geben, so würde der Verlierer bei nächstbester Gelegenheit erneut einen Prozess anstrengen, um es dem Nachbarn „heimzuzahlen“. Der Richtermediator kann hingegen dazu beitragen, dass die Beteiligten wieder miteinander ins Gespräch kommen und gemeinsam nach Lösungen ihres Konflikts suchen.504 Der Vorteil einer konsensualen Streitschlichtung in einem solchen Fall ist, dass anschließend beide Seiten – die in der Regel auch nach diesem Konflikt Nachbarn bleiben – ihre Beziehungen eher ungetrübt fortsetzen können als nach einem Urteil, das einen Gewinner und einen Verlierer zurücklässt.505 501

Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 396. v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56 f.; Falkenstein/Gerbracht in: Pitschas/Walther (2005) S. 315, 325; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 333; Gottwald BRAK-Mitt 1998, 60, 62; Härtel JZ 2005, 753, 754 f.; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/ 1; Köckritz in: SZ vom 21. Juli 2006 S. V2/2; Kramer NVwZ 2005, 537, 539; Lehmann in: Bonner GA vom 29. Juni 2006 S. 20; Mohr in: Pitschas/Walther (2005) S. 179, 181; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2; Pitschas NVwZ 2004, 396, 397; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430 und 433; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 52 f.; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 94; Schaffner AnwBl 1997, 139, 140; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 61. 503 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56 f.; Falkenstein/Gerbracht in: Pitschas/Walther (2005) S. 315, 325; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 333; Gottwald BRAK-Mitt 1998, 60, 62; Härtel JZ 2005, 753, 754 f.; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/ 1; Kramer NVwZ 2005, 537, 539; Lehmann in: Bonner GA vom 29. Juni 2006 S. 20; Mohr in: Pitschas/Walther (2005) S. 179, 181; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2; Pitschas NVwZ 2004, 396, 397; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430 und 433; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 52 f.; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 94; Schaffner AnwBl 1997, 139, 140; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 61. 504 Härtel JZ 2005, 753, 755 und 760; Haunhorst DStZ 2004, 868, 870; Lehmann in: Bonner GA vom 29. Juni 2006 S. 20; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 397. 505 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56 f.; Büttner/Heinecke in: Pitschas/Walther (2005) S. 251, 268; Falkenstein/Gerbracht in: Pitschas/Walther (2005) S. 315, 317; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 333; Härtel JZ 2005, 753, 756; Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 247; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 397; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1316; Ortloff in: FSBVerwG (2003) S. 727, 729 und 732; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 83 Fn 69; Pitschas NVwZ 2004, 396, 397; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430 und 433; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 304; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 52 f.; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 135; Schaffner AnwBl 1997, 139, 139; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 61. 502

134

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Gelingt es den Konfliktparteien anhand eines vom Richtermediator moderierten Gesprächs eine Lösung zu finden, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese bei einem erneuten Streit direkt wieder einen Prozess anstrengen. Eine Zeitersparnis und Entlastung der Gerichte ergibt sich daher nicht nur daraus, dass der Zeitaufwand für die Erledigung eines Mediationsverfahrens durch einen Richtermediator in der Regel unterhalb des Zeitaufwands liegt, der bei Beendigung des Rechtsstreits durch den gesetzlichen Richter anzusetzen ist,506 sondern insbesondere auch durch die Vermeidung von weiteren Prozessen aufgrund der Lösung des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Grundkonflikts.507 Voraussetzung dafür, dass der Versuch einer konsensualen Streitschlichtung nicht zu einer bloßen Durchlaufstation verkommt, ist natürlich eine grundsätzliche Einigungsbereitschaft der Beteiligten.508 Da die Übertragung des Falls an einen Richtermediator nur mit Zustimmung der Beteiligten möglich ist, haben diese jedoch bereits im Vorfeld des Mediationsversuchs mit der Erteilung ihrer Zustimmung eine grundsätzliche Bereitschaft zum Konsens unter Beweis gestellt. Dieses Beispiel für eine gerichtsinterne Mediation verdeutlicht, dass durch eine konsensuale Lösung des Problems vielfach leichter Rechtsfrieden durch vernünftige Lösungen und Kompromisse erreicht werden kann, als dies in einem förmlichen Prozess möglich ist.509 Insbesondere die Einbeziehung von außerhalb des Streitgegenstands liegendem Streitstoff ist außerhalb des förmlichen Prozesses leichter möglich.510 Bei Fällen, die noch eine Einigung möglich er506 Härtel JZ 2005, 753, 756 und 760; Haunhorst DStZ 2004, 868, 871; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 397; Walther DRiZ 2005, 127, 128. 507 Härtel JZ 2005, 753, 757; Haunhorst DStZ 2004, 868, 871; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 397. 508 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 29; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 14; Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 247; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 82 f.; Pitschas NVwZ 2004, 396, 399; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 33; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 304; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 53; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 108. 509 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 57; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 333 f.; Härtel JZ 2005, 753, 756; Haunhorst DStZ 2004, 868, 870 f.; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Ortloff in: FSBVerwG (2003) S. 727, 732; Pitschas NVwZ 2004, 396, 397; Pitschas in: Pitschas/ Walther (2005) S. 33, 33; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430; Redeker RuP 1982, 51, 53; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 94; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 61 f. und 87. 510 Addicks u. a. (2005) Punkt 5.5; v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Finkelnburg/ Ortloff (2005) S. 333 f.; Härtel JZ 2005, 753, 756; Haunhorst DStZ 2004, 868, 870; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Pitschas NVwZ 2004, 396, 397; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 33; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430 und 433; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46; Schönhauser in: Pitschas/ Walther (2005) S. 89, 94; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 61 und 87.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

135

scheinen lassen, ist der Versuch einer konsensualen Streitschlichtung im Wege der Mediation damit in der Regel sinnvoll und auch im Hinblick auf die Verfahrensdauer sehr zu begrüßen.511 Konsensuale Streitschlichtungsmechanismen werden von einigen jedoch auch skeptisch gesehen512 und als ungeeignete Mittel angesehen, um die staatlichen Gerichte zu entlasten.513 Im Wesentlichen werden zwei Argumente gegen konsensuale Streitschlichtungsmechanismen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit angeführt: Als erstes Argument dient, dass in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Widerspruchsverfahren in der Regel bereits vor Erhebung der Klage ein Verfahren durchgeführt worden ist, das Gelegenheit für eine außergerichtliche Einigung geboten hätte.514 Bei den Verfahren, die schließlich beim Verwaltungsgericht eingehen, sei insofern eine konsensuale Streitbeilegung kaum noch möglich.515 Dieses Argument ist für die Bereiche, in denen auch heute noch ein Widerspruchsverfahren vorgesehen ist, insoweit durchaus richtig, als in der Regel zuvor bereits ein Verfahren durchgeführt worden ist, in dem eine Einigung hätte zustande kommen können. Allerdings dient das Vorverfahren im Regelfall primär der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, nicht jedoch einer konsensualen Konfliktlösung. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten oft sehr lange dauern können und in dieser Zeit die Bereitschaft der Beteiligten wachsen kann, durch Verhandlungen zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.516

511 Arntz Anhang II (2005) S. 321; v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Büscher in: Pitschas/Walther (2005) S. 209, 233; Härtel JZ 2005, 753, 756 und 762; Haunhorst DStZ 2004, 868, 871; Hirschfelder in: Pitschas/ Walther (2005) S. 237, 247; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1316; Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2; Petersen BDVR-R 1998, 14, 16; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 83; Pitschas NVwZ 2004, 396, 399; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430 ff.; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 305 und 311 ff.; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 143 und 145; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 94; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 87; Strempel AnwBl 1993, 434, 435. 512 Dombek DRiZ 2006, 247, 249; Dury DRiZ 1999, 160, 162; Millgramm BDVRR 1997, 99, 102; Petersen BDVR-R 1998, 14, 18; Weth NJW 1996, 2467, 2472; Weth in: FS-Lüke (1997) S. 961, 962. 513 Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350 f.; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 102. 514 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 25; Petersen BDVR-R 1998, 14, 18; Redeker RuP 1982, 51, 53; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 133. 515 Petersen BDVR-R 1998, 14, 18; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 133; Stoll SchlHA 1993, 263, 266. 516 Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 133.

136

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Als zweites Argument wird angeführt, dass es gerade im Bereich des Öffentlichen Rechts gelegentlich das Bedürfnis gebe, eine offene Rechtsfrage in einem Musterprozess rechtsverbindlich zu klären, um für weitere Fälle Klarheit zu erzielen.517 Diesem Argument ist insoweit zuzustimmen, als ein solcher Fall natürlich ungeeignet für eine konsensuale Streitschlichtung ist, da die offene Rechtsfrage unmittelbar anschließend in einem weiteren Verfahren geklärt werden müsste.518 Beschränkt man jedoch die konsensuale Lösung von Streitigkeiten auf solche Verfahren, die keine über die Beteiligten hinausgehende Wirkung haben, so lässt sich auch dieses Argument entkräften. Die Praxis an den Gerichten hat bisher gezeigt, dass sich in sehr vielen Fällen eine konsensuale Lösung des Streits anbietet.519 Bisher steht die Einführung der gerichtsinternen oder gerichtsnahen Mediation an den nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten und auch an den Gerichten der anderen Bundesländer allerdings noch am Anfang.520 Die Verwaltungsgerichte in Nordrhein-West517 Geiger ZRP 1998, 252, 252; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Lemke BDVR-R 1997, 40, 43; Mayen Anhang VI (2005) S. 339; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 541; Redeker RuP 1982, 51, 55; Redeker (2000) S. 14 und 26; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 134; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 232; Scholz DVBl 1982, 605, 611. 518 Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Mayen Anhang VI (2005) S. 339; Redeker (2000) S. 14 und 26; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 134. 519 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 55; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 18; Büscher in: Pitschas/Walther (2005) S. 209, 233; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 333 f.; Härtel JZ 2005, 753, 753 ff.; Henke ZZP 83 (1970), 125, 139; Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 247; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2; Petersen BDVR-R 1998, 14, 16; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 33; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Ponschab AnwBl 1993, 430, 430; Redeker RuP 1982, 51, 53; Redeker (2000) S. 14; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 311 ff.; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 145; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 94; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 87; Strempel AnwBl 1993, 434, 435; Walther DRiZ 2005, 127, 128. 520 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Büttner/ Heinecke in: Pitschas/Walther (2005) S. 251, 253 ff.; Carl/Strecker BJ 2004, 215, 215; Clostermann u. a. BDVR-R 2004, 18, 19 ff.; Entringer/Josephi/deWitt BJ 2003, 24, 24 ff.; Falkenstein/Gerbracht in: Pitschas/Walther (2005) S. 315, 315 ff.; Härtel JZ 2005, 753, 754; Haunhorst DStZ 2004, 868, 869; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 149; Kohl BJ 2004, 219, 219 f.; Mohr in: Pitschas/Walther (2005) S. 179, 181; v. Olenhusen DRiZ 2003, 396, 396; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1316; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Ortloff NVwZ 2004, 385, 386; Ortloff in: Pitschas/ Walther (2005) S. 343, 344 f.; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 291 ff.; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 45; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 91; Schreiber BJ 2004, 216, 216; Walther BDVR-R 2004, 26, 26; Walther DRiZ 2005, 127, 128.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

137

falen finanzieren seit einiger Zeit aus ihrem eigenen Etat eine Mediationsschulung für Richter zum Erlernen der gerichtsinternen Mediation.521 Diese soll zukünftig in allen Fällen angewendet werden, die mediationsgeeignet sind.522 Es hat sich bereits gezeigt, dass der Einsatz entsprechend geschulter Richter zur schnelleren, angemesseneren und nachhaltigeren Beilegung von Streitigkeiten sehr vielversprechend ist und die in verschiedenen Bundesländern durchgeführten Modellversuche positiv verlaufen sind.523 Angesichts der positiven Erfahrungen mit den bisher durchgeführten Modellversuchen sollten konsensuale Schlichtungsmechanismen daher verstärkt eingesetzt werden.524 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Anwendung konsensualer Streitschlichtungsmechanismen, zum Beispiel im Wege der Mediation, in geeigneten Fällen zu einer Entlastung der Gerichte und dadurch insgesamt zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer beiträgt.525 Im Hinblick auf eine Entlastung der Gerichte und Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten wäre es daher erstrebenswert, wenn die Gerichte 521

Bertrams Anhang VII (2005) S. 346. Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Falkenstein/Gerbracht in: Pitschas/Walther (2005) S. 315, 325; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 334; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 177; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 297; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 55. 523 v. Bargen DVBl 2004, 468, 468; v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Büttner/Heinecke in: Pitschas/Walther (2005) S. 251, 253 ff.; Clostermann u. a. BDVR-R 2004, 18, 19 ff.; Falkenstein/Gerbracht in: Pitschas/Walther (2005) S. 315, 315 ff.; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 334; Härtel JZ 2005, 753, 754 ff.; Mohr in: Pitschas/Walther (2005) S. 179, 181; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732; Ortloff NVwZ 2004, 385, 386; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Redeker BDVRR 2002, 175, 176; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 291 ff.; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46 und 51; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 143 und 145; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 91; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 87; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 12 und 16; Walther DRiZ 2005, 127, 128. 524 Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Büscher in: Pitschas/Walther (2005) S. 209, 233; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 334; Härtel JZ 2005, 753, 756 und 762; Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 247; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1316; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732 und 738; Ortloff NVwZ 2004, 385, 386; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) S. 291, 305 und 311 ff.; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 46 und 51; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 143 und 145; Schönhauser in: Pitschas/ Walther (2005) S. 89, 91; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 87; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 10 und 13 ff. 525 Büscher in: Pitschas/Walther (2005) S. 209, 233; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 334; Härtel JZ 2005, 753, 756 und 762; Haunhorst DStZ 2004, 868, 871; Hirschfelder in: Pitschas/Walther (2005) S. 237, 247; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 176 f.; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1316; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 732 und 738; Pitschas in: Pitschas/ Walther (2005) S. 33, 33 ff.; Pitschas/Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 9, 9; Redeker BDVR-R 2002, 175, 176; Reichenbach/Helbig in: Pitschas/Walther (2005) 522

138

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

in geeigneten Fällen nach dem Grundsatz „Schlichten statt Richten“526 verfahren würden. Neben der Beilegung von Streitigkeiten außerhalb des förmlichen Verfahrens mit Hilfe der Mediation besteht außerdem die Möglichkeit, dass das Gericht auf einen Vergleich hinwirkt.527 Auch im Wege eines Vergleichs kann vielfach eine nachhaltige konsensuale Streitschlichtung unter Einbeziehung mediativer Elemente erzielt werden.528 Anders als in der Finanzgerichtsordnung, der das Institut des Vergleichs fremd ist, findet sich für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in § 106 der Verwaltungsgerichtsordnung und für die Sozialgerichtsbarkeit in § 101 des Sozialgerichtsgesetzes eine Regelung des Vergleichs.529 Die Richter an den Verwaltungs- und Sozialgerichten sollten daher stets überprüfen, ob eine Erledigung der Sache durch einen Vergleich möglich ist.530 Auch das häufigere Hinwirken auf einen Vergleich kann zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer beitragen. Im Bereich des Europarechts hat die Europäische Kommission zur Entlastung der Gerichte und damit auch zur Verkürzung der Verfahrensdauer vor dem Europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Gericht erster Instanz so genannte „Solvit-Stellen“ eingerichtet, die einer außergerichtlichen Streitschlichtung im Bereich des Binnenmarkts dienen.531 Auch auf europäischer Ebene wurde also erkannt, dass eine Entlastung der Gerichte und Verkürzung der Ver-

S. 291, 305 und 311 ff.; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 143 und 145; Seifert in: Pitschas/Walther (2005) S. 59, 87. 526 Bertrams DVBl 2006, 997, 1006; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 423; MüllerJentsch in: SZ vom 31. Januar 2005 S. 40; Petersen BDVR-R 1998, 14, 16; Pitschas ZRP 1998, 96, 97; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 62; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 37; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 91; Walther BDVR-R 2004, 26, 26. 527 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Busse (2000) B VII; Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 460; Finkelnburg/Ortloff (2005) S. 334; Henke ZZP 83 (1970), 125, 139; Hohendorf NJW 1984, 958, 960 f.; Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 126; Ortloff in: FSBVerwG (2003) S. 727, 728; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Redeker (2000) S. 14; Redeker in: Handelsblatt vom 28. August 2002 S. R1; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 94; Stoll SchlHA 1993, 263, 268; Stüer/Hermanns DVBl 2004, 746, 748. 528 v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Härtel JZ 2005, 753, 756 und 760 f.; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 728 und 730; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 54. 529 Martens ZRP 1985, 278, 281; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 23. 530 Holzamer in: SZ vom 9. September 2005 S. V2/1; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 151 und 159 und 161 f.; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Reimers in: Pitschas/Walther (2005) S. 45, 54; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 109. 531 Europäische Kommission (2002) S. 5; Dicke in: Weidenfeld (2004) S. 223, 234.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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fahrensdauer durch konsensuale Streitschlichtungsmechanismen erreicht werden kann. g) Früher erster Termin und Erörterungstermin Zumindest bezüglich der Verwaltungsgerichtsbarkeit herrscht zwischen Richtern, Rechtsanwälten und Professoren weitgehend Einigkeit dahingehend, dass eine möglichst frühzeitige Erörterung der Sach- und Rechtslage in vielen Fällen zu einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeit führen kann und daher verstärkt eingesetzt werden sollte.532 Dazu bietet sich in vielen Fällen auch die Durchführung eines frühen ersten Termins in der Form eines Erörterungstermins an, wie er in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen ist.533 Auch im Rahmen eines Erörterungstermins lassen sich mediative Elemente anwenden und besteht die Möglichkeit der Einbeziehung von außerhalb des Streitgegenstandes liegenden Streitstoffs.534 Oft bietet der Erörterungstermin nach einem mehr oder weniger formal durchgeführten Widerspruchsverfahren – sofern ein solches überhaupt noch durchzuführen ist – dem Bürger erstmals die Gelegenheit, richtig zu Wort zu kommen, sich „auszuweinen“ und zu sagen, was Sache ist.535 Mit der Durchführung eines Erörterungstermins in ei532 Addicks u. a. (2005) Punkte 4.3 und 5.5; Addicks u. a. Arbeitspapier II (2005) Punkt 3; Büttner/Heinecke in: Pitschas/Walther (2005) S. 251, 288; Dombek DRiZ 2006, 247, 249; Härtel JZ 2005, 753, 760; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Hien und die Präsidenten der OVGe/VGHe (2006) S. 2; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 158; Kiechle BDVR-R 2002, 28, 28; Klink SGb 1973, 431, 435; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Ortloff NVwZ 2002, 1310, 1313; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 38; Quaas DRiZ 2001, 79, 83; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151 f.; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 802; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 134; Schultz-Ewert BDVR-R 2002, 29, 29; Sendler DVBl 1982, 923, 930; Stoll SchlHA 1993, 263, 265; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 23 f.; Wassermeyer DStZ 1985, 159, 161 f. 533 Arntz Anhang II (2005) S. 321; Härtel JZ 2005, 753, 760; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Kiechle BDVR-R 2002, 28, 28; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Quaas BDVR-R 2004, 147, 149; Redeker (2000) S. 6 und 14 f.; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 134; Sendler DVBl 1982, 923, 930; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332; Walther BDVR-R 2004, 26, 27; Ziekow NVwZ 2004, 390, 394. 534 Addicks u. a. (2005) Punkte 5.2, 5.4 und 5.5; v. Bargen BDVR-R 2004, 55, 56; Büttner/Heinecke in: Pitschas/Walther (2005) S. 251, 288; Härtel JZ 2005, 753, 760; Heydemann BDVR-R 2002, 27, 28; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 158; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Ortloff in: FS-BVerwG (2003) S. 727, 737; Petersen BDVR-R 1998, 14, 16; Pitschas in: Pitschas/Walther (2005) S. 33, 38; Ruhs in: Pitschas/Walther (2005) S. 123, 134 f.; Walther BDVR-R 2004, 26, 27; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 23; Walther DRiZ 2005, 127, 128; Ziekow NVwZ 2004, 390, 394. 535 Niehues Anhang VIII (2005) S. 353.

140

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

nem frühen Verfahrensstadium wird den Beteiligten frühzeitig signalisiert, dass sich das Gericht ihrer Sache angenommen hat und welche Streitpunkte es für entscheidend hält.536 Den Anwälten wird durch ein solches frühes Feedback ermöglicht, besser mit ihren Mandanten zu kommunizieren und sich auf die Kernfragen zu konzentrieren.537 Eine frühzeitige Klärung der von Seiten des Gerichts als problematisch angesehenen Punkte vermeidet damit unnötige Schreibarbeit und eine nicht notwendige Vermehrung des Prozessstoffs.538 Dauert ein Verfahren zu lange, werden die Akten oft unnötig „dick geschrieben“.539 Zugleich hat ein solcher Termin den Vorteil, dass der Richter frühzeitig dazu gezwungen ist, sich Gedanken über die rechtliche Beurteilung des Falls zu machen.540 Einfach zu lösende Streitigkeiten können auf diesem Wege frühzeitig erledigt werden, oft auch im Wege eines Vergleichs, und bei aussichtslosen Fällen kann es früher zu einer Klagerücknahme kommen.541 Und selbst wenn in diesem Termin eine Erledigung der Sache nicht möglich ist, wissen die Beteiligten frühzeitig, welche rechtlichen Aspekte aus Sicht des Gerichts im Vordergrund stehen, und können ihren Vortrag hierauf gezielt ausrichten.542 Die Durchführung eines frühen ersten Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage ist daher bei fast allen Fällen sinnvoll und auch im Hinblick auf die Verfahrensdauer sehr zu begrüßen.543 Auch wenn eine solche frühzeitige Erörterung der Sach- und Rechtslage allgemein sehr positiv gesehen wird, verhindert – zumindest in der Praxis der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit – zurzeit noch die hohe An536 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Klink SGb 1973, 431, 435; Körner BDVR-R 2005, 11, 13; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Sendler DVBl 1982, 923, 930. 537 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Körner BDVR-R 2005, 11, 13; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Sendler in: FS-Lerche (1993) S. 833, 841. 538 Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Henke ZZP 83 (1970), 125, 132; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Klink SGb 1973, 431, 435; Körner BDVR-R 2005, 11, 13; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Sendler in: FS-Lerche (1993) S. 833, 840 f.; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332. 539 Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332. 540 Kiechle BDVR-R 2002, 28, 28; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Sendler in: FS-Lerche (1993) S. 833, 841. 541 Addicks u. a. (2005) Punkt 4.3; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Sendler DVBl 1982, 923, 930. 542 Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Mayen Anhang VI (2005) S. 340; Sendler DVBl 1982, 923, 930; Sendler in: FS-Lerche (1993) S. 833, 841. 543 Arntz Anhang II (2005) S. 321; Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Hüffer BDVR-R 2005, 171, 171; Kiechle BDVR-R 2002, 28, 28; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Lemke BDVR-R 1997, 40, 41; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Schultz-Ewert BDVR-R 2002, 29, 29; Sendler DVBl 1982, 923, 930.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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zahl von Altverfahren die Durchführung eines frühen ersten Termins und die damit verbundene frühe Aufbereitung eines neu eingegangenen Verfahrens.544 Auch wenn der frühe erste Termin nicht bedeutet, dass die Sache in jeder Hinsicht abschließend bewertet werden muss, fehlt es doch oft an der für die Vorbereitung eines solchen Termins erforderlichen Zeit.545 Wenn der Richter gerade mit einem besonders komplexen Fall beschäftigt ist, der eine intensive Einarbeitung erfordert, dann fehlt ihm vielfach schlicht die Zeit, kleinere Verfahren umgehend mit einem Erörterungstermin zu beschleunigen.546 Der Richter befindet sich dann in der paradoxen Situation, dass ihm die Zeit fehlt, um Zeit einzusparen.547 „Irgendwie ist die Bettdecke da immer ein bisschen zu kurz“.548 Um sowohl alte Verfahren abzuarbeiten als auch neue Verfahren möglichst zügig zu erledigen, hat sich in der Praxis ein „Reißverschlusssystem“ bewährt, das die Bearbeitung älterer und neuerer Fälle im Wechsel ermöglicht.549 Bei einem weiteren Abbau von Altverfahren kann damit die Zahl der neueren Verfahren, die durch eine frühzeitige Erörterung der Sach- und Rechtslage beschleunigt werden können, erhöht werden. Damit erweist sich ein früher erster Termin in der Form eines Erörterungstermins als zunehmend wichtiges und Erfolg versprechendes Mittel, um die Verfahrensdauer zu verkürzen. 2. Verhalten der Beteiligten Nicht nur das Verhalten der Richter, sondern auch das Verhalten der Beteiligten kann maßgeblich zur Verzögerung von Gerichtsverfahren beitragen.550 Man-

544 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 102; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; SchultzEwert BDVR-R 2002, 29, 29; Sendler DVBl 1982, 923, 930; Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht Anhang V (2005) S. 332; Weber BDVR-R 2002, 28, 29. 545 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Kiechle BDVR-R 2002, 28, 28; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Niehues Anhang VIII (2005) S. 353; Schultz-Ewert BDVR-R 2002, 29, 29; Sendler DVBl 1982, 923, 930; Stoll SchlHA 1993, 263, 266; Weber BDVR-R 2002, 28, 29. 546 Kiechle BDVR-R 2002, 28, 28; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 102; Niehues Anhang VIII (2005) S. 351; Schultz-Ewert BDVR-R 2002, 29, 29; Weber BDVR-R 2002, 28, 29. 547 Henke ZZP 83 (1970), 125, 132 f. 548 Niehues Anhang VIII (2005) S. 353. 549 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347. 550 Dütz (1970) S. 193; Henke ZZP 83 (1970), 125, 145 ff.; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Leisner (2003) S. 263; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 96; Ponschab AnwBl 1997, 145, 146; Sangmeister DStZ 1993, 31, 32; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Schmidt-Aßmann in: Maunz/ Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 230; Storost NordÖR 2005, 248, 249.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

chen Klägern geht es allein darum, Recht zu bekommen551 und eine private Fehde auszutragen,552 viele betrachten den Prozess als einen „Kampf ums Recht“,553 den es um jeden Preis zu gewinnen gilt, andere legen dem Gericht Steine in den Weg, weil sie eine Verzögerung des Verfahrens wünschen.554 Außerdem wird insbesondere den Deutschen die leidige Neigung nachgesagt, alle gegebenen Rechtsmittel auch auszuschöpfen, selbst wenn man zweifellos im Unrecht ist und sich dessen auch bewusst ist.555 Es scheint in Deutschland eine Tradition zu geben, sich nicht außergerichtlich zu einigen, sondern vor Gericht zu streiten.556 Allgemein wird über die „Prozess- und Klagefreudigkeit der Bürger“557 und über ein übertriebenes „Anspruchsdenken“ geklagt.558 Dies hänge ein Stück mit der „deutschen Mentalität“ zusammen, alles gerne schriftlich, mit Brief und Siegel von einer offiziellen Stelle haben zu wollen.559 Manche gehen sogar so weit, zu behaupten, „aus dem Volk der Dichter und Denker“ sei „ein Volk von Prozesshanseln“ geworden.560 Als Grund für diese Entwicklung sehen einige 551

Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2. Henke ZZP 83 (1970), 125, 146. 553 v. Bargen DVBl 2004, 468, 477; Henke ZZP 83 (1970), 125, 147 und 150; Jhering (1874) S. VIIff. und 1 ff.; Radbruch in: Rusche (1965) S. 7, 14; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 232 und 250. 554 Duden Redewendungen (2002) S. 729; Leisner (2003) S. 263; Stelkens in: FSRedeker (1993) S. 313, 325; Storost NordÖR 2005, 248, 249. 555 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 77; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 24; Fischer DÖV 1988, 1040, 1045; Henke ZZP 83 (1970), 125, 148; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 102; Radbruch in: Rusche (1965) S. 7, 14; Redeker NJW 1998, 2790, 2790; Sarstedt JR 1960, 1, 1; Schoch (1988) S. 172 Fn 43; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 176; Sendler DÖV 1989, 482, 488; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 325. 556 Bertrams DVBl 2006, 997, 999; Eylmann u. a. (2004) S. 5 Rn 2; Haunhorst DStZ 2004, 868, 868; Henke ZZP 83 (1970), 125, 158; Klink SGb 1973, 431, 431; Passarge in: SZ vom 23. September 2005 S. V2/2; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 230. 557 Blankenburg ZRP 1992, 96, 97; Esch in: Bonner GA vom 26. April 2005 S. 15; Haegert BB 1991, 36, 32 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 14; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 102; Jung BDVR-R 1998, 10, 11; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) Einleitung Rn 133; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 214; Klein DStZ 1988, 599, 600; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Schlette EuGRZ 1999, 219, 221 Fn 23; Schoch (1988) S. 167 und 172; Sendler DÖV 1989, 482, 488; Sendler in: SZ vom 22. Mai 1999 S. 10; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 325. 558 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 18; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 127; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 97; Sendler DVBl 1982, 923, 932; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 175 und 192; Stelkens NVwZ 2000, 155, 157. 559 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 24; Henke ZZP 83 (1970), 125, 148 Fn 124. 560 Hennemann in: SZ vom 16. Oktober 1999 S. 5; Radbruch in: Rusche (1965) S. 7, 14. 552

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

143

das Schwinden gemeinsamer religiöser und anderer Wertvorstellungen, aus denen sich früher selbstverständliche Verhaltensweisen ergaben, die ohne Inanspruchnahme der Rechtsprechung durch außerrechtliche Autoritäten beeinflusst wurden und die häufig zur Vermeidung von Konflikten führten oder Konflikte außerhalb der Gerichte beilegten.561 So führt beispielsweise die zunehmende Anonymisierung des Wohnumfeldes dazu, dass viele Nachbarn Konflikte nicht mehr durch ein gegenseitiges Nachgeben in Gesprächen zu lösen versuchen, sondern weitaus schneller als früher die Gerichte bemühen, um ihr vermeintliches Recht durchzusetzen.562 Es ist damit zu einer Ausweitung der Rechtsordnung in Bereiche gekommen, die sich früher gesellschaftlich von selbst regelten.563 Als mögliche Abhilfe dagegen wird von einigen eine Änderung des Rechtsbewusstseins beim Bürger, zum Beispiel durch die Erziehung in der Schule, angemahnt564 und die flächendeckende Einführung des Schulfachs Rechtskunde gefordert.565 Mögliche Defizite in der elterlichen Erziehung sollen damit ausgeglichen werden und den Schülern unter anderem auch ein Sinn dafür vermittelt werden, dass sich viele Konflikte auch ohne eine Anrufung der Gerichte lösen lassen. Die häufigere Inanspruchnahme der Gerichte ist jedoch nicht nur Ausdruck von Rechthaberei und der Unfähigkeit, Konflikte anders zu lösen, sondern zeigt auch, dass sich die Bürger zunehmend ihrer rechtlichen Möglichkeiten bewusst geworden sind und – statt Ungerechtigkeiten resigniert hinzunehmen – auch bereit sind, sich für ihre Rechte einzusetzen.566 Um unnötige Gerichtsverfahren zu vermeiden, wird teilweise auch eine Erhöhung der Gerichtsgebühren567 oder die häufigere Verhängung einer Missbrauchs561 Benda in: HVerfR (1994) § 17 Rn 76; Bertrams NWVBl 1997, 3, 6; Bertrams NWVBl 1999, 245, 246; Hassemer in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 40; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 102; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 421; Mackenroth notar 2005, 94, 95; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 251; Schenke DÖV 1982, 709, 710; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 230; Stoll SchlHA 1993, 263, 264. 562 Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 251. 563 Eylmann u. a. (2004) S. 5 Rn 2; Hoffmann-Riem JZ 1999, 421, 421; Redeker ZRP 2004, 160, 160; Schenke DÖV 1982, 709, 710. 564 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 24; Fischer DÖV 1988, 1040, 1046; Hassemer in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 40; Heister-Neumann ZRP 2005, 12, 14; Jung BDVR-R 1998, 10, 11; Ponschab AnwBl 1997, 145, 146; Schnellenbach DVBl 1993, 230, 230. 565 Hassemer in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 40. 566 Bertrams NWVBl 1999, 245, 245; Harries-Lehmann (2004) S. 14; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 127; Petersen BDVR-R 1998, 14, 18; Redeker DVBl 1982, 805, 806; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 250; Schenke DÖV 1982, 709, 710. 567 v. Groll in: Gräber (2006) vor § 1 Rn 1; Kopp DVBl 1982, 613, 616; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 47; Pitschas in: Pit-

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

gebühr beim Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen.568 Die in Deutschland vorherrschende „nicht mehr finanzierbare Vollkaskogesellschaft“ müsse „in ein vernünftigeres Teilkaskosystem mit Selbstbeteiligung“ überführt werden, der Bürger müsse also stärker an den durch ihn verursachten Kosten beteiligt werden.569 Solche Gebühren könnten im Idealfall selektiv wirken und unnötige Klagen vermeiden.570 Teilweise werden derartige Maßnahmen jedoch auch abgelehnt, da sie stets die Gefahr in sich bergen, Bürger von der berechtigten Durchsetzung ihrer Rechte abzuhalten.571 Problematisch an einer solchen „Abschreckung“ durch hohe Kosten ist, dass sich hartnäckige „Querulanten“ dadurch vermutlich weniger abschrecken lassen als berechtigterweise Rechtschutz suchende Bürger.572 Andererseits kann eine maßvolle Beteiligung an den entstehenden Kosten bei erfolglos eingelegten Rechtsmitteln und Beschwerden das Bewusstsein des Bürgers für die durch das Verfahren verursachten Kosten stärken und gegebenenfalls dazu beitragen, unnötige Prozesse zu vermeiden.573 In Einzelfällen kann hinsichtlich des Zustandekommens einer überlangen Verfahrensdauer auch der oft angeführte Aspekt eine Rolle spielen, dass der rechtsschutzversicherte Bürger eine Gegenleistung für seine Beitragszahlung erhalten möchte und daher eher dazu neigt, zu prozessieren.574 Manche halten diesen Gesichtspunkt aber nur für ein verbreitetes Vorurteil, da es bisher keine stichhaltigen Beweise dafür gebe, dass Rechtsschutzversicherte häufiger oder hartnäckiger bis in die höheren Instanzen prozessieren würden als nicht versi-

schas (1999) S. 59, 70; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 257; Schlette (1999) S. 16; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 454; Stöcker DStZ 1989, 367, 374. 568 Graßhof Anhang IX (2005) S. 362; Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 89; Hill JZ 1981, 805, 814; Stober DVBl 1980, 834, 835; Zuck in: FAZ vom 5. Juni 1996 S. 16. 569 Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Schäfer DRiZ 1995, 461, 462. 570 v. Groll in: Gräber (2006) vor § 1 Rn 1; Kopp DVBl 1982, 613, 616; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 454. 571 Eylmann RPfl 1998, 45, 49; Kerscher in: SZ vom 3./4. März 2007 S. 7; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 47; Schäfer DRiZ 1995, 461, 464 f. und 467; Schoreit ZRP 2002, 148, 149; Stober DVBl 1980, 834, 835. 572 Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 47; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 257; Schäfer DRiZ 1995, 461, 464 f. und 467; Schoreit ZRP 2002, 148, 149; Stober DVBl 1980, 834, 835. 573 Mackenroth notar 2005, 94, 97; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 47; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 257; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 454. 574 Fischer DÖV 1988, 1040, 1046; Geiger ZRP 1998, 252, 253; v. Groll in: Gräber (2006) vor § 1 Rn 1; Harries-Lehmann (2004) S. 14; Hill JZ 1981, 805, 813; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Klein DStZ 1988, 599, 600; Kropp NJ 2005, 208, 208; Lüke in: FS-Baumgärtel (1990), 349, 350; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 127; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 246 f.; Schäfer DRiZ 1995, 461, 466; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 97; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 178 Fn 8; Stoll SchlHA 1993, 263, 268; Wilfinger (1995) S. 211.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

145

cherte Bürger in vergleichbarer Lage.575 Ob wirklich ein Zusammenhang zwischen Klagefreudigkeit und dem Bestehen einer Rechtsschutzversicherung besteht, lässt sich wohl kaum nachweisen, da möglicherweise Personen, die ohnehin eher dazu neigen, Klagen zu erheben, überproportional häufig Rechtsschutzversicherungen abschließen.576 Andererseits versuchen Rechtsschutzversicherungen im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit mit allen Mitteln zu verhindern, dass Querulanten und Prozesshanseln auf Kosten der anderen Versicherten unnötig vor Gericht ziehen können und damit Beitragserhöhungen hervorrufen.577 Dies zeigen nicht zuletzt die in letzter Zeit vermehrt vorgenommenen Kündigungen von Versicherungspolicen kostenintensiver Kunden seitens der Rechtsschutzversicherungen. Insgesamt wird das Vorhandensein von Rechtsschutzversicherungen damit nicht wesentlich zu einer Überlastung der Gerichte und damit zu längeren Verfahrensdauern beitragen, doch kann auch hier in Einzelfällen die Neigung des Bürgers zu prozessieren, gefördert werden.578 Sind an einem Prozess – wie dies bei Verfahren vor den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten regelmäßig der Fall ist – Behörden beteiligt, so besteht häufig das Problem, dass diese sich bei der Weiterleitung von Akten an das Gericht und bei ihren Schriftsätzen sehr viel Zeit lassen und damit zu einer Verfahrensverzögerung beitragen.579 Immer häufiger kommt es auch zu dem bereits oben [D. I.] erwähnten Phänomen, dass Behörden die Dauer gerichtlicher Auseinandersetzungen bewusst instrumentalisieren, um den Bürger zu Kompromissen zu zwingen.580 Damit tragen auch die Behörden als Verfahrensbeteiligte immer wieder zu Verfahrensverzögerungen bei. Bei allem denkbaren Missbrauch und Fehlverhalten der Beteiligten, das zu Verzögerungen im Prozess führt, darf jedoch nicht verkannt werden, dass es sich hier mittelbar regelmäßig zugleich auch um eine Prozessverzögerung durch das Gericht selbst handelt, wenn dieses dem Verhalten der Beteiligten nicht im Rahmen der geltenden Prozessordnung entgegentritt.581 Dies befreit jedoch die 575 Blankenburg ZRP 1986, 262, 266; Plagemann NZS 2006, 169, 169; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 246 f. 576 Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 127; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 247. 577 Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 247. 578 Geiger ZRP 1998, 252, 253; Kropp NJ 2005, 208, 208; Martin ZSchR NF 107/ 2 (1988), 1, 127; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 246. 579 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Czermak DVBl 1969, 612, 612; Geiger ZRP 1998, 252, 253; Löwer Anhang IV (2005) S. 330; Niehues Anhang VIII (2005) S. 352; Stegh MMR 2002, 12, 13; Stegh Anhang III (2005) S. 326. 580 Harries-Lehmann (2004) S. 69; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 43; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Schlette (1999) S. 15 Fn 14; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 456; Wilfinger (1995) S. 2 und 184. 581 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 50 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 50; Dütz (1970) S. 197; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185,

146

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Beteiligten nicht von ihrer Verantwortung, selbst an einer zügigen Durchführung des Verfahrens mitzuwirken.582 Bevor ein Bürger sich zur Erhebung einer Klage entscheidet, sollte er bedenken und sich gegebenenfalls auch mit der Hilfe der Beratung durch seinen Anwalt vor Augen führen lassen, dass die Gerichte nicht der richtige Ort dafür sind, Privatfehden mit Mitbürgern oder Behörden auszutragen, und dass Gerichtsverfahren hohe Kosten verursachen, die er letztendlich über Steuern mit finanziert.583 3. Verhalten der Sachverständigen Neben dem Verhalten der Beteiligten kann auch das Verhalten von Sachverständigen zu Verzögerungen führen.584 Die Notwendigkeit der Einholung von Gutachten bei Sachverständigen trägt in einigen Verfahren nicht unwesentlich zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauern bei.585 Im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist dieses Problem jedoch wesentlich weniger gravierend, als dies beispielsweise in der Sozialgerichtsbarkeit der Fall ist.586 Auch hier gilt, dass bei Verzögerungen des Verfahrens durch das Ausbleiben notwendiger Gutachten seitens des Gerichts für eine entsprechende Beschleunigung zu sorgen ist.587 Der über die Verweisungsnormen in den Prozessordnungen anwendbare § 409 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bietet dem Gericht die Möglichkeit durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes und die Auferlegung von Kosten Druck auf einen säumigen Gutachter auszuüben.588 Schon bei der Aus187; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Morstadt (1828) S. 158; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 304; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 214; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 130. 582 Bertrams Anhang VII (2005) S. 347. 583 Ponschab AnwBl 1997, 145, 146. 584 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 26. April 1999 Az 1 BvR 467/99 NJW 1999, 2582, 2583; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; Baumgärtel JZ 1971, 441, 446; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Jackwerth ÖRiZ 1991, 33, 40; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 6; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 109; Schmidt DRiZ 1971, 77, 79; Thienel ÖJZ 1993, 473, 474; Vorwerk JZ 2004, 553, 558; Wilfinger (1995) S. 160; Würkner NVwZ 1992, 309, 312. 585 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Helmken ZRP 1978, 133, 133; Huff in: FAZ vom 22. Januar 1993 S. 4; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 6; Stilz ZGR 2001, 875, 896; Vorwerk JZ 2004, 553, 558. 586 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Niehues Anhang VIII (2005) S. 352; Stoll SchlHA 1993, 263, 265. 587 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 50 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 50; Dütz (1970) S. 197; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 187; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Niesler (2005) S. 106; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 304; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 130. 588 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 9.

II. Von am Verfahren beteiligten Personen zu beeinflussende Faktoren

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wahl von Sachverständigen sollte nicht nur die fachliche Qualifikation des Gutachters, sondern auch die zu erwartende Dauer für die Ausfertigung der Expertenmeinung ausschlaggebend sein. Unter gleich gut qualifizierten Gutachtern sollte daher stets demjenigen der Vorzug gegeben werden, der zu einer zügigen Erledigung der Aufgabe bereit und in der Lage ist. Außerdem sollte der Richter den Auftrag zur Anfertigung eines Gutachtens möglichst frühzeitig erteilen, so dass diese parallel zur Bearbeitung des Falls erfolgen kann.589 4. Verhalten der Rechtsanwälte Auch das Verhalten der Anwälte wird oft als Ursache für überlange Verfahrensdauer angeführt.590 Es gibt eine Mehrheit engagierter und seriöser Anwälte, die an einer zügigen Verfahrensdurchführung interessiert sind, und es gibt solche, die es schlicht nicht können oder wollen und dadurch Verfahren verzögern.591 Nicht selten verzögern Anwälte durch verspäteten oder in der Sache schlampigen Prozessvortrag und durch das Stellen unnötiger Vertagungsanträge oder Beweisanträge den Ablauf des Prozesses.592 Viel deutlicher als in der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit tritt dieses Problem vor den ordentlichen Gerichten auf. Insbesondere im Strafrecht wird darüber unter dem Stichwort „Konfliktverteidigung“ diskutiert593 und teilweise wird in dem Verhalten der Anwälte sogar eine Form von „Prozesssabotage“ erkannt.594 Eine der Folgen dieses Verhaltens ist das vermehrte Zustande589

Graßhof Anhang IX (2005) S. 362. Arntz Anhang II (2005) S. 314; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Dölling in: Dölling u. a. (2000) S. 284, 284; Dütz (1970) S. 193; Gössel in: Juristentag (1994) S. C19 f.; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Kläsgen in: SZ vom 7. Januar 2005 S. 3; Läsker in: SZ vom 2. Februar 2005 S. 25; Laue in: Dölling u. a. (2000) S. 12, 40; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 44 Fn 93; Müller AnwBl 1997, 89, 89; Nehm/ Senge NStZ 1998, 377, 377; Nitschmann in: SZ vom 29./30. Oktober 2005 S. 6; Quaas BDVR-R 2004, 147, 147; Rieß NStZ 1994, 409, 410; Schäuble RuP 1994, 134, 136; Schlüchter GA 1994, 397, 397 f.; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262; Suermann in: SZ vom 19. Januar 2005 S. 35; terVeen StV 1997, 374, 375 Fn 13; Wassermann NJW 1994, 1106, 1106 f. 591 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 592 Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Martin ZSchR NF 107/2 (1988), 1, 96; Nitschmann in: SZ vom 29./30. Oktober 2005 S. 6; Quaas BDVR-R 2004, 147, 147. 593 Kempf AnwBl 1997, 75, 75; Kempf StV 1997, 208, 208; Laue in: Dölling u. a. (2000) S. 12, 41; Meyer-Goßner/Ströber StV 1997, 212, 213; Nitschmann in: SZ vom 29./30. Oktober 2005 S. 6; Pillmann DRiZ 1998, 511, 511; Sendler in: FS-Stern (1997) S. 297, 317; Stoll SchlHA 1993, 263, 267; Suermann in: SZ vom 19. Januar 2005 S. 35; terVeen StV 1997, 374, 375 Fn 13; Wassermann NJW 1994, 1106, 1107. 594 Barton StV 1996, 690, 693 f.; Dahs NJW 1994, 909, 909; Pillmann DRiZ 1998, 511, 513; Schlüchter GA 1994, 397, 398; Wassermann NJW 1994, 1106, 1107; Widmaier NStZ 1994, 414, 415. 590

148

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

kommen sogenannter „deals“, ohne die der Justizalltag kaum noch auskommt.595 Diese sollten ursprünglich jedem Straftäter zugute kommen, werden heute aber nach Ansicht einiger Kritiker nur dann im Einzelfall angewendet, wenn sie dem Richter dabei helfen, ein Verfahren möglichst schnell und bequem vom Tisch zu bekommen.596 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind solche Prozessabsprachen jedoch aufgrund der hohen Belastung der Justiz zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zulässig und notwendig.597 In der Verwaltungsgerichtsbarkeit führt das Verhalten mancher Anwälte besonders im Bereich der Asylverfahren zu einem Anstieg der Verfahrensdauer.598 Sobald ein Bleiberecht des Betroffenen für die Dauer des Asylverfahrens garantiert ist, besteht in der Regel ein massives Interesse daran, dass das Verfahren möglichst lange dauert.599 Insgesamt ist es wohl ein Trugschluss zu meinen, dass alle Beteiligten ein Interesse daran hätten, dass ein Prozess möglichst schnell erledigt wird.600 Es gibt sowohl Anwälte als auch Mandanten, die ein massives Interesse daran haben, dass ein Verfahren möglichst lange dauert.601 In welchem Umfang ein solches Verhalten zu einem Anstieg der Verfahrensdauer führt, lässt sich jedoch nur sehr schwer quantifizieren, eine Mitursächlichkeit ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen.602 Bezüglich der teilweise exorbitanten Länge der anwaltlichen Schriftsätze lässt sich im Wesentlichen auf das zu den richterlichen Entscheidungen Gesagte [E. II. 1. b)] verweisen.603 Auch hier liegt in der Kürze die Würze. Das „Schaulaufen mancher Anwälte und deren offensichtliche Profilierungssucht“ führt dazu, dass in manchen Verfahren für die Mandanten 50 Seiten geschrieben wer595 Hassemer in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 40; Kerscher in: SZ vom 19. April 2005 S. 6; Kerscher in: SZ vom 27./28. Januar 2007 S. 8; Kerscher in: SZ vom 19./20. April 2008, S. 6; Prantl DRiZ 2006, 254, 254; Prantl in: SZ vom 3./4. Februar 2007 S. 6; Schmidt-Hieber in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 78; Seidel AnwBl 2002, 325, 328 f.; Sendler DÖV 1989, 482, 486; Suermann in: SZ vom 19. Januar 2005 S. 35; Zypries (2004) S. 6, 6. 596 Prantl in: SZ vom 3./4. Februar 2007 S. 6; Schmidt-Hieber in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 78; Seidel AnwBl 2002, 325, 328 f. 597 Kerscher in: SZ vom 19. April 2005 S. 6; Sendler DÖV 1989, 482, 486. 598 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 599 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; MeyerLadewig DVBl 1979, 539, 542; Stoll SchlHA 1993, 263, 266. 600 Arntz Anhang II (2005) S. 314. 601 Arntz Anhang II (2005) S. 314; Bertrams Anhang VII (2005) S. 347; Sendler DVBl 1982, 157, 165; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Sendler DÖV 1989, 482, 489; Stoll SchlHA 1993, 263, 266. 602 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 603 Sendler (2000) S. 11; Sendler NVwZ 2003, 957, 957.

III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende Faktoren

149

den, die der Richter anschließend nicht nur lesen, sondern auch durchdenken muss.604 Dass die Länge anwaltlicher Schriftsätze ein ebenso altes Problem wie das der Länge von richterlichen Entscheidungen ist, zeigt der folgende, in dieser Form nicht ganz ernst zu nehmende Vorschlag von Johann Kaspar Gensler aus dem Jahr 1821: „Advocaten muss [. . .] eine gedrängte Kürze zur Pflicht gemacht, ja es muss selbige belohnt, die Weitschweifigkeit aber durch Minderung des Honorars bestraft werden.“605

Teilweise wird von den Anwälten zu Recht angemerkt, dass lange Schriftsätze angesichts der immer wieder vorkommenden Überraschungsurteile der Gerichte erforderlich seien, nicht zuletzt aufgrund der Haftung gegenüber den Mandanten. Dennoch sollten auch die Rechtsanwälte versuchen, sich auf das Wesentliche zu beschränken, wodurch sie die Gerichte entlasten und damit aufgrund kürzerer Verfahrenslaufzeiten den meisten ihrer Mandanten dienen würden.

III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren Zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauern tragen auch einige primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende oder zu beeinflussende Faktoren bei. Zwar können die Justizverwaltungen nur im Rahmen der vom Gesetzgeber geschaffenen Grenzen Einfluss auf die Verfahrensdauer nehmen, doch bleibt ihnen in der Realität ein großer Spielraum bei möglichen Maßnahmen zur Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten. Insbesondere angesichts der richterlichen Unabhängigkeit sind jedoch die meisten Beschleunigungsbemühungen zum Scheitern verurteilt, wenn es den Justizverwaltungen nicht gelingt, gemeinsam mit der Richterschaft vorzugehen. 1. Sachliche Ausstattung der Gerichte „Die deutsche Justiz ist ein einziges Wunder. Sie funktioniert noch, obwohl sie eigentlich gar nicht funktionieren dürfte. Sie funktioniert, obwohl die technische Ausstattung in vielen Kinderzimmern erheblich besser ist als an so manchen Gerichten. Sie funktioniert, obwohl dort die Arbeit zunimmt und die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Sie funktioniert, obwohl die öffentlichen Ausgaben für die Justiz lächerlich gering sind und die so genannten Justizreformen fast allesamt den Zweck hatten, noch weniger Geld für die Justiz auszugeben.“606 604

Arntz Anhang II (2005) S. 314. Gensler (1821) S. XI; Sarstedt in: Sarstedt/Hamm/Köberer/Michalke (1957) S. 213, 215. 606 Prantl DRiZ 2006, 254, 254. 605

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Mit diesen Worten zeichnet der Redakteur der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl in einem Gastkommentar „Die letzten Tage des Wunders Justiz“ in der Deutschen Richterzeitung ein düsteres Bild von der sachlichen Ausstattung der Gerichte. Insbesondere in der Vergangenheit immer wieder beklagt und als ein wichtiger Grund für ein zu langsames Arbeiten der Justiz angeführt war stets auch die ungenügende sachliche Ausstattung der Gerichte.607 Angesichts knapper Justizbudgets waren lange Zeit nicht alle Stellen mit Computern, Laptops oder Druckern ausgestattet, ganz zu schweigen von der notwendigen Vernetzung der Rechner.608 Daher wurde die Justiz als der ärmlichste Teil der öffentlichen Verwaltung angesehen,609 deren Arbeitsbedingungen teilweise vorsintflutlich waren610 und deren Räumlichkeiten zumindest in einigen Fällen aufgrund ihrer Sperrmüllausstattung demotivierend für die Mitarbeiter waren.611 Zur Verbesserung der Situation der Justiz wird regelmäßig eine bessere sachliche Ausstattung der Gerichte angemahnt.612 Außerdem wird gefordert, die Ar607 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 391; Bommarius in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 1; Busse (2005) S. 8; Clausing NVwZ 1992, 717, 717 und 720; Damkowski/ Precht NVwZ 2005, 292, 292; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8 und 14; Dombert SächsVBl 1995, 73, 74; Dütz (1970) S. 193; v. Els FamRZ 1994, 735, 739; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Grunsky RdA 1974, 201, 202 f.; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 144; Hanack JZ 1971, 705, 705; Harries-Lehmann (2004) S. 14 und 16; Hoffmann-Riem JZ 1997, 1, 3; Huff DRiZ 2000, 7, 7; Ismar MDR 1996, 1097, 1097; Jackwerth ÖRiZ 1991, 33, 33; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 206; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 208; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Meier NVwZ 1998, 688, 694; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Piorreck (2003) S. 4; Prantl/Roßmann in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 72 und 82; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Schaefer NJW 1994, 428, 428; Schlette (1999) S. 16; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 526; Seidel AnwBl 2002, 325, 328; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 333; Stelkens NVwZ 1995, 325, 333; Stötter NJW 1968, 521, 524 f.; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8; Wagner (2001) S. 47; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Wassermann NJW 1994, 2196, 2196; Weth NJW 1996, 2467, 2469. 608 Grassmann in: SZ vom 26./27. Februar 2005 S. 1; Koetz in: Pitschas (1999) S. 145, 150; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 526; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8. 609 Huff in: FAZ vom 8. Oktober 1993 S. 6; Prantl in: SZ vom 10./11. Dezember 2005 S. 4; Schaefer NJW 1994, 428, 428; Stelkens NVwZ 1995, 325, 333; Stötter NJW 1968, 521, 524 Fn 35; Weth NJW 1996, 2467, 2473. 610 Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Seidel AnwBl 2002, 325, 328. 611 Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 484; Koetz in: Pitschas (1999) S. 145, 152 f.; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 83; Weth NJW 1996, 2467, 2469. 612 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 391; Baumgärtel JZ 1971, 441, 446; Busse (2005) S. 9; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Dütz (1970) S. 193; Dury DRiZ 1999, 160, 164; Eylmann RPfl 1998, 45, 47; Gasser ThürVBl 2003, 97, 99; Geiger BDVR-R

III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende Faktoren

151

beitsbedingungen der Richter insgesamt zu verbessern,613 zum Beispiel durch eine bessere Ausstattung der Zentralbibliotheken der Gerichte614 und eine moderne Handbibliothek für jedes Richterzimmer.615 Teilweise verfügen auch heute noch Richter in einigen Gerichten nicht über aktuelle Gesetzeskommentare oder müssen sich diese mit anderen Richtern teilen.616 Die insbesondere in der Vergangenheit geäußerte Kritik an der schlechten sachlichen Ausstattung der Justiz mag in einigen Bereichen der ordentlichen Gerichtsbarkeit – und diese hatte der Autor der eingangs zitierten Zeilen wohl vor Augen – auch heute noch zutreffen. Im Bereich der Verwaltungs-, Sozialund Finanzgerichtsbarkeit, speziell im Bereich der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber auch bezüglich des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können diese Zustandsbeschreibungen jedoch überwiegend als Beschreibungen vergangener Tage betrachtet werden.617 In den vergangenen Jahren waren erhebliche Verbesserungen zu verzeichnen und der Zustand der Justizgebäude und die Büroausstattung, insbesondere auch im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung, lässt nicht mehr viel zu wünschen übrig.618 Fast alle Arbeitsplätze verfügen über hoch mo2003, 65, 65; Harries-Lehmann (2004) S. 16; Hill JZ 1981, 805, 813; Hoecht DÖV 1981, 323, 327; Huff in: FAZ vom 8. Oktober 1993 S. 6; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Huff DRiZ 2002, 7, 7; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Kropp NJ 2005, 208, 208; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Meier NVwZ 1998, 688, 694; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 20; Prantl/ Roßmann in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 51 und 54; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 322; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 455; Stötter NJW 1968, 521, 524 f.; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8. 613 Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Hill JZ 1981, 805, 813; Millgramm SächsVBl 2003, 104, 108; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 56 f. 614 Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Eylmann u. a. (2004) S. 16 Rn 36; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Hummel GR 2000, 143, 145; Mayen DRiZ 2005, 223, 228; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 56 f. 615 Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Eylmann u. a. (2004) S. 35 Rn 93; Hoecht DÖV 1981, 323, 327; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 56 f.; Retiet ErsK 1991, 108, 108. 616 Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42. 617 Arntz Anhang II (2005) S. 320; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Bertrams NWVBl 1999, 245, 247; Busse (2005) S. 9; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Dombek DRiZ 2006, 247, 247; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Ress in: Karl (2005) S. 39, 39 ff.; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 116; Zypries in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10. 618 Arntz Anhang II (2005) S. 320; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Bertrams NWVBl 1999, 245, 247; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Bertrams DVBl 2006, 997, 1001; Busse (2005) S. 9; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Dury DRiZ 1999, 160, 161; Gasser ThürVBl 2003, 97, 99; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Heister-Neumann (2004) S. 1; Müller-Piepenkötter

152

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

derne und gut funktionierende miteinander vernetzte Computer mit Internetzugang und Zugriffsmöglichkeiten auf Juris und andere Datenbanken.619 Es stehen in den Verwaltungsgerichten Systembetreuer zur Verfügung und bei Problemen mit der Informationstechnik können sich die Betroffenen an ein Beratungstelefon wenden.620 Die Richter können sogar von zu Hause aus kostenlos auf Juris zugreifen und so auch zu Hause effektiv arbeiten.621 In Nordrhein-Westfalen wurde zunächst für einen „Großkunden“, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ein elektronisches Postfach eingerichtet, das im Bereich der Asylverfahren für eine Effizienzsteigerung sorgt.622 Zum 1. Januar 2006 erfolgte die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs zunächst beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen und beim Verwaltungsgericht Minden, die in Kürze auch auf die übrigen Verwaltungsgerichte erstreckt werden soll.623 Klage- und Antragsschriften sowie Schriftsätze können über das so genannte Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) in elektronischer Form eingereicht werden.624 Auch am Bundesverwaltungsgericht wurde ein elektronisches Postfach eingerichtet, um elektronischen Rechtsverkehr zu ermöglichen.625 Diese Einrichtung von elektronischen Postfächern an den Gerichten könnte den ersten Schritt zur Umstellung auf eine elektronische Aktenführung darstellen. Auch wenn an einzelnen Gerichten noch Defizite bestehen mögen, so kann doch für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte, aber auch für die Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit insgesamt, sowie für das Bundesverfassungsgericht, den Europäischen Gerichtshof, das Europäische Gericht erster Instanz und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgehalten werden, dass eine mangelhafte sachliche Ausstattung der Gerichte keine maßgebliche Ursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer mehr ist. In Einzelfällen werden jedoch auch hier noch Verbesserungsmöglichkeiten bestehen.

(2005) S. 2; Schäuble RuP 1994, 134, 135; Steinbrück (2004) S. 8, 8; Zypries in: SZ vom 17./18. Dezember 2005 S. 10. 619 Arntz Anhang II (2005) S. 320; Behrens NWVBl 1996, 121, 121; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Bertrams DVBl 2006, 997, 1001; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Müller-Piepenkötter (2005) S. 2. 620 Arntz Anhang II (2005) S. 320. 621 Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 622 Bertrams NWVBl 2005, 245, 246; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345. 623 Bertrams DVBl 2006, 997, 1001 f. 624 Bertrams DVBl 2006, 997, 1001 f. 625 Hien DVBl 2005, 348, 351.

III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende Faktoren

153

2. Organisation des Geschäftsablaufs Als weitere Ursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer werden auch immer wieder Defizite in der Organisation des Geschäftsablaufs benannt.626 Als Abhilfe dagegen werden immer wieder organisatorische und technische Vereinfachungen des Geschäftsablaufs angemahnt.627 Es wird vorgeschlagen, die Verwaltung der Gerichte insgesamt effizienter zu organisieren.628 Dazu sollen der verstärkte Einsatz von Computern629 und Diktiergeräten,630 die Verwen626 Baumgärtel JZ 1971, 441, 446; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Busse (2005) S. 9; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 20 und 28; Damkowski/Precht NVwZ 2005, 292, 292; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8; Dombert SächsVBl 1995, 73, 74; Eifert DV 30 (1997), 75, 75; Gössel GA 1979, 241, 241; Harries-Lehmann (2004) S. 15; Hoecht DÖV 1981, 323, 324 f.; Hoffmann-Riem JZ 1997, 1, 4; Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 484; Huff in: FAZ vom 29. August 1995 S. 8; Ismar MDR 1996, 1097, 1097; Jung BDVR-R 1998, 10, 12; Kempf AnwBl 1996, 561, 561; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 206; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lindemann AnwBl 1983, 389, 391; Mes AnwBl 1970, 333, 343; Peschel-Gutzeit in: Hoffmann-Riem (1998) S. 9, 10; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 40; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 77; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 72 und 79 ff.; Redeker DVBl 1977, 132, 134; Redeker LKV 1994, 160, 160; Scheffler (1991) S. 55; Schlette (1999) S. 16; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 526; Seidel AnwBl 2002, 325, 328; Sendler DVBl 1982, 923, 924; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 333; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Wassermann NJW 1994, 2196, 2196; Weth NJW 1996, 2467, 2469; Wilfinger (1995) S. 212. 627 Behrens NWVBl 1996, 121, 124; Bertrams NWVBl 1997, 3, 6; Dury DRiZ 1999, 160, 164; Gössel GA 1979, 241, 241; Gottwald BRAK-Mitt 1998, 60, 60; Haegert BB 1991, 36, 46; Hanack JZ 1971, 705, 707; Harries-Lehmann (2004) S. 16; Hill JZ 1981, 805, 813; Hoecht DÖV 1981, 323, 324 f.; Jescheck JZ 1970, 201, 204; Karpen in: FS-Leisner (1999) S. 989, 993; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 446; Kirchhof DStZ 1989, 55, 56; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lindemann AnwBl 1983, 389, 391; Papier DRiZ 2006, 261, 264; Rieß NStZ 1994, 409, 413; Schäuble RuP 1994, 134, 136; Scheffler (1991) S. 55; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 526; Vorwerk JZ 2004, 553, 559; Weth NJW 1996, 2467, 2469; Wilfinger (1995) S. 211 und 222; Ziekow JZ 1998, 947, 947. 628 Baumgärtel JZ 1971, 441, 446; Bertrams NWVBl 1999, 245, 247; Dombert SächsVBl 1995, 73, 76; Dury DRiZ 1999, 160, 164; Gössel GA 1979, 241, 241; Haegert BB 1991, 36, 46; Hoecht DÖV 1981, 323, 324 f.; Lenz EuGRZ 2001, 433, 436; Lindemann AnwBl 1983, 389, 391; Redeker/Seeliger ZRP 1969, 108, 108; Schlette (1999) S. 16; Stoll SchlHA 1993, 263, 268; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Weth NJW 1996, 2467, 2469; Wilfinger (1995) S. 222. 629 Arenhövel DRiZ 2003, 389, 391; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Dombert SächsVBl 1995, 73, 76; Dury DRiZ 1999, 160, 164; Eylmann u. a. (2004) S. 16 Rn 36 und S. 34 Rn 93; Gasser ThürVBl 2003, 97, 99 f.; Gössel GA 1979, 241, 242; Hamer (2002) S. 33 ff.; Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 483 Fn 9 und 502; HoffmannRiem in: Hoffmann-Riem (1998) S. 13, 13; Huff in: FAZ vom 9. März 1995 S. 6; Huff DRiZ 2000, 7, 7; Ismar MDR 1996, 1097, 1097; Karpen in: FS-Leisner (1999) S. 989, 993; Kohrs in: Bonner GA vom 26. November 2004 S. 2; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Lenz EuGRZ 2001, 433, 436; Lindemann AnwBl 1983, 389,

154

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

dung von Textbausteinen bei der Abfassung von Routineentscheidungen631 und die Zusammenlegung der Geschäftsstellen und des Schreibdienstes zu Serviceeinheiten dienen.632 Um die Gerichtsverfahren deutlich zu beschleunigen, wird es außerdem als hilfreich angesehen, die Richter durch moderne Richterassistenz weiter von unnötiger Schreibarbeit zu befreien.633 Darüber hinaus wird vorgeschlagen, das Telefon als Kommunikationsmittel im gerichtlichen Alltag verstärkt zu nutzten, da beispielsweise eine telefonische Terminabsprache mit den Beteiligten in der Regel weniger zeitaufwendig ist als eine Umladung nach einem berechtigten Terminverlegungsantrag.634 Der mit der Absprache der Termine mit den Beteiligten verbundene Aufwand lässt sich durch Inanspruchnahme der Richterassistenz gering halten und ist in aller Regel gerechtfertigt, da Terminabsprachen zu einer verbesserten Akzeptanz des richterlichen Arbeitens bei den Beteiligten beitragen.635 Immer wieder wurde in der Vergangenheit gefordert, die Verwaltungsabläufe durch die Einbeziehung von Unternehmensberatern und damit durch externen Sachverstand zu optimieren, da Juristen oft nicht hinreichend als Betriebswirte qualifiziert seien.636 Daraufhin wurden die Arbeitsabläufe in der Verwaltungs392; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 113; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 108; Neumann DRiZ 2000, 82, 82; Pfeiffer in: Der Spiegel vom 18. Juli 1983 S. 40; Pitschas ZRP 1998, 96, 98; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 72; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 87; Schäuble RuP 1994, 134, 135; Scheffler (1991) S. 55; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 526; Scholz NordÖR 2002, 235, 236; Stötter NJW 1968, 521, 524; Stoll SchlHA 1993, 263, 263 f. und 267 f.; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 8; Verstegen in: Pitschas (1999) S. 173, 180; Vorwerk JZ 2004, 553, 559; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Weth NJW 1996, 2467, 2469; Wilfinger (1995) S. 213. 630 Hoecht DÖV 1981, 323, 327; Kurth NJW 1978, 2481, 2481; Lindemann AnwBl 1983, 389, 391; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 81; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 799; Schmidt DRiZ 1971, 77, 79; Sendler DVBl 1982, 923, 924. 631 Geiger BDVR-R 1999, 8, 11; Haegert BB 1991, 36, 45; Hoecht DÖV 1981, 323, 326; Neumann in: FS-Dieterich (1999) S. 415, 418; Redeker in: Redeker/ v. Oertzen (2004) § 117 Rn 13; Stoll SchlHA 1993, 263, 267. 632 Behrens NWVBl 1996, 121, 124; Bertrams DVBl 2006, 997, 999; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Dury DRiZ 1999, 160, 164; Eifert DV 30 (1997), 75, 91; Hoffmann-Riem DV 30 (1997), 481, 483 Fn 9 und 501; Hoffmann-Riem in: HoffmannRiem (1998) S. 13, 13; Lindemann AnwBl 1983, 389, 392; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Neumann DRiZ 2000, 82, 82; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 72; Redaktion in: Der Spiegel vom 20. September 1993 S. 87; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 799; Schäuble RuP 1994, 134, 135; Scholz NordÖR 2002, 235, 236; Stoll SchlHA 1993, 263, 268; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 178; Weth NJW 1996, 2467, 2469; Wilfinger (1995) S. 213. 633 Baumgärtel JZ 1971, 441, 444; Lindemann ZRP 1999, 200, 204; Meyke DRiZ 1990, 58, 58; Schmieszek VR 1990, 149, 150. 634 Lindemann AnwBl 1983, 389, 391; Schoenfeld DB 2004, 2287, 2289. 635 Addicks u. a. (2005) Punkt 5.3.

III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende Faktoren

155

gerichtsbarkeit von den Unternehmensberatungen Kienbaum und Wibera untersucht und befinden sich inzwischen auf dem aktuellen Stand betriebswirtschaftlicher Erkenntnis.637 Seitens der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurden zahlreiche Schritte zur Modernisierung der Verwaltungsabläufe unternommen und so ist beispielsweise die Schaffung von Serviceeinheiten längst abgeschlossen und diese arbeiten bereits erfolgreich.638 Durch die Schaffung der Serviceeinheiten konnte der gerichtsinterne Arbeitsablauf durch die Vermeidung unnötiger Aktenwege und Doppelarbeit erheblich verbessert werden.639 Außerdem wurden die nichtrichterlichen Arbeitsplätze durch die Schaffung dieser Serviceeinheiten anspruchsvoller und attraktiver, was auch für die Motivation der Mitarbeiter vorteilhaft ist.640 Es hat sich gezeigt, dass die Mitarbeiter der Serviceeinheiten selbstständig neue Ideen zur weiteren Optimierung des Geschäftsablaufs entwickeln und damit ihre Kreativität hinsichtlich einer Vereinfachung der Verfahrensabläufe einbringen.641 Zudem werden die Richter zunehmend durch moderne Richterassistenz von unnötigen Arbeiten entlastet, so dass sie sich auf die richterlichen Kernaufgaben konzentrieren können.642 Zur weiteren Verbesserung der Verwaltungsabläufe innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde von den Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe der Länder beim Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen in Münster eine bundesweit zuständige Geschäftsstelle für die Binnenmodernisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit geschaffen.643 Diese Geschäftsstelle soll gemeinsame Aktionen der Verwaltungsgerichte zur weiteren Modernisierung der Arbeitsabläufe innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit koordinieren und zugleich als Anlauf- und Sammelstelle für innovative Ideen dienen.644 Die Einrichtung dieser Geschäftsstelle zeigt, dass eine weitere Verbesserung der Arbeitsabläufe auch seitens der Justizverwaltungen und der Richter für möglich und erstrebenswert erachtet wird. Dasselbe gilt auch für die

636

Eylmann u. a. (2004) S. 23 Rn 55; Harries-Lehmann (2004) S. 371 f. Arntz Anhang II (2005) S. 310; Behrens NWVBl 1996, 121, 123; Bertrams NWVBl 1999, 245, 247; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246; Jung BDVR-R 1998, 10, 12; Schmieszek NVwZ 1991, 522, 526; Stoll SchlHA 1993, 263, 268. 638 Bertrams NWVBl 1999, 245, 247; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246; Bertrams Anhang VII (2005) S. 345; Bertrams DVBl 2006, 997, 999 f.; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28. 639 Bertrams NWVBl 1999, 245, 256; Bertrams DVBl 2006, 997, 999; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Lindemann ZRP 1999, 200, 204. 640 Behrens NWVBl 1996, 121, 124; Bertrams NWVBl 1999, 245, 256; Bertrams DVBl 2006, 997, 999; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28. 641 Behrens NWVBl 1996, 121, 124; Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28 f. 642 Addicks u. a. (2005) Punkte 3.3 und 4.1; Bertrams NWVBl 2005, 245, 246; Lindemann ZRP 1999, 200, 204. 643 Bertrams NWVBl 2005, 245, 245. 644 Bertrams NWVBl 2005, 245, 245. 637

156

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

Bemühungen anderer Gerichte und Gerichtsbarkeiten um eine weitere Modernisierung der Verwaltungsorganisation, die teilweise bereits zu erheblichen Verbesserungen der Effektivität der Gerichte geführt haben.645 Für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehende nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber auch für die anderen im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichte kann festgehalten werden, dass die Gerichtsorganisation heute nicht mehr die maßgebliche Ursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrenslaufzeiten ist. Ohne dass dies langfristig besonders viel Geld kosten müsste, ist jedoch davon auszugehen, dass immer noch weitere nicht nur geringfügige Effektivitätssteigerungen erreichbar sind, die sich auch positiv auf die Verfahrenslaufzeiten auswirken können.646 Ein besonders gutes Beispiel für eine solche Verbesserungsmöglichkeit wäre die flächendeckende Einführung von Online-Klagen.647 Alle Schriftsätze werden heutzutage am Computer erstellt und liegen somit in elektronischer Form vor. Es ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß, diese zunächst auszudrucken, um sie anschließend in Papierform an die anderen Verfahrensbeteiligten auf dem Postweg zuzustellen. Würden alle Schriftsätze in elektronischer Form übermittelt und dabei durch die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur gesichert, so würde das zeitaufwendige Transportieren der Dokumente zwischen den Geschäftsstellen der Gerichte, den Richtern und den übrigen Beteiligten überflüssig. Ohne Nachteile könnten sämtliche Postlaufzeiten eingespart werden. Außerdem würde das Durchlesen und Bearbeiten von Schriftsätzen am Bildschirm ermöglicht, das inzwischen von einigen Richtern und Rechtsanwälten bevorzugt wird. Verfahrensbeteiligte, die Schriftsätze lieber in Papierform vorliegen haben, könnten sich diese ausdrucken lassen und damit weiterhin wie bisher mit den Schriftsätzen arbeiten. Seit der Einführung des § 86a in die Verwaltungsgerichtsordnung durch das Gesetz vom 17. Juli 2001648 besteht in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die für die Verwendung elektronischer Dokumente erforderliche Regelung. Leider wird von dieser bisher noch nicht flächendeckend Gebrauch gemacht. Dabei spricht nichts dagegen, langfristig alle Behörden- und Gerichtsakten auf elektronische Aktenführung umzustellen. Die wenigen Schriftstücke, die nicht in elektronischer Form existieren, könnten mit vertretbarem Aufwand gescannt und damit nachträglich digitalisiert werden. Dazu müsste die meist schon bei Gerichten und Rechtsanwälten vorhandene Technik nur flächendeckend genutzt werden. Durch die Umstellung aller Behörden- und Gerichtsakten auf elektronische Dokumente könnten langfristig erhebliche Effi645

Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 57 f. Sendler DVBl 1982, 923, 924. 647 Däubler-Gmelin ZRP 2000, 457, 459; Grassmann in: SZ vom 26./27. Februar 2005 S. 1; Harries-Lehmann (2004) S. 26; Lenz EuGRZ 2001, 433, 436; Schoenfeld DB 2004, 2287, 2289; Stoll SchlHA 1993, 263, 264 und 268. 648 BGBl 2001 I S. 1542. 646

III. Primär von den Justizverwaltungen zu verantwortende Faktoren

157

zienzgewinne erreicht werden. Der Aktenwagen als Sinnbild für die schleppende Bearbeitung von Prozessakten könnte weitgehend von den Behördenfluren verschwinden649 und die „Gürteltiere“ würden endlich aussterben. Wenn auf diese Weise bei jedem Gerichtsverfahren sämtliche Zeitverluste für den Transport von Akten und Schriftsätzen zwischen den Beteiligten sowie zwischen verschiedenen Behörden und Gerichten entfallen würden, so könnte die Verfahrensdauer in jedem einzelnen Gerichtsverfahren deutlich verkürzt werden. Beim Europäischen Gerichtshof, dem Europäischen Gericht erster Instanz und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stellt das Sprachproblem ein spezielles Problem bei der Organisation des Geschäftsablaufs dar, weil durch die vielen Sprachen in den Mitgliedstaaten die Übersetzungsdienste teilweise überlastet sind und sich dadurch die Verfahrenslaufzeiten verlängern.650 Diesem Problem könnte man einerseits durch eine Reduzierung der vor Gericht zugelassenen Sprachen begegnen, die jedoch zu Recht politisch nicht gewollt ist.651 Die andererseits denkbare Aufstockung des Personals wird aus finanziellen Gründen nicht möglich sein. Daher können die Übersetzungsdienste nur dadurch entlastet werden, dass alle Beteiligten eine strenge Disziplin hinsichtlich der Länge ihrer Schriftsätze an den Tag legen. Speziell am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht immer noch das Problem, dass die Richter nur über ein begrenztes eigenes Sekretariat verfügen, bei dem sich jeweils drei Richter eine Sekretärin teilen müssen, und dass die Richter über keine eigenen Mitarbeiter verfügen, sondern lediglich auf ein Poolsystem von Mitarbeitern des Europarats zurückgreifen können.652 Dieser Mangel in der Organisation des Gerichtshofs könnte nur durch eine Aufstockung der dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel beseitigt werden. 3. Berichterstatterwechsel Ein anderer Grund für das Zustandekommen langer Verfahrenslaufzeiten ist die hohe Fluktuation der Berichterstatter aufgrund von Dezernatswechseln, Umsetzungen oder Krankheit der Richter.653 Dadurch müssen oft mehrere Voten von verschiedenen Berichterstattern verfasst werden, wodurch unnötig Zeit verloren geht.654 Jeder Berichterstatter muss die Akte von vorne bis hinten durch649 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 28; Grassmann in: SZ vom 26./27. Februar 2005 S. 1. 650 Frowein in: FS-Carstens (1984) S. 327, 331; Lenz EuGRZ 2001, 433, 433; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 116 und 120. 651 Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 120. 652 Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 51. 653 Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Niehues Anhang VIII (2005) S. 349; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 337.

158

E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

lesen und einen Entscheidungsentwurf erstellen.655 Dadurch geht wertvolle Arbeitszeit der Richter verloren, die auf andere Verfahren verwendet werden könnte.656 Außerdem hat der Richter, der einen alten Fall neu hinzubekommt, in der Regel auch noch seine alten Verfahren und hängt die hinzugekommenen Verfahren dann oft erst einmal hinten dran.657 Teilweise werden Berichterstatter sogar noch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung versetzt, ohne dass diese vorher den Fall mit einem Urteil abschließen, so dass überflüssigerweise erneut mündlich verhandelt werden muss.658 Es ist natürlich unsinnig, wenn bereits ein Votum des Berichterstatters vorliegt, die Sache dann nicht auch zu Ende zu führen.659 Die durch Berichterstatterwechsel verursachten Verfahrensverzögerungen können seitens der Justizverwaltungen dadurch vermieden werden, dass diese darauf achten, dass die Richter im Regelfall ein begonnenes Verfahren abschließen, bevor sie versetzt oder mit anderen Aufgaben betraut werden. Dies wird zwar nicht in jedem Einzelfall möglich sein, doch könnte die Problematik dadurch entschärft werden, dass Richter, deren baldiger Wechsel an ein anderes Gericht oder in ein anderes Dezernat absehbar ist, nicht mehr mit neuen Verfahren betraut werden. 4. Verzögerung von Hauptsacheverfahren durch Eilverfahren Eine weitere Ursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer ist die Verzögerung der Hauptsacheverfahren durch Eilverfahren.660 Zwar ermöglicht der vorläufige Rechtsschutz, die Folgen überlanger Verfahrensdauer abzumildern,661 doch hat die zunehmende Dauer der Gerichtsverfahren inzwischen zu einem überproportional starken Anstieg der Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz geführt.662 Diese nehmen die Arbeitskraft der Verwaltungsge654

Löwer Anhang IV (2005) S. 327. Löwer Anhang IV (2005) S. 327. 656 Löwer Anhang IV (2005) S. 327. 657 Niehues Anhang VIII (2005) S. 349. 658 Löwer Anhang IV (2005) S. 327. 659 Löwer Anhang IV (2005) S. 327. 660 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350; Piorreck (2003) S. 4. 661 Baur (1966) S. 3; Dörr (2003) S. 30 f. und 233 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 93 f.; Otto (1994) S. 40; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 79; Reich (1998) Art 19 Rn 5; Sauthoff BDVR-R 1998, 40, 42; Schenke DÖV 1982, 709, 715 und 724; Schlette (1999) S. 42 ff.; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 7; Ziekow (1998) S. 38. 662 Grawert DVBl 1983, 973, 975; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Sauthoff BDVR-R 1998, 40, 42; Schenke DÖV 1982, 709, 715; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 182 und 184; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 7. 655

IV. Zusammenfassung

159

richtsbarkeit in solchem Umfang in Anspruch, dass darunter die Hauptsacheverfahren leiden, die eigentlich den endgültigen Rechtsschutz gewähren sollten.663 Wenn sich ein Richter ernsthaft darum bemüht, ein komplexes Verfahren voranzutreiben, wozu er sich intensiv in den Fall einarbeiten muss, dann wird er häufig durch Eilverfahren, die vorrangig zu bearbeiten sind, daran gehindert.664 Das paradoxe an dieser Situation ist, dass die Notwendigkeit vieler Eilverfahren sich gerade erst daraus ergibt, dass die Hauptsacheverfahren so lange dauern, die Hauptsacheverfahren jedoch unter anderem deswegen so lange dauern, weil der Richter sich immer wieder vorrangig mit den zahlreichen Eilverfahren beschäftigen muss.665 Hier „beißt sich die Katze in den Schwanz“, es handelt sich also um einen Teufelskreis.666 Einen möglichen Ausweg aus dieser Situation bieten beispielsweise die an den Verwaltungsgerichten in Berlin eingeführten so genannten „Beschleunigungskammern“, die speziell zur Aufarbeitung liegen gebliebener komplexer Altverfahren geschaffen wurden.667 Die Richter in diesen Kammern hatten zuvor in der Regel noch nichts mit der Materie des Falls zu tun und können daraufhin unbefangener als Richter, die sich schon seit vielen Jahren genau mit dieser Materie beschäftigen, an die für sie neuen, aber eigentlich doch schon sehr alten Verfahren herangehen.668 Diese Kammern sollten natürlich selbst Materien bearbeiten, in denen es relativ selten zu Eilverfahren kommt, damit sie selbst nicht durch diese blockiert werden.669 Weitestgehend frei von anderen Belastungen haben diese Richter dann den Ehrgeiz und auch die Möglichkeit diese alten Verfahren zügig zu erledigen.670 Zumindest an den Verwaltungsgerichten in Berlin hat sich diese Vorgehensweise bereits bewährt und könnte damit auch an anderen Gerichten zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen.671

IV. Zusammenfassung Viele unterschiedliche Faktoren tragen dazu bei, dass die Verfahrensdauer an den im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichten insgesamt sehr lang ist und dass in vielen Fällen unangemessen lange Verfahrenslaufzeiten zustande 663 Sauthoff BDVR-R 1998, 40, 42; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 182 und 184; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Verstegen BDVR-R 1998, 3, 7. 664 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 665 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 666 Duden Redewendungen (2002) S. 401; Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 667 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350; Storost NordÖR 2005, 248, 250. 668 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 669 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 670 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350. 671 Niehues Anhang VIII (2005) S. 350.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

kommen.672 Als problematisch erweist sich, dass es nicht möglich ist, einzelnen dieser Faktoren eine alleinige oder überwiegende Verantwortung für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer zuzuweisen.673 Auch rechtstatsächliche Untersuchungen konnten bisher keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Verfahrensverzögerungen und möglichen Ursachen hierfür herstellen.674 Bei gleichzeitigem Vorhandensein von mehreren Ursachen ist es durchaus möglich, dass die tatsächliche Bedeutung eines Faktors durch den Einfluss eines oder mehrerer anderer Faktoren verzerrt wird.675 Kurz zusammengefasst tragen folgende Faktoren maßgeblich zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer bei: eine im Verhältnis zur Arbeitsbelastung zu geringe Anzahl der Richter; ein teilweise unnötig kompliziertes und zu umfangreiches Rechtsschutzsystem mit zahlreichen Rechtsmitteln und gerichtlichen Instanzen; die zu hohe Zahl und zu geringe Qualität der vom Gesetzgeber verabschiedeten Gesetze; die Arbeitsweise und das Verhalten von einigen Richtern und Rechtsanwälten; der noch immer zu seltene Einsatz konsensualer Konfliktlösungsmöglichkeiten; die hohe Inanspruchnahme der Gerichte durch die Bürger; Berichterstatterwechsel während der Anhängigkeit eines Verfahrens sowie bisher nicht genutzte Verbesserungsmöglichkeiten bei der Organisation des Geschäftsablaufs an den Gerichten. Darüber hinaus spielen – teilweise als Unteraspekt der zuvor genannten Faktoren – ebenfalls eine gewisse Rolle: der Umfang der richterlichen Entscheidungsbegründungen und anwaltlichen Schriftsätze; Nebentätigkeiten der Richter; eine in Einzelfällen zu weit ausgedehnte Amtsermittlung und Kontrolldichte; vereinzelt auch die sachliche Ausstattung der Gerichte sowie Verzögerungen der Hauptsacheverfahren durch Eilverfahren. Ohne an den anderen Ursachen für das Zustandekommen langer Verfahrenslaufzeiten etwas zu ändern, verspricht von den denkbaren Abhilfemöglichkeiten eine deutliche Erhöhung der Anzahl der Richterstellen den meisten Erfolg. Der Richter ist der Dreh- und Angelpunkt jedes Gerichtsverfahrens und ohne eine ausreichende Anzahl von Richtern wird eine deutliche Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten nicht eintreten. Die Schaffung zahlreicher neuer Richterstellen ist jedoch auf absehbare Zeit sehr unwahrscheinlich. Um die vorhandenen Richter möglichst effizient einzusetzen, bietet sich bei weniger komplexen Verfahren die Übertragung auf einen Einzelrichter oder auf kleinere Spruchkörper an. Von der zum Beispiel in § 6 der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Mög672 Busse (2005) S. 51; Eylmann u. a. (2004) S. 5 Rn 2; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Henke ZZP 83 (1970), 125, 133 und 144; Kopp DVBl 1982, 613, 614; Löwer Anhang IV (2005) S. 327; Sendler DVBl 1982, 923, 924; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 181; Sendler VBlBW 1989, 41, 48; Stötter NJW 1968, 521, 521; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer. 673 Bundesregierung in: BT-Drs. 16/2957 (2006) S. 1; Sendler DVBl 1982, 923, 924. 674 Jackwerth ÖRiZ 1991, 33, 41. 675 Jackwerth ÖRiZ 1991, 33, 41.

IV. Zusammenfassung

161

lichkeit der fakultativen Übertragung auf einen Einzelrichter sollte daher in allen dafür geeigneten Fällen Gebrauch gemacht werden. Abgesehen von diesen Möglichkeiten bieten sich einige unter Rechtsschutzgesichtspunkten nicht ganz unproblematische Maßnahmen an, deren Vorteile jedoch bei sinnvoller Handhabung die Nachteile deutlich überwiegen. Dazu zählt eine bereits teilweise verwirklichte Reduzierung des Instanzenzugs und Beschränkung der Rechtsmittel, eine sinnvolle Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie eine behutsame Rücknahme der richterlichen Kontrolldichte. Unter Rechtsschutzgesichtspunkten unproblematisch und dennoch sehr wirkungsvoll erweist sich der verstärkte Einsatz konsensualer Streitschlichtung in der Form von Mediationsverfahren und Vergleichsverhandlungen sowie ein Einwirken auf Richter und Rechtsanwälte durch Fortbildungsveranstaltungen, bei denen eine Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten neben der inhaltlichen Qualität des Rechtsschutzes im Mittelpunkt steht. Dazu gehören auch Aspekte wie ein verantwortungsvoller Umgang mit Nebentätigkeiten, kurz und prägnant formulierte Entscheidungen und Schriftsätze sowie die Vermeidung oder Verhinderung von Prozessverschleppungen. Auch weitere Verbesserungen der sachlichen Ausstattung der Gerichte und eine stetige Optimierung der Organisation des Geschäftsablaufs können trotz bereits eingetretener Verbesserungen weiterhin zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren beitragen. Als eine nicht nur die Zufriedenheit der Bürger und der Rechtsanwälte mit den Gerichten fördernde, sondern sich auch positiv auf die Verfahrenslaufzeiten auswirkende Maßnahme bietet sich darüber hinaus die Durchführung von Erörterungsterminen an. Bei diesen können viele Fälle entweder bereits frühzeitig erledigt werden oder deren Abschluss zumindest durch eine Konzentration der Beteiligten auf die wesentlichen Punkte gestrafft werden. Speziell zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts könnte die Annahme von Verfassungsbeschwerden in das Ermessen des Gerichts gestellt werden. Keine sinnvollen Abhilfemöglichkeiten sind die Privatisierung von Teilen der Justiz im Bereich der mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichte und die Einführung gesetzlicher Höchstfristen für Gerichtsverfahren. Zurzeit nicht realisierbar ist die Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten. Eine Lösung des jahrhundertealten Problems der überlangen Verfahrensdauer lässt sich nur dadurch erzielen, dass alle Personen, die einen Einfluss auf diese Faktoren haben, gemeinsam auf das Ziel einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten hinarbeiten.676 Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass seitens der Beteiligten in Einzelfällen bewusst eine lange Verfahrensdauer in Kauf genommen wird oder sogar gewünscht wird. In solchen Fällen der bewussten Pro-

676

Redeker NJW 1994, 1707, 1708; Sendler DVBl 1982, 923, 924.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

zessverschleppung ist es Aufgabe der Gerichte, Verzögerungen mit allen vom Prozessrecht zugelassenen Mitteln zu verhindern.677 Die Bürger können zu einer Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten beitragen, indem sie zunächst versuchen, Konfliktfälle außergerichtlich beizulegen.678 Davon würden auch sie selbst profitieren, indem sie zukünftig bei gerichtlicherseits klärungsbedürftigen Fällen auf ein zügigeres Verfahren hoffen könnten, Gerichtskosten sparen würden und außerdem indirekt über geringere Steuern von den sinkenden Kosten der Justiz profitieren würden.679 Die Behörden sollten – auch nach Abschaffung des Widerspruchverfahrens – versuchen, Konflikte mit dem Bürger bereits im Verwaltungsverfahren beizulegen, wann immer dies möglich ist. Ist ein Gerichtsverfahren unvermeidlich, dann sollten sie den Gerichten die Akten unverzüglich zukommen lassen und selbst durch das Verhalten ihrer Vertreter zu einem zügigen Verfahrensabschluss beitragen. Die Rechtsanwälte sollten auf unnötig umfangreiche Schriftsätze und Prozessverschleppungstaktiken, wie unnötige Terminsverlegungsanträge, stures Ausnutzen der Fristen bis zum letzten Tag oder nach Fristverlängerungsanträgen sogar darüber hinaus, verzichten.680 Schon im Vorfeld sollten sie sich als Vermittler eines Ausgleichs sehen und in den Mittelpunkt ihrer Beratung die Vermeidung eines Gangs zu Gericht stellen, wenn dem Recht auch ohne die Einschaltung eines Gerichts genüge getan werden kann.681 Kommt es zu einem Prozess, so sollten sie die entscheidungserheblichen Fragen derart herausarbeiten und dem Gericht geordnet unterbreiten, dass dieses schneller entscheiden kann.682 Die Richter sollten sich stets des Spannungsverhältnisses zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz bewusst sein und Gründlichkeit und Schnelligkeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringen. Unmittelbar nach Eingang bei Gericht sollten sie offensichtlich begründete oder offensichtlich unbegründete Fälle möglichst zügig erledigen.683 Bevor sie sich 677 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 50 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 50; Dütz (1970) S. 197; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 187; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Morstadt (1828) S. 158; Niesler (2005) S. 106; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 304; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 130. 678 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 17 und 24; Däubler-Gmelin in: SZ vom 12. Juni 1999 S. 10; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 192. 679 Caesar in: Pitschas (1999) S. 17, 24; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 192. 680 Sendler NVwZ 2003, 957, 957. 681 Redeker RuP 1982, 51, 53; Schäfer DRiZ 1995, 461, 467. 682 Sendler DVBl 1982, 812, 819. 683 Sendler DVBl 1982, 923, 930.

IV. Zusammenfassung

163

in einen problematischen Fall vertiefen, sollten sie stets die Beteiligten hinsichtlich konsensualer Lösungsmöglichkeiten kontaktieren, und auch wenn diese nicht möglich erscheinen, frühzeitig in einem Erörterungstermin die nach Ansicht des Gerichts entscheidenden Sach- und Rechtsfragen aufzeigen und zur Diskussion stellen.684 Durch eine sachgerechte Anwendung der vom Gesetzgeber geschaffenen Beschleunigungsmaßnahmen Zulassungsberufung, Gerichtsbescheid und Präklusion kann der Richter zusätzlich zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Auch eine sinnvolle Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes sowie eine behutsame Rücknahme der richterlichen Kontrolldichte können sich günstig auf die Verfahrensdauer auswirken. Der Richter sollte zudem stets verdeutlichen, dass er keine Prozessverschleppung dulden wird, an einer möglichst zügigen Erledigung interessiert ist und auch selbst nach diesem Grundsatz zügig handeln. Verdeutlicht der Richter durch sein eigenes Verhalten, dass auch er selbst bereit ist, an seine Person Anforderungen an die Effizienz zu stellen, werden auch die Beteiligten und ihre Anwälte eher bereit sein, schneller zu agieren. Desweiteren sollten die Richter bereit sein, ihren eigenen Arbeitsstil – beispielsweise durch die Teilnahme an Fortbildungen – weiter zu verbessern und dadurch effektiver zu arbeiten. Bei einigen Richtern wird auch mehr Selbstdisziplin dahingehend erforderlich sein, dass Arbeitszeiten von täglich acht Stunden normal und ohnehin geschuldet sind und wirklich harte Arbeit frühestens danach anfängt.685 Der Hinweis auf das Erfordernis, komplizierte Sachverhalte in Ruhe durchdenken zu müssen, sollte nicht dazu missbraucht werden, die wöchentliche Arbeitszeit auf unter vierzig Stunden zu reduzieren. Die Justizverwaltungen sollten sich dafür einsetzen, dass die Richter jederzeit alle notwendige Unterstützung erfahren. Zum Beispiel sollten sie stets funktionierende Kommunikations- und Datenverarbeitungseinrichtungen zur Verfügung haben, ihnen sollte kompetente und motivierte Richterassistenz zur Seite stehen und insgesamt sollten sie ein Arbeitsumfeld vorfinden, das zu geistig teilweise höchst anspruchsvoller Arbeit motiviert. Bei der Verwendung der beschränkten finanziellen Mittel für die Ausstattung der Gerichte sollten die Justizverwaltungen stets darauf achten, insbesondere diejenigen Maßnahmen zu unterstützen, die sich verkürzend auf die Verfahrenslaufzeiten auswirken. In den vergangenen Jahren wurden in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen, aber auch an den anderen im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichten, bereits viele Maßnahmen zur Verbesserung der Organisation des Geschäftsablaufs durchgeführt. Die Gerichte sollten sich jedoch nicht mit dem bereits erreichten zufrieden geben, sondern weiterhin nach möglichen effektivitätssteigernden Maßnahmen suchen. Dass sich die Gerichte ernsthaft darum bemühen, zeigt beispielhaft die Einführung der bundesweit zuständigen Geschäftsstelle zur Bin684 685

Sendler DVBl 1982, 923, 930. Hien DVBl 2004, 909, 912.

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E. Ursachen für überlange Verfahrensdauer

nenmodernisierung der Verwaltungsggerichtsbarkeit am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Als eine besonders effektive Maßnahme zur Verfahrensbeschleunigung könnte sich die Umstellung aller Behörden- und Gerichtsakten auf elektronische Dokumente erweisen. Dadurch würden nicht nur unnötige Transportzeiten für die Akten entfallen, sondern auch weitere Effizienzsteigerungen eintreten. Der Gesetzgeber sollte einerseits ausreichende Haushaltsmittel für die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Justiz bereitstellen, andererseits bei allen Gesetzesvorhaben auch die Auswirkungen auf die Gerichte bedenken und deren sachverständigen Vorschläge und Ideen vor der Durchführung von Reformen im Justizwesen nicht nur anhören, sondern auch tatsächlich berücksichtigen.686 Obwohl bekannt ist, dass das Prozessrecht nicht die vorrangige Ursache der hohen Belastung der Gerichte ist, konzentrieren sich die Bemühungen um Abhilfe traditionell darauf, nach Änderungen im Gerichtsverfassungs- und Gerichtsverfahrensrecht zu suchen.687 Dies ist daher erklärlich, weil das Prozessrecht der strukturbestimmende Faktor der Gerichtsbarkeit ist, der dem unmittelbaren Zugriff des Gesetzgebers unterliegt.688 Da die entscheidenden Ursachen der überlangen Verfahrensdauer jedoch nicht im Prozessrecht selbst liegen, werden die in den letzten Jahren geradezu hektischen Aktivitäten des Gesetzgebers mit dem Ziel der Verfahrensverkürzung und -vereinfachung den gewünschten Beschleunigungseffekt nicht haben.689 Beschleunigungsgesetze sind auf die Gerichte in einer derartigen Fülle niedergegangen,690 dass die Prozessordnungen inzwischen als „Experimentierfeld des Gesetzgebers“ erscheinen691 und zu ei-

686 Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker NJW 1996, 521, 526; Redeker NJW 1998, 2790, 2790. 687 Clausing NVwZ 1992, 717, 717; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 740. 688 Clausing NVwZ 1992, 717, 717; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357; Lotz/Dillmann BayVBl 1992, 737, 740. 689 Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Redeker NJW 2003, 488, 488; Schenke DÖV 1982, 709, 725; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer. 690 Hofe/Müller BayVBl 1995, 225, 225; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 109; Millgramm BDVR-R 1997, 99, 105; v. Münch NJW 2000, 1, 6; Ott in: Die Woche vom 1. November 1996 S. 42; Redeker NJW 1994, 1707, 1707; Redeker NVwZ 1996, 126, 126; Redeker (2000) S. 1 und 26; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 41; Schild/Weth in: FSRess (2005) S. 1555, 1555; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 326 f.; Stelkens NVwZ 1995, 325, 334; Stiefel ZRP 1989, 324, 324; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 177; Weiß BRAK-Mitt 1999, 61, 62; Weth NJW 1996, 2467, 2467; Weth in: FS-Lüke (1997) S. 961, 961. 691 Duhme VR 2003, 37, 45; Mayen NVwZ 1995, 255, 256; Redeker DVBl 1992, 212, 212; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 41; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 313.

IV. Zusammenfassung

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ner „Dauerbaustelle“ geworden sind.692 Die Versuche, die Justiz zu reformieren, sind genauso alt wie die Justiz selbst.693 Trotz dieses politischen und gesetzgeberischen Aktionismus694 ist eine Verkürzung der Verfahrensdauer und eine Entlastung der Gerichte allein durch gesetzgeberische Maßnahmen bisher noch nicht eingetreten.695 Selbst die beste Verwaltungsgerichtsordnung kann einen guten Richter nicht ersetzen, denn keine Prozessordnung kann so gut sein, dass man auf den Richter verzichten könnte.696 Auch gute Gesetze lassen sich durch schlechte Anwendung verderben, während selbst mittelmäßige Vorschriften durch ihre vernünftige Handhabung besser werden können.697 Andererseits müssen angesichts der Verfahrenslaufzeiten an den Gerichten alle sinnvollen prozessrechtlichen Entlastungs- und Beschleunigungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden.698 Wo Änderungen im Sinne einer Effektivierung der Arbeit der Gerichte ertragreich erscheinen, sollte man sich diesen nicht verschließen.699 Dabei sollte jedoch stets eine sorgfältige Abwägung zwischen möglichen Beschleunigungserfolgen und drohenden Rechtsschutzverlusten stattfinden.700 Unüberlegte Reformen des Prozessrechts im Sinne von „Versuchsballons“ sind kein geeignetes Mittel, gegen überlange Verfahrensdauer vorzugehen, da hierdurch hervorgerufene Schäden nur schwer wieder gutgemacht werden könnten.701 Als Alternative zu immer wieder neuen Reformen des Prozessrechts bietet sich vielmehr insbesondere eine weitere Verbesserung der Organisation der Gerichte, der Arbeitsweise der Richter und des nichtrichterlichen Gerichtspersonals durch Fortbildungen an.702

692

Busse (2005) S. 4. Mertin RuP 2005, 67, 67. 694 Busse (2005) S. 5; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Redeker NVwZ 1996, 126, 131; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 42; Rumpf NVwZ 1997, 981, 982; Schild/Weth in: FS-Ress (2005) S. 1555, 1555; Stelkens NVwZ 2000, 155, 156; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 177; Weth ZRP 2005, 119, 119. 695 Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Redeker (2000) S. 26; Redeker NJW 2003, 488, 489; Stelkens in: FS-Redeker (1993) S. 313, 315 Fn 7a; Stelkens NVwZ 1995, 325, 328; Stelkens NVwZ 2000, 155, 158; Weth in: FS-Lüke (1997) S. 961, 961. 696 Henke ZZP 83 (1970), 125, 145; Sendler DVBl 1982, 812, 821. 697 Henke ZZP 83 (1970), 125, 145; Sendler DVBl 1982, 812, 821. 698 Clausing NVwZ 1992, 717, 718. 699 Clausing NVwZ 1992, 717, 718. 700 Clausing NVwZ 1992, 717, 718; Millgramm SächsVBl 1997, 107, 112. 701 Clausing NVwZ 1992, 717, 718; Kropp NJ 2005, 208, 208. 702 Clausing NVwZ 1992, 717, 720. 693

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist Um als betroffener Bürger wirksam gegen überlange Verfahrensdauer vorgehen zu können, ist zunächst ein Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist erforderlich. Im Folgenden soll daher untersucht werden, welche Vorschriften in Deutschland auf nationaler oder europäischer Ebene existieren, die den Wunsch des Gesetzgebers auf eine zügige Durchführung von Gerichtsverfahren verdeutlichen und auf die sich ein Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz in angemessener Frist stützen könnte. Dabei geht es nicht um eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Normen, sondern vielmehr soll verdeutlicht werden, dass der Wille des Gesetzgebers zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren an zahlreichen, teilweise versteckten Stellen zum Ausdruck kommt. Auch wenn die Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, werden im Folgenden auch die Prozessordnungen für die ordentliche Gerichtsbarkeit in die Untersuchung einbezogen, da sich auch anhand dieser der generelle Wille des Gesetzgebers zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren aufzeigen lässt.

I. Bundesgesetze Für das im Bereich der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit dem Gerichtsverfahren in der Regel vorgeschaltete Verwaltungsverfahren enthält das einfache Recht seit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz von 1996 eine ausdrückliche Regelung zur zeitlichen Dauer von Verwaltungsverfahren.1 Nach § 10 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist jedes Verwaltungsverfahren zügig durchzuführen und gemäß § 71b VwVfG muss die Behörde die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen treffen, um das Verfahren in angemessener Frist abzuschließen.2 In Bezug auf die Untätigkeitsklage beim Widerspruchsverfahren kann § 75 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entnommen werden, dass ein durchschnittliches Verwaltungsverfahren nicht länger als drei Monate dauern soll.3 Von einem Zeitraum von in 1

Niesler (2005) S. 1; Schlette (1999) S. 19; Ziekow DVBl 1998, 1101, 1101. Fluck NuR 1999, 255, 255 ff.; Franßen in: Lüder (1998) S. 31, 33 Fn 1; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128 Fn 18; Niesler (2005) S. 1; Schlette (1999) S. 19; Ziekow in: Ziekow (1998) S. 51, 51 ff.; Ziekow DVBl 1998, 1101, 1101 f. und 1106 f. 3 Schlette (1999) S. 19; Ziekow DVBl 1998, 1101, 1108 f. 2

I. Bundesgesetze

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der Regel drei Monaten für die Dauer eines Verwaltungsverfahrens gehen auch die inhaltlich übereinstimmenden Sondervorschriften in § 27 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG), § 88 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 14a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) aus.4 Die in das VwVfG und andere Gesetze eingefügten Beschleunigungsvorschriften für das Verwaltungsverfahren gehen über legislative Symbolik hinaus und machen den Behörden präzise Vorgaben, deren Umsetzung der Bürger – gelegentlich sogar mit Erfolg – von der Verwaltung einfordern kann.5 Für Gerichtsverfahren finden sich lediglich einzelne verstreute Regelungen, aus denen sich schließen lässt, dass dem Gesetzgeber an der zügigen Durchführung der Verfahren gelegen ist.6 Zweck dieser Normen ist in den meisten Fällen, eine Verschleppung des Verfahrens durch die Beteiligten selbst zu verhindern. Nur ganz wenige Vorschriften haben zum Ziel, die richterliche Tätigkeit mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung zu beeinflussen.7 Dies ist damit zu erklären, dass der Gesetzgeber eine hohe Meinung vom Verantwortungsbewusstsein und Ethos der Richter hat und dass er der Justiz grundsätzlich vertraut.8 1. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Zu den wenigen Vorschriften, die sich unmittelbar an den Richter wenden, gehören in der Verwaltungsgerichtsbarkeit § 86 Abs. 3 VwGO, der Hinweispflichten des Richters gegenüber den Beteiligten statuiert, § 87 Abs. 1 VwGO, nach dem die Erledigung eines Rechtsstreits möglichst in einer mündlichen Verhandlung erfolgen soll und der dem Richter die Anordnung aller dafür erforderlichen Maßnahmen auferlegt, § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der eine Urteilsverkündung maximal zwei Wochen nach Schließung der mündlichen Verhandlung anordnet, sowie § 117 Abs. 4 Satz 1 VwGO, nach dem ein zum Zeitpunkt der Verkündung noch nicht abgefasstes Urteil innerhalb von zwei Wochen vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übergeben ist.9 Diese eindeutig als 4

Schlette (1999) S. 19 Fn 2; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 441. Ziekow in: Ziekow (1998) S. 51, 51 f. und 94; Ziekow DVBl 1998, 1101, 1110. 6 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 141; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Leisner (2003) S. 233; Niesler (2005) S. 1; Otto (1994) S. 3; Redeker (2000) S. 26; Schlette (1999) S. 19 f. 7 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 141; Leisner (2003) S. 233; Schlette (1999) S. 19 f.; Redeker (2000) S. 26. 8 Baur (1966) S. 6; Niesler (2005) S. 1; Stein/Frank (2004) S. 430; Ziekow (1998) S. 12 und 20; Ziekow DÖV 1998, 941, 941. 9 Ibler in: BK (2004) Art 19 IV Rn 217; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 159; Klose NJ 2004, 241, 241; Mayen Anhang VI (2005) S. 338; Redeker (2000) S. 74 f.; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: 5

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Mussvorschriften formulierten Normen werden von der Rechtsprechung jedoch als bloße Ordnungsvorschriften angesehen und ein Verstoß gegen diese stellt damit keinen Verfahrensfehler, sondern lediglich in Extremfällen ein Dienstvergehen dar.10 Eine Befolgung dieser Vorschriften ist damit beinahe gänzlich in das Belieben der Richter gestellt.11 Die übrigen Regelungen der VwGO, die auf ein zügiges Verfahren abzielen, richten sich gegen Verzögerungen durch andere Verfahrensbeteiligte, so beispielsweise die Präklusionsvorschriften des § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO und des § 128a Abs. 1 Satz 1 VwGO, die es dem Gericht ermöglichen, verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn sich anderenfalls nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.12 Ebenfalls nicht an den Richter, sondern an die anderen Beteiligten richten sich die in § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 126 Abs. 2 Satz 1 VwGO festgelegten Fiktionen, nach denen die Klage als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.13 2. Sozialgerichtsgesetz (SGG) Um die Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit zu beschleunigen, finden sich im SGG einige mit den Normen der VwGO weitgehend inhaltsgleiche Regelungen, wie beispielsweise § 106 Abs. 1 SGG, der Hinweispflichten des Richters gegenüber den Beteiligten festlegt, § 106 Abs. 2 und Abs. 3 SGG, nach dem die Erledigung des Rechtsstreits in möglichst nur einer Verhandlung gefordert wird und der dem Richter die Anordnung aller dafür erforderlichen Maßnahmen auferlegt, § 112 Abs. 2 SGG, nach dem der Richter darauf hinwirken soll, dass die Beteiligten sich vollständig zu erheblichen Tatsachen äußern und sachdienliche Anträge stellen, § 132 Abs. 1 SGG, der eine Verkündung des Urteils spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Schluss der Verhandlung verlangt, sowie Redeker/v. Oertzen (2004) § 117 Rn 8; Schlette (1999) S. 20 Fn 7; Sendler DVBl 1982, 923, 924 f.; Sendler in: FS-Lerche (1993) S. 833, 844; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 10 Redeker (2000) S. 26; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: Redeker/ v. Oertzen (2004) § 117 Rn 8; Sendler DVBl 1982, 923, 925; Sendler (2000) S. 6 und These B 2; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 11 Redeker in: Redeker/v. Oertzen (2004) § 117 Rn 8; Sendler DVBl 1982, 923, 925. 12 Johlen DÖV 2001, 582, 583; Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 157; Kuhla/Hüttenbrink DVBl 1996, 717, 717; Niesler (2005) S. 1; Schlette (1999) S. 20 Fn 5; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 179. 13 Fölsch JuS 2005, 228, 228; Schlette (1999) S. 20 Fn 6; Schmidt NVwZ 1998, 694, 695; Stauch KJ 1992, 235, 237; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 179.

I. Bundesgesetze

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§ 134 Abs. 2 Satz 1 SGG, nach dem das Urteil in der Regel innerhalb eines Monats vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übergeben ist.14 3. Finanzgerichtsordnung (FGO) In der Finanzgerichtsbarkeit dienen der Verfahrensbeschleunigung unter anderem der § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung, der dem Richter die Pflicht auferlegt, auf das Prozessgeschehen fördernd einzuwirken, § 76 Abs. 3 FGO, nach dem verspätetes Vorbringen zurückgewiesen werden kann, und § 79 Abs. 1 Satz 1 FGO, der den Richter auffordert, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.15 4. Zivilprozessordnung (ZPO) In der Zivilgerichtsbarkeit zählen zu den Normen, die das Gericht zu zügigem Arbeiten anhalten sollen, § 216 Abs. 2 ZPO, der den Vorsitzenden Richter zur unverzüglichen Terminsbestimmung verpflichtet, § 271 Abs. 1 ZPO, der die unverzügliche Zustellung der Klageschrift fordert, § 272 Abs. 1 ZPO, der grundsätzlich die Erledigung der Sache in nur einem Termin fordert, § 272 Abs. 3 ZPO, nach dem die mündliche Verhandlung so früh wie möglich stattfinden soll, § 273 ZPO, der das Gericht dazu anhält, auf die rechtzeitige und vollständige Erklärung der Parteien hinzuwirken, § 279 ZPO, der die möglichst kurzfristige Anberaumung eines neuen Termins fordert, § 300 Abs. 1 ZPO, der das Gericht zum Urteilserlass bei Entscheidungsreife verpflichtet, § 349 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der die Erledigung eines Rechtsstreits möglichst in einer mündlichen Verhandlung verlangt, und § 526 Abs. 1 ZPO, der die Einsetzung von Einzelrichtern vorsieht.16 Zu den Regelungen, die Prozessverzögerungen durch die anderen Beteiligten verhindern sollen, zählt § 227 ZPO, der Voraussetzungen für Terminsänderungen aufstellt, § 275 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der die Setzung einer Frist zur Klageerwiderung vorsieht, sowie die Präklusionsvorschriften der §§ 282, 296, 296a, 530 ZPO.17 Der § 95 ZPO regelt die Kostentragung zum Nachteil desjenigen, der Verzögerungen im Verfahrensablauf verursacht hat.18

14 Kern in: Pitschas/Walther (2005) S. 147, 166; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig (2005) §§ 1 ff. Rn 1 ff. 15 BFH (9. Senat) 23. Februar 1999 Az IX R 19/98 NJW 1999, 2614, 2615; Stapperfend in: Gräber (2006) § 76 Rn 38 ff.; Walther in: Pitschas/Walther (2005) S. 1, 23. 16 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 5; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 530; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Klose NJ 2004, 241, 241; Schlette (1999) S. 20 Fn 7. 17 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 5; Schlette (1999) S. 20 Fn 5 und 6. 18 Schlette (1999) S. 20 Fn 6.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

5. Strafprozessordnung (StPO) In der Strafgerichtsbarkeit statuiert lediglich § 121 StPO in Bezug auf die Untersuchungshaft einen ausdrücklichen Zwang zu zeitnaher richterlicher Entscheidung.19 Außerdem verpflichtet § 268 Abs. 3 StPO den Richter zur zeitnahen Verkündung des Urteils nach dem Schluss der Verhandlung und § 275 Abs. 1 StPO verfügt, dass die Urteilsniederschrift unverzüglich zu den Akten zu nehmen ist. Der § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ermöglicht die Ablehnung von Beweisanträgen, die zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt werden.20 Zudem wurde 1994 mit den §§ 417 bis 420 StPO das beschleunigte Verfahren eingeführt, das in einfach gelagerten Fällen eine schnelle Aburteilung ermöglicht.21 6. Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) Die einzige ausdrückliche Regelung zur generellen Beschleunigung von Gerichtsverfahren innerhalb eines deutschen Gerichtsverfahrensgesetzes findet sich in § 9 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, der für den Arbeitsgerichtsprozess festlegt, dass dieser in allen Rechtszügen zu beschleunigen ist.22 Darüber hinaus dienen der Verfahrensbeschleunigung in der Arbeitsgerichtsbarkeit zahlreiche weitere Normen, unter anderem § 47 Abs. 1 ArbGG, der die Zustellung der Klageschrift mindestens eine Woche vor dem Termin verlangt, § 47 Abs. 2 ArbGG, nach dem in der Regel keine Aufforderung an den Beklagten zur schriftlichen Äußerung erfolgt, § 50 Abs. 1 ArbGG, der eine Zustellung des Urteils innerhalb von drei Wochen seit Übergabe an die Geschäftsstelle verlangt, § 51 Abs. 2 ArbGG, nach dem ein trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens ausgebliebener Prozessbevollmächtigter vom Vorsitzenden abgelehnt werden kann, § 54 Abs. 4 ArbGG, nach dem sich die streitige Verhandlung unmittelbar an einen erfolglosen Gütetermin anschließt, § 55 ArbGG, der Alleinentscheidungen des Vorsitzenden Richters ermöglicht, § 56 Abs. 1 ArbGG, nach dem die streitige Verhandlung so vorzubereiten ist, dass sie möglichst in einem Termin zu Ende geführt werden kann, die Präklusionsvorschrift des § 56 Abs. 2 ArbGG, die die 19 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 141; Otto (1994) S. 47 f.; Schlette (1999) S. 20 Fn 7. 20 Schlette (1999) S. 20 Fn 6. 21 Hanack JZ 1971, 705, 705. 22 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 50 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 50; Borm (2005) S. 26; Grunsky RdA 1974, 201, 201 und 203; Grunsky in: Grunsky (1990) § 9 Rn 2; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 141; Hauck in: Hauck/Helml (2006) § 9 Rn 2; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Koch in: Dieterich/Hanau/Schaub § 9 Rn 1; Leipold in: FS-Fasching (1988) S. 327, 332; Otto (1994) S. 18 und 72; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 297; Prütting in: Germelmann u. a. (2008) § 9 Rn 2.

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Zulassung von zu spät eingereichten Angriffs- und Verteidigungsmitteln davon abhängig macht, dass sie die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern, § 57 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, nach dem die Verhandlung möglichst in einem Termin zu Ende zu führen ist, und § 61a ArbGG, der dem Gericht eine besondere Prozessförderungspflicht in Kündigungsverfahren auferlegt.23 7. Gerichtskostengesetz (GKG) Der nach § 1 GKG auf fast alle Gerichtsverfahren anwendbare § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG sieht vor, dass durch verspätetes Vorbringen oder sonstige Verzögerungen hervorgerufene Kosten zumindest teilweise vom Verursacher zu tragen sind.24 Eine Kostentragungsregel zugunsten des Bürgers bei Versäumnissen seitens des Gerichts trifft hingegen § 8 Abs. 1 GKG.25 8. Deutsches Richtergesetz (DRiG) Der Wille des Gesetzgebers, dass die Richter zügig arbeiten sollen, wird auch in § 26 Abs. 2 DRiG deutlich, in dem klargestellt wird, dass sich die Dienstaufsicht über die Richter auch auf den zeitlichen Aspekt ihrer Tätigkeit erstrecken kann.26 9. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Sehr deutlich wird die richterliche Pflicht zur Entscheidung in angemessener Frist in § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB gefordert, der als Ausnahme zum Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB eine Amtshaftung des Richters für eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes anordnet.27

23 Grunsky in: Grunsky (1990) § 9 Rn 7 ff.; Hauck in: Hauck/Helml (2006) § 9 Rn 4; Prütting in: Germelmann u. a. (2008) § 9 Rn 6. 24 Schlette (1999) S. 20 Fn 6. 25 BFH (9. Senat) 23. Februar 1999 Az IX R 19/98 NJW 1999, 2614, 2616; Niesler (2005) S. 191; Schlette (1999) S. 20 Fn 7 und S. 63 Fn 102; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 470. 26 Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 56; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 142; KleinJZ 1963, 591, 591; Lindemann AnwBl 1983, 389, 392; Otto (1994) S. 92; Papier NJW 1990, 8, 11; Redeker (2000) S. 30; Redeker NJW 2000, 2796, 2797 f.; Schlette (1999) S. 20; Sendler (2000) S. 6; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 27 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 458; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 530; Klose NJ 2004, 241, 243; Niesler (2005) S. 1; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Schlette (1999) S. 20; Schneider ProzRB 2003, 22, 23; Ziekow DÖV 1998, 941, 943.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

10. Zusammenfassung Dieser Überblick zeigt, dass zwar in einigen Normen der Wille des Gesetzgebers zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren deutlich wird, dass jedoch keine Norm verbindlich für alle Gerichtsverfahren eine zügige Bearbeitung vorschreibt und damit ein ausdrückliches Recht des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist gewährt. Angesichts der gravierenden Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer [D.] an vielen deutschen Gerichten ist es doch erstaunlich, dass – abgesehen von der Arbeitsgerichtsbarkeit – keine ausdrücklichen und eindeutigen Verpflichtungen zu zügiger Durchführung von Gerichtsverfahren in den Prozessordnungen der deutschen Gerichte enthalten sind. Selbst wenn eine solche Norm nur deklaratorischen Charakter hätte, könnte sie doch dazu beitragen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit zügiger Rechtsgewährung zu schärfen. Für die Herleitung eines möglichen Anspruchs des Bürgers auf Rechtsschutz in angemessener Frist kommt es aufgrund dieses Mangels einer ausdrücklichen Regelung in deutschen Bundesgesetzen entscheidend auf eine aus dem Völkerrecht stammende Norm an: Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Die deutsche Übersetzung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK lautet:28 „Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“

Englische Originalfassung: „In the determination of his civil rights and obligations or of any criminal charge against him, everyone is entitled to a fair and public hearing within a reasonable time by an independent and impartial tribunal established by law.“

Französische Originalfassung: „Toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonable, par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle.“

28

Hervorhebungen innerhalb der Normen dieses Abschnitts durch den Verfasser.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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1. Die EMRK als Teil der deutschen Rechtsordnung Zwei Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 wurde die Europäische Menschenrechtskonvention am 4. November 1950 im großen Saal des Palais Barberini in Rom von den meisten Mitgliedstaaten des Europarats, darunter auch Deutschland, unterzeichnet.29 Durch das Zustimmungsgesetz des Bundestages vom 7. August 195230 in Verbindung mit der Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 15. Dezember 195331 trat die EMRK mit der Hinterlegung der zehnten Ratifikationsurkunde am 3. September 1953 in Kraft32 und wurde damit in Deutschland innerstaatlich unmittelbar geltendes Recht.33 Der Zusatz „Europäische“ zur Menschenrechtskonvention ist zwar 29 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP VII S. 40 f.; Beddard (1973) S. 24; Bischofberger (1972) S. 25 ff.; Brügel EA 1951, 3615, 3616; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 18 Fn 1; Casadevante Romani (1988) S. 23; Drzemczewski (1983) S. 1 und 106; Eissen (1983) S. 1; Frowein JuS 1986, 845, 845; Golsong JöR NF 10 (1961), 123, 123; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 312; Jescheck NJW 1954, 783, 783; Junod (1968) S. 14; Klein in: FS-Laun (1962) S. 149, 149; Lodigiani (1969) S. 5; Morrisson (1981) S. xi; Münch JZ 1961, 153, 153; Nanços RPS 100 (1983), 384, 387; Nedjati (1978) S. 1; Oppermann (2005) S. 30; Petzold (1981) S. I; Robertson ICLQSP 11 (1965), 24, 26; Robertson in: Council of Europe/Conseil de l’Europe (1973) S. XXII f.; Schermers (1964) S. 10; Schwelb (1964) S. 40; Schwelb IO 18 (1964), 558, 558; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 533 ff.; Süsterhenn (1962) S. 15; Tomkins in: Gearty (1997) S. 1, 5; Varela Feijóo (1972) S. 36; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 129; Velu/Ergec (1990) S. 39 Rn 23; Widmaier ZBR 2002, 244, 244; Wolf in: FS-Ress (2002) S. 9, 11. 30 BGBl 1952 II S. 685 und 953. 31 BGBl 1954 II S. 14. 32 OVG NW (6. Senat) 24. Juni 1955 Az VI A 444/54 NJW 1956, 157, 157 f.; OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1374; OLG Bremen 17. Februar 1960 Az Ws 15/60 NJW 1960, 1265, 1266; BGHSt (1. Senat) 21. April 1959 Az 1 StR 504/58 NJW 1959, 1230, 1233; Bischofberger (1972) S. 27; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 18 Fn 1; Dörr (1984) S. 60; Drzemczewski (1983) S. 1 und 109; Frowein in: FS-Carstens (1984) S. 327, 327; Frowein JuS 1986, 845, 845; Frowein in: FS-Zeidler (1987), 1763, 1763; Geppert Jura 1992, 597, 598; Golsong (1958) S. 1; Golsong JöR NF 10 (1961), 123, 124 Fn 7; Jescheck NJW 1954, 783, 783; Khol AJCL 18 (1970), 237, 238 Fn 4; Kirchhof EuGRZ 1994, 16, 17; Klein in: FS-Laun (1962) S. 149, 149 f.; Lingens NZWehrr 2005, 25, 26; Lodigiani (1969) S. 5; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 573; Nedjati (1978) S. 1; Nowak in: Ermacora/Nowak/Tretter (1983) S. 37, 38; Partsch ZaöRV 15 (1953/1954), 631, 632; Petzold (1981) S. I; Pieck (1966) S. 3 Fn 5; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 54 Fn 13; Rosˇ (1984) S. 117; Schorn (1965) S. 35 und 41; Schumann in: FS-Schwab (1990) S. 449, 449 f. Fn 7; Schwelb IO 18 (1964), 558, 558; Sommermann (1990) S. 4; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1799 Fn 1; Wilfinger (1995) S. 189 Fn 298. 33 BVerfG (1. Senat) 15. Dezember 1965 Az 1 BvR 513/65 BVerfGE 19, 342, 347; BVerfG (2. Senat) 10. März 1971 Az 2 BvL 3/68 BVerfGE 30, 272, 284; BVerfG (2. Senat) 29. Mai 1990 Az 2 BvR 254/88, 1343/88 BVerfGE 82, 106, 114; OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1375; VG Frankfurt am Main (Disziplinarkammer) 25. September 1990 Az DK 8/90 NVwZ-RR 1991, 498, 499; BGHZ (2. Senat) 31. Januar 1966 Az III ZR 118/64 BGHZ 45, 58, 70;

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

nicht amtlich, aber inzwischen zur Unterscheidung von der Amerikanischen Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 196934 und der Afrikanischen Charta der Rechte der Menschen und Völker von 198135 üblich und auch angebracht.36 a) Rang in der Normenhierarchie Lange Zeit fand in der Literatur eine intensive Auseinandersetzung darüber statt, welchen Rang die EMRK in der deutschen Normenhierarchie einnimmt. Nach ganz herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt sie den Rang eines einfachen Bundesgesetzes ein.37 Das OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; LG Krefeld 18. Mai 1971 Az 6 c StK 8/67 JZ 1971, 733, 734; LG Düsseldorf 26. August 1987 Az XII 29/87 NStZ 1988, 427, 428; Brill in: BT-Drs 1/3338 (1952) S. 3 f.; Buergenthal ICLQ-SP 11 (1965), 79, 85; Dörr (1984) S. 60; Frowein JuS 1986, 845, 847; Geck DVBl 1956, 525, 525; Golsong DVBl 1958, 809, 810; Golsong JBl 1961, 530, 531; Hanack JZ 1971, 705, 709; Herdegen (2008) Rn 52; Herzog AöR 86 (1961), 194, 195 Fn 2; Hummer (1972) S. 139 Fn 1; Kirchhof EuGRZ 1994, 16, 17; Klein in: FS-Laun (1962) S. 149, 150; Lochbihler in: SZ vom 26./27. Februar 2005 S. 51; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 578; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 91; Münch JZ 1961, 153, 153; Niesler (2005) S. 51; Partsch (1966) S. 47; Pfeifer JBl 1961, 527, 529; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 14; Rosˇ (1984) S. 117; Roxin (2000) S. 51 f.; Scheuner in: Eide/Schou (1968) S. 193, 200; Schlette (1999) S. 20; Schlette EuGRZ 1999, 219, 219; Schorn (1965) S. 35 und 41; Seibert in: FS-Hirsch (1981) S. 519, 522; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Trechsel (1974) S. 146; Ulsamer FS-Faller (1984) S. 373, 373; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 35; Ulsenheimer wistra 1983, 12, 12; Voss in: Gearty (1997) S. 143, 154. 34 Deutsche Übersetzung EuGRZ 1980, 435, 435 ff. 35 Deutsche Übersetzung EuGRZ 1986, 677, 677 ff. 36 Otto (1994) S. 60 Fn 2; Sommermann (1990) S. 4; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 35 Fn 1; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1799 Fn 1. 37 BVerfG (1. Senat) 30. Juli 1952 Az 1 BvF 1/52 BVerfGE 1, 396, 411; BVerfG (1. Senat) 4. Mai 1955 Az 1 BvF 1/55 BVerfGE 4, 157, 162; BVerfG (2. Senat) 10. März 1971 Az 2 BvL 3/68 BVerfGE 30, 272, 284; BVerfG (2. Senat) 26. März 1987 Az 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85 BVerfGE 74, 358, 370; BVerfG (2. Senat) 29. Mai 1990 Az 2 BvR 254/88, 1343/88 BVerfGE 82, 106, 114; BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) 19. April 1993 Az 2 BvR 1487/90 NJW 1993, 3254, 3256; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 6. Mai 1997 Az 1 BvR 711/96 NJW 1997, 2811, 2812; BVerwG (2. Senat) 26. März 1975 Az II C 11/74 BVerwGE 47, 365, 378; BVerwG (7. Senat) 22. April 1977 Az 7 C 17/74 BVerwGE 52, 313, 334; OVG NW (6. Senat) 24. Juni 1955 Az VI A 444/54 NJW 1956, 157, 157; OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1374 f.; BGHSt (1. Senat) 12. Juli 1966 Az 1 StR 199/66 BGHSt 21, 81, 84; OLG Bremen 17. Februar 1960 Az Ws 15/60 NJW 1960, 1265, 1266; OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; LG Düsseldorf 26. August 1987 Az XII 29/87 NStZ 1988, 427, 428; VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Ambos NStZ 2002, 628, 628; Bernhardt EuGRZ 1996, 339, 339; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Buergenthal ICLQ-SP 11 (1965), 79, 85 und 87; Dörr (1984) S. 91 und 148 und 177; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 309; Drzemczewski (1983) S. 108 und 190; Foth NStZ 2004, 337, 338; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 69; Frowein in: DelmasMarty (1992) S. 121, 121; Golsong GgE 3 (1971), 251, 270; Grabenwarter VVDStRL

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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nach Artikel 59 Abs. 2 GG erforderliche Zustimmungsgesetz, das der EMRK in Deutschland Geltung verschafft hat, wurde nicht mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen.38 Ein solches einfaches Gesetz kann jedoch nicht mehr an innerstaatlicher Rechtsqualität vermitteln, als es selbst besitzt, und damit kann auch die EMRK in Deutschland nicht höherrangig als ein einfaches Gesetz sein.39 Obwohl auf diese Weise die Gefahr einer Abänderung der in der EMRK festgehaltenen Rechte durch spätere Bundesgesetze besteht (lex posterior-Regel),40 sind die teilweise vertretenen Ansichten, die EMRK als Ganzes nehme in Deutschland einen Übergesetzesrang,41 Verfassungsrang42 oder sogar Überverfassungsrang43 ein, daher abzulehnen. 60 (2001), 290, 305; Hanack JZ 1971, 705, 711; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 190; Herdegen (2008) Rn 52; Herdegen in: Maunz/Dürig (2004) Art 1 Abs 2 Rn 48; Herzog DÖV 1959, 44, 45 f.; Herzog DÖV 1960, 775, 776 f.; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 41; Hoffmann-Riem EuGRZ 2002, 473, 475; v. Ingersleben (1967) S. 57; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Kirchhof EuGRZ 1994, 16, 18 u. 25 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Kohlmann in: FS Pfeiffer (1988) S. 203, 206; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 133; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95; Laule EuGRZ 1996, 357, 359; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 578; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 100; Münch JZ 1961, 153, 154 f.; Niesler (2005) S. 53; Oppermann (2005) S. 31; Pache NVwZ 2001, 1342, 1343; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 9; Papier NJW 1990, 8, 10; Partsch BDGV 6 (1964), 13, 101; Partsch (1966) S. 46 und 49; Pieck (1966) S. 3; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 14 und 20; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 70; Rosˇ (1984) S. 117 f.; Roxin (2000) S. 52; Sattler in: Bonner GA vom 30. Dezember 2004 S. 4; Scheuner in: Eide/Schou (1968) S. 193, 200 f.; Schmid (1984) S. 33 und 137; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206 Fn 4; Schumann in: FS-Schwab (1990) S. 449, 456 und 463; Seibert FS-Hirsch (1981) S. 519, 522; Stöcker in: FSFelix (1989) S. 429, 433; Trechsel (1974) S. 147 f.; Ulsamer FS-Faller (1984) S. 373, 373; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1800; Voss in: Gearty (1997) S. 143, 154; Widmaier ZBR 2002, 244, 245. 38 VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Dörr (1984) S. 91; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 292; Geck DVBl 1956, 525, 525; Geppert Jura 1992, 597, 598; Harries-Lehmann (2004) S. 152 f.; Hilf in: Mahrenholz/ Hilf/Klein (1987) S. 19, 23; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 578 f.; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 99; Niesler (2005) S. 51; Oppermann (2005) S. 31; Otto (1994) S. 62; Pieck (1966) S. 3 f.; Schorn (1965) S. 42 f.; Seibert in: FSHirsch (1981), 519, 522 f. 39 VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Appel (1961) S. 11; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Dörr (1984) S. 91; Geck DVBl 1956, 525, 525; Geppert Jura 1992, 597, 598; Harries-Lehmann (2004) S. 152 f.; Herzog DÖV 1960, 775, 775; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 23; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 99; Niesler (2005) S. 51; Otto (1994) S. 62; Schmid (1984) S. 31; Wilfinger (1995) S. 189. 40 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 292; Geck DVBl 1956, 525, 525; Harries-Lehmann (2004) S. 158 ff.; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 40; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 574 und 579 und 603; Niesler (2005) S. 52; Oppermann (2005) S. 31; Otto (1994) S. 63; Pieck (1966) S. 4. 41 Dronsch (1964) S. 137; Ress in: Maier (1982) S. 227, 273 f.; Ress in: FS-Zeidler (1987) S. 1775, 1790; Ress EuGRZ 1996, 350, 353; Wilfinger (1995) S. 197 ff. und 221.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

b) Allgemeine Regeln des Völkerrechts Lediglich solche Gewährleistungen der EMRK, die zugleich allgemeine Regeln des Völkerrechts verkörpern, gehen gemäß Artikel 25 Satz 2 GG den einfachen Gesetzen vor.44 So ist auch die Feststellung des Abgeordneten des Deutschen Bundestages Hermann Louis Brill vom 30. April 195245 zu verstehen, dass nach der Ansicht des Rechtsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses niemand bezweifeln könne, dass die EMRK in ihrem ersten Abschnitt zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehöre.46 Auch wenn dies vereinzelt bestritten wird,47 kann innerhalb der EMRK durchaus zwischen allgemeinen Regeln und solchen, die nur auf die Vertragsstaaten begrenzt gelten, differenziert werden.48 Anderenfalls würde auch Artikel 57 Abs. 1 Satz 1 EMRK keinen Sinn ergeben, nach dem die Vertragsstaaten Vorbehalte gegen einzelne Normen der EMRK erklären können, da ein Vorbehalt gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts unbeachtlich wäre.49 Während einige Garantien der EMRK, wie das Folterverbot und das Verbot der Sklaverei, eindeutig allgemeine Regeln des Völkerrechts sind, stellt die Garantie eines Verfahrens in angemessener Frist mangels weltweiter Geltung und angesichts ihrer Detailliertheit keine solche Regel dar.50 Daher erhält diese Garantie über Artikel 25 Satz 2 GG keinen höheren Rang, als ihn die EMRK als Ganzes einnimmt. 42 Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 149 ff.; Bleckmann (2001) S. 300 ff. Rn 937 ff.; Echterhölzer JZ 1955, 689, 692; Echterhölzer JZ 1956, 142, 142; Frohn (1989) S. 53; Guradze NJW 1960, 1243, 1243; Guradze DÖV 1961, 12, 12; Guradze (1968) S. 17; Kleeberger (1992) S. 161; Kramer (1973) S. 21 und 147; Pieck (1966) S. 9 und 84 und 142; Schorn (1965) S. 43 ff. und 47; v. Stackelberg NJW 1960, 1265, 1265; Wäsche (1961) S. 82. 43 Baumann in: FS-Schmidt (1961) S. 525, 529 f.; Klug in: GS-Peters (1967) S. 434, 441. 44 BVerfG (2. Senat) 26. März 1957 Az 2 BvG 1/55 BVerfGE 6, 309, 363; OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1375; Appel (1961) S. 8; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 292; Finzsch in: SZ vom 26./27. Februar 2005 S. 51; Frowein in: Delmas-Marty (1992) S. 121, 121; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 97 f.; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 584; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 93; Oppermann (2005) S. 31; Schorn (1965) S. 38. 45 Brill in: BT-Drs 1/3338 (1952) S. 3 f. 46 OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1375; Klein in: FS-Laun (1962) S. 149, 154 f.; Pieck (1966) S. 6. 47 Wilfinger (1995) S. 195 f. 48 OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1375; Appel (1961) S. 9; Dörr (1984) S. 91; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 11; Frowein in: Delmas-Marty (1992) S. 121, 121; Oppermann (2005) S. 31; Pieck (1966) S. 6 f.; Schmid (1984) S. 28; Schorn (1965) S. 38; Seibert in: FS-Hirsch (1981), 519, 522. 49 Klein in: FS-Laun (1962) S. 149, 175. 50 OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1375; Appel (1961) S. 9; Dörr (1984) S. 91; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9,

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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c) Völkerrechtskonforme Auslegung Wegen des vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsatzes, Gesetze seien im Zweifel völkerrechtskonform auszulegen, hat die EMRK als Ganzes jedoch faktisch eine stärkere Stellung als ein einfaches Bundesgesetz erfahren.51 Sofern der Gesetzgeber nicht das Gegenteil bekundet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen, dass dieser nicht von den völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands abweichen möchte.52 Demzufolge kann der Gesetzgeber vom Regelungsgehalt der EMRK nur dann abweichen, wenn er die mögliche völkerrechtswidrige Abweichung explizit zu erkennen gibt, was jedoch in der Praxis kaum zu erwarten ist.53 Auch wenn entgegen vereinzelter Forderungen in der Literatur54 nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht auf

11 f.; Frowein in: Delmas-Marty (1992) S. 121, 121; Geck DVBl 1956, 525, 525; Klein in: FS-Laun (1962) S. 149, 176; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 582; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 93 f.; Otto (1994) S. 63; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 31; Schmid (1984) S. 28; Seibert in: FS-Hirsch (1981), 519, 522; Trechsel (1974) S. 148. 51 BVerfG (2. Senat) 26. März 1987 Az 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85 BVerfGE 74, 358, 370; Bernhardt EuGRZ 1996, 339, 339; Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 150 und 152; Bleckmann (2001) S. 302 Rn 945; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Buergenthal/ Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 395 Fn 5; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 9; Dörr (1984) S. 93 und 149; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 293; Frowein in: Delmas-Marty (1992) S. 121, 121 f.; Geppert Jura 1992, 597, 599; Harries-Lehmann (2004) S. 159; Herdegen in: Maunz/Dürig (2004) Art 1 Abs 2 Rn 41 und 48; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 36 f. und 40; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95 f.; Otto (1994) S. 63 ff.; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 15 f.; Seibert in: FSHirsch (1981), 519, 522 f.; Wilfinger (1995) S. 196. 52 BVerfG (2. Senat) 26. März 1987 Az 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85 BVerfGE 74, 358, 370; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 152; Bleckmann (2001) S. 302 Rn 943; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 395 Fn 5; Dörr (1984) S. 148 f.; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 293; Frowein in: Delmas-Marty (1992) S. 121, 121 f.; Gaede wistra 2004, 166, 167; Geppert Jura 1992, 597, 599; Harries-Lehmann (2004) S. 159 f.; Herdegen in: Maunz/Dürig (2004) Art 1 Abs 2 Rn 48; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 40; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 457; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95; Oppermann (2005) S. 31; Otto (1994) S. 63 f.; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 297 Fn 28; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 15 und 20; Schumann in: FS-Schwab (1990) S. 449, 455; Seibert in: FSHirsch (1981), 519, 525; Widmaier ZBR 2002, 244, 245. 53 BVerfG (2. Senat) 26. März 1987 Az 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85 BVerfGE 74, 358, 370; Bleckmann (2001) S. 302 Rn 943; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 293; Gaede wistra 2004, 166, 167; Geppert Jura 1992, 597, 599; Otto (1994) S. 63 f.; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 16. 54 Bleckmann (2001) S. 303 Rn 945; Frowein (1983) S. 26 Fn 90; Frowein in: FSZeidler (1987) S. 1763, 1768; Schorn (1965) S. 48; Simon in: HVerfR (1994) § 34 Rn 33.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

die EMRK gestützt werden kann,55 berücksichtigt das Gericht deren Aussagen und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei seiner eigenen Rechtsprechung.56 Damit ist es dem Bundesverfassungsgericht gelungen, die EMRK in das Wertesystem des Grundgesetzes zu integrieren, ohne ihr selbst Verfassungsrang zuzubilligen.57 d) Zusammenfassung Der Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gilt somit im Rang eines einfachen Bundesgesetzes uneingeschränkt und unmittelbar als Bestandteil der deutschen Rechtsordnung und ist von jedem Richter und von jeder sonstigen staatlichen Stelle, die zur Verfahrensbeschleunigung beitragen kann, zu beachten und anzuwenden.58 Eine ausdrückliche Verpflichtung zu zeitnaher gerichtlicher Entschei55 BVerfG (1. Senat) 18. November 1954 Az 1 BvR 550/52 BVerfGE 4, 110, 111 f.; BVerfG (2. Senat) 14. Januar 1960 Az 2 BvR 243/60 BVerfGE 10, 271, 274; BVerfG (2. Senat) 14. März 1973 Az 2 BvR 621/72, 622/72, 635/72, 912/72 BVerfGE 34, 384, 395; BVerfG (1. Senat) 17. Dezember 1975 Az 1 BvR 548/68 BVerfGE 41, 88, 105 f.; BVerfG (1. Senat) 13. Januar 1976 Az 1 BvR 631/69, 24/70 BVerfGE 41, 126, 149; BVerfG (2. Senat) 17. Mai 1983 Az 2 BvR 731/80 BVerfGE 64, 135, 157; BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 25. Juni 1984 Az 2 BvR 1383/82 EuGRZ 1986, 439, 439; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 6. Mai 1997 Az 1 BvR 711/96 NJW 1997, 2811, 2812; Bleckmann (2001) S. 302 Rn 942; Dörr (1984) S. 3 und 91 ff. und 177; Frowein JuS 1986, 845, 847; Frowein in: Delmas-Marty (1992) S. 121, 122; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Laule EuGRZ 1996, 357, 359; Menzel in: FS-Guggenheim (1968) S. 573, 589; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 102 ff.; Oppermann (2005) S. 31; Partsch (1966) S. 50; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 297 Fn 28; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 14; Schumann in: FS-Schwab (1990) S. 449, 456 Fn 31; Seibert in: FS-Hirsch (1981) S. 519, 520; Simon in: HVerfR (1994) § 34 Rn 33; v. Stackelberg NJW 1960, 1265, 1265; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 433 und 446; Stöcker DStZ 1989, 367, 368 und 372. 56 BVerfG (2. Senat) 26. März 1987 Az 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85 BVerfGE 74, 358, 370; BVerfG (2. Senat) 29. Mai 1990 Az 2 BvR 254/88, 1343/88 BVerfGE 82, 106, 115; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Dörr (2003) S. 56; Frowein in: DelmasMarty (1992) S. 121, 122; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95 f.; Laule EuGRZ 1996, 357, 359; Oppermann (2005) S. 31; Pauly StV 2005, 139, 139; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 297 Fn 28; Seibert in: FS-Hirsch (1981), 519, 523. 57 Harries-Lehmann (2004) S. 165; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 95 f.; Wilfinger (1995) S. 200 und 221 f. 58 BVerfG (2. Senat) 10. März 1971 Az 2 BvL 3/68 BVerfGE 30, 272, 284; BVerfG (2. Senat) 29. Mai 1990 Az 2 BvR 254/88, 1343/88 BVerfGE 82, 106, 114; OLG Bremen 17. Februar 1960 Az Ws 15/60 NJW 1960, 1265, 1266; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 9; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 292; Frowein JuS 1986, 845, 847; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 69; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 14; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 70; Schorn (1965) S. 36; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Thienel ÖJZ 1993, 473, 475; Thürer ZBl 1986, 241, 243; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 373; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 43; Ulsamer in: FSZeidler (1987) S. 1799, 1799 und 1803.

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dung fließt damit über das Völkerrecht durch Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in die deutsche Rechtsordnung ein.59 2. Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK Der Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK besagt, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist („within a reasonable time“/„dans un délai raisonnable“) verhandelt wird.60 Nach der deutschen Übersetzung gilt der Anspruch auf ein Verfahren innerhalb angemessener Frist nur dann, wenn es in dem gerügten Verfahren um „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ oder um eine strafrechtliche Anklage geht.61 Die Bestimmung des Anwendungsbereichs hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und auch – bis zu ihrer Auflösung 1998 – die Europäische Kommission für Menschenrechte immer wieder beschäftigt. Dabei ist in Deutschland die Frage, was „zivilrechtlich“ im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK bedeutet, insbesondere für die Anwendbarkeit dieser Norm vor dem Bundesverfassungsgericht und den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten von Bedeutung. Diese Frage ist bis heute umstritten und noch nicht abschließend geklärt.62 Auf die Bestimmung des Bedeutungsgehalts der „zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen“ konzentriert sich daher die folgende Darstellung. a) Anwendungsbereich nach dem Wortlaut Soweit es um die Anwendung und Auslegung der EMRK als innerstaatlich geltendes Recht geht, ist zunächst das Zustimmungsgesetz und die ihm beigefügte amtliche deutsche Übersetzung der EMRK zu beachten, weil sie in dieser 59 Harries-Lehmann (2004) S. 209; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 456; Otto (1994) S. 3; Schlette (1999) S. 20. 60 Badura (2003) S. 683 H 36; Batailler-Demichel HRJ 3 (1970), 687, 698; Dörr (2003) S. 51; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 210; Frowein (1983) S. 22; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 19; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 456; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Malinverni RUDH 1994, 389, 389; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 111; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 354; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 9; Papier NJW 1990, 8, 10; Pieck (1966) S. 82; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206; Schorn (1965) S. 213 f.; Ulsamer FS-Faller (1984) S. 373, 373; Ziekow DÖV 1998, 941, 944. 61 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Frowein (1983) S. 22; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Vorbemerkung; Oppermann (2005) S. 41; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 5. 62 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Jacobs (1975) S. 77 f.; Miehsler/ Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Vorbemerkung; Niesler (2005) S. 53 f.; Weh EuGRZ 1985, 469, 469; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 477.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Form innerstaatliches Recht geworden ist.63 Die amtliche deutsche Übersetzung wurde auf der Grundlage von fünf deutschsprachigen Übersetzungen erarbeitet, von denen einige in den deutschsprachigen Nachbarländern bereits vorhanden waren.64 Die Existenz einer amtlichen deutschen Übersetzung kann jedoch dazu führen, dass ein deutschsprachiger Richter von ihm vertrauten deutschen Begriffen ausgeht und nicht nach dem tatsächlich von der EMRK gemeinten Begriffsverständnis sucht.65 Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich um Völkerrecht handelt und dass nach der Schlussklausel der EMRK („in English and French, both texts being equally authentic“/„en français et en anglais, les deux textes faisant également foi“) völkerrechtlich nur der englische und der französische Text authentisch beziehungsweise verbindlich sind.66 Aus diesem Grund wurden auch die beiden Originaltexte zusammen mit der deutschen Übersetzung im Bundesgesetzblatt verkündet.67 Die deutsche Übersetzung enthält ebenfalls die Authentizitätsklausel („in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist“), die eindeutig auf

63 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 394 Fn 5; Echterhölzer JZ 1955, 689, 689; Partsch (1966) S. 84; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 43; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1812. 64 Brill in: BT-Drs 1/3338 (1952) S. 3; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 19; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1812. 65 BGHZ (2. Senat) 31. Januar 1966 Az III ZR 118/64 BGHZ 45, 58, 68; Bischofberger (1972) S. 39; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 394 f.; Dörr (1984) S. 72; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 4; Partsch (1966) S. 84 f.; Schäffer JBl 1965, 502, 504; Ulsamer in: FSZeidler (1987) S. 1799, 1812. 66 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP VII S. 76 f.; BGHZ (2. Senat) 31. Januar 1966 Az III ZR 118/64 BGHZ 45, 58, 68; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 269; Bischofberger (1972) S. 38 f.; Brill in: BT-Drs 1/3338 (1952) S. 3; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 48; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 394 Fn 3; Dörr (1984) S. 2 und 72; Echterhölzer JZ 1956, 142, 142; Frowein (1983) S. 22; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 12 Fn 2; García de Enterría in: Matscher (1989) S. 81, 87; Geck DVBl 1956, 525, 526; Giebeler (1972) S. 19; Golsong GgE 3 (1971), 251, 254 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 156 und 175; Herdegen (2008) Rn 25; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 20; Kley-Struller S. 21; Kopetzki ZaöRV 42 (1982), 1, 11; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 118; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 6; Mayer ZfV 1988, 473, 474 und 477; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 2; Morrisson (1981) S. 118; Murswiek JuS 1980, 59, 60 Fn 7; Niesler (2005) S. 46 Fn 204; Partsch (1966) S. 83 Fn 271; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 14; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 54 Fn 13 und 55 Fn 20; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 16; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 224; Pieck (1966) S. 26; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Schäffer JBl 1965, 502, 504; Schlette (1999) S. 21; Thürer ZBl 1986, 241, 247; Tonne (1997) S. 154; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 43 f.; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1812 f.; Weh EuGRZ 1985, 469, 473; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 469; Wilfinger (1995) S. 137 Fn 52. 67 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 394 Fn 5; Giebeler (1972) S. 20; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197; Partsch (1966) S. 84; Pieck (1966) S. 26.

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den englischen und französischen Text verweist.68 Deswegen können und dürfen auf die innerstaatlich geltende deutsche Übersetzung der EMRK nicht ohne weiteres die üblichen deutschen Auslegungsregeln angewendet werden.69 Insbesondere gilt nicht der Grundsatz, dass ein Rechtsbegriff innerhalb der deutschen Rechtsordnung möglichst stets denselben Inhalt haben sollte, auch wenn er in verschiedenen gesetzlichen Regelungen verwendet wird.70 Der Begriff „zivilrechtlich“ im Sinne der EMRK kann somit etwas vollkommen anderes bedeuten als die in Deutschland und den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen übliche Abgrenzung zum öffentlichen Recht.71 Die Rechtsbegriffe der EMRK sind nicht ohne weiteres identisch mit gleich oder ähnlich lautenden des sonstigen innerstaatlichen Rechts, sondern müssen autonom („autonomous“/ „autonome“) unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck der EMRK ausgelegt und angewendet werden.72 68

Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 394 Fn 5; Partsch (1966) S. 84. Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 395; Tomuschat in: FS-Redeker (1993) S. 273, 281; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 44; Ulsamer in: FSZeidler (1987) S. 1799, 1813. 70 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 395; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 44; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1813. 71 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 410; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 13; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 226 f.; Partsch (1966) S. 145 Fn 451; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 62; Schwelb IO 18 (1964), 558, 575; Thürer ZBl 1988, 377, 383 f.; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 281; Ulsamer in: Frowein/ Ulsamer (1985) S. 35, 44. 72 EGMR Ringeisen/Österreich 16. Juli 1971 Série A Vol 13 Rn 94; EGMR König/ Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 88 = EuGRZ 1978, 406, 415 Rn 88; EGMR Benthem/Niederlande 23. Oktober 1985 Az 1/1984/73/111 Série A Vol 97 Rn 34 = EuGRZ 1986, 299, 302 Rn 34; EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/1984/80/127 Série A Vol 99 Rn 26 = EuGRZ 1988, 14, 16 Rn 26; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 60 = EuGRZ 1988, 20, 26 Rn 60; EKMR Alam and Khan, Singh/Großbritanien 15. Juli 1967 Az 2991/66, 2992/66 Collection of Decisions 24, 116, 126; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 260; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 175; Castberg (1971) S. 107; Cohen-Jonathan (1989) S. 394; Deumeland SZS 1996, 25, 25 f.; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 297; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Dugrip RUDH 1991, 336, 339; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 207; Eichenhofer SGb 1995, 611, 611; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 60; Frowein (1983) S. 18; Frowein in: HStR VII (1989) § 180 Rn 48; Gaede wistra 2004, 166, 167; Ganshof van der Meersch in: FS-Wiarda (1988) S. 201, 201 ff.; García de Enterría in: Matscher (1989) S. 81, 87; Golsong GgE 3 (1971), 251, 264; Grementieri RTDE 5 (1969), 463, 465; Guradze (1968) Art 6 Rn 3 und 7; Harries-Lehmann (2004) S. 179; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 199; Herdegen (2008) Rn 25; Jacobs (1975) S. 78; Kley-Struller S. 8 und 19; Khol AJCL 18 (1970), 237, 253; Kopetzki ZaöRV 42 (1982), 1, 6; Kopetzki in: Ermacora/Nowak/Tretter (1983) S. 207, 248; Kopetzki EuGRZ 1983, 173, 175; Laule EuGRZ 1996, 357, 359; Leuprecht in: Matscher (1989) S. 1, 3; Machacek in: Pernthaler (1986) S. 43, 45 und 52; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 123 f.; Matscher EuGRZ 1978, 421, 422; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 7; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 355; Mayer ZfV 1988, 473, 477; Merrills (1988) S. 66; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 69

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Unstreitig fallen zunächst einmal alle Streitigkeiten über ein aus einem rein privatrechtlichen Rechtsverhältnis abgeleitetes Recht in den Anwendungsbereich dieser Konventionsgarantie.73 Nach dem Wortlaut der deutschen Übersetzung könnte davon ausgegangen werden, dass ausschließlich solche Streitigkeiten erfasst werden.74 Dann wäre Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in verfassungs-, verwaltungs-, sozial- und finanzgerichtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen.75 Dieser von der deutschen Übersetzung erweckte Anschein beruht jedoch auf einer Unklarheit oder einem Fehler in der deutschen Übersetzung.76 Die 258; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 4 und 7; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 58; Morrisson (1967) S. 106; Morrisson (1981) S. 116; Murswiek JuS 1980, 59, 59; Nedjati (1978) S. 108; Oppermann (2005) S. 31; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 226; Partsch (1966) S. 144; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art. 6 Rn 5 und 15; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 603; Raymond in: Institut d’études européenne (1970) S. 81, 81 f.; Raymond HRJ 3 (1970), 289, 301; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 13 und 22; Robertson (1977) S. 70; Rößler DStZ 1993, 381, 381; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31 f.; deSalvia (1998) Art 6 Rn 75; Schäffer ÖJZ 1965, 511, 512; Scheuner in: Eide/Schou (1968) S. 193, 202; Schlette REDP 8 (1996), 493, 502; Schmuckli (1990) S. 54; Soyer/deSalvia in: Pettitti/Decaux/Imbert (1999) Art 6 S. 251; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 301; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 474; Thürer ZBl 1986, 241, 247; Thürer ZBl 1988, 377, 383; Tonne (1997) S. 156; Ulsamer FS-Faller (1984) S. 373, 374 f.; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 44; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1813; Velu in: Cappelletti/Tallon (1973) S. 245, 269 und 331; Velu/ Ergec (1990) S. 366 f. und 377; Weh EuGRZ 1985, 469, 473; Wilfinger (1995) S. 10 und 143; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 470; Zander InfAuslR 2001, 109, 109; Ziekow DÖV 1998, 941, 944. 73 Britz NVwZ 2004, 173, 173; Dienes (1975) S. 249; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 12; Frowein in: FSErmacora (1988), 141, 141; Guradze (1968) Art 6 Rn 5; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 157; Jacobs (1975) S. 78; Kley-Struller (1993) S. 23; Klose NJ 2004, 241, 242; Lippold NVwZ 1996, 137, 137 f.; Mayer ZfV 1988, 473, 480; Niesler (2005) S. 55; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 228; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 15; Tonne (1997) S. 154; Velu/Ergec (1990) S. 379; Wiarda EuGRZ 1978, 421, 421. 74 Britz NVwZ 2004, 173, 173; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 44 f.; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 188; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 60; Frowein in: FS-Ermacora (1988), 141, 141; Geck DVBl 1956, 525, 526; Harries-Lehmann (2004) S. 174; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 213 Fn 78; Klose NJ 2004, 241, 242 Fn 3; Kopetzki EuGRZ 1983, 173, 174; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Nedjati (1978) S. 109; Niesler (2005) S. 54; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 10; Pieck (1966) S. 23; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 54 Fn 14; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 230; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Schlette EuGRZ 1999, 369, 372; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Tonne (1997) S. 154; Widmaier ZBR 2002, 244, 252; Wiebringhaus (1959) S. 82; Wilfinger (1995) S. 137; Ziekow DÖV 1998, 941, 944. 75 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 60; Geck DVBl 1956, 525, 526; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 213 Fn 78; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Niesler (2005) S. 54; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Tonne (1997) S. 154; Wiebringhaus (1959) S. 82. 76 Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 48; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/ 1967), 393, 396 und 410; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 188 f.; Frowein

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nach Artikel 33 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 196977 gleichermaßen und allein maßgeblichen englischen und französischen Fassungen sprechen von „civil rights and obligations“ beziehungsweise von „droits et obligations de caractère civil“. Daher ist zunächst ein Blick auf die Bedeutung dieser Begriffe in den Rechtsordnungen derjenigen Mitgliedsstaaten zu werfen, in denen diese Begriffe verwendet werden und aus deren Sprachgebrauch sie in die EMRK übernommen wurden.78 aa) Englische Fassung „Civil“ steht im Englischen für „bürgerlich“ beziehungsweise „nicht militärisch“.79 Der Begriff „civil rights“ bedeutet nach allgemeinem, angelsächsischem Sprachgebrauch „Bürgerrechte“.80 Er ist ein Sammelbegriff für verschiedene Einzelrechte, die den jeweiligen Trägern der Macht im Lauf der englischen Geschichte abgerungen wurden und sowohl in das „common law“ als auch in einzelne Gesetze eingegangen sind.81 Die „civil rights“ umfassen zunächst alle Rechte des Bürgers im Verhältnis zu seinen Mitbürgern; gemeint sind jedoch nicht nur die personen-, familien-, erb-, sachen- oder vertragsrechtlichen Verhältnisse der Bürger untereinander, zu den „civil rights“ gehören weiterhin auch Rechte, welche die Gleichheit der Bürger und den Frieden unter denselben sicherstellen sollen.82 Der Begriff „civil rights“ erfasst damit alle individuellen Rechtspositionen mit Ausnahme des kirchlichen Rechts, des Militär-

JuS 1986, 845, 849; Geck DVBl 1956, 525, 526; Giebeler (1972) S. 21; Golsong GgE 3 (1971), 251, 254; Guradze (1968) Art 6 Rn 3; Kley-Struller (1993) S. 22 Fn 3; Kopetzki EuGRZ 1983, 173, 174; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Mayer ZfV 1988, 473, 473 und 477; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 4; Partsch (1966) S. 84 Fn 278; Pieck (1966) S. 27; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 16; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Schlette (1999) S. 21; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 301 Fn 2; Tonne (1997) S. 154; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1812. 77 BGBl 1985 II S. 926. 78 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 403; Kley-Struller (1993) S. 20; Merrills (1988) S. 64; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 6; Pieck (1966) S. 27; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 55 f.; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31. 79 Köbler (2001) S. 224; Pons Englisch S. 140. 80 García de Enterría in: Matscher (1989) S. 81, 87; Kley-Struller (1993) S. 21; Köbler (2001) S. 224; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 118 f.; Pons Englisch S. 140; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 59 f.; Schäffer JBl 1965, 502, 506; Schmuckli (1990) S. 40; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Tomuschat in: FS-Redeker (1993) S. 273, 276; Tonne (1997) S. 155 Fn 41; Wilfinger (1995) S. 137. 81 Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 8; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 60; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 276; Wilfinger (1995) S. 137. 82 Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 8; Schmuckli (1990) S. 40; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 276.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

rechts und der politischen Rechte.83 Der Terminus „civil rights“ geht somit über den deutschen beziehungsweise kontinentaleuropäischen Begriff „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ weit hinaus und ist umfassender zu verstehen.84 Eine restriktive Einschränkung von „civil rights“ auf zivilrechtliche oder privatrechtliche Ansprüche wird dem englischen Text daher nicht gerecht.85 Daraus schließen einige Vertreter in der Literatur, dass die Garantien von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in jedem Verfahren, nicht nur in Straf-, Zivil- und einzelnen Verwaltungsverfahren, zu gewähren seien.86 Nur eine grundsätzliche Anwendung in jedem Verfahren werde der Tragweite der originären Texte sowie Ziel und Zweck der EMRK gerecht.87 Die Vertreter dieser extrem extensiven Auslegung der Norm vermögen jedoch nicht überzeugend zu erklären, warum dann in den Text der EMRK überhaupt eine Einschränkung aufgenommen wurde und nicht schlicht der Begriff „rights“ ohne weitere Zusätze gewählt wurde. Die Behauptung, die Modifizierung der „rights and obligations“ durch das Wort „civil“ wäre aus rein sprachlichen beziehungsweise redaktionellen Überlegungen heraus erfolgt und sollte den Anwendungsbereich der Norm nicht beschränken,88 vermag nicht zu überzeugen.89 Selbst wenn der Wille der Vertragsparteien in diese Richtung gegangen wäre, so hätte dieser Wille zumindest keinen Niederschlag in dem letztendlich verabschiedeten Text gefunden.90 Hätten die Verfasser der EMRK eine derart extrem weite Auslegung gewollt, hätten sie ohne jede weitere Einschränkung den Begriff „rights“ verwenden können 83 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Harries-Lehmann (2004) S. 176; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174 Fn 10; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 118; Mayer ZfV 1988, 473, 478; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 302; Weh EuGRZ 1985, 469, 473. 84 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 60 = EuGRZ 1988, 20, 26 Rn 60; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 404; Dörr (2003) S. 51; Geck DVBl 1956, 525, 526; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Harries-Lehmann (2004) S. 176; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 322; Niesler (2005) S. 54; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 60; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24; Schmuckli (1990) S. 38 und 41; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Tonne (1997) S. 154 f.; Velu AJCL 18 (1970), 259, 268. 85 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 60 = EuGRZ 1988, 20, 26 Rn 60; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 404; Dörr (2003) S. 51; Geck DVBl 1956, 525, 526; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Harries-Lehmann (2004) S. 176; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 322; Niesler (2005) S. 54; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 60; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24; Schmuckli (1990) S. 38 und 41; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Velu AJCL 18 (1970), 259, 268. 86 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 407 und 409 f.; Niesler (2005) S. 60; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 33; Schmuckli (1990) S. 38 und 51. 87 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 409 f.; Schmuckli (1990) S. 38. 88 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 408. 89 Harries-Lehmann (2004) S. 190; Mayer ZfV 1988, 473, 478; Niesler (2005) S. 60; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 66; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31. 90 Mayer ZfV 1988, 473, 478.

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und müssen.91 Auch wenn eine möglichst weitgehende Erstreckung der Verfahrensgarantien der EMRK von vielen durchaus als rechtspolitisch wünschenswert angesehen wird,92 setzt sich diese extrem extensive Auffassung über den Wortlaut des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und den darin zum Ausdruck kommenden Willen der vertragschließenden Staaten hinweg und ist daher abzulehnen. Damit bleibt festzuhalten, dass nach der englischen Fassung weder eine Beschränkung auf „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ im Sinne der deutschen beziehungsweise kontinentaleuropäischen Rechtsordnung noch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf alle denkbaren Streitigkeiten in Frage kommt. Welche Streitigkeiten vor den Verfassungs-, Verwaltungs-, Sozialund Finanzgerichten genau von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erfasst werden, lässt sich der englischen Fassung jedoch nicht ohne weiteres entnehmen. Vieles spricht jedoch dafür, dass der Anwendungsbereich nach der englischen Fassung alle individuellen Rechtspositionen mit Ausnahme des kirchlichen Rechts, des Militärrechts und der politischen Rechte erfasst.93 bb) Französische Fassung „Civil“ bedeutet nach französischem Sprachgebrauch „bürgerlich“ beziehungsweise „nicht militärisch“.94 Der französische Text spricht weder von „droits et obligations privés“, noch von „droits et obligations civils“, wodurch eindeutig auf den privatrechtlichen Bereich im kontinentaleuropäischen Sinne verwiesen worden wäre, sondern von „droits et obligations de caractère civil“.95 Wären ausschließlich privatrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen gemeint gewesen, so hätten die Schöpfer der EMRK leicht einen dieser beiden präzisen französischen Fachtermini wählen können.96 Hätte der Wortlaut des Artikel 6 91

Pieck (1966) S. 30; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 66. Frommel/Füger StuW 1995, 58, 67; Harries-Lehmann (2004) S. 174 und 191; Laule EuGRZ 1996, 357, 365; Matscher EuGRZ 1978, 421, 423; Matscher EuGRZ 1981, 556, 556; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 55; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 34; Scheuner in: Eide/Schou (1968) S. 193, 202; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 585; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 116; Thürer ZBl 1986, 241, 253. 93 Golsong GgE 3 (1971), 251, 255 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 176; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174 Fn 10; Mayer ZfV 1988, 473, 478; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 302. 94 Pons Französisch S. 121. 95 Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 46 Fn 134; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405 und 409; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Harries-Lehmann (2004) S. 177; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 173; Kley-Struller (1993) S. 21; Mayer ZfV 1988, 473, 478; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 16; Schmuckli (1990) S. 41; Wilfinger (1995) S. 138. 96 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Harries-Lehmann (2004) S. 177; Schmuckli (1990) S. 41 f.; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 302 f.; Wilfinger (1995) S. 138. 92

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Abs. 1 Satz 1 EMRK so gewählt werden können, dass in eindeutiger Form auf das Privatrecht verwiesen worden wäre, dann ist davon auszugehen, dass auf eine solche Beschränkung bewusst verzichtet wurde.97 Auch wenn die Verwendung des Begriffs „civil“ angesichts der in Frankreich ebenso wie in Deutschland üblichen Einteilung der Rechtsgebiete in öffentliches Recht einerseits und Privatrecht beziehungsweise Zivilrecht andererseits eine Beschränkung der betroffenen Rechte auf solche privatrechtlicher Natur zunächst nahelegt,98 ist eine derart enge Auslegung mit dem französischen Text folglich nicht vereinbar.99 Die Voranstellung der Worte „de caractère“ verlangt hingegen eine deutlich weitere Interpretation des Begriffs „civil“, der nicht abschließend auf privatrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen beschränkt werden darf.100 Andererseits macht die gewählte Einschränkung deutlich, dass nicht alle Streitigkeiten von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erfasst werden sollen.101 Anderenfalls hätte schlicht das Wort „droit“ ohne weitere Einschränkungen ausgereicht.102 cc) Gegenüberstellung der englischen und der französischen Fassung Die Gegenüberstellung des englischen und französischen Textes zeigt, dass die englische Version eine extensive, weit über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ nach kontinentaleuropäischem Verständnis hinausgehende Lösung nahelegt, während die französische Version etwas enger ist, aber einen ähnlich weit gesteckten Inhalt wie bei der englischen Fassung zumindest zulässt.103 Eine exakte inhaltliche Übereinstimmung der verwendeten Rechtsbegriffe lässt sich nicht erkennen.104 Der englische und französische Text stim97 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Kley-Struller (1993) S. 21; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 302 f.; Wilfinger (1995) S. 138. 98 Evans EuGRZ 1981, 558, 558; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256. 99 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Schmuckli (1990) S. 41; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 302; Tonne (1997) S. 155; Wilfinger (1995) S. 138. 100 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405 f.; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Schmuckli (1990) S. 42. 101 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Harries-Lehmann (2004) S. 190; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31 und 33. 102 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Mayer ZfV 1988, 473, 477 f.; Pieck (1966) S. 30. 103 Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 48; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/ 1967), 393, 406; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Mayer ZfV 1988, 473, 478; Niesler (2005) S. 63; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 224; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 63 f. und 66; Schmuckli (1990) S. 38 und 42 und 45; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Tonne (1997) S. 155. 104 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 406; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 17; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 64; Schäffer JBl 1985, 502, 504; Tonne (1997) S. 155; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 43.

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men insofern überein, als in beiden Sprachen keine Fachtermini (termini technici) verwendet werden, die zu einer eindeutigen Auslegung allein anhand des Wortlauts führen könnten.105 Die Vermeidung der naheliegenden Fachbegriffe „civil law“ beziehungsweise „droit civil“/„droit privé“ schließt eine Beschränkung ausschließlich auf den privatrechtlichen Bereich aus.106 Im Grundsatz wird dies heute auch kaum noch ernsthaft bestritten.107 Streit besteht vielmehr darüber, welche Bereiche des öffentlichen Rechts im Einzelnen erfasst werden.108 dd) Zusammenfassung Festzuhalten bleibt damit einerseits, dass der Begriff „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ über reines Privatrecht hinausgeht,109 und andererseits, dass eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auf alle Verfahren angesichts der Einschränkung durch die Worte „civil“/„de caractère civil“ ausgeschlossen ist.110 Vieles spricht vielmehr dafür, dass alle individuellen Rechtspositionen mit Ausnahme des kirchlichen Rechts, des Militärrechts und der politischen Rechte in den Anwendungsbereich der Norm fallen.111 Allein anhand des vagen und unklaren Wortlauts lässt sich der Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK jedoch nicht abschließend beurteilen.112 Damit sind die beiden authentischen Textfassungen unklar und erfordern eine Einbeziehung von Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Ziel und Zweck der EMRK in die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Norm. 105 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Schmuckli (1990) S. 42; Tonne (1997) S. 155. 106 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Golsong GgE 3 (1971), 251, 256; Schmuckli (1990) S. 42 und 45. 107 Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Thürer ZBl 1986, 241, 252; Tonne (1997) S. 155 Fn 45. 108 Thürer ZBl 1986, 241, 252; Tonne (1997) S. 155 Fn 45. 109 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 90 = EuGRZ 1978, 406, 416 Rn 90; EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/ 1984/80/127 Série A Vol 99 Rn 26 = EuGRZ 1988, 14, 16 Rn 26; Dörr in: Sodan/ Ziekow (2006) EVR Rn 297; Dugrip RUDH 1991, 336, 337 ff.; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 322; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 355; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 4; Niesler (2005) S. 54; Schmuckli (1990) S. 42; Thienel ÖJZ 1993, 473, 476; Thürer ZBl 1988, 377, 383 f.; Tonne (1997) S. 154 f. 110 Harries-Lehmann (2004) S. 190; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 66. 111 Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174 Fn 10; Mayer ZfV 1988, 473, 478; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24. 112 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 133; Ganshof van der Meersch (1966) S. 272; Golsong GgE 3 (1971), 251, 255; Kley-Struller (1993) S. 19 f.; Matscher EuGRZ 1978, 421, 421; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 7 ff.; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Tonne (1997) S. 154.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

b) Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte von völkerrechtlichen Verträgen wie der EMRK ist nach Artikel 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969113 als ergänzendes Hilfsmittel heranzuziehen, wenn der Wortlaut kein eindeutiges Resultat der Auslegung zulässt.114 Die Regeln dieses Übereinkommens werden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als vom Völkergewohnheitsrecht getragene Regeln bei der Auslegung der EMRK angewendet.115 aa) Die Dokumente über die Vorarbeiten („travaux préparatoires“) Die „travaux préparatoires“ enthalten zahlreiche verschiedene Dokumente, die während der Entstehungsphase der EMRK entstanden. Diese Dokumente wurden in den Jahren 1961 bis 1964 zusammengefasst, jedoch vertraulich behandelt und durften zunächst nur von den Regierungen der Mitgliedsstaaten, der Europäischen Kommission für Menschenrechte und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingesehen werden.116 Erst 1972 wurden die Dokumente zur Veröffentlichung freigegeben und beginnend mit dem Jahr 1975 erstmals in einer insgesamt achtbändigen Sammlung veröffentlicht.117 Die „travaux préparatoires“ belegen, dass sich die vorbereitende Kommission („preparatory commission“/“commission préparatoire“) auf den Entwurf von 1949 für den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)118 und die Vorarbeiten zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (AEMR) vom 10. Dezember 1948 stützte.119 Die EMRK 113

BGBl 1985 II S. 926. v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 133; Drzemczewski (1983) S. 48; Kopetzki ZaöRV 42 (1982), 1, 11 Fn 57; Newman PL 3 (1967), 274, 295; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 224; Protic´ (1973) S. 29; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 55 und 64 f.; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 23; Schmuckli (1990) S. 43 Fn 89; Thürer ZBl 1986, 241, 247 f.; Villiger in: FS-Ress (2005) S. 317, 328; Wildhaber (1979) S. 303; Wilfinger (1995) S. 138. 115 EGMR Golder/Großbritanien 21. Februar 1975 Série A Vol 18 Rn 29 = EuGRZ 1975, 91, 93 Rn 29; Bleckmann (2001) S. 293 Rn 910; Harries-Lehmann (2004) S. 156; Herzog AöR 86 (1961), 194, 196; Matscher EuGRZ 1978, 421, 421; Merrills (1988) S. 63; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 23; Ryssdal u.a EuGRZ 1988, 30, 32; Schmuckli (1990) S. 53; Thürer ZBl 1986, 241, 247; Villiger in: FS-Ress (2005) S. 317, 319; Wildhaber (1979) S. 305. 116 Drzemczewski (1983) S. 48; Herzog AöR 86 (1961), 194, 196; Robertson in: Council of Europe/Conseil de l’Europe (1973) S. XXVIII f. 117 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP I–VIII; Drzemczewski (1983) S. 48; Robertson in: Council of Europe/Conseil de l’Europe (1973) S. XXX f. 118 BGBl 1973 II S. 1533. 114

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selbst wurde in kürzester Zeit redigiert und zur Unterzeichnung aufgelegt.120 Die Begriffe „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ wurden bei der Formulierung der EMRK nicht noch einmal gesondert erörtert,121 obwohl in den vom Generalsekretariat („secretariat general“/„secretariat général“) für den Ausschuss der Experten („committee of experts“/„comité d’experts“) bereitgestellten Arbeitspapieren („working papers“/„documents de travail“) ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass diese Begriffe bereits bei den Vorarbeiten zum IPBPR umstritten waren.122 Stattdessen wurde in einem Brief des Vorsitzenden des Ministerkomitees („committee of ministers“/ „comité des ministres“) an den Vorsitzenden der Beratenden Versammlung („consultative assembly“/„assemblee consultative“) ausdrücklich auf die Ergebnisse hingewiesen, die im Verlauf der Ausarbeitung der Pakte der Vereinten Nationen erzielt wurden.123 Der Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK weist starke Ähnlichkeiten zu Artikel 13 Abs. 1 des Vorentwurfs von 1949 für den IPBPR, dem heutigen Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR, und zu Artikel 10 AEMR auf.124 Ab119 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP I S. 6 f.; Council of Europe/Conseil de l’Europe TP III S. 8 ff. und 26 ff.; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 405 Fn 39; v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 135 und 138; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Drzemczewski (1983) S. 7; Frowein in: FS-Zeidler (1987), 1763, 1763; Guradze (1968) Art 6 Rn 2; Harries-Lehmann (2004) S. 177 f.; Harris BYIL 47 (1974/ 1975), 157, 176; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 122 und 135; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 33; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Nowak in: Ermacora/Nowak/Tretter (1983) S. 37, 38; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 224; Partsch (1966) S. 83; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art. 6 Rn 1; Protic´ (1973) S. 10 f. und 30; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 65; Robertson in: Council of Europe/Conseil de l’Europe (1973) S. XXVIf.; Robertson (1977) S. 69; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Schäffer JBl 1985, 502, 506; Schmuckli (1990) S. 43; Sommermann (1990) S. 4; Tomuschat in: FS-Redeker (1993) S. 273, 280; Tonne (1997) S. 155 Fn 46; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1799; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 146 ff.; Velu/Ergec (1990) S. 338 f.; Weil (1963) S. 52; Wildhaber (1979) S. 269; Wilfinger (1995) S. 127 und 139. 120 Brügel EA 1950, 2794, 2794; Nowak in: Ermacora/Nowak/Tretter (1983) S. 37, 38; Schmuckli (1990) S. 43; Thürer ZBl 1988, 377, 378. 121 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 138; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 176; Protic´ (1973) S. 30; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 65; Schäffer JBl 1985, 502, 506; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 159 f.; Wilfinger (1995) S. 139. 122 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP III S. 30 f. 123 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP II S. 296 f.; v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 138; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Harries-Lehmann (2004) S. 177 f.; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 176; Protic ´ (1973) S. 30; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 65; Schäffer JBl 1985, 502, 506; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 159 f.; Wilfinger (1995) S. 139. 124 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP III S. 30 f.; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 296; Guradze (1968) Art 6 Rn 2; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 176; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 196 f.; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 68; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 113; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 5; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 3; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 33; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Pache NVwZ 2001, 1342, 1342;

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

sicht und Standpunkt, die in den Quellen zur Ausarbeitung dieser Normen zum Ausdruck kamen, müssen daher bei der Auslegung und Anwendung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK berücksichtigt werden.125 bb) Parallelen zu anderen völkerrechtlichen Kodifikationen Die EMRK ist das geschichtlich erste internationale Dokument, das die Verfahrensgarantie auf Entscheidung „innerhalb angemessener Frist“ in rechtlich verbindlicher Weise und ausdrücklich als Grundrecht normiert.126 In Artikel 10 der AEMR von 1948 wurde der Anspruch auf ein zügiges Verfahren überhaupt noch nicht explizit erwähnt und in Artikel 14 Abs. 3 litera c IPBPR von 1966 ist er, ebenso wie in Artikel 7 Abs. 1 litera d der Afrikanischen Menschenrechtscharta von 1981, auf Strafverfahren beschränkt.127 Eine dem Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der EMRK von 1950 entsprechende Regelung trifft erst Artikel 8 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention von 1969.128 Für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Norm kann jedoch angesichts des ansonsten vergleichbaren Wortlauts („rights and obligations“/„droits et obligations“) auf die vor der Schaffung der EMRK bereits vorhandenen Texte zurückgegriffen werden.129 Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass im Rahmen der Diskussionen teilweise auch utopische Wünsche geäußert wurden, die niemals ernsthaft realisierbar erschienen. Aus Rücksichtnahme auf die Verhandlungspartner wurden einige Missverständnisse nicht als solche benannt und blieben damit unaufgeklärt. Außerdem gab es zahlreiche gleichzeitig und parallel kursierende Entwürfe in mehreren verschiedenen Sprachen, so dass

Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 223; Partsch (1966) S. 141; Pieck (1966) S. 29; Protic´ (1973) S. 10; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 54; Robertson (1977) S. 68 f.; Schäffer JBl 1965, 502, 506 f.; Schmuckli (1990) S. 43; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 302; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 540; Süsterhenn (1962) S. 15; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 276; Tonne (1997) S. 155; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 140 f.; Velu/Ergec (1990) S. 337 ff.; Weiß (1954) S. 3. 125 Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 176; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 196 f.; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 68; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 33; Protic´ (1973) S. 30; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Schäffer JBl 1985, 502, 507. 126 Frowein (1983) S. 27; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 354 f.; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 1; Robertson BYIL 43 (1968/1969), 21, 32; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 540; Thürer ZBl 1988, 377, 380. 127 Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 355; Niesler (2005) S. 53; Otto (1994) S. 63; Robertson BYIL 43 (1968/1969), 21, 32; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 540; Vorwerk JZ 2004, 553, 553. 128 Buergenthal in: FS-Doehring (1989) S. 134, 134 ff.; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 355. 129 Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 196 f.; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.

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wirklich zuverlässige Ergebnisse für die Auslegung der Begriffe nur mit äußerster Zurückhaltung zu erwarten sind.130 cc) Artikel 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) Deutsche Übersetzung: „Jeder Mensch hat [. . .] Anspruch auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über seine Rechte und Verpflichtungen oder aber über irgendeine gegen ihn erhobene strafrechtliche Beschuldigung zu entscheiden hat.“

Englische Originalfassung: „Everyone is entitled [. . .] to a fair and public hearing by an independent and impartial tribunal, in the determination of any criminal charge against him and of his rights and obligations.“

Französische Originalfassung: „Toute personne a droit [. . .] à ce que sa cause soit entendue équitablement et publiquement par un tribunal indépendant et impartial, qui décidera soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle, soit de ses droits et obligations.“

In der Vorbereitungsphase zu Artikel 10 AEMR wurden verschiedene Textvarianten diskutiert.131 Die Diskussion drehte sich hauptsächlich um die Frage, ob der Anwendungsbereich auf das öffentliche Recht nach kontinentaleuropäischem Verständnis erstreckt werden sollte, insbesondere bezüglich solcher Verfahren, die in einigen Staaten von Verwaltungsbehörden entschieden wurden.132 Diskussionsbedarf bestand aufgrund der von Artikel 10 AEMR gewährten Öffentlichkeit des Verfahrens, die damals in vielen Mitgliedsstaaten bei Verwaltungsverfahren nicht gewährleistet war. Mit der Wahl der Formulierung „rights and obligations“/„droits et obligations“ wurde im Rahmen dieser Diskussionen eine Gegenüberstellung zu „criminal charge“/„accusation en matière pénale“ bezweckt, die einen weiten, über das traditionelle Privatrecht hinausreichenden Anwendungsbereich der Norm garantieren sollte.133 Um Missverständnisse über 130 Drzemczewski (1983) S. 48; Newman PL 3 (1967), 274, 297; Robertson in: Council of Europe/Conseil de l’Europe (1973) S. XXX ff. 131 Harries-Lehmann (2004) S. 178; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 318; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 36; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 224 f.; Schäffer JBl 1985, 502, 507; Tonne (1997) S. 155. 132 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 136; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 35; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 65; Schäffer JBl 1985, 502, 507; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 275. 133 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 136; Harries-Lehmann (2004) S. 178; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 175; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 318; Miehsler in: Int-

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

die Weite des Anwendungsbereichs auszuschließen, wurde eine zuvor diskutierte Einschränkung der französischen Fassung durch „en matière civil“ gestrichen.134 Die AEMR, die eine längere und intensivere materielle wie formelle Auseinandersetzung mit dem Text erfuhr, nahm den Terminus „rights and obligations“/„droits et obligations“ daraufhin ohne weitere Einschränkungen in die endgültige Fassung des Artikel 10 AEMR auf.135 Ziel war es dabei, eine möglichst große Klarheit des Anwendungsbereichs herbeizuführen.136 Es wurde bewusst eine Fassung gewählt, die unmissverständlich auch öffentlich-rechtliche Rechtspositionen einschließt.137 Anders als bei der EMRK werden die Vertragspartner der AEMR jedoch nicht rechtlich gebunden und können die in diesem Dokument niedergelegten Menschenrechte auch nicht durch ein dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vergleichbares Gericht durchgesetzt werden.138 Daher ist bei der Auslegung der EMRK zu beachten, dass die Vertragsstaaten bei der Anerkennung tatsächlich durchsetzbarer Menschenrechte möglicherweise restriktiver als bei einer eher programmatischen Proklamation von Menschenrechten im Rahmen der Vereinten Nationen vorgegangen sein könnten, so dass anhand der Entstehungsgeschichte der AEMR gewonnene Erkenntnisse zum Anwendungsbereich nur mit äußerster Vorsicht auf die Normen der EMRK übertragen werden können.139 dd) Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) Deutsche Übersetzung: „Jedermann hat Anspruch darauf, dass über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage oder seine zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen durch ein zu-

KommEMRK (1986) Art 6 Rn 36; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Partsch (1966) S. 143; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 1 Fn 3; Schäffer JBl 1985, 502, 507; Schmuckli (1990) S. 50; Velu in: Cappelletti/Tallon (1973) S. 245, 268. 134 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 136; Harries-Lehmann (2004) S. 178; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 318; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 36; Newman PL 3 (1967), 274, 296; Schäffer JBl 1985, 502, 507; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 275; Tonne (1997) S. 155. 135 Grementieri RTDE 5 (1969), 463, 464 Fn 1; Guradze (1968) Art 6 Rn 2; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 114; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Schmuckli (1990) S. 43; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 275. 136 Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 36; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 1 Fn 3; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 65; Tonne (1997) S. 156. 137 Niesler (2005) S. 62; Partsch (1966) S. 143; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 1 Fn 3; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 275; Tonne (1997) S. 156. 138 Niesler (2005) S. 50; Robertson ICLQ-SP 11 (1965), 24, 28. 139 Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 66.

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ständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird.“

Englische Originalfassung: „Everyone shall be entitled to a fair and public hearing by a competent independent and impartial tribunal established by law in the determination of any criminal charge against him, or of his rights and obligations in a suit at law.“

Französische Originalfassung: „Toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement et publiquement par un tribunal compétent, indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera soit du bien-fondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil.“

Bei den parallel verlaufenden Beratungen zum Entwurf für den IPBPR wurde zunächst eine Einschränkung durch die Worte „civil“/„civils“ vorgenommen, später die französische Fassung in „en matière civil“ geändert und diese Änderung dann wieder rückgängig gemacht.140 Da die englische Fassung einen sehr weiten Anwendungsbereich zuließ, der auch den Militärdienst und das Steuerwesen umfasst, wurde von der Vertreterin der Vereinigten Staaten von Amerika ein Antrag eingebracht, den Ausdruck „civil rights and obligations“/„droits et obligations civils“ in den Terminus „civil suit“/„une action civile“ zu ändern.141 Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt, da diese Fassung Streitigkeiten über Verwaltungsangelegenheiten ausschließen würde, die jedoch von der Norm erfasst werden sollten.142 Der Antrag hat jedoch mit dazu beigetragen, dass der Text später in „rights and obligations in a suit at law“/„droits et obligations de caractère civil“ geändert wurde, so wie er auch noch heute in Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR zu finden ist.143 Ebenfalls zu dieser Änderung trug der Antrag des dänischen Vertreters bei, der durch eine Ergänzung klar gestellt haben wollte, dass Streitigkeiten zwischen dem einzelnen Bürger und der Regierung nicht von der Norm erfasst werden.144 Dies spricht dafür, dass die Hinzufügung

140 Harries-Lehmann (2004) S. 178; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 178; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 318; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 37 f.; Newman PL 3 (1967), 274, 296 ff.; Schäffer JBl 1985, 502, 508; Tonne (1997) S. 156. 141 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 136; Guradze (1968) Art 6 Rn 3; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 178 f.; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 318; Miehsler in: IntKomm-EMRK (1986) Art 6 Rn 39; Newman PL 3 (1967), 274, 304 ff.; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 225; Robertson (1977) S. 69. 142 Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 318; Newman PL 3 (1967), 274, 304 ff.; Robertson (1977) S. 69; Tonne (1997) S. 156. 143 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 299; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 41; Newman PL 3 (1967), 274, 304 ff.; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 226; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 67; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 276. 144 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 299; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 177; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 137; Mayer ZfV 1988, 473, 477; Ryssdal/

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

der Worte „in a suit at law“/„de caractère civil“ den Anwendungsbereich dahingehend einschränken sollte, dass Streitigkeiten mit der Regierung nicht erfasst werden sollten.145 Mit dieser Einschränkung sollte jedoch nicht das gesamte öffentliche Recht, sondern nur politische Rechte aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden.146 Während die Formulierung in Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR mit der französischen Fassung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK übereinstimmt, findet sich in der englischen Fassung der Ausdruck „in a suit at law“.147 Der Ausdruck „in a suit at law“ kann nicht nur mit „in einem Zivilprozess“, sondern auch ganz allgemein mit „in einem Verfahren“ oder „in einem Rechtsstreit“ übersetzt werden.148 Damit eröffnet die Formulierung in der englischen Fassung eine Erstreckung der Garantie auf alle rechtlichen Verfahren und fordert keine Beschränkung auf zivilrechtliche Verfahren nach kontinentaleuropäischem Verständnis, schließt eine solche Beschränkung jedoch auch nicht grundsätzlich aus. ee) Entstehung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) Die Redakteure der EMRK wählten zunächst den Wortlaut des Artikel 10 AEMR („rights and obligations“/„droits et obligations“), wodurch ein umfassender Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erzielt worden wäre.149 Später entschieden sie sich jedoch für eine Modifizierung des Begriffs „rights and obligations“/„droits et obligations“ durch den Terminus „in a suit at law“/„de caractère civil“150 und damit für die heute noch in der Parallelnorm

Bindschedler-Robert/Lagergren/Matscher/Evans/Bernhardt/Gersing EuGRZ 1988, 30, 33; Schäffer JBl 1985, 502, 508; Tonne (1997) S. 156. 145 Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Schäffer JBl 1985, 502, 508. 146 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 299; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 114; Robertson (1977) S. 69; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 302. 147 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 135; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 178; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 28; Newman PL 3 (1967), 274, 397; Robertson BYIL 43 (1968/1969), 21, 32; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 147. 148 Pons Englisch S. 911. 149 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP I S. 196 f.; Council of Europe/Conseil de l’Europe TP III S. 222 f. und 236 f. 150 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP III S. 284 f. und 290 f. und 316 f.; Council of Europe/Conseil de l’Europe TP IV S. 60 f. und 276 f.; Council of Europe/ Conseil de l’Europe TP V S. 78 f. und 124 f. und 148 ff.; Council of Europe/Conseil de l’Europe TP VI S. 204 f. und 244 f.

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des Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR verwendete Fassung.151 Während man die französische Fassung unverändert in den endgültigen Text der EMRK übernahm, wurden am Vorabend der Unterzeichnung in Rom in der englischen Fassung die Worte „in a suit at law“ durch das Wort „civil“ ersetzt.152 Angesichts des ebenfalls sehr unbestimmten Begriffs „civil rights“ hat sich der mögliche Anwendungsbereich dadurch nicht wesentlich geändert.153 Zumindest sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Änderung des Textes eine Beschränkung auf reines Zivilrecht im deutschen beziehungsweise kontinentaleuropäischen Sinne bezweckt hat.154 Dies ergibt sich auch daraus, dass einige Staaten Vorbehalte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erklärten, die den Anwendungsbereich bezüglich des Verwaltungsrechts einschränken sollten.155 Wäre der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien dahin gegangen, dass nur Zivilverfahren von der Norm erfasst werden sollen, wären solche einschränkenden Vorbehalte nicht notwendig gewesen.156 Welche Gesichtspunkte zu der Änderung der englischen Fassung in letzter Minute geführt haben, ist zwar keinem der zugänglichen Dokumente zu entnehmen,157 doch werden die Änderungen zusammenfassend als formelle Korrekturen und Verbesserungen der Übersetzung („formal corrections and corrections of translation“/„corrections de forme et de traduction“) bezeichnet.158 Diese abschließenden Korrekturen erfolgten demnach aus redaktionellen Überlegungen und bezweckten keine Änderung des materiellen Gehalts der Konvention.159 151 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 137; Golsong GgE 3 (1971), 251, 261; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 43 ff.; Tonne (1997) S. 156. 152 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP VII S. 52 f.; v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 138; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Golsong GgE 3 (1971), 251, 261; Guradze (1968) Art 6 Rn 2; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 319; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 47; Newman PL 3 (1967), 274, 297 Fn 63; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 226; Partsch (1966) S. 143 Fn 448; Robertson BYIL 43 (1968/1969), 21, 32; Robertson (1977) S. 69; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Schäffer JBl 1965, 502, 507; Schmuckli (1990) S. 43; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 159. 153 Golsong GgE 3 (1971), 251, 261. 154 Thürer ZBl 1986, 241, 248. 155 Khol AJCL 18 (1970), 237, 238; Schmuckli (1990) S. 44; Thürer ZBl 1988, 377, 379 Fn 7. 156 Schmuckli (1990) S. 44. 157 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 319; Mayer ZfV 1988, 473, 477; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 48, Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 1; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Schäffer JBl 1985, 502, 507; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 159. 158 Council of Europe/Conseil de l’Europe TP VII S. 12 f.; Harris BYIL 47 (1974/ 1975), 157, 178; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 47 Fn 10; Ryssdal/ Bindschedler-Robert/Lagergren/Matscher/Evans/Bernhardt/Gersing EuGRZ 1988, 30, 33. 159 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 138; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Golsong GgE 3 (1971), 251, 261; Guradze (1968) Art 6 Rn 2; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 178; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 226; Partsch (1966) S. 143 Fn 448; Peu-

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

ff) Zusammenfassung Zur Klärung des sachlichen Anwendungsbereichs des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK trägt die Entstehungsgeschichte somit wenig bei.160 Bemerkenswerterweise wird sie sowohl von den Anhängern einer extrem weiten als auch von den Anhängern einer restriktiven Auslegung als Beleg für die Richtigkeit ihrer Auffassung angeführt.161 Die Auslegung anhand der Entstehungsgeschichte bestätigt jedoch, dass der Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK einerseits über den Bereich des Privatrechts im kontinentaleuropäischen Sinne hinausreicht,162 andererseits jedoch durch eine Abweichung von der in der AEMR gewählten Formulierung eingeschränkt werden sollte.163 Auch aus der Entstehungsgeschichte geht aber nicht eindeutig hervor, wie weit der Begriff auszulegen ist.164 c) Systematik Nach Artikel 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969165 ist bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags wie der EMRK auch der Zusammenhang zu berücksichtigen, in dem die Norm steht.166 Der Begriff „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ steht zunächst im Zusammenhang mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, ferner aber auch mit der gesamten EMRK und den ihr verwandten völkerrechtlichen Kodifikationen.

kert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 1; Robertson BYIL 43 (1968/1969), 21, 32; Robertson (1977) S. 70; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Schmuckli (1990) S. 43. 160 OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1375; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 45; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 299; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 176; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 196; Kley-Struller (1993) S. 19 f.; Leuprecht in: Matscher (1989) S. 1, 3; Matscher EuGRZ 1978, 421, 421 f.; Mayer ZfV 1988, 473, 477; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 49; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 65 und 68; Schäffer JBl 1985, 502, 504; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Tonne (1997) S. 155; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 474. 161 Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 176; Leuprecht in: Matscher (1989) S. 1, 3; Mayer ZfV 1988, 473, 477. 162 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 299; Harries-Lehmann (2004) S. 178; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 49. 163 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 299; Mayer ZfV 1988, 473, 477; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Schäffer JBl 1985, 502, 508. 164 Matscher in: Matscher (1989) S. 9, 9; Schäffer JBl 1985, 502, 508. 165 BGBl 1985 II S. 926. 166 Merrills (1988) S. 63; Newman PL 3 (1967), 274, 295; Villiger in: FS-Ress (2005) S. 317, 325.

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aa) Systematische Stellung innerhalb der Norm Bezüglich der systematischen Stellung innerhalb des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK fällt das unmittelbare Nebeneinander der Rechtsbegriffe „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ und „criminal charge“/„accusation en matière pénale“ ins Auge.167 Manche sehen darin kein zufälliges Nebeneinander, sondern eine mit Absicht gewählte Gegenüberstellung.168 Dann könnten alle Verfahren zivilrechtlichen Charakter haben, die nicht strafrechtlich („criminal“/„pénal“) sind.169 Dadurch würden im Ergebnis alle Verfahren unter einen der beiden Begriffe gefasst werden können.170 Hätten die vertragschließenden Parteien dieses Ergebnis gewollt, hätten sie jedoch einfach auf jede irgendwie geartete Einschränkung bei der Formulierung verzichten und sich auf die Worte „rights“ und „droits“ beschränken können und müssen. Insofern überzeugt dieser Erklärungsansatz nicht. bb) Systematische Stellung innerhalb der EMRK Zu einer anderen systematischen Überlegung führt der in der Präambel der EMRK enthaltene Hinweis auf die AEMR, durch den das europäische Menschenrechtsschutzsystem mit jenem der Vereinten Nationen verknüpft wird und der einen Vergleich mit den Parallelbestimmungen nahelegt.171 Wie oben bereits festgestellt, weist Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der EMRK von 1950 Ähnlichkeiten zu Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR,172 der auf Artikel 13 Abs. 1 des Vorentwurfs von 1949 basiert, sowie zu Artikel 10 der AEMR von 1948 auf.173 167

Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 22. EKMR Alam and Khan, Singh/Großbritanien 15. Juli 1967 Az 2991/66, 2992/ 66 Collection of Decisions 24, 116, 126; Batailler-Demichel HRJ 3 (1970), 687, 697; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 46; Golsong GgE 3 (1971), 251, 255; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174; Schäffer JBl 1985, 502, 504. 169 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 408 f.; Harris BYIL 47 (1974/ 1975), 157, 173; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 23. 170 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 408 f.; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 32. 171 Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 68; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 27; Schmuckli (1990) S. 49; Süsterhenn (1962) S. 15; Thürer ZBl 1988, 377, 401. 172 BGBl 1973 II S. 1534. 173 Guradze (1968) Art 6 Rn 2; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 68; Kley-Struller (1993) S. 22 Fn 1; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 113; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 5; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 3; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 33; Pache NVwZ 2001, 1342, 1342; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 223; Partsch (1966) S. 141; Pieck (1966) S. 29; Protic´ (1973) S. 10; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 54; Robertson (1977) S. 68 f.; Schäffer JBl 1965, 502, 507; Schmuckli (1990) S. 43; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 302; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 540; Süsterhenn (1962) S. 15; Tomuschat in: FS-Redeker (1993), 273, 168

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Die oben genannten entstehungsgeschichtlichen Argumente für einen weiten, aber nicht uneingeschränkten Anwendungsbereich der Norm führen damit auch durch die Einbeziehung des Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen unter systematischen Gesichtspunkten zu dem Ergebnis, dass einerseits eine Beschränkung auf reines Privatrecht im deutschen beziehungsweise kontinentaleuropäischen Sinne nicht von der EMRK gedeckt ist, andererseits jedoch auch ein uneingeschränkter Anwendungsbereich ausgeschlossen ist. cc) Verhältnis zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) Eine mögliche Einschränkung des Anwendungsbereichs aus systematischen Gesichtspunkten kann sich aus dem im IPBPR verwendeten Begriffspaar der bürgerlichen und politischen Rechte („civil and political rights“/„droits civils et politiques“) ergeben.174 In der deutschen Übersetzung dieses Pakts wird „civil rights“/„droits civils“ nicht mit „zivilrechtliche Rechte“, sondern mit „bürgerliche Rechte“ wiedergegeben.175 Die bürgerlichen Rechte betreffen hier sowohl die Rechte der Bürger untereinander als auch die bürgerlichen Rechte gegenüber dem Staat.176 Nicht erfasst von dem Begriff sind nur politische Rechte, also die Statusrechte des Bürgers im Staat und seine Rechte zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung.177 Demnach werden zumindest rein politische Rechte nicht von dem Begriff „civil rights“/„droits civils“ erfasst.178 Bezogen auf Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ergibt sich daraus, dass die Einschränkung der Worte „right“/„droit“ durch die Worte „civil“/„de caractère civil“ vor dem Hintergrund des Begriffsverständnisses im IPBPR die „politischen“ Rechte ausschließen soll.179

276; Tonne (1997) S. 155; Velu RDIDC 38 (1961), 129, 140 f.; Velu/Ergec (1990) S. 337 ff.; Weiß (1954) S. 3. 174 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256 f.; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 118 ff. und 141 f. und 145 f.; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 24; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 302. 175 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256. 176 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256 f.; Lippold NVwZ 1996, 137, 137. 177 Golsong GgE 3 (1971), 251, 255 ff.; Lippold NVwZ 1996, 137, 137. 178 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256 f.; Lippold NVwZ 1996, 137, 137; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 302; Velu AJCL 18 (1970), 259, 268 f. 179 Golsong GgE 3 (1971), 251, 256 f.

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dd) Mögliche Gegenbegriffe zur Einschränkung des Anwendungsbereichs Als mögliche Gegenbegriffe zur Einschränkung des Anwendungsbereichs des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK bieten sich also die bereits oben angeführten strafrechtlich („criminal“/„pénale“), politisch („political“/„politique“), kirchenrechtlich („ecclesiastical“/„ecclésiastique“) und militärrechtlich („military“/ „militaire“) an.180 Zu welchem von diesen Begriffen eine Abgrenzung bezweckt war, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären. Aus diesen möglichen Gegensatzpaaren ergibt sich jedoch, dass nicht notwendigerweise das öffentliche („public“/„publique“) Recht, wie es nach kontinentaleuropäischer Begriffslehre verstanden wird, den Gegenpol zu den „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ bildet.181 ee) Zusammenfassung Demnach führt auch die systematische Auslegung zu keinem abschließenden Ergebnis hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Norm, stützt jedoch die bereits oben festgestellte Erstreckung des Anwendungsbereichs über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ nach deutschem Verständnis hinaus. Außerdem bietet sich auch aufgrund systematischer Überlegungen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK durch die Begriffe politisch, kirchenrechtlich und militärrechtlich an. d) Ziel und Zweck Nach Artikel 33 Abs. 4 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969182 ist bei Bedeutungsunterschieden zwischen den beiden authentischen Texten völkerrechtlicher Verträge diejenige Bedeutung zugrunde zu legen, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrags die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt.183 Nach Artikel 31 Abs. 1 desselben Übereinkommens sind Ziel und Zweck bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags zu berücksichtigen.184 Angesichts des unbestimmten und 180 Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174 Fn 10; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 118; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 22; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24; Schmuckli (1990) S. 41. 181 Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 60; Schmuckli (1990) S. 41; Tonne (1997) S. 155 Fn 41. 182 BGBl 1985 II S. 926. 183 EGMR Wemhoff/Deutschland 27. Juni 1968 Az D 25/225 Série A Vol 7 Rn 8 = DVBl 1968, 968, 970 Rn 8; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 268; Mayer ZfV 1988, 473, 479; Newman PL 3 (1967), 274, 296; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 24. 184 EGMR Wemhoff/Deutschland 27. Juni 1968 Az D 25/225 Série A Vol 7 Rn 8 = DVBl 1968, 968, 970 Rn 8; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174; Rill in: FS-Wink-

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

unklaren Wortlauts von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK müssen daher Ziel und Zweck der Konvention in die Bestimmung des Anwendungsbereichs mit einfließen.185 Das angestrebte Ziel der EMRK ist verbindlich in ihrer Präambel normiert.186 Aus ihr geht hervor, dass die Konvention bezweckt, die universelle und wirksame Anerkennung und Einhaltung der in ihr aufgeführten Rechte zu gewährleisten, zu wahren und fortzuentwickeln, um dadurch eine größere Einheit innerhalb der Mitgliedstaaten zu schaffen.187 Diese Zielsetzung ist auch bei der Auslegung im Auge zu behalten.188 Demzufolge müssen die in der EMRK niedergelegten Rechte des Individuums einheitlich und möglichst weit, die abschließend aufgezählten Beschränkungen hingegen regelmäßig eng ausgelegt werden.189 Es erscheint paradox, dass allein die Zuweisung eines Rechtsstreits an ein bestimmtes Gericht darüber entscheidet, ob die Garantien der EMRK anwendbar sind, insbesondere auch deswegen, weil eine exakte Trennung des öffentlichen Rechts vom Zivilrecht nicht immer möglich ist.190 Viele Rechtsgebiete die in Deutschland den Verwaltungsgerichten zugewiesen sind, wie beispielsweise das Umweltrecht, werden gleichermaßen durch das öffentliche und durch das private Recht geprägt.191 Gerade in dem ständig an Bedeutung zunehmenden Bereich des öffentlichen Rechts steht dem Bürger der Staat als besonders mächtiger Gegner gegenüber und daher ist der Bürger in diesem Bereich besonders schutzbedürftig.192 Ziel und Zweck der EMRK ist es aber gerade, die

ler (1989) S. 13, 23; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 32; Villiger in: FS-Ress (2005) S. 317, 325; Wildhaber (1979) S. 303. 185 EGMR Wemhoff/Deutschland 27. Juni 1968 Az D 25/225 Série A Vol 7 Rn 8 = DVBl 1968, 968, 970 Rn 8; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 32. 186 Partsch (1966) S. 85; Schmuckli (1990) S. 48. 187 Bischofberger (1972) S. 40; Drzemczewski (1983) S. 2; Harries-Lehmann (2004) S. 187; Kley-Struller (1993) S. 19 f.; Partsch (1966) S. 85; Thürer ZBl 1988, 377, 385 und 400; Wilfinger (1995) S. 140. 188 Bischofberger (1972) S. 40; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 303; Wilfinger (1995) S. 139 f. 189 EGMR Golder/Großbritanien 21. Februar 1975 Série A Vol 18 Rn 37 ff. = EuGRZ 1975, 91, 98 f. Rn 37 ff.; Bischofberger (1972) S. 40; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 274; Wildhaber (1979) S. 305. 190 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 263; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 45; Golsong GgE 3 (1971), 251, 260; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 180; Wilfinger (1995) S. 140 f. 191 Golsong GgE 3 (1971), 251, 260; Wilfinger (1995) S. 141. 192 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 411; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 13; Geck DVBl 1956, 525, 526; Golsong GgE 3 (1971), 251, 260; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 157 und 174; Partsch (1966) S. 149; Rößler DStZ 1993, 381, 381; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 585; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 116; Schmuckli (1990) S. 46; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Thürer ZBl 1986, 241, 244 und 248 und 263; Thürer ZBl 1988, 377, 384; Weh EuGRZ 1985, 469, 473.

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Rechte des Bürgers gegenüber staatlicher Willkür zu schützen.193 Ein Ausschluss des gesamten öffentlichen Rechts nach deutschem Verständnis aus dem Anwendungsbereich der Norm würde damit dem Sinn und Zweck der EMRK widersprechen.194 Die in der Präambel zur EMRK formulierten Ziele verlangen vielmehr eine extensive Auslegung des Begriffs „civil rights and obligations“/ „droits et obligations de caractère civil“.195 Auch wenn sich aus dem in der Präambel gewählten Wort „fortzuentwickeln“ ergibt, dass die EMRK evolutiv-dynamischen Charakter hat,196 also die in der Konvention gewährleisteten Rechte im Lichte der sich wandelnden sozialen Gegebenheiten und politischen Einstellungen auszulegen sind,197 sollte andererseits nicht mit einem Hinweis auf Ziel und Zweck der Konvention die Grenze des Wortlauts verlassen werden und offene Rechtsfortbildung betrieben werden.198 Anzustreben ist ein möglichst weitgehender, aber noch vom Wortlaut gedeckter Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Dabei muss auch die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und die Unterschiedlichkeit des Verwaltungsaufbaus in den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden, ohne dass dies jedoch Veränderungen hin zu mehr Rechtsschutz für den Bürger ausschließen darf.199 Ebenso wie das nationale Recht im Sinne der EMRK europarechtsfreundlich ausgelegt werden muss, sollte die EMRK auch im Lichte der Entwicklung des nationalen Rechts ausgelegt werden.200 Eine Funktion der EMRK 193 Golsong GgE 3 (1971), 251, 260; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 174; Matscher EuGRZ 1978, 421, 422; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434. 194 Golsong GgE 3 (1971), 251, 260; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 179; Schmuckli (1990) S. 38; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434. 195 Golsong GgE 3 (1971), 251, 260; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 179; Matscher EuGRZ 1978, 421, 423; Schmuckli (1990) S. 38. 196 EGMR Tyrer/Großbritannien 25. April 1978 Série A Vol 26 Rn 31 = EuGRZ 1979, 162, 164 Rn 31; Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 30 f. und 35; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 266; Cohen-Jonathan (1989) S. 400; v. Dijk in: FSWiarda (1988), 131, 131 f.; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 301; Frowein (1983) S. 20; Ganshof van der Meersch in: FS-Wiarda (1988) S. 201, 202 ff.; Harries-Lehmann (2004) S. 157; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197 f.; Kley-Struller (1993) S. 20; Leuprecht in: Matscher (1989) S. 1, 3; Mayer ZfV 1988, 473, 480; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Vorbemerkung; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 15; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 21; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 13; Schmuckli (1990) S. 54; Seibert in: FS-Hirsch (1981), 519, 520; Thürer ZBl 1986, 241, 248; Thürer ZBl 1988, 377, 381; Weh EuGRZ 1985, 469, 471; Widmaier ZBR 2002, 244, 245; Wildhaber (1979) S. 306; Wilfinger (1995) S. 146. 197 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 265; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 301; Rill in: FSWinkler (1989) S. 13, 13; Thürer ZBl 1986, 241, 248 f.; Thürer ZBl 1988, 377, 381. 198 Harries-Lehmann (2004) S. 190; Matscher EuGRZ 1978, 421, 423; Rill in: FSWinkler (1989) S. 13, 14; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 34; Scheuner in: Eide/Schou (1968) S. 193, 202. 199 Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 15; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 585; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 117. 200 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 266.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

ist jedoch auch, die nationalen Rechtsordnungen durch eine schrittweise Verschärfung der Anforderungen an das Rechtsstaatsprinzip dahingehend zu beeinflussen, dass diese sich allmählich dem wachsenden Standard des Menschenrechtsschutzes anpassen.201 Angesichts der Unklarheit der beiden authentischen Textfassungen erfordert der Terminus „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ daher eine autonome Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.202 e) Anwendungsbereich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist insbesondere für die Frage von Bedeutung, ob sich der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Rahmen der ihm zustehenden Auslegung der Norm befindet und seine Urteile damit nach Artikel 46 Abs. 1 EMRK Bindungswirkung entfalten.203 Für die praktische Anwendung der Norm ist hingegen allein die umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs von Bedeutung.204 Der Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist die mit Abstand am häufigsten angerufene Norm der EMRK und damit zugleich eine ihrer wichtigsten.205 Angesichts der unzähligen zum Problem der überlangen Verfahrensdauer ergangenen Entscheidungen, kann in dieser Arbeit nur auf einige der wichtigsten eingegangen werden, die für die Frage von Bedeutung sind, ob Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in Deutschland in verfassungs-, verwaltungs-, sozialund finanzgerichtlichen Verfahren einen Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist gewährt.

201 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 266; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197 f.; Thürer ZBl 1986, 241, 248 f.; Thürer ZBl 1988, 377, 385. 202 Kley-Struller (1993) S. 21; Thürer ZBl 1986, 241, 249; Ulsamer in: Frowein/ Ulsamer (1985) S. 35, 45. 203 Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 27. 204 Thienel ÖJZ 1993, 473, 474. 205 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 452; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/ 1967), 393, 395; Demko HRRS 2005, 283, 283; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dörr (1984) S. 88; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 296; Dörr (2003) S. 51; Grabenwarter (2003) S. 360; Harries-Lehmann (2004) S. 172 Fn 720 und S. 232; Matscher in: FS-Wiarda (1988), 395, 395; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 1 und 71; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Vorbemerkung; Mucha in: deSalvia/Villiger (1998) S. 133, 133; Pache NVwZ 2001, 1342, 1343; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art. 6 Rn 3; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 601 und 618; Redeker NJW 2003, 488, 488; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206 Fn 2; Seibert in: FS-Hirsch (1981) S. 519, 524; Soyer/deSalvia in: Pettitti/De-caux/Imbert (1999) Art 6 S. 240 f.; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 540; Thürer ZBl 1986, 241, 245; Tonne (1997) S. 164; Velu AJCL 18 (1970), 259, 260; Voss in: Gearty (1997) S. 143, 159; Weh EuGRZ 1985, 469, 469.

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Entgegen einer auch von Teilen der deutschen Rechtsprechung vertretenen Ansicht,206 teilweise unter Berufung auf den jedoch nicht maßgeblichen „feststehenden deutschen Sprachgebrauch“, kommt es dabei jedoch nicht auf die Art der Gerichtsbarkeit, sondern vielmehr entscheidend auf den materiellrechtlichen Charakter der ihrer Zuständigkeit unterliegenden Streitfragen an.207 Weder der englische noch der französische Text spricht von einer bestimmten Gerichtsbarkeit, von einem „civil court“ oder „tribunal civil“.208 Der Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK wendet sich daher nicht nur an Gerichte mit einer bestimmten Zuständigkeit, sondern besagt, dass er immer dann einschlägig ist, wenn über „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ entschieden wird.209 Anderenfalls könnte der nationale Gesetzgeber durch eine Verschiebung der Zuständigkeitsgrenzen zwischen den einzelnen nationalen Gerichtszweigen den Anwendungsbereich der Konventionsgarantien selbst festlegen und könnten die nationalen Gerichte in letzter Instanz über die Anwendbarkeit der Konventionsgarantien entscheiden, wodurch das Konventionssystem seiner Wirksamkeit beraubt würde.210 Dennoch bietet es sich an, die Anwendbarkeit der Norm auf einzelne Verfahren anhand ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit durchzuführen.211 Dabei wird deutlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Anwendbarkeit des Artikels 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK schrittweise auf mehr Verfahren erstreckt hat und dabei Verfahren vor immer mehr Gerichtsbarkeiten erfasst hat. Im Folgenden soll diese schrittweise Erstreckung des Anwendungsbereichs nachvollzogen werden und daher zunächst auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit [F. II. 2. e) aa)], anschließend auf die Verfassungsgerichtsbarkeit [F. II. 2. e) bb)] und die Sozialgerichtsbarkeit [F. II. 2. e) cc)] und abschließend auf die Finanzgerichtsbarkeit [F. II. 2. e) dd)] eingegangen werden.

206 BVerwG 16. September 1957 Az 1 C 140/57 MDR 1957, 697, 697; BVerwG 13. Januar 1958 Az 5 CB 55/57 MDR 1958, 446, 446; OVG NW (6. Senat) 24. Juni 1955 Az VI A 444/54 NJW 1956, 157, 158; OVG NW (6. Senat) 25. November 1955 Az VI A 1067/53 NJW 1956, 1374, 1374 f.; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/ 1967), 393, 397 und 399. 207 EKMR 8. Mai 1962 Az 808/60 Yearbook 5 (1962), 108, 122; Buergenthal BLR 16 (1966/1967), 18, 48; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 188 f.; Dugrip/ Sudre RFDA 6 (1990), 203, 206; Golsong GgE 3 (1971), 251, 254; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 199; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 115 f.; Pfeifer ÖZöRV 12 (1962/1963), 1, 59 Fn 196; Pieck (1966) S. 13 f. und 31; Schäffer ÖJZ 1965, 511, 512; Scheuner in: Eide/Schou (1968) S. 193, 202. 208 Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 188 f. 209 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 398 Fn 14; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 188 f.; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 199. 210 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 399 f.; Harris BYIL 47 (1974/ 1975), 157, 174. 211 Pieck (1966) S. 13.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

aa) Verwaltungsgerichtsbarkeit Während die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK anfangs sehr behutsam vorgingen („cautious approach“), ihm enge Grenzen zogen und das öffentliche Recht nach kontinentaleuropäischem Verständnis ausklammerten,212 wendet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Norm seit seinem Grundsatzurteil vom 16. Juli 1971 im Fall Ringeisen gegen Österreich213 mehrheitlich extensiv an.214 In diesem Fall ging es um die Verweigerung einer nach österreichischem Recht erforderlichen Bodenverkehrsgenehmigung für einen Kaufvertrag über ein Grundstück, gegen die sich der Beschwerdeführer gewehrt hat. Der Gerichtshof stellte in dieser Entscheidung klar, dass es aufgrund seines weiten Wortlauts für die Anwendbarkeit von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht darauf ankomme, dass beide an dem Streit beteiligten Seiten Privatpersonen sind.215 Die französische Fassung der Norm erfasse alle Verfahren, deren Ergebnis für private Rechte und Verpflichtungen entscheidend ist, und der englische Text bestätige diese Auslegung.216 Die Zuordnung der streitentscheidenden Gesetze und Behörden zu einem bestimmten Rechtsgebiet durch den nationalen Gesetzgeber habe auf die Anwendbarkeit der Norm keinen maßgeblichen Einfluss.217 Die wichtigste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu der Frage des Anwendungsbereichs des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vor den deutschen Verwaltungsgerichten ist die Grundsatzentscheidung vom 28. Juni 1978 in dem Fall König gegen Deutschland.218 In dieser Entschei212 Golsong GgE 3 (1971), 251, 265; Harries-Lehmann (2004) S. 179; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 158; Thürer ZBl 1986, 241, 249 und 253; Wilfinger (1995) S. 144. 213 EGMR Ringeisen/Österreich 16. Juni 1971 Série A Vol 13. 214 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 60 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 179; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 158; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 15; Raymond in: Institut d’études européenne (1970) S. 81, 83; Thürer ZBl 1986, 241, 249; Tonne (1997) S. 157; Wilfinger (1995) S. 146. 215 Ercman (1981) S. 108 f.; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 60 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 180; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 161; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Thürer ZBl 1986, 241, 249 f.; Tonne (1997) S. 157; Velu in: Cappelletti/Tallon (1973) S. 245, 273. 216 Ercman (1981) S. 108 f.; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 61; Harries-Lehmann (2004) S. 180; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 161; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 17; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Thürer ZBl 1986, 241, 250; Tonne (1997) S. 157; Velu in: Cappelletti/Tallon (1973) S. 245, 273. 217 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 61; Harries-Lehmann (2004) S. 180 f.; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 161; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Thürer ZBl 1986, 241, 250; Tonne (1997) S. 157; Wilfinger (1995) S. 142. 218 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 = EuGRZ 1978, 406, 406 ff.

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dung wurde der „rechtsstaatliche Musterschüler“219 Deutschland erstmals wegen einer überlangen Verfahrensdauer verurteilt.220 In dem Fall ging es um ein Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten, in dem sich Herr Dr. med. Eberhard König gegen die Entziehung der ärztlichen Approbation und die Rücknahme der gewerberechtlichen Erlaubnis zum Betreiben einer Privatklinik wehrte. In diesem Urteil stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass sich das Beschleunigungsgebot des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auch auf bestimmte Verwaltungsstreitverfahren erstreckt221 und dass der Begriff „zivilrechtlich“ nicht im Sinne des innerstaatlichen Rechts, sondern eigenständig beziehungsweise autonom im Sinne der EMRK interpretiert werden müsse, und zwar unter Berücksichtigung des materiellen Gehalts und der Rechtsfolgen des inländischen Rechts.222 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte qualifiziert die Tätigkeit eines Arztes als Operateur und Eigentümer einer Klinik in dieser Entscheidung als privatrechtlich und lässt ausdrücklich offen, ob der Begriff „zivilrechtlich“ im Sinne des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK über Rechte privater Natur hinausgeht.223 Der Gerichtshof stellt darauf ab, dass es nicht um die Gewährung eines neuen Rechts durch den Staat geht, sondern um den Entzug eines bereits zuvor gewährten Rechts, die Klinik zu betreiben und in ihr zu operieren.224 Der Gerichtshof bezeichnet das Recht, eine Klinik zu betreiben und den Arztberuf auszuüben, selbst als „civil right“/ „droit de caractère civil“, was aber nur möglich ist, wenn es sich dabei um ein die Eingriffe des Staates abwehrendes Grundrecht handelt.225 In diesem Urteil wird die Doppelspurigkeit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-

219

Haas VBlBW 1991, 232, 234; Sendler DVBl 1982, 157, 164. Britz NVwZ 2004, 173, 174; Harries-Lehmann (2004) S. 221; Haug/Pfarr/ Struck (1985) S. 20; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 73; v. Münch NJW 2000, 1, 6; Peukert EuGRZ 1979, 261, 261; Redeker RuP 1982, 51, 52; Scheffler (1991) S. 31; Schlette (1999) S. 58 Fn 88; Ulsamer in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 35, 40; Wilfinger (1995) S. 3 und 13 und 154. 221 Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 207 f.; Frowein (1983) S. 22; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971 f.; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Thürer ZBl 1986, 241, 250. 222 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 89 = EuGRZ 1978, 406, 415 f. Rn 89; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 255; Britz NVwZ 2004, 173, 173; Cohen-Jonathan (1989) S. 396; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 207 f.; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Wilfinger (1995) S. 143. 223 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 95 = EuGRZ 1978, 406, 416 Rn 95; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 65; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 20; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 301; Thürer ZBl 1986, 241, 250. 224 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 256; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 20; Wilfinger (1995) S. 143. 225 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 256. 220

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hofs für Menschenrechte deutlich.226 Obwohl der Gerichtshof davon ausgeht, dass die Freiheit der Berufsausübung ein „civil right“/„droit de caractère civil“ darstellt, und er damit die „civil rights“/„droits de caractère civil“ mit den Grundrechten gleichsetzt, hält er zugleich an seiner ursprünglichen Auffassung fest, Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verweise primär auf das Privatrecht.227 Diese Doppelspurigkeit führt zu der Konstruktion, dass der Gerichtshof in einem zweiten Schritt fragt, ob das betreffende Grundrecht hinreichend enge Bezüge zu Privatrecht aufweist.228 In seinem Urteil vom 23. Oktober 1985 im Fall Benthem gegen die Niederlande,229 bei dem es um die Ablehnung der Genehmigung einer Flüssiggastankstelle ging, erweiterte der Gerichtshof den Anwendungsbereich erneut, indem er auch das erstmalige Erhalten einer Genehmigung als vom Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erfasst ansieht.230 Auch hier ging es, ähnlich wie bei dem Recht auf Ausübung eines zugelassenen freien Berufs, um die individuelle wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, die auch dann als eine „zivilrechtliches“ Recht anzusehen ist, wenn sie staatlicher Regelung unterliegt.231 In Fortführung seiner Doppelspurigkeit betont der Gerichtshof jedoch, dass es sich bei dem Betrieb einer Tankstelle um das Recht handelt, eine Sache zu nutzen, und verweist damit auf das Eigentum als zivilrechtliches Recht und als Grundrecht.232 Der Gerichtshof hat den Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK damit ständig erweitert.233 Nach seiner Rechtsprechung geht der Anwendungsbereich weit über den klassischen privatrechtlichen Bereich hinaus und erfasst auch die meisten verwaltungsgerichtlichen Verfahren.234 Demnach ist die Norm entgegen der Rechtsprechung einiger deutscher Verwaltungsgerichte auf alle Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anzuwenden, die sich auf die privatrechtliche Stellung des Bürgers auswirken.235

226 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 256; Niesler (2005) S. 57; Tonne (1997) S. 157. 227 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 256. 228 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 256; Niesler (2005) S. 57; Tonne (1997) S. 157. 229 EGMR Benthem/Niederlande 23. Oktober 1985 Az 1/1984/73/111 Série A Vol 97 = EuGRZ 1986, 299, 299 ff. 230 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 258; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 21; Thürer ZBl 1986, 241, 251. 231 Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 21. 232 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 258; Thürer ZBl 1986, 241, 251. 233 Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 15; Thürer ZBl 1986, 241, 252. 234 Thürer ZBl 1986, 241, 252. 235 Golsong GgE 3 (1971), 251, 263; Thürer ZBl 1986, 241, 252; Tomuschat in: FS-Redeker (1993) S. 273, 283.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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bb) Verfassungsgerichtsbarkeit Die Europäische Kommission für Menschenrechte ging lange Zeit davon aus, dass Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf Verfahren vor den Verfassungsgerichten keine Anwendung findet, da Verfassungsgerichte nicht dazu berufen sind, Streitigkeiten über privatrechtliche Ansprüche auf der Basis des materiellen Rechts zu entscheiden, sondern über die Vereinbarkeit hoheitlicher Maßnahmen oder gesetzlicher Bestimmungen mit dem geltenden Verfassungsrecht befinden.236 Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zunächst ebenfalls sehr zurückhaltend entschied,237 dehnte er den Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK schließlich auch auf Verfahren vor den Verfassungsgerichten aus.238 Dabei stellt der Gerichtshof darauf ab, ob sich die jeweiligen Verfahren vor dem Verfassungsgericht auf das Bestehen „zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen“ auswirken.239 In seiner Entscheidung vom 29. März 1989 in dem Fall Bock gegen Deutschland 240 deutete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals an, dass er die Verfahrensdauer vor dem Bundesverfassungsgericht bei der Berechnung der Angemessenheit mit berücksichtigen wird, wenn der Ausgang des Verfahrens den streitigen Fall beeinflusst.241 In seiner Entscheidung vom 29. Mai 1986 in dem Fall Deumeland gegen Deutschland 242 hat er die Dauer eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht bei der Berechnung der Angemessenheit der Verfahrensdauer dann erstmals tatsächlich mit berücksichtigt.243 In seiner Entscheidung vom 23. Juni 1993 im Fall Ruiz-Mateos gegen Spanien244 hat er dann bereits von einer ständigen Rechtsprechung gesprochen, nach der es bereits ausreicht, wenn ein Verfahren vor einem Verfassungsgericht

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Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 25; Wilfinger (1995) S. 151. EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 48 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 48; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 26. 238 Dörr JuS 1998, 171, 171 f.; Oppermann (2005) S. 41. 239 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 77 = EuGRZ 1988, 20, 28 Rn 77; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 6 und 9; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Matscher EuGRZ 1993, 449, 452; Oppermann (2005) S. 41 f.; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 142; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 27; Wilfinger (1995) S. 151 f. 240 EGMR Bock/Deutschland 29. März 1989 Az 1/1988/145/199 Série A Vol 150 Rn 37. 241 Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 26. 242 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 = EuGRZ 1988, 20, 20 ff. 243 Oppermann (2005) S. 42; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 27 und 142; Wilfinger (1995) S. 152. 244 EGMR Ruiz-Mateos/Spanien 23. Juni 1993 Az 2/1992/347/420 Série A Vol 262 Rn 35 = EuGRZ 1993, 453, 453, 454 Rn 35. 237

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

den Ausgang des Verfahrens vor einem Gericht, das über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ entscheidet, beeinflusst.245 Auch in mehreren weiteren Entscheidungen, wie den Entscheidungen vom 1. Juli 1997 in den Fällen Probstmeier gegen Deutschland 246 und Pammel gegen Deutschland,247 sowie den Entscheidungen vom 25. Februar 2000 in der Sache Gast und Popp gegen Deutschland 248 und vom 27. Juli 2000 in dem Fall Klein gegen Deutschland 249 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auch auf Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erstreckt.250 Demnach ist Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auch auf Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anwendbar, sofern diese sich auf die privatrechtliche Stellung des Betroffenen auswirken. cc) Sozialgerichtsbarkeit Für die Anwendbarkeit des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vor den deutschen Sozialgerichten sind insbesondere die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 29. Mai 1986 in den Fällen Deumeland gegen Deutschland 251 und Feldbrugge gegen die Niederlande252 von Bedeutung, in denen sich der Gerichtshof erstmals mit Fällen aus dem Bereich des Sozialversicherungsrechts beschäftigen musste.253 In diesen Entscheidungen stellte der Gerichtshof zunächst klar, dass Gründe sowohl für den zivilrechtlichen, als auch für den öffentlich-rechtlichen Charakter des betreffenden Rechts sprechen und er insoweit eine Abwägung vornehmen müsse.254 Eine Mehrheit von neun 245

Wilfinger (1995) S. 152. EGMR Probstmeier/Deutschland 1. Juli 1997 Az 125/1996/744/943 NJW 1997, 2809, 2810 Rn 68. 247 EGMR Pammel/Deutschland 1. Juli 1997 Az 48/1996/667/853 EuGRZ 1997, 310, 316 Rn 73. 248 EGMR Gast und Popp/Deutschland 25. Februar 2000 Az 29357/95 NJW 2001, 211, 211 f. 249 EGMR Klein/Deutschland 27. Juli 2000 Az 33379/96 NJW 2001, 213, 214 Rn 48. 250 Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 6; Herdegen (2008) Rn 25; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Schlette REDP 10 (1998), 479, 498 und 528 ff.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 27 f. 251 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 = EuGRZ 1988, 20, 20 ff. 252 EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/1984/80/127 Série A Vol 99 = EuGRZ 1988, 14, 14 ff. 253 EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/1984/80/127 Série A Vol 99 Rn 27 = EuGRZ 1988, 14, 16 Rn 27; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 259; Mucha in: deSalvia/Villiger (1998) S. 133, 136; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 23. 254 EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/1984/80/127 Série A Vol 99 Rn 30 und 40 = EuGRZ 1988, 14, 16 ff. Rn 30 und 40; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 64 und 74 = EuGRZ 1988, 246

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Richtern des Gerichtshofs kam – anders als eine Minderheit von acht Richtern255 – zu dem Schluss, dass trotz der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsgesetzgebung kein relevanter Unterschied zum privatrechtlich geregelten Versicherungswesen auszumachen ist, somit die privatrechtlichen Merkmale überwiegen und die streitigen Ansprüche daher „zivilrechtlich“ sind.256 Daraus ergibt sich, dass alle Ansprüche und Verpflichtungen, die nur aus historischstrukturellen Gründen im öffentlichen Recht geregelt sind, materiell jedoch eine Entsprechung im Privatrecht haben, „zivilrechtlich“ sind.257 Damit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die schrittweise Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vorangetrieben und diesen auch auf zahlreiche Verfahren vor den Sozialgerichten erstreckt. dd) Finanzgerichtsbarkeit Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat sich schon sehr früh auf den Standpunkt gestellt, dass Steuerstreitigkeiten zum öffentlichen Recht im kontinentaleuropäischen Sinne gehören und daher Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf diese nicht anwendbar sei.258 In ihrer Zulässigkeitsentscheidung vom 15. Dezember 1967 in dem Fall X gegen Deutschland 259 stellte sie fest, dass die „droits et obligations de caractère civil“ in Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK keine Steuerstreitigkeiten umfassen („n’englobe pas la matière fiscale“).260 Unter Berufung auf diese Entscheidung vertritt der Bundesfinanzhof bis heute in ständiger Rechtssprechung seit seinem Grundsatzbeschluss vom 13. September 1991,261 bei dem es um eine Verfahrensdauer von über acht Jahren ging, die Auffassung, Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK sei auf Verfahren vor den Finanzgerichten nicht anwendbar.262 Auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Beschleunigungsgebot des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 20, 27 f. Rn 64 und 74; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 258; Mucha in: deSalvia/ Villiger (1998) S. 133, 136; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 23; Tonne (1997) S. 158. 255 Pinheiro Farinha EuGRZ 1988, 34, 34; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 30 ff. 256 Flauss AJDA 1992, 15, 19; Flauss AJDA 1992, 416, 416; Oppermann (2005) S. 42; Pettiti/Russo EuGRZ 1988, 34, 35; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 23; Schmuckli (1990) S. 57; Tonne (1997) S. 158; Ziekow (1998) S. 22. 257 Schmuckli (1990) S. 57; Tonne (1997) S. 158. 258 EKMR A, B, C, D/Niederlande 23. Mai 1966 Az 1904/63, 2029/63, 2094/63, 2217/64 Collection of Decisions 19, 106, 115; EKMR X/Deutschland 15. Dezember 1967 Az 2552/65 Collection of Decisions 26, 1, 8; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 67. 259 EKMR X/Deutschland 15. Dezember 1967 Az 2552/65 Collection of Decisions 26, 1, 8. 260 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 62; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 435. 261 BFH (4. Senat) 13. September 1991 Az IV B 105/90 NJW 1992, 1526, 1526 ff. 262 Autenrieth DStZ 1994, 96, 96; Laule EuGRZ 1996, 357, 365.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

EMRK im Fall König gegen Deutschland 263 auf bestimmte Verwaltungsstreitverfahren mit privatrechtlichen Bezügen erstreckt habe, begründe dies keine Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für Steuerstreitigkeiten, selbst wenn sie sich auf die Vermögenslage des Betroffenen auswirken, da das Steuerrecht dem Öffentlichen Recht zuzuordnen sei.264 Dass sich der Bundesfinanzhof der Tragfähigkeit dieser Argumentation selbst nicht sicher zu sein scheint, zeigt die im Anschluss an diese Feststellung angeführte Hilfsargumentation („Selbst wenn man mit der Klägerin von einer gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßenden Überlänge des Verfahrens ausgeht, kann die Revision nicht wegen Verfahrensfehlern zugelassen werden.“).265 Die enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Konventionsgarantie durch den Bundesfinanzhof ist in der Literatur wiederholt kritisiert worden.266 Bei sorgfältiger Studie zahlreicher neuerer Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hätte der Bundesfinanzhof ohne Mühen feststellen können, dass es für die Beurteilung, ob es sich um eine „zivilrechtliche“ Angelegenheit handelt, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht darauf ankommt, ob Öffentliches Recht oder Privatrecht einschlägig sind, sondern ob von der gerichtlichen Entscheidung privatnützige Rechtspositionen betroffen sind. Dies ist bei Steuerforderungen des Staates gegen einen Bürger durchaus der Fall. Der Bundesfinanzhof hat bisher jedoch keinerlei rechtliche Konsequenzen aus einer überlangen Verfahrensdauer gezogen und wird diese auch voraussichtlich in Zukunft nicht ziehen.267 Da der Bundesfinanzhof den Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz in angemessener Frist nicht gegenüber den Finanzgerichten durchsetzt und auch die Kammern des Bundesverfassungsgerichts Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer vor den Finanzgerichten bisher in der Regel nicht zur Entscheidung annehmen,268 bleibt dem Bürger letztlich nur die Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, um gegen überlange Verfahrensdauer vorzugehen.269 Doch auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 1994 in dem Fall Schouten und Meldrum gegen die Niederlande270 festgestellt, das Verpflichtungen des Bürgers, die sich aus der 263 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 = EuGRZ 1978, 406, 406 ff. 264 BFH (4. Senat) 13. September 1991 Az IV B 105/90 NJW 1992, 1526, 1527; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 435; Wagner DStR 1996, 1273, 1273. 265 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 62 Fn 35; Laule EuGRZ 1996, 357, 365. 266 Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952; Wagner DStR 1996, 1273, 1273. 267 Koepsell/Fischer-Tobies DB 1992, 1370, 1370; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2952. 268 BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 20. Mai 1988 Az 1 BvR 273/88 BB 1988, 1716, 1716; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2953; Wagner DStR 1996, 1273, 1274. 269 Sangmeister NJW 1998, 2952, 2953.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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Steuergesetzgebung ergeben oder Teil allgemeiner Bürgerpflichten sind („an obligation which is pecuniary in nature derives from tax legislation or is otherwise part of normal civic duties in a democratic society“) keine „civil rights“ im Sinne des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK sind.271 Obwohl Steuern und Abgaben durchaus Auswirkungen auf die privatrechtliche Stellung des Betroffenen haben, werden diese damit aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeklammert, solange diese keinen Strafcharakter haben und damit unter den Begriff „strafrechtliche Anklage“ fallen.272 Auch wenn eine Subsumtion von Steuerstreitigkeiten unter den Begriff der „civil rights and obligations“/„droits et obligations civils“ angesichts des Wortlauts von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vertretbar und rechtspolitisch sogar wünschenswert wäre, wendet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Norm zurzeit noch nicht auf Steuerstreitigkeiten an.273 Ob sich an dieser restriktiven Haltung in Anbetracht der ansonsten eher extensiven Interpretation der Konventionsgarantie durch den Gerichtshof in Zukunft etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Würde nach einer schrittweisen Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten, dem Bundesverfassungsgericht und den Sozialgerichten auch eine Ausdehnung auf die Finanzgerichtsbarkeit erfolgen, so würden die teilweise katastrophal langen Verfahrenslaufzeiten vor den deutschen Finanzgerichten in Zukunft verstärkt in den Blickwinkel der Öffentlichkeit gerückt. Die Verurteilungen Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in anderen Gerichtsverfahren sollten auch Anlass zum Nachdenken und zur Diskussion über die Verfahrensdauer an den deutschen Finanzgerichten sein.274 Es ist äußerst unbefriedigend, dass ausgerechnet in der Gerichtsbarkeit, bei der hinsichtlich der Verfahrensdauer am meisten Probleme bestehen, keine wirksame Kontrolle der Verfahrensdauer stattfindet.275 ee) Zusammenfassung Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sämtliche privatnützigen Rechtspositionen, insbesondere solche eigentumsrechtlicher und allgemeinvermögensrecht270 EGMR Schouten und Meldrum/Niederlande 9. Dezember 1994 Az 48/1993/ 453/522 und 49/1993/444/523 Série A Vol 304 Rn 50. 271 EGMR Schouten und Meldrum/Niederlande 9. Dezember 1994 Az 48/1993/ 453/522 und 49/1993/444/523 Série A Vol 304 Rn 50; Harries-Lehmann (2004) S. 183 und 192; Niesler (2005) S. 57; Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 801; Tonne (1997) S. 158 ff. 272 Laule EuGRZ 1996, 357, 363; Tonne (1997) S. 160. 273 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 67; Laule EuGRZ 1996, 357, 363 und 365; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 289. 274 Reim in: Offerhaus (1999) S. 791, 802. 275 Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 289.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

licher Natur, und alle damit nicht nur ganz entfernt zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten dem Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK unterfallen, ganz gleich ob sie ihre Rechtsgrundlage in formal zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften finden, ob klassisch hoheitliches Handeln im Spiel ist oder nicht, ob ein Träger hoheitlicher Gewalt am Streit beteiligt ist oder die Angelegenheit in die Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit oder der Verfassungs-, Verwaltungs- oder Sozialgerichtsbarkeit gehört.276 Es fallen also – mit der Ausnahme von Steuerstreitigkeiten – alle Streitigkeiten unter die Garantie, die Auswirkungen auf die privatrechtliche Stellung des Betroffenen haben.277 Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erfasst somit jedes Verfahren, dessen Ausgang für Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur unmittelbar entscheidend ist.278 Es kommt demnach auf den Rechtscharakter der in Streit stehenden Rechte und Verpflichtungen an.279 Folglich unter276 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 60 = EuGRZ 1988, 20, 26 Rn 60; Cohen-Jonathan (1989) S. 397; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 298; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 67; Harries-Lehmann (2004) S. 182 f.; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1972; Lippold NVwZ 1996, 137, 138; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 16; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Schlette (1999) S. 21; Sperduti EuGRZ 1979, 300, 302; Stöcker in: FSFelix (1989) S. 429, 434 f.; Tomuschat in: FS-Redeker (1993) S. 273, 281 f.; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 470 f. 277 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 298; Dörr (2003) S. 52; Mayer ZfV 1988, 473, 475; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 16; Thienel ÖJZ 1993, 473, 475; Tomuschat in: FS-Redeker (1993) S. 273, 280 f. 278 EGMR Ringeisen/Österreich 16. Juli 1971 Série A Vol 13 Rn 94; EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 90 = EuGRZ 1978, 406, 416 Rn 90; EGMR Le Compte, Van Leuven, De Meyere/Belgien 23. Juni 1981 Série A Vol 43 Rn 44 und 46 = EuGRZ 1981, 551, 552 Rn 44 und 46; BindschedlerRobert u. a. EuGRZ 1986, 304, 304; Buergenthal in: Winkler (1967) S. 141, 163; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 407; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 189; Cohen-Jonathan (1989) S. 395 f.; v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 131; Dörr (1984) S. 71 f.; Evans EuGRZ 1981, 558, 558 f.; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 61 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 180; Jacobs (1975) S. 82; Kopetzki in: Ermacora/Nowak/Tretter (1983) S. 207, 249; Kopetzki EuGRZ 1983, 173, 175; Machacek in: Pernthaler (1986) S. 43, 53; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 7; Mayer ZfV 1988, 473, 475; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 7; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 66; Oppermann (2005) S. 41 f.; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 16; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 606; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 22; Robertson (1977) S. 72; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Schwelb IO 18 (1964), 558, 575; Sperdutti EuGRZ 1979, 300, 301; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434; Stöcker DStZ 1989, 367, 368; Thürer ZBl 1986, 241, 250 und 254; Velu in: Cappelletti/Tallon (1973) S. 245, 332; Weh EuGRZ 1985, 469, 473; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 470; Wilfinger (1995) S. 142 und 144; Ziekow DÖV 1998, 941, 944. 279 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 90 = EuGRZ 1978, 406, 416 Rn 90; EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/ 1984/80/127 Série A Vol 99 Rn 26 = EuGRZ 1988, 14, 16 Rn 26; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 60 = EuGRZ 1988, 20, 26 Rn 60; EKMR ISOP/Österreich 8. März 1962 Az 808/60 Yearbook

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fallen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch die meisten Verfahren vor den Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialgerichten dem Anwendungsbereich von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK.280 Letztendlich bleibt es bis zur Festlegung einer abstrakten Definition für den Begriff „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ durch den Gerichtshof bei einer Entscheidung im jeweiligen Einzelfall. Die bisherige extensive Auslegung durch den Gerichtshof lässt jedoch die Vermutung zu, dass das Gericht künftig noch weitere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten – möglicherweise sogar einmal die vor den Finanzgerichten – dem Anwendungsbereich der Norm unterstellen wird.281 f) Evolutiv-dynamischer Charakter der EMRK In der Literatur, von Mitgliedern der Europäischen Kommission für Menschenrechte und auch von Richtern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist verschiedentlich versucht worden, den Begriff „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ mehr oder weniger abstrakt zu definieren. So wurde von mehreren Mitgliedern der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte versucht, eine Definition zu finden. Zusammengefasst sind „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ nach dieser Definition alle individuellen Rechte nach den nationalen Rechtsordnungen, die in den Bereich der generellen persönlichen Freiheit fallen, sei es eine berufliche oder andere legale Tätigkeit.282 Diese Rechte verlieren ihre „zivilrechtliche“ Qualität auch dann nicht, wenn dem Staat gewisse Aufsichts- oder Genehmigungsrechte zustehen.283 Nur wenn der Einzelne nicht als Privater betroffen ist, sondern als Bürger Befehle der hoheitlichen Verwaltung entgegennehmen muss, 1962, 108, 122; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 402; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 189; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 206; Harris BYIL 47 (1974/1975), 157, 161 und 199; Khol AJCL 18 (1970), 237, 253; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971 f.; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Raymond in: Institut d’études européenne (1970) S. 81, 82; Rößler DStZ 1993, 381, 381; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 434; Velu in: Cappelletti/Tallon (1973) S. 245, 270; Wiarda EuGRZ 1978, 421, 421; Wilfinger (1995) S. 143. 280 Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1972; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 4; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 470. 281 Harries-Lehmann (2004) S. 183. 282 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 300; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 14; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 30; Tonne (1997) S. 160; Weh EuGRZ 1988, 433, 433; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 472; Wilfinger (1995) S. 145. 283 Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 14; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 30; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 472; Wilfinger (1995) S. 145.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

sei es als Beamter, als Steuersubjekt, im Militärdienst, bei Wahl- oder Einwanderungsfragen, ist er nicht in seinen „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ betroffen.284 Diesem Definitionsversuch ist der Gerichtshof jedoch nicht gefolgt.285 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist einer allgemeingültigen Definition des Begriffs „civil rights and obligations“/„droits et obligations de caractère civil“ vielmehr stets ausgewichen286 und hat eine klare Begriffsbestimmung teilweise sogar ausdrücklich abgelehnt.287 Die Unsicherheit hinsichtlich der Reichweite dieses Begriffs führt zu Rechtsunsicherheit und ist eine der gravierendsten Belastungen des Systems der EMRK.288 Insofern wäre es wünschenswert, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht nur im jeweiligen Einzelfall entscheiden würde, ohne eine klare Linie erkennen zu lassen, sondern in einer klärenden Interpretation den Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in abstrakter Weise verbindlich klären würde.289 Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die EMRK als „liv284 Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 30; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 472; Wilfinger (1995) S. 145 f. 285 Niesler (2005) S. 54. 286 v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 298; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 67; García de Enterría in: Matscher (1989) S. 81, 87; Golsong GgE 3 (1971), 251, 264; Harries-Lehmann (2004) S. 181; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Mayer ZfV 1988, 473, 474 f.; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Mucha in: deSalvia/Villiger (1998) S. 133, 136; Niesler (2005) S. 54; Pahr in: Modinos (1968) S. 222, 226; Partsch (1966) S. 144 f.; Schlette (1999) S. 21 Fn 12; Schmuckli (1990) S. 53; Thürer ZBl 1986, 241, 249; Thürer ZBl 1988, 377, 384; Tonne (1997) S. 157 und 160; Weh EuGRZ 1988, 433, 434; Ziekow (1998) S. 22; Ziekow DÖV 1998, 941, 944. 287 EGMR Benthem/Niederlande 23. Oktober 1985 Az 1/1984/73/111 Série A Vol 97 Rn 35 = EuGRZ 1986, 299, 302 Rn 35; EGMR Feldbrugge/Niederlande 29. Mai 1986 Az 8/1984/80/127 Série A Vol 99 Rn 27 = EuGRZ 1988, 14, 16 Rn 27; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 61 = EuGRZ 1988, 20, 26 Rn 61; v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 134; Harries-Lehmann (2004) S. 181; Kley-Struller (1993) S. 47 f.; Mayer ZfV 1988, 473, 481; Mucha in: deSalvia/Villiger (1998) S. 133, 136; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art. 6 Rn 15; Schlette (1999) S. 21 Fn 12; Schmuckli (1990) S. 53; Wilfinger (1995) S. 146. 288 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 253; v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 134; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 296 und 300; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 15; Kley-Struller (1993) S. 19 und 48 und 51; Matscher EuGRZ 1981, 556, 557; Mayer ZfV 1988, 473, 477; Miehsler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 71; Mucha in: deSalvia/Villiger (1998) S. 133, 138; Protic´ (1973) S. 50; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 31; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 585; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 116; Schmuckli (1990) S. 54; Thürer ZBl 1986, 241, 249 und 252; Weh EuGRZ 1985, 469, 469; Wildhaber in: FS-Juristentag (1985) S. 469, 469; Wilfinger (1995) S. 145. 289 v. Dijk in: FS-Wiarda (1988), 131, 134; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 302; Frommel/ Füger StuW 1995, 58, 67; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 15; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1971; Mast in: Institut d’études européenne (1970) S. 111, 143 und 147; Meyer-Ladewig SGb 1990, 257, 258; Mucha in: deSalvia/Villi-

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ing instrument“ evolutiv-dynamischen Charakter hat.290 Aus der Präambel der EMRK geht hervor, dass diese nach dem Willen der Vertragspartner nicht nur darauf gerichtet ist, der „Wahrung“ des kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs festgelegten Schutzniveaus zu dienen, sondern auch die evolutiv-dynamische „Fortentwicklung“ der Menschenrechte und Grundfreiheiten bezweckt.291 Manche Eingriffe, die in den 1950er Jahren noch nicht als Verletzung der Menschenrechte angesehen wurden, stellen heute nach Überzeugung aller Mitgliedsstaaten eindeutige Menschenrechtsverletzungen dar. So hatte an der auf der britischen Kanalinsel Man üblichen gerichtlich angeordneten Prügelstrafe in den 1950er Jahren noch kaum jemand etwas auszusetzen, während diese 1978 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter großer Zustimmung fast aller Mitgliedsstaaten als klarer Verstoß gegen die Menschenrechte verboten wurde.292 Die EMRK als Vertrag mit normativem Inhalt ist daher nicht nur nach dem mutmaßlichen Willen der Verfasser, sondern auch im Lichte der in den demokratischen Gesellschaften der Vertragsstaaten heute vorherrschenden Bedingungen auszulegen.293 Das Prinzip der restriktiven Interpretation völkerrechtlicher Verpflichtungen294 findet daher auf die EMRK gerade keine Anwendung.295 ger (1998) S. 133, 138; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 29; Wilfinger (1995) S. 145. 290 EGMR Tyrer/Großbritannien 25. April 1978 Série A Vol 26 Rn 31 = EuGRZ 1979, 162; 164 Rn 31; Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 30 f. und 35; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 266; Cohen-Jonathan (1989) S. 400; v. Dijk in: FSWiarda (1988), 131, 131 f.; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 301; Frowein (1983) S. 20; Ganshof van der Meersch in: FS-Wiarda (1988) S. 201, 202 ff.; Harries-Lehmann (2004) S. 157; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197 f.; Kley-Struller (1993) S. 20; Leuprecht in: Matscher (1989) S. 1, 3; Machacek in: Pernthaler (1986) S. 43, 45 und 52; Mayer ZfV 1988, 473, 480; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Vorbemerkung; Oppermann (2005) S. 31; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 15; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 21; Rill in: FS-Winkler (1989) S. 13, 13; Schmuckli (1990) S. 54; Seibert in: FS-Hirsch (1981), 519, 520; Thürer ZBl 1986, 241, 248 und 253; Thürer ZBl 1988, 377, 381; Weh EuGRZ 1985, 469, 471; Widmaier ZBR 2002, 244, 245; Wildhaber (1979) S. 306; Wilfinger (1995) S. 146. 291 Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 31 und 35; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197 f.; Thürer ZBl 1988, 377, 400. 292 EGMR Tyrer/Großbritannien 25. April 1978 Série A Vol 26 Rn 35 = EuGRZ 1979, 162, 165 Rn 35; Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 30 f. 293 EGMR Wemhoff/Deutschland 27. Juni 1968 Az D 25/225 Série A Vol 7 Rn 8 = DVBl 1968, 968, 970 Rn 8; Bernhardt in: FS-Matscher (2005) S. 21, 31 und 35; Golsong GgE 3 (1971), 251, 257 f.; Ryssdal u. a. EuGRZ 1988, 30, 33; Thürer ZBl 1988, 377, 381 und 385; Wilfinger (1995) S. 146. 294 Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 406 Fn 40; Geck DVBl 1956, 525, 526; Golsong GgE 3 (1971), 251, 257; Partsch (1966) S. 144 Fn 450; Pieck (1966) S. 25 und 32; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 54 und 72; Schäffer JBl 1985, 502, 504. 295 EGMR Wemhoff/Deutschland 27. Juni 1968 Az D 25/225 Série A Vol 7 Rn 8 = DVBl 1968, 968, 970 Rn 8; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 406

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Das Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und evolutiv-dynamischer Konzeption der EMRK könnte dadurch gelöst werden, dass durch eine formell einwandfreie Auslegung ein Minimalstandard gesucht wird und dieser im Lichte neuer Gegebenheiten periodisch überprüft würde.296 Dieser Ansatz vermittelt jedoch nur eine scheinbare Rechtssicherheit, da sich der Rechtsanwender auch bei einer derartigen Konzeption nie sicher sein könnte, dass nicht gerade in seinem Fall eine periodisch erforderlich werdende Überprüfung ansteht. Daher ist verständlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem evolutiv-dynamischen Charakter der EMRK dadurch gerecht zu werden versucht, indem er eine exakte Definition vermeidet.297 Rechtsdogmatisch ist das Fehlen einer solchen Definition zwar äußerst unbefriedigend, rechtspolitisch ist die damit eröffnete Möglichkeit einer schrittweise weiteren Erstreckung der Konventionsgarantien bis an die Grenze des nach dem Wortlaut gerade noch vertretbaren jedoch durchaus zu begrüßen.298 g) Zusammenfassung Mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK existiert im deutschen Recht eine Vorschrift, die in der extensiven Auslegung, die sie durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefunden hat, den innerstaatlichen Gerichten für die meisten der von ihnen zu entscheidenden Streitigkeiten eine zügige Verfahrensführung und Entscheidung ausdrücklich und bindend vorschreibt, und die dem einzelnen Rechtsschutzsuchenden einen korrespondierenden Rechtsanspruch verleiht.299 Auszunehmen vom Anwendungsbereich des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK sind lediglich kirchenrechtliche und militärrechtliche Verfahren sowie Verfahren über politische Rechte. Darüber hinaus werden nach der derzeitigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch noch keine steuerrechtlichen Streitigkeiten erfasst, obwohl diese bei extensiver Auslegung der Konventionsgarantie durchaus dem Anwendungsbereich der Norm unterfallen könnten. Für die eingangs aufgeworfene Frage, ob Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf die Verfahren vor den deutschen Verfassungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten Anwendung findet, bedeutet dies, dass diese Norm – entgegen einiger anders lautender Urteile dieser Gerichte – vor ihnen grundsätzlich anwendbar ist und einen Anspruch auf Rechtsschutz gegen Fn 40; Golsong GgE 3 (1971), 251, 257; Herzog in: AöR 86 (1961), 194, 197 f.; Partsch (1966) S. 83; Thürer ZBl 1988, 377, 382 und 385; Wildhaber (1979) S. 305. 296 Schmuckli (1990) S. 60. 297 Thürer ZBl 1986, 241, 253. 298 Frommel/Füger StuW 1995, 58, 67; Harries-Lehmann (2004) S. 174 und 191; Matscher EuGRZ 1978, 421, 423; Rasenack HRJ 3 (1970), 51, 55; Scheuner in: Eide/ Schou (1968) S. 193, 202; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 585; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 116; Thürer ZBl 1986, 241, 253. 299 Schlette (1999) S. 23; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 433.

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überlange Verfahrensdauer gewährt. Nur steuerrechtliche Streitigkeiten vor den Finanzgerichten sind zurzeit noch vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen. Abstrakt lässt sich ohnehin nicht bestimmen, wo genau die Grenze zwischen der Anwendbarkeit und Nichtanwendbarkeit des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu ziehen ist. Letztendlich trifft die Entscheidung darüber allein der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.300 Um es polemisch auszudrücken, sind „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ genau das, was der Gerichtshof als solche ansieht („civil rights are what the court thinks they are“).301 3. Zu berücksichtigender Zeitraum für die Berechnung der Verfahrensdauer Der für die Berechnung der Verfahrensdauer zu berücksichtigende Zeitraum beginnt in Verfahren über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ in der Regel erst mit Klageerhebung oder Antragstellung, bei Verfahren über strafrechtliche Anklagen jedoch angesichts der bereits dann eintretenden psychischen Belastung des Beschuldigten, wenn ihm der Tatvorwurf seitens der Behörde offiziell mitgeteilt wird oder wenn er von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Kenntnis erlangt.302 Ist Gegenstand eines Verfahrens vor einem Verfassungs-, Verwaltungs-, Sozial- oder Finanzgericht ein Verwaltungsverfah300

Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 867; Wilfinger (1995) S. 147. Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 867; Weh EuGRZ 1988, 433, 446; Wilfinger (1995) S. 147. 302 EGMR Wemhoff/Deutschland 27. Juni 1968 Az D 25/225 Série A Vol 7 Rn 19 = DVBl 1968, 968, 971 Rn 19; EGMR Eckle/Deutschland 15. Juli 1982 Série A Vol 51 = EuGRZ 1983, 317, 317 ff.; EGMR Foti und andere/Italien 10. Dezember 1982 Az 4/1981/43/68 bis 71 Série A Vol 56 Rn 52 = EuGRZ 1985, 578, 580 f. Rn 52; EGMR Guincho/Portugal 10. Juli 1984 Az 6/1983/62/96 Série A Vol 81 Rn 29 = EuGRZ 1985, 637, 639 Rn 29; OLG Koblenz (1. Senat) 13. Oktober 1971 Az 1 Ws 34/71 NJW 1972, 404, 405; OLG Düsseldorf (3. Senat) 29. Dezember 1994 Az 3 Ws 684-686/94 StV 1995, 400, 401; LG Bad Kreuznach 22. Juni 1992 Az 7 Js 8677/87 Kls NJW 1993, 1725, 1726; Andriantsimbazovina RFDA 1997, 1246, 1251; CohenJonathan (1989) S. 419 ff.; Demko HRRS 2005, 283, 284 f. und 288; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 329; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 210; Ercman (1981) S. 140 und 142; Fawcett (1987) S. 167; Frowein (1983) S. 18 Fn 56; Gaede wistra 2004, 166, 168; Grabenwarter (2003) S. 360; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 186; Jacobs (1975) S. 107 ff.; Kopetzki ZaöRV 42 (1982), 1, 6 f.; Kühne StV 2001, 529, 529; Küng-Hofer (1984) S. 83; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 33; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 366; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 72 und 76; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 312 ff.; Niesler (2005) S. 113 f.; Oppermann (2005) S. 42; Partsch (1966) S. 156 f.; Peukert EuGRZ 1979, 261, 269 f.; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 137 f.; Protic´ (1973) S. 57; Raymond HRJ 3 (1970), 289, 302; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 208; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 476 f.; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 374 f.; Ulsamer in: FSZeidler (1987) S. 1799, 1806 und 1813; Velu/Ergec (1990) S. 439 f.; Wilfinger (1995) S. 150. 301

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ren, das aufgrund eines Antrags eingeleitet wird, so ist für den Beginn der Gesamtverfahrensdauer die Antragstellung maßgeblich.303 Bei einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren hingegen liegt eine Streitigkeit erst ab dem Zeitpunkt vor, in dem Einwendungen erhoben oder Anträge gestellt werden.304 Die Dauer eines eventuell durchzuführenden verwaltungsinternen Vorverfahrens (Widerspruchsverfahren) ist zu berücksichtigen, weil dieses eine notwendige Voraussetzung für die Anrufung des Gerichts ist.305 Der zu berücksichtigende Zeitraum endet mit der endgültigen Entscheidung, also in der Regel mit Rechtskraft der letztinstanzlichen Entscheidung.306 Die Durchführung eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens über die letztinstanzliche Entscheidung verlängert die zu berücksichtigende Frist grundsätzlich nicht, da das Bundesverfassungsgericht nicht als eine Art Superrevisionsinstanz erneut über die Begründetheit entscheidet, sondern nur darüber, ob das vorangegangene Verfahren verfassungskonform war.307 Stellt die Verfassungsbeschwerde jedoch – wie in den weitaus meisten Fällen – den materiellrechtlichen Gehalt 303 304

Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 476. Niesler (2005) S. 113 f.; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473,

476. 305 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 98 = EuGRZ 1978, 406, 417 Rn 98; Cohen-Jonathan (1989) S. 420; Dörr (2003) S. 54; Grabenwarter (2003) S. 360; Harries-Lehmann (2004) S. 211; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 366; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 74; Meyer-Ladewig SGb 2006, 559, 560 Fn 11; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 312; Niesler (2005) S. 113 f.; Peukert EuGRZ 1979, 261, 269; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 137; Schlette (1999) S. 34 f.; Schmuckli (1990) S. 100; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 208 Fn 9; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 436; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 476; Wilfinger (1995) S. 151. 306 EGMR Guincho/Portugal 10. Juli 1984 Az 6/1983/62/96 Série A Vol 81 Rn 29 = EuGRZ 1985, 637, 639 Rn 29; OLG Koblenz (1. Senat) 13. Oktober 1971 Az 1 Ws 34/71 NJW 1972, 404, 405; OLG Düsseldorf (3. Senat) 29. Dezember 1994 Az 3 Ws 684–686/94 StV 1995, 400, 401; LG Krefeld 18. Mai 1971 Az 6 c StK 8/67 JZ 1971, 733, 734; LG Bad Kreuznach 22. Juni 1992 Az 7 Js 8677/87 Kls NJW 1993, 1725, 1726; Cohen-Jonathan (1989) S. 422; Demko HRRS 2005, 283, 285 und 288 f.; v. Dijk/v. Hoof (1990) S. 330; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 210; Ercman (1981) S. 142; Fawcett (1987) S. 167; Gaede wistra 2004, 166, 168; Grabenwarter (2003) S. 360; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 186; Jacobs (1975) S. 108 ff.; Kühne StV 2001, 529, 529 f.; Küng-Hofer (1984) S. 83; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 33; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 367; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 72; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 314; Niesler (2005) S. 114; Oppermann (2005) S. 42; Peukert EuGRZ 1979, 261, 271; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 140; Schmuckli (1990) S. 100; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 208; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 436; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 478; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 375; Velu/Ergec (1990) S. 440 f.; Wilfinger (1995) S. 151. 307 Kühne StV 2001, 529, 529 f.; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 369; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 314; Peukert EuGRZ 1979, 261, 271; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 142; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 436; Wilfinger (1995) S. 151.

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der angegriffenen Entscheidung selbst in Frage und wirkt sie sich damit auf die Sachentscheidung unmittelbar aus, dann ist nicht nur der fachgerichtliche Instanzenzug zu berücksichtigen, sondern auch die Dauer einer sich an den Instanzenzug anschließenden Verfassungsbeschwerde oder eines eventuellen verfassungsrechtlichen Zwischenverfahrens, wie die Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht.308 Bei der Berechnung der Gesamtverfahrensdauer sind somit alle Verfahrensschritte von staatlichen Organen zu berücksichtigen, die sich auf die Sachentscheidung unmittelbar auswirken, ohne dass es darauf ankommt, ob das handelnde Organ selbst in der Sache entschieden hat.309 4. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit Der Begriff der Angemessenheit ist ein Paradebeispiel für einen unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen rechtlichen Maßstab.310 Als problematisch erweist sich insbesondere, dass ein Gegensatz zwischen dem wenig konturierten Begriff der Angemessenheit und der in der Regel absolut exakt bestimmbaren Verfahrensdauer besteht.311 Bei der Subsumtion unter den Begriff „angemessen“ kann kein vermittelnder Zwischenweg gewählt werden, sondern es muss eine Entscheidung fallen, ob die Verfahrensdauer angemessen oder unangemessen ist. Hier offenbart sich ein Problem, das immer dann auftritt, wenn unbestimmte rechtliche Maßstäbe in ganz konkrete zahlenmäßige Werte umzusetzen sind.312 Bestimmte Zeitgrenzen, deren Überschreitung ohne weiteres zu einer Verletzung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK führt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht festgelegt.313 Auch eine lange Verfahrensdauer kann unter Umständen noch angemessen sein, ebenso wie eine absolut gesehen kurz-

308 EGMR Probstmeier/Deutschland 1. Juli 1997 Az 125/1996/744/943 NJW 1997, 2809, 2810 Rn 54; Dörr (2003) S. 54; Gaede wistra 2004, 166, 168; Grabenwarter (2003) S. 360; Harries-Lehmann (2004) S. 211; Kühne StV 2001, 529, 530; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 369; Niesler (2005) S. 114; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 26; Schlette (1999) S. 34; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 436; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 479; Wilfinger (1995) S. 151 f. 309 Thienel ÖJZ 1993, 473, 479. 310 Niesler (2005) S. 92 f.; Schlette (1999) S. 28. 311 Schlette (1999) S. 28; Thienel ÖJZ 1993, 473, 474. 312 Niesler (2005) S. 93; Schlette (1999) S. 28. 313 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 10; Gaede wistra 2004, 166, 169; Grabenwarter (2003) S. 361; Harries-Lehmann (2004) S. 211; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 357; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 317; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1033; Oppermann (2005) S. 42; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 144; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 209; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 436; Tonne (1997) S. 176.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

fristige Entscheidung schon unangemessen lang gedauert haben kann.314 Wie lang ein ordnungsgemäß geführtes Verfahren dauern darf, lässt sich nicht generell bestimmen.315 Selbst eine langjährige Verfahrensdauer führt daher nicht automatisch zur Verletzung der Konvention.316 Allerdings hat ein extrem langer Zeitraum die Vermutung einer Konventionsverletzung für sich, die dann von der jeweiligen Regierung entkräftet werden muss.317 Die Angemessenheit der Verfahrensdauer darf nicht „in abstracto“, sondern muss nach den besonderen Umständen des Einzelfalls („particular circumstances of the case“/„toutes les circonstances de la cause“) beurteilt werden.318 314 Graßhof Anhang IX (2005) S. 364; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 440; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Tonne (1997) S. 176. 315 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 10; Graßhof Anhang IX (2005) S. 364; Klose NJ 2004, 241, 244; Tonne (1997) S. 176. 316 Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 357; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 317; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 144; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 209; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 440; Tonne (1997) S. 176. 317 EGMR Eckle/Deutschland 15. Juli 1982 Série A Vol 51 Rn 80 = EuGRZ 1983, 371, 380 Rn 80; EGMR Obermeier/Österreich 28. Juni 1990 Az 6/1989/166/222 Série A Vol 179 Rn 72 = EuGRZ 1990, 209, 211 Rn 72; Gaede wistra 2004, 166, 169; Harries-Lehmann (2004) S. 217; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 357; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 317; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 144; Schlette (1999) S. 38; Tonne (1997) S. 176. 318 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 99 = EuGRZ 1978, 406, 417 Rn 99; EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 49 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 49; EGMR Eckle/Deutschland 15. Juli 1982 EuGRZ 1983, 371, 380 Rn 80; EGMR Guincho/Portugal 10. Juli 1984 Az 6/ 1983/62/96 Série A Vol 81 Rn 31 = EuGRZ 1985, 637, 639 Rn 31; EGMR Pammel/ Deutschland 1. Juli 1997 Az 48/1996/667/853 EuGRZ 1997, 310, 315 Rn 60; EGMR Probstmeier/Deutschland 1. Juli 1997 Az 125/1996/744/943 NJW 1997, 2809, 2810 Rn 55; EGMR Gast und Popp/Deutschland 25. Februar 2000 Az 29357/95 NJW 2001, 211, 212 Rn 70; EGMR Klein/Deutschland 27. Juli 2000 Az 33379/96 NJW 2001, 213, 213 Rn 36; EGMR Metzger/Deutschland 31. Mai 2001 Az 37591/97 NJW 2002, 2856, 2857 Rn 36; EGMR Becker/Deutschland 26. September 2002 Az 45448/ 99 EuGRZ 2003, 26, 27 Rn 20; EGMR Henning/Österreich 2. Oktober 2003 Az 41444/98 wistra 2004, 177, 178; Antonopoulos (1967) S. 141; Bölhof (2001) S. 215; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Cohen-Jonathan (1989) S. 423; Cohen-Jonathan (1996) S. 80; Demko HRRS 2005, 283, 286 und 289 und 292; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dörr in: Sodan/Ziekow (2006) EVR Rn 297; Dörr (2003) S. 54; Grabenwarter (2003) S. 361; Guradze (1968) Art 6 Rn 20; Harries-Lehmann (2004) S. 211; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 186; Junod (1968) S. 46; Klose NJ 2004, 241, 242; Küng-Hofer (1984) S. 80; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; List DB 2005, 571, 571; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 32; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 356; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 77; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 309 und 318; Murswiek JuS 1980, 59, 59; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1033; Ostendorf/Radke JZ 2001, 1094, 1094; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art. 6 Rn 15 und 144; Pieck (1966) S. 83; Picard in: Sudre (1994) S. 217, 280; Prantl in: SZ vom 2. Juli 1997 S. 1; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 292; Protic´ (1973) S. 54; Ress in: FSMüller-Dietz (2001) S. 627, 637; Schlette REDP 8 (1996), 493, 503; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Schmuckli

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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Bei der einzelfallbezogenen Betrachtung stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vordergründig lediglich auf drei Kriterien ab.319 Eine gründliche Analyse der Rechtsprechung, die nicht allein auf die vom Gerichtshof standardmäßig verwendeten Floskeln abstellt, fördert jedoch eine weiter differenzierte Einteilung mit mindestens vier Kriterien zutage.320 Der Gerichtshof selbst weist auf den nicht abschließenden Charakter der drei Merkmale hin, indem er stets ausführt, es käme „insbesondere“ auf die genannten Kriterien an.321 a) Komplexität der Sache Die Komplexität des jeweiligen Falls („complexity of the case“/„complexité de la cause“)322 hängt von der Rechtslage und von dem zugrundeliegenden (1990) S. 100; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 209; Schorn (1965) S. 214; Sölla FoInt 1996, 157, 158; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 436; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Tonne (1997) S. 173; Vasak (1964) S. 24; Wilfinger (1995) S. 154; Ziekow DÖV 1998, 941, 944; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 319 Demko HRRS 2005, 283, 292; Schlette (1999) S. 28 und 33 Fn 76; Tonne (1997) S. 174; Wilfinger (1995) S. 157. 320 Demko HRRS 2005, 283, 292; Gaede wistra 2004, 166, 169; Grabenwarter (2003) S. 360; Niesler (2005) S. 113; Schlette (1999) S. 33 f. Fn 76. 321 Demko HRRS 2005, 283, 286; Gaede wistra 2004, 166, 169 Fn 52; Schlette (1999) S. 34. 322 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 99 = EuGRZ 1978, 406, 417 Rn 99; EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 49 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 49; EGMR Eckle/Deutschland 15. Juli 1982 EuGRZ 1983, 371, 380 Rn 80; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 79 = EuGRZ 1988, 20, 28 Rn 79; EGMR Probstmeier/Deutschland 1. Juli 1997 Az 125/1996/744/943 NJW 1997, 2809, 2810 Rn 55; EGMR Pammel/Deutschland 1. Juli 1997 Az 48/1996/667/853 EuGRZ 1997, 310, 315 Rn 60; EGMR Gast und Popp/Deutschland 25. Februar 2000 Az 29357/95 NJW 2001, 211, 212 Rn 70; EGMR Klein/Deutschland 27. Juli 2000 Az 33379/96 NJW 2001, 213, 213 Rn 36; EGMR Metzger/Deutschland 31. Mai 2001 Az 37591/97 NJW 2002, 2856, 2857 Rn 36; EGMR Becker/Deutschland 26. September 2002 Az 45448/99 EuGRZ 2003, 26, 27 Rn 20; EGMR Henning/Österreich 2. Oktober 2003 Az 41444/98 wistra 2004, 177, 178; Antonopoulos (1967) S. 141; Berger (1994) S. 190; Bölhof (2001) S. 215; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Britz NVwZ 2004, 173, 174; Castberg (1971) S. 116; Cohen-Jonathan (1989) S. 424; Cohen-Jonathan (1996) S. 80; Demko HRRS 2005, 283, 286; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Ercman (1981) S. 140; Fawcett (1987) S. 169; Gaede wistra 2004, 166, 169; Grabenwarter (2003) S. 361; Harries-Lehmann (2004) S. 213; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 186; Junod (1968) S. 46; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Klose NJ 2004, 241, 242; Kühne StV 2001, 529, 530; Küng-Hofer (1984) S. 80; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 32; Matscher FS-Fasching (1988) S. 351, 357 f.; Matscher EuGRZ 1993, 449, 450; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 77; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 310 und 319 ff.; Murswiek JuS 1980, 59, 59; Nanços RPS 100 (1983), 384, 388; Nedjati (1978) S. 120 f.; Niesler (2005) S. 118; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1033; Ostendorf/Radke JZ 2001, 1094, 1094; Partsch (1966)

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Sachverhalt ab. Auch eine überdurchschnittliche oder sogar außerordentliche Verfahrensdauer kann durch die Schwierigkeit des Falls gerechtfertigt sein.323 Diese Schwierigkeit kann allein im Umfang oder in der Art des zu klärenden Sachverhalts oder in einer Verbindung mit Rechtsfragen liegen.324 Als besonders komplex sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beispielsweise an: eine große Anzahl von Beteiligten;325 die Lösung schwieriger Rechtsfragen, bei denen sich das Gericht nicht auf eine ständige Rechtsprechung berufen kann;326 das Erfordernis, Auskünfte über anzuwendendes ausländisches Recht einzuholen;327 sowie ein zur Klärung des Sachverhalts erforderliches umfangreiches Beweisverfahren.328

S. 156 Fn 504; Peters JR 1978, 247, 247; Peukert EuGRZ 1979, 261, 271; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 145; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 619; Pieck (1966) S. 83; Protic´ (1973) S. 54; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 293; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 637 und 642; deSalvia (1998) Art 6 Rn 386 und 417; Scheffler (1991) S. 109; Schlette REDP 8 (1996), 493, 503; Schlette (1999) S. 34 und 37 f.; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110; Schmuckli (1990) S. 100 f.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59 f.; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 209; Sölla FoInt 1996, 157, 158; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 437; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481; Tonne (1997) S. 174; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 378; Vasak (1964) S. 24 f.; Velu/Ergec (1990) S. 443 ff.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 27; Wiebringhaus (1959) S. 85; Wilfinger (1995) S. 158 f.; Ziekow DÖV 1998, 941, 944; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 323 Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 319; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59. 324 Demko HRRS 2005, 283, 286; Harries-Lehmann (2004) S. 213; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 319; Niesler (2005) S. 118; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 437; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481; Tonne (1997) S. 174. 325 EGMR Erkner und Hofauer/Österreich 23. April 1987 Az 16/1986/114/162 Série A Vol 117 Rn 67; EGMR Poiss/Österreich 23. April 1987 Az 17/1986/115/163 Série A Vol 117 Rn 56 = NJW 1989, 650, 650 Rn 56; Gaede wistra 2004, 166, 169; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 357; Niesler (2005) S. 119; Schlette (1999) S. 37; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 437; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481. 326 EGMR Pretto und andere/Italien 8. Dezember 1983 Az 3/1982/49/78 Série A Vol 71 = EuGRZ 1985, 548, 551 Rn 32; Harries-Lehmann (2004) S. 213; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 357; Niesler (2005) S. 118; Schlette (1999) S. 38; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 437; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481. 327 Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 357 f.; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 77; Niesler (2005) S. 118; Schlette (1999) S. 38; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481. 328 Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 358; Niesler (2005) S. 118; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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b) Verhalten des Beschwerdeführers Das Verhalten des Beschwerdeführers („conduct of the applicant“/„comportement du réquerant“)329 wird bei der Berechnung des maßgeblichen Zeitraums insoweit berücksichtigt, als Verfahrensverzögerungen, für die der Beschwerdeführer ursächlich war oder die in dessen Bereich eingetreten sind, diesem angerechnet werden und daher aus der Verfahrensdauer herausgerechnet werden.330 329 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 99 = EuGRZ 1978, 406, 417 Rn 99; EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 49 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 49; EGMR Eckle/Deutschland 15. Juli 1982 EuGRZ 1983, 371, 380 Rn 80; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 80 = EuGRZ 1988, 20, 28 Rn 80; EGMR Probstmeier/Deutschland 1. Juli 1997 Az 125/1996/744/943 NJW 1997, 2809, 2810 Rn 55; EGMR Pammel/Deutschland 1. Juli 1997 Az 48/1996/667/853 EuGRZ 1997, 310, 315 Rn 60; EGMR Gast und Popp/Deutschland 25. Februar 2000 Az 29357/95 NJW 2001, 211, 212 Rn 70; EGMR Klein/Deutschland 27. Juli 2000 Az 33379/96 NJW 2001, 213, 213 Rn 36; EGMR Metzger/Deutschland 31. Mai 2001 Az 37591/97 NJW 2002, 2856, 2857 Rn 36; EGMR Becker/Deutschland 26. September 2002 Az 45448/99 EuGRZ 2003, 26, 27 Rn 20; EGMR Henning/Österreich 2. Oktober 2003 Az 41444/98 wistra 2004, 177, 178; Berger (1994) S. 190; Bölhof (2001) S. 215; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Britz NVwZ 2004, 173, 174; Cohen-Jonathan (1989) S. 424; Cohen-Jonathan (1996) S. 80; Demko HRRS 2005, 283, 287; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 211 f.; Ercman (1981) S. 140; Fawcett (1987) S. 169; Gaede wistra 2004, 166, 169; Grabenwarter (2003) S. 361; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 186; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Klose NJ 2004, 241, 242; Kühne StV 2001, 529, 530; Küng-Hofer (1984) S. 80; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 32; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 358 ff.; Matscher EuGRZ 1993, 449, 450; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 78; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 310 und 322 f.; Murswiek JuS 1980, 59, 59; Nedjati (1978) S. 120 und 122 f.; Niesler (2005) S. 118; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1033; Ostendorf/Radke JZ 2001, 1094, 1094; Partsch (1966) S. 156 Fn 504; Peters JR 1978, 247, 247; Peukert EuGRZ 1979, 261, 271; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 151; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 619; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 293; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 637 und 642 ff.; Scheffler (1991) S. 109; Schlette REDP 8 (1996), 493, 503; Schlette (1999) S. 34; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110 f.; Schmuckli (1990) S. 100 ff.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59 ff.; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 209; Sölla FoInt 1996, 157, 158; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 438; Stöcker DStZ 1989, 367, 369 f.; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481 ff.; Tonne (1997) S. 174 ff.; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 378; Velu/Ergec (1990) S. 445 f.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 27; Wiebringhaus (1959) S. 85; Wilfinger (1995) S. 167 ff.; Ziekow DÖV 1998, 941, 944; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 330 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 105 = EuGRZ 1978, 406, 419 Rn 105; Oberstes Landesgericht Bayern (5. Senat) 12. Dezember 2002 Az 5 StR 301/2002 NStZ-RR 2003, 119, 120; Gaede wistra 2004, 166, 169; Harries-Lehmann (2004) S. 215; Kühne StV 2001, 529, 530; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 358 f. und 366; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 151; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 294; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 208 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 438; Stöcker DStZ 1989, 367, 369; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Tonne (1997) S. 176; Wilfinger (1995) S. 167.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

Dadurch findet der Umstand Berücksichtigung, in welchem Maße die Verfahrensverzögerungen vom beklagten Staat oder vom Kläger zu verantworten sind.331 Nur Verzögerungen, die dem Staat zuzurechnen sind, rechtfertigen die etwaige Feststellung, dass den Erfordernissen der angemessenen Frist nicht entsprochen worden ist.332 Bei der Fristberechnung nicht zu berücksichtigen sind daher zum Beispiel Verfahrensverzögerungen durch Anträge des Beschwerdeführers auf Fristverlängerung333 oder Ruhenlassen des Verfahrens,334 Erkrankungen des Beschwerdeführers,335 verspätetes Vorbringen336 und häufiger Anwaltswechsel.337 Dabei ist es gleichgültig, ob die Ursachen für die Verfahrensverzögerungen in objektiven, vom Beschwerdeführer nicht zu beeinflussenden Umständen, wie beispielsweise einer Erkrankung, liegen, ob die Verzögerungen prozesstaktisch motiviert sind oder schlicht auf ungeschickter Prozessführung beruhen.338 Handlungen und Fehler seines Anwalts sind dem Beschwerdeführer zuzurechnen.339 Von anderen Beteiligten verursachte Verfahrensverzögerungen sind hingegen dem Gericht zuzurechnen, wenn dieses nicht mit den vorgesehe331 Oberstes Landesgericht Bayern (5. Senat) 12. Dezember 2002 Az 5 StR 301/ 2002 NStZ-RR 2003, 119, 120; Castberg (1971) S. 116; Gaede wistra 2004, 166, 169 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 215; Kühne StV 2001, 529, 530; Matscher in: FSFasching (1988) S. 351, 366; Niesler (2005) S. 122; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 151; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 294; Schlette (1999) S. 34 und 36 f.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60 und 63; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 208 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 438; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482. 332 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 49 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 49; Oberstes Landesgericht Bayern (5. Senat) 12. Dezember 2002 Az 5 StR 301/2002 NStZ-RR 2003, 119, 120; Dörr (2003) S. 54; Harries-Lehmann (2004) S. 215 f.; Kühne StV 2001, 529, 530; Matscher ÖZöRV 31 (1980), 1, 32; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 366; Niesler (2005) S. 122; Peukert in: Frowein/ Peukert (1996) Art 6 Rn 151; Schlette (1999) S. 34 und 36 f.; Schmuckli (1990) S. 100 f.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60 und 63; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 208; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Tonne (1997) S. 173. 333 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 80 und 84 = EuGRZ 1988, 20, 28 f. Rn 80 und 84; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Niesler (2005) S. 119; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482. 334 Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Niesler (2005) S. 119; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Wilfinger (1995) S. 167. 335 Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483. 336 Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Niesler (2005) S. 119; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483. 337 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 103 = EuGRZ 1978, 406, 418 Rn 103; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Niesler (2005) S. 119; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 438; Stöcker DStZ 1989, 367, 370; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Tonne (1997) S. 177; Wilfinger (1995) S. 167. 338 Harries-Lehmann (2004) S. 216; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Stöcker DStZ 1989, 367, 370; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483; Wilfinger (1995) S. 168.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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nen Mitteln gegen diese eingeschritten ist.340 Nicht angelastet werden darf dem Beschwerdeführer die Ausschöpfung aller vom Prozessrecht vorgesehenen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe einschließlich der vollen Ausnutzung der Rechtsmittelfristen.341 c) Verhalten der Behörden und Gerichte Bezüglich des Verhaltens der zuständigen Behörden und Gerichte („conduct of the competent authorities“/„comportement des autorités compétentes“)342 ist 339 Gaede wistra 2004, 166, 170; Küng-Hofer (1984) S. 80; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 151; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482. 340 Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 359; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Wilfinger (1995) S. 169. 341 EGMR Pretto und andere/Italien 8. Dezember 1983 Az 3/1982/49/78 Série A Vol 71 Rn 34 = EuGRZ 1985, 548, 551 Rn 34; EGMR Poiss/Österreich 23. April 1987 Az 17/1986/115/163 Série A Vol 117 Rn 57 = NJW 1989, 650, 650 Rn 57; Demko HRRS 2005, 283, 287; Grabenwarter (2003) S. 361; Küng-Hofer (1984) S. 80; Matscher in: FS-Fasching (1988), 351, 360; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 78; Niesler (2005) S. 119; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 151; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 60; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 438; Stöcker DStZ 1989, 367, 370; Thienel ÖJZ 1993, 473, 482; Wilfinger (1995) S. 151 und 168. 342 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 99 = EuGRZ 1978, 406, 417 Rn 99; EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 49 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 49; EGMR Eckle/Deutschland 15. Juli 1982 EuGRZ 1983, 371, 380 Rn 80; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 81 ff. = EuGRZ 1988, 20, 29 f. Rn 81 ff.; EGMR Probstmeier/Deutschland 1. Juli 1997 Az 125/1996/744/943 NJW 1997, 2809, 2810 Rn 55; EGMR Pammel/Deutschland 1. Juli 1997 Az 48/1996/667/853 EuGRZ 1997, 310, 315 Rn 60; EGMR Gast und Popp/Deutschland 25. Februar 2000 Az 29357/95 NJW 2001, 211, 212 Rn 70; EGMR Klein/Deutschland 27. Juli 2000 Az 33379/96 NJW 2001, 213, 213 Rn 36; EGMR Metzger/Deutschland 31. Mai 2001 Az 37591/97 NJW 2002, 2856, 2857 Rn 36; EGMR Becker/Deutschland 26. September 2002 Az 45448/99 EuGRZ 2003, 26, 27 Rn 20; EGMR Henning/Österreich 2. Oktober 2003 Az 41444/98 wistra 2004, 177, 178; Berger (1994) S. 190; Bölhof (2001) S. 215; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Britz NVwZ 2004, 173, 174; Castberg (1971) S. 116; Cohen-Jonathan (1989) S. 425; Cohen-Jonathan (1996) S. 80; Demko HRRS 2005, 283, 286; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dugrip/Sudre RFDA 6 (1990), 203, 212 ff.; Ercman (1981) S. 140; Fawcett (1987) S. 169; Gaede wistra 2004, 166, 170; Grabenwarter (2003) S. 361; Henckel in: FSMatscher (1993) S. 185, 186; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Klose NJ 2004, 241, 242; Kühne StV 2001, 529, 530; Küng-Hofer (1984) S. 80; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 360 ff.; Matscher EuGRZ 1993, 449, 450; Meyer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 79; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 310 und 324 ff.; Murswiek JuS 1980, 59, 59; Nedjati (1978) S. 120 ff.; Niesler (2005) S. 120 ff.; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1033; Ostendorf/Radke JZ 2001, 1094, 1094; Partsch (1966) S. 156 Fn 504; Peters JR 1978, 247, 247; Peukert EuGRZ 1979, 261, 271; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 146 f.; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 619; Priebe in: FSv. Simson (1983) S. 287, 293; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 637 und 642 ff.; Scheffler (1991) S. 109; Schlette REDP 8 (1996), 493, 503; Schlette (1999)

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzuhalten, dass der Staat verpflichtet ist, sein Rechtssystem so zu organisieren, dass eine Entscheidung in angemessener Frist gewährleistet ist.343 Daraus folgt auch, dass die Vertragsstaaten der EMRK dazu verpflichtet sind, ihre Gerichte hinreichend auszustatten.344 Eine Überlastung der Gerichte befreit nur dann von den Verpflichtungen des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wenn sie nicht chronisch, also nicht dauerhafter Natur ist, sondern nur vorübergehend aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse besteht und der Staat rasche und effiziente Abhilfe gegen diese Überlastung schafft.345 Das Bemühen des Verfahrensgesetzgebers, die Rechtsgarantien des Einzelnen durch eine Vielzahl von Rechtsmittelmöglichkeiten zu verstärken, darf nicht zu einer den Anspruch auf zügige Verfahrensdurchführung gefährdenden Unübersichtlichkeit und SchwerS. 34; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 110 f.; Schmuckli (1990) S. 100 ff.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59 und 61 ff.; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 210; Sölla FoInt 1996, 157, 158; Thienel ÖJZ 1993, 473, 481 ff.; Tonne (1997) S. 174 ff.; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 378; Velu/ Ergec (1990) S. 446 ff.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 27; Wilfinger (1995) S. 160 ff.; Ziekow DÖV 1998, 941, 944; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 343 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 = EuGRZ 1981, 490, 490 ff.; EGMR Zimmermann und Steiner/Schweiz 13. Juli 1983 Série A Vol 66 Rn 29 = EuGRZ 1983, 482, 483 Rn 29; EGMR Guincho/Portugal 10. Juli 1984 Az 6/1983/ 62/96 Série A Vol 81 Rn 38 = EuGRZ 1985, 637, 640 Rn 40; EGMR Löffler/Österreich 3. Oktober 2000 Az 30546/96 ÖJZ 2001, 234, 234 Rn 21; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 3 f.; Gaede wistra 2004, 166, 170; Grabenwarter (2003) S. 362; Harries-Lehmann (2004) S. 209; Klose NJ 2004, 241, 242; Kühne StV 2001, 529, 534 f.; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970; Matscher in: FSFasching (1988) S. 351, 364; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 79; Niesler (2005) S. 120; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 146; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 294; Schmuckli (1990) S. 101; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 61; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 457; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483; Tonne (1997) S. 175. 344 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 50 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 50; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 3 f.; Dörr (2003) S. 54; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 186; Kley-Struller (1993) S. 92; Klose NJ 2004, 241, 242; Kopp BayVBl 1980, 263, 268 Fn 39; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 364; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 79; Niesler (2005) S. 120; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 62; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 457; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. 345 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 51 = EuGRZ 1981, 490, 494 Rn 51; EGMR Zimmermann und Steiner/Schweiz 13. Juli 1983 Série A Vol 66 Rn 29 = EuGRZ 1983, 482, 483 Rn 29; EGMR Guincho/Portugal 10. Juli 1984 Az 6/1983/62/96 Série A Vol 81 Rn 40 = EuGRZ 1985, 637, 641 Rn 40; EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 Rn 82 = EuGRZ 1988, 20, 29 Rn 82; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 7; Gaede wistra 2004, 166, 170; Grabenwarter (2003) S. 362; Klose NJ 2004, 241, 242; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1972; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 364; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 79; Niesler (2005) S. 120; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 210 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 457; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483; Ziekow (1998) S. 23.

II. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

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fälligkeit des Verfahrens führen.346 Als dem Staat zurechenbare Verfahrensverzögerungen werden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beispielsweise angesehen: Zeitverlust bei der Versendung von Gerichtsakten347 und bei der Bestellung von Sachverständigen,348 Verzögerungen bei der Entscheidungsausfertigung349 und die Gewährung zu langer Fristen und wiederholter Fristverlängerungen.350 d) Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer und Eilbedürftigkeit Eine besondere Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer351 und damit eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache352 sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Beispiel als gegeben an bei arbeitsrechtlichen Streitig346 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 100 = EuGRZ 1978, 406, 417 Rn 100; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 358; Niesler (2005) S. 121; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 147; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 61; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483; Tonne (1997) S. 175; Wilfinger (1995) S. 158 f. 347 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 110 = EuGRZ 1978, 406, 419 Rn 110; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 362; Niesler (2005) S. 122; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 61; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485; Wilfinger (1995) S. 160. 348 EGMR Capuano/Italien 25. Juni 1987 Az 7/1986/105/153 Série A Vol 119 Rn 30; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 362; Niesler (2005) S. 122; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 62; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485; Wilfinger (1995) S. 160. 349 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 60 = EuGRZ 1981, 490, 496 Rn 60; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 362; Niesler (2005) S. 122; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 62; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485. 350 Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 362; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 61; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485. 351 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 111 = EuGRZ 1978, 406, 420 Rn 111; EGMR Gast und Popp/Deutschland 25. Februar 2000 Az 29357/95 NJW 2001, 211, 212 Rn 70; EGMR Klein/Deutschland 27. Juli 2000 Az 33379/96 NJW 2001, 213, 213 Rn 36; EGMR Henning/Österreich 2. Oktober 2003 Az 41444/98 wistra 2004, 177, 178; Bölhof (2001) S. 215; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Britz NVwZ 2004, 173, 174; Demko HRRS 2005, 283, 287 und 289; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Gaede wistra 2004, 166, 169; Grabenwarter (2003) S. 360 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 215; Henckel in: FSMatscher (1993) S. 185, 186; Klose NJ 2004, 241, 242; Kühne StV 2001, 529, 530; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 365 f.; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 80; Miehsler/Vogler in: IntKommEMRK (1986) Art 6 Rn 310; Niesler (2005) S. 123; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1033; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 152; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 295; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 645; Schlette (1999) S. 34 ff.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 59 und 63; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 210; Sölla FoInt 1996, 157, 158; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 439; Stöcker DStZ 1989, 367, 370; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485 f.; Wilfinger (1995) S. 171; Ziekow DÖV 1998, 941, 945; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 352 Bölhof (2001) S. 215; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Harries-Lehmann (2004) S. 214; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 152; Ress in: FS-MüllerDietz (2001) S. 627, 645; Schlette (1999) S. 34 f.; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63; Thie-

228

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

keiten,353 Verfahren über den Entzug einer Berufsberechtigung,354 Sozialversicherungsangelegenheiten,355 Adoptions- und Sorgerechtsstreitigkeiten356 und Verfahren, in denen dem schwer erkrankten oder betagten Kläger nur noch eine kurze Lebensspanne verbleibt.357 Je größer die Bedeutung der Sache für den Kläger ist, desto zügiger muß entschieden werden.358 e) Gesamtwürdigung der verschiedenen Umstände Abschließend würdigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die verschiedenen Umstände mittels einer umfassenden Gesamtbewertung.359 Ein Verschulden des Beschwerdeführers reicht nicht aus, um ein Verschulden der Behörden aufzuheben.360 Vielmehr sind alle Faktoren gegeneinander abzuwägen und zu bewerten.361 nel ÖJZ 1993, 473, 485 f.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 28; Ziekow DÖV 1998, 941, 945; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 353 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 52 = EuGRZ 1981, 490, 495 Rn 52; EGMR Obermeier/Österreich 28. Juni 1990 Az 6/1989/166/ 222 Série A Vol 179 Rn 72 = EuGRZ 1990, 209, 211 Rn 72; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Grabenwarter (2003) S. 360; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 365; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 80; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 152; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 210; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485. 354 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 111 = EuGRZ 1978, 406, 420 Rn 111; Grabenwarter (2003) S. 360; Niesler (2005) S. 123; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485. 355 EGMR Deumeland/Deutschland 29. Mai 1986 Az 9/1984/81/128 Série A Vol 100 = EuGRZ 1988, 20, 20 ff.; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Grabenwarter (2003) S. 360; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 365; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 152; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 619; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 210; Stöcker DStZ 1989, 367, 370; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485. 356 EGMR Hokkanen/Finnland 23. September 1994 Az 50/1993/445/524 Série A Vol 299-A Rn 72; Breuer in: FS-Weber (2001) S. 6, 9; Grabenwarter (2003) S. 360; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 365; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 80; Peukert in: Frowein/Peukert (1996) Art 6 Rn 152; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 619; Schlette (1999) S. 35 Fn 83; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 210; Thienel ÖJZ 1993, 473, 485. 357 Grabenwarter (2003) S. 360; Schlette (1999) S. 35; Stöcker DStZ 1989, 367, 370. 358 EGMR Buchholz/Deutschland 6. Mai 1981 Série A Vol 42 Rn 52 = EuGRZ 1981, 490, 495 Rn 52; Gaede wistra 2004, 166, 169; Harries-Lehmann (2004) S. 214; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 366; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63. 359 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 105 und 111 = EuGRZ 1978, 406, 419 f. Rn 105 und 111; Demko HRRS 2005, 283, 287 und 289; Gaede wistra 2004, 166, 168; Niesler (2005) S. 132; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 301; Protic´ (1973) S. 52; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63; Thienel ÖJZ 1993, 473, 480; Tonne (1997) S. 174; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. 360 Demko HRRS 2005, 283, 289 f.; Schmuckli (1990) S. 102.

III. Grundgesetz (GG)

229

f) Zusammenfassung Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilt die Angemessenheit der Verfahrensdauer anhand einer Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Komplexität der Sache, des Verhaltens des Beschwerdeführers, des Verhaltens der Behörden und Gerichte und der Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer. Diese Umstände bezieht der Gerichtshof in seine wertende Gesamtbetrachtung hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ein. Da es sich bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer um eine einzelfallbezogene Betrachtung handelt, lässt sich selbst anhand dieser relativ präzisen Kriterien nicht in jedem Einzelfall exakt voraussagen, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in diesem konkreten Fall eine Verletzung des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK feststellen wird. Angesichts der jahrzehntelangen detaillierten Rechtsprechung zur Problematik der überlangen Verfahrensdauer kann aber doch in den weitaus meisten Fällen die Erfolgsaussicht einer Beschwerde beim Gerichtshof mittels dieser Kriterien ermittelt werden. 5. Zusammenfassung Mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK existiert auf der Ebene eines einfachen Bundesgesetzes eine Norm, durch die der Gesetzgeber ausdrücklich einen Anspruch des Bürgers auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Frist statuiert hat. Entgegen dem Wortlaut der deutschen Übersetzung dieser Norm und aufgrund der evolutiv-dynamischen Auslegung der EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte findet diese Norm nicht nur auf Zivil- und Strafverfahren Anwendung, sondern auch auf die meisten Verfahren vor den deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialgerichten. Ausgeklammert ist bislang allein die Finanzgerichtsbarkeit. Damit kann sich der Bürger bei den meisten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten gegenüber den Gerichten auf diese Norm berufen und einen Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist geltend machen.

III. Grundgesetz (GG) Da Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in Deutschland nur mit dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt, stellt sich die Frage, ob ein Bürger in Deutschland auch einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist hat. 361 Demko HRRS 2005, 283, 289 f.; Niesler (2005) S. 132; Schmuckli (1990) S. 102; Schoibl ÖRiZ 1993, 58, 63.

230

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

1. Einschlägige Artikel des Grundgesetzes Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung bezüglich der zeitlichen Dimension des Rechtsschutzes.362 Eine Ausnahme bilden lediglich die Sonderregelungen für Freiheitsentziehungen in Artikel 104 Abs. 2 Satz 2 und Artikel 104 Abs. 3 Satz 2 GG, die sich jedoch weniger auf die richterliche Tätigkeit als auf die Verpflichtung der Exekutive beziehen, den Richter unverzüglich einzuschalten.363 Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung hat dazu geführt, dass die Frage nach dem zutreffenden Anknüpfungspunkt im Verfassungstext unterschiedlich beantwortet wird. Im Folgenden sollen einige dieser möglichen Anknüpfungspunkte kurz dargestellt werden. a) Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG Für den gesamten Bereich des öffentlichen Rechts steht ein Rechtsweg zu den Gerichten nach Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG offen.364 Nach der Schaffung

362 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 455; Borm (2005) S. 24 f.; Dütz (1970) S. 123; Leisner (1971) S. 24; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 355 Fn 20; Niesler (2005) S. 5 f.; Otto (1994) S. 3; Peukert EuGRZ 1979, 261, 265; Pieck (1966) S. 83; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 296; Wilfinger (1995) S. 185. 363 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 455 Fn 42; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Otto (1994) S. 36. 364 BVerfG (2. Senat) 23. April 1969 Az 2 BvR 552/63 BVerfGE 25, 352, 365; BVerfG (2. Senat) 8. Mai 1979 Az 2 BvR 782/78 BVerfGE 51, 176, 185; BVerfG (2. Senat) 27. März 1980 Az 2 BvR 316/80 BVerfGE 54, 39, 41; BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 29. April 1981 Az 2 BvR 348/81 EuGRZ 1982, 75, 75; BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 268; BVerfG (2. Senat) 17. März 1988 Az 2 BvR 233/84 BVerfGE 78, 88, 99; BVerfG (1. Senat) 16. Mai 1995 Az 1 BvR 1087/91 BVerfGE 93, 1, 13; BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1924; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 14. Oktober 2003 Az 1 BvR 901/03 NVwZ 2004, 334, 335; BVerfG (1. Senat) 4. Mai 2004 Az 1 BvR 189/03 NJW 2004, 2887, 2887; VGH Bayern (6. Senat) 11. August 1977 Az 102 VI 77 BayVBl 1978, 212, 213; BFH (5. Senat) 21. Februar 1991 Az V R 105/84 BFHE 163, 313, 319; BFH (4. Senat) 13. September 1991 Az IV B 105/90 NJW 1992, 1526, 1527; BFH (9. Senat) 23. Februar 1999 Az IX R 19/98 NJW 1999, 2614, 2614; Badura (2003) S. 683 H 36; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 455; Dahm SozVers 1997, 123, 123; Dahs (1965) S. 10; Dörr (1984) S. 101; Dörr (2003) S. 34 f.; Dombert SächsVBl 1995, 73, 74; Gundel DVBl 2004, 17, 22; Haug/Pfarr/ Struck (1985) S. 19; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 27; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 448; Kirchhof DStZ 1989, 55, 57; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 89; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Kloepfer JZ 1979, 209, 212; Kopp DVBl 1982, 613, 613; Lindemann ZRP 1999, 200, 200; Otto (1994) S. 35; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 5 und § 154 Rn 1 und 12; Papier NJW 1990, 8, 9; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 618; Poretschkin NZWehrr 2001, 16, 19; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 296; Redeker NJW 2000, 2796, 2796; Sachs ZRP 1982, 227, 228; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 109; Stein/ Frank (2004) S. 430; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 446; Wahrendorf NWVBl 1998, 177, 180; Ziekow (1998) S. 15 f.; Ziekow DÖV 1998, 941, 941.

III. Grundgesetz (GG)

231

des Grundgesetzes wurde Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG teilweise euphorisch begrüßt und als „formelles Hauptgrundrecht“,365 „Vollendung des Rechtsstaats“ beziehungsweise „Krönung des Rechtsschutzes“366 und „königlicher Artikel, der dem Gewölbe des Rechtsstaats den Schlussstein einfügt“367 bezeichnet.368 Heute wird er teilweise etwas kritischer gesehen, da gerade diese Norm zunehmend für die Überlastung der Gerichte und damit für die Verfahrensdauer verantwortlich gemacht wird.369 So hängt die bereits oben [E. II. 1. e)] erörterte Problematik der richterlichen Kontrolldichte unmittelbar mit dieser Norm zusammen, die grundsätzlich die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsentscheidung verlangt. Nach seinem Wortlaut eröffnet Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG lediglich ganz allgemein den Rechtsweg gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt.370 Nach inzwischen einhelliger Auffassung verlangt Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG jedoch wirksamen beziehungsweise effektiven Rechtsschutz, der auch beinhaltet, dass er innerhalb angemessener Zeit gewährt wird.371 Da nur 365 Borm (2005) S. 65; Dörr (2003) S. 5 Fn 4; Finkelnburg in: FS-BVerwG (1978), 169, 170; Haag (1986) S. 168; Harries-Lehmann (2004) S. 55; Hummer (1972) S. 60 Fn 4; Klein VVDStRL 8 (1950), 67, 88; Niesler (2005) S. 15; Pitschas ZRP 1998, 96, 96 ff.; Pitschas in: Pitschas (1999) S. 59, 74; Quaritsch in: HStR V (1992) § 120 Rn 19; Schmidt-Aßmann DVBl 1997, 281, 283; Stein/Frank (2004) S. 430; Tettinger (1984) S. 9; Wilfinger (1995) S. 29 und 215. 366 Bettermann AöR 96 (1971), 528, 528; Dörr (2003) S. 5; Fischer DÖV 1988, 1040, 1040; Harries-Lehmann (2004) S. 49; Hummer (1972) S. 152; Kunig (1986) S. 11; Niesler (2005) S. 15; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 3; Schmelz (2004) S. 24; Sendler DÖV 1989, 482, 483; Wilfinger (1995) S. 23. 367 Dörr (2003) S. 5; Harries-Lehmann (2004) S. 49; Niesler (2005) S. 15; Otto (1994) S. 35; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 3; Schmelz (2004) S. 24; SchmidtAßmann EuGRZ 1988, 577, 580; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 98; Sendler DÖV 1989, 482, 483; Thoma in: Wandersleb (1951) S. 9, 9; Wilfinger (1995) S. 23. 368 Harries-Lehmann (2004) S. 272 f.; Niesler (2005) S. 15. 369 Harries-Lehmann (2004) S. 272 f.; Niesler (2005) S. 15. 370 Borm (2005) S. 65 f.; Niesler (2005) S. 5; Otto (1994) S. 35; Ziekow (1998) S. 16. 371 BVerfG (1. Senat) 18. Juli 1973 Az 1 BvR 23/73, 155/73 BVerfGE 35, 382, 405; BVerfG (2. Senat) 28. Oktober 1975 Az 2 BvR 883/73, 379/74, 497/74, 526/74 BVerfGE 40, 237, 257; BVerfG (2. Senat) 27. März 1980 Az 2 BvR 316/80 BVerfGE 54, 39, 41; BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 29. April 1981 Az 2 BvR 348/81 EuGRZ 1982, 75, 75; BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 269 und 304; BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG (1. Senat) 16. Mai 1995 Az 1 BvR 1087/91 BVerfGE 93, 1, 13; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 26. April 1999 Az 1 BvR 467/99 NJW 1999, 2582, 2583; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 28. August 2000 Az 1 BvR 2328/96 NJW 2001, 216, 216; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 14. Oktober 2003 Az 1 BvR 901/03 NVwZ 2004, 334, 335; BVerwG NJW 2001, 841, 842; VGH Bayern (6. Senat) 11. August 1977 Az 102 VI 77 BayVBl 1978, 212, 213; BFH (5. Senat) 21. Februar 1991 Az V R 105/84 BFHE 163, 313, 319; BFH (4. Senat) 13. September

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

rechtzeitiger Rechtsschutz wirksamer Rechtsschutz sein kann, trifft Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG damit mittelbar auch eine Aussage zur Verfahrensdauer.372 Grundsätzlich gewährt Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG Schutz durch den Richter, nicht jedoch Schutz gegen den Richter.373 Der Grund dafür ist, dass es ansonsten zu einer Verlängerung des Rechtsschutzes ad infinitum kommen würde, wenn jeder Richter wieder von einem Richter kontrolliert werden müsste.374 Bei überlanger Verfahrensdauer, also bei einer Rechtsverweigerung durch Untätigkeit des Richters, wird der Rechtsschutz jedoch nicht ad infinitum verlängert, 1991 Az IV B 105/90 NJW 1992, 1526, 1527; BFH (9. Senat) 23. Februar 1999 Az IX R 19/98 NJW 1999, 2614, 2614; LSG Bayern 8. Februar 2000 Az L 12 B 447/99 KA MedR 2001, 105, 106; LSG Bayern 20. Dezember 2000 Az L 12 B 339/00 KA NVwZ-RR 2001, 695, 696; Antoni in: Seifert/Hömig (2007) Art 19 Rn 16; Badura (2003) S. 683 H 36; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 455; Blümel in: FS-Forsthoff (1967), 133, 144; Brenner DV 31 (1998), 1, 18; Clausing NVwZ 1992, 717, 717; v. Danwitz NJW 1993, 1108, 1113; Degenhart (2004) Rn 415; Dienes (1975) S. 160; Dörr (1984) S. 176; Dörr (2003) S. 27 und 29 und 35 und 278; Graßhof/Backhaus EuGRZ 1996, 445, 447; Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 50; Hill JZ 1981, 805, 807; Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (2008) Art 19 Rn 29 und 35; Huber in: v. Mangolt/Klein/Starck (2005) Art 19 Abs 4 Rn 479; Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Klein in: FS-Köhler (1984) S. 211, 216; Klink SGb 1973, 431, 431; Kloepfer JZ 1979, 209, 211 f.; Koch in: Gräber (1997) § 1 Rn 12; Koepsell/Fischer-Tobies DB 1992, 1370, 1373 f.; Kopp DVBl 1982, 613, 613; Krebs in: v. Münch/Kunig (2000) Art 19 Rn 64; Krüger/Sachs in: Sachs (2003) Art 19 Rn 144; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970; Lerche ZZP 78 (1965), 1, 17 ff.; List DB 2005, 571, 571; Lorenz AöR 105 (1980), 623, 632; Lorenz Jura 1983, 393, 399; Maurer in: FS-Kern (1968), 275, 283; Mayen Anhang VI (2005) S. 341; Merten/Jung in: Pitschas (1999) S. 31, 32; Niesler (2005) S. 1 f. und 6; Otto (1994) S. 35; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 5 und § 154 Rn 3 und 77; Papier NJW 1990, 8, 9 f.; Pieroth/Schlink (2002) Rn 1019 f.; Poretschkin NZWehrr 2001, 16, 19 f.; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 296; Quaas BDVR-R 2004, 147, 151; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Sachs ZRP 1982, 227, 231; Schenke in: BK (2004) Art 19 Abs 4 Rn 422; Schlette (1999) S. 25; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 109; Schmidt-Jorzig NJW 1994, 2569, 2569; Schmidt-Jorzig in: Bundesjustizministerium (1998) S. 3, 3; Schoenfeld DB 2004, 2287, 2287; Schulze-Fielitz in: Dreier (2004) Art 19 IV Rn 111; Schwachheim in: Umbach/Clemens (2002) Art 19 IV Rn 178; Sobota (1997) S. 200; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 446 ff.; Stöcker DStZ 1989, 367, 372; Tettinger (1980) S. 358; Tettinger (1984) S. 9; Tettinger in: FS-Fabricius (1989) S. 307, 313; Ule DVBl 1982, 821, 822; Wagner DStR 1996, 1273, 1274; Ziekow (1998) S. 17; Ziekow DÖV 1998, 941, 942; Ziekow JZ 1998, 947, 947 f.; Zuck in: FAZ vom 5. Juni 1996 S. 16. 372 Niesler (2005) S. 24; Otto (1994) S. 35. 373 BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1925; BFH (3. Senat) 26. Oktober 1962 Az III U 229/62 JZ 1963, 261, 262; Dütz (1970) S. 197; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 143; Lindacher DRiZ 1965, 198, 198; Voßkuhle (1993) S. 146 ff.; Voßkuhle NJW 2003, 2193, 2193; Ziekow (1998) S. 19 f.; Ziekow DÖV 1998, 941, 943; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 374 Ziekow (1998) S. 19 f.; Ziekow DÖV 1998, 941, 943; Ziekow JZ 1998, 947, 948.

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sondern erstmals gewährt und somit passen die Gründe für einen Ausschluss des Rechtsschutzes gegen den Richter aus dem Schutzbereich des Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht für den untätigen Richter.375 Damit bietet diese Norm für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten den zutreffenden Anknüpfungspunkt für einen verfassungsrechtlichen Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer. Anders als Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erfasst Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten und damit auch die Verfahren vor den Finanzgerichten. b) Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) Bei privatrechtlichen Streitigkeiten und Strafverfahren kontrolliert der Richter nicht Akte der öffentlichen Gewalt, sondern begründet erstmals Belastungen des Bürgers in Ausübung öffentlicher Gewalt.376 Daher wird auf diese Verfahren nicht Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG, sondern Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) angewendet, aus dem ein Anspruch auf Gewährleistung eines wirksamen beziehungsweise effektiven Rechtsschutzes (Justizgewährleistungsanspruch) hergeleitet wird.377 Das Rechtsstaatsprinzip fordert im Interesse der Rechtssicherheit eine Klärung von strittigen Rechtsverhältnissen in angemessener Zeit.378 Damit stellt Artikel 2 Abs. 1 375 BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1926; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; List DB 2005, 571, 572; Schlette (1999) S. 48; Ziekow (1998) S. 20; Ziekow DÖV 1998, 941, 943; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 376 Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Wilfinger (1995) S. 88 f. 377 BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 24. November 1983 Az 2 BvR 121/83 NJW 1984, 967, 967; BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1926; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 27. Juli 2004 Az 1 BvR 1196/04 WM 2004, 1777, 1777 f.; OLG Zweibrücken (1. Senat) 21. September 1988 Az 1 Ws 402/ 88 StV 1989, 51, 51; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 455; Dörr (2003) S. 34 f.; Gundel DVBl 2004, 17, 22; Haug/Pfarr/Struck (1985) S. 19; Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Kissel/Meyer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 84; Niesler (2005) S. 30; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 5 und § 154 Rn 12; Papier NJW 1990, 8, 9; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 618; Poretschkin NZWehrr 2001, 16, 19; Redeker NJW 2000, 2796, 2796; Völker FF 2005, 144, 144; Waldner (2000) S. 103 Rn 265. 378 BVerfG (1. Senat) 2. März 1993 Az 1 BvR 249/92 BVerfGE 88, 118, 124; BVerfG (1. Senat) 20. Juni 1995 Az 1 BvR 166/93 BVerfGE 93, 99, 107; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 6. Mai 1997 Az 1 BvR 711/96 NJW 1997, 2811, 2812; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 17. November 1999 Az 1 BvR 1708/99 NJW 2000, 797, 797; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 11. Dezember 2000 Az 1 BvR 661/00 NJW 2001, 961, 961; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 26. März 2001 Az 1 BvR 383/00 NJW 2001, 2161, 2162; BVerfG (3. Kammer des 2. Senats) 5. Feb-

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) den zutreffenden verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist für privatrechtliche Streitigkeiten und Strafverfahren dar, während bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG neben den Justizgewährleistungsanspruch tritt. c) Artikel 103 Abs. 1 GG Teilweise wird angenommen, dass sich ein Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist aus dem in Artikel 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör ableiten lasse, der den Anspruch auf rechtzeitiges Gehör enthält.379 Der Versuch, den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist ausschließlich an diesem Artikel des Grundgesetzes festzumachen, scheitert jedoch daran, dass diese Norm nicht den Zeitraum zwischen der Gewähr rechtlichen Gehörs und dem Urteilserlass abdeckt, für die Effektivität des Rechtsschutzes jedoch die Gesamtdauer des Prozesses entscheidend ist.380 Dieser Anknüpfungspunkt ist nur insoweit zutreffend, als Artikel 103 Abs. 1 GG auch die notwendige Sachverhaltsaufklärung gewährleisten soll, die häufig umso schlechter möglich ist, je länger der Prozess dauert.381 Nur insoweit steckt das Gebot zügigen Rechtsschutzes auch in dieser Vorschrift, kann aber keinesfalls alleiniger Anknüpfungspunkt hierfür sein.382 d) Verhältnismäßigkeitsprinzip Auch ein Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip, nachdem durch eine unnötig lange Verfahrensdauer entstandene Belastungen verboten wären, deckt nur einen Teil des Problems ab, da es nur die überlangen Verfahren betrifft, ruar 2003 Az 2 BvR 29/03 NJW 2003, 2228, 2228; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 15. September 2003 Az 1 BvR 809/03 NZA 2003, 1355, 1356; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 25. November 2003 Az 1 BvR 834/03 NJW 2004, 835, 836; BVerwG NJW 2001, 841, 842; OLG Zweibrücken (1. Senat) 21. September 1988 Az 1 Ws 402/88 StV 1989, 51, 51; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 455; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 27; Kissel/Meyer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 84; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 5 und § 154 Rn 12; Papier NJW 1990, 8, 9 f.; Pawlita SozVers 1997, 266, 266; Völker FF 2005, 144, 144; Vollkommer in: Zöllner (2005) Einleitung Rn 49; Ziekow (1998) S. 14. 379 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129 f.; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Koepsell/Fischer-Tobies DB 1992, 1370, 1373; Niesler (2005) S. 33; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 448 f. 380 Niesler (2005) S. 35; Schlette (1999) S. 27. 381 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Schlette (1999) S. 27 Fn 46; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449. 382 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129 f.; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Niesler (2005) S. 33 und 36; Schlette (1999) S. 27 Fn 46.

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denen eine handfeste Eingriffswirkung zukommt.383 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip stellt daher keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für einen Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist dar. e) Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG Eine überlange Verfahrensdauer könnte das Gebot des gesetzlichen Richters aus Artikel 101 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen, nach dem niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.384 Die Wiederherstellung der gesetzlichen Rechtslage und damit die Beendigung des so genannten „Rechtsabweichungsintervalls“385 darf nicht in unangemessener Zeit erfolgen.386 Der Rechtsschutzsuchende hat einen Anspruch darauf, dass seine Sache durch den Richter entschieden und bearbeitet wird, der innerhalb der angemessenen Frist nach dem Geschäftsverteilungsplan hierfür zuständig ist.387 Wird die angemessene Frist überschritten und ist inzwischen ein anderer Richter zuständig geworden, ist dies eigentlich nicht mehr der gesetzliche Richter im Sinne des Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG.388 Aus dem Gebot des gesetzlichen Richters könnte daher nicht nur ein Anspruch des Bürgers auf eine richtige, sondern auch auf eine rechtzeitige Entscheidung abgeleitet werden.389 Der primäre Schutzzweck dieses grundrechtsgleichen Rechts ist jedoch, Willkür bei der Bestimmung der Zuständigkeit zu verhindern, nicht aber vor Verzögerungen einer Sache zu schützen, die bereits beim zuständigen Richter anhängig ist.390 Daher ist Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geeignet, den Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist zu gewährleisten.

383 Kloepfer JZ 1979, 209, 214; Schlette (1999) S. 27; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 452. 384 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Niesler (2005) S. 37; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449; Ziekow (1998) S. 21; Ziekow DÖV 1998, 941, 944. 385 Dombert SächsVBl 1995, 73, 74; Kloepfer JZ 1979, 209, 210; Schlette (1999) S. 25; Stöcker DStZ 1989, 367, 372; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449. 386 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449. 387 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Niesler (2005) S. 37 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449 f. 388 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Niesler (2005) S. 37 f.; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 450. 389 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 449. 390 Borm (2005) S. 94; Ziekow DÖV 1998, 941, 944.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

f) Materielle Grundrechte Einige machen den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist zusätzlich oder sogar primär bei den materiellen Grundrechtsgarantien fest, die in ihrer verfahrensmäßigen Dimension das Gebot des effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutzes bereits unmittelbar enthalten sollen.391 Der Gehalt von Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG verengt sich dann im Extremfall auf die bloße Eröffnung des Rechtswegs.392 Zwar spricht einiges für die Annahme, dass die Grundrechte für ihren jeweiligen Anwendungsbereich die Rechtsschutzgarantie bereits in sich tragen, und dass Rechtsschutz keine von den materiellen Rechten losgelöste, um ihrer selbst willen garantierte, abstrakte Größe ist.393 Aber zumindest für den Bereich der öffentlichen Gewalt ist die Rechtsschutzkomponente der materiellen Grundrechte durch die Regelung in Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG bewusst und ausdrücklich aus ihrem jeweiligen Normbereich ausgelagert worden. Sie ist zusammenfassend und in Gestalt einer lex specialis „hinter die Klammer“ gezogen worden.394 Ein gleichzeitiger Rückgriff auf die materiellen Grundrechte würde zu einer Zersplitterung des gerichtlichen Verfahrensrechts führen.395 Außerdem besteht heute keine Notwendigkeit mehr, den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist bei den materiellen Grundrechten fest zu machen, da inzwischen für privatrechtliche Streitigkeiten und Strafverfahren der aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) hergeleitete allgemeine Justizgewährleistungsanspruch anerkannt ist und für den gesamten Bereich des öffentlichen Rechts ein Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz in angemessener Frist aus Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG hergeleitet wird.396 g) Zusammenfassung Auf verfassungsrechtlicher Ebene gewährt Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG – ebenso wie Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf einfachgesetzlicher Ebene – ein 391 BVerfG (1. Senat) 10. Mai 1977 Az 1 BvR 514/68, 323/69 BVerfGE 45, 297, 333; BVerfG (1. Senat) 10. Oktober 1978 Az 1 BvR 475/78 BVerfGE 49, 252, 257; BVerfG (1. Senat) 16. Januar 1980 Az 1 BvR 127/78, 679/78 BVerfGE 53, 115, 127; Jaeger VBlBW 2004, 128, 130; Kloepfer JZ 1979, 209, 213; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 450 f. 392 Schlette (1999) S. 26. 393 Jaeger VBlBW 2004, 128, 130; Niesler (2005) S. 40; Schlette (1999) S. 26; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 450. 394 Borm (2005) S. 129; Niesler (2005) S. 30 und 42; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 296; Schlette (1999) S. 26; Ziekow (1998) S. 16. 395 BVerfG (2. Senat) 20. April 1982 Az 2 BvR 26/81 BVerfGE 60, 253, 296 ff.; Niesler (2005) S. 42; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 15. 396 BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1924; Niesler (2005) S. 42 und 44; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 15.

III. Grundgesetz (GG)

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Recht auf eine Entscheidung in angemessener Frist.397 Ein Unterschied zwischen den beiden Normen besteht insoweit, als Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht alle Verfahren vor den Verfassungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten erfasst, dafür aber nicht auf öffentlich-rechtliche Streitigkeiten beschränkt ist. Der Anwendungsbereich des Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG hingegen ist auf Rechtsverletzungen durch die öffentliche Hand beschränkt, ist dafür jedoch in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten und damit auch in Verfahren vor den Finanzgerichten anwendbar.398 Richtige normative Grundlage für den verfassungsrechtlichen Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit ist demzufolge für das hier relevante öffentliche Recht Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG.399 2. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer wird in der Literatur immer wieder der Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1980400 im Fall Rudolf Heß (1894–1987), dem Stellvertreter Adolf Hitlers in der NSDAP (1933–1941), als Trendwende verstanden.401 Richtig ist dies insoweit, als mehrere ältere Entscheidungen des Gerichts402 die Angemessenheit der zeitlichen Verfahrensdurchführung tatsächlich lediglich für insoweit kontrollierbar erklärt haben, wie eine unzumutbare Verfahrensverzögerung beziehungsweise eine Verfahrensverschleppung vorlag,403 wohingegen das Bundesverfassungsgericht im Heß-Beschluss ausdrücklich betonte, dass wirksamer Rechtsschutz bedeutet, dass er „innerhalb angemessener Zeit“ gewährt wird.404 Nicht ganz zutreffend ist jedoch die teilweise in der Literatur405 anzutreffende Behauptung, das Bundesverfassungsgericht 397 Bröhmer in: FS-Ress (2002) S. 85, 87; Graßhof Anhang IX (2005) S. 364; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131. 398 Bröhmer in: FS-Ress (2002) S. 85, 87. 399 Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 451; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Schlette (1999) S. 23 Fn 25 und S. 27. 400 BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369. 401 Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 50; Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 298 f.; Wilfinger (1995) S. 12; Ziekow (1998) S. 17; Ziekow DÖV 1998, 941, 942. 402 BVerfG (2. Senat) 28. Oktober 1975 Az 2 BvR 883/73, 379/74, 497/74, 526/74 BVerfGE 40, 237, 257; BVerfG (2. Senat) 4. Oktober 1977 Az 2 BvR 80/77 BVerfGE 46, 17, 28 f. 403 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Niesler (2005) S. 94; Sachs ZRP 1982, 227, 231; Schlette (1999) S. 25; Ziekow (1998) S. 17; Ziekow DÖV 1998, 941, 942. 404 BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369; Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Wilfinger (1995) S. 12; Ziekow (1998) S. 17; Ziekow DÖV 1998, 941, 942.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

habe in der Heß-Entscheidung „erstmals“ den Weg einer erweiterten Kontrollierbarkeit der zeitlichen Angemessenheit beschritten. Während der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts noch in einer Entscheidung vom 18. Juli 1973406 ganz allgemein davon sprach, dass es zu der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes gehört, dass er „alsbald“ verwirklicht wird, übernahm der Zweite Senat bereits in seiner Entscheidung vom 27. März 1980407 – also knapp neun Monate vor der Heß-Entscheidung – die bis heute in ständiger Rechtsprechung verwendete Formulierung, dass die Wirksamkeit des Rechtsschutzes die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens „in angemessener Zeit“ erfordere. Gleichwohl hat es den Anschein, als ob man in Deutschland erst nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Juni 1978 in dem Fall König gegen Deutschland 408 auf den zeitlichen Aspekt der Rechtsschutzgarantie aufmerksam wurde.409 Abgesehen von einigen beiläufigen Äußerungen gibt es vor dieser Zeit nur wenige Stellungnahmen zu diesem Thema in der deutschen Literatur.410 In seinen Entscheidungen aus dem Jahr 1980411 hat das Bundesverfassungsgericht erstmals den Weg einer erweiterten Kontrollierbarkeit der zeitlichen Angemessenheit beschritten, von dem es später nicht mehr abgewichen ist.412 Zunächst lässt sich festhalten, dass die angemessene Frist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ein für alle Mal festliegend, sondern variabel und nach den Umständen des konkreten Falls zu bestimmen ist.413 Die Angemessenheit der Verfahrensdauer muss notwendigerweise einzel405 Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 50; Ziekow (1998) S. 17; Ziekow DÖV 1998, 941, 942. 406 BVerfG (1. Senat) 18. Juli 1973 Az 1 BvR 23/73, 155/73 BVerfGE 35, 382, 405. 407 BVerfG (2. Senat) 27. März 1980 Az 2 BvR 316/80 BVerfGE 54, 39, 41. 408 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 = EuGRZ 1978, 406, 406 ff. 409 Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 50; Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; MeyerLadewig DVBl 1979, 539, 539; Schlette (1999) S. 25 Fn 36. 410 Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Schlette (1999) S. 25 Fn 36. 411 BVerfG (2. Senat) 27. März 1980 Az 2 BvR 316/80 BVerfGE 54, 39, 41; BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369. 412 Heyde in: HVerfR (1994) § 33 Rn 50; Jaeger VBlBW 2004, 128, 129; Wilfinger (1995) S. 59; Ziekow (1998) S. 17; Ziekow DÖV 1998, 941, 942. 413 BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) 19. März 1992 Az 2 BvR 1/91 NJW 1992, 2472, 2473; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 6. Mai 1997 Az 1 BvR 711/96 NJW 1997, 2811, 2812; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 28. August 2000 Az 1 BvR 2328/96 NJW 2001, 216, 216; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 11. Dezember 2000 Az 1 BvR 661/00 NJW 2001, 961, 961; NJW 1993, 3254, 3255; BVerfG (3. Kammer des 2. Senats) 6. Juni 2001 Az 2 BvR 828/01 NJW 2001, 2707, 2707; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 15. Dezember 2003 Az 1 BvR 1345/03 NVwZ 2004, 471,

III. Grundgesetz (GG)

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fallbezogen erfolgen, da sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer einer abstrakten und absoluten Festlegung entzieht.414 Entgegen vereinzelt gebliebener Stimmen in der Literatur415 wäre angesichts der Vielgestaltigkeit der Streitsachen, die unterschiedlich lange Bearbeitungsfristen erfordern, die Festlegung einer pauschalen Höchstdauer auch völlig unpraktikabel.416 Zudem könnten gesetzliche Höchstgrenzen von der Praxis dahingehend bewusst missverstanden werden, dass sie stets und ausnahmslos voll ausgeschöpft werden dürfen.417 Bei näherer Betrachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem durch das Grundgesetz gewährleisteten Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist lassen sich mehrere wesentliche Kriterien herausarbeiten, anhand derer die Angemessenheit beurteilt wird. Darüber hinaus zieht das Bundesverfassungsgericht in seiner neueren Rechtsprechung auch weitere, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelte Kriterien heran.418 Dabei stellt das Bundesverfassungsgericht zwar klar, dass die Feststellung einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK seine Prüfungsbefugnis überschreitet und dass der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine verbindlichen Richtlinien für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes entnommen werden könne, da diese nicht den Rang von Verfassungsrecht genießen.419 Bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes berücksichtigt das Gericht jedoch die Garantien der EMRK.420 Diese Rechtsprechung stellt in der Sache nichts anderes als eine in471; Bischofberger (1972) S. 120; Dörr (2003) S. 29; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 82; Klose NJ 2004, 241, 242; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970; List DB 2005, 571, 571; Niesler (2005) S. 90 und 103; Otto (1994) S. 1; Pawlita SozVers 1997, 266, 266; Poretschkin NZWehrr 2001, 16, 20; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 299; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Schlette (1999) S. 28; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Matscher (1989) S. 89, 111; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 104; Schwachheim in: Umbach/Clemens (2002) Art 19 IV Rn 178; Ule DVBl 1982, 821, 822; Ulsenheimer in: Krekeler u. a. (1987) Verfahrensdauer; Völker FF 2005, 144, 144; Wilfinger (1995) S. 13 und 55; Ziekow DÖV 1998, 941, 942; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 414 Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Niesler (2005) S. 90; Schlette (1999) S. 38 f. 415 Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970. 416 Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Niesler (2005) S. 90; Schlette (1999) S. 29. 417 Niesler (2005) S. 90; Schlette (1999) S. 29; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 111. 418 Borm (2005) S. 138; Gaede wistra 2004, 166, 166; Graßhof Anhang IX (2005) S. 364; Harries-Lehmann (2004) S. 89 Fn 360; Niesler (2005) S. 97 und 126; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Wilfinger (1995) S. 13 und 161 und 186. 419 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 6. Mai 1997 Az 1 BvR 711/96 NJW 1997, 2811, 2812; Niesler (2005) S. 97 und 111. 420 BVerfG (2. Senat) 26. März 1987 Az 2 BvR 589/79, 740/81, 284/85 BVerfGE 74, 358, 370; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 6. Mai 1997 Az 1 BvR 711/96 NJW 1997, 2811, 2812; Gaede wistra 2004, 166, 167; Graßhof Anhang IX (2005) S. 363;

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

direkte Konstitutionalisierung der EMRK dar, die sich überzeugend mit der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen lässt.421 Zu den vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen Kriterien zählen Umfang und Schwierigkeit der Sache,422 das Verhalten der Behörden und Gerichte,423 das Verhalten des Beschwerdeführers,424 die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer425 und die Belastung des Beschwerdeführers durch das Verfahren,426 zum Beispiel durch ein hohes Alter oder einen angeschlagenen Gesundheitszustand.427 Außerdem berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht die besondere Eilbedürftigkeit der Sache,428 die beispielsweise bei Prozesskostenhilfeverfahren bejaht wird,429 ebenso wie bei Sorgerechtsstreitigkeiten, die stets einen besonderen Einfluss auf die persönlichen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern haben und die bei Kindern, die einen anderen Zeitbegriff Harries-Lehmann (2004) S. 231; Laule EuGRZ 1996, 357, 359; Niesler (2005) S. 97 und 111 f.; Schlette (1999) S. 32. 421 BVerfG (2. Senat) 26. März 1957 Az 2 BvG 1/55 BVerfGE 6, 309, 362 f.; Gaede wistra 2004, 166, 167; Harries-Lehmann (2004) S. 164 ff. und 235; Niesler (2005) S. 112; Ress EuGRZ 1996, 350, 353; Schlette (1999) S. 32 f. 422 BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 24. November 1983 Az 2 BvR 121/83 NJW 1984, 967, 967; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 15. Dezember 2003 Az 1 BvR 1345/03 NVwZ 2004, 471, 471; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dörr (2003) S. 29; Harries-Lehmann (2004) S. 89; Sachs ZRP 1982, 227, 231; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 104; v. Stackelberg NJW 1960, 1265, 1266; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177. 423 BVerfG (Vorprüfungsausschuss des 2. Senats) 24. November 1983 Az 2 BvR 121/83 NJW 1984, 967, 967; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177. 424 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 15. Dezember 2003 Az 1 BvR 1345/03 NVwZ 2004, 471, 471; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dörr (2003) S. 29; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177. 425 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 215; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 15. Dezember 2003 Az 1 BvR 1345/03 NVwZ 2004, 471, 471; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 4; Dörr (2003) S. 29; Harries-Lehmann (2004) S. 89; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 82; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 301; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177. 426 BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 11. Dezember 2000 Az 1 BvR 661/00 NJW 2001, 961, 962; Schönhauser in: Pitschas/Walther (2005) S. 89, 104; Völker FF 2005, 144, 144. 427 BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369; VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Niesler (2005) S. 101 und 103; Priebe in: FS-Simson (1983) S. 287, 299. 428 BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 14. Oktober 2003 Az 1 BvR 901/03 NVwZ 2004, 334, 335. 429 BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 14. Oktober 2003 Az 1 BvR 901/03 NVwZ 2004, 334, 335.

III. Grundgesetz (GG)

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als Erwachsene haben, emotionale Schäden hervorrufen können, die nur schwer wiedergutzumachen sind.430 Abschließend nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls vor.431 Das Bundesverfassungsgericht stellt damit inzwischen auf die gleichen Kriterien ab, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.432 Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hat sich somit als wegweisend für die Auslegung des Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht erwiesen.433 Damit lassen sich die zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK getroffenen Aussagen im Wesentlichen auf die Auslegung des Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG anwenden. Der einzige wesentliche Unterschied zwischen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK besteht darin, dass das Bundesverfassungsgericht die Geschäftsbelastung der Gerichte berücksichtigt und auf die durchschnittliche Dauer von Verfahren des betreffenden Typs abstellt.434 Solange sich die Verfahrensdauer noch innerhalb des so ermittelten Rahmens bewegt, soll die Annahme deren Unangemessenheit nur noch dann begründet werden können, wenn eine Terminierung aus sachfremden Erwägungen heraus unterblieben ist.435 Das Bundesverfassungsgericht neigt also dazu, bei einer Überlastung eines Gerichts die Anforderungen an die Angemessenheit der Verfahrensdauer etwas weniger strikt auszulegen als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.436 Andererseits betont es jedoch auch, dass dem Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz in angemessener Frist eine Pflicht des Staates korrespondiert, für eine ausreichende sachliche und personelle Ausstattung der Justiz zu sorgen, damit diese in der Lage ist, ihren Rechtsschutzauftrag zu erfüllen und insbeson430 BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 11. Dezember 2000 Az 1 BvR 661/00 NJW 2001, 961, 961 f.; BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) 25. November 2003 Az 1 BvR 834/03 NJW 2004, 835, 836; v. Els FamRZ 1994, 735, 735; Grandke NJ 2001, 250, 250; Kerscher in: SZ vom 21. April 2005 S. 4; Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 185. 431 Niesler (2005) S. 132; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 301; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177. 432 Borm (2005) S. 138; Gaede wistra 2004, 166, 166; Harries-Lehmann (2004) S. 89 Fn 360; Niesler (2005) S. 126; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Wilfinger (1995) S. 13 und 161 und 186; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. 433 Graßhof Anhang IX (2005) S. 363; Harries-Lehmann (2004) S. 332; Niesler (2005) S. 126; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. 434 Harries-Lehmann (2004) S. 218; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Niesler (2005) S. 91; Ziekow (1998) S. 17. 435 Harries-Lehmann (2004) S. 218; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Klose NJ 2004, 241, 242; Niesler (2005) S. 91; Ziekow (1998) S. 17 f. 436 Niesler (2005) S. 48; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 301; Ziekow (1998) S. 17 f.

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F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

dere in überschaubarem Zeitrahmen zu entscheiden.437 Hieraus folgt, dass eine dauerhafte Überlastung der Justiz nicht den Anspruch des Bürgers auf zeitnahe Entscheidung beschränken kann.438 Justizverwaltung und Gesetzgeber sind in solchen Fällen dazu verpflichtet, weitere Kapazitäten zu schaffen.439 Von einem aufgrund des Selbsthilfeverbots auf staatlichen Rechtsschutz angewiesenen Bürger kann nicht verlangt werden, eine von ihm nicht zu verantwortende Überlastung der Justiz zu tragen.440 Mit zunehmender Dauer des Verfahrens insgesamt oder in der jeweiligen Instanz verdichtet sich die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und um dessen Beendigung zu bemühen.441 Wenn der Arbeitsanfall die alsbaldige Terminierung und Entscheidung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht eine zeitliche Abfolge festlegen, wobei es den Anspruch des Bürgers aus Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG auf einen effektiven Rechtsschutz nicht außer Acht lassen darf.442

437 BVerfG (2. Senat) 12. Dezember 1973 Az 2 BvR 558/73 BVerfGE 36, 264, 275; VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2710; BGH (3. Zivilsenat) Urteil vom 11. Januar 2007 Az III ZR 302/05 EuGRZ 2005, 567, 568 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 370; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Kirchhof in: FSDoehring (1989) S. 439, 449; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970; Mayen DRiZ 2005, 223, 228; Niesler (2005) S. 92 und 104; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 20; Sachs ZRP 1982, 227, 232; Schlette (1999) S. 29; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 455; Ziekow in: Ziekow (1998) S. 51, 55; Ziekow DÖV 1998, 941, 942. 438 BVerfG (2. Senat) 12. Dezember 1973 Az 2 BvR 558/73 BVerfGE 36, 264, 275; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 449; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Niesler (2005) S. 92 und 104; Sachs ZRP 1982, 227, 232; Schlette (1999) S. 29; Ziekow (1998) S. 18. 439 BVerfG (2. Senat) 12. Dezember 1973 Az 2 BvR 558/73 BVerfGE 36, 264, 275; BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 17. November 1999 Az 1 BvR 1708/99 NJW 2000, 797, 797; Kerscher in: SZ vom 1. Dezember 1999 S. 16; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 449; Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 83 ff.; Niesler (2005) S. 92 und 104; Pawlita SozVers 1997, 266, 267; Priebe in: FS-v. Simson (1983) S. 287, 298; Schlette (1999) S. 29 f. und 65 f.; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263; Stelkens NVwZ 1995, 325, 333; Stöcker DStZ 1989, 367, 375; Thienel ÖJZ 1993, 473, 483; WeberGrellert NJW 1990, 1777, 1778; Weth NJW 1996, 2467, 2473; Wilfinger (1995) S. 61; Ziekow (1998) S. 18; Ziekow DÖV 1998, 941, 942; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 440 BVerfG (2. Senat) 12. Dezember 1973 Az 2 BvR 558/73 BVerfGE 36, 264, 274; BVerfGE (2. Kammer des 1. Senats) NJW 1994, 1853, 1853; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 84; Niesler (2005) S. 105; Schlette (1999) S. 30; Sobota (1997) S. 188; Wilfinger (1995) S. 13. 441 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 20. Juli 2000 Az 1 BvR 352/00 NJW 2001, 214, 214; VerfGH Sachsen (4. Senat) 24. April 2003 Az Vf 4/IV/03 InfAuslR 2003, 309, 309 f.; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Klose NJ 2004, 241, 242; Lansnicker/ Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1970. 442 BVerfG (2. Senat) 16. Dezember 1980 Az 2 BvR 419/80 BVerfGE 55, 349, 369; BVerfG (2. Senat) 29. Juli 1985 Az 2 BvR 655/85 HFR 1986, 317, 317; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Klose NJ 2004, 241, 242.

V. Recht der Europäischen Union

243

3. Zusammenfassung Jeder Bürger in Deutschland hat in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten einen verfassungsrechtlich durch Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG abgesicherten Anspruch auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Frist. Das Bundesverfassungsgericht wurde bei der Entwicklung dieses Anspruchs aus Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG maßgeblich von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geprägt und daher hat dessen Rechtsprechung zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine besondere Bedeutung für die Auslegung und Anwendung des Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG.443

IV. Landesverfassungen Darüber hinaus gewähren Artikel 78 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Landes Sachsen444 und Artikel 52 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg445 ein ausdrückliches Recht des Bürgers auf ein zügiges Gerichtsverfahren. Die anderen Landesverfassungen gewähren keinen ausdrücklichen Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist. Teilweise enthalten diese Verfassungen jedoch ähnliche Gewährleistungen wie Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG, aus denen ebenfalls ein Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist abgeleitet werden kann.446

V. Recht der Europäischen Union Im Recht der Europäischen Union gibt es bislang keinen ausdrücklich normierten Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist. Da die Europäische Union der EMRK bislang nicht beigetreten ist, kann auch die ausdrückliche Normierung dieses Anspruchs in Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK im Recht der Europäischen Union bisher nicht unmittelbar angewendet werden. Die Problematik zeitgerechter Rechtsschutzgewährung ist auf der Ebene der Europäischen Union erstmals in dem vom Europäischen Gerichtshof am 17. Dezember 1998 entschiedenen Fall Baustahlgewebe GmbH gegen die Kommission447

443

Harries-Lehmann (2004) S. 542; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. VerfGH Sachsen (4. Senat) 24. April 2003 Az Vf 4/IV/03 InfAuslR 2003, 309, 309; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128 Fn 19; Klose NJ 2004, 241, 241. 445 VerfGH Brandenburg 20. März 2003 Az VfGBbg 108/02 InfAuslR 2003, 250, 251; Klose NJ 2004, 241, 241. 446 VerfGH Thüringen 15. März 2001 Az 1/00 NJW 2001, 2708, 2709; Klose NJ 2004, 241, 241. 447 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 38 ff. 444

244

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

aktuell geworden.448 In dieser Entscheidung, bei der es um die Verfahrensdauer von etwa fünfeinhalb Jahren vor dem Europäischen Gericht erster Instanz ging, entwickelt der Europäische Gerichtshof aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jedermann Anspruch auf einen Prozess innerhalb einer angemessenen Frist hat,449 und erkennt damit ein neues gemeinschaftsrechtliches Prozessgrundrecht ausdrücklich an.450 Damit existiert im Recht der Europäischen Union ein durch die Rechtsprechung entwickelter Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist. Ausdrücklich nimmt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bei der Herleitung dieses Anspruchs und dessen Ausgestaltung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK Bezug.451 Sehr konsequent entwickelt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg damit europäische Grundrechte aus der gemeinsamen europäischen Verfassungstradition, zu deren Ermittlung er ebenso konsequent auf die EMRK und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK als gemeinsamen Nenner der gemeinsamen europäischen Verfassungstradition zurückgreift.452 Damit bilden der Europäische Gerichtshof in Luxemburg und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hinsichtlich der Rechtsprechung zur überlangen Verfahrensdauer faktisch jeweils Teile einer einheitlichen europäischen Verfassungsgerichtsbarkeit.453 Gefördert wurde diese Entwicklung auch dadurch, dass Artikel 6 Abs. 2 des am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten und am 11. November 1993 in Kraft getretenen Vertrags über die Europäische Union ausdrücklich festlegt, dass die Europäische Union die Grundrechte der EMRK achtet.

448 Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 14; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Schlette EuGRZ 1999, 369, 369; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 207 Fn 6. 449 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 41 Rn 21; Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 150; Bleckmann (2001) S. 301 Rn 939 und S. 314 Rn 986; Frommel/Füger StuW 1995, 58, 68; Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 10; Schlette EuGRZ 1999, 369, 370; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 207; Streinz JuS 1999, 597, 597; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1140. 450 Bleckmann (2001) S. 299 Rn 933; Rosˇ (1984) S. 35; Schlette EuGRZ 1999, 369, 369; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 207; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1140; Wolf in: FS-Ress (2002) S. 9, 17. 451 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 41 Rn 29. 452 Bleckmann (2001) S. 299 Rn 933. 453 Bleckmann (2001) S. 299 Rn 932.

V. Recht der Europäischen Union

245

1. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Im Hinblick auf die nähere Festlegung, was als angemessen zu gelten hat, übernimmt der Europäische Gerichtshof im Fall Baustahlgewebe GmbH gegen die Kommission454 vollinhaltlich die Position des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK.455 Er wendet eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise an und berücksichtigt insbesondere die Komplexität der Sache, das Verhalten des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer.456 Bedauerlicherweise verliert das Urteil dadurch an Überzeugungskraft, dass der Gerichtshof seinerseits mehr als drei Jahre für sein auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränktes Urteil brauchte.457 Dennoch ist das Urteil zu begrüßen und die ungewöhnlich ausführliche und detaillierte Prüfung der Fallumstände in den Randnummern 28 bis 46458 ist ein Indiz für die große Bedeutung, die der Europäische Gerichtshof dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist beimisst.459 Obwohl im Jahr 1998, als das Urteil erlassen wurde, im Primärrecht der Europäischen Union noch keine ausdrückliche Verpflichtung zur Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit statuiert war, hat der Europäische Gerichtshof durch einen Rückgriff auf Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf überzeugende Weise eine Grundlage für einen Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer auf der Ebene der Europäischen Union geschaffen. 2. Charta der Grundrechte der Europäischen Union Auf dem Europäischen Rat von Nizza vom 7. bis 11. Dezember 2000 wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch den Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission unterzeichnet und feierlich proklamiert.460 Der Artikel 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta der Europäischen Union lautet:

454 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 38 ff. 455 Bleckmann (2001) S. 299 Rn 933; Dörr (2003) S. 51; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Schlette EuGRZ 1999, 369, 370; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 207; Streinz JuS 1999, 597, 598. 456 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 41 Rn 29; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969. 457 Schlette EuGRZ 1999, 369, 371; Streinz JuS 1999, 597, 598. 458 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 41 Rn 28 bis 46. 459 Schlette EuGRZ 1999, 369, 370.

246

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteilichen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“

Diese Formulierung ist nahezu identisch mit derjenigen in Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Der einzige wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Grundrechtecharta auf eine Beschränkung auf bestimmte Streitigkeiten verzichtet und diese Norm damit nach ihrem Wortlaut eindeutig auch auf steuerrechtliche, militärische, kirchenrechtliche und politische Streitigkeiten Anwendung findet. Der Artikel 47 Abs. 2 der Charta vermeidet damit sämtliche Abgrenzungsprobleme, die bei der Parallelnorm der EMRK auftreten.461 Die Begrenzung des Anwendungsbereichs von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist ohnehin nicht mehr zeitgemäß und stellt ein Hindernis für die Harmonisierung des europäischen Rechts dar.462 Der Artikel 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta enthält, ähnlich wie Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, detaillierte Vorgaben hinsichtlich der Rechtsschutzgewährung und verdeutlicht, dass auf europäischer Ebene ein sehr hohes Gewicht auf diesen Aspekt gelegt wird.463 Damit enthält die Grundrechtecharta der Europäischen Union eine ausdrückliche Regelung im Hinblick auf die Rechtsschutzgewährung in angemessener Frist.464 Leider ist die Grundrechtecharta jedoch bislang noch nicht rechtsverbindlich.465 Obwohl sie noch nicht in das Primärrecht der Europäischen Union inkorporiert wurde, ist die Charta aber immerhin Ausdruck eines gemeinsamen Wertekonsenses, anhand dessen das Europäische Gericht erster Instanz und der Europäische Gerichtshof allgemeine Rechtsgrundsätze entwickeln können.466 Insbesondere die Teile der Charta, die über die Gewährleistungen der EMRK hinausgehen, werden vermutlich als allgemeine Rechtsgrundsätze aus der Grundrechtecharta hergeleitet werden.467 So könnte beispielsweise der gegenüber der EMRK weitere Anwendungsbereich des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist in Artikel 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta eine Erstre-

460 Harries-Lehmann (2004) S. 247; Hector in: FS-Ress (2002) S. 180, 180 und 187; Hirsch in: FS-BVerwG (2003) S. 3, 3; Niesler (2005) S. 80. 461 Harries-Lehmann (2004) S. 192; Niesler (2005) S. 81. 462 Harries-Lehmann (2004) S. 193. 463 Harries-Lehmann (2004) S. 233. 464 Harries-Lehmann (2004) S. 247; Hector in: FS-Ress (2002) S. 180, 201; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206. 465 Harries-Lehmann (2004) S. 247; Hirsch in: FS-BVerwG (2003) S. 3, 3; Oppermann (2005) S. 30; Ress in: FS-Ress (2002) S. 205, 205; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 206; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1140. 466 Hector in: FS-Ress (2002) S. 180, 202; Hirsch in: FS-BVerwG (2003) S. 3, 3; Niesler (2005) S. 81; Oppermann (2005) S. 30; Ress in: FS-Ress (2002) S. 205, 205. 467 Hector in: FS-Ress (2002) S. 180, 202; Hirsch in: FS-BVerwG (2003) S. 3, 3; Ress in: FS-Ress (2002) S. 205, 205.

V. Recht der Europäischen Union

247

ckung dieser Garantie in der Rechtssprechung des Europäischen Gerichts erster Instanz und des Europäischen Gerichtshofs auf alle Verfahren ermöglichen. Wenn der Reformvertrag wie geplant im Jahr 2009 in Kraft tritt, wird die Grundrechtecharta und mit ihr deren Artikel 47 Abs. 2 durch einen ausdrücklichen Verweis im Vertragstext in das Primärrecht der Europäischen Union inkorporiert. Mit Ausnahme von Großbritannien (und vorübergehend noch Polen), das insoweit einen Vorbehalt erklärt hat, wird diese Verweisung auf die Grundrechtecharta rechtsverbindlich sein. Damit wird das Primärrecht der Europäischen Union eine ausdrückliche und rechtsverbindliche Gewährleistung des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist enthalten. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg bräuchte dann bei der Herleitung des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Zeit nicht mehr den Umweg über Artikel 6 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu gehen. Inhaltlich wird sich an der Rechtsprechung angesichts der Parallelen zwischen den Normen jedoch nichts Wesentliches ändern. Allenfalls eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auf alle Gerichtsverfahren würde dadurch vereinfacht. Ansonsten bleibt jedoch zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg sich bezüglich des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist weiterhin an der seit Jahrzehnten sorgfältig entwickelten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg orientiert. So kann sich auf Dauer eine von allen Gerichten in Europa – also auch von den nationalen Gerichten und Verfassungsgerichten – einheitliche Rechtsprechung zum Problem der überlangen Verfahrensdauer entwickeln. 3. Rang des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist in der Normenhierarchie Ein interessanter Nebenaspekt im Rahmen des Rechts der Europäischen Union ergibt sich im Hinblick auf die Frage nach dem Rang der EMRK in der Normenhierarchie in Deutschland. Über den Umweg des Rechts der Europäischen Union könnte die EMRK an dem Vorrang dieser Rechtsordnung gegenüber dem nationalen Recht teilnehmen.468 Da der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung materiell an die EMRK gebunden hat, könnte auch nationales Durchführungsrecht am vorrangigen Gemeinschaftsrecht unter Einschluß der EMRK zu prüfen sein.469 Wird die EMRK materieller Bestandteil des Gemeinschaftsrechts, so nimmt sie zwangsläufig am Vorrang eben dieses Rechts 468 Bleckmann (2001) S. 299 ff. Rn 935 ff.; Britz NVwZ 2004, 173, 174 ff.; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 33. 469 Bleckmann (2001) S. 299 ff. Rn 935 ff.; Britz NVwZ 2004, 173, 174 ff.; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 33.

248

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

teil.470 Damit könnte Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf dem Umweg über das Recht der Europäischen Union in Deutschland statt dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes sogar Überverfassungsrang erlangen. Faktisch mag es zwar zutreffen, dass die EMRK durch ihre Bezugnahme durch das Recht der Europäischen Union gegenüber den nationalen Rechtsordnungen gestärkt wird, ebenso wie dies bereits durch die völkerrechtsfreundliche Auslegung von Normen durch das Bundesverfassungsgericht geschehen ist. Rechtlich ändert allerdings eine solche Bezugnahme nichts daran, dass die EMRK als solche in Deutschland weiterhin nur mit dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt. 4. Zusammenfassung Im Recht der Europäischen Union existiert bislang (noch) keine ausdrückliche Normierung des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist. Artikel 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta, der diesen Anspruch ausdrücklich festschreibt, ist bislang noch nicht rechtsverbindlich. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat jedoch in einem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1998 aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK einen allgemeinen Rechtsgrundsatz abgeleitet, nach dem jeder Bürger einen Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist hat. Auf diesen Grundsatz kann sich ein Bürger in einem Verfahren vor dem Gerichtshof oder dem Europäischen Gericht erster Instanz berufen. Bezüglich der Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer orientiert sich der Europäische Gerichtshof an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, so dass sich dessen Rechtsprechung zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auch im Recht der Europäischen Union als wegweisend für die Entwicklung des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist erwiesen hat.

VI. Zusammenfassung Erstaunlicherweise existieren in Deutschland zwar in verschiedenen Gesetzen Regelungen, die auf eine Beschleunigung von Gerichtsverfahren abzielen und ein Interesse des Gesetzgebers an einer zügigen Verfahrenserledigung dokumentieren, abgesehen vom Arbeitsgerichtsgesetz enthalten die Prozessordnungen jedoch keine Bestimmungen, die den Gerichten generell einen Verfahrensabschluss binnen angemessener Frist auferlegen. Der Anspruch eines Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist ergibt sich in Deutschland auf einfachgesetzlicher Ebene aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 470 Bleckmann (2001) S. 299 ff. Rn 935 ff.; Britz NVwZ 2004, 173, 174 ff.; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 33.

VI. Zusammenfassung

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EMRK, der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht nur auf privatrechtliche Streitigkeiten und Strafverfahren Anwendung findet, sondern auch auf alle Verfahren, die sich unmittelbar auf die privatrechtliche Stellung des Betroffenen auswirken. Auch wenn Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf steuerrechtliche Streitigkeiten und damit auf Verfahren vor den Finanzgerichten zurzeit noch nicht angewendet wird, gewährt die Norm doch zumindest für die meisten Verfahren vor den deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialgerichten einen Anspruch auf rechtzeitige Rechtsschutzgewährung. Ohne diese Einschränkung des Anwendungsbereichs – und damit auf alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten anwendbar – lässt sich der Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit 1980 aus Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG ableiten. Damit besteht dieser Anspruch auch auf verfassungsrechtlich Ebene. Darüber hinaus ist dieser Anspruch auch in zwei Landesverfassungen der neuen Bundesländer ausdrücklich festgeschrieben, nicht jedoch in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Auf der Ebene der Europäischen Union existiert mit Artikel 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta eine ausdrückliche Regelung zur Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit, die weitgehend mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK identisch ist. Im Gegensatz zu dieser Norm wird jedoch im Recht der Europäischen Union auf die nicht mehr zeitgemäße Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm verzichtet. Bedauerlicherweise ist die Grundrechtecharta jedoch noch nicht rechtsverbindlich und das Inkrafttreten des Reformvertrags, der eine rechtsverbindliche Verweisung auf die Grundrechtecharta enthält, steht bislang noch aus. Der Europäische Gerichtshof zieht aber seit 1998 in seiner Rechtsprechung den Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK als Ausdruck eines gemeinschaftlichen europäischen Rechtsgrundsatzes heran und orientiert sich bei der Ausgestaltung des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG als auch die des Europäischen Gerichtshofs basieren auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Dieser Artikel hat sich damit als wegweisend für den Rechtsschutz des Bürgers gegen überlange Verfahrensdauer erwiesen. Wenn heutzutage angesichts der verfassungsrechtlichen Verankerung des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist in Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG bereits die Frage nach der Relevanz des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in der deutschen Rechtsordnung gestellt wird,471 so ist dies einerseits erfreulich, da es ver471

Niesler (2005) S. 47.

250

F. Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist

deutlicht, wie selbstverständlich inzwischen davon ausgegangen wird, dass Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG einen Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist gewährleistet. Andererseits darf dabei nicht vergessen werden, dass die Rechtsprechung in Deutschland gerade hinsichtlich der Problematik der Verfahrensdauer ohne die langjährige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK heute bestimmt noch nicht so weit wäre, wie sie es aufgrund ständiger Ermahnungen aus Straßburg ist. Die Richter in Straßburg waren den Richtern in Deutschland in diesem Punkt schon immer einen Schritt voraus. Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zur wichtigsten Bastion im Kampf um einen Rechtsschutz in angemessener Frist und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum vehementesten Verfechter und nachhaltigsten Mahner geworden.472 Auch wenn Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG inzwischen im Hinblick auf das Problem der überlangen Verfahrensdauer im Wesentlichen deckungsgleich ausgelegt wird, bleibt damit die wichtigste Norm bezüglich des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK.

472 Gaede wistra 2004, 166, 166 Fn 3; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1969; Pauly StV 2005, 477, 478; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 310; SchmidtAßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 262.

G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer Wie im vorangegangenen Kapitel festgestellt, führt eine überlange Verfahrensdauer zu einem Verstoß gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention. Im Anschluss an diese Feststellung stellt sich die Frage, wie sich ein Bürger gegen solche Verstöße zur Wehr setzen kann. Ein nicht einklagbares Recht, das so genannte „nundum ius“ darf es im grundrechtsrelevanten Bereich der Rechtsordnung nicht geben.1 Hier gibt es kein „ius“ ohne „actio“; das Prinzip der Grundrechtseffektivität fordert vielmehr die Durchsetzbarkeit der grundrechtlich geschützten Rechtsposition.2 Die praktische Umsetzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Frist bereitet jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Ist die zulässige Verfahrensdauer erst einmal überschritten, so ist die verstrichene Zeit unwiederbringlich verloren und eine „Naturalrestitution“ in der Form einer Verfahrenswiederholung wäre ganz offenkundig ein ungeeignetes Mittel, weil sie die Gesamtverfahrensdauer weiter verlängern würde.3 Sollten sich präventive Maßnahmen gegen das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer als erfolglos erweisen, so kommen anschließend nur noch Entschädigungsansprüche in Betracht, die zwar eine gewisse Kompensation für die erlittenen Nachteile bieten, jedoch das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer nicht mehr verhindern können. Auf einige dieser denkbaren Rechtsschutzmöglichkeiten soll der Vollständigkeit halber dennoch vorab kurz eingegangen werden [G. I.]. Im Anschluss daran wird diskutiert, ob die Anerkennung des Verfahrensfehlers der überlangen Verfahrensdauer als Revisionsgrund eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit bei überlanger Verfahrensdauer darstellt [G. II.]. Wirklich wirksamen Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer gewährleisten aber nur Maßnahmen, die schon während des noch schwebenden Verfahrens Wirkung entfalten, sobald sich das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer abzeichnet. Diese stehen daher im Mittelpunkt der folgenden Darstellung [G. III.]. Für den Bürger kommt es bei allen in Betracht kommenden Maßnahmen entscheidend darauf 1

Kunig (1986) S. 442; Ziekow (1998) S. 24; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177; Ziekow (1998) S. 24; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. 3 Bernegger in: Machacek/Pahr/Stadler (1992), 733, 759; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 458; Brüning NJW 2007, 1094, 1095; Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Niesler (2005) S. 110; Schlette (1999) S. 40 und 59 und 74; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 178. 2

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

an, ob diese Maßnahmen rechtlich oder zumindest faktisch zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen.

I. Entschädigungsansprüche Ist es bereits zu einer überlangen Verfahrensdauer gekommen, so kann der Bürger nur noch versuchen, durch die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen zumindest eine gewisse Kompensation für die entstandenen Belastungen zu erhalten. Dafür kommen im Wesentlichen die Amtshaftungsklage [G. I. 1.] und die Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte [G. I. 2.] in Betracht. Im Bereich des Rechts der Europäischen Union kann zudem eine Entschädigung für eine Verletzung des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist im Rahmen eines Verfahrens vor dem Europäischen Gericht erster Instanz oder dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg geltend gemacht werden [G. I. 3.]. 1. Amtshaftungsklage Sehr deutlich wird die richterliche Pflicht zur Entscheidung in angemessener Frist in § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB gefordert, der als Ausnahme zum Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB eine Amtshaftung des Richters für eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes anordnet.4 Die Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer kann daher einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG begründen.5 Dafür muss eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht bei der Ausübung eines öffentlichen Amts vorliegen. Sowohl Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK als auch Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewähren ein subjektives Recht des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist und stellen damit eine Drittbezogenheit der Amtspflicht zur Entscheidung in angemessener Frist her.6 Über Artikel 34 Satz 1 GG haftet in der Regel der Dienstherr für die vom Richter begangenen Amtspflichtverletzungen.7 In allen Fällen, in denen die Justiz4 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 458; Brüning NJW 2007, 1094, 1098; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 16; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 530; Klose NJ 2004, 241, 243; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137; Niesler (2005) S. 176; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Schlette (1999) S. 20 und 63; Schneider ProzRB 2003, 22, 23; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1140; Ziekow (1998) S. 20; Ziekow DÖV 1998, 941, 943. 5 LG München (9. Senat) Urteil vom 12. Januar 2005 Az 9 O 17286/03 DRiZ 2006, 49, 50; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 16; Niesler (2005) S. 185; Schneider ProzRB 2003, 22, 23; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1140. 6 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 16; Niesler (2005) S. 174 f. und 185; Schlette (1999) S. 64; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1134.

I. Entschädigungsansprüche

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verwaltung durch mangelnde sachliche oder personelle Ausstattung der Gerichte die verzögerliche Verfahrensdauer verursacht, gewährte die Rechtsprechung bislang jedoch keinen Schadensersatzanspruch, wenn der Richter angesichts der unzureichenden Ausstattung der Justiz zum rechtzeitigen Abschluss des Verfahrens nicht in der Lage war und daher nicht schuldhaft handelte.8 Eine Amtshaftungsklage bei überlanger Verfahrensdauer war demzufolge nur in den wenigen Fällen Erfolg versprechend, in denen durch eine offensichtlich nachlässige richterliche Prozessführung eindeutig nachweisbare vermögensrechtliche Verzögerungsschäden entstanden sind.9 Als problematisch erwies sich damit, dass § 839 BGB keine vom Verschulden des Richters unabhängige Haftung gewährt. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Verzögerungsschäden wegen überlanger Verfahrensdauer, die auf Amtspflichtverletzungen wegen nicht sachgerechter Ausstattung der Gerichte beruhen, nunmehr bei den dafür Verantwortlichen eingeklagt werden,10 so dass die Amtshaftungsklage insoweit eine Kompensation zumindest für materielle Schäden ermöglicht.11 Eine Entschädigungsregelung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedoch nur dann eine hinreichende Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer, wenn sie einen Ausgleich für den in der Belastung durch die Verfahrensverzögerung liegenden nicht näher nachzuweisenden immateriellen Schaden gewährt und bereits während des laufenden Ausgangsverfahrens eingeleitet werden kann.12 In der derzeitigen Ausgestaltung erfüllt § 839 BGB diese Anforderungen an ein repressives Mittel zur Durchsetzung des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist nicht.13 Bislang kann dem Betroffenen nach dieser Norm ohne einen konkreten Schadensnachweis kein Geldanspruch in der Form eines „billigen Ausgleichs“ zugesprochen werden.14 Häufig entstehen durch eine überlange Verfahrensdauer je-

7 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 16; Niesler (2005) S. 185. 8 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 16; Schlette (1999) S. 65 f.; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1134. 9 Schlette (1999) S. 67. 10 BGH (3. Zivilsenat) Urteil vom 11. Januar 2007 Az III ZR 302/05 EuGRZ 2007, 367, 367; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 180; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1134. 11 Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 180. 12 EGMR (Große Kammer) Scordino/Italien 29. März 2006 Az 36813/97 NJW 2007, 1259, 1259 ff.; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 7; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137. 13 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2392 Rn 113–114; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 15; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137; Vorwerk JZ 2004, 553, 559. 14 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137; Niesler (2005) S. 182.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

doch gerade psychische Beeinträchtigungen und damit schwer nachweisbare immaterielle Schäden.15 Um eine wirksame Rechtschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer zu schaffen, wurde vom Deutschen Anwaltverein vorgeschlagen, den § 839 BGB dahingehend zu ändern, dass dieser verschuldensunabhängig einen „billigen Ausgleich“ auch für schwer nachweisbare immaterielle Schäden gewährt.16 Damit würde eine den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer geschaffen. In einigen Mitgliedstaaten der EMRK wurde dieser Weg eingeschlagen. In Italien wurde im Jahr 2001 durch das „pinto“-Gesetz eine Entschädigungsmöglichkeit bei überlanger Verfahrensdauer geschaffen und in Frankreich wurden im Jahr 2002 die Regelungen zur Staatshaftung derart reformiert, dass auch dort eine Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer gewährt werden kann.17 Auch in Portugal wurde eine Entschädigungsregelung eingeführt.18 Aber wirklich wirksamen Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer kann nur eine Rechtsschutzmöglichkeit gewährleisten, die dem Bürger die Möglichkeit einräumt, sein konkretes Verfahren schon während dessen Anhängigkeit zu beschleunigen. Selbst eine modifizierte Form der Amtshaftungsklage könnte dies nicht gewährleisten. Damit stellt selbst eine modifizierte Form der Amtshaftungsklage allein keine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer dar. 2. Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Seit dem Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention am 1. November 1998 sind die Individualrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Artikel 34 Satz 1 EMRK abgesichert.19 Grundsätzlich setzt die Erhebung einer Individualbeschwerde gemäß Artikel 35 Abs. 1 EMRK die Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs voraus, zu dem nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch die Durchführung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zählt.20 Damit wird den nationalen Gerichten die Funktion einer primären Stufe im Rechtsschutzsystem der Kon15

Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137. Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 15 f. 17 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137. 18 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 137. 19 Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 68; Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 866. 16

I. Entschädigungsansprüche

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vention zugewiesen und der betroffene Staat in die Lage versetzt, den behaupteten Menschenrechtsverstößen selbst nachzugehen und daraus Konsequenzen zu ziehen, bevor sich internationale Organe damit befassen.21 Die eingetretene Beschwer kann entfallen, wenn die innerstaatlichen Behörden die Konventionsverletzung ausdrücklich oder der Sache nach anerkannt haben und Wiedergutmachung dafür gewährt haben.22 Bei einer solchen Sachlage wäre ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit dem subsidiären Charakter der EMRK nicht vereinbar, der in erster Linie dem einzelnen Vertragsstaat die Aufgabe zuweist, die in der Konvention verankerten Rechte und Freiheiten sicherzustellen.23 Außerdem dient die Vorschaltung nationalen Rechtsschutzes zugleich der Entlastung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und soll einen Dialog zwischen diesem und den nationalen Gerichten in Gang setzen, der dem Menschenrechtsschutz in Europa dient.24 Eine Individualbeschwerde kann der Bürger daher im Regelfall nur dann erheben, wenn eine Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wird oder wenn eine überlange Verfahrensdauer vor dem Bundesverfassungsgericht selbst gerügt werden soll.25 Als unselbstständige Nebenentscheidung zu einem Hauptverfahren, in dem die Verletzung des Konventionsrechts auf ein Verfahren in angemessener Frist durch innerstaatliche Organe gerügt wird, kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Entschädigung zusprechen.26 Dabei kann er sich mit Artikel 41 EMRK auf eine ausdrückliche Rechtsgrundlage berufen.27 Einzige tatbe20 EGMR (4. Sektion) Tomé Mota/Portugal 2. Dezember 1999 Az 32082/96 NJW 2001, 2692, 2693; Dörr (1984) S. 86; Grabenwarter (2003) S. 81; Heyde Bundesanzeiger Beilage 1999, 3, 111; Mayer-Ladewig (2003) Art 6 Rn 73; Oellers-Frahm in: FS-Ress (2005) S. 1027, 1031; Schlette (1999) S. 58; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 218; Simon in: HVerfR (1994) § 34 Rn 32; Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 866; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1800 f. und 1813. 21 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2700 Rn 152; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 401; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1813 f. 22 Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1814. 23 Schlette (1999) S. 58; Schokkenbroeck EuGRZ 2003, 134, 135; Strasser in: FSMatscher (2005) S. 111, 115; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1814; Wildhaber EuGRZ 2002, 569, 569; Zuck (1988) S. 85. 24 Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1814. 25 Dörr (1984) S. 86; Kenntner in: Bergmann/Kenntner (2002) S. 63, 68; MeyerLadewig SGb 1990, 257, 258; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 24; Schlette (1999) S. 57; Simon in: HVerfR (1994) § 34 Rn 32; Tomuschat in: FS-Ress (2005) S. 857, 866. 26 Niesler (2005) S. 192; Schlette (1999) S. 68; Ziekow (1998) S. 25. 27 Dannemann (1994) S. 1 ff.; Frowein (1983) S. 25; Matscher in: FS-Ermacora (1988), S. 79, 80 f.; Mayer ZfV 1988, 473, 482; Niesler (2005) S. 192; Otto (1994) S. 68 f.; Oppermann (2005) S. 33 und 43 f.; Peukert RabelsZ 63 (1999), 600, 623; Priebe in: FS-v. Simson (1983), 287, 308 f.; Schlette REDP 9 (1997), 195, 207; Schlette REDP 10 (1998), 479, 485; Schlette (1999) S. 68; Stöcker in: FS-Felix (1989)

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

standliche Voraussetzung dieser Norm ist die Verletzung eines beliebigen Konventionsrechts. Damit haftet der Staat – anders als nach deutschem Recht – uneingeschränkt auch für legislatives und judikatives Unrecht.28 Folglich kann eine Entschädigung auch dann zugesprochen werden, wenn ein Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht auf einem persönlichen Verschulden des Richters, sondern auf einer Überlastung der Gerichte beruht. Außerdem gewährt Artikel 34 EMRK Entschädigung auch für schwer nachweisbare immaterielle Schäden wie psychische Belastungen durch das überlange Verfahren.29 Die vom Gerichtshof als Entschädigung zugesprochenen Summen reichen oft weit über das in der deutschen Rechtsordnung gewährte Maß hinaus.30 Damit kann der von überlanger Verfahrensdauer betroffene Bürger durch die Einlegung einer Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zumindest eine Entschädigung als gewisse Kompensation für die mit einer überlangen Verfahrensdauer einhergehenden Belastungen erhalten. 3. Recht der Europäischen Union Im Bereich des Rechts der Europäischen Union kann inzwischen vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ein auf Rechtsfortbildung beruhender Entschädigungsanspruch geltend gemacht werden. In seinem bereits oben [F. V. 1.] erwähnten Urteil vom 17. Dezember 1998 in dem Fall Baustahlgewebe GmbH gegen die Kommission31 behandelt der Europäische Gerichtshof die Frage nach den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Garantie zeitnahen Rechtsschutzes nur knapp. Er stellt fest, dass jeder Anhaltspunkt dafür fehle, dass die Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt habe, so dass eine vollständige Aufhebung des Urteils nicht in Betracht komme.32 Andererseits müsse gegen einen Verfahrensfehler, wie die überlange Verfahrensdauer ihn darstelle, ein unmittelbarer und effektiver Rechtsbehelf gegeben sein, der auch einen finanziellen Ausgleich ermögliche.33 Auf dieser Grundlage hebt der Europäische Gerichtshof das angefochtene Urteil des Europäischen Gerichts erster Instanz insoweit auf, als darin die Höhe der Geldbuße auf drei Millionen Einheiten der European Currency Unit (ECU) festgesetzt S. 429, 470; Ulsamer in: FS-Faller (1984) S. 373, 380; Ulsamer in: FS-Zeidler (1987) S. 1799, 1801; Velu/Ergec (1990) S. 448 ff.; Ziekow DÖV 1998, 941, 945. 28 Niesler (2005) S. 193; Schlette (1999) S. 69. 29 Niesler (2005) S. 195; Schlette (1999) S. 70. 30 Niesler (2005) S. 195 und 198 und 201; Schlette (1999) S. 70. 31 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 38 ff. 32 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 42 Rn 49; Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 14. 33 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 42 Rn 48; Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 14.

I. Entschädigungsansprüche

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wird und setzt die Buße nunmehr auf 2.950.000 ECU fest.34 Der Europäische Gerichtshof gewährt also eine Entschädigung in Höhe von 50.000 ECU und rechnet diese auf die Geldbuße an, was im Ergebnis eine sehr geringfügige Strafmilderung bedeutet.35 Unklar bleibt, auf welche dogmatische Grundlage sich der Europäische Gerichtshof für seine Vorgehensweise stützt, die der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fremd ist.36 Bisher hatte sich der Europäische Gerichtshof bei Konventionsverletzungen darauf beschränkt, eine gesonderte Entschädigung in Geld zuzusprechen; er hielt sich jedoch nicht für befugt, die angefochtene Sanktion zu modifizieren.37 Der Generalanwalt hatte dem Europäischen Gerichtshof in Ermangelung einer einschlägigen Vorschrift und wegen der systematischen Ungereimtheit, die in der Verquickung von Geldbuße und Entschädigung besteht, ausdrücklich von der gewählten Lösung abgeraten.38 Das vom Generalanwalt vorgeschlagene, dogmatisch überzeugendere Verfahren, die Höhe der Sanktion unangetastet zu lassen und einen gesonderten Entschädigungsanspruch zu gewähren, wollte der Europäische Gerichtshof offenbar seiner Aufwendigkeit wegen vermeiden, wie sich seinem Hinweis auf die Prozessökonomie entnehmen lässt.39 Unklar bleibt ferner, wie der Europäische Gerichtshof zu der konkreten Höhe des Betrags gelangt, da die Baustahlgewebe GmbH keinen entsprechenden Schadensposten geltend gemacht hatte. Offensichtlich handelt es sich um eine nicht näher begründete und begründbare Billigkeitsentscheidung, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg in vergleichbaren Fällen häufig vornimmt, wobei sich dieser dabei – anders als der Europäische Gerichtshof in Luxemburg – allerdings mit Artikel 41 EMRK auf eine ausdrückliche Rechtsgrundlage berufen kann.40 Dennoch ist begrüßenswert, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg in diesem Urteil den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist als zentrales Element effektiver Rechtsschutzgewähr auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene verankert hat und seine Rechtsprechung dabei inhaltlich eng an die bewährte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg angelehnt hat.41 Dadurch werden Ungereimtheiten 34 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 49 Rn 141 f.; Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 14; Schlette EuGRZ 1999, 369, 371. 35 Hackspiel in: Rengeling u. a. (2003) § 21 Rn 14; Schlette EuGRZ 1999, 369, 371. 36 Schlette EuGRZ 1999, 369, 371 f. 37 Schlette EuGRZ 1999, 369, 372 Fn 30. 38 Léger EuGRZ 1999, 26, 30 f.; Schlette EuGRZ 1999, 369, 371 f. und 372 Fn 29. 39 EuGH Baustahlgewebe GmbH/Kommission 17. Dezember 1998 Az C-185/95 P EuGRZ 1999, 38, 42 Rn 48; Schlette EuGRZ 1999, 369, 372 Fn 29; Streinz JuS 1999, 597, 598. 40 Schlette EuGRZ 1999, 369, 372. 41 Schlette EuGRZ 1999, 369, 373.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

zwischen den beiden europäischen Grundrechtsordnungen vermieden, wie sie in einigen anderen Fällen zutage getreten sind.42 Allerdings bedarf der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist, insbesondere in Bezug auf die Rechtsfolgen eines Verstoßes, noch weiterer, speziell gemeinschaftsrechtlicher Konkretisierung in der zukünftigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.43 Erste Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur überlangen Verfahrensdauer auf die Tätigkeit der Institutionen der Europäischen Union sind jedoch bereits festzustellen. So senkte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in einer Entscheidung vom 26. Oktober 1999 in dem Fall FEG und TU gegen die Kommission44 den Betrag der gegen zwei Unternehmen verhängten Geldbußen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit der Begründung, sie habe nicht in angemessener Frist entschieden. 4. Zusammenfassung Aufgrund einer Amtshaftungsklage gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG wird eine Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer nur in wenigen Ausnahmefällen gewährt, so dass die Erhebung einer Amtshaftungsklage im Regelfall keinen wirksamen Rechtsschutz gewährt. Im Rahmen einer Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gemäß Artikel 34 Satz 1 EMRK hingegen kann dem Bürger bei einer Verletzung des Rechts auf ein Verfahren in angemessener Frist nach Artikel 41 EMRK eine Entschädigung gewährt werden. Zwar kostet diese Möglichkeit angesichts der langen Verfahrensdauer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch weitere Zeit und kann auch nicht dafür sorgen, dass das Ausgangsverfahren – um das es dem Bürger ja eigentlich geht – schneller abgeschlossen wird, doch kann der Bürger auf diese Weise immerhin eine gewisse Kompensation für die durch das überlange Verfahren entstandenen Nachteile erhalten. Im Bereich des Rechts der Europäischen Union kann seit 1998 aufgrund einer vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg betriebenen Rechtsfortbildung ebenfalls eine Entschädigung zugesprochen werden.

42 Zum Beispiel bezüglich der Frage, ob das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch den Schutz von Geschäftsräumen umfasst, die vom EuGH Hoechst AG/Kommission 21. September 1989 Az 46/87 und 227/88 EuGRZ 1989, 395, 401 Rn 18 verneint und vom EGMR Niemietz/Deutschland 16. Dezember 1992 Az 72/ 1991/324/396 EuGRZ 1993, 65, 66 Rn 29 bejaht wurde. 43 Schlette EuGRZ 1999, 369, 373. 44 EG-Kommission FEG und TU WuW 12/2000, 1270, 1274.

II. Überlange Verfahrensdauer als Revisionsgrund

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II. Überlange Verfahrensdauer als Revisionsgrund Eine denkbare Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Beschluss vom 13. Dezember 200545 entwickelt. Der Senat ging dabei davon aus, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer verlangen.46 Da eine solche Rechtsschutzmöglichkeit in Deutschland nicht gesetzlich geregelt ist, hat sich der Senat um die Konstruktion einer solchen im Wege der Rechtsfortbildung in Anlehnung an vorhandene gesetzliche Regelungen bemüht. Im Ergebnis hat er den Verfahrensfehler der überlangen Verfahrensdauer als Revisionsgrund anerkannt.47 Als problematisch erwies sich dabei, dass der die Zulassung der Revision regelnde § 160 Abs. 2 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verlangt, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler „beruht“. Eine Entscheidung „beruht“ jedoch nur in extremen Ausnahmefällen auf der überlangen Verfahrensdauer, so dass eine auf den Verfahrensfehler der überlangen Verfahrensdauer gestützte Revision nach dem Gesetzeswortlaut im Regelfall unzulässig wäre.48 Dieses Problem hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts zu lösen versucht, indem er § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG dahingehend teleologisch reduziert hat, dass ein „Beruhen“ im Fall überlanger Verfahrensdauer nicht erforderlich sein soll.49 Welche konkreten Rechtsfolgen die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer nach sich zieht, hat er im Rahmen seiner auf die Revisionszulassung beschränkten Entscheidung offen gelassen und insoweit ausdrücklich auf die spätere Prüfung durch das Revisionsgericht verwiesen. In dem zugrunde liegenden Fall ist es dann jedoch nicht zu einer Revisioneinlegung gekommen,50 so dass die spannende Frage nach der faktischen Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf ein Verfahren in angemessener Frist weiterhin offen ist.51 Eine Aufhebung und Zurückverweisung an die Vorinstanz jedenfalls hält der Senat für keine geeignete Vorgehensweise, da das Verfahren dadurch weiter ver-

45 BSG (4. Senat) Beschluss vom 13. Dezember 2005 Az B 4 RA 220/04 B SGb 2006, 553, 553 ff. 46 Leitherer NZS 2007, 225, 226. 47 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 135; Leitherer NZS 2007, 225, 226. 48 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 135; Meyer-Ladewig SGb 2006, 559, 562. 49 Leitherer NZS 2007, 225, 226; Meyer-Ladewig SGb 2006, 559, 562. 50 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 136; Leitherer NZS 2007, 225, 226; MeyerLadewig SGb 2006, 559, 562. 51 Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 132.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

längert würde.52 Insoweit stimmt der 4. Senat des Bundessozialgerichts auch mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überein. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23. März 200553 zur Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsordnung aus dieser Problematik den Schluss gezogen, die Rüge der überlangen Verfahrensdauer sei daher generell nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu rechtfertigen.54 Der 4. Senat des Bundessozialgerichts ist den gegenteiligen Weg gegangen und hat den Verfahrensfehler der überlangen Verfahrensdauer als Revisionsgrund anerkannt. Wenige Tage nach dem Beschluss des 4. Senats hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Beschluss vom 28. Dezember 200555 verlangt, dass die überlange Verfahrensdauer den Inhalt der Entscheidung beeinflusst haben muss, um einen Revisionszulassungsgrund darzustellen. Damit hat der 2. Senat dem vom 4. Senat vorgeschlagenen Lösungsweg eine klare Absage erteilt. Ausdrücklich als Abkehr von der Rechtsprechung des 4. Senats gekennzeichnet hat der 2. Senat in einem Beschluss vom 4. September 200756 verlangt, dass wegen einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren die Zulassung der Revision nur verlangt werden kann, wenn das angefochtene Urteil auf dem Mangel „beruhen“ kann. Soweit ersichtlich, sind auch die anderen Senate des Bundessozialgerichts dem Lösungsweg des 4. Senats nicht gefolgt und dessen Beschluss stellt damit wohl nur eine weitere dogmatisch interessant hergeleitete, aber in der Praxis wenig Erfolg versprechende Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer dar. Die vom 4. Senat konstruierte Lösungsmöglichkeit kann weder das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer verhindern, noch dem betroffenen Bürger bei bereits eingetretener überlangen Verfahrensdauer eine Entschädigung verschaffen. Auch wenn der Versuch des 4. Senats ehrenwert ist, eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer zu konstruieren, so stellt dieser Lösungsansatz keine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer dar.

52 BSG (4. Senat) Beschluss vom 13. Dezember 2005 Az B 4 RA 220/04 B SGb 2006, 553, 555 Rn 24; Leitherer NZS 2007, 225, 227. 53 BVerwG (8. Senat) Beschluss vom 23. März 2005 Az 8 B 3/05 NJW 2005, 2169, 2196. 54 Leitherer NZS 2007, 225, 226. 55 BSG (2. Senat) Beschluss vom 28. Dezember 2005 Az B 2 U 52/05 B nur in juris veröffentlicht. 56 BSG (2. Senat) Beschluss vom 4. September 2007 Az B 2 U 308/06 B nur in juris veröffentlicht.

III. Präventive Maßnahmen

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III. Präventive Maßnahmen Effektiver als eine nachträgliche Entschädigung für die durch eine überlange Verfahrensdauer entstandenen Nachteile wäre eine tatsächlich wirksame Rechtsschutzmöglichkeit bereits während des schwebenden Verfahrens, sobald sich eine überlange Verfahrensdauer abzeichnet. Zu denken ist dabei primär an die Dienstaufsicht [G. III. 2.], eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [G. III. 6.] und des Bundesverfassungsgerichts [G. III. 7.], sowie an eine Rüge beim Ausgangsgericht oder dem nächsthöheren Gericht im Instanzenzug in der Form einer Untätigkeitsbeschwerde [G. III. 8.]. Aber auch weitere Rechtsschutzmöglichkeiten, wie der vorläufige Rechtsschutz [G. III. 1.], die Anzeige des Richters wegen Rechtsbeugung [G. III. 3.], die Richteranklage [G. III. 4.] und die Amtshaftungsklage [G. III. 5.] sollen im Folgenden auf ihre beschleunigende Wirkung hin untersucht werden. 1. Vorläufiger Rechtsschutz Vielfach wird im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer vieler Gerichtsverfahren über den vorläufigen Rechtsschutz zur Lösung des Problems diskutiert.57 Aufgrund der zunehmenden Dauer der Gerichtsverfahren ist die Anzahl der Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz überproportional stark angestiegen.58 Sie belasten die Gerichte derart, dass die Hauptsacheverfahren immer länger dauern, obwohl eigentlich diese den endgültigen Rechtsschutz gewähren sollten [E. III. 4.].59 Mit den Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz versuchen die Betroffenen wenigstens einen gewissen Ausgleich der durch die Länge des Hauptsacheverfahrens bedingten Rechtsschutzeinbußen zu erlangen.60 Auf den ersten Blick erscheint das Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes als geradezu ideales Mittel, dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Frist zum Durchbruch zu verhelfen.61 Einstweiliger Rechtsschutz wird in Deutschland insbesondere bei den Verwaltungsgerichten in recht großzügiger 57 Baur (1966) S. 3; Clausing NVwZ 1992, 717, 719 f.; Dörr (2003) S. 30 f. und 233 f.; Harries-Lehmann (2004) S. 93 f.; Niesler (2005) S. 158; Otto (1994) S. 40; Papier in: HStR VI (1989) § 154 Rn 79; Reich (1998) Art 19 Rn 5; Schenke DÖV 1982, 709, 715 und 724; Schlette (1999) S. 42 ff.; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler VBlBW 1989, 41, 49; Ziekow (1998) S. 38. 58 Clausing NVwZ 1992, 717, 719; Grawert DVBl 1983, 973, 975; Meyer-Ladewig DVBl 1979, 539, 539; Schenke DÖV 1982, 709, 715; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FS-Richterakademie (1983) S. 175, 182 und 184; Sendler VBlBW 1989, 41, 49. 59 Clausing NVwZ 1992, 717, 720; Sendler DVBl 1982, 812, 819; Sendler in: FSRichterakademie (1983) S. 175, 182 und 184; Sendler VBlBW 1989, 41, 49. 60 Schenke DÖV 1982, 709, 715; Stern (1984) S. 854; Ziekow (1998) S. 38. 61 Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Otto (1994) S. 40; Schlette (1999) S. 42.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Weise gewährt und daher könnte man das Problem der überlangen Verfahrensdauer fast als Scheinproblem abtun.62 Wenn eine Maßnahme eilbedürftig ist, kann sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erlassen werden und die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung verhindert eine Verschlechterung der Rechtslage für den Kläger.63 Bei einer Verpflichtungsklage wäre es theoretisch sogar denkbar, dem Kläger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die begehrte Vergünstigung übergangsweise bis zum Prozessende zuzusprechen und dadurch die entstehenden Nachteile für ihn zu mindern.64 Dabei ist jedoch zu beachten, dass vorläufiger Rechtsschutz die Entscheidungen in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen darf und daher gegenüber dem, was in der Hauptsache begehrt wird, nur ein Minus zugesprochen werden kann.65 Außerdem ändert die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in vielen Fällen nichts daran, dass der Kläger in einer rechtlich unsicheren Schwebelage bleibt.66 Vorläufiger Rechtsschutz zugunsten des Klägers führt nicht automatisch zu einem Obsiegen in der Hauptsache und bei einer Klageabweisung drohen sogar Schadensersatzansprüche.67 Darüber hinaus führt bei Verfahren mit der Beteiligung Dritter die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für den einen Beteiligten meist auch zu Nachteilen für den anderen Beteiligten und die Verfahrensdauer geht dann lediglich zu Lasten eines anderen.68 In vielen Fällen ist der vorläufige Rechtsschutz daher nicht geeignet, den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewährleisten.69 2. Dienstaufsichtsbeschwerde und richterliche Unabhängigkeit Eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit, um unmittelbar auf einen nicht hinreichend zügig arbeitenden Richter einzuwirken, könnte die Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde sein.70 Der § 26 Abs. 2 des Deutschen Richtergeset62

Otto (1994) S. 40; Schlette (1999) S. 42. Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Schlette (1999) S. 42; Ziekow (1998) S. 38. 64 Ziekow (1998) S. 38. 65 Jaeger VBlBW 2004, 128, 131; Körner BDVR-R 2005, 11, 12; Niesler (2005) S. 158 f. Fn 603; Ziekow (1998) S. 38. 66 EGMR König/Deutschland 28. Juni 1978 Az C 78/31 Série A Vol 27 Rn 105 = EuGRZ 1978, 406, 419 Rn 105; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Niesler (2005) S. 158. 67 Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Niesler (2005) S. 158; Schlette (1999) S. 43. 68 Schenke DÖV 1982, 709, 724; Schlette (1999) S. 43. 69 Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Schenke DÖV 1982, 709, 724; Schenke in: BnK (2004) Art 19 Abs 4 Rn 422; Schlette (1999) S. 43. 70 Baur (1954) S. 1 ff. und 52 ff.; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 56; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Dahs (1965) S. 10; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 137 und 141; Klein JZ 1963, 591, 591; Klose NJ 2004, 241, 244; Leisner (2003) S. 224; Lindemann AnwBl 1983, 389, 392; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Niesler (2005) S. 151; Otto (1994) S. 88 ff.; 63

III. Präventive Maßnahmen

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zes (DRiG) stellt klar, dass sich die Dienstaufsicht über die Richter auch auf den zeitlichen Aspekt ihrer Tätigkeit erstrecken kann.71 Damit könnte diese zu einem Instrument der Sicherung und Durchsetzung der staatlichen Justizgewährleistungspflicht werden, die nicht nur das Gebot der richterlichen Entscheidung überhaupt, sondern auch die Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Frist enthält.72 Die richterliche Unabhängigkeit dürfte daher eigentlich nicht als Rechtfertigung einer zögerlichen Verfahrensbearbeitung herangezogen werden.73 Der Richter ist eben nicht generell, sondern allein in den Grenzen seiner Gesetzesgebundenheit und seiner Amtspflichten unabhängig.74 Es gehört zu seinen Dienstpflichten, seine Tätigkeit an der staatlichen Justizgewährleistungspflicht auszurichten.75 Daher begründet die Versagung oder Verweigerung eines Rechtsschutzes in angemessener Zeit eine Verletzung der staatlichen Justizgewährleistungspflicht und müsste somit eigentlich eine mit der Dienstaufsichtsbeschwerde erfolgreich angreifbare Dienstpflichtverletzung des Richters darstellen.76 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in seiner Funktion als Richterdienstgericht tangiert die Frage der zeitlichen Dauer der Erledigung jedoch die in § 25 DRiG und Artikel 97 Abs. 1 GG verankerte richterliche Unabhängigkeit und unterfällt insoweit dem grundsätzlich weisungsfreien Kernbereich der Rechtsprechung.77 Daraus folgt, dass grundsätzlich sowohl eine Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 23; Papier NJW 1990, 8, 8 ff.; Papier NJW 2001, 1089, 1091; Redeker (2000) S. 28 ff.; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Riemann in: SZ vom 15./16. Januar 2005 S. 41; Schlette (1999) S. 49; Schneider MDR 1998, 1397, 1398 f.; Schneider ProzRB 2003, 22, 23; Schuppert in: Hoffmann-Riem (1998) S. 215, 220 f.; Sendler NJW 1983, 1449, 1450; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 444; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 132. 71 Arndt DRiZ 1974, 248, 248; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 56; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Haberland DRiZ 2002, 301, 304; Häsemeyer in: FSMichaelis (1972) S. 134, 142; Klein JZ 1963, 591, 591; Klose NJ 2004, 241, 244; Lindemann AnwBl 1983, 389, 392; Otto (1994) S. 92; Papier NJW 1990, 8, 11; Redeker (2000) S. 30; Redeker NJW 2000, 2796, 2797 f.; Schlette (1999) S. 20 und 49; Sendler (2000) S. 6; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 72 Haberland DRiZ 2002, 301, 304; Klose NJ 2004, 241, 244; Papier NJW 1990, 8, 8 und 10; Papier NJW 2001, 1089, 1091; Redeker (2000) S. 29; Redeker NJW 2000, 2796, 2797. 73 Klose NJ 2004, 241, 244. 74 Dinslage DRiZ 1960, 201, 203; Klose NJ 2004, 241, 244. 75 Klose NJ 2004, 241, 244; Papier NJW 2001, 1089, 1091. 76 Klose NJ 2004, 241, 244. 77 BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 16. November 1990 Az RiZ 2/90 BGHZ 113, 36, 40 f.; Arndt DRiZ 1974, 248, 250; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 56; Bien/ Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Cebulla in: SZ vom 5./6. Januar 2006 S. 2; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Haberland DRiZ 2002, 301, 303 und 305; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 141; Klein JZ 1963, 591, 591; Klose NJ 2004, 241, 244; Kropp NJ 2005, 208, 209; Otto (1994) S. 88 f. und 93; Papier NJW 1990, 8, 8; Redeker (2000) S. 30; Schneider ProzRB 2003, 22, 23.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

zu frühe als auch eine zu späte Terminierung von der richterlichen Unabhängigkeit gedeckt ist und eine mit der Dienstaufsichtsbeschwerde angreifbare Rechtsverweigerung erst dann vorliegt, wenn ein Richter die Terminierung insgesamt verweigert.78 Dieser Rechtsprechung liegt eine Vorstellung vom Beruf des Richters zugrunde, die in der Entscheidung vom 16. November 1990 besonders deutlich zum Ausdruck kommt: „Es entspricht der herrschenden Auffassung, der sich der Senat anschließt, daß der Richter zur Einhaltung allgemein festgesetzter Dienststunden nicht verpflichtet ist. Zwar hat er ebenso wie der Beamte seine ganze Kraft dem Amt zu widmen. Aus seiner Unabhängigkeit – Art. 97 GG – folgt jedoch, daß er, soweit nicht bestimmte Tätigkeiten seine Präsenz erfordern (Sitzungen, Beratungen, Abwicklung des Dezernats, Sofort- und Eilsachen), seine Arbeit nicht innerhalb fester Dienstzeiten und nicht an Gerichtsstelle zu erledigen braucht. Es handelt sich hierbei um einen Ausfluß nicht der persönlichen, sondern der sachlichen Unabhängigkeit. Deren Erstreckung in diesen Bereich der Arbeitszeitgestaltung hinein wird wesentlich von dem Gedanken getragen, daß der Richter in seiner eigentlichen Arbeit, der Rechtsfindung, von äußeren Zwängen, seien sie auch nur atmosphärischer Art, soweit als eben möglich frei sein soll. Er soll die Möglichkeit haben, sich, wann immer seine Anwesenheit im Gericht nicht unerläßlich ist, mit seiner Arbeit zurückziehen zu können, um sich ihr in anderer Umgebung und mit freierer Zeiteinteilung umso ungestörter und intensiver widmen zu können. Ihm dies zu verwehren, hieße bereits, ihn von einer Arbeitsweise abzuhalten, die er für ertragreicher und der Sache angemessener erachtet und die dies, wenn der Richter so empfindet, im Zweifel auch ist. Begünstigt wird die freie Arbeitszeitgestaltung des Richters dadurch, daß sich der größere Teil der richterlichen Arbeit, zumal das Überdenken und Absetzen der Entscheidungen sowie das Studium von Akten, Rechtsprechung und Schrifttum, weitgehend auf einer von der Gerichts- und Behördenorganisation losgelösten Ebene vollzieht. Im Bereich der Rechtsfindung ist der Richter außerhalb der Sitzungen und Beratungen allein auf sich selbst gestellt. Insoweit ist die Rechtsfindung nicht das Ergebnis eines behördlichen Ablaufs, sondern eines höchstpersönlichen Erkenntnisprozesses. Hinzu kommt, daß sich Erkenntnisse und Formulierungen, wie sie dem Richter fortlaufend abverlangt werden, der zeitlichen Steuerung weitgehend entziehen. Die zur Bewältigung dieser Aufgaben erforderliche persönliche Disposition unterliegt erheblichen Schwankungen und individuellen Unterschieden. Im Zusammenwirken alles dessen ist es dem Richter im Interesse einer sachgerechten Bearbeitung der seiner Entscheidung unterliegenden Fälle gestattet, seine Arbeitszeit entsprechend seinem individuellen Arbeitsrhythmus selbst einzuteilen, soweit nicht seine Anwesenheit im Gericht nach der Art bestimmter Obliegenheiten geboten ist. Eine Festlegung des Richters auf bestimmte Arbeitszeiten wäre deshalb als Eingriff in seine richterliche Arbeit unzulässig.“79

78 Haberland DRiZ 2002, 301, 305; Klose NJ 2004, 241, 244; Niesler (2005) S. 151; Schlette (1999) S. 49 f. 79 BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 16. November 1990 Az RiZ 2/90 BGHZ 113, 36, 40 f.

III. Präventive Maßnahmen

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Kritiker dieser Rechtsprechung fühlen sich angesichts des in diesem Urteil gezeichneten Berufsbilds des Richters eher an den Komponisten Ludwig van Beethoven (1770–1827) erinnert, der sich auf langen Wanderungen musikalisch inspirieren ließ.80 Außerdem fragen sie, wie wirklich unabhängig ein Richter sei, dessen Entscheidungstätigkeit dadurch beeinflusst wird, dass ihm Erfahrungen sinnvoller Arbeitsweise und Hinweise auf eine notwendige Arbeitsdisziplin nahe gebracht werden.81 Zwar ist die richterliche Unabhängigkeit unbestritten eine der Grundlagen der rechtsstaatlichen Ordnung und die Entscheidung eines Gerichts einschließlich ihrer verfahrensmäßigen Vorbereitung muss von jedem Einfluss von außerhalb und auch innerhalb des Gerichts frei getroffen werden, doch damit können nicht sämtliche Fragen nach der Effektivität richterlicher Arbeitsweise, der Arbeitsorganisation, Arbeitsdisziplin und Arbeitskonzentration pauschal dem Bereich der richterlichen Unabhängigkeit zugerechnet werden.82 Da sich die Rechtsprechung der Richterdienstgerichte jedoch auf absehbare Zeit nicht ändern wird, ist es zumindest im Rahmen der Dienstaufsicht nur erlaubt, einen Richter allgemein zu einer zügigeren Bearbeitung seiner Rechtssachen anzuhalten, die Ermahnung, ein konkretes Verfahren zügiger zu bearbeiten, gilt hingegen bereits als unzulässiger Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit.83 Damit hat die Rechtsprechung der Dienstaufsicht „die Zähne gezogen“84 und sie zu einem „stumpfen Schwert“ gemacht.85 Von den Richterdienstgerichten wird die richterliche Unabhängigkeit nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus im Zweifel höher bewertet als die Notwendigkeit eines Einschreitens durch die Dienstaufsicht.86 Damit stehen – ent80

Redeker (2000) S. 32. Glogowski BDVR-R 1998, 19, 19 f.; Ott in: SZ vom 11. Januar 2006 S. 30; Redeker (2000) S. 31; Seidel AnwBl 2002, 325, 327. 82 Dombek DRiZ 2006, 247, 249; Eylmann u. a. (2004) S. 14 Rn 28; Glogowski BDVR-R 1998, 19, 19 f.; Leuze DÖD 2005, 78, 83; Redeker (2000) S. 28; Redeker in: FS-Kutscheidt (2003) S. 41, 56; Seidel AnwBl 2002, 325, 327; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 83 BHGZ (Dienstgericht des Bundes) 3. Oktober 1977 Az RiZ (R) 1/77 BGHZ 69, 309, 313; BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 31. Januar 1984 Az RiZ (R) 3/83 BGHZ 90, 41, 44 f.; BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 10. Januar 1985 Az RiZ (R) 7/84 BGHZ 93, 238, 244; BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 16. September 1987 Az RiZ (R) 4/87 NJW 1988, 419, 420; BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 16. September 1987 Az RiZ (R) 5/87 NJW 1988, 421, 422; Baur (1954) S. 32; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Geiger BDVR-R 2003, 65, 65; Haberland DRiZ 2002, 301, 305; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 141 f.; Niesler (2005) S. 151; Otto (1994) S. 95; Papier NJW 1990, 8, 11 f.; Redeker (2000) S. 29; Redeker NJW 2003, 488, 489; Schlette (1999) S. 50; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 132; Ziekow DÖV 1998, 941, 947. 84 Sendler NJW 1983, 1449, 1450; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 85 Hieronimi NJW 1984, 108, 108; Hohendorf NJW 1984, 958, 961. 86 BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 27. September 1976 Az RiZ (R) 3/75 BGHZ 67, 184, 188; BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 5. Februar 1980 Az RiZ (R) 2/79 81

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

gegen einer Forderung in der Literatur87 – die richterliche Unabhängigkeit und das Recht auf ein Verfahren in angemessener Frist nicht gleichberechtigt nebeneinander. Stattdessen setzt sich die richterliche Unabhängigkeit im Rahmen der Dienstaufsicht im Zweifelsfall durch. Deswegen ist die Dienstaufsichtsbeschwerde nicht nur „fristlos“ und „formlos“, sondern auch „fruchtlos“.88 Im Regelfall stellt die Dienstaufsichtsbeschwerde damit nur ein unzureichendes allgemeines Abwehrinstrument dar,89 dessen Effekt gleich Null ist90 oder das zumindest bis auf Extremfälle weitgehend ineffektiv ist91 und daher eine „Kümmerexistenz am Rande der Gesellschaft“ fristet.92 Andererseits erweist sich die Dienstaufsichtsbeschwerde in der Praxis manchmal selbst dann als erfolgreich, wenn eindeutig die richterliche Unabhängigkeit betroffen ist.93 Um sich eine umständliche Stellungnahme zu ersparen, wird ihr oft dadurch abgeholfen, dass unter Zurückstellung anderer Sachen das Verfahren weiter betrieben wird.94 Außerdem kann bereits die Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde eine gewisse psychologische Wirkung auf den Richter entfalten.95 Im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde muss sich der Richter für seine Arbeitsweise rechtfertigen und einen solchen Rechtfertigungszwang hat niemand gerne.96 In der Regel wirft die Erhebung einer DienstaufsichtsbeBGHZ 76, 288, 291; BGHZ (Dienstgericht des Bundes) 16. November 1990 Az RiZ 2/90 BGHZ 113, 36, 40 f.; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 57; Hohendorf NJW 1984, 958, 961; Kropp NJ 2005, 208, 209; Otto (1994) S. 92; Schneider MDR 1998, 1397, 1399. 87 Klose NJ 2004, 241, 244; Papier NJW 1990, 8, 10; Redeker (2000) S. 28 f. und 34; Redeker NJW 2000, 2796, 2797. 88 Thieme DÖD 2001, 77, 77; Ziekow (1998) S. 27; Ziekow DÖV 1998, 941, 947. 89 Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Klose NJ 2004, 241, 244; Schlette (1999) S. 50; Thieme DÖD 2001, 77, 77. 90 Ziekow (1998) S. 27; Ziekow DÖV 1998, 941, 947. 91 Baur in: FS-Baumgärtel (1990) S. 1, 5; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456 und 461; Dahs (1965) S. 10; Feuerlein Grundeigentum 2005, 524, 530; Gummer in: Zöllner (2007) § 567 Rn 21; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Kissel ZZP 69 (1956), 3, 4 Fn 4; Kissel/Mayer in: Kissel/Mayer (2008) § 16 Rn 89; Klein JZ 1963, 591, 591; Kloepfer JZ 1979, 209, 209; Klose NJ 2004, 241, 244; Lansnicker/Schwirtzek NJW 2001, 1969, 1973; Leisner (2003) S. 224; Niesler (2005) S. 151; Peukert EuGRZ 1979, 261, 264; Redeker NJW 2003, 488, 489; Schlette (1999) S. 50; Schneider MDR 1998, 1397, 1399; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1140; Vollkommer in: Zöllner (2005) Einleitung Rn 48; Walchshöfer NJW 1974, 2291, 2292. 92 Hieronimi NJW 1984, 108, 108; Redeker NJW 2000, 2796, 2797; Sendler NJW 1983, 1449, 1450; Sendler NJW 2001, 1256, 1257. 93 OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; Niehues Anhang VIII (2005) S. 356; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 445; Stöcker DStZ 1989, 367, 372; Thieme DÖD 2001, 77, 78. 94 OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; Niehues Anhang VIII (2005) S. 355; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 445. 95 Baur (1954) S. 33; Niehues Anhang VIII (2005) S. 356; Otto (1994) S. 95; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 445; Thieme DÖD 2001, 77, 78.

III. Präventive Maßnahmen

267

schwerde einen Richter zwar nicht um, doch ist sie ihm normalerweise zumindest unangenehm.97 Außerdem kann das Vorliegen von zahlreichen Dienstaufsichtsbeschwerden gegen einen Richter auch bei Beförderungsentscheidungen zumindest indirekt eine Rolle spielen. Abgesehen von eindeutig querulatorischen oder beleidigenden Dienstaufsichtsbeschwerden, die von der Verwaltung der Gerichte ohnehin direkt abgelehnt werden, erweist sich die Dienstaufsichtsbeschwerde bei völliger Untätigkeit eines Richters daher erfahrungsgemäß doch manchmal als wirksam.98 Wenn sich das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer aufgrund einer zögerlichen Bearbeitung des Falls durch den zuständigen Richter abzeichnet, sollte sich der Bürger zunächst mit einer Bitte um Verfahrensbeschleunigung an das Gericht wenden. Hat diese Maßnahme keinen Erfolg, dann sollte er eine Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Auch wenn diese im Hinblick auf die Rechtssprechung der Richterdienstgerichte meist abgewiesen werden wird, kann unter Umständen schon die bloße Erhebung der Beschwerde beschleunigende Wirkung entfalten. Zumindest kann dem Bürger später nicht vorgeworfen werden, er habe nicht alles in seiner Macht stehende zur Beschleunigung des Verfahrens unternommen. Überhaupt keine Abhilfe verspricht eine Dienstaufsichtsbeschwerde hingegen bei einer schleppenden Behandlung der Rechtssache durch Richter des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, da diese aufgrund der besonderen Stellung der Gerichte keiner Dienstaufsicht unterstehen.99 3. Anzeige des Richters wegen Rechtsbeugung Eine weitere denkbare Alternative, um auf einen Richter einzuwirken, der eine Sache nicht in angemessener Zeit bearbeitet, bietet eine auf § 339 des Strafgesetzbuchs (StGB) gestützte Anzeige wegen Rechtsbeugung.100 Unter den Tatbestand der Rechtsbeugung kann auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften subsumiert werden, zu denen auch das Beschleunigungsgebot zählt.101 96

Niehues Anhang VIII (2005) S. 356. Niehues Anhang VIII (2005) S. 356. 98 OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; Niehues Anhang VIII (2005) S. 356; Stöcker in: FS-Felix (1989) S. 429, 444; Stöcker DStZ 1989, 367, 372; Thieme DÖD 2001, 77, 78. 99 Baur (1954) S. 58 f.; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Borm (2005) S. 155; Leuze DÖD 2005, 78, 78; Schütz (2005) S. 64. 100 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Dahs (1965) S. 10; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 137 ff.; Otto (1994) S. 101; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 23; Schlette (1999) S. 55 Fn 75; Seidel AnwBl 2002, 325, 326 und 329. 101 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Klose NJ 2004, 241, 242 Fn 20; Otto (1994) S. 103. 97

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Der Tatbestand ist jedoch nach der Rechtsprechung nur dann erfüllt, wenn in der verzögerlichen Verfahrensbehandlung ein elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege zu sehen ist, durch die sich der Richter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt hat.102 Zu einem der wenigen Fälle, bei denen der Vorwurf der vorsätzlichen Verfahrensverzögerung den Gegenstand eines Gerichtsverfahrens bildete, gehört die Verurteilung des früheren Hamburger Amtsrichters und späteren Innensenators Ronald Barnabas Schill durch das Landgericht Hamburg, die jedoch vom Bundesgerichtshof aufgehoben wurde103 und schließlich nach der Zurückverweisung zum Freispruch durch das Landgericht Hamburg führte.104 In Fortführung seiner restriktiven Auslegung des § 339 StGB räumte der Bundesgerichtshof dem Richter in dieser Entscheidung einen sehr weiten Ermessensspielraum bei der Einteilung seiner Dienstgeschäfte ein.105 Aufgrund der vom Bundesgerichtshof aufgestellten hohen Hürden wird eine Anzeige wegen Verfahrensverzögerung nur höchst selten zu einer Verurteilung des Richters auf der Grundlage von § 339 StGB führen.106 Insofern ist auch dieser Rechtsbehelf „von zweifelhafter Wirksamkeit“107 und wird nur in Extremfällen durchgreifen.108 Außerdem hat er keine unmittelbaren Auswirkungen auf das laufende Verfahren und kann damit allenfalls indirekt zu einer Beschleunigung eines überlangen Gerichtsverfahrens führen.109 Dennoch darf die von einer Anzeige ausgehende psychologische Wirkung nicht unterschätzt werden, so dass allein deswegen in dem unwahrscheinlichen Fall einer vorsätzlichen und massiven Verfahrensverschleppung seitens des Richters ein Beschleunigungseffekt durchaus eintreten kann.110

102 BGHSt (1. Senat) 5. Dezember 1996 Az 1 StR 376/96 NJW 1997, 1452, 1452; Böttcher NStZ 2002, 146, 146; Klose NJ 2004, 241, 242; Schiemann NJW 2002, 112, 113. 103 BGHSt (5. Senat) 4. September 2001 Az 5 StR 92/01 BGHSt 47, 105, 105 ff. 104 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Böttcher NStZ 2002, 146, 146 ff.; Schiemann NJW 2002, 112, 112; Seidel AnwBl 2002, 325, 326. 105 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Böttcher NStZ 2002, 146, 147 f.; Klose NJ 2004, 241, 242; Schiemann NJW 2002, 112, 112 f. 106 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Böttcher NStZ 2002, 146, 147 f.; Otto (1994) S. 101; Schiemann NJW 2002, 112, 113 f.; Seidel AnwBl 2002, 325, 329. 107 Dahs (1965) S. 10. 108 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456 und 461 f.; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 137 ff.; Otto (1994) S. 101; Schlette (1999) S. 55 Fn 75; Seidel AnwBl 2002, 325, 329. 109 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Otto (1994) S. 101; Schlette (1999) S. 55 Fn 75. 110 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 456; Otto (1994) S. 101 f.

III. Präventive Maßnahmen

269

4. Richteranklage Als Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer wird vereinzelt auch die Erhebung einer Richteranklage nach Artikel 98 Abs. 2 und 5 des Grundgesetzes diskutiert.111 Diese hat jedoch nur dann Erfolg, wenn ein Richter gegen elementare Verfassungsgrundsätze verstößt. Angesichts dieser sehr hohen Hürde für einen Erfolg einer Richteranklage nach dem Grundgesetz oder den Landesverfassungen kommt diese nur in absoluten Extremfällen in Betracht.112 Sie ist daher im Regelfall kein geeignetes Mittel zur Verhinderung einer überlangen Verfahrensdauer. 5. Amtshaftungsklage Eine weitere denkbare Möglichkeit zur Beschleunigung eines Gerichtsverfahrens könnte die Ankündigung einer auf § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB und Artikel 34 Satz 1 GG gestützten Amtshaftungsklage darstellen.113 Wie oben [G. I. 1.] bereits festgestellt, hat eine solche Klage jedoch nur in den seltensten Fällen Erfolg, so dass der Richter in der Regel keine Konsequenzen befürchten muss. Außerdem hat dieser auf Schadensersatz gerichtete Anspruch keine unmittelbare Auswirkung auf das konkrete Verfahren, so dass es sich dabei ebenfalls nur um ein „unzureichendes allgemeines Abwehrinstrument“ handelt,114 das bis auf Extremfälle weitgehend ineffektiv ist.115 6. Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Mit der Erhebung einer Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte könnte der Bürger auch versuchen, bereits während der Anhängigkeit beschleunigend auf sein Verfahren einzuwirken, sobald sich das Zu111 Baur (1954) S. 3 und 38 ff.; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 137 f.; Klein JZ 1963, 591, 591; Otto (1994) S. 99; Scheffler (1991) S. 98 f.; Schlette (1999) S. 55 Fn 75; Seidel AnwBl 2002, 325, 326 und 329. 112 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 138; Schlette (1999) S. 55 Fn 75; Seidel AnwBl 2002, 325, 329. 113 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 458; Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 59; Blomeyer NJW 1977, 557, 557; Dahs (1965) S. 10; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 14; Gundel DVBl 2004, 17, 24; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 137; Klose NJ 2004, 241, 243; Niesler (2005) S. 173 ff.; Otto (1994) S. 107; Papier in: HStR VI (1989) § 153 Rn 24; Schlette (1999) S. 20 und 63 ff.; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 132. 114 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 139; Kloepfer JZ 1979, 209, 209. 115 Baur in: FS-Schwab (1990) S. 53, 59; Dahs (1965) S. 10; Kloepfer JZ 1979, 209, 209.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

standekommen einer überlangen Verfahrensdauer abzeichnet. Das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung steht bei überlanger Verfahrensdauer einer Erhebung der Individualbeschwerde während des noch laufenden innerstaatlichen Verfahrens nicht entgegen, weil der Verstoß gegen die EMRK gerade durch das schwebende Verfahren begründet wird und ein Abwarten die Schwere des Verstoßes noch erhöhen würde.116 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann zwar nicht unmittelbar in das schwebende Verfahren eingreifen, doch könnte die Einlegung einer Beschwerde für den Kläger in einigen Fällen immerhin faktisch zu einem beschleunigten Prozessende führen, da kein Gericht und kein Staat gerne vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen eines rechtsstaatswidrigen Verfahrens gerügt wird. 7. Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht Eine weitere Möglichkeit des Bürgers, gegen überlange Verfahrensdauer vorzugehen, könnte die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde bei Bundesverfassungsgericht bieten.117 Voraussetzung für eine zulässige Verfassungsbeschwerde ist dabei stets, dass die Verfahrensdauer bereits vor den Fachgerichten gerügt worden ist.118 Bei der Verfassungsbeschwerde stellt sich allerdings das Problem, dass das Bundesverfassungsgericht – anders als ein Rechtsmittelgericht – nicht direkt und unmittelbar in das laufende Verfahren mit Weisungen eingreifen kann, sondern lediglich die Möglichkeit hat, einen Verstoß gegen das Grundgesetz festzustellen.119 In der Praxis zeigt sich jedoch, dass der Beschwerdeführer bereits bei einer bloßen Feststellung eines Verstoßes damit rechnen kann, dass der Prozess vor dem Fachgericht nun zügiger vorankommt.120 Manchmal hat sogar schon die Erhebung der Verfassungsbeschwerde die Wirkung, dass das Ausgangsverfahren plötzlich mit größter Beschleunigung betrieben wird.121 Dennoch stellt die Verfassungsbeschwerde allein keine ausreichende Rechtschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer dar.122 Wegen des vorge116

Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 367; Schlette (1999) S. 57. Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 192; Niesler (2005) S. 127; Piorreck (2003) S. 6; Schlette (1999) S. 56. 118 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 7. Januar 1992 Az 1 BvR 1490/89 NJW 1992, 1497, 1497 f.; Sangmeister DStZ 1993, 31, 32; Sangmeister NJW 1998, 2952, 2953; Schlette (1999) S. 56. 119 Klein JZ 1963, 591, 592; Niesler (2005) S. 127; Schlette (1999) S. 56. 120 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats) 22. Januar 1987 Az 1 BvR 103/85 DB 1987, 1722, 1722; Kirchhof in: FS-Doehring (1989) S. 439, 450; Schlette (1999) S. 56. 121 Kirchhof DStZ 1989, 55, 58; Schlette (1999) S. 56 Fn 79. 122 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Henke ZZP 83 (1970), 125, 129; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Redeker NJW 2003, 488, 488. 117

III. Präventive Maßnahmen

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schalteten Zulassungsverfahrens greift sie nur ausnahmsweise ein.123 Das Bundesverfassungsgericht selbst hat mehrfach betont, dass Feststellung und Beseitigung verfassungswidriger Verfahrensverzögerungen primär der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegt124 und dass die Verfassungsbeschwerde eigentlich nur ein subsidiärer Rechtsbehelf sein soll.125 Würde das Bundesverfassungsgericht jeden einzelnen Fall von Verfahrensverzögerungen an den Fachgerichten behandeln, wäre es selbst mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert.126 Es würde damit ein ähnliches Problem auftreten wie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezüglich der unzähligen bei ihm anhängig werdenden Verfahren wegen Verstößen gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Solange ein Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer innerhalb der Fachgerichtsbarkeiten nicht allgemein anerkannt wird, fehlt daher in zahlreichen Fällen eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit des Bürgers gegen überlange Verfahrensdauer. 8. Untätigkeitsbeschwerde Eine denkbare Rechtsschutzmöglichkeit des Bürgers gegen überlange Verfahrensdauer stellt eine „Untätigkeitsbeschwerde“127 beziehungsweise „Beschleu123 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Redeker NJW 2003, 488, 488; Schlette (1999) S. 47. 124 BVerfG (2. Kammer des 1. Senats) 7. Januar 1992 Az 1 BvR 1490/89 NJW 1992, 1497, 1498; BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) 19. März 1992 Az 2 BvR 1/91 NJW 1992, 2472, 2473; Britz/Pfeifer DÖV 2004, 245, 248; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Schlette (1999) S. 47; Ziekow (1998) S. 26; Ziekow DÖV 1998, 941, 946; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 125 BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1928; Britz/Pfeifer DÖV 2004, 245, 248; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Redeker NJW 2003, 488, 488; Ziekow (1998) S. 26; Ziekow JZ 1998, 947, 948. 126 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Niesler (2005) S. 128. 127 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2392 Rn 110–112; VGH Bayern (10. Senat) 27. Januar 2000 Az 10 C 99/ 3695 NVwZ 2000, 693, 693; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 454; Britz NVwZ 2004, 173, 174 und 177; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 1; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 3 ff.; Dörr (2003) S. 30 und 235; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 143 ff.; Hill JZ 1981, 805, 806 Rn 12; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128 und 132; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 74; Niesler (2005) S. 2; Plagemann in: FS-BSG (2004) S. 813, 814; Prantl in: SZ vom 30. Dezember 2004 S. 1; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Redeker NJW 2003, 488, 488; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Redeker in: Redeker/ v. Oertzen § 44a Rn 3a; Redeker AnwBl 2004, 71, 74; Riemann in: SZ vom 15./16. Januar 2005 S. 41; Sangmeister NJW 2952, 2953; Schlette (1999) S. 45; Schlette EuGRZ 1999, 369, 371; Schneider MDR 1998, 252, 254 f.; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1141 f.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 28; Ziekow DÖV 1998, 941, 948; Ziekow JZ 1998, 947, 949 f.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

nigungsbeschwerde“128 dar, deren Zweckmäßigkeit, Zulässigkeit und Ausgestaltung jedoch bisher sehr umstritten sind. a) Historische Bezüge Die verzögerliche Behandlung einer Rechtssache durch das Gericht und damit das Problem der überlangen Verfahrensdauer wurde in der Rechtsgeschichte schon immer als ein Unterfall der Rechtsverweigerung angesehen.129 Definiert werden kann die Rechtsverweigerung als richterliche Verweigerung der Rechtsantwort.130 Präziser kann auch von einer abgelehnten oder verschleppten gerichtlichen Rechtsgewährung („iustitia denegata vel protracta“) gesprochen werden.131 Während es in der germanischen Zeit keine staatlich organisierte Rechtspflege und keine staatliche Rechtsgewährung gab und somit keine Rechtsverweigerung oder Justizverweigerung möglich war,132 wird bereits aus der römischen Zeit von zahlreichen überlangen Gerichtsverfahren berichtet.133 So plädierte der römische Rechtsgelehrte Cicero als Vertreter des Klägers Publius Quinctius in einem Rechtsstreit gegen Sextus Naevius im Jahre 81 vor Christi Geburt mit den Worten: „Quod est hoc iudicium in quo iam biennium versamur? Quid negotii geritur in quo ille tot et tales viros defatigat?“ („Worum geht es in diesem Prozess, mit dem wir uns schon zwei Jahre beschäftigen? Welchen Verlauf hat das Verfahren genommen, in dem jener so viele ausgezeichnete Männer zermürbt?“)134

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Rechtsstreit noch in einem Vorstadium zu dem eigentlich beabsichtigten Prozess, vor dessen Beginn zunächst die Pflicht zur Leistung einer prozessualen Sicherheit geklärt werden musste. Bei einem anderen Fall von überlanger Verfahrensdauer aus römischer Zeit konnte anhand gefundener Akten rekonstruiert werden, dass dieser Rechtsstreit von 226 bis 244 nach Christus und damit 18 Jahre lang dauerte.135

128 Jaeger VBlBW 2004, 128, 128 und 132; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a; Ziekow DÖV 1998, 941, 951. 129 Ziekow (1998) S. 10 f.; Ziekow DÖV 1998, 941, 941. 130 Schumann ZZP 81 (1968), 79, 101; Ziekow (1998) S. 11. 131 Terhechte DVBl 2007, 1134, 1135; Ziekow (1998) S. 11; Ziekow DÖV 1998, 941, 941. 132 Borm (2005) S. 20; Hummer (1972) S. 5; Niesler (2005) S. 7. 133 Henke ZZP 83 (1970), 125, 125. 134 Henke ZZP 83 (1970), 125, 125. 135 Henke ZZP 83 (1970), 125, 125.

III. Präventive Maßnahmen

273

Mit dem Erlass des Ewigen Landfriedens auf dem Wormser Reichstag im Jahre 1495 ging ein Verbot der Selbsthilfe einher und der Bürger war damit zwingend auf die Justizgewährung des Staates angewiesen.136 Daher wurde durch § 16 der Reichskammergerichtsordnung vom 7. August 1495 eine Justizverweigerungsbeschwerde an das Reichskammergericht („querela denegatae vel protractae iustitiae“) eingeführt.137 Danach war das Reichskammergericht – abgesehen von Klagen gegen Reichsunmittelbare – nur dann erstinstanzlich zuständig, wenn die ordentlichen unteren Gerichte den Rechtsspruch verweigert oder verzögert hatten.138 In der Reichskammergerichtsordnung von 1515 wurde dann mit den folgenden Worten zwingend angeordnet, dass dem Bürger binnen eines Monats zum Recht verholfen werden sollte:139 „Es soll auch demnach das keyserlich cammergericht in erster instanz . . . uff niemandts clag oder ansuchen ladung erkennen . . .; es werde dann sach, dass eyner die ordentliche undergericht umb recht ersucht und ime darauf in zeit eins monats nach beschehenem ersuchen zu recht nit verholfen oder ime das kündtlich versagt oder mit geverden verzogen were: in welchem fall dann der, dem das recht also geweigert oder verzogen, desselben undergerichts nechste oberkeyt und herrschafft ime rechtens zu verhelfen ansuchen und, do ime daselbst auch nicht zum rechten wie sich gebührt verholfen, solchs dem keyserlichen cammergericht anbringen mag, daselbst ime alßdann verholfen werden soll.“140

Damit wurde die Regelung über die Justizverweigerungsbeschwerde dahingehend konkretisiert, dass eine Rechtsverzögerung schon dann vorlag, wenn ein prozessualer Antrag nicht binnen eines Monats beschieden worden war, und dass eine Anrufung des Reichskammergerichts wegen Rechtsverweigerung nur noch dann zulässig sein sollte, wenn der Betroffene zuvor erfolglos das Obergericht oder seine territoriale Obrigkeit um Abhilfe ersucht hatte. Die im gemeinen Prozessrecht allgemein anerkannte Justizverweigerungsbeschwerde stand damit immer dann zur Verfügung, wenn eine gerichtliche Entscheidung entweder explizit abgelehnt oder verzögert worden war. Sie wurde als ein außerhalb der prozessrechtlichen Rechtsmittel stehender besonderer Rechtsbehelf für anormale prozessuale Situationen verstanden.141 War die Beschwerde gegen eine Prozessverzögerung durch das Gericht gewandt, so setzte ihre Zulässigkeit voraus, dass der Richter von dem Prozessbeteiligten vergeblich zur Vornahme einer Prozesshandlung aufgefordert worden war.142 Das Be136

Henke ZZP 83 (1970), 125, 146; Hummer (1972) S. 13; Ziekow (1998) S. 10. Henke ZZP 83 (1970), 125, 128; Schlette (1999) S. 44 Fn 16; Vollkommer ZZP 81 (1968), 102, 122; Ziekow (1998) S. 11. 138 Niesler (2005) S. 7; Ziekow (1998) S. 11. 139 Hummer (1972) S. 15; Ziekow (1998) S. 11 und S. 40 Fn 8. 140 Ziekow (1998) S. 40 Fn 8. 141 Ziekow (1998) S. 11. 142 Ziekow (1998) S. 11 f. 137

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

schwerdegericht konnte das Untergericht grundsätzlich nur anweisen, die Prozesshandlung innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmen. Einen dahingehenden Antrag der Prozesspartei vorausgesetzt, konnte das Beschwerdegericht den Rechtsstreit erst nach fruchtlosem Fristablauf durch Beschluss an sich ziehen und der Rechtsstreit ging damit auf das Obergericht über.143 In diesen Zeiten, in denen ein Rechtsstaat im modernen Sinne noch in weiter Ferne lag, bestand ein feines Gespür dafür, dass die Rechtsverwirklichung auch gegenüber den Gerichten gesichert werden muss.144 Trotzdem war die Effektivität der Justizverweigerungsbeschwerde bedauerlicherweise gering.145 Zuletzt fand sich diese Justizverweigerungsbeschwerde noch in Artikel 77 der deutschen Reichsverfassung vom 16. April 1871:146 „Wenn in einem Bundesstaat der Fall einer Justizverweigerung eintritt, und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, so liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben hat, zu bewirken.“147

Nach dieser Regelung war die Beschwerde jedoch an kein Gericht, sondern an den Bundesrat zu richten, der die Sache nicht selbst entscheiden konnte, sondern nur die Regierung des betreffenden Bundesstaates zur Abhilfe veranlassen konnte.148 Der Bundesrat war also in seinen Mitteln zur Durchsetzung der Justizgewährleistungspflicht stark eingeschränkt und daher war die praktische Bedeutung der Justizverweigerungsbeschwerde auch zu dieser Zeit gering.149 Vergleichbare Regelungen bestanden auch in den Landesprozessgesetzen, die eine Beschwerde zum Obergericht vorsahen.150 In die Weimarer Reichsverfassung fand die Justizverweigerungsbeschwerde schließlich keinen Eingang mehr, da man hierfür kein praktisches Bedürfnis mehr sah.151

143

Ziekow (1998) S. 12. Ziekow (1998) S. 12. 145 Henke ZZP 83 (1970), 125, 128. 146 Borm (2005) S. 22; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 136; Schlette (1999) S. 45 Fn 16; Sobota (1997) S. 188 Fn 853. 147 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 136; Schlette (1999) S. 45 Fn 16. 148 Borm (2005) S. 22; Schlette (1999) S. 45 Fn 16; Ziekow (1998) S. 11. 149 Borm (2005) S. 23. 150 Schlette (1999) S. 45 Fn 16. 151 Borm (2005) S. 23. 144

III. Präventive Maßnahmen

275

b) Aktuelle gesetzliche Regelungen In Deutschland existieren heute weder in den Verfahrensordnungen der Gerichte noch im Gerichtsverfassungsgesetz ausdrückliche Regelungen für Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer zum nächsthöheren Gericht.152 Rechtsmittel und Instanzenzug sind für die Überprüfung tatsächlich ergangener, nicht aber für die Erzwingung unterbliebener richterlicher Entscheidung ausgelegt.153 Dies ist eine erstaunliche, wenn nicht gar befremdliche Schwäche des gesamten deutschen Verfahrensrechts.154 In einigen anderen europäischen Staaten wurden in den vergangenen Jahren Beschwerdemöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer geschaffen. Von diesen soll nachfolgend die in Österreich gewählte Rechtsschutzmöglichkeit näher untersucht werden. In Österreich können seit dem 1. Januar 1990 mit einem auf § 91 des Gerichtsorganisationsgesetzes gestützten Fristsetzungsantrag Verfahrensverzögerungen gerügt werden.155 Diese Norm lautet: „(1) Ist ein Gericht mit der Vornahme einer Verfahrenshandlung, etwa der Anberaumung oder Durchführung einer Tagsatzung oder Verhandlung, der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder der Ausfertigung einer Entscheidung, säumig, so kann eine Partei stets bei diesem Gericht den an den übergeordneten Gerichtshof gerichteten Antrag stellen, er möge dem Gericht für die Vornahme der Verfahrenshandlung eine angemessene Frist setzen; außer im Fall des Abs. 2 hat das Gericht diesen Antrag mit seiner Stellungnahme dem übergeordneten Gericht sofort vorzulegen. (2) Führt das Gericht alle im Antrag genannten Verfahrenshandlungen binnen vier Wochen nach dessen Einlangen durch und verständigt es hiervon die Partei, so gilt der Antrag als zurückgezogen, wenn nicht die Partei binnen vierzehn Tagen nach Zustellung der Verständigung erklärt, ihren Antrag aufrechtzuerhalten. (3) Die Entscheidung über den Antrag nach Abs. 1 hat der übergeordnete Gerichtshof durch einen Senat von drei Berufsrichtern, von denen einer den Vorsitz zu führen hat, mit besonderer Beschleunigung zu fällen; liegt keine Säumnis des Gerichts vor, so ist der Antrag abzuweisen. Die Entscheidung ist unanfechtbar.“

152 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 11; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Klein JZ 1963, 591, 591 f.; Niesler (2005) S. 2 und 133; Redeker NJW 2003, 488, 488; Völker FF 2005, 144, 144; Ziekow (1998) S. 26. 153 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 11; Jaeger VBlBW 2004, 128, 132; Klein JZ 1963, 591, 591; Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 183; Niesler (2005) S. 133; Ziekow DÖV 1998, 941, 946. 154 Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 135; Schlette (1999) S. 45 Fn 17. 155 Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 179; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 5; Redeker NJW 2003, 488, 489; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 215.

276

G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Nach dieser Regelung kann ein Bürger in Österreich einen Antrag stellen, das nächsthöhere Gericht möge das säumige Ausgangsgericht eine angemessene Frist für die Vornahme einer bestimmten Verfahrenshandlung setzten. Wenn das Ausgangsgericht der Beschwerde nicht innerhalb von vier Wochen nach deren Einlegung durch Vornahme der beantragten Verfahrenshandlung selbst abhelfen möchte oder kann, dann muss es den Antrag dem Beschwerdegericht sofort vorlegen. Dieses kann den Antrag dann entweder abweisen oder dadurch stattgeben, dass es dem Ausgangsgericht die Vornahme einer bestimmten Verfahrenshandlung binnen angemessener Frist vorschreibt. An dieser Regelung wird zu Recht kritisiert, dass das Beschwerdegericht dem Ausgangsgericht eine konkrete Verfahrenshandlung vorschreiben und damit bezüglich der Auswahl der zu treffenden Beschleunigungsmaßnahmen unnötig weit in dessen Verfahrensgestaltung eingreifen kann.156 Abgesehen davon stellt sie jedoch einen sehr guten Ansatz für die Ausgestaltung einer Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer dar.157 Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob die Einführung einer Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer in der Form einer gesetzlich geregelten Untätigkeitsbeschwerde in Deutschland zweckmäßig wäre. c) Zweckmäßigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde Ob die ausdrückliche Regelung einer Untätigkeitsbeschwerde in der deutschen Rechtsordnung zweckmäßig wäre, ist allerdings sehr umstritten. Gegen eine solche Beschwerde spricht, dass eine derartige zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit die Gefahr in sich birgt, von Querulanten missbraucht zu werden.158 Außerdem kann sie ihrerseits zu weiteren Verfahrensverzögerungen führen, da sie den Verfahrensablauf durch das Hinzutreten eines zusätzlichen Verfahrens verkompliziert und verzögert.159 Hilft das Ausgangsgericht der gerügten Untätigkeit nicht ab, dann muss die nächsthöhere Instanz zunächst zu156 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 6; Redeker NJW 2003, 488, 489. 157 Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 5. 158 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 15; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Gimbel ZRP 2004, 35, 37; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 4; Redeker NJW 2003, 488, 489; Vorwerk JZ 2004, 553, 555. 159 Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 2 und 8; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005; Gimbel ZRP 2004, 35, 37; Graßhof Anhang IX (2005) S. 363; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 1 und 4; Niehues Anhang VIII (2005) S. 356; Piorreck (2003) S. 1; Schmidt-Aßmann EuGRZ 1988, 577, 583; Schmidt-Aßmann in: Mat-

III. Präventive Maßnahmen

277

sätzlich darüber entscheiden, ob eine unangemessene Verzögerung vorliegt.160 In der gleichen Zeit könnte diese Instanz auch in der Sache selbst entscheiden.161 Insgesamt verfahrensverkürzend auswirken würde sich eine solche Beschwerde daher nur dann, wenn das angerufene Beschwerdegericht auch die Möglichkeit hätte, in der Sache zu entscheiden.162 Damit würde aber eine durch die Beschwerde nicht beabsichtigte Verlagerung von inhaltlicher Entscheidungsbefugnis auf die übergeordnete Instanz stattfinden.163 Zutreffend an dieser Argumentation ist, dass jeder weitere Rechtsbehelf zunächst einmal weitere Verfahrensverzögerungen durch eine zusätzliche Belastung der Gerichte mit sich bringt. Zumindest für das Durchlesen der Akte wird richterliche Arbeitskraft gebunden. Bei dem Rechtsbehelf der Untätigkeitsbeschwerde entsteht damit die paradoxe Situation, dass die Gerichte durch den zur Beschleunigung eines Gerichtsverfahrens gedachten Rechtsbehelf möglicherweise daran gehindert werden, andere Verfahren zügig zu erledigen. Genau wie eine Unterbrechung der richterlichen Arbeit durch Eilverfahren [E. III. 4.] kann auch eine Unterbrechung durch eine solche Beschwerde zu einer längeren Verfahrensdauer in den Hauptsacheverfahren führen. An den Ursachen für eine insgesamt lange Verfahrensdauer an vielen Gerichten wird eine Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer daher nichts Wesentliches ändern. Primäres Ziel dieser Beschwerde ist jedoch auch nicht, die Verfahrensdauer in bestimmten Gerichtsbarkeiten insgesamt zu verkürzen, sondern dem Bürger ein wirksames Instrument zur Beschleunigung eines anhängigen Verfahrens an die Hand zu geben.164 Die mit diesem zusätzlichen Rechtsbehelf zwangsläufig einhergehenden Mehrbelastungen der Gerichte können durch die konkrete Ausgestaltung der Beschwerde auf ein vertretbares Maß reduziert werden. So sollte beispielsweise die Möglichkeit geschaffen werden, bei offensichtlich unbegründeten Beschwerden von Querulanten einen ablehnenden Beschluss ohne ausführliche Begründung zu erlassen. Zeitverluste durch den Transport der Akten zum Beschwerdegericht können zumindest langfristig durch eine Umstellung aller Gerichts- und Behördenakten auf elektronische Dokumente [E. III. 2.] vermieden werden. Bei entsprechender Ausgestaltung der Beschwerde lassen sich somit die nachteiligen Auswirkungen auf die Dauer anderer Verfahren minimieren, wohingegen für den Bürger die unangenehme Situation beseitigt wird, überlange Verfahrensdauern ohnmächtig hinnehmen zu müssen. scher (1989) S. 89, 111; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a; Terhechte DVBl 2007, 1134, 1142; Vorwerk JZ 2004, 553, 556 und 559. 160 Graßhof Anhang IX (2005) S. 363; Piorreck (2003) S. 3. 161 Graßhof Anhang IX (2005) S. 363. 162 Plagemann in: FS-BSG (2004) S. 813, 814. 163 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. 164 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Redeker NJW 2003, 488, 488; Ziekow DÖV 1998, 941, 951.

278

G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Gegen eine Untätigkeitsbeschwerde wird darüber hinaus – insbesondere seitens der Richterschaft – ins Feld geführt, das Problem sei nicht die Untätigkeit der Richter, sondern fehlende Kapazitäten und andere Defizite, die auch durch eine solche Beschwerde nicht beseitigt werden können.165 Dieses Argument ist nur teilweise zutreffend. Wie in dem Kapitel über Ursachen überlanger Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen [E. II. 1.] deutlich geworden ist, arbeitet zwar die Mehrheit der Richter zügig und effektiv, doch geben die Richter selbst zu, dass es unter ihnen solche gibt, die deutlich effektiver arbeiten könnten. Sollte ein Bürger an einen dieser „weniger effektiv arbeitenden Richter“ gelangen, so ist es nicht einzusehen, dass er diese Situation resigniert hinnehmen muss. Der Einwand, in diesen Fällen bestünde schließlich die Möglichkeit der Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde, ist angesichts der restriktiven Rechtsprechung der Richterdienstgerichte und der richterlichen Unabhängigkeit nicht überzeugend. Bekanntermaßen sind Dienstaufsichtsbeschwerden bezüglich richterlicher Untätigkeit meist fruchtlos [G. III. 2.]. Dass durch eine Untätigkeitsbeschwerde nicht die eigentlichen Ursachen überlanger Verfahrensdauer beseitigt werden, ist zutreffend, spricht jedoch nicht gegen eine solche Beschwerde. Wie soeben bereits erwähnt, ist das vorrangige Ziel der Beschwerde nicht, die Verfahrensdauer insgesamt zu verkürzen, sondern dem Bürger ein wirksames Instrument zur Verfahrensbeschleunigung zur Verfügung zu stellen.166 Als weiteres Argument gegen die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde wird vorgebracht, ein spezieller Rechtsbehelf bei einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren sei angesichts der bereits vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten wie der Dienstaufsichtsbeschwerde und der Verfassungsbeschwerde gar nicht erforderlich.167 Wie oben bereits ausgeführt, stellen Dienstaufsichtsbeschwerde [G. III. 2] und Verfassungsbeschwerde [G. III. 7] jedoch keine in allen Fällen überlanger Verfahrensdauer wirksamen Rechtschutzmöglichkeiten für den Bürger dar. Die Dienstaufsichtsbeschwerde greift aufgrund der sehr restriktiven Rechtsprechung der Richterdienstgerichte nur in Extremfällen ein und die Verfassungsbeschwerde stellt nur einen subsidiären

165 Bertrams Anhang VII (2005) S. 346; Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter Stellungnahme vom 30. September 2005; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 8 und 14; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005; Piorreck (2003) S. 2. 166 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Redeker NJW 2003, 488, 488; Ziekow DÖV 1998, 941, 951. 167 Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter Stellungnahme vom 30. September 2005; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005; Gimbel ZRP 2004, 35, 37; Henckel in: FS-Matscher (1993) S. 185, 192; Piorreck (2003) S. 6.

III. Präventive Maßnahmen

279

Rechtsbehelf dar. Damit überzeugt dieses Argument gegen die Einführung der Beschwerde nicht. Für die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde spricht insbesondere die Erwägung, dass eine überlange Verfahrensdauer zu einer grundgesetzwidrigen Verweigerung effektiven Rechtsschutzes und damit zu einem Verstoß gegen Artikel 19 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes führt.168 Diese Norm gebietet jedoch, eine prozessuale Möglichkeit für ein Vorgehen gegen überlange Verfahrensdauer zu schaffen.169 Würde eine solche Rechtsschutzmöglichkeit nicht geschaffen, dann würde der verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist leer laufen. Zur wirksamen Durchsetzung des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist ist daher die Einführung einer solchen Beschwerde dringend erforderlich. Darüber hinaus gebietet auch die Europäische Menschenrechtskonvention die Schaffung einer wirksamen Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer in Deutschland.170 Außerdem hat sich die Schaffung einer Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer in der Praxis als wirksam erwiesen, wie das Beispiel des bereits oben [G. III. 8. b)] erwähnten Fristsetzungsantrags in Österreich zeigt. In der Diskussion in Deutschland bezüglich der Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde wird immer wieder das Beispiel des österreichischen Fristsetzungsantrags angeführt und behauptet, diese in Österreich seit 1990 bestehende Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer habe sich als wenig effektiv erwiesen. Tatsächlich wurde nur in sehr wenigen der bislang gut 200 veröffentlichten Entscheidungen über Fristsetzungsanträge durch Gerichte in Österreich einem Fristsetzungsantrag stattgegeben. Dies liegt jedoch nicht daran, dass die Gerichte in Österreich Fristsetzungsanträge pauschal und ungeprüft zurückweisen würden. Vielmehr wird in den weitaus meisten Fällen den Beschwerden bereits innerhalb der Vierwochenfrist durch das Ausgangsgericht abgeholfen, so dass in Fällen begründeter Beschwerden nur in Ausnahmefällen überhaupt eine Entscheidung des Beschwerdegerichts erforderlich ist.171 Zu entscheiden sind lediglich solche Anträge, die trotz Abhilfemaßnahmen durch das Ausgangsgericht – oft von so genannten Querulanten – aufrecht erhalten werden, oder solche Fälle, in denen das Gericht Abhilfemaßnahmen ergriffen hat, die der betroffene Bür168

VGH Bayern (10. Senat) 27. Januar 2000 Az 10 C 99/3695 NVwZ 2000, 693,

693. 169

Schlette (1999) S. 46 f.; Ziekow DÖV 1998, 941, 951; Ziekow JZ 1998, 947,

949. 170 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2389 ff. 171 Kabas in: BMJ (2006) S. 133, 137; Rassi Anhang XI (2008) S. 365.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

ger für nicht zielführend erachtet.172 Der Fristsetzungsantrag in Österreich erweist sich daher insbesondere aufgrund der hohen Zahl der durch die Ausgangsgerichte selbst vorgenommenen Abhilfemaßnahmen als äußerst wirksam.173 Darüber hinaus entfaltet bereits die Existenz des Fristsetzungsantrags präventive Wirkung. Vielen Richtern ist es peinlich, mit Fristsetzungsanträgen konfrontiert zu werden. Daher bemühen sich die meisten Richter in Österreich schon während des laufenden Verfahrens das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer zu vermeiden.174 Die Zahl der Verurteilungen Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen überlanger Verfahrensdauer hat seit der Einführung des Fristsetzungsantrags abgenommen. Verurteilungen erfolgen fast nur noch aufgrund überlanger Verfahrensdauer vor den obersten Gerichten, deren Verfahrensführung nach der derzeitigen Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung in Österreich nicht mit einem Fristsetzungsantrag gerügt werden kann.175 Die Einführung des Fristsetzungsantrags in Österreich wurde von massiven Protesten von Teilen der Richterschaft begleitet, wie dies auch in Deutschland hinsichtlich der Einführung einer entsprechenden Beschwerdemöglichkeit der Fall ist. Erstaunlicherweise ist der Protest in Österreich schon kurze Zeit nach Einführung des Fristsetzungsantrags verstummt. Kritische Stellungnahmen in der Literatur oder Presse sind heute kaum noch zu finden. Die Richter in Österreich haben sich offensichtlich mit der neuen Beschwerdemöglichkeit schnell arrangiert. Bedenken wegen angeblichen Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit durch diese Beschwerdemöglichkeit werden heute nicht mehr geäußert.176 Auch der Problematik von querulatorisch eingelegten Fristsetzungsanträgen scheint die Richterschaft in Österreich problemlos und geräuschlos Herr geworden zu sein. Durch die Möglichkeit, offensichtlich unbegründete Fristsetzungsanträge ohne Begründung und durch ein kurzes Standardschreiben zurückzuweisen, scheint keine übermäßige Belastung der Gerichte durch querulatorisch eingelegte Fristsetzungsanträge aufgetreten zu sein.177 Zumindest haben die österreichischen Richter eventuell bestehende anfängliche Probleme offensichtlich schnell und effektiv gelöst. Insofern sollten auch die Richter in Deutschland keine Angst vor der Einführung einer wirksamen Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer haben. Insgesamt erweist sich der Fristsetzungsantrag in Österreich als eine sehr wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer.178 Eine 172 173 174 175 176 177

Rassi Rassi Rassi Rassi Rassi Rassi

Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang Anhang

XI XI XI XI XI XI

(2008) (2008) (2008) (2008) (2008) (2008)

S. S. S. S. S. S.

365. 366. 366. 366. 367; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 180. 367.

III. Präventive Maßnahmen

281

im Wesentlichen an dem österreichischen Vorbild orientierte Beschwerdemöglichkeit in Deutschland würde sich daher voraussichtlich auch als eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer erweisen. d) Erforderlichkeit einer Beschwerdemöglichkeit nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Deutschland ist zudem völkerrechtlich verpflichtet, eine wirksame Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer zu schaffen. Zu einer zentralen Norm in der Diskussion über die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde hat sich der Artikel 13 EMRK entwickelt.179 In ihrer deutschen Übersetzung lautet die Norm: „Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.“

Nach dieser Vorschrift muss jedem, der in seinen Konventionsrechten verletzt worden ist, eine wirksame Beschwerde bei einer innerstaatlichen Instanz verfügbar sein. Ein solches Beschwerdesystem kann entweder bei einer Behörde oder

178

Rassi Anhang XI (2008) S. 366. EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2394 Rn 138–139; OLG Karlsruhe (1. Senat) 20. Januar 1972 Az 1 Ss 222/71 NJW 1972, 1907, 1908; Batailler-Demichel HRJ 3 (1970), 687, 696; Bernegger in: Machacek/Pahr/Stadler (1992), 733, 733 ff.; Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 152; Bleckmann (2001) S. 302 Rn 944; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 462 ff.; Britz NVwZ 2004, 173, 174; Buergenthal in: Robertson (1968) S. 151, 194; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 401; Casadevall NJW 2001, 2701, 2701 f.; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 10; Dörr (1984) S. 93; Dörr (2003) S. 55; Frowein (1983) S. 27; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 29 ff.; Gaede wistra 2004, 166, 171; Golsong GgE 3 (1971), 251, 269; Grabenwarter (2003) S. 81 Fn 130; Hanack JZ 1971, 705, 709; Harries-Lehmann (2004) S. 236; Hilf in: Mahrenholz/Hilf/Klein (1987) S. 19, 31; Holoubek JBl 1992, 137, 137 ff.; Klose NJ 2004, 241, 242; Kühne StV 2001, 529, 535; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 1; Langenfeld in: FS-Ress (2002) S. 95, 97; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 370; Matscher in: FS-Seidl-Hohenveldern (1988), 315, 315 ff.; Morvay ZaöRV 21 (1961), 89, 100 ff.; Oppermann (2005) S. 42; Partsch (1966) S. 149; Peukert EuGRZ 1993, 173, 176; Piorreck (2003) S. 5; Redeker NJW 2003, 488, 488 f.; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Redeker NJW 2003, 2956, 2957; Redeker AnwBl 2004, 71, 74; Ress in: FS-Müller-Dietz (2001) S. 627, 632; Rohner ZSchR NF 107/2 (1988), 215, 230; Rowan AuR 2002, 430, 430 f.; Schlette REDP 10 (1998), 479, 419 f.; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a; Schoibl ZZP 118 (2005), 205, 211; Stein/Frank (2004) S. 431; Strijckmanns JT 81 (1966), 533, 539 f.; Thienel ÖJZ 1993, 473, 486 Fn 254; Vorwerk JZ 2004, 553, 553; Widmaier ZBR 2002, 244, 251; Wildhaber EuGRZ 2002, 569, 569 f. 179

282

G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

bei einem Gericht eingerichtet werden.180 Entscheidend ist allein, dass die Beschwerdemöglichkeit tatsächlich wirksam ist. Nach der jahrzehntelang gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte konnte Artikel 13 EMRK wegen des „lex specialis“-Grundsatzes dort keine Anwendung finden, wo eine der schärferen Rechtsweggarantien der Konvention eingreift.181 Daher prüfte der Gerichtshof in der Vergangenheit Artikel 13 EMRK nicht, wenn Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK einschlägig war und damit hatte Artikel 13 EMRK in den meisten Fällen überlanger Verfahrensdauer keine Bedeutung.182 In seiner Grundsatzentscheidung vom 26. Oktober 2000 im Fall Kudla gegen Polen183 hat der Gerichtshof seine bis dahin gefestigte Rechtsprechung jedoch geändert.184 Er prüft nunmehr beide Artikel nebeneinander und verpflichtet die Vertragsstaaten, einen Rechtsbehelf bezüglich der Rüge überlanger Verfahrensdauer vorzusehen.185 Der Gerichtshof sah sich wegen der Vielzahl von gerügten Konventionsverletzungen zu dieser Änderung seiner Rechtssprechung gezwungen.186 Daher wird dem Gerichtshof vorgeworfen, mehr an sein eigenes Inte180 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 280 f.; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 30; Gaede wistra 2004, 166, 171; Golsong GgE 3 (1971), 251, 269; Harries-Lehmann (2004) S. 188 und 237; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 4; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 371; Partsch (1966) S. 149; Piorreck (2003) S. 5. 181 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2699 Rn 146; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 279; Bröhmer in: FSRess (2002) S. 85, 87; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 400; Frowein in: Frowein/Ulsamer (1985) S. 9, 30; Gaede wistra 2004, 166, 171; Harries-Lehmann (2004) S. 239; Jaenicke GgE 3 (1971), 285, 321; Kühne StV 2001, 529, 535; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 371; Niesler (2005) S. 145. 182 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2699 Rn 146; Redeker NJW 2003, 488, 488. 183 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2694 ff. 184 Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 452 und 462 ff.; Britz NVwZ 2004, 173, 177; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 1 und 6; Dörr (2003) S. 54; Gaede wistra 2004, 166, 171; Gundel DVBl 2004, 17, 17; Klose NJ 2004, 241, 242; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 133; Kühne StV 2001, 529, 535; Niesler (2005) S. 145 f.; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Redeker NJW 2003, 488, 488; Redeker NJW 2003, 2956, 2957; Redeker AnwBl 2004, 71, 71 ff.; Ress in: FS-MüllerDietz (2001) S. 627, 632; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 72; Rowan AuR 2002, 430, 431; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 115; Vorwerk JZ 2004, 553, 554; Widmaier ZBR 2002, 244, 251 f.; Wildhaber EuGRZ 2002, 569, 569 f. 185 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2694; Britz NVwZ 2004, 173, 177; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 1 und 6; Niesler (2005) S. 145; Redeker NJW 2003, 488, 489; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 72; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 115. 186 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2699 Rn 148; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 452; Britz/Pfeifer DÖV 2004, 245, 247; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 5;

III. Präventive Maßnahmen

283

resse als an das Interesse der Bürger gedacht zu haben.187 Tatsächlich bietet sich Artikel 13 EMRK als Filter an, der den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor einer zu starken Belastung bewahren kann.188 Artikel 13 EMRK, der sehr viel unspezifischere Anforderungen als Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK stellt, muss nunmehr eigenständig geprüft werden.189 Wie sowohl aus Artikel 13 EMRK als auch aus Artikel 35 EMRK hervorgeht, liegt der Schutz der in der Konvention garantierten Rechte zuerst bei den nationalen Instanzen.190 Damit soll dem betroffenen Staat auch die Möglichkeit eröffnet werden, einer Verletzung der Konvention intern abzuhelfen und die Verurteilung vor einem internationalen Gericht zu vermeiden.191 Artikel 13 EMRK ist daher nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs so auszulegen, dass auch für Fälle, in denen gegen das Gebot der Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit verstoßen worden ist, ein wirksamer Rechtsbehelf in den Rechtsordnungen der Konventionsstaaten zur Verfügung stehen muss.192 Hinsichtlich der Ausgestaltung eines solchen Rechtsbehelfs wird den Staaten ein gewisser Spielraum gewährt.193 Zunächst hatte sich der Gerichtshof nicht dazu geäußert, ob eine Beschwerdemöglichkeit schon während des laufenden Verfahrens noch vor Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs bestehen muss und ob diese Beschwerde auf Schadensersatz und Beschleunigung gerichtet sein muss oder ob es genügt, dass eines dieser Ziele erreicht wird.194 In seinem Urteil vom 8. Juni 2006 im Fall

Gaede wistra 2004, 166, 171; Gimbel ZRP 2004, 35, 35; Kröger/Mey RVaktuell 2006, 132, 133; Kühne StV 2001, 529, 535 f.; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 115; Vorwerk JZ 2004, 553, 553 f. 187 Britz/Pfeifer DÖV 2004, 245, 247; Casadevall NJW 2001, 2701, 2701; Gimbel ZRP 2004, 35, 35; Kühne StV 2001, 529, 536. 188 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2694 Rn 148; Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 281; Strasser in: FSMatscher (2005) S. 111, 115. 189 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2699 Rn 146 f.; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 1; Kühne StV 2001, 529, 535. 190 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2390 Rn 97; Kühne StV 2001, 529, 536. 191 Bleckmann in: Ress (1990) S. 253, 282. 192 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2699 ff. Rn 150 ff.; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 463; Buergenthal/Kewenig AVR 13 (1966/1967), 393, 401; Dörr (2003) S. 55; Gaede wistra 2004, 166, 171; Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 3; Matscher in: FS-Fasching (1988) S. 351, 371; Redeker NJW 2003, 488, 488 f.; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a. 193 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 10; Gimbel ZRP 2004, 35, 35; Kühne StV 2001, 529, 536; Redeker NJW 2003, 488, 488; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a.

284

G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Sürmeli gegen Deutschland 195 hat der Gerichtshof jedoch eine eindeutige Präferenz für einen präventiv wirkenden Rechtsbehelf zum Ausdruck gebracht.196 Nur ein präventiv wirkender Rechtsbehelf könne die Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verhindern und sie nicht nur nachträglich wieder gut machen.197 Wie die bisherige Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit gezeigt hat [G.], existiert in Deutschland bisher überhaupt keine wirklich wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer. Der Gerichtshof hat in dem Verfahren Sürmeli gegen Deutschland die Verfassungsbeschwerde,198 die Dienstaufsichtsbeschwerde,199 die von einigen Zivilgerichten anerkannte Untätigkeitsbeschwerde200 und die Klage auf Schadensersatz wegen einer Amtspflichtverletzung201 auf deren Wirksamkeit im Sinne des Artikels 13 EMRK überprüft und festgestellt, dass diese Rechtsschutzmöglichkeiten nicht hinreichend wirksam sind.202 Diese Feststellungen hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Februar 2007 im Fall Kirsten gegen Deutschland 203 noch einmal bestätigt. Deutschland gehört damit zu denjenigen Mitgliedstaaten, die eine spezielle Beschwerdemöglichkeit wegen überlanger Verfahrensdauer trotz ausdrücklicher Aufforderung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurzeit noch nicht geschaffen haben.204 Im Hinblick auf diese Rechtspre194 EGMR Gonzalez Marin/Spanien 5. Oktober 1999 Az 39521/98 NJW 2001, 2691, 2692; EGMR (4. Sektion) Tomé Mota/Portugal 2. Dezember 1999 Az 32082/96 NJW 2001, 2692, 2693; EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2700 Rn 154; Bundesregierung Gesetzentwurf S. 6 f.; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 10; Grabenwarter (2003) S. 81; Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 72 f. 195 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2389 ff. 196 Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 180; Roller DRiZ 2007, 82, 82; SteinbeißWinkelmann ZRP 2007, 177, 180. 197 EGMR (Große Kammer) Scordino/Italien 29. März 2006 Az 36813/97 NJW 2007, 1259, 1259 ff.; EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2389 Rn 100. 198 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2391 Rn 105–108. 199 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2392 Rn 109. 200 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2392 Rn 110–112. 201 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2392 Rn 113–114. 202 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2392 Rn 115–116; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 178. 203 EGMR (5. Sektion) Kirsten/Deutschland Urteil vom 15. Februar 2007 Az 19124/02 DVBl 2007, 1161, 1162 Rn 56. 204 Ress in: FS-Matscher (2005) S. 39, 72; Strasser in: FS-Matscher (2005) S. 111, 115.

III. Präventive Maßnahmen

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chung des Gerichtshofs spricht viel dafür, eine Untätigkeitsbeschwerde auch im Rahmen der Fachgerichtsbarkeit zu verlangen.205 Für die Einführung einer derartigen Beschwerdemöglichkeit spricht sich daher auch der Gerichtshof ausdrücklich aus.206 Würde eine solche Beschwerdemöglichkeit in Deutschland geschaffen, müsste der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nur noch dann einschreiten, wenn vom Bundesverfassungsgericht selbst verursachte Verzögerungen gerügt werden, gegen die logischerweise keine höhere nationale Instanz einschreiten kann.207 e) Aktuelle Situation In der Zivilgerichtsbarkeit ist eine Untätigkeitsbeschwerde auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage in der Form einer außerordentlichen Beschwerde bei greifbarer Gesetzwidrigkeit weitgehend anerkannt.208 Sie dient allein dem Zweck, den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Es ist daher im Rahmen einer Untätigkeitsbeschwerde nicht zulässig, in der Hauptsache „durchzuentscheiden“.209 Verfahrensgegenstand ist ausschließlich die Untätigkeit des erstinstanzlichen Gerichts, nicht aber die Überprüfung einer – gar nicht existenten – Entscheidung.210 Eine Tätigkeit des Beschwerdegerichts in der Hauptsache würde voraussetzen, dass eine Entscheidung angegriffen wird. Das Beschwerdegericht kann daher bei Begründetheit der Beschwerde das erstinstanzliche Gericht auch nur anweisen, dem Verfahren Fortgang zu geben. Die schärfste dem Beschwerdegericht zustehende Maßnahme ist, dem Ausgangsgericht äußerste Beschleunigung anzuempfehlen und festzulegen, ab welchem Zeitpunkt nicht mehr von äußerster Beschleunigung gesprochen werden kann.211 Ob für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und für die anderen Gerichtsbarkeiten nach der derzeitigen Gesetzeslage ebenfalls eine Untätigkeitsbeschwerde konstruiert werden kann, ist umstritten. Schon seit vielen Jahren und verstärkt seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26. Oktober 2000 im Fall Kudla 205

Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig (2003) Art 19 Abs 4 Rn 263a. EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2394 Rn 138–139; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 180. 207 Kühne StV 2001, 529, 536. 208 RGZ (6. Senat) 13. Februar 1913 Az VI 351/12 RGZ 81, 321, 324; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 11; Gummer in: Zöllner (2007) § 567 Rn 21; Redeker NJW 2003, 488, 488; Völker FF 2005, 144, 144; Vollkommer in: Zöllner (2005) Einleitung Rn 48; Ziekow DÖV 1998, 941, 947. 209 Völker FF 2005, 144, 144. 210 Völker FF 2005, 144, 144 f. 211 Völker FF 2005, 144, 145. 206

286

G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

gegen Polen,212 wird in Deutschland über die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde diskutiert,213 zuletzt beispielsweise auf einem Expertensymposium im Bundesministerium der Justiz am 8. Oktober 2007 zu Handlungsoptionen für einen Rechtsbehelf bei überlanger Verfahrensdauer. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich am 14. November 2007 für die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer bei Gericht eingesetzt und die Einführung dieser Beschwerdemöglichkeit war auch Gegenstand einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der F.D.P. vom 12. Dezember 2007214 und der Antwort der Bundesregierung vom 28. Dezember 2007.215 Besonders einfach machen es sich die Verwaltungsgerichte mit ihrer Argumentation gegen die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde, indem sie pauschal darauf hinweisen, dass eine solche Beschwerde in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht geregelt ist und daher Anhaltspunkte für ihre Zulässigkeit fehlen.216 Aufgrund der grundsätzlich eher ablehnenden Haltung der meisten Verwaltungsrichter bemühen sich diese – anders als in der Zivilgerichtsbarkeit – nicht um die Konstruktion einer derartigen Beschwerde im Wege der Rechtsfortbildung. Vielmehr verweisen sie darauf, dass mangels ausdrücklicher Regelung die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen Beschwerde im Dunkeln liegen.217 Aus diesem Grund wird die Schaffung einer außerordentlichen Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber auch in der Sozialgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbar212 EGMR (Große Kammer) Kudla/Polen 26. Oktober 2000 Az 30210/96 NJW 2001, 2694, 2694 ff. 213 VGH Bayern (10. Senat) 27. Januar 2000 Az 10 C 99/3695 NVwZ 2000, 693, 693; Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 454; Britz NVwZ 2004, 173, 174 und 177; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003 S. 3 ff.; Dörr (2003) S. 30 und 235; Häsemeyer in: FS-Michaelis (1972) S. 134, 143 ff.; Hill JZ 1981, 805, 806 Rn 12; Jaeger VBlBW 2004, 128, 128 und 132; Meyer-Ladewig/Rudisile in: Schoch u. a. (2004) vor § 124 Rn 74; Niesler (2005) S. 2; Plagemann in: FS-BSG (2004) S. 813, 814; Prantl in: SZ vom 30. Dezember 2004 S. 1; Redeker in: Handelsblatt vom 5. Februar 2003 S. R1; Redeker NJW 2003, 488, 488; Redeker NJW 2003, 2956, 2958; Redeker in: Redeker/v. Oertzen § 44a Rn 3a; Redeker AnwBl 2004, 71, 74; Riemann in: SZ vom 15./16. Januar 2005 S. 41; Roller DRiZ 2007, 82, 82 ff.; Sangmeister NJW 2952, 2953; Schlette (1999) S. 45; Schlette EuGRZ 1999, 369, 371; Schneider MDR 1998, 252, 254 f.; Vollkommer/Lisch EWiR 1/1998, 27, 28; Ziekow DÖV 1998, 941, 948; Ziekow JZ 1998, 947, 949 f. 214 Fraktion F.D.P. in: BT-Drs. 16/7558 (2007) S. 1 ff. 215 Bundesregierung in: BT-Drs. 16/7655 (2007) S. 1 ff. 216 BVerwG (3. Senat) 30. Januar 2003 Az 3 B 8/03 NVwZ 2003, 869, 869; OVG Bremen (2. Senat) 10. Oktober 1983 Az 2 B 96/83 NJW 1984, 992, 992 f.; VGH BW (5. Senat) 25. Januar 1984 Az 5 S 183/84 NJW 1984, 993, 993; OVG NW (24. Senat) 3. Dezember 1997 Az 24 E 921/97 JZ 1998, 947, 947; VGH Bayern (10. Senat) 27. Januar 2000 Az 10 C 99/3695 NVwZ 2000, 693, 693; Klein JZ 1963, 591, 591 f.; Redeker NJW 2003, 488, 488; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 179; Ziekow DÖV 1998, 941, 948. 217 OVG NW (24. Senat) 3. Dezember 1997 Az 24 E 921/97 JZ 1998, 947, 947.

III. Präventive Maßnahmen

287

keit abgelehnt.218 In die von den Richtern wahrgenommene Dunkelheit hätten sie allerdigs bereits durch Rechtsfortbildung Licht bringen können. In der Literatur existieren bereits mehrere Ansätze für die Herleitung und Ausgestaltung einer Untätigkeitsbeschwerde auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung.219 So konstruierte Ziekow bereits 1998 eine solche Beschwerde in Anlehnung an die zivilprozessualen Grundsätze.220 Schlette legte 1999 den § 146 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG verfassungskonform aus und fingiert bei Untätigkeit des Gerichts einen Aussetzungsbeschluss gemäß § 94 VwGO als die für § 146 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche gerichtliche Entscheidung.221 Niesler konstruierte 2005 eine unmittelbar auf Artikel 13 EMRK gestützte Beschwerdemöglichkeit.222 Nachdem am 1. Januar 2005 das Anhörungsrügengesetz in Kraft getreten ist, das einen Rechtsbehelf bei Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör begründet,223 wird darüber hinaus von Schenke die Herleitung einer Untätigkeitsbeschwerde aus einer Analogie zu der unter anderem in § 152a VwGO, § 178a SGG und § 133a FGO geregelten Anhörungsrüge vertreten.224 Angesichts dieser bereits entwickelten Konstruktionsmöglichkeiten wird deutlich, dass sich die Richter offensichtlich nicht besonders intensiv um eine Lösungsmöglichkeit bemüht haben.225 Der Grund für diese Zurückhaltung ist, dass eine Untätigkeitsbeschwerde nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht von Verfassungs wegen geboten sei und auch nicht in entsprechender Anwendung anderer gesetzlicher Vorschriften oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zulässig sei.226 Wie oben bereits ausgeführt, erfordert jedoch Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG, prozessuale Möglichkeiten für ein Vorgehen gegen überlange Verfahrensdauer zu schaffen. Bliebe es bei der derzeitigen Situation, wäre eine durch Rechtsfort218

Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 179. Britz NVwZ 2004, 173, 174. 220 Ziekow DÖV 1998, 941, 951. 221 Schlette (1999) S. 51. 222 Niesler (2005) S. 156. 223 Borm (2005) S. 85; Bundesrechtsanwaltskammer Stellungnahme vom 18. Mai 2004; Bund Deutscher Verwaltungsrichter BDVR-R 2004, 143, 143; Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Juni 2004; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Mai 2004; Frehse SGb 2005, 265, 265 ff.; Gehb DÖV 2005, 683, 683 ff.; Graßhof Anhang IX (2005) S. 357 f.; Guckelberger NVwZ 2005, 11, 11 ff.; Huber JuS 2005, 109, 109 ff.; Nassall ZRP 2004, 164, 164 ff.; Schenke NVwZ 2005, 729, 729 ff.; Schoenfeld DB 2005, 850, 850 ff.; Treber NJW 2005, 97, 97 ff.; Ulrici Jura 2005, 368, 368 ff.; Zuck NVwZ 2005, 739, 739. 224 Schenke NVwZ 2005, 729, 737 ff. 225 Ziekow DÖV 1998, 941, 948; Ziekow JZ 1998, 947, 949. 226 BVerwG (3. Senat) 30. Januar 2003 Az 3 B 8/03 NVwZ 2003, 869, 869. 219

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

bildung zu schaffende Beschwerdemöglichkeit daher auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zwingend erforderlich. Da jedoch nicht davon auszugehen ist, dass die einer solchen Beschwerde ablehnend gegenüber stehende Mehrheit der Richterschaft an den mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichten ihre Meinung in näherer Zukunft grundsätzlich ändern wird, wäre eine möglichst baldige ausdrückliche gesetzliche Regelung einer solchen Beschwerde wünschenswert. Eine dogmatisch noch so raffiniert hergeleitete Beschwerdemöglichkeit bringt dem betroffenen Bürger nichts, solange die Gerichte sich weigern, eine solche zur wirksamen Durchsetzung des Rechts auf ein Verfahren in angemessener Frist anzuwenden. Darüber hinaus hätte eine eindeutige gesetzliche Regelung den Vorteil, dass der Bürger unmittelbar anhand des Gesetzeswortlauts die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen Beschwerde erkennen könnte. Außerdem würde auch nur eine ausdrücklich gesetzlich geregelte Beschwerdemöglichkeit den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht. In seinem Plemumsbeschluss vom 30. April 2003227 – der den Anspruch auf rechtliches Gehör betraf, aber auch auf den Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist übertragber ist228 – hat das Gericht Rechtsmittelklarheit gefordert229 und ausgeführt: „Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt sein und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein.“ Diesen Anforderungen würde nur eine eindeutig gesetzlich geregelte Beschwerdemöglichkeit gerecht.230 f) Ausblick In den vergangenen Jahren wurden mehrere Gesetzentwürfe zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vorgelegt, von denen im Folgenden zwei Entwürfe vorgestellt werden sollen. aa) Gesetzentwurf der Landesregierung Hessen Der „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in gerichtlichen Verfahren“ der Landesregierung des Bundeslandes Hessen aus dem Jahr 2003231 sieht vor, nach § 17b GVG den folgenden § 17c GVG einzufügen: 227 228

BVerfG (Plenum) 30. April 2003 Az 1 PBvU 1/02 NJW 2003, 1924, 1924. Sangmeister NJW 2007, 2539, 2539; Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177,

177 f. 229 230 231

Kroppenburg ZZP 119 (2006), 177, 182. Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 178. Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 1; Vorwerk JZ 2004, 553, 554.

III. Präventive Maßnahmen

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„(1) Nimmt ein Gericht des ersten oder zweiten Rechtszuges Verfahrenshandlungen, die zur Durchführung des anhängigen Verfahrens notwendig sind, ohne zureichenden Grund nicht binnen angemessener Frist vor, so können die Verfahrensbeteiligten nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Anhängigkeit des Verfahrens Untätigkeitsbeschwerde erheben. (2) 1Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. 2Der § 572 Abs. 1 ZPO232 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Abhilfe- oder Vorlageentscheidung binnen zwei Monaten zu treffen ist. (3) 1Erachtet das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet, so bestimmt es eine Frist zur Vornahme der notwendigen Verfahrenshandlung. 2Das Beschwerdegericht entscheidet innerhalb von zwei Monaten nach Vorlage der Akten.“

Zudem sieht dieser Entwurf Verweisungen auf den neuen § 17c GVG vor („Für die Rüge gerichtlicher Untätigkeit gilt § 17c des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend“),233 die in das Arbeitsgerichtsgesetz, die Verwaltungsgerichtsordnung und das Sozialgerichtsgesetz, nicht aber in die Finanzgerichtsordnung eingefügt werden sollen. Dieser Gesetzentwurf scheint von dem Gedanken getragen zu sein, den Anwendungsbereich der Untätigkeitsbeschwerde möglichst eng zu fassen. Zum einen wird von einer Einbeziehung des finanzgerichtlichen Verfahrens „mit Rücksicht auf die Besonderheiten des zweigliedrigen Rechtszugs zunächst abgesehen“.234 Zum anderen sollen gemäß § 17c Abs. 1 GVG nur Verfahren vor Gerichten „des ersten oder zweiten Rechtszuges“ erfasst werden, so dass die obersten Bundesgerichte fast vollständig aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgeklammert sind. Insbesondere die Nichtanwendbarkeit der Untätigkeitsbeschwerde auf die Finanzgerichtsbarkeit ist jedoch angesichts der teilweise katastrophal langen Verfahrenslaufzeiten vor diesen Gerichten schärfstens zu kritisieren. Aber auch die Herausnahme der obersten Bundesgerichte aus dem Anwendungsbereich der Norm ist nicht sinnvoll, da dort ebenfalls überlange Verfahrenslaufzeiten auftreten und sich der Bürger dagegen wehren können sollte. Außerdem soll die Erhebung einer Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 17c Abs. 1 GVG erst „nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Anhängigkeit des Verfahrens“ zulässig sein. Wie bereits zuvor im Rahmen dieser Arbeit erörtert [E. I. 8.], lässt sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer jedoch nicht anhand fester zeitlicher Grenzen bestimmen. Ein Verfahren, das weniger als ein § 572 Abs. 1 ZPO: 1Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. 2§ 318 bleibt unberührt. 233 Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 1. 234 Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 1. 232

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Jahr anhängig ist, kann in Einzelfällen durchaus bereits unangemessen lange gedauert haben. Insofern ist die Festlegung einer festen zeitlichen Grenze nicht geeignet, dem Anspruch des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist gerecht zu werden. Aus den gleichen Gründen erweisen sich auch die festen Zeitangaben in § 17c Abs. 2 Satz 2 GVG („binnen zwei Monaten“) und § 17c Abs. 3 Satz 2 GVG („innerhalb von zwei Monaten“) als ungeeignet. Besser wäre hier eine Formulierung, die ein unverzügliches Handeln fordert. Eine feste zeitliche Grenze sollte durch den Zusatz „spätestens“ deutlicher als äußerste Grenze kenntlich gemacht werden. Die Verweisung in § 17c Abs. 2 Satz 2 GVG auf § 572 Abs. 1 der Zivilprozessordnung trägt nicht zur Übersichtlichkeit und Verständlichkeit der Regelung bei und ist angesichts der Tatsache, dass nur wenige Wörter eingespart werden, noch nicht einmal wesentlich kürzer. Insgesamt ist an diesem Gesetzentwurf der hessischen Landesregierung zu begrüßen, dass er überhaupt die Möglichkeit einer Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer vorsieht und auch erste brauchbare Ansätze für eine konkrete Regelung dieses Rechtsbehelfs enthält. Bedauerlicherweise schränkt der Entwurf den Anwendungsbereich der Untätigkeitsbeschwerde jedoch zu stark ein und ist auch in zahlreichen Details verbesserungsbedürftig. bb) Gesetzentwurf der Bundesregierung Das Bundesjustizministerium hat sich in einem Schreiben vom 27. Mai 2002 an eine Reihe von Berufsverbänden und an die Landesjustizverwaltungen gewandt, in dem die Problematik der überlangen Verfahrensdauer aufgezeigt wurde und die Adressaten um Stellungnahme gebeten wurden.235 Unter Einbeziehung der Ergebnisse dieser Befragung hat es dann am 26. August 2005 den „Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei der Verletzung des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren (Untätigkeitsbeschwerdengesetz)“ vorgelegt.236 Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde schließlich den Gerichten und Berufsverbänden zur erneuten Stellungnahme zugeleitet und deren Stellungnahmen237 anschließend ausgewertet. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde vom Deutschen Anwaltverein in seiner Pressemitteilung vom 26. August 2005,238 von der Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer Pressemitteilung vom 16. September 2005239 und vom 235

Bundesregierung Gesetzentwurf S. 4; Redeker NJW 2003, 488, 488. Bundesjustizministerium Pressemitteilung vom 26. August 2005. 237 Deutscher Anwaltverein Stellungnahme vom Mai 2003; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005. 238 Deutscher Anwaltverein Pressemitteilung vom 26. August 2005. 236

III. Präventive Maßnahmen

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Deutschen Notarverein in seiner Stellungnahme vom 27. September 2005240 begrüßt. Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer sei längst überfällig.241 Gerade für die Verwaltungs-, Sozial-, und Finanzgerichtsbarkeit sei ein solcher Rechtsbehelf aufgrund der teilweise unerträglich langen Verfahrensdauer, die häufig einer Rechtsverweigerung gleichkomme, nötig.242 Der Deutsche Richterbund hingegen lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung in seiner Stellungnahme vom Oktober 2005 ab.243 Auch der Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter hält den Gesetzentwurf laut einem Schreiben vom 30. September 2005 für „weder geboten, noch geeignet, das Problem einer längeren Verfahrensdauer zu lösen.“244 Die Neue Richtervereinigung spricht in ihrer Pressemitteilung vom 17. September 2005 sogar von einem „Schildbürgerstreich in der Justizpolitik“ und hält den Gesetzentwurf für „absurd“ und „verfassungswidrig“.245 Nach Auskunft des zuständigen Mitarbeiters im Bundesjustizministerium liegt der Gesetzentwurf aus dem Jahr 2005 weiterhin „in der Schublade“ und konnte nur aufgrund der vorgezogenen Wahlen zum Bundestag nicht mehr in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet werden. Angesichts der massiven Widerstände seitens der Richterschaft hat sich die neue Bundesregierung bislang anscheinend nicht getraut, das Gesetzesvorhaben weiter zu verfolgen. Alle damit befassten Personen wissen jedoch, dass Deutschland nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Schaffung einer wirksamen Beschwerdemöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer verpflichtet ist. Daher ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Gesetzentwurf wieder aus der Schublade hervorgeholt wird, um den völkerrechtswidrigen Zustand in Deutschland zu beseitigen. (1) Wortlaut und Gesetzesbegründung Der genaue Wortlaut des Entwurfs für das Untätigkeitsbeschwerdengesetz wurde vom Bundesjustizministerium bewusst nicht der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht und auch nicht auf der eigenen Homepage veröffentlicht, da zunächst interne Absprachen innerhalb der Bundesregierung und mit den Berufsverbänden erfolgen sollten. Über die Homepage des Bunds Deut239

Bundesrechtsanwaltskammer Pressemitteilung vom 16. September 2005. Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. 241 Bundesrechtsanwaltskammer Pressemitteilung vom 16. September 2005. 242 Deutscher Anwaltverein Pressemitteilung vom 26. August 2005. 243 Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005. 244 Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter Stellungnahme vom 30. September 2005. 245 Neue Richtervereinigung Pressemitteilung vom 17. September 2005. 240

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

scher Finanzrichterinnen und Finanzrichter besteht jedoch zurzeit die Möglichkeit, an den Originalwortlaut des Gesetzentwurfs zu gelangen. Nach diesem Entwurf soll hinter dem derzeit letzten Paragraphen des Gerichtsverfassungsgesetzes ein neuer siebzehnter Titel mit der Bezeichnung „Untätigkeitsbeschwerde“ angefügt werden.246 Unter dieser Überschrift des siebzehnten Titels soll dann folgender § 198 angefügt werden: „(1) Wird ein anhängiges gerichtliches Verfahren von dem Gericht ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist gefördert, so können die Parteien oder Beteiligten Beschwerde erheben (Untätigkeitsbeschwerde). (2) 1Die Beschwerde ist bei dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, schriftlich oder, sofern nicht für das Verfahren die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist, zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. 2Sie muss das Verfahren bezeichnen und die in Abs. 1 genannten Tatsachen darlegen. (3) 1Hält das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, die Beschwerde für begründet, so hat es ihr abzuhelfen, indem es unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats Maßnahmen ergreift, die den Abschluss des Verfahrens in angemessener Frist erwarten lassen. 2Anderenfalls legt es die Beschwerde innerhalb der in Satz 1 genannten Frist mit einer Stellungnahme zu dem Beschwerdevorbringen dem im Rechtsmittelzug nächsthöheren Gericht vor. 3In Verfahren, in denen ein Rechtsmittel nicht eröffnet ist, entscheidet das im Instanzenzug übergeordnete Gericht. 4In den vor den Landgerichten im zweiten Rechtszug verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift das Oberlandesgericht. 5In Verfahren vor den obersten Bundesgerichten entscheidet ein anderer Senat des Gerichts. (4) 1Im Falle des Absatzes 3 Satz 1 kann der Beschwerdeführer binnen einer Frist von zwei Wochen, nachdem ihm die zur Abhilfe getroffene Maßnahme des Gerichts bekannt geworden ist, die Vorlage an das Beschwerdegericht beantragen. 2In dem Antrag ist darzulegen, warum die Maßnahme den Abschluss des Verfahrens in angemessener Frist nicht erwarten lässt. 3Absatz 3 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. (5) 1Das Beschwerdegericht entscheidet unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Vorlage der Beschwerde durch unanfechtbaren Beschluss. 2Hält es die Beschwerde für begründet, so bestimmt es eine Frist, in der das vorlegende Gericht Maßnahmen ergreift, die geeignet sind, das Verfahren innerhalb angemessener Frist abzuschließen. 3Der Beschluss soll kurz begründet werden. 4Ist die Beschwerde offensichtlich unbegründet, kann von einer Begründung abgesehen werden. (6) Die Beschwerde kann vor Ablauf von sechs Monaten nach einer Maßnahme gemäß Abs. 3 Satz 1 nicht, nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß Abs. 5 nur mit der Begründung erneut erhoben werden, das Gericht habe dem Verfahren nicht gemäß Abs. 5 Satz 2 Fortgang gegeben.“

Dieser Gesetzentwurf soll es dem Bürger ermöglichen, sein Recht auf ein zügiges Verfahren tatsächlich durchsetzen zu können. Anders als durch die 246

Bundesregierung Gesetzentwurf S. 9.

III. Präventive Maßnahmen

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Dienstaufsichtsbeschwerde oder die Verfassungsbeschwerde soll der Bürger mit der Untätigkeitsbeschwerde auf den Fortgang eines bestimmten anhängigen Verfahrens hinwirken können. Damit soll der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nachgekommen werden, die eine wirksame innerstaatliche Beschwerdemöglichkeit verlangt.247 Nach dem Entwurf soll die Beschwerde bei dem Gericht erhoben werden, bei dem das Verfahren anhängig ist. Dieses muss sich dann zunächst selbst mit dem Vorwurf auseinandersetzen, es habe das Verfahren ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist gefördert. Wenn das Gericht die Beschwerde für berechtigt hält, muss es unverzüglich, spätestens innerhalb einer Frist von einem Monat nach Einreichen der Untätigkeitsbeschwerde, die für den Fortgang des Verfahrens erforderlichen Maßnahmen treffen, die einen Verfahrensabschluss in einem angemessenen Zeitrahmen erwarten lassen.248 Wenn das Gericht davon überzeugt ist, der bisherige Verfahrensverlauf sei sachgerecht und prozessfördernde Maßnahmen seien daher nicht erforderlich, so kann es die Untätigkeitsbeschwerde nicht selbst zurückweisen, sondern legt sie dem nächsthöheren Gericht zur abschließenden Entscheidung vor. Handelt es sich bei dem Ausgangsgericht um ein oberstes Bundesgericht, so entscheidet ein anderer Senat des Gerichts. Sollte das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Untätigkeitsbeschwerde begründet ist, so kann es dem Ausgangsgericht eine Frist setzen, innerhalb derer wirksame Maßnahmen zur Verfahrensförderung ergriffen werden müssen.249 Nach Angaben des Bundesjustizministeriums sind die Regelungen in dem Gesetzentwurf zur Untätigkeitsbeschwerde so ausgestaltet, dass der Justiz keine unnötigen Mehrbelastungen wegen offensichtlich unbegründeter Untätigkeitsbeschwerden aufgebürdet werden. Wird in einem nicht zu beanstandenden Verfahren eine Untätigkeitsbeschwerde erhoben, so kann das Ausgangsgericht diese mit einer knappen Stellungnahme zügig an die nächsthöhere Instanz weiterleiten. Von dort kann die Untätigkeitsbeschwerde dann ebenso knapp und mit wenig Aufwand abschlägig beschieden werden.250

247 Bundesjustizministerium Pressemitteilung vom 26. August rung Gesetzentwurf S. 6 f. 248 Bundesjustizministerium Pressemitteilung vom 26. August rung Gesetzentwurf S. 11; Deutscher Notarverein Stellungnahme 2005. 249 Bundesjustizministerium Pressemitteilung vom 26. August rung Gesetzentwurf S. 11 f. 250 Bundesjustizministerium Pressemitteilung vom 26. August rung Gesetzentwurf S. 11.

2005; Bundesregie2005; Bundesregievom 27. September 2005; Bundesregie2005; Bundesregie-

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

(2) Stellungnahme Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26. August 2005 vermeidet die im Entwurf der hessischen Landesregierung aus dem Jahr 2003 noch enthaltenen Mängel. So enthält er keine starre Frist von zwölf Monaten, sondern überlässt die Festlegung der im jeweiligen Einzelfall angemessenen Frist zu Recht der Rechtsprechung.251 Es bleibt zu hoffen, dass sich die Gerichte – sollte der Gesetzentwurf in dieser Form geltendes Recht werden – gemäß dem dann ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers252 bei der Beurteilung der Frage, wann ein Verfahren „ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist“ durch geeignete prozessuale Maßnahmen gefördert worden ist, an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG orientieren werden.253 Damit kann – anders als nach dem Entwurf der Landesregierung Hessen – auch ein Verfahren, das weniger als zwölf Monate anhängig ist, zur Einlegung einer Beschwerde berechtigen. Außerdem wird in § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG und in § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG betont, dass das Ausgangsgericht und das Beschwerdegericht „unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats“ tätig werden müssen. Damit können die Gerichte in Einzelfällen auch zu sofortigem Handeln verpflichtet sein und sich nicht stets auf die Monatsfrist berufen. Darüber hinaus bestimmt § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG im Gesetzentwurf der Bundesregierung, dass die Einlegung der Untätigkeitsbeschwerde bei Verfahren mit Anwaltszwang schriftlich zu erfolgen hat und gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG zu begründen ist.254 Gut gelungen ist auch die Regelung in § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG, nach der über Untätigkeitsbeschwerden in Verfahren vor den obersten Bundesgerichten ein anderer Senat des Gerichts entscheidet. Damit wurde eine Lösung für das Problem255 gefunden, dass es über den obersten Bundesgerichten keine nächsthöhere Instanz mehr gibt. Zudem berücksichtigt der Gesetzentwurf in § 198 Abs. 4 GVG auch den Fall, dass eine vom Ausgangsgericht zur Abhilfe getroffene Maßnahme ungeeignet ist, den Abschluss des Verfahrens in angemessener Frist zu gewährleisten.256 Auch der durchaus denkbare Fall, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens erneut eine Untätigkeitsbeschwerde erhoben wird, wurde in § 198 Abs. 6 GVG sachgerecht geregelt.

251

Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. Bundesregierung Gesetzentwurf S. 10; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. 253 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. 254 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 11; Vorwerk JZ 2004, 553, 555. 255 Redeker NJW 2003, 488, 489. 256 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 12. 252

III. Präventive Maßnahmen

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Im Gegensatz zu der Regelung in § 91 des österreichischen Gerichtsorganisationsgesetzes kann nach dem Gesetzentwurf das Beschwerdegericht dem Ausgangsgericht auch keine bestimmte verfahrensbeschleunigende Maßnahme vorschreiben und greift damit nicht unnötig weit in dessen Verfahrensgestaltung ein. Der berechtigten Kritik an der österreichischen Regelung der Beschwerdemöglichkeit wurde damit erfolgreich begegnet. Bedenken seitens der Richterschaft, die Regelung der Untätigkeitsbeschwerde greife unzulässig weit in die richterliche Unabhängigkeit ein, erscheinen damit nicht mehr gerechtfertigt. Schließlich trägt der Entwurf auch den Bedenken von Seiten der Richterschaft bezüglich einer verstärkten Arbeitsbelastung durch zusätzliche Verfahren dadurch Rechnung, dass das Beschwerdegericht gemäß § 198 Abs. 5 Satz 4 GVG bei offensichtlich unbegründeten Untätigkeitsbeschwerden von einer Begründung des ablehnenden Beschlusses absehen kann. Damit kann die mit jedem Rechtsbehelf verbundene Gefahr querulatorischer Missbräuche zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, doch wird sich der Aufwand für die Erledigung missbräuchlicher Untätigkeitsbeschwerden auf ein Minimum beschränken lassen. Sowohl die Stellungnahme des Ausgangsgerichts als auch der Beschluss des Beschwerdegerichts kann in offensichtlich unbegründeten Fällen durch die Verwendung von Textbausteinen in kürzester Zeit erledigt werden. Gewisse Zeitverluste durch den Transport der Akten zwischen den Gerichten und deren Durchsicht durch den Richter lassen sich jedoch – wie bei jedem anderen Rechtsmittel auch – nicht gänzlich vermeiden. Sollte sich in den nächsten Jahren die elektronische Führung aller Gerichts- und Behördenakten durchsetzen, ließe sich auch dieser Zeitverlust minimieren. Insgesamt stellt die in § 198 GVG gewählte Formulierung des Gesetzestextes damit eine sachgerechte und überzeugende Normierung dieses neuen Rechtsbehelfs dar. Wichtig ist der in der Begründung zum Gesetzentwurf enthaltene Hinweis, dass die Frage nach der Angemessenheit der Verfahrensdauer allein nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist.257 Damit wird verdeutlicht, dass die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer nicht unbedingt einen Schuldvorwurf für den mit der Sache befassten Richter enthält.258 Auch schon länger bestehende Rückstände, eine chronische Überlastung eines Gerichts oder eine allgemein angespannte Personalsituation können schließlich Ursache für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer sein.259 Eine stattgebende Untätigkeitsbeschwerde wird daher in den meisten Fällen nicht auf einer Untätigkeit des Richters, sondern auf seiner Beschäftigung mit anderen Verfahren 257

Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. Bundesregierung Gesetzentwurf S. 10; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. 259 Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005. 258

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

beruhen. Es wird mit der Untätigkeitsbeschwerde daher auch nicht notwendigerweise die Faulheit eines Richters gerügt – wie dies in manchen Reaktionen seitens der Richterschaft befürchtet wird260 – sondern lediglich eine Untätigkeit in einem konkreten Verfahren festgestellt, die auch auf nicht vom Richter zu beeinflussenden Faktoren beruhen kann. Für den Bürger kommt es jedoch nicht darauf an, ob sein Verfahren wegen einer Überlastung der Gerichte oder aufgrund von Krankheit, Unfähigkeit oder Faulheit des Richters nicht in angemessener Zeit durchgeführt wird. Wenn sich ein Bürger über eine zu lange Verfahrensdauer beschwert, ist er ausschließlich an einem möglichst zügigen Abschluss seines Verfahrens interessiert. Allein darum geht es bei der Untätigkeitsbeschwerde. (3) Verbesserungsvorschläge Der insgesamt sehr gut gelungene Gesetzentwurf der Bundesregierung könnte hinsichtlich folgender drei Aspekte noch weiter verbessert werden. Zunächst sollten eventuelle auftretende Probleme bezüglich der Anwendbarkeit der Untätigkeitsbeschwerde in den Verfahren vor den Fachgerichtsbarkeiten bereits im Vorfeld beseitigt werden. Mit der Regelung der Untätigkeitsbeschwerde im Gerichtsverfassungsgesetz beabsichtigt die Bundesregierung die Anwendbarkeit der Norm auf alle Gerichtsverfahren zu erstrecken.261 Da die einzelnen Prozessordnungen bereits Verweisungsnormen auf das Gerichtsverfassungsgesetz enthalten, wird die Einfügung von Hinweisen auf die im Gerichtsverfassungsgesetz geregelte Untätigkeitsbeschwerde für überflüssig gehalten.262 An diesem Punkt wäre der Gesetzentwurf noch verbesserungsbedürftig. Angesichts großer Widerstände gegen die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in Teilen der Richterschaft könnte ein Fehlen von ausdrücklichen Verweisungsnormen in den Prozessordnungen von einigen Gerichten bewusst missverstanden werden. Es besteht die Gefahr, dass einzelne Gerichte entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers unterstellen könnten, dass die bisher in den Prozessordnungen getroffenen Regelungen, die Beschwerden in vielen Fällen ausschließen, lex specialis zu der Regelung der Untätigkeitsbeschwerde im Gerichtsverfassungsgesetz darstellen würden. So regelt beispielsweise die Verweisungsnorm des § 173 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), dass das Gerichtsverfassungsgesetz nur anwendbar ist „soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält“. In § 146 Abs. 2 VwGO und § 152 Abs. 1 VwGO wird die Einlegung einer Beschwerde jedoch in zahlreichen Fäl260 Deutscher Richterbund Stellungnahme vom November 2003; Deutscher Richterbund Stellungnahme vom Oktober 2005; Piorreck (2003) S. 2 und 6. 261 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 7; Deutscher Notarverein Stellungnahme vom 27. September 2005. 262 Bundesregierung Gesetzentwurf S. 7 und 9.

III. Präventive Maßnahmen

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len ausgeschlossen.263 Um bewusste Missverständnisse zu vermeiden wäre es daher sinnvoll, diesen Absätzen jeweils den folgenden Satz 2 anzufügen: „Für die Rüge gerichtlicher Untätigkeit gilt § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend.“

Der gleiche Satz sollte auch dem § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung und dem § 172 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes angefügt werden. Bei § 177 des Sozialgerichtsgesetzes sollten zudem die Worte „des § 17a Abs. 4 Satz 4“ durch „der §§ 17a Abs. 4 Satz 4, 198“ ersetzt werden. Mit diesen klarstellenden Einschüben würden Spekulationen und Streitigkeiten über die Anwendbarkeit der Untätigkeitsbeschwerde in der Verwaltungs-, Sozial- und insbesondere der Finanzgerichtsbarkeit von Anfang an unterbunden. Außerdem würde der Rechtsschutz suchende Bürger durch diese Verweisung leichter auf die Möglichkeit der Einlegung einer solchen Beschwerde stoßen. Schließlich würde der Hinweis auf die Untätigkeitsbeschwerde an gesetzessystematisch richtiger Stelle unmittelbar im Anschluss an die Regelungen zu anderen Beschwerden erfolgen, ohne die gesamte Regelung in jeder einzelnen Prozessordnung wiederholen zu müssen. Eine weitere sinnvolle Ergänzung des Gesetzentwurfs würde die Einführung einer wirksamen Entschädigungsregelung darstellen. Im Gegensatz zu der bereits oben untersuchten Amtshaftungsklage [G. I. 1.], sollte diese Entschädigungsregelung auch für immaterielle Schäden anwendbar sein. Zwar kann nur ein präventiv wirksamer Rechtsbehelf das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer in einem konkreten Fall wirklich wirksam verhindern, doch würde durch zusätzlich drohende Entschädigungsansprüche der Druck auf die Justizverwaltung und den Haushaltsgesetzgeber erhöht, für eine ausreichende Personalausstattung der Gerichte zu sorgen. Außerdem würde ein präventiver Rechtsbehelf ohne Entschädigungsregelung dem Bürger dann nicht weiterhelfen, wenn trotz des präventiv wirkenden Rechtsbehelfs eine überlange Verfahrensdauer zustande gekommen ist. In diesem Fall kann nur noch eine Entschädigung eine gewisse Kompensation für die dadurch erlittenen Nachteile bewirken.264 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seine Rechtsprechung zur überlangen Verfahrensdauer entsprechend ergänzt und beispielsweise in seinen Urteilen vom 29. März 2006 in den Fällen Scordino gegen Italien265 und Zullo gegen Italien266 ausgeführt, dass ein auf Beschleunigung gerichteter

263

Landesregierung Hessen Gesetzentwurf S. 8. Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 178. 265 EGMR (Große Kammer) Scordino/Italien 29. März 2006 Az 36813/97 NJW 2007, 1259, 1259 ff. 266 EGMR (Große Kammer) Zullo/Italien 29. März 2006 Az 64897/01 Rn 78. 264

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

Rechtsbehelf allein nicht genügt, wenn ein Verfahren bereits überlang gedauert hat.267 Der Gerichtshof empfiehlt daher, sowohl einen Rechtsbehelf zur Beschleunigung als auch einen Rechtsbehelf zur Entschädigung vorzusehen.268 In Österreich, Kroatien, Spanien, Polen und in der Slowakei wurden inzwischen jeweils zwei Rechtsbehelfe, einer zur Beschleunigung des Verfahrens und ein anderer zur Entschädigung, eingeführt.269 Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben (nur) diese Staaten mit einer Kombination von präventiven Rechtsbehelfen und Entschädigungsregelungen das Problem der überlangen Verfahrensdauer richtig verstanden.270 Daher schlage ich vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung um einen Abs. 7 mit folgendem Wortlaut zu ergänzen: „(7) 1Stellt ein Gericht fest, dass ein anhängiges gerichtliches Verfahren ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist gefördert worden ist, so spricht es den dadurch benachteiligten Verfahrensbeteiligten nach billigem Ermessen eine angemessene Entschädigung zu. Gegen diese Entscheidung steht den Verfahrensbeteiligten die Beschwerde zum Beschwerdegericht offen. Abs. 3 Satz 5 gilt entsprechend.“

Durch eine Beschränkung der Entschädigung auf die unmittelbar am Verfahren beteiligten Personen wird ein Ausufern der Entschädigungszahlungen angesichts der weit reichenden Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer [D.] vermieden. Nichtsdestotrotz würde ein derartiger gesetzgeberischer Schritt Mut und insbesondere Vertrauen in das Augenmaß und die Besonnenheit der Richter erfordern. Die jeweilige Höhe der zugesprochenen Entschädigung müsste durch die Rechtsprechung entwickelt und gegebenenfalls von den höheren Instanzen korrigiert werden. Angesichts der Beschwerdemöglichkeit könnte die Gefahr grober Ausreißer nach oben oder unten im Hinblick auf die Entschädigungszahlungen jedoch minimiert werden. Außerdem sollte klargestellt werden, dass die Entschädigungszahlung aus dem Justizhaushalt der Körperschaft (Bund oder Land) zu gewähren ist, die für die Unterhaltung des entsprechenden Gerichts zuständig ist. Auf diese Weise würde die Einsparung von Geldern durch die Streichung von Richterstellen zu Mehrausgaben wegen überlanger Verfahrensdauer führen und die Rechtsschutzgewährung in angemessener Frist damit faktisch kapitalisiert. Dadurch würde dem Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist in der Praxis voraussichtlich mehr Gewicht verliehen.

267

Meyer-Ladewig SGb 2006, 559, 562. EGMR (Große Kammer) Scordino/Italien 29. März 2006 Az 36813/97 NJW 2007, 1259, 1263 Rn 185. 269 Meyer-Ladewig SGb 2006, 559, 560. 270 EGMR (Große Kammer) Zullo/Italien 29. März 2006 Az 64897/01 Rn 79; Meyer-Ladewig SGb 2006, 559, 560. 268

III. Präventive Maßnahmen

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Als dritte und zugleich letzte Ergänzung des Gesetzentwurfs schlage ich die Umbenennung des neu zu schaffenden Rechtsbehelfs in „Beschleunigungsbeschwerde“ vor. Dabei handelt es sich nur vordergründig um eine rein sprachliche Feinheit. Dahinter steckt jedoch ein spezielles Verständnis dieses Rechtsbehelfs. Wie bereits oben ausgeführt [G. III. 8. c)], geht es bei dieser Beschwerdemöglichkeit im Regelfall nicht darum, die Untätigkeit eines Richters oder Gerichts zu rügen, sondern darum, ein konkretes Verfahren zu beschleunigen. Dem Bürger kommt es letztlich in der Regel nicht darauf an, warum sein Verfahren überlang dauert. Vielmehr hat er ein Interesse daran, das ihn konkret betreffende Verfahren durch Einlegung einer Beschwerde zu beschleunigen. Die Bezeichnung als Beschleunigungsbeschwerde trifft daher viel eher den Kern des Problems. Möglicherweise führt diese Umbenennung auch zu höherer Akzeptanz der neuen Beschwerdemöglichkeit in der Richterschaft. Ein Richter, der effektiv arbeitet und aufgrund nicht von ihm zu vertretender Umstände ein Verfahren nicht in angemessener Frist bearbeiten kann, wird sich bei dem Vorwurf „untätig“ zu sein wesentlich eher persönlich angegriffen fühlen und abwehrend reagieren als bei der Bitte, ein bestimmtes Verfahren zu beschleunigen. Möglicherweise hat auch die Wahl der eher unscheinbaren Bezeichnung „Fristsetzungsantrag“ in Österreich dazu beigetragen, dass die anfänglichen Widerstände in der Richterschaft gegen eine Beschwerdemöglichkeit bei überlanger Verfahrensdauer so schnell geendet haben. Vielleicht wäre ein neuer Rechtsbehelf mit der Bezeichnung „Untätigkeitsbeschwerde“ nicht so schnell akzeptiert worden. Mit diesen drei Ergänzungen wäre der vom Bundesjustizministerium ausgearbeitete Gesetzentwurf ohne weitere Einschränkungen zu begrüßen und sollte eher heute als morgen verabschiedet werden, um den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Sürmeli gegen Deutschland 271 festgestellten völkerrechtswidrigen Zustand in Deutschland272 schnellstmöglich zu beenden. cc) Zusammenfassung Mit den Gesetzentwürfen der Landesregierung Hessen und der Bundesregierung liegen zwei Möglichkeiten für die Ausgestaltung einer Untätigkeitsbeschwerde vor. Während der Entwurf aus Hessen die Problematik der überlangen Verfahrensdauer nur unzureichend erfasst und insbesondere einen zu stark eingeschränkten Anwendungsbereich aufweist, überzeugt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in das Gerichts-

271 EGMR (Große Kammer) Sürmeli/Deutschland 8. Juni 2006 Az 75529/01 NJW 2006, 2389, 2389 ff. 272 Steinbeiß-Winkelmann ZRP 2007, 177, 177.

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

verfassungsgesetz und stellt eine gute Grundlage für eine entsprechende Regelung dar. Um zu vermeiden, dass die einer solchen Beschwerdemöglichkeit überwiegend ablehnend gegenüber stehenden Richter an den mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichten die Untätigkeitsbeschwerde in der Praxis für nicht anwendbar erklären, sollten in die jeweiligen Prozessordnungen ausdrückliche Verweisungen auf diese Beschwerdemöglichkeit eingefügt werden. Außerdem würde der von überlanger Verfahrensdauer betroffene Bürger durch diese Verweisungsnormen leichter auf die Möglichkeit der Einlegung einer Untätigkeitsbeschwerde stoßen. Die Einführung einer Entschädigungsregelung, die anders als die Amtshaftungsklage auch eine Entschädigung für immaterielle Schäden ermöglicht, würde den Gesetzentwurf zudem sinnvoll ergänzen. Um den Zweck der Beschwerde besser zum Ausdruck zu bringen sollte die Beschwerde nicht als „Untätigkeitsbeschwerde“, sondern als „Beschleunigungsbeschwerde“ bezeichnet werden. g) Zusammenfassung In Deutschland existiert bislang keine ausdrückliche Regelung einer Untätigkeitsbeschwerde zur wirksamen Durchsetzung des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist und die mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichte haben eine solche auch nicht durch Rechtsfortbildung geschaffen, obwohl in der Literatur bereits mehrere Möglichkeiten zur Herleitung und Ausgestaltung einer solchen Beschwerde ausgearbeitet wurden. Die Schaffung einer wirklich wirksamen Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer wäre jedoch dringend erforderlich, nicht zuletzt auch aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in das Gerichtsverfassungsgesetz gestaltet eine solche Rechtsschutzmöglichkeit auf eine sehr überzeugende Weise aus und sollte möglichst schnell in geltendes Recht umgesetzt werden. 9. Zusammenfassung Die bislang in Deutschland vorhandenen präventiven Maßnahmen zur Verhinderung überlanger Verfahrensdauer haben sich als nicht wirklich wirksam erwiesen. Die Dienstaufsichtsbeschwerde, die Anzeige des Richters wegen Rechtsbeugung, die Richteranklage und die Amtshaftungsklage sind nur in Extremfällen erfolgreich und können daher allenfalls indirekt zu einer Beschleunigung eines Verfahrens führen. Die Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht haben ebenfalls keinen unmittelbaren Einfluss auf das über-

IV. Zusammenfassung

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lange Ausgangsverfahren. Lediglich indirekte Auswirkungen erweisen sich in der Praxis jedoch als nicht ausreichend. Außerdem sollte auf diese beiden außerordentlichen und subsidiären Rechtsschutzmöglichkeiten nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden, da anderenfalls die beiden Gerichte angesichts der Vielzahl von Fällen überlanger Verfahrensdauer ihre anderen, ebenfalls wichtigen Aufgaben nicht mehr ausreichend wahrnehmen können. Vorzugswürdig wäre es daher, wenn für die Gewährung von Rechtsschutz gegen überlange Verfahrensdauer das jeweils nächsthöhere Gericht im Instanzenzug und bei den obersten Bundesgerichten ein anderer Senat desselben Gerichts zuständig wäre. So könnte bei Verstößen gegen den Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist innerhalb der jeweiligen Gerichtsbarkeit Abhilfe geschaffen werden. Angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland einerseits keine wirksamen präventiven Maßnahmen gegen das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer gibt und andererseits immer wieder überlange Verfahrensdauern an den Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten auftreten, ist die Schaffung einer Untätigkeitsbeschwerde zur Durchsetzung des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist dringend geboten.

IV. Zusammenfassung In Deutschland fehlt es bislang an einer wirklich wirksamen Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer. Die meisten denkbaren Möglichkeiten greifen nur in Extremfällen ein, gewähren dem Bürger aber insbesondere dann keinen wirksamen Rechtsschutz, wenn kein grobes Verschulden des Richters vorliegt oder wenn es um den Ersatz immaterieller Schäden geht. Die Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist die zurzeit wohl noch wirksamste Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer, die vom Bürger ergriffen werden kann. Zumindest kann dem Bürger so nachträglich ein gewisser Geldbetrag zugesprochen werden. An der überlangen Dauer des Ausgangsverfahrens ändert die Einlegung einer Individualbeschwerde aber höchstens indirekt etwas. In Deutschland sollte daher eine wirklich wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer geschaffen werden. Dafür liegt ein sehr guter Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der – mit drei Ergänzungen – möglichst schnell in geltendes Recht umgesetzt werden sollte. Damit die Untätigkeitsbeschwerde auch in der Praxis zu einer wirksamen Rechtsschutzmöglichkeit des Bürgers gegen überlange Verfahrensdauer wird, bedarf es jedoch zwingend der Mithilfe der Richter. Diese sollten sich nicht mit einem pauschalen Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit vor ihrer Verpflichtung zur Rechtsschutzgewährung in angemessener Frist drücken. Andererseits helfen auch pauschale Vorwürfe gegen Richter nicht weiter. Sie könnten vielmehr dazu führen, dass auch die Untätigkeitsbeschwerde durch eine zu

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G. Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer

restriktive Rechtsprechung in der Praxis seiner Wirksamkeit beraubt wird, wie dies bei der Dienstaufsichtsbeschwerde bereits der Fall ist. Es kann daher nicht oft genug betont werden, dass es bei der Untätigkeitsbeschwerde in den meisten Fällen nicht um den Vorwurf der Faulheit des Richters geht, sondern um eine vom Verschulden des Richters unabhängige Kritik an der objektiven Tatsache des Zustandekommens einer überlangen Verfahrensdauer. Wie in dem Kapitel über Ursachen überlanger Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen [E.] verdeutlicht wurde, können nicht nur individuelle Probleme eines Richters sondern auch strukturelle Ursachen zu überlanger Verfahrensdauer beitragen. Wenn dies – wie vorgesehen – zumindest in der Gesetzesbegründung ausdrücklich betont wird, bleibt zu hoffen, dass die Richter ihre ablehnende Haltung gegenüber dieser Rechtsschutzmöglichkeit aufgeben und konstruktiv mit ihr umgehen werden, wie dies in Österreich bezüglich des Fristsetzungsantrags der Fall ist. Abschließend soll noch einmal ausdrücklich betont werden, dass die Untätigkeitsbeschwerde nichts Wesentliches an den strukturellen Ursachen überlanger Verfahrensdauer ändern wird und dies auch gar nicht soll. Sie dient einzig und allein der Durchsetzung des Anspruchs des Bürgers auf ein Verfahren in angemessener Frist in einem konkreten Fall. Genau dafür ist die Einführung einer solchen Beschwerde zwingend erforderlich.

H. Zusammenfassung In den ersten Zeilen der Einleitung [A.] zu dieser Arbeit findet sich eine metaphorische Warnung aus dem Jahre 1820 vor zu großer Eile bei Gerichtsverfahren, in der die Gerichtshöfe mit Rennbahnen verglichen werden, in denen die Gerechtigkeit auf „Kurierpferden“ durchreitet. Heute fühlt man sich bei dem Gedanken an die mit öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten befassten Gerichte eher an einen „störrischen Esel“1 oder alternden „Amtsschimmel“2 erinnert, nicht aber an ein rassiges Rennpferd. Wie der Überblick über die Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor deutschen und europäischen Gerichten [C.] gezeigt hat, kann von zu schneller Rechtsprechung an diesen Gerichten nicht gesprochen werden. Vielmehr zeigt sich, dass es immer wieder zu überlangen Verfahrensdauern kommt. Ab wann ein konkretes Verfahren überlang ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Bei dieser Entscheidung kann die Lebensweisheit des Nordpolforschers John Franklin helfen, die in dem Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny wiedergeben ist: „Es gibt drei Zeitpunkte, einen richtigen, einen verpassten und einen verfrühten.“3 Welches jedoch der richtige Zeitpunkt für eine gerichtliche Entscheidung ist, kann letztendlich nur von einem Richter beurteilt werden. Der Richter ist daher der Dreh- und Angelpunkt bei allen Bemühungen um eine Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten. Nur wenn dieser sich des Spannungsverhältnisses zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtsschutz [B.] zu jeder Zeit bewusst ist und dementsprechend handelt, können die gravierenden negativen Auswirkungen überlanger Verfahrensdauer [D.] verhindert werden. Die Erkenntnisse über die Ursachen überlanger Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen [E.] zeigen, dass es viele Faktoren gibt, die primär vom Richter zu verantworten oder zu beeinflussen sind, und nur sehr wenige, auf die der Richter überhaupt keinen Einfluss hat. Alle Maßnahmen des Gesetzgebers und der Justizverwaltungen bedürfen einer sinnvollen Umsetzung durch die Richter und können daher gegen den Widerstand der Richterschaft langfristig keinen Erfolg haben. Deswegen sollte den Richtern ein zu geistig anspruchsvoller Arbeit motivierendes Arbeitsumfeld geboten werden und Anreize

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Schlette (1999) S. 14. Behrens NWVBl 1996, 121, 121. Nadolny (2005) S. 41.

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gesetzt werden, die eine gründliche aber zugleich schnelle Verfahrenserledigung belohnen. Zur Beseitigung der Ursachen überlanger Verfahrensdauer müssen Gesetzgeber, Justizverwaltungen, Richter und Rechtsanwälte konstruktiv zusammenarbeiten und gemeinsam an der Lösung dieses jahrhundertealten Problems interessiert sein. Erste Ansätze in diese Richtung sind inzwischen zu beobachten. So bemühen sich beispielsweise die Justizverwaltungen in der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit redlich und mit bereits vorzeigbaren Ergebnissen um eine Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten. Auch der Zusammenschluss von Verwaltungsrichtern zur Ausarbeitung von Arbeitspapieren mit Ideen zur qualitätvollen und zugleich zügigen richterlichen Arbeitsweise weist in die richtige Richtung. Positiv zu bewerten ist auch die Teilnahme vieler Verwaltungsrichter an gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen mit Fachanwälten für Verwaltungsrecht, bei denen Lösungsmöglichkeiten für das Problem der überlangen Verfahrensdauer erarbeitet werden. Bei all diesen positiven Schritten in die richtige Richtung darf aber nicht vergessen werden, dass die Verfahrenslaufzeiten an den im Rahmen dieser Arbeit behandelten Gerichten noch weit davon entfernt sind, für den Rechtsschutz suchenden Bürger zufrieden stellend zu sein. Der Bürger hat schließlich einen ursprünglich ausschließlich in Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergeschriebenen, inzwischen aber auch in Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes verorteten Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist [F.]. Dieser Anspruch kann mit den zurzeit in Deutschland zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen überlange Verfahrensdauer [G.] im Regelfall nicht wirksam durchgesetzt werden. Dringend notwendig ist daher eine im gerichtlichen Alltag einsetzbare Rechtsschutzmöglichkeit innerhalb der Fachgerichtsbarkeiten. Die beste Möglichkeit für eine solche wäre die Schaffung einer Beschwerdemöglichkeit zum nächsthöheren Gericht. Für die Einführung eines solchen Rechtsbehelfs liegt zurzeit ein sehr gelungener Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der – mit den vorgeschlagenen Verbesserungen – möglichst schnell in geltendes Recht umgesetzt werden sollte. Mit der Schaffung einer solchen Beschwerde würden zwar nicht die strukturellen Ursachen für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer beseitigt, doch würde dem Bürger zumindest eine Rechtsschutzmöglichkeit an die Hand gegeben, mit der er seinen Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist durchsetzen kann. Unabhängig davon sollten alle Akteure, die einen Einfluss auf die Verfahrensdauer haben, gemeinsam versuchen, die Ursachen überlanger Verfahrensdauer bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten an deutschen und europäischen Gerichten zu beseitigen und wirksame Abhilfemöglichkeiten dagegen zu schaffen. Mit dieser Arbeit wurde versucht, einen systematischen Überblick über die Ursachen überlanger Verfahrensdauer und Abhilfemöglichkeiten dagegen zu

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bieten und damit einen Beitrag dafür zu leisten, dass Gesetzgeber, Justizverwaltungen, Richter und Rechtsanwälte dem Bürger in Zukunft schneller zu seinem Recht verhelfen können. Zum Abschluss soll daher noch einmal ein Zitat aus dieser Arbeit aufgegriffen werden: „Justice must not only be done, it must also be seen to be done.“

Anhang Im Anhang sind einige nicht veröffentlichte Dokumente abgedruckt, unter anderem Mitschriften von zum Thema „überlange Verfahrensdauer“ geführten Gesprächen mit Professoren, Rechtsanwälten und Richtern verschiedener Gerichte sowie ein Redebeitrag auf einer Tagung.

I. Gespräch mit Herrn Professor Dr. Konrad Redeker, Rechtsanwalt (seit 1954) und (bundesweit erster) Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der nach ihm benannten Sozietät Redeker Sellner Dahs & Widmaier mit Niederlassungen in Bonn, Berlin, Brüssel, Karlsruhe, Leipzig und London, Honorarprofessor für Öffentliches Recht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn (seit 1978), Ehrenmitglied und langjähriger Vorsitzender des Deutschen Juristentages, Ehrenmitglied und langjähriger Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins; langjähriger Mitherausgeber der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW), langjähriger Mitverfasser des Kommentars zur Verwaltungsgerichtsordnung Redeker/v. Oertzen, Namensgeber der Konrad-Redeker-Stiftung, am 9. Mai 2005 von 11:00 bis 12:15 Uhr in der Rechtsanwaltskanzlei in Bonn (Von einem Abdruck des Gesprächs wurde auf Wunsch von Herrn Professor Dr. Redeker abgesehen. Bezüglich des Inhalts des Gesprächs wird auf die umfangreichen Veröffentlichungen von Herrn Professor Dr. Redeker zum Thema überlange Verfahrensdauer im Literaturverzeichnis verwiesen, aus denen im Rahmen dieser Arbeit zitiert wird.)

II. Gespräch mit Herrn Dr. Joachim Arntz, Präsident des Verwaltungsgerichts Köln (seit 1998), zuvor unter anderem Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen (1996–1998), sowie Abordnungen an das Bundesverwaltungsgericht (1989–1990) und an das Bundeskanzleramt (1981–1985), am 30. Mai 2005 von 10:00 bis 11:30 Uhr im Verwaltungsgericht Köln (Tonbandabschrift: Der mündliche Sprachstil wurde beibehalten.) Andreas Steger: Welche Ursachen sind Ihrer Meinung nach maßgeblich für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer?

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Dr. Arntz: Das kann ich alles natürlich nur bezogen auf den Verwaltungsprozess sagen. Das erwarten Sie auch von mir. Und im Prinzip natürlich auch vor allem für die erste Instanz. Aber es gilt weitgehend auch für die zweite Instanz. Aus unserer Sicht maßgeblich für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer, wobei natürlich das auch eine Definitionsfrage ist, ist eindeutig die Personalausstattung der Gerichte. Das wird Sie vielleicht verwundern, aber wir glauben, das habe ich auch Herrn Redeker geschrieben, das auch belegen zu können. Entgegen einer häufig bei Anwälten und auch ansonsten anzutreffenden Auffassung gibt es zwar durchaus auch Effizienzunterschiede bei einzelnen Gerichten und selbstverständlich auch bei den einzelnen Richtern. Aber insgesamt, denke ich, reichen die nicht hin, um die massiven Unterschiede in der Verfahrenslaufzeit bei den einzelnen Gerichten zu erklären. Herr Redeker hat dann eher die Vermutung gehabt, dass seien wohl die faulen Richter oder die fleißigen Richter. Ich kann nur sagen, nach über 30 Jahren richterlicher Tätigkeit: Natürlich gibt es Richter, die sich stärker engagieren, und es gibt welche, die sich weniger engagieren. Das ist in allen Berufen gleich. Es gibt sicherlich auch manche Richter, die effizienter arbeiten könnten. Auch da geschieht allerdings sehr viel, weil Fortbildung groß geschrieben wird im richterlichen Bereich. Aber insgesamt glaube ich, gerade wenn man heute etwa NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz vergleicht: In Rheinland-Pfalz gehen die Verfahren im Verwaltungsprozess heute durchschnittlich in etwa einem halben Jahr zu Ende. In Nordrhein-Westfalen sind wir davon leider noch gewaltig entfernt, auch wenn wir in den letzten Jahren sehr viel schneller geworden sind. Zum Beispiel: Allein im Jahre 2004 hat sich die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Hauptsacheverfahren hier in Köln um über 5 Monate verringert. Das geht sehr schnell so weiter. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Wir haben eben diese besondere Erfahrung hier, dass wir früher, als ich angefangen habe, bis auch noch Anfang der 80er Jahre, eine durchaus vernünftige Laufzeit hatten. Es gab einzelne Gebiete, da dauerte es länger. Das hing aber zum Teil auch mit der Komplexität der Verfahren zusammen und manchmal auch mit den Anwälten und auch sonstigen Beteiligten natürlich, die durchaus eine Ursache setzen. Aber wir hatten eigentlich insgesamt eine durchaus erträgliche Laufzeit. Und auch über die 80er Jahre hinweg war es trotz zum Teil sehr hoher Eingänge durch Asylverfahren nicht so, dass man von einem drohenden Stillstand der Rechtspflege sprechen konnte, sondern wir hatten ganz im Gegenteil eigentlich recht vernünftige Erledigungszahlen, etwa damals verglichen mit der Finanzgerichtsbarkeit, die immer schon bekannt war für sehr lange Verfahrensdauer. Das hat sich dann hier in Nordrhein-Westfalen Anfang der 90er Jahre drastisch gewandelt. Was war geschehen? Beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lagen zeitweise über 500.000 unerledigte Verfahren

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und man hat sich naturgemäß beim Bund Gedanken gemacht, wie bekommen wir die weg. Man hat dann schon relativ früh anstelle der früher zuständigen Ausschüsse Einzelentscheider eingesetzt. Man hat ihnen gewisse Vorgaben gegeben und man hat, ob nun offiziell oder unter der Hand, die Devise ausgegeben: Raus damit! Auf Deubel komm raus! Man hat Leute eingestellt als Einzelentscheider, die im Prinzip wenig Ahnung davon hatten, denen dann irgendwelche Länderlisten oder Übersichten an die Hand gegeben wurden. Und das, was dann runterprasselte auf die Gerichte, war nach unserer Auffassung gemessen am Amtsermittlungsgrundsatz, der ja auch für die Verwaltung gilt, nicht ausermittelt, sondern schlicht und einfach unfertig. Und ungeachtet der Tatsache, dass in sehr, sehr vielen Fällen das negative Ergebnis hinterher durch die Gerichte bestätigt worden ist, erforderte es einfach auch unser Berufsethos, die Sachen aufzuklären, also nicht zu sagen, jetzt machen wir kurzen Prozess und „schmeißen“ die Verfahren raus. Und in dieser Zeit ist dann hier in NordrheinWestfalen die Verwaltungsgerichtsbarkeit regelrecht „abgesoffen“. Anders kann man das überhaupt nicht ausdrücken. Wir hatten Anhangszahlen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes NRW, die sich über die Jahre hinweg so im Durchschnitt bei zwischen 30.000 und 40.000 gleichzeitig anhängigen Verfahren bewegten, nach meiner Erinnerung. Diese Zahlen finden Sie auch in dem Brief an Herrn Redeker, von dem ich Ihnen eine Kopie beigefügt habe. Mir scheint das nicht ganz unwichtig zu sein. Über die Jahre hinweg Anhangszahlen zwischen 30.000 und 40.000 und plötzlich sind Anhangszahlen über 100.000 in der Gerichtsbarkeit, ohne, das muss man nun dazu sagen, dass die Richterzahlen verstärkt werden. Und das ist der große Unterschied zu der Situation Anfang der 80er Jahre. Als ich anfing, hatte dieses Gericht hier 12 Kammern. Die Größe hat sich dann sehr schnell, als die Asylverfahren kamen, praktisch verdoppelt, von der Anzahl der Kammern und von der Anzahl der Richter her. Und diese großen Zahlen, die in den 80er Jahren kamen – das waren nicht nur Asylverfahren, es gab auch andere Verfahren – hat man damit eigentlich recht gut aufgefangen. Aber Anfang der 90er, da kam dann so eine Bewegung: Asyl, da habt ihr früher immer gesagt, da kommen noch mehr, es kamen aber nicht mehr – Richter können auch keine Entwicklungen voraussagen – und jetzt habt ihr doch so viele Richter und irgendwann geht das auch wieder runter. Und deshalb hat man hier in Nordrhein-Westfalen, anders als in Rheinland-Pfalz, die Gerichtsbarkeit nicht verstärkt. Die in Rheinland-Pfalz waren früher auch nicht schneller als wir in Nordrhein-Westfalen. Der Unterschied zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist ganz evident. Man hat dort die Richterzahlen im entscheidenden Moment um über 20 Prozent verstärkt und hier sind sie konstant geblieben. Und das hat dazu geführt, dass immer mehr an Verfahren dazu kam. Ich erinnere mich an Situationen Anfang der 90er Jahre – als ich dann zurückkam vom Bundesverwaltungsgericht und hier wieder eine Kammer übernahm –, wo wir wirklich bis abends um halb 7 geses-

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sen haben und hatten 15 oder vielleicht sogar noch mehr Verfahren in der Sitzung erledigt – und dann waren am gleichen Tag 30 Verfahren eingegangen. Das war so eine Situation, wo man sich einfach wie in der Rolle des Sisyphus vorkam. Es kam immer mehr dazu. Und das verkraftet auf Dauer keine Gerichtsbarkeit. Um vielleicht ein anderes Beispiel zu geben: Die Zahl der anhängigen Verfahren lag hier in Köln pro Richterkraft Ende der 70er Jahre, also so 1978/79, bei ungefähr 79 Verfahren pro Jahr. Das kann ich mir ganz gut merken, weil das so ziemlich genau die Jahreszahl war. Auch mit Schwankungen. Das ist jetzt immer gemittelt auf das ganze Gericht bezogen. Natürlich ist das in den einzelnen Kammern nach Sachgebieten auch sehr unterschiedlich. Es gab auch damals Kammern, wo es 150 Verfahren gab. Aber insgesamt pro Richterkraft etwa 79 Verfahren pro Jahr. Wir hatten später in der Spitze hier mehr als 400 Verfahren pro Richterkraft. Und die Prozessordnung war allenfalls unwesentlich geändert worden, jedenfalls galt der Amtsermittlungsgrundsatz. Und man kann in einer Gerichtsbarkeit wie der Verwaltungsgerichtsbarkeit eben nicht einfach die Verfahren „rauswerfen“. Man kann auch nicht sagen, jetzt machen wir es bewusst kürzer oder wie auch immer, dazu komme ich noch nachher, auch wenn es sicherlich noch irgendwo kleinere Potentiale gibt. Aber das ist einfach eine Situation, die eine Gerichtsbarkeit an den Rand des Abgrunds bringt. Sie steht dann vor der Frage, erfüllt sie ihre Aufgabe so, wie sie es immer getan hat, oder sagt sie, es ist jetzt völlig egal, Hauptsache die Verfahren kommen raus. Und die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier hat sich Gott sei Dank dafür entschieden, ihre Qualitätsmaßstäbe nicht über Bord zu werfen, sondern beizubehalten, allerdings um den Preis eines drastischen Anstiegs der Verfahrensdauer. Wurden wir Anfang der 80er Jahre, Ende der 70er Jahre, nervös, wenn sich ein Verfahren auf das eine Jahr zu bewegte, war es hinterher hier Gang und Gebe, dass Verfahren, die sich nicht aus irgendwelchen sonstigen Gründen wie Rücknahme oder früher Erörterungstermin oder was auch immer frühzeitig erledigten, dass diese Verfahren durchaus 4, 5 oder 6 Jahre in der ersten Instanz dauern konnten. Das – das kann ich Ihnen nachher an Zahlen zeigen – hat sich inzwischen drastisch wieder geändert, ist also weitgehend zurückgefahren und wir tun sehr viel daran, dass auch weiter ganz rigoros die alten Verfahren vorab erledigt werden. Aber mir liegt daran, deutlich zu machen, dass man über viele andere Faktoren, auf die ich gleich noch komme, reden kann, aber der Grundfaktor angemessene Personalausstattung bei der Richterschaft nicht vernachlässigt werden darf. Und da gibt es ja nun gewisse Erfahrungssätze, was erledigen Richter. Und da muss man immer sehen, dass man das nicht unbegrenzt steigern kann. Denn aus gutem Grund, und nicht um den Richtern ein Privileg zu verschaffen, hat man den Richtern Unabhängigkeit verliehen. Diese Unabhängigkeit führt natürlich auch dazu, dass die Einwirkungsmöglichkeiten in bestimmten Bereichen begrenzter sind. Auf der anderen Seite würde ich sehr viel Wert darauf legen

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zu sagen, es ist keineswegs so, dass deshalb im richterlichen Bereich weniger gearbeitet wird als in vergleichbaren Bereichen in der Staatsverwaltung. Dass naturgemäß vielleicht in manchen Anwaltskanzleien zeitmäßig die Leute länger dasitzen, mag zutreffen. Wobei ich Ihnen nur sagen kann, ich habe im Laufe meiner richterlichen Laufbahn, und ich kenne viele Kollegen, denen das ähnlich gegangen ist, manche Nacht im Gericht verbracht. Also wenn ich an die Zeit etwa beim Bundesverwaltungsgericht denke oder meine Anfangszeit als Senatsvorsitzender in Münster, da hat es manche Nacht gegeben, wo ich um 2:00 Uhr nach Hause gegangen bin. Also: Es gibt sehr viele Kollegen, die sich sehr einbringen, und insgesamt, wenn Sie sich hier mal freitagnachmittags um halb 6 unseren Hof angucken, ist der voll mit Autos. Und dann gehen Sie hier mal zur Stadtverwaltung oder sonst wo hin, da ist um 12:00 Uhr alles leer. Das ist schon ein Unterschied. Und die Tatsache, dass Richter keine Amtszeiten haben, mag zwar aus der Außenwahrnehmung dazu führen, dass der Betreffende mal einen Tag nicht da ist oder zwei Tage nicht da ist, wobei bei uns die Anwesenheit im Gericht an sich sehr hoch ist. Aber bei gut 80 Prozent würde ich die Hand dafür ins Feuer legen, dass die Leute dann zu Hause arbeiten. Das muss man einfach wissen. Und deshalb sind die Erfahrungswerte, was kann ein Richter erledigen, eigentlich relativ ausssagekräftig. Wir haben eine Untersuchung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit gehabt in den 90er Jahren durch Kienbaum, wo festgestellt werden sollte, wie sieht das eigentlich aus mit der Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Ergebnis war: Die Untersuchung ist nie fertig geworden, weil die hinterher „das Handtuch geschmissen“ haben angesichts der Komplexität. Aber sie hatten eins absolut sicher festgestellt: Die Leute sind überlastet. Es sind zu viele Verfahren und wir haben deshalb, was schon beachtlich war vor dem Hintergrund der generellen Haushaltssituation in Nordrhein-Westfalen, 15 Stellen für den Eingangsbereich, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, mehr bekommen im Lande. Und zwar in einer Zeit, in der überall im Personalbereich drastisch abgebaut wurde. Wir sind also verstärkt worden. Dann waren die Eingangszahlen beim Oberverwaltungsgericht [Münster] zeitweilig rückläufig und die Belastung deutlich geringer als in der ersten Instanz. Da hat man umverteilt und hat Stellen aus der zweiten Instanz in die erste Instanz gegeben. Das und sich wieder normalisierende Eingänge haben dazu geführt, dass die Gerichtsbarkeit in den letzten Jahren wieder Tritt gefasst hat. Und inzwischen wieder auf dem, wenn man es unter dem Aspekt Verfahrenslaufzeiten betrachtet, aufsteigenden Ast ist. Aber auch da kann ich nur sagen, das ist eben nur möglich, weil einerseits zusätzliche Stellen gekommen sind, andererseits im Moment keine Stellen wegrationalisiert worden sind. Und deshalb würde ich auf Ihre erste Frage sagen, der Grund für eine überlange Verfahrensdauer, das ist aus meiner Sicht ganz eindeutig eine fehlende, nicht angemessene Personalausstattung. Das ist der Hauptgrund.

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Daneben gibt es eine Fülle von Faktoren, die bewirken, dass eine gewisse Verfahrensdauer in der Verwaltungsgerichtsbarkeit einfach vorgegeben erscheint. Eine größere Anzahl von Faktoren. Ich habe hier mal so eine Reihe von Sachen aufgeschrieben. Da ist zunächst sicherlich, ohne dass das jetzt eine Reihenfolge sein soll, die zunehmende Komplexität des Rechts. Wenn Sie bedenken, dass ein Großteil der Verfahren, die wir heute haben, hier im Gericht aus Gebieten kommt, die wir vor 15 Jahren noch überhaupt nicht gekannt haben, gleichzeitig es sich aber um Gebiete handelt, die durchaus hohe oder sogar höchste Anforderungen eben auch an die Richter stellen und das nicht nur in juristischer Hinsicht, sondern etwa auch in technischer Hinsicht. Ich nenne nur mal als Beispiel das Telekommunikationsrecht, das doch für einen stetigen Fluss von nicht einfachen Verfahren sorgt. Hier im Hause bearbeiten inzwischen drei Kammern, soweit es nicht um Massenverfahren geht, schwerpunktmäßig den Bereich Telekommunikationsrecht. Das ist ein Gebiet, das wir vorher gar nicht hatten, das es auch gar nicht gab, diese Deregulierung, ein Gebiet, das also neu hinzugekommen ist. Ein anderes Gebiet ist zum Beispiel das Arzneimittelzulassungsrecht. Das hängt nun damit zusammen, dass im Zuge der Bonn-Berlin-Verschiebungen die Zuständigkeit für die Arzneimittelzulassung vom Verwaltungsgericht Berlin auf das Verwaltungsgericht Köln übergegangen ist, weil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – das ist eine Nachfolgebehörde des Bundesgesundheitsamts – seinen Sitz nach Bonn verlegt hat. Dann kam hinzu, dass es eine so genannte Nachzulassung gibt, weil alle möglichen Dinge, die als Arzneimittel oder als arzneilich wirksame Mittel am Markt sind, keine offizielle Zulassung hatten und die EU darauf drängte. Daraus entwickeln sich hier im Jahr über 1.000 Verfahren, auch mit einem durchaus erheblichen Schwierigkeitsgrad und mit sehr vielen neuen Rechtsfragen. Zum Teil stellen sie hohe Anforderungen an die Einarbeitung, weil medizinische oder Arzneimittelfragen relevant sind. Das nur so als zwei Beispiele dafür, wie es sich verschiebt. Der Anteil der Asylverfahren ist inzwischen wieder kräftig zurückgegangen. Er war hier in Köln nie so hoch wie bei den anderen Verwaltungsgerichten im Lande und liegt inzwischen bei etwa 12 bis 13 Prozent der eingehenden Verfahren. Das ist natürlich auch so ein Problem, diese Schwankungen. Ein weiteres Problem, das im Verwaltungsprozess vielleicht doch besonders ausgeprägt ist, auch wenn ich nicht verkenne, dass natürlich gerade in den letzten Jahren im Zivilrecht viel geändert worden ist, das sind die ständigen Gesetzesänderungen. Ich weiß nicht, ob Sie BAföG bekommen haben, aber wenn Sie BAföG bekommen haben, dann werden Sie wissen, dass die Regelungen, ob das nun als Darlehen oder Zuschuss gewährt wird und die Regelungen über Teilerlass und so weiter, ununterbrochen geändert worden sind. Ich habe das mal ein paar Jahre als Vorsitzender der zuständigen Kammer gemacht und es war so, dass es in dieser Zeit über 18 Änderungen gab, die teilweise in irgend-

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welchen Gesetzen versteckt waren. Was allerdings fast stets fehlte, waren Übergangsregelungen, und ich habe immer gesagt, etwa 80 Prozent unserer Fälle resultieren schlicht und einfach aus der Tatsache, dass durch diese Änderungen ständig neue Rechtsfragen auftauchen. Ganz besonders schlimm waren die ständigen Änderungen im Bereich Darlehen/Zuschuss. „Wieso werden wir als Ältere nicht genauso behandelt, wie die, die später gekommen sind?“, fragten die Betroffenen und dann klagten sie auf Gleichbehandlung. Das waren zwar noch relativ einfache Verfahren. Aber es gab zahllose andere Verfahren, wo ständig auch durch diese hektische Gesetzgebungstätigkeit neue Zweifelsfragen aufgeworfen worden sind. Diese Gesetzgebungstätigkeit, die beruhte übrigens ganz wesentlich darauf, dass das Bundesbildungsministerium auf jede abträgliche Gerichtsentscheidung, von der die Beamten meinten, dass sie irgendwo vielleicht nicht der Intention entsprach, die sie mit dem Gesetz verfolgt hatten, sofort mit einem Änderungsantrag, mit einem neuen Gesetzentwurf reagierten, um da direkt wieder alles umzustoßen. Das hat im Ergebnis immer wieder neue Zweifelsfragen produziert. Das ist sicherlich ein Faktor, der auch bewirkt, dass gerichtliche Verfahren eine gewisse Verfahrensdauer aufweisen, denn vom Richter wird nun zu Recht erwartet, dass er weiß, was an gesetzlichen Vorschriften da ist, sich Gedanken macht, wenn neue kommen, wie die nun auszulegen und anzuwenden sind. Ein ganz massives Problem sind ungenügend redigierte Gesetze, und zwar nicht nur im Hinblick auf Übergangsregelungen, sondern auch auf zahllose Zweifelsfragen und Unklarheiten, die sich einfach daraus ergeben, dass eine vernünftige Beratung heute bei vielen Gesetzen gar nicht mehr stattfindet, sondern die Gesetze „im Schweinsgalopp“ verabschiedet oder im Vermittlungsausschuss bei Nacht und Nebel „zusammengezimmert“ werden. Anschließend fragen sich die Leute, was der Gesetzgeber eigentlich gemeint hat. Wir haben ja viele Kollegen, die ins Bundesjustizministerium und ins Landesjustizministerium abgeordnet werden, oder beim Bundesverfassungsgericht, beim Bundesverwaltungsgericht oder wo auch immer als abgeordnete Richter tätig sind. Und ich höre eigentlich unisono, gerade von denjenigen, die in den Gesetzgebungsreferaten tätig sind, dass in sehr vielen Bereichen heute ganz bewusst, offensichtlich auch im Bund, versucht wird, die Zeit, die für die Rechtsförmlichkeitsprüfung und ähnliche Dinge zur Verfügung steht, abzukürzen, weil die Entwürfe als politisch so wichtig angesehen werden, dass sie unbedingt durchgeboxt werden müssen. Und da kommt ein umfangreicher Gesetzentwurf dann mit einer Stellungnahmefrist von ein oder zwei Tagen. Das ist tendenziell geeignet, der Rechtsprechung deutlich mehr Arbeit zu machen, weil eben vieles, was früher im Gesetzgebungsverfahren korrigiert wurde, inzwischen nicht mehr korrigiert wird. Letztlich führt diese Entwicklung dazu, dass der Richter immer mehr zum Gesetzgeber wird. Wobei in vielen Fällen, das muss man auch sehen, solche Unklarheiten nicht nur versehentlich da reinkommen, sondern auch hingenom-

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men werden. Das ist, glaube ich, ein weiterer Gesichtspunkt. Man kann sich nicht einigen und dann sagt man, die Praxis wird es schon richten. Wenn sie es dann allerdings richtet, dann wird gesagt, ihr habt es aber gar nicht so gerichtet, wie wir es uns vorgestellt haben. Tendenziell Verfahren verlängernd wirkt sicherlich auch die Tatsache, dass in neueren Gesetzen – das hängt wahrscheinlich auch mit der Komplexität der Lebensverhältnisse zusammen – viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten sind, die der Auslegung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit bedürfen. Ja, und das sollte man vielleicht auch ansprechen: politisch motivierte Fehlentscheidungen, die wir ja auch haben. Wir haben nun gerade ein eklatantes Beispiel erlebt, was zwar nicht zu einer Mehrbelastung bei uns geführt hat, sondern zu einer „Wenigerbelastung“, aber zu einer Mehrbelastung einer anderen Gerichtsbarkeit, bei der demzufolge auch die Verfahrensdauer steigen wird, nämlich die Übertragung der Sozialhilfe [von den Verwaltungsgerichten an die Sozialgerichte]. Sie haben das wahrscheinlich mitbekommen. Da war es ja so, dass die Fachleute, durchaus auch schon gegen politischen Druck aus bestimmten Richtungen, beschlossen hatten, das Arbeitslosengeld II wegen der Erfahrungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der Sozialhilfe in die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu geben. Da war auch sicherlich bei manchen im Hinterkopf, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit als eine Gerichtsbarkeit gilt, wo sehr genau hingeguckt wird, und es geht ja dabei um viel Geld, das ausgegeben werden soll und vorhanden sein muss. Und da war die Entscheidung eigentlich so „vorgezurrt“. Dann wurde diese Entscheidung ziemlich in letzter Sekunde „umgeschmissen“. Das war auf einige Abweichler [im Deutschen Bundestag] bei der SPD zurückzuführen, die gesagt hatten, sonst stimmen wir gegen Hartz IV. Das war eigentlich schon eine sachwidrige Entscheidung. Und dann kam, um das noch zu toppen, nach Mitternacht im Vermittlungsausschuss oben drauf der Beschluss über den Übergang der Sozialhilfe, die seit über 50 Jahren bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit bearbeitet wurde, auf die Sozialgerichtsbarkeit. Das ist eine aus meiner Sicht schlichtweg sachwidrige Entscheidung. Und ich beneide die Kollegen drüben bei den Sozialgerichten nicht darum, dass sie das machen müssen. Das ist schlicht und einfach Vergeudung von Ressourcen. Es gibt eine Gerichtsbarkeit, die eine große Erfahrung hat in dem Bereich, und die wird rausgekegelt, eine andere muss sich einarbeiten. Es ist völlig egal, ob die das vielleicht auch in manchen Punkten besser machen mag, das weiß ich nicht, aber es ist einfach eine Vergeudung und es führt ganz zwangsläufig dazu, dass dort auch die Verfahrensdauer ansteigt. Das war auch deshalb sachwidrig, ich hab Ihnen ja eben die Situation hier bei uns in Nordrhein-Westfalen geschildert, soweit es um die allgemeine Belastungssituation geht. Die Situation ist ja bundesweit bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit dadurch gekennzeichnet, dass die Belastung wegen des Rückgangs der Asylverfahren eher wieder etwas geringer wird, also nachlässt, während bei der Sozialgerichtsbarkeit durch die ganzen

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Sozialgesetze auch der vergangenen Jahre die Belastung eher ansteigt. Es ist schon ziemlich sachwidrig, bei der einen Gerichtsbarkeit, wo es runtergeht, noch was wegzunehmen und dann der anderen zu geben, bei der die Zahlen ohnedies nach oben gehen. Und sich dann erst Gedanken zu machen, ob die „alte“ Gerichtsbarkeit es weiter machen soll – sozusagen im Auftrag der Sozialgerichtsbarkeit. Davon hat ja letztlich dann auch fast kein Land Gebrauch gemacht, lediglich Bremen hat, glaube ich, so eine Regelung vorgesehen. Dann muss man zu den Faktoren, die eine gewisse Verfahrensdauer bewirken, sicherlich auch die Verkomplizierung und auch teilweise Verschleppung durch Prozessbeteiligte zählen. Das sind nicht nur die Anwälte, das sind teilweise auch die Behörden. Das ist etwas, das, glaube ich, ziemlich unbestreitbar ist. Wobei man sehen muss, dass es ein Trugschluss ist, zu meinen, dass alle Beteiligten nur das Interesse hätten, dass der Prozess möglichst schnell erledigt wird. Es gibt ja durchaus auch Anwälte und Mandanten, die ein massives Interesse daran haben, dass das Verfahren möglichst lange dauert. Und die deshalb auch ein Interesse daran haben, dass das Verfahren möglicherweise etwas hinausgezögert wird. Wir haben das natürlich im Bereich des Asyls, wo ein Bleiberecht besteht. Wenn man nicht Gefahr läuft, dass sofortige Abschiebung droht, dann ist es ja gut, wenn das Verfahren sieben oder acht Jahre dauert, dann verfestigt sich der Aufenthalt vielleicht noch. Und da war das Asylverfahren, gerade wenn es lange dauerte, hilfreich. Wir merken auch in manchen anderen Bereichen an der Reaktion der Anwälte, dass denen das manchmal gar nicht schmeckt, dass es bei uns jetzt so viel schneller geht. Bei den Behörden: Ich habe eben das BfArM erwähnt, die tun sich nach dem Umzug nach Bonn nach wie vor etwas schwer, einen zügigen Zufluss der Akten, der Verwaltungsvorgänge zu gewährleisten. Und das ist natürlich schon problematisch, wenn das unter Umständen sieben oder acht Monate dauert. Wenn sie die Verwaltungsvorgänge aus irgendwelchen Gründen nicht bekommen, können sie in der Zeit das Verfahren nicht fördern, und selbst wenn sie also noch so bestrebt sind als Richter, voran zu machen, sind sie in dieser Hinsicht angewiesen auf die Prozessbeteiligten. Und wir haben eine insofern natürlich förmliche Prozessordnung, wir haben bestimmte Fristen zu prüfen, die ja im normalen Zivilprozess nicht unbedingt zu prüfen sind und dafür brauchen wir die Verwaltungsvorgänge. Die Beteiligten müssen also mitspielen – in vielerlei Hinsicht. Deshalb ist die Abhängigkeit der Verfahrenslaufzeit auch von dem Verhalten der Beteiligten vielleicht im Verwaltungsprozess insgesamt etwas ausgeprägter als in anderen Bereichen. Es gibt auch das Schaulaufen mancher Anwälte und deren offensichtliche Profilierungssucht. Bei manchen Verfahren werden offensichtlich für den Mandanten 50 Seiten geschrieben. Nur der Richter muss die 50 Seiten nicht nur lesen, er muss sich auch Gedanken machen, was mache ich damit.

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Zu den Faktoren, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, gehört sicherlich auch der Untersuchungsgrundsatz. Aber nicht unter dem Aspekt, dass der Untersuchungsgrundsatz etwas Negatives ist oder per se zur Verfahrensverlängerung führt. Natürlich führt er dazu, dass der Stoff, den der Richter durchdringen muss, unter Umständen größer ist als in einem Zivilverfahren. Wobei ich auch nicht verkenne, dass es auch da mit vielen Anlagen, die eingereicht werden, riesige Verfahren geben kann. Dennoch würde ich sagen, im Schnitt ist es schon so: Man hat immer den Verwaltungsvorgang, den man zumindest auch gelesen haben muss, und man muss sich natürlich genau überlegen, ob man von Amts wegen zum Beispiel Beweise erhebt. Aber es gibt Leute, die sagen, der Untersuchungsgrundsatz ist eine der wesentlichen Ursachen der langen Verfahrensdauer, und es gibt ja inzwischen sogar Leute, die ernsthaft darüber nachdenken, ob man ihn nicht abschaffen kann. Das dürfte allerdings schwierig werden, weil er ja nach richtiger Auffassung unmittelbar aus Artikel 19 Abs. 4 [des Grundgesetzes] folgen dürfte, also nach unserem Verständnis zum Rechtsstaat gehört. Ob man möglicherweise in Einzelbereichen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Vergangenheit zu Recht den Vorwurf gemacht hat, dass sie diesen Untersuchungsgrundsatz vielleicht allzu extensiv angewendet hat, das möchte ich mal dahinstehen lassen. Es ist interessant, dass es immer wieder die gleichen Beispiele sind und die Kollegen in der richterlichen Praxis sagen: Das sind eigentlich eher Ausnahmefälle. Mir fällt da auch sofort das Gebührenrecht ein, wo man möglicherweise extensiv vorgegangen ist. Ich würde allerdings durchaus auch sagen, man kann über den Untersuchungsgrundsatz nachdenken. Aber das geht nicht im Rahmen von irgendwelchen gesetzlichen Regelungen, sondern nur im Sinne von judical self-restraint, dass man sich also als Richter fragt, muss ich dem wirklich nachgehen? Gefährlich wird es allerdings, wenn zum Beispiel gesagt wird – wie etwa im Positionspapier der Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und der Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte –: „Was man dem Richter nicht klagt, soll er nicht richten“, oder so ähnlich. Die große Gefahr ist gerade im Verwaltungsprozess, dass der Richter zu früh Schluss macht und etwas absegnet, was er im nächsten Verfahren dann doch kippen muss. Wenn sie Satzungen nehmen oder Bebauungspläne, da ist dies wirklich eine große Gefahr, weil man dann in der Tat, glaube ich, dem Bürger nicht verständlich machen kann, warum sein Verfahren plötzlich ganz anders ausgeht als das des Nachbarn. Und zwar nur deshalb, weil der Nachbar vielleicht etwas vorgetragen hat, was er nicht vorgetragen hat. Also, wo die Grenze da genau verläuft, werden wir klären müssen, aber der Untersuchungsgrundsatz an sich kann nach unserer Auffassung in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten nicht zur Disposition gestellt werden. Dass Verwaltungsrichter sehr gründlich sind und die Sachen sehr durchdringen, ist einerseits dem Untersuchungsgrundsatz geschuldet, andererseits ein

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Qualitätsmerkmal der Rechtsprechung und ich glaube auch, dass die Bürger, denen das häufig dann doch zugute kommt, aber auch die Verwaltungsbehörden sich beklagen würden, wenn wir es anders machen würden. Auch das führt allerdings dazu, dass natürlich eine gewisse Verfahrensdauer von vornherein vorgegeben ist. Ja, und dass wir im Regelfall zwei Tatsacheninstanzen haben, was ich für sinnvoll erachte, ist natürlich auch ein Faktor, der dazu führt, dass die Verfahren insgesamt eine gewisse Länge haben. Also zusammenfassend noch mal: Ursache für eine überlange Verfahrensdauer ist, in der Tat, eine fehlerhafte Personalausstattung, das beweist gerade Rheinland-Pfalz. Ansonsten gibt es aber viele Faktoren, die zur Verfahrensdauer beitragen. Andreas Steger: Ein häufig genanntes Schlagwort ist, dass Deutschland die höchste Richterdichte weltweit hat. Dr. Arntz: Ich denke, einerseits sind wir gebrannte Kinder und so umfangreich oder so umfassend wie unser Artikel 19 Abs. 4 [des Grundgesetzes] sind sicherlich bei weitem nicht alle Rechtsordnungen. Dass wir die höchsten Richterzahlen haben, ist eine oft gehörte Behauptung, ich lese dann auch immer wieder andere Zahlen. Aber das ist etwas, was wahrscheinlich auch die unterschiedlichen Strukturen von Gerichtsbarkeiten nicht so ganz in den Blick nimmt. Es gibt Streiterledigungsmechanismen mit halbrichterlichen Befugnissen oder was auch immer in anderen Ländern, die man wahrscheinlich gerechterweise auch hinzu rechnen müsste. Aber wo ich relativ sicher bin, ist, dass die Regelungsdichte in anderen Staaten wahrscheinlich ein solches Maß wie bei uns nicht aufweist. Wobei bei uns ja auch – wenn man von Verkomplizierung redet – inzwischen der ganze EU-Bereich hinzukommt, der gerade in unserem öffentlich-rechtlichen Arbeitsfeld eine große Rolle spielt. Ansonsten würde ich immer wieder sagen, wenn eine Gerichtsbarkeit zur Zufriedenheit der Bevölkerung arbeitet und ein gewisses Vertrauen der Bevölkerung da ist, ist das ein sehr hohes Gut und die Kosten von Justiz sind vergleichsweise, gemessen an anderen Ausgaben dieses Staates, minimal. Es gibt ja Untersuchungen darüber, ich weiß nicht, ich glaube 5 Euro pro Bürger im Monat oder so ähnlich . . . Andreas Steger: . . . ein bis drei Prozent des Staatshaushalts . . . Dr. Arntz: . . . ja vielleicht, aber schauen Sie sich bitte die absoluten Zahlen an und rechnen Sie dann auch die Einnahmen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit trägt sich sicherlich wegen bestimmter Besonderheiten zu einem größeren Teil selbst als wir. Aber auch wir haben durchaus Bereiche, wo wir uns gut tragen. Dass wir uns letztlich nicht in größerem Umfang tragen, ist auf gesetzgeberische Entscheidungen zurückzuführen, die ganze Bereiche von vornherein ausnehmen und gerichtskostenfrei machen. Der gesamte Asylbereich ist gerichtskostenfrei, der gesamte Sozialbereich ist gerichtskostenfrei. Das heißt, Kosten sol-

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len also von vornherein nicht erhoben werden, und das sind schon erhebliche Arbeitsfelder, auf denen wir tätig werden, wo wir also auch gar nicht die Chance haben, irgendetwas zu erwirtschaften. Ich denke, man muss einfach zunächst entscheiden, wie viel einem eine funktionierende Rechtsordnung wert ist. Und der Fehler, der, glaube ich, auch gemacht wird, ist, dass zu den positiven Effekten nicht gezählt wird – obwohl man ja ansonsten inzwischen in allen Bereichen eigentlich mit Blick auf die Wirtschaft argumentiert – der aus meiner Sicht massive Standortvorteil, den Unternehmen hier durch eine funktionierende Rechtsordnung haben. Ich komme gerade aus Bulgarien zurück, wo ich versucht habe, Verwaltungsprozess- und Verwaltungsverfahrensrecht mitzugestalten. Zunächst im Rahmen des Gesetzentwurfs und jetzt im Rahmen von Ausbildung der Richter. Und ich kann Ihnen nur sagen, das sind einfach Verhältnisse, da werden sich viele Investoren auch noch irgendwann umdrehen und werden feststellen, dass sie vielleicht aufs falsche Pferd gesetzt haben oder ins falsche Land investiert haben. Das ist ein wichtiger Faktor. Und deshalb – würde ich sagen – kommt es eben nicht nur auf die Zahl der Richter an, sondern zum Beispiel auf die Effizienz eines Systems. Wir haben ja viele Dinge – was ich durchaus für sinnvoll und vernünftig halte – in den letzten Jahren verändert. Wir haben früher in dieser Gerichtsbarkeit ausschließlich durch Kammern entschieden und wir entscheiden heute einen ganz hohen Prozentsatz, der allerdings sehr unterschiedlich ist in den einzelnen Materien, durch Einzelrichter. Insgesamt werden bei uns heute rund 80 Prozentaller Entscheidungen vom Einzelrichter getroffen. Es gibt aber ganze Sachgebiete, wo die Kammern aus freier Entscheidung nach wie vor sagen, das machen wir als Kammer. Und dieses Prinzip des fakultativen Einzelrichters halte ich für eine gute Sache, die eben auch die knappen Ressourcen gut nutzt. Von einem obligatorischen Einzelrichter halte ich überhaupt nichts. Gerade bei der öffentlichrechtlichen Gerichtsbarkeit halte ich das für ausgesprochen problematisch. Also so flexibel, wie es jetzt läuft, ist das vernünftig und das ist zum Beispiel eine gewaltige Effizienzsteigerung gegenüber früher. Das ist völlig unbestreitbar, schon allein wegen des Nadelöhrs der mündlichen Verhandlung, wo man ständig die ehrenamtlichen Richter laden muss, und dann kommen die nicht oder der Termin wird aufgehoben. Und sie haben dann mit der gesamten Kraft der Kammer vielleicht ihre sechs oder sieben Verfahren, die sie da behandeln können, vielleicht auch nur drei, wenn es dickere Sachen sind. Das ist von der Effizienz her schon ein deutlicher Fortschritt, dass das jetzt in einfachen Verfahren ein einzelner Richter machen kann. Und davon machen wir – wie gesagt – auch und zwar in freier richterlicher Entscheidung, in größtem Umfang Gebrauch. Andreas Steger: Welche Bereiche, würden Sie sagen, sollten überwiegend von Kammern behandelt werden?

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Dr. Arntz: Also, wenn Sie zum Beispiel den Bereich der Telekommunikation nehmen, um nur einfach mal einen Eindruck zu vermitteln. Die Anwälte, die dort tätig sind, sind höchst spezialisiert. Da gibt es Anwälte, die inzwischen fast nur noch das machen – und das sind keine Dummköpfe, sondern das sind kluge Leute, die hoch spezialisiert und motiviert sind und die sitzen in Kanzleien nicht allein, sondern die sitzen in einem Verbundnetz über ganz Europa oder die ganze Welt, wo sich kluge Köpfe gegenseitig ergänzen. Wir sind ja hier in der Gerichtsbarkeit stolz darauf, dass wir die obersten zwei Prozent oder so abschöpfen von den Examenskandidaten, aber ein Teil von denen geht heute auch in die großen Kanzleien Und jetzt stellen Sie sich auf der anderen Seite einen vielleicht auch ganz klugen, armen Verwaltungsrichter vor, der über so ein Verfahren allein entscheiden soll und sich dieser „Übermacht“ gegenüber sieht. Völlig ausgeschlossen. Und deshalb werden Telekommunikationsverfahren – die dickeren Sachen, es gibt natürlich auch einfache Sachen, wo die Klage zum Beispiel verfristet ist – bei uns normalerweise von den Kammern entschieden. Arzneimittelzulassung ist ein weiterer Bereich, aber auch schwierigere Bauverfahren, sonstige Wirtschaftsverfahren, auch im Ordnungsrecht, auch im Beamtenrecht haben sie teilweise Verfahren, wo sich die Kammern in freier Entscheidung sagen, dass es sinnvoll ist, dass die Kammer und eben nicht der Einzelrichter entscheidet. Aber auch da sage ich, man sollte Vertrauen haben in das, was die Richter machen. Das sind heutzutage schon durchaus bewusste Zeitgenossen, die auch sehen, dass die Ressourcen nicht unbegrenzt sind und die sich auch Gedanken über die Kosten machen. Wenn ich allein unsere sehr restriktive Praxis bei der Prozesskostenhilfe (PKH) sehe und bedenke, dass ein Gerichtspräsident sich gehalten sieht, im Interesse der schnelleren Erledigung der Verfahren die Kollegen doch zu bitten, vielleicht mal zu prüfen, ob man nicht etwas großzügiger sein kann, weil es ja auch noch nicht ausgemacht ist, ob unter dem Strich ein Verfahren den Staat weniger kostet, wenn er Prozesskostenhilfe bewilligt, als wenn er durch zwei Instanzen die Richter bezahlt, die da tätig sind. Das zeigt schon, wie skrupulös unsere Leute durchaus auch mit fiskalischen oder wirtschaftlichen Interessen des Staates umgehen. Deshalb glaube ich, das große Misstrauen ist da wirklich nicht gerechtfertigt. Andreas Steger: Ganz kurz zu den Dienstzeiten der Richter. Dr. Arntz: Ich halte nichts von Dienstzeiten der Richter. Es hat ja Versuche gegeben, so etwas einzuführen. Ich habe das Beispiel vorhin schon gebracht. Kommen Sie Freitagnachmittag vorbei und schauen Sie sich den Innenhof an. Ich sehe auch durchaus am Samstag oder auch schon mal am Sonntag die Leute im Gebäude herumspringen. Und ich weiß genau, dass es eine ganze Reihe gibt, die sehr intensiv zu Hause arbeiten, was in der Tat – weil sie da ungestört sind vom Telefon und Ähnlichem, wenn sie nicht gerade kleine Kinder haben – durchaus sinnvoll sein kann, gerade wenn sie mal eine dicke Akte durchdenken wollen. Und ich behaupte, dass hier wirklich die große Mehrheit

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der Richter viel arbeitet. Wenn man denen sagt, jetzt müsst ihr 40 oder 42 Stunden machen, dann würden die meisten sagen, bisher haben wir immer mehr gemacht. Also wenn wir nur die machen müssen, dann gehen wir eben nach Hause. Im Rahmen der Selbstaufschreibung damals bei dieser Kienbaum-Untersuchung, das ist vielleicht ganz lustig zu erzählen, haben die Leute von Kienbaum zunächst gesagt: Na ja, die tendieren alle dazu, zu übertreiben, da machen wir dann einen Abschlag von X Prozent. Und es gab auch höchst vereinzelt Leute, die schrieben 32 Stunden in der Woche auf. Andere schrieben aber auch 48 oder mehr auf – wahrheitsgemäß. Und da haben die Kienbaum-Leute gesagt: Donnerwetter, das scheint tatsächlich ein Bereich zu sein, wo wahrheitsgemäß aufgeschrieben wird. War ja alles anonym. Und wir haben damals zu den Kollegen nur gesagt, dann messt mal, was ihr da tut, und ihr wisst ja auch, wann ihr zu Hause sitzt und anfangt zu arbeiten. Ich kenne nur, aus dem Kollegenkreis, dass die Frauen mir sagen, naja, er muss oft am Samstag auch noch ran. Natürlich gibt es Ausnahmen. Natürlich gibt es Leute, bei denen gehe auch ich davon aus, die könnten einen Schlag mehr tun. Aber insgesamt, da bin ich ziemlich sicher, würde man mit solchen Dienstzeitregelungen, wo die Leute dann hier mehr oder weniger gezwungenermaßen säßen, nicht gut fahren. Es gibt da Leute drunter, die sagen, morgens so bis elf ist gar nicht meine Zeit. Die sehe ich dann aber abends um sieben auch noch hier sitzen. Wenn sie denen sagen, dass sie um 8:00 Uhr kommen sollen, sagen die: Gut, komme ich um 8:00 Uhr morgens und trinke einen Kaffee, mir fällt nichts ein vor 11:00 Uhr. Das muss man schon sehen: Einen schwierigen Fall zu lösen, das ist schon durchaus eine geistige Anstrengung. Und das hat auch viel mit Kreativität zu tun und die auf Knopfdruck abzurufen, ist nicht so ganz einfach. Ich glaube, dass es letztlich viel wichtiger ist, an das Ethos zu appellieren. Und man darf auch eins nicht unterschätzen, nämlich den sozialen Druck innerhalb des Kammersystems. Was der Präsident nicht mitbekommt, das bekommen die Kammermitglieder mit. Das heißt, die Kollegen, die in der Kammer sitzen, und heute auch die in den Serviceeinheiten, die wissen schon, arbeitet der oder arbeitet der nicht. Und wenn in einer Kammer, die ja als „Spruchkörper“ hinterher auch vom Präsidium mehr oder minder „begutachtet“ wird, welche drin sind, die nichts tun, dann kommt automatisch Druck. Auf der anderen Seite ist aber eben auch die Kammer in der Lage zum Beispiel festzustellen, liegt das vielleicht auch daran, dass der Betreffende nicht gesund ist? Wir sind ein großes Gericht. Wir sind über hundert Richter hier im Hause, da gibt es natürlich auch Erkrankungen. Und da ist dieses System, das wir haben, sicherlich das bessere, das optimale, glaube ich. Andreas Steger: Welche Möglichkeiten zur Verkürzung von Gerichtsverfahren könnten ergriffen werden und was halten Sie von diesen Maßnahmen? Dr. Arntz: Ein bisschen habe ich das ja schon gesagt, ich meine die wichtigste Maßnahme ist immer eine anständige Personalausstattung. Und da verstehe

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ich jetzt nicht drunter, hypertroph alle Wünsche, die man irgendwo haben könnte, zu erfüllen. Aber es gibt eben Erfahrungswerte, was kann ungefähr in den Gerichten erledigt werden und sicherlich kann man da auch noch im Einzelfall etwas verbessern, aber unendlich lässt sich das nicht machen. Und ein völliges Auseinanderfallen, wie wir es erlebt haben, von Belastung und Personalausstattung darf eine Justizverwaltung einfach nicht zulassen. Und es ist eben auch nicht richtig, wenn so etwas ausschließlich unter fiskalischen Gesichtspunkten gesehen wird, wobei ich meine, dass man da einfach auch zu kurz gerechnet hat. Denn die Kosten, die letztlich dadurch entstehen, auch für die Volkswirtschaft, aber insbesondere in puncto Vertrauen in die Rechtsprechung und in die Justiz, die sind wahrscheinlich viel höher, als die paar Mark, die man für einige zusätzliche Richterstellen hätte ausgeben müssen. Ja, wichtig ist natürlich die Motivierung der Richterschaft in dem Zusammenhang. Das ist etwas, was ich eigentlich, seitdem ich hier Präsident geworden bin, immer wieder versucht habe, das Bewusstsein für die Bedeutung von Laufzeiten auch den Richtern zu vermitteln. Das ist nämlich eine ganz gefährliche Entwicklung. Wenn sie als Richter objektiv und bei wirklich bestem Bemühen nicht in der Lage sind, eine angemessene Verfahrensdauer herzustellen, weil eben die Zahl der Verfahren so riesig ist, dass sie bei angemessener, bei vernünftiger, qualitätvoller Bearbeitung es gar nicht schaffen können, und dadurch die Verfahren dann eben zwei Jahre alt werden, drei Jahre alt werden, vier Jahre alt werden, dann setzt ein Gewöhnungsprozess ein. Ich habe das in den letzten Jahren verschiedentlich erlebt. Ich erzähle Ihnen nachher, was wir tun, um die Verfahren konkret auch zu beschleunigen. Da habe ich dann häufiger zu hören bekommen: „Ja, aber die Sache ist doch noch nicht mal zwei Jahre alt.“ Dann habe ich gefragt: „Was würden sie sagen, wenn sie heute bei irgendeiner Behörde irgendwo einen Antrag stellen und hören dann so ungefähr ein oder anderthalb Jahre nichts?“ Das heißt, dieses Bewusstsein zu vermitteln, ist eine ganz wichtige Sache, weil nur über dieses Bewusstsein bei dem Richter die Rückkoppelung einsetzt und er sich sagt: Da muss ich vielleicht wirklich noch etwas mehr tun oder lässt sich nicht vielleicht auf eine andere Weise noch mehr erledigen: frühzeitiges Anschreiben, frühzeitiger Erörterungstermin, da komme ich gleich noch drauf. Was natürlich auch wichtig ist, aber ich setze ganz bewusst immer die Motivation der Richterschaft an den Anfang, ist eine gute technische Ausstattung. Die haben wir hier im Verwaltungsgericht Köln. Wir haben Anfang der 90er Jahre angefangen mit der Vernetzung innerhalb des Gerichts. Heute ist jeder PC ans Intranet und damit ans Internet angeschlossen und innerhalb des Hauses vernetzt. Wir haben ein spezielles Arbeitsprogramm VGFG für Verwaltungsgerichte und Finanzgerichte, das ständig fortentwickelt wird. Wir sind also viel weiter in den Bereichen als die ordentliche Justiz, die ja gerade erst anfängt. Wir sind inzwischen auch an das Beratungstelefon „Informationstechnik“ ange-

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schlossen, so dass, wenn Schwierigkeiten auftreten, man sich rückkoppeln kann. Wir haben Systembetreuer im Haus, die dafür gegebenenfalls eingesetzt werden. Wir haben den Zugriff, etwa im Asylbereich, auf bestimmte Datenbanken, wo wir online alles Mögliche sofort abrufen können. Natürlich hat jeder einen Anschluss an Juris vom Arbeitsplatz aus. Also wir sind da, glaube ich, wirklich gut ausgestattet. Das ist aber heutzutage auch absolut notwendig. Ohne das geht es nicht. Was wir uns manchmal wünschen, wäre, dass in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Beurteilungsspielräume auch der Verwaltung stärker anerkannt würden. Das ist ein gefährliches Gleis, weil es sich so ein bisschen mit der Kontrolle des Artikels 19 Abs. 4 des Grundgesetzes beißt. Auf der anderen Seite gibt es ja nun doch gerade in der Rechtsprechung zu den Beurteilungsspielräumen Kriterien, da wird ja auch nicht alles hingenommen, sondern natürlich wird überprüft, ob die Verwaltung etwa von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausging und der Prognose vernünftige Fakten zugrunde gelegt hat, ob sie umfassend ermittelt hat und so weiter und so weiter. Aber da könnte teilweise vielleicht noch sehr vorsichtig in einigen Bereichen der höchstrichterlichen Rechtsprechung etwas zurückgenommen werden. Leider ist die Tendenz eher umgekehrt und dafür ist auch das Bundesverfassungsgericht mitverantwortlich, das gerade in bestimmten Bereichen eine sehr intensive Prüfung verlangt. Ja, dann, das habe ich eben schon gesagt, stärkeren Gebrauch machen von unstreitigen Erledigungsinstrumenten. Der Erörterungstermin war früher zeitweise stärker verbreitet, als er es im Moment ist. Das hing damit zusammen, dass einfach die Belastung viel geringer war und der kostet viel Vorbereitungsarbeit. Aber er ist ein gutes Mittel, um frühzeitig Verfahren, wenn schon nicht zu erledigen, so doch „auf die Reihe“ zu bekommen. Nur wenn sie gerade mal ihre Sitzungen geschafft kriegen und ersticken ansonsten in der täglichen Dezernatsarbeit, dann haben sie nicht noch Lust, zusätzlich Erörterungstermine durchzuführen. Und ähnlich verhält es sich mit umfangreichen Aufklärungsverfügungen und so weiter, die eigentlich immer eine Spezialität der Gerichtsbarkeit waren. Der frühe erste Termin, den die Arbeitsgerichtsbarkeit kennt, ist im Grunde nichts viel anderes als ein Erörterungstermin, er könnte aber durchaus, ähnlich wie dieser, auch etwas sein, das in bestimmten Bereichen positiv wäre, allerdings wenn, dann nur fakultativ. Denn wir haben ja zum Beispiel hier in Köln die Zuständigkeit bei einer ganzen Reihe von Materien – BAföG habe ich schon erwähnt, Arzneimittel und so weiter – für das ganze Bundesgebiet. Dann ist es nicht sinnvoll, dass man die Kläger aus Itzehoe [in der Nähe von Hamburg] anreisen lässt, um hier irgendeinen BAföG-Fall für 250 Euro zu erörtern. Also einen frühen ersten Termin nicht obligatorisch, sondern wenn nur fakultativ.

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Was sicherlich eine gefährliche Maßnahme zur Verkürzung von Gerichtsverfahren wäre, auch wenn sie sicher zur Verkürzung beitragen würde – man weiß allerdings nie, in welchem Ausmaß – ist der Wegfall der zweiten Tatsacheninstanz. Nach unseren Erfahrungen ist dies nicht zu empfehlen. Natürlich ist die 2. Tatsacheninstanz nicht vorgeschrieben und zwingend, aber ihr Wegfall führt im Ergebnis dazu, dass der Rechtsschutz schlechter wird. Das muss man ganz deutlich sagen. Andreas Steger: Welche konkreten gerichtsinternen Möglichkeiten zur Beschleunigung der Verfahren sind nach Ihrer Kenntnis bisher ergriffen worden und welche werden erprobt oder sind geplant? Dr. Arntz: Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir innerhalb des Gerichts einen sehr genauen Überblick haben über die Belastung der einzelnen Kammern. Ich habe Ihnen hier etwas mitgebracht, damit Sie eine Vorstellung davon bekommen: Das ist für unsere 27 Kammern, wir haben das anonymisiert, indem wir die Kammer weggelassen haben. Ich hatte vorhin gesagt, bis zu 400 gleichzeitig anhängige und zu bearbeitende Verfahren pro Richterkraft. Da sehen Sie, davon sind wir Gott sei Dank inzwischen weit entfernt, aber Sie sehen hier, dass bei einer Umrechnung auf bestimmte Richterbelastungen wir heute noch Kammern haben, die 290 Verfahren pro Richterkraft anhängig haben und schon einzelne, die zum Beispiel 86 haben. Es kann aber sein, dass die Kammer mit 86 anhängigen Verfahren pro Richterkraft trotzdem mehr zu tun hat als diejenige mit 290. Das wiederum zu wissen, ist Aufgabe des Präsidiums und der Verwaltung. Wobei ja, wie Sie wissen, die Geschäftsverteilung beim Gericht nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) das Präsidium macht. Das Präsidium wird versorgt von der Verwaltung, also von dem Präsidenten mit seinen Dezernenten. Und die Verwaltung macht normalerweise auch die Vorschläge für eine entsprechende Geschäftsverteilung. Und ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt ist hierbei die Beschleunigung der Erledigung. Das heißt, wenn wir sehen, ein Spruchkörper gerät ins Stocken, die Sachen werden alt, dann prüfen wir natürlich, woran das liegt. Das führt dann auch dazu, dass der Präsident schon mal vor Ort geht und sagt: Ich habe hier die Liste der ältesten Verfahren. Erklärt mir doch bitte mal, warum es so lange dauert. Schon das hat einen förderlichen Effekt. Ich kann als Präsident nicht sagen – auch das Präsidium könnte das nicht sagen – die Sache wird jetzt erledigt. Aber ich kann schon die Erwartung äußern. Das Präsidium hat gerade die Überalterung der Verfahren, das Alter der Verfahren, ganz massiv im Blick und es werden in großem Stil Verfahren umverteilt. Das geschieht natürlich normalerweise nur im Rahmen der jährlichen Geschäftsverteilung, es sei denn, es läuft unvorhergesehen, etwa durch gigantische Zugänge, innerhalb eines Geschäftsjahres eine Kammer zu. Dann wird ausnahmsweise mit entsprechender Begründung auch schon mal was im Geschäfts-

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jahr geändert. Aber normalerweise ändern wir zum Beginn eines neuen Geschäftsjahres die Geschäftsverteilung und berücksichtigen hierbei das Alter und die Zahl der anhängigen Verfahren. Das kann dadurch geschehen, dass wir ganze Sachgebiete umverteilen, aber natürlich auch, indem wir dem jeweiligen Spruchkörper zusätzliche Richter zuweisen. Das kann aber auch in der Weise geschehen, dass wir nur bestimmte einzelne Verfahren neu verteilen. Nehmen Sie zum Beispiel die Spätaussiedler, die werden hier im Hause von 14 Kammern bearbeitet. Das sind Deutschstämmige oder solche die vorgeben, deutschstämmig zu sein, heute überwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion. Das waren zeitweise so viele Verfahren und sind auch jetzt noch relativ viele Verfahren, dass wir gesagt haben, das verteilen wir eben, ähnlich wie wir das früher mit Asyl gemacht haben, auf viele Schultern. Und dann kann das Präsidium bei Belastungsunterschieden in den Kammern, die alle noch andere Gebiete bearbeiten – es gibt also keine Kammer bei uns, die nur Asyl oder nur Vertriebene macht, sondern die Kammern haben alle auch andere Sachgebiete –, wenn jetzt in diesen anderen Sachgebieten plötzlich die Zahl der Verfahren anwächst oder wenn man merkt, die Verfahren werden älter in der Kammer, relativ schnell reagieren, das heißt, wir verteilen dann also um. Es kann zum Beispiel sein, dass wir beschließen, die Kammer X wird jetzt für ein Jahr aus dem Verteilungsschlüssel für neuere Verfahren herausgenommen. Oder wir sagen, die in der Zeit – nehmen wir ein halbes Jahr oder ein Jahr – eingegangenen Verfahren gehen über in die soundsovielte Kammer. Das ist zulässig nach dem Prinzip des gesetzlichen Richters, aber es gewährleistet, dass Belastungsunterschieden Rechnung getragen wird. Natürlich richtet sich auch bei den alle vier Jahre durchgeführten Geschäftsprüfungen im richterlichen Bereich durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts das Augenmerk vor allem auf die Laufzeit der Verfahren. Das heißt, wir haben eine ausgefeilte Technik, wo die ältesten Verfahren vorgelegt werden aus jedem Dezernat und Listen zu erstellen sind, warum die so alt sind, ob die förderungsfähig sind, ob die nicht förderungsfähig sind. Und in früheren Jahren, in den 90er Jahren und auch bis vor zwei Jahren war es so, dass praktisch alle Verfahren als förderungsfähig galten und wir sie nicht fördern konnten; es ging nicht. Inzwischen ändert sich das. Und es gibt dann im Gefolge solcher Geschäftsprüfungen, wenn festgestellt wird, da sind besonders viele überalterte Verfahren, so genannte Berichtspflichten, das heißt, ich berichte, und zwar, indem ich auch hier die Richter vorher anschreibe. Ich berichte über den Fortgang, ob die Verfahren erledigt sind, warum die noch nicht erledigt sind. Das können alle möglichen Hinderungsgründe sein, Parteien kommen nicht über mit irgendetwas, es gibt Vergleichsverhandlungen, das Verfahren ruht oder es ist nicht möglich, irgendwo zuzustellen zum Beispiel in den GUS-Staaten. Das wird alles berichtet und natürlich hat

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dies alles zur Folge, dass den Richtern bewusst ist, es guckt jemand auch auf die Dauer der Verfahren. Dann gibt es ständige Statistiken über die Zahl und den Prozentsatz der überjährigen Verfahren – kammerbezogen wie gerichtsbezogen. Jeden Monat kommt eine solche Übersicht, wird rumgeschickt im Gericht. Wenn die absoluten Zahlen hoch gehen, wie das einmal im letzten Jahr war, dann kriegt der Präsident eine Krise und dann schreibe ich: Liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist mir ganz unverständlich, dass das jetzt da wieder hoch geht. Wieso geht das da wieder hoch? Und dann sagen die, jetzt schimpft der schon wieder. Aber das ist eben der Versuch, soweit es geht, an die Motivation der Richter zu appellieren. An den Zahlen, die ich Ihnen eben gezeigt habe, können Sie sehen, dass es insgesamt deutlich vorangeht und wir nicht erst seit gestern an dem Problem der langen Verfahrenszeiten arbeiten. Und dann gibt es natürlich die Appelle an das Selbstverständnis der Richterschaft in dem Zusammenhang. Und schließlich: Es gibt keine Vorsitzendenbesprechungen, keine Richterversammlung, keine Präsidiumsbesprechung, wo dieses Thema nicht eine Rolle spielt. Weil, das sage ich jetzt mal an dieser Stelle, weil uns natürlich auch bewusst ist, dass eine überlange Verfahrensdauer im Grunde nicht nur an unserem Image und an unserem Selbstverständnis kratzt, sondern eben auch bewirkt, dass unsere Wirksamkeit nach draußen massiv leidet. Und sie hat gelitten in den 90er Jahren. Es gibt Bereiche, wie etwa Baurecht und im Immissionsschutzrecht, wo wir viele Verfahren wegen absolut indiskutabler Verfahrenslaufzeiten verloren haben, wo inzwischen die Leute irgendwelche Schlichter einschalten oder so etwas. Und nur wenn es dann gar nicht mehr geht, dann kommen sie mal mit ein, zwei Verfahren hier zum Gericht. Aber das ist ja nicht der Sinn und Zweck eines staatlichen Rechtsschutzes. Deshalb versuchen wir dort auch besser zu werden und, das glaube ich hier für die Leute sagen zu können, dass das denen durchaus bewusst ist. Wenn Sie hier irgendwo einen Richter fragen, wie ist das mit Verfahrenslaufzeiten, dann sagen die: Der Arntz reitet ständig darauf rum! Und dann gibt es eben auch Einzelgespräche, die ich mit einzelnen Richtern führe, wenn ich Probleme feststelle. Woran liegt es? Kann man nicht mal darüber reden? Kann man auch hier vielleicht ein paar Verfahren umverteilen? Aber dann müsste vielleicht doch noch ein Schlag mehr getan werden. Und ist vielleicht die Arbeitsweise antiquiert? Andreas Steger: Was halten Sie von einer Untätigkeitsbeschwerde beziehungsweise Beschleunigungsbeschwerde in der Verwaltungsgerichtsbarkeit? Dr. Arntz: Meine Antwort ist ganz einfach: Gar nichts. Die würden nur noch mehr Verfahren produzieren und die Verfahrensdauer verlängern. Und da kann ich wirklich nur sagen, es gibt aus meiner Sicht keine in diesem Sinne freien

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Kapazitäten. Das setzt ja voraus, man muss sich da nur mal anständig beschweren und dann läuft das. Ja? Und den faulen Richter, den mag es im Einzelfall durchaus geben. Das wird kein Gerichtspräsident bestreiten, dass es Richter gibt, die er sich noch etwas fleißiger wünscht. Aber wenn sie genau hingucken, dann stellen Sie auch fest, das sind häufig Ursachen, die möglicherweise auch Krankheitswert haben. Andreas Steger: Ist das Problem der überlangen Verfahrensdauer in Ihrem Arbeitsumfeld gelegentlich ein Thema und als wie gravierend wird es angesehen? Dr. Arntz: Da kann ich, glaube ich, auf das verweisen, was ich eben gesagt habe. Es ist tatsächlich das Thema. Das muss man sehen. Seit Jahren. Andreas Steger: Hatten Sie in der Praxis bereits etwas mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist) zu tun? Dr. Arntz: Die Frage kann ich ganz kurz beantworten: Artikel 6: Nein! Hatten wir nicht. Das hängt allerdings wohl auch mit der Rechtsprechung zusammen, die zum Beispiel für Ausländerverfahren und ähnliches, da, wo nämlich bei uns katastrophale Verfahrensdauern üblich waren, die Anwendbarkeit von vornherein verneint hat. Diese Verfahren lassen sich nun beim allerbesten Willen nicht mehr unter zivilrechtliche Ansprüche subsumieren. Natürlich wird Art. 6 aber in allen Verfahren praktisch, wo es um Geld geht. Baurecht zum Beispiel fällt ja wohl drunter und einige andere Bereiche auch, also etwa der ganze Telekommunikationsbereich, von dem ich gesprochen habe. Andreas Steger: Wird die Norm in der Praxis von Anwälten überhaupt angeführt? Dr. Arntz: Nein, bei uns nicht. Andreas Steger: Auf welche Verfahren sollte diese Norm Ihrer Meinung nach angewendet werden? Dr. Arntz: Im Prinzip auf alle wie Artikel 19 Abs. 4. So würde ich es sehen. Andreas Steger: Dann bedanke ich mich ganz herzlich, dass Sie sich so viel Zeit für mich genommen haben. Es war auf jeden Fall sehr interessant, das auch mal aus der Sicht des Richters zu sehen. Dr. Arntz: Wir sind sehr energisch dran. Wir haben gerade jetzt für November hier ein Symposium mit den Verwaltungsrechtsanwälten im Köln/Bonner Raum vereinbart. Wir wollen dann im unmittelbaren Kontakt zwischen Anwälten und Richtern versuchen, uns über ganz bestimmte konkrete Punkte – dazu zählt etwa die Prozesskostenhilfe (PKH), dazu zählt auch die Begründung von Entscheidungen, dazu zählen die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes und solche Dinge – auszutauschen und vielleicht auch gemeinsam überlegen, wo

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man vielleicht noch etwas verbessern könnte – eben auch mit dem Ziel kürzerer Laufzeiten. Da erhoffe ich mir dann vielleicht auch noch die eine oder andere Anregung. Nur es ist bei allem, was man da verbessern kann – sicherlich noch verbessern kann – ein Faktum meines Erachtens eben maßgeblich: Man kann nicht unter eine bestimmte Ausstattung gehen, ohne dass die Justiz stockt.

III. Gespräch mit Herrn Ralph Stegh, Vorsitzender Richter der Kammer für Telekommunikationsrecht am Verwaltungsgericht Köln, am 30. Mai 2005 von 11:30 bis 11:45 Uhr im Verwaltungsgericht Köln (Von einem Abdruck des Gesprächs wurde abgesehen. Ergänzend sei auf die Veröffentlichung von Herrn Stegh im Literaturverzeichnis verwiesen.) Herr Stegh erläuterte die Ursachen für die lange Dauer einiger Verfahren aus dem Bereich des Telekommunikationsrechts. Ein Hauptproblem stellt dabei die Beschaffung der notwendigen Behördenakten und der Akten der Telekommunikationsunternehmen dar, die teilweise Geschäftsgeheimnisse enthalten und daher häufig nur geschwärzt oder gar nicht an das Verwaltungsgericht ausgehändigt werden. Das zweite Hauptproblem ist das notwendige Abwarten von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts. Zahlreiche Verfahren aus den Jahren seit 1999 sind daher immer noch anhängig und ruhen bis zu einer wichtigen, noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

IV. Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Wolfgang Löwer, Ordentlicher Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (seit 1990), Institut für Öffentliches Recht, Abteilung Wissenschaftsrecht; Mitglied des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen (seit 2006), Vorsitzender des Vorstands der Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsrechts (seit 2007), Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (seit 2006), Mitglied des Vorstands des Instituts für Notarrecht (seit 2006), Mitglied des Gremiums Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft (seit 2005), Prorektor für Planung und Finanzen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (seit 2004), Mitglied der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Mitglied der Freiherr von Stein Gesellschaft, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung, Mitglied der Deutschen Schillergesellschaft, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Energiewissenschaftlichen Tagesfragen, Mitherausgeber der Zeitschrift für Wissenschaftsrecht, zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Verfassungs- und Verfassungsprozessrecht, Wissenschaftsrecht und

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Energierecht, zuvor unter anderem Professor in Berlin (1985–1990) und Münster (1984–1985), am 6. Juni 2005 von 11:45 bis 12:15 im Institut für Öffentliches Recht in Bonn (Tonbandabschrift: Der mündliche Sprachstil wurde beibehalten.) Andreas Steger: Welche Ursachen sind Ihrer Meinung nach maßgeblich für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer? Prof. Dr. Löwer: Eine Ursache gibt es sicher nicht. Sie haben ja auch gleich „welche Ursachen“ gefragt. Also aus meiner Sicht ist ein großer Fehler bei den Verwaltungsgerichten, dass die Akten „dick geschrieben“ werden können, weil die Gerichte zwar Fristen setzen, binnen denen sich jemand äußern muss. Tut er dann auch binnen sechs Wochen. Und dann kriegt die andere Seite wieder eine Äußerungsfrist von sechs Wochen. Dann kriegt die Behörde eine Äußerungsfrist. Die brauchen ein halbes Jahr. Es ist auch ein wesentlicher Punkt, dass die Behörden häufig nicht gerade rasch antworten, so dass also, weil das Gericht keinen Termin für die mündliche Verhandlung ansetzen kann – aus welchen Gründen auch immer, weil sie mit so vielen langen Verfahren beschäftigt sind – werden die Akten immer dicker. Das erste, was da helfen würde, wäre das, was die Zivilgerichte gemacht haben: Früher erster Termin, in dem die Sach- und Rechtslage besprochen wird und mehr Struktur in die Verfahren hereingebracht wird. Dem Erörterungstermin beim Verwaltungsgericht kann sich direkt eine mündliche Verhandlung anschließen. Das ist aus meiner Sicht eine der Hauptursachen. Ich habe natürlich nicht so breite Erfahrungen, aber ich erlebe schon Sachen, die einen relativ fassungslos machen. Zum Beispiel, wenn mehrfach der Berichterstatter ausgetauscht wird und jedes Mal wieder neue Voten der Berichterstatter geschrieben werden müssen. Ich habe inzwischen bei einem Verfahren drei Voten von Berichterstattern in der Akte. Es ist schon mündlich verhandelt worden und es ergeht trotzdem schon wieder seit mehr als einem halben Jahr keine Entscheidung, weil nach der mündlichen Verhandlung der Berichterstatter ausgewechselt wurde und bis der neue Berichterstatter wieder an die Akte kommt, dauert es wahrscheinlich dann. Es liegen also bisher im Jahresabstand zwei Berichterstattervoten in der Akte, aber auch nach dem zweiten Berichterstattervotum ist mündlich verhandelt worden. Nach der mündlichen Verhandlung ist der Berichterstatter aus dem Senat als Proberichter ausgeschieden und jetzt passiert wieder nichts. Die Proberichter sind immer nur zeitweilig im Senat, der Präsident des OVG wird mir die Frage wohl nicht beantworten, weshalb er so jemanden gehen lässt, wenn die Sache schon mündlich verhandelt wurde. Sein letztes Zitat war, als ich nach vier Monaten gefragt habe, was denn nun werden sollte, er verspreche Zuwendung. Das war es. Andreas Steger: Haben Sie das Gefühl, dass bei Gericht viel versucht wird, darauf hinzuwirken, die Verfahren zu beschleunigen?

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Prof. Dr. Löwer: Doch, die machen das gerecht. Die Sachen werden nach Aktenzeichen und Eingang behandelt. Nur, dadurch brauchen sie alle lange, also auch die, die eigentlich schneller erledigt werden könnten. Das ist der Fehler, meine ich, den die machen. Es wird nicht ein Fall, den das Gericht eigentlich nach Lektüre der Klageschrift für abweisungsreif halten könnte – fast ohne rechtliches Gehör, weil der in sich zum Beispiel nicht schlüssig ist – zügig abgewiesen. Es passiert nicht, dass dann das Gericht das Verfahren alsbald – nachdem klar ist, dass der Kläger zu seinem Recht nicht kommen kann, weil die Anspruchsgrundlage gar nicht besteht, oder aus welchen Gründen auch immer – dann zügigst beendet, sondern sie kommt in den Stapel der Akten „Wiedervorlage in drei Monaten“ und dann ist da eine lange Warteschlange. Andreas Steger: Sie würden sagen, dass es besser wäre, die leichteren Verfahren schnell abzuarbeiten und die schwereren dann gründlich zu behandeln? Prof. Dr. Löwer: Es wäre schon gut, wenn ein Richter darauf achten würde, ob er eigentlich an den Prozessvortrag noch irgendwelche Fragen hat oder nicht. Wenn er keine Fragen mehr hat, dann soll er auch entscheiden. Das, scheint mir, läuft nicht gut. Andreas Steger: Welche Möglichkeiten zur Verkürzung von Gerichtsverfahren könnten ergriffen werden und was halten sie von diesen Maßnahmen? Prof. Dr. Löwer: Aus meiner Sicht ist es natürlich unsinnig, wenn ein Votum des Berichterstatters vorliegt, die Sache dann nicht auch zu Ende zu führen. Also, was soll jetzt der neue Berichterstatter ein drittes Votum in dem Fall erstellen. Das muss man sich mal vorstellen: Da haben drei Berichterstatter jeweils die Akte von vorne bis hinten lesen müssen und einen Entscheidungsentwurf produziert. Das sind zwei mal zwölf Stunden, die auf andere Verfahren hätten verwendet werden können. Andreas Steger: Es wird häufig zur Verkürzung der Verfahrensdauer vorgeschlagen, den Instanzenzug zu verkürzen oder Rechtsmittel abzuschaffen. Prof. Dr. Löwer: Das haben wir jetzt schon bis zum Exzess getan. Das da noch weiterer Segen drin liegt, bezweifele ich. Wir könnten die Entscheider vermehren, indem wir vom Kollegialprinzip stärker weggehen könnten. Davon halte ich eigentlich wenig. Ich glaube, dass man ein Justizsystem so fahren kann, dass man wenige Richterinnen und Richter hat, solche die lebensälter sind und die man aus der Kollegialität entlassen kann, die man sich sehr gut aussucht und sehr gut bezahlt, und sagt: Denen kann ich die Rechtsprechung auch als Einzelrichter anvertrauen. Wir [in Deutschland] machen das anders. Bei uns ist Richter ein Beruf, der in verhältnismäßig jungen Jahren losgeht, und da ist das Kollegialprinzip schon sehr hilfreich. Recht entsteht überhaupt aus dem Diskurs und gerade in schwierigeren Verfahren – ob ein Verfahren schwierig ist, erkennt manchmal der Einzelrichter überhaupt gar nicht, weil er denkt, es wäre ein einfacher Fall, weil er das Problem einfach nicht sieht – also Recht

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entsteht aus dem Diskurs und die Richtigkeitsgewähr durch Kollegialität, die halte ich für sehr beachtlich. Da würde ich auch nicht Qualität für Zeit hingeben wollen. Andreas Steger: Sie sind also für den fakultativen Einzelrichter, wenn die Kammer das für richtig erachtet? Prof. Dr. Löwer: Ja. Gerichtsbescheid und Übertragung [des Verfahrens von der Kammer an den Einzelrichter] haben wir ja auch alles. Es ist sehr unterschiedlich, ob Einzelrichterverfahren überhaupt genutzt werden. Da müsste man mal die Verwaltungsgerichte fragen. Es gibt ganze Kammern, die bestellen kaum jemals einen Einzelrichter. Andreas Steger: Man sagt immer, Deutschland hätte die größte Richterdichte. Was würden Sie sagen, woran das liegt? Prof. Dr. Löwer: Wir haben nicht nur die größte Dichte an Richtern, sondern auch die größte Dichte an „Richterdichtern“. Die hohe Dichte von Richtern liegt an unserem System der Kollegialgerichte. Es ist nicht so, dass die Rechtsschutzbedürfnisse in Österreich niedriger wären, aber ich vermute, die lassen eben mehr durch Einzelrichter entscheiden. Im angelsächsischen Rechtskreis ist das ja durchgängig der Fall bis zu den obersten Gerichten, bei denen teilweise durch Einzelrichter entschieden wird, auch bei den Bundesgerichten. Ein Kartellverfahren in den USA entscheidet ein Einzelrichter. Davon würde ich gar nichts halten. Andreas Steger: Häufig wird gesagt, dass auch die Kompliziertheit des Rechts zu überlanger Verfahrensdauer führt. Prof. Dr. Löwer: Die Kompliziertheit des Rechts führt erst einmal dazu, dass es so viele Verfahren gibt. Das ist erst mal klar. Dafür ist das Weltmeisterreferenzgebiet das Steuerrecht. In Deutschland werden 80 Prozent der Steuerrechtsliteratur weltweit produziert. Die restliche Welt kommt mit 20 Prozent aus. Insofern ist natürlich jede Vereinfachung solchen Rechts, Steuerrecht oder Sozialrecht, zugleich eine Wohltat für die Gerichte. Im Bürgerlichen Recht und im Allgemeinen Verwaltungsrecht kriegen sie das nicht hin, dass das durch Rechtsvereinfachung gemacht werden könnte. Und im Übrigen haben wir ja auch da schon viel getan, indem wir das Verfahrensrecht teilweise seiner Rechtsschutzfunktion vor dem Richter beraubt haben, weil Verfahrensfehler heilbar sind und so weiter und so fort. Als ich noch so alt war wie Sie, war das alles anders. Da sind wir auf Verfahrensfehlersuche gegangen und haben immer welche gefunden. Das ist ja heute gar nicht mehr lohnend. Da hat das Recht auch schon darauf reagiert. Andreas Steger: Wie wirkt sich das Verhalten der anderen Prozessbeteiligten, der Parteien und Rechtsanwälte, auf die Verfahrensdauer aus?

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Prof. Dr. Löwer: Ich habe da nicht so eine breite Erfahrung. Was ich aus den Eilverfahren beobachte, ist, dass Behörden sehr langsam arbeiten und die Stellungnahmen nur schleppend abgeben. Behörden könnten gelegentlich qualitätvoller agieren, das schon, aber das ist keine Frage der Beschleunigung. Andreas Steger: Was halten Sie von außergerichtlichen oder vorprozessualen Streitschlichtungsmechanismen? Prof. Dr. Löwer: Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine lange Erfahrung mit der Schiedsgerichtsbarkeit, Schiedsmann oder Schiedsfrau, bei denen Nachbarschaftsstreitigkeiten entschieden werden. Der Befriedungseffekt ist, glaube ich, in Wahrheit geringer als beim Richter. Die Leute fühlen sich meistens vom Schiedsmann irgendwie hintergangen, weil die ja sowieso nicht ums Recht gestritten haben, sondern ums Recht haben. Und wenn sie dann nicht gewinnen, hilft das auch nichts. Also man sollte den Leuten, glaube ich, einen Richter geben. Das hat die größte Chance auf Befriedung. Und im Übrigen hat das bei den verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Artikel 19 Abs. 4 [des Grundgesetzes] gar keine irgendwie geartete Chance. Es muss ja immer der Weg zum Richter offen bleiben. Das [Schlichtungsverfahren] verlängert die Sache eher, als das es sie verkürzt, fürchte ich. Andreas Steger: Was halten Sie von einer Untätigkeitsbeschwerde beziehungsweise Beschleunigungsbeschwerde in der Verwaltungsgerichtsbarkeit? Prof. Dr. Löwer: Ja, es vermehrt natürlich zunächst mal wieder die Verfahren. Andererseits muss man natürlich sehen, dass die Beschwerden wegen verweigerter Justizpflege ein sehr altes Thema sind. Das scheint eine richterliche Spezialität zu sein, Dinge, die einem nicht passen, wegzulegen. Und da ist eine Erinnerung, wie sie ja heute nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ausspricht, natürlich schon denkbar. Wenn wir die Chance genutzt hätten, bei diesen 103er-Geschichten [Artikel 103 des Grundgesetzes], die wir da jetzt gemacht haben, Rechtsbeschwerde wegen verletzen Gehörs, da den 101 [Artikel 101 des Grundgesetzes] dazu gepackt hätten und die Untätigkeitsbeschwerde dazu gepackt hätten, dann hätte man gewissermaßen ein Gericht, einen Spruchkörper, der das Verhalten der Justiz in eigenen Angelegenheiten überwachen könnte. Das wäre vielleicht ganz heilsam. Aber wir haben die Chance noch nicht mal in Richtung 101 [Artikel 101 des Grundgesetzes] genutzt, als wir diese spezifische Beschwerde wegen 103 [Artikel 103 des Grundgesetzes] erwogen haben. Ich habe das Anhörungsrügengesetz neulich intensiv im Handbuch [des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, neue Auflage] zitiert und verarbeitet. Andreas Steger: Ist das Problem der überlangen Verfahrensdauer in Ihrem Arbeitsumfeld gelegentlich ein Thema und als wie gravierend wird dieses Problem angesehen?

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Prof. Dr. Löwer: Im Prüfungsrecht ist das ein Thema. Ich habe ja im universitären Sektor auch solche Verfahren betreut. Habilitationsklagen, also ein abgelehnter Habilitand, der klagt, solche Dinge. Da finde ich das eben auch unerträglich, dass jemand, der um seine Lebenschance kämpft – in diesem Fall, Hochschullehrer zu sein – erst dann ein rechtskräftiges Urteil kriegt, wenn er jenseits aller Einstellungsgrenzen ist. Also dieses Verfahren, das ich im Auge habe, hat ja ein Jahrzehnt gedauert und war nicht mal beim Bundesverwaltungsgericht. Beim ersten Mal, bei der ersten mündlichen Verhandlung, habe ich den Habilitationsbescheid aufgehoben, um dem Gericht den Klagegegenstand wegzunehmen. Dann ist das wieder in der Behördenschleife, also Fakultätsschleife, gewesen. Gegen die wiederum ablehnende Entscheidung hat er wieder geklagt und so haben wir es dann locker auf zehn Jahre gebracht. Und das ist unangemessen für die Situation, in der der Rechtsschutz benötigt wird. Andreas Steger: Wie ist das Verfahren ausgegangen? Prof. Dr. Löwer: Ich glaube, das OVG Münster hat die Beschwerde zurückgewiesen. Andreas Steger: Hatten Sie in der Praxis bereits etwas mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist) zu tun? Prof. Dr. Löwer: Nein. Wird als Argument auch nicht benutzt. Andreas Steger: Der wird in der Praxis auch gar nicht angeführt? Prof. Dr. Löwer: Das will ich nicht sagen, aber ich habe noch keine solche Fälle erlebt. Andreas Steger: Auf welche Verfahren sollte diese Norm Ihrer Meinung nach angewendet werden? Prof. Dr. Löwer: Rechtlich bin ich schon der Meinung, dass der Begriff civil rights expansiv verstanden werden muss. Sonst kommt man zu diesen komischen Situationen, dass die Angelsachsen das als civil bezeichnen und wir nicht, sondern als public. Und das ist nicht so schön. Andreas Steger: Gibt es Verfahren, wo Sie sagen würden: Das kann man ganz klar nicht mehr unter civil rights fassen? Prof. Dr. Löwer: Umstritten ist das alles, auch ob Verwaltungsrecht dazugehört und so weiter. Beim Staatshaftungsrecht ist man sich, glaube ich, einig, dass die Norm anwendbar ist. Ich würde sagen, dass die Zufälligkeit der Gerichtsorganisation und die Zufälligkeit, ob man subjektive öffentliche Rechte als Kategorie kennt oder nicht kennt, kann es nicht ausmachen. Andreas Steger: Dann bedanke ich mich ganz herzlich für das Gespräch. Prof. Dr. Löwer: Gerne.

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V. Gespräche mit Verwaltungsrichtern und Fachanwälten für Verwaltungsrecht auf der Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein – Landesgruppe Nordrhein-Westfalen am 17. Juni 2005 von 10:30 bis 17:00 Uhr im Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster Aus diesen Gesprächen ergab sich insbesondere, dass sowohl die Verwaltungsrichter, als auch die Fachanwälte für Verwaltungsrecht das Problem der überlangen Verfahrensdauer als höchst gravierend ansehen und dass beide Seiten an einer konstruktiven Zusammenarbeit zur Lösung des Problems interessiert sind. Als eine besonders wünschenswerte und hilfreiche Möglichkeit zur Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten, die zugleich auch die Außenwahrnehmung der Verwaltungsgerichtsbarkeit verbessern würde, wurde in der Diskussion insbesondere die verstärkte Nutzung des Instruments eines frühen ersten Termins beziehungsweise eines Erörterungstermins angesehen. Von der Seite der Verwaltungsrichter wurde zwar betont, dass angesichts der hohen Anzahl von Altverfahren eine Durchführung solcher zusätzlichen Termine teilweise nur unter großen Schwierigkeiten durchführbar ist, dass dieses Instrument jedoch in der Zukunft dennoch verstärkt zum Einsatz kommen soll. Die Anwälte betonten, dass durch eine frühzeitige Klärung der von Seiten des Gerichts als problematisch angesehenen Punkte eine unnötige Vermehrung des Prozessstoffs vermieden werden kann. Damit führt ein früher erster Termin beziehungsweise ein Erörterungstermin nicht nur zu mehr Zufriedenheit der Prozessbeteiligten, sondern kann auch zu einer signifikanten Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten beitragen. Während in der Vergangenheit Verwaltungsrichter und Fachanwälte für Verwaltungsrecht oft getrennt getagt haben, wurde diese gemeinsame Veranstaltung von vielen als ein guter Weg angesehen, die Kommunikation zwischen Richtern und Anwälten weiter zu verbessern und gemeinsam an der Lösung des Problems der überlangen Verfahrensdauer zu arbeiten.

VI. Referat „Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Qualitätsdiskussion – Zwischen Justizreform und Selbsterneuerung“ von Herrn Professor Dr. Thomas Mayen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Sozietät Redeker Sellner Dahs & Widmaier mit Niederlassungen in Bonn, Berlin, Brüssel, Karlsruhe, Leipzig und London, Mitglied der ständigen Deputation des Deutschen Juristentags, Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein – Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, Mitglied der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. (GfU); seit 2007 Honorarprofessor an der Universität Köln,

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auf der Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein – Landesgruppe Nordrhein-Westfalen am 17. Juni 2005 von 11:30 bis 12:00 Uhr im Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster (Der Vortragsstil wurde beibehalten. Ergänzend sei auf die Veröffentlichungen von Herrn Professor Dr. Mayen verwiesen, die im Literaturverzeichnis aufgeführt sind.) 1. Meine Damen und Herren! Ich beginne mit etwas, was in ein richterliches Urteil nicht hineingehört, nämlich mit Lesefrüchten. Am Anfang also zwei wörtliche Zitate. Das erste Zitat stammt von Franz Kafka. „Denn den Advokaten [. . .] liegt es vollständig ferne bei Gericht irgendwelche Verbesserungen einführen oder durchsetzen zu wollen, [. . .]. Das einzig Richtige sei es, sich mit den vorhandenen Verhältnissen abzufinden. Selbst wenn es möglich wäre, Einzelheiten zu verbessern – es ist aber ein unsinniger Aberglaube – hätte man bestenfalls für künftige Fälle etwas erreicht, sich selbst aber unermeßlich dadurch geschadet, daß man die besondere Aufmerksamkeit der immer rachsüchtigen Beamtenschaft erregt hat.“ Dieses Zitat aus dem Roman „Der Prozess“ zeigt, welch unglaubliches Risiko ich heute hier eingehe! Ich gehe dieses Risiko gleichwohl ein, weil ich mich hierzu von höchster Stelle ermutigt fühle. Die Ermutigung stammt vom Chef-Präsidenten des BVerwG, Herrn Hien. Ein weiteres Zitat also: „Die Meinung, nur die Richter selbst seien befugt, sich mit der Qualität ihrer Arbeit zu befassen, ist schlicht unzutreffend. Ganz im Gegenteil: Die wichtigste Frage ist, was der „Kunde“, die Prozeßparteien also, von uns erwarten.“ So Hien auf dem Verwaltungsrichtertag in Bremen 2004. Sie sehen: Ich vertraue Hien mehr als Kafka und stehe heute vor Ihnen. Um zum ernsteren Kern zu kommen. Die beiden Zitate zeigen meines Erachtens sehr schön die Bedeutung einer Veranstaltung, wie sie hier heute stattfindet. Die Diskussion um die Qualität der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird nicht der Nabelschau, der bloßen Binnenansicht der Richter überlassen, sondern dem offenen Diskurs mit der Praxis geöffnet, mit denjenigen, die es auch betrifft. Dies war – wenn ich recht sehe – seinerzeit in Bremen keineswegs unstrittig. Wir als Anwälte, als Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein, begrüßen es deshalb sehr, dass der Hausherr dieses Gerichts, Herr Präsident Bertrams, die Anregung für die heutige Veranstaltung gegeben hat. Wir werden alles tun, hieran konstruktiv mitzuwirken. Denn wir haben ein

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gemeinsames Interesse. Eine qualitativ hochwertige und effektive Verwaltungsgerichtsbarkeit erleichtert uns nicht nur die Arbeit; sie nutzt vor allem unseren Mandanten, dessen Teilhabe am Recht wir bekanntlich nach unserer Berufsordnung zu gewährleisten haben. Allerdings ist das Unterfangen nicht ohne Anspruch. Eine solche Diskussion nutzt nur etwas, wenn sie wirklich offen geführt wird. Als kritisch empfundene Punkte müssen klar angesprochen und ungeschminkt kritisiert werden dürfen. Umgekehrt muss sich auch die Anwaltschaft in der Verantwortung für eine zügige Verfahrensdurchführung sehen. Das ist für alle Beteiligten nicht immer einfach. Hierin sind wir noch ungeübt. Bei früheren Veranstaltungen führte die ein oder andere provozierende Äußerung – obschon mit konstruktivem Hintergrund ausgesprochen – dazu, dass man sich in wechselseitigem Unverständnis begegnete. Wir wollen hier heute gleichwohl einen weiteren Anlauf unternehmen. Und es ist schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind. 2. Vorab nochmals einige Gedanken zur Notwendigkeit der Debatte. Es besteht offensichtlich und dringend Handlungsbedarf. Das ist zwar erkannt, wie wir hören. Aber ich bin nicht sicher, ob er jedem wirklich vor Augen steht. 1. Handlungsbedarf besteht in allererster Linie aus der Sicht unserer beider „Kunden“, der Kunden von Richtern wie Anwälten: nämlich der Mandanten. Die derzeitige Situation ist vielfach beklagt worden. Vieles ist ohne Zweifel überzogen kritisiert worden. Ich will das hier nicht alles wieder aufwärmen. Bei aller berechtigten Kritik an der Kritik (an der vielfach überzogenen Kritik): Mehr als nur ein Körnchen Wahrheit ist schon dabei. Nach der mir zugänglichen Statistik betrug im Jahr 2003 die Verfahrensdauer pro Instanz in Bundesdurchschnitt 15,7 Monate. In 5 Bundesländern immerhin über 18 Monate. Das sind Durchschnittswerte. Dies bedeutet: Einige Laufzeiten sind besser, andere aber auch deutlich schlechter. Zwei bis drei Jahre Verfahrensdauer in einer Instanz sind in meiner anwaltlichen Praxis auch in neuerer Zeit zu beobachten. Meine Damen und Herren! Das ist – bezogen auf den Bundesdurchschnitt – keine Entscheidung mehr in angemessener Frist. Und das empfinden nicht nur die Anwälte und die Parteien so, sondern auch die Richter (jedenfalls die Zivilrichter). So hat das Landgericht München I den Freistaat Bayern zu Schadenersatz wegen Amtshaftung verurteilt, weil die richterlichen Kollegen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in einem Prozess gegen einen straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluss nicht in angemessener Zeit prozessfördernde Maßnahmen getroffen hatten. LG München I, Urteil vom 12.01.2005 – 9 O 17286/03.

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2. Handlungsbedarf besteht aber auch ganz unmittelbar aus der Sicht der Richter selbst. Horst Sendler hat vor etwa fünf Jahren in einem Vortrag zum selben Thema prognostiziert, die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei „auf dem besten Wege, sich selbst überflüssig zu machen“. Dies mag so sicher übertrieben sein. Aber die Verwaltungsgerichtsbarkeit verliert doch unzweifelhaft an Bedeutung. Auch jenseits des leidigen Themas des Sozialrechts (Hartz IV) hat der Gesetzgeber – von vielen vielleicht unbemerkt – interessante und zukunftsträchtige neue Materien des Verwaltungsrechts nicht den Verwaltungsrichtern, sondern den Kartellgerichten zugewiesen. Und er tut dies zunehmend. – Zu nennen ist hier das Vergaberecht, das schon 1998 in das GWB implementiert wurde. – Zu nennen ist auch das Energiewirtschaftsrecht. Die im Vermittlungsausschuss soeben erzielte Einigung über die Novelle des EnWG weist die Zuständigkeit – trotz starker Parallelen des Rechts zum Post- und Telekommunikationsrecht – den Kartellgerichten zu, nicht den Verwaltungsgerichten. – Für das Telekommunikationsrecht, das immerhin für einige zusätzliche Planstellen beim Verwaltungsgericht Köln gesorgt hat, sind zwar die Verwaltungsgerichte noch zuständig. Nach einer Entschließung des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2004 soll auch diese Materie aber in fünf Jahren den Kartellgerichten zugewiesen werden. Und dies, obwohl dieses Rechtsgebiet nunmehr teilweise planungsähnliche Strukturen erhalten und damit noch mehr als vorher spezifisch verwaltungsrechtlichen Charakter hat. Begründung des Parlaments auch hier: Die überlangen Laufzeiten bei den Verwaltungsgerichten. Rechtlich spricht man hierbei von einer „abdrängenden Sonderzuweisung“ oder von „funktionaler Verwaltungsgerichtsbarkeit“, welche die Oberlandesgerichte hier ausüben. Dies deutet die rechtspolitische Dimension nur an. Die betreffenden Materien – obschon unzweifelhaft verwaltungsrechtliche Materien – werden von den Verwaltungsgerichten abgedrängt. Verwaltungsrechtliche Streitigkeiten wandern in zunehmendem Maße vor die ordentlichen Gerichte. Diese übernehmen – obschon für Zivil- und Strafrecht konzipiert – die Funktion der Verwaltungsgerichte. Die verwaltungsrechtlichen Fachanwälte können hierauf reagieren. Sie wandern mit. Viele renommierte Vergaberechtler sind Verwaltungsrechtler, die jetzt halt vor den Kartellgerichten vergaberechtlich tätig sind. Für die Verwaltungsrichter gilt dies nicht. 3. Schließlich hat der Handlungsbedarf auch eine dritte Komponente: Die Durchsetzbarkeit von rechtspolitischen Maßnahmen, die von der Verwaltungsgerichtsbarkeit mehrheitlich als sinnvoll angesehen werden, wie zum Beispiel

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die Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten, oder gar die Forderung nach einer funktionsgerechten und damit verbesserten Ausstattung der Justiz – diese Forderungen rücken bei einer öffentlichen Wahrnehmung der Verwaltungsgerichtsbarkeit als „ineffizient“ in weite Ferne. Motto: Man soll erst einmal seine Hausaufgaben machen, bevor man nach dem Gesetzgeber ruft. Der jüngste Bericht des Ausschusses „Justizreform“ im Deutschen Anwaltverein vom Mai 2005 hat dies – nicht sehr viel vornehmer – ausgedrückt, indem er sagte, bevor man an Reformen denken könne, seien erst einmal „die hausgemachten Defizite zu analysieren, mit der Praxis offen zu diskutieren und zu überwinden,“ Und der Ausschuss lässt keinen Zweifel, wo er diese Defizite ausmacht: nämlich allein bei den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten. Verbal wird hierbei die „Rote Laterne“ eindeutig den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Während die Erledigungszeiten der Sozialgerichte und der Finanzgerichte jeweils als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet werden, erhalten diejenigen der Verwaltungsgerichte vom Ausschuss das Etikett „völlig unakzeptabel“. Meine Damen und Herren! Man mag über diese Kennzeichnung denken, wie man will. Und ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich diesen einseitigen Schwarzen Peter nicht für richtig halte. Dem liegt eine etwas eigenwillige Auswertung der amtlichen Statistiken zugrunde. So wird übersehen, dass die durchschnittlichen Laufzeiten bei den Oberverwaltungsgerichten im Bundesdurchschnitt deutlich kürzer sind als bei den Landessozialgerichten. Auch bei den Gesamtlaufzeiten sind die Verwaltungsgerichte jedenfalls nicht das Schlusslicht. Aber: Diese Aussagen belegen doch die tatsächlich vorhandene öffentliche Wahrnehmung. Bei solcher Außenwahrnehmung der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann auf Abhilfe der beobachteten Missstände durch einen Ruf nach dem Gesetzgeber oder dem Finanzminister nicht gehofft werden. Es gilt deshalb, zu reagieren. Und zu fragen, ob denn tatsächlich alle Kritik nur pauschal und unberechtigt ist und ob man sich nicht auch selber um Missstände kümmern, diese abändern und selbst verbessern kann (und wer will schon von sich behaupten, dass er dies nicht könne). Tut man dies nicht, wird man auch für berechtigte Anliegen in der Politik, in der Öffentlichkeit keine Unterstützung finden. 3. Die Reaktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist also überfällig. Und sie liegt jetzt vor. Und sie zeigt für mich jedenfalls eines sehr deutlich: Die Verwaltungsrichter sind sich ihrer Verantwortung für die Qualität ihrer Entscheidungen, ihrer Bedeutung für die Parteien, sehr bewusst. Und das sollte nicht zerre-

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det werden. Weder zwischen Richtern und Anwälten noch innerhalb der Richterschaft selbst. Wir haben Ihnen zwei Papiere austeilen lassen: Das so genannte Mannheimer Positionspapier der Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte beziehungsweise der Verwaltungsgerichtshöfe der Länder und das von einer nordrhein-westfälischen Arbeitsgruppe von Richtern vorgelegte Arbeitspapier „Qualitätsdiskussion in der Verwaltungsgerichtsbarkeit“. Das Mannheimer Positionspapier hat in knapper Kürze (eine Seite) Standards verwaltungsrichterlicher Arbeit aufgelistet. Ich brauche sie nicht zu wiederholen. Sie liegen Ihnen vor. Das Arbeitspapier „Qualitätsdiskussion“ ist aus der Richterschaft selbst heraus erarbeitet worden. Dieses Papier unternimmt – nach meinem Verständnis – den Versuch, das aufzulisten und zu entwickeln, was Herr Sendler seinerzeit als die so genannten „Sekundärtugenden“ bezeichnet hat: nämlich eine effiziente Selbstorganisation der eigenen Arbeit. Das Papier setzt damit an einer Stelle an, an der auch aus meiner Sicht ein sehr viel größeres Potential zur Behebung des Problems der Verfahrensdauern liegt als durch zahlreiche VwGO-Novellen. Jede noch so sinnvolle Änderung des Verfahrensrechts läuft leer, wenn sie nicht sinnvoll gehandhabt wird. Und dies setzt eine sinnvolle Selbstorganisation der eigenen Arbeit voraus. Ein weiteres kommt hinzu: Angesichts der Haushaltslagen der öffentlichen Hände ist die richterliche Arbeitskraft und Arbeitszeit – mehr denn je – eine knappe Ressource. Einen verstärkten Personaleinsatz wird es nicht geben. Dies mag man beklagen. Ändern wird man hierdurch nichts. Ziel kann es deshalb nur sein, wie in Ziffer 1.1.1 des Papiers der Arbeitsgruppe auch zum Ausdruck gebracht wird, „durch besseren Einsatz der gegebenen knappen Ressourcen Verfahren zügiger und effektiver zu bearbeiten“.

4. Die Formulierung von „Standards“ im Mannheimer Positionspapier hat in der Richterschaft offensichtlich eine gewisse Bedeutung erlangt. Kritisiert wird, dass es sich bei den Standards um Vorgaben handele, die „binden wollen, die auf allgemeine Gültigkeit gerichtet sind und Maßstäbe setzen, an Hand derer zu bewerten ist“. Ich bin mir schon nicht sicher, ob das Mannheimer Positionspapier wirklich Verhaltensnormen oder Beurteilungsmaßstäbe setzen wollte. Es beschreibt vielmehr Notwendigkeiten und Erfordernisse für eine dem Justizgewährungsanspruch genügende Rechtsprechung. Sein Ziel ist es, Vorurteile in der Öffentlichkeit zu beseitigen. Dies bedarf einer klaren, deutlichen Sprache. Einschränkun-

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gen, Relativierungen und Abwägungsvorbehalte werden in der Öffentlichkeit nicht ernst genommen. Hinter der Kritik an dem Positionspapier steht – mehr oder weniger deutlich – die Befürchtung, die richterliche Unabhängigkeit werde durch solche Standards unzulässig beschränkt. Ich kann eine solche Einschränkung nicht erkennen. Die richterliche Unabhängigkeit ist ohne jeden Zweifel ein hohes Gut, eine rechtsstaatliche Errungenschaft im Interesse – und zwar allein im Interesse – der Rechtssuchenden. Sie muss daher entschieden gegen Angriffe – auch faktische Einschränkungen – verteidigt werden. Aus diesem Grund muss nach meiner Überzeugung etwa Forderungen nach einer erleichterten Versetzbarkeit von Richtern mit allem Nachdruck widersprochen werden. Sicher ist aber auch, dass die richterliche Unabhängigkeit nicht als Gegenpol zu der Forderung nach kurzen Verfahrenslaufzeiten, nach zeitnahen Entscheidungen ins Feld geführt werden kann. Dieses Verständnis wäre ein arges Missverständnis. Richterliche Unabhängigkeit ist untrennbarer Bestandteil der rechtsstaatlichen Verpflichtung zur Justizgewähr. Diese Verpflichtung zur Justizgewähr umfasst als ihren Kern – neben der Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung – „das Gebot einer richterlichen Entscheidung überhaupt und in angemessener Frist“. Papier, NJW 1990, 8 (9). Dies folgt schon verfassungsrechtlich aus Artikel 19 Abs. 4 GG, ist gesetzlich verankert in § 26 Abs. 2 Deutsches Richtergesetz, auf der europäischen Ebene durch Artikel 6 EMRK vorgegeben und findet in der VwGO unter anderem seinen Niederschlag in dem Gebot der §§ 116 Abs. 2, 117 Abs. 4, die richterliche Entscheidung innerhalb einer dort vorgesehenen Frist abzusetzen. Meine Damen und Herren! Wir haben also für zeitnahe Entscheidungen längst Standards, die in ihrer Verbindlichkeit keinem Zweifel unterliegen. Diese Pflichten binden den Richter selbst im Kernbereich der richterlichen Tätigkeit. Es ist deshalb ausdrückliche Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes, dass sogar eine dienstaufsichtliche Beanstandung von unangemessen langen Absetzungsfristen zulässig ist. Dienstaufsichtlich beanstandet werden kann auch, dass ältere Sachen verzögerlich terminiert werden BGHZ 90, 41 (44 ff.); 93, 238 (244) oder dass die Terminierung nur nach der Reihenfolge der Eingänge – ohne Rücksicht auf die Dringlichkeit der Sache – erfolgt. Erforderlich ist nur, dass dies jeweils losgelöst von der Rechtsfindung in den betreffenden Fällen geschieht.

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5. Ich möchte nun zu einigen Punkten aus den beiden Papieren kommen. Selbstverständlich kann ich nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Ich will nur einige Anstöße für die Diskussion geben. 1. Beide Papiere beklagen – sehr zu Recht – die durchschnittliche Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren. Man kann dies nicht genug unterstreichen. Es ist gut und notwendig, dass dies auch in den Papieren erkannt und betont wird. Allerdings: Manche Kontakte mit Richtern vermitteln mir den Eindruck, dass diese Frage in der Richterschaft doch noch nicht von allen gleichermaßen als wichtig angesehen wird. Kennzeichnungen wie die, es gehe letztlich doch nur um Forderungen nach einem „kurzen Prozess“, klingen eher nach innerer Abwehr. Damit wird – so glaube ich – die fundamentale Bedeutung der Verfahrensdauer für die Parteien schlicht verkannt. Es ist ja nicht so, dass es nur einzelne Verfahren sind, die überlange dauern. Das eigentliche Problem liegt darin, dass – bedingt durch Spezialzuständigkeiten – überlange Verfahrensdauern bei einzelnen Spruchkörpern ganze Rechtsgebiete betreffen. Und denken Sie an Verpflichtungsklagesituationen: Wenn wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache der vorläufige Rechtsschutz in der Regel ausfällt, dann führt die überlange Verfahrensdauer dazu, dass der Rechtsschutz insgesamt ausfällt. Es ist unbestreitbar, dass es – wie in Ziffer 1.1.2 des Arbeitspapiers ausgedrückt – um die „erfolgreiche Verknüpfung“ einer angemessenen Verfahrensdauer mit der inhaltlichen Qualität der Entscheidung sowie Fairness und Transparenz der Verfahrensgestaltung gehen muss. Eine Rechtsprechung, die die Schnelligkeit der Erledigung allem anderen überordnet, wird niemand wollen können. Eine richterliche Entscheidung, die – formal korrekt – das Brett an der dünnsten Stelle bohrt (etwa einem formalen Begründungsmangel) und auf diese Weise eine schnelle Erledigung erzeugt, den Streitstand aber nicht abschließend bereinigt, sondern den Folgeprozess um die weiter ungeklärte materielle Frage gleichsam vorprogrammiert, gibt den Parteien Steine statt Brot. Ebenso richtig ist allerdings auch, dass man nicht vorschnell der Verlockung erliegen sollte, Schnelligkeit und Qualität beziehungsweise Richtigkeit der Entscheidung in einen Gegensatz zu bringen. Hier können die Ausführungen von Horst Sendler aus dem Jahre 1999 nur zur Lektüre empfohlen werden. Der Trugschluss, dass schnell und richtig Gegensätze seien, mithin schnell als Gegensatz von richtig, also mit falsch zu identifizieren sei, verschafft allzu leicht die Ausrede, jedenfalls nicht schnell zu entscheiden. 2. Besonders wichtig finde ich diejenigen Teile des Papiers der Arbeitsgruppe, die Beschleunigung durch Verbesserung der Arbeitsorganisation erreichen wollen – beginnend bei der Geschäftsverteilung, in Gericht und Spruch-

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körper, über die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und die Terminierung, bis zum Absetzen der Entscheidungsgründe. Gerade der Blick in die Statistik der Erledigungszahlen und – vor allem – der Verfahrenslaufzeiten der einzelnen Bundesländer zeigt, dass es offensichtlich nicht allein eine Frage der jeweiligen Personalausstattung ist, wie lange die jeweiligen Verfahren durchschnittlich dauern. Dies mag vielleicht den Spitzenplatz von Rheinland-Pfalz erklären, einem Bundesland, bei dem die Politik weitsichtig genug war, rechtzeitig für eine ausreichende Ausstattung mit richterlichem Personal zu sorgen. Aber wie lassen sich die in den Statistiken verzeichneten Unterschiede zwischen den übrigen Ländern erklären, die teilweise um mehr als 50 Prozent differieren? Lässt sich wirklich eine lineare Funktion zwischen Personalausstattung und Verfahrensdauer ziehen? Hier bin ich auf die Diskussion gespannt. [. . .] Jedenfalls scheint mir die Schlussfolgerung nahe liegend, dass die Organisation der Arbeit, ihre effektive Ausgestaltung eine wesentliche Ursache für die jeweilige Verfahrensdauer darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt sollte sich auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zu schade sein, neben dem heute angestoßenen Dialog mit der Anwaltschaft auch das Gespräch mit den Kollegen aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu suchen. Es ist immerhin denkbar, dass dort – bei allen Unterschieden zwischen den Gerichtszweigen – Organisationstechniken praktiziert werden, die auch nützliche Instrumente für die Verwaltungsgerichte sein können. 3. Ein solches Instrument ist meines Erachtens der frühe erste Termin. Auch wenn dieses Instrumentarium in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sehr kontrovers beurteilt und unterschiedlich gehandhabt wird, zeigt sich doch, dass hiermit jedenfalls für bestimmte Materien ein außerordentliches Beschleunigungspotential (natürlich nur bei sachgerechter Handhabung) verbunden ist. Jedenfalls für die eigene Arbeitsorganisation hat der frühe erste Termin einen unübersehbaren Vorteil. Er zwingt den Richter, sich frühzeitig Gedanken über die rechtliche Beurteilung des Falles zu machen. Einfach zu lösende Streitigkeiten können auf diesem Wege frühzeitig erledigt werden. Bei aussichtslosen Fällen kann es früher zu einer Klagerücknahme kommen, ohne dass die Sache vorher – gemessen an ihrer Bedeutung – ungebührlich „dickgeschrieben“ wurde. Und selbst wenn im frühen ersten Termin eine Erledigung der Sache nicht möglich ist, wissen die Parteien frühzeitig, welche rechtlichen Aspekte aus Sicht des Gerichts im Vordergrund stehen und können ihren Vortrag hierauf gezielt ausrichten. 4. Zur Diskussion stellen möchte ich, inwieweit die Möglichkeit eines Verfahrensabschlusses durch Vergleich stärker in Erwägung gezogen werden sollte. Es ist sicher richtig, dass die Neigung der Behörden, sich in der jeweiligen Streitsache zu vergleichen, deutlich geringer ausgeprägt ist als bei Naturpar-

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teien. Dies werden auch die ordentlichen Gerichte bestätigen, soweit in ihren Prozessen Behörden beteiligt sind. Andererseits belegt die recht hohe Vergleichsquote vor den Widerspruchsausschüssen etwa des Landes RheinlandPfalz, dass auch hier Lösungen möglich erscheinen. Hier wäre ich auch sehr auf die Meinung der anwesenden Behördenvertreter gespannt. 5. Ich bin weiterhin der Auffassung, dass eine angemessene Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes – auch durch gesetzgeberische Maßnahmen – kein unschicklicher Tabubruch ist, sondern zur weiteren Beschleunigung des Verfahrens führen kann. Die Amtsermittlung wird häufig von Richtern selbst als ein Grund für die längeren Verfahrenslaufzeiten bei den Verwaltungsgerichten im Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit genannt. Also warum hier nicht ansetzen? Um nicht gleich missverstanden zu werden: Mir geht es nicht um die Abschaffung der Amtsermittlung. Es geht nicht darum, den Beibringungsgrundsatz in den Verwaltungsprozess einzuführen und die Unterschiede zwischen Verwaltungs- und Zivilprozess einzuebnen. Im Verwaltungsprozess ist die Amtsermittlung wegen des öffentlichen Interesses, das in diesen Verfahren eine besondere Rolle spielt, aber auch wegen der grundsätzlichen Unterlegenheit des gegen den Staat klagenden Bürgers von besonderer Bedeutung. Deshalb sollen die Verwaltungsgerichte – anders als im Zivilprozess – auch bei unstreitigem Sachverhalt ermitteln, wenn sie Zweifel haben. Mir geht es um etwas ganz anderes, nämlich um eine sachgerechte Auferlegung von Substantiierungs- und Mitwirkungslasten. Die Partei soll darlegen, „geltend machen“, wo sie sich beschwert fühlt und wo sie der Schuh drückt. Und nur das soll der Richter richten. Auch bei komplexen Sachverhalten muss die Amtsermittlung aufsetzen auf Anknüpfungstatsachen, die von den Parteien vorgebracht werden müssen. Eine Amtsermittlung, die einen Verwaltungsakt aus Gründen aufhebt, die auch bei Zugrundelegung einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ von den klagenden Parteien gar nicht angesprochen worden sind, überschreitet diese Grenzen. Sie sehen: So sehr unterscheidet sich dies nicht von dem, was in den beiden Papieren mit einer sachgerechten Handhabung der Amtsermittlung gemeint ist. Dies wird von vielen Verwaltungsrichtern auch so praktiziert. Ich erinnere nur an das Umweltrecht, das Regulierungsrecht, das Planungsrecht. Aber auch die Papiere scheinen davon auszugehen, dass dies nicht durchweg beachtet wird. Und dies ist auch nach meinen Beobachtungen keineswegs der Fall. Ich meine, dass man dies deshalb auch gesetzlich regeln kann und sollte. [. . .] Sicher ist hierbei zu bedenken, dass es dem mit rechtlichen Angelegenheiten in der Regel nicht vertrauten Bürger oft nicht möglich ist, die erforderliche Aufklärung eines komplexen Sachverhalts selbst vorzunehmen. Indessen obliegt es – auch jenseits des gesetzlich angeordneten Anwaltszwangs – der Verantwor-

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tung der Partei, in solchen Fällen, in denen sie nicht über eigene Expertise verfügt, für eine hinreichende anwaltliche oder sonstige sachverständige Unterstützung zu sorgen. 6. In beiden Papieren nicht erwähnt ist ein Problem, das ich als besonders drängend empfinde: Ich meine die Handhabung von Hauptsacheverfahren nach bereits durchgeführten Eilverfahren. Es ist eine vielfache anwaltliche Erfahrung, dass auch nach Eilverfahren, in denen die zugrunde liegenden Rechtsfragen intensivst schriftsätzlich bearbeitet und vom Gericht überaus gründlich geprüft wurden, dennoch die Hauptsacheentscheidung teils mehrere Jahre auf sich warten lässt. Jedenfalls dann, wenn im Hauptsacheverfahren keine weitere intensive Tatsachenaufklärung erfolgt, sondern der Sachverhalt im wesentlichen feststeht und allein Rechtsfragen zu klären sind, kann dies bei Anwalt wie Mandanten nur Kopfschütteln hervorrufen. Diese Praxis hat auch inhaltliche Konsequenzen. Bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gilt das Ergebnis des abgeschlossenen Eilverfahrens. Eine höchstrichterliche Klärung kann nur das Hauptsacheverfahren bringen. Verzögert sich dieses, wird den Parteien im Ergebnis die höchstrichterliche Klärung vorenthalten. Hier ist es meines Erachtens geboten, Eilverfahren und Hauptsacheverfahren in einem einheitlichen Termin zusammenzuziehen, in dem erörtert und mündlich verhandelt wird. 7. und letztens: Ein besonderes Problem ist der vorläufige Rechtsschutz bei Verpflichtungsklagesituationen. Hier wirken sich wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache die langen Laufzeiten verwaltungsgerichtlicher Hauptsacheverfahren besonders nachhaltig aus. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Bei einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist dem Genehmigungsantrag nur teilweise entsprochen worden. Die Abweichungen sind für die Investitionsentscheidung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung. Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache abgelehnt. Wann das Gericht in der Hauptsache entscheiden wird, ist nicht abzusehen. Auf Frage des Investors muss ihm der Anwalt sagen, mit einer Verfahrensdauer pro Instanz von unter einem Jahr könne nach der amtlichen Statistik allenfalls in Rheinland-Pfalz gerechnet werden; in seinem Bundesland liege sie deutlich höher. Das Beispiel zeigt: Wenn hier nicht vorläufiger Rechtsschutz ermöglicht, das heißt die Hürde der Vorwegnahme der Hauptsache gesenkt wird, findet bei solchen Verfahrensdauern in der Hauptsache ein tatsächlich wirksamer Rechtschutz schlechterdings nicht statt. Das Hauptsacheverfahren jedenfalls kommt zu spät. Im Telekommunikationsrecht hat der Gesetzgeber reagiert und insofern eine sinnvolle – allerdings handwerklich schlecht gemachte – Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache normiert. Hierüber sollte allgemein nachgedacht werden.

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6. Zum Schluss möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nur noch auf Seite 17 des Papiers der Arbeitsgruppe Qualitätsdiskussion lenken. Ich meine Ziffer 7.4. Dort wird eine Beteiligung der Verwaltungsrichter an den Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein wegen ihrer Bedeutung für die Außendarstellung der Gerichtsbarkeit empfohlen. Wir als Arbeitsgemeinschaft begrüßen dies natürlich sehr, zumal unsere Veranstaltungen davon nachhaltig profitieren. Der Tag heute zeigt dies. Ich hoffe auch, dass Sie sich rege an der Diskussion beteiligen. Die Einschränkung der Arbeitsgruppe, insoweit müssten die dienstlichen Belange beachtet und die richterliche Unparteilichkeit gewahrt bleiben, sollte Sie nicht hindern. Auch die Neutralität müssen Sie nicht wahren. Schließlich reden Sie – auch – in eigener Sache. Ich freue mich auf die Diskussion und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

VII. Gespräch mit Herrn Dr. Michael Bertrams, Präsident des Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (seit 1994), bundesweit zuständig für die Binnenmodernisierung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, davor Richter am Bundesverwaltungsgericht (1990–1994), Richter am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (1982– 1989), Richter am Verwaltungsgericht Köln (1975–1982), Parlamentarischer Assistent am Deutschen Bundestag (1974–1975), am 26. Juli 2005 von 13:00 bis 14:30 Uhr im Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. (Gedächtnisprotokoll anhand einer Mitschrift von Stichworten während des Gesprächs. Ergänzend sei auf die Veröffentlichungen von Herrn Dr. Bertrams zum Thema der Verfahrensdauer verwiesen, die im Literaturverzeichnis angegeben sind.) Andreas Steger: Welche Ursachen sind Ihrer Meinung nach maßgeblich für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer? Dr. Bertrams: Hauptursache für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauern bei den Verwaltungsgerichten in Nordrhein-Westfalen ist der massive Anstieg der Asylverfahren in den 1990er Jahren, der zu hohen Anhangszahlen geführt hat, die bis heute nicht restlos abgebaut werden konnten. Anders als beispielsweise in Rheinland-Pfalz wurde in Nordrhein-Westfalen und einigen anderen Bundesländern nicht rechtzeitig durch die Einstellung von mehr Richtern auf diesen extrem hohen Anstieg der Eingangszahlen reagiert. Darüber hinaus wurde in Rheinland-Pfalz auch nach dem Nachlassen der Eingangszahlen

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die Zahl der Richterstellen nicht sofort wieder reduziert, so dass es in diesem Bundesland heute kaum noch Altverfahren und erheblich bessere Verfahrenslaufzeiten gibt als in Nordrhein-Westfalen. Einige Rechtsanwälte, insbesondere solche, die noch nie mit Asylverfahren befasst waren, haben immer wieder eine zu hohe Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte als Hauptursache für die langen Verfahrenslaufzeiten angeführt. Dabei haben diese Anwälte jedoch nicht berücksichtigt, dass in der weitaus überwiegenden Mehrzahl aller Asylverfahren, die über viele Jahre hinweg einen Großteil der Belastung der Verwaltungsgerichte ausgemacht haben, das – unausgesprochene – Ziel vieler Rechtsanwälte war, die Verfahren so lange wie möglich hinauszuzögern. Dadurch wollten sie den Status der Asylbewerber möglichst lange erhalten. Vor diesem Hintergrund war und ist das Problem der Kontrolldichte von nachrangiger Bedeutung für das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauern. Obwohl die Verwaltungsgerichte in den 1990er Jahren sehr hohe Erledigungszahlen hatten, sind sie aufgrund der hohen Zahl der Asylverfahren buchstäblich „abgesoffen“. Inzwischen haben sich die Verfahrenslaufzeiten jedoch wieder deutlich verkürzt und wir sehen „Licht am Ende des Tunnels“. Allerdings gibt es heute noch immer beträchtliche Laufzeitunterschiede auch innerhalb Nordrhein-Westfalens. So haben einige Verwaltungsgerichte bereits deutlich kürzere Verfahrenslaufzeiten als die übrigen. Dies hat zum einen historische Gründe. Obwohl die Anhangszahlen zeitweise deutlich niedriger waren als an anderen Verwaltungsgerichten, war beispielsweise das Verwaltungsgericht Minden über mehrere Jahre mit einer deutlich günstigeren Richterkraft ausgestattet als die stärker belasteten Gerichte in den Ballungsräumen. Ein eigentlich notwendiger Richterkraftausgleich war seinerzeit aus unterschiedlichen Gründen – beispielsweise fehlende Versetzbarkeit – nicht möglich. Davon abgesehen zeichnen sich die Richter an den Verwaltungsgerichten mit günstigeren Laufzeiten in der Regel durch ein besonders pragmatisches und zügiges Herangehen an die Sache aus, während bei einigen Richtern an den anderen Gerichten gelegentlich eine gewisse Theorie- und Kopflastigkeit festzustellen ist. Die Gerichte mit günstigeren Laufzeiten haben zudem eine besondere Soziologie. Sie zeichnen sich durch ein ausgesprochen gutes kollegiales Klima aus, was nicht bedeutet, dass nicht auch an den anderen Gerichten ein gutes kollegiales Klima herrscht. Außerdem sind die in puncto Verfahrensdauer besser positionierten Verwaltungsgerichte besonders aufgeschlossen für innovative Überlegungen. Man wittert dort nicht hinter jeder Neuerung einen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit. Eventuell führt bei einigen Gerichten auch die fehlende Universitätsnähe dazu, dass mitunter etwas weniger akademisch gehandelt wird. [An dieser Stelle betonte Dr. Bertrams, dass er im Rahmen des Projekts Binnenmodernisierung vor kurzem alle sieben Verwaltungsgerichte in Nordrhein-

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Westfalen besucht und mit der Richterschaft intensive Diskussionen geführt habe. Der dabei von einer einzelnen Richterin geäußerten Vermutung, die kürzeren Verfahrenslaufzeiten an zwei Gerichten seien unter Umständen auf weniger gründliche Entscheidungen und eine geringere Qualität der Rechtsprechung zurückzuführen, habe er entschieden widersprochen.] Andreas Steger: Sind die Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen technisch hinreichend ausgestattet? Dr. Bertrams: Die technische Ausstattung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit EDV, Internetzugang, Juris und anderem lässt nichts zu wünschen übrig; sie ist hoch modern und funktioniert gut. In Kürze wird für einen Großkunden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ein elektronisches Postfach eingerichtet. Die Serviceeinheiten arbeiten hervorragend. Die Richter können auch von zu Hause aus kostenlos auf Juris zugreifen und damit auch von zu Hause aus effektiv arbeiten. Andreas Steger: Inwieweit trägt das Verhalten der Rechtsanwälte und Sachverständigen zum Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer bei? Dr. Bertrams: Das Verhalten mancher Rechtsanwälte trägt – insbesondere in Asylverfahren – zweifellos zu einem Anstieg der Verfahrensdauer bei. Man muss aber differenzieren: Es gibt eine Mehrheit engagierter und seriöser Anwälte, die an einer zügigen Verfahrensdurchführung interessiert sind, und es gibt solche, die es schlicht nicht können oder wollen und dadurch Verfahren verzögern. In welchem Umfang dieses anwaltliche Verhalten zu einem Anstieg der Verfahrensdauer geführt hat beziehungsweise führt, lässt sich nur schwer quantifizieren. Eine Mitursächlichkeit ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Eine Verzögerung von Verfahren durch das Verhalten von Sachverständigen ist innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit kein so großes Problem wie etwa in der Sozialgerichtsbarkeit. Von Einzelfällen abgesehen, spielt das Sachverständigenverhalten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Blick auf die Verfahrensdauer keine Rolle. Andreas Steger: Was halten Sie von einer Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes? Dr. Bertrams: Der Amtsermittlungsgrundsatz ist in der Verwaltungsgerichtsbarkeit unverzichtbar. Wie in dem Positionspapier „Standards verwaltungsgerichtlicher Arbeit“ der OVG/VGH-Präsidenten und des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts betont, rücken wir jedoch einer hypertrophen Amtsermittlung im Rahmen der Binnenmodernisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu Leibe. Extreme Einzelfälle, wie die Nichtigerklärung einer Satzung aufgrund falscher Farben im Landeswappen, schaden dem Ansehen der Verwaltungsgerichtsbarkeit erheblich. Insgesamt stellt die mit dem Amtsermittlungsgrundsatz zusammenhängende Kontrolldichte jedoch heute keinen wesentlichen Faktor für die Dauer von Gerichtsverfahren dar.

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Andreas Steger: Halten Sie Dienstzeiten für sinnvoll und für mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar? Dr. Bertrams: Von Dienstzeiten für Richter halte ich gar nichts. Viele Richter arbeiten an Wochenenden, Feiertagen und sogar während ihrer Ferien. Bei einer festgelegten Arbeitszeit würden viele Richter vermutlich weniger arbeiten, als dies heute der Fall ist. Das Klischee vom Tennis spielenden Richter stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein. Außerdem wäre die Festlegung von Dienstzeiten ein Eingriff in die Kultur des Artikels 97 des Grundgesetzes. Andreas Steger: Verliert die Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgrund der langen Verfahrensdauer an Bedeutung? Dr. Bertrams: Die Gefahr ist groß. Die Verlagerung der Sozialhilfeverfahren, einer Kernmaterie der Verwaltungsgerichtsbarkeit, von den Verwaltungsgerichten auf die hoch belasteten Sozialgerichte weist in diese Richtung. Diese Verlagerung hat den Verwaltungsrichtern überdies gezeigt, dass sie keine Lobby haben. Trotz hervorragender Laufzeiten in Bereich der Sozialhilfeverfahren haben bestehende Vorurteile, die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei nicht bürgernah und „kundenorientiert“ genug, zu dieser Verlagerung geführt. Um diffuse Vorurteile gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit abzubauen und um einen weiteren Bedeutungsverlust der Verwaltungsgerichte zu verhindern, versuchen wir im Rahmen der Binnenmodernisierung zum einen eine inhaltliche Verbesserung der Gerichtsbarkeit, zum anderen aber auch eine Verbesserung der Außendarstellung. Andreas Steger: Wie stehen Sie zu mediativen Elementen im und außerhalb des Verwaltungsprozesses? Dr. Bertrams: Die sieben Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen und das Oberverwaltungsgericht finanzieren aus dem eigenen Etat eine Mediationsschulung für das Erlernen der gerichtsinternen Mediation. Die Mediation soll zukünftig in Fällen angewendet werden, die sich dafür eignen. Hier stehen wir aber noch am Anfang. Andreas Steger: Was halten Sie von einer Untätigkeitsbeschwerde beziehungsweise Beschleunigungsbeschwerde in der Verwaltungsgerichtsbarkeit? Dr. Bertrams: Nichts. Das Problem ist nicht die Untätigkeit der Richter, sondern fehlende Kapazitäten oder andere Defizite, die auch durch eine Beschwerde nicht beseitigt werden. Andreas Steger: Hatten Sie in der Praxis bereits etwas mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist) zu tun? Dr. Bertrams: Ja. Es gibt Rechtsprechung zu diesem Thema. Die Norm wird gelegentlich in einzelnen Verfahren angeführt.

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Andreas Steger: Welche weiteren Möglichkeiten zur Verkürzung von Gerichtsverfahren könnten ergriffen werden und was halten Sie von diesen Maßnahmen? Dr. Bertrams: Ein zentraler Punkt innerhalb der Binnenmodernisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist die Verstärkte Nutzung des frühen ersten Termins im Sinne einer frühen ersten Kontaktaufnahme mit den Beteiligten. Dies wird bereits praktiziert und soll weiter ausgebaut werden. Mit diesem Instrument wird den Beteiligten früh signalisiert, dass sich das Gericht ihrer Sache angenommen hat und welche Streitpunkte es für entscheidend hält. Den Anwälten wird durch ein solches frühes Feedback ermöglicht, besser mit ihren Mandanten zu kommunizieren und sich auf die Kernfragen zu konzentrieren. Nach einer solchen frühen ersten Kontaktaufnahme des Gerichts mit den Beteiligten geht zugleich ein Teil der Verantwortung für die Laufzeit eines Verfahrens auf die Beteiligten über. Durch eine frühe Konzentration auf die Kernfragen kann eine Menge Ballast abgeworfen werden. Dies ist ein Beispiel für eine praktische Handhabung des Amtsermittlungsgrundsatzes. Vereinzelt bemerkt man bei einem solchen frühen ersten Termin ein gewisses retardierendes Verhalten einzelner Beteiligter, die bisweilen gar nicht an einer schnellen Klärung des Streits interessiert sind. Für die Mehrzahl aller Beteiligten gilt jedoch, dass nur schnelles Recht wirkliches Recht ist. Problematisch erweist sich zurzeit noch die hohe Anzahl von Altverfahren aus der Vergangenheit, die einen frühen ersten Termin und die damit verbundene frühe Aufbereitung eines neu eingegangenen Verfahrens erschweren. Oft fehlt es an der dafür erforderlichen Zeit, auch wenn der frühe erste Termin nicht bedeutet, die Sache in jeder Hinsicht abschließend zu bewerten. Bewährt hat sich ein „Reißverschlusssystem“, das die Bearbeitung alter und neuerer Fälle im Wechsel ermöglicht. Im Rahmen der Binnenmodernisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit spielt auch in diesem Zusammenhang die Fortbildung der Richter eine große Rolle. Wir führen zum Beispiel Schulungen in Sachen Zeitmanagement und Organisation sowie zum Thema Kommunikation im Spruchkörper durch. Andreas Steger: Führt der verstärkte Einsatz von Einzelrichtern zu einer Beschleunigung der Verfahren? Dr. Bertrams: Seit der Einführung des fakultativen Einzelrichters werden in einigen Rechtsgebieten in 80 bis 90 Prozent aller Fälle – mitunter sogar ausschließlich – Einzelrichter eingesetzt. Ob dies immer zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer geführt hat, lässt sich nicht eindeutig sagen. Auffällig ist, dass in Nordrhein-Westfalen das Gericht, das die meisten Entscheidungen durch Einzelrichter trifft, zugleich die höchste Verfahrensdauer hat. Eventuell bedarf es auch manchmal der Straffung der Dezernatsarbeit durch einen erfahrenen Kammervorsitzenden.

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Andreas Steger: Können Hauptsacheverfahren nach bereits durchgeführtem Eilverfahren schneller durchgeführt werden? Dr. Bertrams: Das ist mitunter der Fall, insbesondere dann, wenn die Entscheidung im Eilverfahren das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens praktisch vorwegnimmt. Andreas Steger: Ich möchte Ihnen ganz herzlich dafür danken, dass Sie sich so viel Zeit für dieses Gespräch genommen haben.

VIII. Gespräch mit Herrn Dr. Norbert Niehues, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht (1991–2000), davor unter anderem Richter am Bundesverwaltungsgericht (1977–1991), Richter am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen und Richter am Verwaltungsgericht (1964–1977), Leiter der Schlichtungsstelle des Erzbistums Berlin (seit 2001), Verfasser von Standardwerken zum Schul- und Prüfungsrecht, Träger des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, am 22. September 2005 von 9:00 bis 10:30 Uhr in Kleinmachnow (bei Berlin) per Telefon. (Gedächtnisprotokoll anhand einer Mitschrift während des Gesprächs. Der mündliche Sprachstil wurde beibehalten. Ergänzend sei auf das von Herrn Dr. Niehues verfasste Standardwerk zum Prüfungsrecht verwiesen, das im Literaturverzeichnis angegeben ist.) Andreas Steger: Welche Ursachen sind Ihrer Meinung nach maßgeblich für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer? Welche Möglichkeiten zur Verkürzung von Gerichtsverfahren könnten ergriffen werden und was halten Sie von diesen Maßnahmen? Dr. Niehues: Ich möchte zunächst vorausschicken, dass ich seit rund fünf Jahren pensioniert bin, so dass ich manches natürlich nur aus der Erinnerung beantworten kann. Allerdings sind die meisten Probleme nicht neu. Ich habe in Nordrhein-Westfalen für etwa fünf Jahre die so genannten Geschäftsprüfungen im richterlichen Bereich geleitet. Im Auftrag des OVG-Präsidenten habe ich die Richter der Verwaltungsgerichte zunächst einmal schriftlich gebeten, zu den Verfahrenslaufzeiten Stellung zu nehmen, und ich bin auch dahin gereist und habe mir die Akten angeschaut. Anschließend wurde das Ergebnis der Geschäftsprüfung von dem OVG-Präsidenten und der jeweiligen Kammer besprochen. Das ist allerdings inzwischen gut dreißig Jahre her, wird dort aber immer noch so praktiziert, nur dass inzwischen das meiste mit dem Computer erledigt wird. Wir haben das damals zum einen gemacht, um unseren Geschäftsbereich kennen zu lernen und um zu wissen, wo etwas „klemmt“, aber auch um mit den sehr exakten Zahlen in der Politik etwas erreichen zu können. Damals gab es

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aufgrund dieser Zahlen fast jedes Jahr einige weitere Richterstellen. Das auffälligste Ergebnis bei den Geschäftsprüfungen war, dass die kleineren Gerichte deutlich bessere Erledigungszahlen hatten, als die größeren Gerichte. Ich hatte den Eindruck, dass die größeren Gerichte einzelnen Richtern viel eher die Möglichkeit bieten, sich mit ihrer Minderleistung zu verstecken, als die kleineren Gerichte, bei denen mehr gegenseitige Kontrolle stattfindet. Es gibt – und das ist eigentlich auch ganz selbstverständlich – in jedem Bereich und damit auch im richterlichen Bereich gute, schlechte, schnelle, langsame, faule, intelligente und weniger intelligente Menschen. Die Mischung ist hier insgesamt eher günstig, da wir in der Verwaltungsgerichtsbarkeit immer eine große Auswahl an guten Bewerbern haben. Die Zahl der weniger intelligenten ist daher durchweg gering. Wir haben eher zu „kluge“ Leute. Mancher Richter, der zunächst eine wissenschaftliche Karriere gestartet hatte und dann mit guten Examensnoten Verwaltungsrichter wurde, der eher „wissenschaftliche Typ“, hat uns mehr Sorgen gemacht als mancher andere, der ein gar nicht so gutes Examen hatte. Der wissenschaftlich orientierte Richter arbeitet häufig, vor allem in den erstinstanzlichen Verfahren, zu kompliziert. Es ist ja immer eine Gratwanderung zwischen Schnelligkeit und Gründlichkeit. Ein Problem ist es, wenn es jemand nicht gelernt hat, verantwortlich zu entscheiden, wie viel Kraft und Zeit er auf die Lösung eines Falls verwendet. Der eine oder andere Fall reizt gerade dazu, das „große Fass aufzumachen“, was aber oft gar nicht nötig ist. Man soll den Parteien keine wissenschaftliche Abhandlung anbieten, sondern eine schnelle und sachgerechte Entscheidung. Das ist ein Geschäft, das jeder sicherlich erst einmal lernen muss. Da hat es der „wissenschaftliche Typ“ schwerer. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Juristen trotz bester Examina und mit wissenschaftlicher Herkunft im richterlichen Dienst scheitern. Das war damals ganz offensichtlich. Wenn das noch gepaart wird mit einer Situation, wo man sich in der Masse eines großen Gerichts verstecken kann, dann ist das natürlich fatal. Dann sind Geschäftsprüfungen besonders wichtig, wobei natürlich auch die Vorsitzenden der Kammern und die Gerichtspräsidenten gefragt sind. Gerade bei den großen Gerichten war es keineswegs so, dass man mich als „Spion“ oder als „Inquisitor“ der oberen Instanz und des OVG-Präsidenten empfand, sondern dass die jeweiligen Gerichtspräsidenten mich freundlich begrüßt haben und dankbar waren, dass ich ihnen dieses schwierige Geschäft abgenommen habe. Sie waren sehr kooperativ. Ein wichtiger Punkt, der zu langer Verfahrensdauer führt, ist auch der Berichterstatterwechsel. Als Richter hat man häufig Altverfahren. Oft sind das Fälle, die man vom Vorgänger „geerbt“ hat. Das sind in der Regel die Sachen, die besonders alt werden. Eine Sache wird in der Regel dann alt, wenn aufgrund besonderer Ereignisse – wie Dezernatswechsel, Abgang, Umsetzung oder Krankheit eines Richters – die Sache an eine andere Kammer oder in ein anderes Dezernat abgegeben werden muss. Derjenige, der den Fall bekommt, hat

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natürlich auch seine alten Sachen und hängt die zusätzlichen alten Sachen oft erst einmal hinten dran. Dann passiert das Ganze nach einem Jahr noch einmal genauso und so geht das auf fatale Weise weiter. Das führt zu langen Verfahrenslaufzeiten. Das Problem wird zurzeit angegangen, indem zum Beispiel in Berlin ganz radikal solche Altverfahren in eine Kammer gegeben werden, die gar nichts anderes hat und die oft noch gar nichts mit der Materie zu tun hatte. Die dortigen Richter können dann unbefangen von den ganzen versteinerten Problemen, die im Hinterkopf von manchen Richtern sind, die schon lange mit der Sache befasst sind, mutig und frisch an die alten Sachen herangehen. Sie haben den Ehrgeiz und die Möglichkeit, diese Sachen frei von anderen Belastungen zügig zu erledigen. Das hat sich hier in Berlin bewährt. Wenn diese Urteile auch nicht alle Facetten der wissenschaftlichen Erörterung erfassen, ist das gut so und viel erfolgreicher, als wenn ein Richter, der sich seit Jahren mit diesem Fachgebiet befasst hat, erstinstanzliche Urteile von fast 100 Seiten produziert. Der Spruchkörper, der diese Altverfahren abarbeiten soll, muss allerdings so frei sein, dass er Raum dafür hat, sich auf diese Verfahren zu konzentrieren. Damit komme ich zum nächsten Problem: Eine Standardsituation für Verzögerungen ist die, dass ein Richter sich zunächst zwar ernsthaft bemüht, an das alte Verfahren, das er bislang gemieden hat, heranzugehen. Er arbeitet sich dann einige Tage oder eine Woche in einen komplexen Fall ein. Regelmäßig wird er jedoch konfrontiert mit Anträgen auf einstweilige Anordnungen, die schnell erledigt werden müssen. Dann muss er die Akten weglegen und sich erst einmal ans Telefon begeben und diese Eilsachen erledigen. Erst wenn das geschehen ist und nicht wieder eine neue Eilsache dazwischen kommt, kann er sich wieder mit der alten Sache beschäftigen. Das geht ein paar Mal hin und her und irgendwann ist dann der Schwung raus. Das ist eine ganz wesentliche Ursache für solche Verzögerungen. Die Eilverfahren führen also dazu, dass die Verfahrenslaufzeiten länger werden. Das ist ein Teufelskreis, denn die Eilbedürftigkeit vieler Sachen entsteht erst daraus, dass man weiß, dass das Hauptverfahren lange dauert. Wenn man wüsste, es ginge im Hauptverfahren schneller, dann hätte man gar keinen Anordnungsgrund. Da das aber nicht so ist, „beißt sich die Katze in den Schwanz“, indem die vielen Eilverfahren die Hauptsacheverfahren verzögern. Die oben erwähnten besonderen Kammern für Altverfahren – ich nenne sie mal „Beschleunigungskammern“ – sollten daher eine Materie bearbeiten, bei der sie möglichst frei sind von einstweiligen Anordnungen. Das ist natürlich nicht leicht, da es auch in den Fällen, die sie bearbeiten, zu einstweiligen Anordnungen kommen kann. Andreas Steger: Ist die Reduzierung der Kontrolldichte und die Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes eine Möglichkeit, die Verfahrensdauer zu verkürzen? Dr. Niehues: Dazu könnte ich jetzt eine ganze Menge sagen. Es hat immer wieder Versuche gegeben, die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte zu be-

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grenzen. Da stößt man sehr schnell an verfassungsrechtliche Grenzen. Beurteilungsspielraum und Einschätzungsprärogative sind die damit zusammenhängenden Rechtsbegriffe. Die Versuche, die Kontrolldichte zu begrenzen, sind immer an Karlsruhe gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht hat ihnen Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes vorgehalten. Da ist kein Weiterkommen, solange das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung nicht ändert. Ich möchte Ihnen einmal ein Beispiel aus dem Prüfungswesen nennen: Bei einer Klausur kam es zu einer Lärmstörung durch Baulärm von einer halben Stunde. Daraufhin hat der Aufsichtführende angeordnet, dass eine halbe Stunde nachgeschrieben wird. Dass nachgeschrieben werden musste, war klar. Nur die Einschätzung, ob eine halbe Stunde, 25 oder 40 Minuten nachgeschrieben werden sollte, war offen. Meiner Ansicht nach ist insofern ein Einschätzungsspielraum des Prüfungsamts angebracht. Das hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts so entschieden, aber das Bundesverfassungsgericht hat dessen Entscheidung als nach Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes offensichtlich verfassungswidrig aufgehoben und die Sache zurückverwiesen: Es müsse genau – unter Umständen mit Sachverständigen – geprüft werden, ob 30 Minuten wirklich richtig sind. Trotz dieser strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen kommt es letzten Endes auf die Haltung des einzelnen Richters an. Selbst wenn im Ansatz eine Vollkontrolle aus verfassungsrechtlichen Gründen durchzuführen ist, kommt es beispielsweise bei unbestimmten Rechtsbegriffen immer noch entscheidend darauf an, wie eng oder eher großzügig der Richter – auch wenn er keinen Beurteilungsspielraum konstatiert – die Rechtsanwendung der Behörde hinterfragt. Das ist eine Einstellungsfrage und eine Frage der Ausbildung und Fortbildung der Richter. Die Zeiten, in denen Richter mit dem Anliegen auftraten, es der Verwaltung mal zeigen zu müssen, sind Gott sei dank vorbei. Es müsste jetzt umgekehrt – das ist eine Einstellungsfrage – eine Haltung hinzukommen, die der Einschätzung der Verwaltung zunächst eine gewisse Prärogative einräumt. Wir haben zum Beispiel den eben erwähnten Fall mit der Nachschreibezeit von dem „verfassungsrechtlichen Höhenflug“ auf die rein tatsächliche Ebene heruntergeholt, indem wir mit den sachkundigen Parteien einmütig festgestellten, dass hier ein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz zu berücksichtigen sei. Man muss ja einerseits während der Lärmstörung nicht ganz abschalten, sich andererseits aber nach der Störung wieder einarbeiten. Das gleicht sich so ungefähr aus. Deswegen war es eine vernünftige Reaktion, für 30 Minuten Störung auch 30 Minuten Nachschreibezeit zu geben. So haben wir ohne einen aufwendigen Sachverständigenbeweis der Verwaltung im Ergebnis doch einen Vorrang bei der Einschätzung der Situation gegeben. Wir haben also nicht noch einmal verfassungsrechtlich über die Kontrolldichte diskutiert. Das sind Lösungsansätze, die viel vernünftiger sind, als die ganze Diskussion über die Kontrolldichte erneut aufzurollen.

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Andreas Steger: Sie haben gerade auch die Sachverständigen angesprochen. Führt deren Verhalten auch in manchen Verfahren dazu, dass das Verfahren länger dauert? Dr. Niehues: Es gibt im Verwaltungsrecht nur ganz wenige Bereiche, wo man nicht ohne Sachverständige auskommt. Inwieweit in den anderen Verfahren Sachverständige die Verfahren verzögern, kann ich nicht sagen. Das wird bestimmt sehr unterschiedlich sein. In meinen Tätigkeitsbereichen haben Sachverständige kaum zu Verzögerungen beigetragen. Andreas Steger: Trägt das Verhalten der Rechtsanwälte manchmal zu Verzögerungen bei? Dr. Niehues: Manchmal vielleicht, aber das ist nicht die Regel. Sicherlich kommt es mal vor, dass sie zögerlich sind und mit ihren Schriftsätzen nicht „rüberkommen“. Aber da ist eher die andere Seite das Problem. Die Behörden verzögern häufig die Übermittlung der Akten und Verwaltungsvorgänge. Der Richter kann nichts Vernünftiges unternehmen, bis er nicht die Verwaltungsvorgänge hat. Wenn das manche Behörden verzögern oder wenn das Ganze erst mühsam zusammengesucht werden muss, weil mehrere Behörden beteiligt sind, kann das zu Verzögerungen führen. Zumindest in meiner Zeit als Richter war das Verhalten der Anwälte, abgesehen von Einzelfällen, nicht das Problem. Andreas Steger: Was halten Sie von einer Reduzierung des Instanzenzugs? Dr. Niehues: Der Instanzenzug wurde ja bereits faktisch reduziert durch die Zulassungsberufung. Seitdem bleiben die allermeisten Verfahren bei den erstinstanzlichen Gerichten hängen. Es kommt nur noch sehr wenig in die höheren Instanzen. Die Oberverwaltungsgerichte befassen sich mehr oder weniger nur noch mit Zulassungsfragen. Da wird überhaupt nicht mehr richtig in den Spruchkörpern verhandelt, sondern es geht alles im schriftlichen Zulassungsverfahren, was sicherlich kein Fortschritt ist. Und in weiten Bereichen ist das Bundesverwaltungsgericht quasi abgeschnitten, weil die Sachen mangels Zulassung nicht ans Oberverwaltungsgericht kommen und somit anschließend auch nicht ans Bundesverwaltungsgericht gelangen. Dadurch ist die Funktion des Revisionsgerichts, für eine einheitliche Rechtsprechung zu sorgen und Grundsatzfragen zu entscheiden, weitgehend reduziert worden. Das ist der Preis, den man für die Beschleunigung anscheinend politisch ja auch so hingenommen hat. Andreas Steger: Hat die Zulassungsberufung zu einer Beschleunigung in der ersten Instanz geführt? Dr. Niehues: Eher nein. Die Richter in der ersten Instanz wissen ja jetzt, dass das, was sie machen, sozusagen für die Ewigkeit geschrieben ist, und dass sie entsprechend mehr Verantwortung tragen. Sonst konnte man immer noch sagen, wenn wir mal „daneben geschossen“ haben, dann korrigiert uns die zweite oder spätestens die dritte Instanz. Das macht zwar keiner gern so, aber immerhin ist

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das im Hinterkopf ein Grund zu sagen, jetzt arbeite ich lieber schnell als übergründlich. Nun aber müssen sich die erstinstanzlichen Richter darüber im Klaren sein, dass die Sache in aller Regel nicht mehr in die höheren Instanzen geht. Theoretisch könnten die Zulassungsgründe durchaus dazu führen, dass mehr Sachen hoch gehen, doch das ist nicht die Praxis. Die Hürden sind hoch für die Zulassung. Die Praxis zeigt, dass die Bedeutung der erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte enorm zugenommen hat und die Funktion der Obergerichte, grundsätzliche Fragen zu klären und für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sorgen, entsprechend abgenommen hat. Das muss man so sehen. Den Preis zahlen wir und wir werden mal sehen, wie lange uns das noch schmeckt. Andreas Steger: Kann die frühzeitige Erörterung der Sach- und Rechtslage in einem Erörterungstermin dazu beitragen, die Verfahrensdauer zu verkürzen? Dr. Niehues: Ja. Das haben wir schon vor dreißig Jahren so gemacht. Wenn es irgendwie ging, haben wir möglichst schnell einen Erörterungstermin angesetzt. In vielen Fällen kommt der Bürger in einem Erörterungstermin erstmalig richtig zu Wort. Das Widerspruchverfahren ist häufig mehr oder weniger formal erledigt oder abgehandelt worden. Der Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht ist für den Betroffenen oft die erste Gelegenheit, sich „auszuweinen“ und zu sagen, was wirklich Sache ist. Es kommt sodann häufig zu Klagerücknahmen oder Vergleichen. Man kann das zwar nicht immer erreichen, aber prinzipiell ist das eine gute Lösung. Der Richter muss allerdings auch die Zeit dafür haben. Wenn er gerade einem umfangreichen Fall bearbeitet, für den er wirklich mal eine Woche oder länger Muße braucht, um sich einzuarbeiten, dann hat er keine Zeit, die vielen kleineren Verfahren, die mit einem Erörterungstermin durchaus sachgerecht zu behandeln wären, schnell zu erledigen. Irgendwie ist die Bettdecke da immer ein bisschen zu kurz. Andreas Steger: Gibt es irgendwelche Teile der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die privatisiert werden könnten? Dr. Niehues: Das kann ich mir nicht vorstellen, dass das geht. Andreas Steger: Trägt der Gerichtsbescheid zur Verfahrensbeschleunigung bei? Dr. Niehues: Der Gerichtsbescheid ist ja inzwischen auch schon erwachsen. Er ist damals in den 1970er Jahren positiv aufgenommen worden und hat sich positiv entwickelt. Für die Revisionsinstanz hat das ohnehin keine Rolle gespielt. Andreas Steger: Könnte eine Dienstzeitregelung für Richter zur Verfahrensverkürzung beitragen? Dr. Niehues: Das würde ich zu der Kategorie zählen, die ich eben erwähnte: Fleißige, faule, kluge und weniger kluge Richter. Derjenige, der mehr zur negativen Seite hin tendiert, wird auch bei einer Dienstzeitregelung Mittel und Wege

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finden, seine Zeit vor Ort anderweitig zu gestalten. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es jedoch sehr viele engagierte Richter, die sich auch mit ihrer Tätigkeit identifizieren. Die Dienstzeit würde den einen oder anderen vielleicht eher in ein Korsett zwängen, was die Sache nicht fördert und dazu führen könnte, dass schlichtere Menschen erwägen könnten, wenn meine Dienstzeit zu Ende ist, brauch ich mich um nichts mehr zu kümmern. Das wäre fatal. Denn es ist ja so, dass sich ein Richter mit einem Fall, mit dem er sich tagsüber auseinandersetzt, auch nach 17:00 Uhr im Kopf weiter auseinandersetzt, zum Beispiel wenn er in der U-Bahn sitzt oder nach Feierabend Rasen mäht. Es ist ja nicht so, dass der Arbeitstag nach dem Verlassen des Gerichts zu Ende wäre. Das gilt natürlich für andere Berufsbereiche auch. Durch Dienstzeitregelungen als äußere Zäsur – um 17:00 Uhr fällt der Griffel – würde eher Schaden angerichtet. Manche, mit anderer Mentalität, würden dann versuchen, um 17:00 Uhr abzuschalten, wenn sie es denn könnten. Meistens können die es besser als die anderen. Die Regelung, die wir jetzt haben, hat sich eigentlich bewährt. Andreas Steger: Stellen Nebentätigkeiten von Richtern ein Problem im Hinblick auf das Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer dar? Dr. Niehues: Die Nebentätigkeiten sind im richterlichen Dienst ein heikles Thema. Ich habe selbst auch Nebentätigkeiten gehabt, meist in der Juristenausbildung. Ich habe auch Bücher und Aufsätze geschrieben und an der Richterakademie Vorträge gehalten. Im Prinzip sehe ich das positiv, weil diese Tätigkeit zweierlei bewirkt: Zum einen gibt man auf diese Weise manches weiter an die Nachfolgenden, sei es in der Referendarausbildung, sei es im studentischen Bereich, wo man praktische Erfahrungen weitergeben kann. Positiv ist zum anderen, dass man die Bereiche, in denen man praktisch tätig ist, sich vor einem Kreis kritischer Zuhörer bestätigen lassen kann und dass man kritisch hinterfragt wird. Das sind alles positive Elemente. Demgegenüber ist deutlich zu sehen, dass es eine Grenze gibt, die eingehalten werden muss. Die Gefahr ist nicht gering. Die Nachfrage von Akademien und Verlagen ist groß. Wenn sie erst einmal einen Namen haben, werden sie ständig gebeten, etwas zu machen. Da muss man in der Lage sein, zu sagen: „Bis hierhin und nicht weiter.“ Das ist eine Gratwanderung. Wenn Richter keine Nebentätigkeiten mehr machen dürften, dann könnte die Referendarausbildung gar nicht mehr durchgeführt werden. Auch Prüfungen im Staatsexamen könnten ohne Richter nicht mehr durchgeführt werden. Insgesamt begegnen sich hier mehrere Anliegen von verschiedenen Seiten. Das muss man auspendeln. Es kommt auch an dieser Stelle letzten Endes auf die Haltung des einzelnen Richters an. Dafür sind Gespräche und Fortbildungen der Richter sehr wichtig. Gerade die Frage der Einstellung ist bei Richtern, die ja nur schwer kontrolliert werden können, besonders wichtig auch bezüglich der guten und weniger guten, der übermäßigen und der mäßigen Nebentätigkeiten.

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Andreas Steger: Welche der bisher besprochenen Punkte sind Ihrer Meinung nach die gravierendsten Ursachen dafür, dass manche Verfahren zu lange dauern? Dr. Niehues: Zwei zentrale Punkte würde ich nennen: Einmal das bereits erwähnte, unausgeglichene Verhältnis von Eilverfahren und Hauptsacheverfahren. Zum anderen die Frage der Kontrolldichte. Bei alledem ist die Ausbildung der Richter wichtig. Wir gehen ja immer mehr zum Einzelrichterprinzip über. Zu Beginn meiner Berufstätigkeit haben wir noch 80 bis 90 Prozent in den Kammern erledigt. Heute geht der junge Proberichter, der kaum berufliche Erfahrung hat, schon bald als „Einzelkämpfer an die Front“. Wenn der von Anfang an in die Mühle gerät, immer sehr schnell zu arbeiten, dann bekommt er nie ein ausgewogenes Verhältnis in den Fragen zu Stande, die wir besprochen haben. Andreas Steger: Der Einsatz von jungen Richtern als Einzelrichter führt also zu Problemen bei der Ausbildung und Erfahrungsvermittlung? Dr. Niehues: Junge Einzelrichter haben das Problem, zunächst einmal mit sich selber fertig werden zu müssen. Manche haben das Glück, dass Kollegen, der Kammervorsitzende oder der Präsident helfen. Je mehr wir die Aufgaben auf den Einzelrichter übertragen, desto weniger richterlicher Erfahrung kann vermittelt werden. Andererseits geht es zentral um die Einstellung des einzelnen Richters, die gefördert werden muss, um das richtige, vernünftige Maß von Arbeitsaufwand für die verschiedenen Sachen zu finden. Das kommt nicht von selbst, das muss sich der einzelne Richter erarbeiten. Dafür braucht er die Kommunikation mit älteren Kollegen, die mehr Erfahrung haben, oder Fortbildungsveranstaltungen. Zwar kann es auch bei älteren und erfahrenen Einzelrichtern im Einzelfall Defizite geben. Die Gratwanderung gelingt nicht jedem hundertprozentig. Wir können allerdings nicht mit optimalen Vorstellungen arbeiten, sondern man muss dem angestrebten Ziel möglichst nahe kommen. Den Richtern, die mehr Erfahrung haben, gelingt dies meist etwas besser. Andreas Steger: War das Problem der überlangen Verfahrensdauer in Ihrem Arbeitsumfeld gelegentlich ein Thema und als wie gravierend wird es angesehen? Dr. Niehues: Ja, das ist ein gravierendes Problem. Darunter leidet ein Richter. Es ist nicht so, dass man die alten Sachen einfach so wegschieben kann. Das sind Dinge, die einen sehr berühren. Es kommen auch immer wieder Sachstandsanfragen von den Anwälten, der Vorsitzende der Kammer und der Präsident fragen nach und es kommen Dienstaufsichtsbeschwerden, zu denen man sich äußern muss. Das hat keiner gern. Auch bei richterlichen Beurteilungen spielt die Verfahrensdauer eine Rolle. Es ist nicht so, dass man als Richter bummeln könnte, ohne dass das irgendeinen berührt oder den Richter selbst kalt lassen würde.

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Andreas Steger: Bewirken Dienstaufsichtsbeschwerden bei überlanger Verfahrensdauer eine Beschleunigung? Dr. Niehues: Ja, sofern eine Beschleunigung möglich ist. Dienstaufsichtsbeschwerden haben auf jeden Fall eine psychologische Wirkung. Der Richter muss sich rechtfertigen. Der Rechtfertigungszwang ist nicht von der Hand zu weisen. Kein Richter hat das gern. Das wirft einen nicht um, aber es ist jedenfalls unangenehm und keineswegs zu vernachlässigen. Ein anderer Fall sind natürlich Dienstaufsichtsbeschwerden von so genannten „Querulanten“. Unsachliche und beleidigende Dienstaufsichtsbeschwerden werden von der Verwaltung direkt abgelehnt. Wenn sehr viele Dienstaufsichtsbeschwerden kommen, wird auch bei Beurteilungen darüber nachgedacht, ob das berücksichtigt werden muss. Auch das hat seine Wirkung. Andreas Steger: Könnte eine vergleichbare Wirkung auch durch eine Untätigkeitsbeschwerde erreicht werden? Dr. Niehues: Vielleicht ja. Ich kann mir aber nicht vorstellen, was eine Untätigkeitsbeschwerde effektiv bringen soll. Wenn man ein neues, förmliches Verfahren einführt, kostet das wieder Kraft. Damit würde man nur noch mehr Zeit verbrauchen. Die Möglichkeit, Verzögerungen nachzugehen, gibt es auch anderweitig. Dafür muss man nicht gleich ein förmliches Verfahren einführen. Andreas Steger: Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch und dafür, dass Sie sich so viel Zeit dafür genommen haben.

IX. Gespräch mit Frau Professor Dr. Karin Graßhof, Richterin am Bundesverfassungsgericht (1986–1998), Mitglied der Kommission zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts (1996–1997) und Honorarprofessorin der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn (seit 1996), davor unter anderem Richterin am Bundesgerichtshof (1984–1986), Richterin am Oberlandesgericht Köln (1977–1984), hauptamtliches Mitglied des nordrhein-westfälischen Landesjustizprüfungsamtes (1975–1977), Richterin am Landgericht Bonn (1967–1975), Abordnung an das Bundesjustizministerium (1966–1967), Richterin am Landgericht Kiel (1965–1966), Mitherausgeberin des Bonner Kommentars zum Grundgesetz, am 4. Oktober 2005 von 12:30 bis 13:45 Uhr in Bonn-Bad Godesberg. (Tonbandabschrift: Der mündliche Sprachstil wurde beibehalten.) Andreas Steger: Welche Ursachen sind Ihrer Meinung nach maßgeblich für das Zustandekommen einer überlangen Verfahrensdauer und welche Faktoren führen speziell am Bundesverfassungsgericht zu Verzögerungen von Verfahren? Welche Möglichkeiten zur Verkürzung von Gerichtsverfahren könnten ergriffen werden und was halten sie von diesen Maßnahmen?

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Prof. Dr. Graßhof: Die ersten Fragen sind ja bereits sehr umfassend. Es gibt keine denkbare erschöpfende Aufzählung der Ursachen. Man kann immer nur sagen: „Diese Ursache kann auch maßgebend sein.“ Es fängt damit an, dass die Richter unterschiedlich schnell und konzentriert arbeiten. Es setzt sich damit fort, dass Anwälte unterschiedlich konzentriert vortragen oder auch mal ihr Heil in Anträgen sehen, die das Verfahren verzögern. Besonders interessant sind strukturelle Ursachen, die in der Gestaltung des Verfahrens durch den Gesetzgeber liegen. Da könnte man fragen, ob es nicht Ursachen gibt, die der Gesetzgeber durch die Verfahrensgestaltung beseitigen könnte. Der Gesetzgeber hat sich natürlich Mühe gegeben, indem er Beschleunigungsvorschriften geschaffen hat, wie die Möglichkeit, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Andererseits schafft der Gesetzgeber neue Verzögerungsquellen. Ein Beispiel hierfür ist das Anhörungsrügengesetz, nach dem der iudex a quo die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs vorgetragen bekommt. Das Verfahren muss dann – obwohl in der Instanz zunächst einmal abgeschlossen – vom Richter in Bezug auf die Verletzung rechtlichen Gehörs überprüft werden. Wenn er annimmt, dass das rechtliche Gehör nicht verletzt ist, dann gibt es kein Rechtsmittel, aber die Verfassungsbeschwerde. Ist diese erfolgreich, kommt es vor, dass das Verfahren an diesen Richter zurückverwiesen wird; das „Hauptsacheverfahren“, in dem rechtliches Gehör verletzt sein soll, ist dann zunächst gar nicht betroffen. Dadurch entsteht natürlich eine Verfahrensverzögerung. Wenn man sich mit den Ursachen der langen Verfahrensdauer auseinandersetzt, muss man in erster Linie nach Ursachen suchen, die der Gesetzgeber bewältigen kann, denn nur das macht Sinn. Es macht keinen Sinn zu sagen, einzelne Richter arbeiten insgesamt zu wenig oder zu wenig konzentriert. Unter konzentriertem Arbeiten verstehe ich, dass man sofort auf die Beweiserheblichkeit abstellt und den Fall sofort rechtlich durchprüft, ob man Beweis erheben muss oder nicht. Und dann gibt es natürlich Ursachen auf die man Einfluss nehmen könnte in der Gerichtsorganisation und in der Ausstattung der Gerichte. Das muss nicht unbedingt eine gesetzliche Regelung sein, sondern es spielt auch eine Rolle wie man die Gerichte mit Personal und Sachmitteln ausstattet. Ich denke, dass man da inzwischen sehr problembewusst ist, da man die Gerichte jetzt mit EDV und ähnlichem gut ausstattet. Das Land Baden-Württemberg beispielsweise gibt jedem Richter nicht nur eine komplette Computerausstattung und einen Internetzugang, sondern auch Zugang zu Beck-Online. Das ist für die Richter eine enorme Entlastung, da sie viel seltener in die Bibliotheken laufen müssen. Das sind Dinge, die man durch organisatorische Maßnahmen beeinflussen kann. Die können natürlich zu einer Verfahrensbeschleunigung beitragen. Die technische Ausstattung muss natürlich von den Richtern auch angenommen werden und das ist bei älteren Richtern nicht so ganz selbstverständlich. Mein Eindruck ist,

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dass man hinsichtlich der technischen Ausstattung der Gerichte sehr problembewusst ist und dass die Ausstattung sehr arbeitsökonomisch vorgenommen wird. Das kann ich aber natürlich nicht für alle Gerichte überblicken. Aber zum Beispiel in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Baden-Württemberg ist die Ausstattung bestens. Für das Bundesverfassungsgericht gilt das allemal. Was die Organisation betrifft läuft es dort ganz phantastisch. Da wüsste ich nicht, was man da noch verbessern könnte. Andreas Steger: Tragen die wissenschaftlichen Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht, der so genannte „Dritte Senat“, zur Arbeitsentlastung der Richter und zur Verfahrensbeschleunigung bei? Prof. Dr. Graßhof: Natürlich. Die Mitarbeiter müssen sich allerdings nach den Vorlieben der Richter richten. Da kann es vorkommen, dass ein Richter nur wissen will, ob die Sache begründet oder unbegründet ist. Er verlangt dann von seinen Mitarbeitern, dass auch die Begründetheit geprüft wird, obwohl sie das Verfahren als unzulässig ansehen. So etwas darf eigentlich nicht sein. Die Zulässigkeitsregeln sind auch dazu da, dass Gerichte sich auf die Fälle konzentrieren, die vor das Gericht gehören, und unzulässige Fälle gehören nun einmal nicht vor das Gericht. Und dann kann man nicht irgendwelche „Krümmungen“ machen und doch in der Sache entscheiden. Die Mitarbeiter, die alle jünger sind und durchweg aus der Gerichtsbarkeit kommen, sind daran interessiert, die Sachen möglichst zügig zu erledigen. Was die Ursachen für lange Verfahrensdauer beim Bundesverfassungsgericht betrifft, zeigt sich ein großes Phänomen. Im Jahr gehen so um die 5000 Verfassungsbeschwerden ein. Von diesen 5000 Verfassungsbeschwerden werden die allermeisten ganz schnell erledigt, weil sie unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind. Das geht ganz schnell. Die Verfahren, die Sand im Getriebe sind, die schwierig zu prüfen sind, die bleiben dann zunächst einmal liegen. Der Mitarbeiter hat dadurch viele Erledigungen, der Richter hat viele Erledigungen und das eigentlich schwerwiegende bleibt dann liegen. Das liegt manchmal sehr lange da, weil man da nicht herangehen will. Also ich meine, dass man – wie es ja wohl in der Verwaltungsgerichtsbarkeit üblich ist – von eilbedürftigen Sachen abgesehen, die Verfahren entsprechend dem zeitlichen Eingang erledigt. Dann kann man eben nicht eine Sache, die schwierig ist, erst einmal weglegen und 100 einfache Verfassungsbeschwerden machen. Die 100 einfachen Verfassungsbeschwerden sind eigentlich gar nicht eilbedürftig. Wenn da sowieso nichts dran ist, hängt auch nichts Erhebliches dran. Deswegen hat man beim Bundesverfassungsgericht gerade viele rechtlich schwierige und vielleicht rechtlich abseits liegende Verfahren, die alt werden. Es ist kein Druck dahinter, daran zu gehen. Das könnte man nur dadurch ändern, dass das Bundesverfassungsgericht sich selber Regeln gibt und sich zum Beispiel sagt, wir wollen die Sachen dem zeitlichen Eingang entsprechend bearbeiten. Natürlich gibt es im-

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mer Ausnahmen. Wenn der zweite Senat die Bundestagsauflösung zu entscheiden hat, dann muss er das jetzt entscheiden und dann muss eben einiges andere liegen bleiben. Aber dies gilt ja längst nicht für jedes Verfahren. Das ist eine spezifische Eigenart der verfassungsgerichtlichen Verfahren. Sie sind von sehr unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Andreas Steger: Ist die Verfahrensdauer unter den Richtern am Bundesverfassungsgericht ein Thema? Prof. Dr. Graßhof: Ja schon. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sitzt ja jetzt im Nacken. Natürlich bemüht man sich. Aber es kommt immer wieder vor, dass Sachen erst dann erledigt werden, wenn sie uralt sind. Die Richter wollen sich auch nicht gerne Regeln unterwerfen. Wenn ein Richter besonders interessiert ist an bestimmten Fällen, dann werden diese Sachen oft zuerst entschieden. Dann kann es manchmal sein, dass andere Sachen, die auch bedeutsam sind, liegen bleiben. Ich habe aber keine Hoffnung, dass sich das Plenum entsprechend einigt. Der Gesetzgeber hält sich für die Verfahrensordnung des Verfassungsgerichts an den Grundsatz, dass man gegen den Willen des Verfassungsgerichts nichts regelt. Die Richter am Bundesverfassungsgericht sind aber durchweg schon an einer zügigen Durchführung der Verfahren interessiert. Andreas Steger: Spielt die Kontrolldichte ihrer Ansicht nach für die Verfahrensdauer eine Rolle? Prof. Dr. Graßhof: Bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit habe ich da weniger Einblick. Beim Verfassungsgericht spielt die Kontrolldichte natürlich eine Rolle. Je mehr man kontrolliert, desto schwieriger und umfangreicher wird die Sache. Obwohl das Verfassungsgericht ja praktisch keinen Beweis erhebt. Beweisaufnahmen verzögern ja auch. Das Bundesverfassungsgericht macht natürlich im großen Umfang auch schriftliche Vorbereitungen der Verfahren. Ich glaube nicht, dass da die Kontrolldichte eine wesentliche Rolle spielt. Wenn es erst einmal votiert ist und man sich mit der Frage beschäftigt, wie weit geprüft werden soll, dann ist die wesentliche Verzögerung schon entweder passiert oder nicht passiert. Bis man eine Sache in Angriff nimmt, das dauert beim Verfassungsgericht so lange. Es kann natürlich auch sein, dass eine Sache nach der Vorstellung des Berichterstatters durch eine Kammer erledigt werden soll. Wenn sich eine Kammer nicht einigen kann, dann versucht man vielleicht über eine gewisse Zeit doch noch eine Einigung der Kammer zustande zu bringen. Und wenn es dann doch nicht klappt, dann liegt die Sache erst einmal. Bis die Sache dann für den Senat votiert wird und bis sie dann in den Senat kommt, dauert es wieder erhebliche Zeit und führt zu erheblichen Verzögerungen. Andreas Steger: Es wurde vor einiger Zeit über die Abgabe der Verfahrensbeschwerde an die obersten Bundesgerichte zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

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Prof. Dr. Graßhof: Die Abgabe der Verfahrensbeschwerde an die obersten Bundesgerichte zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts betrifft ja nur die Verfahrensgrundrechte, also rechtliches Gehör, faires Verfahren, gesetzlicher Richter und überlange Verfahrensdauer vielleicht auch. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass dies zu einer erheblichen Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten am Bundesverfassungsgericht führen würde. Vor allem würde dies die Gerichte dazu zwingen, sich sofort richtig mit den Verfahrensgrundrechten zu befassen. Nach meiner Vorstellung sollte ein übergeordnetes Gericht über die Verfahrensbeschwerde entscheiden. Dann ist es natürlich für einen Richter, der normalerweise in einem Verfahren abschließend entscheiden würde – weil es nicht berufungs- oder revisionsfähig ist oder gar kein Berufungsgrund da wäre – sehr viel interessanter, sich damit zu befassen, als wenn er weiß, dass es höchstens in einem Ausnahmefall einmal zum Bundesverfassungsgericht kommt. Diese Regelung würde das Verfassungsgericht erheblich entlasten. Nach meiner Vorstellung wäre ja die Verfahrensgrundrechtsbeschwerde – bis auf rechtsgrundsätzliche Fragen – abschließend. Das wäre natürlich für das Verfassungsgericht eine enorme Entlastung. Aber soweit ist man noch nicht. Die jetzt eingeführte Anhörungsrüge ist ja erst ein erster Schritt dahin. Die Anhörungsrüge führt natürlich zu einer Mehrarbeit bei den anderen Gerichten. Sie hat jetzt schon denselben Aufwand wie nach der eben erwähnten Lösung, nur das sie noch danach die Verfassungsbeschwerde zulässt. Und dann ist die Anhörungsrüge ja noch zunächst beim iudex a quo mit dem Ergebnis, dass er, wenn er einen Flüchtigkeitsfehler begangen hat, die Entscheidung korrigiert. Aber der iudex a quo, der davon überzeugt ist, er könne einen Beweisantrag als verspätet zurückweisen, obwohl es in dieser Sache falsch ist und deswegen einen Gehörsverstoß darstellt, der repariert den Fehler nicht auf die Anhörungsrüge hin. Dann geht das Verfahren ja immer noch weiter. Die Anhörungsrüge hat den Nachteil, dass sie zusätzliche Belastungen für die Fachgerichte bringt, aber das Bundesverfassungsgericht nur ganz unwesentlich entlastet. Das ist bisher noch nicht der richtige Weg. Andreas Steger: Wäre es sinnvoll, den Instanzenzug insgesamt zu verkürzen? Prof. Dr. Graßhof: Es gibt ja heute schon kaum noch volle drei Instanzen. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es inzwischen die Zulassungsberufung. Ich denke, da sind wir auf einem guten Weg. Es muss sich jetzt zeigen, wie oft es notwendig wird, eine Berufung zuzulasssen. Daraus kann man dann Rückschlüsse ziehen, ob man immer mit zwei Instanzen auskommt. Den Instanzenzug sofort drastisch zu reduzieren, würde ich nicht für richtig halten, denn es zeigt sich doch oft, dass in den höheren Instanzen schwerwiegende Fehler behoben werden. Damit ist der Instanzenzug durchaus wichtig. Er ist natürlich nicht von der Verfassung her geboten. Geboten ist eigentlich nur eine Instanz. Allerdings ist für eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch die jeweils letzte Instanz noch einmal eine Kontrolle erforderlich.

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Andreas Steger: In der Literatur wurde einmal die Schaffung eines selbständigen Grundrechtsgerichts gefordert. Was halten Sie davon? Prof. Dr. Graßhof: Das ist Utopie. Ich weiß auch gar nicht, ob das wünschenswert ist. Wir haben ein Grundrechtsgericht. Der Erste Senat ist weitgehend für die Grundrechte zuständig, für einige andere der Zweite Senat. Dieser Vorschlag ist auch nicht ernsthaft im Gespräch. Eher noch könnte man über eine Entlastung des Verfassungsgerichts von Wahlprüfungssachen nachdenken, die eine erhebliche Dauer aufweisen. Andreas Steger: Was halten Sie von der Einführung gesetzlicher Höchstfristen für Gerichtsverfahren? Prof. Dr. Graßhof: Der Einführung gesetzlicher Höchstfristen für Gerichtsverfahren stehe ich sehr aufgeschlossen gegenüber. Man hat bei einigen der neuen Verfassungsgerichte in den ehemaligen Ostblock-Staaten Entscheidungsfristen eingeführt. Andreas Steger: Was passiert, wenn die Gerichte diese Fristen nicht einhalten? Prof. Dr. Graßhof: Über Erfahrungen damit habe ich noch nichts gelesen. Ich gehe davon aus, dass die Fristen durchweg eingehalten werden. Es gibt dort natürlich auch Ausnahmemöglichkeiten, die vielleicht schon einmal erschöpft worden sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man jedes Verfahren innerhalb einer vorgegebenen Frist entscheiden kann, aber man sollte schon irgendwelche Soll-Fristen setzen. Andreas Steger: Können solche Fristen denn dazu führen, dass manche Verfahren länger liegen bleiben, weil sich der Richter sagt, er habe ja noch Zeit? Prof. Dr. Graßhof: Das glaube ich eher nicht. Und wenn es so wäre, dann wäre es ja auch nicht so schlimm. Die Fristen müssen natürlich so sein, dass sie tragbar sind. Damit wird vermieden, dass man die einfachen Verfahren ganz schnell macht und die schwierigen Verfahren liegen lässt. Die schwierigen Verfahren liegen zu lassen finde ich viel schlimmer, als wenn man alle etwas streckt, je nach der vorgegebenen Frist. Andreas Steger: Trägt die Arbeitsweise der Richter zum Zustandekommen überlanger Verfahrensdauer bei? Halten Sie Dienstzeitregelungen für Richter für sinnvoll? Prof. Dr. Graßhof: Ich halte es nicht für schlecht, Dienstzeiten für Richter einzuführen. Es ist aber natürlich so, dass dann auch häufig außerhalb der Dienstzeiten gearbeitet werden muss. Es gibt eben schwierige Verfahren, die lassen einen nicht los. Da kann ich nicht um 17:00 Uhr den Bleistift hinlegen und sagen, jetzt befasse ich mich nicht mehr damit. Gewissenhafte Richter befassen sich gleichwohl damit. Also ist es sehr unterschiedlich. Man kann nicht sagen, dass es durch die Einführung von Dienstzeiten besser wird. Bei manchen Richtern könnte es auch dazu führen, dass sie um 17:00 Uhr Schluss machen,

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obwohl sie, wenn sie zuhause wären, bis 20:00 Uhr arbeiten würden. Das kann man einfach nicht verallgemeinern. Es gibt Richter, die überlegen sich ihre Fälle am besten beim Autofahren. Jeder hat da verschiedene Arbeitsmethoden. Es gibt natürlich aber auch Richter, die nachmittags etwas anderes machen. Andreas Steger: Ist die missbräuchliche Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch so genannte „Querulanten“ ein Problem? Prof. Dr. Graßhof: Das ist im großen Umfang ein Problem. Deswegen gibt es ja auch die so genannte Missbrauchsgebühr, die diesem Missbrauch entgegensteuern soll. Die ist jedoch nicht sehr effektiv. Man müsste etwa wissen, was der Betreffende zahlen kann, was ihn aber dennoch spürbar belastet. Wenn ich einem gut verdienenden Mittelständler, der sich vielleicht als Bäcker bezeichnet, eine Missbrauchsgebühr von 1000 A auferlege, dann lacht der nur. Das hat dann keine Wirkung. Neuerdings gibt es eine Kammer, die erlegt dem Anwalt die Missbrauchsgebühr auf. Dafür gibt es meiner Meinung nach keine gesetzliche Grundlage. Diese Kammermitglieder möchten dem Missbrauch bei bestimmten Anwälten, deren Unfähigkeit sie bereits erfahren haben, entgegensteuern. Dafür sollte man aber dann zumindest eine gesetzliche Grundlage haben. Die Missbrauchsgebühr hilft also insgesamt nur sehr wenig und wird auch nur sehr selten angewandt. Ob sie in Einzelfällen einmal jemanden davon abhält, das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu missbrauchen, erfährt man als Richter gar nicht. Andreas Steger: Ist die Übertragung von Entscheidungen auf Einzelrichter beziehungsweise auf Kammern ein effektives Mittel? Prof. Dr. Graßhof: Natürlich. Ohne die Möglichkeit der Kammerentscheidungen würde man das überhaupt nicht schaffen. Wobei die Kammern eigentlich nur offensichtliche Sachen erledigen sollen. Daran halten sie sich gar nicht. Sie erledigen viel mehr, als sie eigentlich dürfen. Vom Gesichtspunkt der Schnelligkeit und der Entlastung ist das nur gut so. Die Senate wären sonst vollkommen überlastet. Teilweise sind die Kammerentscheidungen bedenklich, weil es oft Fälle gibt, in denen die Entscheidung im Senat anders ausgegangen wäre. Von daher ist es schon bedenklich. Teilweise gibt es Dinge, die etwas schnell gegangen sind. Wenn ein Senat darüber nachgedacht hätte, wäre vielleicht etwas anderes herausgekommen. Von daher hat eine Überlastung auch zur Folge, dass nicht jede Entscheidung gleich durchdacht und überzeugend ist. Andreas Steger: Tragen Sachverständige zur Verfahrensverzögerung bei? Prof. Dr. Graßhof: Es gibt immer wieder Sachverständige beim Bundesverfassungsgericht. Es werden zum Beispiel immer wieder vorbereitende Gutachten vom Max-Planck-Institut für internationales Recht eingeholt, um rechtsvergleichende Gesichtspunkte einzubringen. Das geschieht ziemlich häufig. Wenn der Richter konzentriert arbeitet, entsteht dadurch keine Verzögerung. Wenn man das Gutachten bereits bei der Vorbereitung der Sache in Auftrag gibt, dann

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wird das gleichzeitig angefertigt. Ich habe es nie erlebt, dass Verfahren deswegen länger gedauert hätten. Wenn jedoch der Auftrag für ein Gutachten erst viel später erteilt wird, dann führt das natürlich zu Verzögerungen. Andreas Steger: Glauben Sie, dass die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde zur Verfahrensbeschleunigung beitragen könnte? Prof. Dr. Graßhof: Ich fürchte, dass es durch eine Untätigkeitsbeschwerde zu weiteren Verzögerungen kommt. Dann wird eben zu der Beschwerde vorgetragen und nicht zum eigentlichen Verfahren. Die derzeit geplante Untätigkeitsbeschwerde soll ja so ausgestaltet sein, dass das Verfahren – wenn das Gericht nicht abhilft – in die nächste Instanz geht. Dann wird die nächste Instanz damit befasst, ob es eine Verzögerung war. In der Zeit könnte man ja vielleicht auch die Sache erledigen. Ich könnte mir vorstellen, dass man Folgendes einführen könnte: Wenn die Dauer eines Verfahrens eine bestimmt Grenze überschreitet, setzt eine Dokumentationspflicht des Richters ein. Er muss dann dokumentieren, warum das Verfahren immer noch anhängig ist. Das belastet ihn natürlich auch wieder zusätzlich. Andererseits zwingt es ihn nach einer bestimmten Frist, sich zu überlegen, ob es vielleicht vermeidbar ist, dass das Verfahren immer noch anhängig ist. Man hat ja auch in anderen Fällen als Grundrechtsschutz eine Dokumentationspflicht geschaffen, wo man sonst eigentlich nicht kontrollieren könnte. Dann muss zumindest dokumentiert werden. Das könnte ich mir für bedeutsame Verfahren vorstellen, zum Beispiel im Strafrecht, die vielleicht auch typischerweise verzögert werden. Bei der Untätigkeitsbeschwerde hingegen könnte es durch das neue, zusätzliche Verfahren zu einer weiteren Verzögerung kommen. Andreas Steger: Hatten Sie in der Praxis bereits etwas mit Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist) zu tun? Prof. Dr. Graßhof: Ich sehe den Anspruch auf ein Verfahren in angemessener Frist als durch Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes geschützt an. Der Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist bei uns Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Die beiden Normen werden gleich ausgelegt, schon um das kompatibel zu machen. Andreas Steger: Orientiert sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der überlangen Verfahrensdauer an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK? Prof. Dr. Graßhof: Ganz sicher, ja. Andreas Steger: Zuerst gab es also die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und dann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur überlangen Verfahrensdauer?

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Die Bundesverfassungsrichter haben also die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gelesen und auf diesen aufgebaut? Prof. Dr. Graßhof: Ja, natürlich. Das Bundesverfassungsgericht ist zuerst in ganz wenigen Kammerentscheidungen mit Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes gegen überlange Verfahrensdauer eingeschritten. In den 1970er Jahren gab es dazu erste Andeutungen in einer Kammerentscheidung. Das hat beim Bundesverfassungsgericht verhältnismäßig spät begonnen. Andreas Steger: Gibt es Ihrer Meinung nach eine goldene Regel, nach der das Spannungsverhältnis zwischen möglichst schnellem und möglichst gründlichem Rechtschutz aufgelöst werden kann? Prof. Dr. Graßhof: Nein, gibt es nicht. Solange die erforderliche Gründlichkeit die Anhängigkeit bedingt, ist ein Verfahren nicht überlang. Ich kann als Richter nicht sagen, dass ich mir jetzt keine Gedanken mehr mache, weil das Verfahren bereits zu lange dauert. Ich glaube nicht, dass eine zu große Gründlichkeit zu überlanger Verfahrensdauer führt. Überlange Verfahrensdauer entsteht durch andere Gründe, als durch zu gründliches Arbeiten. Die Konzentration des Arbeitens, die Frage, was vorrangig entschieden werden muss, das ist wichtig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat beispielsweise das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zum Kohlepfennig als überlang bezeichnet. Bei diesem Verfahren ging es um einen relativ unbedeutenden Geldbetrag und der Beschwerdeführer begründete seine Betroffenheit damit, dass er täglich zum Briefkasten gegangen sei und vergeblich auf Post vom Bundesverfassungsgericht gewartet habe. Gleichzeitig musste sich das Bundesverfassungsgericht in den 1990er Jahren aber mit unzähligen wiedervereinigungsbedingten Verfahren auseinandersetzen, die wesentlich wichtiger waren. Ganz abgesehen davon ist die Verfassungsbeschwerde nach meiner Ansicht ohnehin kein Fall für überlange Verfahrensdauer, weil die Verfassungsbeschwerde am Ende eines Verfahrens steht. Das Verfahren ist ja bereits rechtskräftig. Die Verfassungsbeschwerde setzt ja gerade den Abschluss des Verfahrens voraus. Das ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf. Andere Staaten haben gar keine Verfassungsbeschwerde. Deutschland aufgrund eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht wegen überlanger Verfahrensdauer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu verurteilen, ist daher sehr zweifelhaft. Bei konkreten Normenkontrollen ist das anders; sie halten den Eintritt der Rechtskraft eines Verfahrens vor den Fachgerichten auf. Andreas Steger: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben.

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X. Gespräch mit Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Georg Ress, (erster hauptamtlicher deutscher) Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (1998–2004/2005), davor deutsches Mitglied der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg (1994–1999), Ordentlicher Professor an der Universität des Saarlandes (1977–1998) und Direktor des dortigen Europainstituts (1979–1998), Mitglied des völkerrechtswissenschaftlichen Beirats des Auswärtigen Amts (1980–1998), Regierungsdirektor im Justizministerium des Landes Rheinland-Pfalz und Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (1976–1977), Träger des goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich und des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse, Ehrendoktorwürden der Universitäten Keio (Tokio/Japan), René Decartes (Paris/Frankreich) und Edinburgh (Schottland), am 22. Oktober 2005 von 15:00 bis 16:45 Uhr in Saarbrücken. (Von einem Abdruck des Gesprächs wurde mit Rücksichtnahme auf laufende Verfahren, an denen er als Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg beteiligt war (z. B. Sürmeli/Deutschland) auf Wunsch von Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Ress abgesehen. Bezüglich des Inhalts des Gesprächs sei auf die umfangreichen Veröffentlichungen von Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Ress im Literaturverzeichnis verwiesen, aus denen im Rahmen dieser Arbeit zitiert wird.)

XI. Gespräch mit Herrn Dr. Jürgen Rassi, Richter am Landesgericht, zur Frage der praktischen Wirksamkeit der österreichischen Regelung des Fristsetzungsantrags in § 91 des österreichischen Gerichtsorganisationsgesetzes am 28. Februar 2008 von 12:40 bis 13:10 Uhr im Landesgericht Eisenstadt (Österreich) per Telefon. (Gedächtnisprotokoll anhand einzelner Stichworte; die Aussagen werden sinngemäß wiedergeben) Herr Dr. Rassi hat anlässlich eines Vortrags auf einem Symposium zur Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde in Deutschland insgesamt gut 200 Entscheidungen zum Fristsetzungsantrag nach § 91 des österreichischen Gerichtsorganisationsgesetzes recherchiert, von denen 102 vom Obersten Gerichtshof stammen. Von diesen 102 Entscheidungen haben nur zwei dem Fristsetzungsantrag stattgegeben, bei den Entscheidungen der unteren Instanzen lag die Erfolgsquote etwas, aber nicht wesentlich höher. Die scheinbar niedrige Erfolgsquote hängt damit zusammen, dass in der Vierwochenfrist, die die österreichische Regelung vorsieht, sehr vielen der Fristset-

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zungsanträge durch Nachholung der gebotenen Verfahrenshandlung abgeholfen wird. Daraufhin werden die meisten Fristsetzungsanträge nicht weiter verfolgt. Entschieden wird daher im Wesentlichen nur noch über Anträge, denen das Ausgangsgericht anders als vom Antragsteller gewünscht abgeholfen hat oder die trotz ordnungsgemäßer Abhilfemaßnahme, also querulatorisch, aufrechterhalten werden. Insgesamt erweist sich der Fristsetzungsantrag damit als wesentlich erfolgreicher, als die geringe Zahl der entschiedenen und insbesondere der stattgebenden Entscheidungen vermuten lässt. Aufgrund der Abhilfemaßnahmen der Ausgangsgerichte erweist sich der Fristsetzungsantrag daher insgesamt als hoch erfolgreich. Dieser Erfolg spiegelt sich allerdings nicht in veröffentlichten Entscheidungen wieder. Höchstens aus der Durchsicht aller Gerichtsakten würde sich eine statistisch aussagekräftige Erfolgsquote des Fristsetzungsantrags ergeben. Die Wirkung des Fristsetzungsantrags wird noch dadurch gesteigert, dass er präventive Wirkung entfaltet. Den meisten Richtern ist es peinlich, mit berechtigten Fristsetzungsanträgen konfrontiert zu werden. Viele Richter versuchen daher schon bevor es zu einem solchen Antrag kommt, die gebotene Verfahrenshandlung vorzunehmen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt festgestellt, dass der österreichische Fristsetzungsantrag eine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit gegen überlange Verfahrensdauer darstellt und hat daher Individualbeschwerden von Personen, die die Stellung eines Fristsetzungsantrags versäumt haben, mangels Ausschöpfung der vorhandenen nationalen Rechtsschutzmöglichkeiten als unzulässig zurückgewiesen. Als problematisch erweisen sich in Österreich daher nur noch überlange Verfahrenslaufzeiten der Gerichte der höchsten Instanzen, für die es nicht die Möglichkeit gibt, einen Fristsetzungsantrag zu stellen. Zur faktischen Wirksamkeit des Fristsetzungsantrags: Die Stellung eines Fristsetzungsantrags ändert natürlich nichts an der personellen Ausstattung der Gerichte. Ist sie Ursache für eine überlange Verfahrensdauer, so führen auch Fristsetzungsanträge nicht dazu, dass die Verfahren insgesamt schneller bearbeitet werden. Fristsetzungsanträge werden seltener gestellt, als dies eigentlich der Fall sein müsste, da viele Anwälte Hemmungen haben, die Richter durch die Stellung eines Fristsetzungsantrags zu verärgern. Um diese Hemmungen zu senken, wurden die erst 1990 in Kraft getretenen Regelungen zum Fristsetzungsantrag bereits dahingehend reformiert, dass nunmehr auch die Volksanwaltschaft [eine die öffentliche Verwaltung im Hinblick auf deren Bürgerfreundlichkeit kontrollierende Institution in Österreich] – in

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der Regel auf Bitten eines betroffenen Bürgers – Fristsetzungsanträge stellen darf. Damit werden die Hemmungen der Verfahrensbeteiligten, einen Fristsetzungsantrag zu stellen, gesenkt, indem die Volksanwaltschaft an deren Stelle als Antragstellerin in Erscheinung tritt. Die Entscheidung über den Fristsetzungsantrag ist ein Teil der Rechtsprechung und unterfällt damit der Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Anders als die Dienstaufsicht ist sie ein Akt der richterlichen Selbstkontrolle. Die Stärke des österreichischen Fristsetzungsantrags ist dessen Flexibilität. Er setzt nicht das Verstreichen bestimmter Mindestfristen voraus, nach denen ein solcher Antrag gestellt werden kann. Feste zeitliche Grenzen, ab wann eine Verfahrenshandlung zu spät ist, lassen sich nicht abstrakt festlegen. Bei einfachen Standardentscheidungen können wenige Wochen schon unangemessen lang sein, in komplexen Fällen können demgegenüber wesentlich längere Zeiträume immer noch angemessen lang sein. Die Richter in Österreich haben offensichtlich wirksame Methoden gefunden, um wiederholte Fristsetzungsanträge von notorischen Querulanten schnell und effektiv zu erledigen. Entgegen der im Vorfeld der Einführung des Rechtsbehelfs geäußerten Bedenken seitens der Richterschaft scheint es heute kaum noch ernsthafte Probleme mit querulatorischen Anträgen zu geben. Zumindest hört man nichts von derartigen Problemen und es wird auch nicht diesbezügliches veröffentlicht. Vor der Einführung des Fristsetzungsantrags 1990 wurden von österreichischen Richtern viele Bedenken im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit geäußert. Heute hört man nichts mehr davon und anscheinend stören sich die Richter nicht mehr daran, dass es einen solchen Rechtsbehelf gibt. Probleme mit der richterlichen Unabhängigkeit scheinen in der Praxis nicht aufgetreten zu sein. Zumal ja auch bei Rechtsmitteln die nächst höhere Instanz über Entscheidungen der Vorinstanz entscheidet. Nichts anderes passiert auch beim Fristsetzungsantrag. Nur wird in der Diskussion bei Rechtsmitteln kein Problem im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit gesehen.

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Personenverzeichnis Arntz, Joachim, S. 306 ff. Beccaria, Cesare von, S. 17, 19 Berra, Xaver, S. 119 Bertrams, Michael, S. 343 ff. Beethoven, Ludwig van, S. 265 Bismarck, Otto von, S. 108 Brill, Hermann Louis, S. 176 Churchill, Sir Winston, S. 30 Cicero (röm. Rechtsgelehrter), S. 272 Domènech i Montaner, Iluís, S. 20 Feuerbach, Paul Johann Anselm von, S. 17, 19, 21, 25 Franklin, John, S. 303 Friedrich der Große, S. 100, 101 Friedrich Wilhelm I., S. 100, 101 Gensler, Johann Kaspar, S. 17, 19, 111, 149 Gladstone, William E., S. 21 Goethe, Johann Wolfgang von, S. 56, 68 Graff, Sigmund, S. 131 Graßhof, Karin, S. 356 ff. Griesinger, Ludwig Friedrich, S. 17 Herzog, Roman, S. 44 Heß, Rudolf, S. 237 Holzschuher, Rudolph Freiherr von, S. 56 Hommel, Karl Ferdinand, S. 17 Justinian (römischer Kaiser), S. 100 King, Martin Luther Junior, S. 21 Kirchmann, Julius Hermann von, S. 108

König, Eberhard, S. 205 Kraus, Karl, S. 29 Kupferberg, Carl Fürst von, S. 101 La Bruyère, Jean de, S. 21 Landor, Walter Savage, S. 21 Leibniz, Gottfried Wilhelm, S. 20 Leisner, Walter, S. 28 Löwer, Wolfgang, S. 326 ff. Mayen, Thomas, S. 332 ff. Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de, S. 21, 106 Morstadt, Karl Eduard, S. 56 Mose, S. 24 Nadolny, Stan, S. 303 Naevius, Sextus, S. 272 Niehues, Norbert, S. 348 ff. Pandin de Jariges, Philipp Joseph, S. 100 Plautus, Titus Maccius, S. 79 Prantl, Heribert, S. 150 Quinctius, Publius, S. 272 Rassi, Jürgen, S. 365 ff. Redeker, Konrad, S. 306 ff. Ress, Georg, S. 365 ff. Schill, Ronald Barnabas, S. 268 Schmidt-Jortzig, Edzard, S. 44 Staehle, Hansjörg, S. 111 Stegh, Ralph, S. 326 ff. Syrus, Publilius, S. 17, 56 Tacitus, Gaius Cornelius, S. 107

Sachverzeichnis Amtsermittlungsgrundsatz, S. 126 ff. Amtshaftung, S. 252 ff., 269 ff. Angemessenheit der Verfahrensdauer – Bundesverfassungsgericht, S. 237 ff. – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, S. 219 ff. Ansehen der Justiz, S. 58 ff. Arbeitsweise der Richter, S. 111 ff. Ausstattung – sachliche, S. 149 ff. – personelle, S. 68 ff. Auswirkungen überlange Verfahrensdauer – für die Betroffenen, S. 50 ff. – immaterielle, S. 50 ff. – materielle, S. 50 ff. – volkswirtschaftliche, S. 56 ff. Bedeutungsverlust für die Gerichtsbarkeit, S. 60 ff. Berechnung der Verfahrensdauer, S. 217 ff. Berichterstatterwechsel, S. 157 ff. Beschleunigungsbeschwerde, S. 271 ff. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S. 245 ff. Dienstaufsichtsbeschwerde, S. 262 ff. Eilverfahren, S. 158 ff. Einzelrichter, S. 74 ff. Entlastungsmöglichkeiten für das Bundesverfassungsgericht, S. 105 ff. Entschädigungsansprüche, S. 252 ff. Entscheidungsbegründungen, S. 119 ff. Erörterungstermin, S. 139 ff.

Europäische Menschenrechtskonvention, S. 172 ff. – Allgemeine Regeln des Völkerrechts, S. 176 ff. – Artikel 6 Abs. 1 Satz 1, S. 179 ff. – Anwendungsbereich, S. 179 ff. – Entstehungsgeschichte, S. 188 ff. – Rechtsprechung, S. 202 ff. – Systematik, S. 196 ff. – Wortlaut, S. 179 ff. – Ziel und Zweck, S. 199 ff. – Evolutiv-dynamischer Charakter, S. 213 ff. – Rang in der Normenhierarchie, S. 174 ff. – Teil der deutschen Rechtsordnung, S. 173 ff. – Völkerrechtskonforme Auslegung, S. 177 ff. Europäische Union, Recht der, S. 243 ff. Gerichtsbescheid, S. 94 ff. Geschäftsablauf, Organisation, S. 153 ff. Grundgesetz, S. 229 ff. – Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip, S. 233 ff. – Artikel 19 Abs. 4 Satz 1, S. 230 ff. – Artikel 101 Abs. 1 Satz 2, S. 235 ff. – Artikel 103 Abs. 1, S. 234 ff. – Justizgewährleistungsanspruch, S. 233 ff. – Materielle Grundrechte, S. 236 ff. – Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 234 ff. Höchstfristen, gesetzliche, S. 99 ff. Individualbeschwerde, S. 254 ff., 269 ff. Instanzenzug, S. 85 ff.

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Sachverzeichnis

Kammerentscheidungen, S. 74 ff. Kompliziertheit des Rechts, S. 106 ff. Kontrolldichte, S. 129 ff. Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer, S. 219 ff., 237 ff., 245 ff. – Bedeutung der Sache, S. 227 ff. – Eilbedürftigkeit, S. 227 ff. – Komplexität der Sache, S. 221 ff. – Verhalten der Behörden, S. 225 ff. – Verhalten der Gerichte, S. 225 ff. – Verhalten des Beschwerdeführers, S. 223 ff. Landesverfassungen, S. 243 ff. Mediation, S. 131 ff. Nebentätigkeiten der Richter, S. 125 ff. Normenflut, S. 106 ff. Normenhierarchie, S. 174 ff., 245 ff. Notare, Übertragung von Aufgaben auf, S. 98 ff. Präklusion, S. 97 ff. Präventive Maßnahmen, S. 261 ff. Privatisierung der Justiz, S. 98 ff. Rechtsanwälte, Verhalten, S. 147 ff. Rechtsbeugung, S. 267 ff. Rechtsprechungsstatistiken, S. 30 ff. – Bundesfinanzhof, S. 43 ff. – Bundessozialgericht, S. 39 ff. – Bundesverfassungsgericht, S. 43 ff. – Bundesverwaltungsgericht, S. 36 ff. – Europäischer Gerichtshof, S. 44 ff. – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, S. 46 ff. – Europäisches Gericht erster Instanz, S. 45 ff. – Finanzgerichte, S. 41 ff. – Finanzgerichtsbarkeit, S. 41 ff. – Landessozialgerichte, S. 38 ff.

– Oberverwaltungsgerichte, S. 33 ff. – Sozialgerichte, S. 37 ff. – Sozialgerichtsbarkeit, S. 37 ff. – Verwaltungsgerichte, S. 31 ff. – Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 31 ff. – Verwaltungsgerichtshöfe, S. 33 ff. Rechtsschutz, vorläufiger, S. 261 ff. Revisionsgrund überlange Verfahrensdauer, S. 259 ff. Richteranklage, S. 269 ff. Richterstellen, Anzahl der, S. 68 ff. Sachverständige, Verhalten, S. 146 ff. Spannungsverhältnis schneller/gründlicher Rechtsschutz, S. 24 ff. Spruchkörper, Besetzung der, S. 74 ff. Streitschlichtung, konsensuale, S. 131 ff. Termin, früher erster, S. 139 ff. Unabhängigkeit, richterliche, S. 262 ff. Untätigkeitsbeschwerde, S. 271 ff. – Aktuelle gesetzliche Regelungen, S. 275 ff. – Aktuelle Situation, S. 285 ff. – Ausblick, S. 288 ff. – Erforderlichkeit nach der Rechtsprechung des EGMR, S. 281 ff. – Gesetzentwurf Bundesregierung, S. 290 ff. – Gesetzentwurf Landesregierung Hessen, S. 288 ff. – Historische Bezüge, S. 272 ff. – Zweckmäßigkeit, S. 276 ff. Verfahrensbeteiligte, Verhalten, S. 141 ff. Verfassungsbeschwerde, S. 43 ff., 270 ff. Vergleich, S. 131 ff. Zulassungsberufung, S. 91 ff. Zusammenlegung der Fachgerichtsbarkeiten, S. 102 ff.